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German Pages 448 Year 2017
Pierre Smolarski Rhetorik des Designs
Design | Band 36
Pierre Smolarski (Dr. phil.), geb. 1984, lehrt Rhetorik und Schreiben am Fachbereich Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld und ist künstlerisch-wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule der Künste in Bern. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören neben der klassischen und visuellen Rhetorik die philosophische Ästhetik, Urbane Kultur, Game Design und Kommunikationsguerilla. Bei transcript erschienen: »Adbusting« (2016, hg. zus. mit Andreas Beaugrand).
Pierre Smolarski
Rhetorik des Designs Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation
Diese Veröffentlichung ist an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen vom Autor als Dissertation zum Erwerb der Grades Dr. phil. eingereicht worden. Die Verteidigung fand am 21.03.2016 statt. Die Gutachter waren Prof. Dr. Jens Martin Gurr und Prof. Dr. Arne Scheuermann.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2017 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt I.
1. 2. 3. 4. 5.
Einleitung | 7 Rhetorische Dimensionen der Orientierung im urbanen Raum | 7 Über die Gegenstände der Arbeit | 8 Ziele der Arbeit | 20 Forschungsstand: Designrhetorik | 24 Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation | 40
II.
Methoden der Rhetorik und Rhetorik als Methode | 43
1. 2. 3. 4.
Einführung in das Kapitel | 43 Zwei Arten der Rhetorik | 44 Grundbegriffe | 51 Rhetorik als Methode | 93
III.
Rhetorische Probleme des Designprozesses | 97
1. 2.
Einleitende Bemerkungen zur Designrhetorik | 97 Problemanalogie – Designprobleme als rhetorische Probleme | 98
IV.
Rhetorik des Designprozesses | 121
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.
Prozessanalogie | 121 Designrhetorik als Prozessrhetorik | 121 Vom Problematisieren – Intellectio | 124 Vom Suchen und Finden – Inventio | 135 Vom Ordnen – Dispositio | 166 Von der Gestaltung – Elocutio | 170 Design als Rhetorik – eine Zusammenfassung | 207
V.
Rhetorik der Subversion – Adbusting als Kommunikationsguerilla | 213
1. 2.
Einführung in das Kapitel | 213 Adbusting als Schmährede | 218
3. 4.
Rhetorik der Subversion | 234 Strategien des Adbustings | 250
VI.
Rhetorik der Affirmation und Orientierung am Anderen | 271
1. 2. 3. 4.
Einführung in das Kapitel | 271 Rhetorik der Affirmation | 273 Orientierung am Anderen | 294 Subversion und Affirmation – Anmerkungen zu einer Rhetorik der Eigentlichkeit | 326
VII. Rhetorik der Neutralität – rhetorische Dimensionen im Informationsdesign | 331
1. 2. 3. 4.
Einführung in das Kapitel | 331 Rhetorik der Neutralität | 334 Strategien der Neutralität | 357 Zusammenfassung | 407
VIII. Schlussbetrachtung | 411
1. 2.
Einige zentrale Aspekte der Arbeit | 412 Zur Weiterführung der Prozessrhetorik | 415
IX.
Literatur | 421
X.
Abbildungen | 439 Danksagung | 445
I. Einleitung
1. R HETORISCHE D IMENSIONEN DER O RIENTIERUNG IM URBANEN R AUM Die vorliegende Arbeit Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation ist ein Teil der Dissertationsschrift Rhetorik des Designs – rhetorische Dimensionen der Orientierung im urbanen Raum, die im Herbst 2015 an der Universität Duisburg-Essen eingereicht wurde und nun in zwei Bänden erscheint: dem vorliegenden Band in der Reihe Design und dem Band Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum in der Reihe Urban Studies. Beide Bände sind eng aufeinander bezogen und in vielerlei Hinsicht komplementär zueinander. Dennoch erscheinen sie nicht zusammen, sondern nach den Hauptuntersuchungsgegenständen und -bereichen getrennt. Sind beide Bände auch mit dem Anspruch verfasst, interdisziplinäre Forschung zu betreiben und durch eine philosophisch-begriffliche wie auch anschaulich-exemplarische Grundlagenarbeit Anschlussmöglichkeiten an diverse Disziplinen und Forschungsfragen zu bieten (etwa Bildrhetorik und Rhetorik des Visuellen, Phänomenologie, Kommunikationswissenschaft, Bildwissenschaft und philosophische Ästhetik), so richten sie sich doch an unterschiedliche Publika und erscheinen deshalb getrennt voneinander. Richtet sich der eine Band eher an Urbanitätsforschende und phänomenologische Bildtheoretiker, so zielt der vorliegende Band vornehmlich auf ein Publikum aus dem engeren Bereich der Designtheorie und theorieaffinen Designpraxis. Beiden Bänden ist letztlich gemeinsam, dass sie die Rhetorik als Designtheorie entwerfen, was zunächst eine rhetoriktheoretische Auseinandersetzung um Fragen des Visuellen notwendig macht, da diese Fragen bislang allenfalls am Rande des rhetorischen Theoriegebäudes beleuchtet wurden und nun in das Zentrum desselben gerückt werden. Auf der anderen Seite gilt es den oft beklagten Mangel an einer konsistenten Designtheorie beheben zu helfen und als eine solche die in der Arbeit entwickelte Designrhetorik zur Diskussion zu stellen. Die nachfolgende Einleitung und das Methodenkapitel haben beide Bände gemeinsam, denn beide basieren auf dem
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gleichen Rhetorikverständnis und beiden Bänden ist gemeinsam, dass sie Ziele, Methoden und Gegenstände einer potentiellen Designrhetorik zu umreißen suchen.
2. Ü BER
DIE
G EGENSTÄNDE
DER
ARBEIT
2.1 Sinn und Spur – Orientierung als rhetorischer Begriff Um die Gegenstände und die Fragerichtung der Arbeit zu klären, gilt es, den Begriff der Orientierung von einer rhetorischen Warte aus in den Blick zu nehmen. Orientierung, das sei hier vorweggesagt, ist weder in klassischen noch in modernen Rhetoriktheorien ein terminus technicus. Beide Bände verstehen sich daher gleichermaßen und in diesem Punkt auch zueinander komplementär als einen Beitrag, der versucht, den Begriff der Orientierung in eine rhetorische Theorie der visuellen Kommunikation erstmals einzuführen. Diese Einführung folgt der These, dass Orientierung zu geben, sich mit Orientierungen Anderer subversiv oder affirmativ auseinanderzusetzen, Einfluss auf Orientierungen Anderer zu nehmen und selbige womöglich zu ändern, wesentliche Grundfunktionen rhetorischer Prozesse sind. Bevor die Untersuchungsgegenstände, an denen diese These erprobt werden soll, eingeführt werden können, gilt es hier zunächst die Frage nach dem Verhältnis von Orientierung und Rhetorik allgemein zu stellen. Vorausgreifend kann aber bereits gesagt werden: Der urbane Raum ist der Ort, an dem diese Frage nach der rhetorischen Dimension von Orientierung gestellt werden soll, denn gerade hier kann als unbestritten gelten, dass Fragen der Orientierung eine zentrale Rolle spielen und dass die (rhetorischen) Mittel zur Einflussnahme auf Orientierungen Produkte wirkungsintentionalen Gestaltens sind. Es gilt hier zu zeigen, dass Fragen der Orientierung eine wichtige Funktion innerhalb der Rhetorik einnehmen, so dass schließlich von Orientierung als einem Begriff mit essentiell rhetorischer Dimension gesprochen werden kann. Wenn dies gezeigt ist, wird klar, warum die Einflussnahme auf Orientierungen Anderer im Stadtraum auch eine rhetorische Aufgabe ist. Fangen wir damit an, uns über unseren Sprachgebrauch klarzuwerden. Wie selbstverständlich gebrauchen wir in Bezug auf Reden bereits ein Vokabular, das die enge Verwandtschaft zu Themen der Orientierung offenbart. So sprechen wir davon, dass ein Redner einen Punkt verfolgt, uns in eine Richtung führt, wir seinen Äußerungen nicht folgen können oder wollen, wir den Gang seiner Argumentation nachvollziehen können, er uns durch unwegsames Terrain führt, wir oder er den Faden verloren haben, wir nicht wissen, worauf oder wohin er hinaus will, wir seine Rede besser verstehen, weil wir wissen, woher (aus welcher theoretischen Richtung) er kommt, er uns seinen Standpunkt deutlich macht, seine Beispiele irreführend sind, er
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sich in seiner Argumentation verrannt hat, uvm. Diese und viele weitere Formulierungen deuten bereits an, worauf es hier ankommt: Fragen der Orientierung sind eng verwoben mit Fragen der Rhetorik. Werner Stegmaier bringt diesen Aspekt in seiner Philosophie der Orientierung treffend mit dem Wort ‚Sinn‘ auf den Punkt. Dazu führt er diesen zunächst etymologisch ein: „‚Sinnen‘ hieß ahd. außer ‚gehen‘ und ‚reisen‘ auch ‚streben‘ und ‚begehren‘, ‚sinnen auf etwas‘. Mit ihm hängt ‚senden‘, ‚auf eine Reise schicken‘, zusammen; ein ‚Gesinde‘ war zunächst eine Reisebegleitung oder Gefolgschaft. Dieses ‚senden‘ floss wiederum mit einer anderen germ. Wurzel ‚sent‘ zusammen, die ebenfalls ‚eine Richtung nehmen‘, ‚eine Fährte suchen‘ bedeutete.“1
In der Etymologie von ‚Sinn‘ wird deutlich, dass die Funktion des ‚Sinns‘ gerade darin besteht, dem Denken, Fühlen und Handeln eine Richtung zu geben. Wenn wir davon reden, dass ‚etwas in diesem oder jenem Sinn‘ gesagt sei, meint das, dass dieses Sagen eben ‚in diese oder jene Richtung‘ weist. ‚Sinn‘ firmiert so deutlich als die gesuchte Scharnierstelle von Rhetorik und Orientierung. In deutlicher Übereinstimmung mit dem in Kapitel II einzuführenden Situationsbegriff und den diesen bestimmenden Selektionsmustern schreibt Stegmaier: „Die Orientierung beginnt nicht mit Zielen, die man erreichen möchte, sondern mit dem Sichten der Situation auf erfolgsversprechende Handlungsmöglichkeiten hin, die dann auch Ziele ‚ins Auge fassen‘ lassen. Erfolgsversprechende Handlungsmöglichkeiten müssen ‚sich‘ in der Orientierung erst ‚finden‘, man muss sie ‚herausfinden‘ unter den unbegrenzt vielen Möglichkeiten, die jede Situation bietet. Sie finden sich durch die Limitation, die Einschränkung der Aufmerksamkeit beim Sichten der Situation auf das, was von Belang ist.“2
Von hier aus kommt er schließlich zum Punkt: „Was für die Orientierung in einer Situation von Belang ist, ist der Anfang von ‚Sinn‘: Sinn ist für die Orientierung das, womit sie ‚etwas anfangen kann‘.“3 Das, womit der nach Orientierung Suchende etwas anfangen kann, der Sinn also, ist aber auch das entscheidende Kriterium der Rede. Es gilt, mit Verweis auf die Kategorie des aptum und den Begriff der Identifikation (vgl. Kap. 2), stets dem Publikum das zu liefern, womit dieses auch ‚etwas anfangen‘ und wonach es ‚sich ausrichten‘ kann. Die Kunst der Persuasion beruht schließlich darauf, dem Publikum Identifikationsangebote machen zu können, die nichts anderes sind als – auf Perspektivwechsel beruhende – Sinnangebote. Fehlt es,
1
Stegmaier, Werner: Philosophie der Orientierung. Berlin 2008. S. 181.
2
Ebd.
3
Ebd.
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in der Rede wie im Stadtraum, an mehr oder weniger deutlich erkennbaren Sinnangeboten, so ist die Orientierungsleistung des Einzelnen gefragt, die darin besteht, ‚Sinn im Unsinn‘4 zu konstruieren und somit handlungsfähig zu bleiben. Ein rhetor, der in dieser Weise das Orientierungsvermögen seines Publikums strapaziert, wird allerdings gefahrlaufen, dass die Sinnkonstruktionen des Publikums nicht den intendierten Sinnangeboten des rhetors entsprechen und jenes zwar versteht, nicht aber so, wie dieser verstanden werden wollte. Damit ist trivialer Weise klar, dass es in den rhetorischen Bemühungen eines rhetors vor allem auch darum zu gehen hat, das Publikum an die Stellen zu führen, die im Redeinteresse als tragend empfunden werden. Rhetorik ist – vor diesem Hintergrund – also vor allem eine Führungskunst mithilfe von Sinnangeboten durch potentiell unsinniges (also nicht richtungsweisendes oder in widersprüchliche Richtungen weisendes) Terrain. Die dafür genutzten rhetorischen Mittel sind so mannigfaltig, dass sie hier nicht vollständig aufgezählt werden können; im Grunde stehen alle rhetorischen Mittel letztlich im Dienst der Generierung von Sinnangeboten: Sie reichen von Fragen der dispositio (Aufbau und Gliederung, kontrastierende Gegenüberstellung, etc.), über Fragen des Beispielgebrauchs (Exemplifikation des Allgemeinen im Besonderen, Induktionsverfahren, etc.), über Fragen der narratio (Rückblenden, Vorwegnahmen, Perspektivierung der Erzählung, etc.) bis hin zu Fragen der elocutio (Figuren in Erkenntnisfunktion, Figuren in stilistischer Funktion, Figuren in argumentativer Funktion, etc.). Nach dem Gesagten ist deutlich, dass es rhetorische Theorien durchaus zentral mit Fragen der Orientierung zu tun haben. Bleibt die Frage offen, ob auch Fragen der Orientierung es in vergleichbarer Vehemenz mit Fragen der Rhetorik zu tun haben. Um in diese Richtung zu argumentieren, wird es aufschlussreich sein, sich mit dem paradox anmutenden Begriff der Spur auseinanderzusetzen. Der Begriff der Spur eignet sich deshalb für unsere Auseinandersetzung, da dieser zum einen als Begriff zum festen Repertoire zur Beschreibung von Orientierungsprozessen gehört und zum anderen sich an diesem Begriff exemplarisch das Verhältnis von Orientierung zur Rhetorik problematisieren lässt. Letzteres funktioniert für unsere Zwecke deshalb so gut, weil der Spurbegriff eine paradox anmutende Struktur aufweist. Sybille Krämer formuliert zehn Eigenschaften, die das Phänomen ‚Spur‘ bestimmen sollen: Spuren zeugen von Abwesenheit, dienen der Orientierung, verweisen auf Materialität, sind Störungen, sind unmotiviert, sind beobachter- und handlungsabhängig, sind gebunden an Interpretationen und münden in Narrationen, weisen einen Zeitenbruch auf, sind
4
Wenn ‚Sinn‘ das ist, ‚womit man etwas anfangen‘ kann, dann ist ‚Unsinn‘ das, ‚womit man nichts anfangen‘ kann. Unsinn ist in dieser Weise zunächst einmal das Noch-nicht-Sinnhafte.
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eindimensional und unumkehrbar und zudem passiv.5 Wichtig für unseren Zusammenhang ist freilich zuerst einmal die Orientierungsleistung: „Spurenlesen wird notwendig unter Bedingungen von Ungewissheit, Unsicherheit und vielleicht auch Angst, dort also, wo eine Situation entstanden ist, in der wir uns nicht (mehr) auskennen.“6 Damit spricht Krämer den Härtefall an, wo aus einem „Problemdruck“7 heraus aktiv nach Spuren Ausschau gehalten wird. Die Orientierungsleistung von Spuren aber kommt nicht erst im Härtefall zum Tragen, vielmehr ist Orientierungslosigkeit als ein Zustand zu verstehen, in dem keine als hilfreich und handlungsleitend empfundenen Spuren zur Verfügung zu stehen scheinen. Um diesen Grundbegriff der Orientierung rhetorisch verstehen zu können, muss es möglich sein, Spuren als intentionales Mittel der Beeinflussung von Handlungsspielräumen anderer einzusetzen. Krämer deutet eine solche Möglichkeit zumindest von Seiten des Publikums auch an: „Spurenleser haben Interessen und sie verfolgen Zwecke. Die Aufmerksamkeit, die beim Lesen der zunächst immer unmerklichen Spuren erforderlich ist, ist daher eine ‚gerichtete Aufmerksamkeit‘.“8 Ein interessenloses Publikum ließe sich im rhetorischen Prozess auch von nichts überzeugen. Für einen rhetor steht in der Vorbereitung seiner rhetorischen Bemühungen eben aufgrund der ‚gerichteten Aufmerksamkeit‘ des Publikums auch die Frage nach den Interessen, Wünschen und Vorstellungen des Publikums an zentraler Stelle. Dennoch gilt nach Krämer, dass Spuren sich durch Unmotiviertheit auszeichnen, was die Verbindungsmöglichkeit zur Rhetorik abreißen ließe: „Spuren werden nicht gemacht, sondern unabsichtlich hinterlassen. […] Wo etwas als Spur bewusst gelegt und inszeniert wird, da handelt es sich gerade nicht mehr um eine Spur. […] Im Unterschied zum Zeichen, das wir erzeugen, ist das Bedeuten der Spur bar jeder Intention seitens desjenigen, der sie verursacht.“9 Wenn das richtig sein sollte, dann könnte man wohl meinen, es wäre wohl eine gute Strategie für einen Einbrecher, möglichst alle seine vermeintlichen Spuren absichtsvoll zu hinterlassen. Denn wenn sie absichtsvoll hinterlassen wurden, sind sie keine Spuren mehr und können dann ja auch dem Spurenleser nicht weiterhelfen. Wenn der Einbrecher dann aufgrund seiner hinterlassenen Indizien dennoch gefasst wird und diese nach Krämer nicht mehr Spuren genannt werden können, dann widerspricht dies offensichtlich der gängigen Verwendung des Begriffs ‚Spur‘. Dass das widersinnig ist, ist klar und wird auch deutlich, wenn man Krämer weiterliest. Allerdings ist es für 5
Vgl. Krämer, Sybille: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? Eine Bestandsaufnahme. In: Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik. Hrsg. von Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube. Frankfurt am Main 2007. S. 11-33. Hier: S. 14-18.
6
Ebd. S. 15.
7
Ebd.
8
Ebd.
9
Ebd. S. 16.
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unseren Übertragungsversuch, der die Rhetorik in der Orientierung sucht, aufschlussreich. Hinter dieser Vorstellung steht deutlich die Vorstellung, wonach die Spur in peircescher Terminologie ein indexikalisches Zeichen, im Gegensatz zum ikonisch oder symbolischen Zeichen, ist.10 Diesen Zusammenhang betont Krämer auch, wenn sie schreibt: „Der Zusammenhang zwischen der Urheberschaft und Spur ist nach Art einer Ursache-Wirkungs-Relation zu denken; er beruht weder auf Ähnlichkeit (wie im Abbild) noch auf Konventionalität (wie im Symbol).“11 Werden Spuren – und damit Orientierungsabläufe – in dieser Weise als Elemente einer indexikalischen Zeichenklasse bestimmt, so wird es tatsächlich schwer, dahinter rhetorische Prozesse zu sehen, denn eine Rhetorik ausschließlich indexikalischer Zeichen ist wohl kaum vorstellbar. Aber sind Spuren denn indexikalische Zeichen? Auch für diese Frage hilft Krämer weiter, die vollkommen zutreffend schreibt: „Etwas ist nicht Spur, sondern wird als Spur gelesen. Es ist der Kontext gerichteter Interessen und selektiver Wahrnehmung, welcher aus ‚bloßen‘ Dingen Spuren macht. […] Spur ist nur das, was als Spur betrachtet und verfolgt wird.“12 Das ‚Spursein‘ liegt demnach ausschließlich in der Betrachtungsweise des Rezipienten, der diese als Spur anerkennt und ihr folgt oder eben nicht. Das aber heißt nichts anderes, als dass etwas als indexikalisches Zeichen interpretiert wird, was ebenso als ikonisches oder symbolisches Zeichen interpretierbar wäre und umgekehrt, dass auch ein intendiertes symbolisches oder ikonisches Zeichen sich als indexikalisches Zeichen lesen, verstehen und befolgen lässt. 10 Vgl. Peirce, Charles S.: Principles of Philosophy. In: Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Hrsg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss. Bd. 1. Cambridge 1974. 11 Krämer 2007. S. 15f. 12 Krämer 2007. S. 16f. Krämer sieht wohl selbst den Widerspruch dieser Zuspitzung der Rezipientenperspektive und der damit einhergehenden Interpretationsbedürftigkeit des Phänomens ‚Spur‘ mit der weiter oben eingeführten Unmotiviertheit als Bestimmungsmerkmal und schreibt: „Der Unmotiviertheit der Spurbildung entspricht jedenfalls die Motiviertheit seitens der Spurenleser. Die Unaufmerksamkeit desjenigen, der die Spuren hinterlässt, und die Aufmerksamkeit des Spurenlesers, der die Spuren auffindet und identifiziert, sind Vorder- und Rückseite der Spur“ (ebd. S. 17). Allerdings vermag diese Anmerkung wenig zu überzeugen, denn ob Spuren absichtsvoll oder unbeabsichtigt hinterlassen wurden, kann – im Falle einer perfekten Täuschung – für den Spurenleser keinen Unterschied machen. Dieser identifiziert die Gegebenheiten als Spur auf der Grundlage seiner Kenntnisse, seiner Interessen und seiner Ziele. Anders sieht es womöglich aus, wenn der Spurenleser entdeckt (oder weiß), dass die Gegebenheiten absichtsvoll arrangiert worden sind. Sie dann dennoch als Spur zu lesen, bleibt zwar möglich, ist aber dann stets gebunden an ein bewusstes Anerkennen der Motiviertheit der Spuren und ebenso an ein Anerkennen der angenommenen Motive des Spurenlegers. Dann aber befindet sich der Spurenleser bereits eingebunden in einen rhetorischen Prozess, der im Kern stets um das Erkennen und Anerkennen angenommener Motive eines orators kreist.
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Spuren sind also nicht indexikalische Zeichen, sondern werden als indexikalische Zeichen verstanden. Ein Beispiel mag das deutlich machen: Nehmen wir an, dass zu einem Event Fußabdrücke mit weißer Farbe auf den Boden gemalt wurden, um dem Besucher die Richtung zum Event zu weisen. Es ist offensichtlich, dass diese gemalten Abdrücke dazu intendiert sind, vom Betrachter als Spuren gelesen zu werden. Betrachtet man ausschließlich die gemalten Abdrücke und fragt nach ihrer Indexikalität, so wird man finden, dass diese Zeichen allenfalls die einstige Anwesenheit eines Malers oder einer Malerin mit einem Eimer weißer Farbe verraten. Würde der Rezipient bei dieser Interpretation stehen bleiben, so wäre die Bemühung rhetorisch misslungen, da der Rezipient ganz offensichtlich aus der Feststellung ‚Hier war jemand mit weißer Farbe‘ nicht zu dem Schluss gelangen kann ‚Hier geht es zum Event‘ (die Fußabdrücke könnten zeitlich auch in der entgegengesetzten Richtung angebracht worden sein). Erfolgreich war die Kommunikation dann, wenn der Rezipient diese Zeichen als Spuren und zwar als ‚Fußabdrücke hin zum Event‘ versteht. In dieser Funktion könnten die Fußabdrücke natürlich auch durch andere konventionelle Zeichen zur Richtungsangabe ersetzt werden (Pfeile, Linien, etc.), aber der rhetorische Vorteil des Fußabdrucks als Motiv ist es, dass mit diesem eben mehr ausgesagt wird, als mit bloßen Pfeilen oder Linien. Zum einen kann der Weg bis zum Event nicht mehr weit sein, es sollte fußläufig erreichbar sein, zum anderen sind Fußabdrücke aber auch selbst zu Symbolen des Spurenlesens geworden und erleichtern somit eine Interpretation als Spur. Auch wenn die Annahme Krämers, dass es sich bei Spuren stets um unmotivierte und nicht intentionale Zeichen handelt, zurückgewiesen werden kann, bleibt aber doch ein – deutlich schwächeres – Problem zurück: Spurenlegen wird schwer, wenn ‚Spursein‘ erst ein Ergebnis des interessengeleiteten Spurenlesens ist. Aber eben, weil das Spurenlesen interessengeleitet ist, kann eine möglichst genaue Kenntnis der Interessenlage des Publikums auch zu erfolgsversprechenden Spurenlegmanövern führen. Die literarische Figur des Fantomas kann hier als Prototyp des erfolgreichen Spurenlegers verstanden werden. Eben aufgrund seiner genauen Kenntnis der polizeilichen Abläufe und aufgrund seiner genauen Kenntnis seiner Gegenspieler schafft es Fantomas, immer wieder, ‚falsche Spuren‘ zu legen und damit ‚richtige Spuren‘ unkenntlich zu machen. In seiner Grundanlage ist das oben formulierte Problem der Möglichkeit des Spurenlegens aber vor allem ein paradigmatisches Problem der Rhetorik. Auch für den rhetor stellt sich immer wieder die Frage, wie ein ‚Verstehen-Lassen‘ möglich ist, wenn doch ‚verstehen‘ sich bei Rezipienten auf der Grundlage von deren Interessen, Vorurteilen, Wertvorstellungen, etc. generieren lässt. Spuren, Spurenlegen und Spuren erkennen verweisen in diesem Sinne stets auf ein zugrundeliegendes rhetorisches Grundproblem. Die Lösungen, die die rhetorische Theorie für das ‚Verstehen-Lassen‘ bereithält, stehen damit in einem – strukturell – engen Zusammenhang zu den Lösungen, die der Designer finden muss, um Zeichen so zu inszenieren, dass sie als
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Spuren interpretiert werden können und damit handlungsleitenden Einfluss auf Menschen in Orientierungsfragen zugesprochen bekommen. Ist die Frage nach den Mitteln und Möglichkeiten der Lenkung der Ausrichtung der Orientierung anderer gestellt, so ist damit eine Frage der Designrhetorik formuliert. Fantomas durchläuft in diesem Sinne, wenn er sich anschickt, falsche Spuren zu legen, alle relevanten Fragestellung der rhetorischen Theorie: Mit welcher Interessenlage habe ich es wahrscheinlich in der Tatortsituation zu tun, wer ist mein Zielpublikum, worauf achten meine Gegenspieler (intellectio), wo finde ich die Ziele, auf die meine gelegten Spuren weisen sollen (inventio), welche Mittel stehen mir zur Verfügung und wie werden diese wahrscheinlich interpretiert, wie schaffe ich es im Sinne einer dissimulatio artis, die falschen Spuren als unbeabsichtigt erscheinen zu lassen (elocutio), wie drapiere ich die falschen Spuren im Raum (dispositio)? Wenn es aber möglich ist, von einem rhetorischen Standpunkt aus die Frage nach dem erfolgreichen Legen falscher und irreführender Spuren zum Zwecke der Desorientierung zu stellen, so ist offensichtlich, dass es auch möglich sein muss, die Frage nach dem erfolgreichen Legen zielführender Spuren zum Zwecke der Orientierung zu stellen. Fragen der Orientierung in der Großstadt sind demnach – zumindest auch – Fragen der Rhetorik an den Designer und einige Impulse sind wohl auch umgekehrt zu erwarten, wenn nämlich Fragen der Orientierung in der Großstadt verstanden werden als Fragen des Designers an die Rhetorik. In dieser Weise ist die komplementäre Anlage der beiden Bände als ein Beitrag zu einer Rhetorik der Orientierung zu verstehen, die versucht, eine rhetoriktheoretische Systematik zu entwickeln, um Designprodukte in ihrer Orientierungsfunktion analysieren zu können. Es geht folglich um strategische, visuelle Kommunikation in urbanen Kontexten, die in sichtbaren, gestalteten Zeichenkomplexen zum Ausdruck kommt, welche dem Rezipienten persuasive Identifikationsangebote machen und auf diese Weise Einfluss auf dessen Orientierung nehmen. In diesem Zusammenhang wird über die Richtung dieser Einflussnahme (Affirmation und Subversion) ebenso zu reden sein wie über den Akt des Zeigens und die Indienstnahme rhetorischer Mittel vor allem im Sinne von Funktionalität und Neutralität. Bevor das Verhältnis dieser Begriffe besprochen werden kann, soll zuvor der Gegenstandsbereich umrissen werden, der in beiden Bänden durchweg mit dem Begriff ‚Design‘ bezeichnet wird. Dabei wird insbesondere auf den Status der hier verwendeten Beispiele näher einzugehen sein. 2.2 Orientierungsdesign Der Begriff Design ist, wie in nahezu allen Einführungen zu lesen ist, weder ein Begriff zur Kennzeichnung eines fest umrissen Gegenstandsbereiches noch einer klaren
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Methode. Die Autoren des Wörterbuch Design, Michael Erlhoff und Tim Marshall, schreiben zum Stichwort Design ganz offen: „Auf die Gefahr hin, die Leserinnen und Leser zu enttäuschen, müssen wir doch sehr offen eingestehen: Ausgerechnet für die zentrale Kategorie dieses Wörterbuchs gibt es keine allgemein gültige Definition – eben für Design. Schon über den Anfang von Design existiert ebenso heftiger Streit wie darüber, was denn Design sei und was es nicht sei.“13
Wie Arne Scheuermann in diesem Sinne weiter betont, kann von auch einer „methodisch gesicherten Wissenschaft mit dem Namen Designtheorie […] bis heute eigentlich noch nicht gesprochen werden.“14 Vor diesem Hintergrund soll hier nicht der Versuch gemacht werden, den Begriff Design zu definieren – im strengen Sinne einer Substitutionsregel –, sondern lediglich die Verwendung des Begriffes in der Arbeit legitimiert werden. Mit dem Begriff Design werden gleichermaßen die gestalterischen Prozesse wie die gestalteten Produkte bezeichnet, was Scheuermann als eine kulturelle Praxis versteht, an der „zugleich die Gesellschaft und einzelne Akteure wie Objekte und Pragmatiken beteiligt sind: Gestalter, Rezipienten und gestaltete Objekte sind genauso wie der Prozess des Gestaltens selbst Teil von ‚Design‘.“15 Eine rhetorische Theorie des Designs kann demnach wenigstens zwei Gegenstandsbereiche in den Blick nehmen: Den Prozess der Gestaltung, der dann als rhetorischer Prozess verstanden wird und der dann, etwa in Form der rhetorischen Produktionstheorie, versuchsweise erklärt werden kann; und das Produkt der Gestaltung, welches durch eine designrhetorische Theorie auf sein persuasives oder zur Identifikation einladendes Potential hin analysiert werden kann. Beide Aspekte werden in einer rhetorischen Theorie schließlich aufeinander bezogen, insofern sich aus der Analyse mögliche Strategien und Heuristiken entwickeln lassen, die dem strategischen Prozess wieder zugeführt werden können. Obgleich allerdings beide Richtungen, Prozess- wie Produktrhetorik, eng aufeinander bezogen sind und insbesondere letztere ihren rhetorischen Wert eben nicht nur darin hat, ein Interpretationsinstrument zu liefern, sondern auch Strategien der Praxis oder für die Praxis zu entwickeln, lassen sich rhetorisch inspirierte Theorien dennoch – mehr oder weniger klar – einer der beiden Richtungen zuordnen. Der Unterschied besteht – stark vereinfacht – beispielsweise darin, ob eine Theorie den Designprozess untersucht und diesen an Beispielen der jeweiligen Teilprozesse bespricht, auf die unterschiedlichen stakeholder eingeht, prozessuale Kommunikationsprobleme in den Blick nimmt oder etwa den mannigfachen Wechsel der
13 Erlhoff, Michael; Marshall, Tim: Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven auf Design. Basel 2008. S. 87. 14 Scheuermann, Arne: Zur Theorie des Filmemachens. München 2009. S. 13. 15 Ebd. S. 17.
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orator-Instanzen in arbeitsteiligen Prozessen thematisiert und so schließlich auf Produkte und Teilergebnisse zu sprechen kommt, oder ob eine Theorie das Produkt in seiner Beziehung zum Rezipienten und umgekehrt in den Mittelpunkt stellt, Wirkungen thematisiert und von da aus die potentiellen Rückschlüsse zu einem rhetor zulässt. Die vorliegende Arbeit thematisiert zwar ausführlich den Designprozess als rhetorischen Prozess, nicht zuletzt um daraus auch Instrumente der Analyse zu gewinnen, fokussiert aber vor allem auf den Bereich der Produkte, der visuellen Zeichenkomplexe, die dem Betrachter sichtbar und bisweilen orientierend zur Verfügung stehen. Die Produkte, von denen hier zu sprechen sein wird, werden in der Arbeit – wenn sie nicht genauer bezeichnet werden – als Designprodukte angesprochen. Folgt man den Unterscheidungen der diversen Designdisziplinen, so handelt es sich bei diesen Produkten um eine höchst heterogene Zusammenstellung: Darunter finden sich Produkte vor allem aus den Designbereichen urban design, urban planning, Signaletik, Informationsdesign, Kommunikations- und Werbedesign. Dazu kommen Produkte, die üblicherweise gar nicht als Designprodukte bezeichnet werden wie Graffiti, Street-Art und Elemente sogenannter Kommunikationsguerilla. Diese Produkte werden weder durch einen bestimmten Urheberkreis geeint noch durch ein einheitliches Ausdrucksrepertoire. Was diese unterschiedlichen Produkte allerdings gemeinsam haben, ist, dass sie sichtbare Kommunikationselemente sind, die in der vorliegenden Arbeit bezüglich ihres persuasiven Potentials in Orientierungszusammenhängen untersucht werden; sie sind zugleich Elemente, die sowohl im urbanen Raum fixiert sind als auch den sie umgebenden urbanen Raum thematisieren, verändern, erklären, durch diesen führen, etc. Gegenstand der Untersuchung sind also vor allem visuelle Elemente in erkennbarer Orientierungsfunktion, die sich im urbanen Raum fixiert finden und für diesen Zweck – wenigstens mutmaßlich – auch so gestaltet wurden, wie sie gestaltet wurden; und genau aufgrund dieser ‚wirkungsintentionalen Gestaltetheit‘ werden sie auch allesamt als Designprodukte bezeichnet. Die über 250 Abbildungen, die die Grundlage der Untersuchung beider Bände bilden und in diesen besprochen werden, zeigen vornehmlich Produkte in diesem Sinne. Zum Status dieser Abbildungen sind noch zwei Aspekte zu betonen: Zum einen die epistemische Rolle der konkreten Designprodukte in und für diese Arbeit und zum anderen die Auswahl der gezeigten Produkte (aus Informationsdesign, Kommunikationsdesign, Graffiti, Adbust, urban design, uvm.). Zur epistemischen Funktion der Abbildungen: Die beiden Bände bilden einen theoretischen Fundierungsversuch, der aus rhetorischer Perspektive Designprodukte (und Prozesse) in den Blick nimmt. Als eine Theorie gilt für diese Arbeiten, was wohl für alle Theorien gilt: Sie sind Werkzeuge, um Ähnlichkeiten da sehen zu lassen, wo diese bislang nicht oder nicht in einem bestimmten Sinne gesehen wurden und ebenso um Unterschiede da zu betonen, wo auch diese bislang keine oder nicht hinreichende Aufmerksamkeit erregten. In klassischen Begriffen ausgedrückt sind Theorien Werk-
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zeuge des Witzes und des Scharfsinns. Als ein Werkzeug ist damit eine Theorie weder wahr noch falsch, sondern allenfalls zu unterschiedlichen Zwecken in unterschiedlichen Graden nützlich. Ein wesentliches Mittel, um die Nützlichkeit einer entwickelten Theorie zu zeigen, ist es, ihre Anwendbarkeit exemplarisch vorzuzeigen. Das exemplum dient in diesen Zusammenhängen also stets zwei Funktionen: Zum einen soll das exemplum helfen, komplizierte theoretische Sachverhalte sichtbar vor Augen zu stellen (evidentia) und damit die Verständlichkeit zu erhöhen, zum anderen wird das exemplum hierbei aber auch zum ersten, vorgeführten Anwendungsfall, der, wenn das exemplum überzeugend gewählt ist, zumindest zu garantieren vermag, dass das theoretische Unterscheidungswissen nicht in Spitzfindigkeiten und leeren Mengen mündet. Auf diese Weise ist ein wesentlicher Schritt getan, um die Nützlichkeit des theoretisch entwickelten Analyseinstruments glaubwürdig behaupten zu können – auch wenn diese Behauptung sich erst im daran anschließenden offenen Diskurs durchsetzen können muss. In eben dieser Weise sind die Abbildungen und Beispiele in beiden Arbeiten zu verstehen. Zur Auswahl: Die Mehrzahl der Bilder ist vom Autor im Rahmen seiner dreijährigen Recherche selbst aufgenommen worden und zeigt weniger die auf dem Gebiet dessen, was man als Orientierungsdesign bezeichnen könnte, gestalterisch herausragenden Produkte als vielmehr bewusst das, was sich so oder ähnlich wohl in vielen Städten finden ließe. Es geht im Folgenden nicht oder wenigstens nicht primär um das, was gestalterisch möglich ist, sondern eher um das, was gestalterisch alltäglich zu sein scheint. Die in den Arbeiten gezeigten Produkte sind ebenso wie die Städte, in denen sie installiert sind, mehr oder weniger austauschbar und dienen ausschließlich der Illustration und der exemplarischen Anwendung des zu entwickelnden Anaylseinstrumentariums. Die Auswahl konzentriert sich auf die Abbildungen, die der zu illustrierenden Idee prototypisch vorstehen könnten und an denen sich demnach besonders gut zeigen lässt, was zu zeigen beabsichtigt ist. Da die meisten Abbildungen an lediglich einer konkreten Stelle im Text diesen Zweck erfüllen müssen, wurde bei der Gestaltung der Arbeiten von einem Abbildungsanhang Abstand genommen und im Sinne der Leserfreundlichkeit werden die Abbildungen dort präsentiert, wo sie gebraucht werden.16
16 Zwei Anmerkungen zur Schreibweise: Alle fremdsprachlichen Ausdrücke (wie etwa ethos, inventio oder place-making) werden, insofern sie nicht in den deutschen Wortschatz eingegangen sind (wie etwa Graffiti oder Imagekampagne) klein geschrieben. Auch die im Verlauf der Arbeit häufig vorkommende Formulieren ‚etwas als etwas‘ wird klein geschrieben.
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2.3 Orientierung: Subversion, Affirmation, Neutralität und Zeigen Wenden wir uns noch einmal dem Begriff der Orientierung zu. Wenn im Weiteren die rhetorischen Dimensionen von Designprodukten, die eine wirkungsintentionale Orientierungsfunktion erfüllen oder erfüllen sollen, herausgestellt werden und hierzu eine Systematik einer rhetorischen Analyse entwickelt, vorgestellt und an Beispielen erprobt werden soll, dann gilt es, wichtige Begriffe aus diesem Zusammenhang und deren Verbindung vorweg kurz einzuführen. Von Orientierung wird im Weiteren vor allem in Bezug auf Aspekte gesprochen, die in folgenden fünf Begriffen kulminieren: place-making, Zeigen, Subversion, Affirmation und Neutralität. Diese auf den ersten Blick womöglich heterogene Zusammenstellung von Begriffen gilt es hier zunächst zu rechtfertigen. Für diese Rechtfertigung ist folgende Grundidee tragend: Orientierung im urbanen Raum meint neben der Fähigkeit, aufgrund von Hinweisen das Labyrinth der Stadt sicher und zielführend durchqueren zu können, eben auch die Fähigkeit, sich aufgrund einer ‚Lektüre der Umgebung‘ sicher zu ‚verorten‘. Eng mit der Frage nach der Orientierung hängen demnach die Fragen nach dem Wohin (im urbanen Labyrinth) und gleichermaßen Fragen nach dem Worin zusammen. Insbesondere die Fragen nach dem Worin sind Fragen, die sich auf das Erkennen dessen beziehen, was unter anderem in der phänomenologisch ausgerichteten Stadtforschung als genius loci bezeichnet und was – unter einem gestalterischen Blickwinkel – mit dem Begriff place-making ausgedrückt wird. Vereinfacht gesagt geht es bei Fragen des place-makings um Strategien und Heuristiken, Orte so zu gestalten, dass diese für ein Zielpublikum mit einem handlungsweisenden Charakter verbunden werden und so Orientierung ermöglichen. Ist also nach der rhetorischen Dimension von Orientierungsdesign im urbanen Raum gefragt, so müssen eben auch die Möglichkeiten diskutiert werden, durch Raumgestaltung orientierend zu wirken. Durch die erfolgende Auseinandersetzung mit dem Konzept des place-makings wird in dieser Weise insbesondere dem urbanen Raum und seinen Orten Rechnung getragen. Mit dem Begriff des Zeigens ist ein Akt benannt, der in Orientierungszusammenhängen als basal gelten kann: sei es die Richtung, die einem gezeigt wird oder die Bedeutung eines Ortes, das angemessene Verhalten oder ein Punkt auf einer Karte als mein Standort, mein Reiseziel, Attraktion, usw. Der Akt des Zeigens ist dabei vielschichtig, und von einer rhetorischen Analyse des Zeigens kann erwartet werden, dass sie dieser Vielschichtigkeit Rechnung trägt und deutlich herausstellt, auf welchen Ebenen der Zeigeakt operiert, welche rhetorischen Mittel zur Verfügung stehen, aber auch, wie und warum Zeigeakte scheitern können. Dass Zeigen ein basales Thema des Designs ist, braucht an dieser Stelle nicht eigens thematisiert zu werden; Zeigeakte sind nicht nur die Basis von Leit- und Orientierungssystemen in weiten Teilen des Informationsdesigns und Kommunikationsdesigns: Zeigen ist darüber hinaus
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eine Grundhandlung, von der letztlich auch jede rhetorische Bildtheorie ihren Ausgang nehmen muss.17 Die tragenden Begriffe des Bandes Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation betonen zwei wesentliche Verhaltensweisen, die insbesondere bei der Orientierung an Anderen und deren Hinweisen tragend sind. Vereinfachend kann gesagt werden, dass Orientierungsdesign in der Regel auf ein affirmatives Verhalten setzt und von diesem überzeugen muss, sei es qua Autorität oder durch die Betonung besonderer Einsichtigkeit (ethos), sei es durch einen emotiven Appell (pathos) oder durch Angabe sachlicher Gründe (logos). Subversive Momente hingegen stellen eine Herausforderung für Orientierungsprozesse dar, da sie beispielsweise gängige Muster und gewohnte Abläufe stören und pervertieren. Insofern es dabei aber selbst wieder um Überzeugungsprozesse geht, wird bei der Gestaltung auch von subversiven und vermeintlich subversiven Designprodukten (Graffiti, Street-Art, Kommunikationsguerilla) wiederum auf affirmative Momente gesetzt werden müssen. Gleichzeitig können auf Affirmation zielende Gestaltungen von subversiven oder vermeintlich subversiven Elementen profitieren, da diese leichter die Aufmerksamkeit erregen. Über Subversion lässt sich demnach nur im Kontext der Affirmation und über Affirmation nur im Zusammenhang mit Subversion sprechen, beide Momente sind aber gleichermaßen tragend in Fragen der Orientierung. Zum Begriff der Neutralität gilt es eines vorweg zu sagen: Neutralität wird als Wirkungsfunktion verstanden, was insbesondere heißt, dass es nichts geben muss, was – in welchem Sinne auch immer – wirklich neutral ist, es reicht, dass etwas neutral wirkt. Die grundlegende Verbindung zwischen Orientierung und Neutralität wird – vereinfachend – darin deutlich, dass Designprodukte, die in ihrer Funktion als Wegweiser, Orientierungshilfen, Regulatoren oder schlichtweg Informationsmaterial verstanden werden und allein aufgrund der ihnen unterstellten Funktionalität wahrgenommen und benutzt werden, häufig als neutral empfunden werden. Umgekehrt gilt aber auch: Für die Gestaltung beispielsweise von Abfahrtsplänen von Zügen, kartographischen Informationen oder Wegweisern kann es eine die Funktionalität unterstützende Strategie darstellen, Neutralität als intendierte Wirkung zu inszenieren. Der Begriff der Neutralität bezeichnet freilich nicht die einzige Wirkungsfunktion der Designprodukte, die im Weiteren diskutiert werden soll, bedarf aber dennoch einer gewissen Sonderstellung: Zum einen, da eine Rhetorik der Neutralität ein Oxymoron zu sein scheint. Immerhin scheint Neutralität sowohl der Agonalität der Rhetorik zuwiderzulaufen als auch der notwendigen Parteilichkeit rhetorischer Bemühungen. Dass es sich hierbei nur um einen scheinbaren Widerspruch handelt, wird deutlich,
17 Zur Rhetorik des place-makings und zur Rhetorik des Zeigens, vgl. Smolarski, Pierre: Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum. Bielefeld 2017.
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wenn man Neutralität genauer untersucht. Dann – und damit kommen wir zum zweiten Punkt, der eine Sonderstellung nötig macht – zeigt sich der Facettenreichtum auf Neutralität setzenden Designs. Allem anderen voran hängt Neutralität in Orientierungszusammenhängen eng mit diversen Formen von Funktionalität der Gestaltung zusammen. Als intendierte Wirkungsfunktion ist Neutralität – insbesondere im Informationsdesign – ein wirkmächtiges Instrument, um logos-Aspekte der rhetorischen Wirkung von Design mit spezifischen ethos- und pathos-Dimensionen zu verbinden.
3. Z IELE
DER
ARBEIT
In Anlage und Argumentation versucht die Arbeit verschiedene Ziele zu erreichen, bestimmte Thesen zu vertreten und Beiträge zu Theoriediskussionen in bestimmen Bereichen zu leisten. Diese Ziele, Thesen und Beitragsbereiche sollen hier schlagwortartig genannt sein, wobei der Reihenfolge dabei keine wertende Gewichtung entspricht. Die Ziele dieser Arbeiten sind nach den Theoriefeldern geordnet, in denen sie sich verorten lassen. In diesem Sinne wird klar, dass die Arbeit einen Beitrag vor allem zur Rhetoriktheorie leisten soll, darüber hinaus aber auch zur Bild-, Designund Stadttheorie. 3.1 Rhetoriktheorie I: Visuelle Rhetorik Ziel beider Bände ist es, einen Beitrag zur visuellen Rhetorik zu liefern. Die Rhetorik als Methode ist, wenngleich stets auch visuelle Elemente thematisiert wurden, vor allem eine Theorie der Rede und des Textes. Das begriffliche Repertoire der klassischen und auch der modernen Rhetoriken entfaltet seine Wirkung und sein Beschreibungspotential unbestritten da, wo es darum geht, durch den strategischen Einsatz von Sprache, Einfluss auf Denk- und Handlungsweisen oder Einstellungen Anderer zu nehmen. Der Versuch einer visuellen Rhetorik liegt generell darin, dieses Beschreibungspotential auf persuasive Prozesse allgemein auszudehnen, und damit eben insbesondere auch auf den Bereich visueller Kommunikation. Der Grundgedanke der Arbeit ist es, dass, wenn eine Methode wie die Rhetorik, die nicht primär für visuelle Phänomene konzipiert wurde, auf einen Gegenstandsbereich wie Design übertragen wird, weder die Methode noch der Gegenstand bleiben kann, was er war. Das heißt: Wer lediglich die bestehenden Rederhetoriken auf Visuelles überträgt, läuft Gefahr, zum einen ein womöglich genuin visuell-rhetorisches Vermögen zu übersehen und zum anderen das Visuelle zu versprachlichen. Rhetoriktheorien dieser Art leisten in meinen Augen kaum einen Beitrag zur visuellen Rhetorik, da sie sich nicht genügend auf die Gegenstände einlassen. Auf der anderen Seite müssen auch die Gegenstände sich unter einem veränderten methodischen Zugriff ändern, oder
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genauer: die Wahrnehmung und Einschätzung bestimmter Potentiale muss sich ändern oder zumindest potentiell ändern lassen können. Eine rhetorische Theorie, deren Einschätzung der Potentiale ihrer visuellen Untersuchungsgegenstände sich nicht durch den methodischen Zugriff ändert oder ändern können lässt, läuft Gefahr, die Stärken der eigenen Methode nicht ausgeschöpft zu haben und leistet daher kaum einen Beitrag zur visuellen Rhetorik. Das mit der Arbeit verbundene Ziel ist es, beiden Gefahren zu widerstehen und damit tatsächlich einen Beitrag zur visuellen Rhetorik leisten zu können. Dass dieser Beitrag nicht mehr sein kann als ein Vorschlag zur Systematisierung, der exemplarisch vorgeführt wird, ohne den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, ist sicherlich klar. Ein Beitrag zur visuellen Rhetorik, wie er hier verstanden werden soll, besteht darin, ein begriffliches Unterscheidungswissen zu entwickeln und zu erproben, das den Anspruch hat, bestimmte Facetten vorrangig visueller Persuasion oder Identifikation aufzeigen zu können. 3.2 Rhetoriktheorie II: Rhetorik der Orientierung Im Laufe beider Bände werden Aspekte der rhetorischen Dimensionen entwickelt, die mit den Begriffen Orientierung, place-making, Zeigen, Subversion, Affirmation und Neutralität verbunden sind. Keiner dieser Begriffe hat bislang einen nennenswerten Stellenwert im rhetorischen Theoriegebäude. Ein Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, dass diese Begriffe und die damit verbundenen Aspekte und Bereiche des öffentlichen Lebens durchaus mehr Beachtung verdienen könnten. En passant versucht die Arbeit einen Beitrag zu leisten, eine mögliche Rhetorik der Orientierung zu entwickeln, die insbesondere im urbanen Raum eng verbunden ist mit den oben genannten Begriffen. Besonders place-making, Subversion, Affirmation und Zeigen sind Aspekte einer rhetorischen Theorie, die sich immer auch als eine Handlungs- und Sozialtheorie versteht und der Begriff der Neutralität kann in einer rhetorischen Theorie, zu der er nur scheinbar quer steht, als Beitrag verstanden werden, Rhetorik als eine kulturkritische Theorie zu betreiben. In einer weiter gefassten These, die den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigt, kann gesagt werden, dass Orientierung zu einem Grundkonzept der Rhetorik gehört und dass gleichermaßen Rhetorik ein Kernaspekt alltäglicher Orientierungsprozesse darstellt. Auch wenn diese These nicht in der Form Thema der Arbeiten ist, so verweisen selbige doch in genau diese Richtung. 3.3 Rhetoriktheorie III: New Rhetoric – Kenneth Burke Das beiden Bänden zugrundeliegende Rhetorikverständnis, in welches ausführlich im jeweiligen Kapitel II eingeführt wird, unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten vom klassischen Rhetorikmodell oder den rhetorischen Modellen, wie sie
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etwa derzeit in Tübingen, beispielsweise durch Joachim Knape, vertreten werden. Die Unterschiede resultieren aus einer starken Anknüpfung an einen Rhetoriktheoretiker des 20. Jahrhunderts, der im deutschsprachigen Raum kaum rezipiert wird, dessen zentrale Werke nicht ins Deutsche übersetzt sind und dessen Theorieentwurf hierzulande auch nirgends an zentraler Stelle angewendet wird: Kenneth Burke.18 Dabei entwirft Burke einen Zugang zu Fragen der Rhetorik, der durch die zentralen Begriffe Motiv, Situation und symbolische Handlung gekennzeichnet ist und das Streben nach Identifikation zur rhetorischen Grundbedingung erhebt, der es erlaubt die rhetorische Theorie als Handlungs- und Sozialtheorie zu verstehen – und das in einem weitaus größerem Rahmen als es die klassischen Modelle tun. Es sei in diesem Zusammenhang hier lediglich angemerkt, dass Theoretiker wie Erving Goffman19 oder auch Herbert Blumer20 sich von den Theorien Burkes und dessen Konzept des Dramatismus stark haben beeinflussen lassen. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere das Methodenkapitel auch als eine Einführung in die rhetorische Theorie Burkes zu verstehen und kann damit vielleicht einen Beitrag leisten, dem Werk dieses Rhetorikers auch im deutschsprachigen Raum zu mehr Bekanntheit zu verhelfen. 3.4 Designtheorie: Designrhetorik Thema und Kern vor allem des vorliegenden Bandes ist die Entwicklung einer rhetorischen Theorie des Designs. Dass diese im Rahmen dieser Arbeit nicht als allgemeine Theorie entwickelt werden kann, sondern die nötige Tiefe nur erreicht, wenn sie sich auf einen bestimmten Bereich beschränkt, ist klar. Dieser Bereich ist vor allem durch die Frage nach den rhetorischen Potentialen von Orientierungsdesign und der Eingrenzung auf im urbanen Raum fixierte Elemente bestimmt. Innerhalb dieses Bereichs aber wird der Anspruch erhoben, einen umfassenden und konsistenten Vorschlag zur Systematisierung rhetorischer Wirkungsdimensionen und Strategien zu Erreichung derselben machen zu können. Die Arbeit problematisiert in diesem Zusammenhang zunächst vor allem die Frage nach der Analogie von Designprozessen und rhetorischen Prozessen und versucht – vorerst auf Prozessebene – zentrale Kategorien einer möglichen Designrhetorik vorzustellen. Sie kann dabei an eine Reihe rhetorisch inspirierter Theorien des Designs und natürlich an klassische rhetorische Modelle anknüpfen, modifiziert diese zum Teil oder entwirft eigene Katego-
18 Ich möchte an dieser Stelle Temilo van Zantwijk dafür danken, dass er mich mit den Schriften Burkes konfrontierte. 19 Vgl. Goffman, Erving: Wir spielen alle Theater. Selbstdarstellung im Alltag. München 2013. 20 Vgl. Blumer, Herbert: Symbolischer Interaktionismus. Aufsätze zu einer Wissenschaft der Interpretation. Berlin 2013.
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rien als Übertragungsleistung aus anderen Wissenschaftsdisziplinen wie etwa Philosophie, Literaturwissenschaft, Linguistik, Semiotik oder Psychologie. Der weitere Fortgang der Arbeit baut auf diesen Kategorien auf und versucht, für bestimmte Teilbereiche gezielt die Frage nach den strategischen Potentialen zu stellen, die in bestimmten Produkten umgesetzt sind oder zumindest umgesetzt zu sein scheinen. Es gilt mit eben dieser Arbeit, einen Beitrag zu leisten, den Spalt zu überbrücken zwischen Praxishandbüchern und Ratgebern, die an Beispielen Strategien aufführen, ohne sie theoretisch zu fundieren, und Designtheorien, die allein auf der Ebene von Strukturanalysen operieren, ohne Strategiebereiche möglichen gestalterischen Handelns aufzuzeigen. Um zu helfen, diesen Spalt zu überbrücken, bedient sich die vorliegende Arbeit der Rhetorik als Methode und genau hierin ist dem Anspruch nach der Beitrag zur Designtheorie zu sehen: Es geht um die Entwicklung eines tragfähigen Analyseinstruments, das die Praxis und Fragen der Werkgenese dennoch im Blick behält und dessen Analyseergebnisse dieser Praxis wieder zugeführt werden. Eng mit dem eben erläuterten Ziel verbunden ist die Hoffnung, mit dieser Arbeit auch einen Beitrag für die Designpraxis leisten zu können. 3.5 Bildtheorie: Zeigen als rhetorischer Grundbegriff der Bildtheorie Im Band Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum wird mit dem Begriff des Zeigens eine Handlung als basaler rhetorischer Akt visueller Kommunikation herausgestellt.21 Es geht dabei klarerweise nicht um eine lose an die Sprechakttheorie anknüpfende Theorie des Bildaktes, wie sie etwa Horst Bredekamp entwirft.22 Nicht das Bild ist ein Handelnder, sondern der rhetor, der ein Bild zu kommunikativen Zwecken gebraucht, um damit etwas zu zeigen, was nichts anderes heißt, als etwas als etwas bestimmtes sehen zu lassen. Eben wie auch in der Sprechakttheorie nicht etwa davon ausgegangen wird, dass die Sprache selbst handeln könne, sondern dass durch das Sprechen Handlungen von intentionalen Wesen (etwa Menschen) vollzogen werden, so ist auch der Akt des Zeigens als eine, mithin strategische, Handlung von Menschen zu verstehen.23 Der im Laufe dieser Arbeit zu entfaltende Begriff des Zeigens und seine rhetoriktheoretische Fundierung kann einen Beitrag leisten für eine rhetorische Bildtheorie, die Phänomene visueller Kommunikation auch im Kontext beispielsweise von Malerei, Fotografie, Grafik, aber auch Performance untersucht.
21 Vgl. Smolarski 2017. 22 Vgl. Bredekamp, Horst: Theorie des Bildakts. Frankfurt am Main 2010. 23 Vgl. Sprechakttheorie: Austin, John L.: Zur Theorie der Sprechakte. Stuttgart 1972.; Searle, John R.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt am Main 1983.
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3.6 Stadttheorie: Stadtrhetorik Zuletzt sei noch genannt, dass vor allem der Band Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum neben den Hauptbereichen Rhetorik und Design ebenso im Bereich der urban studies anzusiedeln ist.24 Es wird versucht, einen Beitrag zu leisten zu einer möglichen rhetorischen Untersuchung der Stadt. Im Bereich des place-makings, was sicherlich als ein Kern einer potentiellen Stadtrhetorik anzusehen wäre, liefert die vorliegende Arbeit eine Grundlage, den designrhetorischen Einfluss vor allem von Beschilderungen, Leitsystemen, aber auch Graffiti und Street-Art auszuloten und zu systematisieren. Es werden Kategorien entwickelt und für die weitere Diskussion vorgeschlagen, die Strategien des place-makings nach rhetorischen Gesichtspunkten aufzubereiten. Freilich müsste für eine rhetorische Theorie des place-makings auch Architektur und urban planning stärker berücksichtigt werden und zudem ließe sich eine solche rhetorische Theorie auch nur als Handlungs- und Sozialtheorie vorstellen, die die Praktiken der Akteure im Raum ebenso als Größen des place-makings in den Blick nimmt. Wenn auch die Arbeiten diesen Bereich nicht ausschöpfen können, so liefern sie doch auch zu dem letztgenannten Punkt durch die Untersuchung subversiver und affirmativer Prozesse einen Beitrag.
4. F ORSCHUNGSSTAND : D ESIGNRHETORIK Historisch gesehen gilt, wie Gesche Joost in ihrem Überblicksartikel zum Design im Historischen Wörterbuch der Rhetorik betont, dass „die Wiederbelebung der rhetorischen Tradition im 20. Jh. in der New Rhetoric wie auch in der Allgemeinen Rhetorik als Grundlage der heutigen rhetorischen Designtheorie“25 angesehen werden kann. Genauer müsste gesagt werden, dass es sich hierbei freilich nicht um eine, sondern um verschiedene Wiederbelebungen handelt. Unter den vielen Versuchen, rhetorische Theorien zur – im weiten Sinne – kulturwissenschaftlichen Analyse von Artefakten und deren Herstellung (wieder) fruchtbar zu machen, seien hier nur drei erwähnt, denen eines im Kern gemeinsam ist: Die Überwindung der Vorstellung, wonach „Rhetorik nicht mehr ist als eine Stillehre oder eine Anleitung zur Vorbereitung oder Analyse von Reden. In Folge der New Rhetoric wird Rhetorik wieder in einem umfassenden Sinne ver-
24 Vgl. Smolarski 2017. 25 Joost, Gesche: Design. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 216-228. Hier: Sp. 218.
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standen, es werden die Grundlagen geschaffen, die Disziplin mit dem Diskurs anderer Wissenschaften wie Philosophie, Literaturwissenschaft und empirischer Sozialforschung zu verbinden und das Fach von der Fixierung auf die Antike zu befreien.“26
Zum einen wäre in diesem Zusammenhang auf die Nouvelle Rhetorique zu verweisen, die – vor allem verbunden mit den Namen Caim Perelman und Lucie OlbrechtsTyteca – den Anschluss an die rhetorischen Theorien im Zusammenhang mit Fragen der Argumentation sucht und in deren Folge auch Argumentationstheorien wie etwa die von Stephen Toulmin anzusiedeln wären und deren Grundidee, rhetorische Figuren in ihrer argumentativen Funktion zu begreifen unter anderem von Jeanne Fahnestock aufgegriffen wurde.27 Zum anderen die anglo-amerikanische Rhetorikforschung, die unter den Begriffen New Rhetoric und New Criticism zusammengefasst wird, worunter sich durchaus verschiedene Formen der Wiederbelebung der antiken Rhetorik finden: Zu nennen wären in diesem Zusammenhang vor allem die sprachphilosophische und bedeutungstheoretische Arbeit von Ivor A. Richards und Charles K. Odgen, die mit The Meaning of Meaning oder The Philosophy of Rhetoric rhetorische Theorien aus der Verkürzung auf Stilfragen lösen und Fragen der Semantik in den Mittelpunkt stellen.28 Zu nennen wäre hier neben den Ansätzen der Allgemeinen Semantik und Richard M. Weavers29 vor allem die Forschungsarbeit Kenneth Burkes, der in zahlreichen Publikationen versucht, eine Methode rhetorischer Literaturkritik zu entwickeln, die es erlauben soll, auf der Ebene von Leitmotiven letztlich nicht nur Romane, sondern auch die Philosophiegeschichte und Aspekte des Religiösen zu verstehen.30 Eine zentrale Idee Burkes ist, dass die Struktur des Dramas sich auch auf alltägliche, soziale Situationsbeschreibungen gewinnbringend übertragen lässt und dass durch diese dramatistische Sichtweise letztlich auch Literatur zu einem 26 Kramer, Olaf: New Rhetoric. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 259-288. Hier: Sp. 283. 27 Vgl. Perelman, Caim; Olbrechts-Tyteca, Lucie: The New Rhetoric. A Treatise on Argumentation. Notre Dame 1969.; Toulmin, Stephen E.: The Uses of Arguments. Cambridge 2003.; Fahnestock, Jeanne: Rhetorical Figures in Science. Oxford 1999. 28 Vgl. Richards, Ivor A; Odgen, Charles K.: The Meaning of Meaning. A Study of the Influence of Language upon Thought and of the Science of Symbolism. New York 1962.; Richards, Ivor A.: The Philosophy of Rhetoric. Oxford 1965. 29 Zu den Ansätzen der Allgemeinen Semantik und Weavers siehe: Holocher, Hermann: Anfänge der New Rhetoric. Tübingen 1996. 30 Um nur einige zu nennen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit von zentraler Bedeutung sein werden: Burke, Kenneth: A Rhetoric of Motives. Berkeley 1969.; Burke, Kenneth: A Grammar of Motives. Berkeley 1969.; Burke, Kenneth: Language as Symbolic Action. Essays on Life, Literature and Method. Berkeley 1966.; Burke, Kenneth: Permanence and Change. An Anatomy of Purpose. Berkeley 1954.
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„Equipment for Living“31 wird. Es sind insbesondere die Theorien Burkes, an die im Rahmen der vorliegenden Arbeit angeschlossen wird und die hierfür auch noch detailliert entwickelt werden.32 Schließlich sei auch die Allgemeine Rhetorik erwähnt, die in Tübingen institutionalisiert vor allem mit den Namen Walter Jens, Gerd Ueding und Joachim Knape verbunden ist. Dieser sogenannten Tübinger Schule entstammt auch das umfassende, von Ueding herausgegebene Werk Historisches Wörterbuch der Rhetorik, das auch für die vorliegende Arbeit ein zentrales Arbeitsmittel darstellt. Knape formuliert den Wissenschaftsanspruch der Allgemeinen Rhetorik wie folgt: „Die Rhetorik ist keine Naturwissenschaft, die sich mit Gesetzmäßigkeiten der materiellen Beschaffenheit unserer Welt befasst. Sie ist eine Verhaltens- oder Handlungswissenschaft, genauer: eine mit einzelmenschlicher Kommunikation befasste Handlungswissenschaft.“33 Wie sich schon durch diesen Kurzabriss der verschiedenen Wiederbelebungen der Rhetorik im 20. Jahrhundert andeutet, zeichnet sich kein eindeutiges Bild der Rhetorik ab und es müsste demnach im Grunde konsequent entweder von den Rhetoriken gesprochen werden oder klar die Position benannt werden, auf die im Einzelnen rekurriert werden soll. Dieser Pluralität der Rhetoriken korrespondiert notwendiger Weise eine Pluralität von rhetorischen Konzeptionen möglicher Designrhetoriken. Mehr noch: Selbst die Frage nach der Möglichkeit einer Designrhetorik wird immer wieder unterschiedlich beantwortet. Wenn Arne Scheuermann programmatisch festhält, dass die Beziehung zwischen Rhetorik und Design im Grunde klar sei, so weiß er selbst, dass die Uneinheitlichkeit dieser Beziehungssetzungen nicht zuletzt aus der wechselvollen Geschichte der Rhetorik, ihrem Verfall und ihrer Wiederbelebungen resultiert. Er schreibt mehr im Stile eines Programms als im Sinne einer Feststellung des Status quo: „Design ist per se rhetorisch verfasst, Kunstwerke der rhetorischen Epoche lassen sich im Gegenzug als Design beschreiben und die klassische Rhetorik lässt sich außerordentlich fruchtbar als frühe Designwissenschaft lesen und anwenden.“34 Einige der wichtigsten Ansätze zu einer rhetorischen Theorie des Designs sollen nachfolgend überblicksartig vorgestellt werden, wobei auch für diese Theoriebildung festzuhalten ist, dass eine umfassende rhetorische Theorie des Designs bislang nicht existiert und sich auch nicht aus der bloßen Summe der verschiedenen Ansätze ergibt. Festzuhalten ist auch, dass bei rhetorischen Theorien des De-
31 Vgl. Burke, Kenneth: Literature as Equipment for Living. In: Ders.: The Philosophy of Literary Form. Berkeley 1973. 293-304. 32 Vgl. Kapitel II. 33 Knape, Joachim: Allgemeine Rhetorik. Stuttgart 2000. S. 9. 34 Scheuermann, Arne: Wie beeinflusst die Rhetorik das Design und wie hat das Design die Rhetorik beeinflusst? In: Positionen zur Designwissenschaft. Hrsg. von Felicidad RomeroTejedor und Wolfgang Jonas. Kassel 2010. S. 190-192. Hier: S. 190.
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signs grosso modo drei Designbereiche prominent sind: Produktdesign, Kommunikationsdesign (und hier insbesondere: Werbedesign) und Film.35 Einen guten Überblick hierüber, wie auch zu verschiedenen Ansätzen einer möglichen Designrhetorik, bietet der Sammelband Design als Rhetorik, der von Arne Scheuermann und Gesche Joost 2008 herausgegeben wurde.36 Dieser stellt nicht nur eine wesentliche Grundlage des hier knapp zu umreißenden Forschungsstandes dar, sondern dient auch der vorliegenden Arbeit als Referenzgrundlage. Zwei der frühesten Ansätze im 20. Jahrhundert sind eng verbunden mit der hfg Ulm: Zum einen die visuell/verbale Rhetorik Gui Bonsiepes, der unter einem stark semiotischen Einfluss anfängt, eine Liste rhetorischer Figuren aus dem Kanon antiker Rhetoriken in den Bereich des Visuell-Verbalen zu übertragen.37 Ausgehend von Quintilians Unterscheidung von Gedanken- und Wortfiguren, die er semiotisch als syntaktische und semantische Figuren zu fassen versucht und in direkter Anknüpfung an die als klassisch geltenden fünf Produktionsstadien des rhetorischen Prozesses, konzentriert sich Bonsiepe auf das Stadium der elocutio. Für dieses allerdings scheint er sich nicht als Produktionsstadium zu interessieren, sondern als Einladung zur Analyse von Werbebotschaften. Der Katalog rhetorischer Figuren, den Bonsiepe entwickelt, ist als Analysewerkzeug für visuell-verbale Werbebotschaften zu verstehen. Durch die Konzentration auf rhetorische Figuren bleibt Bonsiepe allerdings auf Fragen des ornatus fixiert und entwickelt weder eine Prozessanalogie von Design und Rhetorik noch eine rhetorisch fundierte Theorie, die auch Fragen der intellectio, inventio oder dispositio thematisieren würde. Im Sinne einer Figurenrhetorik aber folgen Bonsiepe auch weiterführende Ansätze, wie etwa die von Sharon Helmer Poggenpohl, Charles Kostelnick, Hanno Ehses oder Christian Doelker.38 35 In Bezug zur Filmrhetorik seien hier nur einige in jüngerer Vergangenheit dazu erschienene Texte genannt: Blakesley, David: The Terministic Screen. Rhetorical Perspectives on Film. Carbondale 2003. Joost, Gesche: Bild-Sprache. Die audio-visuelle Rhetorik des Films. Bielefeld 2008.Scheuermann, Arne: Zur Theorie des Filmemachens. München 2009. 36 Scheuermann, Arne; Joost, Gesche: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. In der dort angelegten kommentierten Bibliografie sind zudem auch Titel aufgeführt, auf die im Weiteren nicht eigens eingegangen wird. 37 Bonsiepe, Gui: Visuell-verbale Rhetorik. In: Ders.: Interface. Design neu begreifen. Mannheim 1996. S. 85-103. 38 Vgl. Poggenpohl , Sharon Helmer: Visual Rhetoric. An Introduction. In: Visible Language. 32,3/1998. S. 197-199. Kostelnick, Charles: Rhetorisches Gestalten. Zwischen Strategien wählen, sich dem Publikum anzupassen. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 89-100. Ehses, Hanno: Rhetorik im Kommunikationsdesign. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 107-
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Zum anderen ist auch die Theorie der Produktsprache, wie sie der Alumnus der hfg Ulm Klaus Krippendorff entwickelt, als eine rhetorisch inspirierte Theorie des Designs zu verstehen.39 Krippendorff geht es vor allem darum, durch die Gestaltung dem Rezipienten einen Umgang mit dem Designinterface zu ermöglichen, der vom Stadium des Erkundens über das Erkennen schließlich zu einem vertrauten Umgang führt. Gestaltung, die diesen Weg fördert und hilfreich unterstützt, ist für Krippendorff dann auch „human centered design“40. Ein zentraler Aspekt hierfür ist die neben dem Einsatz rhetorischer Figuren in spezifischen Erkenntnisfunktionen auch die Kenntnis und der bewusste Einsatz von Affordanzen. Da auf diesen Aspekt im Band Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation detailliert eingegangen wird, soll hier lediglich eine summarische Darstellung genügen.41 James J. Gibson führt den Begriff der Affordanz im Zuge seiner Wahrnehmungstheorie ein und versteht darunter die Möglichkeit, an einem gegebenen Objekt unmittelbar dessen Handhabbarkeiten zu erkennen; sei es die ‚Drückbarkeit‘ eines Knopfes, die ‚Schließbarkeit‘ einer Tür oder ‚Werfbarkeit‘ eines Steins.42 Affordanzen sind im Grunde spezifisch visuelle rhetorische Figuren, die, in ihrer Erkenntnisfunktion vergleichbar mit Metaphern oder Analogien, als Erkenntnisinstrument eingesetzt werden können. Als solche spielen Affordanzen nicht nur in der Theorie der Produktsprache bei Krippendorff eine zentrale Rolle, sondern auch in nachfolgenden Designtheorien wie beispielsweise der Donald Normans, der Affordanzen weiter ausdifferenziert und ihnen ‚signifier‘ zur Seite stellt. Zur Erklärung schriebt er dazu: „Affordances determine what actions are possible. Signifiers communicate where the action should take place. We need both.“43 In seiner Replik auf einen Kommentar Krippendorffs zum Ansatz Richard Buchanans betont dieser, der einen explizit rhetorischen Ansatz zur Designtheorie vertritt, dass im Kontrast zu der grammatischen Designtheorie, wie sie seiner Meinung nach auch durch Krippendorff vertreten wird, es dem rhetorischen Ansatz um „eine neue Methode der Designforschung [, die den] Designschaffenden als einflussreichen Agenten des Wandels in unserer Welt“44 geht. Das Prinzip dieses Wandels meint 122. Doelker, Christian: Figuren der visuellen Rhetorik in werblichen Gesamttexten. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 71-112. 39 Vgl. Krippendorff, Klaus: The Semantic Turn. A New Foundation for Design. Boca Raton 2006. 40 Vgl. Ebd. 41 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel IV. 42 Vgl. Gibson, James J.: The Ecological Approach to Visual Perception. New York 1986. 43 Vgl. Norman, Donald A.: The Design of Everyday Things. New York 2013. S. 14. 44 Buchanan, Richard: Buchanans Antwort auf Klaus Krippendorffs Kommentar. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 77-79. Hier: S. 77.
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Buchanan „in dem häufig falsch verwendeten Wort ‚Überzeugung‘ gefunden“45 zu haben. Er schreibt hierzu, dass er versucht habe, dieses Wort „von seinem degradierten Gebrauch in Marketing und Werbung, wo es oft die trickreiche Manipulation eines passiven Publikums bezeichnet, zu dem ursprünglichen Konzept von Invention und Disposition zurückzuführen.“46 Über die Theorie Krippendorffs schreibt er, diese sei ‚grammatisch‘ zu nennen, „da sie Sprache, Semantik, Elemente, Syntax und so weiter betont“47; sie sei zwar „ebenfalls an Design als Kommunikation interessiert, doch sie [fokussiere] auf die Kommunikation selbst, auf das, was durch Produkte kommuniziert wird, und nicht auf die Prozesse der Invention und Disposition, die in deren Entstehung involviert sind.“48 In dieser Kritik zeigt sich bereits eine zentrale Unterscheidung, die zu treffen ist, wenn über Designrhetorik gesprochen wird: Zum einen kann eine rhetorische Theorie des Designs als Analyseinstrument von Designprodukten entwickelt werden, die in der Lage sein muss, Persuasions- und Identifikationsprozesse des Publikums mit und durch diese Produkte zu erklären. Zum anderen kann eine rhetorische Theorie als Produktionstheorie verstanden werden, die dem Designer vor allem Heuristiken und Topiken an die Hand gibt, die intendierten Bezüge von Produkt und Publikum erfolgreich zu gestalten. Auch wenn Produkt- und Prozessrhetorik in letzter Konsequenz stets zusammenkommen sollten und die eine auch wesentliche Beiträge zur anderen stiften können muss, so handelt es sich doch zunächst um unterschiedliche Foki. Buchanans eigener Ansatz, wie er ihn in seinem Aufsatz Declaration by Design entfaltet, setzt zunächst da an, Designprozesse als Argumentationsprozesse und Designprodukte als Argumente zu beschreiben.49 Zentral für sein Anliegen ist die Einführung der von ihm als Designargument bezeichneten Verschmelzung von Formgebung und Technologie. Solange, wie Buchanan betont, Design als losgelöst von Technologie und als ein dieser nachträglich Hinzukommendes verstanden wird, kann Design als nicht mehr aufgefasst werden als eine „zwar ästhetisch gesehen interessante, aber nebensächliche Kunstform, die sich leicht zu einem Marketingwerkzeug der Konsumkultur degradieren ließe.“50 Analog zur Degradierung der Rhetorik auf eine bloße Stilkunst, wenn von den rhetorisch verhandelten Inhalten abgesehen wird, muss für Buchanan auch der technologische Aspekt der Designprodukte als Gegenstand des Designs selbst betrachtet werden; und das heißt für ihn insbesondere als Gegenstand der Designargumentation. Zur Einführung 45 Ebd. 46 Ebd. S. 77f. 47 Ebd. S. 78. 48 Ebd. 49 Buchanan, Richard: Declaration by Design. Rhetorik, Argument und Darstellung in der Designpraxis. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 49-73. 50 Ebd. S. 53.
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dessen, was Buchanan als Designargument bezeichnet, bedient er sich der klassischrhetorischen Überzeugungsmittel ethos, pathos und logos und setzt die Argumentation durch Designprodukte mit diesen in Verbindung. Das technologische Argument ist als Teil der rhetorischen logos-Argumentation, die als solche immer auch anders ausfallen kann, eben nicht eine „vorgefertigte Botschaft“, die durch Design lediglich zu dekodieren und passiv zu übermitteln ist; es gilt für Buchanan: Die Lösungen der Technologen „sind immer Vorschläge, die jederzeit geändert oder anderen Ideen gegenübergestellt werden können. In diesem Sinne ist die Technologie Teil einer weiter gefassten Designpraxis, einer Kunst des Denkens und Kommunizierens, die in anderen Menschen die verschiedensten Ansichten über das alltägliche Leben von Individuen und Gruppen evozieren kann.“51 Dieser Ansatz Buchanans spielt auch eine Rolle, wenn es darum geht, die Funktionalität einer Gestaltung als deren logos-Dimension in den Blick zu nehmen.52 Aus dem oben schon mit Bonsiepe erwähnten semiotischen Einschlag bei der Frage nach den rhetorischen Dimensionen des Designs ergibt sich ein eigener Theoriestrang, dessen Hauptgegenstände das Werbeplakat und die Werbeanzeige für Konsumgüter und ebenso auch das politische Wahlplakat darstellen. Dass es sich bei diesen Gegenständen um rhetorisch verfasste Bemühungen handelt, die darauf zielen, Einstellungen, Gefühle oder Handlungen der jeweiligen Zielgruppen zu beeinflussen, kann, so unterschiedlich auch die Auseinandersetzungen sein mögen, als der gemeinsame, unbestrittene Nenner nicht nur der theoretischen Modelle, sondern auch der Praxislehrbücher und Ratgeber gelten. Der Vielzahl der hierzu in diesem Sinne verfassten Bücher kann die nachfolgende Besprechung freilich nicht gerecht werden. Selbige dient folglich nicht der Vollständigkeit, sondern versucht lediglich, eine kleine Auswahl von Stationen dezidierter und expliziter rhetorischer Theoriebildung zu berücksichtigen. An dieser Stelle sei zuerst auf die Arbeit Roland Barthes verwiesen, der in Rhetorik des Bildes von 1964 eine Werbeanzeige des Unternehmens für Pasta ‚Panzani‘ analysiert und hierin exemplarisch drei Botschaften herausstellt.53 Was Barthes ‚Botschaften‘ nennt, sind im Grunde nicht einzelne Aussagen, sondern Aussageebenen, es sind strukturelle Ebenen, auf denen eine Vielzahl konkreter Botschaften angesiedelt sein können. Die Strukturanalyse Barthes‘, das gilt es hier zunächst festzuhalten, stellt freilich weder eine Rhetorik des Bildes noch eine Rhetorik der Werbeanzeige in einem umfassenderen Sinne dar. Vielmehr bleibt Barthes auf der basalen Ebene des Verhältnisses von sprachlichen und bildlichen Codes und nimmt weder im Sinne einer Prozessrhetorik Fragen der inventio oder dispositio in den Blick noch versucht 51 Ebd. 52 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel VII. 53 Barthes, Roland: Rhetorik des Bildes. In: Ders.: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Frankfurt am Main 1990. S. 28-46.
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er aus seiner Unterscheidung der Botschaftsebenen zu einer theoretisch fundierten Strategieanalyse zu kommen, die den Einzelfall (die Panzani-Werbung) überstiege. Gerade letzteres lässt sich aber auf der Basis von Barthes‘ Unterscheidungen realisieren.54 Einem etwas anders gelagerten, obgleich ebenso semiotisch inspirierten Zugang zum gleichen Gegenstandsbereich, der Analyse von Werbeanzeigen, wendet sich Umberto Eco zu.55 Eco untersucht die Register und Ebenen der Reklamecodes vor allem im Bereich des Visuellen und unterscheidet hierbei eine ikonische von einer ikonographischen und einer tropologischen Ebene. Insbesondere mit letzterer knüpft Eco explizit an eine rhetorische Tradition an und verweist in seiner knappen Besprechung auf Bonsiepes Figurenkatalog. Damit schließt sich Eco, wie er auch explizit betont, nicht dem Ansatz Perelmans an, der Tropen und Figuren vor allem in ihrer argumentativen Funktion und nicht bloß in ihrer ornatus-Funktion untersucht. Er schreibt: „Perelman trennt in seinem Traktat die Tropen nicht von den Argumenten, weil er sie ausschließlich als Instrumente der Beweisführung (mit rein persuasiven Zwecken) versteht. Uns erscheint es dagegen angebracht, sie, wie es die klassischen Rhetoriker taten, zu unterscheiden, eben wegen der ästhetischen Funktion, die die Tropen bekleiden wollen.“56
Genau diese ästhetische Funktion ist es laut Eco, die den rhetorischen und letztlich auch persuasiven Gehalt eines (Reklame-)Bildes ausmacht. Er hält fest: „Der ästhetische Wert des rhetorischen Bildes macht die Mitteilung persuasiv, wenn auch nur dadurch, dass er sie erinnerbar macht.“57 Eben hierin weiß sich Eco auch in Übereinstimmung mit der Auffassung klassischer Autoren, wie etwa Quintilian, der die Bedeutung rhetorischer Figuren insbesondere darin zum Ausdruck bringt, dass er die Abwechslung lobt, die durch diese erreicht wird.58 Und unter anderem, weil die Abwechslung erfreut (variatio delectat) und damit einen positiven emotionalen Wert erhält, kann sie auch besser memoriert werden. Als Klassiker im Bereich der Werbekommunikation kann die rhetorisch inspirierte Arbeit Werner Kroeber-Riels gelten. In Werbung – Steuerung des Konsumentenverhaltens legt Kroeber-Riel zusammen mit Gundolf Meyer-Hentschel 1982 den Versuch einer systematischen und wissenschaftlichen Analyse von Werbewirkungen
54 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel V. 55 Vgl. Eco: Einige Proben: Die Reklame-Botschaft. In: Ders.: Einführung in die Semiotik. München 2002. S. 267-292. 56 Ebd. S. 270. 57 Ebd. 58 Vgl. Quint. Inst. Orat. IX,1,11.
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vor.59 Die Unterscheidung in Aktivierungstechniken, emotionale Techniken und informative Techniken der Konsumentensteuerung nimmt – wenigstens implizit – die klassisch-rhetorische Unterscheidung der Überzeugungsmittel nach pathos, ethos und logos auf.60 Während die Arbeit der Autoren sich hier in erster Linie auf Anzeigenwerbung bezieht und dabei vor allem die sprachlichen Botschaften analysiert, wendet sich Kroeber-Riel in dem später erschienenen Buch Bildkommunikation dem strategischen Einsatz von Bildern zu Werbezwecken zu.61 Bereits durch die Wahl des Begriffs ‚imagery‘ versucht Kroeber-Riel die Wirksamkeit von Bildern als eigenes Untersuchungsfeld herauszustellen, denn er versteht unter imagery „die Entstehung, Verarbeitung, Speicherung und Verhaltenswirkung innerer Bilder“62 und konstatiert diesbezüglich: „Diese Vorgänge finden in einem eigenständigen Gedächtnissystem statt.“63 Zuletzt sei noch ein jüngerer Beitrag zur Werberhetorik genannt, den Isabelle Lehn mit ihrer Dissertation am Seminar für Allgemeine Rhetorik in Tübingen 2011 vorlegte.64 Lehn unternimmt in Rhetorik der Werbung den Versuch, die wesentlichen Konzepte der klassischen Rhetorik auf den Bereich der Printwerbung zu übertragen. Indem sie gleichermaßen die Konzepte des rhetorischen Prozesses der Werkgenese wie auch die der Werkanalyse übernimmt, scheint Lehn beiden Richtungen Rechnung tragen zu wollen. An der Arbeit Lehns aber ist deutlich ein Risiko zu erkennen, dem wohl alle theoretischen Fundierungsversuche des Designs unterliegen: Sie bedient sich des Begriffsapparates der klassischen Rhetorik und ordnet den vorrangig für die Rede entwickelten Konzepten diejenigen Bereiche des Werbedesigns zu, die darin aufzugehen scheinen, lässt aber andere Bereiche, die eine Veränderung des rhetorischen Gerüstes nötig machen würden, schlichtweg unangetastet. Für die gewaltigen Dimensionen, über die Lehn spricht, – allein zum ethos ließe sich eine eigene Arbeit schreiben – fallen ihre Diskussionen einfach zu kurz aus und werden nicht oder kaum von Beispielen getragen. 59 Vgl. Kroeber-Riel, Werner; Meyer-Hentschel, Gundolf: Werbung – Steuerung des Konsumentenverhaltens. Würzburg 1982. 60 Die Autoren verstehen unter den emotionalen Techniken vor allem Techniken im Bereich des sozialen Kontakts und sozialer Akzeptanz. Es geht dabei häufig um das Werben mit Testimonials und Stereotypen und damit um deren Status und Prestige. Damit rückt die Kategorie der emotionalen Techniken bei den Autoren in die Nähe des ethos. (vgl. ebd. S. 99ff.) 61 Vgl. Kroeber-Riel, Werner: Bildkommunikation – Imagerystrategien für die Werbung. München 1993. 62 Ebd. S. 25. 63 Ebd. 64 Vgl. Lehn, Isabelle: Rhetorik der Werbung. Grundzüge einer rhetorischen Werbetheorie. Konstanz 2011.
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Auf zwei Fragerichtungen, die für die Designrhetorik von Interesse sind und viele der bisher vorgestellten Beiträge auch flankieren, soll hier abschließend noch kurz verwiesen werden: Zum einen auf die vor allem bildwissenschaftlich fundierten Fragen nach einer Rhetorik des Bildes und zum anderen auf die Versuche, den Designprozess mit rhetorischen Konzepten zu systematisieren. Die Fragen nach der rhetorischen Verfasstheit von Bildern, ihrem Einsatz in rhetorischen Prozessen und der daraus resultierenden Möglichkeit einer Bildrhetorik werden sehr unterschiedlich diskutiert und beantwortet. Einen guten Überblick über die Diversität dieser Diskussionen vermittelt der Sammelband Bildrhetorik, der von Knape 2007 herausgegeben wurde. Knapes eigene Position zu diesem Thema fasst er in „15 bildtheoretischen Kernpunkten“65 zusammen, die den Gegenstandsbereich einer rhetorisch interessierten Bildtheorie gegen andere Fragerichtungen abgrenzen sollen. Kurz zusammengefasst geht es Knape zwar ausdrücklich um Bilder als „ein kommunikatives Faktum“66, aber zugleich explizit nicht um den Gebrauch von Bildern, nicht um Farbenfragen oder andere Fragen der Gestaltung, nicht um Fragen des Zeichenvorrats visueller Ausdrücke, nicht um Formen der Abstraktion, nicht um Fragen des Erlernens des Umgangs mit Bildzeichen, nicht um die Produktion derselben, nicht um eine Theorie des Sehens, nicht um eine Methodologie der Bildinterpretation und schließlich auch nicht um Fragen der Ähnlichkeitsbeziehungen der visuellen Zeichen zum Dargestellten.67 Übrigzubleiben scheint hier wohl lediglich das, was Knapes Rhetorikverständnis zufolge den rhetorischen Fall kennzeichnen soll: „In den Vorgängen der Bildproduktion und der Bildinteraktion ist rhetorisches Handeln nur dann vonnöten, wenn Widerstände irgendwelcher Art zu überwinden sind. Im anderen Fall wäre rhetorischer Aufwand überflüssig. Eine bildrhetorische Analyse hätte unter dieser Voraussetzung auch zu untersuchen, auf welche Widerstände welche bildkommunikativen Mittel (im Sinne von Strategien der Widerstandsbearbeitung und der Minimierung von Verstehenskontingenz) justiert sind.“68
Knapes Widerstandsparadigma wird im Laufe der Arbeit noch ausführlich besprochen werden. Hier bleibt zunächst die Frage offen, auf welcher Grundlage Knape zu einer solchen Analyse kommen will, da er zuvor noch die Ebene der Bildinterpretation ebenso ausschloss wie den Bildgebrauch oder die kommunikativen Mittel (wozu durchaus auch Farbgebungen gehören können).
65 Knape, Joachim: Bildrhetorik. Einführung in die Beiträge des Bandes. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Ders. Baden-Baden 2007. S. 9-34. Hier: S. 11. 66 Ebd. S. 12. 67 Vgl. Ebd. S. 12-14. 68 Ebd. S. 16.
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Einen interessanten Ansatz zu einer Bildrhetorik, der auch im Laufe dieser Arbeit eine Rolle spielen wird, hat Lambert Wiesing im selben Band vorgelegt.69 Wiesings Ansatz geht von dem Faktum aus, dass jedes Bild, indem es etwas zeigt, immer auch zeigen muss, wie es dieses etwas zeigt. Jedes Bild, das ein Was der Darstellung beinhaltet, muss folglich auch ein Wie der Darstellung zur Anschauung bringen. Genau dieser Übergang von einem konkreten Was zu einem eher generellen Wie, zu dem, was Wiesing eine bildliche Sichtweise nennt, beschreibt für ihn die genuin bildlichrhetorische Dimension, die, obgleich es eine analoge Struktur in der Sprache gibt, sich doch nicht in einer bloßen Sprachanalogie auflösen lässt. In einem Kernsatz zusammengefasst schreibt Wiesing: „Wer mit einem Bild eine menschliche Sichtweise auf die Welt zeigen will, verlangt vom Betrachter immer den nicht legitimen Sprung vom Konkreten ins Allgemeine, von der Art zur Weise – und das geht nur rhetorisch.“70 Wiesing betont im gleichen Aufsatz auch eine für die Frage nach der Möglichkeit einer Bildrhetorik wichtige Unterscheidung. Dass Bilder nämlich in einem rhetorischen Zusammenhang wichtige Mittel darstellen können, kann als unbestritten gelten: Das ‚Blitzerfoto‘ ist in diesem Sinne ein Beweismittel, das Bild einer leicht bekleideten Frau in sexualisierter Pose vielleicht ein Werbeargument oder zumindest ein ‚Eyecatcher‘ und das Schockfoto ein Mittel zur Affekterregung. „So verbreitet die rhetorische Funktionalisierung des Bildes in der modernen Medienwelt auch ist, betrifft sie doch kein spezifisch bildliches Phänomen – und zwar aus einem einfachen Grund: Letztlich wirken in dieser Art der Verwendung nicht die Eigenschaften des Bildes, sondern die Eigenschaften der im Bild gezeigten Sache. Das Bild fungiert als ein leicht verfügbarer Ersatz für schwer verfügbare Ansichten und Einblicke. Das Bild ist in dieser Art der rhetorischen Begleitung ein bloßer Stellvertreter für die echte Ansicht, denn die Ansicht des realen Sachverhaltes könnte das Gleiche bewirken.“71
Wiesing leugnet durchaus nicht, dass die rhetorische Verwendung von Bildern (etwa zur Affektlenkung) große Möglichkeiten für den rhetorischen Erfolg einer Bemühung ausmachen kann, ihm geht es aber eher um die Frage nach einer Bildrhetorik, die spezifisch bildliche Phänomene in den Blick nimmt. Es ist zwar fraglich, ob es tatsächlich keinen Unterschied macht, ob das Abbild einer Sache oder die Sache selbst gezeigt wird (das Bild eines Terroranschlags mag uns entsetzen, aber ein realer
69 Vgl. Wiesing, Lambert: Zur Rhetorik des Bildes. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 37-48. 70 Ebd. S. 43. 71 Ebd. S. 37f.
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Terroranschlag wird wohl noch andere Wirkungen hervorrufen), die Grundidee Wiesings aber lässt sich ausbauen zu einer gezielt einsetzbaren bildrhetorischen Strategie, eine Form bildrhetorischer Induktion.72 Eine zentrale Frage der diversen Ansätze zur Bildrhetorik ist stets die Frage nach der Möglichkeit visueller Argumentation. Aufgrund der Vielzahl der Autoren und der Nuancen ihrer Auseinandersetzung, seien hier nur einige Autoren genannt, die die Möglichkeit visueller Argumentation thematisieren. In diesem Sinne seien etwa folgende Arbeiten genannt: Martin Scholz Dissertation Technologische Bilder. Aspekte visueller Argumentation, Bernd Weidenmanns Wissenserwerb mit Bildern. Instruktionale Bilder in Printmedien, Film/Video und Computerprogrammen, oder Andreas Schelskes, der in Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern die Möglichkeit visueller Argumentation zurückweist, indem er auf die fehlende propositionale Struktur verweist.73 Eine zentrale Motivation für die Auseinandersetzung mit Fragen der visuellen Argumentation liegt vor allem darin, dass mit der Frage nach der Möglichkeit visueller Argumentation auch Fragen nach dem Einsatz visueller Mittel zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn oder deren wissenschaftlicher Kommunikation verbunden sind wobei unter Argumentation nahezu durchweg eine begründende, rationale Form der Überzeugung verstanden wird. So spitzen Klaus Sachs-Hombach und Maic Masuch ihren Aufsatz Können Bilder uns überzeugen? auf die Frage nach der Möglichkeit visueller Argumentation zu.74 In ihrer Diskussion der argumentativen Möglichkeiten von Bildern kommen die Autoren dann zum Schluss, „dass sich Bilder im Sinne von visuellen Argumenten zum einen zur Veranschaulichung von Begründungszusammenhängen eignen. Diese Funktion findet bereits seit langem in wissenschaftlichen Visualisierungen neben der eigentlichen visuellen Exploration statt. Sie leisten in dieser Funktion einen rhetorischen Beitrag, indem sie die Plausibilität der Begründungszusammenhänge steigern helfen. Bilder können zum anderen als visuelle Argumente auch einen eigenständigen Beitrag zur Begründung liefern, wenn sie komplexe Sachverhalte derart in schematischer Weise darstellen, dass sachliche Zusammenhänge, die in sprachlicher Form nur mit-
72 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel V. 73 Vgl. Scholz, Martin: Technologische Bilder. Aspekte visueller Argumentation. Weimar 2000. Weidenmann, Bernd: Wissenserwerb mit Bildern. Instruktionale Bilder in Printmedien, Film/Video und Computerprogrammen. Schelske, Andreas: Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern. In: Bildhandeln. Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen. Hrsg. von Klaus Sachs-Hombach. Magdeburg 2001. S. 149-158. 74 Vgl. Sachs-Hombach, Klaus; Masuch, Maic: Können Bilder uns überzeugen? In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 49-70.
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Ebenso die Möglichkeit visueller Argumentation bejahend, wenngleich aus anderen Gründen, argumentiert auch J. Anthony Blair in The Rhetoric of Visual Arguments.76 Blair setzt sich in diesem Aufsatz vor allem mit den beiden Standardargumenten auseinander, die gegen die Möglichkeit visueller Argumentation ins Feld geführt werden: „There are two central reasons offered against the very possibility of arguments being visual. One is that the visual is inescapably ambiguous or vague. The other is related to the fact that arguments must have propositional content, and the apparent fact that visual communications do not.“77 Vereinfachend zusammengefasst zeigt er, dass Vagheit kein spezifisch bildliches Problem darstellt, sondern durchaus auch in sprachlichen argumentativen Zusammenhängen eine Rolle spielen kann. Das zweite Gegenargument betreffend, zeigt Blair, dass es zum einen durchaus Beispiele visuell ausgedrückter Präpositionen gibt und zum anderen, dass die fehlende propositionale Struktur, also das Fehlen von Wahrheitswerten, nicht schon eine Absage an eine argumentative Verwendung sein muss. Zu letzterem Punkt schreibt er: „A second reply to the ‚no-propositions‘ objection is to point out that arguments are used for primary purposes other than to cause belief change. We also use arguments with the intention of changing the attitudes, or the intentions, or the behavior of our audience. The structure of the arguing process is the same. The arguer appeals to attitude-, intention- or behavior-commitments of the audience, and tries to show that they commit the audience to the new attitude, intention, or behavior at issue. But attitudes, intentions and conduct do not have truth value.“78
Es ist leicht zu ersehen, dass die Bilder, die Sachs-Hombach/Masuch vor Augen gestanden haben müssen, sich deutlich von den Bildern unterscheiden, an die Blair zu denken scheint. Nichtsdestotrotz bieten beide Ansätze Möglichkeiten, über die argumentative Funktion visueller Gestaltung und deren Grenzen auch im Rahmen einer expliziten Designrhetorik nachzudenken. Abschließend sei noch auf einen wesentlichen Aspekt vieler Designrhetoriken hingewiesen, der zugleich zu den Stärken eines rhetorischen Zugangs überhaupt gehört: Ein rhetorischer Zugang erlaubt es, nicht nur ein fundiertes Analysewerkzeug
75 Ebd. S. 67. 76 Vgl. Blair, Anthony J.: The Rhetoric of Visual Arguments. In: Defining Visual Rhetorics. Hrsg. von Charles A. Hill und Marguerite Helmers. Mahwah 2009. S. 41-61. 77 Ebd. S. 46. 78 Ebd. S.48.
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zu entwickeln, um Interventionen und Bemühungen des jeweiligen Untersuchungsgegenstandes in seinen Wirkungsdimensionen zu erfassen, sondern versteht sich eben auch als ein produktionstheoretischer Zugang. Der Begriff der Wirkungsintention, wie ihn Arne Scheuermann beispielsweise entfaltet, fasst diese beiden Richtungen von Produktion und Rezeption in einem Konzept zusammen.79 Scheuermann schreibt zu diesem Begriff: „Der Begriff der ‚Wirkungsintention‘ ist prekär. Die Konzepte ‚Intention‘ und ‚Wirkung‘ stehen ästhetikgeschichtlich betrachtet für zwei unterschiedliche Bereiche: ‚Wirkung‘ verweist auf die Rezeptionsperspektive der Wirkungsästhetiken von der Poetik Aristoteles‘ bis zu Wolfgang Isers Rezeptionsästhetik der 1970er Jahre. ‚Intention‘ hingegen steht für die Bedeutungsintention, die dem autonomen Subjekt in der Genieästhetik um 1800 zugeschrieben wird und danach heftig umstritten ist. Ihre Verbindung zum Begriff ‚Wirkungsintention‘ allerdings meint etwas Drittes, das außerhalb beider Diskurse steht: Die Wirkungsintention ist dem rhetor und der Rhetorik vorbehalten.“80
Da auf dieses Konzept noch detailliert einzugehen sein wird, soll die Einführung hier kurzgehalten werden. Festzuhalten bleibt aber, dass das Konzept der Wirkungsintention der rhetor-Funktion zuzuschlagen ist, der in Form einer produktiven Annahme und aufgrund seiner Erfahrung und etwaiger rhetorischer Heuristiken versucht, sein potentielles Zielpublikum so einzuschätzen, dass es ihm möglich wird, die rezeptionsästhetische Wirkung mit seinen produktionsästhetischen Intentionen in Relation zu setzen und es andersherum auch dem Publikum aufgrund analoger Annahmen möglich ist, vom Produkt ausgehend angemessene Rückschlüsse zur rhetor-Instanz ziehen zu können.81 Dieses Prinzip ist freilich nicht spezifisch für eine etwaige Designrhetorik, sondern stellt ein gutes kategoriales Werkzeug zum Verständnis letztlich aller rhetorischen Prozesse dar. Es gilt also, nicht nur, aber insbesondere im Bereich der Designrhetorik, zwischen Prozess- und Produktrhetorik zu unterscheiden. Systematisierungen dieser Art finden sich im Bereich des Designs, wenngleich zumeist ohne expliziten Rhetorikbezug, in den diversen Handbüchern zur Gestaltungspraxis.82 Rhetorisch fundierte Auseinandersetzungen mit den Gestaltungsprozessen finden sich beispielsweise im Rückgriff auf die Kunsttheorie der Renaissance und 79 Vgl. Scheuermann 2009. 80 Ebd. S. 25. 81 Vgl. Ebd. S. 26. 82 Arbeiten in dieser Richtung, die im Laufe dieser Arbeit eine Rolle spielen werden, sind etwa: Berger, Craig M.: Wayfinding. Designing and Implementing Graphic Navigational Systems. Mies 2009.; Mollerup, Per: Wayshowing>Wayfinding. Basic and Interactive. Amsterdam 2013.; Gibson, David: The Wayfinding Handbook. Information Design for Public Places. New York 2009.
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frühen Neuzeit (und das vor allem auf Leon Battista Alberti), wie sie etwa Ulrich Heinen oder Nadja J. Koch entwickeln.83 Hier soll allerdings zunächst unter den vielen Systematisierungen der Prozesse lediglich eine kurz eingeführt werden, die insbesondere im Rahmen der Untersuchung des Bandes Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation besonders interessant ist: der Ansatz von David S. Kaufer und Brian S. Butler.84 Kaufer und Butler legten 1996 mit Rhetoric and the Arts of Design einen in mehrfacher Hinsicht interessanten Zugang zur Prozessfrage vor. Ausgangspunkt ihrer Überlegung ist die Strukturverwandtschaft der Ausgangsprobleme, vor denen sowohl der Designer als auch der rhetor stehen, und es geht ihnen in der Folge darum, die Problemanalogie aufzuzeigen. Die im Text nicht weiter hinterfragte Grundannahme, dass ein Zugang zur Rhetorik wie zum Design über die dort verhandelten Probleme gewährleistet werden kann und dass letztlich beide Disziplinen es mit strategischem Problemlösen zu tun haben, wird auch in der vorliegenden Arbeit geteilt. Claudia Mareis, die den problemfokussierten Ansatz in ihrem Einführungsbuch Theorien des Designs neben anderen Ansätzen diskutiert, hält dazu fest: „Der gemeinsame Nenner zahlreicher professioneller Aufgabenstellungen in den Feldern Design, Architektur, Stadtplanung, Ingenieurwesen, Informatik sowie in der KI-Forschung wurde in der Lösung komplexer Probleme gesehen. Begriffe wie problem solving, decision making oder plan making, die für militärische, unternehmerische oder städtische Planungsprozesse zu der Zeit relevant waren, wurden auch in der Designmethodologie zu Schlüsselworten.“85
Ein prominenter problembasierter Ansatz, der durchaus einige Verwandtschaft mit dem von Kaufer/Butler hat, ist der des deutschen Planungstheoretikers Horst W.J. Rittel, der wie auch schon Bonsiepe und Krippendorff, eng mit der hfg Ulm in Zusammenhang steht. Für Rittel – und gleichermaßen für Kaufer/Butler – ist Gestaltung
83 Vgl. Koch, Nadja J.: Die Werkstatt des Humanisten. Zur produktionstheoretischen Betrachtung der Künste in Antike und früher Neuzeit. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 161-179. Heinen, Ulrich: Zur bildrhetorischen Wirkungsästhetik im Barock. Ein Systematisierungsversuch nach neurobiologischen Modellen. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 113-158. Heinen, Ulrich: Bildrhetorik der frühen Neuzeit – Gestaltungstheorie der Antike. Paradigmen zur Vermittlung von Theorie und Praxis im Design. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 143-189. 84 Vgl. Kaufer, Davis S.; Butler, Brian S.: Rhetoric and the Arts of Design. Mahwah 1996. 85 Mareis, Claudia: Theorien des Designs. Zur Einführung. Hamburg 2014. S. 175f.
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„planerische Handlung“86 und ihr Hauptbetätigungsfeld ist gekennzeichnet durch das, was Rittel als „bösartige Probleme“87 (wicked problems) bezeichnet. Mit der Struktur dieser Probleme, wie sie nicht nur Rittel, sondern auch Kaufer/Butler entwickeln, habe ich mich bereits an anderer Stelle ausführlich befasst.88 Im Grunde kann sie aber – vereinfachend – auch in Anlehnung an Herbert Simons Diktum gesehen werden, wonach Design und dann auch das grundlegende Designproblem darin besteht, bestehende Situationen in bevorzugte zu verwandeln.89 Insofern dieser ‚Verwandlungsprozess‘ auf strategisch zu nutzenden Anerkennungsprozessen von Seiten eines Publikums beruht, impliziert die Verwandlung einer bestehenden in eine bevorzugte Situation bereits ein rhetorisches Kalkül. Kaufer/Butler veranschaulichen die Problemanalogie von Design- und Rhetorikprozessen in dieser Richtung, wobei sie – das sei hier vorerst nur angemerkt – die Analogisierung genau in einer umgekehrten Bezugnahme betreiben wie sie in der vorliegenden Arbeit betrieben werden soll: Kaufer/Butler wollen zeigen, dass das rhetorische Problem als Ausgangspunkt des rhetorischen Prozesses im Grunde analog zum Designproblem begriffen werden kann. Diese Bezugnahme erfolgt im Band Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation von der anderen Seite her, wobei die These vertreten wird, dass das Designproblem analog zum rhetorischen Problem zu verstehen ist, was heißt, dass die Probleme, vor denen ein Designer stehen kann, strukturell die gleichen sind wie die Probleme, vor denen ein rhetor steht. Es mag womöglich nicht sofort einleuchten, worin der Unterschied besteht, ob die Analogie nun von der Seite der Designtheorie(n) oder von Seite der Rhetorik(en) zu zeigen gesucht wird, aber es macht eben schon deshalb einen, weil, so vielstimmig rhetorische Theorien auch sein mögen, es in diesen ein, verglichen mit Designtheorien, festes Fundament, klare Terminologien und lang erprobte Konzepte gibt, an die fruchtbar angeschlossen werden kann. Im Sinne der Metapherntheorie Richards könnte man eben zwischen ‚tenor‘ und ‚vehicle‘ unterscheiden und sagen: Design als Rhetorik zu beschreiben, meint Rhetorik als ‚vehicle‘, als tragendes Konzept, als Grundterm, als Methode zu verstehen, um bestimmte Aspekte des Designs als ‚tenor‘, als getragener Gegenstand, zu beleuchten.90
86 Rittel, Horst W.J.: The Reasoning of Designers. Arbeitspapier zum International Congress on Planning and Design Theory in Boston 1987. Schriftenreihe des Instituts für Grundlagen der Planung. Stuttgart 1988. S. 1-9. Hier: S. 1. 87 Vgl. Rittel, Horst W.J.; Webber, Melvin M.: Dilemmas in a General Theory of Planning, in: Policy Sciences. Amsterdam 4/1973. S. 155-169. 88 Vgl. Smolarski 2017. Kapitel III. 89 Vgl. Simon, Herbert A.: The Sciences of the Artificial. Cambridge 1996. S. 111. 90 Zur Metaphertheorie Richards vgl.: Richards 1965. S. 89-138.
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5. R HETORIK DES D ESIGNS – G ESTALTUNG ZWISCHEN S UBVERSION UND AFFIRMATION Der Band Rhetorik des Designs – Gestaltung zwischen Subversion und Affirmation versucht die rhetorischen Theorien in Form einer Designrhetorik als Methode zur Analyse sowohl des Designprozesses als auch zur Beschreibung der Designprodukte zu konzipieren. Der hier entwickelten Designrhetorik geht es darum, den persuasiven Gehalt von Designprodukten und die rhetorischen Strategien der Findung, Ordnung und Formung derselben innerhalb des Gestaltungsprozesses zu beschreiben, nicht zuletzt deshalb, um diesen methodisch anleiten zu können. In dieser Weise ist die vorliegende Arbeit der Versuch zur Entwicklung einer konsistenten Designtheorie. Es ist für diese Entwicklung notwendig, zuvor den verwendeten Rhetorikbegriff klar darzulegen, denn was genau unter Rhetorik verstanden werden kann und wozu diese als Methode sich eignet unterscheidet sich je nach Epoche, Schule und zuweilen Autor stark. Die diversen Rhetorikverständnisse sind mithin nicht einmal darin übereinstimmend, dass es überhaupt eine Designrhetorik geben kann. Wenn als Gegenstandsbereich der Rhetorik allein verbalsprachliche Äußerungen in Form politischer, juristischer oder feierlicher Reden verstanden werden, dann kann allenfalls noch metaphorisch von der Rhetorik des Designs gesprochen werden. Kapitel II wird sich demnach zuerst dem dieser Arbeit zugrundeliegenden Rhetorikverständnis widmen. Rhetorische Bemühungen werden dort als Bemühungen des rhetors um eine Identifikation mit dem Publikum und der dadurch realisierbaren Identifikation des Publikums mit dem Gegenstand, dem orator und der rhetorischen Situation verstanden. Dieses, stark an Kenneth Burke anknüpfende Rhetorikvertsändnis, wird detailliert eingeführt und in Abgrenzung zu anderen Positionen in seiner Bedeutung für die Möglichkeit einer Designrhetorik herausgehoben. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch auf der Unterscheidung von rhetor und orator liegen, die insbesondere in der rhetorischen Analyse des Designprozesses tragend sein wird. Dieser Analyse wenden sich die folgenden zwei Kapitel zu. Die Aufgabe der Kapitel III und IV ist es, die Analogisierung von Designprozess und rhetorischem Prozess zu leisten. Das dritte Kapitel fokussiert dabei auf eine Problemanalogie und zeigt, dass die Probleme vor denen Gestalter stehen strukturell analog sind zu Problemen vor denen rhetoren stehen. Es handelt sich, um einen kurzen Einblick zu geben, beispielsweise in beiden Fällen um Probleme, die durch eine konstitutive Unterbestimmtheit ebenso gekennzeichnet sind wie dadurch, dass es keine wahren oder falschen Lösungen zu geben scheint, sondern allenfalls passende, angemessene oder eben unpassende, unangemessene. Was diese Grundlage gestalterischen Handelns für Konsequenzen hat und welche Möglichkeiten des Umgangs mit diesen rhetorischen Herausforderungen bestehen, evaluiert das dritte Kapitel.
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Kapitel IV nimmt schließlich die entwickelten Gedanken der vorherigen Kapitel auf und fokussiert die strukturanalogischen Überlegungen auf Fragen der Prozessanalogie. Die klassische Rhetorik, die sich immer auch als Anleitung für den rhetorischen Prozess verstand, stellt hierfür die wichtigste Grundlage bereit. Es geht im Kern darum, die rhetorischen Produktionsphasen (intellectio, inventio, dispositio und elocutio) auf den Gestaltungsprozess zu übertragen. Kurz gefasst führt die intellectio, als eine Vorstufe der eigentlichen Produktion, zu einer Problematisierung dessen, was gestalterisch überhaupt umgesetzt werden soll. Sie ist damit nicht nur die Phase der Recherche, sondern auch der Diskussion und Zuspitzung auf die zentrale Kategorie aller rhetorischen Prozesse: auf das Zielpublikum. Die inventio systematisiert dann die gezielte Ideenfindung und bietet mit heuristischen und topischen Verfahren dem Gestalter eine breite Methodenpalette zur Findung der Ideen, die dann innerhalb der dispositio geordnet und innerhalb der elocutio geformt werden müssen. Es wird sich bei der Übertragung der klassisch-rhetorischen Termini und Techniken allerdings an einigen Stellen zeigen, dass diese sebst einer eingehenden Kritik unterzogen werden müssen, denn schließlich soll die hier entwickelte Designrhetorik nicht einfach ein Überstülpen eines methodisch hinreichend geschlossenen Überbaus (klassische Rhetorik) auf einen neuen Gegenstand (Design) darstellen, sondern eher eine Transformation der Rhetorik selbst in eine Designrhetorik. In dieser Hinsicht wird etwa die für die elocutio wichtige Metapher des ‚sprachlichen Gewands‘ eines Gedankens, ebenso einer eingehenden Kritik unterzogen wie der für Gestaltungsprozesse zentralen Kategorie der Kreativität. Die weiteren Kapitel der Arbeit befassen sich dann mit der produktrhetorischen Auseinandersetzung mit Wirkungsintentionen , Gestaltungsbereichen und Designgegenständen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit Fragen der Orientierung stehen. In dieser Weise wird in Kapitel V eine Rhetorik der Subversion entwickelt, die die Abweichung von der Norm bis hin zur Untergrabung der Norm rhetorisch untersucht. Es werden Strategien der Subversion aufgezeigt, die deutlich machen, welche rhetorischen Gelingensbedingungen einer solchen Intention zugrundeliegen. Am Beispiel der sogenannten Kommunikationsguerilla und insbesondere des Adbustings, der gezielten 'Umwertung' von Werbung, werden diese Strategien besprochen, illustriert und mit dem Stadtraum in Verbindung gesetzt. Eine Rhetorik der Subversion ermöglicht es zudem, die häufig gezogene Verbindung zwischen Kommunikationsguerilla und Guerillamarketing zu problematisieren und dient zugleich als Grundlage der im darauf folgenden Kapitel diskutierten Rhetorik der Affirmation. Letztere wird in Kapitel VI eingeführt und dient dort vor allem der designrhetorischen Analyse der ‚Orientierung am Anderen‘. Die vorliegende Designrhetorik befindet sich in einem gewissen Sinne stets zwischen einer Rhetorik der Subversion, die es schafft zu überraschen, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, zu bewegen oder zu erfreuen, und einer Rhetorik der Affirmation, die produktiv anknüpft an Bestehen-
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des, an Bewährtes und insofern eben auch an das, was als angemessen und überzeugend empfunden wird. Weder Subversion noch Affirmation aber sind bislang als termini technici im rhetorischen Theoriegebäude diskutiert und aufgenommen worden, so dass mit der Diskussion dieser Grundbegriffe auch eine Erweiterung der allgemeinen Rhetorik vorgenommen werden soll. Gleiches gilt schließlich auch für den Grundbegriff, der im letzten Kapitel diskutiert werden soll: der Neutralität. Eine Diskussion der Möglichkeit einer Rhetorik der Neutralität ist vor allem daher spannend, als rhetorische Bemühungen, aufgrund der diesen inhärierenden Parteinahme, gewöhnlich als jenseits aller Neutralität gesehen werden. Wenn aber, wie in der vorliegenden Arbeit, Neutralität nicht essentialistisch verstanden wird, also nicht so, als gäbe es eine Haltung die neutral ist, sondern als Wirkungsintenion, also so, dass eine Haltung in bestimmten Situationen neutral wirken soll, dann stellen sich durchaus Fragen der rhetorischen Gelingensbedingungen einer solchermaßen intendierten Wirkung, dann lohnt es nach einer Rhetorik der Neutralität zu fragen. In eben dieser Weise wird die Rhetorik der Neutralität auch in Kapitel VII entfaltet und am Informationsdesign erprobt, dessen Funktionalitätsanspruch bisweilen durchaus im Sinne von Neutralität verstanden werden kann. Neutralität als Wirkungsintention ist dann nicht schlichtweg jenseits der Rhetorik anzusiedeln, sondern fällt mit dem Begriff der Funktionalität in eine produktive Wechselwirkung.
II. Methoden der Rhetorik und Rhetorik als Methode
1. E INFÜHRUNG
IN DAS
K APITEL
In diesem Kapitel wird es darum gehen, sowohl die Methoden der Rhetorik einzuführen, welche im Weiteren zur Analyse genutzt werden sollen, als auch klar herauszustellen, was es überhaupt heißt, etwas rhetorisch zu analysieren, kurz, was es heißt, die Rhetorik als Methode zu nutzen. Hierfür wird es notwendig sein, das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis von Rhetorik einzuführen. Diese Einführung soll entlang der zentralen Begriffe und Schemata vorgenommen werden, die für eine rhetorische Analyse gebraucht werden. Zugleich soll dieses Kapitel damit die Aufgabe übernehmen, die Anschlüsse der hier entwickelten Designrhetorik an die Theoriegebäude sowohl der klassischen als auch der neuen Rhetorik aufzuzeigen. Um zu vermeiden, den Begriff der Rhetorik in einem nur rein assoziativen und bisweilen sogar phrasenhaften Verständnis auf Designprozesse und -produkte anzuwenden, gilt es, zentrale rhetorische Denkmuster herauszuarbeiten und schließlich an diesen eine Designrhetorik zu entwickeln. In dieser Weise soll gewährleistet sein, dass die hier entwickelte Designrhetorik in direktem Anschluss an die rhetorischen Theorien steht, was eben damit auch ermöglicht, die durch den expliziten Wechsel des Mediums – vom gesprochenen Wort zum gestalteten Produkt – bedingten Erweiterungen derselben als anschlussfähige Erweiterung der rhetorischen Theorie herauszustellen. Unter dieser Zielstellung sind grundsätzlich mindestens zwei Wege denkbar: Zum einen ließe sich im Rahmen einer theoriegeschichtlichen Erarbeitung der Anschlüsse an das Theoriegebäude der Rhetorik ein Weg skizzieren, der die rhetoriktheoretischen Erweiterungen dessen, was als zentrales Medium der Rhetorik angesehen wird, einholt. Zum anderen kann durch einen systematischen Zugang versucht werden, diejenigen rhetorischen Denkschemata aus der Theoriegeschichte herauszuarbeiten, die für eine Designrhetorik nutzbar gemacht werden können, ohne dabei die Theoriegenese en detail in den Blick zu nehmen. Die vorliegende Arbeit versteht sich in dieser Zweiteilung mehr dem zweiten Weg verpflichtet und wird nur dann theoriegeschichtliche
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Fragestellungen aufwerfen, wenn die Anschlussfähigkeit einzelner rhetoriktheoretischer Aspekte in Frage steht.
2. Z WEI ARTEN
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Es kann in diesem Kurzabriss weder darum gehen, die Frage vollständig zu beantworten, was unter Rhetorik in historischer oder systematischer Sicht verstanden werden kann, noch darum, ein Rhetorikverständnis zu entwickeln, das den Anspruch erheben könnte, alle Facetten der Rhetorik gleichermaßen abdecken zu können. Ziel dieses Abschnittes ist es vielmehr, die Frage, was unter Rhetorik verstanden werden kann, selbst zu problematisieren und später anhand zentraler Begriffe auch für den Rahmen dieser Arbeit zu beantworten. Neben den vielen Facetten bereits seit der Antike bestehender pejorativer Verständnisse1 der Rhetorik, welche von einer Kunst, viel zu reden und wenig zu sagen,2 bis zu einer moralisch fragwürdigen Lehre im Dienste von Scheinwahrheiten3 reicht, lassen sich zwei (positiv besetzte) Grundtypen von Rhetorikverständnissen unterscheiden: Auf der einen Seite wird mit dem Begriff der Rhetorik vor allem der elocutionär-figurale Aspekt4 der Rede betont, auf der anderen Seite wird Rhetorik vor allem als inventive Technik der Persuasion bestimmt. Als elocutionäre-figurale Technik gehört die Rhetorik in den Bereich der sprachlichen eloquentia und bemisst sich vor allem nach ästhetischen Kategorien wie der
1
Nicht zuletzt die Debatten gegen Rhetorik werden ja bis in die Scholastik hinein stets innerhalb eines Denkgebäudes geführt, in welchem die Rhetorik als ars liberalis selbst eigentlich nicht in Frage gestellt wird.
2
Vgl. Novius (1.Jh.v.Chr.) „Age nunc, quando rhetoricasti satis, responde quod rogo.“ (Wenn du genug gefaselt hast, antworte endlich auf meine Frage.) zit. nach: Kalivoda, Gregor; Zinsmeier, Thomas: Rhetorik. A. Begriff und aktuelle Bedeutung der Rhetorik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 1423-1429. Hier: Sp. 1425.
3
Vgl. Platon: Gorgias. In: Sämtliche Werke. Hrsg. von Walter F. Otto und Ernesto Grassi. Bd. 1. Hamburg 1957. S. 447-527.
4
Die Konzeption dessen, was innerhalb der Rhetorikgeschichte unter elocutio verstanden wurde, hat sich immer wieder gewandelt. Die hier im Weiteren vorzustellende, zu kritisierende und schließlich abzulehnende Vorstellung der elocutio beschränkt diese allein auf die Figurenlehre. Daher wird sie als elocutionär-figural bezeichnet. Es fehlen in der auf diesen Aspekt beschränkten Rhetorikauffassung nahezu alle Bezüge zum iudicium und aptum und damit die Voraussetzungen, um einen Beitrag im Dienste der Persuasion leisten zu können.
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urbanitas, Fülle, Reichtum, ästhetischer Variation und Originalität. Rhetorik erscheint in dieser Hinsicht als eine ars bene dicendi, eine Kunst, gut und schön zu reden, und die rhetorischen Figuren werden als gelungene Abweichungen vom regulären Sprachgebrauch verstanden und als Abweichungen im Dienste einer varatio delectat stehend begrüßt. Roland Barthes umreißt den historischen Wechsel der Bedeutung der elocutio prägnant: „Die elocutio hat sich seit der Entstehung der Rhetorik stark gewandelt. In der Einteilung von Korax fehlt sie und tauchte erst auf, als Gorgias (aus der Poesie stammende) ästhetische Kriterien auf die Prosa anwenden wollte. Aristoteles behandelt sie weniger ausführlich als die übrige Rhetorik; sie entwickelt sich vor allem bei den Lateinern, erfährt ihre geistige Entfaltung bei Dionysius von Harlikarnaß und dem Anonymus des Peri Hypsous und vereinnahmt schließlich die gesamte Rhetorik, die ausschließlich mit den Figuren gleichgesetzt wird.“5
Die von Barthes angesprochene Gleichsetzung von Rhetorik und Figurenlehre stellt, wie Arne Scheuermann festhält, nur einen Aspekt der modernen Rhetorikforschung dar, die eben nicht dabei stehenblieb, Rhetorik und Figurenlehre gleichzusetzen: „Die Beschäftigung mit Rhetorik im 20. Jahrhundert hat oft zwei Schwerpunkte: Auf der einen Seite widmet man sich den rhetorischen Figuren und Topoi – also der Findungslehre elocutio und inventio –, auf der anderen Seite dem Aspekt der persuasio. […] Beide Schwerpunkte – Figurenlehre und persuasio – sind allerdings nur Teilaspekte der Rhetorik, […] die wiederum eigentlich nur aufeinander bezogen funktionieren.“6
5
Barthes, Roland: Die alte Rhetorik. In: Ders.: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main 1988. S. 15-95. Hier: S. 86. Wie Joachim Knape in Anlehnung an Gerhard Streckenbach ausführt, ist der Weg, den Barthes zeichnet nicht ganz so eindeutig, wie dieser es erscheinen lässt. Denn dass nach Peri Hypsous (1. Jh.n.Chr.) schlichtweg die gesamte Rhetorik von der elocutio eingenommen würde, ist laut Knape rhetorikgeschichtlich eher falsch: „Bei ihnen [den jüngeren lateinischen Rhetoren] wird die Behandlung der elocutio umso spärlicher, je weiter man vom Altertum fortrückt: Sulpicius Victor (4 Jhd.) bringt nur 19 Zeilen De elocutione; Julius Severianus (5. Jhd.) lässt jede Stilistik bei Seite; C. Julius Victor hat 9 Seiten stilistische Vorschriften auf 115 der ganzen ‚ars rhetorica‘. Insgesamt begnügen sich die Autoren damit, termini technici in langen Reihen aufzustellen und zu definieren und durch einige Beispiele zu erläutern.“ (Knape, Joachim: Elocutio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 10221083. Hier: Sp. 1025f.) Siehe auch: Streckenbach, Gerhard: Stiltheorie und Rhetorik der Römer im Spiegel des humanistischen Schülergesprächs. Göttingen 1979. S. 88f.
6
Scheuermann, Arne: Zur Theorie des Filmemachens. München 2009. S. 18.
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Eine Verkürzung der Rhetorik auf figurale Aspekte birgt folglich Probleme. Denn wenn der Gebrauch bestimmter Sprach- oder Denkfiguren schon per se als rhetorisch angesehen wird und die Rhetorik als Theoriegebäude demnach nicht mehr umfasst als eine Sammlung solcher Figuren, so wird die eigentliche Leistung der klassischen Rhetorik bis zur Schwundstufe des Schönredens reduziert. Dies hier zu erwähnen, ist für die vorliegende Arbeit vor allem deshalb wichtig, um klar zu machen, warum Arbeiten zur Bildrhetorik, wie sie Christian Doelker7 oder Gui Bonsiepe8 geleistet haben, schlichtweg nicht ausreichen. Rhetorik mit Figurengebrauch gleichzusetzen, macht aus der Rhetorik eine l’art pour l’art, einen reinen Selbstzweck. Figuren werden aber erst dann bedeutsam, wenn geklärt werden kann, was diese bewirken können, worin sich ihre Wirkungen unterscheiden und wie diese Wirkungen zweckdienlich eingesetzt werden können. Der Fehler Bonsiepes und Doelkers – auf die später noch einzugehen sein wird – besteht nicht darin, die Figurenlehre in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung gestellt zu haben, sondern in der Abkopplung der Figurenlehre von Fragen der Angemessenheit und der rhetorischen Urteilskraft und folglich der Voraussetzungen persuasiver Aspekte. Figuren demgegenüber in ihrem Bezug zur Kategorie der Angemessenheit und der Wirkungsintention zu betrachten, setzt aber das Vorhandensein eines Zwecks der rhetorischen Bemühungen voraus, der nicht schon im bloßen Figurengebrauch liegen kann.9 Eine wesentliche historische Quelle dieser Verkürzung der Rhetorik ist der frühneuzeitliche, von Rudolph Agricola ausgehende und von Petrus Ramus fortgesetzte und nach letzterem benannte Ramismus. Auch wenn hier nicht der Ort für eine historische Analyse ist, sei dieser Bezug vor allem deshalb deutlich zu machen, weil er ein Verständnis der Ursachen der Rhetorikverkürzung eröffnen kann. Ramus ordnet das Trivium der artes liberalis neu und versucht „im Sinne frühneuzeitlicher Fächerdifferenzierung“10 dabei möglichst trennscharfe Grenzen zwischen Grammatik, Dialektik und Rhetorik je nach deren eigentlichen Spezifika zu ziehen. „Nach dieser Einteilung der Disziplinen fallen inventio und iudicium (dispositio) nunmehr in die Kompetenz der Dialektik, d.h. es existiert keine inventio rhetorica mehr, wodurch für die Rhetorik die elocutio, eingeschränkt auf die Lehre des ornatus, sowie Restbestände
7
Vgl. Doelker, Christian: Figuren der visuellen Rhetorik in werblichen Gesamttexten. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 71-112.
8
Vgl. Bonsiepe, Gui: Visuell-verbale Rhetorik. In: Ders.: Interface. Design neu begreifen. Mannheim 1996. S. 85-103.
9
Diese Verkürzung von Rhetorik hat auch Einzug in den Schulunterricht gefunden, wo im Deutschunterricht die Figuren eingeführt und behandelt werden, oftmals ohne einen Zusammenhang zu Fragen der Wirkungsintention herzustellen.
10 Knape, Joachim: Allgemeine Rhetorik. Stuttgart 2000. S. 245.
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der pronuntiatio verbleiben.“11 Um es kurz zu machen: Dieser Wegfall wesentlicher Aspekte der Rhetorik führt insbesondere dazu, dass auch die Beschäftigung mit der 11 Hinz, Manfred: Ramismus. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 567-595. Sp. 567. Eine solche, ramistisch zu nennende, Verkürzung der Rhetorik begegnet uns auch in Bezug auf die Frage nach der Möglichkeit einer Designrhetorik. Exemplarisch sei hierzu auf den Text Rhetorik-Design-Macht von Heiner Mühlmann eingegangen. „Der Begriff ‚DesignRhetorik‘ ist so abstrus wie der Begriff ‚Koch-Rhetorik‘. Zugegeben: Köche wollen bewirken, dass ihre Speisen von den Gästen bevorzugt werden. Aber sind ihre ‚Canards à l’orange‘, ihre ‚Tournedos Rossini‘ und ihre ‚Choucroutes‘ deshalb rhetorisch?“ (Mühlmann, Heiner: Rhetorik – Design – Macht. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 101-106. S. 101.) Mühlmanns implizite Antwort auf seine rhetorische Frage ist offenkundig: Nein. Und natürlich sind diese Gerichte nicht rhetorisch. Sie sind es ebenso wenig wie beispielsweise Julius Caesar oder Gregor Gysi rhetorisch sind. Das eine sind Speisen, das andere sind Personen des öffentlichen Lebens zu unterschiedlichen Zeiten. Wenn es aber darum geht, andere davon zu überzeugen, dass die Speise lecker ist, einem bestimmten gesellschaftlichen Stand entspricht oder sich etwa für einen bestimmten Personenkreis als Prestigeobjekt anbietet, oder wenn es darum geht, andere davon zu überzeugen, dass Caesar ein bedeutender Herrscher war und Gysi ein wichtiger Oppositioneller, dann wird der Raum der Rhetorik durchaus betreten. Also, wenn der Koch sich neben der Frage der korrekten Zubereitung einer Speise auch der Frage zuwendet, ob es wohl besser sei, das gekochte Ergebnis angemessen auf dem Teller zu drapieren oder schlichtweg mit einer Kelle draufzuschleudern, und ob wohl unterschiedliche Grade der Zustimmung des Publikums durch diese Alternativen erreicht werden können, dann macht der Koch sich de facto Gedanken zu Fragen rhetorischer Inszenierung. Zudem macht sich Mühlmann doch letztlich gerade durch die Nennung genau dieser Speisen eines performativen Widerspruchs schuldig. Er führt Speisen an, die wohl nicht wenigen Menschen hierzulande schon Schwierigkeiten bereiten würden, sie überhaupt korrekt auszusprechen und die wohl nur ein erlesener Kreis überhaupt kennt. Warum spricht er nicht vom Apfelstrudel, Nudeln mit Tomatensoße oder einer Bockwurst? Die Antwort ist klar: Mühlmann nutzt letztlich Speisen zu einem rhetorischen Zweck: der Inszenierung der eigenen urbanitas und damit einer ethos-Inszenierung. Somit liefert Mühlmann selbst ein schönes Beispiel einer Facette einer möglichen Koch- und Speiserhetorik. Zu einer solchen Analyse allerdings kann Mühlmann aufgrund seines Rhetorikverständnisses nicht gelangen. Dieses lässt sich wie folgt skizzieren: 1. Ist „die Fähigkeit, Präferenzverhalten zu bewirken, eine rhetorische Fähigkeit? Die Antwort lautet: Nein!“ (ebd.) Die Rhetorik hat es folglich für Mühlmann eben nicht mit Fragen der Persuasion zu tun. Woher allerdings dann die Erzeugung von Präferenzverhalten kommen kann, verrät Mühlmann in diesem Text nicht. Auch verrät Mühlmann nicht, was denn eigentlich dann die
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Aufgabe der Rhetorik sei, oder wozu man eine rhetorische Fähigkeit benötigen könnte. 2. „Rhetorik ist eine Diskurstechnik. Und im Unterschied zur Malerei, zu Architektur, Theater, Design und Musik ein Echtzeitmedium.“ (ebd.) Nach Mühlmann arbeiten alle anderen Medien mit einer geteilten Zeitstruktur, die es ermöglicht, eine Planungsphase von einer Aufführungsphase zu unterscheiden. Lediglich die Rhetorik ziele darauf „näherungsweise eine Diskurskompetenz zu erzeugen“ (ebd). Die Überzeugung, dass rhetorische Kompetenzen auch bei Stehgreifreden und in der alltäglichen Kommunikation helfen, ist wohl unstrittig. Daraus aber zu folgern, dass es der Rhetorik (und eben nur dieser) stets darum ginge, die Stehgreifredekompetenz zu erhöhen, ist schlichtweg falsch. Gerade die rhetorischen Produktionsstadien zeigen deutlich, dass eine Planungsphase (intellectio, inventio, dispositio, elocutio und auch die memoria) von einer Aufführungsphase (actio/pronuntiatio) offensichtlich unterscheidbar ist. Demgegenüber können so simple Erfahrungen wie das Zeichnen im Aktsaal deutlich machen, dass die Malerei nicht immer über eine geteilte Zeitstruktur verfügt: der Lehrer kann dem Schüler sogar während der gesamten Arbeit über die Schulter schauen. 3. Für Mühlmann ist jede Rede von einer Architektur-Rhetorik, Musik-Rhetorik oder Design-Rhetorik irreführend. „Dabei reicht die Musik-Rhetorik [und gleichermaßen jede andere Form der Rhetorik] nur so weit, wie rhetorische Figuren Musik und Sprache gleichermaßen strukturieren.“ (ebd.) Rhetorische Figuren sind für Mühlmann ausschließlich sprachliche Figuren. Nichtsprachliche Figuren sind nur dann rhetorische Figuren, wenn sie ein eindeutiges Pendant im Bereich der Sprache haben. Demnach ist das Verstummen eine rhetorische Figur der Musik, die Fuge aber nicht (vgl. ebd.). Bilder scheinen folgerichtig demnach überhaupt keine rhetorische Struktur zu haben. Lediglich das Kommunikationsdesign bildet da eine Ausnahme: „Der Vollständigkeit [sic!] halber muss erwähnt werden, dass es einige genau definierbare Bereiche gibt, in denen sich Bilder und Rhetorik miteinander vermischen. Im sogenannten Kommunikationsdesign beispielsweise gibt es rhetorische Figuren, die zu einem Teil aus einem kurzen Text, zum anderen Teil aus einem Bild bestehen. Beispiel: Das Bild eines Tigers mit dem Text ‚Pack den Tiger in den Tank‘. Der Tiger fungiert hier als Metapher für Benzin. Diese Bild-Textmetapher ist allerdings redundant.“ (ebd. S. 102.) Die Ausnahme des Kommunikationsdesigns, das deutet das wohl bewusst gewählte Beispiel bereits an, kommt einzig durch den Text zustande und wird durch das Bild lediglich redundant begleitet. In Mühlmanns gesamter Betonung der sprachlichen Figur, die nicht auf das Präferenzverhalten Einfluss zu nehmen vermag, lässt sich schon sehr deutlich ersehen, warum diese Position mit einigem Recht als ramistisch bezeichnet werden kann. Deutlicher wird das im Folgenden, wenn auch das Kriterium der Angemessenheit als Spezifikum der Rhetorik zurückgewiesen wird. 4. Schließlich führt Mühlmann den Begriff des rankings, der ranking-Erkennung, der ranking inference ein. Diese sind gleichbedeutend mit dem decorum (vgl. ebd. S. 103.) Seine These ist allerdings: „Mir ist ansonsten nur eine Eigenschaft bekannt, die man sowohl in
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Figurenlehre eine Verkürzung erfährt. Alle Fragen nach „der eigentlichen Bedeutung gehören für ihn [Ramus] in die Grammatik, alles andere zur rhetorischen Figurentheorie.“12 Hinter einer solchen Abspaltung semantischer Bezüge steht letztlich eine Trennung von Inhalt und Form, so als ob ein Gedanke unabhängig von seiner sprachlichen Form gefunden werden könnte und gegenüber einer Änderung der Form resistent bliebe. Schließlich stoßen alle Auffassungen der Rhetorik, die in ihr nicht mehr sehen, als ein eloquentes Spiel mit Worten in genau dasselbe Horn. Ein Verständnis aber, das Rhetorik auf bloße Schönrednerei verpflichtet und dem nicht ein epistemologisches Verständnis zugrunde gelegt ist, das besagt, dass eine Änderung der Form
der Rhetorik als auch im Design antrifft. Es handelt sich um die ranking-Erkennung. Dabei ist ranking-Erkennung keineswegs eine spezifische rhetorische Eigenschaft.“ (ebd. S. 102.) Der Einfachheit halber werde ich mich mit dieser These unter dem Begriff decorum bzw. aptum auseinandersetzen. Dies ist möglich, da Mühlmann selbst von der Gleichbedeutung dieser Konzepte spricht. Kurz: Mühlmann behauptet, dass Fragen der Angemessenheit kein Spezifikum der Rhetorik sind. Das heißt also, dass die Kategorie der Angemessenheit, von der Bernd Asmuth in seinem gleichnamigen Artikel sagt, es sei eine Art Superprinzip der Rhetorik (vgl. Asmuth, Bernhard: Angemessenheit. In: Historische Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 579-604. Sp. 579.), eben nur eine Eigenschaft ist, die man „in der Rhetorik […] antrifft“ (Mühlmann 2008. S. 102.). Sicher hat Mühlmann recht, wenn er mit dieser Aussage meinen sollte, dass Fragen der Angemessenheit nicht allein in der Rhetorik verhandelt werden. Letztlich kann jede kulturwissenschaftliche Arbeit immer auch als eine Arbeit zu Fragen der Angemessenheit in bestimmten Kulturen und zu bestimmten Zeiten verstanden werden und ebenso können beispielsweise literarische Werke auch die Grenzen gesellschaftlicher Akzeptanz vermessen oder sogar verschieben. Wenn es aber bei rhetorischen Bemühungen (wie sie in dieser Arbeit verstanden werden sollen) stets im Kern darum geht, einem Publikum Identifikationsmöglichkeiten anzubieten, die dazu führen können, selbiges von etwas zu überzeugen oder affektiv auf selbiges Einfluss zu nehmen, dann gehört letztlich jeder brauchbare Winkel der gesamten Kategorie der Angemessenheit zum notwendigen Repertoire des rhetorisch Handelnden. Die gesamte Lehre der Rhetorik erklärt das Identifikationsstreben und die Suche nach möglichen Identifikationsangeboten zum Kerngeschäft (Topik, Statuslehre, Affektenlehre, uvm.). Vor diesem Hintergrund könnte die Rhetorik durchaus als die Lehre verstanden werden, die zum Zwecke des praktischen (und effektiven) Einsatzes von Identifikationsangeboten die gesamte Kategorie der Angemessenheit zu ihrem Fundament erklärt. Würde Rhetorik so verstanden, wäre klar, dass (selbst wenn auch andere Wissenschaften und Lehren sich mit der Angemessenheit befassen) die Aussage Mühlmanns, wonach die Angemessenheit kein Spezifikum der Rhetorik sei, wenigstens irreführend, wenn nicht sogar falsch ist. 12 Knape 2000a. S. 253.
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stets auch Einfluss auf den Inhalt hat, wird für die vorliegende Arbeit abgelehnt. Daraus ergibt sich sogleich eine weitreichende These dieser Arbeit: Wenn die durchgehende Rhetorizität sowohl des Designprozesses als auch der Designprodukte herausgestellt werden kann, so wird klar, dass Design eben auch nicht als bloßes ‚Verhübschen‘, nicht pejorativ als bloß äußerliche Ästhetisierung von ansonsten funktional eindeutig bestimmten Produkten angesehen werden kann. Design als Rhetorik zu beschreiben, meint dann eben ganz zentral, das Verhältnis von Form und Funktion als sich wechselseitig bedingend herauszustellen.13 Die hier ausgeführten Kritikpunkte an einer rein elocutionär-figural verstandenen Rhetorik machen überdies deutlich, dass, wenn als einziges übergeordnetes Ziel rhetorischer Bemühungen die Schönheit der Rede angenommen wird, weite Teile dessen, was sich als rhetorische Praxis untersuchen ließe, schlichtweg nicht analysierbar wären. Wenn Kenneth Burke in einem gelungenen Beispiel sagt, dass Rhetorik bereits da anfange, wo ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat seine Rede vor einem Publikum von Farmern mit dem Satz eröffnet „I was a farm boy myself“14, so dient weder dieser Satz noch die kommende Rede der Beförderung der Zuschreibung des Attributes ‚schön‘, sondern letztendlich dem Wahlkampf und dem Ziel, Stimmen zu gewinnen. Wird Schönheit zum Kernbegriff der Rhetorik erklärt, so können, da eine rein elocutionär-figurale Rhetorik allein auf das Redeziel delectare fokussiert, allenfalls noch Elemente der Unterhaltungsbranche rhetorisch begriffen werden. Daher wird in der vorliegenden Arbeit das rein elocutionär-figurale Rhetorikverständnis abgelehnt und ein rhetorikgeschichtlich früheres präferiert: Das klassische griechisch-römische Verständnis der Rhetorik, wie es insbesondere durch Aristoteles und später durch Cicero und Quintilian vertreten wird. Dieses Verständnis der Rhetorik wird schließlich im Verlauf dieser Arbeit durch produktive Entwicklungen und Modifikationen im Zuge der New Rhetoric (vor allem durch Kenneth Burke) erweitert. Das gesamte weitere Kapitel ist der Entwicklung dieses Verständnisses der Rhetorik gewidmet, das bereits oben als ‚inventive Technik der Persuasion‘ dem rein elocutionären Verständnis entgegengesetzt wurde. Korax und Teisias, die angenommenen Begründer der Rhetorik, bestimmen die Rhetorik als die Erzeugerin und Schöpferin der Überredung15 und brachten damit den
13 Genau in diesem Sinne sei hier auf einige wesentliche Arbeiten verwiesen. Diese Arbeiten werden im Fortgang der nächsten Kapitel noch eingehender behandelt. Siehe dazu: Scheuermann 2009. S. 11-39. Und Buchanan, Richard: Declaration by Design. Rhetorik, Argument und Darstellung in der Designpraxis. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 49-73. 14 Burke, Kenneth: A Rhetoric of Motives. Berkeley 1969. S. XIV. 15 Vgl. Robling, Franz-Hubert: Ars. In. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 1009-1030. Sp. 1011.
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bis heute zentralen Kernbegriff der Rhetorik in die Diskussion: der Begriff der Persuasion. Abseits der sophistischen Überschätzung der Wirkmacht der Rhetorik und der platonischen Überschätzung ihrer moralischen Verwerflichkeit, legt die aristotelische Bestimmung des Rhetorikbegriffes den Grundstein der hier verfolgten rhetorischen Theorie. Aristoteles bestimmt die Rhetorik wie folgt: „Es sei also die Rhetorik eine Fähigkeit, bei jeder Sache das möglicherweise Überzeugende zu betrachten.“16 In dieser Bestimmung sind drei wesentliche Merkmale der Rhetorik benannt, die es im Weiteren auszuführen gilt: 1) das Verhältnis von dynamis und techne und damit die Charakterisierung der Rhetorik als Fähigkeit und Kunst; 2) die Frage nach der Möglichkeit der Überzeugung und damit nach der Persuasion als Grundbegriff; und 3) die Frage nach dem Verhältnis von Betrachten, Erkennen und Finden im Ausdruck Theoria und damit einer Rhetorik als Findungskunst.
3. G RUNDBEGRIFFE 3.1 dynamis und techne – Rhetorik als Fähigkeit und Kunst Es kann mit Aristoteles und gegen Platon17 gezeigt werden, dass es durchaus möglich ist, die Rhetorik in den Stand einer techne zu erheben. Als solche muss Rhetorik eine lehr- und lernbare Kunst sein, die Einsichten in die Wirkweise gelungener kommunikativer Akte entwickelt, fixiert und tradiert. Diese Einsichten sind rhetorikgeschichtlich als Regeln, Gesetze oder Tugenden (virtutes) der Rhetorik formuliert. Wenn Aristoteles in seiner Bestimmung der Rhetorik von einer dynamis spricht, so betont er damit zweierlei: Zum einen fußt die Rhetorik bei Aristoteles auf einer Naturanlage, auf einer gegebenen Potenz, sich wirkmächtig kommunikativer Mittel zu bedienen. Zum anderen ist die Rhetorik eine Fähigkeit, die aufgrund der Erfahrung 16 Arist. Rhet. I.2, 1355 b26. 17 Platons Vorwurf gegen die Rhetorik äußert dieser in seinem Dialog ‚Gorgias‘ und macht selbige an dem Punkt fest, dass die sophistische Redekunst des Gorgias eine „Sache ohne Verstand“ (vgl. Robling 1992. Sp. 1012.) sei. Was dieser durch seine Reden bewirke, gehe mehr auf die Erfahrung zurück, die selbiger gewonnen hat, und sei nicht das Resultat begründender Überlegungen. Kurz: Der Rhetorik fehle das theoretische Fundament, sie könne daher keine Lehre im Sinne einer techne sein, da sie keine Einsicht von dem habe, was sie anwendet. Platons Vorwurf gegenüber der Rhetorik ist also der, dass die Rhetorik lediglich eine auf Talent und Naturanlage beruhende Fähigkeit ist, die weder lern- noch lehrbar ist, da diese die Gründe ihrer Wirksamkeit nicht durchschaue. Dieser Befund Platons hat nicht nur Folgen für die Rezeption der Rhetorik und ihr Verhältnis zu den Wissenschaften (allen voran der Philosophie), sondern kann bis heute für weite Teile dessen, was sich als Rhetoriktraining verkauft auch weiterhin geltend gemacht werden.
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im sozialen Umgang ausgebaut wird und im Sinne einer techne auch auf die systematisierten und generalisierten Erfahrungsstände anderer rhetoren zurückgreifen kann.18 Das griechische Wort ‚techne‘ kann mit Kunst, aber auch mit Technik oder Wissenschaft übersetzt werden. Die Rhetorik als Kunst zu verstehen, heißt vor allem, dass diese lehr- und lernbar ist, also Regeln und Sätze bereithält, die vermittelt und angewandt werden können. Als oberster Lehrsatz kann offensichtlich folgender gelten: Alle Bemühungen des orators sind Bemühungen, ein Publikum zu überzeugen. Andere Lehrsätze sind in den sogenannten Tugenden der Rhetorik (virtutes dicendi) enthalten: Klarheit und Deutlichkeit der Äußerung (pespecuitas), sprachliche Richtigkeit der Ausdrücke (latinitas), Angemessenheit (aptum) und Redeschmuck (ornatus). Knapp paraphrasiert heißt das: Eine Rede sollte demnach klar und deutlich formuliert und in korrektem Deutsch (oder einer anderen Sprache) vorgetragen sein. Dabei muss die Rede dem Gegenstand angemessen sein, darf also diesen nicht unangemessen verkürzen oder verzerren, und sollte überdies mit einem angemessenen Anteil an Redeschmuck geschrieben sein, so dass selbige nicht langweilig wird. Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass diese Regeln sehr allgemein sind. Zum einen ist das so, weil es nach aristotelischem Verständnis keine Wissenschaft vom Einzelnen geben kann. Es gibt keine Wissenschaft, die die Frage behandelt, was in diesem oder jenem konkreten Kontext zu sagen oder zu schreiben ist. Rhetorische Regeln sind eben keine Kochrezepte. Mit einem man nehme dies und mische damit jenes ist man in Anbetracht der Situationsdiversität, in denen rhetorische Handlungen stattfinden, auch selten gut beraten. Aber mit den Regeln der Rhetorik, wie auch mit den Regeln der Gestaltung, ist es etwas verzwickter. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, lohnt es sich, kurz zu vergegenwärtigen, was es heißen kann, dass etwas eine Regel ist. Zu diesem Zweck wird der Stellenwert rhetorischer Regeln gegen andere Regeltypen abgegrenzt. Die Regeln, die die Naturwissenschaft aufzustellen versucht, sind Naturgesetze. Auf der Grundlage dieser Gesetze lässt sich eine Sphäre von möglichen von einer
18 Christof Rapp macht in seinem Kommentar zur Rhetorik des Aristoteles darauf aufmerksam, dass, obgleich dieser in seiner Bestimmung des rhetorischen Feldes nicht den Begriff techne, sondern den Begriff der dynamis verwendet, dieser mit jenem jedoch in Einklang steht. „Die Bestimmung der Rhetorik als Fähigkeit steht nicht im Widerspruch zu ihrem in Kapitel I.1 hervorgehobenen Kunst-[techne]-Charakter. […] Wichtig ist nun, dass der Begriff der Fähigkeit im vorliegenden Zusammenhang keinesfalls benutzt wird, um den Rückfall in [einen] vormethodischen Bereich anzuzeigen, sondern dem […] skizzierten Begriff der methodisch angeleiteten Kompetenz entspricht.“ (Rapp, Christof: Kommentar zu Aristoteles Rhetorik. In: Aristoteles Werkausgabe Bd. 4 zweiter Halbband. Berlin 2002. S. 137)
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Sphäre von unmöglichen Ereignissen unterscheiden. Was den Naturgesetzen entspricht, ist theoretisch möglich, was ihnen widerspricht, ist hingegen unmöglich. Rhetorische Regeln können demnach nicht den Stellenwert von Naturgesetzen haben, denn undeutlich oder sprachlich inkorrekt zu sprechen, ist offensichtlich nicht nur möglich, sondern mitunter auch gängige Praxis. Moralische Regeln unterscheiden, vereinfachend gesagt, nach moralisch gut und moralisch schlecht, juristische Gesetze hingegen nach erlaubt und verboten. Zwar lassen beide Regeltypen, im Gegensatz zu Naturgesetzen, Ereignisse zu, die gegen die Regeln verstoßen, aber auch bei diesen versteht man nur ex negativo, was rhetorische Regeln sind, denn weder ist es unmoralisch noch juristisch verboten, rhetorische Regeln zu verletzen. Rhetorische Regeln unterscheiden nach rhetorisch gelungen und rhetorisch misslungen. An dieser Stelle nicht den durch rhetorische Regeln aufgemachten Raum als einen zu bestimmen, der nach persuasiv oder erfolgreich und nicht persuasiv oder erfolglos unterscheidet, ist dem Umstand geschuldet, dass aufgrund kontingenter Einflussfaktoren sich ein solches Regelsystem nicht tradieren ließe. Was heute in einem bestimmen Setting vor einem bestimmten Publikum von einem bestimmen orator zu einem bestimmten Thema auf eine bestimmte Art und Weise erfolgreich gesagt, gezeigt oder getan wurde, kann morgen schon weniger erfolgreich sein. Kunstgemäß im Sinne der Rhetorik ist eine Darbietung demnach schon dann, wenn sie nach den Regeln der Kunst erfolgreich sein könnte. Obgleich es dabei jedoch in den meisten Fällen angemessen ist, korrekt, klar und deutlich zu formulieren, lässt es die Rhetorik eben auch zu, die bewusste Missachtung dieser Regeln als rhetorisch gelungen gelten zu lassen.19 Der rhetorisch begründbare Regelbruch ist Teil des rhetorischen Regelsystems. Genau das grenzt rhetorische Regeln von den oben genannten am deutlichsten ab und schließlich zeigt sich auch genau hierin die starke Parallele rhetorischer Regeln zum Bereich der Gestaltung. Denn: Folgt man der Deviationstheorie rhetorischer Figuren, so sind alle Stilfiguren im Grunde nichts anderes als Verstöße 19 Ein Beispiel hierfür bei Quintilian. Dabei geht es um die Frage der richtigen und klaren Benennung und der eigentlichen Bedeutung von Wörtern: „In dieser Form des eigentlichen Ausdrucks nun, die für jedes Ding den eigentlichen Namen gebraucht, liegt kein Vorzug der Rede, dagegen ist das, was gegen sie verstößt, ein Fehler.“ (Quint. Inst. Orat. VIII 2, 3.) Der Gebrauch uneigentlicher Ausdrücke ist demnach ein Fehler. Allerdings kann eben dieser Fehler auch zur Figur werden: „Auch der übertragende Gebrauch (die Metapher), in dem ja wohl der wichtigste Schmuck der Rede besteht, macht Worte für Dinge passend, die es eigentlich nicht sind. Deshalb bezieht sich die eigentliche Bedeutung des Ausdrucks nicht auf die Benennung, sondern auf die Kraft zu kennzeichnen, und lässt sich nicht nach dem Klang, sondern nach dem Sinn abwägen.“ (ebd. VIII 2,6.) Ein Fehler kann demnach eine wirkungsvolle Figur sein, wenn sie angemessen (in diesem Falle als eine angemessene Übertragung des Sinns) erscheint.
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gegen die Tugenden der Rhetorik oder zumindest deutliche Abweichungen vom gewöhnlichen Sprachgebrauch.20 Und selbst wenn man ihr nicht folgt, sind es noch die meisten.21 Metaphern und Synekdochen sprechen uneigentlich aus, was doch eigentlich gesagt werden sollte, Ellipsen sind Verstöße gegen die Grammatik und Wiederholungen gegen den Stil. Und ist nicht jede gelungene Gestaltung auch eine Mischung aus breiter Regel- und Konventionsbefolgung bei gleichzeitiger gezielter und damit eben bewusster Regelverletzung? Wie deutlich werden wird, versuchen viele Werbeplakate letztlich genau auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erregen (attentum parare) und zu binden. Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Die rhetorisch gelungene Regelverletzung ist keine zufällige. Wer die Regeln nicht kennt, kann sie auch nicht bewusst verletzen und überlässt damit den möglichen rhetorischen Erfolg dem Zufall; genauer: Wer die Regeln nicht kennt, besitzt zwar möglichweise ein rhetorisch glückliches Talent, beherrscht aber nicht die rhetorische Kunst.22 Olympiodor, der Kommentator des platonischen Dialogs Gorgias, präzisierte die platonische Kritik an der Rhetorik, nach welcher diese eben keine techne sei, indem er selige als eine Methode bestimmt.23 Soll Rhetorik eine techne sein, so muss sie als Methode fungieren können, das heißt, es geht um „ein geregeltes, das Allgemeine eines Vorgangs erfassendes Verfahren.“24 In eben dieser Weise soll in der vorliegenden Arbeit von Rhetorik gesprochen werden. Die hier zu entwerfende Designrhetorik macht es sich zur Aufgabe, Regeln zu entwickeln, die in der Analyse eines gegebenen Designproduktes es erlauben, rhetorisch gelungene von rhetorisch misslungenen zu unterscheiden. Eine Designrhetorik ist in diesem Sinne eine techne, so dass es mit 20 Vgl. Knape, Joachim: Figurenlehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. Gerd Ueding. Bd. 3. Tübingen 1996. Sp. 289-342. 21 „Das Deviationsprinzip bleibt für Figuren grammatisch-semantischer oder pragmatischer Anomalie nach wie vor gültig. Hier sind zunächst die Barbarismen und Soloecismen zu nennen, also Oberflächenstrukturen, die vom grammatischen Orthosystem abweichen und, bewusst angewendet, Figuralstatus erhalten können. Sodann die Figuren semantischer Uneigentlichkeit (Tropen), voran die Metapher; sie erzeugen kotextuelle Kohärenzbrüche, indem sie von den semantischen Solidaritätsregeln einer Sprache abweichen. Schließlich sind noch die Figuren pragmatischer Uneigentlichkeit (z.B. indirekte Sprechakte wie die rhetorische Frage) zu nennen, die sich auf Abweichung von Kommunikationsregeln und Konversationsmaximen gründen.“ (Knape 1996. Sp. 296.) 22 Übertragen auf den Gestaltungsbereich kann aufgrund dieser Unterscheidung deutlich gemacht werden, warum die Ausbildung von Gestaltern an Hochschulen meistenteils das Anfertigen einer Serie als Prüfungsleistung verlangt. Ein Einzelbild mag auch Produkt aus Talent und Zufall sein. Eine Serie, die zudem noch sprachlich begleitend in der Prüfung vorzustellen ist, gibt da bessere Möglichkeiten, die kunstgemäße Gestaltung zu beurteilen. 23 Robling 1992. Sp.1012. 24 Ebd.
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ihrer Hilfe möglich sein soll, Designprodukte und -prozesse rhetorisch zu beschreiben. Sie ist aber auch in dem Sinne eine techne, dass die zu entwickelnden Regeln es ermöglichen sollen, rhetorische Ansatzpunkte für die Praxis des Entwerfens und Gestaltens zu geben. Der Fokus dieser Arbeit liegt hierbei jedoch ganz klar auf der Entwicklung eines rhetorischen Analyseinstrumentes für Produkte des Designs. Hierfür nutzt die Designrhetorik sowohl klassisch-rhetorische Konzepte und Schemata als auch das Erfahrungswissen praktizierender Gestalter, das in Form von Gestaltungshandbüchern, Kreativitätstechniken und Look-Books mehr oder weniger systematisiert zugänglich ist, sowie die gezielte Betrachtung von Designprodukten unter rhetorischen Gesichtspunkten. Scheuermann betont in diesem Sinne, dass aus „der ‚Heskett’schen Sackgasse‘ des Alles-ist-Design […] der Weg zurück nur über die Praxis“25 führt. Er schreibt weiter: „Design ist ein Prozess, in dem sich Theorie und Methode materialisieren. Dabei geht die Praxis ihrer Theorie weder voraus noch folgt sie ihr nach.“26 Eben darum ist es für Scheuermann auch wichtig, die Designrhetorik aus der Praxis des Designs heraus zu entwickeln, denn „Designer lernen ihr Handwerk durch Anschauung und Nachahmung – genauso wie die rhetores seit der Antike das Halten ihrer Reden durch Anschauung und Selbsterfahrung lernen.“27 Insbesondere dient die Betrachtung von Designprodukten unter rhetorischem Blickwinkel vor allem zwei Zwecken: Zum einen sollen die theoretischen Überlegungen an den Gestaltungsprodukten erprobt, zum andern aber auch illustriert werden. Aus dieser Zweckbestimmung resultiert der Stellenwert der konkret zu besprechenden Gestaltungsprodukte innerhalb dieser Arbeit: sie dienen als Beispiele. 3.2 pithanon – Persuasion und Identifikation 3.2.1 Persuasion als Kernbegriff der klassischen Rhetorik Wenden wir uns nun dem zweiten wesentlichen Aspekt der aristotelischen Bestimmung der Rhetorik zu: dem möglicherweise Glaubenerweckenden. Augenfällig sind hierbei zwei Teilaspekte wichtig herauszustellen: Zum einen greift Aristoteles die schon zu seiner Zeit gängige Vorstellung auf, dass es die Rhetorik mit der peitho zu tun habe, also mit den Dingen, die in der Lage sind, glaubhaft zu sein bzw., die die Kraft haben, andere Dinge glaubhaft erscheinen zu lassen. Das Ziel der rhetorischen Bemühung ist stets durch die Bemühung um ein Publikum bestimmt, das es von etwas zu überzeugen gilt.28 Daher greift Aristoteles in dieser Bestimmung mit dem Be25 Scheuermann 2009. S. 16. 26 Ebd. 27 Ebd. S. 9. 28 Vgl. Arist. Rhet. 1358b. Dort heißt es: „Es basiert nämlich die Rede auf dreierlei: dem Redner, dem Gegenstand, über den er redet, sowie jemandem, zu dem er redet, und seine Absicht zielt auf diesen – ich meine den Zuhörer.“
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griff pithanon etwas auf, was die römische Rhetorik und fortan die Rhetoriktheorie als Persuasion bezeichnet. Zum anderen aber wendet sich Aristoteles durch die Hinzufügung der Einschränkung auf das, was eben nur möglicherweise persuasiv ist, entschieden gegen sophistische Vorstellungen von der uneingeschränkten Macht der Seelenführung durch die Rhetorik. Da alles, was überzeugend ist, immer für jemanden in einer bestimmten Situation überzeugend ist, und nicht einfach durch sich selbst und unabhängig von einer richtenden Publikumsinstanz29, wird die überzeugende Wirkung auch von Publikum zu Publikum und von Situation zu Situation variieren können. Letztlich stellt die Rhetorik kein Herrschaftswissen in dem Sinne dar, dass der sich ihr bedienende rhetor eine wohl kalkulierte Wirkung auch stets genau zu erzielen vermag. Durch die Einschränkung auf das, was eben nur möglicherweise überzeugend ist, wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die Reaktionen eines Publikums nicht bis ins Letzte kalkulierbar sind und immer einen gewissen Grad an Kontingenz aufweisen. Im Weiteren gilt es, den Begriff der Persuasion näher zu bestimmen, da dieser, als Kernbegriff der klassischen Rhetorik, auch im Verlauf dieser Arbeit eine zentrale Stellung einnehmen wird. Versucht man, das Verhältnis der klassischen Rhetorik zur Persuasion zu bestimmen, so stellt sich schnell eine eigenwillige Beobachtung ein. Auf der einen Seite ist dieser Begriff und das mit diesem Verbundene Persuasionskonzept ganz klar der Kernbegriff, um den sich alle rhetorisch-praktischen Bemühungen wie auch alle rhetorisch-theoretischen Erörterungen drehen. So steht das Überzeugen, beziehungsweise Überreden, bereits als fester Bestandteil hinter der Korax und Teisias zugeschriebenen Bestimmung der Rhetorik als der „Schöpferin oder Meisterin der Überzeugung“30. Der Auctor ad Herennium betont, dass die Rhetorik auf die Erlangung der Zustimmung der Zuhörer ziele,31 Cicero erklärt mit der Persuasion die Aufgabe des rhetors, „ganz aufs Überzeugen bedacht zu reden“32 und Quintilian greift in gleicher Weise auf den Begriff der Persuasion zurück, um das Ziel aller rhetorischen Bemühungen zu erfassen. Auch auf mythologischer Ebene wird Persuasion, wie Peter L. Oesterreich betont, mit der gezielten Verführung anderer sowohl im griechischen als auch im römischen Verständnis tradiert. So ist Peitho als die personifizierte Überzeugung eine ständige Begleiterin der Aphrodite und die römische
29 Tautologien sind unabhängig von einer richtenden Publikumsinstanz wahr und glaubhaft. Allerdings haben diese als Tautologien auch keinen informativen Wert, so dass selbige im persuasiven Prozess keine Rolle spielen. 30 Zit. nach: Knape, Joachim: Persuasion. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 874-907. Hier: Sp. 893. 31 Vgl. Auct. Ad Her. I,2,2. 32 Knape 2003. Sp. 893. Bei Cicero heißt es: “dicere ad persuadendum accommodate.” (Cic. De Or. I,138.)
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Venus erhält den Beinamen Suada, der die erotisch-ästhetische Dimension der Rhetorik betont, womit auch die mythologische Deutung die rhetorische Persuasion als eine werbende und gewinnende Rede beschreibt.33 „Die Peitho verkörpert die Macht der erotischen Rede, die den Geliebten oder die Geliebte umwirbt und zu gewinnen vermag.“34 Obgleich das Thema Überzeugen/Überreden so zentral für die Rhetorik ist, findet sich doch keine genauere Bestimmung dessen, was unter Persuasion verstanden werden kann. Es scheint, als sei dieser Begriff und das mit ihm verbundene Konzept aus der Sicht der klassischen Rhetorik als hinreichend bekannt und keiner weiteren Erklärung bedürftig vorausgesetzt. Dies mag vielleicht auch wenig verwundern, wenn man bedenkt, dass die klassische Rhetorik es hauptsächlich mit der öffentlichen Rede zu tun hat. Die drei Redegattungen – juristische Rede, beratende Rede und Festrede – umschreiben stets Redesituationen, in denen die erzielte Wirkung beim Publikum sich aufgrund der face-to-face-Situation im Grunde direkt und unmittelbar zeigt. Ob ein Richter von einer Sache und ihrer Darlegungsart überzeugt wurde, zeigt sich sofort während oder direkt nach der Gerichtsverhandlung, indem dieser sich für oder gegen die vorgetragene Sache entscheidet. Ebenso verhält es sich mit Zustimmung und Beifall oder Ablehnung und Missmut im Fall der epideiktischen Redegattung. Im Bereich der deliberativen Rede, also der Redegattung, die sich mit dem Zu- oder Abraten befasst und sich damit im Allgemeinen auf die Zukunft richtet, ist der langfristige Erfolg der Rede jedoch nicht immer einsehbar. Insbesondere ist aus der Übereinstimmung der in der Rede vorgeschlagenen Handlungsweise mit der später tatsächlich erfolgten Handlung noch nicht der Rückschluss zulässig, dass die Rede letztlich der persuasive Anstoß zu einer solchen Handlung war. Allerdings scheint diese Problematik weniger im Interesse der klassischen Rhetoriktheorie zu liegen und wird daher nicht thematisiert. Den Begriff der Persuasion näher zu bestimmen, als dies innerhalb der klassischen Rhetorik der Fall ist, wurde erst eine Aufgabe der modernen Rhetoriktheorie, insbesondere der rhetorischen Theorien nach der ‚Wiederentdeckung der Rhetorik‘ im 20. Jahrhundert. Dies erklärt sich wenigstens zum Teil daher, dass spätestens im 20. Jahrhundert die Frage nach den Möglichkeiten massenmedial vermittelter, auf Persuasion zielender rhetorischer Bemühungen vehement wurde. Sei es im Bereich der Rhetorik der Tagespresse, des Hörfunks, des Fernsehens, des Internets oder anderer Formen von Multimedia. Grundsätzlich lassen sich in der modernen Auseinandersetzung um das Phänomen der Persuasion verschiedene Herangehensweisen und Auffassungen unterschei-
33 Vgl. Oesterreich, Peter L.: Fundamentalrhetorik. Untersuchung zu Person und Rede in der Öffentlichkeit. Hamburg 1990. S. 47-51. 34 Ebd. S. 49.
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den: Zum einen sind diese bedingt durch die Disziplinen und deren disziplinären Methoden, Terminologien und Blickweisen auf persuasive Prozesse. So spielt das Thema der Persuasion klarer Weise eine wichtige Rolle in den Bereichen der Sprachund Medienwirkungsforschung, der Kommunikationswissenschaft, der Psychologie und natürlich weiterhin auch in der weiter ausdifferenzierten Rhetorikforschung. Zum anderen werden auch innerhalb der modernen rhetorischen Theorien – auf die es hier vor allem ankommt – wenigstens zwei unterschiedliche Wege der Bestimmung des Persuasionsbegriffes unterscheidbar. Da es dieser Arbeit nicht darum geht, die Theorien der Persuasion vollständig und umfassend vorzustellen und zu besprechen, sondern allein darum, einen Grundbegriff der weiteren Arbeit einzuführen, und da diese Arbeit dezidiert rhetorischen Theorien verpflichtet ist, werden hier Erkenntnisse aus den oben genannten Bereichen nur dann Eingang in die Überlegungen finden, wenn selbige eine direkte Weiterentwicklung der hier zugrunde gelegten rhetorischen Theorie zu liefern versprechen. Daher konzentriert sich dieser Abschnitt auch auf die rhetorischen Auffassungen des Persuasionsbegriffs. In expliziter Anknüpfung an die klassische Rhetorik und verstanden als Weiterentwicklung des als klassisch geltenden Rhetorikverständnisses der griechisch-römischen Rhetorik, bemüht sich die sogenannte Tübinger Rhetorik um eine nähere Bestimmung des Persuasionsbegriffs. Zum Zweck der Explikation vor allem klassischrhetorischer Termini ist aus dieser Richtung auch das Großprojekt des Historischen Wörterbuchs der Rhetorik entstanden. Zum Begriff der Persuasion findet sich darin im Beitrag Joachim Knapes: „Mit Persuasion wird struktural der Wechsel von einem mentalen Zustand in einen anderen bezeichnet, der beim Menschen als erwünschte Reaktion auf kalkulierte, Widerstand umgehende oder überwindende rhetorische Handlung eintritt.“35 Das zentrale Motiv dieses Persuasionsbegriffs ruht auf dem im agonalen Zusammenhang des Überwindens oder strategischen Umgehens von Widerständen stehenden mentalen Wechsels der Einstellungen oder Überzeugungen, den Knape mit dem Begriff der „Wechselerzeugung“36 zu charakterisieren versucht. Demnach setzt Rhetorik dann ein, „wenn ein Vorsprecher sein Zertum, also eine Überzeugung irgendwelcher Art, willenskräftig im Ego autem dico zum Ausdruck bringt.“37 ‚Ego autem dico‘ bedeutet ‚ich aber sage‘ und verweist abermals auf den agon, den Wettstreit der Meinungen, in welchem nach diesem – durchaus klassischen – Verständnis Rhetorik angesiedelt ist. Vor diesem Hintergrund führt Knape weiter aus:
35 Knape 2003. Sp. 874. 36 Knape, Joachim: Persuasion und Kommunikation. In: Rhetorische Anthropologie. Studien zum Homo rhetoricus. Hrsg. von Josef Kopperschmidt. München 2000. S. 171-181. Hier: S. 172. 37 Knape, Joachim: Was ist Rhetorik? Stuttgart 2012. S. 79.
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„Aus seiner Perspektive [der des orators als Vorsprecher] bekommen die anderen Menschen dabei die Rolle von Nachsprechern zugewiesen. Rhetoriktheoretisch gesehen, ist eine solche asymmetrische kommunikative Lage konstitutiv. Ein kurzfristiges kommunikatives Ziel ist erreicht, wenn Konsens dergestalt eintritt, dass am Ende in der anstehenden Sache alle die Meinung des Orators übernommen haben.“38
Hierin zeigt sich deutlich die restriktive Auffassung von Rhetorik, für die es Knape folgend konstitutiv sei, dass eine herrschaftliche Asymmetrie zwischen orator und Publikum besteht, die letztlich jedoch beide verkürzt: Der orator als Vorsprecher wird zum bloßen Sprachwerkzeug in ausschließlicher output-Funktion, scheinbar ohne über ein Sinnesorgan zu verfügen, um Reaktionen – und durchaus auch Aktionen des Publikums – berücksichtigen zu können. Auf der anderen Seite wird die Publikumsinstanz auf eine bloße Empfängereinheit verkürzt, die nach Knape wohl nur binär zwischen Nachplappern oder Nicht-Nachplappern entscheiden könne. Die Situation, die einer solchen Auffassung offensichtlich Pate steht, kann nur eine sein, die höchst restriktiv organisiert ist und nur einen klar ausgewiesenen und wohlkalkulierenden Redner kennt: Die zugrundeliegende Situation kann man sich wohl als eine oratorfixierte parlamentarische Debatte oder – vielleicht eher noch, da deutlich asymmetrischer – als eine Volksrede oder Predigt vorstellen. Ohne Zweifel stellt die Volksrede eine genuin rhetorische Situation dar, doch mag es zweifelhaft sein, ob selbige zum konstitutiven Fall rhetorischer Bemühungen insgesamt erklärt werden kann und sollte. Insbesondere wenn es, wie in dieser Arbeit, um die rhetorische Dimension in Designprozessen und die ‚Rhetorik des Designproduktes‘ geht, erweist sich, wie noch zu zeigen sein wird, ein solches Rhetorikverständnis mit seiner Fixierung auf die scheinbare Autonomie des orators als zu eng. Die hier betonte Asymmetrie spielt in der Rhetorik durchaus eine wichtige Rolle, muss aber nicht als konstitutiv für den rhetorischen Fall gesehen werden, sondern eher als konstitutiv für ein bestimmtes rhetorisches Setting. Eben hierin zeigt sich schon, dass es eines rhetorisch bestimmten Situationsbegriffes bedarf, der im Laufe dieses Kapitels noch zu entwickeln ist. Aber zurück zum Begriff der Persuasion: „Langfristiges Ziel wäre die Verfestigung dieser Meinung als Einstellung bei den Kommunikationspartnern. Ziel der Rhetorik ist also immer die gesteuerte Adjustierung oder Assimilierung von Kommunikationspartnern, zunächst auf kognitiver Ebene, dann aber auch auf der Ebene des Verhaltens. Wir nennen das rhetorische Handeln Persuasion, d.h. Lenkung des Denkens der anderen nach dem auf Veränderung gerichteten Metabolieprinzip (Standpunktwechsel in Hinsicht auf Meinung, Einstellung oder Verhalten).“39
38 Ebd. 39 Ebd.
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Das Metabolieprinzip, das vorher bereits als Wechselerzeugung charakterisiert wurde, wird als Explikation dessen, was unter Persuasion verstanden werden kann, zum Kerngeschäft der Rhetorik. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, warum vom rhetorischen Fall laut Knape nur gesprochen werden kann, wenn tatsächlich Hindernisse auf Seiten des Rezipienten, seien es kommunikative, kognitive oder einstellungsbezogene, in der rhetorischen actio überwunden wurden. Denn von einem Wechsel kann nur gesprochen werden, wenn ein Zustand A (vor den rhetorischen Bemühungen des rhetors) sich von einem Zustand B (nach diesen Bemühungen) auch tatsächlich unterscheidet. Und da davon auszugehen ist, dass eine Publikumsinstanz solange an ihren für gewiss gehaltenen Überzeugungen festhalten wird, bis sich Konflikte oder Widersprüche ergeben, erscheinen eben diese Überzeugungen als zu überwindende Widerstände. Gleichzeitig – darauf wird gleich nochmal zurückzukommen sein – sind genau diese Ausgangsgewissheiten auch der rhetorische Grund, auf dem jedes persuasive Streben ruht. Zunächst bleibt aber festzuhalten, dass eine einseitige Überbetonung der Rolle des Widerstandes in eine paradoxe Lage führt: Denn in dem Fall, in welchem ein Redner wider Erwarten bei seinem Publikum nicht auf derartige Widerstände stößt und sprichwörtlich ‚offene Türen einrennt‘, wird demnach die Frage, ob es sich überhaupt noch um eine rhetorisch zu nennende Bemühung handelt, relevant. Schafft der Redner es nicht, einen Wechsel zumindest auf kognitiver Ebene herbeizuführen, gilt er dieser Theorie folgend als rhetorisch gescheitert – verbleibt allerdings mit seinen Bemühungen noch im Rahmen der Rhetorik. Schafft er es hingegen nicht, den Wechsel herbeizuführen, da ein solcher gar nicht notwendig ist, verlässt der Redner den Rahmen dessen, was Knape als rhetorisch versteht. Demnach scheitert ein solcher Redner auch nicht rhetorisch, genauer noch: das kommunikative Verhalten dieses Redners ließe sich – nimmt man die für die Rhetorik angegebene konstitutive Rolle der Überwindung von Widerständen zur Wechselerzeugung ernst – gar nicht mehr rhetorisch beschreiben. Das erscheint insbesondere vor dem Hintergrund verwunderlich, dass schon in der klassischen Rhetorik mit der Kategorie der doxa, also der anerkannten Meinungen, auf die der rhetor alle seine rhetorischen Bemühungen aufbaut, klar die Anknüpfung an bestehende Meinungen als Grundlage der Persuasion herausgestellt wird. Eine Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs wird möglich, wenn zwei Arten der Persuasion unterschieden werden: Auf der einen Seite zielt die rhetorische Bemühung auf einen Wechsel der Überzeugungen und Einstellungen der Publikumsinstanz (dies betont besonders Knape), auf der anderen Seite werden zu diesem Zweck Mittel benutzt, die insofern als persuasiv bezeichnet werden können, als sie gerade an den bestehenden Überzeugungen und Einstellungen anknüpfen können. Diese Unterscheidung beruht auf dem „merkwürdigen Widerspruch“40, den Umberto Eco als Charakteristikum der Rhetorik ausweist:
40 Eco, Umberto: Einführung in die Semiotik. München 2002. S. 184.
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„Einerseits neigt die Rhetorik dazu, die Aufmerksamkeit auf eine Rede zu fixieren, die auf ungewohnte (informative) Art von etwas überzeugen will, was der Zuhörer noch nicht wusste. Andererseits erreicht sie dies Ziel dadurch, dass sie von etwas ausgeht, was der Hörer schon weiß und will, und dass sie zu beweisen versucht, wie die Schlussfolgerung sich ganz natürlich daraus ableitet.“41
Rhetorik schwankt für Eco damit stets zwischen Redundanz und Information. Während der Begriff der Information Persuasion als Ziel bezeichnet, wird mit dem Begriff der Redundanz auf den Gebrauch persuasiver Mittel aufmerksam gemacht. Um den Begriff der Persuasion zu verstehen, reicht es demnach nicht, allein auf den Wechsel zu fokussieren, noch scheint es hinreichend, diesen zum konstitutiven Moment der Persuasion zu erklären. Ein solches Verständnis entspringt im Falle der Tübinger Rhetorik ganz klar der Zentrierung auf den orator (rhetor) als den „strategischen Kommunikator“42 und „archimedische[n] Punkt der Rhetoriktheorie“43, der als Ausgangs- und Endpunkt der rhetorischen Theorie firmiert. Obgleich auch Knape nicht leugnen kann, dass die orator-Instanz nicht per se ein individueller Mensch ist, der als Autor oder Urheber mit persönlichen Besitzrechten ausgestattet ist, sondern oftmals eine kollektive Größe (wie im Falle von Nachrichten- oder Werbeagenturen, Pressesprechern, etc.) darstellt, so räumt er doch der ersten Auffassung gegenüber der zweiten ein Primat ein: „Gegenüber der einzelmenschlichen orator-Perspektive hat aber jede Inblicknahme von institutionellen Kommunikatoren (Institutionen oder Gruppen, die gewissermaßen ‚mit einer Stimme‘ in Werbung, Public Relations etc. sprechen) derivativen Status.“44 Mit dieser Position versucht Knape, dem in der modernen Medientheorie diagnostizierten techisch-strukturell bedingten Autorverlust45 zu begegnen, verkehrt aber dabei – zumindest im Sinne der vorliegenden Arbeit – die 41 Ebd. 42 Knape 2012. S. 33. 43 Ebd. Ein archimedischer Punkt ist ein Punkt außerhalb eines Systems, von dem aus das System bewegt (etwa mit einem Hebel) werden kann. Folglich gilt: Dieser ‚Punkt‘ ist nur dann ein archimedischer, wenn er nicht in das System involviert ist. Nimmt man die Rede vom orator als dem archimedischen Punkt der Rhetoriktheorie ernst, so hieße das, dass der orator außerhalb der Rhetoriktheorie läge. Die Figur des orators könne dann selbst nicht Teil der Rhetorik sein, sondern diene als postulierter Punkt für den ‚rhetorischen Hebel‘ der Persuasion. Als solche hätte die orator-Instanz eine axiomatische Funktion, die sich nicht rhetorisch analysieren ließe. Es erscheint mir paradox wie es möglich sein soll, eine ganz klar orator-zentrierte Rhetoriktheorie vertreten zu wollen, wenn man zugleich den orator aus der Rhetoriktheorie katapultiert. 44 Ebd. S. 35. 45 Vgl. Barthes, Roland: Der Tod des Autors. In: Ders.: Das Rauschen der Sprache. Frankfurt am Main 2006. S.57-63.
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Gewichtungen kooperativer und kollektiver gegenüber individuellen orator-Instanzen. Im Bereich des Designs lässt sich mit einem orator-Begriff, wie ihn die Tübinger Rhetorik vertritt und auf diesen die gesamte rhetorische Theorie zentriert, nichts erklären. Wer ist orator in einer Werbekampagne eines Unternehmens? Zum einen ist die orator-Instanz gleich zweifach eine kollektive Größe: das Gestaltungsbüro sowie das Unternehmen sind im Allgemeinen keine individuellen oratoren. Zum anderen sind die rhetorischen Überzeugungsgrößen, die mit der orator-Instanz zusammenhängen, unterschiedlich verteilt: Das Gestaltungsbüro agiert als Urheber der Kampagne und benutzt rhetorische Kommunikationsstrategien, die schließlich einem Unternehmen als für diese Kampagne verantwortlich zugeschrieben werden, das ethos des Unternehmens beeinflussen und gleichzeitig vom ethos des Unternehmens in ihrer Wirkung beeinflusst werden. Strategischer Kommunikator und ethos-Instanz im kommunikativen Prozess fallen in diesem Bereich nicht in einer orator-Figur zusammen. In gleicher Weise müssten unter einer Zentrierung auf den orator, wie sie in der klassischen Rhetorik und deren Fortschreibung in der Tübinger Rhetorik geschieht, auch andere Bereiche des Designs rhetorisch weitenteils unanalysierbar bleiben. Man überlege, wer die individuelle orator-Figur bei Leitsystemen, im Corporate Design, in der Buchgestaltung oder irgendeinem anderen Designbereich (der immer Auftragsarbeit ist) sein soll? Ob einem so ubiquitären Phänomenbereich rhetorisch nur ein derivativer Status zugesprochen werden sollte, scheint vor diesem Hintergrund eher fraglich. Immerhin würde dies nichts anderes bedeuten, als den gesamten Bereich der Massenkommunikation als derivativen Bereich der Rhetorik zu bestimmen.46 46 Man bedenke, dass selbst im Falle einer öffentlichen Rede beispielsweise eines Politikers, dieser immer noch für eine Partei steht, seine Rede möglicherweise von einem Redenschreiber verfasst wurde und – im Falle der medialen Übertragung – diese Rede nur als Auszug, eingebettet in eine Nachrichtensendung und unter Kommentarfunktion eines Nachrichtensprechers (dessen Skript unter Umständen auch nicht von ihm selbst verfasst wurde) aufgeführt wird. Selbst in diesem massenkommunikativ paradigmatischen Fall erscheint eine Zentrierung auf den individuellen orator als unzulässige Verkürzung. Zudem tritt im Falle kollektiver Autorenschaft oftmals ein Phänomen auf, das eine Zuweisung klarer orator-Figuren zusätzlich verkompliziert. Beispielsweise im Bereich der Werbung ist das konkrete Werbeplakat, welches an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ein mehr oder weniger genau bestimmtes Publikum ansprechen soll, bereits ein Produkt mehrschichtiger rhetorischer Prozesse. Innerhalb eines Gestaltungsbüros bedarf es überzeugender Argumente, um den Creative Director und andere Mitglieder der Produktion von Einzelresultaten zu überzeugen. Die orator-Figur ist durch die arbeitsteiligen Prozesse bereits mehrfach geteilt. Das Gestaltungsbüro wird schließlich die Auftraggeber zu überzeugen haben, dass das gelieferte Resultat auch deren Wünschen und Zielvorstellungen entspricht und die gewünschte Wirkung beim Endpublikum wenigstens potentiell auch
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3.2.2 Orator, rhetor, Rhetoriker Bevor wir uns einem zweiten Persuasionsverständis zuwenden, welches für die vorliegende Arbeit wichtige Anschlüsse bereithält, sollen die eben skizzierten Schwierigkeiten mit der Funktion und dem Begriff des orators, wie sie durch die Auseinandersetzung mit Knape deutlich wurden, zum Anlass für eine Unterscheidung genommen werden. Es gilt drei Funktionen zu unterscheiden: a) die rhetor-Funktion, b) die orator-Funktion und c) die Funktion des Rhetorikers. Diese Funktionen können, müssen aber nicht, in Personalunion vertreten sein und bezeichnen spezifische Aspekte des rhetorischen Prozesses. Nachfolgend seien diese Funktionen kurz umrissen: Der rhetor (als Einzelner oder auch als Gruppe) kann als Funktion wirkungsintentionalen, das heißt strategisch Wirkung kalkulierenden Gestaltens, bestimmt werden. Der rhetor nutzt auf der Basis seiner Identifikation des potentiellen Zielpublikums spezifische, als angemessen empfundene Überzeugungsmittel aus den Bereichen des ethos, pathos und logos, um eben diesem Zielpublikum ganz bestimmte Identifikationsangebote47 zu machen und auf diese Weise auf das Zielpublikum (potentiell) persuasiven Einfluss zu nehmen. Insofern das ethos ein Überzeugungsmittel darstellt, welches seine persuasive Kraft aus dem ‚Charakter des Redners‘ ableitet, ist der Redner (der orator) selbst ein Produkt des wirkungsintentional planenden rhetors. Der orator ist die Instanz, der vom Publikum ein ethos zugesprochen wird und deren ethos nicht nur den persuasiven Prozess stützt, sondern zugleich auch durch diesen bekräftigt, geschwächt oder variiert werden kann. Der orator und dessen ethos können, wie im Falle einer Imagekampagne, zudem auch selbst Gegenstand der rhetorischen Bemühungen eines rhetors sein. Die Funktionen orator und rhetor befinden sich demnach an unterschiedlichen Stellen des rhetorischen Prozesses: Der rhetor verfügt als planende Instanz über Mittel und setzt diese nach ihren erfolgsversprechenden Wirkun-
entfalten kann. Die Publikumsinstanz (Auftraggeber) wird im weiteren Prozess als die Instanz erscheinen, für die die Kampagne Werbung machen soll und deren ethos ganz wesentlich sowohl den Erfolg der Kampagne mitbestimmen wird als auch durch die Kampagne selbst mitbestimmt und verändert werden kann (etwa bei Imagekampagnen). Demnach wird aus der Publikumsinstanz (Auftraggeber) im nächsten Schritt die orator-Instanz (werbendes Unternehmen). An diesem Beispiel wird eines deutlich: Wer Designprodukte rhetorisch zu analysieren gedenkt, und bei dieser Analyse den Anfang beim Produkt nimmt, der wird wohl eher nicht zu einer individualisierbaren orator-Figur gelangen. In vergleichbarer Weise – das sei hier nur erwähnt – führt auch Hermann Barth seine rhetorische Analyse des filmischen Diskurses. Barth unterscheidet hierbei mehrere Kommunikationsebenen, wobei jede mit unterschiedlichen oratoren und orator-Kollektiven arbeitet. Vgl. Hermann Barth: Psychagogische Strategien des filmischen Diskurses in G. W. Pabsts Kameradschaft. München 1990. 47 Zum Identifikationsbegriff siehe das folgende Unterkapitel.
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gen (mehr oder weniger) bewusst ein. Der orator hingegen findet sich innerhalb dieser Überlegungen des rhetors wahlweise auf der Seite der rhetorischen Mittel (etwa bei einer Charakterinszenierung zu bestimmten Zwecken) oder auf der Seite des Gegenstandes rhetorischer Bemühungen selbst. In beiden Fällen stellt der orator eine Produktgröße dar, die vom rhetor in spezifischer Weise (mit)erzeugt wird. RhetorFunktion und orator-Funktion können in Personalunion fallen, wenn der strategisch planende zugleich der dem Publikum präsentierte Redner ist. Selbst dann aber bleiben die Fragen der ethos-Inszenierung, die der rhetor in seinen Planungen berücksichtigen mag, Fragen der Kreation eines bestimmten ‚Bildes von sich selbst‘ und damit Fragen der Kreation eines orators. In arbeitsteiligen Prozessen ist anzunehmen, dass die Trennung der rhetor- und orator-Funktion sogar den rhetorischen Standardfall ausmacht. Mit dem Rhetoriker schließlich sei eine Funktion benannt, die im Nachgang den rhetorischen Prozess und dessen eingetretene oder zu erwartende Ergebnisse zu analysieren versucht. In seinen Versuchen, den Prozess und Ausgang rhetorischer Bemühungen zu begründen, greift der Rhetoriker nicht nur auf bestehende Systematiken zurück, sondern entwickelt diese auch weiter und stellt auf diese Weise seine Analysen der Rhetoriktheorie zur Verfügung. Gleichzeitig führt der Rhetoriker aber auch – im Idealfall – die Ergebnisse seiner Analysen der Praxis wieder zu, indem diese hieraus möglichen Schlüsse für zukünftige rhetorische Bemühungen entnehmen kann. Diese Funktion bezeichnet in ihrem Kern letztlich nichts anderes als die Instanz zu bezeichnen, die die Rhetorik als Erfahrungswissenschaft kennzeichnet. Will man die hier unterschiedenen drei Funktionen mit einem Stichwort umreißen, so kann man sagen, dass diese für die Aspekte der Planung (rhetor), Aufführung (orator) und Bewertung (Rhetoriker) rhetorischer Prozesse und Produkte stehen. 3.2.3 Identifikation als Kernbegriff der New Rhetoric Ein umfassenderes Verständnis von Rhetorik, das das, was Eco mit dem Verhältnis von Redundanz und Information bezeichnet, miteinbezieht, entwickelt die als ‚New Rhetoric‘ bezeichnete Rhetoriktradition, als deren Hauptvertreter Kenneth Burke gelten kann. Burkes komplexes Rhetorikverständnis wird im Weiteren anhand einiger Grundbegriffe eingeführt. Für den Zusammenhang dieses Unterkapitels ist der zentrale Begriff bei Burke der der Identifikation. „With this term as instrument, we seek to mark off the areas of rhetoric, by showing how a rhetorical motive is often present where it is not usually recognized, or thought to belong.“48 Burke führt den Begriff der Identifikation in A Rhetoric of Motives ein, da ihm der Begriff der Persuasion als Kernbegriff der klassischen Rhetorik wie folgt erscheint: „not an accurate fit, for describing the ways in which the members of a group promote social cohesion by acting
48 Burke 1969a. S. XIII.
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rhetorically upon themselves and one another.“49 Wie Olaf Kramer feststellt und wie es sich in diesem Zitat bereits andeutet, etabliert Burke mit dem Konzept der Identifikation ein Verständnis von Rhetorik, das nicht – oder zumindest nicht primär – auf Agonalität beruht. Und sofern „Persuasion auf Identifikation beruht, ist von einer Angleichung der Handlungsmotive von Redner und Adressat auszugehen, nicht von einem agonalen Kampf um Positionen.“50 Letztlich beruht aber für Burke auch der Kampf um Positionen auf der Notwendigkeit der Identifikation des Redners mit seinem Publikum und auf einer Rede, die darauf abzielt, dass das Publikum sich mit dem Redner und seinen Vorstellungen identifizieren kann. Persuasion ist für Burke ohne Identifikation nicht denkbar. Mehr noch: Alle persuasiven Prozesse sind nach Burke Identifikationsprozesse, weshalb er den Kernbegriff der Rhetorik auch nicht länger in dem Begriff der Persuasion sieht, sondern in der Identifikation: „If I had to sum up in one word the difference between the ‘old’ rhetoric and a ‘new’ […], I would reduce it to this: The key term for the old rhetoric was ‘persuasion’ and its stress was upon deliberate design. The key term for the ‘new’ rhetoric would be ‘identification’.”51 Allerdings schränkt Burke in A Rhetoric of Motives ein, es gehe nicht um eine bloße Ersetzung des zenralen Konzeptes der Rhetorik: „Our treatment, in terms of identification, is decidedly not meant as a substitute for the sound traditional approach. Rather, as we try to show, it is but an accessory to the standard lore.“52 In dieser Weise wird auch in der vorliegenden Arbeit das Identifikationskonzept aufgenommen, nämlich als Komplement zum klassischen Persuasionsparadigma. Ist Persuasion gebunden an das kalkulierte Überwinden oder strategische Umgehen von Widerständen, so ist Identifikation als nichts anderes zu verstehen, als der Ermöglichungsgrund eines solchen Vorgehens. Soll eine Publikumsinstanz die Gewissheit eines Zertum A zugunsten der Gewissheit eines neuen Zertum B aufgeben, so reicht es nicht aus, Widerstände zu umgehen und Gewissheiten durch Zweifel zu zersetzen. Es muss, soll der Redner nicht den Kontakt zur Publikumsinstanz und damit auch die Einflussmöglichkeiten auf diese verlieren, stets zugleich auch festgehalten werden an bestimmten Gewissheiten, die die Transformation von Zertum A zu Zertum B ermöglichen. Mit einem Wort: Der Schlüssel der Persuasion liegt gerade in der Identifikation. „True, the rhetorician may have to change an audience’s opinion in one respect; but he succeeds only insofar as he yields to that audience’s opinions in other respects. Some of their opinions are needed to support the fulcrum by which he would
49 Ebd. S. XIV. 50 Kramer, Olaf: Identifikation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 372-379. Sp. 372. 51 Burke, Kenneth: Rhetoric – Old and New. In: New Rhetorics. Hrsg. von Martin Steinmann. New York 1967. S. 59-76. Hier: S. 62. 52 Burke 1969a. S. XIV.
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move other opinions.“53 Dies besagt deutlich, dass der „Othello-Effekt“54, von dem Knape spricht, kein reiner Effekt strategischen Zweifelsähens ist, sondern durch all die sinisteren Absichten Jagos und seiner Rhetorik der Zersetzung scheinen die Prinzipien der Identifikation deutlich durch. Denn bei all den Zweifeln, die Jago in Othello zu sähen versteht, und die Stück um Stück näher zum tragischen Ende führen, bleibt die wichtigste Basis seiner rhetorischen Möglichkeiten stets die Basis der Identifikation, die durchgehend in der Aussage zum Ausdruck kommt: „Jago ist mein Freund.“55 Nur als solchem kommt Jago das ethos zur wirkungsvollen Beeinflussung zu. Der Othello-Effekt ist damit weniger ein Beispiel für die persuasive Kraft des Zweifels – nicht zuletzt, da bloßer Zweifel wenig persuasiv ist – als für die sinistere Kraft der Identifikation. Wie Kramer feststellt: „Selbst vor dem Hintergrund agonaler Auseinandersetzungen scheint [Burke] Persuasion auf die prinzipielle Möglichkeit zur Einigung angewiesen. Ohnehin ist der Adressat ständig auf der Suche nach Möglichkeiten zur Identifikation.“56 Burke „introduced the concept of identification […] in the company of two other terms that help to shape its meaning: consubstantiality and division.“57 Ein Verständnis dessen, was unter Identifikation verstanden werden soll, wird demnach ein Herausarbeiten des Bezugs des Identifikationskonzeptes zu den Begriffen Spaltung oder Trennung (division) und Konsubstantialität erfordern. Trennung (division) ist das Gegenkonzept zur Identifikation und als komplementäres Gegenstück zugleich der Ermöglichungsgrund der Suche nach Identifikation, die für Burke den Menschen charakterisiert. „Identification is affirmed with earnestness [as the first principle of rhetoric] precisely because there is division. Identification is compensatory to division. If men were not apart from one
53 Ebd. S. 56. 54 Knape sprach in einem Vortrag auf der Tagung Kognition, Kooperation, Persuasion am 15.11.2014 in Tübingen bezüglich der rhetorisch-strategischen Rolle des Zweifels vom ‚Othello-Effekt‘. In der darauffolgenden Publikation, spricht er vom ‚Othello-Reaktiv‘. (vgl. Knape, Joachim: Das Othello-Reaktiv. Zur Funktion des Zweifels im rhetorischen Persuasionsprozess. In: Kognition, Kooperation, Persuasion. Überzeugungen in Gehirn und Gesellschaft. Hrsg. von Frank Duerr, Julia Bahnmüller und Florian Landkammer. Berlin 2015. S. 151-180.) 55 Unter der Vielzahl an Belegstellen, seien hier nur zwei genannt: „Und weil ich weiß, du bist mein Freund, und redlich, und wägst das Wort, eh du ihm Atem leihst.“ (Akt III,3) „O wackrer Jago, brav und treu, der du so edel fühlst des Freundes Schmach!“ (Akt V,1). 56 Kramer 2012. Sp. 374. 57 Jasinski, James: Sourcebook on Rhetoric. Key Concepts in Contemporary Rhetorical Studies. Thousand Oaks 2001. S. 305.
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another, there would be no need for the rhetorician to proclaim their unity. If men were wholly and truly of one substance, absolute communication would be of man’s very essence.“58
So wie auch Aristoteles schon betont, dass Rhetorik nur dort zum Tragen kommt, wo Dinge oder Prozesse unterschiedlich beurteilt werden können und auch tatsächlich werden,59 so spielt sich auch für Burke jedes rhetorische Bemühen im Spannungsfeld von Trennung und Identifikation ab. Wird in einem gegebenen kommunikativen Setting eines der beiden als absolut angenommen, so fällt jede rhetorische Bemühung aus, denn weder kann ein auf Identifikation zielender Prozess wirksam greifen, wenn beide Seiten über keinerlei gemeinsame Basis verfügen, also die Trennung maximal ist, noch wird ein solcher Prozess überhaupt angesteuert, wenn man sich ohnehin einer Meinung wähnt. In dieser Weise fasst James Jasinski das Verhältnis von Identifikation und Trennung metaphorisch zusammen: „Identification, then, is the ‘flip side’ of division. The two are interconnected like day and night; each principle needs the other to exist.”60 In dieser Weise kann man sagen, dass Identifikation ein auf Trennung beruhender und diese in einer bestimmten kommunikativen Absicht wenigstens teilweise zu überwinden suchender Prozess ist. Wird ein solcher Prozess zum Kerngeschäft der Rhetorik erklärt, zeigt sich, dass, obgleich die Überwindung von Trennungen als eine Überwindung von Widerständen hier deutlich mitschwingt, diese doch nicht konstitutiv für den rhetorischen Prozess ist. Rhetorische Kommunikation wird durch eine auf Identifikation abzielende Kommunikation bestimmt, die letztlich auch Widerstände überwinden kann, nicht als eine Widerstände überwindende Kommunikation, in der bloß möglicherweise Identifikation eine Rolle spielt. Denn fest steht: „You persuade a man only insofar as you can talk his language by speech, gesture, tonality, order, image, attitude, idea, identifying your ways with his.“61 Burke sagt zum Verhältnis von Identifikation und Trennung: „In pure identification there would be no strife. Likewise, there would be no strife in absolute separateness, since opponents can join battle only through a mediatory ground that makes their communication possible, thus providing the first condition necessary for their interchange of blows. But put identification and division ambiguously together, so that you cannot know for certain just where one ends and the other begins, and you have the characteristic invitation to rhetoric.“62
58 Burke 1969a. S. 22. 59 Vgl. Arist. Rhet. I,2. 1357a5. 60 Jasinski 2001. S. 305. 61 Burke 1969a. S. 55. 62 Ebd. S. 25.
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Obgleich, wie Kramer betont, der Begriff der Identifikation in der klassischen Rhetoriktheorie keine exponierte Stelle einnimmt und in der antiken Rhetorik keinen terminologischen Stellenwert erreicht hat, findet sich das Prinzip, das Burke mit Identifikation bezeichnet, durchgängig auch innerhalb der klassischen Theorie.63 So hat schon Aristoteles ein „weitreichendes Spektrum an Identifikationsmöglichkeiten vor Augen“64, wie etwa auf der ethos-Ebene: „Denn in Hinblick auf die Glaubwürdigkeit macht es viel aus […], dass der Redner in einer bestimmten Verfassung erscheine und dass die Zuhörer annehmen, er selbst sei in einer bestimmten Weise gegen sie disponiert, und schließlich, ob auch diese sich in einer bestimmten Disposition befinden.“65 In dieser Weise ist Identifikation auch die Antwort auf die Frage, worauf die Glaubwürdigkeit der Feststellung des Aristoteles beruht, dass es nicht schwer sei, die Athener vor den Athenern zu loben, wohl aber vor den Lakedaimoniern.66 Denn wie auch Cicero anführt: „Stets ist das ausschlaggebende Moment für die Sprache der Redner die Einsichtskraft ihrer Zuhörer gewesen. Jeder nämlich, der Beifall finden möchte, beobachtet die Wünsche seiner Zuhörer, und danach, nach ihrem Wink und Willen, richtet er sich in jeder Weise ein und passt sich an.“67 Diese von Cicero empfohlene Schmeichelei ist natürlich nicht identisch mit der Reichweite von Identifikation, allerdings beruht die Möglichkeit der Schmeichelei ganz klar auf Identifikation. „Persuasion by flattery is but a special case of persuasion in general. But flattery can safely serve as our paradigm if we systematically widen its meaning, to see behind it the conditions of identification or consubstantiality in general.“68 Zudem lässt sich unter dem Blickwinkel einer auf Identifikation beruhenden rhetorischen Theorie der gesamte Bereich der auf der endoxa gegründeten Topik einbeziehen. Denn „Identifikation entsteht zudem durch endoxa, denn was allen einleuchtet, wird auch überzeugende Argumente ermöglichen. Insofern beruhen endoxa auf dem identifikatorischen Potential geteilter Meinungen.“69 Auch wenn Cicero vor einer übermäßigen Identifikation mit diversen Publikumsinstanzen warnt, weil dem Redner auf diese Weise seine Identität verloren gehen könne,70 so steht dies nicht im
63 Vgl. Kramer 2012. Sp. 372. 64 Ebd. 65 Arist. Rhet. 1377b. 66 Vgl. Ebd. 1415b. 67 Cic. De Or. 8,24. 68 Burke 1969a. S. 55. 69 Kramer 2012. Sp. 372f. 70 Bei Cicero heißt es: „Wenn es überhaupt etwas Angemessenes gibt, dann ist es in Wirklichkeit nichts anderes als […] die Stimmigkeit des gesamten Lebens und dann auch aller einzelner Handlungen, die man aber nicht bewahren kann, wenn man die Natur anderer Menschen nachahmt und seine eigene aufgibt. Wie wir nämlich die Sprach sprechen müs-
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Widerspruch zu Burke. Denn Cicero hat natürlich vollkommen recht, wenn er betont, dass sich ein Redner unglaubwürdig mache, wenn offensichtlich wird, dass dieser sich zur Erreichung seiner Ziele mit jedem Publikum identifizieren würde. Ein Verlust von Identität meint demnach nichts anderes als ein Einbüßen an Glaubwürdigkeit durch den Charakter des Redners, also seinem ethos. Der rhetorische Unterschied der zwischen der Tatsache, dass jeder Redner jeder Publikumsinstanz, die er von etwas zu überzeugen sucht, auch Identifikationsangebote machen muss, und dem potentiellen Fall eines Redners, bei dem dieses Identifikationsbestreben als Anbiederung aufgefasst wird, liegt jedoch nicht in der Bedeutung der Identifikation für den Persuasionsprozess, sondern in der rhetorischen Funktion der dissimulatio artis, also der Möglichkeit, Identifikationsangebote nicht als Anbiederung erscheinen zu lassen. „Eine erste rhetorische Theorie der Identifikation findet sich dann bei A. Müller, der argumentiert, dass ein Gespräch nur dann gelingt, wenn zwischen den Beteiligten ein ‚mächtiges Gemeinschaftliches‘ sei, und betont damit die Notwendigkeit der Identifikation innerhalb sozialer Gemeinschaften.“71 Die hier angeführten Verweise auf die Rhetorikgeschichte machen deutlich, dass Burkes Konzept einer New Rhetoric keineswegs im Widerspruch zu den klassischen Rhetoriktheorien steht, vielmehr lassen sich die wesentlichen Teile der klassischen Theorien, insbesondere jene, die sich mit den Überzeugungsmitteln befassen, problemlos in die New Rhetoric integrieren. 3.2.4 Identifikation und Konsubstantialität Um das Kapitel zur Einführung des Identifikationskonzeptes abzuschließen, soll zuletzt die Verbindung zu Burkes Begriff der Konsubstantialität herausgearbeitet werden. Auch wenn das Konzept der Konsubstantialität im Verlauf dieser Arbeit keine große Rolle spielen wird – und daher hier auch nur kurz Erwähnung findet – gehört das Erfassen dieses Konzeptes zu einem umfassenderen Verständnis von Burkes Identifikationsbegriff. Zudem wird durch den Bezug zur Konsubstantialität auch deutlich werden, wie universell – und damit auch weit über den Rahmen dessen, was klassisch als Gegenstandsbereich der Rhetorik verstanden wird – Burke das Konzept der Identifikation denkt. Es ist daher auch für diese Arbeit wichtig, das Thema der Identifikation als Basis konsubstantieller Einheit zu beleuchten, damit klar wird, welche Aspekte des Burke’schen Begriffes in dieser Arbeit übernommen und welche beiseitegelassen werden können. Identifikation „ranges from the politician who, addressing an audience of farmers, says, ‚I was a farm boy myself,‘ through the mysteries of social status, to the mystic’s sen, die wir beherrschen, um nicht, wie gewisse Leute, die griechische Wendungen einstreuen, völlig zu Recht ausgelacht zu werden, so dürfen wir zwischen unseren Taten und unserem ganzen Leben keine Disharmonie aufkommen lassen“ (Cic. De Off. I,111.). 71 Kramer 2012. Sp. 373. Kramer verweist hier auf Adam Müllers Zwölf Reden über die Beredsamkeit und deren Verfall in Deutschland.
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devout identification with the source of all being.“72 Während bisher der erste Aspekt einer Rhetorik der Identifikation betont und herausgearbeitet wurde, wenden wir uns nun dem zweiten und dritten Aspekt zu. Dabei wird der hier angedeutete zweite Aspekt als der Bezug rhetorischen Handelns zu Phänomenen geteilter Intentionalität herausgearbeitet. Der dritte Aspekt kann zum einen als eine Identifikation im Sinne des ersten Aspektes verstanden werden und meint dann die religiös motivierte Identifikation mit Abstrakta und höheren Entitäten. In diesem Sinne identifizieren sich Menschen mit ihren Gottheiten, aber auch anderen Ideen, wie Demokratie, Freiheit oder Individualität. Allerdings meint dieser Aspekt zum anderen auch eine auf Identifikation gegründete Einheit alles Seienden und stellt damit die metaphysische Komponente des Burke’schen Identifikationsbegriffes dar, die in dieser Arbeit nicht weiterverfolgt und daher hier nur in einer Fußnote besprochen wird.73 72 Burke 1969a. S. XIV. 73 Der oben angesprochene dritte Aspekt des Identifikationsbegriffes bei Burke verweist auf die Möglichkeit einer „mystic’s devout identification with the source of all being.“ (Ebd.) Um diesen eher kryptischen Teilsatz zu entschlüsseln, ist es notwendig zu fragen, was hier mit ‚source of all being‘ gemeint ist. Um es kurz zu machen: Die Antwort darauf ist Burkes Substanzbegriff. „There is a set of words comprising what we might call the Stance family, for they all derive from a concept of place, or placement.“ (Burke, Kenneth: A Grammar of Motives. Berkeley 1969. S. 21.) Burke wählt hier einen etymologischen Zugang, um – neben einer ganzen Reihe anderer Begriffe, die zur ‘Stance family’ gehören – den Begriff Substanz einzuführen. Substanz meint das, was einem Ding wesensmäßig zugrunde liegt, das was etwas „intrinsically is“ (Ebd.). Und auch wenn Substanz philosophiegeschichtlich – wie Burke betont: seit John Locke – viel an seiner Srahlkraft eingebüßt hat, „so that many thinkers today explicitly banish the term from their vocabularies“ (Ebd.), gilt doch: „But there is cause to believe that, in banishing the term, far from banishing its function one merely conceals them.“ (Ebd.) Der Glaube daran, das ‚Wesen‘ oder die ‚Natur‘ einer Sache erkennen oder erforschen zu können, ist – trotz starker philosophischer Skepsis (z.B. bei Kant) – ungebrochen. Die Suche nach der Substanz geht, wenn auch nicht unter diesem Namen, weiter. Für Burke aber ist dieser Begriff in sich paradox. Auf der einen Seit soll Substanz das bezeichnen, was eine Sache ‚wirklich ist‘, was eine Sache ‚ausmacht‘, das ‚substantielle‘ einer Sache. Das heißt etwas ‚tief in ihr Liegendes‘. Auf der anderen Seite betont die etymologische Struktur des Wortes: „substance is a scenic word. Literally, a person’s or a thing’s sub-stance would be something that stands beneath or supports the person or thing.“ (Ebd. S. 22.) Das aber bedeutet, dass die Substanz einer Sache eben nicht die Sache selbst ist, sondern vielmehr deren Ermöglichungsgrund – in dieser Weise ist eben für Spinoza auch Gott die eigentliche Substanz (vgl. Spinoza: Ethik). Burke beschreibt das Paradox der Substanz wie folgt: „the word ‚substance‘, used to designate what a thing is, derives from a word designating something that a thing is not. That is, though to designate something within the thing, intrinsic to it, the word etymologically refers to something
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outside the thing, extrinsic to it. Or otherwise put: the word in its etymological origins would refer to an attribute of the thing’s context, since that which supports or underlies a thing would be a part of the thing’s context. And a thing’s context, being outside or beyond the thing, would be something that the thing is not.” (Ebd. S. 23) Dieses Paradox ist konstitutiv für die Rolle, die der Substanzbegriff (oder andere Begriffe mit gleicher Funktion) in der Kommunikation erfüllen, denn damit lässt sich beschreiben, was genau vor sich geht, wenn Dinge kontextuell definiert werden: „To tell what a thing is, you place it in terms of something else. This idea of locating, or placing, is implicit in our very word for definition itself: to define, determine a thing, is to mark its boundaries, hence to use terms that possess, implicitly at least, contextual reference. We here take the pun seriously because we believe it to reveal an inevitable paradox of definition, an antinomy that must endow the concept of substance with unresolvable ambiguity, and that will be discovered lurking beneath any vocabulary designed to treat of motivation by the deliberate outlawing of the word substance.“ (Ebd. S. 24.) Mit einem Verweis auf Spinoza schließt Burke, dass „all definition is ‚negation‘, which is another way of saying that, to define a thing in terms of its context, we must define it in terms of what it is not.“ (Ebd. S. 25.) Von hier aus können wir die Frage beantworten, was ‘the source of all being’ ist. „For the contextual approach to substance, by inducing men to postulate a ground or context in which everything that is, is placed, led thinkers ‚by dialectical necessity’ to affirm that the only ground of ‚Being‘ is ‚Not-Being‘ (for ‘Being’ is so comprehensive a category that its dialectical opposite, ‘NotBeing’, is the only term that would be left to designate its ground).“ (Ebd. S. 34.) Das Paradox der Substanz als ein Paradox kontextueller Definitionen führt hier schließlich zu einem Paradox des Grundes alles Seienden. Die negative Theologie führt diesen Gedanken konsequent weiter, wenn bestimmt wird, dass die göttliche Substanz – als Grund und Quelle alles Seienden – nur durch die Absenz aller Attribute ausgezeichnet werden kann. Man könnte fast sagen: Gott muss nicht Sein, damit wir Sein können. Um uns jetzt nicht auf diesen Wegen zu verlieren, die mit der vorliegenden Arbeit auch nichts mehr zu tun haben, gilt es noch kurz zu schließen, was das Paradox der Substanz mit dem Begriff der Identifikation zu tun hat. Wie wir gesehen haben, führt die Suche nach der Substanz zu dem Paradox kontextueller Definition. Diese aber ist nichts anderes als eine metaphorische Übertragung, also eine semantische Identifikation, in der eine Sache dadurch beschrieben wird, dass selbige mit einer Sache identifiziert wird, die sie nicht ist. Eine Identifikation mit der ‚source of all being‘ meint dann, sich mit etwas zu identifizieren, das man selbst nicht ist, und im Rahmen dieser Identifikation die vorgestellte ‚source of all being‘ im Zuge einer kontextuellen Definition zur eigenen Substanz zu erklären. Dieser Akt führt – das gilt es zu betonen – nicht zu einer Konsubstantialität als einer angenommenen Wesensgleichheit mit der ‚source of all being‘. Diese ‚devout identification‘ meint die Anerkennung meines Ermöglichungsgrundes außerhalb von mir. Genau hierin wird auch ersichtlich, warum dieser Aspekt des Konzeptes in der vorliegenden Arbeit nicht weiterverfolgt wird. Denn dieser Anerkennungsprozess übersteigt den
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Identifikation ist für Burke, eben weil sie die Grundlage der Persuasion ist, damit zugleich auch die Voraussetzung gemeinsamen Handelns, gemeinsamen Anerkennens sozialer Prozesse und sozial zugeschriebener und stark von Anerkennung abhängiger Statusformen.74 Das Konzept der Identifikation – und damit auch der Rhetorik in einer erweiterten Bedeutung – hat einen direkten Bezug zum Phänomen geteilter Intentionalität.75 Der zentrale Begriff bei Burke, um das Subjekt einer gemeinsamen Handlung zu kennzeichnen, ist dabei der Begriff der Konsubstantialität, die sich auf Identifikationsprozesse gründet: „A is not identical with his colleague B. But insofar as their interests are joined, A is identified with B.“76 Die Aufgabe einer rhetorischen Intervention ist es, diese Form der Identifikation zwischen sich und seinem Publikum anzustoßen und herzustellen. „Or he may identify himself with B even when their interests are not joined, if he assumes that they are, or is persuaded to believe so.“77 Rahmen dessen, was in der vorliegenden Arbeit als Rhetorik verstanden werden soll. Er fällt als individueller Akt aus dem Rahmen des hier vertretenen Rhetorikverständnisses, auch wenn er für Burke nicht aus dem Rahmen seines Identifikationsverständnisses fällt und da – wie Kramer betont – für Burke das Reich der Rhetorik erst Jenseits des Identifikationsstrebens endet (vgl. Kramer 2012. Sp. 375.), wird damit auch ersichtlich, dass der Begriff der Identifikation sehr viel weiter ist, als das, was in dieser Arbeit als Operationsfeld der Rhetorik angesehen wird. Rhetorisch interessant wird dieser individuelle Akt erst dann, wenn dieser als Basis eines kommunikativen auf Persuasion oder Identifikation zielenden Aktes in einen interpersonalen Raum tritt. Es ist wichtig herauszustellen, dass das Konzept der Identifikation also deutlich weiter ist, als das der Persuasion. Die Erweiterung des Persuasionsbegriffes ist allerdings auch notwendig, wenn es um eine Loslösung der Rhetorik aus der Enge einer oratorzentrierten Kalküllogik geht. Damit wird jedoch weder der Begriff Persuasion mit dem der Identifikation gleichgesetzt noch wird damit der Begriff der Persuasion überflüssig. In der Arbeit wird hauptsächlich nach Identifikationsangeboten des Designs gesucht werden, aber das schließt nicht aus (vielmehr ermöglicht dies sogar erst), dass mitunter auch ganz klar von Persuasion gesprochen werden kann und wird. 74 u.a. Wie wird jemand Präsident? Unter anderem durch die (kommunikative) Anerkennung des Status durch eine Gruppe, die sich in institutionalisierten, sichtbaren Symbolen evident manifestiert. Vgl. dazu auch Searle, John R.: Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Zur Ontologie sozialer Tatsachen. Frankfurt am Main 2011. 75 Zu Burkes Verständnis von geteilter Intentionalität vgl. Smolarski, Pierre: Rhetorische Zirkularität. Über „common ground“ und „shared intentionality“ bei Kenneth Burke und Michael Tomasello. In: Kognition, Kooperation, Persuasion. Überzeugungen in Gehirn und Gesellschaft. Hrsg. von Frank Duerr, Julia Bahnmüller und Florian Landkammer. Berlin 2015. S. 197-211. 76 Burke 1969a. S. 20. 77 Ebd.
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Gelingt dieser Identifikationsprozess, so werden A und B konsubstantiell. „In being identified with B, A is ‘substantially one’ with a person other than himself. Yet at the same time he remains unique, an individual locus of motives. Thus he is both joined and separate, at once a distinct substance and consubstantial with another.“78 Auf diese Weise entsteht durch persuasive Prozesse, also durch Identifikation, eine konsubstantielle Einheit, ein Wir, von dem gesagt werden kann, dass es zum einen durch diese Identifikation „in terms of some principle they share in common“79 geeint ist und dabei zugleich seine Verschiedenheit bewahrt. Hieraus schließt Burke auf die Bedeutung einer Theorie der Konsubstantialität: „A doctrine of consubstantiality, either explicit or implicit, may be necessary to any way of life. For substance, in the old philosophies, was an act; and a way of life is an acting-together; and in acting together, men have common sensations, concepts, images, ideas, attitudes that make them consubstantial.“80 Das Subjekt geteilter Intentionalität ist für Burke die konsubstantielle Einheit, das konsubstantielle Wir, das sich auf der Grundlage von Identifikationsprozessen bildet bzw., das auf der Grundlage überzeugender Identifikation proklamiert werden kann. Da rhetorische Interventionen kein Herrschaftswerkzeug in dem Sinne darstellen, dem Identifikation und schließlich Persuasion notwendig folgen würden, muss auch die Herstellung der Konsubstantialität im Rahmen einer produktiven Unterstellung verbleiben und kann allenfalls proklamiert werden. Ob sich eine solche Einheit tatsächlich bildet, kann sich höchstens im persuasiven Prozess als wahrscheinlich herausstellen und ex post behauptet werden. Auch dann aber beschreibt dieses Wir jedoch keine totalisierende Einheit der beteiligten Subjekte. So wie in der Konsubstantiationslehre81 Brot und Wein tatsächlich Brot und Wein blei-
78 Ebd. S. 21. 79 Ebd. 80 Ebd. 81 Nur kurz zum geistesgeschichtlichen Hintergrund: Thomas von Aquin gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Transsubstantiationslehre, die auf dem vierten Laterankonzil 1215 als orthodox festeschrieben wurde. Thomas schreibt dazu: „Einige behaupten, dass nach der Wandlung die Substanz von Brot und Wein im Sakrament weiterlebe. – Aber diese Behauptung lässt sich nicht halten. [… Denn:] Was aber in ein anderes verwandelt wird, bleibt nach der Verwandlung nicht. So bleibt übrig, wenn die Wahrheit dieses Sakraments gewahrt bleiben soll, dass die Substanz des Brotes nach der Konsekration nicht fortbestehen kann“ (Thomas Summa Theol. III, 75,2). Gegen diese Form, das Sakrament zu verstehen, wendet Martin Luther ein: „Weil nun aber nicht not ist, eine solch wesentliche Veränderung [Transsubstantiation], die durch göttliche Macht geschehen soll, zu setzen, ist es für ein Menschengedicht zu halten, denn es weder auf der Schrift noch auf einem einzigen vernünftigen Grunde fußet, wie wir werden sehen.“ (Luther 1948. S. 168.). Da es sich, laut Luther, bei der Transsubstantiationslehre eben nur um eine Meinung (opinio) und
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ben und dennoch durch einen gemeinsamen Akt Leib und Blut Christi sind, so bleiben die einzelnen Subjekte ein individueller Hort von Motiven, die in einem Akt, in einer auf Identifikation gegründeten Handlung eine Einheit bilden. Rhetorisch gesehen hat die Konsubstantialität zwei wesentliche Verwendungen: Zum einen dient sie als proklamierte Konsubstantialität in Ausdrücken wie ‚Wir sind das Volk‘ oder dem SPD Werbespruch ‚Das Wir entscheidet‘ den Zwecken einer auf Persuasion zielenden Identifikation im oben beschriebenen Sinne. Zum anderen stellt sie – und als solche führt Burke den Begriff auch ein – die anthropologische Basis von Identifikation und Kommunikation überhaupt dar. Rhetorik „is rooted in an essential function of language itself, a function that is wholly realistic, and is continually born anew; the use of language as a symbolic means of inducing cooperation in beings that by nature respond to symbols.”82 Aus dieser Verwurzelung der Rhetorik im kooperativen Bestreben des Menschen83 ergeben sich für Burke zwei Kernaspekte der Rhetorik: Neben der Identifikation als Ziel (Konsubstantialität) und Mittel (Strategien der Identifikation), ist Rhetorik vor allem durch Adressiertheit gekennzeichnet.84 Und auch wenn, wie Kramer festhält, das Konzept der „Identifikation nur schwer empirisch abzubilden ist, hat das Konzept einen hohen heuristischen Wert, weil es modellhaft erklären kann, weshalb Persuasion gelingt oder auch misslingt, und weshalb die aptum-Kategorie in der Systematik der Rhetorik eine zentrale Stellung einnimmt“85, weshalb in der vorliegenden Arbeit an dieses Konzept angeschlossen wird.
nicht um einen Glaubensartikel handele, kann diese durch die Konsubstantiationslehre ersetzt werden, die „viel glaublicher“ (ebd. S. 166.) sei und bei der man „weniger überflüssiger Wunderzeichen“ (ebd.) voraussetzen müsse. Nach Luther reicht man „auf dem Altar […] wahres Brot und wahren Wein und nicht allen die bloßen Akzidenzien.“ (Ebd.) Übertragen auf Theorien geteilter Intentionalität knüpft Burke mit seinem Begriff der consubstantiality explizit an die Konsubstantiationslehre an. 82 Burke 1969a. S. 43. 83 Ebenso wie Identifikation und Trennung in einem produktiven Wechselspiel stehen, so auch die darauf aufbauenden sozialen Phänomene der Kooperation und der Ausbeutung. In diesem Sinne schreibt Burke: „When two men collaborate in an enterprise to which they contribute different kinds of services and from which they derive different amounts and kinds of profit, who is to say, once and for all, just where ‘cooperation’ ends and one partner’s ‘exploitation’ of the other begins? The wavering line between the two cannot be ‘scientifically’ identified; rival rhetoricians can draw it at different places, and their persuasiveness varies with the resources each has at his command.“ (Ebd. S. 25.) 84 „We have considered two main aspects of rhetoric: its use of identification and its nature as addressed.“ (Ebd. S. 45.) 85 Kramer 2012. Sp. 378.
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3.3 Theoria – Über Erkennen und Finden Wenden wir uns nun dem dritten Aspekt der aristotelischen Rhetorikbestimmung zu: der Rhetorik als Findungskunst. Wenn Aristoteles die Rhetorik bestimmt als die Kunst, in allem das möglicherweise Überzeugende zu sehen, so benutzt er mit dem Wort ‚theoresai‘ einen Ausdruck, der in drei Weisen gelesen werden kann. Zum einen bezeichnet theoria das Sehen von etwas, meint dabei zweitens das Erkennen dieses etwas als etwas und wird drittens hier in dem Sinne verwendet, dass dieses Erkennen von etwas als etwas in Form einer techne praktiziert zum methodisch angeleiteten Finden wird.86 In dieser Weise betont auch Christof Rapp, dass Aristoteles mit diesem Ausdruck an dieser Stelle ein Finden meint.87 Die Rhetorik ist demnach bestimmt als eine Findungskunst, also eine Sammlung angeleiteter und methodisch vermittelter inventiver Techniken und wir können die aristotelische Bestimmung unter Einbezug der vorangegangenen Überlegungen auch wie folgt wiedergeben: Die Rhetorik ist die regelgeleitete Kunst in allen Redegegenständen das mögliche Identifikationspotential zu finden. „Innerhalb des Systems der klassischen Rhetorik bestimmt sich die Erfindungskunst (inventio) als Kunst des bewusst methodischen Auffindens von topischen Gesichtspunkten für jeden beliebigen Redeanlass.“88 Die inventio als erste Phase des rhetorischen Produktionsprozesses gereicht im aristotelischen Verständnis zum Bestimmungsmerkmal der Rhetorik überhaupt. Damit wird jedoch keineswegs die Bedeutung der anderen Phasen herabgesenkt, denn auch wenn das möglicherweise Überzeugende gefunden wurde, ist der persuasive, also auf Identifikation zielende Prozess, keineswegs abgeschlossen. Das Gefundene muss strategisch geordnet (dispositio), angemessen formuliert (elocutio), je nach Medium aufbereitet (memoria) und überzeugend präsentiert (actio/pronuntiatio) werden. Die inventio aber stellt als Beginn des rhetorischen Prozesses zugleich auch deren Ermöglichungsgrund dar und kann daher hier als vorrangig behandelt werden. Dahinter steht die – nicht nur von Aristoteles vertretene – Auffassung, dass das, was die Kraft hat, glaubenerweckend und überzeugend zu wirken, also die Kraft hat, Identifikationen der Publikumsinstanz 86 Dass es sich hierbei um ein Finden handelt, wird auch deutlich an der Stelle, wenn Aristoteles die kunstgemäßen (artifiziellen) Überzeugungsmittel von den kunstfremden (inartifiziellen) Überzeugungsmittel unterscheidet. Während die letzteren nämlich bloß zu ‚gebrauchen‘ seien, müssten die ersteren durch die rhetorische Kunst (daher auch kunstgemäß) ‚gefunden‘ werden (Vgl. Arist. Rhet. 1356a1.). Rapp führt dazu weiter aus: „Im vorliegenden Zusammenhang ist das Auffinden gegenüber dem Gebrauch höher einzuschätzen, weil genau das erst gefunden oder beschafft werden muss, was schon vorliegt, wenn man sich nur noch Fragen des richtigen Gebrauchs stellt“ (Rapp 2002. S. 138.). 87 Vgl. Ebd. 88 Oesterreich, Peter L.: Philosophie der Rhetorik. Bamberg 2003. S. 39.
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mit der orator-Instanz und dem dargelegten Redegegenstand anzustoßen, nicht (immer) offensichtlich ist. Auch wenn in der alltäglichen Kommunikation eine methodische Findungskunst nicht notwendig zu sein scheint und auch im hier verhandelten Bereich des Designs eine solche techne in der gängigen Praxis scheinbar nicht vorausgesetzt werden kann (und das obwohl innerhalb beider Felder hinreichend oft rhetorisch gelungen argumentiert und überzeugt werden kann), so macht die Rhetorik dennoch den Aspekt stark, dass ein Finden des möglicherweise Überzeugenden notwendig ist, um schließlich auch überzeugen zu können. Dass dies im Alltag und – wie noch zu zeigen sein wird – auch im Designbereich oftmals ohne explizite Rhetorikkenntnisse gelingt, darf nicht als ein Zeichen verstanden werden, nach dem in diesen Bereichen auf inventive Techniken verzichtet werden könnte, sondern gerade vielmehr als ein Zeichen der Ubiquität der inventio. Eben diesen Aspekt betont Oesterreich mit dem Ausdruck des „fundamentalen Erfindenkönnens“89. Nach Oesterreich gehört das Finden- bzw. Erfindenkönnen wesentlich zur „Seinsart“90 des Menschen, dessen Seinkönnen als gesellschaftliches Selbst gerade darin besteht, „in seinem relativ-natürlichen persuasiven Können, durch werbende und überzeugende Rede die von ihm vertretene Welt-Sinn-Deutung öffentlich zu realisieren.“91 Die kunstrhetorische inventio beruht in der fundamentalrhetorischen Sicht Oesterreichs auf der „inartifiziellen Kompetenz existentiell-pragmatischer Sinnfindung in der lebensweltlichen Öffentlichkeit“92. Von einer ebenso fundamentalrhetorischen Perspektive aus betont auch Burke in seiner Erörterung der Reichweite des Rhetorischen die Alltäglichkeit und bisweilen sogar Banalität erfolgreicher rhetorischer Strategien: „And often we must think of rhetoric not in terms of some one particular address, but as a general body of identifications that owe their convincingness much more to trivial repetition and dull daily reinforcement than to exceptional rhetorical skill.“93 Wie zu zeigen sein wird, bedient sich aber auch der Designer einer methodischen oder zumindest methodisierbaren Findungskunst. Und wenn in der Designtheorie oftmals nicht gesehen wird, dass diese Techniken ihren systematischen Ort in einer Rhetorik des Designs haben (oder zumindest haben könnten), so deutet dies nicht in Richtung einer vermeintlichen Abwesenheit rhetorischer Techniken, sondern vielmehr auf eine Lücke in der erst entstehenden Designtheorie. Da über dieses Thema bereits an anderer Stelle gesprochen wurde, soll die Diskussion hier zurückgestellt werden; es gilt, vorerst einzuführen, was innerhalb der klassischen Rhetorik in Bezug auf das methodische Finden hervorgebracht wurde und welche Rolle dies in der vorliegenden Arbeit spielt. 89 Vgl. Oesterreich 1990. S. 104-118. Vgl. auch Oesterreich 2003. S. 39-42. 90 Oesterreich 1990. S. 105. 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Burke 1969a. S. 26.
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Die klassische Rhetorik hat zum Zweck der Findung vor allem die Topik und die Statuslehre hervorgebracht. „Die status-Lehre methodisiert die Findung der für die jeweilige Redesituation entscheidenden Fragestellung und die Topik das Auffinden der sach- und personenbezogenen Argumentationsgesichtspunkte.“94 Die Statuslehre geht auf Hermagoras von Temnos zurück, der mit dieser Lehre das Ziel verfolgt, eine Methode bereitzustellen, die es erlaubt, im juristischen Kontext den genauen Streitfall näher zu bestimmen, und damit es eben auch erlaubt, gezielt nach Argumenten für die eigene Sache zu suchen. „Jede Hypothese, jeder Einzelfall, lehrte er, gründe sich auf sieben Peristasen oder Umstände: auf Personen, Handlungen, die Zeit, den Ort, das Motiv, die Art und Weise, die Hilfsmittel – quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando, wie ein berühmter Merkvers lautete.“95 Jede dieser Peristasen ermöglicht es, einen Zugang zu einem konkreten Fall zu finden und auf einen bestimmten Aspekt zu fokussieren, um auf diese Weise zum einen jeden Bereich in der nötigen Tiefe auf möglicherweise rhetorisch Nützliches zu untersuchen und zum anderen, beim Durchgang durch alle Peristasen, die nötige Breite oder Vollständigkeit der Suche zu gewährleisten. „Das System der Status diente als eine Art Schablone, die über den je gegebenen Stoff gelegt wurde und so das Problem hervortreten ließ, um das es in dem betreffenden Falle ging.“96 Speziell für die juristische Rede unterscheidet die Statuslehre des Hermagoras vier status: Der status coniecturalis fragt danach, ob eine Tat überhaupt begangen wurde. Ist diese Frage geklärt, so fragt der status definitivus, wie die Tat strafrechtlich definiert werden müsse. Ist auch dies geschehen, bleibt mit dem status qualitatis die Frage nach möglichen Strafmilderungen, nach Rechtfertigungen der Tat, etc. Schließlich kann mit dem letzten status (der translatio) nach der Rechtfertigung des Verfahrens gefragt werden. Diese Form der Statuslehre soll hier aufgrund ihrer rein juristischen Ausrichtung nicht weiter berücksichtigt werden. Die allgemeine Form der Fragetechnik, die oben erwähnt wurde, aber fand eine produktive Weiterentwicklung in Burkes Theorie des Pentads. Auch wenn die Statuslehre in der modernen Rhetorik, wie Michael Hoppmann betont, eher marginalisiert wird und dieser nur wenig Aufmerksamkeit zukommt,97 so liefert Burke eine methodische Weiterentwicklung dieses Konzepts. Auch wenn dieser nicht explizit die antike Statuslehre zitiert, ist Burkes Konzept des Dramatismus und sein Pentad als dessen methodisches Kernstück einer vergleichbaren Idee verpflichtet: eine möglichst vollständige und universale Suchmethode menschlicher Motive zu entwickeln, so dass Handlungen verstehbar werden. Das Pentad umfasst dabei fünf zentrale und 94 Oesterreich 1990. S. 105. 95 Fuhrmann, Manfred: Die antike Rhetorik. Düsseldorf 2008. S. 99. 96 Ebd. S. 103. 97 Vgl. Hoppmann, Michael: Statuslehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 8. Tübingen 2007. Sp. 1327-1358. Sp. 1353.
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– für Burke – universale Kategorien zur vollständigen Beschreibung menschlicher Handlungen: act, scene, agent, agency, purpose. „In a roundabaout statement about motives, you must have some word that names the act (names what took place, n thought or deed), and another that names the scene (the background of the act, the situation in which it occurred); also, you must indicate what person or kind of person (agent) performed the act, what means or instruments he used (agency), and the purpose“.
98
Jedoch wendet Hermann Holocher ein, dass Burkes Pentad ein explizites Mittel der Dialektik und eben nicht der rhetorischen inventio sei,99 und beruft sich dabei auf eine Reaktion Burkes auf die Rezeption des Pentads: „Irmscher macht aber einen Fehler, indem er das Pentad mit Aristoteles‘ Topik vergleicht. In der Rhetorik zum Beispiel sagt Aristoteles‘ Liste dem Schreiber, was er sagen soll, das Pentad aber sagt dem Schreiber tatsächlich, was er fragen soll […]. Meine Aufgabe war es nicht dem Schreiber dabei zu helfen zu entscheiden, was er vielleicht sagen soll, um einen Text zu produzieren. Es war [meine Aufgabe], dem Kritiker zu helfen, wahrzunehmen, was in einem Text vor sich geht, der bereits geschrieben ist. In dem einen Fall führt die Prozedur zu einem Text, im anderen beginnt sie mit einem Text.“100
Wie Holocher weiter ausführt, nimmt Burke hier allerdings eine widersprüchliche Haltung ein, insofern ‚zu einem Text führen‘ und ‚von einem Text ausgehen‘ in dessen dramatistischer Sichtweise gar keinen Unterscheid mache.101 Aber auch wenn Burke hier den Bezug zur Topik ablehnt, lässt sich mit dem Verweis auf die Statuslehre eben noch nicht die Verwendung des Pentads in der rhetorischen inventio ausschließen,102 insbesondere insofern die Statuslehre eben auch eine Methode gezielten 98
Burke 1969b. S. XV. Burkes Pentad in Frageform: „be it as it may, any complete statement about motives will offer some kind of answer to these five questions: What was done (act), when or where it was done (scene), who did it (agent), how he did it (agency), and why (purpose).“ (Ebd.)
99
Vgl. Holocher, Hermann: Anfänge der New Rhetoric. Tübingen 1996. S. 124.
100 Zit. nach Holocher 1996. S. 124. FN 58. 101 Vgl. ebd. 102 In einem kleinen Aufsatz von Burke zur dramatistischen Methode führt er selbst die Statuslehre als Schlusspunkt einer historischen Verweiskette an. Burke zeigt in diesem Aufsatz, wie das, was er mit dem Pentad als dramatistische Methode entwickelt, bereits theoriegeschichtlich vor ihm gedacht wurde. In dieser Weise verweist Burke hier auf Mead, Richards, Parsons, Hume, Aristoteles und eben auch auf die Statuslehre. Vgl. Burke, Kenneth: Dramatism. In: International Encyclopedia of the Social Sciences. Hrsg. von David L. Sills. 7/1968. S. 445-447.
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Fragens ist. Es wird zu fragen sein, inwiefern eine vollständige dramatistische Analyse von Designprodukten möglich ist oder inwiefern diese besser innerhalb der Relationen zu analysieren sind, die Burke mit scene-act-ratio und agency-scene-ratio bezeichnet. Diese Relationen werden im kommenden Teilkapitel zum Ausgangspunkt genommen. Von größerer Bedeutung aber als die Statuslehre und Burkes Pentad ist sicherlich die Topik. Da auf dieses Thema detailliert noch einzugehen sein wird, kann es im vorliegenden Kapitel kurzgehalten und vereinfacht dargestellt werden. Das griechische Wort ‚topos‘ „bezeichnet ursprünglich ganz konkret einen Ort, eine Stelle, einen Platz.“103 Als metaphorischer Ort dient dieser dem Redner zum einen zum Auffinden von Argumenten für einen konkreten Fall, zum anderen als Mnemotechnik für den Vortrag. Der topos ist für Cicero damit der sedes und domicilia der Argumente.104 Roland Barthes beschreibt die Topik als die Lehre der rhetorischen topoi in dreifacher Weise. Die Topik ist „1. eine Methode; 2. ein Raster von Leerformen; 3. ein Vorrat ausgefüllter Formen.“105 Diese dreifache Bestimmung macht bereits deutlich, was innerhalb der topos-Forschung durchweg beklagt wird, nämlich, dass der Begriff des topos in der klassischen Rhetorik unzureichend bestimmt wurde und dass in seiner theoriegeschichtlich späteren Ausdifferenzierung und Weiterentwicklung immer weitere Teilbereiche unter diesen Begriff subsumiert wurden. Die Liste möglicher Synonyme ist dementsprechend lang und uneinheitlich. Bleiben wir aus den pragmatischen Gründen dieses Kapitels jedoch vorerst bei der Dreifachbestimmung Barthes‘, so ergibt sich folgendes Bild: Als Methode beschreibt Barthes die Topik als eine praktische Anleitung, „die uns in die Lage versetzt, zu jedem vorgeschlagenen Gegenstand Konklusionen zu liefern, die aus wahrscheinlichen Gründen gewonnen werden.“106 Zu diesem Zweck bedient sich die Topik der anderen beiden Bereiche, die Barthes unterscheidet. Als eine Sammlung von Leerformen bietet die Topik ein Raster. „Dem Redner wird ein Gegenstand (quaestio) aufgegeben; um Argumente zu finden, lässt der Redner seinen Gegenstand über ein Raster von Leerformen ‚gleiten‘: aus dem Kontakt zwischen dem Gegenstand und jedem einzelnen Feld (jedem ‚Platz‘) des Rasters (der Topik) entspringt eine mögliche Idee, die Prämisse eines Enthymems.“107
103 Ostheeren, Klaus: Topos. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 630-697. Hier: S. 631. 104 Vgl. ebd. S. 634. 105 Barthes, Roland: Die alte Rhetorik. In: Ders.: Das semiologische Abenteuer. Frankfurt am Main 1988. S. 67. 106 Ebd. S. 68. 107 Ebd.
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Was Barthes hier beschreibt, ist – obgleich es sich um eine moderne Konzeption und nicht um eine Wiedergabe antiker Systematiken handelt – letztlich genau das, was oben unter dem Begriff der Statuslehre beschrieben wurde. Selbige stellt nach der Auffassung Barthes also einen nicht von der Topik zu trennenden Teil dar. Schließlich beschreibt Barthes die Topik als Speicher, als Vorrat angefüllter Formen und meint damit die Bedeutung von ‚Gemeinplatz‘, die in diesem Kontext fast treffender mit ‚Klischee‘ ausgedrückt ist. Beispielsweise den von Curtius aufgelisteten topos der affektierten Bescheidenheit, bei dem jeder Redner verkünden muss, dass er von seinem Gegenstand erdrückt werde, dass er ihm nicht gewachsen sei und dass diese Feststellung nichts mit Koketterie zu tun habe.108 Worum es in der Topik stets geht, ist das Finden möglicher Identifikationsangebote, die im rhetorischen Produktionsprozess dann schließlich auf ihre Tauglichkeit in der bevorstehenden Redesituation und auf ihre Angemessenheit gegenüber dem Redegegenstand und Redeziel hin überprüft werden müssen: Zur ars inveniendi (Kunst des Findens) muss sich immer auch die ars iudicandi (Kunst des kritischen Entscheidens) gesellen, um Mittel und Strategien der Identifikation finden und evaluieren zu können. In dieser Formulierung wird klar, dass Identifikation – wie oben beschrieben – nicht nur Ziel der Rhetorik ist, sondern zugleich ihr stärkstes Mittel. Daher kann man Jasinskis Bemerkung teilen, wenn er sagt: „Conceptualizing identification as a ‘means’ typically led scholars to look for strategies of identification.“109 Was die Topik liefern kann, ist eine Sammlung möglicher Strategien, in einem gegebenen kommunikativen Setting erfolgreich agieren zu können. Auf dieses Thema wird noch ausführlich zurückzukommen sein. Hier gilt es, festzuhalten, dass es das Ziel dieser Arbeit sein wird, nach den Möglichkeiten einer Topik des Designs zu fragen; das heißt zu fragen, inwieweit Strategien der Identifikation durch Formgebung und gezielten Bild- und Wortgebrauch auffindbar, benennbar und generalisierbar sind. 3.4 Die rhetorische Situation – Motivationaler Situationsbegriff Nachdem das dieser Arbeit zugrundeliegende Rhetorikverständnis durch eine Explikation der aristotelischen Bestimmung gegeben wurde, bleibt ein Begriff – genauer ein Begriffsbündel – einzuführen, das notwendig sein wird, wenn es darum gehen soll, rhetorische Dimensionen in Designprodukten, wayfinding-Systemen oder städtebaulichen und architektonischen place-making-Konzepten auszumachen. Eine Rhetorik des Designs setzt – wie noch zu zeigen sein wird –, wenn sie mehr sein will
108 Vgl. ebd. S. 69f. 109 Jasinski 2001. S. 306.
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als eine bloße Übertragung sprachlicher Figuren und Tropen in die Bereiche des Visuellen und Materiellen, einen rhetorischen Begriff der Situation voraus. Der Begriff der Situation kann innerhalb der Rhetoriktheorie in zweifacher Weise verstanden werden: Als die rhetorische Situation beschreibt der in dieser Weise 1968 von Lloyd F. Bitzer eingeführte Begriff ein bestimmtes kommunikatives Setting, das rhetorische Bemühungen und Interventionen überhaupt erst möglich und bisweilen auch nötig macht. Mit dem Begriff der rhetorischen Situation ist nach Bitzer also die Bedingung der Möglichkeit von Rhetorik gemeint. Auf der anderen Seite kann der Situationsbegriff genau umgekehrt auch als das Resultat rhetorischer Prozesse gesehen werden. Dieser Aspekt wird im Weiteren anhand einer Kritik an Bitzers Modell der rhetorischen Situation entwickelt. Schließlich soll durch die Darstellung des zirkulären Wechselverhältnisses von Situation, Motiv und Handlung bei Burke versucht werden, eine rhetorische Bestimmung des Situationsbegriffes zu geben, die der Dynamik rhetorischer Prozesse gerecht wird, indem die Striktheit der Opposition von Situation als Bedingung rhetorischen Handelns und Situation als Ergebnis rhetorischen Handelns zugunsten eines inklusiven Modells aufgegeben wird. Bitzer führt den Begriff der rhetorischen Situation wie folgt ein: „Rhetorical situation may be defined as a complex of persons, events, objects, and relations presenting an actual or potential exigence that can be completely or partially removed if discourse, introduced into the situation, can so constrain human decision or action as to bring about the significant modification of the exigence.“110
Eine rhetorische Situation ist nach dieser Bestimmung also stets durch irgendein konkretes und mehr oder weniger dringliches Problem gekennzeichnet, das – wenigstens potentiell – diskursiv gelöst oder geklärt werden kann. Rhetorische Situationen sind demnach Gegebenheiten, die nach rhetorischem Handeln als Problemlösehandeln verlangen, das selbst wiederum die vorgängige Situation zur Bedingung hat. Um rhetorisch problemlösend wirken zu können, bedarf es für Bitzer zweier weiterer Größen: Der Zuhörerschaft, die er sich in Folge dieser problemorientierten Bestimmung als „mediators of change“111 vorstellt, und situations- und publikumsspezifischer Bedingungen und Einschränkungen. „Für Bitzer ist eine rhetorische Situation durch ein dringliches Problem (exigence), eine von dem Problem betroffene Zuhörerschaft (audience) und spezifische Beschränkungen (constraints) wie geteilte Werte und Überzeugungen gekennzeichnet.“112 110 Bitzer, Lloyd F.: The rhetorical situation. In: Contemporay Rhetorical Theory. Hrsg. von John Louis Lucaites, Celeste Michelle Condit und Sally Caudill. New York 1999. S. 217225. Hier: S. 220. 111 Ebd. S. 221. 112 Kramer, Olaf; Gottschling, Markus: Rhetorische Situation. In: Historisches Wörterbuch
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Durchaus mit einer gewissen Übereinstimmung mit Aristoteles, der die Rhetorik nur dort vonnöten sieht, wo Dinge und Ereignisse unterschiedlich bewertet werden können, bestimmt Bitzer: „An exigence which cannot be modified is not rhetorical; thus, whatever comes about of necessity and cannot be changed – death, winter, and some natural disasters, for instance – are exigencies to be sure, but they are nonrhetorical. An exigence is rhetorical when it is capable of positive modification and when positive modification requires discourse or can be assisted by discourse.“113
Hiergegen kann durchaus eingewendet werden, dass letztlich nicht klar ist, wo die Grenze zwischen dem Bereich des Rhetorischen und dem des Nichtrhetorischen zu ziehen ist – bedenkt man, dass auch unabhängig vom Diskurs eintretende Ereignisse wie Tod, Winter oder natürliche Katastrophen deswegen noch nicht aus dem Bereich der Rhetorik fallen müssen. Eingebettet beispielsweise ins christliche Denken und Reden ist der Tod auch eine Herausforderung, die positiv im Diskurs (Beichte, Predigt etc.) modifiziert werden kann. Auf der anderen Seite können selbst scheinbar leicht zu ändernde Ereignisse aus dem Bereich der Rhetorik herausfallen, wenn diese für ‚gottgegeben‘ oder ‚alternativlos‘ erklärt und verstanden werden. Festzuhalten bleibt aber, dass Bitzer mit dieser Bestimmung in Übereinstimmung mit allen bisher angeführten Rhetoriktheoretikern den Wechsel zum Kerngeschäft der Rhetorik macht, wobei dieser Wechsel die prinzipielle Wechselbarkeit voraussetzt. Vor dem Hintergrund der Betonung des Wechsels und der Lösung des Problems schränkt Bitzer das Publikum rhetorischen Handelns pragmatisch auf diejenigen ein, die die Ressourcen, die Macht oder anderweitig die Möglichkeiten dazu haben, eine rhetorisch vermittelte Problemlösung auch herbeizuführen oder wenigstens – in zweiter Reihe – direkten Einfluss auf Personen ausüben können, die diese Möglichkeiten haben. Das Publikum besteht folglich nur „of those persons who are capable of being influenced by discourse and of being mediators of change.“114 Jasinski fasst diese Auffassung des Publikums zusammen, wenn er sagt: „In short, a rhetorical audience is open to, and interested in, the discourse and possess the capacity to act as a mediator of change.“115 Durchweg zeigt sich hierin das restriktive Rhetorikverständnis Bitzers. Verkürzt dieser mit der Verengung auf konkrete dringende Problemlagen den Bereich der Rhetorik schon auf die Formen der Beratungsrede zu Lasten der ebenso
der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 1126-1132. Hier: Sp. 1126. 113 Bitzer 1999. S. 221. 114 Ebd. 115 Jasinski 2001. S. 515.
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klassischen Redeanlässe wie der epideiktischen oder gerichtlichen Rede, so stellt Bitzer mit dieser Beschreibung der Publikumskonditionen sich ein Publikum vor, das zwar sicherlich oftmals wünschenswert erscheint – offen für Ergebnisse, interessiert am Diskurs, bereit, seine Möglichkeiten zum Wechsel einzubringen –, aber sicherlich nicht der kommunikative Regelfall ist. Eben weil er das nicht ist, entwickelt die klassische Rhetorik bereits eine ausgefeilte dispositio-Lehre, die dem exordium (der Einleitung) etwa Elemente zur Steigerung des attentum parare und der captatio benevolentiae empfiehlt. Schließlich führt Bitzer spezifische Beschränkungen ein: „These circumstances can include history (e.g., past events, traditions); people; present events; recognized facts, values, and beliefs; discursive conventions, written documents (e.g., contracts, letters); authoritative documents (e.g., the Bible, the U.S. Constitution); physical location; and other important economic, social, and cultural factors.“116
Jasinski versteht Bitzers Ausführungen dieser Beschränkungen in der Weise, dass selbige „are, in effect, mini-exigences; they are secondary problems that an advocate must negotiate or deal with to resolve the dominant exigence.“117 Hier zeigt sich, was oben mit Knape als das Überwinden von Hindernissen beschrieben wurde. Wie aber auch schon in der Auseinandersetzung mit Knape gesagt wurde, ist nicht der Prozess der Überwindung das tragende Geschäft der Rhetorik, sondern der Prozess der Identifikation. Alle diese spezifischen Beschränkungen sind, wie auch Jasinski ausführt, eben nicht nur zu überwindende Beschränkungen, sondern auch „resources that the advocate tries to exploit.“118 Demnach ist das, was Bitzer mit ‚constraints‘ bezeichnet, nicht nur in dem Sinn einer Beschränkung eines zu überwindenden Hindernisses zu verstehen, sondern stellt zugleich jene Ansichten, Meinungen und topoi dar, die zu persuasiven Zwecken genutzt werden können, indem Identifikation sich eben auch nur in diesen ‚constraints‘ ereignen kann. Schaut man auf die Quellen Bitzers, so wird ersichtlich, in welch starkem Maße er seine Auffassung der rhetorischen Situation entlang der Auseinandersetzung mit
116 Ebd. 117 Ebd. S. 516. 118 Ebd.
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dem Sozialwissenschaftler W.I. Thomas119 gewinnt. Thomas, der als Vater des methodischen Begriffs Situation gelten kann,120 bestimmte, dass „jede konkrete Tätigkeit […] die Lösung einer Situation“121 ist. Auf diese Weise wird Handeln als problemlösend und Situation als problemhaft beschrieben. Die Situation, in der sich jemand befindet, wird dabei „aufgefasst als Summe der Faktoren, welche die Verhaltensreaktion bedingen.“122 Situationen sind also – wie auch bei Bitzer – klarer Weise nicht nur die räumlich-materiellen Gegebenheiten, sondern die Situation schließt darüber hinaus auch ganz maßgeblich die sozialen Beziehungen mit ein. Im Gegensatz zu Bitzer sind Situationen aber deswegen nicht einfach die Bedingungen rhetorischen Handelns, sondern selbst eingebunden in rhetorische Prozesse. Auch wenn Thomas nicht explizit von der Rhetorik der Situation spricht, so lässt sich diese doch deutlich darin ablesen, dass Situationen für Thomas nicht einfach objektiv gegeben sind. Neben dem Begriff der Situation führt Thomas daher den Begriff der ‚Definition der Situation‘ ein. Das Verhältnis dieser beiden Begriffe charakterisiert Edmund H. Volkart wie folgt: „Der Begriff der Definition der Situation ist […] eine notwendige Ergänzung zum Begriff der Situation selbst. Im wirklichen Leben besteht niemals das eine ohne das andere, und so können sie auch nicht getrennt erörtert werden. Die Definition der Situation ist sogar das Bindeglied, durch welche Erfahrung und Anpassungsverhalten mit der Situation verknüpft werden.“123
Der Begriff Situation, der den handlungsleitenden Kontext bestimmt, bedarf des Begriffes der Definition der Situation, da Situationen erst handlungsleitend werden können, wenn diese als eine bestimmte Situation interpretiert worden sind. Dieser Interpretationsakt steckt hinter der Formulierung ‚Definition der Situation‘. Jedoch ist diese Definition nicht einfach eine individuelle Bestimmung, sondern – daher wird hier wohl auch von einer Definition gesprochen – abhängig vom sozialen Kontext, von der Interaktion mit anderen Menschen und – vor allem – mit der kulturprägenden
119 Thomas ist vor allem bekannt für das nach ihm benannte Theorem, demnach gilt: „Wenn die Menschen Situationen als real definieren, so sind auch ihre Folgen real.“ (Thomas, William I.: Person und Sozialverhalten. Hrsg. von Edmund H. Volkart. Neuwied am Rhein 1965. S. 114.) 120 Vgl. Kramer/Gottschling 2012. Sp. 1130. 121 Zit. nach: Volkart, Edmund H.: Einführung. Soziales Verhalten und Definition der Situation. In: Thomas, William I.: Personen und Sozialverhalten. Hrsg. von Ders. Neuwied am Rhein 1965. S. 11-51. Hier: S. 19. 122 Thomas, William I.: The Relation of Research to the Social Process. In: Swann, W.F.G. u.a.: Essays on Research in the Social Sciences. Washington 1931. S. 189f. 123 Volkart 1965. S. 20.
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Kraft von Institutionen und dem was Thomas als Primärgruppe oder „spezielle Situationsdefinierer“124 bezeichnet, und was Volkart wiedergibt als „Meinungsmacher“125. Wenn auf der einen Seite also gilt, was Thomas schreibt: „Jeder Anpassungsbemühung geht eine Entscheidung über das Handeln oder Nichthandeln, über einen gegebenen Maßstab voraus, und vor dieser Entscheidung liegt wiederum eine Definition der Situation, d.h. eine Interpretation oder ein Standpunkt und schließlich eine Richtlinie und ein Verhaltensmuster. Auf diese Weise werden rasche Urteile und Entschlüsse an jedem Punkt des täglichen Lebens zustande gebracht.“126
Auf der anderen Seite wird aber der Einfluss von Meinungsführern und Institutionen, aber auch die Abhängigkeit vom Sozialverhalten anderer, betont. So wird damit natürlich auch klar: Menschen können durch den Gebrauch bestimmter Mittel Einfluss auf die Definition der Situation ausüben und damit letztlich auch direkt Einfluss auf die Handlungsoptionen und Handlungspräferenzen anderer Menschen. Den Einsatz solcher Mittel können wir als Rhetorik beschreiben und die Mittel als rhetorische Mittel ausweisen, deren Ziel hauptsächlich darin bestehen wird, dem Publikum Identifikationsangebote zur Bedeutungskonstitution zu machen. Im Sinne Burkes kann dann gesagt werden: „Wherever there is persuasion, there is rhetoric. Wherever there is meaning, there is persuasion.“127 In dieser Weise charakterisiert auch Richard E. Vatz in der Nachfolge von Bitzer und mit der darin enthaltenen Kritik an Bitzers Vorstellung von der Objektivität der Situation: „No situation can have a nature independent of the perception of its interpreter or independent of the rhetoric with which he chooses to characterize it.“128 Problematisch an diesem Situationsmodell ist, wie es Kramer und Gottschling als einen wesentlichen Kritikpunkt an diesem Modell herausstellen, dass es, obgleich theoretisch grundlegend, doch nicht eindeutig definiert und damit empirisch nicht verwertbar ist.129 Zwar lassen sich die physischen Gegebenheiten einer Situation exakt beschreiben, doch ist damit wenig über die Situation ausgesagt, wie sie vom Einzelnen aufgrund bestimmter Einstellungen, Wahrnehmungsweisen und sozialer Zwänge wahrgenommen wird. Wie Kramer und Gottschling auch betonen, hat sich dieses Problems Hartmut Esser angenommen und versucht, ein Situationsmodell zu 124 Volkart 1965. S. 21. 125 Ebd. 126 Zit. nach ebd. S. 20. 127 Burke 1969a. S. 172. 128 Vatz, Richard E.: The Myth of the Rhetorical Situation. In: Contemporary Rhetorical Theory. Hrsg. von John Louis Lucaites, Celeste Michelle Condit und Sally Caudill. New York 1999. S. 226-231. Hier: S. 226. 129 Vgl. Kramer/Gottschling 2012. Sp. 1130.
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entwickeln, das eine empirische Verwertbarkeit ermöglichen soll. Es sei gleich vorweg gesagt, dass auch Essers Modell diesem Anspruch laut Kramer und Gottschling nicht gerecht wird. In seinem Eintrag zum Stichwort „Situationsdefinition und Wissensmuster im ‚Modell der soziologischen Erklärung‘“130 beschreibt Rainer Greshoff das Modell Essers als wissenssoziologisches Modell in drei Untersuchungsaspekten: Die „Logik der Situation“131 macht den bereits mit Thomas beschriebenen Aspekt deutlich, dass Situationen nicht einfach kausal auf die Akteure wirken. „Alles was geschieht, ist eine fortlaufende Strukturierung der Bedingungen für die ‚sinnhafte‘ Wahl eines bestimmten Handelns der jeweiligen Akteure“132, wobei die Wahl eines Handelns dahingehend verstanden werden kann, „dass soziale Situationen als strukturierte Umstände Akteure dazu bringen, in bestimmter Weise zu handeln.“133 Die „Logik der Selektion“134, der zweite Aspekt bei Greshoff, betrifft vor allem zweierlei: „Zum einen werden hier die coverten Selektionen erklärt, über die sich die einzelnen Akteure in der Situation orientieren, zum anderen deren overte, auf jeweilige Andere ausgerichtete Handlungen.“135 Es wird also unter dem Stichwort der Logik der Selektion erklärt, wie die Akteure Situationen definieren (framing), das heißt, welches Modell einer möglichen Situation sie bezüglich der gegebenen Lage auswählen. Schließlich werden aber auch die Selektionsprozesse in den Blick genommen, die das overte Handeln, also das, was auch für andere sichtbar ist, steuern. Es ist offensichtlich, dass ein Verständnis der Handlungen anderer stets von diesen overten Handlungen seinen Ausgang zu nehmen hat, und die dahinter liegenden coverten Selektionsmuster letztlich nur spekulativ erschlossen werden können.136 Für Esser gilt: Erst „wenn ein Akteur mittels einer [bestimmten] Vorstellung von einer Situation eine 130 Greshoff, Rainer: Situationsdefinition und Wissensmuster im ‚Modell der soziologischen Erklärung‘. In: Schützeichel, Rainer (Hrsg.): Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung. Konstanz 2007. S. 418-432. 131 Ebd. S. 425. 132 Esser, Hartmut: Soziologie. Spezielle Grundlagen. Bd. 1: Situationslogik und Handeln. Frankfurt am Main 1999. S. 31. 133 Greshoff 2007. S. 425. 134 Ebd. S. 426. 135 Ebd. 136 Dies ist letztlich auch der Grund, warum auch Essers Modell empirisch kaum verwertbar ist. Vgl. dazu die Bemerkung von Kramer und Gottschling: „Der Schlüssel zum Verständnis menschlichen Verhaltens in kommunikativ-sozialen Interaktionen liegt also im Erkennen der subjektiven Definition der Situationsbegebenheiten einzelner Interaktionspartner. Die Schwierigkeit diese empirisch zu erheben, kann jedoch auch Essers operationales Modell der Situationsanalyse nicht beseitigen, da nur die äußeren Bedingungen zweifelsfrei analytisch erschließbar sind, die inneren Bedingungen dagegen spekulativ aus dem Verhalten erschlossen werden müssen.“ (Kramer/Gottschling 2012. Sp. 1130f.)
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Situationsdefinition vornimmt, also die Situation entsprechend ‚rahmt‘, kann überhaupt von einem Wirken von Makro auf Mikro ausgegangen werden.“137 Dieses Wirken von einer sozialen Makrostruktur auf die Mikrostruktur konkreter Handlungen wird mit Burke als die scene-act-ratio beschreibbar. Schließlich beschreibt die Logik der Aggregation als dritter Aspekt die Wirkungen der Mikrostruktur zurück in die Makrostruktur. Das heißt, dass, weil das konkrete Handeln des Einzelnen im Moment seiner Umsetzung für andere Akteure erkennbar in die soziale Situation mit eingeht und diese verändern kann, Situationen immer auch durch Interaktion ausgehandelt werden und bislang gültige Strukturen der Situation in Frage gestellt werden können. In einer Rhetorik der Situation wird diese Rolle klassisch dem orator zugesprochen, der die Situationsbestimmungen durch seine rhetorischen Handlungen insofern verändern kann, als er es schafft, Einfluss auf die Selektionsmuster seines Publikums zu nehmen. Übertragen auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit zeichnet sich bereits an dieser Stelle ab, dass ein rhetorischer Situationsbegriff es erlauben wird, Designprodukte als rhetorische Mittel zu verstehen, die eingesetzt werden, um Einfluss auf die Definition der Situation zu nehmen. Insbesondere wird es durch einen solchen Begriff möglich, auch dort von der rhetorischen Dimension des Designs zu sprechen, wo scheinbar eine Form der rhetorischen Nullstufe vorzuliegen scheint: im Informationsdesign.138 Wegweiser und Leitsysteme etwa setzen, wie vor allem Kapitel VI zeigen wird, auf eine subtile Einflussnahme auf Situationsbestimmung letztlich auch aus dem Grund, um darüber Menschen und Verkehr lenken zu können. Sie zeigen dabei weit mehr als nur den Weg zu bestimmten Destinationen. Um das nötige Vokabular zur Beschreibung von Situationen an der Hand zu haben und besonders, um den Hintergrund des hier vertretenen Situationsbegriffes klar herauszustellen, soll nun zuletzt auf die Bestimmung des Begriffes bei Burke eingegangen werden, die – bei aller Verschiedenheit – deutliche Parallelen zu dem zuletzt entwickelten Verständnis bei Thomas und Vatz hat. Im Unterschied zu Thomas trennt 137 Greshoff 2007. S. 425. 138 Dass es keine rhetorische Nullstufe im Design gibt und daher insbesondere auch von einer rhetorischen Nullstufe im Informationsdesign nicht gesprochen werden kann, ist bereits Gegenstand der Arbeit von Annina Schneller und Arne Scheuermann. Bei Schneller und Scheuermann heißt es diesbezüglich: „Der ‚Nullpunkt‘ kann nicht gestaltet werden, denn der Vorgang des ‚Gestaltens‘ bedeutet bereits eine Übersetzung, eine Intervention mit gestalterischen Mitteln.“ (Schneller, Annina; Scheuermann, Arne: Visuelle Rhetorik 2 – Regeln, Spielräume und rhetorischer Nullpunkt im Informationsdesign am Beispiel des öffentlichen Verkehrs. Bern: Y-Forschungsbericht Nr.5, 2012. S. 32.) Demnach gilt: „Neutralität ist ein Wirkziel und kein Wesensmerkmal von Informationsdesign, da es sich regelhaft beschreiben lässt. Dies bedeutet: Informationsdesign ist nicht neutral und sachlich, sondern wirkt aufgrund entsprechender Gestaltungsmerkmale so.“ (ebd. 31.)
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Burke nicht zwischen Situation und Definition der Situation – immerhin scheint es auch fraglich, ob es jenseits der Definition der Situation noch eine Situation gibt –, sondern verwendet den Begriff Situation im Zusammenhang mit den Begriffen Handlung, Motiv und Form. Da Burke nirgendwo eine geschlossene Theorie der Situation als solche entwirft, nicht zuletzt, weil ihm der Begriff des Motivs viel wichtiger ist, gilt es diese im Weiteren allererst zu entwickeln. Motive sind für Burke nicht isolierte Gründe in einem kriminalistischen Sinn, um Handlungen zu erklären, sondern allgemein linguistische Erklärungs- und Rechtfertigungsmuster, die Situationen so beschreiben, dass in ihnen erfolgte Handlungen verständlich werden. Der Begriff Motiv ist daher nur in seinem Verhältnis zu den Begriffen Situation und Handlung analysierbar und verweist zugleich stets auf eine spezifische symbolische Form des Ausdrucks eben jenes Motivs. So gehören die Begriffe Motiv, Situation, Handlung und symbolische Form für Burke untrennbar zusammen. In A Grammar of Motives schreibt Burke: „The stage-set contains the action ambiguously (as regards the norms of action) – and in the course of the play’s development this ambiguity is converted into a corresponding articulacy. The proportion would be: scene is to act as implicit is to explicit. One could not deduce the details of the action from the details of the setting, but one could deduce the quality of the action from the quality of the setting.“139
Obgleich sich demnach keine Handlung en detail aus der Situation ableiten und erklären lässt – Situationen determinieren nicht Handlungen –, in der diese enthalten ist – Burke spricht hier von „Containern and Things Contained“140 –, so lässt sich doch die Qualität einer Handlung aus der Qualität der Situation ableiten. Was aber genau ist die Qualität einer Handlung? Was ist die ihr korrespondierende Qualität einer Situation? Insofern, wie Burke schreibt, diese Qualitäten ‚the norms of action‘ betreffen, also den Rahmen abstecken, der durch die rhetorische Kategorie der Angemessenheit gekennzeichnet ist, ist die Qualität einer Handlung das ihr zugrundeliegende Motiv – sei es nun bewusst oder auch nicht bewusst. Die dieser Handlungsqualität korrespondierende Situationsqualität kann – da Burke sich dieses Korrespondenzverhältnis als Bijektion vorzustellen scheint – als Situationsmotiv beschrieben werden. Dies ist letztlich der Grund, warum Burke von Motiven sagen kann, sie seien „shorthand terms for situations“141. Insbesondere besagt dieses Verhältnis von Situation über Motiv zu Handlung (und umgekehrt), dass Situationen bereits motivational 139 Burke 1969b. S. 7. Hiermit ist die oben erwähnte scene-act-ratio charakterisiert. 140 Vgl. Burke 1969b. S. 3-20. 141 Burke, Kenneth: Permanence and Change. An Anatomy of Purpose. Berkeley 1954. S. 29. An anderer Stelle setzt Burke Situation und Motiv sogar gleich: „‘Situation‘ ist nur
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angelegt sein müssen. Andernfalls hätten diese gar keine Qualität, die zur Ableitung irgendeiner Qualifizierung von Handlungen führen könnte. Situationen sind folglich, anders als schiere Begebenheiten, bereits mit handlungsqualifizierenden und damit handlungsleitenden Bedeutungsstrukturen versehen. Daher gehören Situationen auch zum ‚realm of action‘, wohingegen bloße Begebenheiten im ‚realm of sheer motion‘ verbleiben, wo sie zwar physisch beschreibbar sind, jedoch – oder besser: gerade weil sie – keinerlei bewertbare oder qualifizierbare Bedeutungsstrukturen bieten. Oder um es klar zu sagen: So wie ein ausgestreckter Zeigefinger nichts bedeutet, so wie auch ein singulär betrachtetes Wort nichts bedeutet,142 so bedeutet auch eine bloße Anordnung von Dingen in einem Raum an sich nichts. Ein gegebener Raum erlangt erst dadurch Bedeutung, dass wir ihn beispielsweise als einen Vortragsraum für eine Tagung erfassen; genauer: Wir erfassen die Szene, die Situation, in der wir uns befinden (und das meint mehr als nur den Raum), als eine Tagungssituation.143 Diese Situationsbeschreibung lässt bereits eine Reihe von möglichen Handlungen erwarten (jemand hält einen Vortrag, einige hören ihm zu, irgendjemand im Raum schreibt etwas auf, manche runzeln die Stirn etc.) und schließt andere als unangemessen aus. Der ein anderer Ausdruck für ‚Motive‘.“ (Burke, Kenneth: Dichtung als symbolische Handlung. Eine Theorie der Literatur. Frankfurt am Main 1966. S. 25.) 142 Dies macht insbesondere das Kontexttheorem von I.A. Richards deutlich. Richards vertritt einen konsequenten Antiessentialismus, wonach es keine festen, richtigen Bedeutungen eines Wortes gibt noch eine richtige Verwendung derselben. Beides weist Richards als Aberglaube aus: „A chief cause of misunderstanding […] is the Proper Meaning Superstition. That is, the common belief […] that a word has a meaning of its own (ideally, only one). […] This superstition is a recognition of a certain kind of stability in the meaning of certain words. It is only a superstition when its forgets (as it commonly does) that the stability of the meaning of a word comes from the constancy of the contexts that give it its meaning. Stability in a word‘s meaning is not something to be assumed, but always something to be explained.“ (Richards, Ivor A.: The Philosophy of Rhetorics. New York 1936. S.11.) 143 Ein bemerkenswerter Versuch, die rhetorische Dimension von Räumen herauszustellen, ist mit Gregory Clarks Rhetorical Landscapes in America vorgelegt. Darin untersucht der Autor die Rolle, die bestimmte urbane und landschaftliche Räume bei der Konstruktion eines amerikanischen Wir-Gefühls spielen. Der hier vorgenommenen Unterscheidung von schieren Begebenheiten und motivationalen Situationen entspricht im Buch die zentrale Unterscheidung von land und landscape. „Landscape is not the same as land. Land is material, a particular object, while landscape is conceptual. When people act as tourists, they leave the land where they make their home to encounter landscapes. Land becomes landscape when assigned the role of symbol, and as symbol it functions rhetorically.“ (Clark, Gregory: Rhetorical Landscapes in America. Variations on a Theme from Kenneth Burke. Columbia 2004. S. 9.)
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Einfluss eines Motivs auf die Handlungsoptionen bzw. die Situationsbenennung (was dasselbe ist) wird in einem etwas eleganteren Beispiel von Burke besonders deutlich: „The names we give to motives shape our relations with our fellows. Since they provide interpretations, they prepare us for some function and against others, for or against the person representing these functions. Moreover, they suggest how we shall be for or against. [For example:] Call a man a villain, and you have the choice of either attacking or cringing. Call him a mistaken and you invite yourself to attempt setting him right.“144
Die eben genannten Handlungen werden durch die Situationsbestimmung als angemessen qualifiziert erfahren und ergeben das Motiv, welches diese Handlungen erklärbar macht. Die Festlegung auf die Bestimmung der Begebenheit als Tagungssituation ist dabei nicht beliebig, sondern folgt einer gewissen Formensprache (Raumanordnung, Ankündigung, das Vorhandensein eines Pults, das Schweigen des Auditoriums,145 etc.), die zum Teil wieder auf Handlungen aufbaut, die durch eben dasselbe Motiv erklärbar werden. Um es kurz zu sagen: Situationen implizieren Handlungen und diese werden auf der Grundlage von Motiven verstehbar, welche selbst wieder Kurzbegriffe für Situationen darstellen. Wenn die Situationsbestimmung auch nicht beliebig ist, so ist sie allerdings auch nicht unverrückbar. Normabweichendes Verhalten, das mitunter als unangemessen empfunden wird – eben aufgrund differenter Situationsbestimmungen –, kann durchaus als angemessen betrachtet werden, wenn die Perspektive verschoben wird und ein abweichendes Motiv als Grundlage ausgemacht werden kann. Der kommunikative, mithin auf Identifikation gründende und damit möglicherweise persuasive Austausch dieser Motive ist schließlich Gegenstand jeder rhetorischen Intervention. Jemanden von etwas überzeugen zu wollen, meint hiernach, Situationen neu zu bestimmen und damit Handlungen und Handlungsbewertungen zu beeinflussen. Um diesen Punkt deutlicher zu machen, sei noch einmal betont, dass Situationen nicht – wie etwa bei Bitzer – vor einem motivationalen Zugriff quasi objektiv vorhanden sind, sondern durch diesen überhaupt erst als eine solche-und-solche Situation bestimmt werden. Die Entstehung von Situationen ist demnach keine Reaktion oder Antwort auf ein Motiv, sondern eine handlungsimplizierende Interpretation der Wirklichkeit
144 Blankenship, Jane; Murphy, Edward; Rosenwasser, Marie. Pivotal Terms in the Early Works of Kenneth Burke. In: Landmark Essays on Kenneth Burke. Hrsg. von Barry Brummett, 71-90. Davis 1993. S. 77 145 Schon die Bestimmung einer Menge von Individuen als Auditorium folgt der Situationsbestimmung als Vortragssituation.
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durch ein Motiv, welches als – wie Burke es nennt – ‚terministic screen‘146 fungiert. Dieser terministic screen impliziert, insofern er eine Reflektion der Wirklichkeit darstellen soll, dabei stets eine Selektion der Wirklichkeit und ist damit letztlich zugleich eine Deflektion der Wirklichkeit. Oder um es in Bukes Worten zu sagen: „Any given terminology is a reflection of reality, by its very nature as a terminology it must be a selection of reality; and to this extend it must function also as a deflection of reality.“147 Es wird hier – mit dem Verweis auf Burke – eben auch deutlich, dass das, was wir oben mit Esser als die Logik der Selektion beschrieben haben, immer auch eine Logik der Deflektion ist, und damit schließlich die Ursache für Konflikt und Streit um Definitionshoheiten und deshalb auch die Einladung zur Rhetorik. Es gilt bezüglich des Verhältnisses von Motiv und Situation: „One tends to think of a duality here, to assume some kind of breach between a situation and a response. Yet the two are identical. When we wish to influence a man’s response, for instance, we emphasize factors which he had understressed or neglected, and minimize factors which he had laid great weight upon. This amounts to nothing other than an attempt to redefine the situation itself. In this respect our whole vocabulary of motivation is tautological.“148
Diese Bestimmung beschreitet tatsächlich einen anderen Weg als etwa den, der oben mit Verweis auf Bitzer skizziert worden ist. Für Bitzer gilt: „[R]hetorical discourse comes into existence as a response to a situation, in the same sense that an answer comes into existence in response to a question . […] A rhetorical situation must exist as a necessary condition of rhetorical discourse, just as a question must exist as necessary condition of an answer.“149 Burke hingegen macht ganz deutlich, dass die Auffassung, wonach Situationen Fragen sind, auf die später rhetorisch zu antworten wäre, als Bestimmung der rhetorischen Situation nicht hinreicht. Die durch persuasive Prozesse eingeleitete Perspektivverschiebung wird bei Burke charakterisiert als eben ein ‚attempt to redefine the situation itself‘. Diese Bemühungen, die Situation selbst neu zu bestimmen oder einfach anders zu definieren, bleibt freilich gebunden an den Begriff der Identifikation, insofern diese die Basis der Persuasion ist, welche gebraucht wird, um Neubestimmungen auch wirksam werden zu lassen. Wie Kramer betont, „entwickelt [Burke] den Begriff [der Identifikation] vor dem Hintergrund psychologischer und anthropologischer Theorien, nach denen menschliches Denken, Empfinden und Handeln von 146 Vgl. Burke, Kenneth: Language as Symbolic Action. Essays on Life, Literature and Method. Berkeley 1966. S. 44-62. 147 Ebd. S. 45. 148 Burke 1954. S. 220.; siehe dazu auch: Blankenship/Murphy/Rosenwasser 1993. S. 78. 149 Bitzer 1999. S. 220.
92 | R HETORIK DES D ESIGNS Motivstrukturen gesteuert ist, und geht davon aus, dass Persuasion nur durch die Beeinflussung solcher Motivstrukturen gelingen kann.“150
Aufgrund des hier zu entwickelnden Zirkels, der Motive, Situationen, Handlungen und deren kommunizierbare Fassung innerhalb einer bestimmten Form zusammenhält, meint der ‚attempt to redefine the situation itself‘ nichts anderes als eben eine persuasive ‚Beeinflussung der Motivstrukturen‘. Auf eine Bedeutung dieser Charakterisierung für die weitere Arbeit sei hier kurz hingewiesen: Wird das persuasive Moment als ein ‚attempt to redefine the situation itself‘ bestimmt, so eröffnen sich hierdurch Möglichkeiten, auch Bilder, Piktogramme, Stadtpläne und diverse Designprodukte als persuasiv zu bezeichnen. Dann kann gefragt werden, inwiefern diese Artefakte eine Veränderung der Situation herbeiführen, inwiefern sie nur dann bedeutungsvoll werden, wenn die Situation als eine so-und-so bestimmte Situation verstanden wird, inwiefern eine Handlung anhand und durch diese Artefakte eine bestimmte Situation impliziert. Designprodukte können dann als Einladungen (der Affordanz-Charakter151 von Design) betrachtet werden, eine bestimmte Handlung zu explizieren und damit eine Situation zu implizieren bzw. eine Situation zu implizieren, die eine bestimmte Form von Handlung verstehbar macht. Motive, die zu einer Neubestimmung von Situationen verhelfen, sind zugleich die Bezugsmodi in Akten geteilter Intentionalität, also in Akten, deren Ziel es ist – bei aller individuellen Differenz –, eine konsubstantielle Einheit zwischen Personen herzustellen, um ein bestimmtes Ziel gemeinsam zu erreichen. Motive sind schon deshalb als Modi des Bezugs auszuweisen, weil allein hierin bereits die Kriterien für eine gelungene oder misslungene, eine angemessene oder unangemessene Handlung geteilter Intentionalität angelegt sind. Diese Kriterien können weder aus der Konsubstantialität der beteiligten Subjekte noch aus dem Gehalt, also dem Bezugsgegenstand ihrer geteilten Intention gewonnen werden.152 Wir müssen versuchen, diesen 150 Kramer 2012. Sp. 372. 151 Zum Begriff der Affordanz siehe: Gibson, James J.: The Ecological Approach to Visual Perception. New York 1986.; Norman, Donald A.: The Design of Everyday Things. New York 2013.; Krippendorff, Klaus: Die semantische Wende. Eine neue Grundlage für Design. Basel 2013. 152 Searle scheint da anderer Meinung zu sein. Er behauptet, der Gehalt einer Intention gebe zugleich ihre Erfolgsbedingungen an. In dem intentionalen Akt: ‚Ich liebe Sally‘ stellt ‚ich‘ das Subjekt der Intention, ‚liebe‘ den Bezugsmodus und ‚Sally‘ den Gehalt dar. Allerdings ist allein der Ausdruck ‚liebe‘ handlungsimplizierend und qualifizierend. Eine bestimmte Liste von Handlungen ist unter dem Motiv der Liebe angemessen, eine andere Liste von Handlungen ist unangemessen. Vgl. Searle, John R.: Intentionalität. Eine Abhandlung zur Philosophie des Geistes. Frankfurt am Main 1987. S. 19ff.
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Punkt genauer zu fassen, da sich hierin eben das Merkmal der für intentionale Akte charakteristischen Zirkularität zeigt: Wir haben gesehen, dass Motive (die Bezugsmodi intentionaler Akte) Handlungsräume in der Weise eröffnen, als dass Handlungen als Ausdruck eines Motivs erklärbar und verstehbar werden. Motive verdecken oder verschließen zugleich andere Handlungsoptionen, die unter demselben Motiv betrachtet als unangemessen oder schlichtweg als nicht verstehbar zu betrachten wären. Dieser motivationalen Qualifizierung von Handlungen entspricht eine Qualität der Situation, die damit selbst bereits motivational bestimmt wird. Die Begriffe Situation, Handlung und Motiv sind damit zirkulär verbunden und steuern die Wahrnehmung und Bewertung der anderen Komponenten. Im Falle geteilter Intentionalität werden die Subjekte der Handlung als konsubstantielle Einheit vorgestellt, die ihre Konsubstantialität auf persuasive Identifikationsprozesse gründen. Wenn ich also sage, dass die Kriterien zur Qualifikation einer Handlung aus den ihr zugrundeliegenden Motiven als deren Bezugsmodi resultieren und eben nicht aus der konsubstantiellen Einheit noch aus dem Gehalt des intentionalen Aktes, also der Situation, die es zu transformieren gilt, so stimmt das nur insoweit, als diese Begriffe unterschiedliche Perspektiven auf dasselbe Phänomen darstellen. Eben durch die Zirkularität der Motivstruktur – das, von dem Burke sagt: „In this respect our whole vocabulary of motivation is tautological.“153 – sind die einzelnen Einheiten ineinander transformierbar. Dieser Situationsbegriff erlaubt es, nach dem ‚attempt to redefine the situation itself‘ als einem genuin rhetorischen Moment zu fragen, und genau diese Frage wird im Mittelpunkt der Analyse stehen, wenn es um Produkte des Designs geht.
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Der Begriff Methode kann, wie Temilo van Zantwijk in seinem gleichnamigen Artikel im Historischen Wörterbuch der Rhetorik deutlich macht, in Bezug auf Rhetorik zweierlei bedeuten: Zum einen kann von den Methoden der Rhetorik gesprochen werden, wobei die „Methode ein bestimmter Aspekt der unterschiedlichen Konzeptionen der Redekunst [ist], nämlich der Teil der Kunst, der sich als planendes Handeln bestimmen lässt.“154 Methoden der Rhetorik sind dann kunstgerechte Techniken der Persuasion bzw. Identifikation. Diese werden vom planenden orator bzw. Designer bewusst eingesetzt, um dem Publikum Identifikationsangebote zu machen. In dieser Hinsicht hat besonders die klassische Rhetorik ein breites Methodenwissen aufgebaut, an das in dieser Arbeit angeknüpft werden kann. Mit der Unterscheidung der 153 Burke 1954. S. 220. 154 Zantwijk, Temilo van: Methode. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 687-700. Sp. 687.
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Appellfunktionen bei Aristoteles in ethos, pathos und logos ist dabei die erste wesentliche Grobdifferenzierung dieser Techniken möglich. Die Dreiteilung der Überzeugungsmittel verortet diese innerhalb der rhetorischen Trias bestehend aus Redner, Rede und Publikum: „Die ersten nämlich liegen im Charakter des Redners [d.i. ethos], die zweiten darin, den Zuhörer in einen bestimmte Zustand zu versetzen [d.i. pathos], die dritten in dem Argument selbst, durch das Beweisen oder das scheinbare Beweisen [d.i. logos].“155 Wie van Zantwijk betont, finden sich in der klassischen Rhetorik, da diese noch keinen unabhängigen Methodenbegriff entwickelte, die Methoden der Rhetorik in allen fünf Bereichen der officium-Lehre, und zwar der inventio (der Findungskunst, wie sie oben bereits besprochen wurde), der dispositio (der Aufbaulehre zur kunstgerechten Ordnung des rhetorischen Produkts), der elocutio (der Formulierungslehre, die die Formung der Gedanken auf den größtmöglichen Nutzen im Sinne des Redeziels bestimmt), der memoria (der Einprägekunst, die immer auch eine Kunst der zweckmäßigen Mediennutzung ist) und der actio (der Präsentationskunst).156 Es ist hier nicht der Ort, um den Methodenreichtum der klassischen Rhetorik vollständig zu entfalten. Wichtig ist aber festzuhalten, dass diese Methoden der Rhetorik als Techniken der Identifikation verstanden werden und als solche den eigentlichen Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bilden. Eine Rhetorik des Designs muss es sich zur Aufgabe machen, diejenigen Techniken herauszuarbeiten, die dem Designer in der Produktion und Evaluation zur Verfügung stehen, um seine kommunikativen Ziele zu erreichen. Diese Techniken werden je nach Form des Designs zwar variieren, kommen aber darin zusammen, dass sie sich systematisieren und klassifizieren lassen und als solche dem gleichen Zweck auf unterschiedliche Weise dienen: Sie sind Mittel, die eingesetzt werden, um Einfluss auf Handlungsoptionen zu nehmen, indem sie Situationen neu bestimmen und diese Neubestimmung in einem rhetorischen, auf Persuasion zielenden Prozess kommunikativ vertreten. Damit sind sie allesamt Mittel der Identifikation durch Formgebung. Durch diese komprimierte Beschreibung des Forschungsvorhabens wird vor allem der zweite Aspekt des Methodenbegriffes deutlich betont. Neben dem Verständnis der Methode im Sinne der ‚Methoden der Rhetorik‘, gibt es auch das Verständnis der Rhetorik selbst als Methode. „Dabei geht es um methodische Orientierung durch Rhetorik in Kontexten, die nicht genuin rhetorisch sind, aber in Analogie zur artikulierten Rede methodisch durchdrungen werden.“157 Die hier angesprochene Analogie darf aber keineswegs insofern missverstanden werden, dass es darum ginge, die konkret für die Rede entwickelten Techniken der Rhetorik auf Designprodukte anzuwenden. Die Analogie besteht in den Zielen der Techniken, nicht in den Techniken selbst. Es ist dem Verständnis der 155 Arist. Rhet. I 2, 1356 a 1-5. 156 Vgl. Zantwijk 2012a. Sp. 688. 157 Ebd. Sp. 687.
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rhetorischen Dimension von Designprodukten wenig gedient, wenn etwa ein für die Rede-Rhetorik wichtiges und produktives technisches Unterscheidungswissen, wie beispielsweise das der Funktion der Redeteile, blindlinks auf Designprodukte übertragen wird. Für die Rede-Rhetorik ist es sinnvoll, darauf hinzuweisen, dass der Redner das exordium vor allem auch dazu nutzen sollte, die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen des Publikums zu gewinnen, und dass eine der Hauptaufgaben der narratio darin besteht, „erzählerisch die Ausgangsereignisse […] zu vergegenwärtigen, auf [die] sich die folgende, logisch-syllogistisch strukturierte, beweisende Argumentation bezieht.“158 Aber es ist in höchstem Maße unklar, was das exordium oder die narratio (geschweige denn die logisch-sylogistische Funktion der argumentatio) bei handlungsweisenden Leitsystemen sein soll oder in der architektonischen Umsetzung eines Platzes mit spezifischem Erlebnischarakter, in der Form eines zum Rasen einladenden Sportwagens, im Gebrauch einer Sachlichkeit, Nüchternheit und Autorität betonenden Typografie oder irgendeines anderen Designproduktes, das nicht primär durch den Gebrauch geordneter Rede zu überzeugen sucht. Für Theoretiker, deren Rhetorikverständnis entweder ausschließlich an der durchgängigen Möglichkeit der Anwendung klassischer Regeln und Methoden und dem Erkennen klassischer Figuren und Tropen hängt oder – was im Grunde dasselbe ist – die Rhetorik allein im verbalsprachlichen Bereich verorten, mag eine Rhetorik des Designs unmöglich sein. Sie wird höchstens dann möglich, wenn die sprachliche Verfasstheit auch der gestalteten Form, der Bilder oder des bebauten Raumes unterstellt wird, so dass diese sich wieder als ‚Texte‘ lesen lassen.159 Mit dem hier zugrunde gelegten Rhetorikverständnis, das auf der methodischen Initiierung von Prozessen der Identifikation beruht (und nicht auf der Möglichkeit, einen Katalog rhetorischer Sprachfiguren zu erkennen), erscheint es als möglich – und zwar unabhängig davon, ob Bilder, Formen oder Räume auch als Texte verstanden werden können. Sicher lässt sich keine der innerhalb der klassischen Rhetorik entwickelten Techniken apriori für die hier zu leistende Übertragungsarbeit ausschließen (bei Werbeplakaten kann auch die Funktionalisierung der Redeteile betrachtet werden), allerdings sollte eine Rhetorik des Designs sich nicht so ‚sklavisch‘ an die für die RedeRhetorik entwickelten Methoden binden, dass genuin designrhetorische Momente übersehen werden, und vor allem, dass die rhetorische Verfasstheit des Designs stets
158 Knape, Joachim: Narratio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 98-106. Sp. 98. 159 Wie eingangs im vorliegenden Kapitel bereits deutlich wurde, wäre hier beispielsweise zu nennen: Mühlmann 2008.
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nur als defizitär gegenüber der Rede erscheint. In Anklang an Johann Gottlieb Baumgarten160 sollte vielmehr davon ausgegangen werden, dass auch primär nicht-sprachliche Produkte ihre eigene rhetorische Vollkommenheit haben, die es zu entfalten gilt. Es lässt sich eben deshalb auch keine der klassischen Methoden der Rhetorik apriori auf Designprodukte übertragen. Vielmehr kommt es darauf an zu ermitteln, 1. inwieweit eine Analogisierung nicht nur der rhetorischen Ziele (Persuasion und Identifikation), sondern auch der rhetorischen Mittel möglich und fruchtbar ist; 2. inwieweit das Methodenrepertoire, das die Designpraxis selbst (und im Allgemeinen ohne Kenntnis der Rhetorik) entwickelt, sich für eine rhetorische Analyse eignet; und damit 3. inwieweit auch das klassische Methodenpaket erweitert oder modifiziert werden muss. Dies führt schließlich 4. zu der Frage, inwieweit die auf dieser Grundlage entwickelte Designrhetorik sich sinnvoll nicht nur als Beschreibungsinstrument des Designs, sondern – im Sinne einer rhetorica utens – auch als Hilfsmittel der Kreation, Evaluation und Vermarktung entwickeln lässt, kurz: Was kann der Designer vom Rhetoriker lernen? In dieser Weise stellt auch van Zantwijk treffend fest, dass im Verständnis der Rhetorik als Methode „eine doppelte Perspektive leitend [ist], in der sich die Aufklärung der Rhetorik über ihre Grundlagen und die Voraussetzungen ihrer Traditionsbestände mit einer Erweiterung und methodologischen Anwendung von Rhetorik auf neue Gebiete verbindet.“161 Gerade der oben angesprochene Punkt 2 macht aber deutlich, dass es eben auch darauf ankommt, nicht nur eine bereits bestehende und durchaus auch erfolgreiche Praxis des Gestaltens gleichsam von außen zu rhetorisieren, sondern direkt an die Wissensbestände und Methoden der Gestaltung anzuknüpfen, das darin entfaltete Vokabular zu nutzen und so eine rhetorische Theorie des Designs zu entwerfen, die nicht vergisst, dass gerade die Rhetorik immer einer Theorie war, die aus der Praxis geboren wurde.
160 Die Ästhetik Baumgartens betont, dass auch die sinnliche Erkenntnis ihre eigene Vollkommenheit in der Hervorbringung klarer aber verworrener Ideen hat, die vom Blickwinkel der logischen Erkenntnis, die auf adäquate Ideen (oder zumindest klare und deutliche) zielt, innerhalb der rationalistischen Schule um Leibniz und Wolff stets als defizitär erschien. Vgl. dazu: Baumgarten, Alexander Gottlieb: Theoretische Ästhetik. Die grundlegenden Abschnitte aus der ‚Aesthetica‘ (1750/58). Hamburg 1983. 161 Zantwijk 2012a. Sp. 688.
III. Rhetorische Probleme des Designprozesses
1. E INLEITENDE B EMERKUNGEN ZUR D ESIGNRHETORIK Nachdem im vorigen Kapitel die Rhetorik als Methode und Methoden oder Strategien der Rhetorik allgemein eingeführt wurden, gilt es in diesem Kapitel, das Feld der möglichen Bezüge zwischen Design und Rhetorik zu beschreiben. Welche Schnittstellen und Analogien ergeben sich zwischen den Bereichen Design und Rhetorik? Bevor im zweiten Teil der Arbeit einzelne rhetorische Analysen in Bezug auf spezifische Wirkziele hin entwickelt werden können, gilt es demnach, in diesem Kapitel den Blick erst einmal zu weiten und die allgemeine Frage nach der Möglichkeit einer Designrhetorik in den Mittelpunkt zu stellen. Diese Möglichkeit wird umso evidenter – und demnach die Forderung zur Weiterentwicklung der Designrhetorik umso vehementer – je mehr eine Problem- und Strukturanalogie gezeigt werden kann. Die Aufgabe dieses Kapitels ist es hiernach zu zeigen, was es heißt, Design als Rhetorik (und Rhetorik als Design) zu verstehen. Zu diesem Zweck wird im vorliegenden Kapitel, anknüpfend an David Kaufer und Brian Butler, die Frage aufgeworfen, was ein Designproblem ist. Es wird gefragt: Wie sind die gestalterischen Probleme des Designers strukturiert? Wie Claudia Mareis in ihrer Einführung in die Theorien des Designs deutlich macht, stellt der Zugang über die Annahme zugrundeliegender Designprobleme, die von einer strategisch planenden Gestalterinstanz gelöst oder transformiert werden müssen, nicht den einzigen theoretischen Zugang zum Design dar. Andere Theoriezugänge – etwa über Fragen impliziten Wissens, semiotische Herangehensweisen oder Akteur-Netzwerk-Theorien – sind freilich ebenso möglich. Da aber die Fokussierung auf angenommene Designprobleme, wie Mareis herausstellt, mit „Begriffen wie problem solving, decision making oder plan making“1 einhergeht und diese Begriffe den intentionalen, strategisch handelnden Umgang betonen, scheint eine Analogisierung von rhetorischen und gestalterischen Prozessen über einen solchen Zugang naheliegender. Es wird im Weiteren in diesem
1
Mareis, Claudia: Theorien des Designs. Zur Einführung. Hamburg 2014. S. 176.
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Sinne die problemanalogische Beziehung gezeigt, die Designprobleme als rhetorische Probleme zu bestimmen erlaubt. Nach der Problemanalogie soll im folgenden Kapitel die Prozessanalogie aufgezeigt werden. Die rhetorische Lehre von den Produktionsstadien der Rede soll zu diesem Zweck für zentrale Produktionsschritte im Design fruchtbar gemacht werden. Es gilt nicht so sehr zu zeigen, was „Designer von Rhetorikern lernen können“2 (wie auch umgekehrt), sondern vor allem deutlich zu machen, dass die Kernpunkte der rhetorischen Produktionslehre in weiten Teilen der gängigen Designpraxis entsprechen oder sich zumindest leicht dort finden lassen. Ist schließlich in dieser Weise die Strukturanalogie (als Problem- und Prozessanalogie) von Design und Rhetorik gezeigt, so ist damit zugleich nicht nur die Möglichkeit einer Designrhetorik offenkundig, sondern darüber hinaus auch ihre Wirklichkeit. Dann sind und waren Designer schon immer auch auf dem Feld des Rhetorischen unterwegs, wenn auch oftmals nicht mit dem Bewusstsein für die rhetorischen Herausforderungen, Chancen und Fallstricke. Der methodische Wert des Herausstellens dieser Problem- und Prozessanalogie liegt dann vor allem darin, dass, wenn gezeigt ist, dass Designer (und sei es nur unbewusst) rhetoren (mal bessere, mal schlechtere) sind, auch produktiv an die Theoretisierungsversuche der Designpraxis angeknüpft werden kann. Diese benutzt zwar selten explizit Terminologien der Rhetoriktheorie, beschreibt aber dennoch ihre strukturellen Probleme und kunstgerechten (im Sinne der techne) Lösungen in deutlicher Nähe zur Rhetorik. Die zu entwerfende Problem- und Prozessanalogie zwischen Design und Rhetorik ermöglicht also zum einen den direkten Anschluss der Designrhetorik an die Designpraxis, zum anderen wird es damit aber auch möglich, die bestehenden Ansätze der Designtheorie produktiv auf die Rhetoriktheorie zurückzubeziehen, so dass schließlich beide sich weiterentwickeln können.
2. P ROBLEMANALOGIE – D ESIGNPROBLEME ALS RHETORISCHE P ROBLEME Dass Designer rhetorische Fähigkeiten brauchen, um andere, seien es nun Mitglieder der eigenen Designagentur, Vorgesetzte oder Auftraggeber, von ihren gestalterischen Lösungen zu überzeugen, kann als trivial gelten. Zu diesem Zweck werden Designer sich rhetorischer topoi bedienen, an das ethos, pathos oder den logos des Publikums appellieren und versuchen, durch ihren Vortrag oder ihre Präsentation zu überzeugen. So wichtig dieser rhetorische Prozess auch für die Designpraxis sein mag – denn schafft es der Designer nicht, von seinem Entwurf zu überzeugen, wird er kaum die Möglichkeit zur Realisierung bekommen –, so gehören diese Fragen einer Rhetorik 2
Friedrich, Volker: Vortrag ‚Was Designer sich von Rhetorikern abgucken können‘. Gehalten an der FH Bielefeld 27.05.2014.
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über Design jedoch nicht zum Gegenstandsbereich der Designrhetorik. Und das aus einem einfachen Grund: Die rhetorische Dimension in Überzeugungsprozessen dieser Art hat nichts mit den gestalteten Produkten zu tun. Vielmehr ist es der Versuch, erfolgreich zu kommunizieren und dabei geht es – quasi nur zufällig – lediglich über Designentwürfe, Designprodukte oder mögliche Designideen. Die genutzten rhetorischen Strategien unterscheiden sich nicht von denen, die in anderen Beratungssituationen eine Rolle spielen. Von einem rhetorischen Standpunkt aus gesehen, hat das Reden über Design mehr mit beispielsweise dem Reden über neue Evaluationsmethoden an einer Universität oder dem Beratschlagen über die Frage, ob wir unseren Urlaub lieber in Italien oder Frankreich machen, gemeinsam, als mit einer „Beredsamkeit der Formen“3, wie sie die Designrhetorik zu entwickeln sucht. Gegenstand der Designrhetorik ist die Frage nach der Möglichkeit der Überzeugung oder Identifikation durch – und nicht bloß über – die gestaltete Form. Daher spielt das weite und durchaus wichtige Feld des überzeugenden Redens über Design auch keine Rolle innerhalb dieser Arbeit. Es bedarf hierfür auch keiner Erweiterung der Rhetoriktheorie, denn diese ist für die Beratungsrede in derartigen Standardsituationen wohl ausreichend weit entwickelt. Unter diesem Blickwinkel erscheint auch der Kommentar Gesche Joosts als nicht ausreichend differenziert, wenn sie sagt, dass „Designer rhetorisch-argumentativ [handeln], da sich der Entwurf im Widerstreit der Meinungen (Doxa) als angemessen durchsetzen muss (aptum, decorum).“4 Um allerdings zu einer Designrhetorik kommen zu können, die darauf beruht, dass sich zwischen „Rhetorik und Design […] grundlegende Analogien beschreiben [lassen], die zum einen systematischen Charakter haben und sich zum anderen in fachspezifischen Ausprägungen“5 zeigen, muss zuerst gezeigt werden, dass die Problemstruktur, vor der ein Designer (im prototypischen Regelfall) steht, analog zu rhetorischen Problemen zu verstehen ist. Diese Struktur der Designprobleme, die im Extremfall mit Horst W. J. Rittel und Melvin M. Webber als wicked problems6 bezeichnet werden können, soll im Weiteren freigelegt werden. Die Frage ist: In welchem Umfeld findet Design statt und welcher Art sind Designprobleme? Eine Antwort auf diese Frage zu finden, wird erhellen, worin die Parallele zur Rhetorik besteht und warum Designprozesse im Grunde rhetorische Prozesse sind. Christopher Alexander charakterisiert in Notes on the Synthesis of Form das Designproblem wie folgt: 3
Vgl. Ueding, Gerd: Zur Beredsamkeit der Formen Anmerkungen zu einer Rhetorik des Designs. In: Designrhetorik – Sprache für die Form. Hrsg. von Volker Friedrich. 2012. Auf: designrhetorik.de.
4
Joost, Gesche: Design. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 216-228. Sp 217.
5 6
Ebd.. Sp. 218. Vgl. Rittel, Horst W.J.; Webber, Melvin M.: Dilemmas in a General Theory of Planning, in: Policy Sciences. Amsterdam 4/1973. S. 155-169.
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„What does make design a problem in real world cases is that we are trying to make a diagram for forces whose field we do not understand.“7 Oder expliziter: „We are searching for some kind of harmony between two intangibles: a form which we have not yet designed, and a context which we cannot properly describe.“8 Die Kognitionswissenschaftler Vinod Goel und Peter Pirolli haben in The Structure of Design Problem Spaces eine genauere Untersuchung des Designumfeldes und der Probleme, die in diesem auftreten, vorgelegt.9 Das Grundproblem bestimmen sie dabei in augenfälliger Übereinstimmung mit Alexander: „Design is a quintessential cognitive task. The activity of design involves the mental formulation of future state affairs. The products of design activity are external representations of such possible futures.”10 Die Aufgabe von Designern ist es folglich, externalisierte Repräsentationen der Zukunft zu konstruieren. Das heißt: Es geht ihnen nicht allein um die Lösung konkreter, gegenwärtiger Probleme, sondern zudem um die Konstruktion zukünftiger Lösungen für erst durch diese Lösungen entstehenden Probleme. Die Konstruktion einer Brücke stellt den Stadtplaner und Architekten zwar vor die Herausforderung, ein gegenwärtiges Verkehrsproblem zu lösen, jedoch fängt das Designproblem (als wicked problem) erst da an, wo der Designer auch die Frage diskutieren muss, inwieweit eine solche Lösung auch eine Lösung für erst durch die Brücke entstehende Probleme darstellt. Noch augenscheinlicher wird dies im Falle der Werbedesigner, die im Allgemeinen nicht nur ein bestehendes Verlangen der Kunden befriedigen sollen, sondern dieses allererst wecken müssen. Sie müssen daher im Gestaltungsprozess Lösungen für ein Problem bieten können, das es noch gar nicht gibt. Goel und Pirolli haben, ausgehend von diesem Grundproblem, eine Liste von Besonderheiten des Designproblems entwickelt, die Kaufer und Butler in ihrem Buch Rhetoric and the Arts of Design aufgreifen, um gleichwohl Rhetorik und Design zu parallelisieren. Die folgende Liste von Bestimmungen des Designproblems ist an diese Auseinandersetzungen angelehnt.11 Zwei Vorbemerkungen scheinen angebracht. Zum einen ist der Blickwinkel bei Goel und Pirolli, mehr aber noch bei Kaufer und Butler,
7
Alexander, Christopher: Notes on the Synthesis of Form. Cambridge 1964. S. 21.
8
Ebd. S. 26.
9
Goel, Vinod; Pirolli, Peter: The structure of design problem spaces. In: Cognitive Science. 16/1992. S. 395-429.
10 Ebd. S. 395. Siehe auch: Kaufer, Davis S.; Butler, Brian S.: Rhetoric and the Arts of Design. Mahwah 1996. S.37. 11 Bis auf einige Änderungen und Anpassungen ist diese Liste der Untersuchung von Kaufer und Butler entnommen. Als Kontrastfolie zum Designproblem verwenden Kaufer und Butler sogenannte „nondesign problems in logic and math“ (ebd. S. 38). Allerdings scheint mir ihr Umgang mit den Bereichen Logik und Mathematik eher salopp und daher nicht anschlussfähig, so dass Änderungen meinerseits vor allem darauf zurückzuführen sind, die-
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ein etwas anderer, als der hier verfolgte. Insbesondere letztere wollen zeigen, dass Rhetorik in den Bereich der ‚Arts of Design‘ fällt. In der vorliegenden Arbeit wird hingegen das Gegenteil beabsichtigt. Rhetorik als Design zu erklären, würde beim gegenwärtigen Stand der Designtheorie auch nicht weit führen, da Design selbst noch viel zu erklärungsbedürftig ist und kaum auf eine solide theoretische Basis verweisen kann. Es gilt vielmehr, anhand der folgenden Charakteristika deutlich zu machen, dass Designprobleme in starkem Maße rhetorische Probleme sind. Eine zweite Anmerkung betrifft den Stellenwert der folgenden Auflistung. Goel und Pirolli konnten in empirischen Analysen und in Zusammenarbeit mit Designern zeigen, dass ein Set von bestimmten Eigenschaften tatsächlich das Problemlösen im Design vom Problemlösen im Nicht-Design, etwa in der Medizin, Logik, oder weiten Teilen der Naturwissenschaften, unterscheidet. Sie sprechen dann von prototypischen12 Designfeldern, wenn alle Eigenschaften erfüllt sind. „These are all significant invariants in the task environments of prototypical design situations. […] To the extent that the task environment of a given problem situation meets or conforms to this template, that problem situation is a prototypical example of a design situation.“13 Keine der hier aufgelisteten und erläuterten Eigenschaften stellt selbst schon eine hinreichende Bedingung für ein Designproblem dar. Zusammengenommen umreißen sie das Feld des Designs im Konzept der Familienähnlichkeit14 mit einigen prototypischen Exemplaren, für die diese Eigenschaften tatsächlich notwendige Bedingungen darstellen.
sen Umgangston mit der Logik und der eher umgangssprachlichen Verwendung des Adjektivs ‚logisch‘ zu umgehen. Aus der ursprünglichen Liste von Goel und Pirolli wurde für diese Arbeit der Punkt ‚the costline of failure‘ herausgelassen, da es nicht einleuchtend scheint, warum die mitunter hohen Kosten eines Fehldesigns zur Charakterisierung des Designproblems im Allgemeinen herangezogen werden sollten. Weder scheint es eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für das Designproblem zu sein, denn schließlich gibt es sowohl ‚kostengünstige‘ Fehldesigns als auch teure Fehler im Nondesign. Da aber die übrigen Charakterisierungen ebenfalls keine notwendigen oder hinreichenden Bedingungen darstellen müssen, ist das treffendere Argument für die Weglassung des Kostenfaktors, dass dieser innerhalb der Designrhetorik keine große Rolle spielt. 12 Zur Prototypentheorie siehe u.a.: Rosch, Eleanor: Principles of Categorization. In: Cognition and categorization. Hrsg. von Dies. und Barbara B. Lloyd. 1978. S. 27-48. 13 Goel/Pirolli 1992. S. 402. 14 Zum Konzept der Familienähnlichkeit siehe: Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main 2013. Das Konzept der Familienähnlichkeit dient der Entwicklung von Objektklassen, deren Elemente nicht durchgehend durch eine Menge gleicher Eigenschaften bestimmt sind und die dennoch – auf eine bestimmte Weise – zusammengehören. Wittgenstein schreibt dazu: „Wir sehen ein kompliziertes Netz von Ähnlichkeiten [zwischen den Elementen der Klasse], die einander übergreifen und kreuzen. Ähn-
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Im Weiteren werden zehn Charakteristika des Designproblems in ihren Bezügen zum Designprozess besprochen und schließlich als typische Charakteristika eines rhetorischen Problems ausgewiesen. 2.1 Unterbestimmtheit im Design „There is incomplete information about how to start, where to end, and how to move from start to finish.“15 Jedes Gestaltungsprodukt, sei es nun ein Löffel, ein Plakat oder Architektur, ist ein Artefakt, dessen Angemessenheit sich stets nur in Bezug zu seinem Umfeld zeigen kann. Dieses Umfeld ist jedoch derart komplex und groß, dass die Unvollständigkeit der Informationen darüber den normalen Ausgangszustand des Designers ausmacht. Zudem ist die eigentliche Designanforderung prinzipiell nicht genau formulierbar. Das ist sie deshalb nicht, weil die Präzisierung des Startpunktes bereits in den Designprozess fällt. Jedes Brainstorming, jede Mindmap und jede anfängliche Gruppensitzung im Designbüro dient genau diesem Zweck. Die Unterbestimmtheit der Startbedingungen ist folglich dem Designprozess nicht akzidentiell, sondern essentiell zugehörig. Es ist leicht ersichtlich, dass natürlich selbiges auch für die Unterbestimmtheit des Endpunktes gilt und ebenso für den Weg dahin, den eigentlichen Designprozess. So wie Schreiben und Reden eine Form des Denkens, nicht nur des Handelns entlang bereits Gedachtem darstellt, so ist auch Gestalten ein Denkprozess und erst innerhalb dieses Prozesses kristallisiert sich langsam so etwas wie ein Ausgangs- und Endpunkt heraus und es zeichnet sich schrittweise ein Weg zwischen beiden ab. Die Unterbestimmtheit im Design meint demnach eben auch, dass der Prozess zu keinem Zeitpunkt auf ein klares Resultat fixierbar ist. Der Prozess ist – wie das zweite Charakteristikum angibt – stets ein offener Prozess. Dies betont etwa auch John Chris Jones, wenn er die erste Designphase als „divergence“16 bezeichnet und ihre Voraussetzun-
lichkeiten im Großen und Kleinen. Ich kann diese Ähnlichkeiten nicht besser charakterisieren, als durch das Wort ‚Familienähnlichkeiten‘; denn so übergreifen und kreuzen sich verschiedene Ähnlichkeiten, die zwischen den Gliedern einer Familie bestehen: Wuchs, Gesichtszüge, Augenfarbe, Gang, Temperament, etc.“ (ebd. S. 57f.) Es geht bei Familienähnlichkeiten – um ein Bild Wittgensteins zu benutzen – eben darum, dass wie beim Spinnen eines Fadens Faser an Faser gedreht wird. „Und die Stärke des Fadens liegt nicht darin, dass irgend eine Faser durch seine ganze Länge läuft, sondern darin, dass viele Fasern einander übergreifen.“ (ebd. S. 58.) 15 Kaufer/Butler 1996. S.38. 16 Jones, John Chris: Design Methods. New York 1992. S. 64.
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gen wie folgt beschreibt: „The objectives are unstable and tentative. […] The problem boundary is unstable and undefined.“17 Übertragen auf die rhetorische Problemstellung ist klar: „the environment of rhetoric typically offers less information than is needed to address the rhetorical situation. The speaker has more choices than are determined by the external situation, meaning that rarely is the rhetor logically constrained to one specific output, but rather must negotiate the rhetorical environment through contingent decision making.“18
Zwar ist dem rhetor sein Persuasionsziel bewusst, allerdings macht gerade das Konzept der Identifikation deutlich, dass dieses Ziel nur über die Unterbreitung von Identifikationsangeboten erreicht wird. Damit ergeben sich für jedes Persuasionsziel eine ganze Reihe von „mini-exigences“19, die erst im rhetorischen Prozess ersichtlich werden. 2.2 Designprozesse sind offene Prozesse „A process is closed when it can be enacted in full from information that is given at the start. […] A process is open when it can only be completed by seeking more information from the outside environment.“20 Eine direkte Folge der Unterbestimmtheit des Designprozesses ist die prinzipielle Offenheit desselben. Im Grunde muss dies sogar noch drastischer formuliert werden, als es Kaufer und Butler tun: Da die Information zur Bewältigung der Designaufgabe nie vollständig sein kann, sondern sich immer noch weitere Elemente finden lassen, die einen Einfluss auf das Designresultat haben können, bleibt der Designprozess bis zu seinem vorläufigen Ende ein offener Prozess. Es gibt kein Designprodukt, das sich nicht im Lichte anderer Informationen neu denken, verändern oder kritisieren ließe. Jedes Resultat ist damit stets nur ein vorläufiger Abschluss, der im Grunde oftmals nur deshalb als Resultat angesehen wird, weil äußere Faktoren einen Abschluss notwendig machten – sei es aus Zeitgründen, Geldnot, Unlust oder anderen Gründen. Die Offenheit des Designprozesses und ebenso die essentielle Unterbestimmtheit betont ebenso auch Kees Dorst: „there is no closed pattern of reasoning to connect the needs, requirements and intentions with a form of an artifact and a mode of use. This ‘openness’ of a design
17 Ebd. 18 Kaufer/Butler 1996. S. 41. 19 Mit diesem Begriff fasst Jasinski das zusammen, was Bitzer zur Charakterisierung der rhetorischen Situation als constraints bezeichnet. Vgl. Jasinski 2001. S. 516. Siehe Kapitel II dieser Arbeit. 20 Kaufer/Butler 1996. S. 40.
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problem is called the underdetermination of design problems.“21 Dorst trennt demnach die essentielle Unterbestimmtheit, also den Design bestimmenden Mangel an Information, nicht von der Offenheit des Prozesses und des Ergebnisses. Auch wenn die Interdependenz dieser beiden Charakteristika offensichtlich ist, so ist die Offenheit jedoch nicht schon in der Unterbestimmtheit enthalten. Von einer rhetorischen Perspektive aus betrachtet kann nicht angenommen werden, dass zwei Lösungen, die auf der Grundlage der gleichen Informationen erstellt worden sind, sich deshalb auch gleichen müssen. Die Information determiniert nicht die Resultate, denn in Fragen des Designs wie auch der Rhetorik werden die Resultate ebenso von Stilfragen des spezifischen rhetors mitbestimmt. Offen wäre der Prozess deshalb auch dann, wenn das Problem nicht unterbestimmt wäre. Um diesen Punkt deutlicher zu machen, soll zuerst die Frage der Offenheit innerhalb des rhetorischen Prozesses besprochen werden. Es ist nicht nur offensichtlich, dass rhetorische Prozesse in gleicher Weise als offene Prozesse angesprochen werden müssen, mehr noch stellt die Offenheit des Prozesses bis hin zum Produkt eben auch die Bedingung für eine mögliche Designrhetorik dar. Im Falle geschlossener Prozesse kann das Designproblem auf der Grundlage der vorhandenen Informationen gelöst werden. Kaufer und Butler sprechen von „enacted in full form“22, was im gegebenen Kontext auch mit ‚vollständig gelöst‘ übersetzt werden kann. Aufgaben, die sich in dieser Weise vollständig lösen lassen, können keine rhetorischen Probleme beinhalten, so wie beispielsweise der Beweis eines mathematischen Satzes sich vollständig erbringen lässt und eben deshalb auch kein rhetorisches Problem darstellt. Dort, wo angenommen wird, dass eine einzige und eindeutige Lösung existiert, da wird der Bereich dessen verlassen, was sich auch anders verhalten kann. Denn wie Aristoteles betont: über das, was weder anders gesehen noch anders bewertet werden kann, darüber lässt sich auch nicht beraten oder rhetorisch streiten.23 Allerdings kann es natürlich eine rhetorische Strategie darstellen, gerade die Offenheit des Prozesses zu bestreiten und eine Lösung als ‚alternativlos‘ oder ‚endgültig‘ zu präsentieren. Damit ist aber weniger über die Struktur des rhetorischen Designprozesses gesagt, als über eine konkrete Strategie der rhetorischen Kommunikation, die im Übrigen gerade die prinzipielle Offenheit des Prozesses (oder zumindest deren Annahme) voraussetzt, um sich überhaupt sinnvoll dagegen wenden zu können.
21 Dorst, Kees: The Problem of Design Problems. In: Journal of Design Research. 4.2/2004. S. 2. 22 Kaufer/Butler 1996. S.40. 23 Vgl. Arist. Rhet. I,2. 1357a12.
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Offenheit ist demnach eine notwendige Bedingung für den rhetorischen Prozess wie für den Designprozess. Demgegenüber stellt die Unterbestimmtheit keine notwendige Bedingung für diese beiden Prozesse dar, sondern eine in der Regel anzutreffende Einschränkung, mit der der Designer wie der rhetor umgehen können muss. 2.3 Designprozesse sind in spezifischer Weise durch Gestaltungsfreiheit gekennzeichnet Aufgrund des ersten Charakteristikums können wir sagen, dass das eigentliche Designproblem erst im Designprozess durch den Designer konstruiert wird. Es ist also naheliegend, dass bereits die Designaufgabe ebenso in den freiheitlich-künstlerischen Umgang des Designers fällt wie das durch diese generierte Designproblem. Und in der Tat hat der Gestalter auch ein erhebliches Maß an Freiheit in diesem Sinne. So gibt es Bedingungen, die der Gestalter – und genau darin liegt auch seine Gestaltungsaufgabe – nach eigenem Ermessen achten, modifizieren oder missachten kann. „Consequently, there is no sense of the designer ‚cheating‘ when he or she modifies these constraints. These modifications are understood as the designer’s needing to refine the problem prior to solving it, a necessary step whenever the initial information is too vague to begin serious work.“24 Zugleich erstreckt sich die gestalterische Freiheit allerdings nicht soweit, dass jede Voraussetzung modifiziert oder missachtet werden könnte. Es gibt Bedingungen, die zu ändern zugleich bedeutet, das gesamte Designanliegen zu verändern. Und auch hier fällt es leichter, diesen Aspekt im Sinne der Rhetorik zu formulieren – was nicht zuletzt zeigt, dass dies ein rhetorisches Problem ist: Der Designer unterliegt – bei aller Freiheit – stets dem Gebot der Angemessenheit. Die Grenzen seiner Freiheit im Ermessen der Bedingungen, die er achten, modifizieren oder gar missachten kann, sind durch die wirkungsintentionale Ausrichtung auf sein rhetorisches Ziel bestimmt. Im Sinne des aptums bedeutet das: Zum einen muss die Interpretation der Voraussetzungen dem (und sei es auch nur vage) gestellten Designauftrag angemessen sein – eine Werbeanzeige muss immer noch eine Werbeanzeige sein. Zum anderen aber muss sie auch den kommunikativen Umständen angemessen sein und darf etwa das Zielpublikum nicht verfehlen. „These constraints cannot be changed without fundamentally altering the problem.“25 Vom Designer wird daher die Fähigkeit erwartet, zwischen dem Bereich der Änderungsfreiheit und jenem der Akzeptanz gegebener Bedingungen zu unterscheiden: der Designer braucht in diesem Sinne rhetorische Urteilskraft (iudicium).26 Das Wechselverhältnis von freiheitlicher, rhetorischer Findungskunst (inventio) und rhetorischer 24 Kaufer/Butler 1996. S. 38. 25 Ebd. 26 Dies ist eine Fähigkeit, die nicht in gleicher Weise in anderen Bereichen notwendig ist. Im Bereich der freien Kunst etwa besteht die Freiheit gerade darin, im Grunde alle gegebenen
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Urteilskraft (iudicium) wird im Weiteren noch ausführlicher unter dem Stichwort Kreativität verhandelt. 2.4 Größe und Komplexität Als System betrachtet, stellt sich der Gestaltungsprozess als komplexes Problem dar. In einem komplexen System lassen sich die auftretenden Ereignisse auch dann nicht berechnen, wenn Zugang zu vollständigen Informationen über die Bedingungen des Systems besteht – was nach dem Charakteristikum der Unterbestimmtheit in der Regel bereits nicht vorausgesetzt werden kann. Gestaltung unter dem Begriff der Komplexität zu denken, meint auch, „Intransparenz, Dynamik, Vernetztheit und Unvollständigkeit oder Falschheit der Kenntnisse über das jeweilige System“27 mitzudenken. Die einzelnen Parameter gestalterischer Tätigkeit sind miteinander auf eine Weise verzahnt, die es unmöglich macht, die Wirkung einzelner Eingriffe unabhängig vom gesamten Werk zu betrachten. Zugleich liegt dieses Werk allerdings zum Zeitpunkt einer gewünschten Einschätzung der möglichen Eingriffe, also während des Prozesses, noch nicht vollständig vor. Auch in dieser Weise heißt Gestalten, stets einen Vorgriff auf zukünftige Wirkungen mitdenken zu müssen, die freilich weder berechenbar sind, noch sein können. Hierin zeigt sich deutlich, was oben bereits mit Goel und Pirolli als eine „formulation of future state affairs“28 bezeichnet wurde. Nicht nur, dass Zufälle stets den Gestaltungsprozess begleiten und beeinflussen, auch in systematischer Hinsicht herrschen zu viele Kriterien gleichzeitig und in undurchsichtiger, ständig wechselnder Hierarchie, so dass schon die Gestaltung einer Werbeanzeige tatsächlich komplex wird. Bildmotive und Texte stehen in einer Wechselbeziehung, die die Änderung nur eines Bereiches ohne Anbetracht des anderen nicht zulässt. Die Informationslage des beworbenen Produkts spielt ebenso in die Gestaltung wie die angenommenen Voraussetzungen der Zielgruppe. Farbe, Typografie, Satz und vieles mehr beeinflussen die Lesbarkeit und damit den Bezug zum Bildmotiv ebenso wie zum Adressaten. Zugleich steht das Erscheinungsbild in Wechselwirkung mit der Umgebung, in die es eingebracht wird und die sich nicht genau abschätzen lässt. Aufgrund der Komplexität des Systems können durch veränderte System-
Bedingungen missachten oder modifizieren zu können. In den Bereichen der puren Dienstleistung wird eine solche Urteilskraft auch nicht vonnöten sein, da hier die Erfüllungskriterien im Allgemeinen klar formuliert werden und nahezu unhinterfragt anzunehmen sind. Design steht zwischen diesen Extremen und muss sich in diesem Zwischenraum qua rhetorischer Urteilskraft auch immer wieder neu verorten. 27 Dörner, Dietrich: Logik des Mißlingens. Strategisches Denken in komplexen Situationen. Reinbek bei Hamburg 1991. S. 59. 28 Goel/Pirolli 1992. S. 395. Siehe auch: Kaufer/Butler 1996. S.37.
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bedingungen alte Ordnungen aufbrechen und neue Ordnungen und Muster entstehen,29 was – im Falle der Werbeanzeige – sowohl gewollt sein kann, wenn diese hierdurch mehr Aufmerksamkeit erregt, allerdings auch unerwünschte Effekte haben kann, wenn die Botschaft missverstanden wird. Die hier beschriebenen, die Komplexität des Gestaltungsprozesses bestimmenden Faktoren kennzeichnen in gleicher Weise auch den rhetorischen Prozess. Dieser ist stets eingebettet in ein rhetorisches Setting, das weder vollständig überblickt noch in Bezug auf erwünschte Reaktionen vorherbestimmt werden kann. Jede rhetorische Anstrengung schließt den erfolgreichen Umgang mit Kontingenz und Unvorhersehbarkeit ein. Die Komplexität rhetorischer Prozesse wird evident, wenn man sich vor Augen führt, welche Vielzahl an Faktoren und welche Größe des Möglichkeitsraumes, aus dem geschöpft werden kann, schon bei kleineren rhetorischen Bemühungen zu berücksichtigen sind: Das Publikum hat womöglich heterogene Ansichten über den Gegenstand der rhetorischen Bemühung, es bietet sowohl unterschiedliche Möglichkeiten, sich mit diesem zu identifizieren, als auch unterschiedliche Möglichkeiten, diesem Angebote zur Identifizierung mit dem orator zu machen; beide Bereiche liegen dem rhetor aber nicht vollständig als Information vor. Dieser baut vor allem auf gewisse Grundannahmen und eingeübte Muster zur Bewertung seines Publikums anhand von prognostizierten Eigenschaften wie Alter, Geschlecht, sozialer Stellung, rhetorischem Setting etc. Die inventio wird von diesen Gedanken bereits begleitet und auch die dispositio und elocutio werden schließlich auf der Grundlage einer Annahme der Identifikationsmöglichkeiten des vorgestellten Publikums angegangen. Im elocutionären Bereich stehen dem rhetor schließlich nahezu unbegrenzt viele Möglichkeiten offen, die ihm mehr oder weniger erfolgversprechend erscheinen und aus welchen er konkrete Realisierungen wählen muss. Dabei macht die Rhetorik deutlich, dass die mannigfaltigen Interdependenzen zwischen den rhetorischen Prozessphasen, den einzelnen Formulierungen und Figuren, den gewählten Medien der Kommunikation und vielem mehr schließlich in der actio in der Weise kulminieren müssen, dass in Abhängigkeit zu Setting und Publikum das Ziel der rhetorischen Bemühung auch erreicht werden kann. Ivor A. Richards bemerkt in dieser Richtung in The Philosophy of Rhetoric, dass das Missverstehen wohl eher als Grundannahme der rhetorischen Praxis taugt als das vor diesem Hintergrund stets erklärungsbedürftigere Verstehen. Richards schließt: „Rhetoric, I shall urge, should be a study of misunderstanding and its remedies.“30 Die Bedeutung von Komplexität innerhalb des Designs ebenso wie in der Rhetorik wird deutlich, wenn man sich die Fälle vor Augen führt, in denen die Komplexität 29 Vgl. Mainzer, Klaus: Komplexität. Strategien ihrer Gestaltung in Natur, Gesellschaft und Architektur. In: Komplexität. Entwurfsbild und Weltbild. Hrsg. von Andrea Gleininger und Georg Vrachliotis. Basel 2008. S. 89-98. Hier: S. 95. 30 Richards 1965. S. 3.
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nicht oder zumindest nicht genügend in Betracht gezogen wird. Gemeint ist der weite Bereich der Ratgeberliteratur. Die Komplexität rhetorischer Prozesse nicht zu beachten, führt zu einer Verkürzung der Rhetorik zu einer Rezept- und Kochkunst, die Platon bereits in ihr sah und kritisierte.31 In dieser Weise finden sich rhetorische Lehrbücher und Ratgeberliteratur tatsächlich von der Antike bis in unsere Tage, die rezeptartig standardisierte rhetorische Handlungsweisen vorschlagen und auf diese Weise die rhetorischen Prozessen inhärierende Komplexität schlichtweg unbeachtet lassen. Richards kritisiert in dieser Weise beispielsweise ein Rhetoriklehrbuch des 19. Jahrhunderts des Erzbischofs Whately. Dieser empfiehlt darin: „be clear, yet don’t be dry; be vivacious, use metaphors when they will be understood not otherwise; respect usage; don’t be longwinded, on the other hand don’t be gaspy; avoid ambiguity; prefer the energetic to the elegant; preserve unity and coherence“32. Richards stellt diesbezüglich vollkommen zu Recht fest, dass diese Hinweise niemandem nützen und niemanden etwas über die Kunst der überzeugenden Rede lehren, was dieser nicht schon vorher wusste. Die Reihe dieser Art rhetorischer Ratgeberliteratur ist lang und bedürfte einer eigenen Arbeit zur Sichtung, die hier nicht erbracht werden kann.33 Für den Kontext der vorliegenden Arbeit ist aber ein Rück-
31 Vgl. Platon Gorg. 461b-465e. Platon lässt dort Sokrates dem jungen und übereifrigen Polos und damit gleichsam nebenbei seinem Kontrahenten Gorgias erklären, dass er die Rhetorik nicht nur nicht für eine Kunst (techne) hält, sondern überdies für eine bloße Erfahrenheit in der Schmeichelei. Eben dies habe die Rhetorik mit anderen ‚Schmeicheleien‘ wie der Kochkunst, der Putzkunst und der Sophistik gemeinsam. Sie alle seien nur Scheinbilder tatsächlicher Künste; nämlich der Gymnastik, der Gesetzgebung, der Heilkunst und der Rechtspflege. 32 Zit. nach: Richards 1965. S. 8. 33 Wie Knape und andere vollkommen zu Recht betonen, spiegelt der außerordentlich große Markt für Ratgeberliteratur „letztlich nur ein beim Publikum offensichtlich weit verbreitetes Fehlverständnis von Rhetorik wider: schnelle, leichte, seichte Kommunikationstechniken, die möglichst großen Manipulationserfolg versprechen.“ (Knape, Joachim; Schick, Hagen; Hoos, Sebastian; Rieder, Claus: Managementrhetorik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 5. Tübingen 2001. Sp. 843-872. Hier: Sp. 870). Innerhalb dieses reduktionistischen Verständnisses versuchen viele Ratgeber, Wissenschaftlichkeit in ihren Arbeiten zu konnotieren, indem sie an neue und aktuell erscheinende Kommunikationsmodelle lapidar anzuknüpfen versuchen. „Aktuelle Ratgeberautoren gehen regelmäßig von einem reduzierten Rhetorikverständnis aus und meinen deshalb, der Rhetorik neuere und vermeintlich subtilere, ihr überlegene Wissenschaften entgegenstellen zu müssen. Dazu zählen sie etwa das letztlich doch völlig rhetorisch arbeitende Neurolinguistische Programmieren (NLP), welches sich unter Stichworten wie ‚Menschenführung‘, ‚2-Gewinner-Lösungen‘ oder ‚Coaching‘ als vermeintlich neuartiges und überlegenes
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schluss auf die Praxis der Designratgeber aufschlussreich. Denn auch bei diesen finden sich oft Exemplare, die die Komplexität des Designprozesses stark reduzieren oder sogar ganz negieren. In deutlicher Analogie zum obigen Whately-Zitat zeigen sich viele der Designbücher als reine Assoziationshilfen und Bilderbücher. Als solche erfüllen zwar beispielsweise Look-Books wie Tres Logos34 (auf das später noch einzugehen ist) oder andere eine wichtige Funktion, können dabei aber kaum der Komplexität des Gestaltungsprozesses in vollem Umfang Rechnung tragen – was Look-Books allerdings auch nicht zu tun vorgeben. Die folgenden zwei Charakteristika sind direkte Folge der hier beschriebenen Komplexität und können daher eher kurz beschrieben werden: Dabei ist für Kaufer und Butler der Gedanke tragend, dass Designaufgaben sich in Einzelaufgaben zerlegen lassen müssen, um handhabbar zu sein. Diese Zerlegung oder Dekomposition ist dabei stets bis zu einem gewissen Grad kontingent und die Dekomponenten sind interdependent. 2.5 Kontingenz möglicher Dekomposition Große und schwierige Aufgaben lassen sich im Allgemeinen besser angehen, wenn sie zerlegbar sind in kleinere, besser zu handhabende und überschaubare Teilaufgaben. Eine solche Zerlegung kann als Dekomposition bezeichnet werden und schließt damit die notwendige spätere Rekomposition mit ein. Oftmals ist diese Zerlegung Anlass zu oder Folge von arbeitsteiligen Prozessen, wie sie etwa in größeren Agenturen stattfinden. In nicht komplexen Aufgabenfeldern lassen sich mehr oder weniger unabhängige Bereiche ausfindig machen, die eine Zerlegung nahelegen. Aufgrund der eben beschriebenen Komplexität ergeben sich allerdings für Gestaltungsaufgaben keine derartigen Zerlegungspunkte. Da eine Zerlegung nicht nur dennoch oftmals sinnvoll ist, sondern auch für komplexe Aufgaben unumgänglich scheint, muss selbige im Wissen geschehen, dass das Ganze mehr als die Summe seiner Teile ist und sich folglich die Lösung des Gesamtproblems nicht aus einer einfachen Summation Steuerungsverfahren von Gruppen und Individuen zu etablieren versucht.“ (ebd. Sp. 869f.) Bremerich-Vos kommt in seiner Untersuchung zu populären Rhetorikratgebern zu dem Schluss, dass es sich dabei um ‚Alltagstheorien und Manierenbücher‘ handelt, in denen die eigentlichen rhetorischen Probleme gar nicht in den Blick geraten und sich daher die Sollenssätze dieser Literatur auch nicht rational rechtfertigen lassen. (vgl. Bremerich-Vos, Albert: Populäre rhetorische Ratgeber: Historisch-Systematische Untersuchung. Tübingen 1991. S. 14.) Das aber heißt vor allem, dass die Ratgeberliteratur die Komplexität rhetorischer Probleme nicht genügend in den Blick nimmt und mit simplifizierenden vermeintlichen Grundsätzen und konkreten Sollenssätzen meint Lösungen geben zu können, ohne die rhetorische Situation einholen zu können. 34 Klanten, Robert; Bourquin, Nicholas; Geiger, Thorsten (Hrsg.): Tres Logos. Berlin 2009.
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der Teillösungen ergeben kann. Außerdem ist die Zerlegung selbst Ergebnis einer kontingenten Selektion. „Some modular breakdowns are more useful than others. But no breakdown is absolutely necessary for a successful design.“35 Diese Selektionen, obgleich sie kontingent sind, also sich in keiner Weise zwingend aus dem Gestaltungsproblem selbst ergeben, können durch die mit diesen einhergehende Modifikation des Relevanzrahmens die Wahrnehmung und Einschätzung der Gestaltungsaufgabe grundlegend verändern und haben in dieser Weise auch einen erheblichen Einfluss auf die möglichen Lösungen dieser Aufgabe. Ein bedeutendes Beispiel für den Versuch der Dekomposition komplexer Gestaltungsaufgaben hat Christopher Alexander für den Bereich der Architektur und Stadtplanung vorgelegt. Er entwirft eine Liste möglicher Dekompositionen, um nach diesen gestalten zu können. In penibler Feinarbeit zeichnet Alexander in ‚A Pattern Language‘ eine Mustersprache aus 253 sogenannten Patterns.36 Diese beschreiben Zielvorstellungen, die mit dem Design verbunden werden und im Entwurfsprozess hilfreich sein sollen. Sie dienen damit, wie später noch zu zeigen sein wird, als Topik des Entwurfsprozesses. Dekompositionen spielen in der Rhetorik an verschiedenen Stellen eine entscheidende Rolle, um der Komplexität des rhetorischen Prozesses Herr zu werden. So schlägt die klassische Rhetoriktheorie, wie bereits beschrieben, eine Teilung des Prozesses in einzelne Phasen vor: inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio. Diese Form der Dekomposition gliedert den Prozess in Phasen der Recherche und Materialsichtung zur möglichst genauen Formulierung des rhetorischen Ziels und zur Skizzierung eines möglichen Weges dahin. Schließlich gilt es, den Stoff in eine Ordnung zu bringen, die gegenüber dem Anlass und Gegenstand der rhetorischen Bemühung als angemessen erscheint. In der letzten Phase der Produktion im engeren Sinne, der elocutio, sollen schlussendlich für die geordnete Gedankenkette passende und überzeugende – also auf Identifikation zielende – Darstellungsweisen gefunden und ausformuliert werden. Die Grenzen zwischen inventio, dispositio und elocutio sind innerhalb dieses Prozesses jedoch nie klar vorgegeben und auch die Phasenabfolge entspricht keinem strikten Stufenmodell, wonach die erste Stufe als abgeschlossen betrachtet werden könnte, wenn die zweite Stufe erreicht ist. Vielmehr muss der Prozess stets aufs Neue an einer für den konkreten Arbeitsschritt sinnvoll erscheinenden Stelle zerlegt und wieder zusammengeführt werden. Neben dieser Prozessdekomposition wird die Möglichkeit der Dekomposition im Falle arbeitsteiliger Prozesse, beispielsweise in der Medienrhetorik, schließlich unumgänglich. Zum Teil ist dies die Ursache, zum
35 Kaufer/Butler 1996. S. 39. 36 Bedeutende Rezeption fand Alexanders Ansatz vielleicht nicht einmal in erster Linie in der Architektur, sondern in der Informatik, wo sein Ansatz einer pattern language fruchtbar aufgenommen wurde. Vgl. Alexander, Christopher: A Pattern Language. Towns, Buildings, Construction. Berkeley 1977.
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Teil die Folge der Multiplizierung des rhetors innerhalb eines rhetor-Kollektivs. Arne Scheuermann bringt das für die Medienrhetorik auf den Punkt: „Als rhetor kann ebenso ein bewusst handelnder orator aktiv sein wie z.B. ein unbewusst handelndes Kollektiv in einem arbeitsteiligen Prozess (wie dem Filmemachen). Da nicht hinter jeder Mediennutzung ein empirischer orator steht, kann das Medium prinzipiell als Realisationsform einer durch eine rhetor-Funktion avisierten spezifischen Wirkung angenommen werden. Zur Erläuterung lassen sich die Produktion und die Analyse von Medien als ein Kreislauf verstehen: Bei der Produktion gestalten rhetores (bewusst oder unbewusst) mittels ihrer rhetorischen Werkezeuge ein Medium, das auf die Adressaten Wirkung ausübt.“37
Genau dieses Kreislaufverständnis des rhetorischen Prozesses setzt die Möglichkeit einer Dekomposition innerhalb der Medienrhetorik voraus. 2.6 Interdependenz der Dekomposition Die Interdependenzen der Zerlegungsmodule sind schon mehrfach angesprochen worden und ebenso wie die Kontingenz der Dekomposition eine Folge der Komplexität. „Decomposition remains desirable, unavoidable in fact. But pure or complete decomposition resulting in modules that are fully independent and noninteractive, is impossible […] The interconnection of modules in design means that a design solution is more than the sum of the parts.“38 Eben weil die Dekomposition der Designaufgabe wie des rhetorischen Prozesses an keiner Stelle sich als zwingend erweist, sondern in diesem Sinne stets als kontingent erscheint, wird den Interdependenzen der einzelnen Bestandteile Rechnung getragen. Es ist allerdings wichtig, darauf hinzuweisen, dass mit dem Ausdruck ‚kontingent‘, wie ihn Kaufer und Butler verwenden, nicht mehr gemeint ist, als dass die Dekomposition eben nicht an einer bestimmten Stelle zwingend ist und sich einzelne, nicht miteinander in Wechselwirkung stehende Bereiche oder Teilaufgaben isolieren lassen. Rhetorisch gesehen ist der Umgang mit der Kontingenz innerhalb des Designprozesses allerdings nicht schlichtweg zufällig. Vielmehr ist die Dekomposition als Selektion bereits potentiell strategisch – nicht nur im Sinne einer Arbeitsstrategie, sondern auch schon im Sinne einer rhetorischen Strategie. Denn es ist anzunehmen, dass in arbeitsteiligen Prozessen die Dekomposition des rhetorischen Gestaltungsprozesses entlang der Kompetenzen größtmöglicher rhetorischer Effektivität vorgenommen wird. Obgleich beispielsweise Text und Bild in einer Werbeanzeige nicht unabhängig voneinander sind, wird die Bildgestaltung in größeren Agenturen dennoch oftmals von anderen Personen 37 Scheuermann, Arne: Medienrhetorik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 649-659. Hier: Sp. 656. 38 Kaufer/Butler 1996. S. 39f.
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ausgeführt als die Textfindung. Grafiker und Texter repräsentieren zwei Bereiche einer Agentur, was eine Zerlegung des rhetorischen Gestaltungsproblems in ein Bildund ein Textproblem nahelegt, wenngleich auch nicht erzwingt. Letztlich resultiert das Produkt allerdings aus einer produktiven Verschmelzung beider Bereiche. Vor diesem Hintergrund erscheint die Dekomposition als ein strategischer Umgang mit Kontingenz im Produktionsprozess. 2.7 Lösungen sind nicht wahr/richtig oder falsch Es ist augenscheinlich klar, dass Designartefakte nicht mit den Kategorien ‚wahr‘, ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ bemessen werden können. Was sollte auch ein richtiges Plakat oder eine falsche Teekanne sein? Insofern, wie Gottlob Frege festhält, Wahrheitswerte nur propositionalen Sätzen zukommen, kann zwar der Satz ‚Dies ist eine Teekanne.‘ wahr oder falsch sein, aber nicht die Teekanne selbst.39 Insofern es im Design nicht um eine Form der Wahrheitsfindung geht, stehen eben auch keine Parameter zur Verfügung, um die Wahrheit oder Falschheit eines Designgegenstandes zu erfassen. Wohl aber kann erfasst und auch zum Ausdruck gebracht werden, ob ein bestimmtes Resultat besser oder schlechter als ein anderes in Bezug auf bestimmte Ziele ist. Die hierfür nötigen Parameter sind erfassbar durch Fragen der Funktionalität, des Kundenwunsches, des Erfolges etc. Besser oder schlechter ist ein Designprodukt jedoch nie unabhängig von Parametern der Einschätzung und seinem Kontext der Verwendung. Ein gut gestaltetes Kunstbuch kann in einem anderen Kontext – etwa wenn es um die Lesbarkeit für ein älteres Publikum geht – schlecht sein. Kaufer und Butler bringen dies so auf den Punkt: „What makes an outcome better or worse has to do with the fit of the design to the client’s purpose.“40 Zwar ist der Adressat der rhetorisch bedeutsamste Parameter im Designprozess, allerdings ist dieser weder eine einheitliche Größe – was das Zitat nahelegt – noch der alleinige Bezugspunkt. Besser, obgleich wesentlich allgemeiner, drückt Alexander das hierin zum Ausdruck kommende Gebot der Angemessenheit aus: „The form is a part of the world over which we have control, and which we decide to shape while leaving the rest of the world as it is. The context is part of the world which puts demands
39 Vgl. hierzu: Frege, Gottlob: Der Gedanke – eine logische Untersuchung. In: Ders.: Logische Untersuchungen. Göttingen 2003. S. 35-62. Frege hält diesbezüglich fest: „Immerhin gibt es zu denken, dass wir an keinem Ding eine Eigenschaft erkennen können, ohne damit zugleich den Gedanken, dass dieses Ding diese Eigenschaft habe, wahr zu finden.“ (ebd. S. 39) 40 Kaufer/Butler 1996. S. 40.
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on this form; anything in the world that makes demands of the form is context. Fitness is a relation of mutual acceptability between these two.“41
Die Akzeptierbarkeit der Relation zwischen Kontext und Form, wie sie hier von Alexander angedeutet wird, findet seine Entsprechung in der für die Rhetoriktheorie wie für die zu entwickelnde Designrhetorik zentralen Kategorie der Angemessenheit: das aptum. Wie Bernhard Asmuth einleitend in seinem Artikel zur Angemessenheit in der Rhetorik betont, gilt diese Kategorie als „eine Art Superprinzip“42 der Rhetorik. Er bringt dieses Prinzip treffend in Verbindung zum biologischen Prinzip der Anpassung, als „der Fähigkeit von Lebewesen, sich zum Zwecke des Überlebens wechselnden Anforderungen der Umwelt anzugleichen.“43 Vor dem Hintergrund der im Methodenkapitel ausgeführten Gedanken zum Konzept der Identifikation bezeichnet Angemessenheit eben die Möglichkeit, einem konkreten Publikum durch eine Art ‚Anpassungsverhalten‘ Möglichkeiten zur Identifikation liefern zu können. Das bedeutet aber auch, dass die konkreten Richtlinien der Angemessenheit je nach Publikum und rhetorischem Setting stark variieren können. Das aptum bezeichnet demnach eine Großkategorie – und ist in diesem Sinne ein Superprinzip –, die verschiedene Momente vereint: Angemessenheit wird zugeschrieben in Bezug zum Redegegenstand, wie auch vom Redner in seinem Bezug auf diesen Gegenstand; aber auch gegenüber den Anforderungen und Wünschen des Publikums sowie dessen Verständnishorizont und ethischen sowie ästhetischen Vorstellungen. Als angemessen kann der Umgang mit der gegnerischen Partei im rhetorischen agon ebenso erscheinen wie Lautstärke oder Betonung beim Vortrag. Ein Versuch, diese Bandbreite der Superkategorie zu ordnen, zeigt sich in der von Heinrich Lausberg ausgearbeiteten Unterteilung in äußeres und inneres aptum. Nach Lausberg bezeichnet das äußere aptum „das Verhältnis der Gesamtrede und ihrer Bestandteile zu den sozialen Umständen der Rede.“44 Dazu gehören vier Bereiche: 1. der Sprecher selbst, 2. das Publikum, 3. der Zeitpunkt der Rede und 4. der Ort der Rede. Demgegenüber bezeichnet Lausberg das innere aptum als den Teil, der „die Bestandteile der Rede [betrifft], die zueinander passen müssen“45. Die Bestandteile, auf deren Harmonie laut Lausberg geachtet werden muss, sind: 1. causa, also der Redegegenstand, 2. inventio und elocutio, also die Angemessenheit der gefundenen Sachverhalte/Gedanken (res) zu den sie ausdrückenden Worten (verba), 3. dispositio, als angemessene Ordnung, 4. pronuntiatio, als
41 Alexander 1964. S. 18f. 42 Asmuth 1992. Sp. 579. 43 Ebd. 44 Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. Stuttgart 2008. S. 508. 45 Ebd. S. 507.
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angemessene gestisch-mimische Aufführung, und 5. die einzelnen Redeteile (exordium, narratio, argumentatio, peroratio) zueinander. Insofern diese Teile des inneren aptums allerdings nur als angemessen gegenüber einem Publikum gelten können, scheint es, als höbe sich die Unterscheidung wieder auf, indem das innere aptum als Teilmenge des äußeren erscheint. Versucht man, einen Ineinsfall des inneren und äußeren aptums zu verhindern, so kann das innere aptum nur sinnvoll als eine Angemessenheit nicht des konkret gegebenen Publikums, sondern der rhetorischen Kunst selbst gegenüber konzipiert werden. Und in der Tat lassen sich diese beiden Ebenen innerhalb der Rhetorik (wie auch des Designs) unterscheiden. Eine rhetorische Bemühung kann im Sinne der rhetorischen Technik als Glanzleistung anerkannt werden, obgleich sie womöglich vor dem konkreten Publikum, dem sie galt, nicht erfolgreich war. Und ebenso lassen sich wohl mühelos Beispiele gelungenen und revolutionären Designs finden, die nicht Anklang beim Benutzer gefunden haben. Aus der Tatsache des faktischen Scheiterns kann ebenso wenig eindeutig auf ein rhetorisches Misslingen in Sinne der techne geschlossen werden, wie andersherum vom rhetorischen Glanzstück auf den persuasiven Erfolg mit Notwendigkeit geschlossen werden kann. Dieser Umstand wurde im Methodenkapitel bereits unter dem Stichwort deutlich, dass es die Rhetorik mit dem Finden des möglicherweise Überzeugenden zu tun hat. Vor dem Hintergrund dieser Auffassung der Unterscheidung des äußeren vom inneren aptum wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass in den rhetorischen Lehrbüchern mitunter auch Reden dargeboten werden, die niemals vor einem tatsächlichen Publikum gehalten worden sind, sondern allein der Vermittlung rhetorischer Kategorien und Kompetenzen dienen, indem sie diese angemessen präsentieren und repräsentieren. Mit Bezug auf die Designrhetorik soll in der weiteren Arbeit zwischen innerem und äußerem aptum in der Weise unterschieden werden, die hier zuletzt ausgeführt wurde. Demnach bezeichnet das innere aptum eine Angemessenheit in Bezug auf die Regeln der Kunst, während das äußere aptum als Richtinstanz das Publikum setzt. Eine Anmerkung erscheint zur besseren Differenzierung notwendig: Wie Aristoteles betont, zielt jede rhetorische Bemühung stets auf ein Publikum46 und so hat eben nicht nur das äußere aptum einen Publikumsbezug, sondern auch das innere aptum. Nur sind diese Publika eben in der Regel nicht identisch. Während das Publikum, das zum Richtmaß des äußeren aptums wird, der Adressat jeder konkreten rhetorischen Bemühung ist, ist das Richtmaß des inneren aptums die Reihe von Designexperten, anderen Designern oder etwa Designtheoretikern. Der Unterschied zwischen diesen beiden Formen der Angemessenheit kulminiert demnach im Begriffspaar einer Angemessenheit der Präsentation vor einem Publikum und der Angemessenheit der Repräsentation des state of the art.
46 Arist. Rhet.. I 3, 1358b1f.
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2.8 Fehlendes Feedback im Designprozess „According to Goel and Pirolli, designers receive no real user feedback until the design has been released to the client. Goel and Pirolli acknowledged that users may be selectively tested before release time, but this testing is only formative, helping to improve the current design in piecemeal fashion.“47 Ein Grundproblem jedes rhetorischen Prozesses ist, dass sich der mögliche Erfolg letztlich erst innerhalb der actio zeigt. Diese lässt sich schon aus strukturellen Gründen nicht oder zumindest nicht vollständig vorwegnehmen. Der Grund dafür ist trivial: Wenn die actio sich bereits testweise in jeder Weise vorwegnehmen ließe, dann nur dadurch, dass vor der eigentlichen actio eine ‚Probeaufführung‘ mit gleichem Inhalt, gleichem Publikum, gleichen situativen Bestimmungen und überhaupt gleichen Randbedingungen gegeben wird. Das aber impliziert nichts anderes, als vor die actio bereits die actio zu setzen und diese damit schlichtweg zu doppeln. De facto heißt das nichts anderes, als den Termin der actio nach vorn zu verschieben, nicht aber tatsächliches Feedback noch innerhalb des Prozesses zu ermöglichen. Vor dem Hintergrund eines solchen harten Feedbackverständnisses als „real user feedback“48 oder „genuine feedback from the world during the problem-solving session“49 kann zwar von einem Fehlen des Feedbacks gesprochen werden, allerdings bleibt der Designer ebenso wie der Rhetoriker deshalb nicht schlichtweg ohne jede rückkoppelnde Orientierung. Wenn Goel und Pirolli ausführen, dass „Feedback from the world comes only after the design is completed and the artifact is constructed and allowed to function in its intended environment“50, dann heißt das eben auch, dass dieses spätere Feedback dafür genutzt werden kann, Feedback für „the next ‘similar’ project“51 zu prognostizieren. Sowohl Rhetorik als auch Design sind in diesem Sinne Techniken, die auf Erfahrung beruhen, deren systematisches Schlussverfahren auf einer Abwandlung des Ursache-Wirkungsprinzip beruhen, wonach ähnliche Projektresultate in vergleichbaren Projekten wahrscheinlich auch ähnliche Reaktionen hervorrufen. Der Wert der Topik für die Rhetorik und ebenso der diversen Topiken im Design besteht dann darin, die Ergebnisse dieser Erfahrungsschlüsse zu sammeln, zu ordnen und anwendungsbezogen aufzubereiten.52 In diesem Sinne meint Scheuermann:
47 Kaufer/Butler 1996. S. 40. 48 Ebd. 49 Goel/Pirolli 1992. S. 402. 50 Ebd. 51 Ebd. 52 In diesem Sinne unterstützen auch andere Methoden die Simulation echten Feedbacks: Marktanalysen, Prototypenherstellung, Probandenbefragung, etc.
116 | R HETORIK DES D ESIGNS „Die rhetorische Praxis entwickelt sich also in der Anwendung ihrer Regeln – der Rhetor entwickelt seine persönlichen Fertigkeiten durch die Nachahmung dessen, ‚was funktioniert‘. Die tiefer liegenden Gründe für die Weitergabe interessieren weder das rhetorische System noch den Rhetor. Einmal erfolgreiche Regeln werden an die nächste Generation weitergegeben, ganz gleich, ob sie ihren Erfolg womöglich ‚anthropologischen Konstanten‘ oder kulturellen Adaptionen verdanken.“53
Es zeigt sich aber, dass gerade das rhetorische iudicium, also die Urteilskraft, die es ermöglichen soll, kritisch zwischen möglichen rhetorischen Alternativen zu wählen, nur dann als funktionsfähig angenommen werden kann, wenn diese zugleich nach den Gründen des Funktionierens in gegebenen Situationen fragt. Ohne eine Angabe dieser Gründe, kann eine Übertragung auf Situationen, die als ‚vergleichbar‘ eingestuft werden, nicht gelingen. Insofern muss die Aussage Scheuermanns eingeschränkt werden: Zwar fragt der rhetor in der Anwendung einer rhetorischen Regel oder im Gebrauch eines topos nicht gleich nach beispielsweise den anthropologischen Bedingungen, die diese Anwendung ermöglichen, wohl aber nach den situativen Parametern; und die rhetorische Fähigkeit diese auszuloten, ist das iudicium. ‚Echtes‘ Feedback lässt sich nach all dem nur innerhalb des Prozesses simulieren, wobei die Qualität der Simulation sowohl vom iudicium des beteiligten Designers abhängt als auch vom Stand der Ausarbeitung der Designtopiken, auf die dieser zur Erweiterung seines Horizonts zurückgreifen kann. In diesem Sinne kann das oben angedeutete Ursache-Wirkungsprinzip unter Einbezug des Situationsbegriffs, wie er im vorigen Kapitel eingeführt wurde, auch wie folgt wiedergegeben werden: Ähnliche Situationszuschreibungen erzeugen ähnliche Akzeptanzrahmen, die auf ähnliche Handlungen ähnliche Reaktionen erwarten lassen. 2.9 Die Unabhängigkeit des Produkts vom Produzenten Wie in der Kunst so gilt auch für das Design, dass sich das Werk vom Urheber emanzipiert. Der Designer hat weder das letzte Wort in der Einordnung und Wertschätzung seines Werkes noch eine Interpretationshoheit. Letztlich muss das Werk sich auch emanzipieren, da es sonst nicht ohne den Kommentar seines Urhebers auskommen würde. Was Platon bereits an der Schrift kritisierte, nämlich dass diese Waisen in die Welt entlasse, unfähig sowohl sich selbst zu verteidigen als auch sich einem ‚schädlichen‘ Blick entziehen zu können, gilt in gleicherweise für den Artefakte oder Dienstleistungen schaffenden Designer.54 Auch dieser verliert die Kontrolle darüber, 53 Scheuermann 2009. S. 28f. 54 Zu Platons Schriftkritik, siehe: Platon: Phaidros. Übers. von Constantin Ritter. Leipzig 1922. Platon kritisiert in diesem Dialog nicht nur, dass die Schrift „Vergessenheit schaffen [wird] in der Seele derer, die sie erlernen“ (ebd. S. 105.), sondern auch dass die Schrift
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wie, von wem und unter welchen Umständen seine Arbeit rezipiert oder gebraucht wird, woraus sich weitreichende Fragen einer ‚Ethik des Designs‘ ergeben, die in der vorliegenden Arbeit allerdings nicht weiterverfolgt werden sollen. Hier gilt es festzuhalten: „Independence means that designs can be judged apart from the designers and the rationales that produce them.“55 Der Unterschied wird, wie der Verweis auf Platon deutlich macht, genau an der Stelle rhetorisch relevant, wo der rhetor oder Designer nicht zur Verfügung steht, um Einfluss auf Deutungsmuster oder Benutzungsweisen nehmen zu können. Zwar determiniert selbst in der face-to-face Kommunikation der Kommunikator nicht das, was schließlich verstanden wird, allerdings bleibt ihm die Möglichkeit zur Intervention, wenn er droht missverstanden zu werden. Diese Möglichkeiten sind in der Medialrhetorik deutlich schwerer zu realisieren. Die Emanzipation des Produktes vom Produzenten ist überdies aber auch zugleich die notwendige Voraussetzung für eine Rhetorik des Designs. Eben weil das Produkt sich vom Produzenten emanzipiert, gilt es, für dieses eine Formensprache zu finden, die bestimmte Benutzungsweisen nahelegt, bestimmte Anwendungen präferieren lässt und also Affordanzen erzeugt. Mit einem Wort: Die Designrhetorik fragt nach den Möglichkeiten, durch die Formensprache des Designs (durch Bilder, Piktogramme, Signaletik, Schrift und vieles mehr) bestimmte Situationszuschreibungen anzustoßen und so Handlungsweisen zu beeinflussen. 2.10 Die Unterscheidung von Plan und Lösung „It must be possible to specify a design as an abstract plan prior to its embodiment in a concrete artefact. Moreover, this planning must precede the delivery of the designed
ohne zusätzlich Belehrung keine Weisheit oder Wahrheit lehre, sondern lediglich den Schein davon und so dazu verführe, sich einzubilden von vielem etwas zu verstehen und am Ende doch „zu Dünkelweisen geworden [zu sein] und nicht zu Weisen.“ (ebd.). Platon kritisiert weiter: „Denn es ist wohl das Bedenkliche beim Schreiben und gemahnt wahrhaftig an die Malerei: auch die Werke jener Kunst stehen vor uns als lebten sie; doch fragst du sie etwas, so verharren sie in gar würdevollem Schweigen. Ebenso Auch die Worte eines Aufsatzes: du möchtest glauben, sie sprechen und haben Vernunft; aber wenn du nach etwas fragst, was sie behaupten, um es zu verstehen, so zeigen sie immer nur ein und dasselbe an. Und dann: einmal niedergeschrieben, treibt sich jedes Wort allenthalben wahllos herum, in gleicher Weise bei denen, die es verstehen, wie auch genau so bei denen, die es nichts angeht, und weiß nicht zu sagen, zu wem es kommen sollte und zu wem nicht. Wenn es dann schlecht behandelt und ungerechterweise geschmäht wird, so bedarf es immer eines Vaters, der ihm helfen sollte: denn selbst kann es weder sich wehren noch sich helfen.“ (ebd. S. 104.) 55 Kaufer/Butler 1996. S. 40.
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artefact.“56 Im Grunde stellt diese Unterscheidung gestalterisches Handeln als ein planungsvolles Handeln heraus. Gerade in Anbetracht der Komplexität des Designproblems ist offensichtlich, dass Designprozesse ein strategisch-planungsvolles Handeln voraussetzen. Auch wenn einige Prozesse nicht immer en detail im Voraus planbar sein mögen, hebt das die Bedeutung dieser Unterscheidung nicht auf. Gerade weil Designprozesse aus planungsvollem Handeln resultieren, sind Designprodukte auf der Grundlage dieses Handelns eben auch beschreib- und bewertbar. Die Notwenigkeit beschreibbarer und bewertbarer Planungsprozesse zeigt sich besonders darin, dass sich für viele Designprozesse allein hierdurch die Möglichkeit ergibt, tatsächlich – wenn auch nur fragmentarisches – Feedback und Kritik einzuholen, bevor der Prozess als abgeschlossen gilt und eine etwaige Kritik unfruchtbar bleiben müsste. Genau dies scheint die Funktion beispielsweise des Dummys im Buchdesign zu sein, der besonders das planungsgeleitete Handeln des Gestalters sichtbar macht und präsentiert und erst dadurch vermittelt eben auch das potentielle Endprodukt erahnen lässt. Eine Kritik des Dummys ist daher vor allem eine Kritik der handlungsleitenden Motive, die den Plan des Gestalters bestimmen, und keine Kritik einer etwaigen Lösung. In systematischer Hinsicht verweist das Charakteristikum der Unterscheidbarkeit von Plan und Resultat auf die Kategorie der Wirkungsintentionalität. „Der Begriff ‚Wirkungsintentionalität‘ ist prekär. Die Konzepte ‚Intention‘ und ‚Wirkung‘ stehen ästhetikgeschichtlich betrachtet für zwei unterschiedliche Bereiche: ‘Wirkung‘ verweist auf die Rezeptionsperspektive der Wirkungsästhetiken von der Poetik Aristoteles‘ bis zu Wolfgang Isers Rezeptionsästhetik der 1970er Jahre. ‚Intention‘ hingegen steht für die Bedeutungsintention, die dem autonomen Subjekt in der Genieästhetik um 1800 zugeschrieben wird und danach heftig umstritten ist. Ihre Verbindung zum Begriff ‚Wirkungsintention‘ allerdings meint etwas Drittes, das außerhalb beider Diskurse steht: Die Wirkungsintention ist dem rhetor und der Rhetorik vorbehalten.“57 Von Seiten des rhetors ist die Wirkungsintention schlicht die intendierte Wirkung, die als Ziel der konkreten Ausgestaltung das strategisch-planungsvolle Handeln bestimmt. Insofern gibt es nach Scheuermann „ohne wirkungsintentionale Produktion durch einen rhetor kein Medium, das analysiert werden könnte.“58
Auf der anderen Seite betont die rhetorische Analyse stets die Möglichkeit, aus den tatsächlich eingetretenen Wirkungen auf Seiten der Rezipienten, also aus den Formen ihres Zustimmungs- oder Ablehnungsverhaltens, Rückschlüsse zu ziehen und Regeln für die Formen der Realisation einer bestimmten Wirkungsintentionalität zu formulieren. So gibt es auf der anderen Seite eben auch „ohne [die] Analyse von Wirkung 56 Ebd. S. 41. 57 Scheuermann 2009. S. 25. 58 Ebd. S. 27.
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und Mitteln keine Konzeption von Wirkungsintentionalität.“59 Designer arbeiten in diesem rhetorischen Sinne wirkungsintentional: Das heißt, sie intendieren bestimmte Wirkungen und suchen Mittel, um diese so umzusetzen, dass diese Wirkungen möglichst erfolgreich beim Adressaten hervorgerufen werden können. Dabei nutzen sie das Wissen ihrer techne, das aus der Analyse entsteht. Den obigen Weg umkehrend wird dabei von bestimmten Wirkungen auf die genutzten Mittel und die dahinterstehende Wirkungsintention geschlossen. Im Idealfall ist das Resultat der ersten Bewegung ein gelungenes und überzeugendes Design und das Resultat der zweiten (Analyse-)Bewegung ist ein Regelwerk, „dessen Autorität in seiner Anwendbarkeit besteht. Oder anders formuliert: Die Verlässlichkeit des rhetorischen Systems beruht auf dem kontrollierten Erfolg ihrer Wirkungsintentionalität.“60
59 Ebd. S. 27. 60 Ebd. S. 27f.
IV. Rhetorik des Designprozesses
1. P ROZESSANALOGIE Die Analyse des Designproblems machte deutlich, dass es sich dabei im Kern um ein rhetorisches Problem handelt. Diese Problemanalogie verweist damit nicht nur auf die Möglichkeit, Design rhetorisch zu analysieren, sondern ist überdies die Grundlage, von einer generellen rhetorischen Verfasstheit des Designs reden zu können. Um hier von der Verfasstheit des Designs zu reden, gilt es, drei Gesichtspunkte zu berücksichtigen und zu zeigen, welche Rolle rhetorische Theorien, Terminologien und Techniken innerhalb dieser Bereiche spielen. Der Begriff Design kann dreierlei meinen: Zum einen bezeichnet Design den Prozess der Gestaltung, des Weiteren wird von Design als von dem Resultat dieses Prozesses, also dem Produkt gesprochen. Schließlich ist Design – etwa als Studiengang – auch ein Vermittlungsbereich. Die hier zu entwickelnde Designrhetorik umfasst die ersten beiden dieser drei Bereiche: Sie ist eine Rhetorik des Designprozesses und fragt nach der rhetorischen Dimension im gestalteten Resultat. Insofern sich die vorliegende Arbeit als ein Beitrag zur Designtheorie (wie auch zur Rhetoriktheorie) versteht und wie jeder Beitrag zur Designtheorie hoffen mag, Eingang in die Designvermittlung zu finden, schließt sie ebenso Überlegungen zur rhetorischen Vermittlung von Design mit ein. Allerdings führt der letzte Bereich auch deutlich aus dem heraus, was in einem engeren Sinne als Designrhetorik verstanden werden kann, denn das strategische Reden über Design ist nicht Gegenstand der Designrhetorik, sondern der allgemeinen Rhetorik. Im Laufe des vorliegenden Kapitels soll die Möglichkeit einer Rhetorik des Designprozesses thematisiert werden. Die folgenden Kapitel der vorliegenden Arbeit werden dann die Rhetorik des Designs im Sinne einer Produktrhetorik in den Mittelpunkt stellen.
2. D ESIGNRHETORIK
ALS
P ROZESSRHETORIK
Joost betont: „Insgesamt eignet sich Rhetorik als Theorie besonders zur Benennung, Analyse und Systematisierung des Design-Prozesses in Hinblick auf die Beziehung
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zwischen Designer, Design-Prozess, Artefakt und Adressat.“1 Diese Eignung der Rhetorik soll im Weiteren entwickelt werden. Innerhalb der klassischen Rhetorik findet sich zur Gestaltung des Prozesses die Lehre der rhetorices partes. Dazu zählen in Anschluss an Cicero und Quintilian die fünf Produktionsstadien der Rede, die, insofern sie als notwendige Arbeitsschritte erachtet und damit als die Aufgaben des rhetors verstanden werden, auch als officia oratoris angesprochen werden.2 Diese, bereits erwähnten, sind: inventio, dispositio, elocutio, memoria und actio. Dieses System in seiner Gliederung in fünf Bereiche hat mehrere Ausdeutungen erfahren. So wird mitunter vor dem Stadium der inventio ein Stadium einer eher generellen Problematisierung (intellectio) oder nach der inventio eine gesonderte Phase der kritischen Überprüfung des gefundenen Stoffes (iudicium) angesetzt. Zudem findet sich, wie Beate Czapla betont, bei Aristoteles die memoria nicht als eigenständiges Produktionsstadium. Demnach ergibt sich ein Modell der Stadien, das in seiner konkreten Zahl und Ausformulierung variiert. Innerhalb des fünfstufigen Modells gelten die Phasen der inventio, dispositio und elocutio als die eigentlichen Phasen der Produktion, so dass auf diese auch der Fokus der hier versuchten Prozessanalogie zu legen sein wird.3 Diesen drei Phasen wird in dem vorliegenden Kapitel die Phase der intellectio als eine Phase des Problematisierens vorangestellt. Die Annahme, die diese Aufstellung motiviert, ist dabei die Folgende: Jeder Designer durchläuft innerhalb des Designprozesses Phasen, in denen er sein konkretes Gestaltungsanliegen, seine Ziele und Probleme findet und formuliert, schließlich nach überzeugenden Lösungen und Umsetzungsmöglichkeiten sucht, diese der konkreten Aufgabe anpasst und ordnet und schließlich gestalterisch umsetzt. Damit durchläuft er genau die Phasen, die hier mit den Produktionsphasen bezeichnet werden.4 Demnach kann mit Joost gesagt werden: „Die Rhetorik stellt – im Gegensatz zur idealistischen Ästhetik – adäquate Kategorien zur Beschreibung und Evaluation zur Verfügung. Sie definiert in diesem Prozess sowohl die strategi-
1
Joost, Gesche: Rhetorik. In: Wörterbuch Design. Begriffliche Perspektiven auf Design. Hrsg. von Michael Erlhoff und Tim Marshall. Basel 2008. S. 350-352.
2
Vgl. Czapla, Beate: Rhetorices partes. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 1412-1423. Hier: Sp. 1412.
3 4
Die memoria und die actio gelten demgegenüber als Phasen der Aufführung. Mit dem Begriff der officia oratoris wurden innerhalb der Rhetorikgeschichte unterschiedliche Bereiche bezeichnet, die als Aufgaben und Kernanliegen des rhetors ausgewiesen wurden. Neben der Bezeichnung der rhetorices partes als officia, wurden auch die rhetorischen Redeziele (delectare, docere, movere) als officia bezeichnet. Für eine genauere Auseinandersetzung, siehe: Walde, Christine: Officium. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 405-408.
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schen Entscheidungen entlang der Produktionsstadien der Ideenfindung (‚inventio‘), Konzeption (‚dispositio‘), Gestaltung (‚elocutio‘) und Präsentation (‚actio‘) als auch den Zusammenhang zwischen den Kommunikations- und Interaktionspartnern (Rhetor, Medium, Adressat).“5
Um dies im Weiteren deutlicher werden zu lassen, gilt es, die einzelnen Produktionsphasen vorzustellen und – vor allem – zu übertragen. Diese Übertragung soll dabei so erfolgen, dass versucht wird, die Anforderungen und Methoden der einzelnen Phasen aus der Beschreibung der Arbeitsschritte abzuleiten, die innerhalb der Designpraxis selbst vorgeschlagen wird. Insbesondere im Bereich der inventio, wenn es um das Finden von Ideen geht, soll der Ausgangspunkt nicht nur in der Rhetoriktheorie genommen werden, sondern auch in der – oft keinen wissenschaftlichen Standards genügenden – Literatur der Praxis. Zuvor allerdings gilt es noch eine Anmerkung bezüglich der Prozessabfolge der einzelnen Produktionsphasen zu machen. Die rhetorices partes sind oft – und so auch hier – als Produktionsphasen beschrieben worden. Die Vorstellung als Phasen legt jedoch ein Stufenmodell nahe, das irreführend sein kann. Denn als Stufenmodell würden die rhetorices partes eine genau festgelegte Prozessabfolge bezeichnen, nach der die Ideenfindung (inventio) stets zeitlich und kausal vor der Anordnung (dispositio) des Stoffes und diese beiden Phasen wiederum vor der Ausformulierung (elocutio) lägen. Folgt man der Metapher der Stufenartigkeit weiter, so ergibt sich ein lineares Ablaufschema, nach dem es nicht möglich wäre, zumindest aber doch woh nicht nötig, wieder eine Stufe zurückzugehen. Auch wenn eine solch naive Vorstellung kaum in der Rhetoriktheorie vertreten wird, ist es doch wichtig, gleich zu Beginn möglichen Missverständnissen vorzubeugen. Die rhetorices partes bezeichnen die essentiellen Momente des rhetorischen Prozesses, nicht aber legen sie deren genaue Abfolge fest. Vielmehr ist anzunehmen, dass dieser Prozess zum einen sich für jeden einzelnen Gedankengang aufstellen lässt und somit innerhalb des Gesamtprozesses mehrfach durchlaufen wird und zum anderen stets alle Produktionsphasen miteinander stark verschränkt sind. So ist es auch keineswegs stets der Fall, dass die gezielte Suche nach Informationen am Anfang steht: Es mag Fälle geben, in denen eine bestimmte Formulierung bereits gefunden und für schön, wertvoll oder passend empfunden wurde – ohne dass dem rhetor bereits klar ist, in welchem Sinne sie schön, wertvoll oder passend sei – und zur Rechtfertigung und zum Erhalt dieser bestimmten Formulierung erst die Phase der inventio und zur wirkungsgerechten Platzierung die Phase der dispositio angegangen werden. Das System der rhetorices partes gestaltet sich folglich flexibel. Diese Flexibilität ist auf der anderen Seite aber auch nicht beliebig. Der Entwurf den Prozess strukturierender Momente dient gerade dem Zweck, sich den Prozess als solchen bewusst zu machen, selbigen methodisch anzuleiten und in Form eines Musterablaufes dafür Sorge zu tragen, dass essentielle Prozessabläufe 5
Joost 2008. S. 352.
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nicht übergangen werden. In diesem Sinne lassen sich die rhetorices partes auch als Fragekatalog vorstellen, deren zeitliche Reihenfolge der Beantwortung zwar flexibel ist, nicht aber die Tatsache, dass selbige in der einen oder anderen Weise beantwortet werden müssen. Die Fragen, die die einzelnen rhetorices partes ins Bewusstsein zu rücken haben, könnten – in verkürzter Form – wie folgt aussehen: Intellectio – Was ist mein Thema? Wo liegt das Gestaltungsproblem? Was ist überhaupt der Anlass oder das Ziel der Gestaltung? Inventio – Habe ich genügend Informationen? Lassen sich aus den bestehenden Informationen Argumente konstruieren? Wo finde ich Ideen für ansprechende Motive? Wer ist meine Zielgruppe? Dispositio – Ergibt die Anordnung meines Stoffes Sinn? Welche der gewünschten Zwecke wird durch die Komposition in welchem Maße erfüllt? Folgt die Abfolge der Gedanken einem dramaturgischen Prinzip? Gibt es eine Form der Leserlenkung? Ist die visuelle Form selbsterklärend? Elocutio – Trifft meine Wort- und Bildwahl den Punkt? Spricht die Gestaltung das Publikum angemessen an? Kann selbige die Aufmerksamkeit wecken? Eyecatcher? Erzeugt die Gestaltung Wohlwollen gegenüber der Sache oder Person? Gibt es einen emotionalen Wert?
3. V OM P ROBLEMATISIEREN – I NTELLECTIO Augustinus und Sulpicius Victor setzen beide vor den Beginn der eigentlichen rhetorischen Produktionsphasen die intellectio als eine „rhetorische Prä-Operation“6. Dieser Operation kommen nach Sulpicius Victor drei wesentlich Aufgaben zu: Zum einen muss, bevor der eigentliche Produktionsprozess beginnen kann, geklärt werden, ob der Redegegenstand aus einer thesis oder hypothesis besteht. Es geht also darum zu klären, ob der Redegegenstand ein allgemeines, oftmals eher philosophisches Problem behandeln soll (questio infinita) oder ein konkretes, lebensweltliches Problem zum Gegenstand hat, wie beispielsweise im juristischen Kontext (questio finita). In diesen letztgenannten Kontext gehört dann auch die zweite Aufgabe der intellectio, nämlich zu prüfen, ob der gegebene Fall unter einen status fällt. Bezogen auf die im Methodenkapitel ausgeführte status-Lehre heißt das, konkret zu fragen, in welcher Form ein Rechtsfall vorliegt. Abhängig vom status ergibt sich sodann die dritte Aufgabe, die darin besteht, einen zum Gegenstand der Rede passenden Modus zu finden, indem der Vertretbarkeitsgrad festgestellt wird. Dieser letzte Punkt ist schließlich auch der für die vorliegende Arbeit interessante, weshalb hier etwas ausführlicher auf die Vertretbarkeitsgrade eingegangen werden soll.
6
Chico-Rico, Francisco: Intellectio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding, übers. von Gabriele Wawerla. Bd. 4. Tübingen 1998. Sp. 448-451. Sp. 48.
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Ebenso wie die status-Lehre entstammt die von Lausberg als Analyse der Vertretbarkeitsgrade bezeichnete Suche der juristischen Rhetorikpraxis. Dabei bezeichnen die Grade der Vertretbarkeit: „Abstufungen in der Einschätzung, die einer Rechtssache aus sachlichen oder persönlichen Gründen bei den Richtern bzw. den Zuhörern im Prozess zuteil wird.“7 Damit sind diese Abstufungen der Einschätzung eines Gegenstandes bezogen auf das urteilende Publikum nichts anderes als Abstufungen angenommener Erwartungshaltungen. Die fundamentale Bedeutung dieser genera causarum liegt, bedenkt man die zentrale Rolle der Identifikation im rhetorischen Prozess, dann eben auch darin, die Grenzen möglicher Identifikationen des Publikums bereits vor dem Eintritt in die eigentliche rhetorische Produktion wenigstens grob ausloten zu können. Alle weiteren Produktionsschritte, insbesondere auch die Suche nach Ideen, Strategien und Konzepten innerhalb der inventio, wird hierin bereits auf die Erwägungen beschränkt, die ein hohes Identifikationspotential versprechen. Die zentrale Frage der intellectio bezogen auf die genera causarum ist für den Designer dann: Welche Einstellung gegenüber dem Gegenstand der Gestaltung ist beim Publikum zu erwarten? Wo werden sich Identifikationsmöglichkeiten bieten, wo scheinen Hindernisse vorprogrammiert? Lausberg unterscheidet mit Bezug auf die römische Rhetorik und vor allem auf Quintilian und den Auctor ad Herenium fünf Grade der Vertretbarkeit, die im Weiteren genauer vorzustellen sind. 3.1 genus honestum Beim genus honestum liegt ein Fall vor, der dem Rechtsempfinden, den Wertvorstellungen und dem Wahrheitsempfinden des Publikums entspricht. Demnach braucht das Publikum nicht eigentlich vom Gegenstand überzeugt zu werden, sondern allenfalls von der Art und Weise der Darbietung. So ist es für den Auctor ad Herenium evident, dass „wir uns für einen Helden, aber gegen einen Vatermörder einsetzen.“8 So trivial diese Feststellung sich auch anhört, so kompliziert ist doch aber zugleich die konkrete Evaluation, wer als ‚Held‘ angesehen wird und wer nicht. Wie bei allen weiteren genera causarum gilt auch für das genus honestum, dass dieses genus eben nicht am Gegenstand haftet und diesem inhäriert, sondern an den sich wechselnden Wertvorstellungen des Publikums. Keine Sache ist als solche bereits ein Fall des genus honestum und lässt sich absolut vom richtenden Publikum entscheiden, sondern jede Sache nur in Bezug auf dieses. Bezogen auf die Gestaltung von Werbung meint Isabelle Lehn: „Für image- und prestigeträchtige Markenartikel vom status des genus honestum erübrigt sich der Anspruch einer informativen Darstellung schließlich, da 7
Gast, Wolfgang: Vertretbarkeitsgrade. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 1115-1130. Hier: Sp. 1116.
8
Zit. nach: Ebd. Sp. 1121.
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ihr Versprechen nicht in einer überlegenen funktionalen Leistung, sondern in der emotionalen Qualität des Angebots besteht.“9 Die überlegene funktionale Leistung erübrigt sich jedoch gerade in dem Sinne, als diese bereits anerkannt zu sein scheint und nicht weiter beworben werden muss. Exemplarisch mag hierfür die Gestaltung eines Apple-Plakates gelten. Appleprodukte umgibt (bezogen auf die Reaktion der Kunden) eine Art Aura der Innovation (die stark mit Steve Jobs verbunden war), des technischen Fortschritts und zugleich des Ästhetischen. Werbeplakate wie dieses (Abbildung 1) stellen daher nicht die Funktionalität und die einzelnen Produktvorteile in den Vordergrund, sondern die äußere Erscheinung des Produktes selbst: So als drücke bereits die Form des Produktes dessen Vorteile am besten aus. Abbildung 1
3.2 genus turpe Beim genus turpe liegt der Fall genau andersherum. Rechtsempfinden, Wert- und Wahrheitsvorstellungen sind durch den vertretenen Fall herausgefordert. Die Sachlage liegt deutlich quer zu den Vorstellungen des Publikums und die Möglichkeiten der Identifikation sind gering. Der Gegenstand wird als schockierend empfunden und gilt als nicht (oder nur schwer) vertretbar. Eben weil dieses genus so wenig Identifikationsmöglichkeiten bietet, wird es zur Herausforderung für den Gestalter, dennoch
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Lehn 2011. S. 126.
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Aspekte zu finden, die hervorgehoben werden können. Es kommt also vor allem darauf an, den Fall so zu zerlegen, dass, wenn sich bezogen auf den gesamten Fall nur Widerstände aufzutun scheinen, dieser sich vielleicht in Einzelaspekten, die später wieder zusammengesetzt und für das Ganze erklärt werden können, doch noch gewinnen lässt. Das genus turpe macht eine Zerlegungsstrategie fast unumgänglich. Die Schwierigkeit besteht dann oftmals darin, nicht nur eine geeignete Zerlegung zu finden, sondern mehr noch die erneute Zusammensetzung der Elemente als vollständig oder wenigstens als bezogen auf das Wesentliche vollständig erscheinen zu lassen. Genus honestum und genus turpe bilden in ihrer Extremform die Ränder dessen, was sich überhaupt rhetorisch bearbeiten lässt. Mit Verweis auf Burke kann gesagt werden, dass weder „pure identification“ noch „absolute division“ eine rhetorische Intervention zulässt.10 Inwieweit allerdings ein genus turpe (oder auch ein genus honestum) tatsächlich in einer solch extremen Form vorliegt, erschließt sich erst innerhalb der intellectio. Ziel ist es, auch im Falle eines genus turpe, noch diejenigen Identifikationsmöglichkeiten ausfindig zu machen und rhetorisch gelungen zu inszenieren, die einen Erfolg wahrscheinlicher zu machen versprechen. Daher ist gerade das genus turpe stets auch ein herausfordernder Gegenstand der Ausbildung des Redners wie auch des Gestalters. Ein solches Übungsstück – das zugleich die Stärke der Rhetorik, auch noch aus der schwächeren Position eine starke zu machen, zu zeigen beabsichtigt11 – ist etwa die Verteidigung der Helena in der Rede des Isokrates. Helena, 10 Vgl. Burke schreibt hierzu in A Rhetoric of Motives: „If men were not apart from one another, there would be no need for the rhetorician to proclaim their unity. If men were wholly and truly of one substance, absolute communication would be of men’s very essence“ (Burke 1969a. S. 22.). Wenig später formuliert Burke in Bezug auf ‚pure‘ Identifikation und ‚pure‘ Trennung: „In pure identification there would be no strife. Likewise, there would be no strife in absolute separateness, since opponents can join battle only through a mediatory ground that makes their communication possible, thus providing the first condition necessary for their interchange of blows. But put identification and division ambiguously together, so that you cannot know for certain just where one ends and the other begins, and you have the characteristic invitation to rhetoric“ (ebd. S. 25.). Auch wenn pure Identifikation bzw. absolute Trennung keine Grundlage für rhetorische Bemühungen darstellen, so betont Burke im weiteren Verlauf aber auch, dass beides als Motiv der Rede dennoch zugrunde liegen kann. Es ist demnach mit diesen Formen so wie mit der Proklamation einer Alternativlosigkeit – oder, wie Kapitel VII zeigen wird, der Rhetorik der Neutralität. Wäre eine Sachlage in ihrer Bewertung tatsächlich alternativlos, wäre sie auch nicht Gegenstand der Rhetorik. Die Alternativlosigkeit jedoch zu proklamieren, stellt mitunter eine erfolgreiche Strategie dar, um Kontrahenten auszustechen. 11 Man denke hierbei an die auf Protagoras zurückgehende Bestimmung, wonach es in der Rhetorik darum ginge, den „schwächeren logos zum stärkeren zu machen“ (zit. nach: Robling, Franz-Hubert: Rhetorische Anthropologie. B. Rhetorik und rhetorische Tradition. In:
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die als auslösender Faktor des trojanischen Krieges gesehen wird und damit als Anlass vieler Männer Tod und zudem als Verräterin an ihrem Vater und Volk gilt, kurz: eine Verteidigung dieser Helena ist rhetorisch schwierig. Isokrates aber gelingt es, den Fall Helena so zu zerlegen, dass, bezogen auf jeden Einzelaspekt, ihre Unschuld (bisweilen sogar ihre zu lobenden Charakterzüge) herausgestellt werden kann. Eine analoge Strategie der Zerlegung und Betonung einzelner Aspekte findet sich auch in der Werbung für Genussmittel. Wie Lehn betont, müsste „eine rationale Erörterung der nützlichen oder schädlichen Produkteigenschaften vielmehr vom Kauf abraten als eine Kaufempfehlung aussprechen“12. Wie wirbt man demnach für Alkohol oder Zigaretten? Der Schlüssel mag in der Bestimmung dessen liegen, was von der Zielgruppe überhaupt als nützlich oder schädlich angesehen wird. Von einem medizinischen Standpunkt aus betrachtet, scheinen Zigaretten überhaupt keine nützlichen Eigenschaften zu besitzen, vielmehr sind die gesundheitlichen Folgen unstrittig als negativ einzuschätzen. Würde auf dem Feld dieses medizinisch-biologistischen Verständnisses versucht werden, Werbung für Zigaretten zu machen, so befände sich der Gestalter tatsächlich auf dem Feld des genus turpe. Die Strategie muss demnach klarerweise die sein, das Feld des genus turpe zu verlassen, indem der Standpunkt, von dem aus etwas als nützlich oder schädlich erscheint, gewechselt wird. Vom sozialen Standpunkt aus gesehen, ist die Bewertung des Tabakkonsums schon weit weniger eindeutig und so schaffen es Werbeagenturen auch, tatsächlich die Verbindung von Zigaretten mit Krebs, Raucherbein und Tod größtenteils zu kappen und stattdessen Verbindungen mit Freiheit, Freundschaft, Jugend, ja selbst mit Gesundheit herzustellen. Der Prozessgedanke lässt sich relativ leicht rekonstruieren: Werbung für ein Genussmittel zu machen kann unter das genus turpe fallen, wenn die Verbindung des Produkts zu seinen negativen Folgen beim Rezipienten evoziert wird. Eben weil es Genussmittel sind, deren negative Folgen hinlänglich bekannt sind, ist eine solche Evozierung wahrscheinlich. Zum Finden einer möglichen Strategie gilt es, die Bewertungskonzepte ‚nützlich‘ und ‚schädlich‘ multiperspektivisch zu zerlegen. Schädlich Erscheinendes kann dann aussortiert und nützlich Erscheinendes betont werden. In dieser Weise kann von einem Standpunkt aus, der etwa auf Sentenzen aufbaut wie ‚Man lebt nur einmal‘ oder ‚Du bist nur einmal jung‘ oder auch ‚Nichtraucher sterben gesund‘, zwar nicht Schädliches in Nützliches verkehrt, wohl aber relativiert werden. Gerade dieses Beispiel verdeutlicht zudem noch einen interessanten Punkt. Lausberg betont zwar, dass – bezogen auf eine Gerichtsverhandlung – ein Fall des genus turpe vor allem deshalb so schwer zu vertreten sei, weil die Gegenpartei es mit einem Fall
Rhetorik. Begriff, Geschichte, Internationalität. Hrsg. von Gerd Ueding. Tübingen 2005. S. 310-313. Hier: S. 312.). 12 Lehn 2011. S. 126.
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des genus honestum zu tun habe.13 Allerdings gilt dies offensichtlich in so multiperspektivischen Angelegenheiten wie dem Werbebeispiel nicht. Denn gerade die Werbekampagnen gegen Tabakkonsum tun sich mitunter so schwer, dass offenbar auch diese es – freilich bezogen auf einen anderen Aspekt – mit einem genus turpe zu tun haben: Denn wenn der ‚erhobene Zeigefinger‘ und die ‚mahnenden Rufe‘ nur als Störung und Eingriff in die vermeintlich individuellen Selbstentfaltungsrechte sowie die proklamierte Eigenverantwortlichkeit empfunden werden, so bleibt auch der Gegenkampagne nichts anderes übrig, als nach neuen Konzepten – jenseits des medizinisch Schädlichen zu suchen. Dieses bleibt zwar ihr stärkstes Argument, das aber, ohne eine direkte soziale Komponente, stets zu verpuffen droht. Gerade die Geschichte der Tabakwerbung macht deutlich, dass Genussmittelwerbung nicht, wie Lehn anzudeuten scheint, per se unter das genus turpe fällt. Verbunden mit Prestige, gesellschaftlicher Stellung, Kult und der Verbindung zur Peergroup kann Rauchen eben sogar unter das genus honestum fallen. In diesem Sinne hat (genauer: hatte) die Tabakwerbung auch überhaupt kein Problem, sogar den topos Gesundheit selbst ins Feld zu führen und zu betonen: ‚Camel – Vom Hausarzt empfohlen.‘ (Abbildung 2 und 3). Erst mit dem Erstarken eines kulturellen Umfeldes, das Biobewusstsein und Abbildung 2 (links) und 3 (rechts)
gesunde Lebensführung zur Maxime zu erheben scheint, sieht sich der Werbetreibende bezüglich der Tabakwerbung mit dem genus turpe konfrontiert, das in Bezug auf die oben erwähnten Schwierigkeiten der Gegenkampagnen mitunter noch als genus dubium erscheint. Die komplexe, da stets von sich ändernden Einstellungen des Publikums abhängige, rhetorische Situation muss vom Gestalter stets neu ermittelt und geprüft werden. Kein Gegenstand lässt sich pauschal einem genus zuordnen und 13 Vgl. Lausberg 2008. S. 58.
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eine Fehleinschätzung des genus führt nahezu zwangsläufig zu Verstößen gegen das aptum, welche den Erfolg der rhetorischen Bemühungen gefährden können. 3.3 genus dubium Beim genus dubium handelt es sich um solche Fälle, die in ihrer Bewertung nicht eindeutig sind. Das genus dubium ist damit der Fall, der innerhalb der Rhetoriktheorie stets als prototypisch angesehen wurde und wird, denn über das, was in seiner Bewertung noch zweifelhaft und unentschieden ist, lässt sich laut Aristoteles auch rhetorisch streiten.14 Dieses genus entsteht in gewisser Weise als Mischform der beiden erwähnten genera, insofern „der Fall etwas an Ehrhaftigkeit und ebenso an Verwerflichkeit in sich birgt“15. Fälle dieses genus vereinigen demnach Identifikation und Spaltung in einem ausgewogenen Verhältnis, so dass dieser genus vor allem dazu einlädt, tatsächlich auch inhaltlich zu argumentieren. Logos-Appelle, die im genus honestum nicht nötig und im genus turpe nicht wirkungsvoll zu sein scheinen, können im genus dubium, wo Menschen bezüglich einer für sie ernsthaften und wichtigen Angelegenheit tatsächlich Rat und Orientierung suchen, ihre volle Wirkung entfalten. In diesem Sinne betont auch Lausberg, dass die causa dubia „die Hauptangelegenheit der Entwicklung einer ernsthaften Dialektik“16 sei. Ausgangspunkt des genus dubium ist demnach folgender: Der Gegenstand oder das Problem wird als ernsthaft und wichtig eingestuft, jedoch fehlen entweder dem Publikum entscheidende Informationen, beziehungsweise die Sachlage wird als sehr komplex und verzwickt empfunden, oder aber dem Publikum liegen widersprüchliche Informationen oder gute Gegenargumente vor und es kann sich daher nicht entscheiden. Das Publikum schätzt die Folgen einer Fehleinschätzung als riskant und folgenreich ein und ist daher (mehr oder weniger) offen für Beratung, Information und (Schein-)Argumente: „Denn je größer das wahrgenommene Kaufrisiko und damit die ‚Ich-Beteiligung‘ der Zielpersonen ist, umso stärker der Antrieb, zusätzliche Informationen zu suchen.“17 Bezogen auf Werbegestaltung nennt Lehn beispielsweise die Werbung für Versicherungen oder Geldanlagen als einen typischen Fall des genus dubium, aber auch „langlebige technische Produkte wie Autos, aber auch […] gegenüber Produkten, die ein gesundheitliches oder ökologisches Risiko bergen, zum Beispiel in der Werbung für Heilmittel oder für Möglichkeiten der Energieversorgung.“18 Diese Beispiele des genus dubium – vor allem der Verweis auf Autowerbung – macht allerdings deutlich, dass 14 Vgl. Arist. Rhet. I,2. 1357a12. 15 Zit. nach Gast 2009. Sp. 1121. 16 Lausberg 2008. S. 58. 17 Lehn 2011. S. 127. Siehe auch: Kroeber-Riel, Werner; Weinberg, Peter: Konsumentenverhalten. München 2003. S. 251. 18 Lehn 2011. S. 126f.
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offenbar nicht immer der logos-Appell die tatsächlich tragende Strategie darstellt. Auch bei dieser Beispielkompilation muss, wie schon im Falle der Genussmittelwerbung, eingewendet werden, dass eine Pauschalisierung über Produkte und Produktklassen wenig hilft. Ob ein Gegenstand unter den genus dubium fallen kann, muss stets neu evaluiert werden und dabei liefern nicht die Produkte die Definienda des genus, sondern die Einstellungen des Publikums. Ein mögliches Beispiel jenseits der klassischen Werbeplakate stellen möglicherweise städtische Bauvorhaben dar. Auch wenn diese von den Bürgern mehrheitlich gewollt sein sollten, so gehen sie dennoch mit zumeist nicht restlos sicheren Finanzierungen, unzuverlässigen Kostenplanungen und infrastrukturellen Einschränkungen einher. Überdies sind derartige Bauvorhaben auch der ästhetischen Kritik des Bürgers ausgesetzt, so dass über alle diese Bereiche informiert und von der geplanten Umsetzung überzeugt werden muss.19 3.4 genus humile Gegenstände, die vom Publikum entweder als nicht ernsthaft oder aber als (nahezu) unbedeutend eigeschätzt werden, fallen unter das genus humile. Lausberg spricht vom ‚Bagatellecharakter‘, der durch „die sozial niedrige Stellung der im Partei-Gegenstand behandelten Person und durch die Geringfügigkeit der behandelten Sache selbst“20 verursacht sein kann. Insofern Fälle des genus humile sich dadurch auszeichnen, dass das vom Publikum empfundene Risiko einer Fehleinschätzung der Sachlage oder des Gegenstandes sehr niedrig ist, muss von einer niedrigen Involviertheit des Publikums ausgegangen werden. Das Hauptproblem in der Verhandlung eines solches Gegenstandes besteht also zuallererst darin, überhaupt ein Interesse zu wecken, eine Form der Involviertheit zu erzeugen und die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Strategien der Aufmerksamkeitserzeugung, die freilich für jedes genus wichtig sind, stellen für das genus humile bereits einen wesentlichen Teil auch der inhaltlichen Arbeit dar. Während bezogen auf andere genera bereits kleine Anstöße reichen mögen, um die Aufmerksamkeit des Publikums ganz bei sich und dem Gegenstand zu wissen, so dass dieser jetzt durch andere Strategien und Argumentgebrauch – beispielsweise der erwähnten Zerlegungsstrategie – behandelt werden kann, stellt das attentum parare im Bereich des genus humile nicht bloß eine Exordialfunktion dar. Man denke etwa an amerikanische Teenie-Komödien, in denen triviale Probleme in trivialen Situationen nur durch ständige Strategien der Aufmerksamkeitsgewinnung – wie Übertreibung, Slap-Stick oder Wortwitz – behandelt werden. In Spielfilmlänge schließt sich ein Gag an den nächsten, ohne die Handlung eigentlich voranzubringen. Der Plot ist platt und lässt sich oft in wenigen Zeilen nacherzählen. Entertainment ist der genuine Umgang mit dem genus humile und eben in dieser 19 Näheres hierzu: Vgl. Smolarski 2017. 20 Lausberg 2008. S. 59.
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Weise ist das genus humile auch der größte Bereich der Werbung. Jede Werbung für Haushaltsgegenstände und Produkte oder Dienstleistungen des täglichen Bedarfs fällt unter dieses genus. „Gänzlich ersetzen kann eine ethos/delectare-Strategie die Vermittlung von Produktinformationen schließlich in der Werbung für eingeführten Marken oder belanglose, risikoarme Konsumgüter (genus humile), die schwache Verkaufsargumente aufweisen und mit den Zielen der Identifikations-, Sympathie- und Aufmerksamkeitswirkung beworben werden.“21
Sympathie- (captatio benevolentiae) und Aufmerksamkeitsgewinnung (attentum parare) stellen auch nach Lehn folglich bereits den Großteil (wenn nicht sogar das Ganze) der rhetorischen Mittel dar, derer sich die Werbung im genus humile bedient. Der Grund hierfür ist einfach: Es handelt sich um Produkte oder Dienstleistungen, die sowieso in Anspruch genommen werden. Es kommt also nur darauf an, einen positiven (oder überhaupt einen) Eindruck beim Rezipienten zu hinterlassen, so dass dieser beim nächsten Einkauf eher geneigt sei, das beworbene Produkt zu wählen, als ein (nahezu identisches) Konkurrenzprodukt. Abbildung 4
21 Lehn 2011. S. 137. Lehn spricht hier von Identifikationswirkung. Diesbezüglich ist aber anzumerken, dass Identifikation nicht auf das genus humile beschränkt ist, sondern die Basis des persuasiven Prozesses überhaupt bildet. Insofern braucht auf diesen Punkt innerhalb dieses Zitates nicht gesondert bezüglich des genus humile eingegangen werden.
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Ein exzellentes Beispiel dieses genus liefert die ‚Edekakampagne‘, die es mit dem Musikvideo Supergeil (Abbildung 4) in der Weise schafft, das Publikum zu unterhalten, dass dieses sich das Video sogar freiwillig auf Youtube ansieht (2014 waren es über 11 Millionen Klicks), es über soziale Netzwerke postet und so verbreitet und darüber spricht. Eben weil der Gegenstand als unbedeutend empfunden wird und demzufolge auch als unschädlich (so wie Aristoteles von der Komödie sagt, sie sei „ein Mangel und etwas Schimpfliches, das aber weder schmerzt noch ins Verderben bringt.“22), kann er auch verdreht, überspitzt, verfremdet oder ins Lächerliche gezogen werden. Einen ganzen Katalog der Möglichkeiten und Strategien des Umgangs mit dem genus humile liegt unter anderem mit Mario Prickens Buch Kribbeln im Kopf vor.23 Dieses Buch erscheint unter rhetorischer Perspektive als eine Grundlage einer Topik des genus humile für Werbezwecke. Als eine solche Grundlage wird dieses Buch im Abschnitt zur inventio in diesem Kapitel dann auch vorgestellt. 3.5 genus obscurum Unter das genus obscurum fallen Gegenstände, die vom Publikum als schwer verständlich, komplex oder undurchsichtig eingestuft werden. Die Problemlage in diesem Bereich ist auch für den Gestalter schwierig, denn das genus obscurum vereint in gewisser Weise die Problemlagen des genus dubium mit denen des genus humile; kurz: zur besseren Durchdringung des Gegenstandes bräuchte das Publikum mehr Information und vor allem gute Vermittlung derselben, allerdings erscheint der Gegenstand (wenigstens solange er im Obskuren verharrt) von wenig allgemeinem Interesse, so dass die Anstrengung, Licht ins Dunkel zu bringen, kaum unternommen wird (und ohne Anleitung auch kaum unternommen werden kann). Der Paradefall des genus obscurum ist demnach „von Hause aus jede Spezialwissenschaft, die nur dem Fachmann nach angestrengtem Studium einsichtig wird.“24 Eben durch seine Problemlage zwischen genus dubium und genus humile sind auch die Strategien des genus obscurum gemischt. Logos-Appelle durch Sachinformation und Argumentation müssen fortwährend von Aspekten des attentum parare und der captatio benevolentiae begleitet werden. Es ist davon auszugehen, dass das Publikum das Interesse verliert, wenn es überfordert oder sichtlich unterfordert ist. Überforderung kann etwa durch fehlende Bezüge zur konkreten Lebenswelt des Publikums entstehen oder auch durch eine Häufung von Fachbegriffen, Formeln, eine undurchsichtige Disposition der Redeteile, zu wenig (visuelle) Beispiele, zu wenig Wiederholungen oder einem 22 Aristoteles: Poetik. In: Werke in deutscher Übersetzung. Begründet von Ernst Grumach, Hrsg. von Hellmut Flashar, übers. von Arbogast Schmitt. Berlin 2008. 1449a31-33. 23 Vgl. Pricken, Mario: Kribbeln im Kopf. Kreativitätstechniken und Brain-Tools für Werbung und Design. Mainz 2003. 24 Lausberg 2008. S. 59.
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sprachlich schwierigen Satzbau. Unterforderung hingegen resultiert etwa aus zu vielen Beispielen, die den gleichen Punkt verdeutlichen sollen, als unnötig empfundenen Wiederholungen, einer unpassend gewählten sozial bedingten Sprechweise (Soziolekt) und vielem mehr. Mitunter kann eine Überforderung als Unterforderung empfunden werden, wenn die Konklusion am Ende als trivial erscheint. Dann gilt der Beitrag als aufgeblasen und eine Sache unnötig verkomplizierend. Angemessene Simplifizierung ist das Schlüsselwort im Umgang mit dem genus obscurum. Insofern Subtilität oder das Subtile Dingen, Ereignissen und Zusammenhängen zugesprochen wird, die sich durch eine bestimmte Feinheit oder Nuanciertheit auszeichnen und sowohl ästhetischen Witz als auch logischen Scharfsinn eines (ebenfalls subtil genannten) menschlichen Geistes voraussetzen, um diese angemessen zu erkennen, stellt das Subtile die Kategorie dar, die in jedem Fall umgangen werden muss. Simplifizierung meint demnach in erster Linie, subtile Unterscheidungen entweder zu echten Oppositionen zu steigern oder aber gänzlich wegzulassen, denn das Subtile wirkt, wenn es nicht hinreichend verstanden wird, als das Spitzfindige und als leere Unterscheidungskunst. Diese leere Unterscheidungskunst mag zwar einen Unterhaltungswert haben, eignet sich also für das genus humile, wird aber den Anforderungen des genus obscurum nicht gerecht, weil hier das Ziel weniger im delectare als im docere liegt.25 Dies sind nur einige der Fallstricke, die sich dem Gestalter stellen, wenn dieser einen Gestaltungsfall des genus obscurum zur Aufgabe hat. Beispiele dieses genus im Bereich des Designs sind vor allem in der Infografik, dem audio-visuellen Infotainment oder auch dem Ausstellungsdesign (Szenografie) zu finden. Die hier entwickelte intellectio dient vor allem der Problematisierung. Da Gestaltungsaufgaben – wie bereits oben ausgeführt wurde – prinzipiell offen sind, liegen selbige, wenn sie als Aufgabe vorliegen, noch nicht als Problem vor. Die Phase der Problematisierung ist daher notwendig, um Strategien der Bewältigung ausfindig machen zu können. Da die Gültigkeit und Angemessenheit dieser Strategien nur in Bezug auf das Zielpublikum postuliert werden kann, muss eine rhetorische Problematisierung anhand der prognostizierten Erwartungshaltung dieses Publikums erfolgen. Genau zu diesem Zweck dienen die besprochenen genera. Von hier aus, kann sich der Gestalter der Frage zuwenden: Welche Strategien, die dem jeweiligen genus (und damit dem prognostizierten Zielpublikum) angemessen sind, erscheinen als möglich? Wie und wo finde ich diese?
25 Zum Begriff der Subtilität siehe: Smolarski, Pierre; Zantwijk, Temilo van: Subtilität. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 1301-1307.
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4. V OM S UCHEN
UND
F INDEN – I NVENTIO
Mads Nygaard Folkmann betont in seinem Buch The Aesthetics of Imagination in Design drei wesentliche Aspekte des Designs: possibility, aesthetics, und imagination.26 Für die Bereiche der intellectio und inventio ist dabei vor allem die erste Kategorie entscheidend und soll hier kurz vorgestellt werden. Der Gestalter bewegt sich, aufgrund der prinzipiellen Offenheit des Gestaltungsproblems, stets im Raum des Möglichen. In den Worten Matthias Götz‘: „Entwerfen ist zunächst (‚nur‘) das Arbeiten mit Möglichkeiten.“27 Eine Methode, diesen unüberschaubaren Raum bloßer Möglichkeit auf einen Raum rhetorisch potentiell erfolgreicher Möglichkeiten einzuschränken, wurde mit der intellectio vorgestellt, als deren Resultat eine möglichst genaue (wenn auch oftmals nur vorläufige) Zielvorstellung steht.28 Das Mögliche ist, wie Folkmann überzeugend darlegt, die Basis aller gestalterischen (und ebenso aller rhetorischen) Prozesse. Bezogen auf diesen Möglichkeitsraum erscheint der Gestaltungsprozess als ein Transformationsprozess, der Mögliches in Wirkliches, Potentielles in Aktuelles überführt. In dieser Auffassung steckt ein aristotelischer Gedanke: Dessen entelechie-Konzept29 betont die Bedeutung genau dieses Transformationsprozesses, der schlichtweg als Verwirklichung bezeichnet werden kann. Gestaltungsprodukte oder -resultate sind also insofern Realisationen oder Verwirklichungen eines Möglichkeitsraumes, der (nach aristotelischer Vorstellung) ‚in der Sache selbst‘ angelegt ist. An diese Vorstellung kann auch innerhalb einer rhetorischen Beschäftigung mit Design produktiv angeknüpft werden, wenn der Ausdruck ‚in der Sache selbst‘ rhetorisch und nicht essentialistisch verstanden wird. Die essentialistische Annahme wäre, anzunehmen, dass es so etwas wie das ‚Wesen‘ einer Sache gäbe, das lediglich freigelegt werden müsste, um die ‚Sache selbst‘ zu erkennen. Diese Form des Essentialismus liegt dem hier vertretenen Rhetorikverständnis nicht zugrunde. Was eine ‚Sache selbst‘ ist, ist sie stets für ein Publikum, das diese Sache wahrnimmt 26 Vgl. Folkmann, Mads Nygaard: The Aesthetics of Imagination in Design. Cambridge 2013. 27 Götz, Mathias: Heureka oder die Kunst des Entwerfens. In: Heureka oder die Kunst des Entwerfens. Hrsg. von Internationales Forum für Gestaltung Ulm. Ulm 2001. S. 19-25. Hier: S. 19. 28 Vgl. Krauspe, Henning: Designrhetorik – Vermittlung von Konzeptions- und Entwurfsstrategien am Beispiel der Bildrhetorik. In: Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011. S. 1-15. 29 Das aristotelische entelechie-Konzept ist eingebunden in eine teleologische Vorstellung der Bewegung. Entwicklungen scheinen daher stets zielgerichtet zu sein. Bewegung ist für Aristoteles die „Wirklichkeit des Möglichen“ (Arist. Met. XI,9.). Für eine weitere Darstellung (auch des Verhältnisses von ‚entelecheia‘ und ‚energeia‘) siehe: Elm, Ralf: entelecheia/Entelechie, vollendete Wirklichkeit. In: Aristoteles-Lexikon. Hrsg. von Otfried Höffe. Stuttgart 2005. S. 188-193.
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und bewertet. Demnach bedeutet der Satz: Designprodukte sind Verwirklichungen eines Möglichkeitsraumes, der in den anzunehmenden Identifikationen des Publikums mit der vorgestellten Sache angelegt ist. Da aber, wie Walter Benjamin so treffend formuliert, das „Werk [die] Totenmaske der Konzeption“30 ist, tritt dieser prozessuale Möglichkeitsraum durch die und in der Verwirklichung mehr und mehr in den Hintergrund. „Seen from the perspective of the design process, then, the possible is active as a force behind the process but loses its relevance when actualized in an object.“31 Folkmann stellt sich die Kategorie der possibility aber in einer zweifachen Weise vor: neben der prozessualen Möglichkeit stehen für Folkmann die Möglichkeiten, die durch das Designprodukt geschaffen und ermöglicht werden. „Thus, when we look at the possible in the development of a design object, we first note that the possible exists in the becoming of design objects; next, the design objects give rise to new possibilities and experiences.“32 Zur Kreation dieser Möglichkeiten bedient sich der Designer der Ästhetik (im klassischen Sinne als einer Theorie der sinnlichen Erkenntnis) und setzt auf die Leistungen des Vorstellungsvermögens (imagination) auf Seiten des Rezipienten. „Design can be a tool of imaginatively envisioning possible interactions between us and our surroundings, and it can make these possibilities physically manifest and tangible and evoke a new space of possibilities in the responses and reactions required of us.“33 Dieser Punkt betrifft das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit und wird en detail und bezogen auf spezifische Formen des Designs in den nachfolgenden Kapiteln entwickelt. Bezogen auf die zentrale Frage der inventio aber stellt sich bereits hier die Frage: Wo findet der Designer die Verwirklichungsstrategien, die die Potenz haben, zu Möglichkeitseinladungen in diesem zweiten Sinne der possibility zu werden? Dabei sind die Möglichkeitseinladungen, die Folkmann beschriebt, Identifikationsmöglichkeiten des Publikums beziehungsweise des Benutzers, also Möglichkeiten, das Produkt zum einen als eines zu identifizieren (semantisch), das diese oder jene Handlung oder Umgangsweise ermöglicht und zum anderen, sich sowohl mit dem Produkt als auch mit den identifizierten Handlungsspielräumen in Bezug zu setzen und somit zu identifizieren (pragmatisch). Einladungen müssen als Einladungen zu bestimmten Handlungen verstanden und schließlich, sollen diese Einladung erfolgreich sein, auch entsprechend umgesetzt werden. Es geht also um die Kreation dessen, was vor allem im Produktdesign mit dem Begriff der Affordanz gekennzeichnet ist. Dass die Frage nach den Verwirklichungsstrategien bereits in der inventio zu diskutieren ist, macht Folkmann deutlich, indem er den Bezug der gestalterischen Wahl zu dem, was später als die Rhetorik des Produktes 30 Zit. nach: Götz 2001. S. 20. 31 Folkmann 2013. S. 20. 32 Ebd. S. 3. 33 Ebd. S. 186.
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bezeichnet werden kann, hervorhebt: „Because all designs are the result of choices and hence also of not choosing, they open possibilities by indicating direction: a specific design thus points in this – and not that – direction in the way it frames and designates of experimental meaning.“34 Gefunden werden müssen demnach zwei Arten von Strategien, beziehungsweise Strategien, die zwei Funktionen gerecht werden: Zum einen müssen diese eine semantische Identifikation in (je nach Medium und Präsentationsweise) angemessener Zeit und abgestimmt auf das Zielpublikum ermöglichen, so dass erkannt werden kann, worum es überhaupt geht und als was etwas ausgedrückt, dargestellt oder formuliert wird. Zum anderen sollen sich innerhalb dieser semantischen Identifikationen auch die pragmatischen Identifikationen eröffnen, die als handlungsleitende Motive Einfluss auf den im Methodenkapitel beschrieben Motiv-Zirkel und damit auf die Handlungsoptionen und -präferenzen des Publikums nehmen sollen. Dieser Suchprozess wird in der klassischen Rhetorik innerhalb der ersten Produktionsphase, der inventio, verhandelt. Dabei fußt die inventio auf der umfangreichen Recherche zum Thema, die bereits die Grundlage der Bestimmung der Erwartungshaltungen innerhalb der intellectio war sowie auf der sich durch die intellectio ergebenden und an das genus gebundenen Kategorie des aptum, wie sie bereits im vorangegangen Kapitel (unter 2.7.) eingeführt wurde. Als Quelle der Suche dient neben der zumeist unsystematischen und mitunter eher routinierten Referenz auf die eigene Erfahrung im Umgang mit ähnlichen Problemstellungen oder dem vielbeschworenen Geistesblitz vor allem die Topik als systematische Heuristik. Diese im Gestaltungskontext zu entwickeln, lässt es notwendig erscheinen, den Bezug der Topik zum Themenfeld von Kreativität und Kreativitätstechnik herauszustellen. Daher wird im Weiteren zuerst ein Exkurs genommen, der Topik als Kreativitätstechnik beschreibt (genauer im Plural: der Topiken als Kreativitätstechniken beschreibt). Sodann wird auf die Form der Kreativitätstechnik näher eingegangen, die auf einem Kreativitätsverständnis beruht, dass sich als Erkenntnisinstrument bezeichnen lässt. 4.1 Rhetorische Bestimmung von Kreativität Kreativität ist ein, wenn nicht gar der Kernbegriff in den Designdisziplinen. Kreativität und Design zusammenzubringen, stellt demnach einen Gemeinplatz dar, der hinreichend zum Klischee verkommen ist.35 Und obwohl Kreativität als ein Kernbegriff im Design firmiert, scheinen die Gestaltungsdisziplinen wenig Mühe darauf zu verwenden, diesen Begriff zu bestimmen und gegen ‚verwandte‘ Begriffe wie Neuheit, Nützlichkeit oder Witz abzugrenzen. Daraus ergibt sich folgendes Problem: Für 34 Ebd. 35 Besonders deutlich wird diese fast schon klischeehafte Verbindung im Werbedesign, wo die Designer auch tatsächlich als ‚Kreative‘ angesprochen werden.
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Designer gehört das Finden von neuen Lösungen und guten Ideen für überzeugendes Design zum täglich Brot. Unter dem Verdikt eines mithin emphatischen Selbstverständnisses als kreativ, stehen Gestalter allerdings oftmals in einem zwiespältigen Verhältnis zu einer methodischen Findungslehre. Auf der einen Seite wird die eigene Kreativität betont, die angeblich nur eine eigene sei, wenn nicht nur die gefundenen Resultate neu sind, sondern auch die Findungswege, was eine methodische Anleitung als unkreativ erscheinen lässt; auf der anderen Seite stellen Techniken der Ideen- und konkret der Bild-, Text- und Motivfindung sowohl den Gegenstand der Vermittlung an Designhochschulen dar als auch den Gegenstand gern benutzter Ratgeberliteratur und sogenannter Look-Books. Es entsteht also der Eindruck einer Unvereinbarkeit von Kreativität und Technik (im Sinne einer techne). Um diese vermeintliche Unvereinbarkeit wird es im Weiteren gehen und dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: 1. Was kann unter einer Kreativitätstechnik verstanden werden? Die Antwort auf diese Frage wird abhängen vom Verständnis dessen, was als kreativ bezeichnet wird. Dazu werden drei Bedeutungen von Kreativitätstechnik entwickelt werden. 2. Welchen Bezug haben diese Techniken zur Rhetorik? Hier wird es sowohl darum gehen, die Kreativitätstechniken in das Theoriegebäude der Rhetorik einzubetten als auch darum, die Frage anzureißen, welche verschiedenen Rollen Kreativität innerhalb der rhetorischen Praxis zukommen können. Dies wird am Ende dieses Unterkapitels auch die Möglichkeit einer Kritik der Kreativität vom Standpunkt der Rhetorik aus zulassen. 3. Schließlich soll der Versuch gemacht werden, konkrete Arbeiten zu Kreativitätstechniken aus dem Bereich Design in die hier zu treffenden Unterscheidungen zu integrieren. Gibt es Beispiele für die hier unterschiedenen Kreativitätstechniken aus den Designbereichen? Zuerst soll hier der Frage nachgegangen werden, was überhaupt unter Kreativitätstechniken verstanden werden kann.36 Dabei wird eine Antwort auf diese Frage offensichtlich stark davon abhängen, wie Kreativität innerhalb der Rhetorik bestimmt werden kann. Es werden dazu im weiteren zwei logisch voneinander unabhängige Konzepte von Kreativität vorgestellt: 1. Kreativität als Zuschreibungspraxis und 2. Kreativität als Erkenntnisinstrument.
36 Da die hier folgende Diskussion der Konzepte ‚Kreativität‘ und ‚Kreativitätstechnik‘ in enger Anknüpfung an die Rhetorik erfolgen wird, soll hier auf einen weitschweifenden Überblick zum weiterreichenden Forschungsstand verzichtet werden. Für eine grobe Orientierung über Kreativitätstechniken siehe: Luther, Michael: Das große Handbuch der Kreativitätsmethoden. Bonn 2013.
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Schaut man sich Bestimmungen des Kreativitätsbegriffes genauer an, so fällt auf, dass Kreativität zumeist bereits eine Publikumsorientiertheit voraussetzt. Siegfried Preisers Bestimmung der Kreativität durch die Eigenschaften Neuheit, Sinnhaftigkeit und Akzeptanz integriert das Publikum maßgeblich zur Bestimmung des Begriffes, denn ‚neu‘ und ‚sinnhaft‘ ist etwas immer nur für jemanden und ebenso bedarf das Kriterium der Akzeptanz eines Publikums als richtende Instanz.37 Auch Knapes Forderung nach Tauglichkeit38 der Ergebnisse des kreativen Prozesses geht in diese Richtung und desgleichen Robert J. Sternbergs und Todd Lubarts Forderung nach ‚Unerwartetheit‘39 der Ergebnisse. Wolfhart Matthäus bestimmt Kreativität als eine sechstellige Relation: „Die im Rahmen R zum Produkt P führende Handlung H des Individuums I wird vom Beurteiler B im Hinblick auf ein System S von Erwartungen und Zwecken als kreativ eingestuft.“40 Also: K(R,P,H,I,B,S). Vom rhetorischen Standpunkt aus scheint die Frage, welche Rolle Kreativität in der Rhetorik spielt, daher trivial, beziehungsweise bereits durch die Bestimmung des Kreativitätsbegriffes vorausgesetzt. Denn wenn stets das Votum eines Publikums entscheidend für Kreativität ist, dann gehört Kreativität klarer Weise in den Raum rhetorischer Vermittlungspraxis. Und wenn Kreativität durch die Akzeptanz der Relevanz einer neuen Problemlösung durch ein Publikum bestimmt wird, dann wird Kreativität schlichtweg mit persuasivem Erfolg gleichgesetzt. Zudem macht gerade Matthäus‘ sechsstellige Relation deutlich, dass, ob etwas als kreativ eingestuft wird, letztlich allein über das Publikum (und die von diesem ausgehenden Relationen) definiert ist und eben nicht über eine Eigenschaft eines Individuums oder Produktes. Da Kreativität hier immer als eine Zuschreibungspraxis eines Publikums verstanden wird – und damit als eine Eigenschaft eines orators aber eben nicht als eine Eigenschaft eines rhetors – kann auch der systematische Ort innerhalb des Theoriegebäudes der Rhetorik näher 37 Vgl. Preiser, Siegfried: Gestaltung eines kreativitätsfreundlichen Lernklimas. Befragungsinstrument und Trainingskonzept für pädagogische Fachkräfte. In: Kreativität. Zufall oder harte Arbeit? Hrsg. von Christine Koop und Olaf Steenbuck. Frankfurt am Main 2011. S. 28-35. 38 „Kreativität ist jene intelligente Aktivität des Menschen, deren Ergebnisse auf einem bestimmten Gebiet von der Gesellschaft oder einer irgendwann auftretenden sozialen Gruppe als völlig neu, akzeptabel, sinnvoll oder nützlich beurteilt werden.“ (Knape, Joachim: Kreativität. In: Kreativität. Hrsg. von Ders. und Achim Litschko. Berlin 2013. S. 23-40. Hier: S. 37.) 39 Vgl. Sternberg, Robert J.; Lubart, Todd: The Concept of Creativity. Prospects and Paradigms. In: Handbook of Creativity Hrsg. von Robert J. Sternberg. Cambridge 1999. S. 315. Hier: S. 3. 40 Matthäus, Wolfhart: Kreativität. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 4. Basel 1976. Sp. 1194-1204. Hier: Sp. 1200.
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bestimmt werden, in welchem Kreativität zum Tragen kommt. Als Zuschreibungspraxis fällt Kreativität eindeutig in den Bereich des ethos und eben nicht der inventio. Da Kreativität als Zuschreibungspraxis kein Instrument, insbesondere kein Erkenntnisinstrument oder heuristisches Werkzeug, darstellt, sondern ein konkretes Überzeugungsmittel, spielen zwar Überlegungen zur besseren Inszenierung von Kreativität eine wichtige Rolle innerhalb der inventio, nicht aber kann Kreativität in diesem Stadium eine Rolle spielen. Denn wenn Kreativität erst durch die Zuschreibung entlang bestimmter Akzeptanzbedingungen eines Publikums zustande kommt (also erst in der actio), steht sie dem rhetor in der zeitlich früheren Phase der inventio – wenn dieser beispielsweise allein über seinem Schreibtisch brütet – noch gar nicht zur Verfügung. Rainer M. Holm-Hadulla beschreibt dieses Problem auch als ein Problem der Kreativitätsforschung: Er stellt fest, dass man Personen kaum während kreativer Tätigkeiten untersuchen kann, weil „wir nicht wissen [können], ob sie gerade außergewöhnlich kreativ sind, weil die Akzeptanz des Produkts oft wesentlich später erfolgt.“41 Kreativität meint nach allen diesen Bestimmungen nicht eine Charaktereigenschaft eines rhetors, sondern eine Zuschreibung einer Charaktereigenschaft durch ein Publikum und verrät daher stets mehr über das Publikum als über den Rhetor. Eben deshalb ist das Konzept der Kreativität verwandt mit anderen ethos-Konzepten wie dem ‚vir bonus‘-Ideal, Redlichkeit, Tugendhaftigkeit, Aufrichtigkeit, Weisheit und Ähnliches. Die rhetorische Kraft all dieser Konzepte resultiert aus einer erfolgreichen Vermittlungspraxis und einer Einflussnahme auf die Zuschreibungspraxis des jeweiligen Publikums. Kreativitätstechniken in diesem Sinne sind also Techniken, um Einfluss auf die Zuschreibungspraxis des Publikums zu nehmen, auf dass dieses eher geneigt sei, einem orator ein kreatives Potential zuzuschreiben.42 Kreativitätstechniken sind Techniken der Selbstdarstellung und Inszenierung. Solche Techniken finden sich für alle Bestandteile des ethos. Ein Beispiel: Bevor ein Redner auf einer Tagung seinen Vortrag eröffnet, wird dieser im Allgemeinen vorgestellt und angekündigt: ‚Er hat dies und das getan, dort und dort gearbeitet und über dieses und jenes geforscht, gesprochen und geschrieben.‘ Neben dem informativen Wert dieser Prozedur, verdankt der Redner dieser Ankündigung vor allem, dass eine Sache bereits klar sein sollte, bevor er auch nur ein Wort gesagt hat: Er ist kompetent. Wenn Aristoteles von Weisheit, Tugend und gutem Willen als den drei Größen des ethos 41 Holm-Hadulla, Rainer M.: Kreativität zwischen Schöpfung und Zerstörung. Göttingen 2011. S. 72. 42 Diese Zuschreibung setzt voraus, dass das Publikum über wenigstens eine vage Vorstellung darüber verfügt, was selbiges unter Kreativität versteht. Diese Vorstellungen können ebenso variieren wie die Zuschreibung von ‚Neuheit‘, ‚Angemessenheit‘ und schließlich auch ‚Akzeptanz‘. Daher ist die Kreativitätszuschreibung in einem doppelten Sinne kontingent. Es wäre sicherlich möglich (im Sinne einer Arbeitsdefinition) festzuhalten, dass Kreativität als die positive Seite des Unsinns erfahren wird.
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spricht,43 so wird dem Redner durch die ethos-Technik der Ankündigung bereits bis zu einem gewissen Grad Weisheit attestiert. In gleicher Weise kann der Begriff Kreativitätstechnik verstanden werden, wenn mit Kreativität eine Zuschreibungspraxis gemeint ist. Dieser Kreativitätsbegriff ist logisch vollkommen unabhängig von einem womöglich kreativen Potential eines rhetors. Zugeschrieben kann und wird alles Mögliche, je nach Erwartungsrahmen und sozialer Struktur der Rezipientengruppe – eben deshalb sagt diese Zuschreibung auch mehr über das Publikum aus als über den Rhetor. Nichtsdestotrotz sollte es möglich sein, Gemeinplätze dieser Zuschreibungspraxis für bestimmte Situationen und Personengruppen auszumachen. Dabei kann es durchaus einen topos darstellen, ein Geheimnis aus sich selbst und den eigenen Produktionsweisen zu machen, „weil man sich als Entwerfer nicht gern in die Karten schauen lassen will“44. Andere Techniken könnten folgende sein: Einen exaltierten Künstlertypus mimen; den ‚kreativen Funken‘ oder Enthusiasmus und Eingebung eher betonen als Planung, Kontrolle, Fleiß und den Gebrauch von bekannten Techniken. Ein genaues Explizieren der Neuheit eines Gedankens durch den Rekurs und den hohen Grad an Anschlussfähigkeit an bestehende Gedanken ist zwar durchaus persuasiv (Akzeptanz- und Relevanzeinschätzungen begünstigend), kann aber der Zuschreibung eben der Neuheit und damit der Kreativität im Wege stehen. Bescheidenheit mag auch ein Hindernis darstellen. Wie Stefanie Luppold treffend feststellt, ist „der irrationale Aspekt der Kreativität möglicherweise deshalb so lange Zeit überbetont worden, weil das Argument vom gottgegebenen Talent und vom Musenkuss bei der gesellschaftlichen Zuschreibung von Kreativität weitaus größere persuasive Kraft entfalten kann als das Argument von guter Planung, sauberem Handwerk und sehr viel harter Arbeit.“45
Die rhetorische Wirkungsdimension, die die Zuschreibungen von Kreativität begünstigt, lässt sich – denkt man einen Ansatz von Knape weiter – als eine Art ‚Hä?-Aha!Effekt‘ charakterisieren. Knape schreibt, dass in der „direkten Face-to-face-Interaktionen [etwas] auch dann als kreativ empfunden werden [kann], wenn es die Adressatengruppe als situativ überraschend und angebracht erlebt.“46 Kreativität wird also eher zugeschrieben, wenn das Publikum in einen Prozess eingebunden wird, bei dem es sich zuerst situativ überrascht zeigt, also weder versteht noch akzeptiert, und dann
43 Vgl. Arist. Rhet. II,1. 1378a5. 44 Götz 2001. S. 20. 45 Luppold, Stefanie: Kreative Kalküle. Kreativität und Persuasion aus texttheoretischer Sicht. In: Kreativität. Hrsg. von Joachim Knape und Achim Litschko. Berlin 2013. S. 135163. Hier: S. 140f. 46 Knape 2013 S. 37.
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das Präsentierte doch noch verstehend als angemessen empfindet. Schafft es das Publikum nicht, in angemessener Zeit vom ‚Hä?‘ zum ‚Aha!‘ zu gelangen, so wird nicht ‚Kreativität‘, sondern womöglich ‚Unsinn‘ zugeschrieben. Da Kreativität als Zuschreibungspraxis keinen Stellenwert in der inventio hat, kann diese Form der Kreativität auch nicht als Hilfsmittel oder Werkzeug der Ideenfindung dienen. Es wird also schon an dieser Stelle deutlich, dass der Begriff der Kreativität genau zu untersuchen ist, bevor eine bedeutsame Rolle der Kreativität für den Designprozess behauptet werden kann. Kreativität durch Zuschreibungseigenschaften zu bestimmen, dient wohl vor allem dem Zweck, Phänomene, die als Unsinn, Nonsens oder anderweitig als Unfug eingeschätzt werden, als ‚nicht kreativ‘ ausklammern zu können. Allerdings führt diese Ausklammerungstaktik zu dem gerade beschriebenen Fall, dass Kreativität schlichtweg nicht mehr als eine Eigenschaft eines rhetors verstanden werden kann.47 *** Ein anderes Verständnis als das eben entfaltete von der Kreativität als Zuschreibungspraxis führt Kreativität als ein Erkenntnisinstrument und insbesondere als ein Werkzeug der Problemlösung ein. Als solches meint Kreativität die Fähigkeit, etwas als etwas anderes zu sehen und zu verstehen. Kreativität wird abverlangt, um, wie Luppold betont, durch Variation, Rekombination, Translation oder Rekontextualisierung an der Problem-, Methoden- oder Lösungskreation zu arbeiten.48 Kreativität meint demnach die Eigenschaft, die klassischerweise als Witz49 bezeichnet wird und die hier bereits als semantische Identifikation beschrieben wurde. In dieser Weise stellt Kreativität das Vermögen dar, deviante semantische Identifikationen vornehmen zu können und dabei womöglich provozierte soziale Konflikte auszuhalten. In diesem Sinne formuliert auch Knape den Imperativ der Kreativität indem er sagt: „Habe den Mut, das Unerhörte zu denken!“50 Knapes Erweiterung dieses Imperativs zu einem vermeintlich rhetorischen Kreativitätsimperativ – „Habe
47 Überdies wird durch die Ausklammerung von Unfug (etwas, das sich nicht angemessen in Bestehendes fügt) und Unsinn (etwas, das keine oder irreführende Richtungen weist) auch alle echte Innovation ausgeklammert, die zum Paradigmenwechsel führen kann. Denn es wäre doch zumindest eine spannende Hypothese, die weiter zu überprüfen wäre, ob nicht letztlich der Paradigmenwechsel durch seine Nähe zu Unsinn und Unfug für Zeitgenossen per se ein Nichtakzeptables darstellt. 48 Vgl. Luppold 2013. S. 144f. 49 Vgl. Gabriel, Gottfried: Witz. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Ders., Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Darmstadt 2004. Sp. 983-990. 50 Knape 2013. S. 33.
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den Mut, das Unerhörte zu denken und sorge in der Kommunikation für Überraschung!“51 – verflicht jedoch die hier vorgestellten beiden Typen von Kreativität. Das geplante Überraschungsmoment steht so weniger im Dienst einer Kreativität als Erkenntnisinstrument als der gezielten Steuerung einer möglichen Zuschreibung bezüglich jemanden oder etwas als kreativ. Als Witz wird die Fähigkeit bezeichnet, das Gleiche im Ungleichen zu erkennen, also Ähnlichkeiten von Phänomenen zu sehen. Dieses Erkennen von Ähnlichkeiten wird in der kognitiven Linguistik52 aber auch bereits in der New Rhetoric nicht als ein bloßes Erkennen von Gegebenem verstanden, also der unabhängig vom Erkennenden existierenden Ähnlichkeit zwischen zwei Phänomenen, sondern als konstruktiver Schritt einer Ähnlichkeitserzeugung. Als solche lässt sich der Witz als semantische Identifikation beschreiben, bei welcher etwas als etwas anderes beschrieben, gesehen und gehandhabt wird und damit eine erweiterte oder veränderte, mithin neue Bedeutung bekommt. Die Funktion des damit einhergehenden veränderten Terminologiegebrauchs bezeichnet Kenneth Burke mit dem Begriff des terministic screen53, der zu einer veränderten Wahrnehmung von Situationen führt und somit auch Einfluss auf die Handlungsmöglichkeiten innerhalb der so neubestimmten Situationen ausübt. In dieser Weise gehört Kreativität als die Möglichkeit, durch semantische Identifikationen Einfluss auf Situationsbestimmungen und Handlungsmöglichkeiten auszuüben, klarer Weise in das Interessengebiet rhetorischer Forschung. Insofern das deviante Moment semantischer Identifikationen durch die Erzeugung einer Ähnlichkeit zwischen als unvereinbar oder wenigstens nicht sofort klar vereinbarer Phänomene angesehen werden kann, meint Kreativität in seiner Erkenntnisfunktion vor allem das Finden beziehungsweise Erfinden eines tertium comparationis, das die Ähnlichkeitskonstruktion erlaubt. Vor diesem Hintergrund meint eine Kreativitätstechnik eine Methode oder Anleitung zum Auffinden möglicher Vergleichsmomente.
51 Ebd. 52 Siehe dazu u.a.: Lakoff, George; Johnson, Mark: Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and Its Challenge to Western Thought. New York 1999.; Lakoff, George; Johnson, Mark: Metaphors We Live By. Chicago 2003. 53 Vgl. Burke, Kenneth: Language as Symbolic Action. Essays on Life, Literature and Method. Berkeley 1966. S. 44-62. Burke beschreibt dort zur Erklärung des Konzeptes der terministic screens deren Bedeutung für die Erzeugung von Wirklichkeit: „Not only does the nature of our terms affect the nature of our observations, in the sense that the terms direct the attention to one field rather than to another. Also many of the ‘observations’ are but implications of the particular terminology in terms of which the observations are made. In brief, much that we take as observations about ‘reality’ may be but the spinning out of possibilities implicit in our particular choice of terms.“ (Ebd. S. 46.)
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Diesem Ziel haben sich beispielsweise die Designhandbücher Kribbeln im Kopf54 (von Pricken) und Universal Principles of Design55 (von Lidwell/Holden/Butler) auf je eigene Art verschrieben. Pricken versteht sein Buch über „Kreativitätstechniken und Brain-Tools für Werbung und Design“56 als ein „Handbuch für geniale Ideen“57, das verspricht, „Denkstrategien Top-Kreativer transparent“58 zu machen und auf diese Weise „ein Stück mehr Bewusstsein für die Muster großartiger Ideen“59 zu schaffen. Zu diesem Zweck gibt der Autor einige Dutzend Bildbeispiele international erfolgreicher Werbekampagnen und ordnet diese in 26 Kapitel. Dieses Buch erhebt den Anspruch, mehr zu sein als ein Look-Book und tatsächlich Methoden innovativer Bildfindung anschaulich zu machen und vermitteln zu können, so dass diese Kapitel als einzelne Techniken herausgestellt werden. Dass es Pricken dabei ausschließlich um Techniken der Ideenfindung geht, also allein um die ars inveniendi und eben nicht um die ars iudicandi, wird deutlich, wenn er sagt: „Trennen Sie die Ideenfindung konsequent von der Ideenbewertung.“60 Unfug und Unsinn wird also nicht ausgeschlossen, sondern bleibt (wenigstens vorerst) im Pool kreativer Lösungsoptionen. Findung vollzieht sich bei Pricken durch Fragen wie „Wie lässt sich durch Schock der Produktnutzen dramatisieren?“61, „Wie lässt sich durch eine Paradoxie der Produktnutzen einprägsam darstellen?“62 oder „Wie schafft es eine Wiederholung, Aufmerksamkeit zu erregen?“63 Obgleich Pricken in diesen Fragen auch Aspekte einer Wirkungsästhetik und damit eines Publikumsbezug anspricht, findet sich zu diesem Aspekt keine weitere Erklärung, weshalb selbiger vorerst vernachlässigt werden soll. Zentral ist für Pricken allein die auf das kreative Moment verkürzte Fragestellung: Welches Attribut an einem Produkt lässt sich herausstellen, wenn mit den Mitteln der Provokation, der Paradoxie oder der Wiederholung gearbeitet wird? Oder anders: Unter der Perspektive einer beispielsweise auf Provokation angelegten Bildidee tritt welches Element am deutlichsten hervor? Noch einmal anders: Welche Aspekte eines Produktes werden betont, sichtbar, bedeutsam oder neu kreiert, wenn das Produkt, beziehungsweise dessen Bewerbung, im Zuge einer semantischen Identifikation von
54 Pricken 2003. 55 Lidwell, William; Holden, Kritina; Butler, Jill: Universal Principles of Design, Revised and Updated. Beverly 2010. 56 Pricken 2003. S. 8. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Ebd. 60 Ebd. S. 18. 61 Ebd. S. 79. 62 Ebd. S. 72. 63 Ebd. S. 55.
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etwas als etwas anderem als provokant, beziehungsweise als provozierend identifiziert wird? Ein mögliches Ergebnis sehen wir hier: (Abbildung 5) Haustiere lassen sich klarerweise auch über andere Attribute bewerben, der sogenannte Aschenputteleffekt64 aber erscheint unter der Perspektivierung auf Provokation zur Steigerung des attentum parare als naheliegenderer Vergleichspunkt als etwa Themen wie Treue des Hundes, Haustier als Kindersatz oder allgemeine ‚Knuffigkeit‘. Abbildung 5
Insgesamt bedient sich Pricken zur Ideenfindung des ganzen Katalogs rhetorischer Figuren: Klimax, Synekdoche, Metapher, Antithese, Wortspiel, Chiasmus, Personifikation und vielen mehr. In dieser Weise leistet Pricken, wenngleich deutlich weniger theoriegeleitet, was unter anderem Bonsiepe oder Doelker bereits getan haben: Diese zeigen, dass Werbung voller rhetorischer Figuren steckt und leiten daraus die rhetorische Analysierbarkeit der Werbung ab.65 Pricken jedoch betrachtet dieses Verhältnis nicht von der Seite der Rhetorik, sondern von der Seite der Werbepraxis, die sich fragt, auf welche Weise sich Bildideen für Werbezwecke generieren lassen und greift von hier aus auf die Rhetorik zurück.
64 Als Aschenputteleffekt wird (vereinfacht) benannt, dass Tiere in Bezug auf Menschen deren soziale Stellung (sei diese durch das äußere Erscheinungsbild, Prestige, oder ähnliches bedingt) nicht berücksichtigen. Unter anderem lässt sich mit dem Aschenputteleffekt auch die prinzipielle Eignung von Tieren zu Maßnahmen sogenannter tiergestützter Interventionen in Altenheimen, Schulen, Gefängnissen und ähnlichen Einsatzorten rechtfertigen. 65 Vgl. Bonsiepe 1996. Doelker 2007.
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Das Buch Universal Principles of Design verfolgt eine andere Strategie. Hier werden 125 Prinzipien, die versprechen, ein „understanding [of] human perception and meaning making“66 zu geben, vorgestellt. Was hier als universelle Prinzipien benannt wird, meint „laws, guidelines, human biases, and general design considerations“67, die vor allem einem wahrnehmungspsychologischen und gestalttheoretischen Umfeld entspringen. Insofern unterscheidet sich auch schon die Darstellungsweise im Vergleich zu Pricken massiv: sehr viel theoretischer, mit Verweisen auf Forschungsliteratur, Bilder haben hier einen illustrativen Charakter, es wird Wert darauf gelegt, die Wechselwirkungen zwischen den Prinzipien deutlich zu machen, die Anordnung ist zweifach motiviert: sie folgt im ersten Inhaltsverzeichnis einer alphabetischen und im zweiten Inhaltsverzeichnis einer inhaltlichen Logik. Aus all diesen Gründen ist die Arbeit mit einem solchen Buch bei konkreten Bildfindungsschwierigkeiten sicherlich verschieden zum Umgang mit dem Buch von Pricken. Nichtsdestotrotz versteht sich diese Publikation als technisches Hilfsmittel bei kreativen Prozessen und der Schlüssel hierzu liegt ganz klar in der besonderen Betonung der Fragen nach der Bedeutungsgenerierung im Formgebungsprozess. Anders als bei Pricken, der die Pointen erfolgreicher Kampagnen präsentiert, aber kaum das Zustandekommen des Witzes erklärt, kann Universal Principles of Design tatsächlich als Topik verstanden werden. Es werden Leerformen im Sinne psychologischer Muster als „well-established design principles“ präsentiert, „[to increase] the probability that a design will be successful.“68 Dies nun im Einzelnen vorzustellen, ist hier nicht möglich; daher will ich an einem der 125 möglichen Beispielen zeigen, was unter einer Designtopik verstanden werden kann. Alle Darstellungen der Prinzipien sind ähnlich aufgebaut und erinnern in ihrem Aufbau stark an Alexanders A Pattern Language (worauf später noch einzugehen sein wird): 1. Der Name des Prinzips: Dieser ermöglicht es nicht nur, gezielt danach zu suchen, sondern auch, sich darüber mit anderen zu verständigen. Beispiel: „Cognitive Dissonance“69. 2. Kurzerklärung: In einem Satz wird das Prinzip zusammengefasst, wodurch ein Überfliegen des Buches möglich wird. Der topos erhält so einen Merksatz: „A tendency to seek consistency among attitudes, thoughts, and beliefs.“70 3. Erklärung: Es folgt eine ausführlichere Erklärung, die in diesem Falle auch die Strategien enthält, wie Menschen im Allgemeinen mit Phänomenen kognitiver
66 Lidwell/Holden/Butler 2010. S. 11. 67 Ebd. S. 12. 68 Ebd. S. 13. 69 Vgl. Ebd. S. 46f. 70 Ebd.
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Dissonanz umgehen: „reducing the importance of dissonant cognitions, adding consonant cognitions, or removing or changing dissonant cognitions.“71 4. Anwendungspraxis: Hier werden die möglichen Situationen angesprochen, in denen der Einsatz eines solchen Mittels sinnvoll sein kann: „Consider cognitive dissonance in the design of advertising and marketing campaings, or any other context where influence and persuasion is key. Use consonant and dissonant information when attempting to change beliefs.“72 5. Querverweise: Welche anderen Prinzipien stehen mit diesem in Wechselwirkung? Im Sinne einer Designtopik werden hier nicht konkrete Lösungen präsentiert, sondern allgemeine Fundorte möglicher Bedeutungsgenerierung und als bedeutungsgenerierende Techniken gehören diese topoi in den Bereich einer Kreativität als Erkenntnisinstrument. Aus dem bisher Gesagten wird bereits deutlich, dass es gerade in Bezug zum Design auf eine differenziertere Sicht des Kreativitätsbegriffs ankommt, die umso bedeutender wird, wenn man sich dem Phänomen von Seiten der Rhetorik aus nähert. Dann zeigt sich schnell, dass mit einer unumwundenen Glorifizierung von Kreativität dem rhetorisch denkenden Designer wenig geholfen ist. Eine überzeugende Kritik der Kreativität, die direkt an das Gesagte anschließt, formuliert Jens Soentgen unter dem Titel Designrhetorik – Zur Ideologie des Neuen.73 In drei Thesen entlarvt Soentgen die Forderung nach Kreativität innerhalb der Werbebranche, die er vor allem an dem Buch Spring! von Sebastian Turner74 festmacht, als eine Ideologie, die, vom rhetorischen Standunkt aus betrachtet, sogar eher kontraproduktiv ist. Kreativität ist nach Soentgen demnach häufig bloß eine leere Floskel. Soentgens Thesen sind: „1. Innovationen sind fast immer erfolglos. 2. Der Kreativitätsmythos ist eine falsche, aber nützliche Ideologie [und] 3. Erfolgreiche Designer müssen nicht innovativ sein. Es reicht, Experte für Pseudoinnovationen zu sein.“75 Es lohnt, den Gedankengang Soentgens nachzuzeichnen, da hierbei nicht nur deutlich wird, was hier mit der Unterscheidung zwischen Kreativität als Zuschreibungspraxis und Kreativität als Erkenntnisinstrument bereits hervorgehoben wurde, sondern zudem klar herausgestellt werden kann, welchen Stellenwert und welche Problematik durch ‚das Neue‘ innerhalb der Rhetorik zutage tritt. Turner geht, so Soentgen, von dem Befund aus, dass auf der einen Seite immer mehr Ressourcen für Werbung aufgewendet werden, auf der anderen Seite allerdings 71 Ebd. 72 Ebd. 73 Soentgen, Jens: Designrhetorik – Zur Ideologie des Neuen. In: Heureka oder die Kunst des Entwerfens. Hrsg. von Internationales Forum für Gestaltung Ulm. Ulm 2001. S. 163-171. 74 Turner, Sebastian: Spring! Das Geheimnis erfolgreicher Werbung. Mainz 2001. 75 Soentgen 2001. S. 163.
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sich durch die Omnipräsenz der Werbung eine Abstumpfung gegenüber deren persuasiven Potentials ergebe, woraus die Forderung (als vermeintliche Lösung des Dilemmas) sich ergebe: „Werbung müsse […] innovativer werden“76. Nach Turner heißt es: „Der beste Treibstoff für Effektivität und Effizienz ist Kreativität: in allen Phasen, bei Auftraggeber und Agentur, über alle Abteilungsgrenzen hinweg.“77 Dem hält Soentgen entgegen, dass die meisten erfolgreichen Kampagnen „schlicht und ergreifend nach Schema F“78 funktionieren. Um dies zu zeigen, formuliert er seine erste These, nach der Innovation fast immer erfolglos sei und, darauf kommt es an, auch sein müsse. Die Stützung dieser These sieht Soentgen dabei vor allem in der rhetorischen Kategorie des aptum vorgezeichnet. „Wörtlich heißt aptum das Passende. Jeder Redeentwurf, so lehrten die alten Rhetoren, muss in doppelter Weise passen: innerlich und äußerlich.“79 Auch wenn Soentgen das innere aptum in Übereinstimmung mit Gerd Ueding, Bernd Steinbrink und auch Lausberg80 als eine Form des angemessenen Verhältnisses aller Bausteine und Teile der Rede untereinander (getrennt von der richtenden Publikumsinstanz) versteht und dieses Verständnis in der vorliegenden Arbeit bereits kritisiert wurde81, so trifft sein Verweis auf das aptum dennoch einen wunden Punkt. Der Erfolg einer Kampagne ruht in erster Linie auf deren Angemessenheit, die verschiedene Publika im Laufe des Prozesses zu beurteilen haben (Agentur und Creative Director, Auftraggeber, Zielpublikum, Designer-Community, usw.). Die Kategorie der Angemessenheit ruht allerdings auf der Möglichkeit zur Identifikation des Dargebotenen auf der Grundlage des Erwarteten. Alles, was einem Publikum als ‚neu‘ erscheint, erscheint diesem nur insofern als ‚neu‘, als es sich eben nicht mit dem Erwarteten deckt und stellt damit zwar noch nicht sogleich eine Absage an die Persuasion, wohl aber eine Herausforderung für die Identifikation (und damit für den persuasiven Erfolg) dar. „Deshalb muss der Redner zunächst einmal darauf achten, dass seine Kommunikation vom Üblichen nicht allzusehr abweicht. Er muss sich an sein Publikum anpassen. […] Und das Passende ist nun einmal in aller Regel nicht das Innovative, sondern vielmehr das Althergebrachte. Es bewährt sich auch hier meistens das Bewährte.“82
76 Ebd. S. 164. 77 Turner 2001. S. 95. 78 Soentgen 2001. S. 165. 79 Ebd. S. 166. 80 Siehe dazu: Ueding, Gerd; Steinbrink, Bernd: Grundriss der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode. Stuttgart 1986. S. 216-221.Lausberg 2008. 81 Vgl. Abschnitt 2.7. des Kapitels III. 82 Soentgen 2001. S. 167.
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Vorläufiges Fazit: Das Innovative und Neue ist als Innovatives und Neues stets schwerer vermittelbar als das Althergebrachte und Bewährte. Deshalb kann es eine erfolgreiche Strategie darstellen, echte Innovationen nicht allzusehr als Innovationen herauszustellen. Auf diese Strategie wird in diesem Kapitel noch einzugehen sein. Hier soll aber die umgekehrte Strategie besprochen werden: Welchen Wert hat die Zuschreibung von Kreativität gerade für erfolgreiche, also im Sinne Soentgens eben oftmals nicht innovative Kampagnen? „Dennoch ist es unbestreitbar, dass der Schein des Neuen oft weiterbringt.“83 Diese Feststellung gipfelt in seiner zweiten These, wonach die Überbetonung von Kreativität und Innovation ein falscher Mythos und zugleich eine nützliche Ideologie sei. Ein falscher Mythos sei die Stilisierung von Kreativität und Innovation als vermeintlicher Grund persuasiven Erfolgs, weil dieser, im Rückgriff auf eine Genieästhetik des 18. Jh., dazu führe, „das Tun der Werber mit einem Nimbus [zu umgeben] und […] ihre Leistungen großartiger erscheinen“84 zu lassen. Gerade der – oftmals eher unreflektierte – Rückgriff auf die Genieästhetik impliziert aber auch, dass „ein Genie nur vom Genie verstanden und beurteilt werden“85 kann. Diese Auffassung hat zwei wesentliche Konsequenzen: Zum einen wird damit sofort einsichtig, warum eine so verstandene Kreativität tatsächlich eher schädlich als nützlich im persuasiven Geschäft ist. Denn wenn nur ein Genie den Geniestreich des Werbers zu verstehen in der Lage ist, dann meint das eben auch, dass ein Großteil der Zielgruppe im Allgemeinen keinen vom Werber intendierten Zugang zum beworbenen Produkt oder zur beworbenen Dienstleistung herstellen kann und diese daher aus rhetor-Perspektive eher scheitert als gelingt. Daher spricht Soentgen hier von einem ‚falschen Mythos‘. Zum anderen betont er aber auch die Seite des Mythos, der als nützliche Ideologie erscheint: „Zudem stärkt [der Kreativitätsmythos] die Position des Werbers auf Kosten des Kunden. Denn wie soll der Kunde Kreativität angemessen beurteilen? [Es handelt sich um eine] raffinierte Immunisierungsstrategie, die, wie man sieht, ihren Reiz noch längst nicht verloren hat. Kreativität wird so zur Chiffre für ein Herrschaftswissen, an das man andere nicht heranlassen will, um sie in Abhängigkeit zu halten.“86
Genau diesen Aspekt betont Soentgen, indem er Kreativität als ‚nützliche Ideologie‘ beschreibt. In Übereinstimmung mit der hier vorgestellten Unterscheidung einer Kreativität als Zuschreibungspraxis von einer Kreativität als Erkenntnisinstrument, betont aber
83 Ebd. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Ebd. S. 167f.
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auch Soentgen die entscheidende Rolle des Witzes als (mitunter devianter) semantischer Identifikation im rhetorischen Prozess. Da Soentgen hierfür aber nicht den Terminus Kreativität gebraucht, kommt er in der Frage nach der Bedeutung der Kreativität im rhetorischen Prozess zu dem Schluss: „Beim Entwerfen kommt es nicht auf Kreativität an. Der Begriff der Kreativität kann getrost in Pension geschickt werden.“87 Diese Konklusion wird in der vorliegenden Arbeit zwar in der Sache geteilt, terminologisch aber anders besetzt. Denn das Entwerfen als ein „Umfunktionieren vorhandener Entwürfe“88 mit den Mitteln der semantischen Identifikation, das nach Soentgen das zentrale Arbeitsmittel des Designprozesses sei, wird in der vorliegenden Arbeit als kreative Tätigkeit bezeichnet. Diese Tätigkeit stellt, im Gegensatz zur Kreativität als Zuschreibungspraxis, die eine Tätigkeit des zuschreibenden Publikums ist, eine Tätigkeit des rhetors dar. Genau darin liegt dann auch der Unterschied begründet, warum diese Form der Kreativität in der inventio angesiedelt wird, während jene Form der Kreativität als ein Teil des ethos verstanden wird und erst in der actio zum Tragen kommt. 4.2 Designtopik Aus der rhetorisch fundierten Analyse des Kreativitätsbegriffes ergibt sich eine der Fragerichtungen der inventio, die bereits oben genannt wurde und der nun nachzugehen ist. Ich wiederhole: Insofern das deviante Moment semantischer Identifikationen als die Erzeugung einer Ähnlichkeit zwischen als unvereinbarer oder wenigstens nicht sofort klar vereinbarer Phänomene angesehen werden kann, meint Kreativität in ihrer Erkenntnisfunktion vor allem das Finden beziehungsweise Erfinden eines tertium comparationis, das Ähnlichkeitskonstruktionen erlaubt. Vor diesem Hintergrund meint eine Kreativitätstechnik eine Methode oder Anleitung zum Auffinden möglicher Vergleichsmomente. Der Modus dieser Kreativitätstechnik kann als ein ‚Sehen-als‘ bezeichnet werden. Es geht darum, Objekte, Personen, Gedanken oder Dienstleistungen innerhalb dieses Modus als etwas anderes zu sehen und schließlich auch sehen zu lassen und somit durch eine metaphorische Übertragung dem Sachverhalt andere und bisweilen auch neue Gesichtspunkte abzugewinnen. Um es gleich vorweg zu sagen: Kreativitätstechniken zur Ideenfindung, wie sie etwa von Pricken, Turner oder Werner Gaede89 präsentiert werden, sind noch keine Topik, wohl aber als Kreativitätstechniken ein wesentlicher Baustein einer solchen. Der Grund dafür ist einfach: Als Kreativitätstechniken im Sinne einer Technik zur 87 Ebd. S. 170. 88 Ebd. S. 168. 89 Vgl. Pricken 2003; Turner 2001; Gaede, Werner: Vom Wort zum Bild. Kreativ-Methoden der Visualisierung. München 1992.; Gaede, Werner: Abweichen von der Norm. München 2002.
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Auffindung devianter semantischer Identifikationen sind sie eben Techniken, die den Horizont möglicher Sichtweisen erweitern sollen. Der Leitgedanke dabei ist: Alles kann prinzipiell als alles andere semantisch identifiziert werden und eben durch diese Identifikation als ein solches oder solches erscheinen. Diese Identifikationen reflektieren einen Teil dessen, was an einem Gegenstand erscheint, sie sind zugleich aber auch mehr oder weniger motivierte Selektionen und damit im Grunde stets auch Verzerrungen – eben Devianzen. Als solche betonen sie die Möglichkeit einer Sichtweise, noch nicht aber auch ihre Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit. Es muss also zur ars inveniendi die ars iudicandi hinzutreten, um zu entscheiden, was als glaubwürdig und damit potentiell als überzeugend vom Zielpublikum empfunden werden kann. Die Topik kann in diesem Sinne nicht nur als eine Quelle möglicher Ideen im Sinne einer ars inveniendi, sondern auch als eine Orientierungshilfe der ars iudicandi verstanden werden. Um diesen Punkt zu verdeutlichen, gilt es vorerst in aller Kürze die rhetorische Konzeption der Topik einzuführen und hieran Fragen und Leitlinien einer Designtopik zu entwickeln. Dabei schließt das folgende an das bereits im Methodenkapitel unter dem Punkt 3.3 entwickelte an. „Nachdem schon Aristoteles aus gutem Grund auf eine maßgebliche Definition verzichtet hatte, scheint der Topos-Begriff bei Cicero in zwei ganz verschiedenartige neue Konzeptionen auseinanderzutreten und sich dann im Laufe der Jahrhunderte in eine Vielzahl fachspezifischer Toposauffassungen aufgelöst zu haben.“90
Dieser Befund Lothar Bornscheuers zeigt bereits zu Beginn das Problem auf: Der Begriff topos – und damit auch der Begriff Topik – ist nicht einheitlich verstanden worden, die Liste möglicher Synonyme ist dementsprechend lang. Um nur einige mögliche zu nennen: Motiv, Muster, Raster, Leerform, Gemeinplatz, Floskel, Sentenzsammlung, Vorurteil, Sitz der Argumente, Klischee. Alle diese möglichen Synonyme sind Synonyme jeweils eines Aspektes des topos-Begriffs. Bornscheuers Versuch einer Systematisierung, die im weiteren dienlich sein wird und daher hier auch vorgestellt werden soll, zielt letztlich darauf ab, die für die inventio produktiven Momente der sehr unterschiedlichen topos-Auffassungen strukturell zu untersuchen und in eine Struktur zu überführen. Sein Ergebnis wird es dem Gang der vorliegenden Arbeit erlauben, über einen durch Eigenschaften definierten Begriff von topos und Topik in der Weise zu verfügen, dass sich daraus auch die Anforderungen einer Designtopik entwickeln lassen. Bornscheuers Analyse der Struktur der Topik – vor allem bei Aristoteles – führt ihn dazu, vier Strukturmomente als konstituierend herauszustellen: Habitualität, Potentialität, Intentionalität und Symbolizität. Hinter der Eigenschaft der Habitualität 90 Bornscheuer, Lothar: Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt am Main 1976. S. 91.
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steht die Vorstellung, dass ein topos in der Weise im gesellschaftlichen Bewusstsein verankert sein muss, dass sich daraus auch dessen Funktion als Garant potentieller Glaubwürdigkeit ableiten lässt: „Ein Topos ist ein Standard des von einer Gesellschaft jeweils internalisierten Bewusstseins-, Sprach- und/oder Verhaltenshabitus, ein Strukturelement des sprachlich-sozialen Kommunikationsgefüges, eine Determinante des in einer Gesellschaft jeweils herrschenden Selbstverständnisses und des seine Traditionen und Konventionen regenerierenden Bildungssystems.“91
In dieser Weise sind topoi Leerformen oder Muster, die als Muster bereits potentiell überzeugend sind. Die Habitualität eines topos verbürgt dessen Fähigkeit, Identifikationsangebote an das Publikum machen zu können. Um tatsächlich überzeugend oder zur Identifikation einladend wirken zu können, muss der topos als allgemeine Leerform allerdings auch bezogen auf den aktuellen rhetorischen Anlass angemessen gefüllt werden. Neben der Habitualität muss ein topos daher eine Potentialität aufweisen, die zunächst nichts anderes bedeutet, als dass sich an einen topos in verschiedenen Situationen produktiv anschließen lässt. Das Spiel mit dem Möglichen, das oben unter anderem mit Verweis auf Folkmann als eine Grundlage des Gestaltungsprozesses ausgemacht wurde, wird innerhalb der Topik durch die Eigenschaft der Potentialität verbürgt: „Ein Topos ist ein inhaltlicher oder formaler Gesichtspunkt, der in vielen konkreten Problemerörterungen verwendbar ist und der die verschiedenartigsten Argumentationen bzw. amplifikatorischen Explikationen ermöglicht. Jeder Topos ist ‚an sich‘ unbestimmt-allgemein, eröffnet jedoch in einem bestimmten Problemzusammenhang für die verschiedenartigsten Interessen konkrete Argumentationsperspektiven.“92
Ein topos hat als habituell verankerte Leerform nach Bornscheuer demnach eine Potenz, insofern er zu unterschiedlichen Anlässen und zu unterschiedlichen konkreten rhetorischen Zwecken gefüllt werden kann. Ein topos ist demnach interpretationsbedürftig, doch ist die „Interpretationsbedürftigkeit eines Topos […] gleichbedeutend mit seiner überzeugungskräftigen Interpretationsfähigkeit.“93 Die rhetorische Kunst ist demnach bereits durch diese beiden Eigenschaften eine zweifache: Zum einen muss ein passender topos gefunden werden, der insofern passend ist, als er verspricht, vom konkreten Publikum als glaubwürdig eingestuft zu werden. Auf der anderen Seite muss dieser topos angemessen gefüllt, also konkretisiert werden (was schließlich mit Intentionalität gemeint ist). Dazu aber muss der topos überhaupt über die 91 Ebd. S. 96. 92 Ebd. S. 99. 93 Ebd. S. 98.
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Potenz verfügen, sich unterschiedlich interpretieren lassen zu können und dabei bleibt die „Anwendung eines Topos, das Wissen, welcher Topos in welchem Augenblick am brauchbarsten ist, […] der schöpferischen Einbildungskraft, dem Einfall bzw. dem durch Übung geschulten Assoziations- und Interpretationsvermögen des einzelnen Disputanten [bzw. Gestalters] überlassen.“94 Demnach muss sich zur Kreativität noch ein kritisches rhetorisches Urteilsvermögen gesellen. Die Potenz eines topos findet ihre rhetorische Wirksamkeit dann schließlich ausgedrückt in der Eigenschaft der Intentionalität. Topoi wirkungsintentional nutzen zu können, heißt eben auch, selbige aus der Potenz in die Aktualität zu führen. Bornscheuer verdeutlicht das Wechselspiel von Habitualität, Potentialität und Intentionalität treffend, indem er sagt: „Ohne die gesellschaftlich garantierte Vorausgeltung eines Topos ließe sich ihm auch keine situativ-interpretatorische Geltung abgewinnen, ohne seine permanente und vielsinnige Interpretationsfähigkeit verlöre er umgekehrt seine habituelle Qualität und ohne argumentatorische Applikation in konkreten Problemsituationen würde er schließlich zum nutzlosen, ‚nur‘ habituellen Klischee oder zum beliebig verwendbaren, unverbindlichen potentiellen Gesichtspunkt degenerieren.“95
Als letzte Eigenschaft einer Topik verweist der Punkt Symbolizität letztlich auf den Bereich der Vermittlung. Denn mit dem Stichwort Symbolizität meint Bornscheuer die Form, in der topoi tradiert und schließlich auch gelehrt werden können. Sei es in Form eines Merkverses, einer Sentenz oder eines Schemas, Musters oder patterns: „Die konkrete Merkform, in der ein Topos bzw. eine Topik im gruppenspezifischen Individualbewusstsein am konzentriertesten notifiziert und am leichtesten abrufbar ist, bezeichnen wir als seine Symbolisierung.“96 Diese Symbolisierung ist wichtig, nicht nur zur besseren Vermittlung in der Ausbildung, sondern viel grundlegender stellt die konkrete Form der Symbolisierung auch die Form dar, welche am schnellsten vom Publikum erkannt und entsprechend verarbeitet wird. Da, wo es rhetorisch sinnvoll erscheint, nicht nur subtil an einen kulturell verankerten topos anzuknüpfen, sondern explizit und plakativ, da wird es zugleich sinnvoll sein, sich in der konkreten Gestaltung näher an der Form zu orientieren, die als die Symbolisierung des topos ausgemacht werden kann. Ein einfaches Beispiel: Betrachten wir diese beiden Plakate der Firma BiTel (Abbildung 6 und 7), die beide darauf abheben: ‚Unser Treuetarif ist nicht vergleichbar!‘ Die redundante Bildebene doppelt diese Aussage in Form einer einfachen Illustration. Die Plakatidee wurde schließlich als Serie umgesetzt und präsentiert bildlich stets zwei verschiedene Obst- und Gemüsesorten: Erdbeere und 94 Ebd. S.99. 95 Ebd. S. 101. 96 Ebd. S. 105.
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Zitrone, Kastanie und Kürbis, Apfel und Birne. Der topos ist klar: ‚Ungleiches lässt sich nicht gleichmachen (oder sollte wenigstens nicht gleichgemacht werden).‘ Die Symbolisierung dieses topos, seine Merkform, kennt dabei unter anderem den Satz: ‚Das ist wie Äpfel mit Birnen vergleichen.‘ Der Satz könnte natürlich genauso auch mit Erdbeere und Zitrone oder Kastanie und Kürbis gebildet werden, hat sich aber in diesen Varianten kulturell nicht verankert. Daher ist anzunehmen, dass das Plakat, das näher an der Symbolisierung liegt (Abbildung 6), schneller verstanden wird als etwa die Darstellung von Kastanie und Kürbis (Abbildung 7). Abbildung 6 (links) und 7 (rechts)
Zusammenfassend ist ein topos nach Bornscheuer also durch vier Eigenschaften gekennzeichnet: „die kollektiv-habituelle Vorprägung (Habitualität), die polyvalente Interpretierbarkeit (Potentialität), die problemabhängige, situativ wirksame Argumentationskraft (Intentionalität) sowie die gruppenspezifisch konkretisierende Merkform (Symbolizität).“97 Mit diesen Grundbegriffen kann nun versucht werden zu bestimmen, was innerhalb der zu entwickelnden Designrhetorik als Designtopik verstanden werden kann. Bezogen auf die erwähnte BiTel-Werbung werden diese Eigenschaften offensichtlich: Von der Symbolizität der Kampagne war bereits die Rede. Es handelt sich um Variationen des topos, demnach Äpfel und Birnen als unvergleichbar gelten. Freilich lassen sich Äpfel und Birnen vergleichen, es sind beides
97 Ebd.
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Obstsorten. In der Sentenz ‚X mit Y zu vergleichen, ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen‘ werden Äpfel und Birnen allerdings als in Opposition zueinander befindlich identifiziert. Diese Sentenz hat als Sentenz, also als kulturell verankerter Merkvers in der alltäglichen Kommunikation (nicht etwa in einem biologischen Fachdiskurs), eine Bekanntheit und Glaubwürdigkeit, die als ihre Habitualität bezeichnet werden kann. Ihre Potentialität, also die Möglichkeit, diese Sentenz auf eine Vielzahl differenter Gegenstände in unterschiedlichen Situationen anwenden zu können, wird in der obigen Formulierung bereits durch den Gebrauch der Variablen X und Y deutlich. X und Y können für eine Vielzahl an Gegenständen, Sachverhalten, Personen oder Ereignissen stehen. Damit ist der Weg für die topische Verwendung der Sentenz und zugleich für die rhetorische Verwendung des daraus resultierenden topos, im Sinne eines wirkungsintentionalen Gebrauchs desselben, geebnet. Die Agentur artgerecht formulierte und kommunizierte unter Zuhilfenahme dieses topos den leicht identifizierbaren Gedanken: ‚Unsere Treuetarife mit den Treuetarifen anderer Anbieter zu vergleichen, ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen.‘ Damit zeigte sich, dass dieser topos auch über die Dimension verfügt, die Bornscheuer mit Intentionalität bezeichnet. Es sei nebenbei bemerkt, dass diese Aufschlüsselung auch aus einem anderen Grund rhetorisch interessant ist: Sie ermöglicht die Kritik des Plakates. Nach dem hier zugrundeliegenden topos gelten Äpfel und Birnen als nicht vergleichbar. Nicht aber gelten Äpfel als in irgendeiner Weise besser als Birnen (oder umgekehrt). Demnach sind die Treutarife lediglich nicht vergleichbar, nicht aber ist der Treuetarif der Firma BiTel besser als der eines anderen Anbieters. Über die Gründe der Nichtvergleichbarkeit wird aber nichts ausgesagt, so dass auch Gründe wie die Undurchsichtigkeit oder die vollkommene Absurdität des Angebots denkbar wären, was zu behaupten oder auch nur den Kunden denken lassen zu können, sicherlich nicht im Sinne des Unternehmens BiTel ist. Daraus wird zweierlei ersichtlich: Zum einen zeigt das, dass topoi von Gestaltern zu rhetorischen Zwecken genutzt werden können. Auf der anderen Seite zeigt dieses Beispiel aber auch, dass nicht jede Nutzung eines topos deswegen schon gelungen ist. Man kann die Vermutung wagen, dass, wenn die Agentur sich des topos in vollem Umfang bewusst gewesen wäre, sie womöglich nach einem passenderen, also angemesseneren topos Ausschau gehalten hätte. Für die Behauptung, die de facto auf dem Plakat steht (‚Unser Treuetarif ist nicht vergleichbar!‘), ist der bildlich umgesetzte topos aber tatsächlich im rhetorischen Sinne hilfreich und kann durchaus glaubwürdig wirken. Mit diesem Beispiel wird also zugleich die Wirkkraft eines topos gezeigt und zudem die Notwendigkeit des iudicium als der kritischen rhetorischen Urteilskraft betont. Demnach kann die Aufgabe einer Designtopik darin ausgemacht werden, nach kommunikativen Formen zu suchen oder diese zu erarbeiten und selbige zusammenzutragen und zu ordnen, die über Habitualität und Potentialität verfügen. Wenn das geschehen ist, kann der Frage der Symbolizität dieser topoi nachgegangen werden
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und zudem gezeigt werden, dass sich diese topoi wirkungsintentional einsetzen lassen. Dabei ist klar, dass eine solche Kompilation topoi von unterschiedlicher Wirkungsstärke, unterschiedlicher Anwendungsbreite und natürlich auch unterschiedlicher Geltungsdauer beinhalten wird. Die gleiche Eigenschaft, der ein topos seine Glaubwürdigkeit verdankt, nämlich seiner Habitualität, ist zugleich auch die Eigenschaft, die deutlich macht, dass topoi gegenüber kulturellen Veränderungen nicht invariant sind. Topoi sind in ihrer Habitualität, wie auch die meisten (wenn nicht sogar alle) rhetorische Regeln, eben „Kinder ihrer Zeit, und einige von ihnen erscheinen heute überholt.“98 Andere aber, auch darauf macht Scheuermann aufmerksam, haben sich hingegen über lange Zeiten hindurch als robust erwiesen. Eine wesentliche Aufgabe, der im zweiten Teil der Arbeit angelegten Untersuchungen spezifischer Designlösungen, wird dann auch darin bestehen, topoi dieser Art herauszuarbeiten, zu prüfen und ihre Anwendungsbreite zu erschließen. Die Aufgabe des kommenden Abschnittes liegt vorerst allein darin, den Stellenwert einzelner Kompendien, LookBooks und Kreativratgebern für die Entwicklung einer Designtopik herauszuarbeiten. Es geht dabei vor allem erstmal darum, im Sinne der hier zu untersuchenden Strukturanalogie von Design und Rhetorik zu zeigen, dass die Designpraxis bereits disziplinspezifische Topiken und Proto-Topiken entwickelt hat, an die im Laufe dieser Arbeit in je unterschiedlichem Maß angeknüpft werden kann. Im Nachfolgenden stehen neben den Büchern von Turner, Pricken und Lidwell/Holden/Butler, auf die bereits eingegangen wurde, auch so unterschiedliche Designbücher wie Alexanders A Pattern Language, Gaedes Abweichen von der Norm oder das von Robert Klanten, Nicholas Bourquin und Thorsten Geiger herausgegebene Buch Tres Logos im Mittelpunkt.99 So unterschiedlich die Herangehensweisen, die Aufbereitung des Stoffes, die Anwendungsbereiche und Designdisziplinen auch sein mögen, verbindet diese Bücher doch, dass sie sich ausdrücklich als Hilfsmittel zur Ideenfindung und bisweilen auch zur Ideenevaluation verstehen und damit Publikationen für den Bereich der inventio darstellen. Die leitende Frage im hier zu vollziehenden Umgang mit diesen Arbeiten wird sein: Inwiefern entwickeln diese Arbeiten bereits eine (disziplinspezifische) Designtopik und welchen Beitrag kann eine solche Topik von diesen Arbeiten erwarten? Zur Beantwortung dieser Frage kommt es nicht darauf an, jede einzelne Regel und jeden Tipp, den diese Bücher geben zu prüfen, sondern vielmehr folgende Aspekte in den Blick zu nehmen: 1. die Struktur und Anlage der Präsentation dieser Regeln und Tipps (Symbolizität), 2. die rhetorische Begründung ihrer Anwendung und ihres potentiellen Erfolgs, nebst etwaigen Einschränkungen (Habitualität), 3. die 98 Scheuermann, Arne: Affekttechniken des Designs. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 205-212. Hier: S. 209. 99 Siehe: Alexander 1977.; Alexander 1964.; Gaede, Werner: Abweichen von der Norm. München 2002.; Klanten/Bourquin/Geiger 2009.
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Frage der Generalisierbarkeit und Übertragbarkeit auf andere Anwendungen (Potentialität) und schließlich 4. die Frage nach der Präsentationweise von Beispielen, die zeigen, dass die vorgestellten topoi wirkungsintentional genutzt wurden und damit tatsächlich auch werden können (Intentionalität). Die einzelnen Arbeiten werden versuchsweise im Folgenden nach dem (nicht immer eindeutigen) Grad ihrer Komplexität vorgestellt. Dabei soll der Topikbegriff Bornscheuers auch auf die bereits besprochenen Ratgeber angewendet werden. 4.2.1 Look-Books am Beispiel: Tres Logos Das Buch Tres Logos kompiliert von der ersten bis zur letzten Seite ausschließlich verschiedene Logos100 und Markenzeichen. Der Aufbau ist entsprechend einfach: Auf jeder Seite werden diverse Logos präsentiert, beziffert und die verantwortliche Agentur ausgewiesen. Auf diese Weise entsteht ein ‚Bilderbuch‘, dessen einziges Ziel es im Rahmen der inventio ist, zu zeigen, was andere bereits gestaltet haben und dadurch womöglich inspirierend zu wirken. Es werden Möglichkeitsräume aufgemacht und in der Anordnung der Logos auf jeder Seite offensichtlich darauf Wert gelegt, keinen zu homogenen Eindruck zu vermitteln. Vielfalt und Möglichkeit sind die zentralen Kategorien der Publikation. Um allerdings aus der schieren Möglichkeit eine rhetorisch potentiell erfolgreiche Wirklichkeit werden zu lassen, bedarf es kontextueller Bestimmungen der präsentierten Lösungen. Alle diese Logos sind Lösungen spezifischer Gestaltungsprobleme und in Bezug auf diese mehr oder weniger angemessen und ebenso in Bezug auf die im Gestaltungsproblem angelegte Größe des Publikums auch mehr oder weniger erfolgreich. Allerdings wird diese Kontextgebundenheit der diversen Designlösungen in dieser Publikation nicht eingeholt. Der einzige Versuch, eine Ordnung, und damit einen Rahmen für die Vielzahl an präsentierten und bereits realisierten Logos zu liefern, besteht darin, dass das Buch in acht Kapitel unterteilt ist, die allerdings nicht nach rhetorischen, also wirkungsintentionalen Kategorien unterschieden sind, sondern schlicht nach Gegenstandsklassen wie Musik, Design, Kultur, Politik oder Sport. Alles in allem stellt dieses Buch damit eher eine grob sortierte Stoffsammlung dar, deren konkreter Nutzen für den Gestalter sich nur dann ergibt, wenn dieser die notwenigen rhetorischen Schlüsse selbst zu ziehen im Stande ist. Von einer Topik kann jedenfalls hierbei nicht gesprochen werden. Die präsentierten Logos werden dekontextualisiert präsentiert, so dass sich keine Gestaltungsmuster mit habitualisiertem Wert entnehmen lassen. Insofern kommt es nie zur Formulierung von etwas, das wenigstens potentiell ein topos sein könnte und dessen Potentialität und Symbolizität vorgezeichnet werden könnte. Obgleich das Buch aus hunderten von konkreten Logos besteht, präsentiert es doch kein einziges Beispiel – zumindest keines, das spezifischer sein würde als ‚ein Beispiel für ein Logo‘ zu sein. 100 Der Plural ‚Logos‘ (Markenzeichen) sollte nicht mit dem rhetorischen Überzeugungsmittel logos verwechselt werden.
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Denn ein Beispiel ist stets ein Beispiel für etwas und insofern dieses etwas weder benannt noch anderweitig auch nur angedeutet wird, stellt eine bildliche Darstellung von etwas eben noch kein Beispiel für etwas dar. Dabei wäre eine Darstellungsform, die wenigstens den Aspekt der Intentionalität berücksichtigt schon dadurch realisierbar gewesen, dass man nicht nach Sparten wie Musik, Mode und Andere sortierte, sondern beispielsweise nach Stilhöhen. Ein Klassik-Label wird wahrscheinlich ein anderes Publikum anzusprechen versuchen als ein Hip-Hop-Label oder als ein Elektro-Schranz-Label und sich dafür auch einer anderen Formensprache bedienen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn das Logo eines Klassik-Labels dann stilistisch auch mehr Verwandtschaft zu Logos bestimmter Modebereiche aufweist und im Sinne der inventio auch mit diesem Bereich zusammen präsentiert werden würde. In summa ergibt sich, dass Publikationen dieser Art im Rahmen der inventio allein zu Inspirationszwecken nützen. Allerdings müssen auch diesbezüglich zwei Anmerkungen gemacht werden: Zum einen kann zum Zweck der Inspiration alles Mögliche dienen, so dass allein damit der Wert einer solchen Publikation für eine Designtopik noch nicht gewährleistet ist. Zum anderen ist anzunehmen, dass eine derart kontextlose Präsentation wohl weniger Anlass zu Verstehensprozessen und damit zur produktiven Anwendung des inspirierenden Materials darstellt, als eine Einladung zur bloßen Imitation. Ziel einer Designtopik ist zwar auch, zur Imitation überzeugend einzuladen, allerdings nicht zur Imitation der konkret präsentierten Gestaltung, sondern zur Imitation des zugrundeliegenden topos und auch nur in dieser Weise ist Imitationslernen möglich. Publikationen dieser Art, also bloße, mehr oder weniger ungeordnete Kompilationen, mögen eine Arbeitserleichterung darstellen auf der Suche nach einer möglichst großen Anzahl von Gestaltungsabbildungen, liefern jedoch keinen Beitrag zu einer Designtopik und können daher im Rahmen der vorliegenden Arbeit vernachlässigt werden. 4.2.2 Kreativratgeber für Werbedesigner Die Kreativratgeber für Werbedesigner von Pricken, Turner oder Gaede liefern wichtige Beiträge zu einer Topik des Designs im Bereich der Werbung und damit vor allem für das genus humile. Sie entwickeln eine Art Proto-Topik, die die Symbolizität, Intentionalität und Potentialität der Proto-topoi vorführt. Da sie allerdings weithin den zentralen Punkt der Habitualität aussparen und allein auf die ars inveniendi setzen, kann von einer tatsächlichen Designtopik im vollen Sinne noch nicht gesprochen werden. Was das heißt, soll im weiteren exemplarisch gezeigt werden. In Bezug auf die Kreativitätstechnik Prickens wurde schon deutlich, dass dieser sich rhetorischer Figuren bedient, um eine möglichst große Zahl an Aspekten und Sichtweisen bezüglich eines konkreten Designproblems ausfindig machen zu kön-
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nen. Was Pricken einen „Clicking-Fragekatalog: Trigger für geniale Kommunikationsideen“101 nennt, soll dazu anleiten, nachdem innerhalb der intellectio die Ziele und Gegenstände der rhetorischen Bemühungen aufgestellt wurden, gezielt nach Kommunikationsstrategien zu suchen. In 26 Kapiteln widmet sich Pricken je einem dieser ‚Clickingtools‘. Dazu benennt er die Suchformeln nach der genutzten Strategie: ‚Drehung um 180 Grad‘, ‚Provokation und Schock‘, ‚Nimm’s wörtlich‘ oder ‚Doppeldeutig‘. Die Funktionsweise dieser Suchformeln wurde oben bereits als semantische Identifikation bezeichnet, bei der die Suchformel das tertium compartionis liefern soll. Genau in dieser Weise sind dann auch Prickens ‚Clickingfragen‘ formuliert, die einem klaren Schema folgen: Wie lässt sich durch die Suchformel (Paradoxie, Provokation, Wiederholung, etc.) das Produkt oder der Produktvorteil hervorheben? In dieser Fragstellung wird sowohl die Wirkungsintentionalität als auch die Potentialität der präsentierten Suchformeln deutlich. Eben weil Figuren in bestimmten rhetorischen Wirkungszusammenhängen eingesetzt werden, erscheint diese Suchmethode für Werbezwecke auch sinnvoll. So stellen Paradoxien eine eher an den logos des Adressaten appellierende Herausforderung dar, während Provokationen eher an das pathos und ethos appellieren. Auf diese Weise lassen sich Figuren gezielt wirkungsintentional einsetzen. Da Pricken die Vielfältigkeit der Anwendung einer solchen Suchformel an zahlreichen Beispielen zeigt, stellt er damit deren Potentialität eindrucksvoll vor Augen. Mit dem gleichen Ziel wie Pricken versucht auch Turner einen Katalog von Suchformeln zu generieren, der zumeist in der Darstellung seiner Wirkungsintentionalität ebenso von rhetorischen Figuren ausgeht, selbige aber als Regeln formuliert. Den Stellenwert der 20 präsentierten Regeln beschreibt Turner in Folge seiner 20. Regel ‚Misstrauen Sie allen Regeln‘ als „Regeln zum Wegwerfen“102. Diese Formulierung lässt sich in zweifacher Weise lesen: Zum einen erscheinen die Regeln als Regeln zum Wegwerfen, insofern Regeln als unangemessen, unnötig oder unfruchtbar erscheinen. Auf der anderen Seite könnten Regeln zum Wegwerfen aber auch ein regelgeleitetes Wegwerfen meinen, also Regeln, die die kritische Analyse der gefundenen Lösungen erlauben und damit im Sinne einer ars iudicandi entlang der Kategorie der Habitualität versuchen, das rhetorische Potential eines Entwurfs zu evaluieren. Dieser letzte Punkt findet sich allerdings weder bei Pricken noch ist er bei Turner gemeint. Allerdings muss dazu angemerkt werden, dass das Fehlen der habituellen Bezüge und damit weiter Teile der Möglichkeit, die Angemessenheit eines Entwurfs zu bewerten, insofern nicht allzusehr ins Gewicht fällt, als es sich bei dieser Suchmethode um eine Suchmethode vorrangig innerhalb des genus humile handelt. Damit fallen, wie diesbezüglich bereits erörtert wurde, die rhetorischen Ziele weiten-
101 Pricken 2003. S. 6. 102 Turner 2001. S. 96.
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teils mit den Exordialaufgaben zusammen: Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen (dafür ist Devianz meistenteils bereits hinreichend) und Wohlwollen zu erzeugen (hier reicht es oftmals, Seriosität und/oder Humor zu vermitteln). Das Problem fehlender Bezüge zum Themenfeld der Habitualität wird sich, solang es nur um Devianzerzeugung geht, gar nicht stellen103 und taucht allenfalls da auf, wo die Frage nach der möglichen Vereinbarkeit von Humor und Seriosität gestellt ist. Denn folgt man einem gängigen topos, so erscheint das, was unterhaltsam und humorvoll ist, als weniger seriös und verlässlich, als das, was als trocken und kompliziert erscheint.104 4.2.3 Universal Principles of Design Da auf das Buch Universal Principles of Design schon eingegangen wurde, kann die Vorstellung hier kurz ausfallen. Im „Zusammenhang möglicher Ordnungen gestalterischer Regeln ist bemerkenswert, dass die derzeit einzige explizite Sammlung von Designregeln ihr Material erst alphabetisch anordnet und dann in einem zweiten Inhaltsverzeichnis relationale (Meta-)Kategorien vorschlägt, in denen auch Mehrfachnennungen möglich sind. Ihre fünf (im übrigen wirkungsbezogenen!) Kategorien lauten: ‚How can I influence the way a design is perceived? How can I help people
103 Dies wird schon aus der Beobachtung ersichtlich, dass Werbung oftmals als störend empfunden wird und allenfalls da geduldet und bisweilen sogar aktiv konsumiert wird, wo selbiger ein Unterhaltungswert zugesprochen wird. Überspitzt kommt man damit zu dem Schluss, dass den Werbebemühungen fast jeder aptums-Verstoß genau solange verziehen wird, wie selbige wenigstens nicht als langweilig empfunden werden. Bis auf wenige Ausnahmen, deren bekannteste wohl die Benettonkampagne Oliviero Toscanis ist, scheint es möglich, die Habitualität eines genutzten topos in Werbefunktion gänzlich dem Bestreben unterzuordnen, aufzufallen und eine Marke im Bewusstsein des Publikums zu platzieren. Für ein nähere Diskussion des aptum-Verstoßes der Benettonkampagne siehe: Joost, Gesche; Scheuermann, Arne: Design as Rhetoric – Basic Principles for Design Research. Paper präsentiert auf dem Symposium des Swiss Design Network 2007. Auf: www.geschejoost.org/files/design_as_rhetoric.pdf. 104 In dieser Weise ist auch folgender Kommentar des für sein rhetorisches Vermögen mehrfach ausgezeichneten (etwa: Redner des Jahres 2001 oder auch Rede des Jahres 2013) Oppositionspolitikers Gregor Gysi in einem Gespräch mit dem Parteivorsitzenden der Satirepartei DIE PARTEI Martin Sonneborn zu verstehen: „In Deutschland gibt’s ja dieses Missverständnis, dass man davon ausgeht, dass Sachverstand mit Langeweile verbunden ist und sobald du ein Stück Unterhaltung reinbringst, bist du ja nicht mehr sachverständig.“ (Das Kanzlerduell der Herzen. Mit Gysi und Sonneborn. Auf: www.youtube.com/watch?v=ZeW7SFZS2nc. Minute: 8:06)
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learn form design? How can I enhance the usability of a design? How can I increase the appeal of a design? How can I make better design decisions?“105
Diese Fragen, die sich im Designprozess grundlegend stellen, werden bei Lidwell/Holden/Butler stets auch in Bezug auf möglichst habituell gut verankerte Prinzipien diskutiert, die eben aufgrund dieser Verankerung auch als universelle Designprinzipien proklamiert werden. Deshalb – und weil Intentionalität, Symbolizität und Potentialität, wie oben bereits gezeigt wurde, für die hier versammelten topoi deutlich herausgestellt werden – kann gesagt werden, dass diese Arbeit auch tatsächlich eine Designtopik liefert. Dabei fokussieren diese topoi weniger auf die konkrete Bild- und Ideenfindung im Sinne einer Inspiration für den ersten Entwurf als auf das grundlegendere Wirkungsverständnis gestalterischer Eingriffe. Damit bieten diese topoi, die obgleich sie hauptsächlich nicht topoi der Werbung sind, dennoch eine sinnvolle Ergänzung auch der Suchformeln, die Pricken oder Turner vorstellen. Der eigentliche Wert der Topik bei Lidwell/Holden/Butler aber liegt vor allem darin, Gestaltungsideen und erste Entwürfe wirkungsintentional evaluieren und verbessern zu können. Wird beispielsweise ein Gestaltungsentwurf für eine Broschüre als ‚zu unübersichtlich‘, ‚zu verworren‘ oder ‚zu wenig leserführend‘ empfunden, so kann die Anordnung der einzelnen Teile nach habituell gut verankerten Prinzipien, wie beispielsweise nach den Prinzipien „Gutenberg Diagram“106, „Inverted Pyramid“107 oder „Progressive Disclosure“108 neu gestaltet werden. Alle diese Gestaltungsprinzipien befassen sich mit der Frage der Anordnung von Informationen nach dem Grad ihrer Relevanz. 4.2.4 Pattern Language Die Idee der pattern language von Christopher Alexander basiert auf der Überzeugung, dass sich große und komplexe Designprobleme in Subprobleme zerlegen lassen, die sich leichter bewältigen lassen und später – eingedenk emergenter Eigenschaften des Designproblems – zusammengesetzt werden können. Die pattern language liefert dazu sowohl Zerlegungsvorschläge als auch Musterlösungen dieser Subprobleme. Der Aufbau dieser Musterkompilation von 253 patterns macht deutlich, dass es Alexander um die Entwicklung einer Topik geht und ähnelt sehr stark der von Lidwell/Holden/Butler – womöglich in Anklang an Alexander – gewählten Präsentationsweise. Wie wir gleich exemplarisch noch sehen werden, wählt Alexander nur das zum Muster, was ihm hinreichend gesellschaftlich, kulturell oder anthropolo-
105 Scheuermann 2008a. S. 210. Siehe auch Lidwell/Holden/Butler 2010. S. 8f. 106 Ebd. S. 118f. 107 Ebd. S. 140f. 108 Ebd. S. 188f.
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gisch verankert zu sein scheint (Habitualität). Dabei betont er stets die mögliche Einsatzvielfalt (Potentialität), um im Sinne des Publikums (vor allem: Auftraggeber und betroffene Öffentlichkeit) zu angemessenen Ergebnissen zu kommen (Intentionalität). Die Funktionsweise der pattern language als Sprache beziehungsweise Grammatik (language) liegt aber vor allem darin begründet, dass die einzelnen pattern benannt (Symbolizität) und miteinander hierarchisch vernetzt werden. Auf diese Weise soll der Designer in die Lage versetzt werden, sich ausgehend vom hierarchisch obersten, also für das Designprodukt als wichtigstes Moment bestimmter Funktion oder Wirkung, seine eigene, projektbezogene pattern language baukastenartig zusammenzustellen. Alexander liefert demnach 253 Muster, die als topoi die wichtigsten Gesichtspunkte eines architektonischen oder städtebaulichen Entwurfes kennzeichnen. Wenn diese Topik es ermöglichen soll, zu einem beliebigen Bauvorhaben diejenigen Muster aus dem Katalog der 253 Muster zusammenzutragen, die für das Gelingen des Bauvorhabens entscheidend sind, dann meint ‚Gelingen‘ weniger ein statisches oder finanzielles Gelingen, als die Möglichkeit eines Entwurfes und einer Realisation, die überzeugend den Anforderungen und Wünschen der Zielgruppe entspricht. Damit besser verständlich wird, was Alexander unter einem pattern versteht, seien hier zwei Beispiele genannt: Pattern 21 – Four-Story-Limit: „In any urban area, no matter how dense, keep majority of buildings four stories high or less. It is possible that certain buildings should exceed this limit, but they should never be buildings for human habitation.“109 Pattern 62 – High Places: Alexander geht davon aus, dass „the instinct to climb up to some high place, from which you can look down and survey your world, seems to be a fundamental human instinct.“110 Obwohl das Four-Story-Limit-Pattern noch auf dem Gedanken beruhte, dass “high buildings have no genuine advantages, except in speculative gains for banks and land owners”111 und mit reichlich negativen Folgen für das mentale Leben des Stadtbewohners bedacht wurde, hat auch dieses pattern seine produktiven Ausnahmen. Daher besagt das High-Places-Pattern: “Build occasional high places as landmarks throughout the city. They can be a natural part of the topography, or towers, or part of the roofs of the highest local building – but, in any case, they should include a physical climb.”112 Fast immer handelt es sich beim Gebrauch der pattern language, um ein Abwägen der Angemessenheit innerhalb eines Extremalproblems. In dieser Weise betonte auch Alexander, dass keines dieser Muster isoliert betrachtet und schon gar nicht realisiert werden kann: „Each pattern can exist in the world, only to the extent that is supported 109 Alexander 1977. S. 119. 110 Ebd. S. 316. 111 Ebd. S. 115. 112 Ebd. S. 317.
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by other patterns.“113 Für Alexander leitet sich daraus der fundamentale Schluss ab, dass Architektur nicht darin bestehen kann, einen Gegenstand für sich zu erschaffen, unabhängig von den umgebenden pattern, „but you must also repair the world around it, and within it, so that the larger world at that one place becomes more coherent, and more whole; and the thing which you make takes its place in the web of nature, as you make it.“114 Mit Burke, der die rhetorische Herausforderung gerade darin sieht, Situationen und Situationszuschreibungen zu beeinflussen, kann Alexanders Rede von ‚repair the world around it‘ auch im Sinne eines ‚attempt to redefine the situation itself‘ verstanden werden. Ohne auf diesen Punkt jetzt näher eingehen zu können, sei doch nochmals auf die einschlägige Stelle bei Burke verwiesen, da sich in dieser Parallele auch der bedeutungsgenerierende Aspekt der pattern language zeigt. Bei Burke heißt es: „When we wish to influence a man’s response, for instance, we emphasize factors which he had understressed or neglected, and minimize factors which he had laid great weight upon. This amounts to nothing other than an attempt to redefine the situation itself.“115 Alexander ist sich dieser Parallelisierung von Rhetorik und Architektur bewusst, wenn er seine pattern language in Analogie zur Sprache als die Möglichkeit versteht „to make buildings which are poems.“116 Dabei versteht er ‚poem‘ nicht in erster Linie als eine besondere Ausdrucksform der Kunst, der nur bestimmten literarischen Gegenständen zugesprochen werden, sondern als eine der Ökonomie der Kürze sowie der Angemessenheit zugutekommenden Potenz aller sprachlichen – und eben auch architektonischen – Ausdrucksmittel. In dieser Weise heißt es: „The compression of patterns into a single space, is not a poetic and exotic thing, kept for special buildings which are works of art. It is the most ordinary economy of space.“117 Alexander bestimmt die paradoxe Ausgangslage eines Designproblems als „searching for some kind of harmony between two intangibles: a form which we have not yet designed, and a context which we cannot properly describe.“118 Es ist augenfällig, dass diese Beschreibung im Grunde auch jedes rhetorische Problem beschreibt. Eine pattern language soll auf dieser Grundlage dazu befähigen, das Designproblem wenigstens klar beschreiben zu können, so dass architektonisch eine ‚poetische Ökonomie des Raumes‘ zu realisieren ist, deren Überzeugungskraft gerade aus der Harmonisierung ästhetischer und funktionaler Anforderungen resultiert. Zu diesem Zweck stellt sie eine Technik der Bedeutungskompression zur Verfügung, in der konkrete kreative Umsetzungen immer auch vermittelbar sein sollen. 113 Ebd. S. XIII. 114 Ebd. 115 Burke 1954. S. 220. 116 Alexander 1977. S. XLIV. 117 Ebd. S. XLIII. 118 Alexander 1964. S. 26.
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Es wurde gezeigt, dass die Designpraxis sich den Fragen der Topik, wenn auch mit sehr unterschiedlichen Antworten, bereits in vielen Facetten stellt. Die Topik, als basale heuristische Methode innerhalb der Rhetorik, leistet demnach auch der Designpraxis in vergleichbarer Weise fruchtbare Dienste. Von hier aus soll nun abschließend auf Kreativitätstechniken eingegangen werden, die obgleich sie keine Topik darstellen, doch zur Visualisierung einer solchen dienen können. 4.2.5 Methoden der Visualisierung einer Topik – Mindmapping/Brainstorming und Morphologische Karte Zum Abschluss dieses Unterkapitels soll hier kurz noch auf Methoden eingegangen werden, die mitunter als Kreativtechniken ausgewiesen werden. Dabei soll gezeigt werden, dass diese Methoden sich besser als Methoden der Visualisierung einer Topik verstehen lassen denn als tatsächlich topische Methoden. Das Fazit sei hier vorweggenommen: Mindmapping, Brainstorming und morphologische Karten sind keine Topiken der Gestaltung, sondern benötigen solche Topiken, um überhaupt zur produktiven Arbeit eingesetzt werden zu können. Damit wird ihnen freilich nicht ihr heuristischer Wert abgesprochen, der allerdings in Anbetracht dieses Fazits vor allem in der Visualisierung zur besseren Erfassung möglicher Lösungen besteht. Das, was als mögliche Lösungen dabei erscheint, ist allerdings auf der Grundlage einer Topik gefunden worden. In einer gewissen Verwandtschaft zur pattern language steht auch die Methode der morphologischen Karte. John Chris Jones stellt die Funktionsweise dieser Methode in Design Methods wie folgt dar: „1. Define the functions that any acceptable design must be able to perform. 2. List, on a chart, a wide range of sub-solutions, i.e. alternative means of performing each function. 3. Select an acceptable set of subsolutions, one for each function.”119 Ebenso wie die pattern language basiert auch die Möglichkeit der morphologischen Karte auf der Annahme der Zerlegbarkeit eines Designproblems in Subprobleme. Die morphologische Karte dient dann vor allem der Visualisierung dieser Zerlegung und deren möglicher Neukombination. Als eine Visualisierung der Kombinatorik ist die morphologische Karte allerdings nicht als Heuristik zur Findung möglicher Lösungen bezüglich der Subprobleme geeignet und stellt demnach auch keine Topik dar, deren Aufgabe es vor allem wäre, eben die Zerlegung zu steuern und schließlich Lösungsansätze der Subprobleme zu liefern. Diesen Funktionen entsprechen die ersten beiden von Jones angesprochenen Bedingungen der morphologischen Karte. Eine häufig in kreativen Prozessen genutzte Technik ist das Brainstorming und Mindmapping. Die Brüder Tony und Barry Buzan führen diese Technik in Das MindMap-Buch in erster Linie als eine Assoziationstechnik ein, deren Funktionalität an die Möglichkeiten der Strukturierung mittels Hierarchien und Kategorien gebunden 119 Jones 1992. S. 292.
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ist.120 Es ist im Rahmen dieser Arbeit und aufgrund der allgemeinen Bekanntheit von Mindmaps sicherlich nicht notwendig, diese Technik erst einzuführen. Wichtig hingegen scheint es aber festzuhalten, dass der wesentliche Ansatz – laut den Autoren – des Mindmappings darin bestehe, gegenüber linearen Notizen ein „radiales, strahlendes Denken“121 zu fokussieren:122 Ein zentraler Begriff in der Mitte und Assoziationsketten von diesem weg. In ihrem gesamten Buch, das diese Methode einzuführen gedacht ist, findet sich allerdings kein Hinweis dazu, wie diese Assoziationsketten zustande gebracht werden sollen. Zwar betonen die Autoren die Bedeutung von Hierarchien und Kategorien, anstatt diese aber zu diskutieren und Varianten vorzustellen, erschöpft sich ihr Beitrag in: „Setzen Sie Hierarchien ein.“123 Es wird schnell deutlich, dass es sich bei Mindmapping eben nicht um eine Kreativtechnik handelt, sondern um eine Visualisierungs- und Mnemotechnik. Wie die morphologische Karte baut auch die Mindmap auf einem Suchraster auf, um überhaupt mögliche Aspekte beziehungsweise Zerlegungen zu finden. Diese Suchraster können dabei solche sein, wie die Fragen quis, quid, ubi, quibus auxiliis, cur, quomodo, quando.124 Aber auch klassische Kategorien wie die zehn aristotelischen: Substanz, Quantität, Qualität, Relation, Ort, Zeit, Lage, Haben, Wirken, Leiden.125 Als Hypothese sei hier formuliert: Methoden des Mindmappings und der morphologischen Kartierung dienen nach dem Gesagten nicht eigentlich zur Ideenfindung, sondern zur Visualisierung und damit zur kontrollierten Steuerung des Findungsprozesses, insbesondere im Falle kollaborativer Designpraxis. Diesen Bereich weiter und differenzierter zu untersuchen wäre allerdings Aufgabe einer eigenständigen Arbeit zu diesem Thema.
120 Vgl. Buzan, Tony; Buzan, Barry: Das Mind-Map-Buch. Die beste Methode zur Steigerung Ihres geistigen Potenzials. München 2002. S. 84. 121 Ebd. S. 53. 122 Mit diesem Ausdruck versuchen die Autoren eine ‚Verwandtschaft‘ der Mindmap mit den durch selbige angeblich abgebildeten Denkprozessen herzuleiten. Weil sie Denken als ‚radial‘ bestimmen, meinen sie schließen zu können, die Mindmap sei die äußere Ausdrucksform dieses radialen Denkens (vgl. ebd. S. 57.). Letztlich handelt es sich eben um ein Werbebuch, das keiner wissenschaftlichen Argumentation folgen muss und im Rahmen der vorliegenden Arbeit auch nicht auf eine solche hin überprüft werden soll. 123 Ebd. S. 94. 124 Vgl. Fuhrmann 2008. S. 99. 125 Zit. nach: Baumgartner, H.M.; Gerhardt, G.; Konhardt, K.; Schönrich, G.: Kategorie, Kategorienlehre. I. Antike, II. Patristik, Mittelalter und Humanismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 4. Darmstadt 1976. Sp. 714-725. Hier: Sp. 716.
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5. V OM O RDNEN – D ISPOSITIO „[W]ie es bei einem Bauvorhaben nicht hinreichend ist, Steine, Bauholz und was sonst zum Bauen dienlich ist, zusammenzutragen, wenn zu seiner Anordnung und Aufstellung nicht die eigentliche handwerkliche Geschicklichkeit hinzukommt, so kann beim Reden [und, wie man anfügen könnte, auch beim Gestalten] eine noch so überreiche Stofffülle nur einen Überschuss bilden und Materialhaufen, wenn nicht ebenfalls die Anordnung des Materials richtig verteilt und zusammengefügt verbindet.“126
Die Aufgabe, die in der inventio aufgetane Stoffsammlung zu einem Konzept zu verdichten und in eine, die einzelnen Teile sinnvoll, das heißt wirkungsintentional, verbindende Ordnung zu bringen, so dass schließlich ein einheitliches Ganzes entsteht, wird bei Quintilian als zweite Produktionsphase beschrieben und innerhalb der klassischen Rhetorik dispositio genannt. Auch hierbei, wie bei allen Produktionsphasen, ist nochmals zu betonen, dass die Festlegung auf die zweite Phase keineswegs bedeutet, dass diese stets nach dem Abschluss der ersten stattfände. Gerade Quintilians Vergleich mit dem Baumeister in der eingangs zitierten Stelle macht deutlich, dass diese Position nicht fixiert sein kann. Denn kein Baumeister, der sein Fach versteht, lässt sich erstmal planlos Material aufschütten, um dann zu überlegen, wie er es denn verwenden könne, also um sich dann, wenn alles nur erdenkliche Material zusammengetragen ist, der Frage einer möglichen Ordnung zu stellen. Dispositionelle Fragen spielen vielmehr in jedem schöpferischen Prozess von Anfang an und durchgehend eine entscheidende Rolle. Für die Ordnung des Stoffes innerhalb einer Rede entwickelte die klassische Rhetorik ein zweckdienliches Schema, das gerade in seiner einfachsten Form nicht nur ein gängiges Ordnungsschema des rhetorisch geschulten rhetors bildet, sondern auch in der alltäglichen Kommunikation leitend ist. „Denn, dass wir etwas zum Eingang sagen, denn dass wir die Sache selbst auseinandersetzen, nachher sie beweisen, indem wir unsere Beweismittel bekräftigen und die des Gegners widerlegen, endlich dass wir aus dem Ganzen Folgerungen ziehen und so den Redeschluss bilden, das schreibt schon die Natur der Rede vor“127 Eben weil es ‚die Natur der Rede‘ vorschreibt, was nichts anderes bedeutet, als dass es gängige Praxis ist und daher im Alltag wohl auch nicht weiter hinterfragt wird, wird diese Redeordnung als ordo naturalis bezeichnet. Hingegen stellt für die klassische Rhetoriktheorie jede Abweichung von diesem Ordnungsschema eine ordo artificialis dar, eine künstliche beziehungsweise kunstgemäße Ordnung des Stoffes. Diese wird vor allem dann gewählt, wenn es entweder die Umstände nicht angebracht erscheinen lassen, alle Redeteile in ihrer Reihenfolge vollständig auszufüllen oder wenn es im Sinne der
126 Quintilian 2011. VII, Prooemium 1. 127 Cicero 2003. 2,76,307.
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Wirkungsintention zweckdienlich zu sein scheint, Variationen vorzunehmen. Variationen dieser Art könnten etwa Einschübe, Vorwegnahmen oder Auslassung ganzer Redeteile sein. Um Missverständnissen vorzubeugen, sei auch hier das Selbstverständliche expliziert: Die Einteilung der Rede in exordium, narratio, argumentatio und schließlich peroratio ist nicht deshalb die ordo naturalis, weil sie tatsächlich ‚in der Natur der Rede‘ liegt, sondern sie ist die ordo naturalis für ganz bestimmte Redeanlässe, weil sie innerhalb dieser rhetorischen Situationen als ‚in der Natur der Rede liegend‘ empfunden wird, was im Allgemeinen heißt, dass sie, da sie die Erwartungshaltung des Publikums befriedigt, nicht als (bewusst gewählte) Ordnung auffällt. Weniger irreführend als die Rede von der ‚Natur der Rede‘ wäre es demnach, die ordo naturalis als die Ordnung zu bestimmen, die vom Publikum aufgrund seiner situativen Erwartungshaltungen als ‚natürlich‘ und schlichtweg als ‚gegeben‘ empfunden wird – was wohl oftmals heißt, dass sie gar nicht ins Bewusstsein rückt. Das meint dann allerdings auch, dass das obige exordium-narratio-argumentatio-peroratio-Schema keineswegs durchweg und ‚an sich‘ der ordo naturalis entspricht. Diese Zuordnung muss stets nach situativen Parametern erfolgen. Insofern die ordo naturalis, nach dem Gesagten, wirkungsintentional als die Ordnung bestimmt werden kann, die als Ordnung nicht auffällt, ist jede Ordnung in Abhängigkeit der rhetorischen Situation potentiell eine ordo naturalis. Die ordo artificialis ist demgegenüber dann die Ordnung, die sich als Ordnung bemerkbar macht, die als Ordnung inszeniert wird oder wo die Ordnungsabsicht deutlich hervortritt und – das ist der entscheidende Punkt –, wo die rezipierte und erkannte Ordnung als ungewöhnlich aber schließlich dennoch als mögliche Ordnung empfunden wird. Wird sie nicht als mögliche Ordnung empfunden und scheitert daher, so gilt sie nicht als wirkungsintentionale ordo artificialis, sondern entweder als verunglückte obgleich intendierte ordo naturalis oder schlichtweg als (nicht-intentionale) Unordnung. Sie gilt als verunglückte ordo naturalis – und nicht etwa als missglückte ordo artificialis –, da das Publikum stets nur nach seinen Erwartungshaltungen bemessen kann, was nichts anderes heißt, als dass diesem nur die von ihm als ordo naturalis empfundenen Ordnungen als Referenzrahmen zur Verfügung stehen. Ein einfaches Beispiel aus dem Alltag: Ein aufgeräumtes Zimmer fällt womöglich als ‚schlichtweg aufgeräumtes Zimmer‘ nicht auf (ordo naturalis). Ist es allerdings bis zur peniblen Reinlichkeit geputzt und wirkt steril und akribisch sortiert, so fällt die Ordnung als Ordnung auf (ordo artificialis), ebenso wenn man sieht, wie alles notdürftig und rasch (vielleicht aufgrund des überraschenden Besuches) zusammengekehrt erscheint (verunglückte ordo naturalis, der man den Status einer ordo artificialis gemeinhin nur im Spaß zuspricht). Interessanterweise lässt sich von dieser kurzen Beschreibung auch auf die Situation schließen, in der diese Aussage (wenigstens oftmals) als zutreffend eingestuft werden würde: Es handelt sich um ein Zimmer in einem privaten Wohnhaus (genauer ließe sich die Situation als eine vorstellen, in der etwa die Mutter das Kinderzimmer betritt). Handelte es sich um ein Zimmer in einer Arztpraxis, um einen Operationssaal, um ein Zimmer,
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das als Lager fungiert oder um einen Verkaufsladen, so wäre die ordo naturalis eine andere. Wenn also Oesterreich in einem fundamentalrhetorischen Sinne zwar die dispositionellen Überlegungen auch im Bereich des Alltags deutlich hervorhebt, diese dann aber doch als eine „Radikalisierung des äußeren decorum“128 beschreibt, so verkennt er meines Erachtens die Rolle der ordo naturalis. Radikalisierung des äußeren decorum in der Alltagskommunikation meint schlichtweg, dass der Adressaten- und situative Kontextbezug so stark betont wird, dass in der Alltagskommunikation alles, was für unnötig gehalten wird, radikal ausgelassen wird, bis hin zu nur noch elliptischen Einwortsätzen.129 Diese Verfahrensweise ist aber irreführend als eine Radikalisierung beschrieben, denn sie entspringt keinen radikalen Überlegungen, sondern gerade der ordo naturalis. Die wirkungsintentionale Bestimmung der Ordnung (ordo naturalis und ordo artificialis) ermöglicht es dann auch, dieses Schema auf andere Medien zu übertragen und fruchtbar zu machen, ohne dass dafür das exordium-narratio-argumentatio-peroratio-Schema zugrunde gelegt werden muss. Der Referenzrahmen einer angemessenen Ordnung liegt dann nicht in diesem speziellen Redeschema, sondern in der Erfahrung des Publikums im Umgang mit spezifischen Situationen. Diese Erfahrungen lassen uns den geordneten Aufbau eines Leitsystems ebenso einschätzen und bewerten, wie die Ordnung einer Werbeanzeige, eines Reiseführers oder einer Karte. Dies gilt auch – und erst recht – dann, wenn die Ordnung und das Geordnetsein dieser Dinge uns erst dann auffällt, wenn die Ordnung von der ordo naturalis abweicht und entweder scheitert oder (positiv) überrascht. Daraus lässt sich für das Design (und ebenso für die Rede) sofort die Schlussfolgerung ableiten, dass die Thematisierung dispositioneller Fragestellungen im Designprozess auch dann wichtig ist, wenn es das Ziel ist, eine Ordnung zu wählen, die ein möglichst schnelles und leichtes Erfassen ermöglicht und demnach als Ordnung idealerweise gar nicht auffällt. Gerade wenn für Situationen gestaltet wird, in denen damit zu rechnen ist, dass Menschen sie tendenziell als überfordernd, herausfordernd oder zumindest als belastend empfinden könnten, kann es ratsam sein, die in diesen Situationen und für jene Menschen geltende ordo naturalis herauszufinden und umzusetzen. Man denke etwa an die Regulierung des Straßenverkehrs, Leitsysteme in Krankenhäusern 128 Oesterreich 1990. S. 120. 129 In einem passenden Beispiel erläutert Richard Müller-Freienfels, dass nicht jedes Weglassen von Worten eine Ellipse und nicht jeder Satzbruch ein Anakoluth darstellt, sondern dass eine solche Zuschreibung letztlich nur aus der Situation heraus erfolgen kann: „Wenn man in älteren Poetiken von ‚Ellipsen‘ und ‚Anakoluthen‘ redet, so übersieht man vollkommen, dass da gar nichts weggelassen ist und gar nicht die feste Syntax durchbrochen wird, sondern dass in solchen Gebilden das erregte Gefühl sich in seiner ihm adäquaten Form äußert. Das erregte Gefühl ruft nicht ‚Hier ist ein Feuer‘, sondern ruft ‚Feuer!‘. Es ist nichts weggelassen, weil nie etwas da war.“ (zit. nach Knape 1996. Sp. 325.)
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oder Verknüpfungen und Pfade für bestimmte Websites. Demgegenüber kann insbesondere da versucht werden, die Ordnung zu variieren und von der ordo naturalis im Sinne einer ordo artificialis abzuweichen, wo dies die Wirkung des gestalteten Produktes unterstützt. Wenn beispielsweise im Kontext der Werbung wo üblicher Weise im Sinne des genus humile vor allem exordiale Funktionen, wie attentum parare und captatio benevolentiae betont werden, mit den Mitteln der argumentatio sowohl die confutatio als auch die refutatio bedient wird, so kann diese Variation der ordo naturalis durchaus als eine überzeugende Abwechslung fungieren. Die erste Frage der dispositio kann nach dem Gesagten wie folgt zusammengefasst werden: Welche Ordnung, Abfolge oder Komposition wird in der rhetorischen Situation vom Zielpublikum tendenziell als ‚natürlich‘ oder als ‚in der Natur der Sache liegend‘ empfunden? Was ist die spezifische ordo naturalis? Erst vor dem Hintergrund dieser Frage kann nach den gestalterischen Möglichkeiten entweder der Umsetzung genau dieser ordo naturalis oder auch der gezielten Abweichung im Sinne einer ordo artificalis gefragt werden. Somit lautet die zweite Frage der dispositio: Entspricht es der Wirkungsintention, die gefundene ordo naturalis zu bedienen oder sollte von dieser aus situativen Gründen abgewichen werden? Schließlich stellt sich die dritte Frage der dispositio: Welche Mittel stehen im ersten und zweiten Fall zur Verfügung? Es ist offensichtlich, dass es nicht nur in Abhängigkeit von den rhetorischen Situationen, sondern insbesondere auch in Abhängigkeit zum gestalteten Medium unterschiedliche Formen und ebenso unterschiedliche Mittel der Gestaltung einer ordo naturalis gibt. Zudem kann diese nicht nur in einer Weise variiert werden, sondern lässt eine Vielzahl möglicher artifizieller Ordnungen zu. Die erste Frage – und in ihrer Folge auch alle weiteren – die hier expliziert wurde, ist demnach stets eine Frage, die nur aus dem Studium der Praxis heraus, genauer aus dem Studium menschlicher, situativer und medial bedingter Praktiken heraus beantwortet werden kann. Die Designrhetorik, wie sie in der vorliegenden Arbeit entwickelt wird, muss hierzu ein Werkzeug zum systematischen Studium dieser Praktiken liefern. Diesem Zweck widmen sich in der vorliegenden Arbeit vor allem die folgenden Kapitel mit ihren Fallstudien. Dort gilt es, in Bezug auf Fragen der dispositio zu untersuchen, welche Ordnungsformen im gestalterischen Prozess gewählt und im gestalteten Produkt exemplifiziert werden, inwiefern diese von konkreten Erwartungshaltungen bewusst abweichen und welche Wirkungsintentionen sich mit dieser Abweichung erklären lassen. Das Ziel eines designrhetorischen Studiums menschlicher Praktiken im Umgang mit gestalteten Produkten ist in Bezug auf die dispositio die Entwicklung spezifischer Systematiken, die Wirkungen erklären helfen und wirkungsintentionale Prozesse inspirieren oder anleiten können. Unter diesen Vorzeichen ist auf die dispositio im zweiten Teil der Arbeit zurückzukommen.
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6. V ON DER G ESTALTUNG – E LOCUTIO Als dritte Produktionsphase der klassischen Rhetorik gilt die elocutio, sie ist „die praktische Formulierungskunst des Redners und zugleich die rhetorische Formulierungstheorie.“130 In der elocutio geht es darum, den in der inventio gefundenen Gedanken ihre wirkungsintentionale Form zu geben. Als letzte Produktionsphase geht es darum, den Gedanken ein, wie es Cicero nennt, „sprachliche[s] Gewand“131 zu geben. Um die Prozessanalogie von Rhetorik und Design zu zeigen, wird es in diesem Unterkapitel nötig sein, sich mit dieser ‚Ankleide der Gedanken‘ näher auseinanderzusetzen. Nach einer Kritik der Metapher vom sprachlichen Gewand, die vor allem deutlich machen soll, dass Form und Inhalt sich nicht trennen lassen und dass die inventio eben keine ‚nackten Gedanken‘ findet, die ihrer Ankleide harren würden, soll gezeigt werden, dass auch die elocutio in erster Linie eine Findungskunst ist und sich als solche inventiver Techniken bedient. Ganz im Sinne der im Methodenkapitel der vorliegenden Arbeit in Anschlag gebrachten aristotelischen Bestimmung der Rhetorik als die Kunst, in allem das möglicherweise Überzeugende zu finden, zeigt sich hiernach schließlich der inventive Charakter aller rhetorischen Produktionsphasen. Hierdurch wird es möglich, auch den Bereich der rhetorischen Figuren nicht nur als Produkt rhetorischer Bemühungen zu sehen, sondern ebenso in ihrem inventiven Charakter zur Ideenfindung und damit als Prozessgröße herauszustellen. Dass dies insbesondere im Designbereich wichtig ist, wurde bereits in der obigen Besprechung der Kreativitätstechniken (etwa bei Pricken) deutlich. In diesem Zusammenhang kann dann auch fruchtbar an die Unterscheidung der Figuren in Gedanken- und Wortfiguren bei Quintilian angeknüpft werden. Somit ist der Gang des folgenden Unterkapitels wie folgt: 1. Kritik der Metapher vom sprachlichen Gewand, 2. die elocutio als Findungslehre und 3. Figurenlehre. 6.1 Kritik der Metapher vom sprachlichen Gewand Die Rede vom sprachlichen Gewand der Gedanken ist weit verbreitet und soll vor allem metaphorisch deutlich machen, dass „die Rede aus dem Inhalt und der Form besteht“132. Der richtige und hilfreiche Gedanke hinter dieser Metapher ist es folglich, darauf aufmerksam zu machen, dass vom rhetorischen Standpunkt aus betrachtet es eben nicht allein reicht, gute und angemessene Gedanken und Konzepte zu finden, sondern diese auch wirkungsvoll darbieten zu können. Nicht nur der Inhalt einer Rede entscheidet über ihren potentiellen Erfolg, sondern eben auch die Form derselben.
130 Knape 1994. Sp. 1022. 131 Cicero 2003. 1, 142. 132 Knape 1994. Sp. 1023.
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Allerdings führt die Metapher vom sprachlichen Gewand auch schnell in sprachphilosophische Sackgassen, was eine Kritik der Metapher unumgänglich macht. Da diese Kritik notwendig in den Bereich des res-verba-Problems führen muss und es allerdings nicht die Absicht dieses Kapitels ist, diese sprachphilosophisch zwar interessante aber im Detail für den Entwurf einer Designrhetorik nicht direkt zielführende Diskussion genau zu führen, sollen lediglich einige Hinweise zur rhetoriktheoretischen Einordnung des res-verba-Problems angerissen werden, bevor die eher pragmatische Metaphernkritik erfolgt. Das res-verba-Problem bezeichnet im Kern das Problem des Bezuges von Worten oder Sätzen auf die durch sie auszudrückenden Gedanken oder Sachverhalte. Rhetorisch interessant ist dieses Problem deshalb, weil es für den Redner wichtig ist, die Worte zu finden, die (wenigstens potentiell) vom Publikum so verstanden werden sollen, wie dieser sie meinte. Laut Ekkehard Eggs ergibt sich die Frage nach dem Verhältnis von res und verba aus Quintilians Feststellung: „Jede Rede besteht nun entweder aus dem, was bezeichnet wird, oder aus dem, was bezeichnet, das heißt aus Inhalt und Worten.“133 Dies führt, so erläutert Eggs weiter, schließlich dazu, dass die „inventio […] sich, wie Quintilian […] ausführt, um das Was, die res, [kümmert,] d.h. um die sich aus der Sache ergebenden Gesichtspunkte, die elocutio ist für die verba zuständig, d.h. für das Wie des sprachlichen Ausdrucks.“134 „Hierdurch trennt Quintilian „offenbar die Phase einer sprachunabhängigen Kognition (inventio und dispositio der res) und die der sprachlichen Formulierung (elocutio und pronuntiatio der verba). Genau diese radikale Trennung wird in der Renaissance von Petrus Ramus systematisch vorgenommen werden, mit dem Ergebnis, dass die Rhetorik nur noch für die sprachliche Formulierung und nicht mehr für das Finden der Gedanken und Argumente zuständig ist.“135
Damit bringt Eggs deutlich auf den Punkt worin das Problem einer Trennung von res und verba auch rhetorikgeschichtlich liegt. Die Trennung von Form und Inhalt führte eben zu der Verkürzung der Rhetorik, auf die bereits im Methodenkapitel eingegangen wurde. Schauen wir uns vor diesem Hintergrund an, was unter einem Gewand verstanden werden kann und was eine Rede vom sprachlichen Gewand zu implizieren in der Lage ist.
133 Quintilian 2011. III,5,1. Siehe auch: Eggs, Ekkehard: Res-Verba-Problem. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 7. Tübingen 2005. Sp. 12001310. Hier: Sp. 1200. 134 Ebd. 135 Ebd. Sp. 1215.
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1) Gewänder bedecken Körper, deren ontologischer Status unabhängig von diesen Gewändern ist. Mein Sein verändert sich nicht durch das Anlegen oder Ablegen eines Gewandes. Insbesondere hat ein Gewand keinen Einfluss darauf, ob ich überhaupt existiere. Dies gilt offensichtlich für Gedanken nicht. Ein Gedanke ohne kommunizierbare Form, ist nicht fassbar und damit als Gedanke nicht vorhanden. Hinter dem sprachlichen Gewand versteckt sich nicht ein ‚nackter Gedanke‘ und schon gar nicht die ‚Sache selbst‘, die als die ‚Sache selbst‘ erfasst werden könnte, ließe man nur das sprachliche Gewand beiseite, sondern einfach nur nichts.136 Der ontologische – und ebenso der epistemologische – Status eines Gedankens ist demnach nicht unabhängig vom Vorhandensein oder nicht Vorhandensein eines sprachlichen Gewandes. 2) Gewänder lassen sich wechseln, ohne dass der damit durch sie bekleidete Körper sich verändert. Ob ich mir morgens ein T-Shirt anziehe oder ein Hemd, verändert nicht meinen Körper, auch wenn es diesen anders erscheinen lassen kann (darauf wird gleich eingegangen). Körper sind folglich nicht nur in ihrem Dasein (vgl. Punkt 1), sondern auch in ihrem Sosein invariant gegenüber Gewändern. Dies gilt im Allgemeinen nicht für das Verhältnis von res und verba. Eben weil die gewählten verba das Dasein eines Gedankens bestimmen, haben sie auch die Potenz, sein Sosein zu bestimmen. Wenn Gedanken stets erst durch ihre Form fassbar werden, so werden sie damit zugleich stets in dieser Form erfasst und somit als etwas bestimmt. So kann es beispielsweise einen Unterschied machen, ob ein Altersheim als ‚Rentnerghetto‘ oder ‚Seniorenresidenz‘ bezeichnet wird. Wird die res-verba-Problematik allein auf die Frage bezogen, welche außersprachliche Referenz ein Zeichen hat, so kann mit Gottlob Frege der Unterschied zwischen diesen beiden Bezeichnungen für ein Altersheim als Färbung bezeichnet werden. Frege folgend würden die Sätze ‚Dies ist ein Rentnerghetto.‘ und ‚Dies ist eine Seniorenresidenz.‘ den gleichen Gedanken ausdrücken, nämlich: ‚Dies ist ein Altersheim.‘ Der Unterschied beider Sätze kann zudem auf Freges Unterscheidung von Sinn und Bedeutung abgebildet werden. Frege beschreibt den Unterschied von Sinn und Bedeutung wie folgt: „Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist.“137 Zwar hätten beide Aussagen einen unterschiedlichen Sinn, aber die 136 Dass ‚hinter‘ der Form, in der ein Gedanke ausgedrückt wird, nicht einfach der Gedanke selbst steht, sondern einfach nur nichts, wird umso evidenter, wenn es sich bei der Ausdrucksform nicht nur um sprachliche Formen handelt, sondern eben – wie im Falle der Designrhetorik – auch um visuelle Formen. Würde von allen diesen Formen des Ausdrucks abstrahiert, bliebe eben kein ‚formloser Inhalt‘, sondern schlichtweg kein Inhalt. 137 Frege, Gottlob: Über Sinn und Bedeutung. In: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien. Hrsg. von Günther Patzig. Göttingen 1962. S. 38-63. Hier: S. 39. In einer
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gleiche Bedeutung: Die Referenz ist ein physikalisches Objekt an einem bestimmten Ort in der Welt. Eine solche Überlegung hilft allerdings rhetorisch wenig weiter. Nicht zuletzt deswegen, weil es in der Rhetorik gerade um das geht, was Frege Färbung nennt. Mehr noch: Von einem rhetorischen Standpunkt aus gesehen haben zwei Ausdrücke mit unterschiedlichem Sinn im Allgemeinen auch eine unterschiedliche Bedeutung.138 Denn eben auf der Grundlage ihrer unterschiedlichen ‚Art des Gegebenseins‘ werden unterschiedliche Wahrnehmungsweisen zum Ausdruck gebracht, die unterschiedliche Argumentationen ermöglichen, die wiederum zu unterschiedlichen Handlungsweisen anleiten können. Für die Rhetorik gilt: Verba, die einen unterschiedlichen Sinn exemplifizieren, drücken demnach nicht, wie Frege für den Bereich der Logik meint, den gleichen Gedanken aus, nur weil sie die gleiche außersprachliche Referenz haben. Die Metapher vom sprachlichen Gewand der Gedanken legt aber nahe, insbesondere wenn die elocutio als die Phase der sprachlichen Einkleidung, die zeitlich nach der inventio stattfinden soll, verstanden wird, zu meinen, dass die Modifikation der kommunikativen Form – wenigstens relativ – unabhängig von der Kommunikation der Gedanken sei. In dieser Weise verstanden, wird die Metapher vom sprachlichen Gewand in dieser Arbeit allerdings zurückgewiesen. Zu diesem Punkt meint Knape mit einem Verweis auf die pragmalinguistische Forschung: „Formulieren, auch figuratives Formulieren, wird nicht mehr als bloßes Überführen von fertigen vorgeprägten Inhalten in eine nur äußerliche sprachliche Form gesehen, die man ganz beliebig wählen könnte, sondern als ein integrales schöpferisches Handeln. Damit wird die ZweiPhasen-Theorie des Nacheinander von zunächst kognitiv-inventiven und erst dann folgenden elokutionären Vorgängen aufgegeben zugunsten der Vorstellung eines prozesshaften In- und Miteinanders.“139 ähnlich gelagerten Sicht, die zwischen Sinn (Gesichtspunkte) und Bedeutung (Sache) unterscheidet, erscheint das folgende Zitat Condillacs: „Verschiedene Ausdrücke stellen die gleiche Sache unter verschiedenen Gesichtspunkten dar, und der geistige Blickwinkel, das heißt die Gesichtspunkte, unter denen wir eine Sache betrachten, bestimmt die zu treffende Wahl [in der elocutio].“ (Zit. nach Todorov, Tzvetan: Symboltheorien. Tübingen 1995. S. 91.) 138 Der in der inventio gefundene Gedanke gehört mehr in den Bereich des Sinns als in den der Bedeutung, denn rhetorisch verhandelt werden im Allgemeinen unterschiedliche Arten des Gegebenseins und nicht primär unterschiedliche außersprachliche Referenzen. Der rhetorische Streit der Meinungen ist ein Streit um den Sinn und weniger um die Bedeutung. 139 Knape 1996. Sp. 325. Dem Punkt, den Knape hier macht, kann in dieser Arbeit nur zugestimmt werden, auch wenn die Beliebigkeit von der Knape spricht so auch in der klassischen Rhetorik nicht gegeben war. Immerhin galt auch und besonders im Bereich der elocutio stets der regulative Einfluss des aptum/decorum.
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3) Gewänder schmücken den Körper und lassen ihn für andere unterschiedlich erscheinen. Auch wenn weder das Dasein noch das Sosein eines Körpers von dessen Gewandung abhängt, so hat letztere doch wesentlichen Einfluss auf dessen So-Erscheinen. In Punkt 2 wurde deutlich gemacht, dass eine Veränderung der Form im Allgemeinen eine Veränderung des Gedankens bewirkt. Dennoch ist es möglich, für den gleichen Gedanken unterschiedliche Formen zu finden, die im rhetorischen Überzeugungsprozess unterschiedlich stark wirken können. Die Menge der möglichen Formen lässt sich eben nicht bijektiv auf die Menge der möglichen Inhalte abbilden, es ist nicht so, dass jedem Gedanken genau eine Form korrespondiert.140 Es bedarf allerdings, wie gerade die Diskussion in Punkt 2 deutlich macht, eines Kriteriums, um entscheiden zu können, wie groß die Variationsbreite zum Ausdruck desselben Gedankens ist. Ob ‚Dies ist ein Rentnerghetto.‘ und ‚Dies ist eine Seniorenresidenz.‘ denselben Gedanken ausdrücken oder nicht, lässt sich nicht durch eine Betrachtung des Altersheims erkennen, sondern allein durch eine Betrachtung des richtenden Publikums und des kommunikativen Settings und ist damit eine Aufgabe des rhetorischen iudicium auf dem Feld des aptum. Vor einem bestimmen Publikum in einem bestimmen rhetorischen Setting mag dem Unterschied zwischen diesen beiden Sätzen kein Unterschied der ausgedrückten Gedanken entsprechen, vor einem anderen Publikum in einem anderen Setting aber schon. Wird damit ein anderer Gedanke ausgedrückt, so kann dies bewusst oder unbewusst geschehen. Im letzteren Fall verfügte der Redner nicht über das entsprechende iudicium, im ersten Fall hat dieser innerhalb der elocutio nicht bloß dem in der inventio gefundenen Gedanken ein sprachliches Gewand gegeben, sondern tatsächlich einen neuen Gedanken gefunden. Der Formfindungsprozess der verba stellte dann in erster Linie einen inventiven Prozess der res dar; und da der neu gefundene Gedanke abermals in einer bestimmten Form gefunden werden musste (vgl. Punkt 1), stellt sich auch bei dieser Form von neuem die elocutionäre Frage: Drückt diese Form den Gedanken angemessen wirkungsintentional aus oder ließe sich die Wirkung des Gedankens (ohne dabei den Gedanken zu verlieren) durch eine Variation der Form entlang des Erwartungs- und Verstehenshorizonts des Publikums noch verstärken? Aus dem Gesagten ergeben sich zwei wesentliche Schlussfolgerungen: Zum einen wird (insbesondere aus Punkt 2 und 3) deutlich, dass sich Fragen der res-verbaVerbindung und vor allem die Frage der Synonymität nicht kontextfrei und abseits des konkreten Publikumsbezuges angehen lassen. Diese Schlussfolgerung hat Folgen für die Möglichkeit rhetorischer – und insbesondere designrhetorischer – Anweisungsästhetiken und Handbücher. Gerade der wesentliche Produktionsschritt der 140 Todorov formuliert entgegen dieser Behauptung: „Jedem Signifikat entspricht idealerweise ein einziger Signifikant.“ (Todorov 1995. S. 91.) Das ist letztlich das, was Richards einen „Aberglauben der richtigen Bedeutung“ nennen würde (vgl. Richard, Ivor A.: The Philosophy of Rhetoric. Oxford 1965).
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elocutio lässt sich demnach kaum formalisieren.141 Es bleibt diesen Ratgebern und Handbüchern folglich weitgehend nur der Appell an das iudicium des Redners/Gestalters und die kontextgebundene Analyse erfolgreicher rhetorischer Bemühungen. Sie können, und darin besteht ihre Stärke, zeigen, was in einem bestimmten Kontext vor einem bestimmten Publikum erfolgreich war. Damit dienen sie vor allem der Schulung des iudicium und daneben auch (worauf gleich einzugehen sein wird) als Inspirationshilfe im Sinne der inventio. In diesem Sinne schreibt auch Scheuermann: „Einige wesentliche Erfahrungen von Gestalter/innen lassen sich nicht verschriftlichen. Das ‚Gespür‘ für den ‚richtigen‘ Textsatz, der ‚Geschmack‘ in der Auswahl des Bildmaterials, das ‚richtige Händchen‘ in der Auswahl von Farben lassen sich zwar beobachten und diskutieren, entwickeln und einüben – aber nicht immer in eine schriftliche Form bringen.“142 Die rhetorische Analyse bestehender Designlösungen ist daher für die Designrhetorik – insbesondere für die elocutionären Aspekte – eines der wichtigsten Mittel, die gestalterischen Spielräume in ihrem jeweiligen Kontext aufzuzeigen. Es ist bezeichnend, wenn etwa Hanno Ehses in seinem Aufsatz Rhetorik im Kommunikationsdesign in die elocutio einleitend schreibt: „Hier möchte ich nun zeigen, wie Kommunikationsdesigner mit rhetorischen Figuren arbeiten können, um Konzepte zu entwickeln und visuell umzusetzen.“143 Ehses verspricht demnach zu zeigen, wie Designer mit rhetorischen Figuren arbeiten können, und er löst dieses Versprechen ein, indem er zeigt, wie Designer mit rhetorischen Figuren arbeiteten. Für die Anlage der vorliegenden Arbeit wird eine vergleichbare Strategie tragend sein: Auch dieser Arbeit geht es – unter anderem – darum zu zeigen, wie Gestalter mit den elocutionären Mitteln arbeiten können und auch dieses Versprechen kann allein dadurch eingelöst werden, dass gezeigt wird, wie Gestalter in konkreten Situationen mit elocutionären Mitteln arbeiteten. Eben diesem Aspekt widmet sich der zweite Teil der Arbeit mit seinen Fallanalysen. Als zweite Schlussfolgerung ergibt sich aus dem Gesagten der bereits in Punkt 3 angedeutete inventive Charakter der elocutio. Die Kritik der Metapher vom sprachlichen Gewand macht deutlich, dass inventio und elocutio in weiten Teilen als die zwei 141 Wenn hier von der Schwierigkeit der Formalisierbarkeit gesprochen wird, so meint das, die Schwierigkeit allgemeingültige Regeln der elocutio aufstellen zu können. Nichtsdestotrotz werden solche Regeln immer wieder aufgestellt und können durchaus auch eine gewisse Gültigkeit für sich beanspruchen. Diese Gültigkeit bleibt allerdings von vielen kulturellen und sozialen Faktoren abhängig, so dass – auch wenn einzelne Regeln eine erstaunliche Langlebigkeit aufweisen können – die dauernde Veränderbarkeit der Regeln eher die Regel zu sein scheint. Zudem ist die Frage der aktuellen Gültigkeit einer Regel eben abermals eine Anforderung an das iudicium des Redners/Gestalters (vgl. Scheuermann 2008a). 142 Ebd. S. 209. 143 Ehses 2008. S. 118.
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Seiten der gleichen Medaille betrachtet werden können. Diesen Aspekt gilt es nun näher zu beleuchten. 6.2 Formfindung – Der inventive Charakter der elocutio Wie wir schon in der Besprechung der Kreativhandbücher für Designer gesehen haben, benutzen Pricken, Turner und Gaede rhetorische Figuren in erster Linie nicht, um bereits gefundene Gedanken wirkungsvoller zu präsentieren, sondern als inventive Technik, um überhaupt Gestaltungsideen und Konzepte zu finden. Rhetorische Figuren spielen, wie dieses Beispiel deutlich zeigt, eben nicht nur eine Rolle im Findungsprozess angemessener verba, sondern dienen – und in diesem Bereich sind sie womöglich sogar noch bedeutsamer für die Designrhetorik als Prozessrhetorik – auch dem Findungsprozess möglicher res, wobei sie korrespondierende verba gleich mitliefern. Das Beispiel Prickens, Turners und Geades und die Kritik der Metapher vom sprachlichen Gewand diente damit auch dem Ziel, die elocutio vor allem in ihrem inventiven Charakter herauszustellen. Damit wird nicht zuletzt deutlich gemacht, wie eng die einzelnen Produktionsschritte miteinander verwoben sind und es wird zudem deutlich, wie sehr eine elocutionär-figurative Verkürzung à la Ramus ins Leere greifen muss. Eingedenk des inventiven Charakters der elocutio würde eine Ausklammerung der inventio aus dem Bereich der Rhetorik und eine Verkürzung derselben auf die elocutio schlichtweg dazu führen, auch der elocutio weitenteils den Boden zu entziehen und damit die Rhetorik tatsächlich zu entleeren. Wie Breuer betont: „Texthersteller wie Interpret haben die Freiheit, einen stets als offen betrachteten Katalog von sprachlichen Ausdrucksmustern heuristisch zu durchlaufen.“144 Dass Gleiches ebenso für visuelle Ausdrucksmittel und Figuren des Designs gilt, ist nach dem Gesagten evident. Es ist wichtig, sich über den inventiven Charakter der elocutio bewusst zu sein, da dieser nicht nur in einem positiven Sinne genutzt werden kann, um Gedanken und Konzepte zu finden, sondern auch in einem negativen Sinne Auswirkungen haben kann. So kann (das wurde durch die Kritik der Metapher vom sprachlichen Gewand deutlich) eine Modifikation der Ausdruckform einzelner Teile der Gestaltung (Dekomponenten) eben auch dazu führen, dass ein Wechsel der durch diese Form kommunizierten Gedanken im Arbeitsprozess unbemerkt bleibt und schließlich in der Komposition der Dekomponenten zu Widersprüchen, ungewollter Komik oder Unangemessenheit im Gesamtkonzept führt (Abbildung 8). Dabei können die durch die Neukontextualisierung erzeugten Widersprüche auch – bewusst inszeniert oder nicht – zu tatsächlicher ethos-Schädigung führen, 144 Breuer, Dieter: Rhetorische Figur. Eingrenzungsversuche und Erkenntniswert eines literaturwissenschaftlichen Begriffs. In: Zur Terminologie der Literaturwissenschaft. Akten des IX. Germanistischen Symposions der DFG 1986. Hrsg. von Christian Wagenknecht. 1988. S. 223-238. Hier: S. 235.
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wenn selbige über eine situative und bisweilen groteske Komik hinaus auch inhaltlich motiviert zu sein scheinen und etwa (wie hier: Abbildung 9) Missstände offensichtlich werden lassen, die sich negativ (auch) auf das ethos der werbenden Unternehmen zurückzuführen lassen scheinen. Abbildung 8 (oben) und 9 (unten)
Solche Widersprüche zum Anlass zu subversiven und dekonstruktiven Eingriffen zu nehmen und sie damit plakativ der Öffentlichkeit vorzuführen, stellt dann auch eine wesentliche Strategie der Kommunikationsguerilla dar, die auf diese Weise in einem gewissen Sinne ihre designrhetorische Analyse des Vorgefundenen in ihren eigenen
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designrhetorischen Prozess einbezieht und darin visualisiert. Auf diese Zusammenhänge wird detailliert noch im Fortgang der Arbeit einzugehen sein. 6.3 Figuren, Affekttechniken, Affordanzen Wenden wir uns nun dem Bereich zu, der innerhalb der Rhetoriktradition mit einigem Recht als Kernpunkt der elocutio bezeichnet werden könnte: Der Figurenlehre. Dabei sind sogleich zwei Einschränkungen zu machen: Zum einen ist die historisch auf uns gekommene Liste der Figuren unüberschaubar lang und folgt in dieser Länge auch keiner festen Systematik. Wie Knape feststellt, ist nicht nur die oft konstatierte Unschärfe des Figurbegriffs problematisch, gleiches gilt eben auch für die „nach wie vor desideratreichen Arbeitsfelder von Figurentypologie und Figurenfunktionsweise.“145 Allerdings darf hieraus nicht der Eindruck entstehen, es gäbe keine Versuche der Systematisierung und Begriffsbestimmung. Es mangelt nicht an solchen Versuchen, sondern – insbesondere in Anbetracht der großen Bandbreite, der heute an diesem Themenkomplex interessierten Fachdisziplinen146 – eher an einer Einigung. Vor diesem Hintergrund sollte auch hier keine umfassende Systematik erwartet werden. Zum anderen dient die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld designrhetorischer Figuren an dieser Stelle vor allem zwei Zwecken: es soll erstens die Parallelität von Rhetorik und Design im Sinne einer Prozessanalogie herausgestellt werden, was vor allem heißt, zu zeigen, dass beide Bereiche in vergleichbarer Weise Figuren einsetzen. Dazu sollen zweitens wichtige Begriffe eingeführt werden, die das Spektrum der Figuren so erweitern, dass auch von Figuren im Design gesprochen werden kann, die nicht zwingend ein Pendant in der Sprache haben. Die Designrhetorik ist in zweifacher Hinsicht an den klassischen rhetorischen Figuren interessiert: Zum einen dienen diese Figuren dem Designer, wie bereits herausgestellt wurde, als inventive Technik der Ideen- und konkret der Bildfindung/Formfindung. Zum anderen ist – und darum soll es jetzt gehen – der funktional-
145 Knape 1996. Sp. 292. Siehe auch: Breuer 1988. An dem von Knape festgestellten Desiderat ändert auch seine im gleichen Artikel formulierte Behauptung nichts, dass als rhetorische Figur nur gelten könne, was die rhetorische Tradition aufgenommen habe (vgl. Knape 1996. Sp. 295). 146 Knape nennt hier neben der Rhetorik die Philosophie, Semiotik, Linguistik, Kunst- und Literaturwissenschaft, Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Psychologie. Vgl. Ebd. Sp. 291f.
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pragmatische Aspekt der Figuren im Sinne bestimmter Gebrauchs- oder Wirkungspotentiale zu betonen.147 Im Sinne einer funktional-pragmatischen Bestimmung lassen sich in Anschluss an Knape vier Funktionen rhetorischer Figuren unterscheiden: die stilistische Funktion, die argumentative Funktion, die Erkenntnisfunktion und die ornatus-Funktion. Diese Funktionen einzuführen und auf Arbeitsfelder des Designs anzuwenden, ist die Aufgabe dieses Unterkapitels. Die Anwendung des hier zu generierenden Unterscheidungswissens erfolgt dann vor allem im zweiten Teil der Arbeit. Eine Vorbemerkung: Im Sinne einer funktional-pragmatischen Einteilung der Figuren werden diese nach ihrer Wirkung hin unterschieden. Da Wirkung aber immer nur eine Wirkung für jemanden (das Publikum) sein kann, ist letztlich die bestimmende Größe zu welcher der hier vorzustellenden Kategorien eine konkrete figurative Anwendung gehört, eben eine Frage, die nur das situativ verortete konkrete Publikum letztlich beantworten kann. Es wird hier also nicht die Unterscheidung beispielsweise zwischen Wort- und Gedankenfiguren bedient, die es zuließe, die Anapher als Wort- und die Ironie als Gedankenfigur festzulegen. Vielmehr wird hier eine funktionale Unterscheidung favorisiert, die es zulässt, dass die Ironie (und ebenso die Anapher) als Stilfigur ebenso erscheinen kann wie auch als Argumentations- oder Erkenntnisfigur. 6.3.1 Stilistische Funktion Im Sinne einer stilistischen Funktionsbestimmung übernehmen Figuren die Rolle als Stilfiguren zur Generierung eines Sprachprofils.148 Neben der Funktion, einen individuellen Stil – im Sinne einer ‚eigenen Handschrift‘ des rhetors/Designers – zu erzeugen, kennt die klassische Rhetorik verschiedene Stilebenen, die unterschiedliche Anforderungen an die elocutio stellen. Kurt Spang merkt aus rhetorikgeschichtlicher Sicht dazu an, dass sowohl die Zahl als auch die Definition der Stilebenen keineswegs unproblematisch sei und – obgleich die Dreiteilung der Stilebenen die weitaus üblichste sei – nicht einmal der Dreizahl der Stile „eine einheitliche Lehre zugrunde 147 Knape unterscheidet in der theoretischen Auseinandersetzung mit Figuren zwei wesentliche Herangehensweisen: „Der logisch-strukturale Ansatz, der Fugurendefinitionen unter Zuhilfenahme einer eigenen Nomenklatur sammelt und systematisiert“ (ebd. Sp. 290.) und der „funktional-pragmatische Ansatz, der bestimmte Gebrauchsfunktionen und Wirkungspotentiale von Figuren untersucht“ (ebd.). Wie Knape mit Verweis auf Chaim Perelman feststellt, „bedeutet aber das Vorziehen des logisch-strukturalen Ansatzes in letzter Konsequenz, die ganze Konzeption der rhetorischen Figuren zu verdunkeln.“ (ebd. Sp. 320). Daher soll hier auch nicht der logisch-strukurale Ansatz im Mittelpunkt stehen, sondern allein der auf die Wirkung der Figuren fokussierte funktional-pragmatische Ansatz. 148 Vgl. Ebd. Sp. 321.
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liegt.“149 Das einfachste Modell geht von drei Stilebenen aus: Der niedere Stil (genus subtile), der mittlere Stil (genus modicum) und der hohe Stil (genus grave). Dabei wird davon ausgegangen, dass das nüchterne und wenig figurative genus subtile sich vor allem für das Redeziel des docere (unterrichten, belehren) eignet, denn er „richtet sich in erster Linie an den Verstand und soll nicht die Affekte ansprechen.“150 Die mittlere Stillage macht mäßigen Gebrauch von affektiven Figuren und dient vor allem dem Redeziel des delectare (unterhalten, erfreuen). Der Appell richtet sich in dieser Stilebene also gleichermaßen an Verstand und Affekt. Der hohe Stil wird demgegenüber empfohlen, wenn es darum geht, das Publikum „mitzureißen und ihre Affekte zu treffen. […] Hierzu greift der Redner auf einen ausgewählten Wortschatz und wirksamen Figurenschmuck zurück. Auch der Satzbau muss der leidenschaftlichen Intention angepasst sein. Dass eine solche Ausdrucksweise eine Gratwanderung zwischen Enthusiasmus und Schwulst ist, braucht nicht sonderlich betont zu werden.“151
Der hohe Stil kann demnach vor allem dem Redeziel des movere (bewegen) dienen. Scheuermann greift diese Unterscheidung der Stilhöhen in seiner Untersuchung zu den Affekttechniken auf.152 In seiner Analyse der filmischen Affekttechniken, die unter der Bezeichnung ‚Affekttechnik‘ vor allem stilistische Figuren vorstellt, können für die vorliegende Arbeit wichtige Anschlussstellen gefunden werden. Daher soll hier kurz diese Analyse in Bezug auf die hier zu verhandelnden Fragen vorgestellt werden. Scheuermann untersucht in seiner rhetorischen Theorie des Filmemachens beispielhaft am Genre des Action-Adventure-Films bestimmte filmische Situationen (Flugzeugabstürze) bezüglich ihrer affektiven Wirkung. Dabei stellt er in Übereinstimmung mit der gerade eingeführten Stilhöhenunterscheidung fest, dass „die meisten Affekttechniken den drei Stilhöhen zuzuordnen“153 sind: die starken Affekte dem movere, die sanften Affekte dem delectare und schließlich die Affektfreiheit dem docere.154 Allerdings erweitert Scheuermann dieses Modell, indem er ortho-
149 Spang, Kurt: Dreistillehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 921-972. Hier: Sp. 922. 150 Ebd. Sp. 923. 151 Ebd. 152 Vgl. Scheuermann 2009. 153 Ebd. S. 31. 154 Mitunter werden die Redeziele und die Stilhöhen auch mit den Überzeugungsmitteln in Verbindung gebracht und bisweilen sogar gleichgesetzt. Demnach soll der logos-Aspekt vor allem einer niederen Stilhöhe entsprechen und dem Belehren und Unterrichten dienen, der ethos-Aspekt soll auf einer gemäßigten Stilhöhe angesiedelt sein und dem Unterhalten und Erfreuen dienen und der pathos-Aspekt soll die hohe Stillage bedienen und
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gonal zur Achse der Stilhöhen eine horizontale Achse der repräsentativen und präsentativen Affekttechniken einführt. Die Unterscheidung von präsentativen und repräsentativen Techniken weiß Scheuermann zwar auch an klassischen rhetorischen Beispielen zu erläutern und einzuführen, nutzt sie aber vor allem zu dem Zweck, einer Filmrhetorik auch auf der Ebene der nicht (beziehungsweise nicht ausschließlich) sprachlichen Figuren näher zu kommen. In dieser Weise kann auch für die hier zu verhandelnden Gegenstände daran angeschlossen werden. „Präsentative Affekttechniken sind jene Bestandteile medialer Techniken, die mittels präsentativer Kommunikation Affekte wecken oder vermitteln. Sie ‚selbst‘ sind die Ursache des geweckten Affekts. Repräsentative Affekttechniken wecken oder vermitteln Affekte durch die Repräsentation von etwas affektauslösendem Anderen.“155
Um diesen Unterschied an einem Beispiel deutlich zu machen: Eine traurige Abschiedssituation in einem Film soll etwa Affekte der Trauer oder des Mitleids im Publikum auslösen und schafft dies, indem eine Szene präsentiert wird, die ein trauriges Ereignis repräsentiert. Wird die Darstellung dieses Ereignisses situativ und kulturell entsprechend interpretiert, so vermag diese auch die intendierten Affekte auszulösen. Es handelt sich um eine repräsentative Affekttechnik. Demgegenüber wirkt ein gleißender Lichtblitz, der den Zuschauer tatsächlich blendet, als präsentative Affekttechnik. Der Lichtblitz muss nicht erst auf das, was er repräsentieren soll, befragt werden, sondern wirkt unmittelbar. Präsentative Affekttechniken haben „die Funktionsweise der nicht-deklarativen Wahrnehmung und Abspeicherung. Hier provoziert das Wahrgenommene direkt eine vor- oder unbewusste neurophysiologische oder hormonelle affektive Reaktion.“156 Präsentative Affekttechniken wirken demnach nicht semantisch, sondern neurophysiologisch und treten in diesem Sinne als Stimuli auf. Oder in den Worten Umberto Ecos: die Menschen ergreifen und bewegen. In diesem Sinne scheint auch Scheuermann zu argumentieren, wenn er folgende Zuordnung vornimmt: „die starken Affekte des pathos dem movere, die sanften Affekte des ethos dem delectare (und die Affektfreiheit des logos dem docere)“ (ebd.). In der vorliegenden Arbeit werden allerdings die Überzeugungsmittel (ethos, pathos, logos) nicht mit den Stilhöhen und Redezielen gleichgesetzt. Wenn beispielsweise das ethos das Überzeugungsmittel bezeichnet, das Publikum durch die Inszenierung des Charakters der orator-Figur zu überzeugen, so kann dies durchaus zu unterschiedlichen Zwecken (docere, movere, delectare) und in unterschiedlich starker Ausprägung (niederer, gemäßigter, hoher Stil) geschehen. Ebenso kann wohl auch eine sachliche Begründung und stringente Argumentation nicht nur Menschen unterrichten, sondern sie womöglich auch bewegen oder erfreuen. 155 Ebd. S. 56. 156 Ebd. S. 55.
182 | R HETORIK DES D ESIGNS „Es gibt jedoch, besonders in den visuellen Künsten, Systeme von Stimuli, die als solche funktionieren und emotionale Reaktionen erzeugen, die man aber offensichtlich nicht als Zeichen codifizieren kann. Diese Stimuli können hervorrufen: 1) unbewusste Reaktionen […]; 2) sensomotorische Reaktionen (heftige Stimuli, wie z.B. ein Licht, das mich die Augenlider niederschlagen lässt, oder ein plötzlicher Schrei, der mich auffahren lässt).“157
Scheuermann fasst diesen Gedanken bündig zusammen: „Stimuli bedeuten nichts, sie wirken.“158 Insofern sie entsprechend vom Publikum wahrgenommen werden und also auch für dieses sich durch ihre direkte Wirkung und nicht durch ihre Referentialität ausweisen, gehören diese Affekttechniken in den Bereich der stilistischen Figuren.159 Das schließt freilich nicht aus, dass nicht im Fortgang auf diese präsentative Affekttechnik bezugnehmend selbige eine Bedeutung (etwa wenn ein Blitzlicht als Beispiel für eine präsentative Affekttechnik in einem Vortrag fungiert) erhalten kann. Sollte das geschehen, dann, und nur dann, können diese Figuren auch als Figuren in Argumentations- oder Erkenntnisfunktion fungieren. Solange präsentative Affekttechniken sich allerdings allein durch ihre präsentative Wirkung auszeichnen – von der Scheuermann sagt, sie bedürfe keines repräsentierten Inhalts –160, solange dienen diese Techniken vor allem dazu, als Marker bestimmte Stile auszumachen.161 Präsentative Affekttechniken werden im Rahmen dieser Arbeit in diesem Sinne erst dann als Stilfiguren bezeichnet. Sie finden sich freilich nicht nur im Film, sondern potentiell (in einer erweiterten Bedeutung) in allen Designbereichen in den Aspekten, die sich zu einer direkten Affektsteuerung eignen. So wirkt beispielsweise das ‚Kindchenschema‘162 ebenso als eine affektive Stilfigur, die wirkungsintentional eingesetzt werden kann, um den Betrachter bereits in einem ‚vorkritischem Stadium‘ in Beschlag zu nehmen. Die Universal Principles of Design163 von Lidwell/Holden/Butler geben, insofern die von ihnen besprochenen Prinzipien tatsächlich Universalität
157 Eco 2002. S. 187. 158 Scheuermann 2009. S. 55. 159 Damit ist ein Bereich stilistischer Figuren umrissen. Allerdings können auch repräsentative Techniken und Mischtechniken stilistische Funktionen haben. 160 Vgl. Ebd. S. 56. 161 In dieser Funktion benutzt Scheuermann die präsentativen Affekttechniken auch dazu, unterschiedliche Stilhöhen im Action-Adventure-Film herauszustellen. 162 Bei Lidwell, Holden und Butler heißt es: Baby-Face Bias ist eine „tendency to see people and things with baby-faced features as more naive, helpless, and honest than those with mature features.“ (Lidwell/Holden/Butler 2010. S. 34f.). 163 Vgl. Lidwell/Holden/Butler 2010.
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beanspruchen können164 (was hier nicht gezeigt werden soll), in diesem Sinne zu großen Teilen eine Sammlung potentieller Stilfiguren wieder.165 Mit diesen Stilfiguren verlassen wir allerdings den Bereich ‚reiner‘ präsentativer Affekttechniken und begeben uns in den Raum der Mischformen aus präsentativer und repräsentativer Techniken: „Die meisten rhetorischen Regeln zum Wecken von Affekten bestehen aus einer Mischung aus präsentativen und repräsentativen Affekttechniken.“166 Für diese Mischung gilt laut Scheuermann, dass jede Repräsentation der Präsentation bedarf, allerdings nicht jede Präsentation eine Repräsentation von etwas anderem als es selbst darstellt.167 Insofern ist klar: Eine ‚reine‘ repräsentative Affekttechnik gibt es nicht. Allerdings heißt das ja nicht, dass der notwendige präsentative Teil jeder Repräsentation immer auch eine präsentative Affekttechnik sein muss. Vielmehr scheint nach Scheuermann eher das Gegenteil der Fall zu sein, denn eine präsentative Affekttechnik (keine Inhaltsseite, direkte Wirkung) schließt gerade aus, dass es sich zugleich und im gleichen Sinne auch um eine repräsentative Affekttechnik (wirkt durch die bedeuteten Inhalte, indirekte Wirkung) handeln kann. Insofern scheint klar, dass eine Mischung dieser Techniken sich nur als Addition vorstellen lässt, bei der bestimmte Aspekte der Gestaltung präsentative und andere repräsentative Affekttechniken bedienen. Auf diese Weise kann etwa versucht werden, eine direkte Wirkung durch präsentative Affekttechniken so zu entfalten, dass der Betrachter bereits in eine bestimmte Lage versetzt ist, die die Glaubwürdigkeit der nachfolgenden repräsentativen Affekttechnik zu erhöhen vermag. Dabei muss das ‚Nachfolgen‘ nicht unbedingt so verstanden werden, dass die eine Technik nach der anderen zu Aufführung gekommen wäre, sondern kann auch so verstanden werden, dass die eine Technik erst nach der anderen vom Betrachter aufgenommen und verarbeitet wurde. In diesem Sinne 164 Dies erklärt sich daraus, dass universelle Gültigkeit nur etwas beanspruchen kann, wenn es nichts bedeutet (da Bedeutungen kulturelle Zuschreibungen und damit nicht kulturell invariant sind), sondern allein auf einer anthropologischen oder neurophysiologischen (=universellen) Basis agiert und funktioniert. 165 Die gestalttheoretische Figur-Grund-Differenz (vgl. Ebd. S. 96f.) ist ein gutes Beispiel für eine solche Stilfigur. Zwar kann eine solche Differenz auch genutzt werden, um eine Inhaltsseite zu repräsentieren. Ihre affektive Wirkung (beispielsweise: Verwirrung) erreicht die Figur allerdings durch ihre bloße Präsentation, wenn Figur und Grund nicht klar festzulegen sind und wie in einer Art optischen Illusion immer wieder wechseln. Allerdings ist nicht jedes von Lidwell, Holden und Butler ausgeführte Prinzip per se eine Stilfigur: Das Prinzip der Affordanz (vgl. Ebd. S. 22f.) mag universell sein, die konkrete von einem bestimmten Subjekt in einem bestimmten situativen Kontext an einem Objekt wahrgenommene Affordanz ist definitiv nicht universell. Konkrete Affordanzen sind nicht per se Stilfiguren, sondern oftmals Figuren mit Erkenntnisfunktion. 166 Scheuermann 2009. S. 56. 167 Vgl. Ebd.
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führt Scheuermann sogenannte Affektbilder an: „Sie enthalten repräsentierte Inhalte, wirken jedoch vor allem über ihre Präsentation.“168 Diese Aussage Scheuermanns zum Ausgangspunkt nehmend, führt uns die Unterscheidung von repräsentierten Inhalten und präsentativer Wirkung zu einer generellen Unterscheidung von Darstellungsinhalt eines Bildes (das Was der Darstellung) und seiner Darstellungsweise (das Wie der Darstellung). Jedes darstellende Bild hat zwangsläufig auch eine Art und Weise, wie es etwas darstellt, so wie jede Repräsentation von einer Präsentation abhängig ist. Allerdings bedeutet dies nicht, dass es in jedem Bild auch stets um die präsentativen Anteile ‚geht‘. Erst wenn die Art und Weise der Darstellung nicht nur ‚gehabt‘, sondern auch auf diese Bezug genommen wird, kurz, wenn sie exemplifiziert169 wird, handelt es sich – laut Lambert Wiesing170 – um eine bildliche Sichtweise und damit um einen Stil. Damit kann jede Figur (sei sie nun präsentativ oder repräsentativ), die die bildliche Sichtweise eines Bildes zu exemplifizieren hilft und in dieser Funktion auch vom Publikum wahrgenommen und bewertet wird, als eine Stilfigur bezeichnet werden. Dabei kann der Grad der Affektierung entsprechend der Stilhöhen freilich sehr unterschiedlich sein. 6.3.2 Argumentative Funktion Im Sinne der argumentativen Funktion der Figuren macht Knape deutlich, dass diesbezüglich vor allem die Arbeiten von Chaim Perelman und Lucie Olbrechts-Tyteca entscheidend sind.171 In ihrer Nouvelle Rhétorique führen die Autoren eine Unterscheidung von stilistisch wirkender Figur und argumentativ wirkender Figur ein, die es hier nachzuzeichnen gilt. Dabei haben sie nicht den Anspruch, alle rhetorischen Figuren auf ihre argumentative Funktion hin zu untersuchen oder eine disjunkte Unterscheidung zwischen stilistischer und argumentativer Funktion zu generieren, sondern lediglich den Anspruch, einen häufig übersehenen Funktionszusammenhang deutlich zu machen. In diesem Sinne heißt es: „Because of the tendency of rhetoricians to restrict their study to problems of style and expression, rhetorical figures increasingly came to be regarded as mere ornaments that made the style artificial and ornate.“172 Der argumentative Funktionszusammenhang wird in der vorliegenden Arbeit dabei helfen, bestimmte Argumentationsformen in bestimmen Designprodukten (etwa beim Werbeplakat) innerhalb des persuasiven Prozesses verdeutlichen zu können. Mit besonderem Bezug zum Bereich des Produktdesigns hat bereits Richard 168 Ebd. S. 57. 169 Vgl. Goodman, Nelson: Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt am Main 1995. 170 Vgl. Wiesing, Lambert: Zur Rhetorik des Bildes. In: Bildrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Baden-Baden 2007. S. 37-48. 171 Vgl. Knape 1996. 172 Perelman/Olbrechts-Tyteca. 1969. S. 167.
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Buchanan den Begriff des Designarguments geprägt.173 Wie in der Einleitung zur vorliegenden Arbeit deutlich herausgestellt wurde, versteht Buchanan das Designargument in seiner logos-Dimension vor allem als die technologische Seite des Designs. Insofern es im vorliegenden Kapitel jedoch zunächst vorrangig um die argumentative Funktion von rhetorischen Figuren geht und weniger um Fragen der rhetorischen Rolle von Funktionalität, kann der Ansatz Buchanans hier unberücksichtigt bleiben. Dieser wird eine wichtige Rolle im Fortgang der Arbeit spielen und insbesondere in Kapitel VII, wenn es um die Rhetorik der Neutralität und Funktionalität gehen wird, bedeutend sein. Eine rhetorische Figur ist für Perelman und Olbrechts-Tyteca, in weitreichender Übereinstimmung mit der rhetorischen Tradition, gekennzeichnet durch eine bewusste Abweichung vom normalen Sprachgebrauch.174 Diese Grundbestimmung der Figur, die zugleich die Grundlage aller Devianztheorien rhetorischer Figuren bildet, macht eine Relation zum Definiendum. Ob etwas eine Figur ist oder nicht entscheidet sich demnach maßgeblich darüber, ob hierdurch vom ‚normalen Sprachgebrauch‘ abgewichen wird. Die Autoren verweisen vollkommen zurecht auf das hier zugrundeliegende Problem: „Further, and this is perhaps the most important point, it is necessary to understand that the normal expression is relative not only to a milieu, an audience, but rather to a particular moment in the discourse. If one admits, on the contrary, that there is a way of expressing oneself that is the good, authentic, true, and normal way, then one can conceive of a figure only as something static: an expression is or is not a figure; one cannot imagine that it may or may not be a figure, depending on the hearer’s reaction. Only a more flexible conception, which considers the normal in all its changing facets, can do full justice to the place argumentative figures occupy on the phenomenon of persuasion.“175
Der ‚normale Sprachgebauch‘ ist eben keine feste Größe, sondern vom Publikum, dem Kontext und der rhetorischen Situation abhängig. Genauer ist die Abhängigkeit bis hinein in Mikrostrukturen des Kontextes zu bedenken. Unter diesem Vorzeichen ist klar:„it is impossible to decide in advance if a given structure is or is not to be regarded as a figure, or if it will be an argumentative or stylistic figure. The best one
173 Vgl. Buchanan 2008a. 174 In dieser Weise bestimmt auch Quintilian (auf den sich die Autoren beziehen) die Figur: „Das Wort wird nämlich auf zweierlei At gebraucht: einmal für jede Form, in der ein Gedanke gestaltet ist, […] zweitens für jede Form, die im eigentlichen Sinne Schema heißt, als eine wohlüberlegte Veränderung im Sinn oder Ausdruck gegenüber seiner gewöhnlichen, einfachen Erscheinungsform“ (Quintilian 2011. IX, 1, 10f.). 175 Perelman/Olbrechts-Tyteca. 1969. S. 171.
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can do is to point out some structures that are liable to become figures.“176 Daraus können wir bereits eine wichtige Erkenntnis ziehen: Figuren sind nicht per se Figuren, sondern werden in Abhängigkeit zu den jeweils geltenden Vorstellungen normalen Sprachgebrauchs als Figuren wahrgenommen.177 Dies führt, wie Tzvetan Todorov in seiner Kritik an Du Marsais ausführt, interessanterweise auch zu der Annahme, dass wir bestimmt Formen nur deshalb beobachten und feststellen können, weil wir selbige kodifiziert haben: „Indem man der Figur einen Namen gibt, institutionalisiert man sie; aber die Institution, die sich hier in der Existenz des Namens äußert, nötigt uns, gewisse sprachliche Formen wahrzunehmen, und erlaubt es uns, die anderen zu ignorieren. So enthält Du Marsais‘ Darstellung im Keim eine zweite Möglichkeit, die Figur als Form zu interpretieren: Sie weicht nicht von der Regel ab, sondern gehorcht einer anderen, nicht mehr sprachlichen, sondern metasprachlichen und somit kulturellen Regel. Ein Ausdruck ist dann figürlich, wenn wir seine Form wahrnehmen können; nun wird uns diese Form jedoch von einer sozialen Norm diktiert, die sich darin äußert, dass ein Name für die Figur existiert.“178
Perelman und Olbrechts-Tyteca gehen dann von einer rhetorischen Figur aus, wenn der Rezipient in Bezug zu seinem Erwartungssystem des normalen Sprachgebrauchs eine als vom rhetor intendiert bewertete Veränderung wahrnimmt. Und genau hiernach setzt die Unterscheidung von Funktionsweisen dieser Figuren an. Wird nämlich die Variation auf der Grundlage dessen, was vom orator gesagt wurde, schließlich nicht mehr als Abweichung vom normalen Sprachgebrauch empfunden, sondern vielmehr als diesen bestätigend, so handelt es sich um eine Figur, deren argumentative Funktion wahrgenommen wurde. „We consider a figure to be argumentative, if it brings about a change of perspective, and its use seems normal in relation to this new situation. If, on the other hand, the speech does not bring about the adherence of the hearer to this argumentative form, the figure will be considered an embellishment, a figure of style.“179 Ein Beispiel: In Kapitel II wurden die Methoden der Rhetorik von der Rhetorik als Methode unterschieden. Dieser Chiasmus war nicht als stilistische Figur intendiert, sondern in einer argumentativen Rolle verwendet (in der Hoffnung auch so verstanden zu werden), die bereits deutlich machen sollte, dass sich im Bereich der Rhetorik auf zweifache Weise von Methoden sprechen lässt und dass diese
176 Ebd. S. 169f. 177 Es gilt also für Figuren dasselbe, wie schon für die Ordnung galt: Beide Bereiche lassen sich nicht unabhängig vom richtenden Publikum denken. 178 Todorov 1995. S. 87. Siehe auch: Knape 1996. Sp. 294. 179 Perelman/Olbrechts-Tyteca. 1969. S. 169.
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Methoden nicht unabhängig voneinander sind.180 Einen Chiasmus in geisteswissenschaftlichen Texten zu verwenden ist zwar nicht unüblich, erregt aber auch die Aufmerksamkeit. Wird dann die argumentative Rolle der Figur nicht deutlich, so – laut Perelman und Olbrechts-Tyteca – wird diese Figur als stilistische Figur aufgefasst.181 Als solche kann es aber sein, dass sie in wissenschaftlichen Texten für einen stilistischen Fehler gehalten wird. Die Autoren unterscheiden im weiteren drei Effekte rhetorischer Figuren in argumentativer Funktion: Wahl (choice), Präsenz (presence) und Kommunion (communion). „They simply indicate that the effect, or one of the effects, certain figures have in the presentation of data is to impose or to suggest a choice, to increase the impression of presence, or to bring about communion with the audience.“182 Zur Erfüllung einer argumentativen Funktion ist es nicht so entscheidend, dass eine Figur die Konklusion einer Argumentation direkt stützt oder zwingend erscheinen lässt, sondern „all that is required is that the argument should be seen in its full value.“183 Hierzu eignen sich drei Effekte, die durch den Gebrauch rhetorischer Figuren erzielt werden können: Im Sinne einer Wahl (choice) kann eine Figur dazu dienen, einen bestimmten Aspekt eines Gegenstandes deutlich gegenüber anderen Aspekten hervorzuheben und so die Aufmerksamkeit besonders auf diesen Aspekt zu lenken. „Figures of Choice have to do with selective interpretations of meaning that point to one particular characteristics of a term to the exclusion of others.“184 Grundsätzlich ist das die Aufgabe jeder verwendeten Terminologie, allerdings nennen die Autoren rhetorische Figuren, die diese Aufgabe in besonders gutem Maße erfüllen können.185 In dieser Weise kann beispielsweise auch ein Satz, den Aristoteles in ähnlicher Form im Bereich der Sentenzrhetorik anführt, als argumentativ gebrauchte Figur gelten: ‚Sterblicher, zürne nicht unsterblich!‘ Der ‚Sterbliche‘, von dem hier die Rede ist, ist 180 Zu einem deutlichen Chiasmus konnte diese Äußerung erst dadurch werden, dass eben nicht von den Mittel und Techniken der Rhetorik gesprochen wurde, sondern von deren Methoden. Hierdurch ergab sich eine Angleichung ‚Methoden der Rhetorik‘ an ‚Rhetorik als Methode‘. Diese Ersetzung kann mit Perelman und Olbrechts-Tyteca als eine Figur des Wechsels (change) bezeichnet werden. (Auf die Unterscheidung zwischen Wechsel, Präsenz und Kommunion wird im Laufe dieses Kapitels einzugehen sein.). 181 „It follows that a figure which has failed in its argumentative effect will fall to the level of a stylistic figure.“ (ebd. S. 170.). 182 Ebd. S. 172. 183 Ebd. S. 170. 184 Logan, Shirley Wilson: We are coming. The persuasive discourse of nineteenth-century black woman. Carbondale 1999. S. 23f. 185 „oratorical definition“, „periphrasis“, manche Formen von „synecdoche or metonymy“, „antonomasia“, „prolepsis or anticipation (praesumptio)“, „reprehensio“,„correctio“ (vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca. 1969. S. 172-174.).
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schlichtweg der ‚Mensch‘. Würde der Satz aber lauten ‚Mensch, zürne nicht unsterblich!‘ so ginge ein wesentlicher Aspekt seiner Wirkung verloren. Und genau der Aspekt der verloren ginge, ist sein argumentativer Effekt der Wahl. Denn der Satz ‚Sterblicher, zürne nicht unsterblich!‘ liefert nicht nur eine Direktive, sondern deutet zugleich eine Begründung dafür an, die aufgrund der Antithese von sterblich und unsterblich auch sofort einleuchtet. Eben weil du sterblich bist, ist jede Form, unsterblich zürnen zu wollen, für dich nicht nur unmöglich, sondern auch (religiös, moralisch oder ethisch) unangemessen. Ein Beispiel aus dem Bereich des Kommunikationsdesigns: Der Figur der Wahl entspricht im Bereich des Kommunikationsdesigns dem prinzipiell gesamten Bereich der „identifizierenden Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft“186. Diese „soll in das Bild eine Figur-Grund-Differenzierung einführen, die es ermöglicht, das Augenmerk auf einen Teil des Gezeigten zu legen und den Rest als rhetorischen Schmuck zu betrachten.“187 So etwa in diesem Beispiel (Abbildung 10): Hier wird durch die identifizierende Funktion der sprachlichen Botschaft der ‚Strickcardigan‘ als Figur von einem Grund abgehoben, der nicht nur die umgebende Architektur, sondern auch die Geste der Frau, ihren Hut, ihr Lächeln und ihren schlenkernden Schrittwechsel als Teil des ornatus qualifiziert. ‚Gut vorbereitet‘ Abbildung 10
186 Vgl. dazu: Barthes 1990. Siehe auch: Smolarski, Pierre: Crossing Codes – Zur Rhetorik des Adbust. In: Designrhetorik – Sprache für die Form 3/2013. Auf: designrhetorik.de. 187 Ebd. S. 3.
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ist man (diesem Plakat folgend) eben mit dem gezeigten Cardigan. Als rhetorische Figur verwendet, soll die ‚Figur der Wahl‘ demnach dazu führen, die vom Grund abgehobene Figur in einer Weise zu bezeichnen, die bereits wesentliche Momente der Argumentationskette entweder direkt enthält oder zumindest impliziert. „The effect of figures relating to presence is to make the object of discourse present to mind.“188 Figuren der Präsenz sind also solche, die dazu dienen, ein Argument oder einen Gedanken dem Publikum deutlich vor Augen zu stellen.189 Prinzipiell muss natürlich festgehalten werden, dass auch die Figuren der Wahl ihre Wirkung nur (oder zumindest in besonders starkem Maße) erfüllen können, wenn auch diese den ausgewählten Aspekt oder Zugang dem Publikum deutlich präsent machen. Insofern ist jede Figur der Wahl immer auch eine Figur der Präsenz. Darüber hinaus aber arbeiten Figuren der Präsenz nicht allein mit den Mitteln der Selektion, sondern unter anderem auch mit verschiedenen Formen der Wiederholung, Anhäufung und Steigerung. „The simplest figures for increasing the feeling of presence are those depending on repetition. Repetition is important in argumentation, whereas it is of no use in demonstration or scientific reasoning in general. Repetition can act directly; it may also accentuate the breaking up of a complex event into separate episodes which, as we know, promotes the impression of presence.“190
Eine Figur der Präsenz ist dann mehr als eine Stilfigur und fungiert als eine Argumentationsfigur, wenn sie vom Publikum nicht als affektive Steigerung oder Wiederholung angesehen wird, sondern mehr als vergegenwärtigende Ausdifferenzierung. Wie bei jeder anderen Figur kann auch die Wiederholung, Anhäufung oder Steigerung sowohl als stilistische als auch als argumentative Figur vom Publikum eingestuft werden. Präsentative Figuren (etwa als vergegenwärtigende Ausdifferenzierung) scheinen mir beispielsweise bei einigen französischen Denkern der Postmoderne sehr beliebt zu sein. Es folgt ein Beispiel Jean Baudrillards aus seinem Aufsatz Kool Killer: „SUPERBEE SPIX COLA 139 KOOL GUY CRAZY CROSS 136 – das bedeutet nichts, das ist noch nicht einmal ein Eigenname, sondern eine symbolische
188 Perelman/Olbrechts-Tyteca. 1969. S. 174. 189 „onomatopoeia“,„repetition“, „anaphora“, „conduplicatio“,„adjectio“,„amplification“, „aggregation“, „synonymy (metabolé)“, „interpretatio“,„sermocinatio“,„also figures connected with grammatical tense. It is the sudden passage from the past tense, the narrative tense, to the present, the descriptive tense, which often makes it appear as the figure of hypotyposis“ (vgl. Ebd. S. 174-177.). 190 Ebd. S. 174f.
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Matrikel, die dazu da ist, das gewöhnliche Benennungssystem durcheinander zu bringen.“191 Es ist offensichtlich, wie Baudrillards These, dass diese Zeichen nichts bedeuteten, auch durch die Form der Darbietung unterstützt wird. Baudrillard hätte durchaus die Möglichkeit gehabt, nur die Anfangsbuchstaben der tags192 groß zu schreiben und dadurch eher den Eindruck von Wörtern anstelle von Akronymen zu erzeugen und selbige durch Kommata zu trennen. Durch die Anhäufung wird aber der Eindruck, es handele sich um eine endlose Kette sinnloser Phoneme, dem Leser deutlich vorgeführt, so dass die weitere Argumentation bereits dadurch gewiss eine gesteigerte Glaubwürdigkeit erfährt. Es nicht schwer, auch Beispiele präsentativer Figuren in den Designbereichen zu finden. (Abbildung 11) Neben einer möglichen Vielzahl von Beispielen aus dem Bereich der Werbung soll hier kurz ein Beispiel aus dem Bereich der Gestaltung touristischer Stadtkarten angebracht werden. Auf touristischen Stadtkarten werden dem Benutzer Schlüsse über die urbane Struktur beispielsweise auch durch die Einfügung von Signaturen ermöglicht. Eine hohe Dichte von Suchsignaturen kann dann etwa als ein Indiz dafür gesehen werden, dass hier das (historische, wirtschaftliche oder kulturelle) Zentrum der Stadt liegt. Zudem können, wie im hier gezeigten Beispiel, auch die sogenannten ‚sprechenden Signaturen‘ dazu beitragen, den Handlungsraum des touristisch Reisenden einzugrenzen.193 (Abbildung 12) Abbildung 11 (links) und 12 (rechts)
191 Baudrillard, Jean: Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen. In: Ders.: Der symbolische Tausch und der Tod. München 1991. S. 120- 130. Hier: S. 123. 192 Der Begriff tag kommt aus der Graffitiszene und meint einen Schriftzug, der die Signatur des Sprayers darstellt. 193 Für eine ausführlichere Analyse, siehe: Smolarski, Pierre: Dispositio des Raumes. Überlegungen zur Rhetorik touristischer Stadtkarten. In: Was bedeutet Ordnung – was ordnet Bedeutung? Zu bedeutungskonstituierenden Ordnungsleistungen in Geschriebenem. Hrsg. von Christian D. Haß und Eva M. Noller. Berlin 2015. S. 273-290.
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Schließlich benennen Perelman und Olbrechts-Tyteca noch einen dritten Effekt argumentativ wirkender Figuren. Sie bezeichnen diesen Effekt als einen Effekt der Kommunion (communion). „The figures that relate to communion are those in which literary devices are used to try and bring about or increase communion with the audience. Often this communion is achieved through references to a common culture, tradition or past.“194 Es ist offensichtlich, wie durch diesen Effekt argumentativ wirkender Figuren das allgemeinere Prinzip der Identifikation bei Burke durchscheint.195 Wie Eggs ausführt, ist die „Ideengemeinschaft von Redner und Publikum […] nämlich in mehrfacher Hinsicht eine conditio sine qua non jeder Argumentation. So kennt jede Nationalsprache verschiedene Sprachstile, die für bestimmte Milieus, die sich regional, sozial oder fachspezifisch unterscheiden lassen, charakteristisch sind […]. Mit der Verwendung eines bestimmten Sprachstils zeigt der Redner, dass er ‚zum Milieu‘ gehört, und bestätigt zugleich die Kommunion mit seiner Hörerschaft.“196
Zu argumentativen Zwecken wird also nicht nur eine Anpassung an das Publikum in dem Sinne vorgenommen, dass „die ihm vertrauten Thesen als Prämissen der Argumentation“197 dienen, sondern auch auf einer formalen Ebene sucht der Redner nach Möglichkeiten, dem Publikum Identifikationsangebote machen zu können. Dazu eignen sich dann eben auch rhetorische Figuren: In diesem Sinne führen die Autoren Figuren der Anspielung und Andeutung, der bewussten Auslassung, die rhetorischen Frage und Apostrophe neben dem Sentenzgebrauch an. „Communion is also increased by all those figures whereby a speaker endeavors to get his audience to participate actively in his explanation, by taking it into his confidence, inviting its help, or identifying himself with it.“198 In klassischen Begriffen kann gesagt werden, dass Figuren der Kommunion durch eine Stärkung des ethos des Redners, die Bereitschaft des Publikums erhöhen sollen, sich überhaupt auf den präsentierten Argumentationsgang einzulassen. Die Bedeutung der Analyse der Autoren im Bereich der Figuren der Kommunion liegt in dieser Bestimmung nicht darin zu zeigen, dass Kommunion ein zusätzliches Element der Argumentation ist, das wahlweise hinzukommen kann oder eben auch nicht. Gerade die Verwandtschaft des Konzeptes der Kommunion mit 194 Perelman/Olbrechts-Tyteca. 1969. S. 177. 195 Siehe hierzu: Kapitel II. 196 Eggs, Ekkehard: Die Theorie der Argumentation von Perelman und Olbrechts-Tyteca. In: Die neue Rhetorik. Studien zu Chaim Perelman. Hrsg. von Josef Kopperschmidt. München 2006. S. 135-209. Hier: S. 142. 197 Perelman, Chaim: Das Reich der Rhetorik. Rhetorik und Argumentation. München 1980. S. 32. 198 Perelman/Olbrechts-Tyteca. 1969. S. 178.
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dem Konzept der Identifikation macht deutlich, dass Formen der Kommunion/Identifikation jeder Bemühung um Persuasion zugrunde liegen. Was die Analyse Perelmans und Olbrecht-Tytecas dagegen deutlich hervorhebt, ist, dass sich bestimmte Formen der Identifikation eben auch über den Gebrauch bestimmter rhetorischer Figuren herstellen lassen, mehr noch, dass es rhetorische Figuren gibt, deren Hauptaufgabe darin zu liegen scheint, zum Zwecke der Etablierung einer Kommunion des Redners mit seinem Publikum eingesetzt zu werden.199 Im Sinne der im zweiten Teil vorzunehmenden rhetorischen Analysen kann daher stets gefragt werden: Wie werden in einem bestimmen Designprodukt Identifikationsangebote umgesetzt? Werden diese nicht nur inhaltlich (durch das, was gezeigt oder gesagt wird), sondern auch formal oder performativ (durch die Art und Weise, wie etwas gezeigt oder gesagt wird) unterstützt? Die gefundenen Formen formal oder performativ unterstützter Abbildung 13
199 Noch einmal in aller Klarheit: Nicht jede Form der Identifikation ist eine Figur der Kommunion. Allerdings ist jede Figur der Kommunion eine Form der Identifikation. Beispiel: Burkes zitierter amerikanischer Präsidentschaftskandidat, der seine Rede vor Farmern mit dem Satz eröffnet ‚I was a farm boy myself‘ versucht, seinem Publikum ein Identifikationsangebot zu machen, ohne dabei eine rhetorische Figur zu gebrauchen.
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Identifikation können dann als rhetorische Figuren der Kommunion verstanden werden. In dieser Weise lassen sich einige Beispiele finden, die als rhetorische Figuren der Kommunion verstanden werden können. So kann etwa durch eine gezielte Anspielung auf einen Sachverhalt, den nur ‚Eingeweihte‘ kennen, die Zugehörigkeit zu diesem Kreis betont werden. In dieser Weise funktioniert beispielsweise auch jeder Spruch oder Scherz, der im Alltag oft elliptisch als ‚Insider‘200 bezeichnet wird. Auch in der Werbung ist es ein gängiges Schema, auf vergleichbare Weise Vertrautheit mit dem Publikum zu suggerieren und damit letztlich Vertrautheit zum Publikum herzustellen. So tritt folgendes Werbeplakat (Abbildung 13 und 14) zugleich als Rätsel auf und erhöht damit die Einbindung des Rezipienten in den Versuch, das Rätsel zu lösen und spielt zudem mit den Symbolen, die vor allem den Benutzern der Playstation bekannt sind. Abbildung 14 (links) und 15 (rechts)
Eine andere Form, Vertrautheit zu suggerieren, wählte der 23-jährige Kommunalpolitiker Fabian Giersdorf in seinem Wahlplakat (Abbildung 15). Durch das Zitat des Gangster-Rap-Titels ‚Chabos wissen wer der Babo ist‘201, der sich sinngemäß mit ‚die Jungs wissen, wer der Boss ist‘ übersetzen lässt, zielte seine Initiative darauf ab, junge Wähler anzusprechen. Sein Plakat löste allerdings eher Kritik als Zustimmung aus und kann aus verschiedenen Gründen als rhetorisch misslungen gelten. Neben
200 Genauer müsste der Spruch als ein Spruch bezeichnet werden, den nur Insider verstehen oder einordnen können. Es ist eine interessante elliptische Verkürzung, dass der Spruch selbst als ‚Insider‘ bezeichnet wird, worin sich seine rhetorische Funktion bereits andeutet: Der Spruch trennt ‚Insider‘ von ‚Outsidern‘. 201 Ein Titel des deutschen Rappers Haftbefehl. Das Wort Babo (albanisch: Vater) wurde 2013 vom Langenscheidt-Verlag zum Jugendwort 2013 gewählt.
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den Gründen wie etwa dem extremen Auseinanderklaffen der Text-Bild-Schere202, die in diesem Kapitel nicht primär interessiert, liegt das rhetorische Misslingen auch in der Wahl des an die Jugendsprache angelehnten Zitats. Es stellt einen rhetorisch gesehen schwierigen Balanceakt dar, durch einen Verweis auf Gangster-Rapper nicht die nötige Seriosität und Glaubwürdigkeit für eine politische Wahl zu verlieren; zumal die Imitation eines Sprachjargons, wenn sie so offensichtlich der dargestellten Person zu widersprechen scheint, auch schnell kippen kann. Dann wird nicht mehr die Suggestion von Vertrautheit erzielt, sondern eine Form der Anbiederung präsentiert und als solche abgelehnt. 6.3.3 Die Erkenntnisfunktion Zwei kurze Anmerkungen seien vorweggeschickt: Zum einen könnte das Kapitel zur Erkenntnisfunktion rhetorischer Figuren, allen voran der Metapher, Metonymie, Synekdoche und der Ironie, problemlos eine eigene Arbeit abgeben. Es gilt daher, hier diesen interessanten Diskurs gleich zu Beginn soweit einzuschränken und so stark auf den Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit zu fokussieren, dass es möglich sein wird, in überschaubarer und angemessener Länge zu den Punkten zu kommen, die direkten Einfluss auf die Fragen der Designrhetorik haben. Zum anderen ist hier kurz auf den Unterschied zwischen Figuren in Erkenntnisfunktion zu solchen in Argumentationsfunktion hinzuweisen. Wie bei allen hier vorgestellten Funktionstypen kann dieser Unterschied nicht in den Figuren selbst liegen, sondern in ihrer Verwendungsweise, wobei speziell die beiden benannten Funktionstypen in einem engen Verhältnis zueinander stehen. Allgemein lässt sich sagen, dass Figuren in argumentativer Funktion verwendet werden, um andere von etwas zu überzeugen und in diesem Sinne muss der Gebrauch dieser Figuren – wenigstens im Ansatz – Gründe für etwas liefern können. Figuren in Erkenntnisfunktion hingegen werden gebraucht, um Einfluss auf das Erkennen von Situationen auszuüben und auf diese Weise handlungsregulierend wirken zu können. Nicht selten aber werden diese beiden Gruppen von Gebrauchsweisen rhetorischer Figuren in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen und sich zuweilen auch gegenseitig bedingen. Die Frage nach der Erkenntnisfunktion rhetorischer Figuren wird zumeist in einem philosophischen Diskurs geführt, der vor allem ein kognitives Interesse an der Erkenntnistheorie hat. Dabei stehen im Allgemeinen, und insbesondere wenn es um die Metapher geht, weniger die rhetorischen Implikationen der Verwendung rhetori-
202 Vgl dazu: Bericht von TV Bayern Live: Wer ist der Babo? (Veröffentlicht am: 09.02.2014). 02.02.2015).
Auf:
https://www.youtube.com/watch?v=luyDhVdQ120.
(Stand:
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scher Figuren im Mittelpunkt als etwa die allgemeinen Überlegungen zur metaphorischen Verfasstheit menschlicher Erkenntnisvorgänge.203 So sehr diese Untersuchungen auch Berücksichtigung finden müssen, wenn es um die Fragen der Semantik im Design geht, so wenig sind sie doch geeignet, einen Rahmen abzustecken, der es erlaubt, rhetorische Figuren innerhalb der elocutio als bewusst verwendete und isolierbare Formen der Gestaltung zu verstehen, deren Hauptaufgabe für das Publikum in ihrer Erkenntnisfunktion liegt. In eben dieser Weise sollen hier Figuren verstanden werden, deren Erkenntnisfunktion für das Publikum im Mittelpunkt steht. Wir können rhetorische Figuren in Erkenntnisfunktion wie folgt bestimmen: Eine rhetorische Figur in Erkenntnisfunktion ist eine isolierbare und damit auch benennbare und identifizierbare Form der semantischen Identifikation.204 Das heißt: Eine rhetorische Figur hat ihre Erkenntnisfunktion für ein bestimmtes Publikum darin, dass aufgrund dieser Figur semantische Identifikationen vorgenommen werden können, die es erlauben, das Produkt in einer bestimmten Weise zu verstehen. Semantische Identifikationen sind dabei metaphorische Übertragungen der Form: etwas wird als etwas anderes identifiziert. Um das Konzept der semantischen Identifikation in seiner rhetorischen Tragweite näher erläutern zu können, ist es notwendig, einen kleinen Exkurs diesbezüglich zu machen. Dabei wird vor allem an die bereits eingeführten Begriffe der rhetorischen Situation, des Motivs und der Form bei Burke angeknüpft. Bedeutungen, das lehrt uns unter anderem die New Rhetoric und Sprachphilosophie, sind nicht in den Zeichen selbst fixiert – seien es nun Worte oder Bilder. An eine solche Fixierung zu glauben, bezeichnet der englische Sprachphilosoph Ivor A. Richards als einen ‚Aberglauben der richtigen Bedeutung‘205 und erklärt, dass Bedeutungen stets kontextgebunden sind und dass Zeichen darin die Funktion haben, 203 In dieser Weise etwa argumentieren George Lakoff und Mark Johnson in Metaphors we live by. Hierin geht es den Autoren nicht in erster Linie um den Gebrauch der Metapher als rhetorischer Figur, sondern um die Metapher als Prinzip menschlicher Erkenntnis (vgl. Lakoff/Johnson 2003.). 204 Ähnliches, wie Perelman und Olbrechts-Tyteca für den Bereich argumentativer Figuren angeführt haben, gilt auch für Figuren in Erkenntnisfunktion: Sie werden, wenn das Publikum sie als Figuren in Erkenntnisfunktion versteht und akzeptiert, nicht länger als stilistische Figuren wahrgenommen und entsprechen in dieser Form auch keinem Devianzkriterium. Nur wenn ihre Erkenntnisfunktion entweder nicht verstanden oder nicht akzeptiert wird, werden sie als deviante stilistische Figuren erkennbar. Dann erscheint eine semantische Identifikation, die ein Erkennen ermöglichen sollte, als (womöglich deplatzierte) stilistische Metapher. 205 „A chief cause of misunderstanding […] is the Proper Meaning Superstition. That is, the common belief […] that a word has a meaning of its own (ideally, only one). […] This superstition is a recognition of a certain kind of stability in the meaning of certain words. It is only a superstition when it forgets (as it commonly does) that the stability of the
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einen Teil des Kontextes zu ersetzen. Dieses Kontexttheorem, das wichtige Anregungen für die spätere Sprechakttheorie206 und damit für die neueren Versuche einer Bildakttheorie207 lieferte, steht auch im Hintergrund der rhetorischen Bedeutungstheorie bei Burke. Burke stellt sich die Frage, wie Handlungen Bedeutung erlangen können und wie diese verstanden werden. Da dieser Teil im Methodenkapitel bereits deutlich gemacht wurde, soll er hier nur zur Erinnerung kurz paraphrasiert werden: Eine Handlung wird verständlich als eine Handlung in einer bestimmten Situation. Eine Handlung zu verstehen, meint daher immer, eine Situation zu interpretieren. Ein einfaches Beispiel: Das lange Reden eines Einzelnen bei gleichzeitigem Schweigen der Mehrheit wird verständlich, wenn es sich um eine Vortragssituation handelt. Und ebenso gilt es andersherum: Eine als Vortragssituation bestimmte Gegebenheit macht eine Reihe von Handlungen verständlich und wahrscheinlich und schließt eine Reihe anderer als unangemessen aus. Wir können nach Burke zwar nicht en detail von einer Situation auf konkrete Handlungen schließen, wohl aber aus der – wie er sagt – Qualität einer Situation auf die Qualität möglicher, angemessener Handlungen. Diese Qualität nennt Burke ein Motiv. In der Rhetorik geht es schließlich darum, derartige Motive auszudrücken und persuasiv umzusetzen, so dass Situationen bestimmt werden, bzw. neu bestimmt werden. Durch rhetorische Interventionen, jemanden etwas anders als zuvor sehen zu lassen, Meinungen und Gefühle gegenüber einer Sache zu verändern, meint hiernach: Ausdrucksformen zu finden, die Motive so ausdrücken, dass der Zuhörer oder Betrachter Situationen überdenken kann und folglich Handlungen neu bewerten wird. Burke spricht von einem „attempt to redefine the situation itself.“208 Im Kern geht es hierbei immer um eine Interpretation von etwas als etwas anderes – eine metaphorische Erweiterung der Bedeutung oder, anders gesagt: eine semantische Identifikation. Unabhängig von den Fragen, ob Bilder argumentieren, negieren oder präpositionale Gehalte ausdrücken können, entspricht dieser Form der semantischen Identifikation bereits ein alltäglicher Akt im Umgang mit Bildern: das Zeigen.209 Visuelle Rhetorik sollte daher das Zeigen mit Artefakten thematisieren und meaning of a word comes from the constancy of the contexts that give it its meaning. Stability in a word‘s meaning is not something to be assumed, but always something to be explained“ (Richards 1965. S.11.). 206 Vgl. Austin 1972.; Searle 1983. 207 Vgl. Bredekamp 2010. 208 Burke 1984. S. 220. 209 Vgl. Smolarski, Pierre: Rhetoric of Showing – Wayfinding as Mediation of the City. In: Architecture_MPS. A Journal of Architecture, Media, Politics, Society. 2014. Auf: architecturemps.com. Siehe auch: Wiesing, Lambert: Sehen lassen. Die Praxis des Zeigens. Berlin 2013. Smolarski, Pierre: Anmerkungen zu einer visuellen Rhetorik im Gamedesign. In: Sprache für die Form. Hrsg. von Volker Friedrich. 4/2014. Auf: designrheto rik.de.
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zwar in folgender Struktur: Zeigen ist das Sehen-Lassen von etwas als etwas.210 Diesem Bereich habe ich mich in Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum gewidmet, auf die hier lediglich verwiesen sei.211 Im vorliegenden Kontext soll es zunächst genügen zu sagen, dass, wenn dieser rhetorische Zeigeakt mit Hilfe rhetorischer Figuren vollzogen wird, dann haben diese Figuren – in dem hier vertretenen Verständnis – eine Erkenntnisfunktion.212 Schauen wir uns dazu ein Beispiel aus dem Bereich des Kommunikationsdesigns an – das durchaus auch in argumentativer Funktion steht (Abbildung 16): Die Deutsche Bahn versucht, Jugendliche davon zu überzeugen, dass Vandalismus (beispielsweise das Besprayen von Zügen) nicht ‚cool‘ sei und auch bei Mädchen nicht ‚gut ankomme‘. Es handelt sich also um eine rhetorische Bemühung, die dafür Werbung machen will, etwas zu unterlassen. Als Argument für diese Unterlassung wird dabei auch visuell darauf zurückgegriffen, den Akt des Sprayens, der womöglich als junger, rebellischer Akt des Mutes und der Kraft gesehen werden könnte, als einen ‚abtörnenden‘ Akt zu identifizieren. Dies geschieht mit dem Ziel, dass eine derartige semantische Identifikation auch dazu beitragen kann, die Situation des Sprayens (die bezeichnender Weise nicht dargestellt wird) eben nicht als mutige Rebellion, sondern als ‚uncooles Verfolgen eines fiesen Hobbies‘ zu bestimmen. Auf figurativer Ebene
210 Wiesing schreibt: „Zeigen ist das Sehen-Lassen von etwas Intendiertem.“ (Wiesing 2013, S. 21) Eingedenk, dass intentionale Zeigeakte sich sowohl durch eine referentielle (Was soll gezeigt werden?) als auch soziale Intention (Wozu soll etwas gezeigt werden?) auszeichnen, meint das Sehen-Lassen von etwas Intendiertem immer auch das Sehen-Lassen von etwas als etwas, worin sich gerade die soziale Intention des Zeigeaktes äußert. Vgl. auch: Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Frankfurt am Main 2009.; Smolarski 2015a. 211 Vgl. Smolarski 2017. 212 Ein gelungenes Beispiel dafür kann mit Roland Barthes angeführt werden. Er führt, in der Frage nach der Möglichkeit einer Semiotik der Stadt, aus: Diesbezüglich „besteht das Problem allerdings darin, einen Ausdruck wie ‚Sprache der Stadt‘ über das rein metaphorische Stadium hinauszuheben. Es ist sehr einfach, metaphorisch von der Sprache der Stadt zu sprechen, wie man von der Sprache des Films oder der Sprache der Blumen spricht. Der eigentliche wissenschaftliche Sprung ist erst dann geschafft, wenn man von der Sprache der Stadt ohne Metapher sprechen kann.“ (Barthes, Roland: Semiotik und Urbanismus. In: Konzept 3. Die Stadt als Text. Hrsg. von Alessandro Carlini und Bernhard Schneider. Tübingen 1976. S. 33-42. Hier: S. 37.) Ist der Erkenntnissprung vollzogen – so Barthes –, dann ist der „Ausdruck seines metaphorischen Gehaltes entleert“ (ebd.) und man hat ihm „einen realen Sinn“ gegeben (ebd.). Dann, so könnte Barthes weiterschreiben, wird die Metapher von der ‚Sprache der Stadt‘ auch nicht mehr als Stilfigur oder Redeschmuck wahrgenommen.
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wird diese semantische Identifikation durch die farbliche Gleichsetzung der Spraydose des Jungen und des zerbrochenen Herzens des Mädchens vorgenommen, wodurch die Spraydose als ‚Liebestöter‘ erscheint.213 Die sprachliche Botschaft ‚Süßer Typ, fieses Hobby‘ ist gegenüber der bildlich vorgenommenen semantischen Identifikation redundant. Abbildung 16
Das Konzept der semantischen Identifikation wird in den Designbereichen, in denen es darum geht, Produkte zu gestalten, die nicht nur in einer bestimmten Weise verstanden werden sollen, sondern die es für den Benutzer als Instrumente in Handlungen zu benutzen gilt (kurz: die also nicht nur ‚Betrachter‘ sondern tatsächlich ‚Benutzer‘ kennen), mit dem Konzept der Affordanz ausgedrückt. Affordanzen sind dann besonders wichtig, wenn der Benutzer mit dem Produkt interagieren soll und dafür die Möglichkeiten und Grenzen seiner Handlungsfähigkeit am Produkt ‚ablesen‘ können muss. Affordanzen sind in diesem Sinne semantische Identifikationen, die sich mit dem bei Burke beschriebenen Motiv-Zirkel erklären lassen: Entlang bestimmter Formeigenschaften von Objekten in motivational bestimmten Situationen werden Handlungsräume (Affordanzen) erschlossen, die zur Bewertung bestimmter Handlungen herangezogen werden. Es gilt, abschließend das Konzept der Affordanz in der eben gegebenen Interpretation näher einzuführen und damit einen Bereich der 213 Es ist in diesem Kontext nicht entscheidend, ob diese semantische Identifikation tatsächlich für das Zielpublikum überzeugend ist. Hier geht es allein darum, an einem Beispiel das Konzept semantischer Identifikationen im Bereich der Figurenrhetorik einzuführen.
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rhetorischen Figuren in Erkenntnisfunktion deutlich herauszustellen. Affordanzen, das sei hier nur angemerkt, spielen etwa eine entscheidende Rolle bei Fragen des place-makings, wo es darum geht, wie man urbanen Räumen Bedeutung und ebenso Handlungsleitung abgewinnt und wie diese Räume gestaltet sein können.214 Darüber hinaus sind Affordanzen aber auch entscheidende Figuren in Erkenntnisfunktion, die nachfolgend als solche eingeführt werden sollen. James J. Gibson führt den Begriff der Affordanz in seiner ökologischen Wahrnehmungstheorie ein.215 „Perception is economical. Those features of a thing are noticed which distinguish it from other things that it is not – but not all the features that distinguish it from everything that it is not.“216 Das heißt für Gibson, dass wir, wenn wir ein Objekt wahrnehmen, bestimmte Verwendungsweisen daran erfassen, die es von anderen Objekten unterscheidet. Dabei reicht es vollkommen aus, nur die Verwendungsweise wahrzunehmen, die in einer bestimmten Situation von Belang ist. Diese Verwendungsweisen bezeichnet Gibson als die Affordanzen des Objektes. Der Begriff Affordanz schlägt dabei die Brücke zwischen einerseits dem Objekt, das außerhalb unserer selbst liegt und durch physikalische Eigenschaften gekennzeichnet ist, und andererseits der durch das motivgeleitete Subjekt (mit)bestimmten Situation. In dieser Weise, so Gibson, sei eine Affordanz zugleich ein Bestandteil der physikalischen Umgebung und ebenso des subjektiven Verhaltens und Wollens. „An important fact about the affordances of the environment is that they are in a sense objective, real, and physical, unlike values and meanings, which are often supposed to be subjective, phenomenal, and mental. But, actually, an affordance is neither an objective property nor a subjective property; or it is both if you like. An affordance cuts across the dichotomy of subjective-objective and helps us to understand its inadequacy. It is equally a fact of the environment and a fact of behavior.“217 214 Zu Affordanzen im place-making, vgl. Smolarski 2017. 215 Vgl. Gibson, James J.: The Ecological Approach to Visual Perception. New York 1986. 216 Ebd. S. 135. 217 Ebd. S. 129. Dies meint insbesondere, dass, wenn Affordanzen weder Eigenschaften von Objekten noch von Subjekten allein sind, sondern Relationen zwischen diesen Bereichen, sie dann insbesondere nicht unabhängig von den handlungsleitenden (und damit auch wahrnehmungsleitenden) Motiven eines Subjektes sein können. Es ist demnach wenigstens irreführend, wenn Gibson, in dem Versuch, sein Konzept der Affordanz von Kurt Lewins Begriff des Aufforderungscharakters abzugrenzen, meint: „The concept of affordance is derived from these concepts of valence, invitation, and demand [drei Begriffe für den Aufforderungscharakter bei Lewin] but with crucial difference. The affordance of something does not change as the need of the observer changes. The observer may or may not perceive or attend to the affordance, according to his needs, but the affordance, being invariant, is always there to perceive. An affordance is not bestowed upon an object
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Genauer lässt sich eine Affordanz also nicht als eine Eigenschaft (weder der physikalischen Umgebung noch des Subjektes) verstehen, sondern als eine Relation zwischen beiden Bereichen. Gibson kam laut Klaus Krippendorff zum Konzept der Affordanz aufgrund seiner Studien zu der Frage, was Piloten eigentlich sehen, wenn sie ihr Flugzeug (zumal unter nicht optimalen Bedingungen) zu landen versuchen. „Gibson stellte fest, dass Piloten, die die Absicht hatten, ihr Flugzeug zu landen, die physikalisch bestimmbaren Merkmale eines Geländes nicht zur Kenntnis nahmen, sondern die ‚Landefähigkeit‘ ihre Flugzeugs wahrnahmen, und sie taten dies direkt, ohne abstrakten logischen Prozessen zu folgen.“218 Piloten nahmen Gibson zufolge also nicht die physikalischen Eigenschaften der Umgebung wahr und abstrahierten diese in Bezug auf die situativ relevante Frage, in welcher Weise diese Eigenschaften gemessen an den Eigenschaften ihres Flugzeugs und den Eigenschaften ihrer eigenen Person als Pilot eine Landung ermöglichen, sondern nahmen schlichtweg die ‚Landbarkeit‘ der Umgebung wahr. Genau das ist das ökologische Prinzip der Affordanz: Wahrgenommen werden nicht bestimmte Eigenschaften des Objektes (schon gar nicht alle), sondern direkt ihre situative Benutzbarkeit. Affordanz meint demnach das Wahrnehmen der situativ relevanten ‚Barkeit‘ eines Objektes: sei es die Wurfbarkeit eines Steines auf einer Demonstration, seine Stapelbarkeit und Belastbarkeit beim Bau einer Mauer oder schlichtweg seine Sichtbarkeit und Haltbarkeit beim Generieren einer Wanderwegmarkierung. Diese Beobachtung baut Gibson zu einer Wahr-
by a need of an observer and his act of perceiving it. The object offers what it does because it is what it is“ (ebd. S. 138f.). Es ist zumindest widersprüchlich (wenn nicht sogar falsch), dass eine Affordanz unabhängig von ihrem Wahrgenommenwerden existiert. Noch heute (trotz medialer Berichterstattung) haben Heuschrecken und Maden in unserem Kulturkreis weitenteils nicht die Affordanz der Essbarkeit oder wenigstens nicht der Genießbarkeit. Ebenso ließen sich Zeiten benennen, in denen Uran nicht die Affordanz der Anreicherbarkeit und Erdöl nicht die Affordanz der Förderbarkeit hatten und zwar nicht deshalb, weil man diese Stoffe noch nicht anreichern oder fördern konnte, sondern weil man zwar von ihrer Existenz, aber noch nichts mit ihnen anzufangen wusste. Affordanzen können zudem, eben weil sie Relationen zwischen Subjekt und Objekt sind, nicht invariant sein. Überdies scheint mir auch der letzte zitierte Satz die Sache zu verkehren. Objekte bieten nicht an, was sie anbieten, weil sie sind, was sie sind. Sondern: Sie sind was sie sind, weil sie anbieten, was sie anbieten. In eben dieser letztgenannten Weise verstehe ich auch Gibsons folgende Aussage: „A rigid object with a sharp dihedral angle, an edge, affords cutting and scraping; it is a knife. It may be designed for both striking and cutting, and then it is an axe“ (ebd. S. 133.). 218 Krippendorff 2013. S. 148.
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nehmungstheorie aus, deren Leitsatz wie folgt lauten könnte: „The psychologists assume that objects are composed of their qualities. But I now suggest that what we perceive when we look at objects are their affordances, not their qualities.“219 Donald A. Norman überträgt das Konzept der Affordanz mit seinem Buch The Psychology of Everyday Things 1988 auf den Bereich des Produktdesigns und erweitert dieses Konzept in der überarbeiteten Fassung dieses Buches 25 Jahre später in The Design of Everyday Things.220 Wie schon Gibson, so stellt auch Norman das Konzept der Affordanz in den Kontext von Erkenntnisfragen (wenngleich Norman auch keine Wahrnehmungstheorie zu formulieren versucht): „Two of the most important characteristics of good design are discoverability and understanding. Discoverability: Is it possible to even figure out what actions are possible and where and how to perform them? Understanding: What does it all mean? How is the product supposed to be used? What do all the different controls and settings mean?“221
Affordanz spielt für Norman für die Fragen nach der Erkennbarkeit eines Designobjektes im Zusammenspiel mit fünf anderen Faktoren eine wesentliche Rolle. „Discoverability results from appropriate application of five fundamental psychological concepts […]: affordance, signifiers, constraints, mappings, and feedback. But there is a sixth principle, perhaps the most important of all: the conceptual model of the system.“222 Um es an dieser Stelle kurz zu fassen: Affordanz, ganz im Sinne Gibsons, stellt eine Relation zwischen einem physischem Objekt und einer Person dar223 und
219 Gibson 1986. S. 134. 220 Siehe: Norman, Donald A.: The Psychology of Everday Things. New York 1988.; Norman 2013. 221 Ebd. S. 3. Die Unterscheidung von ‚discoverability‘ und ‚understanding‘ wird bei Norman nicht trennscharf getroffen, so dass diese beiden Faktoren hier synonym verstanden werden können. 222 Ebd. S. 10. 223 „The term affordance refers to the relationship between a physical object and a person. […] But affordance is not a property. An affordance is a relationship. Whether an affordance exists depends upon the properties of both the object and the agent“ (ebd. S. 11.). Im Gegensatz zu Norman wird in dieser Arbeit davon ausgegangen, dass es nicht wahrnehmbare Affordanzen nicht gibt. Es widerspräche der Bestimmung der Affordanz als Relation zwischen einem physischen Objekt und einem motivgeleiteten Individuum, wenn es Affordanzen gäbe, die dieses gar nicht wahrnimmt. Norman schreibt: „Affordances represent the possibilities in the world for how an agent […] can interact with something. Some affordances are perceivable, others are invisible“ (ebd. S. 18.). Dem entgegen meint der Begriff Affordanz in dieser Arbeit nicht schlichtweg den gesamten
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legt fest, welche Handlungsmöglichkeiten mit einem gegebenen Objekt in einer bestimmten motivational bestimmten Situation möglich sind. Zur Unterstützung dieser Affordanzen geben signifier an, wo diese Handlungen zielführend stattfinden können.224 So kann ein bestimmtes architektonisches Element in einer bestimmten Situation sich durch leichten Druck als öffen- und schließbar herausstellen und ein Türknopf gibt an, an welcher Seite der Druck ausgeübt werden sollte. Ebenso unterstützen mappings die Lenkung der Handlungen auf die zielführenden Stellen, indem zwei Mengen von Elementen zueinander in Bezug gesetzt werden.225 So fällt die Orientierung und Steuerung von Herdplatten beispielsweise leichter, wenn die Anordnung der Steuerungsmittel sich auf die Anordnung der Herdplatten direkt übertragen lässt, hingegen kann es leicht zu Konfusion führen, wenn erstere etwa linear angeordnet sind und letztere im Quadrat. Feedback ist für jede Interaktion wichtig und meint vorerst allein, dass das System eine Rückmeldung gibt, dass die Handlung als solche ‚angenommen‘ wurde und jetzt bearbeitet wird.226 Diese Form von Feedback kann schon durch ein hörbares Klicken der Maustaste erreicht werden, so dass angezeigt wird, dass eine Handlung des Klickens als solche registriert wurde. Gleichermaßen können leichte Widerstände beim Drücken einer Taste, ein Leuchten beim Umlegen eines Schalters oder ähnliches als notwendiges Feedback angesehen werden. Beschränkungen (constraints) treten hierbei ebenso hilfreich als eine Art Anti-Affordanz auf und beschränken somit den Möglichkeitsraum intendierter Handlungen. Schließlich dienen konzeptuelle oder mentale Modelle dazu, „an explanation, usually highly simplified, of how something works“227 zu liefern. Auch konzeptuelle Modelle unterstützen also – wie die
abstrakten Möglichkeitsraum von Handlungen, sondern nur den tatsächlichen situativ gebundenen Möglichkeitsraum (intendierter) Handlungen und die Möglichkeit einer Handlung hängt eben auch davon ab, dass der Handelnde um die Möglichkeit der Handlung weiß. 224 „Affordances determine what actions are possible. Signifiers communicate where the action should take place. We need both“ (ebd. S. 14.). 225 „Mapping is a technical term […] meaning the relationship between two sets of things.[…] The relationship between a control and its results is easiest to learn wherever there is an understandable mapping between the controls, the actions, and the intended results“ (ebd. S. 20.). 226 „Ever watch people at an elevator repeatedly push the Up button, or repeatedly push the pedestrian button at a street crossing? […] What is missing in all these cases is feedback: some way of letting you know that the system is working on your request.“(ebd. S. 23.). 227 Ebd. S. 25.
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übrigen Faktoren auch – die Suche nach und das zielführende Folgen von Affordanzen. Dabei beschreiben diese Modelle ‚prototypische‘228 Vorstellungen. Wobei gilt: „It [the conceptual model] doesn’t have to be complete or even accurate as long as it is useful. The files, folders, and icons you see displayed on a computer screen help people create the conceptual model of documents and folders inside the computer […]. In fact, there are no folders inside the computer – those are effective conceptualizations designed to make them easier to use.“229
Affordanzen sollen in dieser Arbeit als Figuren semantischer Identifikation verstanden werden, die, unterstützt durch die von Norman besprochenen Faktoren (signifiers, constraints, mapping, feedback, conceptual models), helfen, die Prozesse des 228 Der Prototypentheorie Eleanor Roschs folgend, werden Kategorien nicht als Mengen verstanden, deren Elemente gleichwertig sind. Manche dieser Elemente treten als Prototypen hervor. Sie sind dann durch folgende Eigenschaften bestimmt: Wie Rosch und später George Lakoff (Lakoff, George: Women, Fire, and Dangerous Things. What Categories Reveal about the Mind. Chicago 1987.) herausstellen, sind Prototypen diejenigen Elemente einer Kategorie, die besser memorierbar und leichter identifizierbar sind als andere Elemente derselben Kategorie. Mehr noch: Sie strukturieren die gesamte Kategorie; sie beeinflussen die Generierung von Beispielen, erzeugen eine Asymmetrie in der Bewertung von Ähnlichkeitsfragen, eine Asymmetrie in Fragen der Generalisierung und sind durch die Effekte der Familienähnlichkeit beeinflusst (vgl. Rosch 1978.). In dieser Weise liefern Prototypen konzeptuelle Modelle (im Sinne Normans) für den Umgang mit Elementen einer Kategorie. Vereinfacht gesagt: Wenn ein Gestalter ein Produkt entwickelt, das Benutzer als ein Produkt einer bestimmten Kategorie erkennen (beispielsweise eine Stadtkarte), so haben diese Benutzer bereits Vorstellungen, wie dieses Produkt zu benutzen ist, wozu es dient, was es leistet, etc. Diese Vorstellungen werden in Form eines konzeptuellen Modells zusammengefasst, das sich in der Auseinandersetzung mit protypischen Elementen dieser Kategorie (bestimmte, ihnen vertraute Stadtkarten, die als Prototypen der Kategorie ‚Stadtkarte‘ fungieren können) gebildet hat. In dieser Weise spricht Krippendorff von visuellen Metaphern: „Im Kontext des Gebrauchs ermöglichen Metaphern das Erkennen von Artefakten mittels der Dimensionen und Charaktermerkmale anderer gewöhnlich vertrauter Artefakte“ (Krippendorff 2013. S. 130.). 229 Norman 2013. S. 25. Genauer müsst gegen Norman eingewendet werden, dass das konzeptuelle Modell von ‚Dokumenten‘ und ‚Ordern‘ nicht durch das Design erzeugt wird, sondern durch das Design abgerufen werden soll. Der Grund, weshalb die Piktogramme auf dem Interface dem Benutzer tatsächlich helfen, sich eine handlungsleitende Vorstellung über die Verarbeitungsprozesse des Rechners (auch wenn diese falsch ist) zu bilden, liegt gerade darin, dass durch diese Piktogramme eine metaphorische Übertragung der bereits bestehenden konzeptuellen Modelle erfolgt.
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„Erkennens“ und „Erkundens“ zu unterstützen.230 Sie sind Figuren, da es sich um isolierbare und benennbare Relationen von Formeigenschaften und motivationalen Wahrnehmungsweisen handelt, die, insofern sie vom Benutzer als solche wahrgenommen werden, diesem nicht als bloße Merkmale eines bestimmten Stils erscheinen. Als Figuren in Erkenntnisfunktion genügen Affordanzen ebenso wenig einem Devianzkriterium wie dies schon für Figuren in Argumentationsfunktion gezeigt wurde. Vielmehr ist es gerade so, dass eine wahrgenommene Affordanz erst dann als Abweichung von der Norm empfunden wird, wenn sie sich als unnötig oder sogar irreführend im Gebrauch erwiesen hat. So sind Knopfapplikationen, die die Affordanz der ‚Drückbarkeit‘ evozieren könnten, erst dann Teil eines bestimmten Stils, wenn sich ihre ‚Drückbarkeit‘ beispielsweise als Illusion herausgestellt hat. Um hier einmal klar zu differenzieren: Die bestimmte Form und Farbe eines Knopfes und somit sein Erscheinungsbild mag einem bestimmten Stil geschuldet sein (und bedient sich womöglich diverser Stilfiguren), allerdings wird die Affordanz seiner ‚Drückbarkeit‘ erst dann zu einer Stileigenschaft, wenn sie nicht (oder nicht mehr) als eine Figur in Erkenntnisfunktion wahrgenommen wird. Dass Affordanzen nicht nur im Bereich des Produktdesigns eine Rolle spielen, sondern auch in anderen Designbereichen231 Verwendung finden, soll folgendes Beispiel deutlich machen: Man stelle sich folgendes alltägliches Szenario vor (Abbildung 17): An einem Bahnhof warten Reisende auf den Zug am Gleis. Als der Zug einfährt, versammeln sich die Reisenden an der Linie am Gleis. Sie überschreiten schließlich diese Linie in dem Moment, wo der Zug zum Stehen kommt und steigen in den Zug ein. In diesem Szenario wird die farbige Linie auf dem Boden als eine Absperrlinie und als eine Grenze identifiziert. Als Absperrlinie wird die Linie mit dem Aufforderungscharakter ‚Nicht überschreiten‘ wahrgenommen, als Grenzlinie wird die Linie in der Funktion wahrgenommen, eine Fläche in zwei Bereiche zu teilen: einem sicheren Bereich des gestatteten Aufenthalts und einem Gefahrenbereich, den zu betreten nur im Moment des Stillstandes des Zuges gestattet ist. Die wahrnehmbare Affordanz der Linie drückt sich in deren ‚Nichtüberschreibtbarkeit‘ aus. Dabei gilt: Physisch ist diese Linie kein Hindernis, sie zu überschreiten ist problemlos möglich. Die Affordanz ist allein sozial verankert, was heißt, dass es in bestimmten Situationen (wartend am 230 Krippendorff unterscheidet drei Phasen des Artefaktgebrauchs: Erkennen, Erkunden, Vertrauen (vgl. Krippendorff 2013.). 231 Affordanzen spielen in jedem Designbereich eine wichtige Rolle, in dem es darum geht, dass das Zielpublikum auf der Grundlage seines Verständnisses der Gestaltung handelt. Damit ist klar, dass Affordanzen im Bereich der Produktgestaltung bedeutender sind als etwa im Bereich der Werbung, die in erster Linie ‚rezipiert‘ und nicht ‚gebraucht‘ wird. Zwischen diesen Bereichen liegen allerdings noch viele Bereiche, in denen Affordanzen durchaus eine Rolle spielen können: etwa urban planning und place-making, Gamedesign und Interactiondesign oder bestimmte Bereiche des Informationsdesigns.
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Gleis) nicht gestattet ist, selbige zu überschreiten und in anderen Situationen (stillstehender Zug) sozial gestattet und auch geboten ist. Ähnlich funktionieren andere Linien, die, wenn sie als Absperrlinien und Grenzen zwischen zwei Bereichen erkannt worden sind, das Feld möglicher und angemessener Handlungen zu strukturieren helfen. In dieser Funktion sehen wir Linien nicht nur am Bahnhof, sondern auch im Museum (‚Do not cross this line‘, Abbildung 18), am Schalter in der Post (‚Diskretion, bitte‘, Abbildung 19) oder als Haltelinie im Straßenverkehr (‚Stopp‘, Abbildung 20). Alle diese Linien sind jederzeit für jeden physisch übertretbar. Sie sind Abbildung 17 (links) und 18 (rechts)
zudem in bestimmten Situationen für bestimmte Personen auch sozial übertretbar: ‚Do not cross this line‘ gilt nicht für Museumsmitarbeiter. Diskretion muss nur gewährt werden, solange sich jemand vor mir am Schalter befindet, die Haltelinie gilt nur für heranfahrende Autos, nicht aber für solche, die versuchen, die Kreuzung nach dem Stillstand zu durchfahren, die Absperrlinie am Bahnhof wird durch den Stillstand des Zuges außer Kraft gesetzt und jede dieser Linien verliert ihren Aufforderungscharakter in Notfallsituationen. Ob eine Linie als Absperr- und Grenzlinie identifiziert wird und damit – was das gleiche ist – die Affordanz der ‚Nichtübertretbarkeit‘ wahrgenommen wird oder nicht, hängt wesentlich von der Situation und den diese Affordanz außer Kraft setzenden Parametern ab. Die Erkenntnisfunktion einer solchen Figur liegt darin, dass der Benutzer in einer zuvor nicht handlungsdifferenzierten Fläche (der Bahnsteig als Ganzes) einzelne Bereiche ausmachen kann, die
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unterschiedliche Handlungsräume angemessen erscheinen lassen und die somit seine Handlungen mitstrukturieren. Es wird dem Benutzer möglich, beispielsweise Gefahrenzonen ausfindig zu machen und etwa im Übertretungsfall anderer diese auf mögliche Gefahren hinzuweisen. Dabei dient als letztlich einziges sichtbares Indiz einer potentiellen Gefahr die sichtbare Linie, von der selber freilich gar keine Gefahr ausgeht. Die Linie verhilft zur semantischen Identifikation von etwas (einem bestimmen Bereich jenseits der Linie) als etwas anderes (ein Bereich potentieller Gefahr). Abbildung 19 (links) und 20 (rechts)
6.3.4 Ornatus-Funktion Wie deutlich wurde, erfüllen die rhetorischen Figuren der bisher angeführten Funktionen nicht das Devianzkriterium, das häufig als Bestimmungsgrund rhetorischer Figuration angesehen wird. Figuren in stilistischer, argumentativer oder erkenntnisfördernder Funktion erscheinen dem Publikum in erster Linie nicht als Abweichungen von einer Norm, sondern als Marker eines bestimmten Stils, als Bausteine in einer Argumentation oder als erkenntnisanleitende Hinweise. Damit Figuren eben diese Funktionen für ein Publikum haben können, erscheint es gerade als notwendig, dass sie als solche aufgrund gängiger Muster auch erkannt werden können. Rhetorische Figuren erscheinen in diesen Zusammenhängen daher als die elocutionäre Seite der Topik. Gilt ein topos als ein inventiver Ort, ein Gemeinplatz zum Finden angemessener Gedanken, Argumente oder Bilder, so können rhetorische Figuren in stilistischer, argumentativer oder erkenntnisfördernder Funktion als ausformulierte topoi betrachtet werden. In dieser Weise wird von einer benutzten Metapher (beispielsweise der des Spiegels als Durchgang) auch von einem wiederkehrenden Motiv beziehungsweise einem bekannten topos gesprochen. Allenfalls wenn diese Figuren diese Funktionen nicht übernehmen, beziehungsweise vom Publikum nicht als in dieser Funktion stehend wahrgenommen werden, können sie als wirkungsintendierter, devianter Zeichengebrauch erscheinen. Dann eröffnet sich der Raum des ornatus, des Schmucks der Rede. Die Funktion des Redeschmucks ist es vor allem, Abwechslung zu bieten (variatio delectat), wobei es für den rhetor wichtig ist zu bedenken, wo für sein adressiertes Publikum die Grenze zwischen einer Variation des sprachlichen
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Ausdrucks und der Variation des ausgedrückten Gedankens liegt. Wie die obige Kritik an der Metapher vom sprachlichen Gewand deutlich machte, ist eben diese Grenze nicht universell zu ziehen, sondern stets in Abhängigkeit von Publikum und rhetorischer Situation.
7. D ESIGN
ALS
R HETORIK –
EINE
Z USAMMENFASSUNG
Gegenstand des dritten und vierten Kapitels war das Aufzeigen der Strukturanalogie von Design und Rhetorik. Diese Strukturanalogie wurde auf zwei Aspekte gestalterischen Schaffens hin verdeutlicht: zum einen der Problemanalogie, nach der gesagt werden kann, dass Designer und rhetoren strukturell vor vergleichbaren Problemen stehen; zum anderen der Prozessanalogie, die zeigen sollte, dass die Strategien und Techniken zur Lösung oder Transformation von Designproblemen eine strukturelle Ähnlichkeit zu den Strategien und Techniken der Rhetorik haben. Auf diese Weise wurde versucht zu zeigen, was es heißt, Design als Rhetorik zu verstehen. Es wäre von hier aus möglich, die weitere Arbeit dezidiert in Richtung einer Prozessrhetorik des Designs zu lenken. Dann stünden nachfolgend vor allem Fragen der rhetorischen Verhältnisse von rhetor/Designer, Produkt und Stakeholder zur weiterführenden Diskussion an. Dieser Weg wird allerdings in der weiteren Arbeit nicht weiterverfolgt, er soll jedoch im Schlussteil der Arbeit, aufbauend auf die Diskussionen des vorliegenden und des vorangegangenen Kapitels, skizziert werden. Der Fortgang der Arbeit konzentriert sich vor allem auf Fragen der rhetorischen Verfasstheit von Designprodukten. Im Zuge der Diskussionen der Kapitel III und IV wurden einige Unterscheidungen und Ansätze entwickelt, die allerdings nicht nur für die weitere Arbeit tragend sein werden und deshalb hier stichpunktartig zu resümieren sind, sondern darüber hinaus auch Anstoß zu weiterführender Forschung geben könnten. Von diesen seien vier herausgegriffen: 1. die Diskussion um den Begriff der Angemessenheit, 2. ein kritisches Verständnis des Verhältnisses von Kreativität und Rhetorik, 3. der Ansatz zu einer Designtopik nach rhetorischem Vorbild, und 4. die Unterscheidung von Funktionstypen rhetorischer Figuration. 7.1 Der Begriff der Angemessenheit Im vorangegangenen Kapitel wurde die in der Forschungsliteratur zu Themenfeldern der Rhetorik häufig anzutreffende Unterscheidung von äußerem und innerem aptum problematisiert. In summa zeigte sich dabei, dass, wenn die Publikumsinstanz als Teil des äußeren aptums verstanden wird, das innere aptum ohne richtende Instanz und damit letztlich auch ohne orientierunggebenden Bezug in sich zusammenzufallen
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drohen könnte. Letztlich bedarf jede Frage nach der Angemessenheit einer richtenden Instanz. Auch wenn das innere aptum, wie es etwa Lausberg zu verstehen scheint, eher formalistisch strukturiert ist, muss es eine Instanz geben, die über die Ausgewogenheit und Stimmigkeit der Redeteile untereinander urteilen kann.232 Die Unterscheidung von innerem und äußeren aptum wurde allerdings in der vorliegenden Arbeit nicht aufgegeben, sondern es wurde versucht, eine richtende Publikumsinstanz auch für das innere aptum auszumachen. Diese könnte als ‚Ingroup‘ oder ‚Expertenpublikum‘ (etwas Rhetoriker/Designtheoretiker und rhetoren/Designer) bezeichnet werden. Dass diese – im Regelfall – nicht mit der Publikumsinstanz des äußeren aptums identisch ist, kann dann auch als Stärke der Unterscheidung von innerem und äußerem aptum angesehen werden und weist darauf hin, dass viele rhetorische Produkte nicht nur ein Publikum zu adressieren versuchen. Von hier aus ergeben sich weiterführende Fragen den rhetorischen (Design)Prozess betreffend, in deren Richtung dann unter anderem untersucht werden könnte, inwieweit inneres und äußeres aptum miteinander in Konflikt stehen und wie diese Konflikte rhetorisch bewältigt werden können. 7.2 Zum Verhältnis von Kreativität und Rhetorik Im vorliegenden Kapitel wurde das Verhältnis von Kreativität und Rhetorik problematisiert. Ausgangspunkt der Überlegungen war die Kritik an einem Kreativitätsverständnis, welches unter Kreativität nicht nur die Fähigkeit versteht, Deviantes, Neues und Überraschendes hervorzubringen, sondern zugleich damit auch Angemessenes und Überzeugendes. Es kann nicht bestritten werden, dass es sicherlich auch das ‚überzeugende Neue‘ gibt, also etwas, das als Neues und von bekanntem Abweichendes zunächst auf Verwunderung und Unverständnis stößt, sich aber dann – zeitlich versetzt – als überzeugend und angemessen herausstellt: eine Art Hä?-Aha!-Effekt. Dabei wird die dem orator zugeschriebene Kreativität umso größer ausfallen, je länger die Zeitspanne zwischen dem ‚Hä?‘ und dem ‚Aha!‘ ist. Sollte diese allerdings ‚überdehnt‘ werden, so droht das Ergebnis zu scheitern, das Publikum wird die Sinnsuche aufgeben (entweder aufgrund von Überforderung oder Langeweile) und nicht ‚Kreativität‘ sondern ‚Unsinn‘ attestieren. Dieses Kreativitätsverständnis ist – und das sollte klar herausgestellt werden – also zunächst zweierlei: Zum einen handelt es sich um eine Zuschreibungspraxis. Das Publikum schreibt einem orator – mehr oder weniger ausdrücklich – ein kreatives Potential zu, wobei die Techniken, die benutzt werden können, um diese Zuschreibung zu befördern, als Kreativitätstechniken beschrieben werden können. Zum anderen ist Kreativität als Zuschreibungspraxis vor allem das Ergebnis eines überzeugenden Spiels mit der Zeit, eben jener Zeitspanne zwischen dem Moment der Verwunderung (Hä?) und dem Moment der Auflösung 232 Vgl. Lausberg 2008. S. 508.
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(Aha!), der als Spannung empfunden werden kann, wenn er nicht überdehnt wird. Das ‚überzeugende Neue‘ funktioniert deshalb nur in relativ engen Grenzen, wo eben das, was als überzeugend empfunden werden kann und also an Bekanntes und Vertrautes anknüpft und das, was als neu und deviant empfunden wird, nicht weit auseinanderliegen; mehr noch: Das ‚überzeugende Neue‘ wird selbst auf eine Topik zugreifen können, die Soentgen in Bezug auf Werbedesign pejorativ als Schema F bezeichnet.233 Ein Ansatz zu einer solchen Topik wurde in diesem Kapitel entwickelt. Von einem Kreativitätsverständnis, nach welchem Kreativität das Ergebnis einer Zuschreibungspraxis innerhalb der actio ist – und demnach kein Potential eines rhetors während der Planungsphasen –, kann ein zweites unterschieden werden. Kreativität kann ebenso als Potential verstanden werden, durch das Denken des Devianten – und letztlich durch das Ausblenden jedes möglichen Publikumsbezugs – tatsächlich Neues hervorzubringen. Kreativität kann dann als Erkenntnisinstrument verstanden werden. Allerdings – und darin liegt das problematische Verhältnis von Kreativität und Rhetorik begründet – kann dieses Neue nicht mehr per se als das einem Publikum angemessen Erscheinende verstanden werden. Wer für rhetorische Prozesse eine ‚unbändige Kreativität‘ fordert, kann sie nicht zugleich an die Leine angemessener Publikumsführung nehmen. Vielmehr muss auch ‚Unsinn‘ und ‚Unfug‘ – welche letztlich ebenso wie das obige Kreativitätsverständnis Resultate von Zuschreibungspraktiken sind – als potentielles Ergebnis kreativer Prozesse zugelassen werden. Genau dagegen richtet sich aber die Bestimmung des Kreativitätsbegriffes, welches darunter zugleich das Angemessene und das Abweichende zu verstehen sucht, wogegen sich wiederum die Kritik desselben Begriffes in Abschnitt 3.3.1. richtet. Es wurde dort für die These argumentiert, dass der, der in einem emphatischen Sinne Kreativität in rhetorischen Prozessen fordert, eben auch das als Resultat solcher Prozesse zulassen muss, was durch ein Publikum als ‚Unsinn‘ oder ‚Unfug‘ empfunden wird. Andernfalls würden gerade zulasten unter anderem auch evolutionärer Paradigmenwechsel lediglich ‚unterhaltende Spannungsbögen‘ als kreativ zugelassen. Ein kritisches Verständnis des Verhältnisses von Kreativität und Rhetorik, wie es im vorliegenden Kapitel entfaltet wurde, zeigt mit der Unterscheidung von Kreativität als Zuschreibungspraxis und Kreativität als Erkenntnisinstrument Wege auf, diesem problematischen Fazit zu entgehen. 7.3 Ansatz zu einer Designtopik nach rhetorischem Vorbild Im Anschluss an die Analyse des Verhältnisses von Kreativität und Rhetorik und darauf aufbauend, wurde der Versuch unternommen, Kreativitätshandbücher und Ratgeber (im weitesten Sinne) der Designpraxis als rhetorische Topiken des Designs zu verstehen. Dafür war es wichtig, zuerst den Begriff und die Funktionsweise der 233 Soentgen 2001. S. 165.
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Topik näher zu bestimmen, wobei an die Topik-Theorie Lothar Bornscheuers angeknüpft werden konnte.234 Dieser Theorie folgend, zeichnet sich eine Topik durch vier Eigenschaften aus: Habitualität, Intentionalität, Potentialität und Symbolizität. Hieran aufbauend, konnten Designhandbücher ganz unterschiedlicher Couleur (LookBook, Kreativratgeber, Gestaltungshandbuch, Entwurfs- und Planungsleitfaden) auf ihre topische Verfasstheit hin befragt werden, wobei auf diese Weise nicht nur ‚Regelwerke‘ der Designpraxis in die Theoriediskussion explizit miteingeschlossen wurden, sondern zugleich auch deren Potential zur Entwicklung diverser Designtopiken problematisiert werden konnte. Die These, die es zu zeigen galt, war, dass Kreativratgeber und Gestaltungshandbücher sich als Topiken des Designs verstehen und dass, wenn sie als solches verstanden werden, sie sich womöglich auch explizit topisch strukturieren lassen. Von hier aus wäre es im Rahmen einer weiterführenden Arbeit möglich, diverse Formen von Designtopiken in Auseinandersetzung mit einem wesentlich breiteren Konvolut an Ratgeberliteratur und Handbüchern zu entwickeln. In dieser Weise würde, auf den hier gemachten Unterscheidungen aufbauend, ein deutlicher Beitrag geleistet zu einer rhetorischen Theorie designerischer inventio, der direkt der Gestaltungspraxis zugutekäme. 7.4 Die Unterscheidung von Funktionstypen rhetorischer Figuration Schließlich wurden zuletzt Funktionstypen rhetorischer Figuration entwickelt. In Auseinandersetzung vor allem mit dem weitverbreiteten Devianzkriterium rhetorischer Figuration, nach welchem rhetorische Figuren ‚Abweichungen vom normalen Sprachgebrauch‘ sind, konnten – in Anlehnung an Knapes235 Vorschlag zu einer funktional-pragmatischen Einteilung – vier Funktionen von Figuren ausgemacht werden: die stilistische Funktion, die argumentative Funktion, die Erkenntnisfunktion und die Schmuckfunktion. Diese Einteilung stellt freilich keine disjunkte Zerlegung dar, so dass Figuren, die beispielsweise in Erkenntnisfunktion gebraucht werden, durchaus auch ein stilistischer oder schmückender Wert zugesprochen werden kann. Nicht selten treten Figuren in Erkenntnisfunktion ebenso als Teil einer Argumentation auf. Ohne im Rahmen dieser Zusammenfassung zu sehr ins Detail gehen zu wollen – und daher unter Aussparung wichtiger Zwischenschritte – kann gesagt werden, dass das Devianzkriterium lediglich für die Schmuckfunktion in vollem Maße und für die stilistische Funktion partiell in Anspruch genommen wurde. Insbesondere rhetorische Figuren in Argumentations- oder Erkenntnisfunktion verdanken ihre Funktionalität kaum einer Abweichung vom Sprachgebrauch, sondern gerade dem produktiven Anknüpfen an – mitunter topischen – Wissensbeständen, Meinungen oder 234 Vgl. Bornscheuer 1976. 235 Vgl. Knape 1996.
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Denkmustern. Als zentral für die Auseinandersetzung mit den Funktionstypen rhetorischer Figuration kann angesehen werden, dass diese Funktionsweisen nicht essentialistisch bestimmten Figuren zugesprochen werden können und sich die Funktion einer Figur nicht durch die Betrachtung der Figur selbst ergibt, sondern dass die Funktion stets allein durch den Gebrauch, der von ihr vor und mit einem Publikum gemacht wird, in einer bestimmten Weise identifizierbar wird. Als in solcher Weise vom Gebrauch bestimmt, hängen die Funktionsweisen der Figuren insbesondere von deren Wirkung auf das Publikum ab. In summa zeigte die Betrachtung der verschiedenen Funktionsweisen von Figuren, dass diese insbesondere nicht – in einem stark verkürzten Rhetorikverständnis – auf die Schmuckfunktion reduziert werden können. Die hier vorgeschlagene Einteilung schließt, indem sie auch die stilistische, argumentative und erkenntnisfördernde Funktion rhetorischer Figuren herausstellt, explizit diverse Theoriebestände in die Diskussion mit ein: etwa die auf die Affektenlehre aufbauende Unterscheidung von präsentativen und repräsentativen Affekttechniken bei Scheuermann236, die rhetorische Argumentationstheorie von Perelmans/OlbrechtTyteca237, die auf das Konzept der Affordanz aufbauende Wahrnehmungstheorie Gibsons238, die sprachphilosophischen Theorien der New Rhetoric um Richards und Burke239 und ebenso die Sprechakttheorien Austins und Searles.240 Mit diesem umfassenderen Zugang zu Fragen rhetorischer Figuration sollte vor allem aufgezeigt werden, dass rhetorische Figuren auch jenseits des ornatus eine rhetorische Funktion haben, die es insbesondere auch ermöglicht, nach der inventiven Seite der elocutio zu fragen.
236 Vgl. Scheuermann 2009. 237 Vgl. Perelman/Olbrechts-Tyteca 1996. 238 Vgl. Gibson 1986. 239 Vgl. Richards/Odgen 1962. Richards 1965.; Burke 1984. Siehe auch: Holocher 1996. 240 Vgl. Austin 1972.; Searle 1983.
V. Rhetorik der Subversion – Adbusting als Kommunikationsguerilla
1. E INFÜHRUNG
IN DAS
K APITEL
Laut Wikipedia ist Kommunikationsguerilla „eine Form des Aktivismus […], bei der gezielt Information oder Desinformation eingesetzt wird, um Ziele zu erreichen. Dabei wird die klassische Guerilla-Taktik, die sich um möglichst effektive punktuelle Operationen bemüht, auf den Bereich von Information und Kommunikation übertragen.“1 Kommunikationsguerilla versteht sich als eine Form politischer Auseinandersetzung2 – wobei die Vorstellung der einzelnen, oft sehr unterschiedlichen, Methoden und Einsatzgebiete leicht den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen würde. Daher soll hier der Fokus allein auf einer bestimmten Form der Kommunikationsguerilla liegen: dem Adbusting. ‚Adbust‘ ist eine englischsprachige Wortkreation aus der Kurzform ‚ad‘ für ‚advertisement‘ (Werbung) und dem Verb ‚to bust‘ (zerschlagen). Den Adbustern geht es, wie der Name schon sagt, um die Umgestaltung, Verfremdung oder Zerstörung von Außenwerbung, vor allem um Plakatwerbung. „Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen statt sie zu zerstören?“3 Dieser Satz Roland Barthes leitet nicht nur nahezu jede (populär-)wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Phänomen Kommunikationsguerilla ein, sondern beschreibt zugleich auch den Kern des Selbstverständnisses der Kommunikationsguerilleros und insbesondere der Adbuster. Ein einführendes Beispiel vermag zu verdeutlichen, wie im Sinne des Adbustings das obige Zitat von Barthes beispielsweise verstanden werden kann (Abbildung 21): 1 2
Wikipedia: Kommunikationsguerilla. Stand: 13.07.2010. Unter ‚politisch‘ ist in diesem Kontext eine Form der ‚Aufklärungsarbeit im Sinne eines angenommenen Gemeinwohls‘ zu verstehen.
3
Barthes, Roland: Sade, Fourier Loyola. Frankfurt am Main 1986. Dieser Satz steht bei Barthes im Kontext seiner Auseinandersetzung mit dem Erotischen bei Sade und damit einem Kontext, der im Allgemeinen nicht mitgedacht wird. Stattdessen wird die Aussage so behandelt, als stände sie schon immer in einem Guerillakontext.
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Auf diesem Wahlplakat soll durch das Wegstreichen von Wortteilen der Eindruck erweckt werden, es würde eine Art ‚versteckte Botschaft‘ freigelegt. In diesem pseudo-kryptologischen Spiel, das neben der vermeintlichen Botschaft ‚einsam reich‘ auch ‚mein reich‘ (visuell verstärkt durch ein sogenanntes ‚hitlerizing‘; Abbildung 22) und folglich verschiedene Varianten zulässt, wird eine recht simple Technik angewandt: Die durchgestrichenen Wortteile werden nicht – etwa mit einem Bildbearbeitungsprogramm – entfernt, sondern bleiben lesbar auf dem Plakat, wodurch der Akt des Durchstreichens sichtbar bleibt und eine bedeutungsgenierende Funktion erhält. Wie im Grunde alle Techniken des Adbustings, so stellt auch diese keine genuine Technik der Kommunikationsguerilla dar, sondern wird genauso auch für Werbezwecke genutzt (Abbildung 23). Der Unterschied zwischen dem Adbust und der Lucky-Strike-Werbung ist kein Unterschied der Technik, sondern der Intention. Während die Lucky-Strike-Werbung auf einen spielerischen Effekt zielt, der den Prozess vom vermeintlichen anfänglichen Zweifeln zum ‚Überzeugtsein, dass‘ inszeniert und damit dem Publikum ein Angebot zur Affirmation machen soll, zielt das Adbust eher auf ein Spiel mit der Subversion von Codes.4 Abbildung 21(links) und 22 (rechts)
4
In ihrer Analyse genau dieser Adbustvarianten bezeichnet Ann-Kathrin Surrey die genutzte Strategie als Dekodierungsstrategie. Vgl. Surrey, Ann-Kathrin: Klartext sprechen statt in die Irre führen. Dekodierung als Strategie. In: Adbusting – ein designrhetorisches Strategiehandbuch. Hrsg. von Andreas Beaugrand und Pierre Smolarski. Bielefeld 2016. S 7894.
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Adbuster verstehen ihr Handeln als subversive Taktik im Sinne de Certeaus, in dem „gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse kritisiert und angegriffen werden – neuer und alter Nationalismus, Sexismus/Patriarchat, Rassismus und die mit ihnen verknüpfte kapitalistische Produktionsweise. […] Ihre mögliche Subversion besteht zunächst darin, die Legitimität der Macht in Frage zu stellen und damit den Raum für Utopien überhaupt wieder zu öffnen. Ihr Projekt ist die Kritik an der ‚scheinbaren‘ Unhinterfragbarkeit des Bestehenden; sie will geschlossene Diskurse in offene Situationen verwandeln, in denen durch ein Moment der Verwirrung das Selbstverständliche plötzlich in Frage steht.“5
Abbildung 23
Adbuster beklagen die fehlenden Partizipationsmöglichkeiten weiter Teile der Öffentlichkeit im kommunikativen Prozess und diagnostizieren somit ein AusgeliefertSein des Publikums an die Macht der Medienkonzerne.6 In Analogie zu Bertold 5
Blisset, Luther; Brünzels, Sonja: Handbuch der Kommunikationsguerilla: jetzt helfe ich mir selbst. Hamburg 1997. S. 6f.
6
Mit dieser Ansicht in weitgehender Übereinstimmung schreibt Neidhardt über den massenmedialen Diskurs, „dass die die etablierten Repräsentanten und Advokaten […] in der medienvermittelten Arena der Öffentlichkeitsakteure überrepräsentiert sind – dies zu Lasten der ‚nicht-etablierten Herausforderer‘. Deren ‚Chancen auf Beteiligung am öffentlichen Diskurs sind vergleichsweise gering […]. Dies trägt zur Stabilisierung der bestehenden Herrschaftsordnung bei, beschränkt aber die Offenheit von Öffentlichkeit, und das Gebot des Bundesverfassungsgerichts, die in der Gesellschaft vorhandenen Meinungen sollten
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Brechts Forderung eines ‚Rückkanals‘7 für das Radio, fordern Adbuster eine Stimme im massenmedialen ‚Redeagon‘8. Norbert Bolz fragt in seinem Essay Weltkommunikation, nachdem er die Unmöglich- und Nutzlosigkeit jeder Kulturkritik behauptete: Welche „subversive Technik kann heute an die Stelle der Kulturkritik treten?“9 Bolz formuliert sogleich eine Antwort: „In den ätherischen Welten der Literaturwissenschaft hat sich Jacques Derrida schon vor Jahren ein ähnliches Problem gestellt und die Textpraxis der Dekonstruktion entwickelt. Daran knüpfen heute die pfiffigsten Köpfe des Underground an – man denke nur an die famose Zeitschrift ‚Adbusters‘. Wie der Name schon sagt, geht es hier um Störung, Noise, ein parasitäres Dasein in der Welt der Reklame. An die Stelle der Kulturkritik tritt ein witziges Culture Jamming.
‚gleichgewichtig‘ zum Ausdruck kommen können, wird nur in Grenzen erfüllt.“ (Neidhardt, Friedhelm: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. Hrsg. von Ders. Opladen 1994. S. 741. Hier: S. 16.) Deklariertes Ziel der Kommunikationsguerilla ist es gerade, die beschriebene „Stabilisierung der bestehenden Herrschaftsordnung“ zu unterbinden und den öffentlichen Diskurs damit zu öffnen. 7
Vgl. Brecht, Bertold: Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. In: Gesammelte Werke in 20 Bänden. Hrsg. von Elisabeth Hauptmann. Bd. 18. Frankfurt am Main 1967. S. 127134.
8
Über den agonalen Charakter rhetorischer Bemühungen, insofern diese dazu dienen, eigene Standpunkte und Interessen mit kommunikativen Mitteln gegenüber anderen Standpunkten und Interessen durchzusetzen, wurde bereits im Methodenkapitel gesprochen. Dort wurde auch klar herausgestellt, dass, so charakteristisch der agonale Gedanke auch für die Rhetorik ist, dieser keine notwendige Bedingung des Rhetorischen darstellt. So gibt es durchaus eine Vielzahl rhetorischer Bemühungen, die sich nicht durch den Wettkampf um Meinungshoheit erklären lassen, sondern vor allem auf kooperativen Motiven beruhen (vgl. hierzu: Kapitel II). Für den Bereich der Kommunikationsguerilla und insbesondere den Bereich des Adbustings kann allerdings das agonale Motiv deutlich mehr in den Vordergrund gerückt werden. Hier steht – wie im vorliegenden Kapitel noch eingehend gezeigt werden wird – der Kampf um Meinungen, aber auch der Kampf um Präsenz im öffentlichen, urbanen Raum, der Kampf um Interpretationshoheiten und oftmals auch der bloße Kampf um Worte im Mittelpunkt.
9
Bolz, Norbert: Weltkommunikation. Über die Öffentlichkeit der Werbung. In: Medien und Öffentlichkeit: Positionen, Symptome, Simulationsbrüche. Hrsg. von Rudolf Maresch. München 1996. S. 77-88. Hier: S. 80.
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Adbusters heißen die Hacker in der Bildwelt – sie arbeiten an der Dekonstruktion der Werbung. Man trifft auch schon auf den Begriff De-Marketing.“10
Zwei Gesichtspunkte sind bei Bolz‘ Wertung und Beschreibung des Phänomens ‚Adbust‘ besonders interessant: zum einen seine – vielleicht zu – optimistische Sicht auf diese Formen der Subversion, die darin Kulturkritik sehen will, die nicht selbst zum Spitzenprodukt der „Bewusstseinsindustrie“11 wird, zum anderen der leider nicht ausgeführte Vergleich der subversiven Technik mit Derridas dekonstruktivistischen Techniken der Umkehrung und Deplatzierung. Da es das Ziel dieses Kapitels ist, eine Typologie rhetorischer Strategien des Adbustings zu entwickeln, sind zuvor zwei Schritte notwendig. Adbusting tritt als etwas auf, das sich am ehesten als flüchtige Intervention beschrieben lässt, die von (zumeist) anonymen Urhebern in einen agonal-spielerischen, kommunikativen Prozess im urbanen Raum sichtbar eingebracht wird. Innerhalb dieses Spiels ist der urbane Raum nicht mehr als eine Bühne, die erweitert um die Bühne, die das Internet den Adbustern bietet, genutzt wird, um Konsum-, Medien- oder Gesellschaftskritik zu üben. Die von Adbustern bespielte Fläche, ihr semantischer Grund, ist dabei vor allem das Werbe- oder Wahlplakat.12 Damit operieren sie auf einem Untergrund, der selbst schon ‚rhetorisiert‘ ist, der orator-Figuren Botschaften an ein disperses Publikum entrichten lässt, um wahlweise den Sender dieser Botschaften, ein bestimmtes Produkt oder das Publikum selbst zu loben. Damit ist der Operationsgrund der rhetorischen Interventionen der Adbuster durch Formen der Lobrede bestimmt, die diese – wie zu zeigen sein wird – in Schmähreden verkehren. Der erste Schritt wird folglich darin bestehen, Adbust-Interventionen als Schmähreden zu klassifizieren und zu zeigen, wie diese mit den rhetorischen Instanzen Redner, Rede und Publikum umgehen. Der zweite Schritt ist vor allem durch den intervenierenden Charakter des Adbustings motiviert. Da es zum Selbstverständnis der meisten Adbuster zu gehören
10 A.a.O. S. 80. ‚Adbusters‘ bezeichnet in diesem Zusammenhang eine kanadische Zeitschrift der Adbusters Media Foundation. Gründer der Foundation und Herausgeber der Zeitschrift ist Kalle Lasn. 11 Vgl. Enzensberger, Hans Magnus: Einzelheiten I. Bewußtseinsindustrie. Frankfurt am Main 1964. 12 Der subversive Umgang mit Medien im Sinne einer ‚semiologischen Guerilla‘, wie sie Eco beschreibt (vgl. Eco 2007), findet freilich nicht bloß auf Werbe- und Wahlplakaten statt. Überdies könnten auch andere Phänomene im Lichte der Kommunikationsguerilla besprochen werden, wie etwa die Propagandafälschung auf Briefmarken (vgl. Smolarski, R. 2016), der Einsatz subversiver Mittel im Werbefilm oder gar der Versuch einer Subversion des Werbefilms selbst (vgl. Schülting 2016) oder auch das Flugblatt als Mittel der Subversion (vgl. Apel 2016).
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scheint, dass diese ihre Interventionen als ‚subversiv‘ verstehen, ist nach den rhetorischen Möglichkeiten der Subversion zu fragen. Eine Rhetorik der Subversion, wie sie in diesem Kapitel entwickelt werden soll, wird helfen, die rhetorischen Wirkziele offenzulegen, zu deren Umsetzung sich der Adbuster bestimmter Strategien bedient. Im Anschluss daran soll der Ansatz einer Typologie rhetorischer Strategien des Adbustings entwickelt, beschrieben und durch Beispiele illustriert werden.
2. ADBUSTING
ALS
S CHMÄHREDE
Aristoteles unterscheidet drei Redegattungen: die Beratungs-, die Gerichts- und die Festrede. „Die Beratung ist einesteils zuratend andernteils abratend; denn immer tun diejenigen, die entweder im Privaten Ratschläge geben oder öffentlich als Redner auftreten, eines von diesen beiden. Vor Gericht gibt es einesteils Anklage und andernteils Verteidigung […] Bei der Vorführung [der Festrede] gibt es einesteils Lob und andernteils Tadel.“13
Indem Adbusts sich an Werbeplakate heften und deren Sinn zu entstellen suchen, liegt der Verdacht nahe, dass Adbusts und Werbung sich derselben Redegattung bedienen. Da Werbung ein Produkt oder auch eine Marke verkauft, also von der Güte des Produktes wie auch der Marke überzeugen soll, sich überdies der Gegenwart als geläufigem Tempus14 zuwendet, kann mit Aristoteles gesagt werden, dass Werbung, und folglich auch Adbusts als Anti-Werbung, sich der Redegattung, die lobt oder tadelt, also der Festrede, annehmen. Kurt Spang bestätigt dies in seinen Grundlagen der Literatur- und Werberhetorik, indem er die Werbung als Preisrede klassifiziert: „Eine Eigenart der Werberhetorik als Preisrede muss hier hervorgehoben werden: von ihrem Wesen her kann Werbung nur positiv wertend sein, sie muss reale oder fiktive Qualitäten herausstellen, um den Erwerb [der beworbenen Produkte] schmackhaft zu machen. Sie gleicht also in dieser Hinsicht in weit höherem Maße der epideiktischen Redegattung als dem genus iudiciale oder deliberativum.“15
13 Arist. Rhet. I 3, 1358 b 9-14. 14 Aristoteles macht für die Lobrede als bevorzugten Tempus das Präsens aus (vgl. Ebd. I 3, 1358 b 18.). In der Werbung findet sich die Verlagerung auf Verben im Präsens unter anderem deshalb, um den Text „agil, dynamisch und aktiv wirken zu lassen“ (vgl. Schierl, Thomas: Text und Bild in der Werbung. Bedingungen, Wirkungen und Anwendungen bei Anzeigen und Plakaten. Köln 2001. S. 155.). 15 Spang, Kurt: Grundlagen der Literatur- und Werberhetorik. Kassel 1987. S. 75.
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Es ist jedoch zu unterscheiden, was genau durch Werbung gelobt werden soll, denn, wie sich mit einem Verweis auf die kanonische Benetton-Werbekampagne16 zeigen lässt, darf die von Spang angesprochene Ausschließlichkeit der positiven Wertung durch Werbung nicht dahingehend verstanden werden, dass das attentum parare und die captatio benevolentiae allein durch laudative Formulierungen erzielt werden könne. Werbung ist nicht allein eine laudatio auf das beworbene Produkt. Naomi Klein beschreibt in ihrem Buch No Logo!17, das gerade in Adbusterkreisen schnell zum Beststeller avancierte, sehr anschaulich, wie die Werbung sich von einer reinen Produktwerbung wegentwickelte, was nach Werner Kroeber-Riel nicht zuletzt darin begründet ist, dass Konsumenten in Europa objektive Qualitätsunterschiede kaum noch wahrnehmen.18 Klein beschreibt den Weg von Produktwerbung zur Markenwerbung, wie er seit dem Ende der 1980er Jahre zunehmend begangen worden ist. Reine Produktwerbung beschreibt sie als antiquiert. Damit reicht es folglich nicht aus, das Produkt zu loben; Werbung lobt ebenfalls die Marke, was nichts anderes heißt, als das ethos zu inszenieren, und Werbung lobt ebenso das Publikum. Der Angriffspunkt gelungener Adbusts kann folglich vor allem in diesen drei Komponenten jeder Werbung19 zu finden sein. Adbusts attackieren das ethos des orators, tadeln das
16 Oliviero Toscani, der als Fotograf durch die Benetton-Werbekampagnen, die er seit Mitte der 1980er Jahre entwarf, bekannt wurde, brachte für das Label United Colors of Benetton Aidskranke, Sterbende und Leidende auf die Plakatwände. In seinem 1995 erschienen Buch La Pub est une charogne qui nous sourit (dt. Die Werbung ist ein lächelndes Aas (1996)) stellt er diese Form von Kampagne ins Licht einer Gesellschaftskritik. Siehe dazu auch: Joost/Scheuermann 2007. 17 Klein, Naomi: No Logo! Der Kampf der Global Players um Marktmacht. Ein Spiel mit vielen Verlierern und wenigen Gewinnern. München 2001. 18 Vgl. Kroeber-Riel, Werner: Konsumentenverhalten. 4. Aufl. München 1990. S. 120f. Kroeber-Riel führt diese Aussage auf den „Trend zum erlebnisbetonten Konsumenten“ (ebd.) zurück und weist damit in eine ähnliche Richtung wie etwa Wolfgang Welsch, der in seinem Buch Grenzgänge der Ästhetik Ästhetisierungsprozesse im urbanen Raum ausmacht und aufgrund dessen dem Design, der Form, mehr Gewicht für das Konsumverhalten zukommen lässt als dem Inhalt, dem Gebrauch. (vgl. Welsch, Wolfgang: Grenzgänge der Ästhetik. Stuttgart 1996) Vor diesem Hintergrund scheint es einleuchtend zu behaupten, dass für den europäischen Konsumenten ‚objektive Qualitätsunterschiede‘ von Produkten, insofern damit deren ‚Brauchbarkeit‘ angesprochen wird, weniger eine Rolle spielen und folglich weniger wahrgenommen werden. 19 Die Gewichtung der einzelnen Komponenten fällt freilich in jeder Werbung anders aus. In einzelnen Fällen ist allein das Markenzeichen auf einem riesigen Plakat in der Innenstadt angebracht schon Werbung genug und Produkt- wie auch Konsumentenlob werden gar nicht entfaltet.
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Produkt oder den Umworbenen – im konkreten Einzelfall lassen sich diese drei Formen nur theoretisch voneinander isolieren, wie bei der Werbung so liegt auch bei der Anti-Werbung im Allgemeinen eine Mischung aus allen drei Formen vor. 2.1 Attacke des orators Das ethos des orators zu inszenieren ist in jedem Produktions- und Präsentationsstadium zu berücksichtigen und kulminiert vor allem in der actio; das heißt, die Glaubwürdigkeit des orators muss beim Vortrag zur Schau gestellt werden. „Dafür, dass die Redner selbst glaubwürdig erscheinen, gibt es drei Ursachen; so viele Gründe gibt es nämlich außer den Beweisen, weswegen wir etwas glauben. Es sind dies Klugheit [also Einsicht], Tugend und Wohlwollen.“20 Das Bemühen der Firmen, ihre Marke mit einem Image zu versehen, das schließlich gekauft werden soll, indem der Konsument die Produkte dieser Marke kauft, ist breit angelegt und soll in dieser Arbeit nicht thematisiert werden. Interessant für den vorliegenden Fall ist die Inszenierung der Marke nur insofern sie sich innerhalb der Werberhetorik auf Plakaten wiederfindet, obgleich freilich festzuhalten ist, dass die persuasive Wirkung des Plakats schließlich auch ein Produkt der Werbebemühungen jenseits der Direktwerbung ist, etwa durch gemeinnützige Investitionen, Sponsoring und Ähnliches. An dieser Stelle aber will ich mich den Beweisen zuwenden, die das ethos (mit)aufbauen. Dazu sollen drei Aspekte des Umgangs mit dem ethos und der dieses verbürgenden orator-Figur thematisiert werden. Zum einen ist kurz auf den im Bereich des Adbustings häufig zu findenden parasitären Gebrauch der orator-Figur einzugehen. Schließlich soll dann dieser parasitäre Gebrauch auf die zwei von Aristoteles benannten Überzeugungsmittel des ethos hin beleuchtet werden: das Beispiel und das enthymem, wobei das enthymem, insofern es unvollständig ist, als gnome (Sentenz)21 auftreten kann. 2.1.1 Parasitärer Gebrauch der orator-Figur Der orator ist, wie er im Methodenkapitel eingeführt wurde, ein Produkt des rhetorischen Produktionsprozesses, welchem als Instanz innerhalb des Persuasionsprozess ein ethos zukommt. Von dieser Größe ist der rhetor deutlich zu unterscheiden. Dieser stellt die strategisch-planende Instanz dar und tritt im Allgemeinen für das Publikum nicht sichtbar in Erscheinung. Ein einfaches Beispiel soll diesen Punkt hier noch einmal verdeutlichen: Der Redenschreiber eines Politikers erfüllt die rhetor-Funktion, indem dieser versucht, eine rhetorisch erfolgreiche Inszenierung unter anderem auch
20 Arist. Rhet. II 1, 1378 a 8f. 21 Ich werde in dieser Arbeit keine Unterscheidung zwischen gnomen und ihrer lateinischen Übersetzung sententiae vornehmen. Ich verwende im Weiteren den im Deutschen üblichen Ausdruck Sentenz.
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des ethos des Politikers in seine strategischen Planungen miteinzubeziehen. Der Politiker, der schließlich seine Rede vor einem Publikum zu halten hat, erfüllt die oratorFunktion. Ihm wird von Seiten des Publikums ein ethos zugesprochen, er vertritt durch seine Rede ein bestimmtes ethos und kann durch sein Auftreten vor Ort diesem ethos genügen oder nicht. Auf der Grundlage dieser Unterscheidung kann gesagt werden, dass Adbuster, ebenso wie Designer, rhetoren sind und beide – Adbuster wie Werbedesigner – für ihre rhetorischen Bemühungen oratoren ‚finden‘ oder ‚erfinden‘ werden, nicht zuletzt, um auch auf der Ebene des ehtos überzeugen zu können: sei es im Falle einer Imagekampagne das ethos eines Unternehmens, das mit dem Markenzeichen assoziiert werden soll; sei es das ethos eines prominenten Sprechers im Parteiinteresse; sei es das mit einer Kunstfigur assoziierte ethos aus der Werbung oder auch dem Märchen, der Literatur, dem Film, etc.; oder sei es das ethos verschiedener Stereotype. Adbuster, die in grosso modo auf der Grundlage arbeiten, die ihnen die Werbe- und Wahlplakate bieten, sind auf der einen Seite in der Wahl ihrer oratoren womöglich nicht so frei wie die Werbedesigner bei der Gestaltung des Plakates waren – obgleich auch diese die Vielschichtigkeiten der Zuschreibungen eines (oftmals mehrdeutigen und widersprüchlichen) ethos und die daraus resultierende Komplexität der ethos-Kategorie bedenken müssen. Auf der anderen Seite aber ergeben sich für den Adbuster eine Vielzahl an Möglichkeiten, das ethos eines orators anzugreifen, zu zersetzen oder auch die Konstruktion desselben durch die Werbetreibenden zu dekonstruieren. Eine Form des parasitären Gebrauchs der orator-Figur vollzieht sich, indem der Adbuster, wie Kerstin Pottgüter in einem Aufsatz sagt, der orator-Figur seine Stimme gibt.22 Pottgüter analysiert in dieser Richtung das Adbust einer Werbeanzeige in einer Zeitschrift, welches 2010 im Rahmen eines Adbust-Workshops der Kanadischen Adbusterin und Radiomoderatorin Jennie Palmer entstanden ist (Abbildung 24).23 Eine der auf der Anzeige präsentierten (stereotypen) Personen, die Schönheit, Jugend, Laszivität und Sexualität konnotieren, wird durch das Einfügen einer ‚Sprachblase‘ zum Sprechen gebracht. Diese Personendarstellungen, die mehr einen situativen Kontext liefern sollen, sind genaugenommen gar keine oratoren, sondern letztlich nichts mehr als ‚Situationsmarker‘. Das heißt, ihnen kommt kein ethos zu, das über das durch ihre Inszenierung konnotierte hinausginge, wodurch sie rhetorisch gesehen mehr mit einem Möbelstück oder einer Rauminszenierung zu tun haben als mit oratoren. In vergleichbarer Weise wie hier Personendarstellungen als Objektdarstellungen fungieren, um einen bestimmten erotisierten Livestyle zu konnotieren, könnte
22 Vgl. Pottgüter, Kerstin: Sag was! – Die Oratorfigur zum Sprechen bringen. In: Adbusting – ein designrhetorisches Strategiehandbuch. Hrsg. von Andreas Beaugrand und Pierre Smolarski. Bielefeld 2016. S. 192-219. 23 Vgl. ebd.
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Abbildung 24 und 25 (oben), Abbildung 26 (unten)
auch beispielsweise die Präsentation eines bürgerlichen Interieurs mit Hirschgeweih genutzt werden, um womöglich Bürgerlichkeit, ‚Spießigkeit‘ oder auch ‚Antiquiertheit‘ zu konnotieren. Die ‚Sprechblase‘ gibt also, wie Pottgüter sagt, der orator-Figur nicht bloß eine Stimme, sondern hebt die objekthaft präsentierte Person überhaupt
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erst heraus und macht sie zu einem orator, der in Form eines Zwischenrufes, der „sich gewissermaßen als vorweggenommene eigene Rede in Kurzform charakterisieren lässt“24, dazu beiträgt, die konstruierte Situation zu dekonstruieren. Aus dem Status eines ‚erotisierten Schmucks‘ und damit aus der ornatus-Funktion, wird die dargestellte Personen in den Status des zwischenrufenden Akteurs gehoben. Ähnlich gelagerte Beispiele, die sich letztlich der gleichen Strategie bedienen, die Pottgüter einfach als „Sprechblasen-Strategie“25 bezeichnet, finden sich im Bereich des Adbustings häufig (Abbildung 25 und 26). 2.1.2 Beispiel und enthymem als Überzeugungsmittel des ethos Um über die ethos-Funktion von Beispiel- und enthymem-Gebrauch reden zu können, ist es notwendig, sich auch über den Begriff der Sentenz zu vergewissern, da diese innerhalb von enthymemen häufig die Funktion der Prämisse übernehmen. Eine Sentenz bestimmt Aristoteles wie folgt: „Es ist also die Sentenz ein behauptender Satz, jedoch nicht über die Dinge im Einzelnen, wie zum Beispiel, was für ein Mensch Iphikrates sei, sondern von allgemeiner Art; auch (handelt die Sentenz) nicht von allem, wie zum Beispiel davon, dass das Gerade dem Krummen entgegengesetzt ist, sondern über all das, womit die Handlungen zu tun haben und was im Hinblick auf das Handeln wählenswert oder zu vermeiden ist.“26
Allgemeine Aussagen über menschliches Handeln sind im vorliegenden Kontext vor allem deshalb interessant, weil diese, wie Aristoteles festhält, den Reden einen ethischen Zug verleihen und sie „charaktervoll“27 machen. Sie zu verwenden, zeigt nicht nur Einsicht, sondern auch Wohlwollen und Tugend, weil jeder, „der eine Sentenz ausspricht, in allgemeiner Form die bevorzugten Dinge darlegt, so dass, wenn die Sentenzen rechtschaffen sind, sie auch den Redner als rechtschaffen erscheinen lassen.“28 Ein Beispiel (Abbildung 27): Vodafone wirbt auf einem Plakat mit der Sentenz: ‚Du bist nicht auf der Welt um zu schweigen.‘ Durch den Einsatz eines generalisierenden ‚Du‘ wird diese Aussage zu einer allgemeinen Aussage und meint, dass jeder, der auf der Welt ist, nicht auf dieser ist um zu schweigen. Das ‚Schweigen‘ als ein Aspekt menschlichen Handelns soll also gemieden werden. Diese Sentenz erfährt auf
24 Neumann 1992. Sp. 283. 25 Pottgüter 2016. S. 192. 26 Arist. Rhet. II 21, 1394 a 22-26. 27 Ebd. II 21, 1395 b 13. 28 Ebd. II 21, 1395 b 15-18.
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Abbildung 27
dem Plakat keine Begründung und scheint folglich von Vodafone als allgemein anerkannt oder aber als sofort einleuchtend und daher keiner Begründung bedürftig eingestuft worden zu sein. Das heißt, Vodafone meint mit dieser Aussage die Meinung des Publikums zu treffen, welches Vodafone dieser Aussage wegen für einsichtig und wohlwollend halten soll. Ganz in diesem Sinne betont auch Johannes Engels, dass Sentenzen „ihre gemeinschaftsbildende Wirkung als Träger eines lebenspraktischen Erfahrungs- und Orientierungswissens und als Repertorium kultureller Identität eines Volkes bis heute im Kern bewahrt“29 haben. „[Sie] wirken auch auf Hörer und Leser der Gegenwart noch als ‚Zeichen der Eingebundenheit in eine Kultur‘ und schaffen daher eine gewisse Art der ‚Gemeinschaft mit dem Auditorium‘. Das Evozieren eines gemeinsamen kulturellen Hintergrundes und kollektiven Wertehorizontes, die sich in Sentenzen verdichten, kann in der Tat auch heute ein wirkungsvolles Persuasionsmittel sein.“30
Was Engels hier beschreibt, macht deutlich, dass Sentenzen sich nicht nur auf das ethos auswirken, sondern zugleich das pathos treffen. Ethos und pathos liegen hierin 29 Engels, Johannes.: Sentenz. In Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Tübingen 1997. Sp. 847-867. Hier: Sp. 867. 30 Ebd. Sp. 866.
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dicht beieinander, nicht zuletzt deshalb, weil ethos nur in der Wechselwirkung von orator und Publikum zustande kommen kann. Jakob Wisse stellt in seiner Untersuchung des ethos und pathos bei Aristoteles und Cicero fest, dass Ciceros ethos-Begriff sich nicht nur auf Glaubwürdigkeit beschränkt, sondern auch ‚sanfte Gefühle‘ (gentle emotions) miteinbezieht, während Aristoteles alle Gefühserregung beim Publikum unter den Begriff pathos bringt und ethos als rationale und eben nicht affektive Größe betrachtet.31 Marjo Vesalainen versucht, in seiner rhetorischen Werbeanalyse auf Wisse aufbauend, beides zusammenzubringen und versteht ethos als Selbstdarstellung, die vor allem in der „Erzeugung eines günstigen Eindrucks vom Charakter des Senders (des Werbenden bzw. werbenden Unternehmens) bei den Rezipienten (Konsumenten)“32 besteht. Die oben angesprochene ‚Gemeinschaft mit dem Auditorium‘ liegt genau in dem Bereich des ethos, der im Allgemeinen nicht ohne affektive Mittel evoziert werden kann und der folglich auch zum Wirkungsbereich der Sentenzen wird. Sibylle Hallik charakterisiert die Wirkung der Sentenzen treffend, indem sie sagt: „sie schlagen beim Hörer ein, geben häufig auf Anhieb den gewünschten Antrieb, haften gerade durch ihre Kürze (brevitas) besser und überreden durch den Genuß (delectatio), den sie bereiten.“33 Die kurze, prägnante Aussage ist somit zugleich Mittel zur Konstruktion des ethos des orators innerhalb der Rhetorik des Werbeplakats als auch zur Dekonstruktion desselben durch die Adbuster. Von einer rhetorisch gelungenen Dekonstruktion ist dann zu reden, wenn diese sich derselben Mittel bedient, auf die schon die Konstruktion aufbaute und schließlich so ‚pervertiert‘34, dass gerade Einsicht, Tugend und Wohlwollen des orators fraglich scheinen. Adbuster nutzen also entweder selbst allgemeine Aussagen, die prägnant und kurz den Redner ‚demaskieren‘ sollen oder bearbeiten den Bildteil, der für die Sentenz der Werbung oftmals die Begründungsfunktion erfüllt, indem er die Sentenz situativ einbettet. Eine dekonstruktive Bearbeitung des Bildteils führt dazu, dass dieser die angehängte Sentenz entweder nicht mehr oder gerade ihr Gegenteil begründet oder ‚übererfüllt‘35 und dadurch ad absurdum führt. Schließlich, das sei an dieser Stelle vorerst 31 Vgl. Wisse, Jakob: Ethos and Pathos. From Aristotle to Cicero. Amsterdam 1989. S. 241f. 32 Vesalainen, Marjo: Prospektwerbung. Vergleichende rhetorische und sprachwissenschaftliche Untersuchungen an deutschen und finnischen Werbematerialien. Frankfurt am Main 2001. S. 85f. 33 Hallik, Sibylle: Sententia und Proverbium. Begriffsgeschichte und Texttheorie in Antike und Mittelalter. Köln u.a. 2007. S. 94. 34 Auf die rhetorische Dimension der Subversion und Perversion wird im nächsten Teilkapitel eingegangen. 35 Solch eine Übererfüllung kann mit Bazon Brock als ein Zwang zur Positivität im Widerstand beschrieben werden, als eine Methode der negativen Affirmation. „Affirmation ist nicht Zustimmung als sich unterwerfende Anerkennung, sondern Radikalisierung eines Zustimmung fordernden Anspruches – bis dieser aus sich selbst heraus zusammenbricht.“ (zit.
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nur erwähnt, wird auf diese Weise nicht nur das ethos angegriffen, sondern zugleich auch die Persuasionsstrategien der Werbung aufgedeckt. Die Doppelsinnigkeit der Werbesentenzen wird vom Adbuster als Mittel gegen die Werbung genutzt, ganz im Sinne der Rhetorica ad Alexandrum.36 Freilich gibt es auch eine Vielzahl von Möglichkeiten des direkten Angriffs des ethos. So stellten Adbuster beispielsweise ein eigenes Plakat her, auf dem sie ausführlich über die Sweatshops von Nike in Indonesien berichteten und die Produktionsbedingungen anprangerten. Von einer rhetorisch gelungenen Intervention kann dabei allerdings nicht gesprochen werden; die Anklage erfolgte weder kurz noch prägnant, erregte wenig Aufmerksamkeit und kann insbesondere durch die Fülle der Information schlechthin als Verstoß gegen das aptum bezeichnet werden. Ein solcher Versuch ist wohl eher als ‚Gegenrede‘ zu verstehen denn als subversiver Angriff im Sinne einer Intervention. Die Bearbeitung der Werbesentenz führt bei rhetorisch gelungenen Adbusts zu einer Verzerrung, die als komisch charakterisiert werden kann. Markus Winkler beschreibt die Komik wie folgt: „Zu den objektiven Bedingungen der dem komischen Konflikt eigenen Wirkung zählt die unerwartete, überraschende Verletzung einer – kognitiven, ethischen, sozialen, religiösen oder ästhetischen – Norm“37. Im Bereich des Adbustings spiegelt sich die Norm gerade im ethos, das durch die anonyme Intervention – unerwartet und daher überraschend – in einem der genannten Bereiche überstiegen wird. Winkler spricht auf der anderen Seite von den subjektiven Bedingungen, also jenen, die das Publikum erfüllen muss, und führt dazu aus: „zu den subjektiven [Bedingungen, gehört] die ästhetische Einstellung des den Konflikt wahrnehmenden Publikums. Dabei ist zwischen zwei einander entgegengesetzten und sich dennoch häufig überlagernden Formen ästhetischer Einstellung zu unterscheiden: Komisch wirkt der Konflikt entweder, weil dem Publikum die Normverletzung als letztlich unschädlich und die von ihr provozierte Sanktion als angemessen gilt, oder aber im Gegenteil, weil es die Normverletzung als Entlastung vom Druck der Norm empfindet.“38
aus Stratmann, Nicole: Bazon Brock, der Selbstentfesslungskünstler. Einführung in eine Ästhetik des Unterlassens. Weimar 1995. S. 91.) Brock geht es um eine zerstörerische Übertreibung für die exemplarisch Figuren wie Eulenspiegel oder Schweijk genannt werden können. 36 Vgl. dazu Hallik 2007. S. 51. 37 Winkler, Markus.: Komik, das Komische B.I Zur Vorgeschichte des neuzeitlichen Begriffs. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Tübingen 1997. Sp. 1167-1168. Hier: Sp. 1167. 38 Ebd.
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Dass dies eine rhetorische Strategie der Adbusts darstellt, wird aus den weiteren Ausführungen Winklers schnell ersichtlich. „Im ersten Fall wird dem Publikum die Figur, von der die Normverletzung ausgeht, zur komischen Figur, weil es sich dieser Figur überlegen fühlt und folglich weder von der Normverletzung noch von der Sanktion tangiert ist. Im zweiten Fall macht die Distanz zwischen Publikum und Figur einem Einvernehmen Platz, das sich der Bejahung des Abseitigen, von der Norm ausgegrenzten verdankt.“39
So oder so wird die ‚Gemeinschaft mit dem Auditorium‘ gestört und verzerrt die intendierte ethos-Inszenierung.40 Roger W. Müller Farguell fasst, indem er die Techniken zur Erzielung eines komischen Kontrast- und Inkongruenzeffektes benennt, zugleich die rhetorischen Techniken der Adbuster treffend zusammen. Zu diesen zählen: „im Bereich der Argumentation die überraschende Vermischung von Plausibilität und Absurdität, etwa durch parodistischen Umgang mit fehlerhaften Syllogismen, ferner der offenbare oder versteckte Kontrast zum normativ oder satirisch gesetzten common sense sowie in der elocutio allgemein die konterkarierende Verletzung von innerem und äußerem aptum bei sprachlicher Gestaltung, Stilhöhe und Adressatenbezug. Im Bereich der Figurenlehre drücken besonders Hyperbel und Litotes den komischen Kontrast aus, zudem spielen unverhoffte metaphorische, metonymische, allegorische und gleichnishafte Analogieschlüsse mit der Inkongruenz des Ähnlichen.“41
39 Ebd. 40 Der Zusammenhang von Komik und Adbust kann mit Ciceros Aussage, dass man über das lache, was etwas Hässliches auf eine Weise, die nicht hässlich ist, bezeichnet oder beschreibt (vgl. Cicero 2003. II, 58, 236), deutlich an den sorgfältig auf Hochglanz gebrachten Adbusts gesehen werden. So wenn beispielsweise der Marlboroman den Beworbenen nicht mehr mit ‚Come to where the flavour is‘, sondern mit ‚Come to where the cancer is‘ einlädt, während er in den für Marlboro-Plakate typischen Sonnenuntergang in der Prärie reitet. Das ‚Hässliche‘, die Krebserkrankung, wird mit einer ‚nicht hässlichen‘ Darstellungsweise kombiniert: der Sonnenuntergang, die Prärie, der einsame Reiter – kurz: die ‚Naturromantik‘. 41 Müller Farguell, R.W.: Komik, das Komische. II Aufklärung bis Ende 19. Jh. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Tübingen 1997. Sp. 1168-1172. Hier: Sp. 1168f. Durch die Beschreibung des komischen Kontrasteffekts wie sie Müller Farguell vornimmt, kann gesagt werden, dass Adbusts den Bereich der simulatio und dissimulatio berühren. „Dissimualtio und Simulatio sind seit der Antike aufeinander bezogen und als komplementäre, d.h. sich einerseits widersprechende, andererseits bedingende For-
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Die Lobrede der Werbung wird im Bereich des ethos durch Adbusts ins Komische zersetzt. Der Angriff des orators gehört zu den häufigsten Formen des Adbusts, was nicht zuletzt in der Konzentration auf ethos und Marke durch die Werbung selbst liegt. Die beiden anderen Formen des Lobes bzw. Tadels – die des Publikums und des beworbenen Produktes – finden, verglichen mit dem Versuch der Zersetzung des ethos des orators, weit weniger oft Anwendung und sind außerdem nur schwerlich von dieser Form zu isolieren. Dennoch sollen auch diese Strategien des Adbusts besprochen werden, nicht zuletzt, da sie das Repertoire der Adbusts erweitern und eine Differenzierung der einzelnen Strategien erlauben. 2.2 Tadel des Publikums Wie oben schon erwähnt, gibt es für Aristoteles zwei Überzeugungsmittel: das Beispiel und das enthymem, zu welchem auch Sentenzen als dessen Prämisse bzw. Konklusion gehören. Im Bildteil der Werbung, der innerhalb dieser durch die Präsentation einer situativen Einbettung oftmals die Aufgabe der narratio übernimmt, ist gerade das Beispiel als Überzeugungsmittel sehr beliebt. Und unter dem Gebrauch von Beispielen stellt das Werben mit Testimonials und Stereotypen einen wichtigen Teil dar. Wenn also beispielweise prominente Persönlichkeiten für Produkte werben oder aber wenn ausdrückliche Stereotype die Adressatenrolle ‚spielen‘, so fungieren diese wie jene als Beispiele, die dem umworbenen Konsumenten vorgeführt werden. Freilich erfüllt dabei das Werben mit Prominenten eine etwas anders gelagerte Funktion als das Werben mit Stereotypen: soll die Prominenz der Einen auf das Produkt übergehen und es selbst in ein begehrenswertes Luxusgut verwandeln, so soll gerade die Nicht-Prominenz der Anderen beispielhaft Qualitäten des Produktes wie ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und allgemeine Beliebtheit zum Ausdruck bringen. Die Einbindung Prominenter stellt ein Exempel dar, das die auctoritas des Prominenten zu Persuasionszwecken bemüht. Gerd Ueding und Bernd Steinrbink halten dazu fest: „Diese Art der beispielhaften Argumentation unterscheidet sich vom gewöhnlichen Exempel dadurch, dass sie ihre Glaubwürdigkeit dem gesellschaftlichen oder kulturellen Ansehen des Zeugnisses, bzw. seines Urhebers verdankt.“42 Die Autoren füh-
men der Verstellung definiert.“ (Bettrich, Oliver; Krautter, Jutta: Simulatio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 8. Tübingen 1997. Sp. 919923. Hier: Sp. 919.) Die simulierende und dissimulierende Verstellung, die durch das Adbust erzeugt werden kann, bestimmt zugleich die Qualität des Adbusts als Form der Ironie, die sich auf Worte, aber auch auf Gedanken und damit auf das „geschlossene Ganze“ (Ebd. Sp. 920.) richten kann. 42 Ueding/Steinbrink 1986. S. 249.
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ren weiter aus, dass Beispiele stets zwischen einer autonomen und einer intentionellen Bedeutung oszillieren.43 In dem Moment, wo Beispiele in die Rede/Gestaltung einfließen, ergibt sich eine Spannung zwischen beiden Bedeutungen, die sich aus der Kraft des Belegs und dessen Einbindung in den Rahmen der Rede/Gestaltung ergibt.
43 Auch Heinrich Lausberg spricht von der „Doppelschichtigkeit der semantischen voluntas“. (Lausberg 2008. §421.) Was Ueding autonome Bedeutung nennt, heißt bei Lausberg „Eigenbedeutung“ (ebd.) und der intentionellen Bedeutung bei Ueding entspricht die „semantische Intention“ (ebd.) bei Lausberg. Uedings Darstellung ist aber insofern für die vorliegende Arbeit von Interesse, als er herausstellt, worin die Bedeutung der Doppelschichtigkeit liegt und folglich, woraus sich Interventionsmöglichkeiten für Adbuster ergeben könnten. Über den Beispielgebrauch als rhetorische Induktion wird an späterer Stelle noch genauer zu verhandeln sein, es soll aber an dieser Stelle schon einmal versucht werden, kurz den argumentativen Schritt des Beispiels zu erläutern. Aristoteles versteht den argumentativen Schritt, der durch den Gebrauch von Beispielen vorgenommen wird, in Analogie zur Induktion. Als rhetorische Induktion wird vom Besonderen über das im Allgemeinen nicht explizit formulierte Allgemeine auf ein anderes Besonderes geschlossen, wobei das Allgemeine die ‚Verwandtschaft‘ der beiden Fälle verbürgen soll und der erste Tatbestand als bekannt vorausgesetzt werden muss, um den zweiten, den es glaubwürdig, und das heißt vor allem klar und deutlich zu machen gilt, zu erhellen. Vor diesem Hintergrund des durch den Beispielgebrauch vorliegenden tatsachenbasierenden Schließens, kann die Unterscheidung von autonomer und intentioneller Bedeutung genauer beleuchtet werden. Die autonome Bedeutung des Besonderen, von dem die Argumentation ausgeht, ist genau jene Bedeutung, die jenem Besonderen durch den Adressatenkreis zugeordnet wird. Die Autonomie der Bedeutung kann dann nicht dahingehend verstanden werden, dass dieses Besondere eine objektiv geltende Referenzbeziehung einlösen könnte, sondern autonom ist die Bedeutung insofern, als dass sie sich dem direkten Einfluss des orators entzieht und auf der Publikumsseite entsteht und von dort aus sich dem orator als selbstgesetzgebend zeigt. Mit der intentionellen Bedeutung wollen Ueding und Steinbrink dann den argumentativen Schritt des orators bezeichnet wissen, der den Bezug zum Redegegenstand leisten soll, indem, nach einer Sichtung und Bewertung der autonomen Bedeutung, diese im Rahmen seiner Rede ein argumentatives Gewicht bekommt. Es handelt sich also um eine Transformation von Teilen der autonomen Bedeutung in die intentionelle Bedeutung, die nach Ueding und Steinbrink stets einer gewissen Gefahr der Oszillation ausgesetzt ist. Die Autoren erwähnen die Form des tatsachenbasierenden Schließens nicht, aber es kann angenommen werden, dass der eigentlich argumentative Schritt in dieser Transformation liegt. Folglich liegt dann auch das zersetzende Potential des Adbusts in der Störung dieser Transformation.
230 | R HETORIK DES D ESIGNS „Die persuasive Rede muss aufgrund ihrer Intention bestrebt bleiben, gerade diese Oszillation zu unterdrücken: Denn um Überzeugung bewirken zu können, muss sie den Anschein erwecken, bei der Verwendung des Beispiels dessen autonome Bedeutung unverfälscht erhalten zu haben. Wäre dieser Anspruch nicht zu vertreten, so würde durch die Verwendung dieses Beispiels eine offene Stelle in der Beweisführung auftreten, die, von einer gewissen Größe an, die Beweiskraft des exemplum zerstört.“44
Hieraus ergibt sich die Achillesferse der Verwendung von Beispielen in der Werbung, die Adbuster nutzen. Das rhetorisch gelungene Adbust kann zeigen, dass die autonome und intentionelle Bedeutung des Beispiels durch den Redner nicht unter Wahrung der autonomen Bedeutung zusammengeführt werden konnten: Im Falle des Beispiels mittels Prominenter, indem deren allgemein anerkannte Glaubwürdigkeit fraglich gemacht wird und im Falle der Stereotypen, indem deren – recht offene – autonome Bedeutung entgegen der Intention des Werbenden gefüllt oder verdreht wird. Der Stereotyp erfüllt dann seine Beispielfunktion nicht mehr in ausreichendem Maße oder wird schlichtweg zu einem Beispiel für einen konträr liegenden Sachverhalt. Stereotypen erfüllen ihre rhetorische Funktion dann besonders gut, wenn sie als Leerstellen fungieren können, die der Betrachter selbst füllen kann und muss. Ein Beispiel (Abbildung 28): Die Sparkasse Spree-Neiße wirbt mit einem Plakat, auf dem in einem heimischen Ambiente Großmutter und Enkel auf der Couch sitzen, den Betrachter anlachen und freudig mit der Spielkonsole spielen. ‚Siegertypen‘ ist der Headliner der Sparkassenwerbung. Beide, Großmutter und Enkel, werden in einem kleineren Textteil45 mit Namen und Herkunft vorgestellt und ihre Zufriedenheit auf die seit Generationen gute Anlage ihres Vermögens bei der Sparkasse zurückgeführt. Die Stereotypen bieten dem Betrachter eine Identifikationsbasis, aufgrund derer dieser einen Perspektivwechsel vollziehen und die Werbebotschaft tatsächlich persuasiv wirken kann. Ein zweites Beispiel (Abbildung 29): Das Unternehmen Remington bewirbt auf einem Plakat einen Bikini Trimmer ‚Trim&Shape‘. Auf einem schwarzen Hintergrund bildet es zu diesem Zweck einen weißen Scherenschnitt einer nackten Frau ab. Die Werbefläche ist damit klar gegliedert und der weibliche Umriss erlaubt die Einfühlung des Rezipienten. In dieser Form kann von einem Stereotyp par excellence gesprochen werden. Das darauf befindliche Adbust nimmt sich genau dieser Projektionsfläche an: Im Schattenriss des Kopfes steht ‚I guess it doesn’t matter what’s up here‘, auf ihrer linken Brust ist ein stilisiertes Herz gemalt, in dem ‚or in here‘ steht
44 Ueding/Steinbrink 1986. S. 250. 45 Der Text auf dem Plakat lautet: „Gerda Effenberger und ihr Enkel Josef genießen gemeinsam und unbeschwert ihre Freizeit. Denn seit Generationen sind die Finanzen der Familie bei der Sparkasse sicher aufgehoben.“
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und mit einem Pfeil auf die mit schwarzen Marker angedeutete Schambehaarung findet sich die Aufschrift ‚as long as there’s no hair here‘. Der Perspektivwechsel wird behindert, da die Identifikation des Beworbenen mit der Hülle, die ihm durch die Werbenden geboten wurde, bereits gefüllt ist mit Annahmen über den Geistes- und Gemütszustand des potentiellen Kunden – beides nämlich spielt laut Adbust für die Entfernung der Haare in der Bikinizone keine Rolle. Beispiele in der Funktion des Platzhalters für den Rezipienten anzugreifen, ist ein direkter Angriff auf die Basis der Persuasion, nämlich die Identifikation des Publikums mit dem Redner über dessen dem Publikum zur Identifikation angebotenen Beispielen. Abbildung 28 (links) und 29 (rechts)
2.3 Tadel des Produkts Die Gründe, die dazu führten, dass die Werbeindustrie sich mehr und mehr auf Marken- und Imagewerbung verlagerte, sind vor allem in der Schwierigkeit zu suchen, ein Produkt zu loben, das sich von Konkurrenzprodukten kaum noch unterscheidet und das vor einem Publikum, das, nach Kroeber-Riel, zunehmend weniger qualitative Unterschiede wahrzunehmen im Stande ist. Folglich ist es ebenso schwer – und findet sich dementsprechend selten – ein solches Produkt zu tadeln. Dennoch gibt es Produktbereiche, die stark beworben und getadelt werden, beispielsweise wären hier vor allem der Zigaretten- und Alkoholhandel zu nennen. Diese Bereiche ermöglichen es, eine streitbare Haltung zum Produkt einzunehmen, da sich die öffentliche Meinung zum beworbenen Produkt ambivalent zeigt, woraus sich ergibt, dass ein Reden über
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diesen Gegenstand – wie bereits in Kapitel III besprochen – oft dem genus dubium entspricht und dieses „genus macht das Wohlwollen der Zuhörer erforderlich.“46 Die rhetorischen Strategien sind dabei recht klar: Während Werbefachleute versuchen, die fraglich gewordenen Produkte mit anderen, außerhalb dieser liegenden, positiv konnotierten Qualitäten in Verbindung zu bringen – Freiheit, Lebenslust, Gemeinschaftlichkeit, Jugend und sogar Kraft und Gesundheit – versuchen Adbuster, ein ‚natürliches‘ Licht auf die Produkte zu werfen. Die rhetorische Bemühung der Werbung muss ihre Beweismittel jenseits des Redegegenstandes suchen, sie bedarf artifizieller Beweismittel, also solcher, die der rhetorischen ars (techne) bedürfen, um sie im Sinne des rhetorischen Zieles fruchtbar werden zu lassen. Während sich die Werbetreibenden folglich rhetorisch bemühen müssen, um Zeichen (signa), Argumente (argumenta) und Beispiele (exempla) in ihrem Sinne verwenden zu können, liegt es in der Hand der Adbuster, diese Bemühungen auf der Grundlage inartifizieller Beweismittel zu widerlegen oder lächerlich zu machen. Ein Beispiel (Abbildung 30): Dieses Adbust eines Marlboro-Plakats zeigt zum einen die rhetorischen Bemühungen der Werbetreibenden, ihre Zigaretten mit Freiheit, Abenteuer und Naturerlebnis zu verbinden, zum anderen aber werden durch den Schriftzug die inartifiziellen Beweismittel der Adbuster deutlich. Das wären in diesem Fall sowohl Gerüchte (rumores) als auch wissenschaftliche Studien (tabulae), die den Zusammenhang von Rauchen und Krebserkrankung herstellen. Abbildung 30
2.4 Eine Anmerkung zum Verhältnis von Kommunikationsguerilla und Guerilla-Marketing Innerhalb der durch Werbeunternehmen angestrengten Trendforschung und Jagd nach ‚Coolness‘, kommt es zu einer interessanten Überschneidung: Die Adbust-Subkultur (aber auch die Graffiti- und Street-Art-Szene) wurde von den Marken- und Imagekampagnen als ‚cool‘ entdeckt und infolge dessen selbst zur Zielgruppe. Dem Adbuster wird – im positiven Sinne – mitunter ein ethos des ‚Störers kommerzieller
46 Ueding/Steinbrink 1986. S. 239.
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Codes‘, des ‚Outlaws‘, des ‚Entlarvers‘ und bisweilen auch des ‚subversiven, linken, autonomen Intellektuellen‘ zugesprochen, welches für Werbezwecke wiederum interessant sein kann. Eine Strategie, um sich der Zielgruppe, für die ein solches ethos zum Überzeugungsmittel werden könnte, zu nähern, ist das Guerilla Marketing, das sich bisweilen derselben Ausdrucksform bedient wie etwa Graffiti, Street-Art oder Adbusting und etwa mittels Schablonen Werbung an die Wände bringt, die sonst beispielsweise allein von Graffiti überzogen sind. Unter der Vielzahl an Schablonengraffiti sind gerade die interessant, die außer dem Markenzeichen nichts an die Wand bringen und damit ihre Werbewirkung gerade dadurch entfalten können, dass sie diese verbergen. Julia Reinecke spricht in ihrer Arbeit zur Street-Art unter anderem die Marke Puma an, die 2003 in London ihr Markenzeichen in der ganzen Stadt verteilte.47 Wenn auf diese Weise schließlich selbst die Walls of Fame mit Logos überzogen werden, so zeigt sich die Werbung selbst als parasitär. Es besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen dem parasitären Gebrauch, den die Adbuster vollziehen und dem des Guerilla-Marketings. Adbuster machen parasitären Gebrauch vor allem von der orator-Figur und schieben dieser eine veränderte ‚Rede‘ unter, wobei die Wirksamkeit des Adbusts oftmals gerade dadurch zustande kommt, dass die ‚neue Rede‘ sich mit dem ethos des gemimten orators im Widerspruch befindet. Formen des Guerilla-Marketings greifen an einer anderen Stelle an. Sie nutzen die mit Graffiti, Street-Art und Adbusting assoziierten Einstellungen und Haltungen seiner Akteure und transformieren dieses ethos in eine ‚Rede‘, die sie parasitär zu ihrer eigenen machen, indem sie ihr Markenzeichen als Signatur daruntersetzen. Dabei ist den Werbetreibenden, die auf eine solche Weise zu werben gedenken, im Allgemeinen nicht daran gelegen, das mit den Graffiti-Akteuren verbundene ethos zu brechen oder auch nur in Frage zu stellen. Vielmehr wird versucht, dieses, eben durch die Nutzung des ethos, ins Licht des ethos des Werbetreibenden zu stellen. Guerilla-Marketing dringt eben nicht parasitär in den orator und entwendet die ‚Rede‘ – wie Adbusts –, sondern entwendet das ethos (des orators) und gebraucht die dadurch entstandene ‚Rede‘ parasitär. Guerilla Marketing und Kommunikationsguerilla setzen folglich an unterschiedlichen Punkten im kommunikativen Prozess an und sind daher rhetorisch nicht identisch, wie dies in einigen Untersuchungen unterstellt wird.48 Die Untersuchung der Gattungen und Gegenstände der Gestaltung hat gezeigt, dass Adbusts nur verständlich werden, wenn sie vor dem Hintergrund der rhetorischen Strategien der Werbung entfaltet werden. Dabei ging es nicht darum, eine Rhetorik des Werbeplakats zu entwickeln, sondern lediglich die Aspekte der auf Persuasion zielenden Kommunikation der Werbung herauszugreifen, die durch Adbusts auf- und angegriffen werden. Die Frage, wie wirkt ein gelungenes Adbust, mündet 47 Vgl. Reinecke, Julia: Street-Art. Eine Subkultur zwischen Kunst und Kommerz. Bielefeld 2007. S. 157ff. 48 Vgl. Klein 2001. Aber auch: Reinecke 2007.
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so schließlich immer in der Frage nach den Schlüsselstellen in der Werbepersuasion und diese sind immer da präsent, wo ein Identifikationsprozess stattfinden soll. Das Wechselspiel von Identfikation – im vorliegenden Fall durch Werbung – und Spaltung – durch Adbusts – bringt Burke pointiert zur Sprache, indem er sagt: „But put identification and division ambiguously together, so that you cannot know for certain just where one ends and the other begins, and you have the characteristic invitation to rhetoric.“49 Nachfolgend soll der in diesem Kapitel bereits häufiger erwähnte Begriff der Subversion rhetorisch beleuchtet werden. Dabei wird der Fokus nicht nur auf den Möglichkeiten einer Rhetorik der Subversion liegen, sondern auch auf den Möglichkeiten einer Subversion der Rhetorik. Auf diese Weise wird es unter anderem möglich, den oben von Bolz angeführten, aber nicht ausgeführten Bezug von Adbusting und Dekonstruktion deutlich zu machen. Vor allem aber dienen die Anmerkungen zu einer Rhetorik der Subversion dem Formulieren rhetorischer Wirkziele der Kommunikationsguerilla (und vor allem des Adbustings). Die hier mit Fokus auf das subversive Moment zu entwickelnden Wirkziele dienen auch der Veranschaulichung der inhaltlichen Breite der Kommunikationsguerilla. Dieser Inhaltsdiskussion wird am Schluss des Kapitels die dort vorzustellende Typologie rhetorischer Strategien zur Seite gestellt.
3. R HETORIK DER S UBVERSION Der Begriff Subversion taucht in keinem der rhetorischen Systeme als Terminus in exponierter Stellung auf. Weder die klassische Rhetorik noch die New Rhetoric erhebt die subversio zu einem eigenen Ziel mit eigenen Strategien. Ein möglicher Grund hierfür kann darin gesehen werden, dass das Subversive als das Zersetzende und Umstürzende gesellschaftlicher Ordnung stets in einem gewissen Sinne quer zur Auffassung der Rhetorik liegt, die als eine Lehre vom planungsvollen Umgang mit kommunikativen Mitteln zur Etablierung neuer oder Erhaltung bestehender Ordnungen verstanden werden kann. Wie Joachim Knape betont, stellt der zersetzende Zweifel50 am Bestehenden zwar die Voraussetzung jedes rhetorischen Bemühens um die Etablierung neuer Sichtweisen dar, allerdings bleibt dieser im auf Persuasion zielenden Prozess nicht ohne eine auf ihn aufbauende positive Setzung stehen. Kurz: Ob-
49 Burke 1969a. S. 25. 50 Die rhetorische Funktion des Zweifels ist das, was Joachim Knape in einem Vortrag den Othello-Effekt nannte: Der Othello -Effekt. Die systematische Rolle des Zweifels in der Rhetorik. (Tagung Kognition und Kooperation, Tübingen, 14./15. November 2013). Siehe dazu auch: Knape 2015a.
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gleich jedes auf Persuasion zielende rhetorische Bemühen mit Momenten des Zersetzens und des Zweifelevozierens arbeiten muss – allein schon, da sich neue Sichtweisen auf etwas erst als wünschenswert etablieren lassen, wenn die Hegemonie, verstanden als umfassender Erklärungsanspruch, bestehender Sichtweisen aufgebrochen ist –, kann aus der Zersetzung allein keine Persuasion erfolgen. Subversion als das Ziel, nicht bloß als ein Mittel, rhetorischen Agierens zu verstehen, stellt das Subversive damit in eine Verwandtschaft zu Irritation und Provokation und in diesem Sinne als antipersuasiv51 heraus und rückt es in die Nähe vor allem einer Destruktion, mithin aber auch Dekonstruktion52 herrschender Meinungen und rhetorischer Strategien.
51 Es besteht eine gewisse Ähnlichkeit zur antipersuasiven Rhetorik bei Kierkegaard, die zwar weniger in der Suspension jeglichen ethos-, pathos- oder logosaspektes besteht, sondern mehr darin, ‚Anstoß zu erregen‘ und eine Offenheit zu erreichen, die – ebenso wie Kierkegaards Konzept der indirekten Mitteilung – eine Parallele zur Maieutik hat. Vgl. Hagemann, Tim: Antipersuasive Rhetorik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 45-51. 52 Die erste der zwei Stufen der Dekonstruktion sieht eine Verkehrung einer hierarchisch angeordneten Oppositionsbeziehung vor (Derrida selbst spricht von Subversion). „Allerdings lässt Derrida einen Bezug zur Subversion nur für die Voraussetzungen und die Folgen der Dekonstruktion gelten.“ (Gondek, Hans-Dieter: Subversion. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 10. Basel 1998. Sp. 567-572. Hier: S. 571. Vgl. auch: Derrida, Jacques: Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Guy Scarpetta. Wien. 1986. S. 46.; Derrida, Jacques: Randgänge der Philosophie. Wien 1988. S.47.). Voraussetzung einer subversiven Umwertung ist das Vorhandensein einer Oppositionsstruktur in der Sprache, die Derrida als die Différance bezeichnet. Demnach sind die Sprache und in ihrer Folge auch das Denken von begrifflichen, hierarchischen Oppositionen durchsetzt, die es zu dekonstruieren gilt. In einer „doppelten Geste“ (Derrida 1986, 87.) erreicht die Dekonstruktion eine Umkehrung klassischer Gegensätze und damit eine Deplatzierung des Systems. Das Mittel, mit dem eine solche Umkehrung und Deplatzierung stattfinden kann, liegt in einem „ständigen Perspektivwechsel“ (Kimmerle, Heinz: Derrida zur Einführung. Hamburg 1992. S. 50.). Einem Guerillero vergleichbar, wechselt Derrida immer wieder die Perspektive. Die Dekonstruktion als Praxis und nicht als Methode zu verstehen, „wird bei Derrida von einer jeweils einzunehmenden Perspektive aus zum Einsatz gebracht, die nicht als ein durchgehaltener Standpunkt zu beschreiben ist“ (Ebd. 24.). Ebenso wie der Taktiker nach de Certeau keinen festen Ort bezieht (vgl. de Certeau, Michel: Kunst des Handelns. Berlin 1988. S. 23.), sondern sich allein vom Kairos abhängig in der Zeit bewegt, so darf auch der Dekonstrukteur, der scheinbar feste und unverrückbare Sichtweisen zu unterwandern sucht, nicht selbst eine Perspektive verabsolutieren. Schließlich führt die Subvertierung der gegensätzlichen Begriffspaare zu einer coincidentia oppo-
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sitorum, einem Ineinsfall der Gegensätze, der – anders als bei Cusanus (Vgl. Kues, Nikolaus von: Mutmaßungen: lateinisch-deutsch. Übers. von Josef Koch. Hamburg 1971.) – nicht die Scheinbarkeit der Gegensätze in der Wahrheit der Einheit aufzuheben sucht, sondern die Gegensätze in ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit aufzeigt und einen Weg in die Pluralität der Sichtweisen eröffnen soll. Als Teil der intellectio einer Rhetorik der Subversion gilt es, die Möglichkeit der Dekonstruktion durch das Aufspüren hierarchischer Oppositionen sichtbar zu machen, was vor allem heißt, sich darüber klar zu werden, dass jede Deutung zugleich eine Verdeckung ist. (Vgl. Kimmerle 1992, 29.) In ihren Voraussetzungen gleicht die Dekonstruktion darin dem Sprachverständnis Kenneth Burkes, der sagt: „Any given terminology is a reflection of reality, by its very nature as a terminology it must be a selection of reality; and to this extend it must function also as a deflection of reality.“ (Burke 1966b, 45.) Insofern sich beide Autoren – Derrida und Burke – darüber im Klaren sind, dass es keinen Terminologiegebrauch und in Folge dessen auch keinen denkerischen Standpunkt gibt, der nicht in dem Maße wie er die Wirklichkeit zu reflektieren sucht, diese ebenso selektiv und deflektiv wiedergibt, steht sowohl für den Dekonstruktivismus als auch für die New Rhetoric fest, dass es keinen Punkt von Außerhalb zur rhetorischen Analyse eines Sprachsystems gibt. Derrida bringt diesen subversiven Aspekt der dekonstruktiven Arbeit wie folgt auf den Punkt: “Operating necessarily from the inside, borrowing all the strategic and economic resources of subversion from the old structure, borrowing them structurally, that is to say without being able to isolate their elements and atoms, the enterprise of deconstruction always in a certain way falls prey to its own work.” (Derrida, Jacques: Of Grammatology. Baltimore 1976. S. 24. Vgl. auch Blakesley, David: Kenneth Burke’s Pragmatism – Old and New. In: Kenneth Burke and the 21st Century. Hrsg. von Bernard L. Brock. New York 1999. S.73.). Was für Derrida zur Notwendigkeit einer Multiperspektivität führt, ist für Burke durch eine „perspective by incongruity“ gegeben, die er metaphorisch als „a method for gauging situations by verbal ‚atom cracking‘“ (Burke, Kenneth: Attitudes toward History. Berkeley 1984. S. 308.) beschreibt. „That is, a word belongs by custom to a certain category – and by rational planning you wrench it loose and metaphorically apply it to a different category“ (ebd.). Auf diese Weise werden Situationen neu bestimmbar und eingefahrene Sichtweisen aufgebrochen. Das, was Burke in Anschluss an Thorstein Veblen als eine „trained incapacity“ (Vgl. Burke 1954. S. 7-9.) bezeichnet, also eine erworbene oder antrainierte Unfähigkeit in der Freiheit der Auswahl von Bedeutungen, wird durch eine konsequente ‚perspective by incongruity‘ überhaupt erst wieder als ein freies Spiel der Zeichen ohne Zentrum im Sinne Derridas erfahrbar. (Vgl. Pekar, Thomas: Dekonstruktion. In: Historisches Wörterbuch der Rhetotik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen. Sp. 512-521.) Die rhetorische Dimension dieses subversiven Prozesses wird klar, wenn man die Subversion hierarchischer Oppositionen an den Motiv-Begriff bei Burke bindet. Dann zeigt sich, dass die Umwertung der terminologischen Opposition nicht einfach eine hermeneutische Praxis ist, sondern eine Umwälzung der lebensweltlichen Orientierung nach sich ziehen
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Das Untergründige, das Subversive ist stets das Verkehrende. In Opposition befindliche Charakteristika werden umgestürzt, Werte umgewertet, Hierarchien verdreht und Begriffe in ihre Gegenteile verkehrt. Diese Verkehrungen fallen aus zwei Gründen in den Gegenstandsbereich der Rhetorik. Zum einen hat diese Umwertung Einfluss auf gesellschaftliche Akzeptanzrahmen und Handlungsmöglichkeiten; kurz, im Sinne Burkes: sie kann veränderte Motive generieren helfen, die andere Situationszuschreibungen bedingen und damit handlungsbeeinflussend wirken. Zum anderen ist Subversion auch metatheoretisch mit rhetorischen Überzeugungsprozessen verbunden, insofern die Verkehrungen die Grundpfeiler der Überzeugungsmittel der klassischen Rhetorik – ethos, pathos und logos – betreffen. Eine Rhetorik der Subversion befasst sich mit dem Paradox, rhetorische Strategien zu untersuchen, die genutzt werden, um den persuasiven Prozess als solchen durch Verkehrungen der Rhetorik zu torpedieren. Eine Rhetorik der Subversion reicht in diesem Sinne an eine Rhetorik der Antirhetorik heran, genauer, der Antipersuasion. Um dies zu zeigen, werden fünf metarhetorische Verkehrungen untersucht. Für den Fortgang dieses Kapitels ist eine genaue Entwicklung dieser Verkehrungen notwendig, da diese als Wirkziele der Kommunikationsguerilla dienen, zur Erreichung derer sich im weiteren Verlauf konkrete Strategien der Kommunikationsguerilla benennen lassen. Subversion, verstanden als das Erkennen (intellectio) von hierarchischen Motiven und Verkehren derselben, bedient sich hierfür rhetorischer Taktiken, die insbesondere auch dann in Anschlag gebracht werden, wenn sich die Subversion auf den rhetorischen Prozess selbst bezieht. Die Rhetorik der Subversion der Kommunikationsguerilla ist vor allem dann spannend, wenn damit eine Subversion der Rhetorik verbunden ist. Denn dabei loten subversive Taktiken stets auch die Grenzen des Rhetorischen aus. Im Weiteren sollen fünf metarhetorische Verkehrungen unterschieden kann, denn die Dekonstruktion von Begriffen kann mit Burke als eine Dekonstruktion von Motiven beschrieben werden. Demnach ist es die Aufgabe einer subversiven Dekonstruktion, Begriffe überhaupt erstmal als Motive deutlich zu machen, das heißt, zu zeigen, dass diese Begriffe Situationen nicht nur beschreiben, sondern auch erzeugen und dabei innerhalb dieser Situationen bestimmte Handlungen als angemessen werten und andere als unangemessen disqualifizieren. Durch die Verkehrung von Oppositionen und Hierarchien kann ein perspektivischer Verfremdungseffekt eintreten, der diese Aufgabe zu erfüllen hilft und der stets in dem Grad wie dieser als verstörend und subversiv wahrgenommen wird, eben als eine ‚perspective by inconguity‘ (eine verzerrte, gestörte, unangemessene Perspektive) erscheint. Alles, was an politischem und bisweilen auch emanzipatorischem und aufklärerischem Potential subversiven Taktiken zugesprochen werden kann, findet letztlich eine gute Begründung darin, Subversion als eine Verkehrung von Motiven zu verstehen, ein Umstürzen eines Motiv-Zirkels in einen anderen, um letztlich beide zu demaskieren, auch um den Preis, durch die Demaskierung selbst wieder einem Motiv zu folgen, das seiner Dekonstruktion harrt.
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werden: 1. Subversion der Ernsthaftigkeit, 2. Subversion des rhetorischen Kalküls, 3. Subversion des ethos, 4. Subversion des pathos, 5. Subversion des logos. Dabei können die Erläuterungen dieser Subversionsformen im Weiteren nur ausschnitthaft bleiben. Selbige zielen vor allem darauf, zentrale Aspekte des Verhältnisses von Subversion und Rhetorik so zu entwickeln, dass sich daraus schließlich topoi der Kommunikationsguerilla ersehen und, nachdem diese topoi vorgestellt werden, direkt auf Phänomene der Kommunikationsguerilla anwenden lassen. 3.1 Subversion der Ernsthaftigkeit Ernsthaftigkeit gehört zu den Grundvoraussetzungen des rhetorischen Bemühens. Zum einen muss der orator (als vir bonus) selbst als ernsthaft angesehen werden, um seinen Äußerungen Glaubwürdigkeit verleihen zu können; zudem muss die vorgetragene Sache ernsthaft sein, insofern sie auch ernsthafte Veränderungen im Denken, Fühlen und Handeln des Publikums auszulösen sucht; schließlich muss aber auch die Art und Weise der Behandlung dieses Gegenstandes ernsthaft sein. Während der erste Fall eng mit dem ethos des Redners verknüpft ist, bezieht sich der zweite Fall eher auf das pathos, insofern die Einschätzung der Ernsthaftigkeit eines Redegegenstandes immer auch mit den Einstellungen, Meinungen (doxa) und Stimmungen des Publikums zusammenhängt. Beide Fälle werden in den jeweiligen Abschnitten zur Subversion des ethos und zur Subversion des pathos besprochen. Der dritte Fall schließlich gehört, insbesondere im gesellschaftlichen Rahmen, in den Bereich einer Verfahrenstechnik. Als solche gehört Ernsthaftigkeit zu den Grundpfeilern gesellschaftlicher Ordnung und regelt unter anderem Phänomene wie das Vertreten einer wissenschaftlichen Meinung, die Verfahrensweise von Gerichtsverhandlungen oder das Zustandekommen politischer Parteien.53 Was alle diese Phänomene im Kern gemeinsam haben, ist der Befund, dass das Zustandekommen eines Sprechaktes auch von der Ernsthaftigkeit abhängt mit der er vollzogen wird.54 Nach Odo Marquard gilt: „Komisch ist und zum Lachen reizt, was im offiziell Geltenden das Nichtige und im
53 Vgl. §2. Abs. 1 des deutschen Parteiengesetz: „Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.“ 54 Vgl. Austin 1972. S. 38-45 und S. 58-63.
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offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden lässt.“55 Demnach können Verfahrensabläufe dadurch subvertiert werden, dass innerhalb derselben geltende und für den Ablauf konstitutive Aspekte performativ für nichtig erklärt werden oder aber das für den Verfahrensablauf Irrelevante für das Verfahren selbst erklärt wird. In dieser Weise profitieren die Parodie, Komödie und die Satire besonders stark von derlei Verkehrungen. Gerade die klassische Komödie kann ihre kritische Funktion oftmals besonders stark entfalten, indem sie die Schauplätze aktueller politischer Ereignisse in ein trivialisierendes oder banalisierendes Setting verlegt und in dieser Weise entweder das Nichtige im Geltenden oder das Geltende im Nichtigen vor Augen stellt. In seiner Bestimmung der Komödie beschreibt Aristoteles diese daher wie folgt: „Die Komödie ist Nachahmung des Lächerlichen als einer besonderen Art des Hässlichen und Gemeinen: Es ist ein Mangel und etwas Schimpfliches, das aber weder schmerzt noch ins Verderben bringt.“56 Cicero führt diese Bestimmung weiter zu der Feststellung, dass das Komische eine gewisse Art der Hässlichkeit sei, die aber nicht hässlich dargestellt werde, dass es sich also um eine Form enttäuschter Erwartung handelt und das Resultat in keinem Verhältnis zu den Erwartungen zu stehen scheint.57 Als eine Subversion der Ernsthaftigkeit erscheint das subversive Moment – wie hier deutlich wird – als in enger Verwandtschaft zum Komischen und so findet sich das Subversive auch in alltäglichen Praktiken wieder: so beispielsweise auch innerhalb eines einfachen Kinderspiels, bei dem Kinder etwa Familie nachspielen und dabei die im häuslichen Umfeld beobachteten Rollenphänomene nachstellen. Was Kinder hier – durchaus ernsthaft – sichtbar machen, sind oftmals, gemessen am gesellschaftlichen Bild der Familie und aus dem Blickwinkel Erwachsener, Nichtigkeiten des Alltags, die durch ihr Spiel aus ihrem akzidentiellen Status in einen substantiellen transformiert werden. Einen subversiven Charakter allerdings bekommt dieses Spiel erst durch die Interpretation der Erwachsenen. Auch hierin zeigt sich die subversive Kraft der Burke‘schen perspective by incongruity.58 Von tatsächlicher Subversion sollte allerdings erst dann gesprochen werden, wenn die komische Verzerrung nicht allein auf der Bühne als bloßes Produkt etwa der Unterhaltungsindustrie bleibt, wo sie im Sinne Aristoteles vielleicht tatsächlich weder schmerzt noch ins Verderben bringt, sondern unvermittelt an Stellen auftritt, an denen sie nicht erwartbar ist. Kurz: Wenn sich eben 55 Zit. nach: Hügli, Anton: Lachen, das Lächerliche. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 5. Tübingen. Sp. 1-17. S. 15. 56 Aristoteles 2008. 1449a31-33. 57 Vgl. Hügli 2001. 58 Burke beschreibt die perspective by incongruity metaphorisch als „a method for gauging situations by verbal ‚atom cracking‘“ (Burke 1984. S. 308.). Darunter versteht er: „That is, a word belongs by custom to a certain category – and by rational planning you wrench it loose and metaphorically apply it to a different category“ (ebd.) Siehe dazu: Fußnote 52 in diesem Kapitel.
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nicht aus der Situation die komische Handlung bereits erahnen lässt, sondern durch subversive Motive überhaupt erst Situationen der komischen Verkehrung generiert werden. In Bezug auf Adbusting – das sei hier nur angemerkt – kann es dem zufolge einen Unterschied machen, ob die Umgestaltung der Plakate tatsächlich an konkreten Plakaten im urbanen Raum vorgenommen wurde, wo sie sich dem Passanten unvermittelt zeigen können, oder ob diese Umgestaltungen ‚nur‘ im Internet verbreitet werden, wo diese (zumeist) nur nach einer gezielten Suche gefunden werden können. 3.2 Subversion des rhetorischen Kalküls „You persuade a man only insofar as you can talk his language by speech, gesture, tonality, order, image, attitude, idea, identifying your ways with his.“59 Burke erklärt die wechselseitige Identifikation des orators mit dem Publikum und umgekehrt zur Basis des persuasiven Prozesses. Identifikation firmiert innerhalb der New Rhetoric als Kernbegriff um zu erklären, was überhaupt unter Persuasion verstanden werden kann.60 Rhetorik kommt demnach immer dann zum Tragen, wenn eine Trennung (division) durch Identifikationsangebote überwunden werden muss. Besonders wirksam sind rhetorische Strategien dabei, wenn die gemachten Identifikationsangebote nicht als welche erscheinen, die nur zum Zweck des attentum parare, der captatio benevolentiae oder im Dienste der perspicuitas gemacht werden, sondern wenn die rhetorische Kunst sich verbirgt und damit ‚natürlich‘ wirkt. Die dissimulatio artis61, das Verbergen der Kunst, steht daher im Mittelpunkt rhetorischer Strategien. Demnach stellt es eine zentrale Widerlegungsstrategie dar, die dissimulatio der gegnerischen Partei selbst wieder zu dissimulieren, also beispielsweise zu zeigen, dass das, was bei der gegnerischen Partei sich so natürlich anhörte und so gut zu den Vorstellungen des Publikums zu passen schien, schlichtweg Populismus und Bauernfängerei ist: das aber ist nichts anderes als die Subversion, die Zersetzung, des gegnerischen rhetorischen Kalküls. In diesem Fall wird die Subversion allerdings als ein Mittel gebraucht und ist nicht selbst der Zweck. Eine Rhetorik der Subversion muss aber auch den Grenzfall beleuchten, indem die Subversion als Zweck gedacht wird und sich gegen die eigenen Grundlagen der Persuasion richtet. Subversion als Zweck zu betrachten, heißt dann, sie als antipersuasiv zu verstehen. Grundsätzlich können dabei zwei Taktiken unterschieden werden. Zum einen kann die eigene dissimulatio fortwährend dissimuliert werden, was das Publikum derart in Unsicherheit versetzt, dass es schließlich überhaupt nicht mehr weiß, was es glauben und womit es sich identifizieren soll – die konsequent dekonstruierende Lektüre scheint in diese Richtung zu gehen. In diesem Fall werden zwar Identifikationsangebote gemacht, diese aber immer 59 Burke 1969a. S. 55. 60 Vgl. Richards, Jennifer: Rhetoric. London 2008. S. 161-175. Vgl. auch Kramer 2012. 61 Vgl. Népote-Desmarres/Tröger 1994. Vgl. auch Till 2009.
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wieder auch als solche klar zu erkennen gegeben.62 Zum andern kann aber auch das Angebot zur Identifikation konsequent vermieden werden. In diesem Falle wird die rhetorische Aktion, wo sie nicht schlichtweg unverständlich ist, viel Anstoß erregen und dadurch eine hohe Aufmerksamkeit auf sich ziehen können, obgleich sie wenig Zustimmung und Wohlwollen erfahren wird. Beleidigungen des Publikums, direkte Angriffe auf dasselbe, die nicht gerechtfertigt werden oder auch Verballhornung und Lächerlichmachen desselben sind typische Taktiken dieses Typs. In einer radikalen Form spielt dieser Typ der Subversion nicht mehr nur mit den Grenzen des Rhetorischen, sondern überschreitet diese und kann als rhetorisch misslungen gelten. In einer moderaten Form allerdings findet sich dieser Typ eingebettet in einen rhetorischen Prozess, der vor allem den Vorteil – die hohe Aufmerksamkeit – nutzen möchte, ohne jegliches Persuasionsbestreben deswegen aufgeben zu wollen. Als eine solche Form dient dieser Typus beispielsweise als Grundlage für aggressive Werbung, die auch auf die Gefahr hin, vielen an den Kopf zu stoßen, eine Marke oder ein Produkt auf dem Markt platzieren will. Zwar ist die Subversion in diesem Fall abermals nicht Zweck, sondern Mittel im persuasiven Prozess, wird aber als Zweck simuliert. Kurz: Als Mittel ist die Subversion ein gängiges Instrument zur Widerlegung und zum Angriff gegnerischer Positionen.63 Wird sie hingegen als Zweck simuliert, so verlassen wir jedes ethische Konzept eines orators als vir bonus und betreten das – durchaus rhetorische – Feld, das sich von Effekthascherei bis Guerilla-Marketing erstreckt. Als tatsächlicher Zweck bleibt die Subversion nur dann im Feld der Rhetorik, wenn diese als Dekonstruktion auftritt. Adbusting findet – wie bereits deutlich wurde und später noch ausführlicher gezeigt werden soll – in der gesamten Spannweite dieser Umgangsweisen mit der Subversion statt.
62 In dieser Weise scheint Kierkegaard die antipersuasive Rhetorik zu verstehen, als welche er die christliche Rede sieht. „Die antipersuasive Rhetorik darf nach Kierkegaard also nicht werben, sie empfiehlt insbesondere das Christentum nicht dem Wohlwollen des Hörers, sondern lässt ihn Anstoß daran nehmen. Das Christliche ist angreifend, die christliche Rede eine Provokation für den natürlichen Menschen. Auch darf nicht etwa ein dorniger Weg mit der Wahrscheinlichkeit des Heils aufgewogen werden, dieses ist vielmehr als das ganz Unwahrscheinliche darzustellen, das es ist. ‚Die christliche Beredsamkeit würde sich darin von der griechischen unterscheiden, dass sie es allein mit Unwahrscheinlichkeit zu tun hat, mit dem Zeigen, dass es unwahrscheinlich ist, so dass man es glauben kann‘“ (Hagemann 2012. S. 47.). 63 Insbesondere, wenn es darum geht die Argumentationsschritte des Gegners als trügerisch zu entlarven. In dieser Weise könnten auch Aristoteles Sophistische Widerlegungen und Schopenhauers eristische Rhetorik gelesen werden.
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3.3 Subversion des ethos Das ethos stellt eines der drei Überzeugungsmittel der klassischen Rhetorik dar und bezeichnet diejenigen Überzeugungsgründe, die sich durch den Charakter des orators ergeben. Dabei ist nicht die tatsächliche Übereinstimmung der Vorstellung, die ein Publikum von einem orator hat, mit dessen Wertvorstellungen und seiner tatsächlichen Lebensführung primär, sondern die Selbstdarstellung des orators im Anschluss an das, was an Vorstellungen und Vorurteilen über diesen bereits vorhanden ist. In dieser Weise dient beispielsweise die Ankündigungen eines Redners auf einer Tagungen bereits dem Aufbau des ethos, indem dessen Sachverstand betont wird; kleine Eingeständnisse eigener Schwächen stärken das ethos durch die Betonung der eigenen Tugendhaftigkeit; und wenn ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat vor einem Publikum von Farmern sagt, „I was a farm boy myself“64, so bietet dieser jenen eine Identifikationsbasis, die neben seiner Einsicht auch sein Wohlwollen gegenüber der Gruppe von Farmern herausheben soll. Einsicht, Tugend und Wohlwollen stellen für die griechische Rhetorik und in deren Anschluss auch darüber hinaus die Dimensionen des ethos dar.65 Eine Subversion des ethos wird folglich drei Angriffsstellen finden: Ein Untergraben von Einsicht, Tugendhaftigkeit oder Wohlwollen, zudem aber auch die Möglichkeit der Suspendierung der gesamten Kategorie des ethos. Mögliche Taktiken die genutzt werden sind jegliche Formen eines ‚ethos-Parasitismus‘, die von parodistischen oder satirischen Imitationen bis zum übertriebenen Nachäffen reichen und vor allem den orator lächerlich machen sollen.66 Dies wird umso leichter fallen, je höher das ethos des orators im Zuge seiner Inszenierung proklamiert wird und je größer damit der Bruch ausfällt. Tatsächlich parasitär kann das ethos des Gegners aber auch genutzt werden, um Fälschungen, Falschmeldungen, falsche Zitationen und Fakes zu produzieren, die entweder zur Legitimation und Affirmation genutzt werden und diese aus dem parasitären Gebrauch eines fremden ethos ziehen – worauf in Kapitel VI zurückzukommen sein wird – oder aber das ethos des Gegners selbst unterwandern. Dies wird umso leichter und erfolgreicher sein, wenn mit ethos nicht nur eine Größe, die einem Redner zukommt, gemeint ist, sondern auch in Bezug gesetzt wird zu dem, was mit Image in Bezug auf Unternehmen 64 Burke 1969a. S. XIV. 65 Vgl. Platon Gorg. Hierin wird Kallikles zum Prüfstein der Wahrheit erklärt und das deshalb, weil Kallikles sich durch Wissen, guten Willen und Offenheit auszeichnet. Platon zitiert damit keine Wahrheitstheorie, wie er sie selbst vertreten würde, sondern eher einen pragmatischen Umgang mit der Wahrheit, wie er innerhalb der Rhetorik bedeutsam ist. Im Grunde geht es hier daher weniger um Wahrheit als um Wahrhaftigkeit. vgl. auch Arist. Rhet. 1378a15f. 66 Wie Gorgias feststellt, muss man den Ernst des Gegners durch Gelächter zunichtemachen und sein Gelächter durch eifrigen Ernst. Vgl. Hügli 2001. Sp. 4.
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und Konzerne gemeint ist. Gerade große Marken etablieren mit ihrer corporate identity Zeichen, die für die Wertvorstellungen des Unternehmens stehen sollen und die sich leicht zu subversiven Zwecken verwenden und verfremden lassen.67 Wir werden auf diese Strategie noch zurückkommen. Hier seien daher vorerst lediglich zwei Beispiele eines subversiven Umgangs mit Markenzeichen gegeben: Zum einen in Anspielung auf die Ölkatastrophe 2010 (Abbildung 31), zum anderen in Anspielung auf die als ‚Dumpinglöhne‘ empfundene Bezahlung bei Lebensmitteldiscountern (Abbildung 32). Abbildung 31 (links) und 32 (rechts)
Ein mögliches Resultat gelungener Taktiken einer Subversion des ethos liegt schließlich in der Suspendierung der gesamten Kategorie, indem sie auch hier – wie schon
67 Unter Verweis auf David Ogilvy – „a brand is the costumers idea of a product“ (Zec, Peter: Die Rolle des Design bei der Entwicklung von Marken. In: Die Marke. Symbolkraft eines Zeichensystems. Hrsg. von Manfred Bruhn. Bern 2001. S. 227-250. Hier: S. 229.) –, entwickelt Zec ein Verständnis der Marke als Idee, die in Wechselwirkung mit anderen Ideen steht. Die Marke bezeichnet für Zec die nicht statische Vorstellung, die der Konsument von den Produkten, aber auch vom Unternehmen hat. Er schreibt: „Auch wenn immer wieder scheint, als würde ein besonderes Charakteristikum der Marke in ihrer eindeutigen Identifizierbarkeit bestehen, so trügt dieser Schein, indem er den Blick auf das Wesentliche der Marke verstellt. Die besteht nämlich darin, dass die Marke immer sowohl durch Mehrdeutigkeit als auch durch Selbstähnlichkeit gekennzeichnet sein muss, um Marke zu bleiben.“ (Ebd. S. 231.)
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bei anderen Formen der Subversion – in ihren Strategien der ethos-Generierung offengelegt wird. In Abgrenzung zu subversiven Taktiken der Suspendierung der ethosKategorie, muss schließlich noch ein nicht subversiver Fall erwähnt werden: Insofern ethos ein Überzeugungsmittel darstellt, das die Unterscheidung von Genese und Geltung aufhebt und die Geltung eines Gedankens, im Sinne seiner Glaubwürdigkeit, abhängig macht von seiner Genese, vor allem von der Person oder Institution, die diesen vertritt, stellt es eine gängige Strategie dar, gerade im Falle eines zweifelhaften ethos, die Unterscheidung von Genese und Geltung in Anschlag zu bringen. Diese Praxis kann allerdings nicht subversiv genannt werden, denn sie untergräbt nicht die Kategorie durch eine Verkehrung, sondern weicht zu einer logos-Argumentation aus, um persuasiv das ethos-Defizit deckeln zu können. 3.4 Subversion des pathos Pathos ist das Überzeugungsmittel, das vor allem mit den Affekten des Publikums arbeitet. Gerade emotionalere Themen und solche, zu denen stark ausgeprägte gesellschaftliche Vorstellungen, Normen und Konventionen existieren, lassen sich kaum ohne Anknüpfung (im Sinne einer Identifikation) an dieselben erörtern. Ein Verfehlen des pathos hat folglich mehrere Gesichter: Zum einen kann die vollkommene Vernachlässigung des pathos dazu führen, dass dem orator Einfühlungsvermögen, Wohlwollen oder gar Sachverstand abgesprochen wird (ethos-Schädigung), zum anderen erzeugt pathos immer mehr oder weniger starke Affekte, die, wenn sie richtig genutzt werden, die Aufmerksamkeit und die Bereitschaft des Publikums, sich überzeugen zu lassen, erhöht, allerdings auch negativ auf den orator zurückfallen kann. Eine genaue Kenntnis dessen, was das Publikum für Wert und Unwert hält, ist daher die Voraussetzung gelungener pathos-Argumentation und ebenso gelungener Subversion des pathos. Gegenstand der persuasiven Rede ist im Bereich des pathos vor allem der positive Bezug zum gesellschaftlich Wünschenswerten, Geachteten, kurz, dem Normalen und der negative Bezug zum gesellschaftlich Geächteten, Verachteten, kurz, dem im weitesten Sinne Perversen.68 Eine Subversion des pathos besteht 68 Als Anmerkung sei Folgendes zu verstehen: Im öffentlichen Diskurs wird ‚normal‘ häufig als Kampfbegriff und auch in Opposition zum Begriff ‚Perversion‘ verstanden. Als solcher beruht er weniger auf einer klaren Definition als auf aktuell anerkannten Wertvorstellungen. Ähnlich wie der Begriff des ‚Natürlichen‘, wird die Proklamation des ‚Normalen‘ je nach Kontext zur Begründung von letztlich beliebigen, auch widersprüchlichen Thesen gebraucht. Hierbei meint Beliebigkeit nicht, dass in einem bestimmten kulturellen Kontext und in bestimmter situativer Verortung tatsächlich jede mögliche These sich durch Rückgriff auf das ‚Normale‘ rechtfertigen ließe, wohl aber, dass dies zum einen über Zeiten und Kulturen hinweg durchaus so erscheint, als auch, dass auch in einem bestimmten kulturellen Setting sich stets auch widersprüchliche Thesen gleichermaßen durch einen solchen
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folglich vor allem darin, Normalität und Perversion als hierarchische Oppositionen zu erkennen und zu verkehren. Das Normale ist pervers, das Perverse ist normal. Dies gilt umso mehr, wenn unter Perversion nicht nur der sexuelle Normverstoß verstanden wird, sondern die Perversion (in perversum – in falscher, verkehrter Weise) allgemein einen Verstoß gegen Normen meint. Subversion ist demnach immer Perversion – auch wenn nicht jede Perversion subversiv sein muss. Insofern eine solche Verkehrung eben nicht eine breite Identifikationsbasis bietet, sondern eher die Trennung (division) forciert, zeigt sich der Bezug zur Subversion des rhetorischen Kalküls. Mögliche Taktiken im Dienste einer Subversion des pathos sind durch den Gebrauch verfremdender oder brechender Effekte gegeben. So kann der gezielte Einsatz von Vulgärsprache ebenso dienlich sein wie provokative Obszönitäten oder auch das Lächerlichmachen von gängigen Wertvorstellungen. Eine besondere Form der Subversion des pathos ist somit auch der Zynismus, wobei darunter „die Weigerung dem menschlichen Leiden und Handeln etwas Tragisches zuzugestehen“69 verstanden werden kann. In dieser Bestimmung des Zynismus wird deutlich, dass zynisches
Rückgriff legitimieren zu lassen scheinen. ‚Perversion‘ fasst in einer allgemeinen Bedeutung, als das Verkehrte, das was entgegen anerkannter Normen getan wird, gleich eine ganze Bandbreite von möglichen Gegenbegriffen zum ‚Normalen‘, unter anderem: das Asoziale, das Verrückte, „Unlust an Arbeit, Störung des Lebens- und Familienglückes anderer Menschen, Lust am Verbrechen, sexuelle Normverstöße“ (Pfäfflin, Friedemann: Perversion. In. Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 7. Basel 1994. Sp. 379-382. Hier: Sp. 379.). Folgendes sei zur weiteren Lektüre auch in diese Richtung noch angemerkt: Den hier umrissenen Bedeutungsaspekt des Begriffes ‚normal‘ beschriebt auch Jürgen Link in seinem Versuch über den Normalismus. Dort schreibt er, dass der Begriff ‚Normalität‘, der zwar durchaus als „‘Reizwort‘ wahrgenommen wird und allerlei polemischen Lärm auslöst“, oftmals auch dann „im toten Winkel der theoretischen Reflexion“ verharrt, wenn dieser Begriff eine diskurstragende Kategorie umschreibt (Link, Jürgen: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Opladen 1999. S. 15.). Link weist unter anderem darauf hin, wie insbesondere der „fixistische Protonormalismus“ (ebd. S. 75ff.) einen Diskurs bestimmte, aus dem heraus auch Konzepte der ‚Entartung‘, der ‚Sozialhygiene‘, der ‚Vergiftung‘ oder ‚Ansteckung‘ befeuert wurden, womit gerade diese Diskussionen um Normalität nicht zuletzt auch zu Stichwortgebern des Faschismus und Nazismus werden konnten. (vgl. ebd. S. 236f.) Links eigener Normalitätsbegriff baut schließlich auf der Trennung von ‚Normalität‘ und ‚Normativität‘ auf. (vgl. ebd. S. 341ff.) 69 Zinsmaier, Thomas: Zynismus, Kynismus. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 1594-1606. Hier: Sp. 1601.
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Abbildung 33 (oben) und Abbildung 34 und 35 (unten)
Sprachhandeln auf einer Negation von Wertvorstellungen und damit des gesamten pathos beruht. In dieser Weise kann auch Oscar Wilde sagen: „Cynicism is merely the art of seeing things as they are instead of as they ought to be.”70 Insofern es kaum einen gesellschaftlich relevanten Redegegenstand geben wird, der vollkommen frei von pathos und vollkommen unabhängig von Wertvorstellungen überhaupt existiert, stellt der Zynismus immer auch eine perspective by incongruity dar, die nicht nur einen ungewohnten, bisweilen schockierenden und befremdenden Blick auf den Gegenstand zulässt, sondern sogar den Gegenstand als gesellschaftlich relevanten Gegenstand der Untersuchung aufzuheben in der Lage ist. Eine Subversion des pathos durch Zynismus untergräbt in dieser Weise dann auch breite gesellschaftliche Relevanzsetzungen. Beispielsweise untergräbt die hier gemimte Lego-Werbung durch ihre vermeintlich ernsthafte aber in ihrer Darstellung überzogene und daher auch lächerlich wirkende Medienkritik, nicht nur den Wert der medienkritischen Auseinandersetzung mit Gewalt und ‚falschen Vorbildern‘ im TV-Programm, sondern wirkt 70 Zit. nach: Ebd. Sp. 1602.
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zudem zynisch in Anbetracht von tatsächlicher Gewalt, Drogenmissbrauch und Prostitution (Abbildung 33, 34 und 35). 3.5 Subversion des logos Als eine fünfte Form der Subversion kann die Subversion des logos angesehen werden. Dabei geht es nicht um eine Widerlegung oder einen Angriff auf die Argumentationsstruktur des Gegners, einem Aufzeigen, dass die gegnerische Argumentation eine Scheinargumentation ist und damit logisch nicht haltbar, denn diese Widerlegung belässt die Struktur des logos intakt. Subversiv zu nennen wäre hingegen ein Untergraben der Möglichkeit des logos überhaupt, etwa durch eine Verkehrung von Sinn und Unsinn. In diesem Sinne haben sich etwa auf künstlerischem Gebiet vor allem die Avantgarde, und hierbei besonders der Dadaismus, als subversiv herausgestellt, indem letzterer die Verbindung von Wort (verba) und Bedeutung (res) radikal abschneidet. In der wohl offensichtlichsten Opposition innerhalb des res-verba-Problems, zwischen einer absoluten Determination, die Richards als „a proper meaning superstition“71 bezeichnet, und einer absoluten Indetermination, nach der Worte schlichtweg nichts bedeuten, bewegt sich die Rhetorik als die Lehre, deren Gegenstände immer auch anderes bedeuten können72, stets zwischen den Polen. Dadaistische Lautgedichte, Collagen, Performances und andere Darbietungsformen reizen hingegen die Grenzen der Bedeutungsvielfalt bis zum Verschwinden der Möglichkeit von Bedeutungszuschreibungen überhaupt aus. Wenn Kurt Schwitters sagt, der Künstler schaffe durch „Wahl, Verteilung und Entformung“73, so schließt er zum einen klar an die rhetorischen Produktionsphasen inventio, dispositio und elocutio an. Zum anderen aber meint die elocutio, als Entformung, in den Worten Schwitters ein „Aussaugen des Eigengiftes“74 der verwendeten Materialien, kurz: eine (im Idealfall) vollkommene Sinnentleerung. Zwar kann auf der einen Seite gesagt werden, dass eine tatsächlich jeden Sinn in Unsinn verwandelnde Aktion – sei es eine Rede, ein Happening oder etwas anderes – schlichtweg aus dem Bereich der Rhetorik fällt, allerdings bleibt eben diese Verwandlungsleistung an rhetorische Taktiken gebunden. So sehr es eine rhetorische Leistung darstellt, Bedeutungszuschreibungen durch ein Publikum so zu lenken, dass der orator sagen kann, er wurde verstanden, so sehr stellt es ebenso eine rhetorische Leistung dar, Bedeutungszuschreibungen konsequent ins Leere laufen zu lassen. Die für beide Zwecke gewählten Verfahren werden – unter umgekehrten Vorzeichen – höchstwahrscheinlich sogar dieselben sein. In diesem 71 Richards 1965. S. 11. 72 Vgl. Arist. Rhet. 1357a12. 73 Zit. nach: Wiesing, Lambert: Stil statt Wahrheit. Kurt Schwiters und Ludwig Wittgenstein über ästhetische Lebensformen. München 1991. S. 21. 74 Zit. nach: Ebd. S. 102.
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Sinne ist die Subversion des logos gegründet auf einen radikalen Verstoß gegen die rhetorischen Tugenden der perspicuitas, latinitas und des ornatus. Auch wenn diese Form in ihrer Radikalität kaum Anwendung im Bereich des Adbustings findet, so stellt sie doch durchaus eine gängige Zielstellung der Kommunikationsguerilla dar. In diesem Sinne zumindest scheint Jean Baudrillard die New Yorker Graffiti-tags zu verstehen:75 Als einer der ersten, der sich mit dem Phänomen ‚Graffiti‘ in New York wissenschaftlich auseinandersetzt, gehört Jean Baudrillard, der unter Graffiti vor allem tags versteht. Tags sind (fiktive) Namenszüge und Namenskürzel, die innerhalb eines Stadtgebietes angebracht werden. Ziel des Akteurs ist es, seinen tag so oft und an so vielen verschiedenen Orten wie möglich zu platzieren und damit der Verbreitung (fame) seines ‚Namens‘ zu dienen. Diese tags versteht Baudrillard als „leere Signifikanten“76, die die herrschenden Codes dadurch stören, dass diesen Zeichen keine Bedeutung (aus szeneexterner Perspektive) zugeschrieben werden kann. Tags betreiben damit eine Subversion des logos, die ihr subversives Potential gerade darin zeige, dass sie „die symbolische Dekonstruktion der sozialen Zusammenhänge“77 durch Guerilla-Taktiken auf die Spitze treibe, deren Kraft eben gerade auf ihrer Leere an Inhalt und Botschaft beruhe. Baudrillard kann in diesem Sinne als Advokat der subversiven Kraft des Graffiti gelten, der allerdings auch betont, dass ein solches Phänomen nicht von langer Dauer sein könne. Dass Graffiti als ein „Aufstand der Zeichen“78 nicht von langer Dauer sein kann, wird nicht dadurch widerlegt, dass Graffiti als Wandauftrag heute (über 40 Jahre nach Baudrillards Aufsatz) noch existieren, sondern zeigt seine Wahrheit eben gerade darin, dass Graffiti heute keine leeren Signifikanten mehr sind und auch nicht zwingend im Dienste irgendeiner Undergroundbewegung stehen. Wenn über Graffiti als womöglich subversives Kommunikationsmittel gesprochen werden soll, so muss dem unterschiedlichen Status des Phänomens aus szeneinterner und szeneexterner Perspektive Rechnung getragen werden. Innerhalb der Szene der Akteure ist es zweifelhaft, ob diese Zeichen überhaupt jemals als leere Signifikanten angesehen werden konnten, denn immerhin entwickelt die Graffiti-(Sub)Kultur ein breites Spektrum an kommunikativen Codes durch tags, pieces und styles. Dass diese von außerhalb der Szene als bedeutungsleer – oder wenigstens doch als bedeutungsoffen – wahrgenommen werden, gehört schließlich zum Gegen-
75 Vgl. Baudrillard, Jean: Kool Killer oder der Aufstand der Zeichen. In: Ders.: Der symbolische Tausch und der Tod. München 1991. S. 120- 130. 76 Ebd. S. 123. Im Anschluss an Baudrillard bezeichnet Ralf Beuthan Graffiti als Anti-Diskurs, vgl. Beuthan, Ralf: Was ist Graffiti? Versuch einer philosophischen Bestimmung. In: Was ist Graffiti? Hrsg. von Ders. und Pierre Smolarski. Würzburg 2011. S. 121-139. 77 Baudrillard 1991. S. 121. 78 Ebd. S. 124.
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stand des Graffitiphänomens substantiell dazu. Gerade dieses Wechselspiel aus szeneinterner Identifizierbarkeit und szeneexterner Verschlossenheit, stellt das Phänomen Graffiti in einen Bezug zur „Sklavensprache“79, die eine Kommunikationsform bezeichnet, die sich explizit durch eine radikale Unverständlichkeit durch Externe auszeichnet. Als Sklavensprache sind Graffiti als Kommunikationsmittel nicht schon per se subversiv; obgleich Kommunikationscodes umgangen werden, geht es eben nicht – entgegen Baudrillard – um ein Umstürzen der kommunikativen Codes. Allerdings vollziehen Graffiti, wie Beuthan betont, einen regelgeleiteten Regelbruch auf mehreren Ebenen, die sich in Schichten übereinanderlegen:80 Auf der untersten Schicht steht demnach der Regelverstoß gegen das Eigentum an der Wand selbst, der szeneinternen Regeln wie u.a. der bestmöglichen Platzierung für den meisten fame folgt. Auf der zweiten Schicht werden Graffiti von anderen Graffiti überlagert (crossen) und schließlich – im Sinne einer Subversion des logos – wird mit der Regel gebrochen, dass jede Mitteilung auch eine verständliche Aussage formulieren sollte. Nach Beuthan ergibt sich aus alle dem eine „Verschiebung von einer sozialen zu einer ästhetischen Regelhaftigkeit“81 und das in einem Raum (dem urbanen, öffentlichen Raum), der vor allem als sozialer und weit weniger als ästhetischer Raum wahrgenommen wird. Insofern diese Verschiebung allerdings eher das Ergebnis des Phänomens Graffiti ist und weniger an der konkreten Formsprache einzelner Graffiti hängt, ist das subversive Potential des Graffiti vor allem performativ, was freilich nicht ausschließt, dass bestimmte Formen einer solchen Verschiebung angemessener sein können als andere. Persönliche, politische oder pornographische Statements erscheinen hierbei unangemessener als tags, characters und style-writings. Das Untergründige an Graffiti liegt nach der hier vorgeschlagenen Terminologie also vor allem im Bereich einer Subversion des logos, nach dem die Sperrigkeit der Graffiti letztlich zu einem Überdenken der mitunter als in Opposition befindlichen Kategorien des öffentlichen Raumes als kommunalem Raum sozialer Erfahrungen versus individuellem Raum ästhetischer Erfahrungen führt. Graffiti verweigern dem szeneexternen Betrachter eine schnelle Sinnzuschreibung und erklären performativ den kommunalen Raum zum ‚ästhetischen Chatroom‘82, in dem der Betrachter jederzeit antworten kann, auch wenn er sich nie sicher sein kann, dass seine Antwort überhaupt gesehen wird. Regina Blume bezeichnet Graffiti daher, durchaus im Sinne einer Subversion 79 Siehe dazu: Stein, Peter: Sklavensprache. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 8. Tübingen 2007. Sp. 942-946. 80 Beuthan 2011. S. 134f.: siehe auch: Semmig, Anka: Graffiti. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 356-361. 81 Beuthan 2011. S. 135. 82 Vgl. Smolarski, Pierre: Ein Versuch über die Linie – Graffiti zwischen Spielkultur und Ästhetisierungsprozess und die Linie als ‚Mythos im Werden‘. In: Was ist Graffiti? Hrsg. von Ders. und Ralf Beuthan. Würzburg 2011. S. 50-66.
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des logos, als „deflective communication“83, die die Urheber der Graffiti von sozialen Normen und Konventionen befreit und Regeln des aptum weiten teils außer Kraft setzt.84
4. S TRATEGIEN DES ADBUSTINGS Nachdem innerhalb der eben skizzierten Rhetorik der Subversion die Wirkziele der Kommunikationsguerilla und insbesondere des Adbustings entwickelt worden sind, wenden wir uns nun dem Versuch einer formalen Typologie rhetorischer Strategien des Adbustings zu. Nachfolgend werden hierzu beispielhaft fünf Strategien des Adbustings vorgestellt, die es vorab kurz in der Reihenfolge, wie sie behandelt werden sollen, zu benennen gilt: 1) die werberhetorische Konklusion fokussiert auf die Rolle des Markenzeichens und zeigt Möglichkeiten eines subversiven Angriffs des ethos; 2) die bildrhetorische Induktion erzeugt oder nutzt Inkonsistenzen im Bildteil; 3) der Angriff auf die identifizierende Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft und 4) der Angriff auf die interpretierende Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft, die jeweils mit dem Text-Bild-Bezug arbeiten. Schließlich soll 5) das Spiel mit dem Rahmen thematisiert werden. Da es insbesondere für die Strategien 2, 3 und 4 notwendig ist, die Bildrhetorik Roland Barthes einzuführen, soll diese hier kurz vorab entwickelt werden, da dieser das strukturelle Verhältnis von Text und Bild in Werbeanzeigen untersucht.85 Barthes unterscheidet zu diesem Zweck drei Ebenen der Botschaft des Werbeplakats: die sprachliche Botschaft, die nicht kodierte bildliche Botschaft und die kodierte bildliche Botschaft. Die Beziehung dieser drei Botschaften ließe sich im Sinne Barthes wie folgt paraphrasieren: Die bildliche Darstellung – Barthes geht dabei von der fotografischen Darstellung aus – stellt einen denotierenden Bezug zwischen den abgebildeten Gegenständen und deren ‚Urbildern‘, kurz, der ‚Welt‘, her. Ist auch das fotografische Bild nicht das Wirkliche, so ist dieses für Barthes doch das „perfekte Analogon davon, und für den gesunden Menschenverstand wird die Photographie gerade durch diese analogische Perfektion definiert. Somit tritt der Sonderstatus des photographischen Bildes hervor: Es ist eine Botschaft ohne Code; ein Lehrsatz, aus dem man sofort eine 83 Zit. nach: Semmig 2012. S. 360. 84 Vgl. Semmig 2012. 85 Vgl. Barthes, Roland: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn. Frankfurt am Main 1990. S. 11-66. Die Bezugnahme auf Barthes rechtfertigt sich insbesondere dadurch, dass auf dieser Grundlage sich formale Strategien des Adbustings im Sinne von subversiven Nutzungen von potentiellen Bruchstellen zwischen den Bild-Text-Bezügen konstruieren lassen.
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wichtige Folgerung ableiten muss: Die photographische Botschaft ist eine kontinuierliche Botschaft.“86
Diese Botschaft ohne Code ist die Basis, von der aus sich die Wirkung der persuasiven Botschaft entfalten kann, sie stellt einen Bezug zur Realität des Rezipienten her und wirkt sich auf die Gesamtbotschaft naturalisierend aus. Über den rein denotierenden Bezug des fotografischen Bildes legt sich ein konnotierender Bezug. Barthes meint vollkommen zu recht, dass diese „Dualität der Botschaft“87 in allen Reproduktionen evident ist. Die Konnotation tritt zu einem Bild quasi notwendig hinzu, denn es lässt sich kein Bild herstellen, das allein ein ‚Was‘ zeigt, ohne zugleich auch ein ‚Wie‘ zu zeigen. Das ‚Wie‘ aber, der Darstellungsstil, bringt schon zum Ausdruck, wie ein Bildverwender über die dargestellte Sache (vermutlich) denkt. Barthes irrt jedoch, wenn er meint, dass die Fotografie davon eine Ausnahme bilden würde, vielmehr gehört ihr ‚Naturalismus‘ gerade auch zur Darstellungsweise, die, und das beschreibt Barthes wieder zutreffend, das „Gefühl der Denotation“88 im Betrachter stärker betont. Neben den Darstellungsweisen besteht „der Code des konnotierten Systems entweder aus einer universalen Symbolik oder aus der Rhetorik einer Epoche (Schemata, Farben, Schriftzüge, Gesten, Ausdrücke, Gruppierungen von Elementen)“89, aus denen sich die Darstellungsweise unter anderem zusammensetzt. Die sprachliche Botschaft tritt hier hinzu und stellt in dem Gesamtgefüge einen repressiven Wert dar, der parasitär von der ‚Unschuld‘ des Bildes profitiert. Das heißt, dass der Text die semantische Fülle des Bildes in eine gewisse Richtung so verengt, dass auf diesem genau das sichtbar wird, was in der Redeabsicht von Bedeutung ist. Insofern kann von einem repressiven Wert gesprochen werden. Die ‚Unschuld‘ des Bildes bezeichnet eben genau dieses ‚Gefühl der Denotation‘, das ein naturalistisches Foto im Betrachter auslöst. Auf diese Weise kommt es zu einer parasitären Nutzung des Bildes durch die Schrift, da letztere somit selbst ‚naturalisiert‘ wird. „Das denotierte Bild naturalisiert die symbolische Botschaft, es lässt den (vor allem in der Werbung) sehr differenzierten semantischen Trick der Konnotation unschuldig erscheinen.“90 Was Roland Barthes hier als eine Rhetorik des Bildes entwirft, verdeutlicht treffend einen wesentlichen Punkt in der Rhetorik des Adbustings. Denn aus Sicht der Adbuster ergeben sich aus der Dreiteilung der Botschaft, die Barthes ausführt, topoi
86 Ebd. S. 13. 87 Ebd. 88 Ebd. S. 14. 89 Ebd. S. 13. 90 Ebd. S. 40.
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zur Auffindung von ‚Sollbruchstellen‘91. Diese bezeichnen die Verbindungen, die die einzelnen Botschaften eingehen. Als solche Sollbruchstellen sind aufzuführen: 1. Die Naturalisierung der kodierten bildlichen Botschaft durch den Naturalismus beziehungsweise durch die ‚Unschuld‘ der (vermeintlich) nicht kodierten bildlichen Botschaft; 2. die Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft gegenüber der nicht kodierten bildlichen Botschaft, also die Identifizierung92; 3. die Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft gegenüber der kodierten bildlichen Botschaft, also die Interpretation. Der erste topos zur Auffindung der ‚Sollbruchstelle‘ fällt in den Gegenstandsbereich einer Bildrhetorik und fragt vor allem nach dem Verhältnis von Darstellungsweise und konkreter Darstellung. Die topoi in Punkt zwei und drei beziehen sich hingegen auf das multimediale Ereignis und fragen nach den Schnittstellen von Text und Bild. Nachfolgend sollen die sich daraus für das Adbusting ergebenden rhetorischen Strategien herausgestellt werden. 4.1 Werberhetorische Konklusion Insofern die Struktur aus Text, Bild und Markenzeichen als eine ordo naturalis93 des Werbeplakats bezeichnet werden kann, stellt es eine rhetorische Strategie dar, diese
91 Die Verbindungsstellen der einzelnen Botschaften sind freilich nur aus der Sicht der Adbuster ‚Sollbruchstellen‘. 92 Im Weiteren soll zur besseren Verständlichkeit zwischen Identifizierung und Identifikation unterschieden werden. Ersteres bezeichnet einen topos zur Auffindung einer rhetorischen Strategie des Adbusts, letzteres hingegen benennt nach Burke die Basis der Persuasion überhaupt. Genauer stellt die Identifizierung eine semantische Identifikation dar. 93 Die ordo naturalis bezeichnet in der antiken Rhetorik die Abfolge der einzelnen Redeteile, so schreibt Cicero: „Denn, daß wir etwas zum Eingang sagen, denn daß wir die Sache selbst auseinandersetzen, nachher sie beweisen, indem wir unsere Beweismittel bekräftigen und die des Gegners widerlegen, endlich daß wir aus dem Ganzen Folgerungen ziehen und so den Redeschluß bilden, das schreibt schon die Natur der Rede vor“ (Cicero 2003. 2,76,307.). Die ordo naturalis ist also die natürliche Disposition der Redeteile. Auch für das Werbeplakat lässt sich eine Anordnung der ‚Redeteile‘ ausmachen, die insofern als ordo naturalis zu bezeichnen ist, als sie sich an der natürlichen Wahrnehmung des Rezipienten ausrichtet. Neben den drei genannten – Markenzeichen, Textteil, Bildteil – können innerhalb dieser noch weitere ausgemacht werden, man denke beispielsweise an den Teaser, die Headline oder die narrativen Textbestandteile. Auch wenn eine eineindeutige Zuordnung der einzelnen Redeteile – exordium, narratio, argumentatio, peroratio – im Allgemeinen sicherlich nicht bestimmt werden kann, so kann doch indirekt auf die Möglichkeit einer natürlichen Ordnung geschlossen werden. Denn gerade da, wo diese fehlt
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zu durchbrechen und in Form einer ordo artificialis etwa die Werbebotschaft komplett auf das Zeigen des Markenzeichens zu reduzieren. Dies ist möglich, wenn die Marke mit zunehmender Bedeutung und damit zunehmender Aussagekraft der Marke und des durch diese bedeuteten Images kommunikative Eigenständigkeit erlangt.94 Übertragen auf Adbusts heißt dies aber auch, dass ein derart kommunikativ eigenständiges Markenzeichen auch gezielt auf- und angegriffen werden kann. Ein Angriff des Markenzeichens stellt einen Angriff des ethos dar und wie schon ausführlich beschrieben wurde, ist die Dekonstruktion des ethos eines der Hauptziele rhetorisch gelungener Adbusts. Während dieses auf sprachlicher Ebene vor allem heißt, den Text zu bearbeiten und so den Zusammenhalt von Sentenzen und Redner zu destruieren, kann auf bildlicher Ebene eine Umgestaltung des Markenzeichens ein rhetorisch gelungenes Adbust darstellen. Ein Beispiel (Abbildung 36): Das Coca-Cola-Markenzeichen besteht aus dem Schriftzug ‚Enjoy Coca-Cola‘ in einer seit 1913 verwendeten Kombination aus Kalligrafie und Typografie. Aufgrund seiner weiten Verbreitung und langjährigen Geschichte ist dieser Schriftzug so bekannt, dass ein Werben mit diesem allein möglich ist. Adbuster veränderten den Schriftzug in ‚Enjoy Capitalism‘ und benutzten dieselbe Kalligrafie-Typografie-Kombination. Solcherart bedruckte Sticker klebten zeitweise an unzähligen Orten innerhalb des urbanen Raums (etwa 2010 in Jena). Abbildung 36
und durch Weglassen einzelner Teile zu einer ordo artificiales wird, wird durch das Fehlen die Aufmerksamkeit des Betrachters (attentum parare) verstärkt. 94 Vgl. Schüler, Dominic: Kommunikation am Markt. Rhetorik – Medien – Werbung – Konsum. Tübingen 2008. S. 78.
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Aufgrund der Ähnlichkeit mit dem originalen Markenzeichen, wird die bildliche Bezugnahme auf Coca-Cola in vollem Maße ausgenutzt. Zugleich wird aber eine sprachliche Botschaft installiert, die die bildliche Distributionsleistung des Markenzeichens95 ausnutzt und ‚Coca-Cola‘ mit ‚Captalism‘ gleichsetzt. Rhetorisch interessant – und wesentlich deutlicher in seiner Kapitalismuskritik – ist auch die Nutzung der mit dem Markenzeichen assoziierten Inhalte, wenn, wie im folgenden Beispiel (Abbildung 37), diese ‚Aussagen‘ der Marke mit einer bildlichen Darstellung kombiniert werden. Die antithetische Gegenüberstellung des fettleibigen Kindes mit ausladendem und gebieterischem Zeigegestus im Vordergrund, das schon mit gegensätzlichen Attributen wie dem McDonalds-Softdrink und dem Sportdress ausgestattet ist – und somit zum Sinnbild für die ‚amerikanische‘ Doppelmoral wird – und dem im Hintergrund auf einem Fernseherbildschirm dargestellten verhungernden Kind aus der dritten Welt – die Art der Darstellung erinnert an die Pieta und Abbildung 37
95 Unter bildlicher Distributionsleistung eines Markenzeichens verstehe ich die Fähigkeit eines solchen bildlichen Zeichens, auf alle anderen mit diesem ähnlichen Zeichen zu verweisen. Auf diese Art bildet sich ein ‚Netz‘ von Verweisen in dem der Nike-Schuh auf das Nike-Sportsponsoring, auf das Nike-Basecap, auf die Nike-Tasse, auf Micheal Jordan, auf Nike-Sweatshops, auf das karitative Nike-Image usw. verweist.
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verstärkt damit die Opferrolle des dargestellten Kindes –, erregt nicht nur Mitleid, sondern auch – und das gehört zur rhetorischen Strategie dieses Bildes dazu – Abscheu vor der Kultur, die durch das Kind im Vordergrund repräsentiert wird. Mit einer auf diese Weise um ein Bild bereicherten Intervention wird die gelungene Destruktion des orator-ethos nicht nur nicht dem aktuellen Wissenstand des Publikums überlassen, das – wie im obigen Fall – die Glaubwürdigkeit der Gleichsetzung von ‚Coca-Cola‘ und ‚Capitalism‘ womöglich in Frage stellen könnte, sondern sowohl ein argumentativer Zugang gelegt, indem das Bild innerhalb der narratio die Verbindung von ‚Coca-Cola‘ bzw. ‚McDonalds‘ und ‚Capitalism‘ zu belegen sucht96, als auch in besonderem Maße das pathos als Überzeugungsmittel bedient. Abbildung 38 und 39 (oben), Abbildung 40 und 41 (unten)
96 Interessant ist an diesem Bild aber auch, dass ein in dieser Form bildlich angeführtes exemplum nicht einer Tatsache entsprechen muss. Das Bild ist aus zwei Bildern zusammengefügt und zeigt nicht etwa eine Situation, die sich in der Art begeben hat. Dennoch büßt es hierdurch nichts an Glaubwürdigkeit ein. Dies gilt jedoch nicht prinzipiell für derart zusammengefügte Bilder und lässt sich folglich nicht als Standard ausweisen. Vielmehr lässt sich diese Beobachtung dadurch erklären, dass die Gleichsetzung von ‚Coca-Cola‘ und ‚Capitalism‘ offenbar keinem genus entspricht, der schwer zu fassen oder besonders strittig wäre.
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Nach dem gleichen Schema wie das ‚Enjoy Capitalism‘-Beispiel, finden sich diverse andere Umgestaltungen weitbekannter Markenzeichen. So wird aus ‚Deutsche Bank‘ ‚Deutsche Bomb‘ (Abbildung 38 und 39), aus ‚Barbie‘ wird ‚Barbaric‘ (Abbildung 40) und aus ‚Adidas‘ wird ‚profit‘ (Abbildung 41). Bemerkenswert an derlei Interventionen ist, dass, aufgrund der starken Begrenzung des gestalterischen Formats, das kaum eine tiefere Argumentation zulässt, diese ethos-Angriffe nur funktionieren können, wenn die Gleichsetzung der Firmennamen mit den negativ konnotierten Worten dem Publikum bereits hinreichend bekannt ist, von diesem bereits akzeptiert ist, oder zumindest als unmittelbar einleuchtend – etwa aufgrund aktueller Geschehnisse – empfunden wird. 4.2 Bildrhetorische Induktion Mit der strategischen Nutzung der bildrhetorischen Induktion sind Interventionen gemeint, die gezielt die bildlichen Eigenschaften nutzen, um Bedeutung zu generieren. Um diese zu entwickeln ist es notwendig, zwei Ebenen des Bildes zu unterscheiden: Das Was und das Wie der Darstellung. Die Darstellungsweise ist die Sichtweise, die durch das Bild vermittels der konkreten Darstellung zu Tage tritt. Jedes Bild stellt folglich immer zweifach dar: zum einen die abgebildete Sache, das Was der Darstellung, zum anderen die Sichtweise, in der die abgebildete Sache dargestellt ist, das Wie der Darstellung. Kein Bild kann etwas darstellen, ohne nicht auch immer zugleich darzustellen, wie dieses etwas dargestellt ist. Eine rhetorische Verwendung von Bildern kann dieser Unterscheidung folgend also sich zum einen auf die dargestellte Sache, zum anderen aber auch auf die Sichtweise beziehen. Eine der häufigsten Verwendungen von Bildern in rhetorischer Absicht bezieht sich ausschließlich auf den ersten Bereich und führt Bilder als Zeugen97 in die ansonsten sprachlich vermittelte Argumentation ein. Beschränkt man sich auf diesen Bereich, so wird verständlich, warum dem Bild eine von sprachlicher Vermittlung unabhängige argumentative Kraft oftmals abgesprochen wird.98 Wiesing konstatiert bezüglich der rhetorischen Verwendung von Bildern, dass so „verbreitet die rhetorische Funktionalisierung des Bildes in der modernen Medienwelt auch ist, so betrifft sie doch kein spezifisch bildliches Phänomen – und zwar aus einem einfachen Grund: Letztlich wirken in dieser Art der Verwendung nicht die Eigenschaften 97 „Das Bild fungiert als verfügbarer Ersatz für schwer verfügbare Ansichten und Einblicke. Das Bild ist in dieser Art der rhetorischen Begleitung ein bloßer Stellvertreter für die echte Ansicht, denn die Ansicht des realen Sachverhaltes könnte das Gleiche bewirken.“ (Wiesing 2007. S. 37f.) 98 Vgl. dazu unter anderem Schelske, Andreas: Visuell kommunikatives Handeln mittels Bildern. In: Bildhandeln. Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen. Hrsg. von Klaus Sachs-Hombach. Magdeburg 2001. S. 149-158.
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des Bildes, sondern Eigenschaften der im Bild gezeigten Sache.“99 Der Weg einer Bildrhetorik, die nach den Möglichkeiten des Bildes in rhetorischer Verwendung und nicht nach denen der gezeigten Sache fragt, stellt den oben erwähnten zweiten Gesichtspunkt ins Zentrum: die Sichtweise. Da die Sichtweise in jedem Bild vorhanden, aber bei Weitem nicht in jedem Bild auch im Zentrum der rhetorischen Möglichkeiten ist, will Wiesing von der notwendigerweise vorhandenen Sichtweise die bildliche Sichtweise unterschieden wissen. „Die Sichtweise ist nur dann eine bildliche Sichtweise, wenn sie der Sache gegenüber autonom ist – und damit ist man genau beim Anliegen der Rhetorik: dem Erzeugen einer prinzipiellen Einstellung gegenüber dem Gegenstand einer Darstellung.“100 Dieses Erzeugen einer prinzipiellen Einstellung gegenüber dem Gegenstand einer Darstellung eröffnet schließlich das Feld einer didaktischen Verwendung von Bildern. „Es geht also nicht darum, nur zu zeigen, wie der Künstler [oder Designer] sieht, sondern die Art der Darstellung muss zur Sichtweise des Betrachters werden, denn nur so ist sichergestellt, dass die Art für den Betrachter nicht eben nur eine bloß formale Gestaltungsart ist.“101 Der für die Rhetorik des Bildes unabdingbare Perspektivwechsel wird also erzeugt, wenn – in Wiesings Terminologie – die Darstellungsart zur Darstellungsweise, also zur Sichtweise wird. Den Übergang von der Art zur Weise schildert Wiesing als einen Übergang vom Konkreten zum Allgemeinen: „Wer mit einem Bild eine menschliche Sichtweise auf die Welt zeigen will, verlangt vom Betrachter immer den nicht legitimen Sprung vom Konkreten ins Allgemeine, von der Art zur Weise – und das geht nur rhetorisch.“102 Mit dieser Funktionsbestimmung der bildlichen Sichtweise ist ein Zweischritt verbunden, der sich in rhetorischer Terminologie mit der aristotelischen Verwendung des Paradeigma erklären lässt. Dazu ist jedoch anzuführen, dass der Begriff des Paradeigma bei Aristoteles unterschiedlich definiert und verwendet wird. Aristoteles stellt eine Parallele zwischen dem logischen Syllogismus und der epagoge auf der einen Seite und dem rhetorischen Syllogismus (Enthymem) und dem Beispiel (paradeigma) auf der anderen Seite her. Temilo van Zantwijk merkt dazu aber kritisch an,
99
Wiesing 2007. S. 37. Im Kontext seiner vorangegangenen Analyse betrachtet, spricht Wiesing hiermit Bildern nicht eine rhetorische Verwendung auch auf der Grundlage ihrer Eigenschaften als Bild innerhalb der Praxis ab, wohl aber deren Berücksichtigung innerhalb der theoretischen Diskussion dieser Praxis. Bilder werden, wenn ihre rhetorischen Dimensionen diskutiert werden, laut Wiesing, oftmals zwar als ‚Stellvertreter einer Sache‘ oder ‚Zeugnis eines Ereignisses‘ (man denke an das ‚Blitzerfoto‘) gewürdigt, aber eben nur selten aufgrund genuin bildlicher Eigenschaften.
100 Ebd. S. 41. 101 Ebd. S. 44. 102 Ebd. S. 43.
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dass diese Parallelführung nicht den Sinn haben kann, „dass Enthymeme einem deduktiven und Paradeigmata einem induktiven Folgerungsschema zuzuordnen sind.“103 Vielmehr muss, wie Josef Klein betont, angenommen werden, dass Beispiele sowohl einen induktiven als auch einen deduktiven Schritt vollziehen.104 Im ersten, induktiven Schritt wird anhand von Beispielen eine allgemeine Regel entwickelt und gestützt105, die im zweiten, deduktiven Schritt schließlich zum Obersatz eines Syllogismus wird. In dieser Weise soll nach Jürgen Sprute die aristotelische Beschreibung des Beispiels verstanden werden106, die mit Aristoteles wie folgt angegeben werden kann: „Das Beispiel verhält sich nicht wie ein Teil zum Ganzen oder ein Ganzes zum Teil oder ein Ganzes zum Ganzen, sondern wie ein Teil zum Teil und ein Ähnliches zum Ähnlichen, wenn beides unter dieselbe allgemeine Gattung fällt und eines von beiden bekannter als das andere ist.“107 Das Beispiel, das Aristoteles gibt, um diesen Sachverhalt zu erklären ist folgendes: Peisistratos forderte eine Leibgarde und strebte die Tyrannenherrschaft an – dies ist die bekannte Tatsache -, deshalb ist es wahrscheinlich, dass auch Dionysios die Tyrannenherrschaft anstrebt, weil auch dieser eine Leibgarde fordert – dies ist der zu belegende Redegegenstand.108 Die allgemeine Regel, die, um diesen Übergang zu ermöglichen, angenommen und durch die belegte Tatsache gestützt werden soll, kann folglich so formuliert werden: Alle, die eine Leibgarde fordern, streben die Tyrannenherrschaft an. Sprute beschreibt den weiteren Verlauf als eine Deduktion in Form eines Syllogismus. Nach van Zantwijk führt Sprutes Auffassung des Wahrscheinlichkeitschlusses dazu, „dass die Wahrscheinlichkeit beim Enthymem vom Obersatz (von der als allgemein behaupteten Regel) ausgesagt wird und notwendig auf den besonderen, unter die Regel subsumierbaren Fall übertragen wird. Ein Enthymem wäre damit ein zwingender (logisch gültiger) Schluss aus einem in einem bestimmten Sinne wahrscheinlichen Obersatz und einem einen besonderen Fall bestimmenden Untersatz.“109 Was Sprute 103 Zantwijk, Temilo van: Heuristik und Wahrscheinlichkeit in der logischen Methodenlehre. Paderborn 2009. S. 104. 104 Vgl. Klein, Josef.: Beispiel. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 1430-1435. Hier: Sp. 1433. 105 Auf das Problem der Induktion, wie es insbesondere durch David Hume aufgeworfen wurde, kann innerhalb des Rahmens dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Diesem Problem soll jedoch durch die Verwendung des Begriffes Stützung – und explizit nicht die Verwendung des Begriffes Beweis – Rechnung getragen werden. Zum Problem der Induktion siehe: Zantwijk 2009a. S. 270ff. 106 Vgl. Sprute, Jürgen: Die Enthymemtheorie der aristotelischen Rhetorik. Göttingen 1982. S. 80ff. 107 Arist. Rhet. 1357b25-1358a2. 108 Das Beispiel findet sich in: Arist. Rhet. I 2, 1357 b 31-35. 109 Zantwijk 2009a. S. 115f.
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nach van Zantwijk nicht sieht, ist, dass nicht nur die Prämissen wahrscheinlich sind, sondern auch der Schluss nicht als ein logisch zwingender angesehen werden muss. Ein Enthymem ist für van Zantwijk kein deduktives (logisch zwingendes) Schlussschema, sondern ganz im Gegenteil eine induktive, „tatsachenbasierte Schlussweise“110. Was bedeutet dies für den von Wiesing angesprochenen Zweischritt? Die konkrete Darstellung kann als Tatsache angesehen werden, die, insofern sie als angemessen gelten kann, eine Sichtweise, der hierin die Rolle der allgemeinen Regel zukommt, stützt. Bei diesem ersten Schritt kann folglich, zumindest im Bereich der Werbebilder und Adbusts, auf die es hier allein ankommt, noch nicht von einer Autonomie der Sichtweise über die Sache gesprochen werden. Als rhetorisch gelungen kann diese Stützung bewertet werden, wenn der Betrachter aufgrund der gestützten wahrscheinlichen Sichtweise in die Lage versetzt wird, diese auf andere Gegenstände zu übertragen111. Hierin zeigt sich auch schon ein Unterschied, da dieser letzte Schritt in der Rede bereits vollzogen wird. Dem Hörer ist klar, auf welchen Gegenstand das Beispiel übertragen werden soll. Dennoch kann die argumentative Struktur des Paradeigma den rhetorischen Gebrauch eines Bildes im Sinne Wiesings deutlich machen und erklärt zugleich, worin die rhetorischen Strategien des Adbusts liegen könnten. Die Strategien ergeben sich da, wo das nur Wahrscheinliche auch anders sein könnte. Folglich ergeben sich zwei Stellen, an denen die bildrhetorische Induktion unterbrochen werden kann: Zum einen kann versucht werden, die durch das Beispiel gestützte
110 Ebd. S. 117. 111 Der Begriff der Übertragung macht die Parallele zwischen Anschauungsbildern und Sprachbildern deutlich. Mit George Lakoff und Mark Johnson kann über letzere gesagt werden, dass „Metaphern, die auf erfahrbaren Korrelationen beruhen, […] Konzepte von dem Phänomen her [definieren], das wir als Ähnlichkeiten wahrnehmen.“ (Lakoff, George; Johnson, Mark: Leben in Metaphern. Konstruktionen und Gebrauch von Sprachbildern. Heidelberg 1998. S. 175.) Ähnlichkeit ist nach Lakoff und Johnson nicht eine präexistente Tatsache in den Gegenständen, sondern eine Konstruktion durch das wahrnehmende Subjekt. Nach den Autoren gibt es also keine objektive Ähnlichkeit, sondern lediglich eine empirische Ähnlichkeit. (vgl. Ebd. S. 170-178.) Jedoch machen die Autoren auch deutlich, dass Metaphern in der Regel andere Metaphern vorausgegangen sind, auf die sie sich dann stützen und die diese weiterentwickeln können. Auf dieser Basis kann dann auch von gelungenen und misslungenen Metaphern gesprochen werden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit können nicht alle Implikationen dieser Metapherntheorie entfaltet werden. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass für die Einschätzung der Stützung, der durch den Vergleich hergestellten Ähnlichkeit, in einer diesen Punkt tiefer beleuchtenden Arbeit, die vorangegangenen, Kultur bestimmenden Metaphern näher ins Blickfeld zu rücken wären.
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allgemeine Regel zu widerlegen, also die Sichtweise in Frage zu stellen, beziehungsweise so zu verdrehen, dass die Übertragung auf andere Gegenstände durch den Betrachter in der Weise beeinflusst wird, dass die für eine solche Übertragung ursprünglich intendierten Gegenstände durch nicht intendierte ausgetauscht werden.112 Zum anderen kann der Wahrscheinlichkeitsschluss als ein solcher aufgedeckt werden. In der persuasiven Rede wird der Umstand, dass auch das Schlussverfahren nur wahrscheinlich ist, im Allgemeinen nicht vom Redner zugegeben, sondern der Schluss, nachdem die Prämissen wahrscheinlich gemacht wurden, als zwingend proklamiert. Diesen als Wahrscheinlichkeitsschluss offenzulegen, heißt dann soviel wie zu zeigen, dass die Konklusion falsch ist, obwohl die Prämissen als wahr anerkannt werden. Insofern es Adbusts jedoch im Allgemeinen nicht um eine Widerlegung geht, sondern um eine Modifikation, wird dieses zweite Verfahren kaum Anwendung finden. Für das erste Verfahren kann jedoch ein gelungenes Adbust als Beispiel angeführt werden. Bei diesem Werbeplakat (Abbildung 42) für das neue i-Pad handelt es sich um ein Bild, das uns eine bildliche Sichtweise zeigt. Der Betrachter schaut quasi durch die Augen des auf dem Plakat dargestellten Mannes. Folglich sieht der Betrachter nur genau das, was er sehen würde, läge er selbst auf einem Liegestuhl und würde an sich herunterschauen. Mit Wiesing kann darin eine Sichtweise ausgemacht werden, denn dieses Werbeplakat wirkt der Tatsache entgegen, dass der „Sehende sieht, was er sieht, aber nicht, wie er sieht – es sei denn, man verwendet ein Bild als ein Erkenntnisinstrument zur Erforschung dessen wie sich die Anschauung in ihrer Verfassung und Infrastruktur verändert.“113 Dem Betrachter wird eine Lücke geboten, die ihm die Einfühlung in den dargestellten Mann ermöglicht. Der menschlichen Wahrnehmung entsprechend, ist nur das scharf dargestellt, was der Wahrnehmende – in diesem Fall der dargestellte Betrachter und infolge dessen auch der Betrachter des Plakats – fokussiert. Der Hintergrund verschwimmt bei diesem Bild sogar so sehr, dass schon seine Schuhe kaum noch zu erkennen sind. Die Darstellungsart verrät also eine starke Fokussierung auf den zentralen Gegenstand des Bildes, das i-Pad. Der nicht legitime Sprung vom Konkreten ins Allgemeine soll nun darin geleistet werden, dass vom konkret dargestellten Mann abgesehen wird, die Sichtweise autonom wird, und nun jeder Betrachter den zweiten Schritt vollziehen kann und sich selbst an die Stelle des dargestellten Mannes zu setzen in der Lage ist – und gleich diesem das i-Pad fokussieren kann und soll. Das Adbust (Abbildung 43 und 44) besteht in diesem Fall darin, dass die Icons auf dem dargestellten Display des i-Pad ausgetauscht wurden. Vorher befanden sich darauf die Gemeinplätze des Jedermann 112 Bei Werbeplakaten ist es in dieser Hinsicht insofern berechtigt, von intendierten Gegenständen zu sprechen, als die Werbebotschaft gerade darin besteht, solche Gegenstände vorzugeben. Intendierte Gegenstände lassen sich bei Kunstwerken mitunter jedoch nicht angeben. 113 Wiesing 2007. S. 42.
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– Urlaub, Familie, Arbeit – nun ausschließlich sexualisierte Frauendarstellungen und Darstellungen von Sexualpraktiken. Die Übertragung glückt in Folge dessen nur noch in dem Fall, als sich der Betrachter als ‚manisch sexuell‘ versteht. Die konkrete Darstellung lässt für die meisten Betrachter keinen Schluss auf eine Sichtweise zu, weil die ursprünglich als ornatus gedachten Icons auf dem Display den induktiven Abbildung 42 (oben) und Abbildung 43 und 44 (unten)
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Sprung vom Konkreten ins Allgemeine unterbinden. Die vom Werbetreibenden angestrengte bildrhetorische Induktion ist folglich gebrochen worden. Schließlich sei noch angemerkt, dass diese Umsetzung auch dazu beiträgt, einen bildlichen topos zu generieren, wie er sich etwa an diesem (Abbildung 45) Adbust zeigt, das sich nicht nur derselben Strategie bedient, sondern im Grunde eine identische Replik darstellt. Dass es sich hierbei um einen topos handelt, ist freilich kein Resultat einer womöglich einmaligen Nachahmung. Der topos besteht in seiner allgemeinen Form vielmehr Abbildung 45
darin, den Konsum von Pornografie und Computertechnik miteinander in Verbindung zu bringen, so als diente letztere wie selbstverständlich in erster Linie zur Befriedigung genau dieses Konsumbedürfnisses. Eben wenn diese Selbstverständlichkeit des Bezugs als gegeben angenommen werden kann, kann auch gesagt werden, es handele sich dabei um einen Gemeinplatz (topos). In dieser Weise sind dann auch folgende Adbusts zu verstehen: Das oben schon erwähnte Adbust zeigt einen IBMNutzer, der - im Gegensatz zu den Umgestaltungen der i-Pad-Werbung noch ‚schamhaft‘ – zugibt, seinen Rechner zum Download von pornografischen Filmen benutzt zu haben (Abbildung 25). Ann-Kathrin Surrey gestaltete diesen topos nutzend die Werbung für den ‚Lenovo Yoga‘ (Abbildung 46) so um, dass die darauf beworbenen ‚unendlich vielen Möglichkeiten‘ der Rechnerpositionierung zu ‚unendlich vielen Möglichkeiten‘ der Sexualstellungen werden (Abbildung 47).
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Abbildung 46 (oben) und 47 (unten)
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4.3 Angriff der identifizierenden Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft Zwei Fälle der Verankerung hatte Barthes beschrieben: die Identifizierung und die Interpretation. Beide in einem konkreten Fall sauber voneinander zu trennen, ist oftmals nicht möglich. Dennoch soll hier der Versuch unternommen werden, die sich aus den Verankerungsformen für Adbusts ergebenden rhetorischen Strategien weitestgehend getrennt voneinander herauszuarbeiten. Dies hat den Vorteil, dass die einzelnen strategischen Interventionsmöglichkeiten deutlicher hervortreten, auch wenn, im Falle der Verankerung, eine Veränderung der Identifizierung eine Veränderung der Interpretation im Allgemeinen nach sich zieht. Der Unterschied wird deutlicher, wenn man bedenkt, dass eine Umgestaltung im Sinne der Identifizierung mit Barthes als ein ‚Angriff‘ auf die Denotation zu sehen ist, also als der Versuch, die Verbindung Signifikant-Signifikat auf einer der beiden Seiten umzudrehen. Hingegen stellt die Umgestaltung der Interpretation die Signifikant-Signifikat-Verschiebung auf einer höheren Ebene an und wird, in Barthes Terminologie, zum Mythos oder zur Ideologie. Unter Identifizierung versteht Barthes das Potential der sprachlichen Botschaft, einzelne Gegenstände der bildlichen Darstellung herauszustellen, durch Benennung hervorzuheben und andere, eben durch Nichtnennung, dem flüchtigen Blick des Passanten anheim zu stellen. Diese repressive Strategie der Verdichtung ist eine Frage der dispositio wie der elocutio und dient vor allem der claritas. Die Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft im Sinne einer Identifizierung kann deutlicher gemacht werden, wendet man sich der Analyse von Jörg R.J. Schirra und Klaus Sachs-Hombach zu, wie sie diese in Bild und Wort vorlegen.114 In diesem Aufsatz versuchen die Autoren, die Bedingungen gelungener sprachlicher Identifizierung, durch Nomination, Prädikation und Kontext, auf die Möglichkeiten bildlicher Identifizierung zu übertragen. Dabei stellen sie heraus, dass im Bild die Figur-GrundDifferenzierung die Basis der bildlichen Identifizierung ausmacht. Ausgehend von der These, dass jeder Form der Identifizierung eine Kontextbildung vorausgehen muss und dass diese beim Bild eben durch das Zeigen realisiert wird – da „Bildgebrauch im Kern Kontextbildung sei“115 –, kommen die Autoren schließlich zu dem Ergebnis, dass die semantische Fülle des Bildes durch eine Figur-Grund-Differenzierung geordnet wird. Hierdurch tritt für den Betrachter, immer im Kontext der Bildverwendung, das zu Tage, was an dem Bild ‚eigentlich‘ relevant ist. Obgleich dies für jedes Bild in einer gewissen Verwendung zutrifft, stellen die Autoren fest, dass 114 Vgl. Schirra, Jörg R.J. und Sachs-Hombach, Klaus: Bild und Wort. Ein Vergleich aus bildwissenschaftlicher Sicht. In: Essener Linguistische Skripte – elektronisch. 1/2006. S. 51-72. 115 Ebd. S. 15.
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die Frage, was Figur und was Grund ist, prinzipiell nicht eindeutig beantwortet werden kann. So kann, um das Beispiel aus dem Aufsatz zu zitieren, ein Bild der GoldenGate-Brücke „ebensogut die Aufmerksamkeit eines Empfängers auf die Meerenge, über die sich die Brücke spannt, richten, oder auf das Segelboot, das gerade die Bucht verlässt; auf die Stadt, die ebenfalls […] abgebildet sein mag, oder ein einzelnes […] Gebäude“116 und vieles mehr. Genau an dieser Stelle wird, will man die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht seiner Willkür überlassen, die sprachliche Verankerung im Sinne Barthes notwendig. Insbesondere, wenn, wie im Falle der Reklametafel, der Kontext äußeren Bedingungen – zeitlichen und räumlichen – überlassen werden muss, in dessen Folge Werbemacher versuchen, die bildliche Darstellung schon von vornherein auf das ‚Wesentliche‘ zu beschränken. Doch auch eine solche Beschränkung, obgleich sie sich gemessen an den Rezeptionsbedingungen als gelungen herausstellt, kann keine eindeutige Figur-Grund-Differenzierung liefern. Dies lässt sich an einem Beispiel gut verdeutlichen: Wie viele Werbeplakate besonders in der Bekleidungs- und Modeindustrie wirbt auch H&M unter Benutzung der identifizierenden Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft. Auf diesem Plakat (Abbildung 48) beispielsweise ist im Bildteil eine junge Frau mit weißem Kleid in einer gewissen, für den vorliegenden Fall nicht weiter interessanten, Pose dargestellt. Die sprachliche Botschaft besagt lediglich ‚Kleid‘ und ‚49.90‘.117 Diese soll in das Bild eine Figur-Grund-Differenzierung einführen, die es ermöglicht, das Augenmerk auf einen Teil des Gezeigten zu legen und den Rest als rhetorischen Schmuck zu betrachten. In diesem Falle wird das Kleid beworben, nicht die Frau, nicht ihre Haare, nur das Kleid. Wir können also sagen, die sprachliche Botschaft interpretiert dieses Bild als ein Kleid-Bild, nicht als ein Frau-Bild, oder als ein Haar-Bild. Eine solche interpretative Leistung, die eine Figur-Grund-Differenzierung in das Bild einführt, können wir eine Identifizierung nennen. In ihrer Wirkung hat die Kombination von Identifizierung und Fotografie eine besondere Rolle, da sie, 116 Ebd. S. 12. 117 Der denotative Bezug dieser sprachlichen Teile allein reicht allerdings noch nicht aus, um der Werbeintention gerecht zu werden, das heißt hier insbesondere der Anregung zur Handlung, wie sie innerhalb der AIDA-Formel gefordert wird, die Möglichkeit zur Umsetzung zu geben. Erst das Markenzeichen liefert die dazu nötigen Informationen. Die AIDA-Formel, die bis heute zur Beschreibung der Plakatpragmatik benutzt wird, unterscheidet vier psychologische Wirkungsstufen der Plakatkommunikation: „1. Erwecken von Aufmerksamkeit, 2. Erregen von Interesse, 3. Hervorrufen eines Bedürfnisses, 4. Anreizen zu einer angestrebten Handlung“ (Deiters, Franz-Josef: Bilder ohne Rahmen – Zur Rhetorik des Plakats. In: Medienrhetorik. Hrsg. von Joachim Knape. Tübingen 2005. S.81-112. Hier: S. 84.). Siehe dazu auch: Riedel, Rita: AIDA-Formel. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 285-295.
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wie es Roland Barthes treffend beschreibt, naturalisierend wirkt. Die Schrift profitiert von der ‚rhetorischen Unschuld des Bildes‘ und wird selbst ‚unschuldig‘. Es scheint fast so, als würde die Schrift nur etwas hervorheben, was ohnehin im Mittelpunkt der Betrachtung liegen würde, als könne hier gar nicht von einem rhetorisch gewollten Eingriff gesprochen werden. In einem Kleid-Bild ‚Kleid‘ zu sagen, erscheint als das ‚Natürlichste der Welt‘. Das ist es, was Barthes mit ‚Unschuld‘ meint. Aber eben diese Unschuld ist rhetorisch nutzbar, wenn es beispielsweise möglich ist, eine Modifikation der Figur-Grund-Disposition vorzunehmen. Bei diesem Adbust (Abbildung 49) ist durch die sprachliche Verankerung die Kleidung keine Figur mehr, sondern gehört nun zum Grund. Im Mittelpunkt, als Figur, die sich vom Grund abhebt, stehen jetzt die mageren Models von H&M.118 Abbildung 48 (links) und 49 (rechts)
4.4 Angriff der interpretierenden Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft Die Interpretation ist eine nahezu unverzichtbare Aufgabe der Verankerungsfunktion der sprachlichen Botschaft. Der essentielle Unterschied zwischen der Interpretations-
118 Gerade an dieser Abbildung ließe sich außerdem auch über den gelungenen Gebrauch rhetorischer Figuren einiges zeigen. So zum Beispiel das stilistische Zitat ‚Body‘ und ‚39,7 kg‘, das sich in seiner Kürze und Anordnung an das persiflierte Original hält. Außerdem ein gewisser Wortwitz durch die doppelte Bedeutung von ‚Body‘, zum einen als Kleidungsstück, zum anderen als der Körper des Models. Auch bei diesem Adbust erhält die Gesamtbotschaft erst durch das Markenzeichen seine volle Bedeutung, das zu diesem Zweck in ‚Hager & Mager‘ geändert wurde. Zu den visuell-verbalen Figuren in der Werbung siehe u.a.: Bonsiepe 1996.; Ehses 2008; Doelker 2007.
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und der Identifizierungsfunktion besteht darin, dass sich die Interpretation nicht mehr hinreichend über eine Figur-Grund-Differenzierung erklären lässt. Zwar geht diese – und damit die Identifizierung – der Interpretation oftmals voraus und setzt ‚Akzente‘, auf die jene dann zurückgreifen kann, aber die Interpretation bezieht sich – insbesondere bei Werbeplakaten – stets auf das Bildganze. Dieses Bildganze wird durch die interpretative Funktion zu einer motivationalen Situation.119 So bezieht sich die Aussage ‚Urlaub, wie er sein sollte‘ auf einem Plakat von weg.de (Abbildung 50) nicht auf ein einzelnes Darstellungselement im Bildteil, das sich als Figur vom Grund abhebt – nicht also auf bloß den Strand, die Wolken, die Menschen im Vordergrund, die vorbeifliegende Möwe; es wird nicht ein Darstellungselement als ‚Figur‘ herausgestellt, das heißt, es erfolgt keine Identifizierung im obigen Sinn –, sondern auf das gesamte Bild. Man kann diese Funktion mit Schirra und Sachs-Hombach als eine Funktion der „Kontextbildung“120 bezeichnen. Diese Kontextbildung wird dann notwendig, wenn jemand versucht, „durch die Präsentation eines Bildes, die Aufmerksamkeit des Empfängers auf eine reale oder fiktive Wahrnehmungssituation zu richten, die […] nicht mit der tatsächlichen Situation der beiden übereinstimmt."121 Für Schirra und Sachs-Hombach stellt die Kontextbildung Abbildung 50
119 Zum Situationsbegriff siehe: Kapitel II. 120 Vgl. Schirra/Sachs-Hombach 2006. S. 14ff. 121 Ebd. S. 15.
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zusammen mit der Figur-Grund-Differenzierung die Basis des Bildverstehens dar. Die Kontextbildung ist für den persuasiven Erfolg des Werbeplakats insofern unverzichtbar, als der Beworbene eben in einer Situation durch das Plakat ‚angesprochen‘ werden soll, die im Allgemeinen nicht der Situation entspricht, in der dieser das beworbene Produkt konsumieren soll; es muss folglich, mit Schirra gesprochen, zu einer „partiellen Verschmelzung eines nicht-anwesenden Kontextes mit der aktuellen Wahrnehmungssituation“122 kommen. Diese partielle Verschmelzung ermöglicht schließlich den Perspektivwechsel, worin die Basis des Persuasionserfolgs liegt. Abermals wird für das rhetorisch gelungene Adbust dieser Perspektivwechsel somit zum eigentlichen Ziel des Angriffs. Für die in diesem Unterkapitel verhandelte Verankerungsfunktion muss der Perspektivwechsel in der Verbindung zwischen sprachlicher und bildlicher Botschaft gestört werden, was soviel heißt, wie den nicht-anwesenden Kontext in einer Art und Weise zu modifizieren, die ein ‚partielles Verschmelzen‘ behindert. Es bedarf also des Einsatzes subversiver Distanzierungsstrategien, wie etwa Satire, Ironie oder Übertreibung, um die rhetorische Situationsbestimmung und deren Identifikationspotential zu stören. Ein Beispiel (Abbildung 51): Bei dem schon genannten Plakat von weg.de wurde die Bildseite so modifiziert, dass es sich bei den beiden Urlaubern nicht länger um ‚Leerstellen‘ zur Identifikation handelt, sondern um einen Räuber und – wahrscheinlich – seine Freundin/Komplizin.123 Durch das Einfügen einer Maske über dem Gesicht des Mannes wird damit auch die ursprüngliche Verankerungsfunktion des Satzes ‚Urlaub, wie er sein sollte‘ dahingehend verändert, dass mit ‚Urlaub‘ jetzt ein ‚Sich-Absetzen ins sonnige Ausland‘ verstanden wird. Die interpretative Leistung, die die sprachliche Botschaft im Originalplakat leistete und der zur Folge die Gesamtdarstellung als ‚Urlaub‘ zu interpretieren sei, wird durch das Adbust in einen neuen Kontext gestellt, der die ‚partielle Verschmelzung‘ unterbindet – sollte der Beworbene nicht gerade Bankräuber sein. Das Beispiel zeigt außerdem, dass eine eindeutige Trennung zwischen der Identifizierungs- und der Interpretationsfunktion oftmals nicht vorgenommen werden kann. Denn die sprachliche Botschaft identifiziert und interpretiert zugleich die bildliche. Bei diesem Beispiel handelt es sich letztlich um einen Tadel des Publikums, jedoch muss nicht jede Form der Störung der Verankerungsfunktion im Sinne der Interpretation als ein Tadel des Publikums auftreten.
122 Schirra, Jörg R. J.: Bilder – Kontextbilder. In: Bildhandeln. Interdisziplinäre Forschungen zur Pragmatik bildhafter Darstellungsformen. Hrsg. von Klaus Sachs-Hombach. Magdeburg 2001. S. 77-100. Hier: S. 90. 123 Natürlich sind auch andere, aber durchaus ähnliche Lesarten möglich: So könnte auch von einem Antifa-Demonstranten und seiner Geliebten oder von einem Angreifer und seinem Opfer (wobei dieses gerade die Oberhand gewann und nun den Täter verlacht) gesprochen werden. Letztlich ist das aber vollkommen gleich.
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Abbildung 51
Ein weiteres Beispiel wird das verdeutlichen (Abbildung 52): In einem Werbeplakat des Deutschen Roten Kreuzes wird ein Mitarbeiter abgebildet, der gerade die Armstümpfe einer Venusstatue verbindet als seien dies Wunden und eben diese, seine ‚Patientin‘ dabei freundlich anlächelt. Die sprachliche Botschaft besagt ‚Wir können einfach nicht anders‘. Die sprachliche Botschaft interpretiert also den dargestellten Abbildung 52
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Handlungszusammenhang als eine Notwendigkeit zur Hilfe. Dieses Lob des Produzenten wird durch ein bemerkenswert einfaches Adbust (Abbildung 53) in einen Tadel verkehrt. Durch den Einzug von zwei Linien, die seine Augen mit ihren Brüsten als Sehstrahlen verbinden, bekommt die Aussage ‚Wir können einfach nicht anders‘ eine neue Bedeutung, da der Kontext sich geändert hat. Nun scheint der DRK-Mitarbeiter notwendig auf die Brüste der geschädigten Venus schauen zu müssen und diese dabei scheinbar lüstern anzugrinsen. Durch die Linien entsteht eine Situation, die nicht mehr ohne weiteres als eine Hilfe-Situation gekennzeichnet werden kann, sondern eher als eine lüsterne Wir-können-nicht-anders-und-schauen-selbst-einer-Venusstatue-auf-die-Brüste-Situation. Die parasitäre Nutzung der sprachlichen Botschaft in ihrer interpretativen Funktion ermöglicht es dem Adbuster, die Bedeutungsgenerierung zu manipulieren. Der Adbuster greift gezielt die Stellen des Plakates an, die systematische Schnittstellen zwischen den Medien darstellen und als solche dem Adbuster gleichsam als ‚Sollbruchstellen‘ erscheinen mögen. Abbildung 53
VI. Rhetorik der Affirmation und Orientierung am Anderen
1. E INFÜHRUNG
IN DAS
K APITEL
In Bezug auf Fragen der Orientierung, ist die Orientierung am Verhalten anderer eine entscheidende und fundamentale Größe. In diesem Sinne betont auch Stegmaier in seiner umfassenden Darstellung zur Philosophie der Orientierung, dass „andere Orientierungen der wichtigste Anhalt und Halt für die eigene Orientierung“1 sind. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, in der vorliegenden Arbeit, in der der Begriff der Orientierung eine so zentrale Rolle spielt, auch auf die Orientierung an Anderen einzugehen. Die Perspektive, von der aus diese fundamentale Orientierungsstrategie hier in den Blick genommen werden soll, ist dabei allerdings zugleich durch die rhetorische Methode wie auch durch den Umfang des Untersuchungsgegenstandes (visuelle Gestaltung) mitbestimmt. Aus dieser Konstellation ergibt sich für das Folgende eine spezifische Eingrenzung, die es hier zuerst kurz zu umreißen gilt. Da es in der vorliegenden Arbeit um die Mittel visueller Kommunikation geht, die durch den Begriff des Designs umfasst werden, stellt sich sofort ein grundlegendes Problem: Der Andere ist kein Designprodukt. Zumindest unterliegt der Andere nicht derselben gestalterischen Freiheit und dem gestalterischen Spielraum wie etwa ein Abfahrtsplan, eine Karte, ein Werbeplakat oder dessen Adbust. Hieraus ergibt sich eine wesentliche Einschränkung für das vorliegende Kapitel: Obgleich der Andere für die eigene Orientierung eine so zentrale Stellung einnimmt und damit, wäre der Andere zugleich ein Designprodukt, das wohl wirkmächtigste Mittel für Orientierungssysteme, für Informations- und Kommunikationsdesign jeder Art darstellen könnte, ist er als der leibliche und bis zu einem gewissen Grad freie Andere allenfalls indirekt Gegenstand dieses Kapitels. Die Bedeutung des leiblichen, freien Anderen in diesem Kapitel ist vor allem die, anhand einer Auseinandersetzung mit seiner Rolle für die eigene Orientierung in komplexen Situation, Kategorien zu entwickeln, die es dem Designer erlauben, den Anderen zu simulieren. Als solche kommen vor allem 1
Stegmaier 2008. S. 362.
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zwei Formen in Betracht, die hier besprochen werden sollen: 1) der Andere als Bild und 2) der Andere als Spur.2 Dieser Einschränkung des Gegenstandsbereiches korrespondiert eine methodische Einschränkung, denn die vorliegende Arbeit versteht sich als eine rhetorische Theorie. Daher sollen der Andere und die Orientierung am Anderen hier auch unter einem rhetorischen Blickwinkel diskutiert werden, der sich vor allem um einen Begriff dreht: Affirmation. Der Begriff der Affirmation soll also, bevor wir uns dem Anderen als Orientierungsmittel zuwenden, zuvor als rhetorischer Begriff eingeführt und in seinem Verhältnis zu anderen zentralen Begriffen besprochen werden. Im vorliegenden Zusammenhang erfolgt dieser Bezug durch die Diskussion von drei begrifflichen Verhältnissen: 1) das Verhältnis von Affirmation und Identifikation, 2) das Verhältnis von Affirmation und Negation und 3) das Verhältnis von Affirmation und Subversion. Während das erste Verhältnis den Begriff der Affirmation in das hier entwickelte rhetorische Theoriegebäude zu integrieren sucht, indem selbiger in Bezug gesetzt wird zur Basis der Persuasion, nämlich der Identifikation, untersuchen die folgenden beiden Aspekte das Verhältnis zu Gegenbegriffen der Affirmation. Dabei lässt sich vereinfachend sagen, dass der Gegenbegriff in der Logik zur bejahenden Aussage (Affirmation) die verneinende (Negation) ist, während in der Rhetorik der Gegenbegriff zur bestätigenden Aussage (Affirmation) die untergrabende (Subversion) ist. Durch diese begriffliche Auseinandersetzung sollen rhetorische Facetten der Affirmation freigelegt werden, die im Laufe dieses Kapitels die rhetorische Analyse von Designprodukten im Kontext der Orientierung an Anderen erlauben sollen. Zugleich wird durch die Diskussion des Verhältnisses von Affirmation und Subversion auch das vorangegangene Kapitel für die Diskussion des Gegenstandes dieses Kapitels fruchtbar gemacht. Da bereits im vorangegangenen Kapitel die Eckpfeiler einer Rhetorik der Subversion entwickelt wurden, können die dort vorgeschlagenen fünf subversiven Verkehrungen nun auch im Kontext einer Rhetorik der Affirmation als Kategorien genutzt werden, um die oben angezeigten Verhältnisse systematisch zu
2
In gewisser Weise könnte hier in der Terminologie von Charles S. Peirce auch davon gesprochen werden, dass der Andere als ‚icon‘ oder als ‚index‘ auftreten kann. Peirce schreibt zur Unterscheidung der Repräsentationsformen: „It follows that there are three kinds of representations. First. Those whose relation to their objects is a mere community in some quality, and these representations may be termed likenesses [d.i. icons]. Second. Those whose relation to their objects consists in a correspondence in fact, and these may be termed indices […]. Third. Those the ground of whose relation to their objects is an imputed character, which are the same as general signs, and these may be termed symbols“ (Peirce 1974. S. 295.). Den Anderen als Symbol, als dritte Repräsentationsform bei Peirce, zu untersuchen, muss den Rahmen der vorliegenden Arbeit notwendig sprengen und wird daher hier nicht vorgenommen.
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UND
O RIENTIERUNG
AM
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besprechen. In dieser Weise ist das vorliegende Kapitel als Komplement des vorangegangenen zu verstehen. Um das Grundproblem mit dem sich dieses Kapitel befassen wird noch einmal klar zu benennen: Der leiblich präsente Andere ist eine der wichtigsten Orientierungsmaßstäbe im alltäglichen Verkehr und daher nicht zu vernachlässigen, er ist aber zugleich kein Designgegenstand, er entzieht sich einem direkten und unmittelbaren Gestaltungswillen. Die hierdurch entstehende Kluft zwischen dem Anderen als einem der wirkmächtigsten Orientierungsmittel und zugleich (freiem) Zweck in sich, ist – so die Hypothese – für ein gelungenes Informations- und Kommunikationsdesign nur rhetorisch zu überbrücken. Vor diesem Hintergrund ist das vorliegende Kapitel als ein Hinweis in diese Richtung zu verstehen.
2. R HETORIK DER AFFIRMATION 2.1 Einführung Bevor wir uns der affirmativen Orientierung am Anderen zuwenden können, gilt es hier zunächst Grundkategorien der Affirmation in ihrer rhetorischen Dimension zu besprechen, wobei davon profitiert werden kann, dass diese Grundkategorien bereits im Kontext der Rhetorik der Subversion (Kapitel V) eingeführt sind und hier lediglich in ihrer affirmativen Nutzung besprochen werden müssen. Diese Übertragung und Fruchtbarmachung der Kategorien der Rhetorik der Subversion im vorliegenden Kontext ist letztlich durch die enge Verbindung von Affirmation und Subversion innerhalb einer rhetorischen Betrachtung gerechtfertigt. Um dies zu zeigen, gilt es hier zunächst diese Verbindung zu diskutieren: Jasinski schreibt hierzu in seinem Sourcebook on Rhetoric: „At first glance, the rhetorical processes of affirmation and subversion appear to be contradictory or antagonistic.“3 Auch wenn dieser erste Eindruck von Jasinski im Laufe seines Artikels differenziert wird, so bleibt er doch wichtig und diesen zurückzuweisen, würde gerade der engen Verbindung von Subversion und Affirmation nicht gerecht. Gerade in der Bestimmung als (scheinbar) kontradiktorische oder antagonistische Prinzipien liegt doch zugleich die Annahme begründet, einen engen Bezug zwischen Affirmation und Subversion zu vermuten, der letztlich – eben aufgrund des Antagonismus – in der Lage ist, einen ganzen Möglichkeitsraum rhetorischer Bemühungen aufzutun. Jasinski differenziert in diesem Sinne weiter: „Affirming or providing support for a position on a controversial issue is different from attacking or critiquing a position on that issue. Defending affirmative action – providing support for the policy – is not the same as attacking or subverting the arguments of someone who is against 3
Jasinski 2001. S. 166.
274 | R HETORIK DES D ESIGNS affirmative action. Affirmation and subversion appear to be distinct practices. But a dialectical perspective encourages us to see affirmation and subversion as linked in a larger process of advocacy: Almost any instance of deliberative discourse will contain affirmative and subversive elements.“4
Hier deutet sich bereits an, dass Affirmation und Subversion nicht bloß Stilmittel im rhetorischen Prozess sind, die bei Belieben genutzt werden können, sondern vielmehr Grundprinzipen der Rhetorik überhaupt. Eine andere Stelle bei Jasinski bringt diesen Aspekt klar auf den Punkt: „In between the two ends of the continuum is a large middle ground consisting of various mixtures of affirmation and subversion; in this middle ground, the constitutive or ideological-rhetorical force of narratives can simultaneously affirm some cultural norms (e.g., individualism, hard work) while subverting other elements of the culture (e.g., racism, sexism).“5 In dieser Weise fungieren die Begriffe Affirmation und Subversion in ihrem Verhältnis zueinander synonym zum Verhältnis der Begriffe ‚identification‘ und ‚division‘ bei Burke, die dieser – wie im Methodenkapitel deutlich wurde – als Koordinatenachsen des rhetorischen Feldes denkt.6 Affirmation und Subversion sind letztlich die Mittel, um Identifikation mit der Zielgruppe und deren Vorstellungen (und zugleich Trennung (division) in Bezug auf andere, konkurrierende Vorstellungen) zu erreichen. Eben der hierin deutlich gewordene enge Bezug von Affirmation und Subversion rechtfertigt die Annahme, dass die Kategorien der Subversion letztlich dieselben sind wie die Kategorien der Affirmation. Es müssen auch deshalb dieselben sein, weil keine erfolgreiche Subversion – insbesondere nicht im Sinne einer Subversion der Rhetorik selbst – zu denken wäre, wenn diese nicht gerade das verkehren würde, was üblicherweise Halt gibt. Damit Affirmation und Subversion ein Kontinuum aufspannen können, wie Jasinski betont, müssen sie sich eben auch in einem Kontinuum befinden. Von dieser Warte aus ergibt sich die Möglichkeit, jede rhetorische Bemühung, ganz gleich, wo diese in einem solchen Kontinuum anzusiedeln wäre, wahlweise in ihrer subversiven oder auch in ihrer affirmativen Dimension zu besprechen. Auch subversive Gestaltungen wie sie im vorangegangen Kapitel besprochen wurden, könnten demnach auf ihre affirmative Dimension hin durchleuchtet werden. Dabei wäre zu vermuten, dass beispielsweise der subversiven Rhetorik des Adbustings, die sich eben auch affirmativer Mittel bedienen muss, um zu überzeugen, eine affirmative Rhetorik der Werbung, die subversive Elemente einsetzt, um etwa Aufmerksamkeit zu erregen, spiegelbildlich gegenübersteht. Der methodische Vorteil, in diesem Kapitel auf eine bereits entwickelte Rhetorik der Subversion zurückgreifen zu können, liegt vor allem darin, die Bereiche einer 4
Ebd.
5
Ebd. S. 398.
6
Vgl. dazu Burke 1969a.
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affirmativen Rhetorik damit schon systematisiert zu haben. Eine wesentliche Kraft der Subversion liegt eben darin, die Ansatzpunkte der Affirmation, die eben weil sie affirmativ sind oft unreflektiert bleiben, aufzudecken und für eine rhetorische Analyse auch in Richtung einer bejahenden, bestätigenden und versichernden Rhetorik fruchtbar zu machen. Im Weiteren werden in diesem Sinne die fünf subversiven Verkehrungen als Kategorien affirmativer Orientierung interpretiert. Der Spannweite dessen, was als affirmativ in Bezug auf diese Kategorien bezeichnet werden kann, soll durch die Betonung eines bestimmten Aspekts der Affirmation Rechnung getragen werden, wobei sich diese Aspekte eben aus den Kategorien ergeben. In dieser Weise geht es im Weitern um Affirmation als Bekräftigung des rhetorischen Kalküls, Folgen von Verfahrensabläufen, Versicherung eines zielführenden ethos, Bedienen des pathos und Bejahung des logos. Mit diesen Begriffen werden zugleich wesentliche Aspekte eines affirmativen Orientierungsbezugs zum Anderen deutlich, auf die im letzten Teil des Kapitels näher einzugehen ist. 2.2 Bekräftigung des rhetorischen Kalküls Das rhetorische Kalkül beruht im Wesentlichen auf der Möglichkeit, dem Publikum Identifikationsangebote zu machen, die von diesem idealer Weise erkannt und anerkannt werden, und auf diese Weise persuasiv wirken zu können. Auf einer ersten Ebene besteht die affirmative Bekräftigung dieses rhetorischen Kalküls in nichts weiter als genau der Produktion und Kommunikation dieser Identifikationsangebote, kurz: auf der basalen Ebene ist Affirmation nichts weiter als ein Synonym für das Bestreben nach Identifikation. In dieser Weise ist Affirmation auch eine Grundlage zur Bildung kollektiver Einheiten und gemeinsamer Interaktion, also von dem, was Burke mit dem Begriff der Konsubstantialität beschreibt, und damit überhaupt der Ermöglichungsgrund der Orientierung an Anderen. In Bezug auf das rhetorische Kalkül und den angestrebten persuasiven Erfolg kann diese Bekräftigung desselben aber in vielen Situationen nicht offen kommuniziert werden, ohne damit zugleich ein Scheitern der rhetorischen Bemühungen zu riskieren. Die dissimulatio artis, das Verbergen letztlich genau dieses Kalküls, stellt damit eine häufig entscheidende Bedingung des rhetorischen Erfolgs dar, verbleibt aber – eben weil die dissimulatio im Dienste des Kalküls steht – in der Form einer affirmativen Bekräftigung des rhetorischen Kalküls. Anders als die subversive Dissimulation der Dissimulation (Dekonstruktion) oder der subversive Versuch der Entkräftigung des rhetorischen Kalküls (antipersuasive Rhetorik), erscheint bezüglich des Persuasionsstrebens innerhalb der rhetorischen Kunst die Rhetorik als die Kunst der Affirmation. Dieser Bezug wird vor allem in folgendem Zitat von Burke deutlich, auch wenn dieser hier nicht von Affirmation spricht: „Persuasion by flattery is but a special case of persuasion in general. But flattery can safely serve as our paradigm if we systematically widen its
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meaning, to see behind it in the conditions of identification or consubstantiality in general.“7 Obgleich die Mittel der Identifikation mannigfaltig sind und freilich nicht jedes Identifikationsangebot bloße Schmeichelei ist, sieht Burke richtigerweise in der Schmeichelei bereits das Prinzip der Identifikation angelegt. Ein wesentlicher Unterschied zwischen offener Schmeichelei und rhetorisch inszenierter Identifikation besteht dann vor allem in der Indienstnahme der dissimulatio artis. Die Mittel der Identifikation, kurz die Affirmation, reichen dabei über das ganze Spektrum, auf dessen einer Seite die offensichtliche Schmeichelei steht und dessen anderes Ende vielleicht mit einer Form affirmativer Subversion beschrieben werden könnte.8 2.3 Folgen von Verfahrensabläufen Wir hatten die Subversion von Ernsthaftigkeit in drei Bereiche eingeteilt, wobei die Ernsthaftigkeit des orators in den Bereich des ethos und die Ernsthaftigkeit des Redegegenstandes in den Bereich des pathos fiel. Der dritte Bereich einer möglichen Subversion der Ernsthaftigkeit betraf das Untergraben von Verfahrensabläufen. Ironie, Satire und Komödie setzen zum Teil genau hier an und verzerren, parodieren oder verballhornen formale Muster und Maximen, feste regelgeleitete Abläufe oder strukturierte Verfahren. Sie erzielen humorvolle und zuweilen groteske Wirkungen durch den gezielten Einsatz von Verfahrensfehlern wie Fehlberufungen oder Fehlanwendungen.9 Im Sinne der Affirmation wird genau dies nicht getan, sondern dem Verfahrensablauf mehr oder weniger streng und mehr oder weniger inszeniert Folge geleistet. Eine Affirmation in diesem Sinne ist die Voraussetzung des Zustandekommens von Sprechakten ebenso wie von Ritualen und Routinen und in eben diesem Sinne ist Affirmation eine der wichtigsten Grundlagen vermutlich aller sozialen Handlungen. Das aber heißt insbesondere, dass affirmatives Verhalten eine Grundlage sowohl für rhetorische Prozesse als auch für die Orientierung an den Handlungen anderer darstellt. Aufgrund der Omnipräsenz und bisweilen der Unterschwelligkeit routinemäßigen sozialen Handelns fällt dieses allerdings mitunter gar nicht als solches auf und wird oftmals erst dann bewusst, wenn es misslingt oder subversiv gebrochen wird. Viele Routinen erscheinen demnach als ‚natürlich‘ und selbst wenn sie womöglich durch rhetorische Bemühungen gelenkt oder initiiert werden, erscheinen 7 8
Ebd. S. 55. Im Unterschied – das sei hier nur angemerkt – zu Formen subversiver Affirmation, wie etwa Formen der Kommunikationsguerilla, die sich letztlich affirmativer Mittel zu subversiven Zwecken bedienen, operieren Formen der affirmativen Subversion genau umgekehrt. In diesem Sinne gebrauchen Formen des Guerilla-Marketings subversive (oder scheinbar subversive) Mittel zum Zwecke der Affirmation, also zur Bekräftigung des rhetorischen Kalküls.
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Zum Begriff der Fehlberufung und Fehlanwendung, siehe: Austin 1972.
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sie samt den dazugehörenden rhetorischen Mitteln als neutral. Dieser Gedanke von der Neutralität und deren rhetorische Indienstnahme im Design wird einer der Ausgangspunkte für die in Kapitel VII zu entwickelnde Rhetorik der Neutralität sein. Im vorliegenden Abschnitt soll zunächst an Beispielen die Affirmation als ein Befolgen von Verfahrensabläufen verdeutlicht werden, bevor wir versuchen werden, die Spannweite dieser Kategorie auszuloten. Ein erstes Beispiel ist recht einfacher und alltäglicher Natur: Eine Gruppe von Menschen steht an einer Straßenseite an der Ampel und wartet, dass diese Grün zeigt. Die Ampel reguliert den Menschenstrom dabei nach einem einfachen Verfahren, das bereits Kinder leicht erlernen können: ‚Bei Rot sollst du stehen, bei Grün darfst du gehen.‘ Das Verfahren ist so einfach, dass im Grunde nur zwei Handlungsweisen als Verfahrensfehler angesehen und sanktioniert werden können: Entweder bei Rot zu gehen (was als Ordnungswidrigkeit gilt) oder bei Grün zu stehen (was, insbesondere im Straßenverkehr, mitunter sozial geahndet wird). Zuweilen kommt es dennoch vor, dass das Verfahren bewusst außer Kraft gesetzt wird – etwa, wenn man nachts allein an einer roten Fußgängerampel steht. Stellen wir uns nun folgende Situation vor: Wir warten als Gruppe an einer roten Ampel und folgen damit dem Verfahren, obgleich die Straße frei ist. Plötzlich geht eine Person vor uns bei Rot über die Straße. Können wir uns nun vorstellen, dass es einen Unterschied macht und wir unterschiedlich reagieren, wenn diese Person a) ein Kind, b) ein Gruppenmitglied, c) eine attraktive Frau oder vielleicht d) ein Obdachloser ist? Kann es sein, dass wir manchen dieser Personen folgen würden, andere zurückrufen und wieder andere verächtlich betrachten? Wenn ja, gibt es dann Regelmäßigkeiten bei welchen Personentypen welche Reaktionen wahrscheinlicher sind? Auch wenn die Beantwortung dieser Frage nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist, soll doch wenigstens angemerkt sein, dass die Beantwortung dieser und vergleichbarer Fragen auch in den Bereich der Rhetorik (etwa der Mode) fällt. Was sich hier so einfach ausnimmt, stellt letztlich ein Grundproblem auch für den Designer von Orientierungs- und Regulierungssystemen dar, denn die Verfahrenssicherheit kann durch derlei Störungen schnell ins Wanken geraten, insbesondere wenn die entsprechende Person in einem gewissen Sinne als Vorbild anerkannt wird, kann die Orientierung in bestimmten Situationen sich vom Verfahren lösen und am Handeln Anderer ausrichten. Deutlich wird diese Herausforderung für das Design in unzähligen Alltagsfällen. Etwa auch wenn einfache Regeln, wie ‚rechts stehen, links gehen‘ auf Rolltreppen zwar – nicht zuletzt durch ihre Analogie zum Straßenverkehr – als bekannt vorausgesetzt werden können und zusätzlich durch Hinweise auf diese verwiesen werden soll (Abbildung 54), aber dennoch zugleich – eben auch aufgrund der vermeintlichen Trivialität des Falls, diese Verfahrenssicherheit schnell ins Wanken geraten kann. Es kann schon hier die These aufgestellt werden, die im Laufe dieses Kapitels bekräftigt werden soll, dass die Wirkmacht der Orientierung am leiblichen Anderen (der kein Produkt der Gestaltung ist) in vielen Fällen so groß ist, dass da,
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wo Designprodukte Verfahren sichern sollen, die zugleich mit routinierten Handlungsabläufen in Konflikt stehen und daher immer wieder leiblich präsente Andere auf den Plan rufen, die das Verfahren handelnd sabotieren, letztlich der rhetorische Einfluss des Designproduktes nicht ausreichen wird, um wirkliche Verfahrenssicherheit herzustellen. Ein augenfälliges und recht einfaches Beispiel findet sich etwa in vielen Parks, wo Wege angelegt und damit Wegmöglichkeiten ‚vorgezeichnet‘ sind. Weil sich diese Wege zur Erreichung bestimmter Destinationen als umständlich und die Wegführung als ‚nicht einleuchtend‘ dargestellt hat, bilden sich nach und nach Trampelpfade aus, die nicht nur ein sichtbarer Beleg der Wegabweichung sind, sondern zugleich (und vielleicht auch deswegen) eine Einladung zur Wegabweichung (Abbildung 55). Vielmehr ist zu vermuten, dass in Fällen eines echten Widerspruchs zwischen designter Verfahrenssicherung und routinierten Handlungen, letztlich der Aufforderungs- und Regulierungseinfluss beispielsweise von Warnhinweisen nachhaltig in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Die Rhetorik der Affirmation, die es hier zu entwickeln gilt, dient vor diesem Hintergrund vor allem als eine wesentliche Basis der Überlegungen des rhetors innerhalb der ‚Phase der Problemfindung‘, der intellectio. Abbildung 54 (links) und 55 (rechts)
Betrachten wir ein anderes, komplexeres Beispiel, das zunächst in den Bereich der Subversion von Verfahrensabläufen fällt, dann, in einem zweiten Schritt, aber die Affirmation deutlich werden lässt (Abbildung 56): Der Street-Art Künstler Banksy täuschte damit die legale Freigabe einer Wand zum Besprühen vor, indem er in Form eines Fakes die Autorität einer vorgeblichen orator-Instanz nutzte.10 Diese Subversion erscheint sogar durch die bewusst falsche Schreibweise von Graffiti (bei Banksy: Grafitti) auf die Spitze getrieben. Der für eine Rhetorik der Affirmation interessante Punkt ist nun aber der, dass binnen kurzer Zeit andere Sprayer meinten, hier legal
10 Dieses Beispiel ist auch im Kontext einer Rhetorik des Zeigens und des place-makings besprochen worden, wo es im Bereich der ethos-Strategien der Aufforderung und Regulation verortet wurde. Vgl. Smolarski 2017.
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sprühen zu können und selbst das Ordnungsamt, wenn man Banksys eigenen Aussagen in diesem Punkt trauen kann, auf den Fake hereinfiel. Der Fokus einer Rhetorik der Affirmation liegt dann weniger auf dem subversiven Akt des illegalen Anbringens eines ‚Autorisierungsgraffitis‘, sondern eben in der damit gegebenen (wenn auch nur simulierten) Verfahrenssicherheit, die es anderen Sprayern erlaubte, hier tagsüber, ungetarnt und öffentlich zu sprühen. Hierin zeigt sich bereits eine enge Verbindung der Affirmation im Sinne des Folgens von Verfahrensabläufen und den bereits an anderer Stelle11 besprochenen Strategien der Aufforderung und Regulation, wo auch auf dieses Beispiel eingegangen wurde, und zudem wird hierin bereits deutlich, was im Laufe dieses Kapitels noch näher zu besprechen ist, dass nämlich auch vermeintlich subversive Aktionen wie Graffiti-Sprühen sich als affirmative Techniken verstehen lassen. Genauer wird zu zeigen sein, dass Graffiti als subkulturelles Phänomen sogar einen ganzen Katalog affirmativer Verfahrensabläufe entwickelt hat. Abbildung 56
11 Vgl. Ebd.
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Im Sinne einer Rhetorik der Affirmation geht es – insbesondere in Bezug auf Fragen des Designs – darum, dem Publikum ein möglichst einfaches Erkennen von Verfahrensabläufen zu ermöglichen und diesem beim Befolgen derselben behilflich zu sein. Auf diese Weise ist die Affirmation ein wesentlicher Bestandteil jeder Regulierung. Dies gilt im Übrigen schon dem Namen nach, denn ‚regulieren‘ meint zunächst nichts anderes, als Regeln in Anschlag zu bringen, denen zu folgen ist. Das Anerkennen und bereitwillige Folgen von Regeln, was eine Bereitschaft bezeichnet, die herzustellen Teil des rhetorischen Prozesses ist, ist dabei ein affirmatives Verhalten. Versucht man das Gebiet der Affirmation im Sinne des Befolgens von Verfahrensabläufen zu umfassen, so reicht es von Pedanterie über routinemäßiges Handeln bis zur strategischen Indienstnahme von Verfahrensabläufen und schließlich auch der subversiven Inszenierung von Pedanterie als einer Form subversiver Affirmation.12 2.4 Versichern eines zielführenden ethos An der Formulierung ‚mit gutem Beispiel vorangehen‘ ist einiges bemerkenswert, das im vorliegenden Zusammenhang relevant erscheint. Im Wesentlichen sind hierin drei interessante Momente zum Ausdruck gebracht: Zum einen betont diese Formulierung – wenig überraschend –, dass es offensichtlich möglich ist, dass Menschen und deren Handlungen als Beispiele genommen werden können. Etwas als Beispiel zu verstehen, impliziert dabei, den induktiven Schritt zu vollziehen, um aus dem gegebenen Einzelfall auf eine allgemeine Regel zu schließen und dann in einem deduktiven Schritt sich selbst als unter diese Regel fallend zu verstehen. Ist dieser Zweischritt vollzogen und überzeugend, dann kann das Verhalten dessen, der da mit gutem Beispiel vorangeht, für das Verhalten anderer tatsächlich beispielhaft sein, wobei ‚beispielhaft‘ in diesem Zusammenhang nichts anderes bedeutet als ‚vorbildhaft‘. Vorbilder fungieren – auch strukturell – als Beispiele: Werden sie als Vorbild erkannt 12 Einige Beispiele subversiver Affirmation im Kontext der Kommunikationsguerilla führen Luther Blisset und Sonja Brünzels in ihrem Handbuch der Kommunikationsguerilla an. Dort schreiben sie: „Eine wirkungsvolle Vorgehensweise zur Verfremdung gegebener Formen, Aussagen oder Regeln ist es, sie in einer übertriebenen und daher in einer gegebenen Situation ‚unpassend‘ wirkenden Weise einzusetzen. Ein Paradebeispiel für übertriebene Zustimmung ist der Auftritt von Herrn und Frau Müller, die bei einer Diskussion im Schweizer Fernsehen anlässlich der Zürcher Jugendunruhen 1981 nicht die Meinung ‚der Bewegung‘ vertraten, als deren Vertreterinnen sie eigentlich geladen waren, sondern stattdessen die Position ihrer Gegner grotesk zuspitzten“ (Blisset/Brünzels 1997. S. 80.). Die Autoren betonen, dass die Methode einer solchen subversiven Affirmation am wirkungsvollsten sei, „wenn sie eine oszillierende Wahrnehmung bewirkt, d.h. wenn die Übertreibung offensichtlich genug ist, dass sie irritiert und verunsichert, aber doch so versteckt bleibt, dass sie nicht eindeutig zuordenbar und identifizierbar ist“ (ebd.).
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und anerkannt, so kann das eigene Handeln an diesen ‚abbildhaft‘ ausgerichtete werden und die Abbildungsfunktion, die diese Übertragung zulässt, kann in der Form einer allgemeinen Regel, eben dem Aspekt bezogen auf den das Vorbild ein Vorbild ist, angegeben werden. Den gedanklichen Schritt beim Beispielgebrauch über eine ‚allgemeine Regel‘ beschreibt Aristoteles als notwendig, was aber nicht bedeutet, dass es rhetorisch auch notwendig oder in jedem Zusammenhang auch nur sinnvoll ist, diese Regel tatsächlich auch offen zu kommunizieren.13 In diesem Sinne fungieren etwa in der Werbung Testimonials und Stereotype als Vorbilder im werblichen Kontext; sie werden als vorbildliche Konsumenten der beworbenen Produkte oder Dienstleistungen inszeniert, deren rhetorischer Wert vor allem darin besteht, vom potentiellen Neukunden auch ‚vorbildhaft‘ verstanden zu werden. In dieser Weise bedeutet – um eines von unzähligen Beispielen herauszugreifen – der Name ‚Christian‘ im hier gezeigten Plakat zunächst nichts anderes als ‚auch Du‘ (Abbildung 57). Dieses Beispiel-Sein wird in der obigen Formulierung nun näher als ein ‚gutes Beispiel‘ qualifiziert. ‚Gut‘ kann sich dabei auf verschiedene Aspekte beziehen, auch wenn hier vor allem einer zum Ausdruck kommen soll: Ein ‚gutes Beispiel‘ ist eines, das gut zu den konventionellen Verhaltensformen passt und nicht aus dem System allgemein anerkannter Regelsätze der Gruppe herausfällt, die diese Aufforderung (‚mit Abbildung 57
13 Vgl. Arist. Rhet. 1357b27ff. Siehe dazu auch: Sprute 1982; Zantwijk 2009a.
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gutem Beispiel vorangehen‘) formuliert und in eben dieser Hinsicht wird deutlich, dass der Führende im Grunde selbst ein Geführter ist. In einem etwas anderen Zusammenhang, der diesen Aspekt aber klar zu erhellen vermag, schreibt Simmel in Bezug auf den ‚Modenarr‘ in seiner Philosophie der Mode: „In dem Modenarren und Gigerl [erscheinen die gesellschaftlichen Forderungen der Mode] auf eine Höhe gesteigert, auf der es wieder den Schein des Individualistischen, Besonderen, annimmt. Der Gigerl treibt die Tendenz der Mode über das sonst inngehaltene Maß hinaus: wenn spitze Schuhe Mode sind, lässt er die seinigen in Schiffsschnäbel münden, wenn hohe Kragen Mode sind, trägt er sie bis zu den Ohren, wenn es Mode ist, sonntags in die Kirche zu gehen, bleibt er von morgens bis abends darin usw. Das Individuelle, das er vorstellt, besteht in quantitativer Steigerung von Elementen, die ihrem Grade nach eben Gemeingut der Menge sind. Er geht den anderen voraus, wenngleich genau auf ihrem Wege. Scheinbar marschiert er an der Tête der Gesamtheit […]; tatsächlich aber gilt von dem Modehelden, was allenthalben im Verhältnis des Einzelnen zu seiner sozialen Gruppe zu beobachten ist: dass der Führende im Grunde der Geführte ist.“14
Damit in engem Zusammenhang stehend, betont ‚gut‘ in der obigen Formulierung zum anderen auch eine dezidiert rhetorische Dimension. Eben weil der Betreffende ‚mit‘ und nicht bloß ‚als‘ gutes Beispiel vorangehen soll, soll er sich selbst zum vorbildhaften Instrument machen: Er soll als rhetorisches Überzeugungsmittel fungieren. Das gelingt aber nur, wenn sich das Publikum, das diesem folgen soll, sich des ethos (vor allem Einsicht und Wohlwollen) des Vorbildes auch versichern kann. Tatsächlich gefolgt wird dem Vorbild allenfalls dann, wenn die Charakterzuschreibungen des Publikums diesem ein ‚zielführendes ethos‘ versichern. An dieser Stelle von ‚Versicherung‘ zu sprechen, soll die Zweiseitigkeit des Prozesses betonen: Indem das Publikum dem Führenden ein zielführendes ethos versichert, versichert es sich selbst zugleich als tatsächlich zielgeführtes Publikum. Dieser Prozess kann dabei von anderen Motiven begleitet sein und so kann es, wie Joseph Luft betont, mitunter eben auch zur (zugeschriebenen) „Rolle des Führers gehören, der Gruppe als Sündenbock zu dienen.“15 Der dritte Aspekt, der durchweg in der bisherigen Analyse mit angesprochen wurde und der trotz seiner Offensichtlichkeit hier noch erwähnt werden soll, betrifft das Wort ‚vorangehen‘. Wenn jemand mit gutem Beispiel ‚vorangeht‘ – im wörtlichen Sinne – , dann meint dies zum einen, dass der Betreffende in Bezug auf sichtbare Handlungen beispielhaft sein soll und dass diese Handlungen zum anderen für die Gruppe ‚neues Terrain‘ beschreiten. Vorangehen ist in diesem Sinne vor allem da
14 Simmel, Georg: Philosophie der Mode. Frankfurt am Main 1995. S. 19. 15 Luft, Joseph: Einführung in die Gruppendynamik. Stuttgart 1963. S 46.
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bedeutsam, wo in einer komplexen Situation keine ausreichende Regelsicherheit besteht, entweder weil keine Regeln verbindlich scheinen oder weil sich verbindliche Regeln widersprechen. Der Vorangehende soll dann vorangehend zum Regelgeber werden, zur Präzedenz. Eine Präzedenz freilich, die mit den übrigen geteilten Regelsätzen nicht im Widerspruch steht. Eine Anmerkung erscheint hier notwendig: Der hier beschriebene Aspekt des ‚Vorangehens‘ fällt in vielen Fällen, wo diese Aufforderung etwa aus pädagogischen Gründen Kindern gegenüber gemacht wird, die anderen Kindern gegenüber (ihren jüngeren Geschwistern etwa) vorbildhaft sein sollen, nur scheinbar anders aus. Die von einem Kind erwarteten Handlungen, die mit der Aufforderung, vorbildhaft zu sein, verbunden sind, sind freilich für die erwachsenen Erzieher (Eltern, Lehrer, etc.) kein ‚neues Terrain‘. Die Erzieher fordern vom Kind ein affirmatives Verhalten, das – nicht zuletzt auch in seiner Affirmation – anderen Kindern vorbildhaft sein soll. Der oben gewählte Ausdruck ‚neues Terrain‘ steht dazu aber nicht im Widerspruch, wenn man bedenkt, dass zur Gruppe, für die das Terrain neu ist, die Erzieher gar nicht gehören, denn das Kind wird nicht aufgefordert, diesen, den Erziehern, voranzugehen, sondern seinen Geschwistern, Freunden oder Kindergartengenossen.16 Die Analyse der Formulierung ‚mit gutem Beispiel vorangehen‘ hat wesentliche Punkte benannt, die auch in der alltäglichen Orientierung am Handeln Anderer zum Tragen kommen. Auch wenn der Andere mitunter gar nicht weiß oder beabsichtigt, beispiel- oder vorbildhaft in seinem Tun zu wirken, kann er doch vom Publikum in bestimmten Situationen des Orientierungsverlustes zum Beispiel oder Vorbild genommen werden. In diesem Sinne gilt: „Andere schaffen eine neue Orientierungssituation. Sie orientieren mehr als alles andere und beunruhigen oder beruhigen mehr als alles andere.“17 Stegmaier begründet dies wie folgt: „an demselben Ort und zur selben Zeit kann man eine Situation immer auch anders sehen, und aus anderen Sichten können sich erfolgreichere Handlungsmöglichkeiten auftun.“18 Notwendige Bedingung für die Orientierung am Handeln anderer ist demnach – wie bei allen sozialen Prozessen –, der Versuch der Perspektivübernahme. Dabei gilt aber auch, wie 16 Um noch ein Beispiel zu nennen: Auch wenn der Leiter der Pfadfindergruppe in einer Gefahrensituation selbst auf den ‚altbekannten Wegen‘ vorgeht, so führt er damit doch vorbildhaft durch ‚neues Terrain‘, nämlich durch die Gefahrensituation, in der bekanntlich auch ‚altbekannte Wege‘ plötzlich neue Gefahren bergen können. Es gilt vom ‚Vorbild‘ in diesem Beispiel, wie auch in anderen, was Stegmaier sagt: „Einer findet sich in neuen Situationen immer wieder rasch zurecht, andere verlassen sich auf ihn, überlassen ihm ihre Orientierung und verzichten auf eine eigene.“ (Stegmaier 2008. S. 364.) Genau hierin, in diesem ‚Sich-Verlassen auf‘, liegt, eben auch mit allen Gefahren des ‚Sich-Verlassens auf‘, die Bedeutung des ethos für Orientierungsprozesse begründet. 17 Ebd. S. 363. 18 Ebd.
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durch einen Verweis auf den Motiv-Zirkel bei Burke deutlich wird: Die motivational bestimmte Perspektive des Anderen kann nur dann – im Rahmen einer Unterstellung – übernommen werden, wenn seine sichtbaren Handlungen auf seine hierdurch vermittelt erkennbare Situationsbestimmung hin befragt werden. Die Perspektive des Anderen offenbart dann entweder eine (unterstellte) Situationsbestimmung des Anderen, die von der eigenen Situationsbestimmung abweichen kann und damit Handlungsräume eröffnet oder die eigene Situationsbestimmung bestätigen kann und damit die eigenen Handlungsräume absichert. Je nach der Differenz dieser Situationsbestimmungen kann das dann als beruhigend oder beunruhigend erfahren werden. Ob eine abweichende oder bestätigende Situationsbestimmung beruhigend oder beunruhigend wirkt und ob sie Anlass zu affirmativen Handlungen gibt, ist letztlich aber auch eine Frage des zugeschriebenen ethos. Mehr noch: Wird Orientierung nicht nur räumlich als Weg- und Lageorientierung verstanden (was Gegenstand dieser Arbeit ist), sondern auch in moralischer, ethischer und anderer Hinsicht, so umfasst die Orientierung am Handeln Anderer in ihrem Kern die gesamte rhetorische Kategorie des ethos, denn das ethos bekräftigt die Möglichkeit des orators, in und durch sein Reden, den anderen ‚mit gutem Beispiel voranzugehen‘. Übertragen auf den Bereich des Kommunikations- und Informationsdesigns ist zu fragen, ob auch der Designer in seiner rhetor-Funktion es vermag, dem Publikum eine orator-Instanz zu liefern, die von diesem als ‚mit gutem Beispiel vorangehend‘ empfunden wird oder zumindest wahrscheinlich empfunden werden kann. Da es im Bereich des Kommunikations- und Informationsdesigns keine oder kaum eine Möglichkeit gibt, den leiblichen Anderen hierfür in Betracht zu ziehen, wird der Gestalter lediglich mit zwei Mitteln arbeiten können: 1) dem Anderen als Simulation und Bild und 2) dem Anderen als Spur. Diesen beiden Mitteln werden wir uns am Ende des Kapitels auch in Bezug zum ethos zuwenden. Als Zwischenfazit dieses Unterkapitels gilt es, hierfür folgendes festzuhalten: Für eine Rhetorik der Affirmation im Bereich des ethos geht es vor allem darum, Handlungen Anderer und/oder deren Resultate als affirmative Mittel zu gebrauchen, die für ein Zielpublikum in einer bestimmten Situation beispielhaft sein können. In Bezug zum ethos kann dieser Beispielcharakter auch als Vorbildcharakter benannt werden. In Bezug zum Design werden hierfür vor allem Zeichen eine Rolle spielen, die als Handlungsresultate und sichtbare Spuren verstanden werden und als solche beispielhaft wirken können. Anhand solcher Zeichen kann dann eben auch ein Zielpublikum, wenn dieses meint, dem (vermeintlichen) Urheber ein der Situation angemessenes ethos unterstellen zu können, sich seiner Orientierung versichern.
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2.5 Bedienen des pathos Das eigene Verhalten in bestimmten Situationen sicher orientieren zu können, umschließt auch den Bereich der Emotionen, Stimmungen und Wertvorstellungen, kurz: das pathos. Bestimmte Emotionen sind etwa an bestimmten Orten gewünscht, an anderen geduldet und an wieder anderen unerwünscht. Häufig zu beobachten ist dieser Wechsel des situativen Rahmens beispielsweise, wenn Fußballfans nach dem Spiel mit dem Zug nach Hause fahren, wo die sich emotional entladenden Fangesänge, die im Stadion einen wesentlichen Teil der als angemessen empfundenen Atmosphäre ausmachen, von den Mitreisenden schnell als unangemessenes Gegröle bewertet werden. Situationsangemessen handeln zu können, umfasst in diesem Sinne also auch die Dimension des pathos und auch hier kann eine Orientierung am Handeln Anderer grundlegend sein. Die Orientierung am Anderen wird dann umso entscheidender, wenn die Situation in ihrem emotionalen Anforderungscharakter nicht eindeutig identifiziert werden kann oder wenn es etwa keine diesbezüglich verbindlichen und eindeutigen Konventionen zu geben scheint. In dieser Weise etwa, wenn man sich mit Freunden zu einem lustigen Abend in einer Kneipe verabredet hat, selbst aber erst später dort eintreffen kann, und die Freunde zwischenzeitlich auf ernste, emotional belastende Themen gekommen sind: Hier ist es notwendig, möglichst schnell an den Handlungen, an Gestik und Mimik der Beteiligten, den emotionalen Erwartungsrahmen von ‚lustiger, geselliger Abend‘ auf ‚Problemdiskussion‘ zu verschieben und sich entsprechend verhaltend, eine womöglich freche Neckerei zum Einstieg wegzulassen oder aber sie gerade deshalb zu forcieren, um die Stimmung zu heben. Dies ist so selbstverständlich, dass es hier nicht näher ausgeführt zu werden braucht. Ebenso wenig muss auf die bedeutende Rolle des pathos als rhetorisches Überzeugungsmittel eigens verwiesen werden. Weniger selbstverständlich erscheint hingegen die Frage, inwieweit ein Bedienen des pathos, also der Stimmungen, Gefühle, Emotionen und Wertvorstellungen des Publikums, auch eine Frage des Designs und insbesondere eine Frage des Informations- und Kommunikationsdesigns ist. Im vorliegenden Abschnitt geht es daher zunächst um die Frage nach der Struktur der Affirmation des pathos durch Designprodukte. In der Diskussion um den Anderen als Bild und den Anderen als Spur sollen die hier zu entwickelnden Gedanken dann auch übertragen werden auf die designrhetorische Orientierung am Anderen. Strukturell ist das Bedienen des pathos im und durch Designobjekte des Informationsdesigns nur als Doppelstruktur denkbar: In der einen Richtung werden Designobjekte genutzt, um Situationen auch in Bezug auf die hier angemessenen Emotionen und Wertvorstellungen zu bestimmen und diese Bestimmung dem Publikum mitzuteilen. Es handelt sich hierbei also um die Aufforderung zur Affirmation. In der gegenläufigen Richtung werden gezielt die im Publikum bereits vorhandenen und von
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Abbildung 58 und 59 (oben), Abbildung 60 und 61 (unten)
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diesem für angemessen gehaltenen Emotionen und Wertvorstellungen in je spezifischen Situationen bedient und dieses Bedienen wird ihnen mitgeteilt. Es handelt sich hierbei also um eine Affirmation der Publikumsbedürfnisse, die durch ihre Mitteilung zugleich das ethos der orator-Instanz (etwa das zugeschriebene Wohlwollen) stärken können. Schauen wir uns ein Beispiel an: Hier wird durch eine Intervention offensichtlich der Wert ‚Sauberkeit‘ betont (Abbildung 58.). Dabei ist davon auszugehen, dass Sauberkeit vom Publikum bereits als Wert anerkannt ist und als solcher auch gefordert wird. Die Mitteilung dieses Wertes von Seiten des orators bedient also tatsächlich eine Wertvorstellung, die bereits im Publikum verankert ist, womit der orator sein ethos zu stärken vermag – die sorgsame Gemeinde, die versucht, es allen so gemütlich und schön wie möglich zu machen. Auf der anderen Seite wird mit dieser Intervention aber zugleich zur Affirmation aufgerufen. Das Publikum soll eben im Sinne des Wertes handeln, den es ohnehin als Wert anerkennt. Wäre dem nicht so und würde etwa eine Gruppe von Menschen Sauberkeit nicht für einen angemessenen Wert in den üblichen Parksituationen halten, so würde dieser Aufruf zur Affirmation daran allenfalls indirekt etwas zu ändern vermögen. Denn indem dieser Aufruf zur Affirmation weithin sichtbar präsentiert wird, kann er anderen Parkbenutzern als zusätzliches Argument dienen, die Gruppe persönlich zur Affirmation aufzufordern. Oder anders: Diese Intervention liefert dem leiblich präsenten Anderen ein – vielleicht wenig überzeugendes, aber immerhin ein zusätzliches – Argument. In analoger Weise können letztlich auch die Aufrufe zur Ruhe und Ordnung (Abbildung 59) oder zur Sicherheit (Abbildung 60) verstanden werden. Interessant ist, dass der Aufruf zu Ruhe und Ordnung, die als Fahrgastbedürfnisse im Beispiel der Deutschen Bahn bedient werden, in diesem Beispiel subversiv gebrochen erscheinen (Abbildung 61). Dabei bezieht sich die Subversion aber nicht auf das pathos – auch in diesem Eingriff werden Fahrgastbedürfnisse angesprochen und die vorher betonten werden hier auch nicht unterwandert oder verkehrt –, sondern auf das ethos, das eben durch das Bedienen des pathos mit angesprochen wird. Bezüglich des pathos kann auch dieses Beispiel als affirmativ bezeichnet werden. Diese Beispiele deuten darauf hin, dass die Affirmation des pathos im Informationsdesign vor allem in zweierlei Weise von Bedeutung ist: Die Affirmation des pathos ist erstens im Kern eine ethos-Strategie und liefert zweitens dem leiblich präsenten Anderen ein zusätzliches Argument zur intendierten Regulation. 2.6 Bejahen des logos Der Bereich des logos als drittes, klassisch-rhetorisches Überzeugungsmittel bezeichnet die Überzeugung des Publikums durch die Rede selbst und dabei insbesondere durch die begründende, argumentative und in idealer Weise auch logisch schlüssige Auseinandersetzung mit einem Thema. Wie wir in der Besprechung der Rhetorik
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der Subversion gesehen haben, stellt die Subversion des logos eine der Kategorien möglicher Strategien dar, die dann vor allem darauf abzielt, den Prozess der Argumentation zu stören, Argumente absichtlich ins Leere laufen zu lassen oder ein Spiel mit Paradoxien und Aporien zu betreiben. Im Extremfall höhlt die Subversion im Bereich des logos gänzlich die Möglichkeiten gezielter Kommunikation und damit auch den Bereich des Rhetorischen aus. Affirmation im Bereich des logos soll im Gegensatz hierzu zunächst recht allgemein nicht mehr meinen als den durchaus gängigen Versuch, durch das Wahrscheinlichmachen von Prämissen und Schlussverfahren ein Wahrscheinlichmachen und damit ein Glaubwürdigmachen von Konklusionen zu ermöglichen. Die rhetorischen Schemata hierzu werden als Enthymeme bezeichnet, die sich von logischen Syllogismen vor allem in zwei Aspekten unterscheiden: Zum einen sind die Schlussverfahren eines Enthymems nicht zwingend, sondern selbst lediglich rhetorisch wahrscheinlich, zum anderen gilt das Enthymem als unvollständiger Syllogismus, da im Enthymem nicht alle Prämissen und bisweilen nicht einmal die Konklusionen offen kommuniziert werden müssen.19 Während ein logischer Syllogismus also aus wahren Prämissen logisch zwingend auf die Wahrheit der Konklusion schließen kann, kann mit einem Enthymem nur aus den wahrscheinlichen Prämissen eine Konklusion wahrscheinlich gemacht werden. Affirmation meint hierin das Aufstellen einer bejahenden Behauptung, die notwendig ist, um überhaupt Prämissen zu haben. Die bejahende Behauptung ist die Basis aller Argumentation, in der Prämissen gesetzt werden müssen, um zu Konklusionen voranschreiten zu können. In diesem recht allgemeinen Sinn erscheint die Affirmation also auch im Bereich des logos als eine Grundhaltung der Rhetorik. Und die Mittel und Möglichkeiten der Affirmation im Bereich der Argumentation genauer zu benennen, würde demnach zur Entfaltung der gesamten Kategorie des logos führen. Da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde, soll im vorliegenden Kapitel die Bejahung als affirmative logos-Technik allein in Bezug auf die Schnittmenge der Felder Orientierung und Design in den Blick genommen werden. Aber auch trotz dieser Einschränkungen zielt dieses Kapitel nicht darauf ab, eine vollständige Analyse affirmativer logos-Techniken im Design zu entwickeln, sondern vielmehr Gedanken hierzu zusammenzutragen, die überhaupt erst eine Entwicklung dieser Art ermöglichen könnten. Eine ausführlichere Analyse von logos-Strategien findet sich dann im Kapitel VII, wo diese einen wesentlichen Anteil in Bezug zu Fragen der Funktionalität an der dort zu entwickelnden Rhetorik der Neutralität haben. Ein Beispiel soll deutlich machen, in welche Richtung die Überlegungen in Bezug auf Design hier gehen könnten (Abbildung 62). Das hier gezeigte Schild macht
19 Zur Enthymemtheorie siehe: Sprute 1982. Van Zantwijk macht gegen Sprute deutlich, dass auch das rhetorische Schlussverfahren nicht zwingend ist, sondern lediglich wahrscheinlich. Vgl. Zantwijk 2009a.
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Abbildung 62
deutlich, dass an dieser Straßenbahnhaltestelle nicht geraucht werden soll. Deutlich wird dies in erster Linie durch das Piktogramm, das in dieser Bedeutung konventionalisiert ist. Interessant und Ausgangspunkt unserer Überlegungen soll aber die gewählte sprachliche Botschaft sein: ‚Danke, dass Sie hier nicht rauchen!‘ Dieser Satz ist offensichtlich kein Verbot (‚Rauchen verboten‘) und auch keine Bitte (‚Bitte hier nicht rauchen‘) oder Frage, sondern eine indikativische Setzung, eine bejahende Behauptung. Diesem Satz folgend steht fest: Sie rauchen hier nicht. Wenn Sie nun doch hier rauchen, dann gilt: Sie rauchen hier nicht und Sie rauchen hier; p und nicht p: ein Widerspruch. Während gegenüber einem Verbot eine Missachtung nicht in einen logischen Widerspruch führen würde, sondern schlichtweg eine Übertretung darstellt, kann gegen diesen indikativisch formulierten Satz zum einen gar nicht verstoßen werden (er gebietet oder verbietet ja nicht), zum anderen führt eine Missachtung des Satzes zu einem logischen Widerspruch. Der Situation angemessenes, affirmatives Verhalten bestünde dann schlichtweg darin, diese Setzung nicht zum Widerspruch führen zu lassen und das, was dort indikativisch gesetzt wird, handelnd zu bejahen. Wenn: ‚Danke, dass Sie hier nicht rauchen‘, dann ‚Ja, ich rauche hier nicht.‘ Wenn p, dann p: eine Tautologie. Es ist leicht zu sehen, dass das eine andere Struktur ist als folgende: Wenn ‚rauchen verboten‘, dann ‚ich rauche hier nicht.‘ Die bezweckte Wirkung ist freilich dieselbe, die dazu gebrauchten rhetorischen Mittel unterscheiden sich aber deutlich. Gegen ein Verbot kann agiert werden und in allen Fällen von Verboten oder Geboten muss man sich verhalten. Eine indikativisch formulierte Behauptung fordert in dieser Weise kein ‚sich Verhalten‘ ein, man kann sie allenfalls widerlegen. Rhetorisch gesehen wird mit dem Satz ‚Danke, dass Sie hier nicht rauchen!‘ also sprachlich versucht, eine potentielle Opposition gegenüber als zu restriktiv empfundenen Verboten zu umgehen und stattdessen schlichtweg den
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Fakt zu behaupten, dass Sie hier nicht rauchen; und für diesen Fakt, der sprachlich gesehen gar nicht das Ergebnis ihres Tuns ist, bedankt man sich als Teil einer ethosStrategie. Für den nichtrauchenden Raucher wie auch für die anderen Benutzer der Straßenbahnhaltestelle, wird durch das Piktogramm das Verbot als Verbot klar ersichtlich und die sprachliche Botschaft mag dann zwischen Redundanz, Schmeichelei oder Freundlichkeit changieren. Dies ist ein Beispiel für den Versuch, die pathosElemente, die mit einem Verbot einhergehen zu umgehen und stattdessen auf eine logos-Strategie bejahender, affirmativer Behauptungen auszuweichen. Dieses Ausweichen ist letztlich damit zugleich eine ethos-Strategie. Dieses (zugegeben recht einfache) Beispiel führt doch zu einer (potentiell) interessanten Feststellung. Im Bereich des logos ist der Unterschied zwischen einem Verbot und einer indikativischen Behauptung in summa folgender: Der Verstoß gegen ein Verbot ist ein Übertritt, der als solcher das Verbot nicht außer Kraft setzt. Die Handlung, die der behaupteten Handlung entgegensteht, führt hingegen zum Widerspruch mit der Behauptung und diese damit performativ ad absurdum. Die aufgestellte Behauptung ist damit schlichtweg falsch und nicht mehr gültig. Im Grunde ist das nichts anderes als eine (wenn auch nur schwache) Einladung zur Subversion.20 Abbildung 63 (links) und 64 (rechts)
20 Explizite Verbote stellen hingegen keine Einladungen zur Subversion dar. Wenn gegen ein Verbot gehandelt wird, dann ist dies kein subversiver, sondern ein illegaler oder illegitimer Akt. Auch wenn die Grenzen zwischen Subversion und Illegalität nicht immer klar gezogen werden können und häufig subversive Akte illegal und illegale Akte auch subversiv sein können und überdies bisweilen auch das subversive Moment gerade in der Illegalität und die Illegalität im Moment der Subversion liegen können, so handelt es sich doch um zwei getrennte Bereiche. Im vorliegenden Fall könnte zwar gegen ein explizit formuliertes Rauchverbot verstoßen, dieses könnte damit aber nicht als falsch oder ungültig herausgestellt werden.
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Auf der anderen Seite führt die Affirmation als ein Erfüllen der Behauptung zu einer Tautologie. Affirmation des logos meint also, ein Verhalten des Publikums einzufordern, das die aufgestellten Behauptungen wahr werden lässt. Dass es sich hier nicht um einen konstruierten Einzelfall handelt, sollen nachfolgende Beispiele verdeutlichen. Zunächst findet sich ein Analogon des Bielefelder Schildes auch bei der Schweizer Bahn (Abbildung 63 und 64), was sich freilich noch nicht als Beleg, wohl aber als Indiz für ein Freundlichkeit betonendes und daher Verbote umgehendes Kommunikationsmanagement der Transportunternehmen verstehen lässt. In ebenso analoger Weise, wenngleich auch mit leichten Variationen der eben beschriebenen Interventionen, lässt sich beispielsweise auch folgende betrachten (Abbildung 65). Im Unterschied allerdings zum ‚Danke, dass Sie hier nicht rauchen!‘ wird die Behauptung nicht verbal formuliert, sondern über den situativen Kontext ausgedrückt. Obwohl die Formulierung fehlt, lässt sich die Behauptung aber zweifelsfrei wie folgt angeben: ‚Sie haben den Haufen Ihres Hundes beseitigt, Bravo.‘ Das ausgesprochene Lob richtet sich an den Hundehalter – nicht an den Hund – und kann nur dann Sinn ergeben, wenn die affirmative Handlung bereits vorausgesetzt wird. Auch hier handelt es sich im Grunde um ein Verbot/Gebot, das durch eine logos-Strategie kaschiert werden soll. Die korrekte, affirmative Handlung, also das Entfernen des Hundehaufens, ist nichts anderes als ein Wahrwerdenlassen der Behauptung. Dieses Wahrwerdenlassen der Behauptung führt dann zur oben angesprochenen Tautologie. Abbildung 65
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Abbildung 66 (links) und 67 (rechts)
Das gleiche Prinzip findet aber auch da Anwendung, wo bestimmte Orte, im Sinne des place-makings, sprachlich identifiziert werden. Da bereits an anderer Stelle ausführlich auf Strategien der Identifizierung eingegangen wurde, sei hier lediglich eine Gruppe von Identifizierungen herausgehoben, die als affirmativ bezeichnet werden können.21 Der Hinweis ‚Ruhezone‘ beispielsweise in einem Zug der Deutschen Bahn stellt eine Identifizierung dar, aufgrund derer ein bestimmtes Abteil als Ruhezone bestimmt wird. Diese Identifizierung dient dazu, bestimmte Handlungsweisen als angemessen und andere als unangemessen zu qualifizieren, wobei insbesondere letztere durchaus in anderen Abteilen angemessen (oder zumindest nicht unangemessen) sein könnten. Es handelt sich demnach um eine handlungsregulierende Identifizierung eines Ortes, die zu affirmativem Verhalten aufruft. Dabei gleicht die Struktur dieser Affirmation der eben beschriebenen: Handle so, dass dein Handeln die Behauptung ‚Dies ist eine Ruhezone‘ wahr sein lässt. Es gilt allerdings auch, dass nicht jede Identifizierung in dieser Weise affirmativ ist. Wird beispielsweise ein Ort durch Identifizierung lediglich in seiner kulturellen oder historischen Bedeutsamkeit oder etwa als touristisches Reiseziel herausgestellt, so sind die Identifizierungsprozesse, die hier womöglich handlungsleitend zum Tragen kommen sollen, wesentlich komplexer. Ein letztes Beispiel soll verdeutlichen, dass affirmative Identifizierungen auch da eine Rolle spielen, wo diese nicht aus affirmativen Motiven heraus installiert sind. Abermals vermag hierbei Banksy Beispiele zu liefern, die anschaulich zeigen, inwiefern auch die affirmative Identifizierung im Dienste der Subversion zu stehen vermag (Abbildung 66 und 67). Wenn hier der Trafalgar Square in London zur ‚designated riot area‘ erklärt wird, so liegt der subversive Witz gerade im Spiel mit der affirmativen Identifikation: Handle so, dass dein Handeln die Behauptung ‚This is a riot area‘
21 Vgl. Smolarski 2017.
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wahr werden lässt. Bei der ‚riot area‘ ebenso wie bei der ‚picnic area‘ wird die affirmative Identifizierung eher nicht genutzt, um tatsächlich zu Unruhen oder Picknicks am entsprechenden Ort aufzurufen. Das subversive Moment besteht vermutlich vielmehr darin, dass die affirmative Identifizierung ins Leere getrieben wird. Eben weil die affirmative Identifizierung letztlich eine Einladung zur Subversion ist, denn jedes
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Zuwiderhandeln führt die Behauptung in einen Widerspruch, und eben weil der affirmativen Identifikation in diesen Banksybildern wohl eher nicht folgegeleistet wird, wird das Handeln der Passanten selbst zum subversiven Akt. Ebenso wie ‚This is not a photo opportunity‘ erst seinen subversiven Witz entfaltet, wenn es auf einem Foto mit fotoaffinem, touristischem Hintergrund festgehalten wird (Abbildung 68).22
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Nachdem einige rhetorische Grundlagen der Affirmation besprochen wurden, soll sich dieses Unterkapitel nun gezielt den Fragen der Orientierung am Anderen zuwenden. Tragend ist hierbei die oben formulierte Hypothese, nach der der Andere eine der wirkmächtigsten Orientierungsmittel darstellt und zugleich sich als leiblicher, freier Anderer dem Gestalter größtenteils entzieht. Aus dieser Hypothese ergeben sich unmittelbare Konsequenzen für die Gestaltung von Orientierungsinstrumenten. Eine dieser Konsequenzen ist, dass da, wo durch eine gegebene Designlösung eine direkte Handlungsregulation des Publikums stattfinden soll und diese zugleich in einem absehbaren Widerspruch zur ‚gängigen Praxis‘ steht und folglich in der zu regulierenden Situation sehr wahrscheinlich immer wieder Andere für das Publikum sichtbar der Regulation durch Design zuwider handeln werden, der potentielle Erfolg der gesamten Bemühungen auf dem Spiel steht. Auch wenn der Andere also kein Gegenstand der Gestaltung ist, so ist er doch elementarer Faktor für die Gestaltung. Dieser Einfluss wird auch durch die hier vorzuschlagenden designrhetorischen Bemühungen nicht gebrochen: Der Andere bleibt als leiblich präsenter Anderer ein Orientierungsmittel über das der Designer nicht frei verfügt. Nichtsdestotrotz können designrhetorische Bemühungen versuchen, die hierdurch entstehende Kluft zu überbrücken. 22 Denkt man diesen Gedanken weiter, so könnte vermutet werden, dass im Grunde jede Identifizierung eine Einladung zur Subversion darstellen müsste und freilich sind subversive Akte (also umdrehende, verdrehende Akte) nur möglich, wenn es einen Grund gibt, der ‚untergründig‘ verdreht werden kann. Diese Grundbedingung aller Subversion ist aber noch keine Einladung zur Subversion im obigen Sinne. Wenn die mit der Identifizierung eines Ortes (place) einhergehende handlungsleitende und Erwartungsrahmen setzende Charakterzuschreibung wie in den obigen Beispielen offensichtlich den Gewohnheiten und Verhaltensweisen der Personen, die diesen place benutzen, widerspricht, dann kann von einer Einladung zur Subversion gesprochen werden. Der Hinweis ‚Stadtbibliothek‘ an der Stadtbibliothek hingegen stellt keine Einladung zur Subversion dar. Im Grunde sind die obigen Einladungen zur Subversion strukturell nichts anderes als gescheiterte, weil die Gewohnheiten der beteiligten Akteure missachtende, Gestaltungsprodukte; oder – was in diesem Kontext dasselbe ist – provozierende Kunstwerke.
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Es scheint notwendig, bevor wir uns der Orientierung am Anderen unter einem designrhetorischen Gesichtspunkt zuwenden können, einige Einschränkungen des weiten Feldes der zwischenmenschlichen Orientierung vorzunehmen. Ein großer Bereich, der mit der Orientierung am Handeln und Verhalten anderer eng verbunden ist, betrifft das Verhältnis vom Einzelnen und seiner Gruppe. In gruppendynamischen Prozessen spielen affirmative, gruppenkonforme und damit gruppenstärkende Verhaltensweisen eine zentrale Rolle. Wie Bettina Girgensohn-Marchand schreibt: „Eine Gruppe ist nur dann handlungsfähig, wenn ein Mindestmaß an Konsens über wichtige Fragen und Verhaltensweisen vorhanden ist. Weicht eine einzelne Person zu sehr ab, wird sie abgelehnt und ausgeschlossen. Die Mitglieder werden also ein gewisses Maß an Konformität zeigen, sofern ihnen die Gruppe wichtig ist oder sich ihnen keine Alternative bietet. Die geht umso leichter, wenn es keine objektive Wahrheit gibt, an der man sich orientieren kann.“23
Im Sinne einer Rhetorik der Affirmation stellen solche Prozesse auch einen zentralen Gegenstand der allgemeinen Rhetorik dar. Allerdings erscheint der Begriff der ‚Gruppe‘, wie er in der Gruppensoziologie gebraucht wird, für die vorliegende Untersuchung nur eingeschränkt brauchbar. Wie Erich H. Witte im Wörterbuch der Soziologie festhält, wird unter eine Gruppe nicht bloß eine Ansammlung von Personen verstanden, sondern eine Struktur, die eine Unterscheidung in Mitglieder und NichtMitglieder zulässt und deren Interaktionen durch eine gemeinsame Zielorientierung gesteuert werden. Hierauf aufbauend können dann auch Regulationsfunktionen wie etwa die auch schon bei Girgensohn-Marchand erwähnte Sanktionsdrohung des Gruppenausschlusses wirksam werden.24 Die Gruppensoziologie untersucht eher Fragen der Entscheidungsfindung, Gruppendynamik und Meinungsführerschaft, beispielsweise in Projektgruppen oder Organisationseinheiten wie Vereinen oder Parteien. Alle damit zusammenhängenden Fragen sind für eine rhetorische Untersuchung von Gruppenprozessen relevant und umgekehrt vermag eine rhetorische Untersuchung der Strategien und Mechanismen etwa der Erlangung und Stabilisierung von Meinungsführerschaft wichtige Impulse für die Gruppensoziologie liefern. Der Grund, warum diese Bereiche in der vorliegenden Arbeit dennoch nicht thematisiert werden, liegt schlichtweg darin, dass die Orientierungsfunktion der Anderen innerhalb einer Gruppe (im Sinne der Gruppensoziologie) zwar ein zentraler Gegenstand der allgemeinen Rhetorik, nicht aber der Designrhetorik ist. Zwar spielen gruppen-
23 Girgensohn-Marchand, Bettina: Ergebnisse der empirischen Kleingruppenforschung. In: Einführung in die Gruppensoziologie. Hrsg. von Bernhard Schäfers. Wiesbaden 1999. S. 54-79. Hier: S. 63. 24 Vgl. Witte, Erich H.: Gruppe. In: Wörterbuch der Soziologie. Hrsg. von Günter Endruweit, Gisela Trommsdorff und Nicole Burzan. München 2014. S. 158-163.
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dynamische Prozesse zwischen den Mitgliedern, Meinungsführerschaft und möglicher Sanktionsdruck auch eine entscheidende Rolle in Entscheidungsprozessen von beispielsweise Designagenturen; die dabei tragenden rhetorischen Abläufe aber lassen sich im Rahmen der allgemeinen Rhetorik sehr gut herausarbeiten, ohne auf eine ‚Beredsamkeit der gestalterischen Formen‘ rekurrieren zu müssen. Es geht in diesem Kapitel daher nicht um Fragen der Gruppensoziologie, sondern um alltägliche Praktiken, wo die Präsenz des Anderen und seine wahrnehmbaren Handlungen und Verhaltensweisen Einfluss auf Handlungs- und Verhaltensweisen Einzelner haben (auch ohne dass diese deshalb Mitglieder einer Gruppe sein müssen oder dass es sich im strengeren Sinne überhaupt um eine Gruppe handeln muss).25 Genauer geht es um Formen der artifiziellen Präsenz des Anderen, denn diese artifizielle Präsenz und ihre Inszenierungsformen des Anderen in Zeichen wie Bildern oder Spuren als Handlungsregulativ sind ein dezidiert designrhetorischer Gegenstand. Um dahin zu gelangen, gehen wir zunächst von einfachen Alltagserfahrungen und -situationen aus und führen in der Besprechung dieser den Begriff der Plausibilität ein, der für Orientierungsprozesse wichtig ist, denn „[j]ede Orientierung verlässt sich auf das, was ihr plausibel oder selbstverständlich ist.“26 3.1 Der Andere als plausibler Anhaltspunkt Stellen wir uns drei Situationen vor: A) Ich sehe auf der anderen Straßenseite eine Menschenschlange vor einem Kiosk, der gewöhnlich keinen so hohen Andrang hat. Schließlich stelle ich mich selbst auch an, da zu vermuten ist, dass es dort etwas Interessantes zu sehen oder zu erstehen gibt. B) Ein anderer beispielhafter Fall könnte auch die bereits oben angeführte Ampelsituation sein, wo ich mitunter dazu bereit bin, über eine rote Ampel zu gehen, wenn ohnehin alle gehen. C) Ich stehe als Radfahrer vor einer Sperre eines Weges, dessen wieder befahrbarer Teil nicht zu sehen ist, und schließe aus der Gruppe von mir entgegenkommenden Radfahrern, dass der gesperrte Weg dennoch irgendwie durchquerbar zu sein scheint und missachte dadurch motiviert und begleitet von einem Gefühl der Legitimation die Sperre. Es ist durch die Alltäglichkeit dieser Beispiele leicht ersichtlich, dass wir uns im Alltag „an zahllose, meist anonyme andere Orientierungen [halten] und […] damit 25 Wenn man hier überhaupt von ‚Gruppe‘ sprechen möchte, dann wohl eher im Sinne einer ‚informellen Gruppe‘. Hierbei handelt es sich um ‚Gruppen‘, die sich unter anderem dadurch auszeichnen, dass selbige spontan und meist auch nur relativ kurzzeitig sich formieren und deren ‚informeller Normcharakter‘ von mehr oder weniger fest routinierten Abläufen und Gewohnheiten herrührt. (Vgl. Gukenbiehl, Hermann L.: Formelle und informelle Gruppe als Grundformen sozialer Strukturbildung. In: Einführung in die Gruppensoziologie. Hrsg. von Bernhard Schäfers. Wiesbaden 1999. S. 80-96.) 26 Stegmaier 2008. S. 15.
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auch nur selten Probleme“27 bekommen. Stegmaier führt weiter aus, dass, obgleich „in der Trennung der Orientierungen und der Distanz der Standpunkte immer [offen bleibt], ob bei anderen bewährte Orientierungen sich auch in der eigenen Orientierung bewähren“28, dennoch gilt: „Andere Menschen sind das Zuverlässigste und Überraschendste in der Orientierung.“29 Die Spannung von Zuverlässigkeit und Überraschung resultiert daraus, dass wir in Orientierungsprozessen lediglich mit vorläufigen Gewissheiten arbeiten können, auf die wir uns jeweils soweit einlassen, wie es für die Bewältigung einer Situation notwendig ist. Es geht also auch bei Orientierungsprozessen am Verhalten anderer zugleich um das, was gewiss ist/zu sein scheint – und insofern zuverlässig – und doch ‚nur‘ vorläufige Geltung beanspruchen kann; also um eine ‚Gewissheit auf Widerruf‘. Stegmaier führt hierfür den Begriff der Plausibilität ein, die er von Wahrscheinlichkeit und Evidenz wie folgt unterscheidet: „Was plausibel ist, ist aber nicht wahrscheinlich und nicht evident. Denn Wahrscheinlichkeit wird von der Wahrheit her als eingeschränkt zuverlässige Wahrheit verstanden und schließt so Zweifel ein, und Evidenz schließt Zweifel aus. Dagegen ließe sich an Plausiblem durchaus zweifeln, es kommt jedoch, solange es plausibel ist, kein Zweifel auf. Auch nach Wahrscheinlichkeit und Evidenz wird bei Plausiblem nicht gefragt.“30
Ob der Andere, an dem ich mich zu orientieren gedenke, als wahrscheinlicher Halt meiner Orientierung dienen kann oder als plausibler oder evidenter Halt, ist hiernach keine Frage des konkreten Verhaltens des Anderen, sondern eine Frage, inwieweit ich meine Orientierung am Anderen hinterfrage. Routinemäßige Orientierungen am Anderen werden damit – eben weil Routinen selten hinterfragt werden – als eine Orientierung am Anderen als plausibler Halt zu charakterisieren sein. „Plausibel ist das, dem man spontan, ohne weitere Fragen und Begründungen, zustimmt, Plausibilitäten sind Annahmen, die nicht erst ‚gemacht‘ und noch weniger begründet zu werden brauchen. Sie sind mit einem Wort selbstverständlich.“31 Da, wo vermeintlich Plausibles tatsächlich hinterfragt wird und begründet werden soll, kann es allenfalls noch als Wahrscheinliches gelten. Plausibilitäten haben demnach einen paradoxen Status: „Sie oszillieren zwischen Fraglichkeit und Fraglosigkeit.“32 Solange aber der Andere als plausibler Halt meiner Orientierung empfunden und somit nicht hinterfragt wird, solange kann meine Verhaltensausrichtung in Bezug auf diesen Anderen als affirma-
27 Ebd. S. 365. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 Ebd. S. 17. 31 Ebd. S. 15. 32 Ebd. S. 16.
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tiv bezeichnet werden. Der Andere wird – durch die von ihm ausgehenden Informationen, die mit Goffman als „expressive messages“33 bezeichnet werden könnten – dann zum „Anhaltspunkt“34, der ein gegebenes Setting zu einer handlungsregulierenden Situation transformiert. In dieser Weise liefert das Verhalten der Anderen in den oben beschriebenen Situationen mir plausible Anhaltspunkte. Es erscheint plausibel, aus dem Warteverhalten einer Ansammlung von Personen, deren sichtbares Zeichen die gebildete ‚Warteschlange‘ ist, auf die Existenz von ‚etwas Interessantem‘ zu schließen. Hinzukommt, dass gilt, wie Anne Mikoleit und Moritz Prückhauer in Urban Code betonen: „People attract people.“35 Oder wie Jane Jacobs meint: „that the sight of people attracts still other people, is something that city planners and city architectural designers seem to find incomprehensible. They operate on the premise that city people seek the sight of emptiness, obvious order and quiet. Nothing could be less true. People’s love of watching activity and other people is constantly evident in cities everywhere.“36
Ebenso plausibel scheint es zu sein, den offensichtlichen Regelverstoß anderer beim Überqueren einer roten Ampel zum Anlass der eigenen Legitimation zu nehmen, die 33 Goffman, Erving: Behavior in Public Places. Notes on the Social Organization of Gatherings. New York 1963. S. 13ff. Goffman unterscheidet dort zwischen linguistischen und expressiven Botschaften, die als Orientierungsmittel genutzt werden können. Während linguistische Botschaften (worunter Goffman zunächst auch bildliche Zeichen und gezielt kommunikativ eingesetzte Gesten zu verstehen scheint) Informationen über prinzipiell jeden möglichen Gegenstand liefern können, ohne dass diese Informationen mit dem Sender selbst verbunden sein müssen, sind expressive Botschaften „necessarily ‚about‘ the same casual physical complex of which the transmitting agency is an intrinsic part“ (ebd. S. 13.) Desweiteren unterscheidet Goffman expressive Botschaften in solche, die verkörpert sind und solche, die nicht verkörpert sind. Ein Tritt etwa gegen eine herumliegende Coladose auf einem Waldweg kann für einen Beobachter eine verkörperte expressive Botschaft sein; hingegen stellt das Herumliegen der Coladose auf dem Waldweg eine nicht-verkörperte expressive Botschaft dar, die Informationen über die einstige Präsenz von Personen bereithalten kann. Nicht-verkörperte expressive Botschaften kennzeichnet Goffman als Spuren – worüber im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch zu reden sein wird. 34 Anhaltspunkte sind für Stegmaier der „springende Punkt“ (Stegmaier 2008. S. 242.), „die Pointen“ und damit ästhetisch betrachtet „sinnerfüllte dichte Stellen“ (ebd.).Und so gilt: „Weil Anhaltspunkte sinnerfüllte dichte Stellen sind, kann von ihnen Sinn ausgehen“ (ebd.). Damit stehen Anhaltspunkte in einer engen Beziehung zu Prozessen des place-makings. Siehe dazu: Smolarski 2017. 35 Mikoleit, Anne; Prückhauer, Moritz: Urban Code. 100 Lessons for Understanding the City. Zürich 2011. S. 30. 36 Jacobs, Jane: The Death and Life of Great American Cities. London 1962. S. 37.
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Regel selbst auch zu verletzen. In diesem Beispiel könnte auch im Sinne der Gruppensoziologie von der informellen Gruppe der an der Ampel Wartenden gesprochen werden, deren Zielausrichtung (das Überqueren der Straße) durchaus auch vom Verhalten der Anderen abhängig zu sein scheint. Immerhin besteht bei Regelverstößen stets auch ein Sanktionsdruck, der im Ampelbeispiel vor allem deshalb relativ gering ausfällt, weil informelle Gruppen nicht auf längerfristige Mitgliedschaften bauen. Die Plausibilität der empfundenen Legitimation dieses Regelverstoßes ist letztlich vergleichbar mit der Plausibilität der Sentenz: „Was vielen richtig scheint, das, sagen wir, ist.“37 Im dritten Beispiel lässt die Gruppe entgegenkommender Radfahrer den Schluss auf die Möglichkeit der gefahrlosen und legitimierten Durchquerung des gesperrten Weges als plausibel erscheinen. Es ist damit eben plausibel, aus dem Verhalten anderer auf die Beschaffenheit eines Weges zu schließen, der womöglich vom eigenen Standort aus gar nicht einsehbar ist. Die Gruppe entgegenkommender Radfahrer vermag in dieser Weise ein plausibler Anhaltspunkt zu sein, der die ‚Sackgassen-Situation‘ in eine ‚Weg-Situation‘ transformieren hilft. Die Bedeutung von Plausibilitäten im Bereich der Rhetorik ist offensichtlich und kann mit Stegmaier wie folgt gefasst werden: „Eben weil Plausibilitäten keine Be-
37 In dieser Form gibt Schopenhauer die Stelle in der Nikomachischen Ethik Aristoteles‘ wieder (vgl. Schopenhauer 2009. S. 73.). Sicherlich auch, weil die Wiedergabe in dieser Form den Sentenzcharakter deutlicher werden lässt. In der Bezugsstelle bei Aristoteles heißt es (im Kontext des Diskurses über Lustfeindlichkeit versus allgemeinem menschlichen Luststreben): „Wer aber einwendet, das, wonach alle streben, brauche nicht unbedingt ein Wert zu sein, sagt etwas Unhaltbares. Denn daran halten wir fest: einer Überzeugung, die alle Menschen teilen, entspricht wirkliches Sein. Wer aber diese Überzeugung beseitigen möchte, wird kaum Überzeugenderes zu sagen haben.“ (Arist. Nik. Eth. X,2,1173 a). Schopenhauer spitzt (verglichen mit der eben angeführten Übersetzung) diesen Satz in seiner eristischen Rhetorik also deutlich zu und führt dann weiter, indem er sagt: „ja, es gibt keine noch so absurde Meinung, die die Menschen nicht leicht zu der ihrigen machen, sobald man es dahin gebracht hat, sie zu überreden, dass solche allgemein angenommen sei“ (Schopenhauer 2009. S. 73.). Zur Allgemeinheit einer Meinung schreibt er: „Die Allgemeinheit einer Meinung ist, im Ernst geredet, kein Beweis, ja nicht einmal ein Wahrscheinlichkeitsgrund ihrer Richtigkeit. Die welches es behaupten, müssen annehmen 1. dass die Entfernung in der Zeit jener Allgemeinheit ihre Beweiskraft raubt: sonst müssten sie alle alten Irrtümer zurückrufen, die einmal allgemein für Wahrheiten galten […]; 2. dass die Entfernung im Raum dasselbe leistet: sonst wird sie die Allgemeinheit der Meinung in den Bekenntnissen des Buddhaismus, des Christentums, und des Islams in Verlegenheit setzen“ (ebd. S. 73f.).
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gründung mehr brauchen können Begründungen bei ihnen enden und von ihnen ausgehen.“38 Das als plausibel Empfundene dient demnach nicht nur als Grundbaustein von Orientierungsprozessen, sondern auch als Identifikationsbasis rhetorischer Bemühungen. Designrhetorisch bedeutsam ist es daher, im Sinne des place-makings gestalterisch Einfluss auf die Situationsbestimmungen des Rezipienten zu nehmen und dabei eben auch den Einfluss der Orientierung am Anderen Rechnung zu tragen. Wo es gelingt, gestalterisch Einfluss auf das Verhalten von Gruppen zu nehmen, können affirmative Effekte auf das Verhalten Einzelner genutzt werden. Dabei gilt zu beachten, was Aristoteles über die anerkannte Meinung sagt, nämlich, dass diese entweder von Allen oder von den Meisten oder von den Weisen als wahr anerkannt werden; und auch von Weisen wieder entweder von Allen, den Meisten, den Bekanntesten oder den Angesehensten.39 Die obige Auseinandersetzung mit der Funktion von Vorbildern gehört demnach auch in den Bereich der Plausibilitätserzeugung, die für die Orientierung am Anderen zentral ist. 3.2 Der Andere als Blick – ein Exkurs Zunächst soll nun der Fokus auf einen Bereich gelenkt werden, der die Erfahrung des regulativen Einflusses der Präsenz des Anderen zusammenbringt mit Fragen affirmativer Selbstregulation, die insbesondere auch da stattfinden kann, wo der Andere leiblich gar nicht präsent ist. Dieser zentrale Aspekt der Orientierung an Fragen der Gegebenheitsweisen des Anderen ist auf eindrucksvolle Weise in der phänomenologischen Ontologie bei Jean-Paul Sartre formuliert, weshalb diesem Aspekt durch einen kurzen Exkurs hierzu Rechnung getragen werden soll. Ein philosophischer Zugang über Sartres Theorien erscheint aber auch aus zwei anderen Gründen lohnenswert: Zum einen hat Sartre die Wirkmacht des Anderen nicht nur, aber eben auch, in Bezug auf Handlungsregulation und Affirmation in eindrücklicher Weise herausgestellt. Zum anderen findet sich bei Sartre die Gegebenheitsweise des Anderen in einer Art dargestellt, die es erlaubt, die Idee des Anderen von der leiblichen Person zu lösen und auch auf Objekte zu übertragen, wodurch dieser Zugang verspricht, auch im Sinne der Designrhetorik aufschlussreich zu sein. Besonders deutlich wird dies in Sartres Behandlung des Blicks in Das Sein und das Nichts, die hier kurz zu skizzieren ist.40 Das Nachfolgende ist – um es klar zu sagen – keine philosophiegeschichtliche oder systematische Einführung in Sartres Denken, es ist keine Auseinandersetzung mit Sartre, sondern eher eine Inspiration durch Sartre in Form eines Exkurses.
38 Stegmaier 2008. S. 16. 39 Vgl. Arist. Top. 100b 21-23. 40 Vgl. Sartre, Jean-Paul: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie. Hamburg 1993. S. 457-538.
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Wie wir oben bereits sagten, ist der Andere als leiblich präsentes und freies Individuum kein direkter Gegenstand designrhetorischer Einflussnahme und dennoch eines der wirkmächtigsten Orientierungsmittel. Diese Kluft zwischen dem Entzug ‚direkter Gestaltbarkeit‘ des Anderen auf der einen Seite und seiner Wirkmacht auf der anderen Seite muss designrhetorisch überbrückt werden. In direktem Anschluss an den folgenden Exkurs werden – die Erkenntnisse des Exkurses aufnehmend – zwei Überbrückungsarten zu diskutieren sein, die sich wie folgt umschreiben lassen: der Andere als Bild und der Andere als Spur. Es soll hier versucht werden, auf wenigen Seiten durch die Behandlung von Blick und Scham bei Sartre einen wesentlichen Aspekt dessen aufzuzeigen, was unter der Wirkmacht des Anderen verstanden werden kann. Eine tatsächliche, philosophische Einführung müsste zuvor wesentliche Grundbegriffe klären (insbesondere: An-SichSein, Für-Sich-Sein, Mangel, thetisches und nicht-thetisches Bewusstsein und andere), was hier nicht geleistet werden soll.41 Die Auseinandersetzung mit dem Blick bei Sartre wird uns auf das hinführen, was dieser das Sein-Für-Andere nennt. Sartre führt im dritten Teil seiner Untersuchungen in Das Sein und das Nichts die Scham ein: ein Gefühl, das das Subjekt-Sein zerstört. Scham ist für Sartre immer schamhaftes Erfassen von etwas, nämlich von mir. Es ist also eine intime Beziehung von mir zu mir, die allerdings, und darin liegt das Besondere, nicht ohne den Anderen zu denken ist. Ich schäme mich meiner vor jemandem. „Der Andere ist der unentbehrliche Vermittler zwischen mir und mir selbst: ich schäme mich meiner, wie ich Anderen erscheine.“42Ich erscheine dem Anderen aber immer als Objekt, die Scham ist damit ein Gefühl, das so tief an meinem Sein rührt, dass es mein Subjekt-Sein gänzlich in Frage stellt. Die Scham, die nur in dieser Dreiheit Ich-Anderer-Mich existieren kann, verweist damit direkt auf die Frage nach der Existenz des Anderen als Subjekt und darüber hinaus auf meinen Seinsbezug zum Sein Anderer, die Klippe des Solipsismus. Grundproblem Sartres ist, dass, so lange der Andere nur Gegenstand meiner Wahrnehmung ist, er eben nur Gegenstand, nur Objekt ist. Die Scham allerdings setzt einen Anderen voraus, der nicht nur 41 Vgl. dazu: Hügli, A. und Thurnherr, U. (Hrsg.): Lexikon Existenzialismus und Existenzphilosophie. Darmstadt 2007. Siehe auch (u.a.): Bernet, Rudolf: Das Phänomen und das Unsichtbare. Zur Phänomenologie des Blicks und das Subjekts. In: Internationale Zeitschrift für Philosophie. 1/1998. S. 15-30. Brauner, Wolfgang: Das präreflexive Cogito. Sartres Theorie des unmittelbaren Selbstbewusstseins im Vergleich mit Fichtes Selbstbewusstseinstheorie in den Jenaer Wissenschaftslehren. München 2004. Maier, Willi: Das Problem der Leiblichkeit bei Jean-Paul Sartre und Maurice Merleau-Ponty. Tübingen 1964. Dornberg, Martin: Gewalt & Subjekt. Eine kritische Untersuchung zum Subjektbegriff in der Philosophie Jean-Paul Sartres. Würzburg 1989. 42 Sartre 1993. S. 406.
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Objekt ist. Allein durch die Erfahrung des Erblicktwerdens gibt es die Möglichkeit, den Anderen als Subjekt zu begreifen. Sartre bringt dies auf die Formel: „Das VomAnderen-gesehen werden ist die Wahrheit des Den-Anderen-sehens.“43 Der Andere, dessen Existenz wir durch die Scham anzunehmen gezwungen sind, offenbart sein Subjekt-Sein durch den Blick mit dem er uns trifft. Sitze ich also im Park, so Sartres Beispielsituation, nehme ich Objekte war: eine Bank, auf der ich sitze, Bäume, den Rasen und so weiter. Tritt nun ein anderer Mensch in mein Universum ein, so kommt es zur Desintegration der Gegenstände meines Universums und dieses Element der Desintegration kann man mit Sartre den Anderen nennen.44 Es kommt durch das Auftauchen des Anderen zu einer Negation der Distanz, der Andere, eben noch Objekt meiner Wahrnehmung, geht eine Beziehung mit den anderen Objekten ein, er sieht den Baum, hört die Vögel, etc. Genau diese Negation der Distanz aber erscheint mir als reine Desintegration; er, der Andere, wird neues Zentrum in meiner Welt. Sartre bezeichnet das mit dem Ausdruck, dass die Welt mich flieht. Die Dinge der Welt, in einer rein additiven Beziehung zu sich untereinander stehend, werden durch mich gruppiert und zu instrumentellen Komplexen synthetisiert, die Welt wird meine Welt. Nun aber, wenn der Andere in meine Welt eintritt, handelt es sich um eine Neugruppierung, eine Orientierung die mich flieht, da sie aufgehört hat, eine Gruppierung der Gegenstände auf mich hin zu sein. Der Andere hat mir die Welt gestohlen. Er sieht nicht meinen Baum in meiner Welt, er sieht seinen Baum in seiner Welt. Noch, so betont Sartre, lässt der Andere mein eigenes Sein aber unangetastet. Plötzlich aber trifft mich sein Blick. „Wenn der Objekt-Andere in Verbindung mit der Welt als Gegenstand definiert ist, der das sieht, was ich sehe, muss meine fundamentale Verbindung mit dem Subjekt-Anderen auf meine permanente Möglichkeit zurückgeführt werden können, durch Andere gesehen zu werden.“45 Wenn mich der Blick des Anderen trifft, enthüllt sich mein Objekt-Sein für den Anderen und da ich nicht Objekt für ein Objekt sein kann eben auch sein Subjekt-Sein für mich. Der Blick wird also zur Schnittstelle von Subjektivität und Alterität, wie es Andreas Cremonini ausdrückt, und das in einem absoluten Passiv. „Die Erfahrung des Blicks ist immer die des Erblicktwerdens, d.h. die Erfahrung, dass ich Gegenstand des Bewusstseins eines Anderen bin.“46 In der Scham widerfährt mir mein Objekt-Sein für den Anderen, der Blick entfremdet mich also meiner selbst und stößt mich in den Bereich bloßer Dinge. Der Blick – und das mag bereits andeuten was es mit dem Blick im Design auf sich haben könnte – zeigt sich nach Sartre in der objektiven Welt als Loch, als eine Lücke, 43 Ebd. S. 464. 44 Vgl. Ebd. S. 461. 45 Ebd. S. 463. 46 Cremonini, Andreas: Die Nacht der Welt. Ein Versuch über den Blick bei Hegel, Sartre und Lacan. In: Gondek, Hans-Dieter: Jacques Lacan – Wege zu seinem Werk. Stuttgart 2001. S. 166
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die sich nicht fixieren, nicht objektivieren lässt. Versuche ich den Blick des Anderen zu erblicken, sehe ich nur Augen, nur Gegenstände meiner Wahrnehmung. „Sowie ich unter dem Blick bin, schreibt Sartre, sehe ich das Auge nicht mehr, das auf mich blickt, wenn ich das Auge sehe, ist der Blick nicht mehr.“47 Der Blick zerstört das Auge. Unter Auge versteht Sartre in erster Linie den Träger des Blicks und nur in zweiter das Sinnesorgan. Blick und Auge, als Sinnesorgan, sind nicht aneinander gebunden. Der Blick kann mich ebenso durch das Rascheln der Zweige im Wald, durch einen geöffneten Fensterladen oder durch Trittgeräusche im Flur treffen; er kann mich, muss es aber nicht, auch im Hinweis ‚Dieser Raum wird videoüberwacht‘ oder in der Kamera treffen (Abbildung 69). Der Voyeur, der durch das Schlüsselloch Abbildung 69
schaut, so ein anderes Beispiel Sartres, um das Schauspiel dahinter zu erleben, ist, auf der Ebene des präreflexiven cogito, mit seiner Handlung identisch, er reflektiert nicht. Es gibt, so sagt Sartre, auf dieser Ebene gar kein ‚Ich‘. Unter dem Blick stehend, also beispielsweise die Tritte im Flur auf ihn zukommend hörend, wird er dann in eine Beziehung zu sich gestoßen, die Beziehung ist vermittelt durch den Anderen, durch die Scham. Sich schämend wird er sich bewusst, wie er dem Anderen erscheint, unter dem Blick stehend, erstarrt er zum Objekt für einen Subjekt-Anderen. Sein Fürsich-Sein wird zu einem Sein Für-Andere. Der Blick ist dabei selbst nicht wahrnehmbar, er ist das unsichtbare Phänomen, wie es Rudolf Bernet ausdrückt.48 Aus dieser Unmöglichkeit heraus, den Blick des Anderen, der da ist, zu lokalisieren, kann ich ihm diesen Blick nur zuschreiben.49 Es ist also sicher, dass der Blick da ist, jedoch nur wahrscheinlich, dass er diesem oder jenem konkreten Objekt angehört. Also selbst wenn, wie es oft geschieht, der Blick sich mir durch das Sich-Richten zweier
47 Lacan, Jacques: Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse. Olten 1980. S. 90. 48 Vgl. Bernet 1998. S.18. 49 „Dieser Blick, dem ich begegne – das ließe sich am Text von Sartre selbst zeigen – ist zwar nicht gesehener Blick, aber doch Blick, den ich auf dem Feld des Anderen imaginiere“ (Lacan 1980. S. 90.).
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Augäpfel auf mich offenbart, kann es nur als wahrscheinlich gelten, dass diese Augäpfel tatsächlich die Augen, also die Träger des Blickes, sind. Aus dem Gesagten ergibt sich: Der Andere ist gespalten; in einen Objekt-Anderen, als Objekt meiner Wahrnehmung, als Ding in meiner Welt, und in einen SubjektAnderen, der mich anblickt, dessen Blick ich aber selbst nicht zum Gegenstand meiner Wahrnehmung machen kann, der also immer bloß Phantom bleibt. Die reale Anwesenheit eines Anderen lässt sich also mit Sartre von der eines bloß eingebildeten nicht unterscheiden, was auch die Grundidee des Panoptikums zur Überwachung von Fabrikarbeitern oder Gefangenen gewesen zu sein scheint.50 Der Blick des Anderen lastet auf mir, distanzlos, er ist der „Tod meiner Möglichkeiten“51. Als Ding, das Ansich ist, bin ich aller Möglichkeiten beraubt. Wenn der Blick mich zu objektivieren in der Lage sein soll, so muss er als, obgleich selbst unsichtbar, sehend betrachtet werden und ich als sichtbar. Was der Blick trifft ist meine sichtbare Hülle, mein Leib. Was er mir enthüllt, ist, dass ich ein einen Leib habendes Wesen bin. Darin besteht der oben schon erwähnte Bezug von mir zu mir, ich „erfahre also meinen Bezug zum Anderen dann, wenn ich von ihm gesehen werde, als eine Verweisung auf mich selbst, das heißt bei Sartre, als eine Verweisung auf mein sichtbares Draußen, auf meinen Leib.52 Der Leib, das sei hier noch einmal gesagt, ist bei Sartre die sekundäre Struktur in der Erfassung des Anderen. Dieser muss eine erste Verbindung zum Anderen vorangehen, eine interne Negation, eben der Blick, der mich den Anderen als das erfassen lässt, wofür ich Objekt bin.53 Mein Leib zeigt sich mir nun, und zwar so, wie ihn der Andere sieht, wie ihn der Andere konstituiert. „Der Blick des Anderen konstituiert geradezu meinen Leib für mich, er ist in jedem Augenblick die Wahrheit des Mich-selbst-sehens.“54 Der Versuch, die Transzendenz des Anderen zu transzendieren ist schließlich der Kampf der sich entwickelt, wenn zwei Subjekte einen Raum betreten. Gondek fasst diesen Kampf wie folgt zusammen: „Entweder er oder ich: entweder ist er Subjekt-Anderer, dann hat er mich im Blick und objektiviert mich qua Blick, oder ich objektiviere ihn als Blick, dann ist er Objekt-Anderer für mich und ich Subjekt-Anderer für ihn. Dabei kann die Begegnung zwischen dem Anderen und mir qua Blick nicht in einer Versöhnung über eine intersubjektiv geteilte Welt enden, weil die Welt in diesem Kampf niemals neutral ist.“55 50 Vgl. Bentham, Jeremy: Panopticon, or, The Inspection-House. In: The Works of Jeremy Bentham. Hrsg. von John Bowring. Bd. 4. New York 1962. S. 37-172. 51 Sartre 1993. S. 476. 52 Maier 1964. S. 3. 53 Vgl. Sartre 1993. S. 599. 54 Maier 1964. S. 3. 55 Gondek, Hans-Dieter: Der Blick – Zwischen Sartre und Lacan. Ein Kommentar zum VII. Kapitel des Seminar XI. In: Riss. Zeitschrift für Psychoanalyse 37/38 (1997). S. 175-198.
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Eine letzte Anmerkung: Der Kampf kann freilich nicht durch die intersubjektiv geteilte Welt beendet werden, diese ist schließlich auch nur Objekt, aber doch durch ein gegenseitiges Vertrauen, das dazu führt, den Blick (als Waffe) zu senken. Die darauf aufbauende zwischenmenschliche Beziehung, die sich momenthaft realisieren kann, nennt Sartre Liebe. Fassen wir die hier formulierten und für den vorliegenden Kontext relevanten Beschreibungen des Anderen zusammen. Erstens: Der oben beschriebene Voyeur, der durch das Schlüsselloch schaut, geht, ohne die Präsenz des Anderen in seinem Tun vollkommen auf. Er hat kein Bewusstsein von sich als Voyeur. Erst der Blick des Anderen wirft ihn auf sich selbst zurück und lässt ihm sein Tun bewusst werden: Er sieht sich selbst als Voyeur und als solcher erscheint er sich als Objekt in der Wahrnehmungswelt des Anderen. Dies bezeichnet im Kern die Wirkmacht des Anderen, die diesen letztlich auch zum Regulativ werden lässt. Zweitens: Der Blick ist Sartres Bezeichnung für diese (ver)objektivierende Kraft. Dabei hat der Blick nicht zwingend etwas mit Augen zu tun, auch wenn dies sicherlich häufig der Fall sein wird. Ein lebensweltliches Beispiel macht das deutlich: Wenn jemand das Bild seiner Mutter oder seiner Kinder auf dem Nachttisch umdrehen zu müssen glaubt, bevor er mit seiner Frau schlafen kann, so schreibt er dem Bild eine Kraft zu, die er eigentlich nur der abgebildeten Person zuschreiben würde; er lokalisiert den Blick im Angesicht der abgebildeten Person. Kurz: Auch Dinge und deswegen ebenso designte Dinge können zum Träger des Blicks werden. Eben weil der Blick dabei aber nicht zwingend lokalisiert werden kann, sondern allenfalls wahrscheinlich ist, muss durch das Design von regulativen und bisweilen autoritären Kontrollmechanismen versucht werden, diese Lokalisierung eben wahrscheinlich zu machen. In eben dieser Weise scheint etwa folgende Bemühung zu gehen (Abbildung 70): Die metonymische Inszenierung des Auges als prototypischen Träger des kontrollierenden Blicks erfüllt hier – freilich in abgeschwächter Form – die Funktion des Anderen. Während das Handzeichen eine erklärende Funktion hat und zeigen soll, wie eine Karte zu entwerten ist, hat das stilisierte Auge keine andere Funktion als ‚Beobachtung‘ und ‚Blickhaftung‘ zu konnotieren. Der Automat wird durch das stilisierte Auge weder auffälliger noch in seiner Funktion verständlicher für den Reisenden. Die Funktion als potentieller Träger des Blicks wird umso eindrücklicher, da sich dieses Zeichen gleich mehrfach auf dem Reiseweg findet, sei es an der Haltestellenstele der Straßenbahn (Abbildung 71) oder im Zug (Abbildung 72). Im Sinne Sartres könnte die Funktion wie folgt beschrieben werden: ‚Vergiss nicht, nur mit gültiger Fahrkarte zu reisen. Wenn du ohne erwischt wirst, wirst du dich schämen.‘
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Abbildung 70 (links), 71 (unten) und 72 (rechts)
Mit den hier nur kurz angerissenen Beispielen sind wir letztlich bereits bei der Frage nach den Möglichkeiten der Inszenierung des Anderen. Nachfolgend sollen diese Möglichkeiten besprochen werden, wobei der Fokus vom Blick im Sinne Sartres abschweifen wird und versucht werden soll eine Klassifizierung der Möglichkeiten vorzunehmen. 3.3 Der Andere als Bild Wenden wir uns nun dem Anderen als ikonischem Zeichen zu. Der Einsatz von ikonischen Zeichen zur Inszenierung des Anderen lässt sich im Bereich der Gestaltung als ein Einsatz von Funktionstypen bestimmen. So werden etwa in der Werbung vielfach Andere als Archetypen (der Held, der Anführer, die Mutter, etc.), als Stereotypen (Varianten des ‚Du‘) oder Testimonials (bekannte Persönlichkeiten, Fürsprecher) eingesetzt, um in dieser Werbebotschaft spezifische Funktionen zu erfüllen. So wird beim Werben mit Testimonials das ethos der Gewährsperson genutzt, um deren
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inszenierte Fürsprache zum Werbeargument werden lassen zu können. Grundsätzlich kommen dafür nicht nur berühmte Persönlichkeiten etwa aus Sport, Musik, Film oder Politik in Frage, sondern auch Darstellungen des ‚Jedermann‘. Funktional gesehen wird beim Werben mit Testimonials auf die mit diesen verbundenen ethos-Merkmalen Einsicht, Wohlwollen oder Tugend (was je nach situativem Kontext eine andere sein kann) gesetzt. Gleiches gilt für Darstellungen, die mit den Mitteln der klassischen Ikonografie Archetypen abbilden oder verschiedene Varianten des ‚Du‘ dem Publikum zur Identifikation bieten.56 Im hier vor allem interessierenden Bereich des Informationsdesigns lässt sich zunächst eine ähnliche Art der Klassifizierung in Anschlag bringen, die jedoch im Weiteren deutlich ausdifferenziert werden muss und sich in der Funktionsbestimmung schließlich erheblich unterscheidet. So fällt bereits auf den ersten Blick auf, dass dem Werben mit berühmten Persönlichkeiten kaum ein Pendant im Bereich des Informationsdesigns entspricht, was sicherlich nicht darauf zurückzuführen ist, dass etwa im Bereich des Informationsdesigns das ethos keine bedeutende Rolle spiele. Vielmehr ist anzunehmen, dass das mit einer bekannten Persönlichkeit verbundene ethos, ebenso wie die Bekanntheit vieler Persönlichkeiten, entweder zu kurzlebig und zu instabil, zu indifferent oder aber zu widersprüchlich ist, um es in bestimmten, auf Dauer angelegten Teilen des Informationsdesigns mit einem sehr heterogenen Zielpublikum zu verwenden. Zudem gilt: Die Bekanntheit einer Persönlichkeit ist immer nur für eine bestimmte Gruppe gegeben.57
56 Vgl. hierzu u.a.: Lehn 2011. 57 Hiergegen mag eingewendet werden, dass doch in vielen Städten Wege eng mit Persönlichkeiten verbunden sind. Die Berner ‚Wege zu Klee‘ etwa sind ohne Paul Klee sicherlich nicht denkbar. Allerdings muss dabei beachtet werden, dass Klee nicht den Weg weist und auch nicht empfiehlt (er ist kein Fürsprecher der ‚Wege zu Klee‘), sondern das Ziel des Weges, ja – in gewisser Weise – der Weg selbst ist. Die Berner ‚Wege zu Klee‘ führen zum Klee-Museum über Wege, die unter anderem nach Bildern von Klee benannt sind. Touristen folgen den ‚Wegen zu Klee‘ nicht, weil Klee sie empfohlen hätte, so wie man vielleicht ein Produkt aufgrund einer Empfehlung von einer vertrauenswürdigen Persönlichkeit kauft, sondern Klee ist selbst das Produkt. Dabei verdankt sich die Werbewirksamkeit der ‚Wege zu Klee‘ weniger dem ethos, das mit Klee verbunden wird als dem Ziel, ‚Stationen im Leben und Werke von Klee‘ sehen zu können. Es geht also nicht darum, dass diesen Wegen gefolgt wird, weil Klee als kompetenter oder tugendhafter Mann empfunden wird, dessen Wegempfehlungen glaubwürdig seien. ‚Klee‘ spielt in Bezug auf das ihm zukommende ethos für die ‚Wege zu Klee‘ keine andere Rolle als jede andere Persönlichkeit (Goethe, Schiller, van Gogh, aber auch Persönlichkeiten wie Mussolini in Italien) für etwaige ‚Wege zu diesen‘, obgleich diesen Persönlichkeiten ein durchaus unterschiedliches ethos zugeschrieben wird. Anders sähe der Fall aus, wenn etwa Wassily Kandinsky oder
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Im Weiteren sollen zwei Formen der Inszenierung des Anderen unterschieden werden: Erstens kann der Andere als Ganzes ein Funktionselement sein, das sich als Archetyp bestimmen lässt. In dieser Weise wird der Andere als Vorbild oder NegativVorbild mit bestimmten Attributen versehen. Zweitens dient die Darstellung des Anderen mitunter auch zur Darstellung eines alter ego. Der Funktionswert dieser Inszenierungen ist nur dann gegeben, wenn der Betrachter ‚sich im Anderen sieht‘ und sich somit nicht nur mit den durch die Darstellung gezeigten Sachverhalten identifiziert, sondern auch in besonderem Maße mit der Darstellung des Anderen als ‚Ich‘ (bzw. aus Sicht der Gestalter als ‚Du‘). Es wird sich bei dieser Unterscheidung herausstellen, dass diese nicht trennscharf gezogen werden kann: Obgleich es Beispiele geben wird, die mehr oder weniger klar einer der beiden Seiten zuzurechnen sind, wird es auch Fälle geben, in denen diese Zuordnung nicht eindeutig getroffen werden kann. Gerade letztere sind aber insofern interessant, weil diese je nach Zuordnung anders verstanden werden können und unter anderem auf dieser Basis mal eher affirmative, mal eher subversive Momente betonen. Als Funktionstypen sollen hier Darstellungen verstanden werden, die den Anderen als einen bestimmten Anderen zeigen und durch dieses Zeigen eine affirmative Funktion erfüllen oder erfüllen können. Da die mögliche Liste solcher Funktionstypen lang ist, könnte die hier vorgeschlagene stets weiter fortgeschrieben werden. Die Funktionstypen, die hier vorgestellt werden, folgen keiner spezifischen Ordnung und verstehen sich als Vorschläge, die vor allem beispielhaft zeigen sollen, in welcher Weise unter vielen möglichen die Inszenierung des Anderen in einer Rhetorik der Affirmation auch im Bereich des Informations- und Kommunikationsdesigns eine Rolle spielen kann. In dieser Weise werden Darstellungen vom Anderen unter anderem als Wächter, als Experte oder als artiges oder ungezogenes Kind besprochen. 3.3.1 Piktogramme und schematische Darstellungen des Anderen Eine der wohl häufigsten Darstellungstypen des Anderen im Bereich des Designs sind piktogrammhafte oder schematische Darstellungen, die als solche von den individuellen Besonderheiten des Einzelnen am stärksten abstrahieren und diesen in einer spezifischen Funktionsweise vorstellen. Um welche Funktion es sich dabei handelt und als was der präsentierte Andere zu verstehen ist, hängt dabei freilich nicht nur von der konkreten Darstellungsweise ab, sondern auch vom situativen Präsentationsrahmen. Prinzipiell wäre es möglich, allein über Piktogramme eine nahezu endlose Egon Schiele die ‚Wege zu Klee‘ weisen würden – eine Art ‚Empfehlung eines Künstlerkollegens‘. Denn in der Werbung ist es prinzipiell möglich, dass ein Produkt von verschiedenen Personen empfohlen wird (deren ethos allerdings angemessen sein muss). Dass aber der vermeintlich Weisende oder Empfehlende (in unserem Beispiel Klee) selbst das Produkt ist, ist daran ersichtlich, dass dieser nicht ausgetauscht werden kann.
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Liste an Identifizierungen aufzustellen. Um lediglich die Richtung anzudeuten, in die diese Identifizierungen gehen können, seien einige Beispiele angefügt: So identifiziert der situative Kontext, in dem diese Darstellung zu finden ist, das hier präsentierte Kind als ‚potentiell gefährdetes‘ und soll auf diese Weise zur Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschränkung animieren (Abbildung 73), womit die Darstellung eine Funktion erfüllen soll, die auch der Aufstellung dieser Präsentation des Anderen (Abbildung 74) zukommt: In beiden Fällen wird die Präsenz eines Kindes simuliert, um den Aufruf zur Affirmation der geltenden Straßenverkehrsordnung – quasi-argumentativ – zu unterstützen. In analoger Weise finden sich Identifizierungen des Anderen etwa als Beeinträchtigter (Abbildung 75 und 76), als Helfer, wie hier symbolisch durch die Hand als pars pro toto (Abbildung 77), oder als Arbeiter (Abbildung 78), der hier auch zum Punk – genauer zum arbeitenden Punk – umgewertet werden kann (Abbildung 79).58 Abbildung 73
58 Für eine detailliertere Auseinandersetzung mit der Darstellung des ‚arbeitende Punk‘: vgl. Smolarski 2011.
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Abbildung 74 und 75 (oben), Abbildung 76 und 77 (zweite Reihe), Abbildung 78 und 79 (unten)
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Abbildung 80 und 81 (oben), Abbildung 82 (unten)
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Es sei hier auch angemerkt, dass schematische und piktogrammhafte Darstellungen des Anderen mitunter auch der Identifikation mit einem Ort dienen können; sie übernehmen dann Funktionen des place-makings. Beispielhaft sei hier auf zwei Darstellungen verwiesen, die in diesem Sinne analog fungieren: Auf dem +15 Skywalk in Calgary (Abbildung 80) setzte man ebenso wie bei der Kreation des Leitsystems der HafenCity in Hamburg (Abbildung 81 und 82) auf Piktogrammdarstellungen, die den Anderen als lokal-verorteten Anderen präsentieren. Indem der lokale Bezug (Calgary bzw. Hamburg) durch die Darstellungsweise (in der Art einer ‚corporate identity‘) ausgedrückt wird, wird zugleich mit der Vorstellung eines prototypischen Repräsentanten des Ortes gespielt. 3.3.2 Der Wächter Abbildung 83 und 84 (oben), Abbildung 85 (unten)
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Der Hinweis auf eine Sicherheitsfirma wie Securitas erfüllt im Wesentlichen zwei Funktionen. Zum einen ist es ein Werbehinweis, der auf die Dienste des Unternehmens verweisen soll, zum anderen wird mit der Anbringung des Hinweises an Gebäuden und Geländen zu affirmativem Verhalten aufgerufen. Vergleichbar mit dem Hinweis ‚Dieser Raum wird videoüberwacht‘ wird durch die Anbringung des Securitas-Schildes allerdings kein konkretes Gebot oder Verbot ausgedrückt, sondern ein – durchaus explizites – generelles Handlungsgebot der Affirmation. Der Andere, der hier als Wächter erscheint, symbolisiert in den unterschiedlichen Darstellungen unterschiedliche Aspekte des Überwachens. Gemeinsam ist diesen, dass der Andere als ein ‚von mir unterschiedener Anderer‘ zu erkennen ist, und dieser Unterschied vor allem einer der Autorität (gezielter Blick, Uniform) ist. Auf der Darstellungsebene konnotiert die erste Abbildung (Abbildung 83) – durchaus in gewisser Analogie zum Blick bei Sartre – vor allem Wachsamkeit, Aufmerksamkeit und eben den Blick. Die beiden anderen Darstellungen konnotieren über Wachsamkeit (der Wachhund) und Aufmerksamkeit hinaus vor allem Bereitschaft. Dass die dritte Darstellung (Abbildung 84 und 85) schon einige Jahre älter ist als die anderen, ist deutlich nicht nur am Grad der Ausbleichung zu erkennen, sondern auch an der Symbolisierung von Bereitschaft, die heute vielleicht eher als eine Form von Aktionismus mit gespielten heroisierenden Attitüden erscheint und damit schnell lächerlich wirken kann. Dieses Beispiel zeigt eben auch – was freilich nicht überraschend ist –, dass Darstellungsweisen und Symbolisierungen sich bereits innerhalb weniger Jahre so verschieben können, dass das, was ehedem seriös hätte wirken können, heute lächerlich wirkt. 3.3.3 Der Experte Abbildung 86 (links), Abbildung 87 und 88 (rechts)
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Darstellungen des Anderen als Experten haben in der Werbung ihren festen Platz. Die Darstellung des Anderen, der sich vom Betrachter eben durch seine Expertise unterscheiden soll, erfüllt dabei ihren Zweck in vielen Fällen nur, wenn der Andere hierdurch – ebenso wie schon der Wächter – als von mir unterschieden erkannt und in seiner differentia specifica, der Expertise, anerkannt wird. Um diesen Erkennungsund Anerkennungsprozess überzeugend zu gestalten, bedient sich der Gestalter einer bestimmten Formensprache. Der Experte bei Carglass (Abbildung 86 und 87) ist ebenso wie der Experte im Sportstudio (Abbildung 88) ein Mann der Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit und höchster Konzentration. In der gleichen Weise fungiert die Darstellung des Anderen hier beim Eidgenössischen Institut für Metrologie (Abbildung 89) in Bern. „Der Ort, wo die Schweiz am genauesten ist“ (Abbildung 90) wird durch eine Darstellung der Genauigkeit beworben, die für das metrologische Institut eine Eigenschaft ihrer Expertise ist. Abbildung 89 (oben) und 90 (unten)
Nachdem nun beispielhaft Charakterisierungen des Anderen gezeigt wurden, die ihre Funktion genau dann erfüllen, wenn sie als ‚von mir unterschieden‘ wahrgenommen werden, sollen die folgenden Abbildungen vor allem den Aspekt der potentiellen Identifikation mit dem Anderen als ‚alter ego‘ hervorheben. Auch bei dieser Gruppe wird lediglich ein kleiner Ausschnitt möglicher Inszenierungen präsentiert.
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3.3.4 Der Artige und der Ungezogene Abbildung 91 (links), Abbildung 92 und 93 (rechts)
Es stellt eine vielfach angewandte Strategie dar, mit illustrativen Mitteln korrektes und unkorrektes, angemessenes und unangemessenes Verhalten anzuzeigen. Auf diese Weise kann beispielsweise auch schon die einfache Benutzung einer Rolltreppe mit der Präsentation mannigfaltiger Anderer einhergehen, die allesamt entweder als affirmatives Vorbild oder Negativ-Vorbild fungieren sollen und die ihre Funktion erst dann vollends ausfüllen, wenn der Betrachter selbige sich auch zum Vorbild nimmt (Abbildung 91). Deutlich wird die Inszenierung, die hier mit ‚der Artige und der Ungezogene‘ bezeichnet werden soll und die durchaus auch in vielen Piktogrammdarstellungen zum Tragen kommt, insbesondere in den Fällen, wo die vergleichsweise starre Formensprache des Piktogramms verlassen wird. Die nachfolgenden Beispiele richten sich vornehmlich an Kinder und setzen hierbei auf eine – verglichen mit dem Piktogramm – diesem Publikum angemessener erscheinende Formensprache. So zeigt uns dieser Junge (Abbildung 92) auf einer Gemeindetafel, dass der Abfall in den Mülleimer gehört und erfüllt damit die gleiche Funktion wie das hier gezeigte Piktogramm (Abbildung 93). Als Identifikationsfigur kann der abgebildete Junge – wenigstens scheint das Teil der Gestaltungsidee gewesen zu sein – andere Kinder zum Perspektivwechsel einladen und damit zur Anerkennung des alter als ego. Im Streichelzoo verweist dieses Schild auf den korrekten und den nicht korrekten Umgang mit den Ziegen (Abbildung 94). Das dargestellte Mädchen fungiert
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dabei als Negativ-Vorbild, dessen fehlerhaftes und unangemessenes Verhalten zusätzlich sowohl sprachlich kodiert ist als auch durch die rote Durchstreichung herausgestellt wird. Es erscheint allerdings widersinnig, warum der Junge, der die Ziege am Schwanz zieht, nicht durchgestrichen ist und warum dieses Verhalten als ‚sich ruhig verhalten‘ bestimmt wird. Der nötige Perspektivwechsel mit dem ‚ungezogenen Kind‘ auf der einen Seite und mit der Ziege als Opfer auf der anderen Seite ermöglicht die potentiell erfolgreiche Aufforderung zu affirmativem Verhalten. Analog auch bei diesem Beispiel (Abbildung 95): Hier wird eine anthropomorphe Hundedarstellung genutzt, um darauf zu verweisen, dass diese Wiese kein ‚Hunde-WC‘ ist. Der ‚ertappt‘ dreinschauende Hund mit nacktem Hintern auf der Wiese, dem typografisch ein ‚Halt!‘ entgegengerufen wird, lädt zur Identifikation mit einem sich aufgrund seines Fehlverhalten Schämenden ein. Abbildung 94 (links) und 95 (rechts)
3.3.5 Der Kapitalist Eine andere Form der Präsentation des Anderen ist hier auf diesem Plakat mit subversivem Impetus zu sehen (Abbildung 96). Dieses entstammt einer ganzen Reihe von gesellschaftskritischen Plakaten, die im Stadtraum von Bern zu finden sind, und präsentiert einen Anderen, der aufgefordert wird, ‚sein Geld zu essen‘. Offensichtlich spielt diese Intervention auf die aus der Umweltbewegung der 1980er Jahre unter dem Namen ‚Weissagung der Cree‘ bekannte Sentenz an: ‚Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken,
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dass man Geld nicht essen kann‘ (Abbildung 97). Aus dieser Sentenz, in Kombination mit einer anatomisch anmutenden Darstellung, den dramatisierenden Blutelementen und dem bissigen Sarkasmus der Aussage, zieht die Darstellung zum größten Teil ihre affektive Wirkung. Zweifelsohne sind zur Erstellung und Anbringung dieses Plakats subversive Motive tragend gewesen, die allerdings auch hier mit affirmativen Mitteln ausgedrückt werden. Die Wirkung des Plakats wird aber zunächst vor allem davon abhängen, ob der Andere als ‚von mir unterschieden‘ oder als ego verstanden wird und inwiefern eine Identifikation mit diesem, wenig zur Identifikation einladenden, Charakter erfolgt. Gerade an diesem Beispiel wird offensichtlich, dass es einen erheblichen Unterschied machen kann, ob das Publikum sich im Anderen erkennt und diese Erkenntnis auch anerkennt oder lediglich den Anderen als von sich unterschiedenen mit einem verächtlichen Blick betrachtet. Die fehlenden Attribute, die es erlauben würden, den Dargestellten einer bestimmten Klasse oder Berufsgruppe zuzuordnen, sind in diesem Sinne bereits Mittel zur Identifikation wie natürlich auch die paraphrasierte Sentenz. Abbildung 96 und 97
3.4 Der Andere als Spur Neben der Verwendung ikonischer Zeichen zur Präsentation des Anderen, lassen sich auch indexikalische Zeichen verwenden; in dieser Weise tritt der Andere durch eine Spur zu Tage. Es sei hier noch einmal kurz wiederholt, was in der Einleitung in Auseinandersetzung mit der Spur als indexikalischem Zeichen bereits ausgeführt wurde:
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Ob etwas als eine Spur interpretiert wird, ist nicht an der Erscheinungsform abzulesen, sondern stellt einen interpretativen Umgang durch einen Rezipienten mit einer (visuellen) Erscheinungsform dar. Wird etwas als Spur ‚gelesen‘, so wird es damit zum indexikalischen Zeichen erklärt. Aufgrund dieser basalen Feststellung wird klar, dass im Grunde jede Erscheinungsform als Spur der einstmaligen Präsenz eines Anderen interpretiert werden kann und dass zugleich keine Erscheinungsform zwingend als Spur verstanden werden muss. Obwohl dies gilt, scheint es eine (freilich kulturabhängige) Formensprache der Spur zu geben, so dass bestimmte visuelle Erscheinungsformen tendenziell häufiger als Spuren identifiziert werden als andere und genau dieser Umstand macht es möglich, auch absichtsvoll Spuren zu hinterlassen oder zu simulieren, die auch als Spuren erkannt und anerkannt werden können und deren intendiertes Identifizieren als Spur Orientierungszugänge erlauben soll. In dieser Weise wird etwa hier durch das intendierte Ausstreuen von Sägespänen eine Spur gelegt, deren Identifizierung als Spur zwar durch die gewählte Darstellungsform als Pfeil erleichtert wird, aber nicht grundsätzlich davon abhängt (Abbildung 98). Vielmehr erhält die Spur der Sägespäne durch den Pfeil lediglich eine Richtung. Als eine Art prototypischer Spur kann sicherlich der Fußabdruck zählen. Dieser kann dann eben auch als bildliches Zeichen verwendet werden, um ‚Spur‘ zu bedeuten und zum affirmativen ‚Spur-Folgen‘ einzuladen. Es ließen sich an dieser Stelle unzählige Beispiele bringen, weshalb es hier reichen soll, zwei Varianten kurz vorzustellen. Bei beiden Varianten handelt es sich um bildliche Zeichen von Fußabdrücken: Das erste Abdruckbild (Abbildung 99) ist lediglich schematisch und verweist auf einen tatsächlichen Weg, den einzuschlagen empfohlen wird, wenn man das Ziel ‚Lieu d’Europe‘ zu erreichen sucht. Das zweite Abdruckbild (Abbildung 100) präsentiert hingegen einen realen Fußabdruck (besser: Schuhabdruck), der allein durch seine Machart bereits verraten müsste, dass er als zielführende Spur eines realen Weges untauglich ist. Dieser Abdruck fungiert hier als bildliches Zeichen nicht nur der realen Präsenz des ehemaligen Präsidenten der Berner Wanderwege Rudolf Künzler, sondern auch des metaphorischen Weges, dem weiter zu folgen sei, eben die ‚vielen guten Spuren‘, die er als Präsident hinterlassen hat. Es ist in diesem Kontext eben auch nur angemessen, dass nicht der individuelle Fuß, sondern der Wanderschuh des Präsidenten mit diesem Abdruck präsentiert wird. Da grundsätzlich jede Erscheinungsform als Spur gelesen werden kann und dies insbesondere für jene Formen gilt, die von menschlichen Akteuren im Raum hinterlassen wurden und damit immer auch auf deren einstmalige Präsenz verweisen können, muss im vorliegenden Teilkapitel eine Einschränkung der Untersuchungsgegenstände vorgenommen werden: Für eine Rhetorik der Affirmation sind hier vor allem solche Erscheinungsformen interessant, die, wenn sie als Spuren interpretiert werden, Handlungsräume eröffnen (und andere womöglich verschließen). Es geht vor allem um Spuren, die als zur Affirmation einladend empfunden werden können oder die die Grenzen dessen, was als affirmativ in einer bestimmten Situation gelten kann durch
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ihre eigene Präsenz und der damit einhergehenden simulierten Präsenz des Anderen verschieben. Da sich diese Verschiebung besonders gut an Beispielen aus dem Bereich Graffiti und Street-Art zeigen lässt, soll es nachfolgend überblicksartig insbesondere um bestimmte Aspekte von Graffiti und Street-Art im Kontext der Affirmation gehen, wobei explizit nicht versucht werden soll, eine rhetorische Theorie des Graffiti auszuarbeiten: Zunächst wird über das crossing als affirmativer Regelbruch zu reden sein; zweitens wenden wir uns einer bestimmten Darstellungsform zu, der ‚destroying-line‘ und der durch diese semantisch kreierten Wand; drittens soll anhand des sogenannten ‚Stickermuseums‘ auf die broken-window-theory eingegangen werden, die nicht nur in den 1990er Jahren in New York prägend für den Umgang mit Graffiti war, sondern sich zudem als ein theoretischer Baustein der Affirmation lesen lässt. Abbildung 98 (links), Abbildung 99 (rechts), Abbildung 100 (unten)
3.4.1 Crossing als affirmativer Regelbruch Als ‚crossing‘ wird in der Graffiti-Subkultur der Akt des Überzeichnens bezeichnet. Dieser Akt ist dabei regelgeleitet und mehrschichtig: Die basale Idee beim crossen ist, dass ‚schlechtere‘ Graffiti von ‚besseren‘ übermalt werden dürfen. Was dabei als ‚schlechter‘ oder ‚besser‘ zu werten ist, ist Teil des Diskurses innerhalb der Szene und braucht hier nicht weiter zu interessieren. Festzuhalten ist: Das crossen gilt als aggressiver Akt, der das Darunterliegende zerstören oder entwerten und das eigene Graffiti an der Stelle des älteren (vom Anderen) zur Anschauung bringen soll. Eng mit dem crossen verknüpft ist die hierarchische Struktur der Szene, wonach der ‚king‘
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alle und alle den ‚toy‘ crossen dürfen (Abbildung 101) und ebenso die inhaltliche Dimension, wo ‚Linke‘ ‚Rechte‘ crossen und umgekehrt (Abbildung 102). Genauer besehen vollzieht sich das crossen in wenigstens zwei Schritten: Auf der ersten Ebene befindet sich die urbane Gegebenheit, die Grundstücksmauer, die Fassade oder auch der Zug. In einem ersten Schritt ‚crosst‘ der Sprayer dieses urbane Fragment (die Mauer, den Zug, o.ä.), indem er sein ‚piece‘ anbringt, womit er eine zweite Ebene erzeugt. Diese wird in einem zweiten Schritt von einem anderen Sprayer ‚gecrosst‘, wobei Fragmente aller darunterliegenden Ebenen weiterhin sichtbar sein können und eine dritte Ebene erzeugt wird. Dieses Spiel der Markierung und Übermarkierung kann prinzipiell endlos weitergeführt werden, so dass eine ästhetische Erscheinungsform von prinzipiell endlos vielen Schichten entstehen kann. Tobias Schumann hat diesen agonalen Charakter des ‚writings‘ eingehend beschrieben, für ihn ist das „Phänomen Writing […] im Innersten von einem spielerischen Charakter gekennzeichnet“59 Er schreibt: „Die auf Konventionen beruhende Spielwelt hat ihren Sinn nur in Abbildung 101 (oben) und 102 (unten)
59 Schumann, Tobias: Verbotene Spiele – Transformationen des Stadtraums zur urbanen Arena. Der agonale Charakter des Graffiti-Writings. In: Was ist Graffiti? Hrsg. von Ralf Beuthan und Pierre Smolarski. Würzburg 2011. S. 30-49. Hier: S. 38f.
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sich selbst und erscheint vom externen Standpunkt des Spielverderbers aus als willkürlich und sinnlos.“60 Bezüglich der Regelhaftigkeit des crossens schreibt Schumann, dass, obwohl das crossen in der Szene verboten ist, es als Aggressionsakt oder aus Geringschätzung dennoch geschieht und dass die tatsächlichen Regeln des crossens komplex sind: „So kommt es etwa darauf an, mit welcher Graffiti-Form die andere übersprüht wird: Bombs über Tags sind akzeptiert, andersherum dagegen nicht. Da natürlich kein fester Regelkatalog existiert, gibt es zwangsläufig regional und individuell differierende Ansichten dazu. In gewisser Weise stellen jedoch die Bibel ‚Subway Art‘, die Graffiti-Kultfilme und andere Szenemedien Spielanleitungen dar.“61
Ralf Beuthan hat mit Bezug auf Schumanns Aufsatz das Spiel mit affirmativer Regelbefolgung und subversiver Regelverletzung als tragendes Konzept des Graffitiwritings herausgestellt.62 Anhand eines Beispiels, dem ‚Gold Digger-Piece‘ von ODEM (Abbildung 103), hebt Beuthan hervor, wie sich hier soziale Regeln und ästhetische Regeln wechselseitig durchdringen. Analog der oben beschriebenen Struktur des crossens, setzt Beuthan auf der ersten Ebene den Bildträger (die Mauer) als ein Zeichen gesellschaftlicher Regeln (Eigentum zur Abgrenzung von Eigentum) fest, die durch den aneignenden Akt des Sprayens auf einer zweiten Ebene unterwandert oder schlichtweg gebrochen werden. Was sich aus szeneexterner Sicht als subversiver Akt ausnimmt, erscheint dabei innerhalb der Szenelogik letztlich als affirmative Regelbefolgung zur Erlangung von ‚fame‘. Die subversive Dimension entsteht hierbei vor allem durch zwei Aspekte: der Illegalität des Aneignungsaktes und der Sinnverweigerung der aufgetragenen Zeichen.63 Die durch den ‚Erstauftrag‘ bereitgestellte Spur des Anderen, die, insofern sie als eine Spur größtmöglicher gesellschaftlicher Regelverletzung gilt, auch den meisten ‚fame‘ verspricht, eröffnet das
60 Ebd. S. 40. 61 Ebd. Das ‚tag‘ gilt als einfachste Form des writings. Hierbei wird ein grafisch stilisierter Schriftzug (eine Art ‚Namenszug‘) angebracht. Ein ‚bomb‘ ist zumeist größer als das tag und da es sich an Plätzen befindet, an denen die Gefahr, beobachtet und auch polizeilich gestellt zu werden höher ist, gilt es als höherwertig im Sinne des szeneinternen ‚fame‘. 62 Vgl. Beuthan, Ralf: Was ist Graffiti? Versuch einer philosophischen Bestimmung. In: Was ist Graffiti? Hrsg. von Ders. und Pierre Smolarski. Würzburg 2011. S. 121-139. 63 Vgl. Ebd. S. 135. Die Sinnverweigerung der Graffiti-Zeichen gegenüber Szeneexternen ist etwa für Jean Baudrillard der Ausgangspunkt seiner Überlegungen, denen zufolge Graffiti ‚leere Signifikanten‘ seien, die die semiokratische Struktur der postmodernen Lebenswelt gerade darin subversiv unterwandern, dass diesen kein Signifikat zugeordnet werden könne. Vgl. Baudrillard 1991.
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Spielfeld des Sprayer-agons. Innerhalb dieses agons des Überbietens und Übermalens werden nicht nur die (mehr oder weniger festen) Regeln der Szene befolgt, sondern zugleich wird die Spur des Anderen zum Anlass der Affirmation. Neben der Illegalität und Sinnverweigerung, die als Zeichen des subversiven Aktes gesehen werden können, steht immer auch die Affirmation der Spielregeln, zu denen zentral sowohl das Hinterlassen, Lesen, Folgen und Auslöschen von Spuren des Anderen gehört. Abbildung 103
3.4.2 Destroying-line und die Kreation der Wand Die sogenannte ‚destroying-line‘ ist eine spezielle Erscheinungsform. Als sichtbare Erscheinung tritt sie in Form einer einfachen Linie an einer Hauswand zu Tage, die dort im Vorübergehen von einem Sprayer gezogen wurde. Sie bildet mit ihren sanften Schwingungen das leichte Auf und Ab des Laufprozesses ab, fängt jäh an und reißt oft abrupt wieder ab (Abbildung 104). Die Bezeichnung ‚destroying-line‘ betont die zerstörerische Dimension dieses recht simplen Auftragungsprozesses, doch ist nicht ganz klar, was hier eigentlich zerstört werden soll und genauer betrachtet erscheint auch fraglich, ob hier das zerstörerische Motiv überhaupt im Fokus steht. Zu sagen, die Wand solle durch diese Intervention zerstört werden, lässt sich nur sinnvoll behaupten, wenn unter ‚Wand‘ nicht das steinerne Gebilde in Abgrenzungsfunktion, nicht also das materielle Konstrukt verstanden wird. Denn: Mit oder ohne Linie, die Wand als Wand steht noch. Zerstört oder gestört wird bei dem gezeigten Beispiel
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Abbildung 104
allenfalls die ‚Weißheit‘ oder ‚Sauberkeit‘ der Wand, nicht aber die Wand selbst: zerstört werden Aspekte ihrer sichtbaren Erscheinung. Dem Akt des Zerstörens oder Störens bestimmter Aspekte der sichtbaren Erscheinung korrespondiert aber zugleich ein Akt der Kreation einer neuen sichtbaren Erscheinung, eben der Spur des Anderen, wodurch die Wand zum Träger der Spur wird. Die Spur verändert damit die semantische Dimension der Wand, die zwar Abgrenzungs-, Schutz- und Regulationsobjekt bleibt, aber nun zusätzlich zum Träger individueller, illegaler, zweckfreier Spuren wird. Die destroying-line ist eine Spur des Anderen, die nirgendwohin führt, der man nicht einfach als Spur zielgerichtet folgen kann, sie ist zunächst nichts als die sichtbare Spur der einstigen Präsenz eines Anderen und dessen Performanz.64 Als solche aber ist sie zugleich die sichtbare Spur des Auftragungsaktes und eben diesem kann man auch folgen. In einer gewissen Weise kann gesagt werden: Die destroying-line verändert den Bedeutungsrahmen ihres Trägers und fügt diesen mit der erweiterten Bedeutung in das Feld möglicher Graffiti-Aktionen ein. Dieser durchaus kreative Akt ist ein Resultat der durch die Spur überhaupt erst aufgezeigten Möglichkeit zur Variation des Bedeutungsrahmens. Galt die Wand zuvor als ‚sauber‘, ‚weiß‘, ‚rein‘ oder ‚gepflegt‘, so gilt sie nun als ‚nicht-sauber‘, ‚nicht-weiß‘, ‚nicht-rein‘ oder ‚nicht64 Zur Performanz im Bereich Graffiti vgl. Beuthan 2011 und Heinz, Marcel: Street-Art. Eine Untersuchung der globalen urbanen Bilderbewegung aus handlungstheoretischer Sicht. In: Was ist Graffiti? Hrsg. von Ralf Beuthan und Pierre Smolarski. Würzburg 2011. S. 67-76.
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gepflegt‘ und da die Spur als Spur auf einem Träger zu erkennen ist und daher auch den Träger (ohne Spur) denk- und erkennbar vor Augen führt, stehen sich die beiden Bedeutungsebenen simultan gegenüber. Genau durch diese Simultanität der widersprüchlichen Bedeutungsebenen wird eine Devianz erzeugt, die dieser Wand eine Aufmerksamkeit zu sichern vermag, die sie ohne Spur nicht hätte. Die Wand wird als potentielles Trägermedium durch die ‚destroying-line‘ erzeugt.65 3.4.3 Stickermuseum und die broken-window-theory George L. Kelling und James Q. Wilson führten unter anderem auf der Grundlage von Experimenten des Psychologen Philip G. Zimbardo die sogenannte ‚brokenwindows-theory‘ ein, um – stark vereinfachend gesagt – den Zusammenhang zwischen Gewalt und Vandalismus auf der einen Seite und Umgebung und Kontext auf der anderen zu erklären.66 Im Graffiti-Kontext wurde diese Theorie besonders dadurch wichtig, weil auf ihrer Grundlage William Bratton, der damalige Polizeichef von New York, 1994 ein zero-tolerance-Modell durchsetzte, das insbesondere kleine Delikte bereits hart unter Strafe stellte und damit aktiv und aggressiv gegen Graffiti vorging.67 Im Kern besagt die ‚broken windows theory‘, dass bereits kleine sichtbare Zeichen von Vandalismus und Zerstörung deutlich dazu beitragen, dass sich der Vandalismus verstärkt. Die Namensgebung verdankt sich der Beobachtung, dass leerstehende Fabrikgebäude, bei denen einzelne Fenster zerstört sind, binnen relativ kurzer Zeit zu Tatorten stärkeren Vandalismus werden und potentiell auch von schwerwiegenderen Ordnungswidrigkeiten und Straftaten. Das zerbrochene Fenster wirkt sich
65 Zur destroying-line: Vgl. Smolarski 2011. 66 Die broken-window-theory gilt mittlerweile als umstritten. Joshua Hinkle schreibt in einem aktuellen Aufsatz (von 2015) dazu: „However, despite this impact on policy, research findings on the validity of the broken window thesis are mixed at best. In part, the mixed findings might be a result of studies testing the model using inconsistent measures of ‘fear’. The larger point here is that emotional fear, perceived safety, and perceived risk may all be different constructs and the fact that many past studies have labeled them all ‘fear of crime’ can perhaps partly explain the mixed findings in the literature.“ (Hinkle, Joshua: Emotional Fear of Crime vs. Perceived Safety and Risk: Implications for Measuring ‘Fear’ and Testing the Broken Window Thesis. In: American Journal of Criminal Justice. 40.1/2015. S. 147-168. Hier: S. 149.) Folgt man Hinkle in seiner weiteren Untersuchung, so kann nicht davon gesprochen werden, dass die broken-window-theory widerlegt sei, wohl aber, dass sie – insbesondere in Detailfragen – umstritten ist. Der Inhalt dieser Anmerkung kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht überprüft werden, da hierfür weder der Raum noch der methodologische Rahmen gegeben ist und kann daher hier nur konstatiert werden. 67 Zur broken-windows-theory: Wilson, James Q. und Kelling, George L.: Broken Windows. The Police and Neighborhood Safety. In: The Atlantic Monthly, März 1982.
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also quasi wie eine Einladung (Affordanz) zum Vandalismus aus und eröffnet sichtbar einen Möglichkeitsraum, der, wenn er für weiteren Vandalismus genutzt wird, den Einladungscharakter noch verstärkt, beziehungsweise die Hemmschwelle weiter reduziert. Auf einem ähnlichen Prinzip beruhen im Grunde alle Graffiti-Interventionen und so beispielsweise auch das sogenannte ‚Stickermuseum‘, wo etwa auf der Rückseite von Verkehrsschildern nach und nach immer mehr Sticker angebracht werden, die sich in Ausrichtung, Form und Aussage auch aneinander orientieren können und als Gesamtheit dann mit der Museumsmetapher angesprochen werden (Abbildung 105).68 Die positiv konnotierte Museumsmetapher, mit der vor allem Aspekte des Ausstellens, des Zeigens, der Unterhaltung, Aufklärung und Kultur verbunden sind, dient nicht bloß als Euphemismus zum Vandalismus, sondern betont – ähnlich wie auch die ‚destroying-line‘ – die semantische Umwertung von Lokalitäten im urbanen Raum. Semantische Leerflächen, wie Rückseiten von Verkehrsschildern, Toilettentüren oder bisweilen auch Häuserfassaden, werden durch die Anbringung von Stickern zur Ausstellungsfläche umgewertet. Im Unterschied zur ‚destroying-line‘, die in einem Akt der ‚Nullsignifikation‘69 lediglich ihren Untergrund betont und so die Wand als Wand ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, wird durch die Häufung der Sticker und deren Arrangement eine semantische Umwertung vorgenommen. Abbildung 105
68 Vgl. zu Formen der Orientierung der Sticker untereinander und zur szeneinternen Kommunikation via Sticker: Reinecke 2007. S. 110-112. 69 Unter einer Nullsignifikation soll hier ein semantischer Prozess verstanden werden, der vor allem dazu dient, das Trägermedium als es selbst zu bezeichnen und die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. In diesem Sinne kann auch bei großen Fensterscheiben und Glastüren, die mit einem Sticker versehen werden, damit sie leichter als Fensterscheiben und Glastüren erkannt werden, ein Prozess der Nullsignifikation ausgemacht werden. Die konkrete Form und Farbe der angebrachten Sticker (geometrische Formen, Linien, Schemata, etc.) fällt unter diesem Blickwinkel in den Bereich des ornatus.
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Da, wo die gegebene Fläche nicht leer ist, sondern selbst schon Träger einer Botschaft, kann bereits durch einen einzelnen Sticker versucht werden, diesen Prozess der Umwertung in Gang zu setzten. So etwa hier (Abbildung 106), wo die Darstellung des ‚Rebellen‘ bildlich das zugrundeliegende Verbot crosst, oder in dieser Abbildung (Abbildung 107), wo mit dem Sticker für das ‚Ja, zur Aufhebung der Wehrpflicht‘ geworben wird und dieser an einem Element im Leitsystem der kantonalen Militäranlage in Bern angebracht ist. Genau hierin zeigt sich auch das subversive Moment der Interventionen, die schließlich im Sinne der broken-windows-theory zu affirmativen Einladungen werden können und deren rhetorischer Erfolg zum Teil auch eben darin zum Ausdruck kommt, mit den Mitteln der Subversion zur Affirmation anregen zu können. Abbildung 106 (links) und 107 (rechts)
4. S UBVERSION UND AFFIRMATION – ANMERKUNGEN ZU EINER R HETORIK DER E IGENTLICHKEIT Die in Kapitel V entfaltete Rhetorik der Subversion fokussierte auf einen Umgang mit Mittel visueller Kommunikation, der sich im Kern als aneignende Verkehrung kennzeichnen lässt. Als subversiv (insbesondere mit Bezug zur Rhetorik) ist diese Aneignung zu kennzeichnen, weil durch selbige rhetorische Grundpfeiler der Persuasion und Identifikation tendenziell untergraben, gegen ursprünglich intendierte persuasive Absichten gewendet und in dieser Weise rhetorisch verkehrt werden. Als Vorschlag einer Systematisierung der subversiv-rhetorischen Möglichkeiten wurden fünf Verkehrungen diskutiert: 1. ein Untergraben der Ernsthaftigkeit; 2. eine Verkehrung des rhetorischen Kalküls; 3. die Suversion des ethos; 4. die Subversion des pathos; 5. die Subversion des logos. Der subversive Umgang mit diesen rhetorischen Grundaspekten führt, eben weil damit zugleich Grundpfeiler rhetorischer Orientierung angegriffen und untergraben werden, nicht zuletzt zu einem Angriff auf die Mechanismen der Sinnzuschreibung selbst. Die beispielhafte Analyse verschiedener Aspekte der sogenannten Kommunikationsguerilla führte diese Verkehrungen in Form
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gängiger Strategien vor Augen. Ziel der Kommunikationsguerilleros scheint es zu sein, durch eine Form „kreativer Desorientierung“70 Sinnzusammenhänge aufzulösen und damit eine Offenheit für das Finden neuer Sinnzusammenhänge zu schaffen. Es geht (in unterschiedlichem Maße) um Irritation, Provokation und ein Spiel mit inszenierter Sinnlosigkeit und damit stets auch um eine Herausforderung der Orientierung. Wie Stegmaier im Kontext seiner Untersuchung der Orientierungsfunktion in der Kunst betont, vermag diese Form kreativer Desorientierung es nur dann eine tatsächliche Offenheit zu erzeugen, wenn die künstlerische Intervention in einem bestimmten Sinne als attraktiv empfunden wird. Die Attraktivität der subversiven Interventionen der Kommunikationsguerilla ist hierbei abermals durch rhetorische Überzeugungsmittel zu gewährleisten: Etwa durch das den Aktivisten zugeschriebene ethos des ‚Enthüllers‘, ‚Aufklärers‘, ‚Anti-Kapitalisten‘ etc. oder durch die mit Satire, Verballhornung, Lächerlichkeit und Absurdität verbundenen pathos-Mittel der Komik. Hierdurch zeigt sich im Übrigen auch sofort, dass auch eine Rhetorik der Subversion ohne ein erfolgreiches Bedienen bestimmter rhetorischer Kategorien und insofern ohne eine Rhetorik der Affirmation schlichtweg nicht auskommt. Wichtig festzuhalten ist aber, dass die Attraktivität der Intervention letztlich unter anderem auf der erfolgreichen Kommunikation einer ‚subversiven Lust am Regelverstoß‘ fußt. Die hier entwickelte Rhetorik der Affirmation wurde zunächst als Komplement der Rhetorik der Subversion entworfen. Demnach erscheinen die oben aufgeführten fünf subversiven Verkehrungen mit umgekehrten Vorzeichen als Muster affirmativer Rhetorik. In dieser Weise hat es eine Rhetorik der Affirmation mit folgenden Aspekten zu tun: 1. Bekräftigung des rhetorischen Kalküls; 2. Befolgen von Verfahrensabläufen; 3. Versicherung eines zielführenden ethos; 4. Bedienen des pathos; 5. Bejahung des logos. Diese tragenden Bereiche der Affirmation wurden im Weiteren zur Analyse eines der wichtigsten Orientierungsmittel überhaupt herangezogen: der Orientierung am Anderen. Für die Auseinandersetzung mit dem Anderen als Mittel der Orientierung war eine philosophisch inspirierte Diskussion tragend, die zugleich Anschlüsse zu Fragen der Designrhetorik erlaubte. Eben weil der Andere als freies Subjekt nicht Gegenstand des Designs ist und weil er doch zugleich einer der wichtigsten Anhaltspunkte der eigenen Orientierung ist, wird er für eine Designrhetorik besonders interessant. Der Andere, der als plausibler Halt, als Blick, als Spur und als Bild (Vorbild) thematisiert wurde, erfüllt seine Rolle innerhalb einer Rhetorik der Affirmation – allgemein gesprochen – als ‚Gewährsmann der Regelbefolgung‘. Das spannungs- und facettenreiche Zusammenwirken von affirmativer Regelbefolgung und subversiver Lust am Regelverstoß und damit die Zusammenführung der Kapitel V und VI wurde schließlich durch eine Vielzahl von Bezügen umrissen. Zu 70 Von kreativer Desorientierung spricht Stegmaier im Zusammenhang mit den künstlerischen Möglichkeiten durch Irritation Orientierungsmuster zu durchbrechen. Vgl. Stegmaier 2008. S. 526f.
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nennen wären etwa das Verhältnis von Kommunikationsguerilla und Guerilla Marketing, die Unterscheidung von affirmativer Subversion und subversiver Affirmation, oder – allgemeiner – die letztlich notwendig affirmative Grundlage aller rhetorisch erfolgreichen Subversion. Im Sinne eines Ausblicks, der über die Fragen der Designrhetorik hinausweist und mögliche weitere Felder des Zusammenspiels von Affirmation und Subversion aufzeigen soll, könnte die hier vorgenommene rhetorische Untersuchung auch dazu genutzt werden, auf die Vielfältigen Formen von Regelverstößen einzugehen, die sich alltäglich Menschen (letztlich zur ‚Anpassung‘ ihrer Orientierung) ‚herausnehmen‘, ohne deswegen gleich die Regel als solche in Frage stellen zu wollen. Eine solche Auseinandersetzung kann im vorliegenden Rahmen lediglich stichwortartig umrissen werden. Ausgangspunkt der Überlegungen könnte folgende, wohl auf Cicero zurückgehende, Sentenz sein: Die Ausnahme bestätigt die Regel. Zwar werden All-Aussagen durch eine Ausnahme nicht bestätigt, sondern widerlegt; und auch Regeln, die Ausnahmen zulassen, werden stets durch das Aufkommen neuer Ausnahmen herausgefordert, dennoch gilt: Fälle die als Ausnahmen proklamiert werden, setzen eine Regel voraus (oder erzeugen diese) und bestätigen in diesem Sinne die (vermeintliche) Regelhaftigkeit vergleichbarer Fälle. In diesem Sinne macht man nach einer Geburtstagsfeier gern mal eine Ausnahme und lässt das Frühstück weg, gönnt sich nach einer stressigen Auseinandersetzung ausnahmsweise mal ein Bier schon am Mittag, kommt man einer Bitte mit den Worten ‚aber nur ausnahmsweise‘ widerwillig (und zugleich in der frohen Erwartung, zugleich als hilfsbereit zu gelten und doch vielleicht nicht wieder gefragt zu werden) nach, etc. Die Möglichkeit, Regeln situativ außer Kraft zu setzen, wäre in einer eingehenderen Untersuchung auch unter den Stichworten der Freiheit, Macht, Lust und der sozialen Differenz zu führen. Eine These könnte sein, dass das Sich-Herausnehmen in zweifacher Weise verstanden werden kann: Zum einen nehme ich es mir heraus, situativ eine Regel zu verletzen. Zum anderen nehme ich mich damit aus dem kulturell-sozialen Geltungsbereich der Regel heraus. Im Übertritt wird eine Spaltung des generell geteilten, konsubstantiellen Wir in ein Ich und ein Ihr deutlich, die Gegenstand sowohl rhetorischer Wiederherstellung des Wir sein kann, als auch rhetorischer Inszenierung von Individualität, Freiheit und – nicht zuletzt – womöglich auch Führungskraft. Der Moment des eigenmächtigen Übertritts (Machterfahrung) kann als ein Moment der Freiheit wahrgenommen werden, ein Loslassen, ein Entkommen aus dem als zu eng empfundenen Regelalltag. Zentral für diese Bewegung scheint allerdings zu sein, dass die Gültigkeit der übertretenen Regeln zwar situativ aufgehoben, aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird. Der Jahresurlaub scheint für einige in dieser Weise als eine Institution der Ausnahme ebenso in Frage zu kommen, wie der Festakt oder unter bestimmten kulturellen Voraussetzungen auch das Gelage oder die Orgie. Die Institutionalisierung der Ausnahme (die damit zugleich abermals regelgeleitetet erscheint) begegnet uns an unzähligen Orten, wie etwa dem Freizeitpark, dem Theater oder dem
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Paintball-Gelände. Die Ausnahme ist zudem bisweilen gebunden an Situationen (die dann als Ausnahmesituationen bezeichnet werden), in denen Orientierungen an festen Regeln ins Wanken geraten und die die Ausnahme insofern zu legitimieren scheinen. Ausnahmen können zur Regel werden, was letztlich nichts anderes ist, als das Zustandekommen einer Mode. In diesem Sinne sollten etwa urbane Moden wie Flanieren, Parcours, urban crossgolf, Flashmobs aber auch Graffiti oder Street-Art ebenso im Spannungsverhältnis von Subversion und Affirmation besprochen werden können. Nicht zuletzt – und auch darauf müsste eine umfassendere Auseinandersetzung eingehen – stellt die Ausnahme einen eigenen Werbe-topos dar. Beispielhaft in diese Richtung seien hier genannt: „Die Freiheit nehm ich mir“ (Visa-Werbung, 1991). „Lass dich mal gehen, schalt einfach ab …“ (Zott Sahnejoghurt, 1995). „Maybe never found a Way“ (Marlboro, 2011) (Abbildung 108). Abbildung 108
Was allen diesen Beispielen gemeinsam ist und was sie nicht zuletzt auch rhetorisch interessant macht, ist die Doppelläufigkeit der diese Beispiele fundierenden, überzeugenden Rede: Zum einen gilt es, ein Publikum gleichsam in Richtung Subversion von der situativen Notwendigkeit, Gebotenheit oder auch nur legitimen Möglichkeit des Sich-Herausnehmens aus Regelzusammenhängen zu überzeugen. Auf der anderen Seite muss zugleich in Richtung Affirmation von der bloßen Ausnahmehaftigkeit
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dieses Sich-Herausnehmens überzeugt und damit die generelle (wenn auch nicht absolute) Gültigkeit der Regel konstatiert werden. In dieser Weise bedient sich etwa ein Vater, der, während er ordnungswidrig parkt, seinem anwesenden Sohn zum einen erklärt, dass er es gerade eilig habe und es daher nicht anders ginge (Ermöglichung der Ausnahme), und der gegenüber dem Sohn zugleich betont, dass man das eigentlich nicht mache (Instandsetzung der Regel), einer ‚Rhetorik der Eigentlichkeit‘, die kennzeichnend für das Wechselspiel von Subversion und Affirmation zu sein scheint.
VII. Rhetorik der Neutralität – rhetorische Dimensionen im Informationsdesign
1. E INFÜHRUNG
IN DAS
K APITEL
Ein wesentliches Instrument menschlicher Orientierung ist ohne Zweifel die Karte. Wie Werner Stegmaier zum Auftakt seines Buches Philosophie der Orientierung formuliert, sind Menschen zur Fernorientierung in der Regel ganz auf Karten angewiesen.1 Karten oder allgemein kartographische Repräsentationen, wozu hier – in einem vorerst weiten Verständnis – letztlich alle graphischen Systematisierungen räumlicher Information zählen, also auch Netzpläne oder Lageskizzen, sind derart eng mit Abbildung 109
1
Vgl. Stegmaier 2008. S. 48
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Fragen der Orientierung verbunden, dass sie schlechthin – wie etwa auch der Kompass oder der Wegweiser – zu einem Symbol für das Bedürfnis nach Orientierung auf der einen Seite, aber auch für erfolgreiche Orientierung auf der anderen Seite taugen. Kartographische Repräsentationen sind – und das kann durchaus als Gemeinplatz gelten – sowohl Ausdruck einer Suche nach (vermeintlich) festen Bezugspunkten und damit eines Ordnungswillens und geben gerade deshalb auch ein Muster für eine ganze Klasse von Ordnungspräsentationen ab. Eben weil die kartographische Repräsentation ein Symbol dieser Art ist, beziehungsweise als ein Symbol dieser Art wahrgenommen wird, kann sie als formales Muster dienen, um Ordnung schlechthin zu symbolisieren. Ein einziges Beispiel soll an dieser Stelle genügen, um diese – an sich zunächst triviale - Feststellung evident vor Augen zu führen: Man denke etwa an verschiedene Visualisierungen einer (mitunter nur scheinbaren) Ordnung, die sich an der Ästhetik von Karten oder Netzplänen orientieren und diese zum Muster nehmen, um ‚Ordnung‘ zu konnotieren. Hier etwa (Abbildung 109) werden die Akteure der Londoner Graffiti-Szene in Form der Londoner Subway-Pläne visualisiert. Dabei ist folgendes anzumerken: Der Netzplan des Londoner Subway-Systems ordnet die einzelnen Stationen nach ihrer Verbindung durch U-Bahnlinien und setzt diese somit relativ zueinander in Bezug. Darin wird die Ordnungsleistung, die durch eine solche Visualisierung – wir können hier vorweggreifend von einem mapping sprechen – erbracht wird, zum Ausdruck gebracht, die eben auch deshalb als Ordnung fungiert, weil in derlei Plänen (heutzutage) zugleich auf die Übertragung vieler anderer räumlicher Bezüge der Stationen zueinander verzichtet wird – Ordnung ist eben stets gebunden an Selektionsprozesse und Gewichtungen. Der Graffiti-Plan hingegen zitiert zwar das Ordnungsmuster und suggeriert in dieser Weise Ordnung, allerdings ohne dass sich diese auch in vergleichbarer Weise einlösen ließe. Welchen Bezug der Sprayer ‚Aqua‘ zum Sprayer ‚Fiza‘ haben soll, warum sie auf einer Linie liegen und warum ‚Fiza‘ zugleich eine ‚Umsteigemöglichkeit‘ darstellen soll, lässt sich allenfalls erraten. Zitiert wird hier das Ordnungsschema, um Ordnung – oder auch nur einen ‚Ordnungswillen‘ – zu konnotieren, der letztlich gar nicht eingelöst wird. Sicherlich wird gerade der Subway-Plan nicht nur – vielleicht nicht einmal hauptsächlich – wegen seiner Assoziationen zu Ordnung, Systematisierung und Orientierung zitiert, sondern vor allem auch, weil gerade die U-Bahn und der U-Bahnschacht fast schon klassische topoi (in ihrer wörtlichen, wie auch in ihrer übertragenen, rhetorischen Bedeutung) im Sprayer-agon darstellen. Insofern stellt dieses Zitat auf der Ebene eines anderen Codes eine Art ironisches Zwinkern dar: Nicht nur die U-Bahn wird durch Graffiti in Beschlag genommen, sondern jetzt auch ihr Plan. In dieser Weise kann die Darstellung womöglich ein bestimmtes Szene-Publikum eher überzeugen als in Bezug auf eine etwaige Ordnung. Das allein würde aber noch nicht erklären, warum nicht eine andere Form der Visualisierung gewählt wurde, die keine Assoziationen zu Ordnungsmustern aufweist und vielleicht dennoch sowohl ein Transportmittel wie die U-Bahn als auch den Ort London als Motiv zitieren würde. Warum
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keine Namen auf einem englischen Doppeldeckerbus? Wir sehen an diesem Beispiel, dass – letztlich ganz gleich aus welchen Motiven heraus, ob bewusst oder unbewusst – bestimmte Formen von kartographischen Repräsentationen zu einem Muster für Ordnung und Orientierung schlechthin geworden sind. Dies zeigt sich letztlich klar, wenn man bedenkt, dass – angesichts dieses Graffitiplans – sich sofort Fragen der womöglich intendierten Ordnung ergeben. Angesichts einer Vielzahl möglicher anderer Visualisierungen, wäre womöglich bereits die Frage nach einer Verbindung zwischen ‚Aqua‘ und ‚Fiza‘ vollkommen absurd. Die Darstellungsform lädt den Betrachter ein – ganz im Sinne einer Affordanz –, Fragen der Ordnung selbst dann zu stellen, wenn diese nicht eingelöst werden. Auch wenn es im Weiteren nicht um Graffiti und nicht um Abwandlungen von Netzplänen gehen wird, zeigt sich an der – recht knappen – Schilderung des Beispiels bereits die Fragerichtung des vorliegenden Kapitels. Rufen wir uns dazu einige Bemerkungen in der Beschreibung des Beispiels vor Augen. Wir sprachen von intendierten Ordnungen, Konnotationen und Symbolisierungen, von Mustern, Verständlichkeit, Codes (im Plural!), topoi, von Ironie, Assoziationen, von der Möglichkeit, ein bestimmtes Publikum zu überzeugen, von Motiven und Affordanzen. Dieses Beispiel lädt offensichtlich dazu ein, es rhetorisch zu analysieren. Die Analyserichtung des vorliegenden Kapitels wird dabei von zwei zentralen Begriffen geleitet sein: Neutralität und Funktionalität. Gegenstand des Kapitels wird – wie auch schon in Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum – die rhetorische Dimension des Informationsdesigns sein.2 Wurde dieses dort aus dem Blickwinkel einer Rhetorik des Zeigens untersucht, soll in diesem Kapitel eine Rhetorik der Neutralität den Zugang zu rhetorischen Themenfeldern im Informationsdesign liefern. Neutralität ist – wie zu zeigen sein wird – dabei als eine wichtige Wirkfunktion des Informationsdesigns zu bestimmen, deren rhetorische Analyse es erlaubt, verschiedene zentrale Aspekte zu fokussieren. Bei diesen Aspekten handelt es sich vor allem um Fragen der Herstellung von Information, der Funktionalität des Informationsdesigns und seine Wechselwirkung mit der Zuschreibung von Neutralität und Fragen des Vertrauens in die orator-Instanz. Eine rhetorische Analyse der Neutralität als Wirkungsfunktion wird hierzu nach grundlegenden methodischen Überlegungen in einem ersten Schritt in drei Arten von Neutralität unterscheiden, die je unterschiedliche – letztlich funktional bestimmte – Arten des Umgangs mit zentralen Einflussgrößen im Informationsdesign entfalten. Diese Arten werden als drei genera der Neutralität entwickelt, deren methodischer Wert in der vorliegenden Arbeit nicht zuletzt darin besteht, das weite Feld möglicher Auseinandersetzungen thematisch immer wieder zusammenbinden zu können und somit ein Zerfasern der Theorie zu vermeiden und dabei von diesem thematischen Zentrum (Neutralität) aus, wichtige Aspekte des Informationsdesigns besprechen zu können; 2
Vgl. Smolarski 2017.
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beispielsweise folgende: die Rolle des Vertrauens für das Informationsdesign, die Installation desselben im urbanen agon um die Aufmerksamkeit, die Wechselwirkung von Information und urbaner Situation oder auch das Verhältnis von ethos, pathos und logos bei der Gestaltung von Informationen. Dass weder diese Einzelaspekte noch die Blickrichtung von einer Rhetorik der Neutralität aus für sich allein genommen der Komplexität des Gegenstandes ‚Informationsdesign‘ gerecht werden, ist freilich klar. Es wird daher auch nicht der Anspruch erhoben, mit diesem Kapitel bereits die möglichen Themenfelder des Informationsdesigns umfassend zu behandeln, ja nicht einmal der Anspruch, umfassend über mögliche Themenfelder einer Rhetorik des Informationsdesigns zu sprechen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit als Ganzes ist vor allem die Entwicklung einer rhetorischen Theorie visueller Kommunikation und da Neutralität eine Herausforderung und potentielle Grenzlinie für jede rhetorische Theorie ist und diese zugleich im Bereich des funktional geleiteten Umgangs mit Informationen (etwa dem Abfahrtsplan der Bahn) immer wieder durch das Publikum attestiert zu werden scheint, vermag eine Analyse möglicher rhetorischer Dimensionen neutraler Wirkung eben auch wichtige Bausteine zu einer rhetorischen Theorie visueller Kommunikation liefern zu können. Es gilt also auch in diesem Kapitel, was für die ganze Arbeit gilt: Das vorliegende Kapitel ist keine rhetorische Analyse der hier gezeigten Designbeispiele, sondern – umgekehrt – die Designbeispiele sollen die rhetorische Analyse der Neutralität illustrieren und verständlich machen.
2. R HETORIK DER N EUTRALITÄT 2.1 Vorbemerkung und methodische Probleme Die Rhetorik als techne steht zur Neutralität in einem zwiespältigen Verhältnis. Beide scheinen sich auf der einen Ebene gegenseitig auszuschließen und auf einer anderen doch zu bedingen. Nachfolgend soll dieses Verhältnis kurz entwickelt werden. Dabei sollen drei Formen von Neutralität unterschieden und für jede aufgezeigt werden, dass sie ein bestimmtes – letztlich rhetorisches – genus bedient. Diese genera weichen allerdings von den in Kapitel IV angeführten klassischen genera ab. Es handelt sich um die genera der Neutralität. Diese hier zu entwickeln, wird es ermöglichen, bestimmte Gestaltungsbeispiele aus dem Bereich des Informationsdesigns auch mit diesen genera zu besprechen, da die Entwicklung der genera der Neutralität den Blick auf spezifische Wirkungsaspekte des Informationsdesigns lenken soll. Um diese Aspekte bereits vorweg zu nennen: Die Rhetorik der Neutralität soll einen Zugang zu Fragen 1) der Aufmerksamkeitslenkung im urbanen Wettbewerb (agon) um die Aufmerksamkeit des Passanten lenken, 2) einen Beitrag zur Frage nach der Funktionalität
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von Informationsdesign im urbanen Raum leisten und 3) die Frage nach der Ausgewogenheit im Informationsdesign im Hinblick auf die Neutralität als Wirkziel stellen. Vorweg muss allerdings ein methodisches Problem jeder Auseinandersetzung mit Themen der Neutralität besprochen werden. Das Problem ergibt sich aus zwei Grundannahmen, die im Rahmen dieser Arbeit geteilt werden. Es gilt: a) Information ist nicht neutral und b) Neutralität als Wirkungsfunktion ist nicht per se eine Täuschung. Das methodische Problem ergibt sich aus der gemeinsamen Annahme beider Thesen, die es kurz zu erläutern gilt. 2.1.1 Information ist nicht (rhetorisch) neutral Grundsätzlich gilt es, zwei Begriffe auseinanderzuhalten: Information und Daten. Ein Datum ist ein bloß Gegebenes, das sich als Gegebenes (wenigstens theoretisch, obgleich vielleicht nicht praktisch) vor jedem interpretativen Zugriff postulieren lässt. Als solches ist ein Datum aber noch keine Information. Denn jeder Information, die den Namen verdient, inhäriert der Akt des Informierens. Information ist adressiert und man könnte sie als ein Datum bestimmen, das für einen Adressaten in seiner je spezifischen Situiertheit eine gewisse Relevanz hat oder von dem zumindest ein rhetor davon ausgeht, dass dieses für das Zielpublikum relevant sein könnte. In diesem Sinne sagt Gregory Bateson: „Information ist ein Unterschied, der einen Unterschied macht.“3 Informationen sind demnach lediglich eine Teilmenge möglicher Daten, die bereits nach rhetorischen Kriterien ausgewählt und aufbereitet wurden. Ob etwas als Information oder lediglich als bloßes Datum empfunden wird, hängt letztlich von seinem rhetorischen Erfolg ab. Zwei Beispiele mögen dies illustrieren: Hier (Abbildung 110) haben wir zum einen eine Distanzangabe in einer unzweifelhaft rhetorischen Bemühung (im Werbekontext). Unzweifelhaft soll hier eine Information gegeben werden, die in etwa so formuliert sein könnte: ‚Der nächste Burger King ist gleich um die Ecke.‘ Diese Information kommt dabei aber bezeichnender Weise nicht durch die angegebene Entfernung als absolute Zahl (diese ließe sich berechnen) zustande, also nicht auf der Ebene der Denotation. Es ist eher davon auszugehen, dass aufgrund der Angabe ‚0,0000491671% des Weges zum Mond‘ kaum jemand weiß, wie weit der Burger King nun tatsächlich entfernt ist. Diese Angabe tendiert eher in die Richtung eines Datums als die einer Information. Ein zweites Beispiel: Das Tiefbauamt der Stadt Bern wirbt mit Beschriftungen wie dieser (Abbildung 111 und 112) . Auf dem Weg entlang der Aare finden sich etwa ein Dutzend solcher Aussagen, die allesamt mit Daten arbeiten. Der informative Wert dieser Daten besteht allerdings allenfalls darin, ‚viel‘ oder ‚groß‘ sowie ‚Objektivität‘ und ‚Exaktheit‘ zu konnotieren, die absolute Zahl erscheint eher als Datum denn als Information, denn derselbe Effekt ließe sich erzielen, wenn die Zahlen nur halb so groß wären.
3
Zit. nach: Zec, Peter: Orientierung im Raum. Essen 2002. S. 69.
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Abbildung 110 (oben), Abbildung 111 und 112 (unten)
Möge auch gelten, dass Daten nicht rhetorisch sind (wobei die Frage, ob diese uns überhaupt zugänglich sind, hier nicht erörtert werden soll), so gilt doch: Informationen sind per se eingebunden in rhetorische Prozesse. Diese Prozesse lassen sich mit den Kommunikationsmaximen Paul Grice‘s beschreiben. Die rhetorischen Maximen jedes Informationsaktes lassen sich nach Grice durchaus in einer Parallele zu den rhetorischen Tugenden wie folgt angeben: „1. Avoid obscurity of expression. 2. Avoid ambiguity. 3. Be brief (avoid unnecessary prolixity). 4. Be orderly.“4 Diese 4
Grice, Paul: Studies in the Way of Words. Cambridge 1989. S. 27.
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Tugenden weitet Grice systematisch zu vier Kategorien aus, die letztlich bei jedem Akt des Informierens unterstellt werden und auch werden müssen, um erfolgreiche Kommunikation zu ermöglichen. Diese sollen hier kurz eingeführt werden: „1. Quantity: If you are assisting me to mend a car, I expect your contribution to be neither more nor less than is required. If, for example, at a particular stage I need four screws, I expect you to hand me four, rather than two or six. 2. Quality: I expect your contribution to be genuine and not spurious. If I need sugar as an ingredient in the cake you are assisting me to make, I do not expect you to hand me salt; if I need a spoon, I do not expect a trick spoon made of rubber. 3. Relation: I expect a partner’s contribution to be appropriate to the immediate needs at each stage of the transaction. If I am mixing ingredients for a cake, I do not expect to be handed a good book, or even an oven cloth (though this might be an appropriate contribution at a later stage). 4. Manner: I expect a partner to make it clear what contribution he is making and to execute his performance with reasonable dispatch.“5
Es wird schnell klar, dass es sich bei diesen Kriterien um doppelseitige Erwartungshaltungen handelt: Der rhetor identifiziert sich mit seinem potentiellen Publikum und dessen situativer Verortung, um bereits mögliche Relevanzrahmen der oratorischen Äußerungen zu umreißen. Gleichzeitig identifiziert sich – auf der Grundlage der Grice’schen Maximen – das Publikum mit dem orator, um, in einer produktiven Unterstellung, die Übertragung des Dargebotenen auf seine situative Verortung zu ermöglichen und damit der Information Relevanz zuzusprechen, wodurch diese überhaupt erst als Information wahrgenommen wird – im Gegensatz etwa zu Daten, Rauschen oder subversiven Störungen, etc. Diese doppelte Identifikation wird umso nötiger, wenn es sich, wie im Falle der Untersuchungsgegenstände der vorliegenden Arbeit, nicht um eine face-to-face-Kommunikation handelt. Es lässt sich folglich festhalten: Informationen sind nach den Kriterien der Quantität, Qualität, Relation und Darbietungsweise für ein je spezifisches Publikum aufbereitete Daten. Damit diese erfolgreich wirken können, was in erster Linie heißt, dass sie als informativ verstanden werden, müssen letztlich diese Kriterien überzeugend umgesetzt worden sein. Wird Neutralität als Gegenbegriff zum Rhetorischen verstanden, dann kann ganz klar gesagt werden: Informationen sind nicht neutral. Ist aber Neutralität als Gegenbegriff zum Rhetorischen überhaupt zu verstehen? Auch wenn diese Frage erst im Laufe dieses Kapitels eine differenzierte Antwort erfahren wird, so sei Folgendes bereits vorweggenommen: Neutralität wird als intendierte Wirkungsfunktion insbesondere dort rhetorische Verwendung finden – und ist demnach Teil rhetorischer Arbeit –, wo es darum geht, eine Darbietung oder Intervention 5
Ebd. S. 28.
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als vergleichsweise ‚rhetorikfrei‘ wirken zu lassen, wodurch Neutralität als gegensätzlich zum Rhetorischen erscheinen soll. Mit dieser – recht knappen – Bestimmung kommen wir zur zweiten Frage: Inhäriert der rhetorischen Indienstnahme der Neutralität stets ein Akt der Täuschung? 2.1.2 Neutralität ist keine Täuschung Um es gleich vorwegzunehmen: Die rhetorische Indienstnahme der Neutralität ist nicht per se täuschend. Es ist auffallend – und lässt sich auch leicht erklären –, dass da, wo es um eine rhetorische Analyse des vermeintlich Neutralen geht (etwa in der kritischen Kartographie), ein bestimmtes Motiv in der Analyse tragend zu sein scheint: Das Motiv des Aufdeckens und Enthüllens eines mehr oder weniger gewichtigen, zumindest potentiellen Täuschungsaktes. Dieses Motiv findet sich eingeschrieben – um nur ein paar Beispiele zu nennen – etwa bei John B. Harley (Deconstructing the Map), Mark Denil (Cartographic Design: Rhetoricand Persuasion), Denis Wood und John Fels (Designs on Signs: Myth and Meaning in Maps), Rob Kitchin und Martin Dodge (Rethinking Maps) oder Ian Muehlenhaus (Beyond Biased: Exploring the Relationship between Map Design Style and Map Reader Persuasion).6 In Bezug auf Informationsdesign bringt es Robin Kinross in seinem Aufsatz The Rhetoric of Neutrality auf den Punkt: „But, among information designers, there has been a tendency to escape from the assault of the wider world, to deny any idea of rhetorical persuasion, and to take refuge in immaculate black machine casings. Indeed, the whole revolution of information technology seems to encourage the view that ideology becomes increasingly reduced – miniaturized – in step with the development of ever smaller and more powerful computing devices. Therefore, we need to keep awake, applying our critical intelligences outside, as well as inside, the black box: questioning and resisting.“7
6
Vgl. Harley, John Brian: Deconstructing the Map. In: Cartographica. 26.2/1989. S. 1-20.; Denil, Mark: Cartographic Design. Rhetoric and Persuasion. In: Cartographic Perspectives. 45,4/2003. S. 8-67.; Wood, Denis; Fels, John: Designs on Signs. Myth and Meaning in Maps. In: Cartographica. 23.3/1986. S. 54-103.; Kitchin, Rob; Dodge, Martin: Rethinking Maps. In: The Map Reader. Theories of Mapping Pracitce and Cartographic Representation. Hrsg. von Dies. und Chris Perkins. West Sussex 2011. S. 108-114.; Muehlenhaus, Ian: Beyond Biased. Exploring the Relationship between Map Design Style and Map Reader Persuasion. In: The 2012 AutoCarto International Symposium on Automated Cartography. Columbia 2012.
7
Kinross, Robin: The Rhetoric of Neutrality. In: Design Discourse. History/Theory/Criticism. Hrsg. von Victor Margolin. Chicago 1989. S. 131-143. S. 385.
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Das ‚Hinterfragen‘ und ‚Widerstehen‘ sind die Schlussworte in seinem Aufsatz und vermögen vielleicht einen guten Eindruck dessen zu vermitteln, was hier mit dem Motiv des Enthüllens gemeint ist.8 Die relative Häufigkeit dieses Motivs in den Auseinandersetzungen mit Themen der Rhetorik der Neutralität lässt sich sicher nicht zuletzt dadurch erklären, dass das Aufzeigen des Neutralen als Ergebnis einer rhetorischen Bemühung stets zugleich das Aufzeigen des Nicht-Neutralen zu implizieren scheint. Damit sind wir beim Kern dessen, was als methodisches Problem hier angesprochen werden soll. Metaphorisch gesprochen besteht das Problem darin, dass jeder Versuch, das neutral Wirkende als Neutrales in den Blick zu nehmen, dazu führen muss, es als das Nicht-Neutrale zu erfassen. Durch den Akt des ‚Daraufverweisens‘, oder anders, durch den Akt des Zeigens, wird das, was eigentlich gezeigt werden soll, gerade verstellt.9 Indem auf das neutral Wirkende gezeigt wird, wird dieses, durch den Zeigeakt, herausgehoben und, damit es überhaupt durch den Verstand zu erfassen ist, als etwas bestimmt. Durch diese Bestimmung – das ist quasi die Eigenart der Neutralität als Gegenstand – gerät das so Herausgehobene zu sich selbst (als das neutral Wirkende) in Opposition. Dieser Befund ist für eine Untersuchung zur Rhetorik der Neutralität insofern unproblematisch, als diese letztlich einem Motiv des Enthüllens entspringt. Denn dann wird genau diese Opposition, in der das ehedem neutral Wirkende entneutralisiert (also polarisiert) wird, zum Untersuchungsgegenstand. Wer aber versucht, das neutral Wirkende als Neutrales in den Blick zu nehmen gerät schnell in ein methodisches Problem. Wenn – wie es die Absicht dieses Kapitels ist – eine rhetorische Indienstnahme der Neutralität nicht schon per se als Täuschung, die es zu enthüllen gelte, aufgefasst wird, dann scheinen nur zwei Wege des Umgangs 8
Im Grunde lassen sich wenigstens zwei Herangehensweisen an eine Rhetorik der Neutralität unterscheiden: Auf der einen Seite kann – im Sinne eines Motivs des Enthüllens – versucht werden, durch eine Rhetorik der Neutralität ideologische Muster in der Gestaltung von Artefakten ausfindig zu machen. Eine solche – wichtige und verdienstvolle – Arbeit lieferte letztlich kulturkritische Einsichten und ermöglichte, wenn auch vielleicht nicht eine ideologische Befreiung, so doch eine Form der Emanzipation durch Bewusstwerdung. Diese Perspektive ist eine Perspektive des Rhetorikers auf Gegenstände des Alltags, die im Alltag als neutral empfunden werden. Neutralität wirkt hier nur als Schein, der die dahinterliegende Ideologie verdeckt und insofern als täuschend beschrieben werden kann. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch versucht, eine andere Perspektive einzunehmen, die die alltägliche Beziehung von Benutzern und Artefakten des Informationsdesigns in den Blick nimmt. Dabei ist es wesentlich, Neutralität nicht (oder zumindest nicht bloß) als Täuschung herauszustellen. Wenn die Dinge alltäglich als neutral erfahren werden und diese Erfahrung zum Gegenstand gemacht werden soll, dann interessieren weniger die dahinterliegenden Ideologien als die Oberflächlichkeit (nicht pejorativ, sondern mehr im Sinne von interface) dieser Erfahrung.
9
Zu einer rhetorischen Theorie des Zeigeaktes, siehe: Smolarski 2017.
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mit dem neutral Wirkenden (als der erfolgreichen rhetorischen Indienstnahme) möglich: Zum einen kann versucht werden, die gegebenen Beispiele nicht zu polarisieren, was aber heißen müsste, sie de facto nicht zu besprechen, sondern weitenteils bezugslos der Analyse zur Seite zu stellen. Bezugslos deshalb, weil jeder Bezug auf etwas dieses als etwas in einen Gegensatz zu etwas anderem stellen muss. Diese – womöglich ästhetisch oder prägnant zu nennende – Umgangsweise vermag es zwar, das ‚Neutrale‘ – wenn man so sagen will – intakt zu lassen, bezahlt aber dafür mit dem Einbüßen von Klarheit und Präzision. Im Zweifelsfall hieße das, Beispiele allenfalls als Trivialitäten besprechen zu können, weshalb dieser Weg hier nicht beschritten werden soll.10 Auf der anderen Seite scheint es noch die Möglichkeit zu geben, sich über die Oppositionsstruktur, die durch das Aufzeigen und Vorzeigen innerhalb dieser Arbeit vorgenommen werden muss, zu vergewissern. Um es kurz zu machen: Das durch das Bezugnehmen auf das Neutrale Aufgezeigte erscheint weniger als das Nicht-Neutrale, sondern eher als das Nicht-Funktionale (was womöglich selbst wieder ideologisch bedingt ist). Neutralität wird im Laufe dieses Kapitels als eine wesentliche Größe in Fragen der Funktionalität von Informationsdesign herausgestellt. In dieser Weise ist wohl auch die Arbeit von Schneller und Scheuermann zu verstehen, die in ihrer Untersuchung zur Rhetorik im Informationsdesign des öffentlichen Verkehrs durch Entwürfe gezielter Abweichungen deutlich machen, dass die Grenzen dessen, was noch als funktional innerhalb ihrer ‚Experteninterviews‘ herausgestellt wurde, mit den Grenzen der (unterstellten) Neutralität korrelieren.11 Dieser Bezug von Neutralität und Funktionalität wird offensichtlich, wenn die Wirkungsfunktion der Neutralität nicht als Reduktion gestalterischer Eingriffe, sondern eher als ein Bedienen von Erwartungshaltungen verstanden wird. Deutlich wird das in dem Ver-
10 Es ist zu vermuten, dass Barthes in seiner Analyse des Neutrums aus dieser methodischen Überlegung heraus beispielsweise versucht hat, um nicht mit Trivialitäten arbeiten zu müssen, mit dem Zufall zu arbeiten. So ordnet er die von ihm entwickelten Figuren des Neutrums nach einem willkürlichen Verfahren. Er begründet dies, indem er schreibt: „Jeder ‚Plan‘ (jede thematische Gruppierung) des Neutrums würde unweigerlich darauf hinauslaufen, das Neutrum und die Arroganz in Opposition zueinander zu bringen, das heißt ein Paradigma wiederherzustellen, welches das Neutrum gerade unterlaufen will: Das Neutrum würde diskursiv zum Term einer Antithese: Mit seiner Darstellung würde es den Sinn befestigen, den es auflösen wollte. Daher ein willkürliches Verfahren der Aufeinanderfolge“ (Barthes, Roland: Das Neutrum. Frankfurt am Main 2005. S. 41.). 11 Dieses Korrelationsverhältnis stellte sich in ihrer Arbeit vor allem ex negativo heraus. Als nicht funktional abgelehnt wurden vor allem die Entwürfe, die die Grenzen dessen, was noch als neutral empfunden werden kann, überschritten. Vgl. Schneller/Scheuermann 2012.
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such der Gestaltung eines Abfahrtsplakats, das für Schneller und Scheuermann probeweise als ‚rhetorischer Nullpunkt‘12 fungieren soll (Abbildung 113). Der Versuch
12 Mit Ausdruck ‚rhetorischer Nullpunkt‘ beziehen sich Schneller und Scheuermann direkt auf die Allgemeine Rhetorik aus dem Umkreis der rhétorique générale (vgl. Dubois, Jacques; u.a. Allgemeine Rhetorik. München 1974.). Dubois/u.a. Rhetorikverständnis basiert auf der Annahme einer für den rhetorischen Fall konstitutiven Abweichung von einer proklamierten Nullstufe (degré zéro). Zur Erklärung, was unter einer Nullstufe verstanden werden kann, führen Dubois/u.a. verschiedene Konzepte ein, die Facetten ihres Begriffs einer rhetorischen Nullstufe beleuchten helfen sollen. Von diesen Konzepten seien hier nur einige kurz umrissen: 1. Eine Form intuitiver Definition sei es, „dass es sich dabei [bei der Nullstufe] um eine ‚naive‘ ungekünstelte Rede handele, die von Anspielungen frei ist und ‚das Kind beim rechten Namen nennt“ (Ebd. S. 59.). Diese Vorstellung, insofern selbige darauf basiert, dass es eine ‚richtige Bedeutung‘ gäbe, lässt sich mit Richards als eine „proper meaning superstition“ bezeichnen und zurückweisen (vgl. Richards 1965. S. 11.). 2. Eine zweite Möglichkeit, die Nullstufe zu fassen, sehen die Autoren in einer Bestimmung der Nullstufe als „univoke Grenze“ (vgl. Dubois/u.a. 1974. S. 59.). „Die absolute Nullstufe wäre dann eine auf ihre essentiellen Seme gebrachte Rede […], d.h. auf Seme, die man tilgen könnte, ohne der Rede damit jede Bedeutung zu nehmen“ (ebd.). Schwierig zu verstehen, ist hieran wohl die Einschränkung: ‚ohne der Rede jede (!) Bedeutung zu nehmen‘. Was soll das heißen? Heißt ‚jede‘ hier a) ‚jedwede‘ oder b) ‚jegliche‘? Soll der Rede also a) keinerlei Bedeutung genommen werden oder bloß b) nicht alle Bedeutung? Die zweite Variante erscheint mir widersinnig, denn das würde heißen, dass die gemeinsame Nullstufe von zwei Aussagen auch unter Verzicht einer Vielzahl von Bedeutungsebenen angenommen werden könnte, solange nur eine Bedeutung übrig bliebe, die beide Aussagen gemeinsam hätten. Wird aber die erste Variante angenommen, so meint die Nullstufe eine Reduktion aller Redundanzen auf ein Minimum. In dieser Weise nennen die Autoren das Ergebnis dieser Reduktion eine „praktische Nullstufe“ (ebd. S. 60.). Das aber würde implizieren, dass der Unterschied zwischen der praktischen Nullstufe einer Rede und einer rhetorischen Rede nur in den Redundanzen läge. Das Rhetorische erscheint dann als das Redundante, was eine Verkürzung des Rhetorischen bedeuten würde, die in der vorliegenden Arbeit nicht geteilt wird. 3. Eine dritte Variante der Nullstufe geben die Autoren mit der statistischen Häufigkeit des gewählten Vokabulars an und räumen selbst ein, dass man von dieser scheinbar nur „angeblich die Abweichung messen kann“ (ebd. S. 61.). Sie verwerfen einen solchen Zugang, da er, ihrer Ansicht nach, nichts zu einer mikroästhetischen Stiluntersuchung beitragen kann. 4. Schließlich sei noch ein vierter Zugang zur Nullstufe genannt, an den – im Gegensatz zu den bereits genannten – auch in der vorliegenden Arbeit fruchtbar angeschlossen werden kann. Unter der Kennzeichnung als „subjektive Probabilitäten“ (ebd.) führen die Autoren aus: „Die Nullstufe einer bestimmten Position ist das, was der Leser in dieser Position erwartet“ (ebd.). Folgt man dieser Bestimmung, kommt man zu
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Abbildung 113
einem Begriff der rhetorischen Nullstufe, der sich mit dem Neutralitätsbegriff in der vorliegenden Arbeit deckt, denn dann ist die Nullstufe eine Wirkungsfunktion. Da Dubois/u.a. diesen Weg aber nicht zu verfolgen scheinen, kann an ihren Begriff der rhetorischen Nullstufe nicht angeknüpft werden.
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der Reduktion gestalterischer Eingriffe führt hierbei nicht etwa zu einer Darstellungsweise, die sich als neutral beschreiben ließe, sondern zu einer höchst devianten Form nicht-funktionaler Präsentation. Nicht die Abwesenheit klarer Ordnungsmuster, bestimmter Typografien, Farben oder bildlicher Gestaltung erzeugt per se eine neutrale Wirkung, sondern die Identifikation mit dem Gemeinen, dem Gewohnten und Erwartbaren. Suchte man eine Darstellungsform, die sich (wenigstens tendenziell) eher als neutral wirkend beschreiben ließe, so könnte, eben aufgrund der Gewöhnung, allenfalls das Originalplakat der SBB (in seinem gewöhnlichen Aufstellungskontext) dafür gelten (Abbildung 114). Neutralität ist als Wirkungsfunktion nach dem Gesagten weniger das Ergebnis von Reduktionen als das Ergebnis von Anpassungen. Dies gilt umso mehr, als sich Neutralität als Wirkungsfunktion nicht in absoluten Begriffen (wie etwa Reduktion von diesem oder jenem Gestaltungsaspekt, Vermeiden von dieser oder jener konkreten Darstellungsweise), sondern allein in relativen Begriffen (relativ zum Erwartungsrahmen des je situierten Publikums) bestimmen lässt. In dieser Weise führen auch Jacques Dubois/u.a. an: „Die Nullstufe einer bestimmten Position ist das, was der Leser in dieser Position erwartet.“13 Um dies zu zeigen, gilt es nachfolgend drei genera der Neutralität zu unterscheiden. Abbildung 114
13 Dubois/u.a. 1974. S. 61.
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2.2 ‚Keines von Beiden‘ – das genus ‚Darüber‘ Um die oben bereits angesprochene Ambivalenz im Verhältnis von Neutralität und Rhetorik deutlich zu machen, kann man sich vorerst vergegenwärtigen, dass Neutrum ein ‚Keines von Beiden‘ bezeichnet. Neutrum ist also weder das eine, beispielsweise weder männlich, noch das andere, also auch nicht weiblich. Das Neutrum steht nicht zwischen beiden, ist also nicht ein wenig vom einen und ein wenig vom anderen, sondern jenseits von beidem, scheinbar vollkommen positionslos; es steht über der Opposition. Das ‚Keines von Beidem‘ lässt sich in dieser Weise als produktive Metapher auch auf rhetorische Bemühungen übertragen. Dabei betont nicht nur die klassische Rhetorik, sondern auch die New Rhetoric stets, dass die Rhetorik als techne von einer Parteinahme für eine Seite, eine Position, eine Richtung auszugehen hat. In diesem Sinne schreibt Aristoteles: „Es ist ihre Aufgabe [der rhetorischen Kunst], über solche Gegenstände zu handeln, über die wir beraten und von denen wir keine Kunst besitzen, und bei solchen Zuhörern, die nicht in der Lage sind, über vieles hinweg zusammenzuschauen und von weither Schlüsse zu ziehen. Wir beraten aber über solches, was sich dem Anschein nach auf zweierlei Weise verhalten kann; über Gegenstände aber, die sich weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft noch in der Gegenwart anders verhalten können, stellt niemand, der sie so einschätzt, Beratungen an, denn es gibt nichts mehr (darüber zu sagen).“14
Die Rhetorik, so lässt sich die Metapher vom ‚Keines von Beiden‘ hier in Anwendung bringen, betont stets die Möglichkeit und Notwendigkeit des ‚Eines von Beiden‘. Dabei bezeichnet das ‚Beide‘ die Möglichkeit, Ereignisse, Personen oder andere Sachverhalte unterschiedlich zu beurteilen. Überdies bezeichnet es die Möglichkeit, über diese unterschiedlichen Beurteilungen in einen Streit zu geraten, was nur möglich ist, wenn die unterschiedliche Beurteilung auch als in irgendeiner Weise relevant eingeschätzt wird. Es bezeichnet demnach überhaupt die Möglichkeit zum rhetorischen agon. ‚Eines‘ meint hiernach die Möglichkeit, innerhalb dieses agons eine Position zu beziehen und damit für eine Partei Stellung zu nehmen. In diesem Sinne schreibt auch Hans Georg Coenen: „Die Überzeugung, deren Herstellung die Rhetorik seit ihren Anfängen lehrt, ist, bei Lichte besehen, die Anerkennung eines Parteistandpunktes: Die Richter sollen es für gerecht befinden, dass der einen und nicht der anderen Partei das Vermögen zufällt, das beide beanspruchen.“15 Rhetorische Bemühungen erscheinen demnach dort als unnötig oder unmöglich, wo entweder das ‚Beide‘ fehlt und sich demnach keine unterschiedlichen Positionen ergeben, oder wo 14 Arist. Rhet. I,2. 1357a2-9. 15 Coenen, Hans Georg: Parteilichkeit. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 652-666. Hier: Sp. 652.
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das ‚Eine‘ fehlt, was nichts anderes heißt, als dass selbst bei einem vorhanden Positionenpluralismus, keine von diesen (und auch keine andere) bezogen wird. Mag das metaphorische Schema auch recht einfach sein, so leuchtet doch zumindest der potentielle Widerspruch bereits ein: Ein ‚Keines von Beiden‘ kann (scheinbar) nicht rhetorisch verhandelt werden. Es wundert daher nicht, dass der Begriff der Neutralität auch in keinem (mir bekannten) Wörterbuch der Rhetorik geführt wird und auch bei den klassischen Autoren keinen Stellenwert einnimmt. Es lohnt aber, sich das ‚Keines von Beiden‘ näher anzusehen. Grundsätzlich können zwei Arten des ‚Keines von Beiden‘ unterschieden werden: a) Das ‚Keines von Beiden, sondern ein Drittes‘ und b) das ‚Keines von Beiden als Drittes‘. Insofern die erste Variante sich noch innerhalb der Logik des Rhetorischen bewegt und einfach an der Stelle von zwei streitbaren Positionen eine dritte einführt, handelt es sich hierbei nicht um Neutralität, denn letztlich spielt es keine Rolle, ob es zwei, drei oder fünfundzwanzig potentielle Positionen gibt. Neutralität zeichnet sich hingegen – zumindest in dem hier verhandelten genus – durch das zweite Verständnis des ‚Keines von Beiden‘ aus. In diesem Sinne ist wohl auch Roland Barthes Bestimmung des Neutrums zu verstehen. Dieser schreibt: „Ich definiere das Neutrum als dasjenige, was das Paradigma außer Kraft setzt, oder besser: Neutrum nenne ich dasjenige, was das Paradigma außer Kraft setzt. Denn ich definiere nicht ein Wort; ich benenne eine Sache.“16 Und gleich im Anschluss bestimmt Barthes das, was er unter einem Paradigma verstehen will, letztlich als agonale Struktur: „Was ist ein Paradigma? Es ist die Opposition zweier virtueller Terme, von denen ich einen aktualisiere, wenn ich spreche, wenn ich Sinn erzeugen will.“17 Und – wie man Barthes weiterdenken kann – indem eine Position auf Seiten des einen Terms bezogen wird, wird der andere marginalisiert, kritisiert, zurückgewiesen oder anderweitig abgewertet. Gleichermaßen gilt: Während in einem rhetorischen agon die Vertreter der einen Seite für und die der anderen Seite gegen eine bestimmte Position argumentieren, entzieht sich der ‚Neutrale‘ dem gesamten agon. Er – wie Barthes betont – verweigert der Opposition die Sinnzuschreibung. In diesem Sinne schreibt Barthes: „Der Sinn beruht auf dem Konflikt (die Wahl des einen Terms und nicht des anderen), und jeder Konflikt ist sinnerzeugend.“18 Er bezieht eine Position des ‚Keines von Beiden‘, das ‚Keines von Beiden‘ erscheint als Drittes vertretbar – auch wenn dieses Dritte, wie man in Anschluss an Barthes sagen könnte, allein im Schweigen besteht. Was aber soll heißen, dass der ‚Neutrale‘ doch eine Position bezieht? Dazu müssen zwei Ebenen unterschieden werden: Auf der Ebene des agons um eine Streitfrage bezieht der ‚Neutrale‘ keine Position. Auf der Metaebene der Frage allerdings, ob es sinnvoll oder nützlich sei, innerhalb des vorgängigen agons
16 Barthes 2005. S. 32. 17 Ebd. 18 Ebd. S. 33.
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eine Position zu beziehen, steht der ‚Neutrale‘ klar auf einer Seite. Auf dieser Metaebene kann er angegriffen werden, wird sich im Zweifel argumentativ verteidigen müssen oder kann selbst auch andere angreifen, die sich dann womöglich verteidigen müssen. Auf dieser Metaebene befindet sich der ‚Neutrale‘ dann in einem agonalen Prozess und wird, um diesen zu seinen Gunsten zu entscheiden, sich rhetorischer Mittel und Techniken bedienen müssen. Es ist also klar, dass eine schlichte Opposition von Rhetorik und Neutralität zu kurz greift. Neutralität erscheint demnach eher als die streitbare Position der Positionslosigkeit. Diese streitbare Position lässt sich als Negation der Sinnhaftigkeit oder Nützlichkeit des agons und einen damit gerechtfertigten Entzug vom agon beschreiben. Das ‚Keines von Beiden‘ negiert demnach nicht die Existenz des ‚Beide‘, sondern dessen Nützlichkeit. Mit dem ‚Keines von Beiden‘ wird damit das agonale Motiv negiert. Diese Negation aber kann selbst wiederum motiviert sein, so dass eben auf der oben beschriebenen Metaebene diese Motive selbst wieder hinterfragt werden können. In diesem Sinne erhebt man sich vermittels der Neutralität über einen agon des ‚Eines von Beiden‘ und schlägt sich auf die Seite eines ‚Keines von Beiden als ein Drittes‘. Vereinfacht gesagt, erscheint damit derjenige ‚neutral‘, der nicht mitmacht, sich entzieht, eben weil die Sinnhaftigkeit oder Nützlichkeit des konkreten agons bestritten wird. Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit sind also die tragenden Motive des demnach durchaus nicht unmotivierten Entzugs. Was heißt das in Bezug auf Informationsdesign, welches auf eine ‚neutrale Wirkung‘ im urbanen Raum setzt? Wo findet sich der produktive Entzug aus einem urbanen agon, der die Inszenierung von Neutralität als geeignetes Mittel der Rhetorik erscheinen lässt? Zur Beantwortung dieser Frage kämen sicherlich eine ganze Reihe agonaler Prozesse und Strukturen in Betracht. Hier soll es aber vorrangig um lediglich einen dieser Streitplätze gehen: dem agon um die Aufmerksamkeit als strategische, und das heißt knappe und umkämpfte Ressource. Es wird in diesem Zusammenhang die These vertreten, dass die Neutralität als Wirkungsfunktion in weiten Bereichen des Informationsdesigns sich eben dem Entzug, dem genus des ‚Darüber‘ verdankt und diese These soll im weiteren Verlauf des Kapitels exemplarisch an der Frage nach dem Kampf um Aufmerksamkeit entfaltet werden. *** Denken wir die obige Metapher weiter, so ergeben sich noch zwei andere Formen des (scheinbar) Antirhetorischen, die selbst zu unterschiedlichen Formen der Neutralität führen: Neben der Negation des agonalen Motivs (‚Keines von Beiden als Drittes‘), kann die rhetorische Struktur des ‚Eines von Beiden‘ auch auf folgende zwei Weisen suspendiert werden: a) das ‚Eine und Einzige‘ und b) das ‚Beides von Beiden‘.
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2.3 ‚Das Eine und Einzige‘ – das genus des ‚Darunter‘ Rhetorik erscheint nicht nur da suspendiert, wo aus einer bestehenden Möglichkeit der Wahl einer Position zu einer Streitfrage keine Position gewählt wird, sondern auch da, wo eine Frage scheinbar keine Anlass zum Streit liefert, weil lediglich eine Position hierzu überhaupt vertretbar scheint. Dabei handelt es sich nicht um eine Frage, die unter das genus turpe, genus dubium oder genus honestum fällt, wo also eine Gegenposition nur mit rhetorischem Aufwand überhaupt überzeugend dargestellt werden kann, sondern viel radikaler um etwas, was vielleicht als genus des Objektiven, des Offensichtlichen, der Substanz und bisweilen auch des Trivialen bezeichnet werden könnte. Es handelt sich also nicht um ein genus, das bloß eine unterschiedliche rhetorische Ausgangslage der einzelnen Positionen bezeichnet, sondern um eines, das nur eine Lösung zulässt (oder zuzulassen scheint) und eine zweite nicht einmal als denkbar erscheinen lässt. Das genus ‚Das Eine und Einzige‘ negiert in dieser Weise nicht das ‚Eine‘ im ‚Eines von Beiden‘, wie etwa das genus des ‚Keines von Beiden‘, sondern das ‚Beide‘. Es handelt sich demnach um einen Gegenstand, oder besser, um eine Umgangsweise mit einem Gegenstand, die in einer ersten Annäherung sich mit bestimmten Aspekten folgender Attribute beschreiben lässt, die letztlich allesamt hoch problematisch sind: Das Alternativlose, das Zwingende, das Notwenige, aber auch das Triviale, das Offensichtliche, das Evidente, und bisweilen auch das Natürliche, das Normale, das Gegebene, das Objektive und das Wahre. Es erscheint unnötig, hier zu erwähnen, dass alle diese Attribute nicht einfach gegeben, sondern vielmehr stets Gegenstände von Anerkennungsprozessen sind, die rhetorisch verhandelt werden müssen. Da aber, wo sie de facto nicht explizit verhandelt werden, gelten sie als der Grundstock an (tatsächlich oder auch nur inszeniert) geteilten Überzeugungen, die den persuasiven Prozess als dessen Identifikationsbasis überhaupt erst ermöglichen. Betrachten wir beispielsweise das Wahre: Über das Verhältnis der Rhetorik zur Wahrheit schreibt van Zantwijk: „Von grundlegender Bedeutung ist, dass die Wahrheit im Rahmen der Rhetorik nur als rhetorisch wahrscheinlich gemachte Wahrheit in Erscheinung tritt. Sie bedarf gewissermaßen der Geburtshilfe durch die rhetorische Wahrscheinlichkeit.“19 Der hier beschriebene Akt der Geburtshilfe bezeichnet den genuin rhetorischen Akt der Persuasion. Allerdings scheint, wie die Auseinandersetzung mit Burke bereits zeigte, dieser rhetorische Akt nur möglich, wenn es eine Basis an Überzeugungen gibt, die vom rhetor zum Zweck der Persuasion genutzt werden können.20 Diese Basis wird, da wo der Persuasionsprozess gelingen soll, nicht selbst zum Gegenstand und Ziel der rhetorischen Bemühungen, es soll also nicht von dieser überzeugt werden, sondern diese wird als das Gegebene 19 Zantwijk, Temilo van: Wahrscheinlichkeit, Wahrheit. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 1285-1340. Hier: Sp. 1286. 20 Vgl. dazu Kapitel II.
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angenommen. In dieser Weise baut letztlich jede rhetorische Bemühung auf eine Indienstnahme dessen, was als ‚normal‘, ‚wahr‘ oder ‚offensichtlich‘ angenommen wird und es ist die Aufgabe der dissimulatio artis, den rhetorischen Prozess der Transformation von dieser Identifikationsbasis zum eigentlichen rhetorischen Ziel (der Überzeugung von einer bestimmen, parteilichen Position) zu verschleiern, indem die Mittel, die hierzu gebraucht werden, unauffällig gehalten werden. Im Unterschied zur dissimulatio artis, deren Aufgabe darin besteht, die Mittel dieser persuasiven Transformation zu verdecken, setzt die Neutralität an einer anderen Stelle an: Eine (rhetorische) Bemühung wird dann als neutral empfunden, wenn sie nicht (nur) die Mittel der Persuasion dissimuliert, sondern auch und vor allem das Ziel, also die Persuasion selbst. Neutralität erscheint vor diesem Hintergrund wie schon im genus ‚Keines von Beiden‘ als – um eine Metapher zu gebrauchen – die andere Seite der Rhetorik. Das meint zum einen ein Bedienen der vermeintlichen Opposition von Rhetorik und Neutralität in der Wahrnehmung des Publikums und zum anderen zugleich die Inszenierung von Neutralität als mögliche Bedingung rhetorischer Überzeugungskunst. Die Neutralität des genus ‚Das Eine und Einzige‘ operiert demnach auf dem Feld der Opposition von ‚wissenschaftlicher Wahrheit‘ (was auch immer das sei) und ‚bloß meinungsabhängiger Wahrscheinlichkeit‘, die rhetorik- und philosophiegeschichtlich eine lange Tradition hat und sich bis heute in der alltäglichen Verwendung von ‚Rhetorik‘ als pejorativer Ausdruck niederschlägt. Ohne das Spannungsverhältnis von Rhetorik und Philosophie an dieser Stelle ausführen zu können, sei dazu Folgendes angemerkt: „Die Bezugnahme auf Wahrheit ist in der Rhetorik von anderer Art als in weiten Teilen der philosophischen Tradition. Geht es u.a. Platon und Descartes darum, Sätze durch transparente Begründungen gewiss zu machen, so dass ihre Wahrheit in engstem Zusammenhang mit ihrer Unbezweifelbarkeit steht, so geht es in der Rhetorik um die Wahrheit von Meinungen relativ zu einem intersubjektiven Horizont gemeinsamer Überzeugungen, welche der Orientierung dienen.“21
Es ist sicherlich nicht zu viel behauptet, wenn man sagt, dass das Diktum einer vermeintlichen Unbezweifelbarkeit – so sehr es auch im heutigen Wissenschaftsdiskurs bezweifelt wird – eine große Attraktivität für eine breite Masse der Bevölkerung hat. Und es ist sicherlich auch nicht zu viel behauptet, wenn man sagt, dass diese Unbezweifelbarkeit eher den mathematischen Wissenschaften und denen, die die Mathematik(en) zur Grundlage nehmen von weiten Teilen der Gesellschaft zugestanden wird, als anderen Formen der Auseinandersetzung, wie Rhetorik, Literatur, Philosophie oder Kunst. Augenscheinlich und ebenso zentral für die vorliegende Arbeit treten die hier umschriebenen Aspekte im Verhältnis von Information und Neutralität 21 Zantwijk 2009b. Sp. 1286.
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zutage, das insbesondere da zur rhetorischen Herausforderung, aber – wie zu zeigen sein wird – mitunter auch zum rhetorischen Mittel wird, wo es, wie im Falle des Informationsdesigns, um Wirkungen der Informationsgestaltung und damit um den Akt des Informierens geht. Eine herausragende Form dieses Neutralitätsgenus kann als das genus des ‚Darunter‘ bezeichnet werden. Im Gegensatz zum genus des ‚Darüber‘ bezieht der ‚Neutrale‘ im genus des ‚Darunter‘ nicht einen Standpunkt auf einer Metaebene, die den agon übersteigt, sondern zieht sich zurück auf das Feststehende, das, was – scheinbar nicht agonal – dem agon zugrunde liegt (sub-stare). Aufschlussreich für dieses genus ist vor allem Roland Barthes Auseinandersetzung mit dem Neutrum und seinem Verhältnis zum Adjektiv. Dort schreibt er in seiner für das Vorlesungsmanuskript Das Neutrum typischen, eher assoziativen Manier: „Unter dem Gesichtspunkt des Wertes (der Evaluation, der Wertbegründung), das heißt im Verhältnis zum Begehren des Neutrums, […] hat das Adjektiv einen zweideutigen Status: 1. Einerseits klebt es als ‚Bestimmungswort‘ an einem Nomen, an einem Sein, es ‚pappt‘ am Sein: Es ist etwas Auf-Gesetztes, ein Epitheton: beigelegt, hinzugefügt; es versiegelt das Sein, lässt es gleichsam zu einem festen Bild verhärten, versetzt es in eine Art Totenstarre (epithema: Deckel, Grabschmuck). Insofern ist es ein mächtiger Feind des Neutrums, das Antineutrale schlechthin, so als bestünde eine prinzipielle Antipathie zwischen Neutrum und Adjektiv. 2. Andererseits und in genauem Gegensatz dazu verbindet sich in der griechischen philosophischen Tradition das Adjektiv mit dem Neutrum (mit dem Artikel: to), um das Sein in den Blick zu nehmen; häufig bei Heraklit: das Trockene, das Feuchte, usw., ständig wiederholt in den romanischen (und germanischen) Sprachen (soweit sie über Artikel verfügen): das Wahre, das Schöne usw.; […] Kurz, wenn die Sprache (soweit sie über Artikel verfügt) das Neutrum der Substanz ausdrücken will, benutzt sie nicht das Substantiv, sondern das Adjektiv und entadjektiviert es durch einen Artikel im Neutrum: Sie bekämpft das Adjektiv mit dem Substantiv (gestützt auf den Artikel) und das Substantiv (das dem Adjektiv folgt) mit dem Adjektiv.“22
Was Barthes hier beschreibt, ist die Dualität von adjektivischer Wertung und substantivischer Setzung, die sich in der Substantivierung des Adjektivs neutralisieren kann. Adjektive sind – wenigstens in Bezug zum Thema Neutralität – bei Barthes Prädikationen, die einem – bis dahin vermeintlich neutralen – Substantiv einen Wert, eine Bewertungsrichtung verleihen und es somit stark polarisieren und in diesem Sinne auch rhetorisieren. Sie – um einen Ausdruck Barthes zu gebrauchen – ‚pappen‘ am Sein, der Substanz, dem Zugrundeliegenden und geben diesem einen appellativen, emotiven und handlungsweisenden Sinn. Der Unterschied beispielsweise in der Bewertung des Substantivs ‚Krieg‘ wird durch adjektivische Bestimmungen gege-
22 Barthes 2005. S. 103.
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ben. Der ‚ungerechte, schreckliche und menschenverachtende Krieg‘, der auf Ablehnung stößt und dem zu fliehen ist, unterscheidet sich demnach vom ‚gerechten, heiligen und gottgewollten Krieg‘, dem zu folgen ist, auf der Ebene der Grammatik nicht durch das substantivische Sein, sondern durch das adjektivische So-Sein. Prädikationen durch Adjektive stehen, wie Barthes folgerichtig bemerkt, also der Neutralität entgegen. Eine Strategie der Neutralisierung dieser Prädikationen ist dann durch die Substantivierung gegeben: ‚Das Gerechte‘, ‚Das Heilige‘, ‚Das Ungerechte‘ sind Gegenstände möglicher Untersuchungen, die – wenigstens dem Namen nach – noch keine eindeutige Wertrichtung haben, noch keinen klaren handlungsweisenden Charakter. Das genus des ‚Darunter‘ betont in dieser Weise den Unterschied zwischen adjektivischer Prädikation auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem Rückzug zum Darunterliegenden, der Substanz, die im Substantiv oder der Substantivierung zum Ausdruck gebracht werden soll. Dies ist nicht nur metaphorisch gemeint, wenn es um die Frage der Gestaltung von Neutralität im Informationsdesign geht. Vielmehr ist zu vermuten, dass im Informationsdesign tatsächlich deutlich mehr Substantive als Adjektive zu einander in Bezug gesetzt werden und dass die Gestaltung von Information in weiten Teilen eine Gestaltung von Substantiven ist. Während Werbung kaum auf Adjektive (oder bildliche Prädikationen) verzichten kann und als epideiktische Rede stets mit dem Lobenswerten (und damit dem Bewertenden) befasst ist, vermag das Informationsdesign seine neutrale Wirkung durch die Zurückhaltung in der Prädikation und dem Betonen des Substantivs zu entfalten. In diesem Sinne schreibt auch Barthes: „Das Adjektiv ist eine Ware. In vielen Bereichen erörtert man oder entscheidet man über den (Waren-)Wert eines Gegenstands oder einer Dienstleistung je nach den Adjektiven, die man ihm oder ihr beilegt; zumindest müsste man die Bereiche untersuchen, in denen das Adjektiv Vorrang genießt […] in der Politik ist der Beliebtheitsgrad ans Adjektiv gebunden.“23
In dieser Weise kann gesagt werden, dass die Neutralität – wie sie im genus des ‚Darunter‘ zu Tage tritt – sich dem agon adjektivischer Zuschreibungen entzieht (oder zu entziehen versucht oder den Entzug inszeniert) und stattdessen das substantivische Bestimmen in den Vordergrund rückt. Gestaltung erscheint demnach dann als neutral, wenn sie die Fragen nach dem Wie (der Bewertung, dem So-Sein) unterwandert durch eine Gestaltung der Fragen nach dem Was. Wenn man den Begriff im Sinne Barthes versteht, kann man also sagen: Gestaltung erscheint neutral, wenn sie als eine Gestaltung des ‚Seins‘ – also des ‚Gegebenen‘ – wahrgenommen und interpretiert wird. In dieser Weise ist die Gestaltung im genus des ‚Darunter‘ auch ein wesentlicher Zugang zur Frage der Funktionalität des Informationsdesigns – das in diesem
23 Ebd. S. 109f.
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Bezug vielleicht treffender mit ‚Datenvisualisierung‘ (Datum= das Gegebene) bezeichnet wäre. Schneller und Scheuermann weisen in ihrer Untersuchung zur visuellen Rhetorik des öffentlichen Verkehrs vollkommen zurecht darauf hin, dass es einen ‚rhetorischen Nullpunkt‘24 in der Gestaltung von Informationen nicht geben kann, weil dieser letztlich nicht gestaltet werden kann, „denn der Vorgang des ‚Gestaltens‘ bedeutet bereits eine Übersetzung von Information, eine Intervention mit gestalterischen Instrumenten.“25 Sie betonen daher treffend: „Es gibt im Informationsdesign des ö[ffentlichen] V[erkehrs] keinen ‚rhetorischen Nullpunkt‘, keine reine Information.“26 Worauf es hier ankommt ist – wie gesagt – freilich nicht die Behauptung der Existenz von Neutralität, ‚reiner Information‘ oder der Möglichkeit einer neutralen Gestaltung im Sinne eines rhetorischen Nullpunktes, sondern die Frage nach der Neutralität als Wirkungsfunktion und wie einleitend bereits ausgeführt wurde, bedarf es nicht der Existenz ‚reiner Information‘ oder neutraler Gestaltung, um Wirkungen hervorzurufen, die eine bestimmte Art der Gestaltung als neutral empfinden lässt – so wenig wie es der Wahrheit bedarf, um an diese zu appellieren. Worauf es hier ankommt – und allein in diesem Bezug gilt es im weiteren Verlauf des Kapitels das genus des ‚Darunter‘ im Bereich des Informationsdesigns zu entwickeln –, ist der Bezug von Neutralität als Wirkungsfunktion auf die zugeschriebene Funktionalität des Informationsdesigns. Es wird die These vertreten, dass in Fragen der Funktionalität, die stets eine Größe ist, die vom Publikum einem Gegenstand zugeschrieben wird, die Inszenierung der Neutralität bedeutsam ist. 2.4 ‚Beides von Beidem‘ – das genus des ‚Inmitten‘ Schließlich soll auf eine dritte Form von Neutralität eingegangen werden. Neben der Suspendierung des agons durch Entzug im Sinne der genera des ‚Darüber‘ oder des ‚Darunter‘, kann der agon auch durch eine vermittelnde Haltung aufgehoben werden. Das genus des ‚Inmitten‘ lässt sich in dieser Weise auf den agon ein, suspendiert ihn nicht durch eine Form ‚übersteigender‘ oder ‚unterbietender‘ Neutralität, sondern betont das ‚Beides von Beidem‘. Dies ist der klassische Fall der Mediation, in der versucht wird, die Streitparteien zu Schlichtung zu bewegen und deren Erfolg nicht zuletzt von der (zugeschriebenen) Neutralität des Schlichters, des Mediators als einem Mittler und Vermittler abhängig ist. In dieser Weise betont auch Ansgar Kemmann in seinem Artikel zur Mediation: „Vermittlung bedeutet, dass dann ein unabhängiger Dritter die Parteien dahin bringt, dass sie in Verhandlung treten und ihren Streit in
24 Siehe dazu: Dubois. 25 Schneller/Scheuermann 2012. S. 32. 26 Ebd.
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freiem Einvernehmen beilegen können. Dabei ist er zu strikter Neutralität verpflichtet.“27 Diese Neutralität kann nun schwerlich darin bestehen, entweder im Sinne eines ‚Keines von Beiden‘ sich dem agon selbst zu entziehen noch darin, im Sinne eines ‚Das Eine und Einzige‘ sich auf die Ebene bloßer Denotation zurückzuziehen (obgleich beides in Teilen eine Rolle spielen kann). Vielmehr ist die Neutralität des Mediators daran gebunden, wenigstens im Ansatz sowohl Verständnis für die Position beider Seiten zu haben und gleichzeitig deren jeweiligen Beschränkungen zu sehen als auch wenigstens für die Möglichkeit vermittels dieser Standpunkte in Streit zu geraten und in dieser Weise für die Sinnhaftigkeit des agons selbst. Gelingt es dem Mediator nicht, in dieser Weise neutral zu wirken, werden seine Vermittlungsversuche aufgrund einer fehlenden Identifikationsbasis zu einer oder beiden Seiten vermutlich scheitern. Dass es sich bei dieser Form von Neutralität um eine rhetorisch zu erzeugende handelt, ist auch rhetorikgeschichtlich (wenn auch nicht stark) verwurzelt – im Gegensatz zu den anderen Formen der Neutralität, die um nichts weniger rhetorisch herzustellen sind, aber rhetorikgeschichtlich unterbelichtet blieben. So führt Kemmann aus, dass bereits Isokrates „die Streitbeilegung durch Vermittlung der richterlichen Streitbeilegung [durch Entscheidung] gegenüberstellte und sie sogar für ehrenwerter hielt.“28 Der Grund aber, warum die Vermittlung letztlich in der Kanonisierung der Rhetorik in der griechischen Antike hinter dem offenen agon zurückblieb, kann wohl in der griechischen Kultur gesehen werden. In dieser Weise zumindest schreibt Hermann Strasburger: „Der agonale Gedanke durchdringt das ganze griechische Leben als eine ungeheure Kraftquelle, und die verantwortungsbewussten Denker haben nie einen Versuch gemacht, ihn zu verbannen, sondern lediglich, ihn zu veredeln und in den Dienst der Gesellschaft zu stellen.“29 Das Neutralitäts-genus des ‚Inmitten‘ betont die Möglichkeit neutraler Wirkung durch ein vermittelndes Dazwischen, das sich letztlich durch Ausgewogenheit auszeichnen muss, die als neutral empfunden wird. Es sei an dieser Stelle an Burke erinnert, der deutlich macht, dass jede Terminologie und jede Form der Repräsentation auf Selektionen beruhen muss, die schließlich zu einer Deflektion, einer Verzerrung des Repräsentierten führen müssen.30 Wenn die Möglichkeit der Neutralität – vollkommen zu recht – bestritten wird, dann stützt sich die Argumentation letztlich vor allem auf diesen inhärenten Aspekt aller Repräsentationen. Unabhängig von der Möglichkeit der Neutralität, zielt aber die Neutralität als Wirkungsfunktion darauf ab, diesen Zusammenhang nicht deutlich werden zu lassen. Ausgewogenheit meint 27 Kemmann, Ansgar: Mediation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 5. Tübingen 2001. Sp. 1006-1015. Hier: Sp. 1006. 28 Ebd. Sp. 1009. 29 Zit. nach: Neumann, Uwe: Agonistik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 261-285. Hier: Sp. 262. 30 Vgl. Burke 1966b. S. 45.
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hiernach in erster Linie eine Dissimulation der Selektionsprozesse. Insofern diese Prozesse und ihre Ergebnisse allen rhetorischen Bemühungen inhärent sind, umfasst sie zu dissimulieren weit mehr als das klassische Konzept der dissimulatio artis, die die rhetorischen Mittel zu verdecken sucht, nicht aber zwingend die persuasive Absicht. Eine Dissimulation der Selektionen ist hiernach eine wesentliche Strategie der Neutralisierung im genus des ‚Inmitten‘. 2.5 Mapping – Eine Zusammenfassung Es soll an dieser Stelle noch ein Begriff eingebracht werden, der der Grundstruktur des Informationsdesigns und insbesondere der Gestaltung von kartographischen Repräsentationen Rechnung trägt. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund wichtig, als diese Designformen zu großen Teilen ihre persuasive Kraft aus dem Umstand ziehen, dass sie – anders als etwa Werbung – als realitätsabbildend empfunden werden. Das hohe Maß an Vertrauen, das etwa Kartenbenutzer einer Karte entgegenbringen, lässt sich nur dadurch erklären, dass Karten ‚versprechen‘, etwas über die Realität auszusagen oder wenigstens Aussagen über die Realität zuzulassen. Das gilt nicht nur für Karten, sondern auch für Netzpläne oder – in abgeschwächter Form - für Infografiken. Ohne an dieser Stelle auf die philosophischen Probleme jeder Abbildtheorie der Wirklichkeit eingehen zu können, sei hier als Funktionsbegriff ‚mapping‘ vorgeschlagen. „Mapping is a technical term meaning the relationship between two things, [for example] between the controls and their movements and the results in the world.“31 In dieser Weise führt Donald Norman den Begriff mapping in seinem Buch The Design of Everyday Things ein. Wie oben bereits angedeutet, umfasst der Begriff mapping ein erweitertes Spektrum. Mapping ist zunächst eine Funktion im mathematischen Sinne. Das heißt, es werden Elemente einer Menge (M1) auf Elemente einer Menge (M2) abgebildet. Diese Elemente können Entitäten, Relationen oder auch Ordnungsschemata sein. In dieser Weise folgt jede Übertragung beispielsweise von Bedienelementen (Schaltern, Hebeln, Knöpfe, etc.) auf die durch sie bedienten Entitäten einem mapping. Wird die Bedienung eines Artefakts als konfus, unverständlich oder kompliziert empfunden, so liegt das nicht selten an einem schwer nachzuvollziehenden mapping und damit einer Schwierigkeit, folgende Frage zu beantworten: Welcher Hebel steuert welches Teil in welcher Weise? In diesem Sinne referiert auch Norman über das mapping als Grundlage verständlichen, nutzerfreundlichen und daher guten Designs.32 Ein „natural mapping“33, wie es Norman nennt, führt er wie folgt
31 Norman 2013. S. 23. 32 Vgl. Ebd 33 Vgl. Ebd. S. 23-27.
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in die Diskussion ein: „Natural mapping, by which I mean taking advantage of physical analogies and cultural standards, leads to immediate understanding. For example, a designer can use spatial analogy: to move an object up, move control up.“34 Eine Reihe von Lichtschaltern, die je einzeln eine analoge Reihe von Lichtquellen steuern, wäre demnach eine Form von natürlichem mapping. Die Abbildungsfunktion dieses mappings besteht dann eben darin, dass das Ordnungsschema, mit dem die Menge der Lichtschalter (M1) geordnet wird (beispielsweise nummeriert von links nach rechts), sich analog auf die Menge der Lichtquellen (M2) übertragen lässt (die dann eben auch von links nach rechts in gleicher Nummerierung angesteuert werden). ‚Natürliche‘ mappings sind demnach solche, bei denen nicht einfach Elemente der einen Menge auf Elemente der Anderen abgebildet werden, sondern Ordnungsschemata übertragen werden können. Diese Ordnungsschemata sind, Norman zufolge, bestimmten (physisch-mathematischen oder kulturellen) Analogien entnommen. Es handelt sich dabei, um einen Ausdruck Krippendorffs zu verwenden, um „userconceptual models“35. „UCMs are heuristic constructions that operationalize the triangle of sense, meaning, and actions […] and help designers explain how a community of potential users could interface with their design.“36 Stehen diese konzeptuellen Modelle bereits dem Benutzer zur Verfügung, sind diesem also bekannt – ganz gleich woher – so kann das ihnen entsprechende mapping im Sinne Normans als ‚natürlich‘ bezeichnet werden. ‚Natürlich‘ meint also nicht etwa ‚biologisch determiniert‘ oder ‚anthropologisch verwurzelt‘, sondern schlichtweg ‚klar‘, ‚einleuchtend‘ und in gewissem Sinne ‚zur Nutzung vorhanden‘ oder ‚zuhanden‘. In diesem Zusammenhang sei angemerkt, dass Krippendorff sein Konzept eines UCM entlang der Vorstellungen entwickelt, die George Lakoff im Zusammenhang mit sogenannten „idealized cognitive models“37 entfaltet. In dieser Weise sind UCMs Erklärungskonzepte, die in bestimmten Kontexten gewonnen wurden und dann metaphorisch auf neue und als ‚verwandt‘ mit den bekannten Kontexten eingeschätzte Kontexte übertragen werden. Das heißt, wenn wir diesen Gedanken zurück auf Normans ‚natural mappings‘ übertragen: Als ‚natürlich‘ wird im Sinne Normans ein mapping verstanden, wenn es so leicht anzuwenden ist, dass seine Anwendung dem Benutzer kaum kognitive Leistung abverlangt, es also nahezu unbewusst vollzogen werden kann und demnach mitunter auch gar nicht als intendiertes mapping auffällt. Deshalb kann er
34 Ebd. S. 23. 35 Vgl. Krippendorff, Klaus: The Semantic Turn. A New Foundation for Design. Boca Raton 2006. S. 105-108. 36 Ebd. S. 107. 37 Vgl. Lakoff 1987.
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sagen: „the proper natural mapping requires no diagrams, no labels, and no instructions.“38 Aufgrund des mappings können also Informationen eingespart werden. Allerdings scheint Norman mit dem Ausdruck ‚the proper natural mapping‘ davon auszugehen, dass es eben genau ein richtiges und angemessenes mapping zu jedem gegebenen Artefakt gibt. Wie aber bereits aus dem knappen Verweis auf Krippendorffs UCMs und Lakoffs metaphorischer Übertragung deutlich wird, können nicht nur unterschiedliche konzeptuelle Modelle einem Benutzer in einer bestimmen Situation zur Verfügung stehen, sondern mitunter auch widersprüchliche. Ein Beispiel aus dem Bereich der Stadtkarten mag diesen Punkt verdeutlichen: Im alltäglichen Umgang mit Karten fällt auf, dass die Benutzer diese oftmals eher nach ihrer Blickrichtung orientieren als nach dem geographischen Norden. Die Orientierung einer Karte nach diesem Muster kann als ein UCM bezeichnet werden, das anhand vielfältiger Gelegenheiten so stark eingeübt ist, dass die Notwendigkeit der Orientierung und ebenso die Art und Weise, wie diese zu erfolgen hat, sicherlich kaum kognitiver und bewusster Anstrengung bedarf – wenngleich selbiges für die jeweilige situative Umsetzung nicht gelten muss. Um es einfach zu sagen: Wir sind gewohnt, dass Karten, damit sie funktional genutzt werden können, in irgendeiner Weise (sei es nun nach Norden oder nach der eigenen Blickrichtung) orientiert werden müssen. Oder, um es noch einfacher zu sagen: Eine Karte ist stets zu drehen, bevor sie sinnvolle Information preisgeben kann. Wenn diese Karten sich allerdings fest installiert an urbanen Beschilderungen befinden, so muss der Orientierungsprozess (also der Drehprozess) im Kopf des Benutzers erfolgen, da diese sich ja nicht händisch drehen lassen. Der Designer Joel Katz entwarf Karten und Umgebungspläne, die die dabei entstehenden Abbildung 115 (links) und 116 (rechts)
38 Norman 2013. S. 78.
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kognitiven Herausforderungen minimieren sollten (Abbildung 115 und 116). „This changes everything about the way a map is designed. No longer meant to be seen from just one direction, the map must be able to look correct when viewed from multiple directions. This means designing a map that can rotate to reflect the position in which the viewer is facing.“39 Dieses Prinzip begegnet also den oben beschriebenen Herausforderungen des UCM, indem ein verändertes konzeptuelles Modell zugrunde gelegt wird. Die Karten, die Joel Katz entwarf, sind dann nicht mehr nach Norden ausgerichtet und müssen der Blickrichtung angepasst werden, sondern sind durch ihre feste Installation ohnehin schon in einer bestimmten Blickrichtung fixiert, die dann eben auch der Blickrichtung desjenigen entsprechen soll, der vor dieser Umgebungskarte steht. Craig Berger bezeichnet dieses Modell als „heads-up“40. Vereinfacht gesagt, ist der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten UCM darin zu sehen, dass das erste ‚oben‘ auf ‚Norden‘ abbildet und das zweite ‚oben‘ auf ‚vorne‘, wobei das eine dem anderen je nach situativem Kontext sicherlich vorzuziehen ist. Nichtsdestotrotz wird an dieser Stelle bereits klar, dass es wenigstens zwei konzeptuelle Modelle gibt, die erfolgreich verwendet werden können, um die Funktionalität einer Karte zu gewährleisten. Die Frage, welches der beiden nun ‚the proper natural mapping‘41 ermögliche, scheint, wenn die Betonung auf das ‚eine‘, ‚richtige‘ und also ‚natürliche‘ mapping gelegt wird, schlichtweg nicht zu beantworten. Auch im Umgang mit fest installierten und fixierten Karten, die also nicht gedreht werden können, haben beide Modelle, je nach Gestaltung der Karte, durchaus ihre Berechtigung. Es ist sicherlich so, dass das Modell ‚heads-up‘ kognitiv leichter verarbeitet, besser verstanden und memoriert werden kann, solange die entsprechende Karte auch als eine erkannt worden ist, die ein solches Modell notwendig macht – der ungewohnte Umgang mit ‚heads-up‘-Karten kann aber auch leicht zu Konfusion führen. Auch beim erfolgreichen Erkennen ließe sich jedoch allenfalls von einem ‚natürlicheren‘ Modell reden, was als Redeweise aber eher verwirrend als erklärend wäre – besser scheint daher eine rhetorische Redeweise von einem, dem situativen Rezeptionskontext angemesseneren Modell der Gestaltung und in der Folge auch der Rezeption. Aus dem Gesagten wird deutlich, dass Neutralität als Wirkungsfunktion sich nicht in absoluten Begriffen bestimmen lässt. Um es klar zu sagen: Es gibt keine neutrale Gestaltung. Und das aus einem einfachen Grund: Jede Gestaltung von Informationen ist bereits adressiert und sucht sich in Bezug auf seinen Adressaten ver-
39 Berger, Craig M.: Wayfinding. S. 32. 40 Berger 2009. S. 32. 41 Die Idee eines ‚proper natural mapping‘ kann mit Verweis auf Richards kritisiert werden, der die Vorstellung einer eindeutigen und einzigen, richtigen Bedeutung für eine „proper meaning superstition“ hält. Vgl. Richards 1965. S. 11.
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ständlich und überzeugend darzustellen. Nimmt man den Gedanken ernst, dass Neutralität eine Wirkungsfunktion ist, so meint der Befund, dass es keine neutrale Gestaltung gibt, aber noch ein zweites Moment: Es gibt eben auch in Bezug auf die Wirkung keine fixierten Elemente, durch die Neutralität erreicht werden könnte.42 Neutralität ist – zumindest in erster Linie – keine Frage der Farbe, Typografie, des mappings oder eines anderen Gestaltungsmittels, es lässt sich kein Katalog neutraler Gestaltungsmittel entwickeln, sondern ist stets und zuerst eine Frage – um es mit Krippendorff zu sagen – der vorhandenen UCMs, der Rezeptionsgewohnheiten, des Erwartungshorizontes und der Motivstruktur, die das Publikum selbst an die Informationsquelle heranträgt. Von diesen Aspekten hängt allein ab, ob eine Information als neutral empfunden wird und in Relation zu diesen Aspekten gilt: Jede nur denkbare Information in jeder nur denkbaren Gestaltung kann als neutral empfunden werden. Die Frage des nicht zuletzt an Kultur- und Ideologiekritik (beides Aspekte, die in dieser Arbeit nicht thematisiert werden können) interessierten Rhetorikers wäre dann: Wie muss ein Publikum in einer bestimmten Situation beschaffen sein, damit diese Information als neutral empfunden wird?
3. S TRATEGIEN DER N EUTRALITÄT 3.1 Vorbemerkungen Wie sich gezeigt hat, können bestimmte Aspekte der Funktionalität von Informationsdesign aus den genera einer Rhetorik der Neutralität abgeleitet werden. Im Weiteren gilt es für diese genera eine Reihe von Strategien zu entwickeln und an Beispielen zu illustrieren. Bevor das allerdings geschehen kann, gilt es zuvor, auf einen Punkt kurz einzugehen: Es gilt, den Begriff der Funktionalität näher in den Blick zu nehmen. Dabei sollen zwei Arten von Funktionalität begrifflich unterschieden werden, auch wenn damit keine Trennung beansprucht werden soll, die sich auf die praktische Umsetzung direkt auswirkt. Es geht schlicht darum, einen weiten Funktionalitätsbegriff zu entfalten, der als Brückenglied von Neutralität und Vertrauen fungieren soll, und einen engeren Funktionalitätsbegriff, der sich bereits aus dem genus des ‚Darunter‘ ergab und dem in einem der folgenden Unterkapitel Strategien zugeordnet werden sollen. Zweitens geht es darum, die drei klassischen Überzeugungsmittel logos, ethos und pathos in die Rhetorik der Neutralität zu integrieren. Zu diesem Zweck
42 Der Gedanke, dass Neutralität eine reine Wirkungsfunktion ist und eben nicht – wenn man so sagen will – in den Dingen steckt, lässt es eben auch nicht zu, von neutralen Gestaltungselementen zu sprechen, die ja wiederrum ‚Dinge‘ wären. Vielmehr müssen Wirkungen vom Publikum und dessen Erwartungshaltungen aus bestimmt werden.
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soll insbesondere Funktionalität als logos-Appell in den Blick genommen werden. Beide Punkte sollen nachfolgend in aller Kürze eingeführt werden. 3.2 Funktionalität und Vertrauen Aus der eingangs in diesem Kapitel gegebenen Bestimmung der neutralen Wirkung als der Motivgleichheit der dem orator unterstellten Motive und der vom Publikum aktiv eingebrachten, ergibt sich eine spezielle Wirkung, die sich als Vertrauen bezeichnen lässt. Und wie Krippendorff in Bezug auf die Funktionalität im Design sagt: „All concepts of user-friendliness and usability take reliance as the point of reference“43. Krippendorff entwickelt in Die Semantische Wende eine überzeugende Schematisierung des Verhältnisses von Funktionalität und Vertrauen, die es hier kurz in den Blick zu nehmen gilt. Insofern, wie Krippendorff betont, das Vertrauen letztlich ein Stadium des Umgangs mit Designinterfaces44 bezeichnet, das dazu führt, dass letzteres ‚unsichtbar‘45 wird, ist mit dem Verhältnis von Funktionalität und Vertrauen eben auch ein wesentlicher Aspekt von Neutralität angesprochen. Zum vertrauten Umgang mit Designprodukten führt laut Krippendorff ein dreistufiger Weg: Erkennen, Verstehen, Vertrauen. Jede dieser Stufen stellt bestimmte Herausforderungen sowohl an den Rezipienten als auch an den Designer und kennt bestimmte Strategien, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Nachfolgend sollen diese Strategien in aller Kürze umrissen und an Beispielen aus dem Feld unserer Untersuchungsgegenstände illustriert werden. Da Krippendorff diese Theorie vor allem im Hinblick auf Produktdesign und weniger im Hinblick auf Informationsdesign entwickelte, ist naheliegend, dass die Gewichtung, die er diesen Strategien im Vergleich zueinander zukommen lässt, von derjenigen abweichen wird, die hier vorgestellt wird. Es handelt sich demnach bei der folgenden Strategielistung um eine Adaption, die zudem keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. 3.2.1 Strategien des Erkennens Auf der Ebene des Erkennens geht es laut Krippendorff um folgendes: „Correctly identifying what some thing is, what it can be used for.“46 Es geht also darum, in
43 Krippendorff 2006. S. 133. 44 Krippendorff nutzt einen sehr weiten Interface-Begriff, der letztlich jede Form der MenschArtefakt-Beziehung umfassen soll. In dieser Weise wäre er möglicherweise synonym zum Begriff ‚Form‘ zu verwenden. Für Krippendorff beschreibt die Form einer Schere beispielsweise ebenso ein Interface, das aufgrund von Affordanzen dazu einlädt, sie in bestimmter Weise zu benutzen, wie auch ein Windows-Bildschirm ein Interface darstellt. 45 Vgl. Ebd. 46 Ebd. S. 89.
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Form einer semantischen Identifikation etwas als etwas zu identifizieren. Hierzu können Kategorien ebenso benutzt werden wie metaphorische Übertragungen. Vieles von dem, was hier auf theoretischer Ebene im Sinne einer rhetorischen Unterstützung des Erkenntnisprozesses im Umgang mit Designprodukten gesagt werden kann, soll durch einen Verweis auf Kapitel IV dieser Arbeit abgekürzt werden. Dort wurde insbesondere in dem Abschnitt, der sich mit den rhetorischen Figuren in Erkenntnisfunktion befasst, vieles von dem entwickelt, was auch hier zu Geltung kommen soll. 3.2.1.1 Kategorien und Prototypen Bei Kategorien geht es um Mengen, die unterschiedliche Elemente umfassen, welche mit einem Prototypen (Krippendorff spricht, um Verwechslungen mit dem Begriff Prototyp im Entwurfsprozess zu vermeiden, von einem Idealtypen)47 eine Ähnlichkeit haben. „The ideal type of a category is a cognitive construction from which all accidental and irrelevant features are absent. Ideal types are simple, skeletal, present the ‚deep structure‘ or ‚gist‘ of something – its ‚Wesen‘ or essence.“48 Der Prototypentheorie Eleanor Roschs folgend, werden Kategorien aber nicht als Mengen gleichwertiger Elemente verstanden.49 Manche dieser Elemente treten als Prototypen hervor. Sie sind dann durch spezifische Eigenschaften bestimmt: Wie Rosch, und später George Lakoff50 herausstellen, sind Prototypen diejenigen Elemente einer Kategorie, die besser memorierbar und leichter identifizierbar sind als andere Elemente derselben Kategorie. Mehr noch: Sie strukturieren die gesamte Kategorie; sie beeinflussen die Generierung von Beispielen, erzeugen eine Asymmetrie in der Bewertung von Ähnlichkeitsfragen, eine Asymmetrie in Fragen der Generalisierung und sind durch die Effekte der Familienähnlichkeit beeinflusst.51 In dieser Weise liefern Prototypen konzeptuelle Modelle (im Sinne Normans) für den Umgang mit Elementen einer Kategorie.52 Vereinfacht gesagt: Wenn ein Gestalter ein Produkt entwickelt, das Benutzer als ein Produkt einer bestimmten Kategorie erkennen (beispielsweise einen Netzplan, einen Wegweiser oder eine Informationstafel), so haben diese Benutzer bereits Vorstellungen, wie dieses Produkt zu benutzen ist, wozu es dient, was es leistet und 47 Im Weiteren werden die Begriffe Prototyp und Idealtyp synonym verwendet. Es gilt zu bedenken, dass Idealtyp nicht bedeutet, es handele sich um eine – etwa im Sinne der usability – ideale Umsetzung, also eine, die nicht verbessert werden könne. Idealtypen sind Prototypen einer Kategorie. Der Spatz gilt in dieser Weise als Idealtyp eines Vogels. Er steht der Kategorie vor, an den Spatz wird eher gedacht, wenn es um Vögel geht als etwa an den Pinguin. Es wäre aber absurd zu behaupten, der Spatz sei das Ideal eines Vogels. 48 Ebd. S. 93. 49 Vgl. u.a. Rosch 1978. 50 Vgl. Lakoff 1987. 51 Vgl. Rosch 1978. 52 Vgl. Norman 2013.
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vor allem, an welchen Formeigenschaften es als ein solches zu erkennen ist. Diese Vorstellungen werden in Form eines konzeptuellen Modells zusammengefasst, das sich in der Auseinandersetzung mit prototypischen Elementen dieser Kategorie (bestimmte, ihnen vertraute Netzpläne, Wegweiser, Informationstafeln, die als Prototypen der Kategorie fungieren können) gebildet hat. Etwas wird also als Element einer Menge von Etwas identifiziert und dieser Identifizierung folgend, wird es als etwas erkannt. Schauen wir uns dazu mögliche prototypische Netzpläne, Wegweiser oder Informationstafeln an: Als Pionierleistung in der Informationsvisualisierung im Bereich der Netzpläne gilt Harry Becks Plan der Londoner U-Bahn von 1933 (Abbildung 117). Zu diesem Zeitpunkt kann der Beck’sche Plan sicherlich nicht als Idealtyp gelten, denn, wie Hartmut Brückner in seinem umfassenden Buch zur Informationsgestaltung bezüglich der Einführung des Plans schreibt: „Wie so viele bahnbrechende Neuerungen wurde auch Becks Plan zunächst als den Fahrgästen ‚nicht zumutbar‘ abgelehnt.“53 Aus heutiger Sicht kann diese Form der Darstellung, die sich als platzsparend erwies, da in dieser von den realen Abständen abstrahiert wurde, zweifellos als Idealtyp angesehen werden. Auch wenn zwischenzeitlich viele Eingriffe die Lesbarkeit und Verständlichkeit des Plans optimierten, so gibt dieser doch das weltweite Muster für U-Bahn-Netzpläne ab, wird leicht als solches erkannt und verstanden. Was könnte der Idealtyp (Prototyp) eines Wegweisers sein? Da das Erkennen eines Wegweisers als Wegweiser insbesondere eine Funktion seiner Fernwirkung ist, geht es um die sichtbaren Formeigenschaften eines Wegweisers, von der viele Benutzer möglicherweise sagen würden: Das ist die Form eines Wegweisers. Unzweifelhaft ist die recht simple Form, die hier als Idealtyp der Kategorie ‚Wegweiser‘ gelten kann, eine Stange mit richtungsweisenden Schildern (Abbildung 118 und 119). Dies gilt auch dann, wenn die gewiesene Richtung qua Entfernung weniger dem praktischen Zweck des Richtungsfolgens, sondern eher dem Zweck des place-makings dient (Abbildung 120). Als solch leicht erkennbare Form wird diese Form des Wegweisers dann schließlich auch zur Metapher für ‚Wegweiser‘ und unter einem bestimmten Aspekt für ‚Orientierung‘ schlechthin (Abbildung 121). Die gleiche Frage nach dem Idealtyp eines Wegweisers könnte auch in Bezug auf eine Informationstafel gestellt werden. Die wenig überraschende Antwort: Als idealtypische Form einer Informationstafel gilt sicherlich die Stele (Abbildung 122 und 123). Grundsätzlich gilt, dass die eben beschriebenen Idealtypen, eben weil sie idealtypisch sind, zu Metaphern der Kategorie werden, der sie vorstehen. Die Grenze zwischen der Strategie des Erkennens im Sinne von Kategorien und dem strategischen Metapherngebrauch sind demnach fließend.
53 Brückner, Hartmut: Informationen gestalten. Bremen 2004. S. 16.
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Abbildung 117 (oben links), 118 (oben rechts), 119 (links), 120 (unten rechts) und 121 (unten links)
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Abbildung 122 (links) und 123 (rechts)
3.2.1.2 Visuelle Metaphern Visuelle Metaphern werden genutzt, um Funktionsweisen durch metaphorische Übertragungen erkennbar zu gestalten. Das heißt: Wenn die Funktionsweise eines Artefakts A dem Publikum bekannt ist, dann kann dieses Artefakt als Metapher dienen, um die Umgangs- oder Funktionsweise in einem neuen Artefakt B erkennen zu lassen. Hierbei wird also eine metaphorische Übertragungsleistung genutzt, die etwas als etwas, das es nicht ist, identifizieren hilft. Wie Krippendorff schreibt: „They [visual metaphors] account for a process of how users make sense of unfamiliar artifacts in terms of familiar ones.“54 In dieser Funktion sind metaphorische Übertragungen grundlegend für die Gestaltung von Symbolen. Das Symbol einer Schere etwa in Kombination mit einer gestrichelten Linie, ist keine Schere und kann – als Symbol – auch nicht wie eine Schere benutzt werden: Es bezeichnet aber die Abtrennbarkeit (eine Affordanz) eines bestimmten Bereichs der Darstellung. In gleicher Weise ist das Symbol einer Lupe freilich keine Lupe, kann also nicht als solches Objekte sichtbar vergrößern. Es vermag aber zu erkennen helfen, dass ein gewählter Ausschnitt
54 Krippendorff 2006. S. 102.
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Abbildung 124 (oben), 125 und 126 (unten)
als Vergrößerung zu verstehen ist. Also so, als wäre eine Lupe darüber gehalten worden. Es sei hier nur angemerkt, dass ab dem Moment, wo diese Art der Darstellung, eben aufgrund seiner Darstellungsart als Vergrößerung erkennbar ist, das Symbol der Lupe redundant wird und weggelassen werden kann und oft auch wird. So ist bei dieser Stadtkarte ein Lupen-Symbol nicht nötig (Abbildung 124), die Vergrößerungsfunktion wird durch die Art der Darstellung (Platzierung am Rand, weithin sichtbare Ähnlichkeit der Strukturen des gewählten Ausschnitts mit denen des Zentrums der
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Stadt, etc.) gewährleistet (Abbildung 125). ‚Rand‘ und ‚Zentrum‘ selbst werden metaphorisch genutzt, um Bedeutungsebenen zu unterscheiden. Der ‚Rand‘, das ‚Randständige‘, das ‚Periphere‘ und ‚Marginale‘ ist, wie auch bei der gezeigten Bern-Karte, ein informativ nur schwach gefüllter Gestaltungsraum, der daher weitgehend ohne Informationsverlust überlagert werden kann. Das ‚Zentrum‘, das ‚Zentrierte‘ und ‚Fokussierte‘ hingegen konnotiert bei vielen Darstellungen bereits das ‚Thema‘. Dennoch scheint es einen Unterschied in der Wirkung auszumachen, ob dieser nur schwach besetzte Raum des Randes dargestellt wird, und sei dieser auch überlagert durch eine Vergrößerungsansicht, und somit die Karte eine rechteckige Form wahrt, oder ob er – da er ohnehin wenig Information bietet - ausgeschnitten wird, wie in der schematischen Darstellung hier (Abbildung 126). Unzweifelhaft wirkt die Darstellung durch das Wegschneiden des rechten oberen und linken unteren Randes dynamisiert. Sie fügt sich nicht schlicht dem Format ihres Trägers – die Bern-Karte erscheint vor diesem Hintergrund als in ihrer Form durch den Schaukasten determiniert –, sondern exemplifiziert deutlich einen Gestaltungswillen. Wir werden auf diese und vergleichbare Darstellungen zurückkommen, wenn es darum geht, die visuelle Konstruktion des Themas in den Blick zu nehmen. 3.2.2 Strategien des Verstehens Ist auf der Ebene des Erkennens etwas als etwas identifiziert worden, so kann auf der Ebene des Verstehens nun der Umgang mit dem identifizierten Artefakt stattfinden. Auf der Ebene des Verstehens wird nach Krippendorff Folgendes thematisiert: „Figuring out how to face something, how it works, what to do to achieve particular effects.“55 Auf dieser Ebene kann der Benutzer auf eine Vielzahl kognitiver Methoden zurückgreifen, deren genaue Kenntnis bereits für den Designer im Entwurfsprozess leitend sein könnte. Krippendorff geht hierbei auf die UCMs, Beschränkungen, Affordanzen aber auch wiederum auf klassische rhetorische Figuren in Erkenntnisfunktion (wie etwa die Metonymie) ein.56 Die theoretische Auseinandersetzung mit diesen Modellen kann an dieser Stelle abermals kurz gefasst werden, da diese bereits an anderer Stelle ausführlich thematisiert wurde.57 Im Zentrum sollen hier also vor allem Beispiele stehen, die helfen sollen, einige dieser Konzepte zu visualisieren und ihre erfolgreiche, das heißt, funktionale (Verständnis fördernde) und letztlich vertrauensbildende Umsetzung im urbanen Raum aufzuzeigen. Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist: Wie kann ein analoges Informationssystem dem Benutzer das Feedback geben, das er braucht, um sicher zu sein; sicher, dass er seinen Standort etwa richtig zugeordnet hat, sicher, dass er sich in die
55 Ebd. S. 89. 56 Vgl. Ebd. S. 104-132. 57 Vgl. Smolarski 2017.
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Abbildung 127 (oben links), 128 (unten) und 129 (oben rechts)
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richtige Richtung wendet, sicher, dass er jetzt wirklich weiß, welchen Weg er nehmen muss und nicht später frustriert wird? Krippendorff diskutiert vergleichbare Fragen im Rahmen der Strategien des Verstehens und verweist hierbei auf die Rolle von sogenannten ‚informatives‘. Das sind – vereinfacht gesprochen – Gestaltungselemente, die durch ihre Form, Kontrast, Ausrichtung oder eben durch das, was mit ihnen gezeigt wird, handlungsregulierend Einfluss auf die Handhabung von Artefakten nehmen. Letztlich sind es Kontrolleinrichtungen, die helfen sollen, Fehler im Umgang und damit Frustration zu vermeiden. Im Gegensatz zu ‚constraints‘ (Beschränkungen), sollen diese ‚fehlerhaften‘ Umgangsweisen aber nicht grundsätzlich erschwert oder unmöglich gemacht werden (kein Verbot), sondern lediglich eine ‚korrekte‘ Umgangsweise befördert werden. Das Verhältnis von ‚constraints‘ und ‚informatives‘ kann demnach in Analogie zu dem in Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum entwickelten Verhältnis bei Aufforderungsschildern gesehen werden, die Handlungsweisen wahlweise verbieten oder gebieten.58 Ein gelungenes Beispiel der Anwendung solcher ‚informatives‘ kann im Orientierungs- und Leitsystem der Stadt Sheffield in Großbritannien gesehen werden (Abbildung 127-129). Das Designbüro Atelier Works hat 2006 das System ‚Connect Sheffield‘ fertiggestellt, das zu Orientierungszwecken vor allem auf die Nutzung von Karten setzt. Auf ihren Stelen setzen sie in diesem Zusammenhang nicht nur auf die bereits oben im Kontext von UCMs besprochenen ‚heads-up‘-Karten, die die kartographischen Repräsentationen nach der Blickrichtung des Publikums orientieren, sondern auch auf den Einsatz von Fotografien als ‚informatives‘. Beides dient letztlich der Kontrolle, die dem Benutzer die Sicherheit geben soll, seine geplante Wegrichtung korrekt zugeordnet zu haben. Christian Lunger und Markus Scheiber schreiben dazu: „Bei den Orientierungshilfen wurde berücksichtigt, dass viele Menschen Probleme haben, komplexe Karten zu interpretieren. Andererseits wollten die Planer nicht mit konventionellen Richtungsschildern arbeiten. Sie entschlossen sich, eine Lösung zu wählen, die intuitiv erfassbare Fotografie mit einfachen kartographischen Hinweisen verbindet.“59 Die heads-up-Lösung für die Präsentation der Karte nutzt, wie oben bereits beschrieben, das kognitive Modell, demzufolge ‚oben‘ mit ‚vorne‘ assoziiert wird. Dass es sich hier um eine heads-up-Karte handelt wird indirekt kommuniziert: Zum einen fehlt der Hinweis auf eine Nordung der Karte, zum anderen ist der gewählte Ausschnitt nicht auf den Betrachter zentriert. Der Kartenausschnitt nimmt intuitiv verständlich metaphorisch die Blickrichtung des Betrachters auf, was heißt, dass das hinter jenem liegende Gebiet nicht dargestellt wird, sondern sich die kartographische
58 Vgl. Ebd. 59 Lunger, Christian; Scheiber, Markus: Orientierung auf Reisen. Touristische Leitsysteme. Berlin 2009. S. 196.
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Präsentation auf das beschränkt, was der Betrachter vor sich sehen kann oder zumindest sehen könnte. Der Kreis, welcher, als Maßstab fungierend, eine Entfernung von 5-Minuten Gehweg vom Betrachterstandpunkt aus beschreibt, ist demnach hier nur als Halbkreis sichtbar und an das untere Ende der Karte verlagert. Heads-up reguliert damit im Sinne von ‚Blick nicht zurück, dein Weg ist vorne‘ die Auswahl der Elemente, die der Betrachter nutzen kann, um seiner Umgebung – im Rahmen einer kartographischen Zuordnung – Sinn zu verleihen und fokussiert diesen damit eher auf eine Route als auf den Gewinn einer Orientierung über die Umgebung. Heads-up richtet sich damit an den Laufenden mit mehr oder weniger festen Zielvorstellungen. Diese Regulation schränkt damit den Handlungsspielraum des Benutzers ein, ermöglicht es diesem damit aber zugleich, Fehlinterpretationen weitgehend zu vermeiden, wodurch potentielle Frustrationen begrenzt werden. Genau in diesem Zusammenhang wirkt die über der Karte platzierte fotographische Repräsentation unterstützend. Abgebildet ist genau der Straßenzug, der dem Betrachter gerade vor Augen steht. Diese Redundanz, die Dopplung des sichtbaren Straßenzugs, wird genutzt, um dem Betrachter etwas zu zeigen, ihn etwas sehen zu lassen: Denn der Unterschied zwischen dem sichtbaren Straßenzug und dem sichtbaren Bild dieses Straßenzuges ist, dass das Bild als ein Zeigzeug genutzt werden kann und auch wird, indem Elemente im abgebildeten Raum als ‚Wege‘ ausgewiesen werden. Neben der ästhetisch ansprechenden Funktion dieser Abbildungen, die zugleich zum Spiel einlädt, die Darstellung mit dem Dargestellten zu vergleichen und damit einen Erlebniswert evoziert, liegt ihr funktionaler Wert in der Möglichkeit, den Raum zu etikettieren und damit zu strukturieren: Diese Abbildungen unterscheiden im Orientierungszusammenhang zwischen ‚zielführenden Wegen‘ als sinnerfülltem place und ‚bloßem urbanen space‘ in ornatus-funktion. Obgleich eine solche Unterscheidung zweifellos wertend ist und damit von einem Rhetoriker, der am Schreibtisch sitzend die rhetorischen Strategien von Orientierungssystemen bespricht, als definitiv ‚nicht neutral‘ einzustufen wäre, so mag dies dem tatsächlichen Benutzer vor Ort, der mit seinen eigenen Zielvorstellungen von diesem System lediglich zielführende Hinweise erwartet, nicht als ‚Wertung‘, sondern (in einem Alltagsverständnis des Begriffes) als ‚Information‘ (was im Grunde Wertungen impliziert) verstanden werden, die, insofern sie ihm funktional zu sein scheint, als ‚neutral‘ empfunden wird. 3.2.3 Strategien des Vertrauens Die Ebene des Vertrauens charakterisiert Krippendorff als die Zielebene letztlich jedes funktionalen Designs. Den Zusammenhang des Übergangs von der Ebene des Verstehens zur Ebene des Vetrauens stellt er dabei wie folgt dar: „When exploring artifacts, we are concerned not with what they are but how they work and may be handled. When relying on artifacts, we no longer ask ‘how-to’ questions but are concerned with what they do to our world, what is happening while the artefact is in use. Under
368 | R HETORIK DES D ESIGNS these conditions artifacts become background, like breathing, wearing shoes, and walking, which can be taken for granted in view of the activity that really matters.“60
Auf der Ebene des Vertrauens geht es darum: „Handling something so naturally that attention can be on the sensed consequences of its use.“61 Zugespitzt formuliert geht es also bei der Ebene des Vertrauens darum, dass sich eine Art des Umgangs mit Designprodukten einstellt, die mögliche Intentionen des Designers weitgehend ‚naturalisiert‘ und die Wirkungsfunktionen des designten Produktes damit weitgehend ‚neutralisiert‘, was nicht heißt, dass die Wirkungen aufgehoben werden sollen, sondern – im Gegenteil –, dass sie als neutral empfunden werden sollen (‚taken for granted‘). Vertrauen ist damit nicht nur ein Zeichen für die Funktionalität des Designs und – zumindest beim Informationsdesign – oftmals dessen Ziel, sondern zugleich eine Zielwirkung der rhetorischen Bemühungen um Neutralität. In dem Moment, wo die ‚how-to‘-Fragen aus dem Blickfeld geraten, wird auch der Blick für Aspekte verloren, wie dem Inszenierungscharakter, der Regulationsfunktion oder allgemein den persuasiven Bemühungen, die in der Gestaltung von Information tragend sind. Erst durch Störungen, Frustrationserfahrungen oder einer aus dem Funktionszusammenhang gelösten Motivlage (wie der des Rhetorikers am Schreibtisch) können die rhetorischen Aspekte wieder als rhetorische Aspekte in den Blick genommen werden, was Krippendorff vereinfacht in diesem Schema visualisiert (Abbildung 130). Solange ein einmal hergestelltes Vertrauen nicht gestört wird, handelt das Publikum in Routinen, die diesem erfolgreiches, schnelles und kognitiv entlastetes Entscheiden ermöglicht, es dabei aber zugleich weitgehend blind werden lässt für Alternativen Abbildung 130
60 Krippendorff 2006. S. 132. 61 Ebd. S. 89.
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und Optionen und damit eben auch für die rhetorischen Prozesse, die diese Routinen unterstützen. Burke gebraucht zur Kennzeichnung dieser routinierten Blindheit den Begriff „trained incapacity“62, der für Wess ein Kennzeichen aller Orientierung ist.63 In diesem Sinne kann gesagt werden, dass auf der Ebene des Vertrauens die Funktionalität im Sinne des genus ‚Darunter‘ persuasiv erfolgreich umgesetzt ist. Oder anders: Auf der Ebene des Vertrauens erscheint die Funktionalität als Neutralität. 3.3 Funktionalität als logos-Argument In seinem bemerkenswerten Aufsatz Declaration by Design entwickelt Richard Buchanan 1985 einen Ansatz zu einer Rhetorik des Designs, der für unsere Belange vor allem in einem Punkt von Interesse ist: Buchanan versucht, durch eine rhetorische Theorie die Trennung von Technologie (und damit von Funktionalität) und Design (als Reduktion auf fast schon bloß ornamentale Formgebung) zu überwinden. Er schreibt in diesem Zusammenhang: „Es liegt eine gewisse Ironie in der Tatsache, dass eine übergreifende Theorie der Rhetorik bislang überraschenderweise ausbleibt, obwohl sie gleichzeitig dringend gebraucht würde im weiten Feld des Designs, in dem Kommunikation annähernd dieselbe Bedeutung wie im Grafikdesign zukommt. Zunächst einmal ist sie notwendig, aufgrund der wachsenden Bedeutung von Technologie im zwanzigsten Jahrhundert und der damit verbundenen zunehmenden Entfremdung zwischen Technologen und Designern. Gemeinhin wird die Technologie als angewandte Naturwissenschaft verstanden und nicht als Teil des Designs. […] Eine angemessene Theorie der Rhetorik im Design müsste Technologie als ein fundamental rhetorisches Problem begreifen und sie im Kontext eines umfassenderen Designbegriffs verstehen […]. Eine solche Theorie müsste Mittel und Wege aufzeigen, eine engere Verbindung zwischen Technologie und Design herzustellen.“64
Es geht Buchanan also darum, das technologische Moment des Designs zumindest soweit aus dem eher restriktiven Verständnis als Teil der Naturwissenschaft zu lösen, dass es möglich wird, dieses als wesentlichen Bestandteil eines Design-Arguments in einem rhetorischen Prozess zu verstehen. Buchanan bringt dies auf den Punkt, indem er schreibt, dass, wenn es wahr sei, dass Technologie ihrem Wesen nach Teil der Naturwissenschaft ist, dann gelte:
62 Vgl. dazu: Burke 1954. S. 7-9. 63 Vgl. Wess 1996, S. 69. 64 Buchanan, Richard: Declaration by Design. Rhetorik, Argument und Darstellung in der Designpraxis. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Gesche Joost und Arne Scheuermann. Basel 2008. S. 49-73. Hier: S. 50.
370 | R HETORIK DES D ESIGNS „[D]ann kann die Technologie nicht Teil der Design-Rhetorik sein, es sei denn als vorgefertigte Botschaft zu verstehen, die es zu dekorieren und passiv zu übermitteln gälte. Design wäre dann eine zwar ästhetisch gesehen interessante, aber nebensächliche Kunstform, die sich leicht zu einem Marketingwerkzeug der Konsumkultur degradieren ließe. Wenn die Technologie jedoch in einem fundamentalen Sinne mit dem Wahrscheinlichen – im Gegensatz zu Notwendigen – befasst ist, also mit den Zufälligkeiten des praktischen Gebrauchs und Handelns anstatt mit den Gewissheiten naturwissenschaftlicher Prinzipien, dann wird sie auf faszinierende Weise rhetorisch. Sie wird zu einer Kunst des Nachdenkens über die Problematik konkreter Handlungen, und ihr naturwissenschaftlicher Aspekt wird sozusagen nebensächlich und tritt nur dann in den Vordergrund, wenn er Teil eines Arguments ist, um ein spezifisches praktisches Problem zu lösen.“65
Das aber heißt letztlich nichts anderes, als dass die Funktionalität eines Designproduktes, die vom Benutzer als eine (wie auch immer) wissenschaftlich fundierte Funktionalität angesehen wird, in den Händen des Designers zu einem Teil seiner DesignArgumentation werden kann. Es geht in der vorliegenden Arbeit weniger um den von Buchanan angedeuteten Aspekt der inhärenten Rhetorizität der Technologie, die zu untersuchen Aufgabe einer wissenschaftstheoretischen Arbeit wäre, sondern lediglich darum – und das betont auch Buchanan –, dass das Moment des Funktionalen nicht bloß das Ergebnis naturwissenschaftlich fundierter Technologie ist, sondern eben auch wesentlicher Bestandteil und Ergebnis rhetorischer Überzeugungsarbeit. Wie Buchanan herausarbeitet, ist nicht nur die ethos- und pathos-Dimension Gegenstand des Designs, sondern vor allem auch die logos-Dimension, also das, was Buchanan das technologische Argument nennt. Das technologische Argument ist „der Logos des Designs. Es ist das Herzstück des DesignArguments, ähnlich wie das Ineinandergreifen der formalen und informellen Beweisführung den rhetorischen Kern der Sprache ausmacht. […] In dieser Weise sind Produkte persuasiv, wenn sie echte Bedürfnisse ansprechen und diese auf vernünftige und sinnvolle Weise befriedigen.“66
Das bedeutet, dass ein Designprodukt in erster Linie von seiner ‚Sinnhaftigkeit‘ und das heißt eben insbesondere seiner ‚Nützlichkeit‘ und ‚Funktionalität‘ überzeugen muss. Analog zur sprachlichen Argumentation, wo auf der Ebene des logos sich ein 65 Buchanan 2008a. S. 53. Dass die Technologie, in Buchanans Sinne verstanden, rhetorisch verfasst ist, spiegelt sich in einem Rhetorikverständnis, das eben nicht strikt zwischen Inhalt und Form unterscheidet, so dass das Rhetorische allein Formfragen beträfe. In diese Richtung wendete sich auch die Kritik an der Metapher am sprachlichen Gewand. Vgl. dazu: Kapitel IV. 66 Buchanan 2008b. S 56.
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Argument – wenigstens dem Vernehmen nach – als schlüssig erweisen muss, und ebenso analog zum Produktdesign, wo – wie nicht nur Buchanan hervorhebt, sondern etwa auch Krippendorff – ein Produkt, das antritt, eine Lösung für ein lebensweltliches Problem zu sein, eben auch als eine Lösung erkennbar, verstehbar und handhabbar sein muss, so gilt eben auch im Bereich des Informationsdesigns, dass Informationen eben auch informativ sein müssen, ganz gleich aufgrund welcher wissenschaftlich fundierten Prozesse die nötigen Daten hierzu gewonnen wurden und ebenso unabhängig von der Art der – bisweilen nur scheinbar – wissenschaftlich fundierten Präsentationsweise; aus Daten aber Informationen zu machen ist bereits eingebunden in einen rhetorischen Prozess. Im Weiteren soll es um diesen rhetorischen Prozess gehen, der vor allem als Teil der logos-Strategien besprochen werden soll. Die oben entwickelten genera der Neutralität sollen zu diesem Zweck in Bezug auf mögliche Strategien erörtert werden. 3.4 Logos-Strategien 3.4.1 Genus ‚Darüber‘ – Strategien der Aufmerksamkeit Aus dem genus des ‚Darüber‘ konnte bereits oben ein zentrales Thema gewonnen werden: die Aufmerksamkeit. Im urbanen agon um die Aufmerksamkeit, den Markus Hanzer als den „Krieg der Zeichen“67 beschreibt, kann die Inszenierung von Neutralität – insbesondere für das Informationsdesign – eine gelungene Strategie darstellen. Diesen Gedanken gilt es im Weiteren in drei Schritten zu entfalten: Erstens, ist auf die unterschiedlichen Motivationen des auf Information Zugehenden im Gegensatz zum von der Werbung Angegangenen auszugehen. Hieraus ergibt sich zweitens die Möglichkeit, über die urbanen Orte des Sich-Informierens zu sprechen. Drittens sollen Strategien der Neutralität im Sinne des genus ‚Darüber‘ besprochen werden, wobei vor allem die Figuren der Wiederholung und der Steigerung zentral sein werden. Folgendes Schema dient – so grob es auch sein mag – der ersten Orientierung: Werbung im urbanen Raum wendet sich an ein Publikum, das nicht nach dieser suchte und dessen Aufmerksamkeit es zu wecken gilt. Diese Aufmerksamkeit soll sich dabei zuerst einmal auf die Werbefläche selbst richten und vermittels dieser auch auf das beworbene Produkt oder die beworbene Dienstleistung. Die Aufgabe des attentum parare (und ebenso des docilem parare) steht im Zentrum der rhetorischen Bemühungen der Werbetreibenden, denn oftmals erfüllt Werbung schon ihren Zweck, wenn es gelingt, das Produkt oder die Marke dem Publikum ins Bewusstsein zu bringen, ohne dass dabei sogleich auch ein direkter Kaufimpuls ausgelöst werden
67 Hanzer, Markus: Krieg der Zeichen. Spurenlesen im urbanen Raum. Mainz 2009.
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muss.68 Wie Johannes Kamps in seiner Untersuchung des Plakats deutlich macht, gilt dabei aber: „Während einerseits […] die Frequenz der ausgesandten Werbebotschaften ständig steigt, bleiben andererseits Medienkonsum und biologische Aufnahmekapazität des Menschen nahezu konstant. Infolge dieser diskrepanten Entwicklung kommt es zu einer steigenden Reiz- und Informationsüberlastung, verbunden mit Abstumpfungseffekten gegenüber der Werbung, ein allerdings auch schon früher häufig beklagtes Phänomen.“69
Isabelle Lehn stellt in ihrer Rhetorik der Werbung diesbezüglich fest, dass bereits Quintilian die Fülle und Einförmigkeit der dargebotenen Information thematisiert und als Gründe für eine Übersättigung und den Überdruss des Publikums ausweist.70 Im Kampf gegen die Abstumpfung gilt es für die Werbetreibenden daher stets, neue Möglichkeiten auszuloten, die Aufmerksamkeit des Publikums doch noch zu erreichen, wodurch schnell ein Effekt eintreten kann, der mit Hanzers Metapher vom ‚Krieg der Zeichen‘ im urbanen Raum bildhaft beschrieben ist. Dieser entsteht eben laut Hanzer, weil die „Kriegsführung mit Hilfe von Zeichen und Symbolen“71 sich ständig weiterentwickelt und daher überall „auf- und nachgerüstet“72 wird. Aus diesem Wettstreit um die Aufmerksamkeit können sich Bemühungen des Informationsdesigns nahezu vollständig zurückziehen; das Informationsdesign steht (eben im Sinne des genus ‚Darüber‘) ‚über‘ den Streitparteien und ihren Bemühungen um die knappe Ressource ‚Aufmerksamkeit‘. Diese Position des ‚Darüber‘ ist dabei nur möglich, weil im Gegensatz zum Werbeplakat, die Infotafel von deren Zielpublikum gezielt gesucht und – im Idealfall – auch leicht gefunden wird, womit leicht der Eindruck entsteht, im Informationsdesign ginge es nicht wie in der Werbung um eine Generierung von Bedürfnissen, sondern um die Befriedigung des bereits vorhandenen Informationsbedürfnisses. Und genau in diesem Sinne stellt das genus des ‚Darüber‘ letztlich eine Form der Neutralität dar. In ihrem Verhältnis zur Aufmerksamkeit, die auch für Bemühungen des Informationsdesigns eine wichtige Größe darstellt, kann gesagt werden: Während Werbung im urbanen Raum gegen den Überdruss und die Abstumpfung neue Formen der auffallenden Sichtbarkeit entwickeln 68 In diesem Sinne steht auch in der Werbeformel AIDA, die ein Akronym der rhetorischen Ziele der Werbung ausdrückt (attention, interest, desire, action) insbesondere das attentum parare als Ausgangspunkt der rhetorischen Bemühungen fest. Vgl. Riedel, Rita: AIDAFormel. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 285-295. 69 Kamps, Johannes: Plakat. Grundlagen der Medienkommunikation. Tübingen 1999. S. 97f. 70 Vgl. Lehn 2011. S. 46. Siehe auch: Quint. Inst. Orat. V,14,30. 71 Hanzer 2009. S. 14. 72 Ebd.
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muss, um den schweifenden Blick des Passanten auf sich zu ziehen und nicht in der ‚visuellen Kakophonie‘ der Stadt unterzugehen, muss das Informationsdesign lediglich so viel Aufmerksamkeit erregen, um dem ohnehin suchenden Blick sein Ziel zu geben und damit Frustration zu vermeiden. Aus diesem Befund erklärt sich sogleich, dass visuelle Überraschungen und Devianzen in der Gestaltung und ebenso in Bezug zum Anbringungsort für Werbetreibende wichtigere Mittel darstellen als für den Informationsdesigner; kurz: Während ‚anders‘ und ‚neu‘ im Bereich der Werbung schon Zwecke an sich sein können, bleiben diese im Bereich des Informationsdesigns stets erklärungsbedürftig. Dies gilt insofern insbesondere für den ‚Ort der Information‘, da die Vorstellung des Publikums, wo die gesuchten Informationen zu finden sein könnten, sich vor allem aus einer relativen Invarianz der Anbringungsorte ergibt. Es kann ohne Weiteres gesagt werden, dass je fester diese Vorstellung im Publikum verankert ist und je angemessener diese vom Informationsdesigner bedient wird, desto zielführender und schneller findet das Publikum, was es sucht, wodurch Frustration vermieden werden kann. Auf der anderen Seite bedeutet das aber auch, dass der urbane Raum unterschiedliche Konzentrationspunkte zu erwartender Information bereithält: die Informationsdichte variiert im urbanen Raum, es gibt ‚Orte der Information‘. Diese ‚Orte der Information‘ (etwa Bahnhöfe, Plätze oder Kreuzungen) sind dann eben auch die Orte des Suchens nach Information und Orte erhöhten Informationsbedarfs. Übertragen auf die Elemente des Stadtbildes, die Kevin Lynch in The Image of the City entfaltet und die bereits an anderer Stelle73 auf ihre rhetorische Dimension hin besprochen wurden, ist es naheliegend zu vermuten, dass insbesondere ‚nodes‘ als solche ‚Orte der Information‘ dienen. Dieser Punkt wird klar, wenn wir uns in Erinnerung rufen, wie Lynch den Begriff node einführt: „Nodes are points, the strategic spots in a city into which an observer can enter, and which are the intensive foci to and from which he is traveling. They may be primarily junctions, places of a break in transportation, a crossing or convergence of paths, moments of shift from one structure to another.“74 Nodes sind Orte der Entscheidung und als solche stets Orte erhöhten Informationsbedarfs. Bis zu einem gewissen Grad gilt hierbei allerdings auch die Umkehrung: Orte der Information können zu Orten des Entscheidens werden. Dieses Wechselverhältnis lässt sich dabei sowohl auf der Makroebene als auch auf der Mikroebene untersuchen. Beispielsweise stellt ein Bahnhofsgelände (insbesondere Bahnhofshalle und Vorplatz) eine Makrostruktur in diesem Sinne dar, die sich von den allgemeinen Informationstafeln im Bahnhof (Abbildung 131), über die speziellere Bahnsteigtafel (Abbildung 132), über die Gleisinformation auf dem Bahnsteig (Abbildung 133) bis hin zur Zuginformation am eingefahrenen Zug (Abbildung 134) immer wieder in feinere Entscheidungsorte untergliedern lässt. Der zu-
73 Vgl. Smolarski 2017. 74 Lynch 1960, S. 41.
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nehmende Detailierungsgrad – und in diesem Sinne auch abnehmende Hierarchisierungsgrad – der präsentierten Information ist eine der wesentlichen Bedingungen funktionierender Wegführung. Durchaus in diesem Sinne hält Craig Berger fest: „As a rule, the larger the area represented, the less the detail that can be successfully presented.“75 Auf der Ebene der Makrostruktur stellt der Bahnhofsplatz eben nicht nur einen Ort der Information für Zugreisende dar, also für diejenigen, die mit der Bahn die Stadt verlassen wollen, sondern auch für angekommene Touristen und Einheimische, die von hier aus beispielsweise die Stadt erkunden wollen, Einkäufe tätigen oder einfach den Platz mit dem öffentlichen Nahverkehr als Umsteigeplatz nutzen. Insofern stellt dieser Platz – womöglich sogar prototypisch – einen Ort sich überlagernder Informationen dar, die verschiedene Publika bedienen müssen. Abbildung 131 (oben links), 132 (unten) und 133 (oben rechts)
75 Berger 2009. S. 29.
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Abbildung 134 (oben links), 135 (unten) und 136 (oben rechts)
Einen bestimmten Ort in der Stadt zu einem ‚Ort der Information‘ und damit zu einem potentiellen ‚Ort der Entscheidung‘ zu machen, kann sich auf wenigstens zwei Weisen vollziehen: Zum einen kann der Ort (als ein node im Sinne Lynchs) bereits ein Ort der Entscheidung sein und muss dann so strukturiert werden, dass er auch zu einem Ort der Information wird, das heißt zu einem Ort, an dem das Publikum weiß, dass es und wo es benötigte Informationen bekommt und diese dann gezielt suchen kann. Zum anderen kann aber auch – wie oben bereits angedeutet – versucht werden, bestimmte Orte zu Orten der Information zu machen, die es dann überhaupt erst ermöglichen, Orte der Entscheidung zu werden. Während im ersten Fall ein schon bestehender Informationsbedarf befriedigt werden muss, kann im zweiten Fall versucht werden, ein Informationsinteresse zu erzeugen, womit der zweite Fall deutlich näher
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in die Richtung der Werbung rückt, der es ebenfalls um die Generierung eines Interesses geht. In eben dieser Weise unterscheiden sich beispielsweise die ‚Wege zu Klee‘ (Abbildung 135) grundsätzlich von den ‚Wegen zu den Gleisen‘ (Abbildung 136) am Berner Hauptbahnhof. Während die ‚Wege zu den Gleisen‘ auf ein bereits bestehendes Informationsinteresse bauen können und also in ihrer Gestaltung dieses nicht erst erzeugen oder zumindest aufrechterhalten müssen, ist es für die ‚Wege zu Klee‘ nicht hinreichend, bloß auf eine passende Platzierung und gute Lesbarkeit zu setzen. Letztere müssen überdies die Attraktivität der Information in den Mittelpunkt stellen. Das bedeutet nun aber keineswegs, dass die Gestaltung der ‚Wege zu Klee‘, deren deutlich rhetorisches Ziel es ist, zugleich im Sinne des Stadtmarketings eine Facette der kulturellen Bedeutung Berns herauszustellen als auch als Werbeinstrument des Museums Zentrum Paul Klee zu fungieren, deswegen dem Publikum als nicht neutral erscheinen muss. Vielmehr gilt auch hier: Dem Benutzer dieser Informationstafeln, der ohnehin auf den Wegen Paul Klees zu wandern gedenkt und der insofern nicht erst davon überzeugt zu werden braucht, mögen diese Tafeln durchaus als neutrale Befriedigung seines ohnehin bestehenden Informationsbedürfnisses erscheinen. Wenigstens aber wenn es darum geht, dieses Bedürfnis auch tatsächlich angemessen zu befriedigen und damit aufrechtzuerhalten, sind diese Interventionen unzweifelhaft eingebunden in einen rhetorischen Prozess. Auf einen anderen Aspekt, der eng mit der Kreation von ‚Orten der Information‘ verbunden ist, soll hier wenigstens kurz noch eingegangen werden, bevor wir uns zwei wesentlichen Strategien des genus des ‚Darüber‘ zuwenden: Dem ‚I‘ im Raum (Abbildung 137). Hierbei handelt es sich zunächst um eine recht einfache Form, dem Publikum bereits aus einer relativen Ferne die Orientierung insofern zu erleichtern als hierdurch ein Ort gezielt als ein ‚Ort der Information‘ identifiziert werden kann (Abbildung 138). Mithilfe dieser Intervention kann neben der zu überbrückenden Ferne aber auch auf eine Informationsquelle aufmerksam gemacht werden, die als solche vielleicht gar nicht zu erkennen wäre. Beispielsweise wird hier durch das ‚I‘ (Abbildung 139) eine Werbetafel als Informationsquelle ausgewiesen, die aus dieser Blickrichtung zum Zweck der Orientierung in der Stadt gar nicht in Betracht käme. Der Informationsbedürftige wird zur näheren Inspektion eingeladen und entdeckt auf der gegenüberliegenden Seite dann auch die Stadtkarte, welche ihm entweder seine verlorene Orientierung wiedergeben oder ihn in seiner Wegwahl bestätigen kann (Abbildung 140). Der Anbringungsort – das sei hier nur angemerkt – an einer Straßenbahnhaltestelle, die qua Haltestelle leicht als ein ‚Ort der Information‘ verstanden und womöglich auch deshalb gezielt aufgesucht werden kann, ist aber auch deshalb geeignet, weil die erhöhte Verweildauer dazu einladen kann, die Karte Berns auch jenseits unmittelbarer Orientierungsnot zu rezipieren. Der ‚You-are-here‘-Kreis (Abbildung 141), der durch den Pfeil nicht nur den genauen Standort präzisiert, sondern auch die Blickrichtung anzeigt, ist, um nur ein Beispiel zu nennen, eben nicht nur ein
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Abbildung 137 (oben links), 138 (oben rechts), 139 (rechts), 140 (unten links), 141 (unten rechts)
Instrument zur besseren Orientierung für den verirrten Passanten, sondern auch – und in dieser Funktion ebenso ein Orientierungswerkzeug – eine Einladung, den Blick in Richtung Stadtzentrum schweifen zu lassen und zu genießen. Schließlich kann ein ‚Ort der Information‘, der als solcher ein Ort ist, der vom informationsbedürftigen Publikum aktiv suchend vorgefunden wird, auch für die Werbung wieder interessant werden. Entweder indem diese sich, etwa in Form ortspezifischer Werbung, direkt
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an die Information heftet (Abbildung 142 und 143) oder indem der ‚Ort der Information‘ als ein ‚Ort der Entscheidung‘ und damit als ein ‚Ort erhöhter Aufmerksamkeit‘ in Beschlag genommen wird (Abbildung 144). Wir werden auf dieses konkrete Beispiel des Berner Hauptbahnhofs, wo zu einem bestimmten Zeitpunkt nahezu alle Werbeflächen vom selben Plakat in Beschlag genommen wurden, zurückkommen, wenn wir uns im Folgenden unter anderem der Strategie der Wiederholung zuwenden. Abbildung 142 (oben) und 143 (unten)
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Abbildung 144 (oben) und 145 (unten)
Bezüglich der Strategien der Neutralität im Sinne des genus des ‚Darüber‘ sollen vor allem zwei Figuren in den Blick genommen werden, deren Modifikation in ihrer Wirkungsintentionalität für die Zuschreibung eines neutralen Effekts als entscheidend erscheint: Wiederholung und Steigerung. Diesbezüglich werden im Weiteren zwei womöglich paradox anmutende Thesen vertreten, die es an Beispielen zu illustrieren
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gilt: 1) Neutral wirkendes Informationsdesign wiederholt nicht. Redundanzen erscheinen als Dienstleistungen im Sinne der Funktionalität. 2) Im agon um die Aufmerksamkeit mit anderen urbanen Zeichenkomplexen (vor allem der Werbung) wird die mit Steigerungen verbundene Hierarchisierung und visuelle Konkurrenz unterwandert. 3.4.1.1 Wiederholung und Redundanz Abbildung 146 (oben) und 147 (unten)
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Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel: Am Berner Hauptbahnhof findet sich (zu einem bestimmten Zeitpunkt: Mai 2015) – wie oben bereits angedeutet – das Werbeplakat des Unternehmens Calzedonia, das auf deren Bademode aufmerksam machen will, etwa zwanzigmal (Abbildung 145-147). Nahezu alle Werbeflächen sowohl des Bahnhofvorplatzes als auch im Bahnhofsgebäude selbst scheinen von dieser Marke belegt und dabei größtenteils sogar von dem gleichen Werbeplakat. Diese aggressiv erscheinende Nutzung der Wiederholung eines gleichförmigen Reizes, der offensichtlich den Bahnhof als einen ‚Ort erhöhter Aufmerksamkeit‘ und als zentralen node der Stadt gezielt belegt, rief – wie die Abbildungen zeigen – dann auch eine ablehnende Haltung des Publikums (genauer: wenigstens eines Rezipienten) hervor. Störte sich der Adbuster zunächst lediglich an der Sexualisierung mit Äußerungen wie ‚Wollt ihr wirklich solche Werbung? Wie weit soll das gehen?‘ und ‚Porn in Public‘, so schien dieser durch die tägliche Zunahme dieser Plakate schließlich motiviert zu fragen: ‚Was verkauft ihr eigentlich?‘ und schließlich: ‚Wie viele von denen wollt ihr noch aufhängen?‘. Durch die Wiederholung desgleichen Reizes wird nicht selten bei der Anbringung von Werbung im urbanen Raum versucht, die Widerstände des Rezipienten zu überwinden, auch wenn dieser den rhetorischen Bemühungen der Werbetreibenden gegenüber genau deshalb schneller überdrüssig zu werden scheint. Der Umstand, dass gegen die Abstumpfung des Publikums in vielen Fällen mit einer Zunahme der Wiederholungen reagiert wird, erscheint nicht nur kontraproduktiv, mehr noch stellt dieser Umstand eines der wesentlichen Ausgangsmotive für Adbuster dar. Dennoch gilt: Die Wiederholung ist eines der wesentlichen Mittel im urbanen agon um die Aufmerksamkeit. Das gilt für kommerzielle Werbung ebenso wie für Werbung städtischer Kultureinrichtungen (Abbildung 148) oder auch für Graffiti (Abbildung 149), wo die Wiederholung sogar zu einem eigenen Ziel erhoben wird.76 Mitunter – das sei hier nur angemerkt – entstehen durch die sichtbare Wiederholung auch spezifische Bedeutungen: So etwa, wenn – wie hier an der österreichischen Grenze zu sehen (Abbildung 150) – die klebenden Rückseiten der Autobahnvignetten an den Müllcontainer geklebt werden, anstatt sie in demselben zu entsorgen. Was bei dem Ersten, der seine Vignettenrückseite auf diese Weise entsorgte, noch als eine Verschmutzung des Containers gelten könnte, gilt durch Wiederholung leicht als selbstverständlich und überdies womöglich sogar als charakteristisch. In allen diesen Beispielen wird durch die Wiederholung nicht nur versucht, die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen, sondern ebenso die Memorierbarkeit der Botschaft zu erhöhen – ganz gleich welche Botschaft das im Einzelnen ist; ganz im
76 Es gilt im Sprayer-agon, den eigenen ‚tag‘ möglichst häufig in einer Stadt zu hinterlassen. Der damit einhergehende szeneinterne ‚Ruhm‘ (fame) wird oft als Antrieb des ‚taggings‘ ausgewiesen.
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Abbildung 148 (oben), 149 und 150 (unten)
Sinne der lateinischen Sentenz ‚repetitio est mater studiorum‘. In beiden Verwendungszusammenhängen kommt der Figur der Wiederholung aber gleichermaßen auch eine herausragende Stellung bei den Strategien des Informationsdesigns zu, so dass eine neutrale Wirkung nicht etwa durch einen Verzicht auf Wiederholungen erzielt wird. Die eingangs formulierte These, wonach neutral wirkendes Informationsdesign nicht wiederhole, muss vor dem Hintergrund dieses Befundes erklärt werden. Um es gleich vorwegzunehmen: Die mannigfaltigen Wiederholungen im neutral wirkenden Informationsdesign erscheinen dem Publikum nicht als Wiederholungen, sondern als Strukturelemente zur Generierung einer funktionalen Ordnung. Die Funktionalität liegt dann genau darin, dass das durch Wiederholungen generierte
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Abbildung 151 (links) und 152 (rechts)
Ordnungsmuster Sprünge in der Lektüre ermöglicht und somit schneller zielführend gelesen werden kann. Schauen wir uns dazu beispielsweise die Abfahrtshinweise der Bahn am Bahnhof an. Hierbei finden sich Wiederholungen auf mehreren Ebenen: Auf der Mikroebene des singulären Plakats verdankt ein Abfahrtsplakat (Abbildung 114) seine Übersichtlichkeit einem Ordnungsmuster, das eben als Muster wesentlich auf eine formale Wiederholung setzt: die rhythmisierende Wiederholung der nach Stunden geordneten Kolonnen, die Wiederholung der Linien zur Trennung der Kolonnen, die Wiederholung der Ordnung ‚Zeit-Zugkennzeichnung-StreckenzieleGleiskennzeichnung‘ (Abbildung 151), die Wiederholung der farblichen Kennzeichnung, etc. Wie Scheuermann und Schneller in ihrer Arbeit zum rhetorischen Nullpunkt für das Abfahrtsplakat deutlich machen, führt die Reduktion dieser Ordnungsstrukturen nicht etwa zu einer tatsächlich neutralen Gestaltung, sondern lediglich zu einer, die ihrer Funktionalität beraubt erscheint.77 Selbst die vermeintlich neutralen Varianten des Originalplakats, wie das schon oben besprochene Plakat ‚rhetorischer Nullpunkt‘ (Abbildung 113) oder auch vergleichbare Varianten (Abbildung 152), kommen, da sie die textlichen Strukturen nicht antasten, sondern lediglich visuelle Ordnungsstrukturen reduzieren, nicht umhin, dennoch gewisse Teile der ursprünglichen Ordnungsstrukturen zu kopieren. Diese Varianten entbehren zwar der für die Funktionalität notwendigen visuellen Ordnung, lesen sich aber dennoch über weite
77 Schneller/Scheuermann 2012. S. 31-36.
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Strecken im obigen Schema ‚Zeit-Zugkennzeichnung-Streckenziele-Gleiskennzeichnung-Zeit-Zugkennzeichnung-Streckenziele-Gleiskennzeichnung-usw.‘. Es bleibt festzuhalten: Die Wiederholungen, wie sie im einzelnen Plakat mannigfaltig auftreten, fungieren als Figuren in Erkenntnisfunktion, die, indem durch die Wiederholungen Ordnungsmuster entstehen, ein leichtes Verstehen der dargebotenen Informationen ermöglichen sollen. Als Figuren in Erkenntnisfunktion unterliegen sie nicht (zumindest nicht in erster Linie) einem Devianzkriterium, so dass sie gar nicht als ‚Wiederholungen‘ erfasst werden.78 Die Redundanz des Musters ist vielmehr Teil der funktionalen Ordnung. Auf einer Makroebene wiederholen sich diese Plakate als ganze immer wieder. Der Weg des Reisenden vom Bahnhofsvorplatz über die Bahnhofshalle durch den Gang bis zum Gleis und schließlich bis in den Zug ist gesäumt von identischen Plakaten – und überdies diversen Detaillierungen und Varianten mit ähnlichen oder gleichen Ordnungsmustern. Während die häufige Wiederholung der identischen Werbeplakate am gleichen Ort leicht als Wiederholung zum Zwecke der Aufmerksamkeitslenkung und Memorierbarkeit auffällt und als solche mitunter auf Ablehnung stößt, scheinen doch die vielen identischen Abfahrtsplakate – obgleich auch diese aus den gleichen Gründen wiederholt werden – nicht als Wiederholungen interpretiert zu werden, sondern in ihrer redundanten Anordnung erscheinen sie als Dienstleistungen im Sinne der Funktionalität, die – im Gegensatz zur durchaus ebenso funktional bestimmten Indienstnahme der Wiederholung im Falle der Werbung – als vom Publikum selbst eingefordert von diesem empfunden wird. Man kann sagen, dass so, wie auf der Mikroebene die Fläche des Abfahrtsplakats durch sich wiederholende Elemente in der Weise strukturiert wird, das dadurch Sprünge in der Lektüre möglich werden (womit diese ohne Risiko des Informationsverlustes beschleunigt wird), so strukturieren die Plakate als Ganzes den Bahnhofsraum. Auch diese ermöglichen funktionale Sprünge und diese Funktionalität lässt sich im Hinblick auf die hier besprochenen Wiederholungen mit den Worten Scheuermanns und Schnellers wie folgt beschreiben: Es geht darum, „zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Dosierung [zu] informieren.“79 Was hierbei als ‚richtig‘ gelten kann, wird letztlich durch die Motivation des Publikums bestimmt. 3.4.1.2 Steigerung und Hierarchisierung In Bezug auf die Steigerung und Hierarchisierung können wir mit einem Beispiel beginnen, auf das bereits an anderer Stelle diskutiert wurde und hier wiederholt werden soll.80 Es handelt sich um ein Foto aus Wien, auf dem vor einer Litfaßsäule mit 78 Zur Systematisierung der Figuren und speziell zu Figuren in Erkenntnisfunktion, siehe: Kapitel IV. 79 Schneller/Scheuermann 2012. S. 38. 80 Vgl. Smolarski 2017.
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dem Hinweis auf den nächsten McDonalds ein – verglichen damit – kleines gelbbraunes Schild auf den Stephansdom verweist (Abbildung 153). Mollerup sieht hierin die Generierung ‚absurder Hierarchien‘.81 Es wird im vorliegenden Unterkapitel dementgegen die These vertreten, dass hier keineswegs absurde Hierarchien generiert werden, zumindest nicht für den wegsuchenden Touristen. Zunächst kann allerdings die Faszination sicherlich nachvollzogen werden, die letztlich – womöglich – Anlass dafür gab, dieses Bild in ein Buch über wayfinding aufzunehmen, denn der Kontrast, der in diesem Bild deutlich wird, ist nicht nur einer der Größe und Farbigkeit, also der gestalterischen Mittel zur Aufmerksamkeitserregung, sondern überdies auch ein semantischer Kontrast. Die amerikanische Fastfoodrestaurantkette wird ‚groß‘ und damit vermeintlich als ‚bedeutend‘ beworben, während der Stephansdom, der mit Tradition, Glaube, architektonischer Meisterleistung, Unikat, etc. assoziiert werden kann, dagegen ‚klein‘ und vermeintlich als ‚unbedeutend‘ ausgewiesen wird. Es ist daher sicher unbestreitbar, dass dieses Foto – aber eben nur das Foto – Witz hat. Es ist dagegen aber durchaus zweifelhaft, ob auch die entsprechende urbane Situation von einem Touristen mit dem gleichen Witz wahrgenommen wird, der den Stephansdom bereits eine halbe Stunde sucht (oder wahlweise auch das Fastfoodrestaurant). Abbildung 153
81 Vgl. Mollerup 2013. S. 127.
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Die ‚absurden Hierarchien‘, von denen Mollerup spricht, sind wohl eher auf seine Betrachtungsweise, die fotografischen Selektionsprozesse und die Einbettung in ein Buch über wayfinding zurückzuführen. Es ist davon auszugehen, dass der motivgeleitete Blick des Touristen sich von diesen gestalterischen und semantischen Kontrasten wenig beirren lassen wird – wenn sie diesem überhaupt auffallen. Auch wenn Mollerup nicht sagt, dass diese Kontraste zu Orientierungsproblemen führen, so legt seine Formulierung dies doch nahe. Der Grund, warum etwa bei diesem Bild, das als Foto deutlich weniger Witz auszudrücken im Stande ist, das ‚Archiv für Agrargeschichte‘ womöglich nicht gefunden wird, liegt weniger am Größenkontrast zum Werbeplakat als schlichtweg daran, dass es zu klein ist (Abbildung 154) und gleichermaßen gilt dies auch für den Wegweiser zur Berner Fachhochschule, der nicht einmal mit einem Werbeplakat in Konflikt gerät (Abbildung 155). Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht freilich nicht um Fälle, wo andere urbane Zeichenkomplexe wesentliche Teile des Informationsdesigns tatsächlich verdecken, sondern schlichtweg um die Frage der visuellen Konkurrenz. In Bezug auf diese kann – im Sinne des genus des ‚Darüber‘ – das Informationsdesign davon profitieren, dass Informationen durch ihren lokalen und situativen Bezug zum Publikum und durch ihre von diesem erwartete Gestaltung und Platzierung (Orte der Information) im agon um die Aufmerksamkeit auch dann Erfolg hat, wenn es ‚zurückhaltender‘ in Erscheinung tritt. Mehr noch: Die zurückhaltende Erscheinung kann die notwendige Bedingung sein, um vom Publikum nicht schon als Werbung ausgeblendet zu werden. Abbildung 154 (links) und 155 (rechts)
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3.4.2 Genus ‚Darunter‘ – Strategien der Funktionalisierung Wenden wir uns nun der Neutralität im Sinne des genus des ‚Darunter‘ zu. Dieses genus, das – wie oben bereits beschrieben – genutzt wird, um sich durch einen Rückzug auf das (vermeintlich bloß) Gegebene dem agon zu entziehen, arbeitet vor allem auf der Ebene der (rhetorischen) Transformation von Daten in Informationen. Wie wir bereits gesehen haben, sind Informationen nicht rhetorisch neutral, sondern das Ergebnis eines mehrteiligen Transformationsprozesses von Daten (dem Gegebenen) in adressierte, ein situativ bedingtes Informationsinteresse genügendes und damit auf einer doppelten Identifikation des Rhetors mit dem Publikum und des Publikums mit dem orator beruhende Darbietungen. Dieser Transformationsprozess lässt sich im Kern mit den Grice’schen Kommunikationsmaximen beschreiben, der vier Aspekte des Prozesses unterscheidet: Qualität, Quantität, Relation und Darbietungsweise. Im vorliegenden Unterkapitel soll nun versucht werden, diese vier Kategorien auf die Gestaltung von Informationen im Informationsdesign zu übertragen. Dabei wird die These vertreten, dass die Neutralität des genus ‚Darunter‘ durch eine Umkehrung des oben beschriebenen Transformationsprozesses zur Wirkung kommt. Das heißt: Während es der Gegenstand jedes gelungenen, informativen Kommunikationsaktes ist, Daten durch eine erfolgreiche und überzeugende Umsetzung der Grice’schen Maximen in Informationen zu transformieren, zielt der Neutralitätseffekt des genus ‚Darunter‘ darauf ab, diesen Transformationsprozess zu dissimulieren und damit scheinbar nichts als bloße Daten zu präsentieren. Dabei gilt: Würden tatsächlich lediglich Daten präsentiert, so wäre diese Präsentation – unserer obigen Unterscheidung folgend – per se nicht informativ und damit im Bereich des Informationsdesigns eben gerade nicht funktional. Der Neutralitätseffekt des Informationsdesigns meint hiernach also keine tatsächliche Präsentation bloßer Daten, sondern lediglich eine Darbietung, die beim Publikum den Eindruck entstehen lässt, es selbst würde die präsentierten (scheinbaren) Daten zu vollständigen Informationen interpretieren. Im Kern wird damit der Unterschied bezeichnet zwischen dem ‚Informiert-Werden‘ und dem ‚Sich-selbst-Informieren‘. Neutral im Sinne des genus ‚Darunter‘ wirkt eine Gestaltung von Informationen, die als solche bereits den Transformationsprozess in weiten Teilen leistete und damit auch tatsächlich zum Informieren genutzt wird, wenn es gelingt, beim Publikum den Eindruck zu erwecken, es selbst habe sich informiert. Es geht also im Weiteren darum, Ordnungsstrukturen der Quantität, Qualität, Relation und Darbietungsweise in den Blick zu nehmen, die zugleich – im Sinne Grice’ – informativ sind und dennoch – in einer scheinbaren Gegenläufigkeit zu Grice – den Eindruck erwecken können, dem Publikum nichts als die Datenmenge zu präsentieren, was letztlich nichts anderes heißt, als dass Motivstrukturen in der Gestaltung vom Publikum nicht erkannt und auch nicht unterstellt werden. Neutrale Gestaltung im Sinne des genus ‚Darunter‘ erzeugt auf diese Weise auf der einen Seite den Ein-
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druck einer Autonomie des Publikums im Umgang mit den vermeintlich bloßen Daten, die dieses wiederum auf der anderen Seite als die rein auf Funktionalität bedachte Weise der Gestaltung zurückführen kann. Nachfolgend sollen kurz die vier Kategorien der Grice’schen Kommunikationsmaximen in ihrem Bezug zum hier behandelten Gegenstand besprochen werden, um von da aus über einige Strategien des genus des ‚Darunter‘ zu sprechen zu kommen. 3.4.2.1 Maxime der Quantität Die Maxime der Quantität beinhalten für Grice vor allem zwei recht einfache Forderungen: „1. Make your contribution as informative as is required (for the current purposes of exchange). 2. Do not make your contribution more informative than is required.“82 Bei Grice geht es mit dieser Sprechermaxime, deren Komplement die Implikatur derselben Maxime auf der Empfängerseite darstellt, darum, nicht mehr und nicht weniger an Information zu geben, als für den Empfänger in seiner situativen Verortung notwendig ist. Von der Seite des Empfängers wird – darin besteht die Implikatur – diese Maxime zugleich als Interpretationsgrundlage für die empfangene Äußerung genutzt, so dass dieser – wenigstens vorerst – unterstellt, nicht mehr und nicht weniger an Information als nötig erhalten zu haben. Wird weniger geliefert, so ist klar, dass die Mitteilung unvollständig ist. Aber auch wenn mehr geliefert wird, kann es zu kommunikativen Problemen kommen: „However, it might be answered that such overinformativeness may be confusing in that it is liable to raise side issues; and there may also be an indirect effect, in that the hearers may be misled as a result of thinking that there is some particular point in the provision of the excess of information.“83 Es geht also darum, dass der rhetor sich mit seinem Zielpublikum und dessen situativer Verortung identifiziert, um so gezielt die Information geben zu können, die für das Zielpublikum wenigstens der Intention nach relevant ist. Eben in diesem Bezug zur Relevanz liegt auch die Nähe der Maxime der Quantität zur Maxime der Relation begründet, für die Grice nur eine einzige Empfehlung gibt: „Be relevant.“84 In vergleichbarer Weise schreibt auch Berger mit Verweis auf den Designer Massimo Vignelli, der für die New Yorker Subway den Netzplan entwarf: „No map should do any heavy lifting.“85 Er führt dazu aus: „Massimo [Vignelli] established an innovative system for New York that is standard for nearly every large-scale transportation system around the world. This system is based on the philosophy that no one environmental map should do all the heavy lifting for an entire system. Massimo realized that paper maps fell apart in real-world settings because they tried to provide all 82 Grice 1989. S.26. 83 Ebd. S. 27. 84 Ebd. 85 Berger 2009. S. 31.
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the information a user would need even when they needed only limited information to find their way. This holds especially true in the public transportation sphere, where the user is either a pedestrian with extensive orientation needs, or inside a public vehicle with few environmental clues for orientation.“86
Was Berger hier im Sinne Vignellis zusammenfasst, bezeichnet letztlich nichts anderes als das, was die Quantitätsmaxime im Kommunikationszusammenhang besagt: Der rhetor sollte versuchen, die Menge der Informationen der situativen Verortung seines Zielpublikums gegenüber adäquat zu begrenzen. Zu diesem Zweck empfiehlt Berger für die Gestaltung von Karten und Orientierungsplänen – wo es möglich ist und sinnvoll erscheint – eine Splittung der Information auf vier Aspekt-Karten: „Instead of one map, a transportation system should rely on four different map systems for orientation.“87 Diese vier Karten sind: a) systemische Karten, b) geographische Karten, c) Umgebungskarten und d) verbale Karten. Hier an der Haltestelle ‚Wander‘ in Bern finden sich drei dieser vier Karten wieder: (Abbildung 156) Durch das ‚I‘ im Raum und natürlich durch die HaltestellenStele wird der ‚Ort der Information‘ bereits aus der Ferne ausgewiesen. Dann finden wir eine geographische Überblickskarte zur Verortung im Stadtganzen (Abbildung 157), und an der Stele (Abbildung 158) ist auch eine systematische Karte, ein Netzplan zu finden; einmal als Ganzes (Abbildung 159) und dann als Teilsequenz (Abbildung 160). Darunter dann ein dritter Typus: die Umgebungskarte (Abbildung 161). Eine zusätzliche verbale Karte – als vierter Typus – ist in der Situation des Straßenbahnreisenden wohl unnötig gewesen, kann aber in anderen Fällen sehr wohl nützlich sein. Insbesondere beispielsweise, wenn es darum geht, auch gezielt Werbung für den Weg zu machen, wie dies etwa bei thematischen Routenbeschreibungen, wie die ‚Wege zu Klee‘ in Bern oder die ‚Deutsche Fußballroute‘ in Nordrheinwestfalen der Fall ist.88 Durch die Aufteilung der Information auf verschiedene Karten wird es möglich, dass der Benutzer mit je gezielten Frage- und Problemstellungen leichter die hierfür antwortgebende Informationsquelle finden kann. Damit wird es zugleich möglich, Passanten mit ganz unterschiedlichen Motivlagen ausreichend zu informieren, ohne selbige zu überfordern. Für den Straßenbahnreisenden wird dementsprechend in einer bestimmten Situation die Teilsequenz der systematischen Karte, die die nachfolgenden Haltestellen linear und zeitlich ordnet – und damit übersichtlich und leicht verständlich zum Ausdruck bringt – informativer sein als die geographische Karte, die ihren Zweck vor allem für jene erfüllt, die beispielsweise zu Fuß unterwegs sind und sich am ‚I‘ im Raum bloß zu orientieren gedachten, nicht aber die
86 Ebd. 87 Ebd. 88 Vgl. Smolarski 2017.
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Abbildung 156 (oben links), 157 (oben rechts), 158 (unten links), 159 und 160 (rechts), 161 (unten rechts)
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Straßenbahn nehmen wollten. Hingegen kann die Umgebungskarte, insbesondere da sie auch die Hausnummerierungen beinhaltet, sehr hilfreich für denjenigen sein, der eine konkrete Adresse in der Nähe sucht. Eine Karte, die alle diese potentiellen Informationen – ob etwas eine Information ist, hängt letztlich auch vom Rezipienten ab – enthielte, wäre klarer Weise deutlich schwerer zu lesen und würde leicht einen großen Teil des potentiellen Publikums vom Gebrauch abschrecken. Andererseits wäre eine solche Karte aber für bestimmte Informationsbedürfnisse wiederum angebrachter: Durch die Splittung der Information ist es für den Benutzer mit erheblichem Aufwand verbunden, beispielsweise die Frage zu beantworten, welchen Weg mit welchen Reisemitteln (zu Fuß, Bus, Straßenbahn, etc.) mit welchen Umsteigemöglichkeiten an welchem Ort er nehmen sollte, wenn er den direkten Weg von einem Punkt A zu einem Punkt B im Stadtraum sucht. Dass es sich hierbei nicht um eine bloß theoretisch konstruierte Frage handelt, sondern dass diese im Grunde vielmehr als eine Grundfrage jedes Orientierungsprozesses überhaupt angesehen werden kann, leuchtet sicherlich ein. Es ist in diesem Zusammenhang aber Folgendes zu bedenken: Die Menge der möglichen Wege, über die ein urbanes Publikum informiert zu sein wünschen könnte, ist unabsehbar groß: Die Menge enthielte idealiter alle Wege von jedem möglichen A zu jedem möglichen B. Es ist daher zu vermuten, dass diese Frage mit analogen Mitteln nicht gestalterisch umgesetzt werden kann. Die Splittung der Information erscheint vor diesem Hintergrund notwendig; sie macht aber zugleich – auf Seiten des Rezipienten – eine sequenzielle Zerlegung der intendierten Reiseroute notwendig, ein Denken in Etappen. 3.4.2.2 Maxime der Qualität Die Maxime der Qualität sei hier nur kurz behandelt, da später auf diese zurückzukommen sein wird. Grice versteht unter der Maxime der Qualität vor allem eine Forderung, die im Kontext des vorliegenden Untersuchungsgegenstandes vielleicht zunächst trivial anmuten könnte: „1. Do not say what you believe to be false. 2. Do not say that for which you lack adequate evidence.“89 Informationen sollen demnach nur dann weitergegeben werden, wenn diese wahr sind oder der rhetor zumindest doch von deren Wahrheit begründet überzeugt ist. Kurzum: Es geht um die Wahrhaftigkeit des rhetors. Damit ist ein wesentlicher Aspekt des ethos angesprochen – auf den am Ende des Kapitels einzugehen sei wird –, der nicht zuletzt auch die Funktionalität und damit den logos-Aspekt (im Sinne Buchanans) beeinflusst. Kurz: Wer wissentlich falsche oder irreführende Informationen weitergibt, dem kann nicht eine Informationsintention, sondern dem muss die Absicht zur Desinformation unterstellt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn – wie im Falle eines fakes90 – gleichzeitig von einem ethos parasitärer Gebrauch gemacht wird, das ein gewisses Vertrauen 89 Grice 1989. S. 27. 90 Siehe dazu: Kapitel V.
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beim Publikum genießt. Das subversive Spiel mit dem ethos, dem Wahrhaftigkeit zugeschrieben wird, der wahrgenommenen Neutralität der Gestaltung und der dargebotenen (vermeintlichen) Information, ist eines der wesentlichen Elemente des fakens und macht mitunter, wenn der fake schließlich erkannt wird, dem Publikum seine Abhängigkeit vom rhetor und seine diesbezüglich deutlich beschränkte Autonomie, sich selbst informieren zu können, bewusst. Eine wesentliche Form des Wahrheitsbezugs im Informationsdesign, der vergleichsweise unabhängig vom ethos zu operieren scheint, ist mit der bereits oben behandelten Strategie der Substantivierung gegeben. Wie oben bereits thesenartig formuliert wurde, kann vermutet werden, dass ein auf neutrale Wirkung bedachtes Informationsdesign deutlich mehr Substantive und Eigennamen in den Mittelpunkt rückt als wertende Adjektive und dass durch diesen Rückgriff auf eine Ebene bloßer Denotation eben auch die Wahrheitsfrage umgangen wird, oder besser: scheinbar umgangen wird. Tatsächlich ist mit der substantivischen Setzung noch keine Information gegeben. Diese entsteht beispielsweise bei einem Netzplan, wo alle relevanten Worte Substantive oder Eigennahmen sind, erst durch die Gestaltung. Das heißt: Durch die visuellen Verbindungen zwischen den Worten; durch die Anordnung der Worte samt ihrer Verbindungen in der Fläche, die Nähe und Ferne auch dann suggerieren können, wenn dem Betrachter eigentlich klar sein müsste, dass derlei Rückschlüsse bei Netzplänen im Allgemeinen nicht möglich sind; durch Zentrierung (zumeist auf den Hauptbahnhof) auf einen Ort, der damit auch als Zentrum (mit weitreichenden Konnotationen) wahrgenommen werden kann; durch Hervorhebung von Umsteigemöglichkeiten, die überdies damit auch leicht als ‚Orte von Bedeutung‘ über ihre Bedeutung als Umsteigeort hinaus erscheinen mögen und durch vieles mehr. Dass auch ein Netzplan mit weitreichenden Konnotationen versehen sein kann und daher eben auch auf das ethos eines orators angewiesen ist, machte bereits das eingangs in dieses Kapitel gegebene Beispiel des ‚Graffiti for London‘-Plans deutlich. 3.4.2.3 Maxime der Relation Zur Maxime der Relation schreibt Grice kurz und bündig: „Under the category of Relation I place a single maxim, namely, ‚Be relevant.‘“91 Diese einfach anmutende und knappe Formulierung verdeckt die zum Teil erhebliche Komplexität dieser Forderung. In diesem Sinne führt Grice zur Konkretisierung aus, die Forderung nach Relevanz beinhalte eben auch „questions about what different kind and focuses of relevance there may be, how these shift in the course of a talk exchange, how to allow for the fact that subjects of conversation are legitimately changed, and so on.“92 Da Grice die Kommunikationsmaximen als Konversationsmaximen des face-to-face91 Grice 1989. S. 27. 92 Ebd.
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Gesprächs entwickelt, selbige hier aber übertragen werden sollen auf den Bereich der sermo absenti ad absentem durch Kommunikations- und Informationsdesign, kann der Komplexität der Kategorie der Relevanz in diesem Sinne hier vielleicht treffender mit dem Wort der Situationsangemessenheit Rechnung getragen werden, da eben durch den Situationsbegriff bereits der Bezug zu Motiv, Handlung und Ausdrucksform mitgenannt wird.93 In Bezug auf die Situationsangemessenheit kann hier vor allem auf die Rolle des ‚placement‘ verwiesen werden, die bereits oben ausführlich anhand der Auseinandersetzung mit den ‚Orten der Information‘ und dem ‚I‘ im Raum besprochen wurde. Dabei ist zu betonen, dass die Situationsangemessenheit, die ein Objekt verstehen hilft, mehr meint als bloße konnotative Bedeutungsspielräume und vor allem da zum Tragen kommt, wo es um den handelnden Umgang mit Objekten geht. So mag zwar durch die Kontextualisierung in diesem Beispiel (Abbildung 162) eine – vielleicht etwas bissige – konnotative Bedeutungsverschiebung stattfinden, wenn eine ‚Ü 30-Party‘ auf einem Abfallcontainer beworben wird, allerdings wird mit diesem Plakat nicht handelnd umgegangen. Trotz dieser Kontextualisierung wird der Sinn des Werbeplakats und sein Verständnis als Werbeplakat nicht beeinträchtigt. Wohingegen beispielsweise ein Gebrauchsobjekt durch Situationsverschiebungen womöglich tatsächlich nicht mehr oder zumindest nicht mehr in gleicher Abbildung 162
93 Siehe zum Situationsbegriff: Kapitel II.
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Weise als Gebrauchsobjekt zu erkennen und zu handhaben ist. In dieser Weise wird die Situationsangemessenheit auch zu einem wichtigen Werkzeug leicht erkennbaren und handhabbaren Informationsdesigns, wobei die Identifizierung eines ‚Ortes der Information‘ tragend sein kann. Ging es bei der Analyse der Rolle der ‚Orte der Information‘ im Kontext des genus des ‚Darüber‘ jedoch vor allem um die Fragen der Aufmerksamkeit, so soll hier der Blick leicht verschoben auf die eng damit verbundenen Fragen der Angemessenheit gerichtet werden. Diese leichte Blickverschiebung kann – da Wesentliches dazu bereits ausgeführt wurde – hier allerdings kurz gehalten werden und es bietet sich an, hierfür eine Kontrastfolie zu entwerfen, die helfen wird, das Verhältnis von Situationsangemessenheit und Neutralität zu beleuchten: Eindrücklich lässt sich die Rolle der Platzierung durch die Kunst des Ready-Made zeigen, mit der Künstler wie Marcel Duchamp und andere (vornehmlich Dadaisten) die Kunstwelt nachhaltig beeinflussten. Die Idee des Ready-Made – so wie sie hier verstanden werden soll – beruht dabei im Kern auf einem Spiel mit eben genau der Situationsangemessenheit. Ein industriell hergestelltes, handelsübliches Urinal ist ein Objekt, das an verschiedenen Orten und in mit diesen Orten assoziierten Situationen sinnhaft ist: auf der Bahnhoftoilette, auf der Ladefläche eines Transporters mit der Aufschrift ‚Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik‘, in der Lagerhalle einer Firma für Sanitäranlagen, etc. Eben weil diese Orte situativ bestimmt sind, kann dem Objekt darin eine Funktion und damit Sinn zugesprochen werden: Es ist platziert. Und da es platziert (und damit auch funktionalisiert) ist, kann es leicht als neutral wirkend begriffen werden. Der gleiche Gegenstand, wenn er als Ready-Made in einem Museum ausgestellt wird, kann dann als deplatziert gelten und soll es auch, wenn mit dieser Ausstellung eine Provokation oder zumindest doch eine Irritation des Publikums intendiert sein soll, die, sollte sie erfolgreich sein, freilich einer neutralen Wirkung entgegensteht. Als ein Ort, der von seinen Besuchern stets einen ästhetischen Abstand zu den Objekten einfordert, der also – vereinfachend – stets ein Ort der Frage ist, was der Künstler damit wohl auszudrücken gedachte, ist das Kunstmuseum kein Ort der Neutralität. Genauer müsste gesagt werden, dass es freilich auch in einem Museum Objekte gibt, die – eben aufgrund ihrer ‚Wohlplatziertheit‘ oder Situationsangemessenheit – durchaus neutral wirken können: Stühle, Wegweiser, Beschilderungen, etc. In gleicher Weise werden auch im Alltag verschiedene Gegenstände je nach Platzierung unterschiedlich bewertet, sie werden mit unterschiedlichen oder überhaupt mit adjektivischen Bestimmungen versehen: Was bloß ‚Schuhe vor der Tür‘ sind, wird zu ‚dreckigen‘ Gegenständen, wenn diese auf dem Esstisch platziert sind; was bloß ‚Nahrungsmittel im Kühlschrank‘ sind, wird zu einem ‚unhygienischen‘ Gegenstand, wenn dieser im Bett liegt; und was bloß ein ‚Abfahrtsplan der SBB‘ ist, wird zu einem ‚ästhetischen‘ Gegenstand oder einem
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Abbildung 163 (oben) und 164 (unten)
‚exemplarischen‘ Beleg, wenn dieser in einer Vortragssituation verwendet wird (Abbildung 163). Hierin wird zweierlei deutlich: Zum einen ist Deplatzierung eine wesentliche Strategie der Provokation, Irritation oder Subversion und des Humors (Abbildung 164). In der hier gezeigten Deplatzierung des Verkehrsschildes wird ein Zeichen der Geschwindigkeitsbegrenzung durch Deplatzierung zu einem Zeichen für den Humor des Hauseigentümers. Es gilt zum anderen aber auch – und das steht mit dem erstgenannten im Zusammenhang –, dass eine situationsangemessene Platzierung dem Publikum bereits Interpretationsangebote machen kann, so dass dieses die Funktion und die Gebrauchsweise des betreffenden Objektes oder eben auch – wenn die Gebrauchsweisen bekannt sind – die Bedeutung des Aufstellungsortes schneller und leichter erkennen kann.
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3.4.2.4 Maxime der Darbietungsweise Zur Maxime der Darbietungsweise schreibt Grice: „Finally, under the category of Manner, which I understand as relation not (like the previous categories) to what is said but, rather, to how what is said is to be said, I include the supermaxim – ‘Be perspicuous’ – and various maxims such as: 1. Avoid obscurity of expression. 2. Avoid ambiguity. 3. Be brief (avoid unnecessary prolixity). 4. Be orderly.“94
Hieran ist mehreres bemerkenswert: Zum einen meint Grice offensichtlich – aufgrund einer unterstellten Trennung von Inhalt und Form – die bereits besprochenen Maximen beträfen nicht die Form, sondern den Inhalt und diese vierte Maxime sei bloß eine Maxime der Form und nicht des Inhalts. Es sei an dieser Stelle auf die kritische Auseinandersetzung mit der Metapher vom sprachlichen Gewand verwiesen, die bereits deutlich machte, dass eine solche Trennung mindestens problematisch ist.95 Sowohl der Umfang der Information (Maxime der Quantität), die Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit der Information (Maxime der Qualität) als auch die Relevanz der Information (Maxime der Relation) sind eben keine bloßen Fragen des Inhalts, sondern stets auch der kommunikativen Form. Dies gilt umso mehr, als diese Maximen und ihre Erfolgsbedingungen sich nicht unabhängig vom Adressaten denken lassen und in ihrer Form notwendig bei verschiedenen Adressaten auch verschieden ausfallen müssen. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich also nicht von der Maxime der Darbietungsweise. Zum anderen ist an der Maxime der Darbietungsweise, so wie Grice sie einführt, interessant, dass seine Darstellung deutliche Parallelen zu einigen rhetorischen Tugenden aufweist, insbesondere zur latinitas, perspicuitas (zum einen als Klarheit des Ausdrucks aber auch als Klarheit der Ordnung) und brevitas. Es geht also darum, dass Informationen idealerweise kurz, präzise, verständlich in ihrer Ordnung und verständlich in ihrer Sprache, also korrekt, formuliert werden sollen. In diesen Bereich gehören daher letztlich im Bereich der Gestaltung von Informationen alle Anweisungen, die die Lesbarkeit, Verständlichkeit und Benutzerfreundlichkeit betreffen und die oft Gegenstand zahlreicher Designhandbücher sind. So verweist etwa David Gibson und in gleicher Weise auch viele andere in diesem Zusammenhang auf Folgendes: „Because signage must often be read at a distance by pedestrians walking quickly or passengers in moving cars, letterform legibility is critical to the success of a wayfinding program. Two
94 Grice 1989. S. 27. 95 Siehe dazu: Kapitel IV.
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important characteristics of letterform affect the legibility of messages: the height of the lowercase letterforms, or x-height, and the openness of the voids inside the letters, or counter space.“96
In gleicher Weise finden sich in den Designhandbüchern wichtige Hinweise zu Farbe, Kontrast, Größe, Form, Aufstellungsort, Material, Tag/Nacht-Wirkung, Beleuchtung, den Gebrauch von Piktogrammen und vielem mehr.97 Auf einige dieser Gestaltungsaspekte ist bereits an anderer Stelle98 eingegangen worden, andere – die im Zusammenhang mit der Maxime der Darbietungsweise durchaus wichtig sind – müssen hier unbesprochen bleiben; zum Teil, weil eine genaue Analyse den Rahmen dieses Kapitels sprengen würde, zum Teil, weil sich, etwa zu Fragen der Lesbarkeit, vermutlich wenig Ergiebiges aus einer rhetorischen Perspektive sagen lässt. Im Weiteren soll es daher vor allem um einen Aspekt gehen, der durchaus eine rhetorische Dimension zu haben scheint, nämlich die Rolle der Ordnung für die Gestaltung von Informationen. Wir haben diesbezüglich bereits über die ‚user cognitive models‘ (UCMs) bei Krippendorff und Norman und die Rolle von mappings gesprochen. Diese kommen besonders deutlich an dieser Stelle zum Tragen, was an einigen Beispielen zu illustrieren ist. Mapping meint die Transformation eines Gegenstandsbereichs in einen anderen, die aufgrund von UCMs leicht erkannt und nachvollzogen werden kann. Dabei müssen die dem Publikum zur Verfügung stehenden UCMs nicht korrekt sein oder gar den tatsächlichen Transformationsfunktionen entsprechen, die der Gestaltung zugrunde lagen, sondern sich lediglich als zielführend erweisen. In Bezug auf kartographische Informationen muss der Betrachter also nicht die Übertragung von räumlichen Datenmengen in kartographische Informationen en detail nachvollziehen können, er muss bloß in der Lage sein, letztere so lesen zu können, dass er Rückschlüsse über erstere ziehen kann, die sich als hinreichend erweisen. Dieser Lesevorgang vollzieht sich dabei auch durch UCMs. Schauen wir uns diese UCMs, die nichts anderes als bedeutungsgenerierende Lesevorschriften sind, an Beispielen an: Wer beispielsweise das ‚Alpenpanorama von der Bundesstraße in Bern‘ (Abbildung 165) lesen und damit anwenden will, um sich in seiner sichtbaren Umgebung zu orientieren, der nutzt ein simples Schema. Die Funktion, die die Transformation sichtbarer Gebirgszüge und Bergspitzen auf eine Tafel dieser Art zulässt und deren Umkehrung die Orientierung ermöglichen soll, ist schlichtweg mit den Sichtachsen vom Standort der Tafel aus gegeben. Zur Kontrolle
96 Gibson, D. 2009. S. 80. 97 Vgl. dazu u.a.: Schneller/Scheuermann 2012, Mollerup 2013, Gibson, D. 2009, Berger 2009. 98 Vgl. Smolarski 2017.
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Abbildung 165
dieser Zuordnung dienen dabei nicht nur möglichst charakteristische Darstellungen eben dieser Bergspitzen und Gebirgszüge, sondern auch die Darstellung von Gebäuden oder Teilen von Gebäuden. Letztere ermöglichen dem Betrachter eine Zuordnung und Zielerfassung, deren Prinzip das gleiche ist, wie das Zielen über Kimme und Korn bei einem Gewehr oder einem (touristischen) Teleskop (Abbildung 166). Nun ist es allerdings keinesfalls so, dass jede karto- oder geographische Repräsentation einem UCM folgt. Die Repräsentation des Donauverlaufs in Donaueschingen, also dem Ort der Donauquelle, beispielsweise (Abbildung 167) dient weniger der Orientierung und bedarf auch keines handelnden Umgangs mit selbiger, sondern ist wohl eher als ein Beitrag zum place-making zu verstehen, der die Bedeutung des Ortes Donaueschingen durch die Verbindung desselben entlang der Donau mit bedeutenden Orten (etwa Wien oder Budapest) herausstellen soll. Beide Installationen, die Infotafel in Bern ebenso wie die geographische Repräsentation in Donaueschingen, dienen dem place-making, jedoch folgt lediglich die Tafel in Bern einem klaren UCM. Ein anderes Beispiel kann zeigen, dass nicht jede Repräsentation, die einem UCM folgt, als ein Mittel des place-makings fungieren muss. Die Anzeige der nächsten Stationen in einer Berner Straßenbahn (Abbildung 168) macht dies deutlich. Die Abfolge der Stationen folgt einem Muster, demnach oben rot unterlegt sich die aktuelle Station befindet und darunter die kommenden Stationen. Hervorgehoben sind dabei die aktuelle Station und ebenso die Zielstation, so dass der Benutzer der Straßenbahn in selbiger stets kontrollieren kann, ob er sich in der richtigen Bahn befindet. Wie bereits zuvor in Bezug auf die ‚heads-up‘-Karten festgestellt wurde, gibt es auch hier analog zwei verschiedene UCMs, die der Benutzer in Anschlag bringen kann, um die Funktionsweise der Anzeige zu verstehen. Wer etwa in Bielefeld mit der Straßenbahn fährt, wird feststellen, dass dort die Anzeigerichtung genau umgekehrt ist (Abbildung 169): ‚oben‘ ist dort die Zielstation und unten ist die aktuelle Station angegeben. ‚Oben‘ wird demnach auf ‚vorne‘ abgebildet und ‚unten‘ auf ‚hier‘. Während diese Abbildungsfunktion einem Paradigma der Perspektive folgt, wo das, was
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Abbildung 166 und 167 (oben), 168 und 169 (Mitte), 170 und 171 (unten)
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weiter weg ist auch weiter oben im Bildraum zu finden sein muss, folgt die Abbildungsfunktion der Berner Anzeigetafel einem Paradigma unserer Leserichtung, wo das, was oben ist zeitlich vor dem gelesen wird, was sich darunter befindet. In dieser Weise kann gesagt werden: Die Bielefelder Anzeige folgt einem räumlichen, die Berner Anzeige einem zeitlichen Paradigma. Diese letztgenannte Abbildungsfunktion findet sich gleichermaßen etwa auch bei der Anzeige von Zügen sowohl bei der DB als auch bei der SBB (Abbildung 170 und 171). Letztlich entscheidet die Gewöhnung über den Erfolg dieser Abbildungsfunktionen, allerdings ist festzuhalten, dass – um in unserem Beispiel zu bleiben – für einen Bielefelder, der zum ersten mal nach Bern kommt, die ungewohnte Darstellung zum einen zu Irritationen führen kann und zum anderen – damit im Zusammenhang stehend – die ‚Gestaltetheit‘ der Anzeige in den Blick geraten lässt. Irritationen und Störungen der Abläufe – das wurde bereits durch den Zusammenhang von Funktionalität und Vertrauen deutlich – sind stets Anlässe, die vermeintliche Neutralität der Darstellungsweise zu hinterfragen. 3.4.3 Genus ‚Inmitten‘ – Strategien der Ausgewogenheit Wenden wir uns zum Abschluss dem genus des ‚Inmitten‘ zu. Wie wir diesbezüglich oben bereits herausgearbeitet haben, hängen mit diesem genus insbesondere Fragen der Ausgewogenheit zusammen. Im urbanen agon kann der Position, der Ausgewogenheit attestiert wird, eben auch Neutralität zugeschrieben werden, die mitunter das Vertrauen in die Informationsquelle und damit auch in die dargebotenen Informationen beeinflussen und auf diese Weise einen erheblichen Beitrag zur Funktionalität des Informationsdesigns leisten kann. Die Frage ist zunächst, in welchem agon die Position des genus des ‚Inmitten‘ einen solchen Beitrag zu leisten vermag. Hierbei kommen bereits auf den ersten Blick verschiedene ‚agone‘ in Frage: Etwa die Frage eines ausgewogenen Umgangs mit Informationen der Konkurrenz oder Fragen eines ausgewogenen Umgangs mit den notwenigen Selektionsprozessen bei der Auswahl urbaner Destinationen, auf die hingewiesen werden soll. Diesen und vielen anderen Fragen übergeordnet, stellt sich aber zunächst folgende Frage: Insofern jedes Informationsdesign in erster Linie von seiner eigenen Funktionalität überzeugen muss und dabei aber stets auch als Aushängeschild und damit potentieller Werbeträger des informierenden Unternehmens (des orators) fungieren soll, wie lassen sich dann diese beiden Aspekte in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander setzen? Etwas zugespitzt formuliert kann gefragt werden: Wie viel Werbung verträgt das Informationsdesign? Im Kern betrifft diese Frage letztlich das Verhältnis im auf Neutralität (im Sinne des genus des ‚Inmitten‘) bedachten Informationsdesign von logos auf der einen Seite und ethos und pathos auf der anderen Seite. Das Nachfolgende versteht sich als ein Beitrag vor allem zu dieser letztgenannten Frage – und damit als eine Auswahl unter vielen möglichen Fragen der Ausgewogenheit. Zur Beantwortung dieser Frage kann zunächst auf die Arbeit von Scheuermann und Schneller aufgebaut werden, die in
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Visuelle Rhetorik 2 bereits das Verhältnis von logos, ethos und pathos im Informationsdesign des öffentlichen Verkehrs untersuchten. Durch eine Reihe von Experteninterviews und Rezipientenbefragungen stellen die Autoren Listen von Wirkzielen zusammen, die sie den Bereichen des logos, ethos und pathos zuordnen. Infolge ihrer Arbeit ergeben sich Wirkzielkombinationen wie sie hier abgebildet sind (Abbildung 172). Auf den ersten Blick fällt auf – und wird auch so von den Autoren betont –, dass die Liste der logos-Ziele, über die bereits im Laufe dieses Kapitels ausführlich Abbildung 172
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gesprochen wurden, deutlich überwiegt. Es scheint im Falle des öffentlichen Verkehrs und den damit verbundenen Situationen so zu sein, dass die Funktionalität (logos) sich nur mit subtileren Bezügen zu ethos und pathos gewährleisten lässt. Genauer schreiben die Autoren dazu, dass die Bereiche des ethos und pathos sich allein durch ihren Bezug zum logos rechtfertigen lassen und damit in einer Wechselwirkung stehen: „Die Logos-Ebene (Funktionalität) wirkt sich oft unterstützend auf EthosEbene (Zuverlässigkeit, Qualität, Sicherheit) und teilweise sogar Pathos-Ebene (Wohlbefinden, Attraktivität) aus.“99 Wie innerhalb dieses Kapitels deutlich wurde, ist es nicht nur so, dass eine als angemessen und gelungen wahrgenommene Funktionalität sich positiv auf das zugeschriebene ethos auswirkt, sondern ebenso umgekehrt, dass ohne ein ethos, das – im Sinne Aristoteles‘ – Einsicht, Tugend und Wohlwollen ausdrückt, die Funktionalität gar nicht gewährleistet werden kann. Insofern kann gesagt werden – und das betonen auch Scheuermann und Schneller –, dass jede Bemühung im Informationsdesign eines Unternehmens (einer Kultureinrichtung, der Stadtverwaltung, etc.) stets ein Beitrag zu dessen Imagekampagne ist und zugleich von diesem Image her auch seine Funktionalität entfalten kann. Im genus des ‚Inmitten‘ wird demnach die Interdependenz von ethos-Inszenierung, als eine Werbung für den orator, und logos-Inszenierung, als eine Werbung für die Funktionalität, betont. Wichtig dabei ist aber letztlich, dass das Publikum, wenngleich beispielsweise mit einer Informationstafel eben auch für den orator geworben werden soll, diese Tafel in der Gebrauchssituation nicht als ‚werbend‘, sondern als ‚informierend‘ empfinden sollte. Bedeutsam wird das genus des ‚Inmitten‘ vor allem da, wo nicht nur der ‚Akt der verlässlichen Informationsweitergabe‘ letztlich als hauptsächliches Werbeargument fungiert, sondern wo offensichtliche Werbung für bestimmte Unternehmen oder Produkte auf einer Informationstafel mit integriert ist. Bevor wir uns abschließend diesem Punkt zuwenden, ist nochmals zu betonen, dass die Begriffe ‚Werbung‘ und ‚Information‘ freilich in keinem kontradiktorischen Widerspruch stehen. Jede Werbebemühung muss für dessen Zielpublikum eben auch informativ sein und jeder ‚Akt der verlässlichen Informationsweitergabe‘ ist – wie gesagt – letztlich ein Werbeargument für den orator. Stünden diese Begriffe in einem kontradiktorischen Widerspruch zueinander, wäre ein genus des ‚Inmitten‘, das eine vermittelnde Haltung bezeichnen soll, auch nicht denkbar. Eben aufgrund dieser Überlegung enthält die obige Frage, wie viel Werbung eine Bemühung im Informationsdesign vertrage, auch Aspekte der Frage, in welchem Ausmaß und unter welchen Bedingungen Werbung als ‚bloß informierend‘ wahrgenommen werden kann. Dies soll nun an drei Beispielen illustriert werden.
99 Schneller/Scheuermann 2012. S. 97.
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Wie oben bereits erwähnt, kann die Darstellung konkurrierender Unternehmen bereits eine Indienstnahme des genus des ‚Inmitten‘ darstellen. Die hier gezeigte Abbildung im Berner Hauptbahnhof (Abbildung 173) ist demnach in erster Linie als Informationstafel zu verstehen, die gleichermaßen auf verschiedene Möglichkeiten verweist, in der Umgebung einen Imbiss zu sich zu nehmen. Obgleich diese Unternehmen offensichtlich in der präsentierten Situation des Bahnhofsbesuchers miteinander konkurrieren (dieser wird allenfalls in einem dieser Restaurants etwas konsumieren), vermag die Darstellung aller Unternehmen zusammen auf einer Tafel den Eindruck einer Informationstafel zu erwecken. Die Werbeabsicht, die sich mit dieser Tafel verbindet, gilt weniger dem einzelnen Restaurant, sondern vielmehr dem Bahnhof der SBB, der RailCity. Wir werden auf diesen Aspekt zurückkommen. Zuvor soll an einem weiteren Beispiel deutlich werden, dass die informative Wirkung auch zusätzlich hätte verstärkt werden können, wenn die Unternehmen nicht nur auf derselben Tafel mit demselben Pfeil ausgewiesen werden würden, sondern zudem auch in ihrem ästhetischen Erscheinungsbild angeglichen wären. In dieser Weise verdankt diese Darstellung (Abbildung 174) seine informative Wirkung sowohl dem gelbbrauen Hinweisschild, das als ein Zeichen der ‚Touristeninformation‘ verstanden wird als auch der ästhetischen Homogenisierung der konkurrierenden Unternehmen. Das unmittelbare Werbeziel, ganz gleich, für welches Hotel sich der Tourist auch entscheiden mag, gilt hier der Stadt, die sich als ‚touristenfreundlich‘ darstellt. Kommen wir zurück auf die RailCity. Scheuermann fragt in einer Analyse der – mitunter konfligierenden – Verwendungsbestimmungen des Bahnhofs Bern als Reisebahnhof und Shopping Mall und bezüglich der sich daraus ergebenden Designaufgabe: „Wie können Reisende auf die Einkaufsmöglichkeiten im Gebäude hingewiesen werden, ohne den Ablauf der Zu- und Abgänge der Passagierströme zu stören?“100 Bezogen auf diese Frage, wendet sich Scheuermann vor allem wichtigen Fragen wie der Lenkung der Passantenströme zu, die im vorliegenden Kontext des Kapitels nicht thematisiert werden sollen. Eine mögliche Antwort in der Richtung dieses Kapitels wäre aber auch: Indem der Hinweis auf die Einkaufsmöglichkeiten nicht als Werbung, sondern als Informationsdienstleistung empfunden wird. Und in eben dieser Weise zeichnet die Shopping Mall ‚RailCity‘ eben auch die Hinweise auf die Lage der Geschäfte mit einem ‚I‘ aus, über dessen Rolle in diesem Kapitel schon ausführlich gesprochen wurde (Abbildung 175), und verweist auf der Orientierungstafel auf sich (als orator) nicht als Transportunternehmen SBB, sondern mit einem eindeutig im Shoppingkontext stehenden Piktogramm (Abbildung 176). In eine ähnliche Richtung wie die Beispiele der ‚RailCity‘ geht auch die Präsentation von Werbeanzeigen als Umrandung von Stadtkarten (Abbildung 177 und 178).
100 Scheuermann, Arne: RailCity oder Hauptbahnhof? Eine designtheoretische Interpretation von Transportströmen und Einkaufserlebnissen im Hauptbahnhof Bern. 2008.
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Abbildung 173 und 174 (oben), 175 und 176 (unten)
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Abbildung 177 (oben) und 178 (unten)
Die Anzeigen werden hier zwar deutlich als Werbung sichtbar, erfüllen aber zugleich eine Informationsfunktion, die vom Betrachter als Serviceleistung empfunden werden kann. Auf diese Weise wird eben nicht nur für die entsprechenden Hotels oder Freizeitaktivitäten geworben, sondern indem über diese zugleich informiert wird, wirbt auch die Stadt um sich als touristisch attraktiven Ort. Dieser Gedanke scheint
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auch hier (Abbildung 179) tragend zu sein, wo die Orientierungsfunktion der Pfeile am Radolfzeller Bahnhof eingebettet wird in eine Werbung für den Ort am Bodensee, die textlich auf den Anbringungsort am Bahnhof anspielt und damit einen zusätzlichen lokalen Bezug aufnimmt. Im Gegensatz zu den bereits besprochenen Beispielen ist das Plakat am Radolfzeller Bahnhof aber deutlich als Werbeplakat zu erkennen, was womöglich daran liegen kann, dass es weder eine logische Verbindung der richtungsweisenden Elemente zu Bild und Text des Werbeplakats zu geben scheint noch scheinen Bild und Text der Werbeanzeige überhaupt einen informativen Wert zu haben. Wenn richtungsweisende Elemente und Orientierungshilfen nicht nur als ästhetischer Schmuck oder als Zitat verwendet werden, sondern tatsächlich funktional bestimmt sind, sind sie damit im Allgemeinen auch Elemente des genus des ‚Inmitten‘ und lassen, in entsprechenden Situationen, auch klar erkennbare gewerbliche Zeichenkomplexe als neutral erscheinen: In dieser Weise mögen für den Suchenden die Hinweise dieser Art vor allem funktional erscheinen (Abbildung 180 und 181). In diesen Fällen wird die gegebene Orientierungshilfe nicht dazu dienend empfunden, Einfluss auf Entscheidungsprozesse zu nehmen, sondern schlichtweg den (einzigen) Weg zu genau dem Ziel zu weisen, das der Benutzer ohnehin erreichen wollte. Ob es sich nun um den Weg zum Gleis, den Weg zum Stephansdom oder den Weg zum Yoga-Zentrum handelt, spielt dabei keine Rolle. Nichtsdestotrotz sollte in diesem Kapitel deutlich geworden sein, dass auch da, wo bereits vom Publikum anvisierte Ziele und das Publikum in seiner situativen Verortung bestimmende Motivlagen Abbildung 179
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durch die Gestaltung von Information direkt bedient werden, komplexe rhetorische Prozesse stattfinden, deren Möglichkeiten, dem Publikum nötige Identifikationsangebote zu machen, für deren rhetorischen Erfolg entscheidend sind. Eine Palette an Möglichkeiten wurde hier unter den Stichworten Neutralität und Funktionalität verhandelt. Abbildung 180 (links) und 181 (rechts)
4. Z USAMMENFASSUNG Die klassische Rhetorik kennt drei Redegattungen, die mit je eigenen Regelsätzen rhetorisch behandelt werden: die Gerichtsrede, die Beratungsrede und die Festrede. Cicero nimmt die Behandlung der letzteren im zweiten Buch von De Oratore zum Anlass, über die Frage zu diskutieren, ob es darüber hinaus nicht noch eine Vielzahl weiterer Redeanlässe gäbe, die sich ebenfalls als rhetorische Redegattungen herausstellen ließen und kommt zu dem Schluss, dass er „nicht bei allem, was dem Redner irgendwann begegnet, wie unbedeutend es auch sein mag, so verfahren will, als ob man keine Rede ohne die dazugehörigen Vorschriften halten könne.“101 Es gibt, so terminiert Knape ausgehend von dieser Diskussion bei Cicero, diesen vermeintlich rhetorikfreien Bereiche, Texte, die „gewissen Regeln der rhetorikneutralen Skriptkommunikation“102 folgen. Was aber heißt es, Regeln vermeintlich rhetorikneutraler Skriptkommunikation zu folgen und warum sind diese Regeln dann keine rhetorischen Regeln? Die Textgattungen, von denen Cicero spricht und die Knape ebenfalls zum Anlass nimmt, von rhetorikneutraler Kommunikation zu sprechen, sind beispielsweise Zeugenaussagen und Befragungen, Befehlsausgaben und Berichte. Von diesen meint Cicero, dass „einem wortgewandten Mann […] auch in solchen Fällen die Fähigkeit, die er sich bei anderen Gelegenheiten und Anlässen angeeignet hat, 101 Cic. De Or. 2,47. 102 Knape, Joachim: Eigentlichkeit als Rhetorik-Frame. In: Eigentlichkeit. Zum Verhältnis von Sprach, Sprechen und Welt. Hrsg. von Claudia Brinker-von der Heyde, Nina Kalwa, Nina-Maria Klug und Paul Reszke. Berlin 2015. S. 51-84. Hier: S. 67.
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nicht fehlen“103 wird und diese Textsorten daher keiner eigenen rhetorischen Anweisungen und Vorschriften bedürfen. Wohlgemerkt schreibt Cicero hier, dass es für derlei – laut Knape rhetorikneutralen – Textsorten durchaus eines rhetorisch geschulten Mannes bedarf; auch wenn dessen Schulung eher nicht auf einer rhetorisch-theoretischen Unterweisung, sondern auf rhetorisch-praktischer Erfahrenheit basiert. Knape verkürzt diese Darstellung bei Cicero nun und meint, diese Texte seien allein auf der Basis von Konventionen, nicht aber von rhetorischen Regeln generierbar, was selbige, seiner Meinung nach, als rhetorikneutral qualifiziert. Ist dies aber wirklich so? Laufen Befragungen nach einem festen Skript und eben nur nach diesem? Spielen rhetorische Strategien des ethos (etwa Generierung von Vertrauen), des pathos (beispielsweise das Zeigen der Folterinstrumente) oder des logos (etwa Kosten-NutzenArgumente bezüglich etwaiger Strafminderung) wirklich keine Rolle? Folgen Berichte ausschließlich und notwendig einem Schema F und würden andernfalls nicht als Berichte gelten? Es ist hier nicht der Gegenstand, diese (im Grunde aber offensichtlich zu verneinenden) Fragen zu erörtern. Es sei bloß angemerkt, dass auch eine Parlamentsdebatte nach festen Konventionen geregelt ist, was für Knape jedenfalls kein Grund zu sein scheint, selbige als Skriptkommunikation zu qualifizieren. Festzuhalten bleibt: Was diese Diskussion eindrücklich zeigt, ist der Versuch (bei Cicero und noch deutlicher bei Knape), den Bereich des Rhetorischen zu begrenzen und sich (insbesondere bei Knape) als Rhetoriker damit gegen andere Disziplinen wie der Publizistik, Kommunikations- oder Medienwissenschaft abgrenzen zu können. Als Gegenbegriff des Rhetorischen firmiert dabei stets der Begriff des Neutralen. Eine Rhetorik der Neutralität, wie sie in diesem Kapitel entworfen wurde, muss demnach für Rhetoriktheoretiker wie Knape ein Widerspruch in sich sein, ein Oxymoron. Von der eben kurz umrissenen Problemlage, wonach Rhetorik und Neutralität sich gegenseitig auszuschließen scheinen, nahm das vorliegende Kapitel seinen Ausgang. Wie die eingangs getroffene Unterscheidung von Daten und Informationen deutlich machte, sind letztere niemals neutral. Und so hat es auch das Informationsdesign, insofern selbiges als eine wirkungsintentionale Gestaltungs- und Präsentationsweise von Informationen (und nicht bloß von Daten) verstanden wird, eben auch immer mit dem zu tun, was nicht als solches neutral ist. Wohl aber kann die gestaltete Darbietung von Informationen darauf setzen, neutral zu wirken. Neutralität ist eben keine Eigenschaft von Informationen (Information ist nicht neutral), sondern eine potentielle Wirkungsfunktion der Gestaltung von Information (Informationsdesign kann neutral wirken). Die Diskussion der rhetorischen Indienstnahme und Inszenierung von Neutralität, wie sie im vorliegenden Kapitel geführt wurde, liegt damit zunächst einmal in einem Bereich, der mehr umfasst als eine Untersuchung der Neutralität als Täuschung und Manipulation. Denn zwar lässt sich diese Indienstnahme auch zu täuschenden oder manipulierenden Zwecken gebrauchen, aber – und darauf 103 Cic. De Or. 2,49.
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lag der Fokus des Kapitels – vor allem auch zu Zwecken funktionaler Nutzung. Wenn Neutralität nicht als Eigenschaft, sondern als Wirkungsfunktion betrachtet wird, rückt das Publikum, auf welches eine Gestaltung wirken soll und das die Zuschreibung von Neutralität vornimmt (oder auch nicht), in den Mittelpunkt der Bestimmung von Neutralität: Als neutral erscheint demnach vor allem dann eine Gestaltung von Informationen (und damit die Information womöglich selbst), wenn dieser vom Publikum keine anderen diese Gestaltung begründenden Motive der Darbietung unterstellt werden als jene, die es selbst an es heranträgt; insbesondere keine den Publikumsmotiven zuwiderlaufenden. Informationsdesign kann also durchaus (unterstellte) Motive eines orators zum Ausdruck bringen, ohne deswegen als nicht-neutral wirken zu müssen. Zugespitzt lässt sich auf der Grundlage der Erörterungen des vorliegenden Kapitels sagen, dass Informationen, die einem Publikum präsentiert und vermittelt werden, insbesondere dann als neutral wirkend erscheinen, wenn das Publikum die Präsentation unter einem zweckrationalen Blickwinkel aufnimmt und dieser Aufnahme damit eine funktional bedingte, zielgerichtete Motivlage zugrunde liegt. Das Publikum erfährt sich in dem Moment wo es informiert wird als sich selbst informierend und damit in gewisser Hinsicht als autonomes, aktives Subjekt. Die rhetorischen Dimensionen des Informationsdesigns bestehen also vor allem in zwei Richtungen: Zum einen ist dieses Gefühl der Autonomie des Publikums durch zielgerichtete, zweckorientierte und räumlich sowie zeitlich gut platzierte Informationsdarbietung überhaupt erst herzustellen. Zum anderen – und das stellt die andere Seite derselben Medaille dar – ist der (begrenzten) tatsächlichen Autonomie des Publikums als einem die Gestaltung orientierendes Faktum Rechnung zu tragen. Es geht letztlich um rhetorische Möglichkeiten, den souveränen Umgang des Publikums mit den Darbietungen der Informationen zu ermöglichen und damit ein (mehr oder minder blindes) Vertrauen in selbige zu etablieren. Wenn man überhaupt im Sinne Knapes von Skriptkommunikation diesbezüglich sprechen will, so nicht in der Weise, dass die Rhetorik der Neutralität lediglich ein Widerspruch in sich sei und dass es sich beim Informationsdesign um einen rhetorikneutralen Bereich bloßer Skriptbefolgung handele, sondern (wenn überhaupt dann) eher in dem Sinne, dass eine rhetorisch gelungene Gestaltung unter der Vielzahl möglicher ‚Skripte‘ überzeugend (und bisweilen dabei auch Widerstände überwindend) einige davon dem Publikum zur Interpretation nahelegt, denen selbiges idealerweise auch folgt. Einige der zu diesem Zweck dienlichen rhetorischen Strategien, im Bereich vor allem des logos, aber auch des ethos und pathos, wurden im Rahmen des vorliegenden Kapitels in Form von drei genera der Neutralität systematisiert, die insbesondere auch aufzeigen, aus welchen agonalen Bedingungen heraus Neutralität als Wirkungsfunktion für Informationsdesigner relevant werden könnte. Eine der systematischen Leistungen des vorliegenden Kapitels bestand eben gerade darin, Neutralität nicht als bloß schemenhaften (vermeintlichen) Gegenbegriff des Rhetorischen stehen zu lassen, sondern differenzierter zu betrachten und Arten von auf Neutralität
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setzenden Wirkungsintentionen zu unterscheiden. Die Genera des ‚Darüber‘, ‚Darunter‘ und ‚Inmitten‘ betonen in diesem Sinne vor allem rhetorische Umgangsweisen mit Widerständen und (potentiellen) Konflikten. In eben dieser Weise vermag eine Rhetorik der Neutralität auch über Fragen der Designrhetorik hinaus relevant zu sein.
VIII. Schlussbetrachtung
Die nachfolgende Zusammenfassung fokussiert auf die systematischen Aspekte der hier entworfenen rhetorischen Theorie des Designs. Es geht darum, wesentliche Begriffe und kategoriale Unterscheidungen zusammenzuführen und abschließend in Form eines knappen Resümees zu präsentieren. Da diese Arbeit nicht von einer zentralen These oder Fragenstellung getragen war, sondern eher den Versuch einer Systematisierung eines Forschungsfeldes unternahm, kann die sich aus dieser Zusammenfassung ergebende Konklusion auch nicht im Sinne einer Antwort auf eine Frage oder Bekräftigung einer These ausfallen, sondern allenfalls in einem Aufzeigen möglicher Konsequenzen der vorgeschlagenen Systematisierung. Dieses Aufzeigen muss notwendig dann auch (zumindest ausblickhaft) den Aspekten Rechnung tragen, die in der vorliegenden Arbeit nicht oder zumindest nicht zentral thematisiert wurden, aber zum Entwurf eines vollständigen Theoriegebäudes einer möglichen Designrhetorik dazugehören. Nach diesem Ablauf umfasst das Schlusskapitel im Wesentlichen drei Aspekte: Erstens eine knappe Zusammenfassung zentraler Begriffe und kategorialer Unterscheidungen; zweitens ein resümierendes Aufzeigen möglicher Konsequenzen (in Bezug auf drei Aspekte: Designrhetorik, place-making, Orientierung); drittens die Skizze einer mehr auf das Verhältnis von rhetor, Produkt und stakeholder fokussierenden Prozessrhetorik als den zur vorliegenden Arbeit komplementären Teil, die im Sinne eines Ausblicks am Schluss entwickelt werden soll. Die beiden ersten Aspekte werden zusammengenommen diskutiert, indem versucht werden soll, den roten Faden der Arbeit entlang zentraler Konzepte und ihrer Relation zueinander aufzuzeigen. Dem dritten Aspekt wird daran anschließend in Form eines Projektentwurfs Rechnung getragen.
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1. E INIGE
ZENTRALE
ASPEKTE
DER
ARBEIT
Ausgangspunkt der folgenden Zusammenfassung sei das hier gezeigte Schaubild (Abbildung 182). Mit diesem Schaubild soll versucht werden, das Feld der Designrhetorik zu schematisieren. Im oberen (roten) Bereich wird das Verhältnis der Größen Gestaltungsartefakt, Zielpublikum und orator aufgezeigt, welche zusammengenommen das eigentliche Produkt des Designprozesses ausmachen. Es sei schon hier angemerkt, was im Weiteren näher auszuführen ist, dass die Instanzen orator und Zielpublikum keine unabhängigen Variablen darstellen, sondern zur Produktebene gehören. Der untere Bereich umfasst die Ebene einer Prozessrhetorik, in welcher die Beziehungen zwischen dem eben benannten Produkt, dem rhetor (Designer) und den stakeholdern (z.B. Auftraggebern) abgebildet wird. Wie jedes Schaubild reduziert auch dieses die tatsächliche Komplexität der Bezüge der einzelnen designrhetorischen Größen zueinander und dient hier lediglich der Visualisierung zentraler Unterscheidungen. In diesem Sinne wird durch das Schaubild die im Methodenkapitel vorgenommene Unterscheidung von rhetor und orator deutlich sichtbar. Während der Abbildung 182
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rhetor als die wirkungsintentional planende Instanz im rhetorischen Prozess angesiedelt ist, fungiert die orator-Instanz als ein wirkungsintentionales Mittel auf der Produktseite. Der rhetor inszeniert eine orator-Instanz, deren ethos Mittel zur Identifikation bereithält. Der orator ist demnach eine Größe, die als ein Produkt der wirkungsintentionalen, das heißt auf einer Identifikation mit dem potentiellen Zielpublikum beruhenden Gestaltung zu verstehen ist. Diese bietet dem Zielpublikum die durch den orator zum Ausdruck kommende ethos-Dimension als zusätzliches Überzeugungsmittel, die mit den logos-Dimensionen des Artefaktes und den pathos-Dimensionen von Seiten des Publikums in Einklang stehen müssen. Daher bilden orator und Artefakt auch eine gestalterische Einheit, die das Publikum interpretieren und verstehen können muss und die auf dieses wirkt. Die zentralen Begriffe der vorliegenden Arbeit, um diesen Aspekt des Rhetorischen zu fassen, waren ‚Identifikation‘ und ‚Situation‘, die ausführlich im Methodenkapitel eingeführt wurden. Dabei ist Identifikation von Seiten des Publikums im Sinne Kenneth Burkes als ein Streben zu verstehen, nach Anschlussmöglichkeiten und Perspektivübernahmen zu suchen, um auf diese Weise das herzustellen, was Burke als eine konsubstantielle Einheit bezeichnet und was – vereinfachend – als Erkennen und Anerkennen von Motiven beschrieben werden kann.1 Diese konsubstantielle Einheit kann von einer rhetor-Instanz gezielt angeboten werden, indem diese, sich mit dem Publikum identifizierend und dessen potentielle Perspektive auf einen bestimmten rhetorischen Gegenstand antizipierend, selbigem Identifikationsangebote auf den Ebenen des ethos, pathos und logos macht. Insofern die Prozesse des Erkennens und Anerkennens aber jeweils nur aus einer bestimmten Situation heraus vollzogen werden können und die situative Verortung des Publikums dessen Möglichkeit und Bereitschaft zu diesen Prozessen bestimmen, hängt der Erfolg dieser Identifikationen und damit auch aller persuasiven Prozesse vor allem vom Situationsverständnis des Publikums ab. Je nachdem in welcher Situation sich das Publikum begriffen glaubt, werden Erkenntnisspielräume, Einschätzungen und auch Beurteilungen stark variieren. Der rhetorische Erfolgt hängt in dieser Weise eben von dem ab, Einfluss auf das zu nehmen, was William I. Thomas als die „Definition der Situation“2 bezeichnet. Das rhetorische Bemühen eines rhetors kann auf dieser Grundlage auch im Sinne Burkes treffend als ein „attempt to redefine the situation itself“3 verstanden werden, denn wenn es dem rhetor gelingt, die Situationsbestimmungen eines Publikums neu auszurichten, so gewinnt dieser damit direkten Einfluss auf die Bewertungsmaßstäbe des Publikums, auf dessen Spielräume des potentiellen Erkennens und Anerkennens rhetorischer Bemühungen.
1
Vgl. Kapitel II.
2
Vgl. Thomas 1965.
3
Burke 1954. S. 220.
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Die Kapitel III und IV setzten genau hier an und fokussierten in einer Analogisierung von Designprozess und rhetorischem Prozess die Produktionsbereiche intellectio, inventio, dispositio und elocutio. Es ging dabei vor allem um die Frage, welche Mittel dem rhetor zur Verfügung stehen, sich mit seinem Zielpublikum zu identifizieren und damit um Heuristiken der Situationsbestimmung. Als solche stehen in jeder Produktionsphase dem rhetor verschiedene Methoden zur Verfügung: In der Phase der Problematisierung (intellectio) können die Genera der Vertretbarkeit hilfreiche Werkzeuge sein, in der Phase der Ideenfindung (inventio) stehen topische Kreativitätstechniken zur Verfügung, in der Phase der Anordnung (dispositio) können Ordnungsschemata wie die der ordo naturalis oder der ordo artificialis berücksichtigt werden und in der Phase der Formfindung (elocutio) bieten sich Figuren, Affekttechniken und Affordanzen als Instrumente wirkungsintentionalen Gestaltens an. Die systematische Leistung des Kapitels III und insbesondere von Kapitel IV besteht neben der Analogisierung der Prozesse vor allem in zwei Aspekten: Zum einen wird dort ein Ansatz zu einer rhetorischen Theorie der Kreativität geliefert, der das Verhältnis der im Gestaltungsumfeld oft jargonhaft benutzten Begriffe ‚neu‘ oder ‚innovativ‘ und ‚angemessen‘ problematisiert. Zu diesem Zweck wird nicht nur an die Forschungsliteratur angeknüpft, sondern auch explizit an die Ratgeberliteratur, die in der Praxis sicherlich häufiger als erstere genutzt wird. Zum anderen werden die Figuren und ihr Einsatz in rhetorischen Funktionen so systematisiert, dass der häufigen Reduktion rhetorischer Bemühung auf Fragen des bloßen Schmucks entgegengewirkt wird. Neben der ornatus-Funktion erfüllen Figuren auch stilistische, argumentative oder Erkenntnisfunktionen. Insbesondere mit den letzten drei Funktionen erfüllen rhetorische Figuren in der Regel auch nicht mehr das Devianzkriterium, welches häufig als Kennzeichen rhetorischer Figuren dient.4 Unter Rückgriff auf Terminologien – insbesondere place, space und place-making –, die bereits in Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum eingehend auf ihre designrhetorischen Implikationen hin untersucht wurde, wendeten sich die folgenden Kapitel eingehend der Analyse spezifischer Wirkungsintentionen: der Subversion, der Affirmation und der Neutralität bzw. Funktionalität. Dass die Beispiele, an denen diese Wirkungsintentionen exemplifiziert wurden allesamt aus einem urbanen Umfeld stammen, ist eben auf ihre Rückbindung an das phänomenologisch inspirierte Gestaltungskonzept des place-makings zurückzuführen. Ohne die Diskussion, die bereits an anderer Stelle ausführlich geführt wurde hier wiederholen zu können, sei lediglich angeführt, dass place als terminus technicus durchaus als eine Art Superkategorie der Designrhetorik – wenigstens im Bereich des Urbanen – gelten kann und dass eine Rhetorik des placemakings sich unmittelbar aus dem hier innerhalb des Methodenkapitels vorgestellten
4
Vgl. Kapitel IV.
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Rhetorikverständnisses ergibt.5 Die Kategorie place nimmt direkt den Faden des in der vorliegenden Arbeit entworfenen Situationsbegriffs wieder auf und place-making erscheint als nichts anderes als eben das – mit Burke gesprochen – rhetorische Kernanliegen eines „attempt to redefine the situation itself“. Vor diesem Hintergrund hätten die Interventionen, die in der vorliegenden Arbeit unter den Leitkategorien Subversion, Affirmation und Neutralität behandelt wurden, ebenso in Richtung einer Rhetorik der Stadt unter stärkerem Bezug auf die place-making-Prozesse der diversen Akteure im urbanen Raum ausgearbeitet werden können. Der vorliegenden Arbeit ging es aber weniger um eine rhetorische Theorie der Stadt und ihrer places, als um die Möglichkeit einer Designrhetorik, die zeigt, zugespitzt auf Fragen der Orientierung, wie klassisch-rhetorische Konzepte sich auf Phänomene fruchtbar anwenden lassen, die oftmals jenseits dessen liegen, wozu diese klassischen Modelle entwickelt wurden. Es war und ist daher stets notwendig, dass ein solch theoretischer Zugriff auf derartige Phänomene auch mit einer kritischen Diskussion der klassischen Modelle, mit der Einführung neuer Modelle und mit der Erweiterung dessen einhergeht, was unter Rhetorik überhaupt verstanden werden kann. Die philosophische Arbeit am Begriff – vor allem der Grundbegriffe: Subversion, Affirmation und Neutralität – war hierbei der gewählte Weg, um bei aller notwendigen Grenzerweiterung, die Grenzen dessen, was als (Design)-Rhetorisch gelten kann, dennoch nicht verschwimmen zu lassen. Zugleich wird mit den einzelnen Kapiteln zu Subversion, Affirmation und Neutralität durchaus der Anspruch erhoben, grundlegend in diese Bereiche eingeführt, und diese damit nicht nur für weiterführende Forschung in ähnlicher Richtung zur Verfügung gestellt zu haben, sondern auch Anregungen geben zu können, für vollkommen anders gelagerte Forschungsinteressen, für die subversive, affirmative oder neutrale und funktionale Wirkungsdimensionen grundlegend sind: etwa Forschungen zur medialen Inszenierung von Protestkulturen oder Vorbildwirkungen oder Studien zu Mediation und Konfliktmanagement
2. Z UR W EITERFÜHRUNG
DER
P ROZESSRHETORIK
Wenden wir uns abschließend noch einmal dem Schaubild zu (Abb.: 8.1.). Durch dieses wird deutlich, dass das Produkt, welches im Sinne einer Produktrhetorik in der vorliegenden Arbeit ausführlich diskutiert wurde, nicht bloß das gestaltete Artefakt selbst ist, sondern vielmehr das wirkungsvolle Zusammenspiel von Artefakt, orator und Zielpublikum. Dieses Produkt in seinem umfassenden Sinn ist es auch, welches den stakeholdern präsentiert und welches ihnen gegenüber beworben wird. Das Gestaltungsprodukt ist eben nicht bloß ein materielles Artefakt, sondern – ganz im Sinne
5
Vgl. Smolarski 2017.
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Lucius Burckhardts, der sagt, Design sei unsichtbar6 – das Versprechen wirkungsvoller Zusammenhänge der einzelnen Gestaltungsgrößen mit dem Publikum. Um es klar zu sagen: Dem Unternehmen, welches eine Designagentur beauftragt, eine Werbekampagne zu entwerfen und zu realisieren, wird nicht ein Plakat als Produkt angeboten, sondern das Versprechen wirkungsintentionaler Zusammenhänge. Die vorliegende Arbeit hat versucht, im Sinne einer Produktrhetorik, diese Zusammenhänge zu entfalten und ihre strategische Nutzung aufzuzeigen. In einer umfassenden rhetorischen Theorie des Designs müsste sich, hieran anknüpfend, noch eine zweite Arbeit anschließen, die – als Komplement der vorliegenden Arbeit – auf den unteren Teil des Schaubildes fokussiert und insbesondere die wechselvolle Beziehung von rhetor und stakeholder in den Blick nimmt. Eine solche komplementäre Arbeit kann im Rahmen der vorliegenden Studie zwar nicht erbracht, jedoch nun, im Anschluss an die Arbeit, in Form einer Ideenskizze angedeutet werden. Die vorliegende Arbeit fokussierte auf Design als Produkt. Demgegenüber verhält sich eine Fokussierung auf Design als Prozess als komplementär. Wenn von Designrhetorik gesprochen wird, so kann damit zum einen gemeint sein, dass das Designprodukt selbst rhetorisch verfasst ist und einen Einfluss auf das Zielpublikum in dessen situativer Verortung geltend macht, aber auch, dass der Designprozess selbst ein rhetorischer Prozess ist. In diese Richtung argumentierten bereits die Kapitel III und 4 der vorliegenden Arbeit, indem sie zeigten, dass Designprobleme rhetorische Probleme sind und dass sich der Prozess des Gestaltens in spezifische Gestaltungsphasen zerlegen lässt, die analog zu den rhetorischen Produktionsstadien beschrieben werden können. Die in den Kapiteln III und IV vorgenommenen Analogisierungen waren notwendig, um das Rhetorische am Produkt, um das es in den weiteren Kapiteln ging, aufzeigen zu können. Zugleich stellen diese Analogisierungen aber auch die Basis dafür dar, den Gestaltungsprozess und damit vor allem die Verbindungen von rhetor, Produkt und stakeholdern in den Blick nehmen zu können. In der sich daraus ergebenden Prozessrhetorik steht nicht länger das wirkungsintentionale Produkt im Mittelpunkt, also das Rhetorische am Designprodukt selbst, sondern der rhetorische Prozess, in welchem das Produkt in erster Linie als ein Redegegenstand – und nicht selbst als rhetorisch wirkend – verstanden wird. Um es kurz zu machen, innerhalb der Prozessrhetorik ist der Status des Produkts ein anderer als innerhalb der Produktrhetorik: Dort ergab die Frage nach den wirkungsintentionalen Verbindungen von Artefakt, orator und Zielpublikum das Produkt, hier (in der Prozessrhetorik) sind diese Verbindungen lediglich Redegegenstand in einem rhetorischen Prozess, der darauf zielt, dass der rhetor die stakeholder von der Wirksamkeit und Angemessenheit des Produkts überzeugt. Es ist dies im Grunde der Unterschied zwischen einer ‚Beredsamkeit des Designs‘ und einem ‚Reden über Design‘. Im Unterschied allerdings zu den mannigfaltigen Formen des ‚Redens über Design‘ (etwa in der Vermittlung, 6
Vgl. Burckhardt, Lucius: Design ist unsichtbar. Ostfildern 1995.
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in Kunstausstellungen, Auktionen oder im privaten Gespräch über den häuslichen Gebrauch) ist das Reden innerhalb der Prozessrhetorik von der Möglichkeit der stakeholder getragen, Einfluss auf das zu gestaltende Produkt nehmen zu können. In dieser Weise umfasst das Reden über Design im Designprozess eben nicht nur die Möglichkeit einer veränderten Bewertung des fertigen Produktes, sondern auch und vor allem die Möglichkeit, auf dessen Genese Einfluss zu nehmen. Diese Einflussnahme wird zu einem guten Teil dadurch bestimmt, dass der rhetor den stakeholdern ein Produkt zu verkaufen sucht, das als angemessene und wirkungsvolle Umsetzung ihrer eigenen Vorstellungen und Ideen fungieren kann. Der eigentliche Redegegenstand ist in dieser Weise weniger das Produkt selbst als vielmehr die Angemessenheit und potentielle Wirksamkeit der hierin umgesetzten Vorstellungen in Bezug auf die Vorstellungen der stakeholder. Eine Frage der Prozessrhetorik wäre demnach, ob es eine Topik geben kann, die die Argumente bereithält, die der rhetor für diesen persuasiven Prozess nutzen kann. Kurz: Was sind die ‚Verkaufsargumente‘ eines Designprodukts gegenüber den stakeholdern und inwieweit spiegeln diese den Identifikationsprozess wieder, auf dessen Basis der rhetor versucht, die Vorstellungen der stakeholder zu bedienen? Diese Vorstellungen sind im Schaubild schematisch durch drei Pfeile angegeben: Zum einen haben die stakeholder ein bestimmtes ‚Selbstbild‘, also eine Vorstellung darüber, als was und in welcher Weise sie wahrgenommen werden wollen. Der orator (als Produkt) muss diesen Vorstellungen in bestimmter Weise entsprechen oder bedarf, sollte der rhetor von einer Entsprechung absehen, einer glaubwürdigen Begründung. Zum zweiten haben stakeholder eine – mehr oder weniger genaue oder explizite – Vorstellung darüber, wen sie erreichen wollen. Sie entwerfen damit einen wesentlichen Teil dessen, was als Zielpublikum angesprochen werden kann. Der rhetor, der das Zielpublikum zu identifizieren sucht, kann oder muss sich dabei sicherlich auch an diesem Entwurf des Zielpublikums durch die stakeholder orientieren. Zum dritten haben stakeholder eine – und sei es auch nur eine vage – Vorstellung über das Produkt als das Konglomerat wirkungsvoller Bezüge der Produktgrößen untereinander. Diese und sicherlich noch einige weitere Vorstellungen dienen dem rhetor als Identifikationsbasis mit den stakeholdern. Dabei ist es zentral, explizit festzuhalten, was in dieser Beschreibung schon implizit deutlich wird: Der rhetor und ebenso die stakeholder fungieren innerhalb der Prozessrhetorik in einer Doppelrolle. Zum einen fungiert die Instanz, die in Bezug auf die Gestaltung eines Produktes auch als rhetor bezeichnet werden kann, in Bezug zum Überzeugungsprozess gegenüber den stakeholdern als orator. Der Unterschied ist folgender: Während im Allgemeinen der Gestalter wirkungsintentionaler Produkte nicht selbst eine Überzeugungsgröße für das Zielpublikum darstellt und insofern als rhetor bezeichnet werden kann, arbeitet derselbe Gestalter, wenn es um die Bewerbung seines Produktes gegenüber den stakeholdern geht, durchaus mit den Überzeugungsmitteln des ethos (etwa Expertise, Erfahrung, Seriosität, etc.). Der rhetor der Produktrhetorik ist dann eben auch ein orator innerhalb der Prozessrhetorik. Oder genauer: Der rhetor
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der Produktrhetorik, der eine orator-Instanz kreierte, mit der sich das Zielpublikum ebenso identifizieren kann wie die stakeholder, kreiert sich nun innerhalb der Prozessrhetorik in gleicher Weise als eine orator-Instanz, mit der sich die stakeholder und auch er selbst identifizieren können sollten. Zum anderen stellt die Instanz der stakeholder, die einen rhetor beauftragen, ein wirkungsintentionales Produkt in ihrem Sinne zu gestalten, um ein Publikum zu überzeugen innerhalb der Prozessrhetorik selbst das zu überzeugende Publikum dar. Aus dem bisher Gesagten ergeben sich Forschungsfragen für eine Prozessrhetorik, die unter anderem folgende Bereiche betreffen: erstens die Kreation des Zielpublikums, zweitens die Kreation des Rhetors als orator, drittens die aktive Rolle der stakeholder als Publikum und schließlich vor allem viertens die Gestaltung des Produktes in Bezug auf die Identifikation mit den stakeholdern als Publikum. Zur Kreation des Zielpublikums mag womöglich die Überlegung tragend sein, dass das, was vom rhetor als Zielpublikum angenommen wird, zu einem großen Teil die Vorstellung der stakeholder über ihr potentielles Zielpublikum wiederspiegelt. Zugespitzt bedeutet das, dass das Zielpublikum des Gestaltungsprozesses das ist, was die stakeholder sich darunter vorstellen. Ein Produkt, das den stakeholdern verkauft werden muss, muss eben glaubwürdig zeigen, dass es das Publikum – wenigstens wahrscheinlich – zu erreichen vermag, welches die stakeholder für ihr Publikum halten. Eine Prozessrhetorik hätte hiernach zum einen zu untersuchen, nach welchen Kriterien stakeholder ihr Zielpublikum entwerfen. Zum anderen muss eine Prozessrhetorik aber auch Mittel entwickeln, die es dem rhetor erlauben, gezielt diese Vorstellung, die als eine Identifikationsbasis dient, in Erfahrung zu bringen. Schließlich muss eine Topik entwickelt werden, die die wichtigsten Argumentationsfundstellen erfasst, die genutzt werden können, um den stakeholdern überzeugend darlegen zu können, warum und in welchem Ausmaß von dieser Vorstellung abzuweichen sein wird. In Summa umfasst dieser Bereich vor allem die rhetorische Auseinandersetzung mit der Funktion von Briefings und den Mitteln und Techniken, auf diese gezielt Einfluss zu nehmen. Die Kreation des rhetors als orator meint, wie oben bereits beschrieben, die Doppelfunktion, die der Gestalter im Designprozess notwendig einnimmt. Auf der einen Seite ist der Designer der wirkungsintentional entwerfende rhetor, auf der anderen Seite kommt diesem im Auseinandersetzungsprozess mit den stakeholdern aber auch ein ethos zu, so dass selbiger auch als orator fungiert. Es gilt diesbezüglich zu fragen, welche ethos-Kriterien überhaupt in der Praxis eine Rolle spielen, welche Rolle das ist und inwieweit diese in bestimmten Situationen persuasiv sein kann. In dieser Weise wäre unter anderem zu fragen: Welche Rolle spielen langjährige Erfahrung, weitgefächerte Expertise, Hochschulabschlüsse, aber auch Alter, Geschlecht oder soziale Herkunft. In einem erweiterten Umfeld deutet die Funktionsteilung der rhetorInstanz aber auch noch in ein anderes Untersuchungsfeld, das für eine Prozessrhetorik zentral zu behandeln wäre: eine Prozessrhetorik muss nämlich vor allem auch
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wesentliche rhetorische Einflussfaktoren herausarbeiten, die mit kooperativen und arbeitsteiligen Prozessen auch schon innerhalb von Designagenturen zu tun haben. Was bisher der Verständlichkeit halber schlicht als der rhetor angesprochen wurde, kann in der Praxis häufig ein ganzes Designbüro sein, in welchem sich für viele Produktionsschritte bereits mannigfaltige rhetorische Prozesse (etwa zwischen creative director und Texter) abspielen können. Eng mit den sich daraus ergebenden Fragen der Prozessrhetorik zusammenhängend, gilt es dann, auf eine rhetorische Theorie kooperativen Handelns und geteilter Intentionalität aufzubauen und auf diese Weise eben auch nach dem tatsächlichen Handlungsspielraum des einzelnen Gestalters zu fragen. Eine rhetorische Theorie, die diesen Bereich zu untersuchen bestimmt ist, muss Mittel bereitstellen oder an diese anknüpfen, diesen Handlungsspielraum zu ermitteln, nicht zuletzt deswegen, weil dieser eben auch die Grenzen der rhetorischen Theorie selbst markiert. Mit dem letztgenannten Punkt hängt auch die Frage nach der aktiven Rolle der stakeholder als Publikum zusammen. Auf der einen Seite ist die Instanz der stakeholder innerhalb des Designprozesses als Publikum zu verstehen, welches es zu überzeugen gilt. Auf der anderen Seite ist dieses Publikum aber (etwa als konkreter Auftraggeber) in ausgesprochen hohem Maße aktiv an der Gestaltung beteiligt (etwa in Form von mitunter sehr detaillierten Briefings). Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld, das auch rhetorisch interessant ist, denn nicht immer ist die Aktivität und der gezielte Eingriff der stakeholder in den Gestaltungsprozess und sein potentielles Resultat seitens der Gestalter gewünscht. Der topos, wonach viele misslungene Gestaltungsergebnisse auf die als zu aktiv empfundene Beteiligung der stakeholder zurückgeführt werden, kann sicherlich schon als Gemeinplatz gelten und sollte durch eine rhetorische Theorie sowohl in Bezug auf seine Genese als auch auf die Reichweite seiner potentiellen Geltung hin untersuchbar sein. Aus der Funktionspluralität der Instanz der stakeholder als zu überzeugendes Publikum, als zahlender Auftraggeber und als mitunter aktiv in den Gestaltungsprozess Eingreifender ergeben sich Probleme, denen eine angemessene Prozessrhetorik Rechnung zu tragen hat, wobei auch hierbei rhetorische Probleme kooperativer Prozesse zentral zu sein scheinen. Der vierte oben angesprochene Aspekt betrifft den Kernaspekt der rhetor-Funktion, nämlich das wirkungsintentionale Gestalten, welches nicht nur in Bezug auf die eben beschriebene Identifikationsbasis mit den stakeholdern zurückgeführt werden muss, sondern auch auf die Fragen des rhetorischen Produktionsprozesses einzugehen hat. In dieser Weise ist das Kapitel IV der vorliegenden Arbeit zu verstehen, in welchem die rhetorischen Produktionsstadien mit den sie tragenden Fragen und Techniken auf den Gestaltungsprozess übertragen wurden. Dieser Übertragung zufolge kann die intellectio als die Phase des Problematisierens vor allem auch als eine Phase gezielter Auseinandersetzung mit den stakeholdern gesehen werden; die Phase der inventio knüpft produktiv – wie gezeigt wurde – an bestehende Topiken zur
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Ideenfindung an; die Phase der dispositio thematisiert Ordnungsmuster und -verfahren, wobei die tragende Idee stets sein wird, dass unterschiedliche Ordnungen eben auch bedeutungsgenerierende und -verändernde Wirkungen haben; die Phase der elocutio fokussiert dann vor allem auf Fragen der Formgebung und Figuration. Diese Aspekte wurden eingehend in den Kapiteln III und IV behandelt. Dem hier vertretenen Ansatz wäre darüber hinaus noch eine Betrachtung der Aufführungsphasen (memoria und actio/pronuntiatio) hinzuzufügen. In einer solchen müsste stärker als in der vorliegenden Arbeit auch auf Fragen der Medialität eingegangen werden und überhaupt müsste gefragt werden, worin genau die Aufführung in der Designproduktion bestehen kann. In dieser Weise könnten Fragen etwa nach der Präsentationsweise neuer Produkte auf Messen oder anderer Formen der Bewerbung ebenso thematisiert werden wie Fragen des alltäglichen Gebrauchs von Artefakten durch ein Publikum in bestimmten Formen affirmativen oder subversiven Umgangs mit denselben. *** Das Schlusswort in einem Dreiwortsatz: Design ist rhetorisch. Es wurde in der vorliegenden Arbeit eine tragfähige Designrhetorik entwickelt; eine rhetorische Theorie des Designs, auf deren Grundlage en passant auch gezeigt werden konnte, dass Fragen der Orientierung ganz wesentlich auch Fragen an die Rhetorik und dass umgekehrt Fragen der Rhetorik auf basaler Ebene auch Fragen der Orientierung sind.
IX. Literatur
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[Kostelnick 2008] Kostelnick, Charles: Rhetorisches Gestalten. Zwischen Strategien wählen, sich dem Publikum anzupassen. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 89-100. [Kramer 2003] Kramer, Olaf: New Rhetoric. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 6. Tübingen 2003. Sp. 259-288. [Kramer 2012] Kramer, Olaf: Identifikation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 372-379. [Kramer/Gottschling 2012] Kramer, Olaf; Gottschling, Markus: Rhetorische Situation. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 1126-1132. [Krämer 2007] Krämer, Sybille: Was also ist eine Spur? Und worin besteht ihre epistemologische Rolle? Eine Bestandsaufnahme. In: Spur. Spurenlesen als Orientierungstechnik. Hrsg. von Sybille Krämer, Werner Kogge und Gernot Grube. Frankfurt am Main 2007. S. 11-33. [Krauspe 2011] Krauspe, Henning: Designrhetorik – Vermittlung von Konzeptionsund Entwurfsstrategien am Beispiel der Bildrhetorik. In: Spezial 5 – Hochschultage Berufliche Bildung 2011. S. 1-15. Auf: http://www.bwpat.de/ht2011/ft13/ krauspe_ft13-ht2011.pdf. [Krippendorff 2006] Krippendorff, Klaus: The Semantic Turn. A New Foundation for Design. Boca Raton 2006. [Krippendorff 2013] Krippendorff, Klaus: Die semantische Wende. Eine neue Grundlage für Design. Basel 2013. [Kroeber-Riel/Meyer-Hentschel 1982] Kroeber-Riel, Werner; Meyer-Hentschel, Gundolf: Werbung – Steuerung des Konsumentenverhaltens. Würzburg 1982.
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[Mareis 2014] Mareis, Claudia: Theorien des Designs. Zur Einführung. Hamburg 2014. [Matthäus 1976] Matthäus, Wolfhart: Kreativität. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. von Joachim Ritter und Karlfried Gründer. Bd. 4. Basel 1976. Sp. 1194-1204. [Mikoleit/Pürckhauer 2011] Mikoleit, Anne; Pürckhauer, Moritz: Urban Code. 100 Lessons for Understanding the City. Zürich. 2011. [Mollerup 2013] Mollerup, Per: Wayshowing>Wayfinding. Basic and Interactive. Amsterdam 2013. [Muehlenhaus 2012] Muehlenhaus, Ian: Beyond Biased. Exploring the Relationship between Map Design Style and Map Reader Persuasion. In: The 2012 AutoCarto International Symposium on Automated Cartography. Columbia 2012. Auf: http://www.cartogis.org/autocarto-3.php. [Mühlmann 2008] Mühlmann, Heiner: Rhetorik – Design – Macht. In: Design als Rhetorik. Grundlagen, Positionen, Fallstudien. Hrsg. von Arne Scheuermann und Gesche Joost. Basel 2008. S. 101-106. [Müller-Farguell 1997] Müller Farguell, Roger W.: Komik, das Komische. II Aufklärung bis Ende 19. Jh. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 4. Tübingen 1997. Sp. 1168-1172. [Neidhardt 1994] Neidhardt, Friedhelm: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen. In: Öffentlichkeit, öffentliche Meinung, soziale Bewegungen . Hrsg. von Ders. Opladen 1994. S. 7-41. [Népote-Desmarres/Tröger 1994] Népote-Desmarres, Fanny/Tröger, Thilo: Dissimulatio. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik.Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 886-888. [Neumann 1992] Neumann, Uwe: Agonistik. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 1. Tübingen 1992. Sp. 261-285. [Norman 1988] Norman, Donald A.: The Psychology of Everyday Things. New York 1988. [Norman 2013] Norman, Donald A.: The Design of Everyday Things. New York 2013. [Oesterreich 1990] Oesterreich, Peter L.: Fundamentalrhetorik. Untersuchung zu Person und Rede in der Öffentlichkeit. Hamburg 1990. [Oesterreich 2003] Oesterreich, Peter L.: Philosophie der Rhetorik. Bamberg 2003. [Ostheeren 2009] Ostheeren, Klaus: Topos. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 630-697. [Peirce 1974] Peirce, Charles S.: Principles of Philosophy. In: Collected Papers of Charles Sanders Peirce. Hrsg. von Charles Hartshorne und Paul Weiss. Bd. 1. Cambridge 1974. [Pekar 1994] Pekar, Thomas: Dekonstruktion. In: Historisches Wörterbuch der Rhetotik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen. Sp. 512-521.
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[Smolarski 2015b] Smolarski, Pierre: Dispositio des Raumes. Überlegungen zur Rhetorik touristischer Stadtkarten. In: Was bedeutet Ordnung – was ordnet Bedeutung? Zu bedeutungskonstituierenden Ordnungsleistungen in Geschriebenem. Hrsg. von Christian D. Haß und Eva M. Noller. Berlin 2015. S. 273-290. [Smolarski 2017] Smolarski, Pierre: Rhetorik der Stadt – Praktiken des Zeigens, Orientierung und Place-Making im urbanen Raum. Bielefeld 2017. [Smolarski/Zantwijk 2012] Smolarski, Pierre; Zantwijk, Temilo van: Subtilität. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 1301-1307. [Smolarski, R. 2015] Smolarski, René: Operation Cornflakes – Kommunikationsguerilla durch Briefmarken. In: Adbusting – ein designrhetorisches Strategiehandbuch. Hrsg. von Andreas Beaugrand und Pierre Smolarski. Bielefeld 2016. S. 234-261. [Soentgen 2001] Soentgen, Jens: Designrhetorik – Zur Ideologie des Neuen. In: Heureka oder die Kunst des Entwerfens. Hrsg. von Internationales Forum für Gestaltung Ulm. Ulm 2001. S. 163-171. [Spang 1987] Spang, Kurt: Grundlagen der Literatur- und Werberhetorik. Kassel 1987. [Spang 1994] Spang, Kurt: Dreistillehre. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 2. Tübingen 1994. Sp. 921-972. [Sprute 1982] Sprute, Jürgen: Die Enthymemtheorie der aristotelischen Rhetorik. Göttingen 1982. [Stein 2007] Stein, Peter: Sklavensprache. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 8. Tübingen 2007. Sp. 942-946. [Sternberg/Lubart 1999] Sternberg, Robert J.; Lubart, Todd: The Concept of Creativity. Prospects and Paradigms. In: Handbook of Creativity Hrsg. von Robert J. Sternberg. Cambridge 1999. S. 3-15. [Stratmann 1995] Stratmann, Nicole: Bazon Brock, der Selbstentfesslungskünstler. Einführung in eine Ästhetik des Unterlassens. Weimar 1995. [Streckenbach 1979] Streckenbach, Gerhard: Stiltheorie und Rhetorik der Römer im Spiegel des humanistischen Schülergesprächs. Göttingen 1979. [Surrey 2015] Surrey, Ann-Kathrin: Klartext sprechen statt in die Irre führen. Dekodierung als Strategie. In: Adbusting – ein designrhetorisches Strategiehandbuch. Hrsg. von Andreas Beaugrand und Pierre Smolarski. Bielefeld 2016. S. 78-95. [Thomas 1931] Thomas, William I.: The Relation of Research to the Social Process. In: Swann, W.F.G. u.a.: Essays on Research in the Social Sciences. Washington 1931. [Thomas 1965] Thomas, William I.: Person und Sozialverhalten. Hrsg. von Edmund H. Volkart. Neuwied am Rhein 1965. [Thomas Summa Theol.] Thomas von Aquin: Summa Theologica. Bd. 30. Hrsg. vom Katholischen Akademikerverband, übers. von Dominikanern und Benediktinern Deutschlands. Leipzig 1938.
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[Witte 2014] Witte, Erich H.: Gruppe. In: Wörterbuch der Soziologie. Hrsg. von Günter Endruweit, Gisela Trommsdorff und Nicole Burzan. München 2014. S. 158163. [Wittgenstein 2013] Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main 2013. [Zantwijk 2009a] Zantwijk, Temilo van: Heuristik und Wahrscheinlichkeit in der logischen Methodenlehre. Paderborn 2009 [Zantwijk 2009b] Zantwijk, Temilo van: Wahrscheinlichkeit, Wahrheit. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 1285-1340. [Zantwijk 2012a] Zantwijk, Temilo van: Methode. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 10. Berlin 2012. Sp. 687-700. [Zec 2001] Zec, Peter: Die Rolle des Design bei der Entwicklung von Marken. In: Die Marke. Symbolkraft eines Zeichensystems. Hrsg. von Manfred Bruhn. Bern 2001. S. 227-250. [Zec 2002] Zec, Peter: Orientierung im Raum. Essen 2002. [Zinsmaier 2009] Zinsmaier, Thomas: Zynismus, Kynismus. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Hrsg. von Gerd Ueding. Bd. 9. Tübingen 2009. Sp. 15941606. Andere Quellen [Wiki KG] Wikipedia: Kommunikationsguerilla. Auf: https://de.wikipedia.org/wiki/Kommunikationsguerilla. (Stand: 31.01.2015). [Youtube Gysi ] Das Kanzlerduell der Herzen. Mit Gysi und Sonneborn. (Veröffentlicht am: 15.09.2013). Auf: www.youtube.com/watch?v=ZeW7SFZS2nc. (Stand: 20.12.2014). [Youtube Babo] Bericht von TV Bayern Live: Wer ist der Babo? (Veröffentlicht am: 09.02.2014). Auf: https://www.youtube.com/watch?v=luyDhVdQ120. (Stand: 02.02.2015).
X. Abbildungen
Alle vom Autor selbst produzierten Bilder sind mit ‚PS‘, dem Aufnahmeort und Aufnahmedatum gekennzeichnet. Für alle Abbildung aus Internetquellen gilt, wenn nicht anders angegeben: Stand: 19.09.2015. Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6:
Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15:
PS. London, 06.04.2014. http://171.67.24.121/tobacco_web/images/tobacco_ads/ doctors_smoking/throat_doctors/large/camels_fresh_blue.jpg http://www.roastbrief.com.mx/wp-content/uploads/2013/03/ doctor-camel.jpg Videostil. https://www.youtube.com/watch?v=jxVcgDMBU94 Pricken 2003. S. 77. http://image.issuu.com/131121085304 8d2c166ee952cc37ba0e1fa84654dee0/jpg/page_2_thumb_ large.jpg http://www.artgerecht.de/artgerecht/content/referenzenkampagne-bitel-11.jpg https://c1.staticflickr.com/9/8388/8450630313_6131e31 ae4_b.jpg https://pbs.twimg.com/media/B4j8Rx9CUAAbX8s.jpg:large PS. Bielefeld, 14.09.2015. Pricken 2003. S. 55. http://www.holiday360.com/images/karten/ paris-sehenswuerdigkeiten-karte-stadtplan.jpg Pricken 2003. S. 100. Pricken 2003. S. 100. http://bc02.rp-online.de/polopoly_fs/fabian-giersdorf-csuwahlplakat-screenshot-facebook1.4007958.1391521883!image/1282668438.jpg_gen/derivatives/d940x/1282668438.jpg
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http://comkomm-berlin.de/wp-content/ uploads/2014/05/proj_graffiti_abb020.jpg PS. Bielefeld, 27.07.2015. PS. London, 03.04.2014. http://blog.meine-firma-und-ich.de/wp-content/ uploads/2014/11/343772_original_R_K_B_by_RainerSturm _pixelio.de_-e1417006390386.jpg PS. Bielefeld, 26.09.2015. Surrey 2015. S. 91. Surrey 2015. S. 90. PS. Düsseldorf, 27.06.2015. Pottgüter 2015. S. 194. http://www.froot.nl/wp-content/uploads/2012/06/ bubble-project-61.jpg Pottgüter 2015. S. 217. http://www.horizont.net/kreation/pics/2515-org.jpg (Stand:23.10.2010). http://www.ffemedia.de/files/campaigns/ sparkasse-spree-neisse-spremberg-big.jpg (Stand: 23.10.2010). http://vitaminw.co/sites/default/files/styles/article-full/public/ medium_261898591.jpg?itok=JLcAhVtG http://nelsdrums.com/portfolio/wp-content/ uploads/2008/06/missmylung-bus.jpg https://vulturejam.files.wordpress.com/2012/01/bp.jpg http://www.attac.de/archive/lidl/www.attac.de/ lidl-kampagne/content/pictures/LIDL_Logo.jpg https://thisisnotadvertising.files.wordpress.com/2011/07/ legoviolence-1.jpg https://thisisnotadvertising.files.wordpress.com/2011/07/ legodrugs.jpg https://thisisnotadvertising.files.wordpress.com/2011/07/ legosex.jpg http://3.bp.blogspot.com/_vKuslG3BxAw/ TROr5hOzKLI/AAAAAAAAA_o/yjixs3MTiq0/s640/ Capitalism1280x800.png http://www.funatiq.com/images/mcdonalds-obesity.jpg https://m2.behance.net/rendition/pm/2520381/disp/ 5166c7d784807e62e76f7c85469e8a89.png https://m2.behance.net/rendition/pm/2520381/ disp/ad4f4329ea635c71c0311ff05cb88d0c.png http://farm1.staticflickr.com/95/238557293_74284fa9a3.jpg
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Abbildung 41: Abbildung 42: Abbildung 43: Abbildung 44: Abbildung 45: Abbildung 46: Abbildung 47: Abbildung 48: Abbildung 49: Abbildung 50: Abbildung 51:
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https://www.inkota.de/fileadmin/user_upload/Material/ccc/ Adidas_Adbust.jpg http://www.urbanartcore.eu/wp-content/uploads/2010/05/ apple-adbusting.jpg http://deepapple.com/images/news/2010-01-a/porno05_02.jpg http://www.urbanartcore.eu/wp-content/uploads/2010/05/ apple-adbusting-berlin.jpg http://mashkulture.net/wp-content/uploads/2010/06/ freedom_from_porn_03.jpg Surrey 2015. S. 157. Surrey 2015. S. 156. http://reklame.moblog.ch/files/images/2007/2/ mob135_1172216368.jpg (Stand: 23.10.2010). http://asset-5.soupcdn.com/asset/1588/9380_50af.jpeg http://www.openpr.de/images/articles/0/f/ 0fa62e152c3b0551e1beb7e5132fef0a_g.jpg (Stand: 23.10.2010). http://1.bp.blogspot.com/_DUrLSsgP33g/SbRfAAG6TrI/ AAAAAAAAAGw/JZ3t3DrlYF8/s320/adbust1+copy.jpg (Stand: 23.10.2010). http://drkkvrc.drkcms.de/typo3temp/pics/c891d17eb0.jpg PS. Jena, 20.06.2009. PS. Bern, 04.06.2015. PS. Bielefeld, 26.09.2015. Banksy 2006. S. 62. PS. Bern, 04.06.2015. PS. Bern, 03.05.2015. http://www.abload.de/img/infoaufkleber8r74.jpg PS. Düsseldorf, 27.09.2015. http://cdn.webfail.com/upl/img/1691bb8feb1/gall2.jpg PS. Bielefeld, 08.03.2015. PS. Bern, 09.06.2015. PS. Bern, 09.06.2015. PS. Bern, 04.06.2015. Banksy 2006. S. 66. Banksy 2006. S. 67. Banksy 2006. S. 122. PS. Bern, 09.06.2015. PS. Bern, 07.05.2015. PS. Bern, 04.06.2015. PS. Bern, 09.06.2015. PS. Bern, 11.06.2015. PS. Bern, 13.06.2015.
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Abbildung 75: Abbildung 76: Abbildung 77: Abbildung 78: Abbildung 79: Abbildung 80: Abbildung 81: Abbildung 82: Abbildung 83: Abbildung 84: Abbildung 85: Abbildung 86: Abbildung 87: Abbildung 88: Abbildung 89: Abbildung 90: Abbildung 91: Abbildung 92: Abbildung 93: Abbildung 94: Abbildung 95: Abbildung 96: Abbildung 97: Abbildung 98: Abbildung 99: Abbildung 100: Abbildung 101: Abbildung 102: Abbildung 103: Abbildung 104: Abbildung 105: Abbildung 106: Abbildung 107: Abbildung 108: Abbildung 109: Abbildung 110: Abbildung 111: Abbildung 112: Abbildung 113: Abbildung 114:
PS. Bern, 11.06.2015. PS. Bern, 04.06.2015. PS. Bern, 10.06.2015. PS. Bern, 10.06.2015. PS. Berlin, 20.06.2009. Lunger/Scheiber 2009. 193. Lunger/Scheiber 2009. 213. Lunger/Scheiber 2009. 215. PS. Bern, 22.04.2015. PS. Bern, 13.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 10.06.2015. PS. Bern, 10.06.2015. PS. Bern, 10.06.2015. PS. Bern, 13.05.2015. PS. Bern, 13.05.2015. PS. Bern, 09.06.2015. PS. Bern, 11.06.2015. PS. Bern, 04.06.2015. PS. Bern, 10.06.2015. PS. Bern, 11.06.2015. PS. Bern, 04.06.2015. http://www.linke-t-shirts.de/images/cover300/ erst-wenn-der-letzte-baum-gerodet_DLF103644.jpg PS. Bern, 11.06.2015. PS. Bern, 19.06.2015. PS. Bern, 11.06.2015. PS. Bern, 21.04.2015. PS. Bern, 11.05.2015. Deppe 1997. Abb. V. PS. Burgos (Spanien), 17.04.2011. Reinecke 2007. S. 111. PS. Bern, 04.06.2015. PS. Bern, 28.05.2015. http://3.bp.blogspot.com/-n0YobhjDYg8/T1OCmbM9l9I/ AAAAAAAAAeQ/lDFhfj-onoM/s1600/Marlboro%2B05.JPG PS. London, 04.04.2014. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 03.05.2015. PS. Bern, 03.05.2015. Scheuermann/Schneller 2012. S. 62. Abb. 33. Scheuermann/Schneller 2012. S. 33. Abb. 17.
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Abbildung 115: Abbildung 116: Abbildung 117: Abbildung 118: Abbildung 119: Abbildung 120: Abbildung 121: Abbildung 122: Abbildung 123: Abbildung 124: Abbildung 125: Abbildung 126: Abbildung 127: Abbildung 128: Abbildung 129: Abbildung 130: Abbildung 131: Abbildung 132: Abbildung 133: Abbildung 134: Abbildung 135: Abbildung 136: Abbildung 137: Abbildung 138: Abbildung 139: Abbildung 140: Abbildung 141: Abbildung 142: Abbildung 143: Abbildung 144: Abbildung 145: Abbildung 146: Abbildung 147: Abbildung 148: Abbildung 149: Abbildung 150: Abbildung 151: Abbildung 152: Abbildung 153: Abbildung 154:
Berger 2009. S. 33. Abb. 19. Berger 2009. S. 33. Abb. 20. http://now-here-this.timeout.com/wp-content/uploads/2012/06/ Poster-Map-of-the-Underground-by-Henry-C-Beck-193.jpg PS. Bern, 03.05.2015. PS. Mulhouse (Frankreich), 11.08.2014. PS. Colmar (Frankreich), 14.08.2014. https://pausenkaffee.files.wordpress.com/2013/06/ wegweiser1.jpg PS. Bregenz, 03.04.2015. PS. Bern, 03.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 19.04.2015. Lunger/Scheiber 2009. S.197. Lunger/Scheiber 2009. S. 202. Lunger /Scheiber 2009. S. 202. Krippendorff 2013. S. 124. Abb. 3.4. PS. Zürich, 30.09.2015. PS. Zürich, 30.09.2015. PS. Zürich, 30.09.2015. PS. Bern, 02.10.2015. PS. Bern, 19.04.2015. PS. Bern, 30.09.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Donaueschingen, 21.05.2015. PS. Aach, 21.05.2015. PS. Bern, 17.05.2015. PS. Bern, 17.05.2015. PS. Bern, 17.05.2015. PS. Bern, 17.05.2015. PS. Bern, 17.05.2015. PS. Bern, 13.04.2015. PS. Grenzübergang Lindau, 02.04.2015. Scheuermann/Schneller 2012. S. 33. Abb. 17. Scheuermann/Schneller 2012. S. 36. Abb. 25. Mollerup 2013. S. 127. Abb. 173. PS. Bern, 06.05.2015.
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Abbildung 155: Abbildung 156: Abbildung 157: Abbildung 158: Abbildung 159: Abbildung 160: Abbildung 161: Abbildung 162: Abbildung 163: Abbildung 164: Abbildung 165: Abbildung 166: Abbildung 167: Abbildung 168: Abbildung 169: Abbildung 170: Abbildung 171: Abbildung 172: Abbildung 173: Abbildung 174: Abbildung 175: Abbildung 176: Abbildung 177: Abbildung 178: Abbildung 179: Abbildung 180: Abbildung 181: Abbildung 182:
PS. Bern, 28.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 28.05.2015. Foto von: Annina Schneller. PS. Bern, 19.04.2015. PS. Bern, 03.05.2015. PS. Bern, 11.06.2015. PS. Donaueschingen, 21.05.2015. PS. Bern, 11.04.2015. PS. Bielefeld, 14.09.2015. PS. Bern, 27.05.2015. PS. Düsseldorf, 27.09.2015. Scheuermann/Schneller 2012. S. 90. Abb. 40. PS. Bern, 17.05.2015. PS. Bern, 28.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 19.04.2015. PS. Donaueschingen, 21.05.2015. PS. Radolfzell, 20.05.2015. PS. Bern, 06.05.2015. PS. Bern, 28.05.2015. PS. 22.07.2015.
Danksagung
Ich möchte mich herzlich bei allen bedanken, die am Vorankommen dieser Arbeit Anteil genommen haben und mich mit meinen Projekten unterstützten. Zuerst seien hier meine Gutachter Jens-Martin Gurr und Arne Scheuermann genannt, die durch ihre Anregungen, Kritiken und Kommentare diese Arbeit mit mir auf den Weg gebracht haben. Ohne den Einfluss Temilo van Zantwijks aber wäre ich wohl nie zur Rhetorik gekommen; für seine freundschaftliche Richtungsweisung bin ich ihm ebenso dankbar wie Sabine Rose-van Zantwijk, die überdies alle meine Texte stets mit Wohlwollen las und mich mit kritischen Fragen nicht schonte. Ihr ist insbesondere auch für das Lektorat der gesamten Arbeit zu danken. Andreas Beaugrand und Irene Müller danke ich dafür, dass sie es mir ermöglicht haben, für drei Monate in die Schweiz zu gehen und dort meine Arbeit voranzutreiben. Insa Schülting danke ich dafür, dass sie mit mir nächtelang saß, um die Arbeit zu setzen und Bilder zu formatieren. Ich danke dem Verlag Transcript für die Aufnahme des Buches in ihr Programm. Schließlich gilt mein Dank auch meinen Brüdern René, André und Marc sowie meiner Mutter Romana, die mir – je auf ihre Weise – stets zur Seite standen.
Design Friedrich von Borries, Gesche Joost, Jesko Fezer (Hg.) Die Politik der Maker Über neue Möglichkeiten der Designproduktion Juli 2019, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2859-3
Andrea Rostásy, Tobias Sievers Handbuch Mediatektur Medien, Raum und Interaktion als Einheit gestalten. Methoden und Instrumente Februar 2017, ca. 350 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2517-2
Judith Dörrenbächer, Kerstin Plüm (Hg.) Beseelte Dinge Design aus Perspektive des Animismus September 2016, 168 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3558-4
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Design Claudia Banz (Hg.) Social Design Gestalten für die Transformation der Gesellschaft August 2016, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3068-8
Thomas H. Schmitz, Roger Häußling, Claudia Mareis, Hannah Groninger (Hg.) Manifestationen im Entwurf Design – Architektur – Ingenieurwesen Mai 2016, 388 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3160-9
Julia-Constance Dissel (Hg.) Design & Philosophie Schnittstellen und Wahlverwandtschaften Februar 2016, 162 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3325-2
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