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German Pages 208 Year 2022
Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 105
Repräsentation und Legitimität im Verfassungs- und Umweltstaat Gedächtnissymposion für Hasso Hofmann
Herausgegeben von Horst Dreier
Duncker & Humblot · Berlin
Repräsentation und Legitimität im Verfassungs- und Umweltstaat Gedächtnissymposion für Hasso Hofmann
Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte Band 105
Repräsentation und Legitimität im Verfassungs- und Umweltstaat Gedächtnissymposion für Hasso Hofmann
Herausgegeben von Horst Dreier
Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung der Schulze-Fielitz-Stiftung Berlin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten © 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Printed in Germany ISSN 0935-5200 ISBN 978-3-428-18673-0 (Print) ISBN 978-3-428-58673-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Am 11. und 12. November 2021 versammelten sich in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München Freunde, Kollegen und Schüler von Hasso Hofmann, um ihn, der im Januar des Jahres verstorben war, mit einem Gedächtnissymposion zu ehren. Heinrich Meier, der Geschäftsführer der Stiftung, stellte uns großzügig die repräsentativen Räumlichkeiten zur Verfügung, in denen Hasso Hofmann, im akademischen Jahr 1996/97 Fellow der Stiftung, mehrere Vorträge mit denkbar großer Resonanz gehalten hatte. Das Symposion suchte ihn so zu ehren, wie er es sich vermutlich gewünscht hätte: mit wissenschaftlichen Vorträgen einschließlich Diskussion – und mit Musik. Keiner der Referenten, die ich für einen Vortrag angefragt hatte, zögerte auch nur einen Augenblick mit der Zusage. Und so bin ich in der Reihenfolge ihres Auftretens Christian Waldhoff, Oliver Lepsius, Ulrich K. Preuß, Agostino Carrino sowie Jana und Thomas Osterkamp außerordentlich dankbar für ihre ungewöhnlich substantiellen, immer wieder das Werk des Verstorbenen heranziehenden Vorträge, die hier – leicht überarbeitet und mit einem wissenschaftlichen Fußnotenapparat versehen – abgedruckt werden. Gerd Irrlitz, philosophischer Kollege der Humboldt-Universität zu Berlin, der leider nicht persönlich an dem Symposion teilnehmen konnte, hat ein eindringliches Gedenkwort beigesteuert, Heinrich Meier mit seinem persönlichen Schlusswort die Tagung beendet. Helmuth Schulze-Fielitz war deren souveräner Moderator, wofür ich ihm auch an dieser Stelle nochmals ausdrücklich danken möchte. Beim gemeinsamen Abendessen in der „Schwaige“ erinnerten Rosemarie Will, frühere Dekanin der juristischen Fakultät der Humboldt-Universität, und Klaus Bauer, ältester Freund aus gemeinsamen Studientagen, stimmungsvoll an die vergangenen Zeiten. Vor dem Essen fand aber noch eine bemerkenswerte musikalische Darbietung statt. Anima van Malssen (Violine) und Yann Meurin (Violoncello) spielten zuerst die Sonate F-Dur, HWV 370 von Händel, sodann Giuseppe Tartinis Sonate G-Dur, B. G 4 und schließlich Huit
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Vorwort
morceaux, op. 39 von Reinhold Glière. Die stark akklamierte Aufführung ging nicht ohne eine Zugabe über die Bühne. Vielleicht darf noch Erwähnung finden, dass das Violoncello von Yann Meurin dasjenige war, auf dem jahrzehntelang Hasso Hofmann gespielt hatte. Ihn werden wir alle als einen großartigen Wissenschaftler, liebenswürdigen Menschen und klugen Zeitgenossen in Erinnerung behalten. Reinbek, im Frühjahr 2022
Horst Dreier
Inhaltsverzeichnis Christian Waldhoff Der Verfassungsstaat des Grundgesetzes im Schnittpunkt historischer Entwicklungslinien. Historische und systematische Zugänge im staatsrechtlichen Werk von Hasso Hofmann . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Oliver Lepsius Nachweltschutz und Langzeitverantwortung im Verfassungsrecht . .
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Ulrich K. Preuß Repräsentation – Hasso Hofmanns Aufklärung über deren demokratische Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Agostino Carrino Legitimität der Legalität. Überlegungen zum Beitrag Adolf Merkls zur Reinen Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Jana Osterkamp und Thomas Osterkamp Recht anschaulich. Die Kunst der Erzählung von Recht und Staat . . 131 Gerd Irrlitz Hasso Hofmann – Ein Gedenkwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Heinrich Meier Ein persönliches Wort zum Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Der Verfassungsstaat des Grundgesetzes im Schnittpunkt historischer Entwicklungslinien Historische und systematische Zugänge im staatsrechtlichen Werk von Hasso Hofmann Von Christian Waldhoff I. Staatsrecht im Werk von Hasso Hofmann Das Staats- oder Verfassungsrecht würden die meisten Fachkollegen nicht im Zentrum des Œuvres von Hasso Hofmann sehen1. Beide Qualifikationsschriften – die sechs Auflagen erlebende Dissertation in ihrer Auseinandersetzung mit dem Werk Carl Schmitts2, die große begriffsgeschichtliche Studie zur Kategorie der Repräsentation als in vierter Auflage vorliegender Habilitationsschrift3 – sind zumindest nicht staatsrechtlicher Natur i. e.S. Der, von wem auch immer stammende, WikipediaEintrag bezeichnet Hofmann als „deutsche[n] Rechtsphilosoph[en] und Verfassungsjurist[en]“ – in dieser Reihenfolge. Der 1986 erschienene erste Sammelband seiner Schriften enthält laut Untertitel „Studien zur Geschichte der politischen Philosophie“4. Der Band, der die Vorträge des Symposiums zum 65. Geburtstag veröffentlichte, ist „Philosophie
1 Betonung auch der staatsrechtlichen Leistungen jedoch etwa in dem Nachruf von Christoph Möllers, List der Kritik, Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 24 v. 29. Januar 2021, S. 11. 2 Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität, 1. Aufl. 1964, 6. Aufl. 2020. 3 Hasso Hofmann, Repräsentation – Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 1. Aufl. 1974, 4. Aufl. 2010. 4 Hasso Hofmann, Recht – Politik – Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, 1986; die dogmatischen und v. a. verfassungsrechtlichen Schriften folgten dann freilich knapp zehn Jahre später: Hasso Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980 – 1994, 1994.
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des Rechts und Verfassungstheorie“ betitelt5. Dies alles lässt Hofmann zunächst als Rechts- und Staatsphilosophen, als juristischen Ideengeschichtler, nicht primär als Staats- bzw. Verfassungsrechtler erscheinen. Andererseits betreffen sowohl die Antrittsvorlesung vom 21. Januar 1993 als auch die Abschiedsvorlesung vom 5. Februar 2002 (beide an der Berliner Humboldt-Universität) mit der Menschenwürdegarantie und dem „Wesen der Verfassung“ Kernfragen des Staatsrechts. Bemerkenswert und weder aufgrund des Interessenspektrums, noch politischer Vorverständnisse unbedingt zu erwarten ist auch, dass Hofmann im Isensee-Kirchhofschen Handbuch des Staatsrechts als einer der wenigen Autoren jenseits der Herausgeber gleich mit zwei Beiträgen völlig unterschiedlichen Zuschnitts vertreten ist6. Auch gehörte er zu den nicht so zahlreichen Autoren, die in den 1980er und 1990er Jahren an beiden Standardhandbüchern – dem Handbuch des Staats- und dem Handbuch des Verfassungsrechts7 – beteiligt waren (von den 32 Autoren des Handbuchs des Verfassungsrechts wurden mit Hofmann, Badura, Isensee, Denninger, Merten, Papier und Hans-Peter Schneider nur sieben an dem eher etatistisch ausgerichteten parallelen Monumentalwerk zur Mitwirkung eingeladen) 8. Aber es verwundert bei Hofmann kaum, dass auch diese Fragen ideengeschichtlich und philosophisch aufgeladen erscheinen, stets multiperspektivisch angegangen werden. Nimmt man die umweltrechtlichen, umwelt- und bioethischen Interessen hinzu, erscheint die Behandlung des geltenden Rechts mit eindeutigem Schwerpunkt auf dem Verfassungsrecht9 gleichrangig zu den philosophischen 5 Horst Dreier (Hrsg.), Philosophie des Rechts und Verfassungstheorie. Geburtstagssymposion für Hasso Hofmann, 2000. 6 Hasso Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 1. Aufl. 1987, § 7; 3. Aufl. 2003, § 9; ders., Grundpflichten und Grundrechte, ebd., Bd. 5, 1. Aufl. 1992, § 114; Bd. 9, 3. Aufl. 2011, § 195. 7 Ernst Benda/Werner Maihofer/Hans-Jochen Vogel (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 21. 8 Dieter Grimm wurde erst in die dritte Auflage des Handbuchs des Staatsrechts einbezogen. Zu dem im seinerzeitigen Handbuch des Verfassungsrechts publizierten bemerkenswerten Beitrag: Technik und Umwelt, § 21, Oliver Lepsius, in diesem Band S. 37 ff. 9 Explizit verwaltungsrechtliche Arbeiten finden sich eher in der Qualifikationsphase, vgl. etwa: Hasso Hofmann, Zur Anwendung des § 133 BBauG auf bebaute Grundstücke an vorhandene Erschließungsanlagen, in: Deutsches Verwal-
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und historischen Arbeiten. Dass die Befassung mit geltendem Recht und seinen Problemen bei Hofmann niemals aseptische Dogmatik sein kann, versteht sich dabei von selbst. Das legitimiert mich, die verfassungshistorischen Arbeiten in meine Analyse und meine Überlegungen einzubeziehen. Einem Postulat des heute zu Ehrenden folgend, soll im Folgenden jedoch in die Texte – die hier ja nun Primärquellen sind – hineingelesen werden. Aus dem so umrissenen Feld nehme ich drei Arbeiten heraus, die mich seit Promotionstagen begleitet und die mir bei eigenen Projekten auf je unterschiedliche Art entscheidende Impulse vermittelt haben. Diese stehen für drei Bereiche des in einem weiteren Sinne staatsrechtlichen Oeuvres des in diesem akademischen Gedächtnissymposium zu Würdigenden: Den Grundrechten, der zentralen Bedeutung des demokratischen Verfassungsprinzips für die Verfassung als solche sowie die verfassungshistorischen Werke. Diese drei sehr subjektiv ausgewählten Schlüsselwerke für mich werden dann mit weiteren Arbeiten Hofmanns zu diesen Bereichen konfrontiert. Das soll in eine Analyse des staatsrechtlichen Denkens und Arbeitens Hofmanns münden, wobei auch etwaige Fehlstellen und Auslassungen an Themen der Beachtung und Erklärung harren. Schließen werde ich mit einem kurzen persönlichen Versuch über das Verhältnis von Werk und Person. Es versteht sich, dass der Protagonist möglichst selbst zu Wort kommen soll.
tungsblatt 78 (1963), S. 212 – 215; Präventivpolizeiliches Durchsuchungsrecht und Verfassung, in: Bayerische Verwaltungsblätter 10 n.F. (1964), S. 36 – 40; Die Rechtsnatur der Widerspruchsfrist, in: Verwaltungsarchiv 58 (1967), S. 63 – 60 und S. 137 – 170; Wege zum europäischen Patent- und Markenamt, in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1980, S. 2 – 6; Das Widerspruchsverfahren, in: Festschrift für Christian-Friedrich Menger, 1985, S. 605 – 619 sowie die Kommentierungen im Gemeinschafts-Kommentar zum Bundesimmissionsschutzgesetz.
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II. Persönlicher Zugang: Drei Texte – drei Felder 1. Grundpflichten und Grundrechte Grundrechte als Interessenfeld lagen für Hofmann alles andere als fern10. Der einzige neben dem Staatsrechtslehrerreferat von 195111 überdauernde Text des akademischen Lehrers Alfred Voigt war eine kleine, 1948 unter besatzungshoheitlicher Lizenz in einer Auflage von immerhin 5000 Stück gedruckte Monographie „Geschichte der Grundrechte“12. Diese historische Dimension des seit Art. 16 der französischen Menschenrechtserklärung in einem materiellen Verständnis notwendigen Verfassungsinhalts hat auch Hasso Hofmann vielfach beschäftigt13. Mich interessieren hier zwei Texte. 1982, d. h. im Alter von 48 Jahren, hält Hofmann seinen Staatsrechtslehrervortrag auf der Tagung in Konstanz als „Mitbericht“ zu seinem Göttinger Kollegen Volkmar Götz. „Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension“ war ihm von dem aus Peter Lerche, Walter Schmitt Glaeser und Eberhard Schmidt-Aßmann bestehenden Vorstand aufgegeben worden14. Ob es sich dabei um ein „Wunschthema“ handelte, mag bezweifelt werden. Immerhin sechs Seiten „Methodische Vorbemerkungen“ kontextualisieren die Themenstellung und letztlich das Ringen des Referenten mit ihr. Eingeleitet wird mit der ironischen Bemerkung, dass dem Korreferenten das Privileg zustehe, „den Erstbericht
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Zum Konnex in dieser Frage mit Voigt auch Alexander Hollerbach, Laudatio auf Hasso Hofmann, in: Horst Dreier (Hrsg.), Philosophie des Rechts und Verfassungstheorie, 2000, S. 9 – 23 (11). 11 Alfred Voigt, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 10 (1952), S. 33 – 45; zur Kontextualisierung Heinrich Amadeus Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht unter dem Grundgesetz, 2000, S. 11 ff. 12 Alfred Voigt, Geschichte der Grundrechte, 1948. 13 Vgl. etwa: Zur Herkunft der Menschenrechtserklärungen, in: Juristische Schulung 28 (1988), S. 841 – 848; Die Grundrechte 1789 – 1949 – 1989, in: Neue Juristische Wochenschrift 42 (1989), S. 3177 – 3187. 14 Hasso Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 41 (1983), S. 42 – 83; das Referat bildete dann die Basis für ders., Grundpflichten und Grundrechte, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 1. Aufl. 1992, § 114.
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durch einige Bemerkungen allgemeiner Art lediglich zu ergänzen“15. Das eigene Tun wird als „Versuch“16 bezeichnet. Sogleich wird das seinerzeit in der Luft liegende Thema gerade wegen seiner Aktualität als gefährlich erkannt: „Über Pflichten zu reden, hat eine gewisse konjunkturelle Aktualität. Folglich ist Vorsicht geboten.“17 Es bestehe „die Gefahr, daß die Frage nach den Grundpflichten als eine Fortsetzung der Grundwertedebatte mit anderen Begriffen mehr protestantisch-preußischer Prägung aufgefaßt wird“18. Anfang Oktober 1982 stehen wir unmittelbar vor dem durch Misstrauensvotum herbeigeführten Regierungswechsel am Ende sehr unruhiger Jahre mit einer gravierenden Wirtschaftskrise, der Nachrüstungsdebatte sowie den Auseinandersetzungen um die Atomenergie als Auftakt zu den großen Umweltdebatten und zahlreichem Lamento über wirkliches oder vermeintliches Auseinanderfallen der Gesellschaft, zumindest über Erosionstendenzen der überkommenen Bundesrepublik.19 Der Referent spricht bemerkenswerter Weise selbst von „einem manifesten Prozeß sozialer Destabilisierung“20. Verständlicherweise habe der Parlamentarische Rat nach dem vorangegangenen übersteigerten Pflichtenpathos auf die Formulierung von Grundpflichten nach Weimarer Vorbild verzichtet; dies habe aber begriffliche Kompensationen hervorgerufen angesichts der weiteren Entwicklung: „Wo anders als in verfassungsrechtlichen Pflichtigkeiten können alle unsere Verbindlichkeiten gründen, wenn Verwaltungsrecht ,konkretisiertes Verfassungsrecht‘ ist und jede rechtliche Belastung einer verfassungsmäßigen Grundlage bedarf ?“21 Hofmanns Fragestellung 15 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 43. 16 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 43. 17 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 43. 18 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 44. 19 Vgl. statt vieler zu dieser Situation nur Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, 1999, S. 597 ff.; Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, 2014, S. 887 ff. 20 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 44. 21 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 45 f.
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spitzt sich damit auf die Frage zu, ob Grundpflichten eine eigenständige „verfassungsrechtliche Kategorie und nicht nur als Inbegriff ethischer Verfassungsvoraussetzungen neben die Grundrechte zu stellen“ seien22. Gleichsam als eine Art „Arbeitsdefinition“ werden unter Grundpflichten diejenigen verfassungsrechtlichen Vorschriften verstanden, „welche in Korrelation zu den Grundrechten den einzelnen zur Erhaltung der gemeinsamen politischen Existenz für den Staat in Anspruch nehmen, quasi Grundrechte der staatlichen Gemeinschaft gegenüber dem Individuum statuieren und so nächst den individuellen grundrechtlichen Ansprüchen auch einen status passivus der Rechtsgenossen verfassungsrechtlich definieren oder wenigstens vorsehen“23. Zum „politischen Profil unseres Problems“ gehöre es, dass der Rekurs auf Pflichten zum Freiheitsversprechen gegenläufig sei. Erst nach der Terreur der Revolution wurden in der Direktorialverfassung von 1795 den Rechten auch Pflichten zur Seite gestellt24. Der Hauptteil des Referats beginnt dann mit einer großangelegten Rekonstruktion des „Grundrechtsindividualismus des Bonner Grundgesetzes“. Hier steht die erhellende Erkenntnis, dass Gegenstandsbereich etwaiger Grundpflichten gerade diejenigen Felder gewesen wären – Schule, Arbeit, Wirtschaft – die im Wege dilatorischer Formelkompromisse bei der Verfassunggebung weitgehend ausgespart worden waren. Mit Rekurs auf eine Herrenchiemseer Kontroverse (Freiheitsrechte als vorstaatlich ursprünglich; Pflichten als staatliche Hervorbringungen) landet Hofmann nach eigenen Worten im „Zentrum der verfassungstheoretischen Problematik“: „Tatsächlich kann es in einer rechtsstaatlichen Verfassung der Freiheit keine Symmetrie von Rechten und Pflichten geben.“25 Diese großangelegte verfassungstheoretische Analyse mündet in folgender Feststellung: „Alles dies – das Prinzip der individuellen Freiheit mit dem daraus folgenden Postulat der Bestimmtheit und Begrenztheit der Eingriffsmöglichkeiten, das Äußerlichwerden des von der 22 Hofmann, S. 46. 23 Hofmann, S. 47. 24 Hofmann, S. 48. 25 Hofmann, S. 54.
Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14),
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Moral getrennten Rechts und die Einschmelzung des Zwangsmoments in den Rechtsbegriff – machen den Begriff der Pflicht juristisch höchst problematisch und engen die Möglichkeiten einer freiheitlichen Verfassung, den Status der Rechtsgenossen auch durch Rechtspflichten zu definieren, a priori weitgehend ein. Denn unter solchen Voraussetzungen ist die Pflicht allemal ein sekundärer, ein bedingter und abgeleiteter, kein konstituierender Begriff.“26 Das sei die Quintessenz des Bonner Verfassungswerks. Den Gegenpol zu dieser Erkenntnis bildet dann eine weitausholende verfassungshistorische Analyse der Grundpflichten. Hier betätigt sich zunächst der Begriffsgeschichtler, wenn Begriff und Redeweise bei dem vergessenen Göttinger Philosophen Feder loziert werden, der unter Grundpflichten freilich in naturrechtlicher Manier „Menschenpflicht“ oder „Naturpflicht“ verstand27. In den Verfassungstexten seit dem Ende des 18. Jh. werden dann neben Grundrechten die Gehorsams-, die Eigentumsabtretungs-, die Wehr- und die Steuerpflicht positiviert, denen die Weimarer Reichsverfassung die juristische Bezeichnung „Grundpflicht“ gegeben habe. Meisterhaft wird die Transformation von republikanischen zu Untertanenpflichten durch diese Positivierung im deutschen konstitutionellen Kontext skizziert: „Allerdings verändern diese Pflichten im Verlauf der Verstaatlichung der aufklärerischen Menschenrechtserklärungen ihren Charakter. In diesem Prozeß, in dem die Revolutionsfurcht die Menschenrechte zu staatlich gewährten, weitgehend unpolitischen Volksfreiheiten verkürzt, in dem Gewährleistungen und Verpflichtungen nicht mehr anknüpfen an den abstrakt vernunftrechtlichen Begriff des Bürgers, sondern an dem des Volkes […], am Begriff des Untertanen, am Indigenat, und endlich an der Staatsangehörigkeit – in diesem Prozeß degenerieren die Pflichten der Bürger zur Erhaltung ihres freiheitlichen Gemeinwesens zu Pflichten von Untertanen monarchischer Staatsanstalten.“28 Unter der Weimarer Reichsverfassung erhalten dann einige der Pflichten, insbesondere diejenige zum Gesetzesge-
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Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 55. 27 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 59. 28 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 63.
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horsam, „eine spezifisch parlamentarisch-demokratische Dimension“29. Schließlich, nach 26 von 41 Druckseiten, gelangt Hofmann bei „dogmatischen Folgerungen“ an. Hier dient die Unterscheidung zwischen einer verfassungstheoretischen, einer verfassungsrechtlichen und einer verfassungsgesetztlichen (i.S. von verfassungstextlichen) Dimension als Raster: „Wenn […] Freiheit das Prinzip der Verfassung ist, so bedeutet das verfassungstheoretisch einen Vorrang der Grundfreiheiten vor den Grundpflichten, weil jene dem Zweck der Verfassung unmittelbar, diese aber nur mittelbar dienen, indem sie die Koexistenz gleicher Freiheiten ermöglichen und die einzelnen für die Organisation zu deren Schutz in Anspruch nehmen. Verfassungsrechtlich dagegen sind Rechte und Pflichten gleichrangige und gleichwertige Verankerungen von Existenzbedingungen einer freiheitlichen Ordnung. Was bliebe verfassungsrechtlich vom Prinzip der Freiheit, die als gleiche Freiheit aller nur gesetzmäßige Freiheit sein kann, wenn die Achtung der Gesetze für zweitrangig erklärt würde? Schließlich: Unbeschadet der verfassungsrechtlichen Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung von Grundrechten und Grundpflichten ist ihr verfassungsgesetzlicher Regelungsgehalt aus rechtsstrukturellen Gründen höchst ungleichgewichtig.“30 Letzteres weist auf die Tatsache hin, dass verfassungsrechtliche Grundpflichten notwendig der einfachgesetzlichen Konkretisierung bedürfen. Wenn die Abgrenzung von Freiheitssphären durch das allgemeine und d. h. gleichheitsgerechte Gesetz erfolgt, funktional zumeist als Grundrechtsschranken, sind die Grundpflichten die überwölbende Kategorie für die Gesetze einer im Rahmen der Art. 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG ausdifferenzierten Rechtsordnung. „Wegen ihres programmatischen Charakters beinhalten die Grundpflichten stets einen ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt. […] So wie Grundrechte als ,negative Kompetenznormen‘ (Horst Ehmke) begriffen werden können, sind Grundpflichten folglich als qualifizierte Kompetenznormen, genauer: als Verstärkung von Kompetenzvorschriften zu verstehen, die deren Wahrnehmung gewissermaßen ,grundrechtsfest‘ machen.“31 „Letztlich 29
Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 67. 30 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 69. 31 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 77 f.
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ist die verfassungsrechtliche Dimension der Grundpflichten nach alledem die der konstitutionellen Programmatik.“32 Ich hatte das Referat im Rahmen der Anfertigung meiner Dissertation, in der es im diachronen und synchronen Vergleich um die Frage ging, was wann und warum über die Besteuerung in Verfassungen gelangt und welche Auswirkungen das hatte und hat, gelesen33. Dort war die Verankerung der Steuerpflicht zentral. Hofmann hat mit seinem Staatsrechtslehrerreferat alles Notwendige zu den verfassungsrechtlichen Grundpflichten in jeglicher Perspektive gesagt; das Thema war damit in gewisser Weise erledigt. Diesem zentralen Text möchte ich andere grundrechtliche Arbeiten Hofmanns kontrastieren, die in jeder Hinsicht „freiwillig“ entstanden und die – anders als das gerade Behandelte – die Fragestellung überhaupt nicht erledigt, eher im Gegenteil die Diskussion neu angeregt haben. Ich meine seine Arbeiten zur Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes und hier v. a. die Berliner Antrittsvorlesung vom Januar 1993 „Die versprochene Menschenwürde“34. Auch hier kontextualisiert Hofmann: Die Menschenwürde werde nur bei der „Begegnung mit dem sozusagen puren menschlichen Leben jenseits der gewohnten sozialen Beziehungen, die in existenziellen Grenzsituationen seiner Hilflosigkeit, Bedürftigkeit, Gefährdung und Fremdheit nach elementaren Richtlinien des Umgangs verlangt“, relevant. „Wo Rechtspositionen hinreichend geschützt und eher selbstverständlich sind, bedürfen sie keiner Immunisierung durch Fundamentalbegründungen aus dem Wesen des Menschen.“35 Zentrales Anliegen Hofmanns ist es nun, dieses „oberste Konstitutionsprinzip“ vor missbräuchlicher Vereinnahmung, insbesondere mittels „metaphysischen Begründungsbreis“36 zu schützen. Er sympathisiert mit der Ansicht, es handele sich gar nicht um ein Grundrecht 32 Hofmann, Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension (Fn. 14), S. 79. 33 Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland–Schweiz, 1997. 34 Hasso Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, 1993 (auch in: Archiv des öffentlichen Rechts 118 [1993], S. 353 – 377). Als Überblick über die Diskurse um die Menschenwürdeverbürgung Manfred Baldus, Kämpfe um die Menschenwürde, 2016. 35 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 4. 36 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 7.
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sowie mit einer strikten Historisierung, bleibt dabei freilich nicht stehen, sondern möchte der wohl herrschenden Mitgifttheorie37 und Luhmanns Leistungstheorie38 einen eigenen Ansatz gegenüberstellen, der als Anerkennungstheorie in die Lehrbuchliteratur eingegangen ist39. Während die Leistungstheorie so gut wie nichts in den letztlich allein entscheidenden Grenzsituationen zu erklären vermag, verhält es sich mit der wohl dominierenden Mitgifttheorie doch schwieriger: „Der Kern aller Unzulänglichkeiten (dieser Lehre) liegt allerdings wohl genau dort, wo auch die Überzeugungskraft der Menschenwürdeidee ihre Wurzel hat: nämlich in dem aus der europäischen Tradition heraus Weltgeltung beanspruchenden Gedanken der einzigartigen Subjektivität des Individuums. Damit hängt aufs engste zusammen, daß Würde überwiegend als Qualität, als eine ,Seinsgegebenheit‘, nämlich eine Qualität oder Eigenschaft des Individuums […] gedacht wird.“40 Hofmann möchte demgegenüber als Gegenthese die Substanzhaftigkeit durch einen Relations- bzw. Kommunikationsbegriff ersetzen: Würde konstituiert sich 37 Vgl. „klassisch“ etwa aus der Frühzeit des Grundgesetzes Hans Carl Nipperdey, Die Würde des Menschen, in: Franz L. Neumann/Hans Carl Nipperdey/ Ulrich Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte. Handbuch der Theorie und Praxis der Grundrechte, Bd. 2, 2. Aufl.1968 (1. Aufl. 1954), S. 1 – 50; heute Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/1, 2006, S. 11 f.; zu verschiedenen Spielarten der Mitgifttheorie Ralf Poscher, Menschenwürde, in: Matthias Herdegen/Johannes Masing/Ralf Poscher/Klaus F. Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 17 Rn. 56 ff. 38 Niklas Luhmann, Grundrechte als Institution, 1965, S. 53 ff. Dieser Ansatz ist systemtheoretisch begründet, er stellt die funktional differenzierte Gesellschaft der Ständegesellschaft gegenüber. Einwände etwa bei Peter Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 22 Rn. 44. Aufgegriffen werden Elemente der „Leistungstheorie“ implizit etwa in der Entwicklung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, BVerfGE 65, 1 (41 ff.). 39 Ähnlich zuvor bereits je unterschiedlich Dieter Suhr, Entfaltung der Menschen durch die Menschen, 1976/2019, S. 88, 108; Adalbert Podlech, in: Erhard Denninger/Wolfgang Hoffmann-Riem/Hans-Peter Schneider/Ekkehart Stein (Hrsg.), Alternativkommentar zum Grundgesetz, 3. Aufl. 2001, Art. 1 Abs. 1 Rn. 15 ff. Vgl. aus der aktuellen Lehrbuchliteratur etwa Thorsten Kingreen/Ralf Poscher, Grundrechte. Staatsrecht II, 37. Aufl. 2021, Rn. 482; Jörn Ipsen, Staatsrecht II. Grundrechte, 24. Aufl. 2021, Rn. 232. Ohne Verweis auf Hofmann als „Kommunikationstheorie“ bei Friedhelm Hufen, Staatsrecht II. Grundrechte, 7. Aufl. 2018, § 10 Rn. 7. 40 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 11.
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demnach durch wechselseitige Anerkennung, durch die „positive Bewertung von sozialen Achtungsansprüchen“, also „mitmenschliche Solidarität“41. Menschenwürde könne daher „nicht losgelöst von einer konkreten Anerkennungsgemeinschaft gedacht werden“42. Auch der Grundwiderspruch zwischen dem universellen Geltungsanspruch einerseits, „der Partikularität der Verwirklichungsgemeinschaft“ in konkreten Nationalstaaten andererseits stärke diese Herangehensweise43. Dies läuft auf die Unterscheidung „zwischen der universellen Idee der Menschenwürde als einem moralischen Motiv für verfassungsrechtliche Regelungen und der Menschenwürdegarantie als Staatsfundamentalnorm [später: „Staatsfundamentierungsnorm“ genannt]“ hinaus44. Das gelingt durch den Rückbezug des Art. 1 Abs. 1 GG auf die Präambel des Grundgesetzes. In der verfassunggebenden Gewalt des deutschen Volkes, d. h. im Staatsgründungsakt sprechen sich die Menschen als „Rechtsgenossen“ „um der Würde des Menschen willen […] die gegenseitige Anerkennung als prinzipiell in gleicher Weise freie und in gleicher Weise würdige Mitglieder des Gemeinwesens“ zu45. In diesem wechselseitigen Versprechen wird ein gemeinsamer Sinn konstituiert, „der allen Beteiligten Maßstab sein soll“.46 Kurz: Menschenwürde als „Staatsgründungsakt gegenseitiger Anerkennung unserer menschlichen Achtungsansprüche“47. Dadurch 41 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 11; Kritik etwa bei Stern, Staatsrecht (Fn. 37), S. 22: was gilt bei Solidaritätsverzicht, bei der freien Entscheidung, ohne Kommunikationsbeziehung zu den Mitmenschen zu bleiben? 42 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 11. 43 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 13. 44 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 15. 45 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 15 f.; etwas anders akzentuiert bei Philip Kunig/Markus Kotzur, in: Ingo v. Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, Bd. 1, 7. Aufl. 2021, Art. 1 Rn. 3: „Übersetzung“ (i.S.e. Versprechens) des Präambelbekenntnisses der Verantwortung „vor Gott und den Menschen“. 46 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 16. 47 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 16; es stellt sich dann freilich die Frage, ob Bezugspunkt der konstruktiven verfassungstheoretischen Figur der verfassunggebenden Gewalt des Volkes nicht die Verfassung als solche, in ihrer Gesamtheit ist und nicht jede einzelne Verfassungsnorm, vgl. Josef Isensee, Würde des Menschen, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. 4, 2011, § 87 Rn. 32, der zugleich auf Gefahren der Vermischung von Verfassungstheorie und Verfassungsrechtsdogmatik hinweist.
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werden zugleich der individuell-freiheitliche wie der egalitär-demokratische Legitimationsstrang des Grundgesetzes zusammengeführt, das normative Staatsvolk als zugleich Werte- wie Willensgemeinschaft begriffen. Das kann man als gedankliche Nähe zu bestimmten Ausformungen der Lehre vom Gesellschaftsvertrag lesen, Sympathien Hofmanns mit bürgerschaftlich-städtischen mittelalterlichen Schwureinungen48 klingen an. Diese staatstheoretischen Konstrukte werden hier freilich realgeschichtlich gewendet49. Positiver Nebeneffekt ist, dass sich dieses Versprechen grundsätzlich nur auf die Menschen im eigenen Land erstrecken kann und unreflektierte grundrechtsimperialistische Ausweitungen scheut50. Das ist die Abgrenzung zu universellen Anerkennungstheorien und auch zu einem Konzept wie Hannah Arendts „Recht auf Rechte“.51 Folgen werden zum Schluss nur angedeutet: nicht nur in bewusster Kritik an der Karlsruher Judikatur die Entkoppelung von Lebens- und Würdeschutz, sondern auch die Exklusion des Embryos als für soziale Achtungsansprüche ungeeignetes Subjekt, wohl aber mögliches Schutzobjekt einer Rechtspflicht. Der Schutz des Embryos kulminiert in der Frage, „welchen Schutz wir dem ungeborenen Leben um unserer Selbstachtung willen schulden“52. Damit wird zugleich der Kontext des Vortrags zumindest angedeutet: Nach der Wiedervereinigung trafen zwei grundsätzlich unterschiedliche Regime des Umgangs mit vorgeburtlichem Leben aufeinander, die erst durch eine kompromisshafte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bis zu einem gewissen Punkt „harmonisiert“ werden konnten53. Dieses Programm wurde dann später in dem Vortrag beim inzwischen schon legendären ehemaligen „intradisziplinären Forum Franken“ Matthias Jestaedts und Oliver Lepsius’, veröffentlicht in einem Rainer
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Vgl. S. 28 bei Fn. 95. Poscher, Menschenwürde (Fn. 37), Rn. 62. 50 Vgl. Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 19. 51 Vgl. wiederum Poscher, Menschenwürde (Fn. 37), Rn. 62. 52 Hofmann, Menschenwürde (Fn. 34), S. 20. 53 BVerfGE 88, 203; zum zeitgeschichtlichen Kontext etwa Ulrike Lembke, Debatten um die Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs 1990 bis 1993: kulturelle Differenz oder westdeutsche Hegemonie?, in: 30 Jahre Deutsche Einheit (Recht und Politik, Beiheft 8), 2021, S. 58 – 72. 49
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Wahl gewidmeten Band, konkretisiert und ausgeführt54. Dem „kelsenianischen Anlass“ entsprechend geht es Hofmann hier vor allem um methodische Klarheit: Die „innere Mehrstimmigkeit des Ausdrucks“55 der Menschenwürde wird als hermeneutisches Problem verarbeitet, es soll kein unkontrolliertes Ineinanderfließen der Disziplinen geben. Die Kontextualisierung der Deutungsgeschichte von Art. 1 Abs. 1 GG wird fortgeführt, sowohl der christliche als auch der kantianische ideengeschichtliche Strang, in der Lehre Dürigs kombiniert, wird in ihrem überragenden Erfolg als perfekt zum Zeitgeist der Formierungsphase der Bundesrepublik passend erklärt und dem die entscheidende methodische Frage gegenübergestellt: „Was berechtigt uns, dem Verfassungsgeber über das allgemeine Bekenntnis zu dieser Geschichte und ihren Ursprüngen hinaus eine selektive Präferenz für ganz bestimmte Traditionselemente mit entschiedener Verneinung anderer zu unterstellen?“56 Daran ändere auch nichts die Ersetzung des christlich-theologisch imprägnierten Ansatzes durch philosophische Konzepte Kants: „Wo ist die Klammer, die den verfassungsrechtlichen Text der Menschenwürdegarantie mit Kants Menschenwürdephilosophie als maßgeblichem (oder gar einzigen) Kontext verbindet, da die hoch differenzierte Begrifflichkeit Kants dem fraglichen Verfassungsprinzip ja schwerlich als umgangssprachliche Wortbedeutung unterlegt werden kann?“, fragt Hofmann57. Und wenig später nochmals zugespitzt: „Wer erlaubt uns, die verfassungsrechtlichen Fragen der Auslegung des Art. 1 GG in philosophische Fragen einer philosophischen Konzeption zu transportieren?“58 Für Hofmann sind diese Stränge damit nicht mehr und nicht weniger als „Interpretationsmöglichkeiten“ der Verfassungsbestimmung59. Eine enggeführte subjektiv-historische Auslegung parlamentarischer Entscheidungen muss zunächst verworfen werden,60 um den eigenen juristisch54 Hasso Hofmann, Methodische Probleme der juristischen Menschenwürdeinterpretation, in: Ivo Appel/Georg Hermes (Hrsg.), Mensch – Staat – Umwelt, 2008, S. 47 – 78. 55 Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 47. 56 Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 61. 57 Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 61; Kant war jedoch – soweit ersichtlich – im Parlamentarischen Rat explizit gar nicht in Bezug genommen. 58 Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 64. 59 Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 65. 60 Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 65 ff.
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methodischen Interpretationsansatz zu fixieren: „Festeren Boden dürften wir erreichen, wenn wir die Fixierung auf die allzu enge Frage nach subjektiven Sinnvorstellungen der Abgeordneten aufgeben und im Sinne einer erweiterten, objektiv-teleologischen Interpretationsabsicht nach dem Zweck fragen, den es nach Lage der Dinge im Jahre 1949 hatte, die Menschenwürdegarantie an der Spitze des Verfassungswerks zu platzieren, also dort, wo man seinerzeit in Weimar mit der Festlegung der republikanischen Staatsform den revolutionären Sturz der Monarchie besiegelt hatte.“61 Vor diesem Hintergrund erweise sich Art. 1 Abs. 1 GG im Hesseschen Sinn als „normative Grundlegung dieses geschichtlich-konkreten Gemeinwesens“ mit der Folge, dass dann der common sense des säkularen, pluralistischen, freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens der Maßstab der dann notwendig sehr engen Auslegung wird62. Dieser Begründungsansatz ist in der Tat rechtsimmanenter und damit methodisch klarer. Der universelle Gehalt wird auf die konkret geltende Verfassungsordnung radiziert. Alexander Hollerbach hat in diesem Zusammenhang von der „Paradoxie nationalstaatlicher Realisierung von Menschenrechten“ gesprochen63. Der Preis dieses Rationalitätsgewinns dürfte freilich sein, durch die Koppelung der Würdeverbürgung an die je konkrete Verfassungsordnung für Grenzsituationen, wenn diese Ordnung wanken sollte, auch deren programmatischen Leitstern zu relativieren, denn wie verhält es sich mit der Anerkennungsgemeinschaft, wenn diese brüchig geworden ist, ja in einer durch die Annäherung von Sein und Sollen gekennzeichneten Ausnahmelage selbst zu scheitern droht? 64 Die von Hofmann vorgenommene Koppelung ist sicherlich realistisch, müsste ihre Bewährung in der Grenzsituation freilich noch erweisen65. Das gilt allerdings auch für die anderen Würdekonzeptionen. Dieses Bemühen, das Recht von transzendenten Einflüssen und Einwirkungen konsequent freizuhalten, muss Hofmann erneut auf den Plan rufen, wenn weltweit (freilich kaum in Deutschland oder über61
Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 66. Hofmann, Methodische Probleme (Fn. 54), S. 67. 63 Hollerbach, Laudatio (Fn. 10), S. 15. 64 Die Kritik von Isensee, Würde des Menschen (Fn. 47), Rn. 31, sieht hier sogar eine Intention der Zeitgeistanpassung der Würdekonzeption. 65 Kritisch in diese Richtung etwa auch Hufen, Staatsrecht II (Fn. 39), § 10 Rn. 7. 62
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haupt in Mitteleuropa) als Gegenmodell zur Säkularisierungsthese eine „Wiederkehr der Götter“, d. h. des Religiösen diagnostiziert wird66 und auch ein Denker wie Jürgen Habermas in seiner Friedenspreisrede von 2001 darauf eingeht (wenn auch im Ergebnis sich nicht darauf einlässt) 67. Das ist der Kontext für das Folgende. In seinem Vortrag vor der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie im September 2002 „Recht, Politik und Religion“ erfolgt die Reaktion68. Hofmann würde niemals bestreiten, dass die Rechtsordnung zu einem Gutteil und in vielfältiger Weise durch ursprünglich religiöse Denkweisen, Vorstellungen und Institutionen mitgeprägt wurde: „Über die verfassungsrechtliche Inkorporation jener Grundwerte bleibt das Rechtssystem jedenfalls in der Spitze der Normenhierarchie mit dem Moralsystem der Gesellschaft verbunden. Und dieses Moralsystem ist eben teils selbst das Resultat einer Verschmelzung verschiedener, auch religiöser Vorstellungen des Guten und Richtigen […]“ Das könne zum Problem werden, „wenn nicht nur Moral und Religion, sondern auch Religion und Politik wieder verschmelzen“69. Letzteres zielte sicherlich, wie am Schluss des Vortrags auch expliziert wird, auf den Islam. Hofmann sieht freilich auch jenseits davon „theologische Politikberatung“, wie er sie etwa in Ethikkommissionen ausmacht, kritisch70. Und gelegentlich – diese Bemerkung sei mir gestattet – kommen auch spezifisch bundesrepublikanisch-kulturprotestantische Affekte durch, wenn er (natürlich im Zusammenhang mit der leidigen Frage der Forschung an Embryonen) der vatikanischen Glaubenskongregation vorwirft, nach ihrem eigenen Anspruch aus der Offenbarung universelle Aussagen zu treffen71. Das macht freilich jede Offenbarungsreligion und ist in einem pluralistischen Gemeinwesen, das auch die Gegenansicht zulässt, eigentlich kein Problem, im Grunde sogar erwünscht, um ein vollständiges Spektrum der Ansichten zu erhalten. 66 Diskussionsüberblick bei Karl Gabriel, Jenseits von Säkularisierung und Wiederkehr der Götter, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 58 (2008), Heft 52, S. 9 – 15. 67 Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, 2001. 68 Hasso Hofmann, Recht, Politik und Religion, in: Juristenzeitung 58 (2003), S. 377 – 385. 69 Hofmann, Religion (Fn. 68), S. 380. 70 Hofmann, Religion (Fn. 68), S. 381 f. 71 Hofmann, Religion (Fn. 68), S. 384.
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Zudem haben auch zentrale Texte etwa der Französischen Revolution oder Kants von vornherein universelle Aussagen formuliert, am berühmtesten vielleicht Art. 16 der Menschenrechtserklärung vom August 1789. Das würde auch der heute zu Ehrende nicht bestreiten. Hofmann irrt freilich mit der Behauptung, die Glaubenskongregation wolle oder könne auch alle „Nicht- oder Andersgläubigen mit dem Mittel des Strafrechts unter die Konsequenzen der römischen Glaubenssätze und theologischen Erkenntnisse beugen“72. Das kirchliche Strafrecht bezieht sich und kann sich nur auf die Angehörigen der Glaubensgemeinschaft selbst beziehen73 und kennt ohnehin keine wirklichen Zwangsstrafen.74 Der Ausschluss von den Sakramenten75 und als Höchststrafe die Exkommunikation76 sind jedoch logischerweise gegenüber Nichtkatholiken schlicht irrelevant (in der Sache wahrscheinlich auch gegenüber Katholiken). Dieser Rekurs erscheint mir ein wenig wie ein nach 40 Jahren erneutes Aufflammen der Klerikalisierungskritik der 1950er und 1960er Jahre77 mit so unterschiedlichen prominenten Vertretern im Recht von Helmut Simon78 bis zu Roman Herzog79. Einordnen lässt sich die hier analysierte Kritik jedoch wiederum in die tiefe Skepsis 72
Hofmann, Religion (Fn. 68), S. 381. Vgl. c. 1 und c. 11 CIC 1983. 74 Vgl. etwa Adalbert Erler, Artikel „Ecclesia non sitit sanguinem“, in: Handwörterbuch der Rechtsgeschichte, Bd. 1, 1. Aufl. 1971, Sp. 795 – 798; Christian Waldhoff, Rechtliche Zwangsbefugnisse im Verhältnis von Staat und Kirche, in: ders. (Hrsg.), Recht und Konfession – Konfessionalität im Recht?, 2016, S. 191 – 216 (191 f.). 75 Interdikt, vgl. c. 1332 CIC 1983; Wilhelm Rees, Straftat und Strafe, in: Stephan Haering/Wilhelm Rees/Heribert Schmitz (Hrsg.), Handbuch des katholischen Kirchenrechts, 3. Aufl. 2015, § 106, S. 1591 – 1614 (1599 f.). 76 Rees, Straftat (Fn. 75), S. 1598 f. 77 Vgl. etwa Kristian Buchna, Ein klerikales Jahrzehnt? Kirche, Konfession und Politik in der Bundesrepublik während der 1950er Jahre, 2014; zu evangelischen Prägungen etwa Oliver Lepsius/Anselm Doering-Manteuffel, Richterpersönlichkeiten und ihre protestantische Sozialisation, in: Anselm Doering-Manteuffel/Bernd Greiner/Oliver Lepsius, Der Brokdorf-Beschluss, 2015, S. 167 – 224. 78 Helmut Simon, Katholisierung des Rechts? Zum Einfluß katholischen Rechtsdenkens auf die gegenwärtige deutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung 1962; vgl. zuvor bereits aus sozialwissenschaftlicher Sicht Thomas Ellwein, Klerikalismus in der deutschen Politik, 1955. 79 Roman Herzog, Subsidiaritätsprinzip und Staatsverfassung, in: Der Staat 2 (1963), S. 399 – 433. 73
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Hofmanns an der Neutralitätserzählung der Schmitt-Schule, dass sich der Staat als neutrale Instanz in den konfessionellen Bürgerkriegen ausgeprägt habe. 2. Verfassungsgeschichte in ihrem Verhältnis zum Verfassungsrecht Mein verfassungsgeschichtliches Schlüsselerlebnis mit einem Hofmann-Text bezieht sich nicht auf seine herausragenden Arbeiten zur Geschichte der Verfassungsbewegung80, der Grundrechte81, des Gesetzes82 oder der Demokratie83, sondern – vielleicht eher ungewöhnlich – auf einen zeitgeschichtlichen Text: „Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990“ erschien zunächst als § 7 im ersten Band der ersten Auflage des von Josef Isensee und Paul Kirchhof herausgegebenen Handbuchs des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland84. Der Beitrag könnte – eingereiht in eine ganze Kaskade von bestimmten Epochen der deutschen Verfassungsgeschichte (Konstitutionalismus, Weimarer Republik, nationalsozialistische Herrschaft, Besatzungsherrschaft, Entstehung des Grundgesetzes und später Teilung und Wiedervereinigung) behandelnden Abhandlungen – als Pflichtübung verstanden werden. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Er ist – neben der fünf Jahre früher erschienenen Habilitationsschrift Brun-Otto Brydes zur
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Hasso Hofmann, Vom Wesen der Verfassung, 2002 (auch in: JöR 51 [2003], S. 1 – 20); ders., Zur Idee des Staatsgrundgesetzes, in: ders., Recht – Politik – Verfassung, 1986, S. 261 – 295; ders., Zu Entstehung, Entwicklung und Krise des Verfassungsbegriffs, in: Alexander Blankenagel/Ingolf Pernice/Helmuth SchulzeFielitz (Hrsg.) Verfassung im Diskurs der Welt. Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 157 – 171. 81 S. o. Fn. 13. 82 S. u. S. 28 ff. 83 Vgl. etwa Hasso Hofmann, Verfassungsrechtliche Sicherungen der parlamentarischen Demokratie. Zur Garantie des institutionellen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses, in: Albrecht Randelzhofer/Werner Süß (Hrsg.), Konsens und Konflikt. 35 Jahre Grundgesetz, 1986, S. 267 – 286; dens., Verfassungsrechtliche Annäherungen an den Begriff des Gemeinwohls, in: Herfried Münkler/ Karsten Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, 2002, S. 25 – 41; dens., Über Volkssouveränität. Eine begriffliche Sondierung, in: Juristenzeitung 69 (2014), S. 861 – 868. 84 Hofmann, Entwicklung (Fn. 6), Bd. 1, 1. Aufl. 1987, § 7; zuletzt 3. Aufl. 2003, § 9.
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„Verfassungsentwicklung“85 – der erste Text zur Verfassungsentwicklung unter dem Grundgesetz als nach wie vor geltender Verfassung mit Anspruch. Er thematisiert damit implizit gerade nicht die Frage nach dem Beginn, sondern nach dem „Ende“ der Verfassungsgeschichte: Wie verhalten sich Geschichte und Geltung zueinander, wenn die Verfassung nach wie vor unbeschädigt in Kraft ist, also weiter gilt? Was kann, sollte oder muss unter der fortbestehenden Legalitätsordnung historisiert werden? 86 Vor allem die zahlreichen Änderungen des Grundgesetzes regen Hofmann zum Nachdenken an und werden in einem Beitrag zu der Festschrift für Thomas Raiser wieder aufgegriffen87. Die hohe Zahl an Änderungen unserer Verfassung wird auf formelle wie materielle Gründe zurückgeführt: Die Änderungsschranken seien im Rechtsvergleich eher gering; die provisorische Situation Deutschlands 1949 evoziere verschiedene Änderungsschübe – die Wehrverfassung, die Notstandsverfassung und die Wiedervereinigung. Das alte Problem des Verhältnisses von Verfassungswandel zur Verfassungsänderung wird folgerichtig differenziert gesehen: Im Grundrechtsbereich seien die weiten, ja lapidaren Formulierungen der Verbürgungen entwicklungsoffen, zumal ohnehin das Bundesverfassungsgericht angesichts des bescheidenen Textbefundes letztverbindlich konkretisiert88. Im präziser formulierten Staatsorganisationsrecht, insbesondere im Kompetenzbereich komme man demgegenüber um Verfassungsänderungen kaum herum. Dies mündet in vier Thesen zur Verfassungsänderung unter dem Grundgesetz: - Eine systematische Verhältnisbestimmung zwischen Verfassungswandel und Verfassungsänderung sei nicht möglich;
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Brun-Otto Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982. Christian Waldhoff, Das andere Grundgesetz, 2019, S. 35 ff. 87 Hasso Hofmann, Änderungen des Grundgesetzes. Erfahrungen eines halben Jahrhunderts, in: Reinhard Damm/Peter W. Heermann/Rüdiger Veil (Hrsg.), Festschrift für Thomas Raiser zum 70. Geburtstag am 20. Februar 2005, 2005, S. 859 – 870. 88 Hofmann, Änderungen (Fn. 87), S. 863: „Allerdings eröffnete der knappe und unbestimmte Wortlaut der Grundrechtsgarantien im Unterschied zu der präziseren Sprache des organisatorischen Teils der Verfassung für die Wechselwirkung zwischen der neuen Institution eines hochaktiven und geradezu massenhaft mit Grundrechtsproblemen befassten Verfassungsgerichts mit einer wertorientierten Staatsrechtslehre einen solch’ weiten Spielraum, dass sich jede förmliche Verfassungsänderung auf diesem Feld zu erübrigen scheint.“ 86
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- die Hürden für die Grundgesetzänderung seien nicht hoch, so dass sich das Grundgesetz als „flexible“, „bewegliche Verfassung“ erweise; - unter diesen Bedingungen werde die Verfassungsänderung als „bloße Erscheinungsform der Gesetzgebung“ zu politischem Alltag und - „Die Dominanz des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens bei der Verfassungsänderung vertieft die Differenz zwischen Verfassungsänderung und Verfassungsgebung nach Anlässen, Zwecken, historischen Bedingungen, Umständen und politischer Bewusstseinslage. Gleichzeitig wird der Abstand zwischen der Textstruktur der Verfassungsgesetze und der Textstruktur einfacher gesetzlicher Regelungen immer geringer.“89 Das alles hat weitere Konsequenzen: „Dieser Auffassung des Grundgesetzes als des penibel zu führenden [eine Formulierung Wilhelm Hennis’ aufgreifend] ,politischen Grundbuchs‘ der Nation korrespondierte und korrespondiert ein Prozess der Juridifizierung der Politik, derzufolge politische Konflikte nicht selten als Kämpfe um die richtige Auslegung des Verfassungsgesetzes ausgetragen werden.“90 Wie Hofmann insgesamt Verfassungsgeschichte auffasst, wird in der Würdigung des Standard-Lehrbuchs91 des (ehemaligen) Würzburger Fakultätskollegen Dietmar Willoweit anlässlich dessen 70. Geburtstags 2007 deutlich: „Verfassungsgeschichte als Phänomenologie des Rechts“92. Der Text orientiert sich an den Arbeiten des seinerzeitigen Jubilars, legt in der Sache jedoch verfassungsgeschichtliches Denken Hofmanns offen. Für das Willoweitsche Lehrbuch wird als charakteristisch herausgestellt, dass die Epochen nicht nebeneinanderstehend abgehandelt, sondern über das Recht als gemeinsamen Formprinzip der Verfassungsgeschichte verbunden werden93. Als „Geschichte der Rechtsbildung“ – um einen weiteren Titel Willoweits aufzugreifen – gehe es um „die Vielfalt von Rechtsvorstellungen, die unter bestimmten histori89
Hofmann, Änderungen (Fn. 87), S. 870. Hofmann, Änderungen (Fn. 87), S. 861. 91 Dietmar Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands, 1. Aufl. 1989; zuletzt Dietmar Willoweit/ Steffen Schlinker, 8. Aufl. 2019. 92 Hasso Hofmann, Verfassungsgeschichte als Phänomenologie des Rechts, 2007. 93 Hofmann, Verfassungsgeschichte (Fn. 92), S. 4. 90
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schen Bedingungen im menschlichen Bewusstsein entstanden sind“94. Dargestellt oder besser nachgezeichnet wird dann die Entwicklung von der Privilegienvergabe zur gesetzlichen Regelung. Besondere Sympathie genießen – auch hier95 – die städtischen Gemeinschaften, Schwureinungen u. ä., die später in das genossenschaftliche Rechtsdenken mündeten. Dies wird von Hofmann womöglich etwas idealisiert, überzeugend jedoch bis in die Beratungen der Paulskirche nachgezeichnet, über Hugo Preuß und Hugo Sinzheimer sogar bis ins Kommunal- und Arbeitsrecht. Das Gesetz, seine Entwicklung vom reinen Herrschaftsinstrument zum Mittel rationaler Gemeinwohlverwirklichung stand stets in einem gewissen Spannungsverhältnis zu den genossenschaftlichen Ansätzen96. Dass auch hier die Entwicklung der Grundrechte, beginnend bei Vorformen in Gestalt mittelalterlicher Freiheitsbriefe nicht fehlen darf, versteht sich von selbst. 3. Verfassungsrechtliche Grundfragen, insbesondere Demokratie und Gesetz Mein dritter Schlüsseltext überrascht womöglich ebenfalls: „Die Allgemeinheit des Gesetzes“97, ein Vortrag vor der Göttinger Akademie der Wissenschaften von 1986 führte wiederum alles Notwendige aus98. An der Humboldt-Universität habe ich mit der Berufung den Schwerpunktbereich „Rechtsetzung und Rechtspolitik“ übernommen – auch dort geht es im Kern um das Gesetz, seine Spielarten, seine Entstehung, seine Charakteristik usw.99 Der hier im Zentrum stehende Text hat meiner Einschätzung nach – wie das Staatsrechtslehrerreferat – trotz gelegentlichen gegenteiligen Aufzuckens ein Thema ebenfalls „erledigt“: Was es zur Allgemeinheit des Gesetzes in ideengeschichtlicher, verfassungshistorischer und dogmatischer Perspektive unter dem Grundgesetz 94
Hofmann, Verfassungsgeschichte (Fn. 92), S. 5. Vgl. bereits oben bei Fn. 48. 96 Hofmann, Verfassungsgeschichte (Fn. 92), S. 22. 97 Hasso Hofmann, Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: Christian Starck (Hrsg.), Die Allgemeinheit des Gesetzes, 1987, S. 9 – 48. 98 Gegenansatz mit einer zumindest teilweisen Konstitutionalisierung der Allgemeinheitserwartung bei Gregor Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, 2009. 99 Vgl. aktuell Oliver Lepsius, Gesetz und Gesetzgebung, in: Matthais Herdegen/Johannes Masing/Ralf Poscher/Klaus F. Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 12. 95
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zu sagen gibt, findet sich hier. Hofmann geht von der Diskussion der 1950er Jahre aus, wie sie sich etwa auf der Staatsrechtslehrertagung zum Thema „Das Gesetz als Norm und Maßnahme“100 in Kontrastierung eines liberal-rechtsstaatlichen, „angeblich zweckfreie Allgemeinheit“ repräsentierenden und einem sozialstaatlich geprägten „situations-zweckhaften Maßnahmegesetz“ ausprägte101. Gleich einleitend wird, explizit auf entsprechende Argumentationsstrategien Carl Schmitts Bezug nehmend, davor gewarnt, Idealbilder zu konstruieren um dann Verfallsgeschichten erzählen zu können. Den ideengeschichtlichen Hauptteil kann ich hier nicht rekapitulieren; er geht von Aristoteles aus, bezieht aber sogleich auch institutionelle Fragen wie der Ablösung einer rechtsetzenden von einer rechtsprechenden Gewalt ein102. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass Gesetze lange Zeit gespaltene Funktionen – mit Rückwirkung auf das Allgemeinheitspostulat – hatten: Einmal in der französischen Terminologie lois civiles („Rechtsgesetze“) und zum anderen lois politiques (Gesetze als politisches Gestaltungsinstrumente). Im demokratischen Traditionsstrang erweist sich die Allgemeinheit des Gesetzes als Folge der Konstruktion der Rechtsetzungsgewalt: Als volonté générale bei Rousseau, später als die Idee einer Kongruenz von Beteiligungsallgemeinheit und Gesetzesinhalt103. Bei Kant führt die Kombination von repräsentativem Handeln als disziplinierender Kraft und Ansätzen von Gewaltenteilung zur Allgemeinheit: Die Einsicht in das Vernunftnotwendige als quasi Entpolitisierung der Problemstellung104. Auf die Diskussionen um Begriff und Funktion des Gesetzes im deutschen Konstitutionalismus kann hier nur als Erinnerungspunkt hingewiesen werden. Erst nach diesen ausführlichen Durchgängen erfolgt in typisch Hofmannscher Manier die Klärung, was eigentlich Allgemeinheit in Bezug auf Gesetze bedeuten kann (temporale, personale und sachliche Allgemeinheit), um in der Conclusio die Bedeutung des „All100 Christian-Friedrich Menger, Das Gesetz als Norm und Maßnahme, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 15 (1957), S. 3 – 34; Herbert Wehrhahn, ebd., S. 35 – 65. 101 Zum Maßnahmegesetz Hans Schneider, Gesetzgebung, 3. Aufl. 2002, Rn. 195 ff.; in unüberbietbarer Pointierung BVerfGE 25, 371 (Leitsatz 1) – „lex Rheinstahl“: „Der Begriff des Maßnahmegesetzes ist verfassungsrechtlich irrelevant.“ 102 Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 13 ff. 103 Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 20 ff. 104 Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 22 ff.
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gemeinheitspostulats heute“ als dogmatische Fragestellung anzusteuern105. Hier erfolgt die Kontextualisierung im Grundgesetz mit einem Schwerpunkt auf der Frage, ob es ein Vollzugsmonopol der Exekutive geben könne. Mit der Figur eines etwaigen „Verwaltungsvorbehalts“ wird, falls überhaupt noch nötig, aufgeräumt106. Nur angedeutet wird als mögliche Begrenzung die uns im Corona-Kontext bewegende Frage nach Grenzen durch die Einschränkung von Rechtsschutzmöglichkeiten. Bei der grundrechtlichen Wendung der Fragestellung möchte ich eine kleine Unebenheit hervorheben: Hofmann führt aus: „Angesichts bestehender sozialer Unterschiede wie etwa der wirtschaftlichen Leistungskraft kann das sie mißachtende Gesetz ungerecht sein. Die in solchen Fällen notwendige Differenzierung geht dem Allgemeinheitspostulat also offenbar voraus. Überhaupt vermag das Gerechtigkeitsargument in der Version der Einzelfallgerechtigkeit den Gleichheitssatz auszuschließen.“107 Dieses Problem hat das Steuerverfassungsrecht – auch hier wohl als Vorreiter für manches – durch das Konzept relativer Gleichheit, die sich in der auf Besteuerungsvorgänge sachbereichsspezifischen Ausprägung des Gleichheitssatzes als Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit konkretisiert, schon lange verarbeitet108. Doch zum Hofmannschen Text zurück. Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG verbleibt damit nur ein schmaler Anwendungsbereich. Das ideengeschichtlich traditionsreiche und vernunftrechtlich einleuchtende Allgemeinheitspostulat entzieht sich weitgehenden Konstitutionalisierungen. In den Worten des zu Würdigenden: „Sanktioniert sind Verstöße gegen diese Ordnung daher weniger durch das Verdikt der Verfassungswidrigkeit als durch die politischen Folgen einer Störung des Systems.“109 Und: „Unberührt bleibt also die Überlegung, daß Generellität und Abstraktheit der Normen heilsamen Abstand von Personen und Situationen schaffen, ein Mittleres als Maß geben und so allererst Rechtsstrukturen gründen. Das Allgemeinheitspostulat diszipliniert. Diese alte Einsicht wird durch eine gewisse spezifisch juristische Skepsis gegenüber
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Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 33 ff., 41 ff. Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 41 ff. 107 Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 45. 108 Seit BVerfGE 6, 55 (70 f.); 82, 60 (86 f.) und ständige Rechtsprechung. 109 Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 44. 106
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der Möglichkeit präziser verfassungsrechtlicher Definitionen wiederum nicht in Frage gestellt.“110 4. Blinde Flecken? Was sind die Themen, die bei Hasso Hofmann staatsrechtlich nicht in gleicher Weise prominent aufscheinen, obgleich dazu womöglich Anlass bestanden hätte? Ich hebe vier Punkte hervor: (1) Von den Staatsstrukturentscheidungen des Grundgesetzes sind die Entscheidung für die Republik, für die Demokratie, für den Rechtsstaat und implizit stets auch für den Sozialstaat111 prominent vertreten. Der „Umweltstaat“ mit der von ihm deutlich kritisierten Staatszielbestimmung Umweltschutz scheint in den umweltrechtlichen Beiträgen deutlich auf 112. Sogar der „Steuerstaat“ kommt über die Steuerpflicht als Grundpflicht in das Blickfeld113. Was erstaunlich blass bleibt, ist die Bundesstaatlichkeit, der Föderalismus. In dem Handbuchbeitrag über die Verfassungsentwicklung unter dem Grundgesetz kommt Hofmann nicht umhin zu konstatieren, dass gerade im Kompetenzbereich und damit im bundesstaatlichen Teil des Grundgesetzes die mit Abstand meisten Verfassungsänderungen stattfanden114. In seinem Beitrag zur Würzburger Neumayer-Festschrift wird angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen dem pointiert antiplebiszitären Grundgesetz und den zahlreichen Formen direkter Demokratie auf Landesebene ein weiter bundesstaatlicher Homogenitätsspielraum postuliert (und werden damit zugleich Homogenitätsvorstellungen anderer Demokratiekonzep-
110 Hofmann, Allgemeinheit (Fn. 97), S. 46; in anderer Formulierung als Funktion des Gesetzes zur Herstellung „rechtsstaatlicher Distanz“ bei Michael Kloepfer, Gesetzgebung im Rechtsstaat, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 40 (1982), S. 63 – 96. 111 Vgl. etwa Hasso Hofmann, Vielfalt, Sicherheit und Solidarität statt Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?, in: Johannes Bizer/Hans-Joachim Koch (Hrsg.), Sicherheit, Vielfalt, Solidarität. Ein neues Paradigma des Verfassungsrechts?, 1998, S. 101 – 116 (111 ff.); dens., Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 1. Aufl. 2000, S. 193 ff.; inzwischen 5. Aufl. 2011. 112 Dazu Oliver Lepsius, in diesem Band S. 37 ff. 113 Hofmann, Grundpflichten (Fn. 14), S. 61 und 63 f. 114 Hasso Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, 3. Aufl. 2003, § 9 Rn. 74 ff.
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tionen – wie derjenigen Böckenfördes – mindestens relativiert) 115. Ein wirkliches Verhältnis zum Föderalismus sucht man jedoch vergeblich. Ist das Folge des innerbayerisch durch den „Münchenzentralismus“ womöglich enttäuschten Franken? Wahrscheinlicher erscheint mir, dass dem staatsrechtlich eher an konsequenter rationaler Konstruktion denn an organischer Entwicklung interessierten Denken Hofmanns der Föderalismus einfach nicht sonderlich nahe gelegen haben mag. (2) Für einen Staatsrechtler der frühen und mittleren Bundesrepublik ist es erstaunlich, dass das Bundesverfassungsgericht praktisch überhaupt nicht in den Arbeiten Hofmanns thematisiert wird. Diese wahrscheinlich größte und folgenreichste Innovation des Bonner Verfassungswerks wird zumindest nicht als Institution thematisiert oder problematisiert. Der „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ (Bernhard Schlink) im Sinne der aseptischen Beschäftigung mit den Karlsruher Judikaten wird belächelt oder gar leicht verspottet; aber theoretische oder systematische Analysen der Folgen der Bedeutung des Gerichts und seiner Rechtsprechung fehlen. (3) In den historischen Arbeiten fällt auf, dass zwar die Verfassungsentwicklungen unter der Weimarer Reichsverfassung und unter dem Grundgesetz behandelt werden, wenig Explizites jedoch zur Epoche des Nationalsozialismus sich in den Arbeiten findet. Dieser ist als traumatisierende Unrechtserfahrung, etwa als Hintergrundfolie für die Positivierung der Menschenwürdegarantie, und vor allem in der Rechtsphilosophie Hofmanns freilich stets deutlich präsent116. Eigene Arbeiten über diese Epoche fehlen jedoch, es werden eher die Schlussfolgerungen aus der Katastrophe für die Gegenwart gezogen. Dies mag auch generationell bedingt sein, die Pionierarbeiten für das Zivilrecht durch Bernd Rüthers117 und für das öffentliche Recht von Michael Stolleis liefen parallel, teilweise auch später und blieben zunächst vereinzelt118. Dem 115 Hasso Hofmann, Bundesstaatliche Spaltung des Demokratiebegriffs?, in: FS für Karl H. Neumayer, 1985, S. 281 – 298. 116 Vgl. nur Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 111), 1. Aufl. 2000, S. 109 ff. 117 Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 1. Aufl. 1968, 6. Aufl. 2005. 118 Michael Stolleis, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, 1974; vgl. ferner die Sammlung Michael Stolleis, Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, 1994.
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Meisterschüler Horst Dreier blieb es neben Walter Pauly vorbehalten, das Thema in die Staatsrechtslehrervereinigung einzuführen119. (4) Schließlich kommt die europäische Integration, ja überhaupt die Öffnung des Grundgesetzes gegenüber „außen“ nur ganz partiell und vor allem recht spät in das Blickfeld120. Das gilt insbesondere für die europarechtliche Überlagerung der nationalen Rechtsordnung. Vor allem bei der Analyse der Verfassungsentwicklung unter dem Grundgesetz ist das ein Defizit. Hier hatte ja der ihm persönlich verbundene und in Erlangen auch zeitweise räumlich nahe Klaus Vogel, insbesondere durch die Prägung des Begriffs der „offenen Staatlichkeit“, Akzente gesetzt121, fortgesetzt durch den Mithabilitanden Peter Badura im Rahmen seines auf der „Kieler Welle“ reitenden Staatsrechtslehrerreferats von 1964122. Gibt es für die thematischen Schwerpunkte des Schaffens wie auch für die blinden Flecken eine Erklärung? Der Titel meines Vortrags deutet auf einer abstrakten Ebene Hofmanns Herangehensweise als eine Präferenz für die ganz großen Linien historischer und ideengeschichtlicher Entwicklung in ihrer Verbindung mit dem geltenden Recht. Sieht man die Bundesrepublik am (vorläufigen) Endpunkt solcher Entwicklungslinien, treten notwendigerweise eher okkasionelle Ereignisse in den Hintergrund, und seien sie auch noch so prägend. Viele in der bundesrepublikanischen (Verfassungs-)Geschichtsschreibung würden das Besondere der Situation der Verfassunggebung 1948/49 hervorheben: Entstehungsgeschichtlich den Nationalsozialismus als – in der Diktion des Bundesverfassungsgerichts – „historisches Gegenbild“, die ausgebaute Verfassungsgerichtsbarkeit als (zunächst zumindest) prägendes Alleinstellungsmerkmal. Auch die supranationale Integration passt dann nicht 119
Horst Dreier, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 60 (2001), S. 9 – 72. 120 Vgl. etwa die kurzen Bemerkungen zu Art. 23 GG n.F. in Hofmann, Änderungen (Fn. 86), S. 868 f.; zurückhaltend zu dem Komplex europäischer Verfassunggebung Hofmann, Wesen der Verfassung (Fn. 80), S. 14 und durchgehend. 121 Klaus Vogel, Die Entscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit, 1964. 122 Peter Badura, Bewahrung und Veränderung demokratischer und rechtsstaatlicher Verfassungsstruktur in den internationalen Gemeinschaften, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 23 (1966), S. 34 – 96.
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wirklich in die Erzählung (anders wäre es freilich beim Föderalismus). Berücksichtigt man dies, kann auch ein Vergleich Hofmanns mit den beiden in einem weiteren Sinn zeitgenössischen Kollegen, die in diesen Fragen thematisch am nächsten zu verorten sind und ebenso für die historische Verortung des Bonner Verfassungswerks in ihrer Beziehung zum geltenden Recht stehen, unternommen werden: Zu Ernst-Wolfgang Böckenförde (1930 – 2019) und zu Dieter Grimm (geb. 1937). Im Kontrast zu Böckenförde fällt auf, dass Großthesen wie das Neutralitätsparadigma des modernen Staates als Hintergrund für eine Fruchtbarmachung Schmitts unter den Bedingungen der Bundesrepublik vermieden werden. Im Kontrast zu Grimm wiederum steht die Betonung des westlichen Verfassungsdenkens, d. h. die Jahre 1776/1787/1789 und die damit bewirkten Zäsuren, nicht in gleichem Maße im Zentrum, sondern der Rückgriff geht sehr viel weiter. III. Werk und Mensch „Wer das wissenschaftliche Werk von Hasso Hofmann auch nur in Umrissen kennt, wird mir zustimmen, daß eine Würdigung nur, um es biblisch auszudrücken, ,mit Furcht und Zittern‘ (Eph. 6, 5) unternommen werden kann. Denn schon bei einem ersten Blick, erst recht bei genauerem Zusehen, wird man einer üppig-reichen Vielfalt gewahr, treten beträchtliche Höhen und Tiefen in Erscheinung, tun sich eine erstaunenswerte Weite des Horizonts und ein differenzierter Reichtum der Perspektiven auf, zeigt sich eine kompakte Dichte des Gedankens – wie soll es gelingen, dem gerecht zu werden? Die Frage spitzt sich zu, wenn der Laudator dem zu würdigenden Werk nichts auch nur einigermaßen Gleichwertiges an die Seite zu stellen hat und sich so der Frage nach seiner Legitimation ausgesetzt sieht.“123 Das war der Beginn der Laudatio von Alexander Hollerbach beim Symposium zum 65. Geburtstag Hofmanns. Doch es kommt heute noch schlimmer: Ich bin weder Schüler Hasso Hofmanns, noch habe ich mangels Studiums in Würzburg oder Berlin je eine Lehrveranstaltung bei ihm besuchen können. Münchener Assistentenkollegen schwärmten zwar von den Würzburger staatsrechtlichen Vorlesungen124; an der Humboldt-Universität war zudem die Ehr123
Hollerbach, Laudatio (Fn. 10), S. 9. Vgl. jetzt Wolfgang Durner, Hasso Hofmann als Hochschullehrer. Ein studentischer Rückblick auf die Jahre 1987 – 1989, JöR 70 (2022), S. 761 – 764. 124
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furcht vor der Ernsthaftigkeit und der intellektuellen Strenge des Seminars noch präsent. Die Wahrnehmung der Person bezieht sich mithin auf persönliche Begegnungen – und auch die waren nicht wirklich zahlreich. Diese „wohlwollende Distanz“ hat für die Analyse eines – hier: staatsrechtlichen – Werks freilich auch Vorteile. Die Schüler im engeren wie weiteren Sinn mögen in der Diskussion Korrekturen und Ergänzungen anbringen. Als mich Horst Dreier bat, das staatsrechtliche Werk Hasso Hofmanns bei diesem Symposium zu würdigen, war trotz der skizzierten Bedenken nicht das geringste Movens für die Zusage die Pflicht, dann – über die relecture drei von mir als für mich prägend herausgestellten Texte hinaus – auch noch mal alles wirklich lesen zu müssen, ja eigentlich: zu dürfen. Dieses Motiv ist mehr als aufgegangen. Ich fühle mich mehr denn je intellektuell bereichert. Vorträge Hofmanns habe ich hier in diesem Raum in der Carl Friedrich von Siemens-Stiftung erlebt – ich erinnere mich vor allem noch gut an den durch Bilder unterlegten berühmten Vortrag über die Bilder des Friedens aus dem Jahr 1997125. Hofmann sprach beim Imbiss oder im Anschluss auch mit wissenschaftlichen Mitarbeitern – durchaus distanziert, stets jedoch freundlich und auch wirklich zugewandt. Besonders gefreut habe ich mich, als er meinen Vortrag über Verfassungsvorbehalte bei den Würzburger Vorträgen zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie im Januar 2016126 durch seine Anwesenheit ehrte. Als ein Habilitand von mir Hofmanns Emeritus-Zimmer an der Berliner Fakultät übernehmen konnte, schenkte Hofmann umstandslos dem Lehrstuhl die dort verbliebenen Fachbücher, darunter etwa die von ihm gern zitierten und fachlich naheliegenden127 „Geschichtlichen Grundbegriffe“ von Brunner/Conze/Koselleck oder das Staatslexikon der Görres-Gesellschaft in Originalausgabe.
125 Hasso Hofmann, Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit, 1. Aufl. 1997, 2. Aufl. 2008. 126 Christian Waldhoff, Der positive und der negative Verfassungsvorbehalt. Überlegungen zu einer Regelungstheorie im Grenzbereich von Verfassungsrechtsdogmatik und Verfassungstheorie, 2016. 127 Vgl. etwa den Untertitel der Habilitationsschrift zur Repräsentation: „Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert“.
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Bevor ich Hasso Hofmann persönlich begegnete, war er freilich schon durch zahlreiche Schilderungen meines akademischen Lehrers Klaus Vogel präsent. Nicht nur Alfred-Voigt-Anekdoten wurden erzählt, sondern dem Assistenten auch bekannt, dass in der Erlangen-Nürnberger Zeit Maja Vogel und Hasso Hofmann in einem Klaviertrio spielten. Die persönlichste Begegnung erfolgte rein zufällig Pfingsten 2000. Meine Mutter hatte sich gewünscht, ihren 60. Geburtstag im Zehnthof in Iphofen bei Würzburg mit der Familie zu feiern. Wir reisten alle an. Beim ersten Frühstück entdeckte ich am Nachbartisch das Ehepaar Hofmann, das – wie sich herausstellte – zu einer Feier von Bekannten eingeladen war. Ich war zu dieser Zeit am Beginn der Anfertigung meiner Münchener Habilitationsschrift. Nach kurzem Zögern fasste ich Mut, ging zum Hofmannschen Tisch und stellte mich kurz vor. Hofmann reagierte nicht nur ausgesprochen freundlich, kam zu unserem „Familientisch“ und begrüßte alle Anwesenden sehr höflich, sondern wiederholte das jeden Morgen während des verlängerten Pfingstwochenendes im unterfränkischen Weinland. Wir erhielten auch durchdachte Empfehlungen, was man jenseits des Konventionellen in der Umgebung ansehen könne. Hasso Hofmann hat das sicherlich recht schnell vergessen; für mich war es jedoch – ohne dass auch nur ein fachliches Wort gewechselt worden wäre – damals eine starke persönliche Ermutigung fachlicher wie auch menschlicher Art. Bei der Vorbereitung dieses Vortrags ist mir aufgegangen, dass diese Höflichkeit eine Spiegelung seines durch so große gelassene Klarheit und Präzision bestechenden wissenschaftlichen Werkes sein mag – und vice versa.
Nachweltschutz und Langzeitverantwortung im Verfassungsrecht Von Oliver Lepsius I. Von den „Rechtsfragen der atomaren Entsorgung“ zum Klimaschutz-Beschluss des BVerfG „Rechtsfragen der atomaren Entsorgung“ erschien zum Jahresende 1980. Seit vier Jahren wirkte Hasso Hofmann als Ordinarius in Würzburg. Dieses Buch machte ihn in einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.1 Die Langfristdimension der Kernenergie formulierte er als ein verfassungsrechtliches Thema. Was kann man zur Beseitigung radioaktiver Reststoffe tun, wenn sich Radioaktivität doch gar nicht beseitigen lasse? Die atomare Entsorgung stellt sich nicht als Problem des Abfallrechts dar, sondern als eines der Langzeitverantwortung und des Nachweltschutzes. Hofmann bedient sich einer inter- und einer intradisziplinären Herangehensweise. Das Problem wird zunächst aus den Rechtsgrundlagen des Atomrechts heraus energiewirtschaftlich und nukleartechnisch umrissen. Es geht um Fakten, Effekte, Wirkungszusammenhänge, die Risiken der Wiederaufbereitungstechnik sowie die Problematik der Endlagerung atomaren Abfalls.2 Die Erkenntnisse werden dann auf die Regelungen im Atomgesetz angewendet. Das Buch dringt in die verwaltungsgesetzlichen Details ein, verzahnt das Atomgesetz mit anderen Gesetzen wie dem Wasserhaushaltsgesetz oder der Gewerbeordnung. Unser Autor scheut nicht davor zurück, sich in das Berg- und Tiefspeicherrecht zu vertiefen. Er bezieht den Euratom-Vertrag ein, einen Teil der Römischen Gründungsverträge der Europäischen Gemeinschaft von 1957, arbeitet rechtsvergleichend die Ansätze in anderen Ländern aus, schwenkt ins Fachspezifische zurück, wenn Alternativen zur Endlagerung, darunter das Versenken des Abfalls im Meer diskutiert werden. 1 2
So sieht es jedenfalls Wikipedia, Eintrag zu Hasso Hofmann. Hasso Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 38 ff.
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Hofmanns Fazit ist dann wieder das des Juristen: So viele Fragen blieben offen und stellten sich überdies in einer grundsätzlichen Dimension, die Verwaltungs- und Verfassungsrecht überschreitet. In meinem Privatexemplar des Buches, das ich antiquarisch erworben habe, vermerkte der Vorbesitzer: „sehr klar, gründlich, unerhörte Sachkenntnis“. Dem kann ich mich nur anschließen. Freilich: Das von Hofmann pionierhaft formulierte Problem ist inzwischen jedenfalls vorübergehend geregelt.3 Rund 30 Jahre später, 2013, erging das Standortauswahlgesetz. Es sieht ein mehrstufiges Verfahren zur Suche nach einem Endlagerstandort vor.4 Die Zuständigkeit liegt bei speziellen Institutionen wie der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) oder dem Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Schon 1994 wurde im Zusammenhang mit der Verfassungsreform in Folge der Deutschen Einheit das Grundgesetz durch die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG ergänzt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ 2002 fügte man den Schutz der Tiere hinzu. Man könnte also meinen, Hofmanns Buch ergehe es wie vielen juristischen Texten, ja sogar juristischen Bibliotheken: Der Strich des Gesetzgebers mache sie zur Makulatur. Das jedoch ist nicht der Fall – und dies liegt weniger im Problem als solchem, sondern an Hofmanns juristischen Schlussfolgerungen. Uns heute interessiert der Text vor allem wegen seines Kapitels „Langzeitrisiko und Verfassung“. Hofmann selbst hat diesem Teil bleibende Relevanz zugesprochen, indem er ihn 1995 in seinen Sammelband „Verfassungsrechtliche Perspektiven“ aufnahm, er-
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Schon im Jahrbuch 1989/90 des Wissenschaftskollegs reflektierte Hofmann kritisch zwischenzeitliche Änderungen des Atomgesetzes, vgl. Hasso Hofmann, Zum Stand des Rechts der atomaren Entsorgung, ebd., S. 273 – 287. 4 Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle v. 23. 7. 2013 (BGBl. I S. 2553); neu bekanntgemacht als Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle v. 5. 5. 2017 (BGBl. I S. 1074).
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gänzt um einen zusammenfassenden Artikel zu dem Thema, den er 1986 in der ZRP publiziert hatte.5 Hofmann entwickelt einen bemerkenswerten intertemporalen Ansatz, der seiner Zeit voraus war. Jedenfalls bedient sich der Erste Senat des BVerfG in seinem Klimaschutzbeschluss vom 24. März 2021 gleichfalls eines Zeitargumentes zur Begründung seiner grundrechtlichen Intervention in das Klimaschutzgesetz des Bundes.6 §§ 3 und 4 des Bundes-Klimaschutzgesetz sind mit den Grundrechten unvereinbar, stellt das BVerfG fest, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Maßgabe der Gründe genügende Regelung über die Fortschreibung der Minderungsziele für Zeiträume ab dem Jahr 2031 fehlt. Heute bereits ist eine Regelung verfassungswidrig, die erst nach 2031 greift. Das ist eine bemerkenswerte Aussage, weil sie auf der Prämisse beruht, dass wir heute bereits die zur Beurteilung der Verfassungswidrigkeit nach 2031 nötige Sachlage jedenfalls soweit kennen müssen, um in der Gegenwart ein Verdikt der Verfassungswidrigkeit treffen zu können. Hier treffen wir auch auf einen intertemporalen Ansatz. Hat Karlsruhe vierzig Jahre nach dem Erscheinen Hofmanns Ansatz verfassungsrechtlich aufgegriffen? Ein Fall verspäteten posthumen Ruhms? Immerhin wird Hofmann im Karlsruher Beschluss zitiert, freilich nicht mit den „Rechtfragen der atomaren Entsorgung“, sondern mit dem ZRP-Aufsatz.7 Blicken wir zunächst auf Hofmanns Konstruktion eines verfassungsrechtlichen Nachweltschutzes, wie er es nennt. Seine Beweisführung mag auch deshalb weiterführend sein, weil sie den erst 1994 eingeführten Art. 20a GG noch nicht kennen konnte. Viele heutige Debatten kreisen um die Interpretation des Staatsziels Umweltschutz und die in Art. 20a GG genannte „Verantwortung für die künftigen Generationen.“ Hofmanns Begründung kann auf diese Vorschrift noch nicht bauen. Juristisch konnte er auf die Grundrechte zurückgreifen, d. h. vor allem Art. 2 Abs. 2 GG, das Recht auf Leben und Gesundheit, vom BVerfG seit 1975 im Wege der Verfassungsinterpretation als Schutz5
Hasso Hofmann, Verfassungsrechtliche Perspektiven, 1995, S. 326 ff., 349 ff.; ders., Nachweltschutz als Verfassungsfrage, ZRP 1986, 87 – 90. 6 BVerfG, Beschl. des Ersten Senats v. 24. 3. 2021 – 1 BvR 2656/18 u. a. = BVerfGE 157, 30 – 177, insbes. S. 97 ff., 131 ff., 163 (Rn. 116 – 125, 184 – 194, 243). 7 BVerfGE 157, 30 (111 f., Rn. 146).
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pflicht ausgestaltet,8 sowie auf verfassungsstrukturelle und verfassungstheoretische Argumente. Mit Hofmanns Ansatz können wir uns Art. 20a GG also hypothetisch wegdenken. Das mag von Vorteil sein, weil das Verhältnis zwischen den Grundrechten, den grundrechtlichen Schutzpflichten sowie dem Staatsziel Umweltschutz im Klimaschutzbeschluss des BVerfG als nicht wirklich geklärt bezeichnet werden kann.9 Das hat zunächst folgende Ursachen: Das BVerfG hat im Klimaschutzbeschluss drei dogmatische Bälle im Spiel: Die grundrechtlichen Schutzpflichten bei Art. 2 Abs. 2 GG, die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG und die Freiheitsrechte als Abwehrrechte. Die ersten beiden Bälle sind objektivrechtlicher Natur, der abwehrrechtliche Ball hingegen trägt die klassischen subjektiv-rechtlichen Merkmale. Die verfassungsdogmatische Kritik an der Klimaschutz-Entscheidung des BVerfG will näher wissen, ob die teilweise Verfassungswidrigkeit des Gesetzes aus den Grundrechten folgt, aufbereitet in einer intertemporalen Beziehung, oder aus den Schutzpflichten oder rein objektivrechtlich aus dem Staatsziel Umweltschutz. Die verfassungspolitische Kritik an der Entscheidung rügt überdies einen Übergriff der Verfassungsgerichtsbarkeit auf den Regelungszugriff des Gesetzgebers. Woher nehme das Gericht die Urteilssicherheit, besser als der Gesetzgeber zukünftige Belastungen in eine Handlungspflicht in der Gegenwart umzumünzen? Könne Karlsruhe in die Zukunft schauen? Drohe eine umweltpolitisch gerechtfertigte Expertokratie in Gestalt der Richterherrschaft? Ist die Gewaltenbalance aus den Fugen geraten? 10 8
BVerfGE 39, 1 (41 – 44) – Schwangerschaftsabbruch I [1975]. Dazu noch näher unten S. 54 ff. 10 Zur Kritik etwa Peter Graf Kielmansegg, Richtersache? Man darf von der Weltklimakonferenz wohl nicht viel erwarten – aber die Rettung kann kaum aus Karlsruhe kommen. Über ein Urteil und seine dramatischen Folgen, in: Süddeutsche Zeitung v. 30. Oktober 2021, S. 5. Mit der Argumentationsfigur zukünftiger Grundrechtsverletzungen weite das Gericht seine Kontrollbefugnisse weit ins Spekulative hinein aus. Hinter dieser Tür täten sich ganz neue, problematische Möglichkeiten für die dritte Gewalt auf. Mit jeder Staatszielbestimmung werde ein Stück Gestaltungsmacht dem auslegenden Gericht zulasten der politischen Gewalten übertragen. Das BVerfG spreche überdies eine Einladung an Kläger in aller Welt aus, mit Verfassungsbeschwerden gegen Deutschland vorzugehen. Eine sich abzeichnende Flucht in den Richterstaat sei eine Bankrotterklärung der Demokratie. Die Demokratie müsse von alleine mit ihrer Zukunftsverantwortung fertig werden, sonst sei sie gescheitert. 9
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Suchen wir auf diese Fragen Hilfe bei Hofmann – insbesondere bei seiner verfassungstheoretischen Begründung von Nachweltschutz und Langfristverantwortung. Hofmann spielt auch auf der objektiv-rechtlichen Klaviatur. Er greift auch auf die Schutzpflichten zurück, zieht die Präambel heran und gewinnt aus dem Gleichheitssatz eine Rechtfertigungspflicht im Zeitvergleich.11 Das entscheidende Argument jedoch ist verfassungstheoretischer Natur. Ihm wollen wir uns vor allem zuwenden, denn diesen Ansatz finden wir beim Ersten Senat nicht. II. Zur verfassungsrechtlichen Herleitung des Nachweltschutzes 1. Objektivrechtliche Bindungen, die keine Subjekte voraussetzen Wie kann Nachweltschutz als eine verfassungsrechtliche Aufgabe der Gegenwart begründet werden? Wie kann die Zukunft zu einem juristisch operationalisierbaren Gegenstand der Gegenwart gemacht werden? Das Problem scheint zunächst juristisch unlösbar. Zum einen beruht jede Rechtfertigung von Recht auf Tatsachen sowie den in der Gegenwart vorhanden Normen. Recht wird vollzogen und sanktioniert. Es ist auf das Diesseits bezogen, also auf eine empirisch wahrnehmbare Wirklichkeit, die sich juristisch in den tatbestandlich erheblichen Tatsachen äußert. Normativ ist Recht auf Normen bezogen. Es leitet seine Geltung aus einer höherrangigen Norm ab. Das Gesetz gilt, weil es in einem in der Verfassung geregelten Gesetzgebungsverfahren entstanden ist und nicht gegen materielles Verfassungsrecht, in erster Linie Grundrechte, verstößt. Sowohl die Geltung von Recht als auch die Wirkung von Recht kommt ohne Zukunft aus, muss dies sogar. Denn ersetzte man die Tatsachenebene durch Zukünftiges, würden aus Tatsachen bestenfalls Prognosen, schlimmstenfalls Spekulationen. Und baute man die Geltung von Recht auf die Zukunft, hätte dies negative Auswirkungen auf die demokratische Legitimation von Recht. Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus und diese demokratische Legitimation wird vom Volke durch
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Vgl. Hofmann, Atomare Entsorgung (Fn. 2), S. 280 – 283, 270 – 273, 283 –
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Wahlen und Abstimmungen ausgeübt, dekretiert das Grundgesetz,12 und es meint damit Akte von Gegenwärtigen. Für das Abstellen auf Nicht-Existente, auf „künftige Generationen“, ist dort kein Platz. Alle Versuche, das Legitimationssubjekt futurologisch zu modifizieren, dünnen bestenfalls die Legitimation aus, beseitigen sie im schlimmsten Fall. Man kann das Problem auch aus einer anderen Blickrichtung verdeutlichen. Knüpft Recht an Individuen an, sei es als Träger subjektiver Rechte, sei es im Rahmen von Legitimationssubjekten, dann ist es auf die Gegenwärtigen verwiesen, aber auch auf diese begrenzt. Nicht-Geborene können in der Gegenwart weder Rechte haben noch Legitimation ausdrücken. Die Einbeziehung zukünftiger Belange kann also nicht mit den Mitteln des subjektiven Rechts erfolgen. Damit aber sind die Mittel des Rechts nicht ausgeschöpft. Wir müssen den Blick aufs objektive Recht richten. So auch Hasso Hofmann 1981: „Selbstverständlich können Ungeborene noch keine Ansprüche haben, und kann der im Grundgesetz verfaßte Staat nicht über seine Zeit hinaus Träger irgendwelcher Verpflichtungen, Adressat subjektiver Berechtigungen sein. Aber das schließt ebenso gewiß nicht aus, daß der Staatsgewalt in ihrer Zeit, aber nicht nur für ihre Zeit, […] objektive Schranken gezogen sind und daß dieser unser Staat deswegen nicht berechtigt ist, der Nachwelt beliebige Belastungen zu überbürden.“13 Ausdruck dieses objektiven Rechts sind zunächst wiederum die Grundrechte, denen das BVerfG seit 1958 eine objektive Wirkung beimisst: zunächst als Instrument zur Erstreckung der Grundrechte auf das Privatrecht entwickelt,14 dann als Organisationsmaximen und Verfahrensgarantien gegenüber dem Staat konkretisiert15 oder auch auf intermediäre Gewalten erstreckt (Pluralismusanforderungen im Rundfunk12 Zu den Legitimationsverhältnissen siehe näher Horst Dreier, Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, in: Jura 1997, S. 249 – 257; auch in: ders., Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates, 2014, S. 159 – 184. 13 Hofmann, Atomare Entsorgung (Fn. 2), S. 260 f. 14 BVerfGE 7, 198 (208 f.) – Lüth [1958]. Dazu Rainer Wahl, Lüth und die Folgen. Ein Urteil als Weichenstellung für die Rechtsentwicklung, in: Thomas Henne/Arne Riedlinger (Hrsg.), Das Lüth-Urteil aus (rechts-)historischer Sicht, 2005, S. 371 – 397; Helmuth Schulze-Fielitz, Das Lüth-Urteil nach 50 Jahren, in: Jura 2008, S. 52 – 57. 15 BVerfGE 33, 303 – Numerus clausus [1972]. Siehe auch Peter Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL 30 (1972), S. 43 – 141 (80 ff.).
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recht).16 Auch die in der Ersten Abtreibungsentscheidung entwickelte Schutzpflicht des Staates für das Leben des Nasciturus zählt zu diesen objektiven Grundrechtswirkungen. Mit der Objektivierung der Grundrechte ist zunächst zwar keine Zukunftsinklusion verbunden, aber eine Ablösung von den gegenwärtigen subjektiven Rechtsträgern.17 2. Objektivrechtliche Bindungen, die kein Verfahrensrecht voraussetzen Dazu eine Zwischenüberlegung: Recht ist nur Recht, wenn es an anderer Stelle zu einer Pflicht führt. Wenn jemand ein Recht hat, muss einen anderen eine Pflicht treffen, etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen. Beim objektiven Recht erweitert sich diese Pflichtendimension über den Kreis der Rechtssubjekte hinaus. Den Staat trifft objektiv die Verpflichtung, Recht einzuhalten auch über die subjektiven Rechte hinaus, die individuell eingeklagt werden können. Verfassungsrecht jedenfalls erschöpft sich nicht in der Gewährleistung subjektiver Rechte. Art. 20 Abs. 3 GG normiert die objektive Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, ganz unabhängig davon, ob jemand den Staat verklagen kann oder nicht. Der Staat kann sich dem objektiven Recht also nicht entziehen, auch wenn es nicht immer einen Klagebefugten gibt, der sein subjektives Recht geltend macht. Daraus leitet Hofmann nun ab: „Das Recht – vornehmlich das öffentliche Recht – kennt also durchaus nichtreziproke Pflichtenverhältnisse, kennt Destinatäre ohne Anspruchsberechtigung. Und deswegen“, fährt Hofmann fort, „macht der ,Fortfall der Reziprozität in der Zukunftsethik‘ hier auch keine prinzipiellen Schwierigkeiten. Daß das Nichtexistierende keine Ansprüche stellt, daß es kein Recht darauf hat, überhaupt zu sein, daß die noch nicht gezeugten Generationen der Zukunft keinen Anspruch darauf haben, ins Leben gerufen zu werden – 16
Zuletzt BVerfGE 136, 9 – ZDF-Staatsvertrag [2014]. Zu den Leistungen und Schwierigkeiten der objektiven Grundrechtslehren vgl. Rainer Wahl, Die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte im internationalen Vergleich, in: Detlef Merten/Hans-Jürgen Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. I, 2004, § 19; ders., Herausforderungen und Antworten: Das Öffentliche Recht der letzten fünf Jahrzehnte, 2006, S. 31 – 35, sowie immer noch Horst Dreier, Dimensionen der Grundrechte, 1993, auch in: ders., Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates, 2014, S. 185 – 248. 17
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das vermag die staatsrechtlich-politische Verantwortung nicht zu begrenzen.“18 3. Die Überzeitlichkeit der verfassunggebenden Gewalt Damit ist die objektive Verpflichtung aber noch nicht begründet – und, wie gesagt, auf Art. 20a GG konnte Hofmann damals nicht zurückgreifen. Für die Begründung einer objektiven Rechtspflicht auf Nachweltschutz wird vor allem ein verfassungstheoretischer Beweis geführt. Er setzt beim Volk als verfassunggebender Gewalt an.19 Das Deutsche Volk, sagt die Präambel des Grundgesetzes, habe sich dieses Grundgesetz kraft seiner verfassunggebenden Gewalt gegeben. a) Pouvoir constituant und pouvoir constitué Die Verfassung unterscheidet deutlich zwischen dem Volk in seiner verfassunggebenden Funktion als pouvoir constituant und dem Volk als rechtlich verfasster Gewalt als pouvoir constitué. Als pouvoir constituant wird das Volk in der Präambel explizit angesprochen. Als pouvoir constitué wird es in Art. 20 Abs. 2 GG („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“) in Bezug genommen. Als pouvoir constitué muss das Volk rechtlich konstituiert sein, denn wie sollte es sonst wählen und abstimmen können? Dieses Volk muss also auf den einzelnen Stimmbürger genau berechnet werden können. Es ist ein Volk der Gegenwärtigen. Es kann normativ (über das Staatsangehörigen- und Wahlrecht) und empirisch (über die Volkszählung) bestimmt werden. Von diesem Volk ist der pouvoir constituant abzugrenzen. Er kann nicht aus Wählern oder Staatsangehörigen bestehen, denn diese Eigenschaften sind eine Leistung des Rechts, die bei der Verfassunggebung, die auf die Erzeugung von Recht gerichtet ist, nicht bereits vorausgesetzt werden können. Würden sie es, wäre das verfassunggebende Volk bereits ein verfasstes Volk – verfasst aber durch was, wenn es die Verfassung nicht ein kann? Beim Volk in seiner verfassunggebenden Funktion kann es sich daher nur um ein rechtlich nicht bestimm18 19
Hofmann, Atomare Entsorgung (Fn. 2), S. 261 f. Vgl. Hofmann, Atomare Entsorgung (Fn. 2), S. 260 – 266, 270 f.
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bares Volk handeln. Wenn positivrechtliche Bestimmbarkeitskriterien ausscheiden, wie ließe sich der pouvoir constituant dann beschreiben? b) Was zeichnet den pouvoir constituant aus? Man muss den pouvoir constituant von seiner Funktion her denken. Was sind die notwendigen Eigenschaften einer verfassunggebenden Gewalt? Zunächst muss es sich um eine Gruppe handeln, die verfassunggebend handeln will. Erforderlich ist also ein voluntatives, finales Element. Dieses muss bezogen sein auf eine Gruppe, die eine entsprechende Verbundenheit aufweist. Die Verbindung muss über den Willen, verfassunggebend handeln zu wollen, hinaus auf weiteren Gemeinsamkeiten beruhen. Dazu zählt zunächst eine Verständigungsmöglichkeit, in der Regel also eine gemeinsame Sprache. Schwieriger dürfte ein Konsens über andere Verbindungskriterien ausfallen. Ist eine Kulturverbindung notwendig, ein Geschichtsbewusstsein? Oder ein Klassen- oder Standesbewusstsein, das die Vergemeinschaftung, politisch (und zwar mit dem Zweck der Verfassunggebung) zu handeln, begründet? Hier bietet die Präambel insofern Hilfe, als sie vom „Deutschen Volk“ spricht, großgeschrieben. „Deutsch“ ist beim pouvoir constituant also kein Adjektiv, das auf die Staatsangehörigkeit verweist oder eine Ethnie beschreibt. Das „Deutsche Volk“ der Präambel ist ein Substantiv. Gemeint ist eine Gruppe, die sich als Deutsches Volk versteht. Der Aussagegehalt wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, was nicht gemeint ist. Es ist gerade nicht ein Stand gemeint – etwa in Fortführung des Dritten Standes als dem revolutionären Subjekt von 1789. Es ist nicht eine Klasse gemeint – im Kontrast zur Marxistischen Revolutionstheorie. Das verfassunggebende Volk des Grundgesetzes besteht aus einer voluntativ handelnden Gruppe, die sich standesübergreifend und klassenlos zusammensetzt. Sie muss einen in der Gleichheit gründenden Repräsentationscharakter aufweisen und darf sich nicht als sektiererische Gruppe mit einem besonderen oder besseren Bewusstsein formieren. Im „Deutsche[n] Volk“ der Präambel ist insofern eine Absage an die klassischen Revolutionstheorien (Französische wie Russische Revolution) enthalten, in denen gewaltbereite Gruppen mit einem Sonderbewusstsein sich zum revolutionären Subjekt aufschwangen. Das „Deutsche Volk“ als verfassunggebende Gewalt verweist demgegenüber auf eine unbe-
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stimmte Menschenmenge, die jedenfalls nicht gezählt werden kann, also nicht notgedrungen Anwesende voraussetzt. Wer sich diese Bedingungen des Volkes als verfassunggebender Gewalt vergegenwärtigt, erkennt, dass dieses Volk keinen Zeitbezug aufweist – anders als das Wahlvolk. Das Wahlvolk – also das Volk, von dem das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG ausgeht und das in Art. 38 GG näher bestimmt wird – ist immer ein ganz konkretes, auf den Stichtag der Wahl ausrechenbares. Das Volk als verfassunggebende Gewalt ist kein konkretes, sondern ein ideelles. Es kann und muss Vergangenes einbeziehen: Worauf beruht die Verbundenheit, verfassunggebend handeln zu wollen? Es kann und muss aber auch Zukünftiges einbeziehen: Worauf richtet sich der Wille, verfassunggebend zu handeln? c) Die Nicht-Anwesenden des pouvoir constituant Dass Zukünftiges von Nicht-Anwesenden im pouvoir constituant mitgedacht ist, wird von Hofmann klar ausgesprochen, auch wenn er nicht explizit vom pouvoir constituant spricht, sondern die Worte der Präambel benutzt: „Der Begriff des deutschen Volkes [weist] auch als Rechtsbegriff nicht nur zurück in die Vergangenheit, sondern außerdem voraus in die Zukunft“.20 Das gilt gerade für den pouvoir constituant des Grundgesetzes: Denn es war 1949 auf der einen Seite klar, dass mit der verfassungsgebenden Gewalt nicht diejenigen gemeint sein konnten, die in den westlichen Besatzungszonen ansässig waren. Große Teile des deutschen Volkes befanden sich außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes. Und der Wille des Verfassungsgebers richtete sich auf die Errichtung einer Verfassung für eine Übergangszeit. Der Parlamentarische Rat hatte die Herstellung der deutschen Einheit als Ziel der Verfassung im Blick. Er wollte keine Verfassung für ein dauerhaftes Gemeinwesen errichten. Er geht von einer Zukunft aus, die das Grundgesetz nicht verstellen durfte. Insofern ist gerade das Grundgesetz als eine besonders zeitbezogene Verfassung entstanden, sowohl was die Vergangenheit betrifft (geteiltes und verstreutes Volk) als auch die Zukunft (Herstellung der deutschen Einheit als Finalität der Verfassung). Entsprechend hieß es bis zum
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Hofmann, Atomare Entsorgung (Fn. 2), S. 263.
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2. Oktober 1990 in der Präambel der Ursprungsfassung:21 „[…] hat das Deutsche Volk in den Ländern Baden, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, SchleswigHolstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, um dem staatlichen Leben für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben, kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.“ Es war natürlich diese Fassung der Präambel, mit der Hofmann argumentiert – eine Präambel, die Geschichte und Zukunft noch sehr viel deutlicher artikuliert als die heutige Fassung, die aus Gründen der Aussöhnung mit den Nachbarstaaten auf volksbezogene Aspirationen und entsprechende Erwartungen verzichtet und das Grundgesetz von der Übergangszeit auf Endgültigkeit umstellt. Die Frage einer neuen Verfassung musste von der deutschen Einheit entkoppelt werden, an die sie 1949 geknüpft war. Sie wird im gleichfalls 1990 neugefassten Art. 146 GG jetzt der freien Entscheidung des deutschen Volkes (klein geschrieben) über eine (neue) Verfassung überantwortet. Das nach Art. 146 GG handelnde Volk kann der Sache nach kein pouvoir constituant sein. Wenn es frei entscheiden soll, ist ein Wahlakt erforderlich mit allem was im Willensbildungsprozess davor nötig ist (verfassunggebende Versammlung). Eine freie Entscheidung nach Art. 146 GG setzt daher eine rechtliche Verfasstheit voraus, die nur auf dem Boden des Grundgesetzes entstehen kann. Bei Art. 146 GG handelt es sich daher um eine Ermächtigung zur Totalrevision der Verfassung, die auch über die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG hinausgehen kann.22 Letztlich weist die Vorschrift 21 Verfassungsänderung durch das Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und zu der Vereinbarung vom 18. September 1990 v. 23. September 1990 (BGBl. II S. 885). Seit dem 3. Oktober 1990 gilt die heutige Fassung der Präambel. 22 Siehe Gerd Roellecke, Identität und Variabilität der Verfassung, in: Otto Depenheuer/Christoph Grabenwarter (Hrsg.), Verfassungstheorie, 2010, § 13 Rn. 46 – 50.
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einen Weg, Art. 79 GG zu umgehen – sowohl Abs. 3 als auch die Quoren und die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat nach Abs. 2. Ansonsten bräuchte man Art. 146 GG nicht, weil alle Änderungen im Verfahren nach Art. 79 GG ohnedies verwirklicht werden könnten.23 Für diese Auslegung der verfassungstheoretisch letztlich janusköpfigen Vorschrift des Art. 146 GG spricht überdies die Kleinschreibung des deutschen Volkes als Indikator für den pouvoir constitué und eine beiläufige Entscheidungspassage im Lissabon-Urteil des BVerfG, in der Karlsruhe wie selbstverständlich davon ausgeht, dass sich ein Neuschöpfungsprozess auf dem Boden des Grundgesetzes abspielt, also nicht vom pouvoir constituant getragen werden kann, und deswegen auch der Kontrolle durch das BVerfG unterliegt.24 Im Grunde kann man ganz lapidar feststellen: Ein pouvoir constituant kann schon deswegen nicht gemeint sein, weil sich dieser gar nicht frei entscheiden könnte.
23 Die Vielfältigkeit und Dynamik der Verfassungsänderungen zeichnet nach Hasso Hofmann, Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 3. Aufl. 2003, § 9; für die Zeit danach Hartmut Bauer, Die Verfassungsentwicklung des wiedervereinten Deutschland, ebd., § 14. 24 BVerfGE 123, 267 – Lissabon [2009]. Die Wahlberechtigten besäßen nach dem GG das Recht, über den „Identitätswechsel“ der Bundesrepublik Deutschland in freier Entscheidung zu befinden. Art. 146 GG schaffe ein Teilhaberecht des wahlberechtigten Bürgers (331 f.). Die verfassungsgebende Gewalt habe den Vertretern und Organen des Volkes aber kein Mandat erteilt, über die Verfassungsidentität zu verfügen. Keinem Verfassungsorgan ist die Kompetenz eingeräumt, die nach Art. 79 Abs. 3 GG grundlegenden Verfassungsprinzipien zu verändern. Darüber wache das Bundesverfassungsgericht (344). Vgl. auch BVerfGE 144, 20 (197) – NPD-Parteiverbot II [2017]; 154, 74 (134) – Einheitliches Patentgericht [2020]. Zu den Problemen auch Oliver Lepsius, Souveränität und Identität als Frage des Institutionen-Settings, JöR 63 (2015), S. 63 – 90 (65 – 67, 81 – 83); Heiko Sauer, Von Weimar nach Lissabon? Zur Aktualität des Methoden- und Richtungsstreits der Weimarer Staatsrechtslehre bei der Bewältigung von Europäisierung und Internationalisierung des öffentlichen Rechts, in: Ulrich J. Schröder/Antje v. Ungern-Sternberg (Hrsg.), Zur Aktualität der Weimarer Staatsrechtslehre, 2011, S. 237 – 260 (256 – 259); Holger Grefrath, Exposé eines Verfassungsprozessrechts von den Letztfragen? Das Lissabon-Urteil zwischen actio pro socio und negativer Theologie, AöR 135 (2010), S. 221 – 250 (226 f.).
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d) Die Prämbel ist ein normativer, kein historiografischer Text Umgekehrt kann die Präambel nicht als eine historische Beschreibung der Verfassungsgebung verstanden werden dergestalt, dass das Grundgesetz auf direktem Wege vom Volk „beschlossen“ worden sei (Fassung 1949) oder das Volk sich diese „gegeben“ habe (Fassung 1990). Es kann sich jeweils nur um eine verfassungstheoretische Invocatio handeln, so dass man nicht die Legitimation des Grundgesetzes am Maßstab eines Beschlussaktes prüfen und dann bejahen oder in Frage ziehen kann. Ich trete daher nicht einer verbreiteten Deutung bei, dem Grundgesetz habe am Tage seiner Verkündung etwas an demokratischer Legitimation gefehlt, weil es keiner Volksabstimmung unterzogen worden sei.25 Der pouvoir constituant jedenfalls hätte nicht abstimmen können. Vom pouvoir constitué hingegen kann keine dauerhafte Legitimation ausgehen. Denn wer wollte späteren Wählern verwehren, über diese Frage erneut abstimmen zu wollen? Wenn der pouvoir constituant nicht abstimmen kann, müsste in einem bestimmten Turnus der pouvoir constitué diesen Legitimationsakt erbringen. Wann müsste er dies tun? Alle 19 Jahre, wie Thomas Jefferson einst ausrechnete? 26 Wie könnte er es als Ja-Nein-Antwort tun? Würde von dieser eine legitimierende oder nicht vielmehr eine delegitimierende Wirkung ausgehen, weil vor allem die ablehnenden Stimmen in Erinnerung bleiben und nicht durch politische Akte aufgewogen werden könnten? Verfassungstheoretisch kann man die verfassunggebende Legitimation jedenfalls nicht einlösen, indem man eine Volksabstimmung über die Verfassung anberaumt. Es ist auch historisch nicht so, dass Verfassungen grundsätzlich vom Wahlvolk durch Abstimmung angenommen würden. Weder die US-amerikanische noch die Weimarer Reichsverfassung kannten einen entsprechenden Abstimmungsakt – und das ist völlig unschädlich, weil von ihm gar keine verfassunggebende Legitimationswirkung ausgehen könnte.
25 So etwa Reinhard Mußgnug, Zustandekommen des Grundgesetzes und Entstehen der Bundesrepublik Deutschland, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 1987, § 6 Rn. 96 – 100. 26 Brief von Thomas Jefferson an James Madison v. 6. 9. 1789, The Papers of Thomas Jefferson, Vol. 15, 1958, S. 392 – 398.
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Entscheidend ist jedenfalls Hofmanns Einsicht, dass dem pouvoir constituant eine zeitliche Offenheit eigen ist, sowohl im Hinblick auf die Vergangenheit als auch im Hinblick auf die Zukunft. Es ist gerade dieser Aspekt, der ihn interessiert. Durch die Zukunftsdimension wird die Verfassung inhaltlich offener, sie ist jedenfalls nicht positivrechtlich fixiert. Und sie löst sich von den Gegenwärtigen, die beim pouvoir constitué, dem Wahlvolk, unvermeidlich sind. III. Zur Gegenwart und Zukunft des pouvoir constituant Schließen wir an dieser Stelle erneut eine Zwischenüberlegung an, die den Zeitbezug der Verfassung noch über Hofmanns Überlegungen hinaus verdeutlicht.27 Hofmanns Ausgangspunkt ist die Einsicht, dass die Legitimation einer Verfassung samt dem Agieren der verfassunggebenden Gewalt nicht als ein historischer Akt begriffen werden kann, der an einem bestimmten Datum erbracht worden sein muss. Sein Zeitargument bindet Gegenwart und Zukunft ein, verpflichtet die Gegenwärtigen gerade zur Berücksichtigung der Zukunft. Wie kann das mit dem pouvoir constituant erklärt werden? Ausgangspunkt ist erneut die Prämisse, dass es sich bei Volk als verfassunggebende Gewalt nicht um eine tatsächlich existierende Gruppe von empirisch erhebbaren oder rechtlich bestimmbaren (Staatsangehörigen- und Wahlrecht) Menschen handeln kann. Dann aber muss man die Frage stellen, welches denn die Legitimationsgrundlage der Verfassung ist, wenn wir uns weder mit dem einmaligen Stiftungsakt noch mit den wiederkehrenden Wahlakten begnügen können? 28 Wo fänden wir ihn denn, den zukunftsfähigen pouvoir constituant? Ich suche ihn an fünf Stellen.
27 Man vergleiche auch den Ansatz, den Tobias Herbst in seiner von Hofmann betreuten Dissertation vorlegt. Herbst fordert kollektive Autonomie als Legitimitätsressource und betont, eine kollektive Autonomie spiele nicht nur im Zusammenhang mit der Verfassungsgebung eine Rolle. Unter dem Gesichtspunkt der kollektiven Autonomie könne eine Verfassung im Laufe der Zeit ihre Legitimität verlieren, wenn sich die äußeren Umstände oder die Anschauungen der betroffenen Individuen signifikant änderten ohne dass dies durch die Verfassung berücksichtigt wird; siehe Tobias Herbst, Legitimation durch Verfassunggebung, 2003, S. 108, 126 f., 133 – 136. 28 Das Problem wurde annähernd gleichzeitig zu Hofmann thematisiert von Brun-Otto Bryde, Verfassungsentwicklung, 1982, S. 246 ff.
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1. Verfahrenskaskade von Wahlen und Abstimmungen des pouvoir constitué Die einzelnen Legitimationsschritte bei der Entstehung des Grundgesetzes lassen sich sämtlich auf einen pouvoir constitué zurückführen: Die bereits gewählten Landtage wählten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates. Der Parlamentarische Rat stimmte über den Verfassungsentwurf ab. Danach musste das Grundgesetz in den Volksvertretungen von zwei Dritteln der Länder, in denen es zunächst gelten sollte, angenommen werden (Art. 144 GG). Abschließend wurde noch einmal der Parlamentarische Rat tätig (Art. 145 GG). Er stellte in öffentlicher Sitzung die Annahme des Grundgesetzes fest, fertigte es aus und verkündete es. Die tatsächliche Verfassungsgebung kam also ganz ohne pouvoir constituant aus. Sie stellte sich als eine Verfahrenskaskade von Wahlen und Abstimmungen dar, die auf den pouvoir constitué zurückzuführen sind. 2. Bestätigung durch Betätigung Eine zentrale Legitimationsressource der Verfassung ist ihre Betätigung. In der Durchführung der Akte, die in der Verfassung vorgesehen sind, liegt naturgemäß eine Bestätigung der Verfassung als solcher. Mit jeder Bundestagswahl wird die Verfassung legitimiert. In der Befolgung jedes verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes oder eines anderen Aktes von Verfassungsorganen liegt eine Legitimationserteilung. Doch sind auch diese Akte auf die Handlungen von Gegenwärtigen zurückzuführen, freilich mal als Teil des Wahlvolkes, mal als Staatsangehörige, mal auch bloß als Ansässige und Teil der Bevölkerung. Das Legitimationssubjekt umfasst die Bandbreite vom pouvoir constitué (Bundestagswahl) bis hin zur Akzeptanz und Partizipation von Bevölkerungsteilen, die mangels Staatsangehörigkeit und/oder Wahlrecht nicht zum pouvoir constitué zählen. Auch die Inanspruchnahme von Grundrechten zählt zur legitimierenden Betätigung der Verfassung. Der pouvoir constituant ist hier jedenfalls (noch) nicht zu sehen. 3. Änderbarkeit und Änderungen Das Grundgesetz sieht in Art. 79 GG seine Änderbarkeit vor; es will geändert werden. Unabhängig von der Absicht „dem staatlichen Leben
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für eine Übergangszeit eine neue Ordnung zu geben“, hatte der Parlamentarische Rat jedenfalls nicht die Vorstellung, etwas Festgefügtes schaffen zu wollen. Dass Änderungen vorgesehen und bezweckt waren, verdeutlicht auch der Umstand, dass sich der Parlamentarische Rat über die Grenzen der Verfassungsänderung mit Art. 79 Abs. 3 GG Gedanken gemacht hat. Wer die Verfassung ändert, betätigt und bekräftigt sie dadurch. Zugleich liegt im Unterlassen einer Verfassungsänderung auch eine Bestätigung der Geltung des Nichtgeänderten. So wird die Bestimmung des Art. 79 GG als solche, unabhängig davon, ob von ihr im Konkreten Gebrauch gemacht wird oder nicht, zum Legitimationsinstrument der Verfassung. Alle Akteure, die im Rahmen von Art. 79 GG verfassungsändernd tätig werden, sind freilich wiederum vom Volk als Wahlvolk, vom pouvoir constitué legitimiert. So erheblich das theoretische Legitimationspotential des Art. 79 GG ist,29 so wenig liefert diese Bestimmung eine Manifestation der verfassungsgebenden Gewalt. 4. Die verfassunggebende Gewalt des Volkes als Narrativ Bliebe also nur die deklamatorische Aussage der Präambel, die dort getroffene Feststellung, dass das „Deutsche Volk“ als verfassungsgebende Gewalt gehandelt habe? Man soll diese Invocatio freilich nicht geringschätzen. Das Grundgesetz formuliert einen Anspruch. Es stellt sich in eine Tradition. Es bedient, könnte man mit der zeitgenössischen Terminologie sagen, ein Narrativ. Die Überzeugungsleistung von Narrativen darf man keinesfalls geringschätzen. Oftmals sind gerade sie es, die eine Legitimationsleistung vermitteln, welche in ihren konkreten Abläufen nur schwer auf den Punkt gebracht werden kann. Das Narrativ fasst bündig zusammen, wozu es sonst vieler Worte bedürfte. Gerade zur schnellen Überzeugung und gerade zur Überzeugung breiter Bevölkerungskreise ist das Narrativ von der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes hilfreich. Was sollte man sonst sagen? Sollte man die korrekte Beweisführung antreten mit einem Satz, das Grundgesetz gilt, weil es in einem demo29 Zur Abgrenzung von der Verfassungsgebung siehe auch Herbst (Fn. 27), S. 119 ff.; Brun-Otto Bryde, Verfassunggebende Gewalt des Volkes und Verfassungsänderung im deutschen Staatsrecht zwischen Überforderung und Unterforderung der Volkssouveränität, in: Roland Bieber/Pierre Widmer (Hrsg.), Der europäische Verfassungsraum, 1995, S. 329 – 343 (332 ff.).
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kratisch-legitimierten Verfahren aus repräsentativ zusammengesetzten Organen entstand, seitdem durch von der Bevölkerung betätigte verfassungsrechtlich vorgesehene Teilhabe- und Abwehrrechte legitimiert wurde und überdies durch Verfassungsänderungen, die wieder einem demokratisch-repräsentativen Verfahren genügten, aber auch durch die implizierte Legitimationsbekräftigung aufgrund unterlassener Verfassungsänderung legitimiert ist? Das würden die meisten nicht durchschauen. Je mehr Worte desto geringer Erklärungskraft und Überzeugungswert. Insofern erfüllt die griffige Kurzformel von der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes hier eine sinnvolle Klammerfunktion. Ihre Überzeugungskraft ist jedenfalls auch empirisch betrachtet hoch. Das zeigt sich etwa im Umkehrschluss an der Bereitschaft, Gesetze zu befolgen, weil man von ihrer Legitimität überzeugt ist, die sie dem verfassungsrechtlich geregelten Erzeugungsverfahren verdanken. Dass der pouvoir constituant, wie oben hervorgehoben, ein letztlich idealistisch gedachter Schöpfer ist, steht dem nicht nur nicht entgegen, sondern ist umgekehrt eine Voraussetzung für das Narrativ. Es kann nicht empirisch entkräftet werden – deshalb ist es ja ein Narrativ und nicht Historiographie. Wir kommen dem pouvoir constituant hier zwar schon nahe, haben ihn letztlich aber bislang nur in einer Verkleidung gesehen. 5. In die Gegenwart fortwirkende Verfassungsgebung Der pouvoir constituant muss sich also noch in einer weiteren Gestalt zeigen. Wie könnte dies geschehen? Bedenken wir Hofmanns Hinweis auf die Zeitlosigkeit der verfassungsgebenden Gewalt. Es würde ja nicht reichen, wenn wir den pouvoir constituant im Jahre 1949 am Werk gesehen hätten. Warum sollte er nur einmal tätig werden und danach die Bühne der Verfassungstheorie verlassen? Das mag noch das Problem des Abbé Sieyès gewesen sein, der dem Dritten Stand beibringen musste, dass die Revolutionszeit mit dem Errichten der Verfassung beendet ist und dasselbe Volk nun nur noch als pouvoir constitué entscheiden dürfe; oder das Problem bei der Novemberrevolution 1918, als in der sozialdemokratischen Revolutionstheorie die Revolution mit dem Ausrufen der Republik durch Philipp Scheidemann am 9. November 1918 begann und mit der Einsetzung des Rates der Volksbeauftragten unter Friedrich Ebert tags darauf schon wieder endete, während die kommunistische Revolutionstheorie die Revolution auch am 9. Novem-
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ber beginnen ließ, nämlich mit dem Ausrufen der Ständerepublik durch Karl Liebknecht, dann aber kein Ende fand und die Revolution in den Bürgerkriegswirren des Jahres 1919 verlor. Das Problem des beendeten pouvoir constituant haben aber nur die Zeitzeugen von Revolutionen. Sie müssen den neuen Geltungsgrund bereiten und das gelingt nicht, wenn sich ein revolutionäres Subjekt verstetigt. Davon zu trennen ist aber das Problem, wie der pouvoir constituant in der Gegenwart fortwirkt. Täte er dies nicht, würden jedenfalls jene Legitimationsakte, die die Geltung der Verfassung begründen (die Betätigung der Verfassung durch eine Bevölkerung, die Änderbarkeit der Verfassung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber, der repräsentativ auf der Wahl basiert), nur auf den pouvoir constitué zurückgehen. Wenn der pouvoir constituant nur ein einziges Mal waltet und alle späteren Legitimationsakte auf dem pouvoir constitué beruhen, erleidet die Verfassung mit fortlaufender Geltung einen theoretischen Legitimationsverlust (bezogen auf den pouvoir constituant), während die fortlaufende Geltung jedoch praktisch ihre Legitimation erhöht. Das wäre eine merkwürdige Zwickmühle, die gegenüber dem Narrativ der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes eine empirisch feststellbare Differenz auslösen würde, obwohl diese Differenz nur ein Produkt der Theorie ist. Um dies zu vermeiden, bleibt nur eine Einsicht: Auch in der Gegenwart, auch hier und heute muss der pouvoir constituant walten. In ihm sind die Ideale der Verfassung aufgehoben, der Verfassungspatriotismus, der Glaube an die Geltung der Verfassung jenseits einer positivistisch-normativ abgeleiteten Geltung. IV. Pouvoir constituant in Gestalt der Verfassungsinterpretation 1. Interpretationen jenseits der Zuständigkeitsordnung Die gegenwärtige Emanation des pouvoir constituant verwirklicht sich über die Verfassungsinterpretation. Interpretation ist ein Modus, der mehrfache, sich ergänzende juristische und epistemische Leistungen erbringen kann. Verfassungsinterpretation ist ein Verwirklichungsmodus, der Geltung und Wirksamkeit verbindet, der also die geltendrechtlichen Zwangs- und die verfassungstheoretischen wie rechtssoziologischen Wirksamkeitsbedingungen überschreitet. Überdies ist er nicht an
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eine Kompetenzordnung gebunden, was eine Rechtsordnung voraussetzen würde. Die Prozesse des verfassungsinterpretierenden pouvoir constituant spielen sich freilich nicht in völliger Beliebigkeit und Kompetenzlosigkeit ab. Verfassungsinterpretation ist zunächst kein Monopol des BVerfG. Die gerichtlichen Interpretationsakte erwachsen im Hinblick auf den einzelnen Fall in Rechtsbindung. Im Hinblick auf die Maßstabsbildung als Zwischenkonkretisierungsebene ist dies aber gerade nicht der Fall.30 Zwar hat das BVerfG über die verfassungsgerichtlichen Maßstäbe das letzte Wort, denn diese können weder vom verfassungsändernden Gesetzgeber geändert noch durch die Interpretationsakte anderer Akteure (etwa der Wissenschaft) ersetzt werden. Man darf das letzte Wort bei der Entscheidung eines Falles oder bei der Monopolisierung der Maßstäbe als gerichtlich erzeugter Zwischennorm aber nicht mit Verfassungsinterpretation als solcher gleichsetzen.31 Aus der Kompetenz des BVerfG zur Entscheidung von konkreten Verfassungskonflikten auf Antrag und nach Maßgabe enumerativer Verfahren folgt noch keine Letztentscheidung bei der Verfassungsinterpretation als solcher. Zur Verfassungsinterpretation sind nämlich viele berufen, nicht nur Kompetenzträger, nicht einmal nur Juristen. Sie steht letztlich jedermann offen und sie ist auch nicht begrenzt auf den positivierten Verfassungstext oder die Interpretation von verfassungsgerichtlichen Vorinterpretationen. Sie kann sich auf Wünsche und Aspirationen genauso erstrecken wie auf das Weiterdenken vorhandener und das Vorausdenken zukünftiger Verfassungsinterpretationen. Bei der Verfassungsinterpretation geht es immer auch ein Stück weit um eine Fortentwicklung der Verfassung. In der Interpretation liegt nicht nur ein Anwendungsakt, sondern auch ein Schöpfungsakt. Geht man von einer Normenhierarchie aus, dann enthält jede Form der Normkonkretisierung in der abgestuften Kompetenzordnung zugleich eine Rechtserzeugung. Überträgt man diese Rechtserzeugungsfähigkeit auf die Interpretation, so löst man sie von der rechtlichen Kom30
Oliver Lepsius, Zur Bindungswirkung von Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen, in: Rupert Scholz u. a., Realitätsprägung durch Verfassungsrecht, 2008, S. 103 – 117. 31 Vgl. Oliver Lepsius, Die maßstabsetzende Gewalt, in: Matthias Jestaedt u. a., Das entgrenzte Gericht, 2011, S. 157 – 279 (174 – 182).
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petenzstruktur ab und öffnet sie einem partizipativen Prozess derjenigen, die sich durch die Grundaussagen der Verfassung verbunden fühlen und diese Grundaussagen durch Neu- und Fortinterpretation bekräftigen wollen, also einen Geltungsanspruch erheben. Wir erkennen die Merkmale des pouvoir constituant, die wir oben schon identifiziert haben: Zum einen handelt es sich um einen nicht rechtlich konstruierten Akteur, sondern eine Gruppe, die eine Verbindung hat, welche sich durch die Verfassungsinterpretation ergibt (sozusagen die Verfassungspatrioten als zeitgenössische Emanation des „Deutschen Volkes“, von dem Präambel spricht). Zum anderen ist das Handeln der Gruppe voluntativ auf die kreative Fortentwicklung der Verfassung gerichtet. Sie wollen die Geltung der Verfassung erhalten, indem sie die Textgrundlage modifizieren. Das ist Wille zur (partiellen, ergänzenden) Verfassungsgebung. Verfassungsinterpretation enthält daher im fortbildenden Gehalt immer etwas Erzeugendes, das sich auch als pouvoir constituant beschreiben lässt, ja als pouvoir constituant beschrieben werden muss, weil man ansonsten auf die formalisierte Zuständigkeitsordnung bei rechtsförmigen Interpretationsakten angewiesen wäre. Nach der Zuständigkeits- und Kompetenzordnung aber haben nur die Gewalten den Auftrag zur Interpretation von Rechtsregeln. Damit aber wären alle partizipativen Formen gesellschaftlicher Akteure aus der Verfassungsinterpretation ausgeschlossen. Das kann politisch nicht sinnvoll sein und entspricht auch nicht einem partizipativen Verfassungspatriotismus. Wer aber sagt, dass das Grundgesetz partizipative Formen der Verfassungsinterpretation ausschlösse und eine autoritative Subsumtionsstruktur intendierte? Im Grundgesetz kennt die Verfassungsinterpretation keine klare Zuständigkeitsordnung. Sie braucht kein Organisations- und Verfahrensrecht – was ja gerade die Bedingung ist, um einen pouvoir constituant erkennen zu können. Die verfassungsinterpretierend-gebenden Akteure sind teils Organe (der Gesetzgeber, das BVerfG), teils kollektive Überzeugungen der Gesellschaft, teils einzelne Akteure. Wir haben es also mit einer Vielfalt von potentiell verfassungsgebenden Interpretationsakteuren und Interpretationsakten zu tun.32 Ob sich die Interpretationen 32 Vgl. Peter Häberle, Verfassungsinterpretation und Verfassunggebung, in: ZSR 97 (1978), S. 1 – 49, auch in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 2. Aufl. 1996, S. 182 – 224 (184), der den Gedanken so ausdrückt: „Verfassunggebung und Verfassungsinterpretation, zeitlich, sachlich und personell einander näher gerückt,
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verfassungsgebend auswirken, ist indes keine Frage, die auf dieser Ebene zu entscheiden wäre. Der als Verfassungsinterpret Agierende weiß nie, ob seine Interpretation anerkannt wird und sich durchsetzt. Selbst der Revolutionär, der pouvoir constituant sein will, kann immer als Putschist enden. Das entscheidet die entstandene Rechtsordnung. Dass wir uns beim „interpretierenden pouvoir constituant“ diffusen Akteuren und den vielfältigsten Interpretationen gegenübersehen, schadet grundsätzlich also nicht. Entscheidend ist nur, dass Interpretationen, die außerhalb der Kompetenzordnung entstanden sind, sich innerhalb der Kompetenzordnung durchsetzen. Organe, die ihre Legitimation aus dem pouvoir constitué ableiten (Verfassungsbindung, Legitimationskette des Art. 20 Abs. 2 GG), beziehen die Rechtserzeugungsinhalte aus einem offenen, vorgeschalteten Interpretationsprozess. In der traditionellen Verfassungstheorie beschreibt man diese Form der Verfassungsfortentwicklung entweder als Verfassungswandel33 (und bewegt sich dann in der Kategorienwelt des 19. Jahrhunderts, die schon vor dem Problem stand, den Preußischen Budgetkonflikt von 1862 erklären zu müssen) 34 oder man greift auf das Diktum von der offenen
stehen in Wechselwirkung, sogar in Teilidentität, zueinander: Momente konstituierender Verfassunggebung im weiteren Sinne finden sich auch in der tagtäglichen Verfassungsinterpretation, und: Vorgänge und Verfahren der Verfassungsinterpretation finden sich auch in der Verfassunggebung […]. Der Übergang von der alten zur neuen Verfassung ist in offenen Gesellschaften in komplizierten Wechselwirkungsvorgängen zu sehen, die neue Verfassung erhält Anregungen aus der Interpretation der alten, die alte wirkt in neuer Gestalt fort, sie wird sogar eine Art ,Geburtshelfer‘ der neuen Verfassung.“ Erneut S. 199, 211, siehe auch ebd., S. 198 – 202: funktionellrechtlicher Pluralismus vieler Verfassunggeber. 33 Distanzierungen etwa durch Peter Häberle, Zeit und Verfassung, in: ZfP 21 (1974), S. 111 – 137, auch in: ders., Verfassung als öffentlicher Prozeß, 2. Aufl. 1996, S. 59 – 92 (82 f.): Verabschiedung des selbständigen Begriffs „Verfassungswandel“; Peter Lerche, Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum (1971), in: ders., Ausgewählte Abhandlungen, 2004, S. 47 – 60 (49 f.): die Veränderungsideologien nähmen das Gesetzesrecht auf die leichte Schulter; siehe auch Christian Walter, Hüter oder Wandler der Verfassung – Zur Rolle des Bundesverfassungsgerichts im Prozeß des Verfassungswandels, in: AöR 125 (2000), S. 517 – 550; Uwe Volkmann, Verfassungsrecht zwischen normativem Anspruch und politischer Wirklichkeit, VVDStRL 67 (2008), S. 57 – 93; Andreas Voßkuhle, Stabilität, Zukunftsoffenheit und Vielfaltsicherung, in: JZ 2009, S. 917 – 924. 34 Darauf aufbauend Paul Laband, Die Wandlungen der deutschen Reichsverfassung, 1895.
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Gesellschaft der Verfassungsinterpreten von Peter Häberle zurück35 (und bewegt sich dann in der Kategorienwelt der bundesrepublikanischen Grundrechtstheorie). „Verfassungswandel“ kennt zahlreiche Factetten und ist eine recht wenig griffige Kategorie für Fragen, die sinnvoller als Interpretationsprobleme diskutiert werden sollten.36 Zwei Beispiele mögen verdeutlichen, wie bei der Interpretation pouvoir constituant und constitué zusammenwirken:
35 Peter Häberle, Die offene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: JZ 1975, S. 279 – 305, auch in: ders., Die Verfassung des Pluralismus, 1978, S. 79 – 106; ders., Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, 2. Aufl. 1996, S. 225 ff.; aus unterschiedlichen Richtungen kritisch reflektierend etwa Ulrich Hufeld, Urkundlichkeit und Publizität der Verfassung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 259 Rn. 8 f.; Josef Isensee, Staatsrechtslehre als Wissenschaft, in: JZ 2009, S. 949 – 954, der anlässlich eines Tagungsbandes von der geschlossenen Gesellschaft der offenen Verfassungsinterpreten spricht; Michaela Hailbronner, We the Experts. Die geschlossene Gesellschaft der Verfassungsinterpreten, in: Der Staat 53 (2014), S. 425 – 443. Hofmann stand Häberles Figur offen gegenüber, vgl. Hasso Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 2000, S. 56: „Unter den Bedingungen faktischer Wirksamkeit des Systems genügt als normative Basis die Feststellung, dass – statt aller – der Rechtsstab, der sich in der Demokratie freilich bis zur ,offenen Gesellschaft der Verfassungsinterpreten‘ (P. Häberle) auszuweiten scheint, das Verfassungsgesetz professionell als maßgeblich anerkennt und in diesem Sinn normativ handhabt.“ 36 Für den klassischen Zugriff vgl. Peter Badura, Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsgewohnheitsrecht, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII, 1992, § 160 Rn. 13 ff.; Thomas Würtenberger, Verfassungsänderungen und Verfassungswandel des Grundgesetzes, in: Helmut Neuhaus (Hrsg.), Verfassungsänderungen, 2012, S. 287 – 305. Dieser Topos wird heute als weitgehend unpassend gesehen, vgl. Bryde, Verfassungsentwicklung (Fn. 28), S. 254 ff.; Ernst-Wolfgang Böckenförde, Anmerkungen zum Begriff Verfassungswandel (1993), in: ders., Staat, Nation, Europa, 1999, S. 141 – 156; Andreas Voßkuhle, Gibt es und wozu nutzt eine Lehre vom Verfassungswandel?, in: Der Staat 42 (2004), S. 450 – 459; Rainer Wahl, Verfassungsgebung – Verfassungsänderung – Verfassungswandel I, in: ders. (Hrsg.), Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsinterpretation, 2008, S. 29 – 48; Uwe Volkmann, Verfassungsänderung und Verfassungswandel, in: JZ 2018, S. 265 – 271. Neuerliche Revitalisierung des Konzepts bei Lothar Michael, Die verfassungswandelnde Gewalt, in: Rechtswissenschaft 5 (2014), S. 426 – 480.
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2. Erstes Beispiel für interpretierenden pouvoir constiuant: der erweiterte Kunstbegriff Bei der Bestimmung des Schutzbereichs der Kunstfreiheit orientierte man sich zunächst an einem werkimmanenten Begriff der Kunst. Kunst drückte sich in den grundsätzlich seit der Antike anerkannten Formen aus: bildende Kunst als Malerei oder Plastik, darstellende Kunst als Musik, Theater, Tanz. Man unterschied materiale und formale Kunstbegriffe, Werkbereiche und Wirkbereiche.37 Dann aber betrat der „erweiterte Kunstbegriff“ die Bühne, zunächst geschaffen von Joseph Beuys. Sein erweiterter Kunstbegriff stellte auf Wahrnehmung und Kommunikation ab38 und realisierte dadurch eine soziologische Deutung von Kunst:39 Performance, Happenings, Honigpumpe oder 7000 Eichen: Kunst kann plötzlich viel mehr sein als die alten Kunstbegriffe zuließen. Juristisch gesprochen nimmt Beuys letztlich die Deutungshoheit über den Schutzbereich der Kunstfreiheit in Anspruch. Das BVerfG lässt sich bei der Bestimmung dessen, was als Kunst geschützt wird, darauf ein. In der Entscheidung zum „Anachronistische[n] Zug“ akzeptiert das BVerfG den „offenen Kunstbegriff“. Es ging um ein Straßentheater, das Franz-Josef Strauß eine Geistesverwandtschaft zum Nationalsozialismus unterstellte. Die verfassungsrechtlich interessante – und im Hinblick auf die anzuwendenden Schrankenregelungen wichtige – Frage ist, ob der „Anachronistische Zug“ als Versammlung, als Meinung oder als Kunst geschützt wird? Karlsruhe entscheidet sich für Kunst. Merkmal einer künstlerischen Äußerung sei es, dass es „wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung 37 Zur Abgrenzungsgeschichte siehe Fabian Wittreck, in: Horst Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 5 Abs. 3 (Kunst), Rn. 37 f., 45 – 47; Andreas v. Arnauld, in: Bonner Kommentar zum GG, 184. Akt. 2017, Art. 5 Abs. 3 (Kunst), Rn. 41 – 62. 38 Heinrich Theodor Grütter/Rosa Schmitt-Neubauer u. a. (Hrsg.), Die unsichtbare Skulptur. Der erweiterte Kunstbegriff nach Joseph Beuys, 2021. 39 Vgl. Alphons Silbermann, Kunst, in: René König (Hrsg.), Soziologie, 1958, S. 156 (157): Kunst habe erst einen soziologischen Realitätswert als soziale Interaktion. Erst wenn sich das gleiche Erlebnis „in einer Geste, einem Wort, einem Ton konkretisiert und überträgt, kann das angeblich gleiche Erlebnis nachgewiesen und geprüft werden. Von hier aus gesehen werden Kreation und Rekreation zur Sprache der Aktivität jeglicher Kunstform; sie verfestigen solche für den Soziologen verschwommenen Begriffe wie Musik, Malerei, Dichtung usw. und schaffen soziales Handeln, einen begrifflich ,greifbaren‘ Prozeß, eine soziale Situation.“
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im Wege der fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so daß sich eine praktisch unerschöpfliche, vielgestaltige Informationsvermittlung ergibt.“40 Die schöpferische Kraft, aus der sich der pouvoir constituant speist, liegt nicht bei einem Künstler, nicht bei einem Happening, sondern bei sehr viel mehr Menschen und Gruppen, die sich diese schöpferische Kraft zu eigen machen, sie verbreiten, fördern und erweitern – etwa als Kunstvermittler und Kunstinterpreten. Der Resonanzraum der Handlung ist eben kein rein politischer – dann handelte es sich nämlich um Meinung und Versammlung. Dieser Resonanzraum, der die Trägerbotschaft weiterinterpretiert, wird vom BVerfG als „fortgesetzte Interpretation“ bezeichnet. Hier wird übrigens auch das Zukunftspotenzial deutlich: Die künstlerische Interpretationsgemeinschaft ist sich einig, dass das, was sie sieht und hört, keine Bedeutung hat, die sich im Hier und Jetzt erschöpft, eben keine Handlung ist, die als Meinung im Raum steht, sondern als in Gang gesetzte Sinngebung zukünftiges Handeln beeinflussen wird. In der Gegenwart wird etwas angelegt mit Wirkung für die Zukunft, und das ist den in der Gegenwart Agierenden klar. 3. Zweites Beispiel für interpretierenden pouvoir constituant: die Ehe für alle Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass eine gleichgeschlechtliche Ehe jenseits des Vorstellungsvermögens des Parlamentarischen Rates lag. Für die Bestimmung eines grundrechtlichen Schutzbereiches ist freilich immer der freiheitliche Sinn und Zweck relevant, nicht die zeitgenössische gesellschaftliche Ideenwelt. Sonst könnte das BVerfG auf die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch keine Fernsehurteile stützen. Die Brücke für die Interpretation des Art. 5 GG über den Wortlaut hinaus für Fernsehen ist nicht eine neue Technik, sondern der Sinn und Zweck des mit dem Verfassungsbegriff „Rundfunk“ intendierten Freiheitsschutzes. Der besondere Schutz der Einehe, den Art. 6 Abs. 1 GG statuiert, liegt entweder in der Ehe als Versorgungsgemeinschaft oder als Reproduktionsgemeinschaft.41 Für die Versorgungsfunktion ist die Ehe 40
BVerfGE 67, 216 (277) – Anachronistischer Zug [1984]. Den Schutzzweck der Ehe als Versorgungsgemeinschaft arbeitet heraus BVerfGE 53, 257 (296, 299 f.) – Versorgungsausgleich I [1980]. Auf die Versor41
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konstitutiv, für die Reproduktionsfunktion hingegen nicht (auch wenn die Sozialmoral das bis in die 1960er Jahre so sehen wollte). Bekanntlich aber wurden Witwenehen immer als Ehe geschützt, so dass die Reproduktionsfunktion auch sozialmoralisch nicht den verfassungsrechtlichen Schutz der zweigeschlechtlichen Ehe als Reproduktionsgemeinschaft erklären kann. Historisch diente die Zweigeschlechtlichkeit der Einehe der Funktion der Ehe zur Versorgung der Frau zu einer Zeit, als Frauen keine Geschäftsfähigkeit besaßen und nur abgeleitete Versorgungsansprüche erwerben konnte. Die Ehe diente immer auch dem Zweck, Frauen wirtschaftlich abzusichern. Daneben sicherte sie den Leumund der Frau, ermöglichte ihr den gesellschaftlichen Umgang außerhalb der elterlichen Familie. Die Zweigeschlechtlichkeit der Ehe gründet nicht in der Reproduktionsfunktion. In dem Maße, in dem die Ehe als Lebensform des sozialmoralisch normierten Sexualverhaltens entbehrlich wurde, trat die Versorgungsgemeinschaft als Schutzweck der rechtlich privilegierten Zweipersonenverbindung immer stärker in den Vordergrund. Die Folge war, dass es keinen aus Art. 6 Abs. 1 GG rührenden Grund gab, gleichgeschlechtlichen Verbindungen den Status der Ehe vorzuenthalten.42 Die gleichgeschlechtliche Verbindung erfüllte genauso gut den Funktionsschutz der Ehe als einer gleichberechtigten Lebensgemeinschaft.43 Dies nun war die sich in den 1990er Jahren immer stärker ausbreitende „herrschende Meinung“ zum Funktionsverständnis der Ehe. Während es um das Jahr 2000 noch vielerorts bezweifelt wurde, dass eine eingeschlechtliche Lebensform als Ehe bezeichnet werden kann, dürfte sich zwanzig Jahre später das Grundverständnis komplett gewandelt haben. Die Gleichbe-
gungsgemeinschaft stellt auch ab BVerfGE 82, 60 (91) – Kindergeldkürzung für Besserverdienende [1990]. 42 Schon BVerfGE 105, 313 (342 ff.) – Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft [2002] erkannte keinen aus Art. 6 Abs. 1 GG ableitbaren Grund, solchen Lebenspartnerschaften die Rechte und Pflichten beizumessen, die denen der Ehe gleichkommen. Leitsatz 3: „Dem Institut der Ehe drohen keine Einbußen durch ein Institut, das sich an Personen wendet, die miteinander keine Ehe eingehen können.“ 43 BVerfGE 10, 59 (66 f.); 35, 382 (408); 37, 217 (249 ff.); 53, 257 (296); 103, 89 (101).
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rechtigung gleichgeschlechtlicher Verbindungen hat sich jedenfalls in der westlichen Welt durchgesetzt.44 Anders als bei der Kunstfreiheit sind die Akteure hier auch im Bereich der Kompetenzträger zu finden, nicht zuletzt bei einem aktivistischen Gesetzgeber, der in seiner Repräsentations- und Artikulationsfunktion den Interpretationswandel aufgreift und ihn schrittweise gesetzlich anerkennt. Wir sehen hier also das Wirken einer breiten Interpretationsgemeinschaft, zu der nicht nur gesellschaftliche Gruppen zählen, die sich eine schöpferisch interpretierende Kraft zu eigen machen, sondern auch Organe, die diese Deutungen aufgreifen und fortentwickeln. Warum auch sollte gerade beim Eheverständnis der pouvoir constituant auf das Modell einer bestimmten Epoche bezogen bleiben? Warum sollte das für die rechtlich privilegierte Zweipersonenbeziehung relevante sozialmoralische Normaljahr 1949 sein? Warum sollte es nicht 1919 oder 1900 sein – also Jahre, in denen der Rechtsstatus der Frau neugefasst wurde? Wie wir zuvor schon festgestellt haben, kann es nicht gelingen, den pouvoir constituant an einem bestimmten Zeitpunkt festzuhalten. Beim pouvoir constituant handelt es sich bekanntlich nicht um einen empirisch wahrnehmbaren Personenkreis, der nur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt handelt. Folglich kann kein historiografisch bestimmter Zeitpunkt festgehalten werden. Grundsätzlich kann die gleichgeschlechtliche Ehe dem verfassungsrechtlichen Funktionsschutz der Ehe als Versorgungsgemeinschaft zuzuordnen und eine Emanation des pouvoir constituant sein mit der Folge, dass es einer Verfassungsänderung nicht bedarf. Es ist an der Zeit, von der Verfassungsinterpretation als einer Ausdrucksform des pouvoir constituant zum Kernthema zurückzukehren. Die Beispiele „Kunst“ und „Ehe“ sollten belegt haben, dass auch wir heutigen Verfassungsinterpreten den pouvoir constituant am Arbeiten 44 Nach 2002 hat das BVerfG jedenfalls eine zweigeschlechtliche Auslegung des Art. 6 Abs. 1 GG vermieden und die geschlechtliche Ausgestaltung der Ehe als normgeprägtes Grundrecht dem Gesetzgeber überlassen. Maßstab war dabei primär der Gleichheitssatz, was der Sache nach einen verfassungsrechtlichen Anpassungsdruck erzeugte. Für die Entwicklungsschritte siehe BVerfGE 124, 199 – Hinterbliebenenversorgung [2009]; BVerfGE 126, 400 – Erbschaftsteuer [2010]; BVerfGE 131, 239 – Ehebezogener Familienzuschlag [2012]; BVerfGE 132, 179 – Sukzessivadoption [2012]; BVerfGE 133, 377 – Ehegattensplitting [2013].
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sehen, selbst wenn wir ihm keinen eindeutigen Akteur oder Kompetenzträger zuordnen können. Bei der Ehe wird man den pouvoir constituant heute dergestalt konkretisieren dürfen, dass „Ehe“ i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GG nicht die Zweigeschlechtlichkeit meint und dass entsprechende frühere Interpretationskonsense nicht fortbestehen.45 Einer Verfassungsänderung bedarf es nicht, weil der Wortlaut, anders als seinerzeit zu Art. 119 WRV, keine Grenze aufwirft und deshalb keine Umgehung des Art. 79 Abs. 2 GG droht. 4. Hofmanns Beispiel der unverjährbaren Menschenrechte Bei der Interpretation der Verfassung vermengen sich pouvoirs constitués, also die Interpretationsleistungen von Kompetenzträgern, mit einem empirisch nicht erhebbaren pouvoir constituant. Hasso Hofmann beschreibt just diese Wirkung eines pouvoir constituant-constitué am Beispiel der unverjährbaren Menschenrechte.46 Die Grundrechte sind in der Verfassung auch derjenige Abschnitt, auf den das Interpretationsgeschehen vor allem zutrifft und in dem wir den vergegenwärtigten pouvoir constituant immer wieder am Werk sehen. Hofmann legt dar, dass es der französischen Menschenrechteerklärung von 1789 nicht um den Moment der Revolution gegangen ist, sondern um das Natürliche, Unverjährbare, das Unverletzliche und Unveräußerliche – Worte, die das Grundgesetz in Art. 1 GG aufgreift und die wir ähnlich auch in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 finden („inalienable rights“). Immer komme die Dimension der Zeit zur Sprache, stellt Hofmann fest und ergänzt, „die Berufung auf gewisse elementare Rechte [kann] nicht durch den Hinweis auf die geschichtliche Entwicklung 45
Anders, wie viele, Peter Badura, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, 86. Lfg. 2019, Art. 6 Rn. 32b, 58 – 58h, der dem Gesetzgeber einen weiten Ausgestaltungs- und Angleichungsspielraum zubilligt, der den Schutz der zweigeschlechtlichen Ehe nicht tangiert, den Schutzzweck dadurch aber von einer Schutz- und Förderpflicht in ein Diskriminierungsverbot umwandelt. Der verfassungsrechtliche Schutzzweck der Versorgungsgemeinschaft findet dann bei Art. 6 Abs. 1 GG keinen Platz. Die entwicklungsoffene Auslegung des Art. 6 Abs. 1 wird demgegenüber etwa vertreten von Monika Böhm, Dynamische Grundrechtsdogmatik von Ehe und Familie?, VVDStRL 73 (2014), S. 211 – 255 (223 – 227, 239 ff.); Frauke Brosius-Gersdorf, in: Horst Dreier (Hrsg.), GG-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl. 2013, Art. 6 Rn. 49 f. 46 Hofmann, Atomare Entsorgung (Fn. 2), S. 267 ff.
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mit ihren staatsrechtlich-politischen Veränderungen […] abgeschwächt werden.“47 Anders gesagt: Menschenrechte müssen aus ihrer unveräußerlichen, unverjährbaren (wie die déclaration sagt) Natur entwicklungsoffen sein. Wären sie es nicht, verlören sie gerade ihren Status als Menschenrechte. Hofmann fasst das wie folgt zusammen: „Der Staat darf das in einer konkreten Tradition normativer Ansprüche („natürlicher Menschenrechte“) geschichtlich vorgesehene Niveau der Humanität nicht unterschreiten – weder in dem, was er für den Augenblick, noch in dem, was er für die Zukunft tut.“48 Die Nachwelt wird also analog einer Minderheit geschützt. Dann aber ist der Staat für die Folgen seiner Hoheitshandlungen haftbar (so steht es bei Hofmann), wenn sie außerhalb seiner räumlichen Grenzen oder jenseits der zeitlichen Grenzen seiner Existenz eintreten.49 Dies drückt das Grundgesetz übrigens in der Präambel mit den Worten vom Bewusstsein des Verfassungsgebers von seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen aus. Man muss für die absehbaren Folgen des eigenen Tuns einstehen und darüber Rechenschaft geben. Die daraus resultierende Rechtspflicht bringt Hofmann auf den Punkt: „Und das bedeutet, daß der Staat späteren Generationen auch einer ferneren Zukunft zumindest und jedenfalls das – bewußt oder unabsichtlich – durch Gesetz nicht antun darf, was ihm gegenüber den Lebenden verboten ist.“50 Wegen der Unmöglichkeit, die Zustimmung der zukünftig Betroffenen vorwegzunehmen, ist Nachweltschutz etwas prinzipiell anderes als Umweltschutz. Beim Nachweltschutz geht es um die Bewahrung der Welt um ihrer selbst willen, schreibt Hofmann 1980.51 Wer hätte gedacht, welche Aktualität seine Ausführungen im Zusammenhang mit dem 1980 noch für unbedenklich gehaltenen fossilen Energieträgern erlangen werden? Hofmann formuliert dann ein im Lebens- und Gesundheitsschutz sowie im Gleichheitssatz angelegtes objektives Schutzniveau. Es mag wie eine Vorwegnahme des Klimaschutzbeschlusses wirken, wenn Hofmann den Gleichheitssatz auch in der Di-
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Ebd., S. 268. Ebd., S. 269. 49 Ebd., S. 270. 50 Ebd., S. 273. 51 Ebd., S. 280. 48
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mension der Zeit denken will.52 Auch hier schlägt sich das verfassungstheoretische Zeitargument nieder: Recht darf nicht – mit Thomas Jefferson gesprochen – zu einer Herrschaft der Toten führen, weil die Lebenden an frühere Entscheidungen, die sie nicht mehr ändern können, gebunden wären. Um dies zu vermeiden, haben wir ja eine Legitimationstheorie unserer Verfassung entwickelt, die nicht nur auf dem einmaligen Erzeugungsakt beruht, sondern auch den Betätigungsakt, den Änderungsakt und den Interpretationsakt miteinbezieht. Hofmann gelang – das jedenfalls lässt sich mit Sicherheit sagen – 1980 eine rechtliche Begründung des Nachweltschutzes. Er war einen Schritt über den Umweltschutz hinausgegangen. Seine Argumente greifen naturgemäß auf das positive Verfassungsrecht zurück, sei es die Präambel, sei es die Menschenrechtsverbürgung, sei es der Gleichheitssatz, seien es Schutzpflichten. Doch im Kern handelt es sich um eine verfassungstheoretische Dimension. Nur so lässt sich die zeitübergreifende Wirkung von Verfassungsrecht begründen. V. Hasso Hofmann als Vordenker des Klimaschutzbeschlusses? Die Frage, die sich vor dem Hintergrund des Klimaschutzbeschlusses vom 24. März 2021 erhebt, lautet, welche Argumentationsstruktur zur Begründung von Langzeitverantwortung und Nachweltschutz geeigneter ist? Hofmanns verfassungstheoretischer Ansatz oder Karlsruhes verfassungsdogmatischer? Diese Frage will ich abschließend mit drei Beobachtungen erhellen: 1. Subjektivrechtlicher Zuschnitt Das BVerfG hat es zunächst mit einem Fall, genaugenommen mehreren Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz des Bundes zu tun. Dadurch wird die Prüfung auf den Nachweis einer subjektiven Rechtsverletzung fokussiert. Der Erste Senat muss sich der Frage der Rechtsverletzung stellen. Er bleibt durch den prozessualen Zuschnitt notgedrungen in der Gegenwart. Hier ist der Senat, muss man respektvoll sagen, ziemlich kreativ, weil er die zukünftigen Belastungen der drohenden Grundrechtseinschränkungen zu einer verhältnismäßigen Lastenverteilung erklärt, die in der Gegenwart zu stärkeren Freiheitsein52
Ebd., S. 283.
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bußen führt, um in der Zukunft keine überproportionalen Belastungen auszulösen. Es geht also nur um die Freiheit der Gegenwärtigen, nicht der Zukünftigen. Dieser Lastenausgleich in der Zeitachse gelingt nur, weil das naturwissenschaftliche Geschehen als weitgehend determiniert gilt (Zusammenhang von CO2-Belastung und Erderwärmung, Reduktion der Emissionen und Kontingentierung nationaler Restbudgets). Die „eingriffsähnliche Vorwirkung“53 setzt also eine Prognosesicherheit voraus, macht die subjektive Rechtsbetroffenheit von der Tatsachenkenntnis abhängig. Der Lastenausgleich gelingt dem BVerfG überdies nur, weil sich das Gericht für das Reduktionsziel auf die politischen Vorgaben stützen kann, nämlich die genauen Festlegungen des Pariser Klimaschutzabkommens, dessen Umsetzung das Klimaschutzgesetz dient.54 Weder das Ziel noch das Mittel des Klimaschutzes muss das BVerfG verfassungsrechtlich herstellen; es genügt, beide nur darzustellen.55 Das erleichtert die Aufgabe des Lastenausgleichs. Mit den Klimaschutzzielen ab 2030 zum Stichjahr 2025 geht es auch nicht um Langzeitverantwortung, sondern um Nachweltschutz durch Kurzzeitverantwortung. Das begünstigt subjektivrechtliche Lösungen, die freilich primär durch das Verfahren der Verfassungsbeschwerde aufgeworfen werden.56 Das Bevorzugen subjektivrechtlicher Lösungen erklärt sich nicht aus der aufgeworfenen Thematik, die wohl besser objektivrechtlich angegangen wird (was im Sinne Hasso Hofmanns gewesen wäre). Vielmehr erklärt sich der subjektivrechtliche Gesamtzuschnitt des Verfahrens pri53 BVerfGE 157, 30 (130 f., 133; Rn. 183 f., 187). Kritisch dazu Christoph Möllers/Nils Weinberg, Die Klimaschutzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in: JZ 2021, S. 1069 – 1078 (1073). 54 BVerfGE 157, 30: Sachbericht S. 41 f. (Rn. 7 – 10), Gründe S. 163 ff. (Rn. 243 ff.). 55 Vgl. Johannes Saurer, Verfassungsrechtliche Konfliktlagen im Klimaschutz, in: 64. Bitburger Gespräche. Jahrbuch 2021, 2022, S. 95 – 106 (96 f., 101 f.). 56 Kritisch Möllers/Weinberg, Klimaschutzentscheidung (Fn. 53), S. 1074: Dem Senat gelinge es nicht, den politisch bedeutsamen und verfassungsrechtlich relevanten Gegenstand des Verfahrens in die Form des Individualrechts zu pressen. „Nicht alle Fragen der Freiheit sind aber solche, die sich auch in einer grundrechtsbezogenen prozessualen Grammatik, die auf eine konkrete Freiheitsstörung bezogen sein muss, thematisieren lassen.“ Positiver gesehen von Rike Sinder, Anthropozänes Verfassungsrecht als Antwort auf den anthropogenen Klimawandel, in: JZ 2021, S. 1078 – 1087 (1080).
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mär aus prozessualen Gründen: Das BVerfG sichert sich mit der Ausweitung der Klagebefugnis, die in der „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ steckt und die ohne spezifizierte zukünftige Freiheitseinbuße jederzeit gerügt werden kann, einen verstetigten Kontrollzugriff auf die Klimaschutzpolitik. 2. Objektivrechtliche obiter dicta Unklar ist dann aber, wozu das BVerfG die spezifisch objektivrechtliche Brille noch braucht, die es sich gerade zu Beginn der Entscheidung aufsetzt, wenn dort zunächst seitenlang die Schutzpflichtendimension und der Staatsauftrag des Art. 20a GG diskutiert werden. Aus den diesbezüglichen länglichen Ausführungen folgt wenig Erhebliches. Seitenlang diskutiert der Senat die Schutzpflichtendimension der Grundrechte, um dann festzuhalten, dass es auf sie nicht ankomme, jedenfalls der Gesetzgeber das dafür Nötige getan habe.57 Auch die Ausführungen zu Art. 20a GG nehmen kein Ende und verschaffen dem Senat letztlich eine Ermächtigung, klimaschutzpolitische Erwägungen und die ihnen zugrunde liegenden naturwissenschaftlichen Erkenntnisse zu reflektieren.58 Der Senat ist sich des Verhältnisses von Art. 20a GG und den grundrechtlichen Schutzpflichten auch nicht sicher. Im Grunde sichert Art. 20a GG die Eingriffsrechtfertigung verfassungsrechtlich ab, was aber unnötig ist, weil der Senat konkrete grundrechtliche Schutzbereiche, in die aufgrund der zukünftigen Belastungen eingegriffen werden würde, nicht nennen kann. Jedenfalls werde die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen sein, ist sich der Senat sicher – was aber keine überraschende Zukunftsdiagnose darstellt.59 Kaum ein gegenwärtiges Gesetz dürfte die allgemeine Handlungsfreiheit in einer Zukunftsdimension 57
Zu den Schutzpflichten BVerfGE 157, 30 (110 ff., Rn. 143 ff.); keine Verletzung der Schutzpflichten ebd., S. 128 f. (Rn. 180 f.). Abwendung von den Schutzpflichten begrüßt durch Möllers/Weinberg (Fn. 53), S. 1072; moniert von Michael Kloepfer/Jan-Louis Wiedemann, Die Entscheidung des BVerfG zum Bundes-Klimaschutzgesetz, in: DVBl. 2021, S. 1333 – 1340 (1338), die ein konsequentes Abstellen auf Schutzpflichten befürwortet hätten, ebd., 1339, insoweit aber verkennen, dass Schutzpflichten seit 1975 nicht entscheidungserheblich geworden sind. 58 Zu Art. 20a GG BVerfGE 157, 30 (137 ff., Rn. 196 ff.), keine Verletzung des Art. 20a GG ebd., S. 160 f. (Rn. 236, 239). 59 BVerfGE 157, 30 (131, Rn. 184).
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nicht betreffen. Dann aber brauchen wir kein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zur Rechtfertigung prospektiver Eingriffe, denn Art. 2 Abs. 1 GG steht unter einfachem Gesetzesvorbehalt.60 In der Sache überflüssig scheint es, wenn der Senat betont: Wenn der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG den Staat verpflichte, die natürlichen Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen zu schützen, zielt das zunächst vor allem darauf, den künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten. Zugleich betreffe dies jedoch auch die Verteilung von Umweltschutzlasten zwischen den Generationen. Der Schutzauftrag des Art. 20a GG schließe die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.61 Letztlich will er sich doppelt absichern und den intergenerationellen subjektivrechtlichen Ansatz zusätzlich objektivrechtlich begründen. Dogmatisch ist das nicht nötig und verunklart nur eine klassisch-freiheitliche Begründung. Der Doppelansatz deutet auf interne Begründungsrivalitäten im Senat hin, die im Wege des Sowohl-als-auch behoben werden. Das gewählte doppelgleisige Vorgehen greift jedenfalls den von Hofmann vorgezeichneten Begründungsweg auf. 3. Zuweisung des Problems an das Parlament Die Erörterung des Art. 20a GG verweist freilich auf die Institutionenordnung zurück, denn „der Staat“, wie es zunächst undifferenziert in Art. 20a GG heißt, schützt die natürlichen Lebensgrundlagen durch die Tätigkeit der drei Gewalten, durch Gesetzgebung, vollziehenden Gewalt und Rechtsprechung. Es stellt sich bei Art. 20a GG also weniger die materiellrechtliche Frage nach dem nötigen Schutzniveau, sondern das kompetentielle Problem, welche Gewalt denn für was und wie viel bei der Umsetzung des Staatsziels zu tun habe. Hier fügt sich der Beschluss in vertraute Linien aus der Wesentlichkeits-Rechtsprechung
60 Anders aber BVerfGE 157, 30 (134, Rn. 190 f.), wo zur Rechtfertigung auf Art. 20a GG sowie eine grundrechtliche Schutzpflicht abgestellt wird. 61 BVerGE 157, 30 (135 f., Rn. 193).
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ein.62 Gegen Ende der Begründung betont der Senat das institutionelle Vertrauen in das Gesetzgebungsverfahren.63 Hier findet man Ausführungen, die in dieser Intensität nicht zum ständigen Repertoire gehören. Es ist nicht, wie sonst oft, von einem abstrakten „Gesetzgeber“ die Rede. Gesetzgeber ist bekanntlich ein eigentümlich artifizielles Wort, das nicht genau sagt, wer gemeint ist. Im Regierungssystem der Bundesrepublik nehmen viele Organe am Gesetzgebungsverfahren teil: die Bundesregierung, von der in den meisten Fällen die Gesetzesinitiative ausgeht, der Bundestag, der Bundesrat, unter Umständen der Vermittlungsausschuss und am Ende der Bundespräsident. „Gesetzgeber“ bezeichnet dann eine Organisationskaskade, an der bis zu fünf Bundesorgane beteiligt sind. Man kann jedenfalls nicht Gesetzgeber mit Bundestag oder Parlament gleichsetzen. „Gesetzgeber“ ist insofern eine vereinfachende, praktische Personifizierung eines abgestuften Verfahrens. Innerhalb dieses Verfahrens erbringen die fünf Organe arbeitsteilig unterschiedliche Beiträge und sorgen für die Berücksichtigung unterschiedlicher Belange, vom Identifizieren einer Regelungsnotwendigkeit durch die Bundesregierung über den Vollziehbarkeitscheck des Bundesrates (Verwaltung der Bundesgesetze durch die Länder, Ressourcenallokation, Finanzierbarkeit) bis zur formellen Rechtskontrolle des Bundespräsidenten. Die Aufgabe, die dem Bundestag zukommt, ist mit Mehrheitsbeschaffung (Art. 78 GG) nur unvollkommen beschrieben. Regierungs- und Oppositionsfraktionen verfolgen unterschiedliche politische Interessen. Das in der GOBT geregelte parlamentarische Verfahren organisiert einen Willensbildungsprozess, der auf das 62
So auch Möllers/Weinberg, Klimaschutzentscheidung (Fn. 53), S. 1075 f. Zur Wesentlichkeits-Rechtsprechung vgl. statt vieler etwa Oliver Lepsius, Gesetz und Gesetzgebung, in: M. Herdegen/J. Masing/R. Poscher/K. F. Gärditz (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts, 2021, § 12 Rn. 55 ff.; Philipp Lassahn, Rechtsprechung und Parlamentsgesetz, 2017. 63 BVerfGE 157, 30 (172 ff., Rn. 260, 262): „Damit soll gewährleistet werden, dass Entscheidungen von besonderer Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären. Geboten ist ein Verfahren, das sich durch Transparenz auszeichnet und das die Beteiligung der parlamentarischen Opposition gewährleistet […]; gerade das Gesetzgebungsverfahren schafft die verfassungsrechtlich erforderliche Transparenz und gestattet einen öffentlichen Meinungsaustausch darüber, wie die Reduktionslasten nach 2030 verteilt werden sollen.“
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Herstellen von Kompromissen (als Voraussetzung für eine Mehrheit) und auf das Einbeziehen möglichst vieler Abwägungsbelange mittels Repräsentation bezogen ist.64 Im Klimaschutzbeschluss wird nun gerade diese Abwägungsleistung des parlamentarischen Verfahrens beschworen und damit wird aus dem abstrakten „Gesetzgeber“, der Organ-Kaskade, ein Verfahren, das ganz bestimmte verfassungsrechtliche Erwartungen, Abwägung, an einem bestimmten Ort, dem Parlament, erfüllen soll. Das BVerfG charakterisiert das parlamentarische Verfahren als transparent, öffentlich, diskursiv und partizipativ.65 Man fühlt sich an die vielzitierte Äußerung aus der Nachrüstungs-Entscheidung erinnert, wonach Aufgaben von den Organen zu erbringen sind, die dafür nach ihrer Organisation und Zusammensetzung am besten geeignet sind.66 Dort wendete das BVerfG die sachbezogene Organisationsadäquanz gerade gegen das Parlament und zugunsten der Regierung, sei es als Ausdruck der Außen- und Militärpolitik, sei es als Ausdruck technischer Verordnungsgebung.67 Später drehte es die Perspektive um beim Ausgleich expressiver Grundrechtskonflikte.68 Aus dem Klimaschutzbeschluss lässt sich entnehmen, dass gerade bei der Umsetzung der Klimaschutzziele eine Abwägungsleistung zu erbringen ist, die wegen der vielfältigen Eingriffe in der intertemporalen Verteilung letztlich nur vom Parlament getroffen werden kann und dort erbracht werden muss. Die Ausführungen begründen, warum das BVerfG das Gesetz nicht vernichtet, sondern zur Nachbesserung an den Bundestag zurückgibt. Bis zum 31. 12. 2022 muss eine Neuregelung erfolgen. Angesichts des beanstandeten Produktes des Gesetzgebungsverfahrens, des teilweise verfassungswidrigen Klimaschutzgesetzes, mag es überraschen, dass der Senat die Leistungsfähigkeit des parlamentarischen Verfahrens geradezu idealistisch überhöht.
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Vgl. dazu im Zusammenhang mit aktuellen Fragen in Abgrenzung zu den Normsetzungsleistungen anderer Organe Oliver Lepsius, Partizipationsprobleme und Abwägungsdefizite im Umgang mit der Corona-Pandemie, in: JöR 69 (2021), S. 705 – 762 (710 f., 733 – 736). 65 BVerfGE 157, 30 (171 ff., Rn. 259 – 265). 66 BVerfGE 68, 1 (86) – Nachrüstung [1984]. 67 BVerfGE 49, 89 (125) – Kalkar [1979]. 68 BVerfGE 83, 130 (142, 150) – Josefine Mutzenbacher [1990].
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Man muss sich vergegenwärtigen, wie der Senat auch hätte entscheiden können: Er hat die scientistische Ermittlung der Klimaschutzziele nicht zum Anlass genommen, die weitere Umsetzung administrativen Stäben zuzutrauen. Eine auf Nachhaltigkeit gestützte Expertokratie ist kein Thema. Wir treffen auch nicht auf Anzeichen eines fehlendem Vertrauens in die parlamentarische Regelbarkeit zeitumspannender Probleme, wie sie jedenfalls so oft in der juristischen Literatur diskutiert wurde, die einem auf vierjährige Legislaturperioden fixierten Organ fehlende Eigeninteressen an der Lösung von Zeitproblemen nachsagte.69 Auch aus der parlamentarischen Repräsentation folgen keine nachteiligen Sachzwänge. Argumente, nachfolgende Generationen seien im Parlament nicht repräsentiert, weswegen man zu Repräsentationssubstitutionen in Gestalt von langfristigem Sachverstand greifen müsse, fallen gerade nicht, obschon solche Positionen in der Literatur rund um Art. 20a GG weit verbreitet waren. Wie schon bei der prozessualen Einkleidung verfolgt das BVerfG auch hier einen akteursbezogenen Ansatz: Beschwert sind Individuen, nicht Generationen, und zwar durch konkret absehbare Eingriffe, durch Tatsachen, nicht durch mögliche Szenarien. Gelöst werden müssen diese Fragen durch Organe der Gegenwart, weder durch Expertokratie noch durch Sonderstäbe jenseits demokratischer Legitimationszusammenhänge. All dies lässt sich mit der Wesentlichkeitslehre verbinden: Klimaschutzziele sind wesentlich, also müssen sie vom Parlament beschlossen werden. Das folgt aber nicht nur aus dem Grundrechtsbezug der Lebenden und der intertemporalen Lastenverteilung, sondern es folgt auch aus der spezifischen Abwägungsleistung, die nur das parlamentarische Verfahren erbringen kann. 4. Kontrolle des politischen Prozesses Gemessen an diesen Verfahrenserwartungen kann das BVerfG mit der Leistung des Gesetzgebungsverfahrens des KSG nicht zufrieden sein – und zwar nicht nur in Bezug auf das intertemporal verteilte Schutzniveau, sondern vor allem auch nicht in Bezug auf das tatsächlich praktizierte Verfahren. Hierzu findet sich in der Entscheidung explizit keine Aussage, was aber nicht verwunderlich ist, weil das Grundgesetz 69 Diese Literatur kritisierend bereits Oliver Lepsius, Nachhaltigkeit und Parlament, in: Wolfgang Kahl (Hrsg.), Nachhaltigkeit als Verbundbegriff, 2008, S. 326 – 350, dort auch weitere Nachweise.
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die Ausgestaltung des innerparlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens dem Geschäftsordnungsrecht überlässt und nur die Interorganbeziehungen verfassungsrechtlich regelt.70 Das Gesetzgebungsverfahren ist daher nur partiell justiziabel. Betrachtet man das Verfahren, das zum Erlass des KSG geführt hat, näher, so zeigen sich jedenfalls Divergenzen zwischen den Abwägungs-, Diskussion- und Partizipationsleistungen, die das BVerfG vom Verfahren erwartet, und dem konkreten Ergebnis. Der Gesetzentwurf des KSG aus dem Bundesumweltministerium enthielt abgestufte Reduktionsziele: 40 % bis zum Jahr 2020, 55 % bis 2030, 70 % bis 2040, 95 % bis 2050 sowie sektorale Reduktionsziele, für deren Umsetzung die jeweiligen Ressortministerien zuständig sein sollten.71 Gemäß § 40 GGO BReg wurde der Referentenentwurf am 18. Februar 2019 zunächst zur Frühkoordination aufgrund der Koalitionserheblichkeit dem Bundeskanzleramt zugeleitet; die dortige Zustimmung, mit der Ressortabstimmung (§ 45 GGO BReg) zu beginnen, erfolgte dann aber nicht und der Gesetzentwurf blieb monatelang liegen. Ersichtlich hielt man im Bundeskanzleramt und in der CDU/CSUFraktion die Reduktionsziele für zu ambitioniert.72 Dass der Referentenentwurf das Kanzleramt nicht wieder verließ, dürfte auch auf den Einfluss von Wirtschaftsverbänden zurückzuführen sein.73 Daraufhin legte die Bundesumweltministerin am 27. Mai 2019 den Entwurf offen und gab ihn ohne Zustimmung des Kanzleramts in die 70 Näher Johannes Masing/Horst Risse, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, Grundgesetz, Band II, 7. Aufl. 2018, Art. 76 Rn. 7 ff., 13; Jens Kersten, in: Dürig/Herzog/ Scholz, Grundgesetz, Lfg. 2011, Art. 76 Rn. 16. Zur Rechtsnatur und Leistungsfähigkeit von Geschäftsordnungsrecht vgl. Florian Meinel, Selbstorganisation des parlamentarischen Regierungssystems, 2019, S. 125 – 192. 71 § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 4 sowie § 4 Abs. 1, 4 KSG-Referentenentwurf, einsehbar unter https://www.klimareporter.de/images/dokumente/2019/02/ksg.pdf. 72 Vgl. Michael Baumüller, Schulze prescht bei Klimaschutzgesetz vor, in: Süddeutsche Zeitung v. 19. 2. 2019. Darin zitiert wird eine Äußerung des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Georg Nüßlein, er könne sich nicht vorstellen, dass diese Klimaschutzziele die Ressortabstimmung überständen. 2021 zog sich Nüßlein nach staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Zusammenhang mit Provisionszahlungen bei Maskenbeschaffungen aus der Politik zurück. 73 So war Hildegard Müller, die seit Ende 2019 Präsidentin des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie ist und zuvor Vorsitzende des Bundes der Energieund Wasserwirtschaft sowie Managerin bei RWE war, von 2005 – 2008 Staatsministerin im Bundeskanzleramt unter Bundeskanzlerin Merkel.
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Ressortabstimmung. Ein geänderter Entwurf wurde dann am 19. Oktober 2019 im „Klimakabinett“ der Bundesregierung beraten. Dabei handelt es sich um einen informellen Ausschuss der Bundesregierung, in dem nur bestimmte Fachressorts vertreten sind, was sich politisch in einer 2/3-Mehrheit der CDU/CSU im Klimakabinett ausdrückt.74 Dessen Vorlage wurde dann formal vom vollständigen Bundeskabinett als Gesetzentwurf verabschiedet und in den Bundestag eingebracht,75 der das Gesetz am 15. November 2019 beschloss.76 Konkrete Klimaschutzziele über das Jahr 2030 hinaus, wie sie noch der Referentenentwurf enthalten hatte, fanden sich darin nicht mehr. Die weiteren Reduktionsschritte verblieben der Regelung durch Rechtsverordnung.77 Die Klimaschutzziele und die Emissionsreduktionen wurden folglich im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens, vor allem im Bereich der Willensbildung der Bundesregierung, reduziert und ab dem Jahr 2030 im Unbestimmten gelassen. Die Entscheidung des BVerfG sollte daher im Lichte des Gesetzgebungsverfahrens bewertet werden. Vom Ergebnis her hat das BVerfG die Abschwächungen, die auf den Einfluss der Wirtschaftsverbände, die politischen Ziele der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und deren Mehrheit in den entscheidenden Gremien, zurückgehen, aufgehoben. Das BVerfG restituiert der Sache nach den ursprünglichen Referentenentwurf, indem es das Gesetz wieder in den politischen Prozess zurückspeist und dem neuen Gesetzgebungsverfahren klimapolitische Vorgaben macht, die auf die Selbstverpflichtung der Bundesrepublik zurückgehen. Karlsruhe ermöglicht vernünftige Entscheidungen, zu denen sich die demokratische Rechtspolitik dem Grundsatz nach bereits durchgerungen hat, an deren Umsetzung sie dann aber in der Gubernativlogik eines parlamentarischen Regierungssystems mit dem privilegierten Entscheidungszugriff organisierter Verbände scheitert. Naturgemäß muss diese konsti74 Im Zusammenhang mit dem Beschluss des KSG begrüßte der Deutsche Bundestag, dass die Bundesregierung den Kabinettsausschuss Klimaschutz entfristet und ihm die Aufgabe übertragen hat, jährlich die Wirksamkeit, Effizienz und Zielgenauigkeit der eingeleiteten Maßnahmen zum Klimaschutz zu überprüfen, vgl. BT-Drs. 19/15128, S. 6. 75 BT-Drs. 19/14337 v. 22. 10. 2019. 76 Beschlussempfehlung des Umweltausschusses v. 13. 11. 2019, BT-Drs. 19/ 15128. 77 § 4 Abs. 6 KSG v. 12. 12. 2019, BGBl. I, S. 2513.
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tutionalisierte Vernunft verfassungsrechtlich dargestellt werden, wozu der erhebliche materielle Begründungsaufwand und die prozessualen Hürden einer Verfassungsbeschwerde zu nehmen sind. Der Sache nach sind diese Vorgaben aber bereits völkerrechtlich hergestellt worden. Wenn der Klimaschutzbeschluss also als Übergriff des BVerfG auf den politischen Prozess kritisiert wird, ist dieses nur teilweise richtig. Man kann die Entscheidung auch konträr als eine Intervention in den politischen Prozess verstehen, mit dem der Einfluss von Interessenverbänden auf der intransparenten Ebene der Willensbildung innerhalb der Bundesregierung abgewendet wird. Denn aus dem Verfahren wird ja deutlich, dass sich die politische Willensbildung gerade nicht im Parlament vollzieht, sondern vorgelagert in der Exekutive. Die idealistischen Beschreibungen einer parlamentarischen Gesetzgebung als einem repräsentativ gestalteten, transparenten, der Öffentlichkeit und der Oppositionskritik unterworfenen Vorgang passen jedenfalls auf das Produkt dieses Gesetzgebungsverfahrens nicht. Der Sache nach hat das BVerfG das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren gegen die internen Logiken von Regierungsentwürfen gestärkt. Für diese Deutung des Klimaschutzbeschlusses spricht nicht zuletzt die ja auch als normative Erwartung zu lesende Funktionsbeschreibung der parlamentarischen Gesetzgebung am Ende des Beschlusses.78 5. Eher institutionelle als materielle Schwerpunkte Die durch den Klimaschutzbeschluss aufgeworfenen Fragen liegen daher letztlich eher im Bereich des Organisations- und Verfahrensrechts, eher im Zuschnitt der Institutionen und der Gewaltenzuordnung von Zukunftsthemen. Bei der Bundesregierung sind Zukunftsthemen, so lässt sich der Beschluss des BVerfG mit seiner Beanstandung der Verordnungsregelung für die weiteren Reduktionsziele jedenfalls verstehen, nicht gut aufgehoben. Wenn die Sachfragen stärker im Bereich des Staatsorganisationsrechts zum Liegen kommen, so bestätigt auch dies das richtige Gespür und die Diagnosekompetenz von Hasso Hofmann vor vierzig Jahren. Wenn wir nämlich Hofmann darin folgen, dass Nachweltschutz und Langzeitverantwortung primär objektivrechtliche Fragen sind und zugleich den interpretierenden pouvoir constituant betreffen, dann ist in der Konkurrenz der drei Gewalten primär diejenige 78
BVerfGE 157, 30 (171 ff., Rn. 259 ff.); siehe oben bei Rn. 60.
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Gewalt aufgerufen, in deren gestalterischen Händen beides liegt, das objektive Recht und die Artikulation eines interpretierenden pouvoir constituant, also nicht „der“ Gesetzgeber, sondern das Parlament.
Repräsentation – Hasso Hofmanns Aufklärung über deren demokratische Dimension Von Ulrich K. Preuß Vorwort: Die Vergegenwärtigung von Leben und Werk Hasso Hofmanns durch Repräsentation Mein Thema – Repräsentation – ist hier und heute nicht lediglich der Gegenstand gemeinsamer theoretischer Bemühungen. Wie wir hier versammelt sind, um Hasso Hofmanns zu gedenken und seine geistige Erbschaft zu besichtigen, beteiligen wir uns auch an der sozialen Praxis der Repräsentation. Wir vergegenwärtigen uns Person und Werk. Vergegenwärtigung ist ein Element der sozialen Technik der Repräsentation, die Hasso Hofmann immer wieder beschäftigt und deren vielfältige geistige Quellen er so gründlich wie kaum ein anderer erforscht hat. Mit Ernst Cassirer, den Hasso Hofmann als den „bedeutendsten Historiker der neuzeitlichen Lehre von der Erkenntnis“ verehrte1, können wir unser heutiges Ereignis als eine Form der symbolischen Repräsentation erleben, durch die „ein Wahrnehmungserlebnis, als ,sinnliches‘ Erlebnis, zugleich einen bestimmten nicht-anschaulichen ,Sinn‘ in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt“.2 Oder, mit Josef Beuys gedacht und gesprochen: wir können uns als Teil einer sozialen Plastik begreifen und erleben, aus dem Alltagsleben von uns hier Anwesenden gleichsam herausgemeißelt von Horst Dreier, Heinrich Meier und der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Sie haben damit durch Repräsentation ein lebendiges Denkmal für Hasso Hofmann geschaffen. Ich werde eingangs einige Bemerkungen zu Hasso Hofmanns Beitrag zur Repräsentationstheorie machen, bevor ich mich etwas ausführlicher 1 Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort-und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (1974), 2. Aufl., Berlin 1990, S. 101. 2 Ernst Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen. Dritter Teil. Phänomenologie der Erkenntnis (1929), 2. Aufl., Darmstadt 1954, S. 235.
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einer sowohl verfassungstheoretischen wie praktisch-verfassungsrechtlichen Frage zuwende, die ein – aus meiner Sicht brennendes – Gegenwartsproblem der Repräsentation im politischen Raum betrifft. Es geht dabei um die mittlerweile gefestigte Rechtsprechung des Zweiten Senates des Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 38 des Grundgesetzes, der zentralen Verfassungsnorm zur Thematik der Repräsentation. Ich denke, dass dieser Sprung in die verfassungsrechtliche Aktualität Hasso Hofmann ganz recht wäre. Denn, um das schon vorwegzunehmen, ihm lag vor allem die politische Bedeutung der Repräsentation am Herzen. I. Avantgardist gegen die Lehre von einer ontologischen Volksrepräsentation Zunächst also einige skizzenhafte Bemerkungen zu Hasso Hofmanns Forschungen auf dem Felde der Repräsentation. Hier beziehe ich mich zunächst auf seine 1974 erschienene Habilitations-Schrift unter dem Titel „Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert“. In der vor zwei Jahren erschienenen Studie von Florian Meinel zur „Krise des heutigen Parlamentarismus“ heißt es in einer Fußnote zu der mittlerweile überwundenen, damals herrschenden Theorie einer „identitären Volksrepräsentation“ von Carl Schmitt und Gerhard Leibholz lakonisch – und sehr zutreffend: „Zu alledem immer noch grundlegend Hasso Hofmann“ mit Verweis auf jene in der Tat grundlegende Studie von Hasso Hofmann, fast ein halbes Jahrhundert nach deren erstmaligem Erscheinen.3 „Grundlegend“ ist in der Tat das treffende Attribut für diese Studie. Denn Hofmann nimmt seine Leserinnen und Leser auf eine Forschungsreise – gewiss kein gemütlicher Spaziergang –, die über die Spätantike, das frühe Mittelalter in die Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert führt. Weiter jedoch, in das 20. Jahrhundert, nicht. So scheint es zumindest auf den ersten Blick. Tatsächlich aber pflügt er den in Jahrhunderten immer wieder umgewälzten Wissensstoff ein weiteres Mal um und sucht nach dem historisch je spezifischen Sinn von Erscheinungen, die in Beziehung zu unse3 Florian Meinel, Vertrauensfrage. Zur Krise des heutigen Parlamentarismus, München 2019, S. 105 u. 225.
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rer heutigen Institution der Repräsentation stehen. Es handelt sich bei der Repräsentation ja um eine spezifische Form der Vertretung. Vertretung ist ein sozial-theoretisch komplizierter und sozial-technisch höchst komplexer Vorgang. Er bedeutet so etwas wie „An-eines-anderen StelleStehen oder Stellen“4 und schafft neuartige Konstellationen und Qualitäten von sozialen Beziehungen durch die rechtliche Anwesenheit eines physisch Abwesenden. Und als eine Form der Vertretung kann Repräsentation auch eine Vielzahl von abwesenden Menschen, ja auch ein Volk rechtlich anwesend machen. Wenig überraschend führt diese Fähigkeit, die Menschen mit Neigung zu magischen Weltbildern als ,zauberhaft‘ in seinem ganzen doppeldeutigen Sinne empfinden dürften, sehr schnell zu allerlei vor allem auch politischen Verwicklungen. Zum Beispiel: Wer bestimmt, ob und gegebenenfalls wann jemand an die Stelle des Volkes tritt? Wer ist es, der oder die an die Stelle des Volkes tritt? Wie wird er oder sie bestellt? Welche Befugnisse haben diejenigen, die zur Repräsentation bestellt sind, gegenüber dem repräsentierten Volk? Kann das Volk die Stelle, an der der Repräsentant bzw. die Repräsentantin stehen, wieder selbst einnehmen und den bzw. die Repräsentantin entlassen? Mit der Bedeutsamkeit jener Fragen und der im Verlaufe der Geschichte auf sie gegebenen Antworten kontrastiert die Bescheidenheit, mit der Hasso Hofmann die Aufgabe seiner Forschung in seinem opus magnum über die Repräsentation charakterisierte. Bei dem seinerzeitigen Stand der politikwissenschaftlichen und juristischen Erkenntnis sah er die Aufgabe seiner Studie „in der Erfüllung gewisser Hilfsdienste für die Erörterung des Problems, nämlich in der Klärung einiger Vorfragen, und zwar zunächst der Vorfragen sprachgeschichtlicher Art. Sie [scil. „die vorliegende Arbeit“] nimmt Anstoß daran, in welchem Ausmaß und mit welcher Selbstverständlichkeit heute nicht anders als ehedem weitreichende theoretische Ableitungen auf die bloße Evokation eines angeblich ,eigentlichen‘ oder ,ursprünglichen‘ Wortsinnes von Repräsentation gegründet werden, die bei Licht besehen meist durch wenig mehr denn durch seine gegenwärtige Landläufigkeit ausgewiesen ist“.5
Man kann kaum annehmen, dass Hofmanns Herangehensweise an das Thema der Repräsentation wirklich nur den Status von „Hilfsdiens4 5
Vgl. Hans Julius Wolff, Theorie der Vertretung (1934), Aalen 1968, S. 3. Hofmann, Repräsentation (Fn. 1), S. 32.
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ten“ hatte – denn schließlich sollten diese „Hilfsdienste“ ja wohl die Wissenschaft vor folgenreichen, auch politisch folgenreichen Irrtümern bewahren. Was ihn rhetorisch so bescheiden auftreten ließ, war möglicherweise die Einschätzung, dass die Methode seiner Erkenntnisgewinnung eigentlich ganz unkompliziert, geradezu alttestamentarisch einfach war. Er folgte der biblischen Weisheit, „daß im Anfang das Wort und nicht der Begriff war […] und daß der Begriff, nach dem wir fragen, für die begriffsgeschichtliche Forschung folglich allein in der Geschichte des Gebrauchs unseres Begriffsnamens als eines Fachworts greifbar ist“.6 Genau diese Geschichte des Wortgebrauchs „Repräsentation“ ist der Gegenstand von Hofmanns Forschung zum Thema Repräsentation. Wer nun, irregeleitet durch Hofmanns Selbstbeschreibung als „Hilfsdienstleistender“ und seine Ankündigung einer Wortgeschichte, eine philologische Kärrnerarbeit in Gestalt der Dokumentation einer ermüdenden Wanderung durch die abendländische Welt der Lexika und deren Kataloge von variierenden Wortbedeutungen erwartet und befürchtet haben sollte, sieht sich angenehm getäuscht. Nichts davon ermüdend, nichts davon philologische Kärrnerarbeit und Erbsenzählerei. Ja, die Quellen „von der Antike bis ins 19. Jahrhundert“ werden mit bewundernswerter Gelehrsamkeit und Akribie untersucht und beleuchtet – aber das ganze erhält einen Sinn durch Hofmanns Kritik an einer Ontologisierung der Repräsentation. Ihn störte, dass in der seinerzeit dominierenden staatstheoretischen und -rechtlichen Literatur die Verbindung der Repräsentation mit der genuin demokratischen Institution des Parlamentes und dessen zentraler politischer Bedeutung als „Organisation anvertrauter und daher verantwortlicher Regierung und deren Kontrolle“ weitgehend unbegriffen geblieben war.7 In erster Linie meinte er damit die Repräsentationstheorien von Carl Schmitt, Gerhard Leibholz und auch von Herbert Krüger. Es ging Hofmann darum, den vor allem in der anglo-amerikanischen Welt verstandenen und anerkannten politischen Kern von Repräsentation als „eine fundamentale demokratische Relation“8 für die deutsche staatsrechtliche Diskussion freizulegen. 6
Hofmann, Repräsentation (Fn. 1), S. 35. Hofmann, Repräsentation (Fn. 1), S. 436 f. 8 Zustimmend zitiert aus einem Zitat bei Hofmann, Repräsentation (Fn. 1), S. 16. 7
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Für eine juristische Habilitationsschrift damals ungewöhnlich, für Hofmann aber konsequent war seine erklärte Absicht, mit seiner Arbeit „Brücken zur angelsächsischen Demokratietheorie zu schlagen“, wobei er auf Karl Löwenstein, Carl Joachim Friedrich und Ernst Fraenkel wies.9 Alle drei waren deutsche Juristen, die in den USA gelebt und gelehrt hatten, zwei von ihnen in den 1930er Jahren aus Deutschland ins Exil getrieben. Nach ihrer Rückkehr engagierten sie sich beim Wiederaufbau eines demokratischen Deutschland – an den juristischen Fakultäten fanden sie jedoch keinen Platz. Sie wirkten als „Politikwissenschaftler“. Die damals hierzulande noch unbekannte Wissenschaft von der Politik wurde zu Recht nicht als juristische Disziplin angesehen, aber auch ihre unübersehbare Nähe zur Rechtswissenschaft weitgehend ignoriert. Politikwissenschaft galt als „Demokratiewissenschaft“ und wurde von vielen als Bestandteil der Bemühungen der reeducation des deutschen Volkes vor allem auch an den juristischen Fakultäten eher beargwöhnt als begrüßt. II. Repräsentation als genuin demokratische Verfassungseinrichtung Die Studie, die das Thema der Repräsentation aus der verfassungsrechtlichen Perspektive des Grundgesetzes behandelt, hat er dann unter der, wie er schrieb, „wesentlichen Mitwirkung seines damaligen Assistenten“ und späteren Kollegen Horst Dreier für das 1989 erschienene Handbuch „Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland“ angefertigt und glücklicherweise in die Sammlung seiner zwischen 1980 und 1994 veröffentlichten Aufsätze aufgenommen.10 In diesem Text geht es um die Aufklärung des im Gefolge der Revolutionen in Amerika und Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts verbreiteten Irrtums, wonach Repräsentation eine mindere Form der Demokratie sei. Rousseaus Konstruktion, nach der Demokratie die Herrschaft des unmittelbar anwesenden Volkes über seine gemeinsamen Angelegenheiten ist, in der es nicht vertreten werden könne, verkenne, dass selbst bei „größtmöglicher nationaler Homogenität“ die Vorstellung eines einheitlichen Willens der souveränen Nation „ein Mythos oder 9
Hofmann, Repräsentation (Fn. 1), S. 30. Hasso Hofmann, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz (1989), in: ders., Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980 – 1994, Tübingen 1995, S. 161 – 196. 10
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eine Fiktion“ sei.11 Aber auch die entgegengesetzte Konzeption der representative democracy der Autoren der Federalist Papers, der zufolge Demokratie auf der Anerkennung der partikularen Zersplitterung der Gesellschaft beruhe und letztlich in deren Ausbalancierung und Abschleifung bestehe, trifft nach Hofmanns Analyse nicht den Kern der demokratischen Repräsentation.12 Diesen erkennt er in der Vermittlung von Volkssouveränität und deren Vertretung in der institutionellen Gestalt des Parlaments. Während eine verbreitete Lehre das Problem lange darin sah, dass die „Volksvertretung“ eben nicht das „Volk“ selbst bzw. die vom Abbé Sieyès beschworene „souveräne Nation“ selbst war, stellt Hofmann klar, dass weder die representative democracy der Federalists noch die in der Theorie des Abbé Sieyès vorgesehenen Repräsentationsorgane „der souveränen Nation irgendetwas genommen […], sondern sie als Kreationsorgan der Volksvertretung allererst konstitutiert und organisiert“ hätten.13 Diese so selbstverständlich daherkommende, aber auch ein wenig rätselhaft wirkende Feststellung bringt in einfacher Sprache eine äußerst komplizierte und originelle Hypothese zum Ausdruck, die Hofmann leider nicht weiter explizit ausführte. Zwei Jahrzehnte später entwickelte der niederländische Rechtsphilosoph Hans Lindahl im Zusammenhang der Klärung des Verhältnisses von konstituierender und konstituierter Gewalt denselben Gedanken. Er enthüllte die paradoxe Erkennnis, dass der pouvoir constituant des Volkes eine nachträgliche gedankliche Schöpfung des verfassten Volkes sei, die aber ihrerseits den Urheber dieser Schöpfung, das verfasste Volk, erst trägt.14 Das genau war die Botschaft Hofmanns in dem zitierten Satz. Möglicherweise schimmert in jenem Satz von ferne auch der Einfluss des von ihm verehrten Ernst Cassirer und seiner „Philosophie der symbolischen Formen“ durch.15 Denn in nuce kommt darin ja zum Ausdruck, dass durch die symbolische sprachliche Form der Verfassung eine geistige Realität 11
Hofmann, Repräsentation (Fn. 10), S. 168 f. Hofmann, Mehrheitsprinzip (Fn. 10), S. 172 f. 13 Hofmann, Mehrheitsprinzip (Fn. 10), S. 172. 14 Hans Lindahl, Constituent Power and Reflexive Identity: Towards an Ontology of Collective Selfhood, in: Martin Loughlin/Neil Walker (Eds.), The Paradox of Constitutionalism. Constituent Power and Constitutional Form, Oxford 2007, S. 9 – 24. 15 Hierzu eingehend Paula Diehl, Das Symbolische, das Imaginäre und die Demokratie, Baden-Baden 2015, S. 41 ff., 51 f., 259 ff. 12
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erzeugt worden sei, die unser reales soziales Leben prägt. Hofmanns Satz lässt die Erinnerung an eine Gedichtzeile aufkommen, die der deutsche Dichter Ferdinand Freiligrath nach der Verabschiedung der Paulskirchenverfassung ziemlich genau einhundert Jahre vor dem Erlass des Grundgesetzes in seiner Begeisterung für die volkskonstituierende Wirkung der Verfassung schrieb: „Noch gestern, Brüder, wart ihr nur ein Haufen; ein Volk, o Brüder seid ihr heut“.16 Die hier zum Ausdruck kommende Grundidee des Hofmann’schen Repräsentationsbegriffs hängt mit seiner im Vergleich zur vorherrschenden deutschen Staatsrechtslehre starken Betonung des demokratischen Elements der Repräsentation zusammen. An die Stelle der holistischen Abstrakta „Volk“ und „Volkssouveränität“ tritt das Konzept der „Souveränität des egalitären Staatsbürgervereins“ als einer „trotz aller sozialen, politischen, wirtschaftlichen, konfessionellen und kulturellen Gegensätze und Differenzen rechtlich gleichwohl homogenen, prinzipiell nach einem Recht für alle lebenden Einheit“.17 Der Begriff der „rechtlichen Homogenität“ ist eine glückliche Bezeichnung für die „prinzipiell nach einem Recht für alle lebenden Einheit“ sowohl des Volkes wie auch des Parlaments. Sie öffnet das politische und verfassungsrechtliche Denken für die Bedeutung der rechtlichen Prägung des Prozesses der Repräsentation, weg von den jahrzehntelang in der deutschen Diskussion vorherrschenden essentialistischen Ideen über die ontologischen Qualitäten von Volk und Volksrepräsentation.18 So ist es auch nur konsequent, dass er die innere Verbindung seines demokratisch geprägten Repräsentationsbegriffs mit dem Wahlrecht herausarbeitet. Um ein demokratischrepräsentatives Parlament hervorzubringen, müsse das Wahlverfahren die Vielfalt der politisch zu verarbeitenden Interessen auf der Grundlage des gleichen Erfolgswertes jeder Wählerstimme zur Geltung bringen. Das könne, wie Hofmann feststellt, nur ein Verhältniswahlrecht leis16 Zit. nach Trübners Deutsches Wörterbuch, Bd. 7 (T-V), Art. ,Volk‘, Berlin 1956, S. 689 ff. (691 f.). 17 Hofmann, Mehrheitsprinzip (Fn. 10), S. 174; kursive Hervorhebungen i.O. 18 In diese Richtung bereits die von Hofmann rezipierten Studien von Martin Drath, Die Entwicklung der Volksrepräsentation (1954), in: Heinz Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. 260 – 329 sowie von dessen Schüler Christoph Müller, Das imperative und freie Mandat, Leiden 1966 (Neuausgabe u. d. T.: Das imperative und das freie Mandat. Mit einer Einführung von Horst Dreier, Hamburg 2021).
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ten.19 Aber selbst ein solches würde nicht dem demokratischen Prinzip gerecht werden, wenn es lediglich zu Beginn einer jeweils neuen Wahlperiode angewendet würde. Repräsentation sei nicht nur eine durch demokratische Wahlen begründete, sondern darüberhinaus auch „ständig erneuerte Beziehung der Autorisierung und Anerkennung sowie der Kontrolle und Kritik zwischen dem durch die Wahlberechtigten verkörperten Staatsvolk und der aus den gewählten Abgeordneten […] gebildeten Volksvertretung“.20 Die „Herstellung eines formalen Legitimations- und Zurechnungszusammenhanges“ genüge dafür nicht.21 III. Ein aktuelles Problem der Volksrepräsentation: der Normbereich des Artikels 38 Abs. 1 GG Diese letzte Aussage zum demokratischen Gehalt des grundgesetzlichen Repräsentationsprinzips führt mich zu dem eingangs angekündigten Übergang zu einer politik- und staatstheoretischen sowie auch staatsrechtlichen Frage, in der das Thema der Repräsentation uns gegenwärtig als Problem begegnet. Es geht um Artikel 38 GG. Hier spielt bekanntlich die Zurechnung von Verantwortung eine zentrale Rolle. Es sollte uns hellhörig machen, dass eine kürzlich, im Jahr 2019 erschienene juristisch-politische Bestandsaufnahme des deutschen Parlamentarismus einen Untertitel trägt, der keine guten Erinnerungen weckt: „Zur Krise des heutigen Parlamentarismus“.22 Die folgenden Überlegungen widmen sich der Kritik an der vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in nunmehr wohl gefestigter Rechtsprechung entwickelten Auslegung des Artikels 38 des Grundgesetzes, die den genuin demokratischen Gehalt dieser grundgesetzlichen Zentralnorm der Repräsentation zu zerstören droht. Ich beginne mit dem Urteil des Zweiten Senates des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, das als „Maastricht-Urteil“ in die Zitierpraxis unserer Profession eingegangen ist. Für unser Thema der Repräsentation steht nicht die integrationsrechtliche und -politische
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Hofmann, Mehrheitsprinzip (Fn. 10), S. 181. Hofmann, Mehrheitsprinzip (Fn. 10), S. 173. 21 Hofmann, Mehrheitsprinzip (Fn. 10), S. 173. 22 Meinel, Vertrauensfrage (Fn. 3). 20
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Problematik des Urteils im Mittelpunkt, sondern die dort vorgenommene Neuinterpretation des Artikels 38 GG. 1. Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde Das Problem, das ich erörtern will, tauchte, soweit ich weiß, erstmals in dem Maastricht-Verfahren im Gewande einer prozessualen Frage auf, nämlich der Zulässigkeit von auf Artikel 38 GG gestützten Verfassungsbeschwerden. Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer aus verschiedenen politischen Strömungen hatten ihre verfassungsrechtlichen Einwendungen gegen das vom Bundestag verabschiedete Zustimmungsgesetz zum Maastricht-Vertrag als Verfassungsbeschwerden erhoben: den einen ging der Vertrag mit dem Verzicht auf deutsche Souveränitätsrechte zu weit, die anderen, deutsche Abgeordnete des Europäischen Parlaments, vermissten in dem Vertrag einen aus ihrer Sicht notwendigen Ausgleich für die Abwanderung deutscher Hoheitsrechte auf die EU in Gestalt demokratischer Rechte auf europäischer Ebene. Das Problem beider Seiten bestand darin, dass sie ihre gegensätzlichen Einwände, die im Kern objektiv-rechtliche Strukturelemente des politisch-rechtlichen Status der Bundesrepublik als Mitgliedstaat einer Staatenunion thematisierten, in die Form der Verfassungsbeschwerde kleiden mussten. Denn keiner der obersten Bundesorgane, die die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des Vertragsgesetzes zum Maastricht-Vertrag durch das Bundesverfassungsgerichts hätten herbeiführen können – sei es im Wege eines Organstreits, sei es durch das Verfahren einer abstrakten Normenkontrolle – hatte von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. So hatten also die Beschwerdeführer mehr oder minder notgedrungen zum Instrument der Verfassungsbeschwerde gegriffen. Das war schweres Gepäck für einen außerordentlichen Rechtsbehelf einzelner Bürger gegen die von ihnen angegriffene Übertragung von Hoheitsrechten auf Organe der EU. Die Beschwerdeführer hätten nämlich begründen müssen, dass sie selbst, gegenwärtig und unmittelbar durch das Vertragsgesetz in einem ihrer Grundrechte verletzt würden. Das konnte offenkundig nicht der Fall sein, denn weder gab und gibt es ein gegen die Bundesrepublik gerichtetes Grundrecht auf Wahrung der Souveränität der Bundesrepublik noch ein solches auf Herstellung demokratischer Strukturen in der Europäischen Union. Es war absehbar, dass sich die Beschwerdeführer an diesem Fall, der eine grundlegende und naturge-
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mäß umstrittene Verfassungsfrage des Bundes betraf und somit die Zuständigkeit seiner obersten Organe herausforderte, verheben würden. Diese Vermutung sollte sich allerdings als falsch erweisen. Zwar wurden in dem am 12. Oktober 1993 ergangenen Maastricht-Urteil erwartungsgemäß die meisten Rügen beider Seiten vom Gericht als unzulässig verworfen. Entgegen der Erwartung vieler Verfassungsexperten wurde jedoch eine Grundrechtsrüge als zulässig, d. h. als gerichtlich prüfungswürdig und -bedürftig, anerkannt, nämlich die auf Artikel 38 gestützte Behauptung einer grundgesetzwidrigen Souveränitätseinbuße durch die vom Bundestag bestätigten Vertragsbindungen. Es sei nicht auszuschließen, dass das in Artikel 38 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes allen wahlberechtigten Deutschen gewährleistete subjektive Recht, an der Wahl der Abgeordneten des Deutschen Bundestages teilzunehmen, durch das Zustimmungsgesetz zum Unions-Vertrag verletzt werde: Artikel 38 GG verbürge nicht nur die subjektiven Rechte auf Teilnahme an der Wahl zum Deutschen Bundestag und auf die Einhaltung der dort bestimmten verfassungsrechtlichen Wahlrechtsgrundsätze. Die Verbürgung erstrecke sich auch auf den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts: Gewährleistet werde den wahlberechtigten Deutschen das subjektive Recht, an der Wahl des Deutschen Bundestages teilzunehmen, dadurch an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk auf Bundesebene mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluss zu nehmen. Gebe der Deutsche Bundestag Aufgaben und Befugnisse auf, insbesondere solche zur Gesetzgebung und zur Wahl und Kontrolle anderer Träger von Staatsgewalt, so berühre das den Sachbereich, auf den der demokratische Gehalt des Artikels 38 GG sich beziehe. Wenn die Abgabe von Hoheitsbefugnissen auf nicht-nationale Organe ein bestimmtes Ausmaß annehme, dann würde dies das den wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürgern verbürgte Wahlrecht aus Artikel 38 verletzen. Gemäß Artikel 93 Abs. 1 S. 4a GG könne daher „jedermann“, zulässigerweise die Verfassungsbeschwerde erheben.23 2. Neudefinition des demokratischen Prinzips? Was hat das mit Repräsentation zu tun? Wie ich sagte und uns allen natürlich bewusst ist, ist Artikel 38 die Grundnorm der repräsentativ23
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parlamentarischen Demokratie des Grundgesetzes. Sein Normbereich definiert Inhalt und Umfang des demokratischen Grund-Satzes des Artikels 20 Abs. 2 GG, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht. Jegliche Erweiterung des Normbereiches ist daher gleichbedeutend mit einer Neudefinition des demokratischen Prinzips. Genau dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts bewirkt, als er das auf Artikel 38 Abs. 1 GG gestützte individuelle Jedermanns-Recht auf die verfassungsgerichtliche Prüfung der Kompetenztreue des Bundestages jedenfalls in Fragen der europäischen Integration geschaffen hat. Trotz vielfältiger Kritik in der wissenschaftlichen Literatur hat der Senat in allen folgenden Entscheidungen in Angelegenheiten des Artikels 23 GG an dieser Auslegung des Artikels 38 festgehalten, nicht nur, aber besonders prominent im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009. Mittlerweile ist diese Auslegung zum weitgehend, allerdings keineswegs vollständig akzeptierten Stand der deutschen Verfassungsrechtswissenschaft avanciert und wird in Grundgesetz-Kommentaren als eine juristische Selbstverständlichkeit tradiert.24 In einer sehr ausführlichen und sachkundigen Urteilsbesprechung hatte seinerzeit eine damalige wissenschaftliche Assistentin an der Universität Kiel das Maastricht-Urteil einer kritischen Analyse unterzogen, in der sie zu dem Schluss gelangte: „Gegen eine so weite Auslegung der in Artikel 38 GG niedergelegten demokratischen Rechte sprechen sowohl der Wortlaut des Artikels 93 Abs. 1 Nr. 4a GG als auch der Sinn und Zweck der Verfassungsbeschwerde“.25 Ein Viertel Jahrhundert später ist die damalige Assistentin, Doris König, Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts und dessen Vizepräsidentin. Die einschlägigen Entscheidungen des Zweiten Senates, in denen dieser weiterhin an der Auslegung des Artikels 38 festhält und an denen die ehemalige Assistentin als Richterin mitgewirkt hat, sind jeweils einstimmig ergangen. Es ist hier nicht der Ort, in extenso über die gravierenden Folgen dieser Ausweitung des Artikels 38 GG zu sprechen, die ein prominenter Kollege aus der Zunft der Staatsrechtslehrer seinerzeit in die Überschrift 24 Vgl. z. B. Martin Morlok, in: Horst Dreier (Hrsg.) Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl., Tübingen 2015, Art. 38 Rn. 56, 60. 25 Doris König, Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Maastricht – ein Stolperstein auf dem Weg in die europäische Integration?, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 54 (1994), S. 17 – 94 (27).
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seines kritischen Aufsatzes kleidete: „Die Europäische Union unter der Aufsicht des Bundesverfassungsgerichts“.26 Es sei nur auf die paradoxe Konsequenz verwiesen, dass die Erweiterung des Normbereichs dieses Grundrechts im Namen des demokratischen Prinzips die Kontrollbefugnisse des Bundesverfassungsgerichts gegenüber dem gemäß Artikel 38 GG gewählten Bundestag erweitert und damit die demokratische Qualität des Bundestages durch Ausdehnung der judikativen Gewalt geschwächt hat. Die politische Bedeutung dieser innerkonstitutionellen Machtverschiebung zu Lasten des Parlaments erhellt schlaglichtartig aus der Stellungnahme des seinerzeitigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzenden des Zweiten Senates in einer Diskussion mit dem damaligen Bundestagspräsidenten über das Verhältnis des Gerichts zum Bundestag. In jener Diskussion im Jahre 2013 erklärte der Gerichtspräsident dem Parlamentspräsidenten, wie er das Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zum Bundestag, dem einzig durch direkte Volkswahl eingesetzten demokratischen Organ, sehe: Man folge dem Prinzip von „fördern und fordern“.27 In der Presse konnte man die Meinung lesen, dass das BVerfG den Bundestag vor sich hertreibe. In krassem Widerspruch zu diesem Selbstbewusstsein des damaligen Gerichtspräsidenten steht die verfassungsrechtsdogmatische Stimmigkeit der von seinem Zweiten Senat allerdings bereits vor seiner Amtszeit vorgenommenen erweiternden Interpretation des Artikels 38. So ist bereits gleich zu Beginn der Argumentation die Formulierung befremdlich, dass sich die grundgesetzliche Verbürgung des Artikels 38 „auch auf den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts“ erstrecke28. Ja, worauf denn sonst? Die grammatikalische Analyse dieses Satzes legt den Schluss nahe, dass der Senat erst im Verlaufe dieses Verfahrens entdeckt hat, dass Artikel 38 einen bislang vernachlässigten grundlegenden demokratischen Gehalt hat und dass sich die Verbürgung des Artikels 38 nunmehr auch auf diesen demokratischen Gehalt erstrecke. Man fragt sich natürlich, worauf sich nach Auffassung des Zweiten Senats die Verbürgung des Artikels 38 außer auf seinen grundlegenden demokratischen Gehalt eigentlich noch erstrecken könnte und in der Vergangenheit erstreckt habe. In der Lissabon-Entscheidung von 2009 fügt der 26 Christian Tomuschat, Die Europäische Union unter der Aufsicht des Bundesverfassungsgerichts, in: Europäische Grundrechtezeitschrift 1993, S. 489 – 496. 27 Vgl. den Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 5. März 2013. 28 BVerfGE 89, 155 (171) – Hervorhebung hinzugefügt, U.K.P.
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Senat, vermutlich zur Erläuterung und Bekräftigung des grundlegenden demokratischen Gehaltes des Artikels 38, einen Satz hinzu, der sich noch nicht explizit in der Maastricht-Entscheidung findet. Er sollte offenbar die Aussage untermauern, dass Artikel 38 das subjektive Recht der wahlberechtigten Deutschen enthalte, durch die Teilnahme an der Wahl „an der Legitimation der Staatsgewalt durch das Volk mitzuwirken und auf ihre Ausübung Einfluss zu nehmen“. Der der Bekräftigung dieser Aussage dienende Satz lautet: „Denn die Wahlberechtigten können zwischen konkurrierenden Kandidaten und Parteien auswählen, die sich mit unterschiedlichen politischen Vorschlägen und Konzepten zur Wahl stellen“.29 Nun ist auch das nichts anderes als die Umschreibung der Tatsache, dass die Wahl der Bundestagsabgeordneten unter den Bedingungen des in Artikel 21 ausdrücklich anerkannten Parteienstaates nichts anderes bedeutet, als dass die Wählerinnen und Wähler „zwischen konkurrierenden Kandidaten und Parteien auswählen, die sich mit unterschiedlichen politischen Vorschlägen und Konzepten zur Wahl stellen“. Ebenso wenig neu und überraschend ist die Aussage, dass die Wahl der Bundestagsabgeordneten die Bedeutung habe, dass die Wählerinnen und Wähler damit „an der Legitimation der Staatsgewalt mitwirken und auf ihre Ausübung Einfluss nehmen“.30 Was also ist neu daran gegenüber den bisher bekannten und als selbstverständlich zur Kenntnis genommenen Funktionen der auf der Grundlage des Artikels 38 veranstalteten Wahl? Vor allem: worin bestand nach Auffassung des Senats denn eigentlich das Defizit der bisherigen Auslegung des Artikels 38 Abs. 1? IV. Zum Normbereich und rechtslogischen Status des Artikels 38 GG 1. Die Funktionen der Wahl In jedem beliebigen politikwissenschaftlichen Lehrbuch über das Parteiensystem und das Wahlrecht in pluralistischen Demokratien wie der des Grundgesetzes kann man nachlesen, dass Wahlen in Demokratien wie der Bundesrepublik mehrere Funktionen erfüllen, unter denen die Auswahl zwischen konkurrierenden Kandidaten und Parteien nicht einmal die wichtigste ist. Ich zähle hier aus Zeitgründen nur einige auf, 29 30
BVerfGE 123, 267 (330, Rn. 174). BVerfGE 123, 267 (331 f., Rn. 179).
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so z. B. die Funktionen der Legitimierung des politischen Systems, der Übertragung von Vertrauen an Personen und Parteien, der Repräsentation von Meinungen und Interessen der Wahlbevölkerung, der Mobilisierung der Wählerschaft für gesellschaftliche Werte, der Kanalisierung politischer Konflikte in Verfahren zu ihrer friedlichen Beilegung, der Integration des gesellschaftlichen Pluralismus und der Bildung eines politisch aktionsfähigen Gemeinwillens, der Herbeiführung einer Entscheidung über die Regierungsführung in Form der Bildung parlamentarischer Mehrheiten sowie schließlich die Funktionen der Einsetzung einer kontrollfähigen Opposition und der Bereithaltung eines demokratischen Machtwechsels.31 Hans Meyer spricht die Wahrheit unverblümt aus: „Es geht […] bei der Parlamentswahl nicht primär um die personelle Besetzung, sondern um die parteipolitische Zusammensetzung des Parlaments“.32 Das ist eine genuin demokratie-politische Funktion der Wahl. Die Aussage des Gerichts, dass sich das in Artikel 38 verbürgte Recht „auch auf den grundlegenden demokratischen Gehalt dieses Rechts“ erstrecke, ebenso wie die Erwähnung der einzelnen Elemente dieses demokratischen Gehalts ist also durchaus zutreffend; sie hat aber nicht den geringsten Neuigkeitswert. Diesen demokratischen Gehalt hatten die Bundestagswahlen von Anbeginn. Das Gericht aber suggeriert einen Neuigkeitswert. Denn es leitet aus diesem vermeintlich von ihm entdeckten „grundlegenden demokratischen Gehalt“ des Artikels 38 eine Erweiterung von dessen Schutzbereich des Wahlrechts zum Bundestag ab: Nämlich eine Erweiterung des durch Artikel 38 garantierten Rechts, entsprechend den dort niedergelegten Wahlgrundsätzen an der Wahl der Bundestagsabgeordneten teilzunehmen, um das subjektive Recht eines jeden Wahlberechtigten (einschließlich derjenigen, die von dem Wahlrecht keinen Gebrauch gemacht haben?), vom Bundestag die Einhaltung der Grenzen seiner Befugnis zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die Europäische Union zu verlangen und gegebenenfalls verfassungsgerichtlich durchzusetzen.
31 Vgl. Dieter Nohlen, Wahlrecht und Parteiensystem. Zur Theorie der Wahlsysteme. 4., korrigierte und aktualisierte Auflage, Opladen 2004, S. 35 f. 32 Hans Meyer, Demokratische Wahl und Wahlsystem, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II: Demokratische Willensbildung – Die Staatsorgane des Bundes, Heidelberg 1987, S. 249 – 267 (S. 251 Rn. 6).
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Folgt man dieser Begründung und sollte eine solche Normbereichserweiterung Schule machen, könnte man dann nicht z. B. mit Bezug auf die Eigentumsgarantie des Artikels 14 argumentieren, dieser Artikel gewährleiste nicht nur die Innehabung, den Erwerb und die Verfügung über private Vermögensrechte, sondern die mit diesem Recht verbundene, ja durch dieses Recht allererst ermöglichte bürgerliche Lebensform eines unabhängigen selbstbestimmten Lebens – und müsste man dann nicht aus Artikel 14 das Recht auf die für diesen bürgerlichen Lebensstil erforderliche materielle Ausstattung ableiten? Das ist gewiss absurd – aber ist es nicht genau diese Argumentation, die der Zweite Senat bei der Auslegung des Artikels 38 verfolgt? So wie z. B. Dieter Grimm diese Interpretation des Artikels 38 durch den Zweiten Senat mit der Begründung rechtfertigt, dass man ein „materielles Verständnis“ dieses Artikels zugrunde legen müsse, denn er gewährleiste „neben anderem auch, dass das aus den Wahlen hervorgehende Staatsorgan über eine Kompetenzausstattung verfügt, die die Wahlentscheidung des Volkes folgenreich macht“.33 Darin liegt erkennbar eine petitio principii: Artikel 38 gewährleiste eine Kompetenzausstattung, die die Wahlentscheidung des Volkes folgenreich macht, daher müsse man diesem Artikel ein materielles Verständnis zugrunde legen. Als wenn es eine Bundestagswahl geben könnte, die nicht folgenreich ist. Abgesehen davon: das Wahlrecht schützt keine Freiheit, die man je nach Freiheitsverständnis enger oder weiter, eher formell oder eher materiell verstehen kann; das Wahlrecht des Artikels 38 ist vielmehr eine den individuellen Wahlberechtigten durch das Grundgesetz verliehene rechtliche Macht, eine Ermächtigung zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Staatsvolkes im Rahmen der staatlichen Organisation. Diese definiert Inhalt und Reichweite dieser rechtlichen Fähigkeit. 2. Artikel 38 GG als Recht auf Teilnahme an der Bundestagswahl Hier erscheint zunächst der Hinweis angebracht, dass Artikel 93 Abs. 1 Nr. 4a GG das subjektive Recht aus Artikel 38 nicht als Grundrecht, sondern als eines der übrigen dort aufgezählten und geschützten und verfassungsbeschwerdefähigen Rechte qualifiziert. Das verkürzt als 33 Dieter Grimm, Das Grundgesetz als Riegel vor einer Verstaatlichung der Europäischen Union. Zum Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Der Staat 48 (2009), S. 475 – 495 (481).
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subjektives Wahlrecht bezeichnete Recht ist richtigerweise das subjektive Recht der Wahlberechtigten auf die Teilnahme an der Bundestagswahl – und diese ist ein durch und durch staatlich geformtes Ereignis. Infolgedessen besteht der Inhalt des Rechtes aus Artikel 38 nicht in der Garantie einer Freiheit, sondern in der Berechtigung auf die Ausübung einer staatsorganschaftlichen Funktion. Damit ist schon aus rechtslogischen Gründen die Möglichkeit einer materiellen Erweiterung dieses Rechtes ausgeschlossen. Aus dem Recht auf Ausübung der von der Verfassung geschaffenen Kompetenz der Teilnahme an der Staatswillensbildung ließen sich z. B. Forderungen begründen, den Kreis der berechtigten Teilnehmer an der Wahl zu erweitern oder die Wahlen in kürzeren oder längeren Abständen abzuhalten – in beiden Beispielen geht es jeweils um den Umfang der Rechtsmacht der Wahlberechtigten. Dagegen lässt sich von der Rechtsmacht des Wählens keine Brücke zu einem Recht auf eine erweiternde Kompetenzausstattung des gewählten Organs schlagen, da dessen Kompetenzen nicht um der einzelnen Wahlberechtigten willen verfassungsrechtlich bestimmt worden sind. Die Kompetenzen des Bundestages definieren nicht den Umfang des Wahlrechts; und so kann das Wahlrecht nicht die Kompetenzen des Bundestages bestimmen. Vielmehr gilt, dass das Wahlrecht besteht, weil die der Erfüllung gesamtstaatlicher Aufgaben und Herrschaftsfunktionen dienenden Kompetenzen des Bundestages einer demokratischen Legitimation bedürfen. An dieser Legitimationsfunktion haben auch die Wahlberechtigten als Angehörige des Volkes, von dem alle Staatsgewalt ausgeht, ein individuelles Interesse. Es wird mit der Garantie des subjektiven Wahlrechts in Artikel 38 GG befriedigt. Gegenstand dieses individuellen und verfassungsrechtlich geschützten Interesses ist die Teilhabe an der Legitimation der legislativen Staatsgewalt durch das Volk. Sowohl die Ausübung dieses Elementes der Staatsgewalt durch den Bundestag wie auch deren Legitimation durch die in Artikel 38 näher charakterisierten Wahlen erfolgen im öffentlichen Interesse der Wirksamkeit der demokratischen Ordnung, wie sie in Artikel 20 GG bestimmt worden ist. Das verfassungsrechtlich anerkannte und geschützte Interesse des wahlberechtigten Individuums besteht darin, daran Teil zu haben – es kann nicht darin bestehen, das öffentliche Interesse an der Wirksamkeit der verfassungsrechtlich konstituierten politischen Ordnung als Eigeninteresse anzuerkennen. Diese Anerkennung kann auch das Bundesverfassungsgericht nicht leisten, ohne seine ihm durch das Grundgesetz begründeten Befugnisse zu überschreiten.
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3. Exkurs zum rechtslogischen Charakter des Artikels 38 Abs. 1 GG Dass etwas den Charakter eines „Rechts“ hat, bedeutet keineswegs, dass damit aus juristischer Sicht Klarheit herrscht. Vielmehr muss man sich die Mühe machen, die Taxonomie jener als „Recht“ bezeichneten rechtlichen Beziehungen näher zu betrachten. Im Jahre 1919 veröffentlichte der in Yale lehrende US-amerikanische Jurist Wesley Newcomb Hohfeld eine auch heute noch aufschlussreiche und in der US-amerikanischen Jurisprudenz verwendete Kategorisierung der elementaren Konzeptionen dessen, was wir in Europa unter subjektivem Recht verstehen. Er unterschied zwischen „right“, „privilege“, „power“ und „immunity“ – Unterscheidungen, die auch uns Kontinental-Europäern durchaus einleuchten. So würden wir spontan bei der Frage, zu welcher Kategorie das hier von uns verhandelte Wahlrecht gehört, unter die Kategorie „power“ subsumieren – Ermächtigung/Macht. Im Deutschen könnten wir auch vom „Gestaltungsrecht“ sprechen. Hohfeld lieferte zu den genannten vier Grundkategorien auch die jeweiligen juristischen Gegensätze sowie deren Korrelate – was uns hier nicht weiter beschäftigen soll. Aber ich möchte doch nicht versäumen darauf hinzuweisen, dass er als Gegensatz zu „power“ „disability“ nannte – Unvermögen als Ergebnis der Abwesenheit von Macht. Und als Korrelat von „power“ nannte er „liability“, Haftung, Verantwortlichkeit.34 In diesen rechtslogischen Rahmen gehört das Wahlrecht, gleichgültig, ob man die Hohfeld’sche Taxonomie für uns Kontinentaleruropäer akzeptiert oder nicht. Eine Generation zuvor, im Jahr 1892, hatte Georg Jellinek seine heute ebenfalls noch aussagekräftige Studie zum „System der subjektiven öffentlichen Rechte“ veröffentlicht, in der die von ihm unterschiedenen Status – Rechtszustände, aus denen sich Rechte ergeben können – die Grundlage für verschiedene Kategorien von subjektiven Rechten bilden.35 Für ihn war die Unterscheidung zwischen rechtlichem Dürfen und rechtlichem Können von grundlegender Bedeutung. „Die Rechtsordnung kann […] der Handlungsfähigkeit des Individuums
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Wesley Newcomb Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning (ed. Walter Wheeler Cook), seventh printing, Union, N.J. 2005, S. 36. 35 Georg Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tübingen 1905, S. 83 ff.
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etwas hinzufügen, was es von Natur aus nicht besitzt“36. Hier erkennen wir die Hohfeld’sche Kategorie der „power“ wieder. Das Wahlrecht zu einem Parlament ist der Musterfall einer von der Rechtsordnung geschaffenen Möglichkeit des Handelns und Gestaltens der Wahlberechtigten. Das individuelle Wahlrecht erhält darüber hinaus seinen Sinn auch erst aus dem Charakter einer kollektiven Massenveranstaltung, in der die Wahlberechtigten unabhängig voneinander, aber durch die Gemeinsamkeit der Wahl zu einem Gemeinschaftsziel verbunden, ihre jeweilige Stimme im Rahmen der durch das Wahlgesetz vorgeprägten Alternativen abgeben. Zutreffend erkannte Jellinek, dass „die Wahlhandlung selbst […] niemals Inhalt eines individuellen Rechts sein (kann), vielmehr ist der Wähler selbst im Wahlakte als Teilorgan, als Mitglied des von sämtlichen Wählern des betreffenden Wahlkreises oder Wahlkörpers gebildeten Wahlkollegiums zu betrachten“.37 Das subjektive Recht der Wählerinnen und Wähler gehe „auf die Anerkennung des einzelnen in seiner Eigenschaft als Wähler, als Träger eines aktiven Status“.38 V. Zu den Folgen einer Umdeutung des Artikels 38 GG zu einem Individualrecht auf Kompetenzwahrung Ich verlasse diesen Exkurs in die Taxonomie der subjektiven Rechte und kehre zum Begriff der Repräsentation zurück – genauer zu den Implikationen einer Ausweitung des Normbereichs des Artikels 38 Abs. 1 GG für die demokratische Repräsentation. 1. Auswirkungen der Ausdehnung des Artikels 38 GG Ich sagte, dass die Ausdehnung des Normbereichs des Artikels 38 Abs. 1 GG die objektiven gesellschaftlichen Wirkungen der Grundrechtsausübung zum Inhalt des Grundrechts macht. Wenn es darum geht, um nochmals Dieter Grimm zu zitieren, dass die Ausübung des Wahlrechts die Wahlentscheidung des Volkes „folgenreich“ macht, dann soll der Wahlakt etwas bewirken, was sich nicht in der Auswahl der Bundestagsabgeordneten für die kommende Wahlperiode erschöpft. 36
Jellinek, System (Fn. 35), S. 47. Jellinek, System (Fn. 35), S. 159. 38 Jellinek, System (Fn. 35), S. 161. 37
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Das bedeutet, dass all das, was die politische Bedeutsamkeit einer unter demokratischen Bedingungen stattfindenden Wahl ausmacht, zum Garantiegehalt der Rechtsverbürgung gehört. Die unmittelbare Wirkung dieser neuen Perspektive auf das subjektive Recht besteht in der Überführung eines gesellschaftlichen Sachverhaltes in die Sphäre der individuellen Kontrolle, des individuellen „Eigenhabens“. Das Individuum erhält den Anspruch auf die rechtliche Kontrolle von Kausalitäten (die genannten Funktionen der Mobilisierung und Integration der Bürgerinnen und Bürger etc. im Zusammenhang mit der Wahl), die sich seiner individuellen Beherrschung entziehen. Wer wählen geht, trägt nicht nur zum Wahlergebnis bei, sondern auch zur Bildung eines politisch aktionsfähigen Gemeinwillens und zur Bewirkung der übrigen oben benannten Effekte und Funktionen der Wahl als eines gesellschaftlichen Massenereignisses. Aber anders als durch seinen Wahlzettel in der Wahlkabine hat er keinerlei Einfluss auf diese Wahleffekte. Man sollte denken, dass dem, der diese Kausalitäten nicht kontrollieren kann, es auch nichts nützt, dass ihm oder ihr ein subjektives Recht auf die Kontrolle in Gestalt eines subjektiven Rechts zugesprochen wird. Es nützt ihm oder ihr jedoch sehr wohl, denn die Verwandlung kollektiver Sachverhalte in subjektive Rechte bedeutet die juristische Verwandlung dieser Sachverhalte in einen Gegenstand des individuellen gerichtlichen Rechtsschutzes. Die Gerichte, letztendlich das Bundesverfassungsgericht, erhalten damit die Autorität, letztverbindlich über den individuellen Anteil einer klagenden Person an einem gesellschaftlichen Kollektivgut zu entscheiden, das aber gar nicht teilbar ist. Weist man einem Individuum ein subjektives Recht auf die Repräsentation des Volkes zu, so läuft das darauf hinaus, dass dieser Berechtigte als Einzelner die Öffentlichkeit des Volkes repräsentiert. Die Demokratie des Grundgesetzes ist aber auf die Existenz einer unzerstückelten Öffentlichkeit angewiesen: nicht deswegen, weil, wie Carl Schmitt postulierte, „nur das anwesende, wirklich versammelte Volk […] Volk (ist) und […] die Öffentlichkeit her(stellt)“39, und auch nicht, wie Leibholz meinte, weil die „der Repräsentation immanente grundsätzliche Tendenz zur Publizität […] sich aus der ideellen Wertbezogenheit der Repräsentation (er-
39 Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), 4. unveränd. Aufl., Berlin 1965, S. 243.
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klärt)“;40 sie ist es vielmehr deswegen, weil ganz im Sinne der Hofmann’schen Repräsentationskonzeption in einer pluralen, heterogenen, ja gespaltenen Gesellschaft eine Vertrauensbeziehung zwischen dem Volk und seinen Repräsentanten als Voraussetzung der „politische(n) Integration der Staatsbürger“ nur im Medium einer allgemeinen Öffentlichkeit hergestellt werden kann.41 2. Recht auf Demokratie? Was also ist falsch an dem in Artikel 38 hineingelesenen „Recht auf Demokratie“, wie es unter Berufung auf die Rechtsprechung des BVErfG auch bereits postuliert worden ist? Demokratie ist eine politische Existenzform, die zwar auf die Aktivität der Individuen angewiesen ist, deren Wirksamkeit sich aber nicht auf die Einzelnen und deren rechtlich geschützte Lebenssphären aufteilen lässt, ohne die elementare Verbundenheit der Individuen durch Vereinzelung zu zerstören. Demokratie besteht nicht aus einem Bündel subjektiver Rechte einander gleichgültiger oder gar konkurrierender Individuen, die um ihren Anteil an den Früchten des gesellschaftlichen Zusammenlebens ringen. Das Volk der Demokratie besteht überhaupt nur durch Repräsentation. Es ist lebendig, fähig und willens, sich selbst zu regieren, weil und solange die Individuen sich selbst als Subjekte ihres gemeinsamen kollektiven Schicksals begreifen und behandeln. Ich erinnere an den oben zitierten, zunächst etwas rätselhaften Satz von Hasso Hofmann, an Ernst Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen“ und an die darin enthaltene, von Hofmann rezipierte „Phänomenologie der Erkenntnis“ sowie auf die Gedichtzeile von Ferdinand Freiligrath. Heute, nach erfolgreichem Aufbau einer parlamentarischen Republik, kann man sagen, dass die Fähigkeit der Verfassungsinstitutionen zur Repräsentation der Vielheit und Heterogenität der politischen Nation Bedingung der politischen Stabilität des Landes ist. Eine Subjektivierung des demokratischen
40 Gerhard Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentationssystems, Berlin/Leipzig 1929, S. 176. 41 Hierzu jüngst Jürgen Habermas, Überlegungen und Hypothesen zu einem erneuten Strukturwandel der politischen Öffentlichkeit, in: Martin Seeliger/Sebastian Sevignani (Hrsg.), Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit? Sonderband Leviathan 37, Baden-Baden 2021, S. 470 – 500.
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Prinzips dagegen ergibt das Bild eines in viele kleine Elemente zersplitterten Spiegels, der das Volk als demokratische Kategorie abschafft. Man kann unterstellen, dass den Mitgliedern des Zweiten Senates all die normativen Hindernisse gegen die von ihnen betriebene Ausweitung des Normbereichs des Artikels 38 Abs. 1 GG bekannt waren bzw. sind. Wenn sie dennoch daran festhalten, so muss das seinen Grund darin haben, dass ihnen in der bislang gepflogenen Auslegung des Artikels 38 ein Moment fehlt, das sie für wesentlich erachten. Die bisherige Weisheit lehrte und lehrt, dass die Ausübung des Wahlrechts „essentiell […] Teilhabe an der Staatsgewalt (ist), […] ein Stück Ausübung von Staatsgewalt im Status activus“42. Diese Hervorhebung der staatsorganschaftlicher Betätigung der Wahlberechtigten betont den Prozess der Willensbildung im Rahmen der staatlichen Organisation. Er verweist auf die Unterscheidung zwischen der Willensbildung des Volkes, auf die in Artikel 21 GG Bezug genommen wird, und der Willlensbildung der Organe des Staates. Auch Hasso Hofmann hat übrigens hierauf hingewiesen und von einer informellen Repräsentation des Volkes in Gestalt der Parteien, Verbände und sonstigen Akteure der Zivilgesellschaft in Gestalt einer „informellen Sub-Verfassung“ gesprochen.43 Aber diese Beobachtung bezeichnet lediglich ein mögliches Problem, das der Zweite Senat möglicherweise ebenfalls gespürt hat und mit seiner Auslegung des Artikels 38 meinte aus der Welt schaffen zu können. Das Problem besteht in dem Nebeneinander von Volk als staatlich organisierte Einheit und Volk als unorganisierte Entität.
42 BVerfGE 8, 104 (115); ebenso Wolfram Höfling, Demokratische Grundrechte – Zu Bedeutungsgehalt und Erklärungswert einer dogmatischen Kategorie, in: Der Staat 33 (1994), S. 493 – 509 (498 f., 501); Hans Meyer, Das parlamentarische Regierungssystem des Grundgesetzes. Anlage – Erfahrungen – Zukunftseignung, in: VVDStRL 33 (1975), S. 69 – 119 (77 f.); anders aber ders., Wahlsystem (Fn. 32), S. 251 Rn. 4; Ulrich M. Gassner, Kreation und Repräsentation. Zum demokratischen Gewährleistungsgehalt von Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG, in: Der Staat 34 (1995), S. 429 – 453 (437 f.); Astrid Epiney, Der status activus des citoyen, in: Der Staat 34 (1995), S. 557 – 585 (566 ff.); sie schreibt allerdings entgegen der hier vertretenen Analyse dem subjektiven Wahlrecht die Rechtsmacht zu, die Ausübung der Kompetenzen des Bundestages zu beeinflussen. 43 Hasso Hofmann, Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie (1985), in: ders., Recht – Politik – Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt am Main 1986, S. 249 – 260 (257).
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Der Bundestag ist Staatsorgan. Die Wahl seiner Mitglieder ist Ausübung der Staatsgewalt durch das Volk, wie es Artikel 20 Abs. 2 S. 1 GG vorsieht und wie Satz 2 ausdrücklich bestimmt, nämlich dass die vom Volke ausgehende Staatsgewalt u. a. durch Wahlen (und die hier nicht weiter erörterten Abstimmungen) ausgeübt wird. Artikel 38 Abs. 1 Satz 1 ist die subjektiv-rechtliche Konkretisierung des Satzes, dass das Volk die von ihm ausgehende Staatsgewalt in Wahlen ausübt. Dennoch erschöpft sich die Bedeutung des Artikels 38 Abs. 1 S. 1 GG nicht in der Funktion einer Ausführungsvorschrift zu der staatsorganisatorischen Regelung des Artikels 20 Abs. 2 S. 2 GG. Der Begriff Bundestag bezeichnet ein Organ des Bundes, d. h. einer staatlichen Organisation; weder terminologisch noch sachlich hat er eine Beziehung zum unorganisierten Volk, denn dieses hat außerhalb seiner staatlichen Organisation keine organisierte Einheit, und nur eine solche kann Organe haben. Könnte es aber nicht parallel zum Bundestag auch einen „Volkstag“ geben, in dem das Volk unabhängig von seiner Funktion als Staatsorgan in seiner Lebensform als freie Gesellschaft repräsentiert wird? Ein Staatsorgan „Bundestag“ könnte auch in einem Staat existieren, in welchem dessen Mitglieder nicht in allgemeinen, freien, gleichen und geheimen Wahlen ausgewählt werden. Ein Organ unter der Bezeichnung „Volkstag“ dagegen könnte die Kategorie des unorganisierten, „wirklichen“, „echten“, nicht durch Legalität „verfälschten“ in den verfassungsrechtlichen Diskurs einführen, wofür es in Gestalt von „Volkskammer“ oder „Volkskongress“ Beispiele in anderen Ländern gibt. Das Grundgesetz bringt mit dem Begriff des „Bundestages“ zum Ausdruck, dass mit diesem Begriff das Volk der Demokratie im Medium der Repräsentation politisch anwesend ist. Kraft seiner Verfasstheit, die den sprach- und handlungsunfähigen „Haufen“ zum „Volk“ verwandelt, gibt es neben diesem verfassten Volk kein „wirkliches“, „echtes“, „unverfälschtes“ Volk. Dazu gehört, dass die Befugnisse des aus den Wahlen hervorgegangenen Bundestages und der Bundestagsabgeordneten, mit verpflichtender Wirkung für alle Staatsbürger zu handeln, nicht etwa auf einer Ermächtigung oder einem Auftrag des Volkes durch diese Wahlen beruhen. Die Kompetenz zur Gesetzgebung liegt der Wahl voraus und wird von ihr vorausgesetzt. Das in Wahlen zum Ausdruck kommende „Mandat“ besteht in der Erklärung, dass der Bundestag seine Kompetenz in dieser durch die Wahl konkret bestimmten Zusammensetzung ausüben soll.
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Da ist es wieder, das Gefühl, dass die Mitwirkung des Volkes an der Wahl nicht erkennen lässt, dass die Wahlentscheidung des Volkes folgenreich, das Volk effektiv an den politischen Entscheidungen beteiligt ist. Tatsächlich liegt hier ein Problem der Repräsentation vor. Denn der Bundestag ist nicht lediglich Staatsorgan. Zutreffend hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 27. Febr. 2012 festgestellt, dass der Deutsche Bundestag „das unmittelbare Repräsentationsorgan des Volkes (ist). Er besteht aus den als Vertretern des ganzen Volkes gewählten Abgeordneten, die insgesamt die Volksvertretung bilden“.44 In anderen Worten, der Bundestag ist zugleich Organ des Staates mit der Innehabung der gesetzgebenden Gewalt und der anderen im Grundgesetz bestimmten Funktionen und zugleich Repräsentationsorgan des Volkes. Welche juristische Bedeutung hat diese Feststellung? Gibt es eine rechtliche Beziehung zwischen dem Volk und dem von den Wählerinnen und Wählern in seiner personellen Zusammensetzung bestimmten Bundestag? VI. Kein Volkswillen jenseits des staatsorganschaftlich gebildeten und konstituierten Gemeinwillens Hans Meyer erklärt in seiner Darstellung des bundesrepublikanischen Wahlrechts, dass „die Wahl eine Trennung von Staatsorganisation und Volk voraus(setzt). Das Volk ist kein Verfassungsorgan im Sinne des Organstreites; zwischen seinen Mitgliedern und anderen Staatsorganen besteht hinsichtlich der Wahl […] kein verfassungsrechtliches Verhältnis. Auch darum ist es unzulässig, den Wähler in einer überstiegenen, aber doch konsequenten Sicht des Repräsentationsgedankens verfassungsrechtlich in die Pflicht zu nehmen“.45 Diese letzte Bemerkung von Meyer bietet uns den Schlüssel zum Verständnis der inneren Logik des ja auf den ersten Blick befremdlichen Sachverhaltes, dass „auch in einer Demokratie an Entscheidungsgewalt beim Volk wenig, bei den Staatsorganen fast alles liegt“.46 Beim Volk bleibt lediglich die Teilnahme an der vom Staat veranstalteten Wahl. Was aber ist der innere Sinn der Beschränkung des Volkes 44
BVerfGE 130, 318 (342, Rn. 101). Meyer, Wahlsystem (Fn. 32), S. 251 Rn. 4. 46 Meyer, Regierungssystem (Fn. 42), S. 78. 45
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auf Wahlen? Wahlen – und damit sind hier nur die den Kriterien des Artikels 38 GG entsprechenden Wahlen gemeint – haben, wie wir von Hans Meyer gehört haben und dem ich zustimme, nicht primär die Funktion der Auslese der geeigneten Mitglieder des Bundestages, entgegen Meyer nicht einmal die der parteipolitischen Zusammensetzung des Parlaments, sondern die Repräsentation des Volkes. Wenn Artikel 20 Abs. 2 S. 2 GG bestimmt, dass die vom Volke ausgehende Staatsgewalt „in Wahlen […] und durch besondere Organe der Gesetzgebung“ ausgeübt wird, so bedeutet das, dass das Volk nicht selbst handelt, nicht selbst handeln kann, sondern durch Staatsorgane handelt, deren Legitimität auf der durch Wahlen herbeigeführten Repräsentation des Volkes beruht.47 „(W)enn das Volk als Verfassungs- und Kreationsorgan durch Wahlen und Abstimmungen selbst die Staatsgewalt ausübt […], fällt die Äußerung des Volkswillens mit der Bildung des Staatswillens zusammen“.48 Was aber, wenn der Staatswillen nicht mit dem Volkswillen zusammenfällt, ja in einen Gegensatz zum Volkswilllen gerät? Kann es sein, dass die auf den ersten Blick merkwürdige demokratische Aufladung des Artikels 38 durch den Zweiten Senat einen – vielleicht unbewussten – Versuch darstellt, neben der demokratischen Legitimationskette vom Staatsvolk über das Wahlrecht des Artikels 38 hin zu Beschlüssen des Bundestages als Ausdruck des Staatswillens eine alternative Legitimationskette zu etablieren – vom unorganisierten Volk über das Wahlrecht des Artikels 38 zur Artikulation eines ,authentischen Volkswillens‘ in der Gestalt des subjektiven Jedermanns-Rechts des Artikels 38? Artikel 38 als ein „Volksrecht“ unter Umgehung der etatistischen Disziplin der Repräsentation des Volkes in Organen des Staates? Artikel 38 als Freiheitsrecht, wie es in der Verteidigung der Rechtsprechung des Zweiten Senats durch Dieter Grimm, den früheren Kollegen aus dem Ersten Senat, anklingt? Es ist ja auffällig, dass die Normbereichserweiterung nach der bisherigen Rechtsprechung des Zweiten Senats zunächst jedenfalls auf den Bereich des Artikels 23 GG begrenzt bleibt – das Feld der europäischen Integration ist sicherlich für identitätstheoretische Erweiterungen besonders anfällig. 47 Hans-Peter Schneider, in: Axel Azzola et al. (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Bd. 2, Neuwied–Darmstadt 1989, Vor Art. 38 Rn. 1. 48 BVerfGE 20, 56 (98).
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Tatsächlich droht die ansatzweise Evokation eines Volkswillens in Konkurrenz mit der im Bundestag institutionalisierten Einheit von Staatswillen und Volkswillen das im Bundestag repräsentierte Volk in seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu schwächen. Wenn das Volk im Bundestag in seiner inneren sozialen und kulturellen Verschiedenheit, seinen politisch-ideologischen Gegensätzen, zugleich aber auch in seiner Fähigkeit zu kollektiv bindenden Entscheidungen im Rahmen dieser fragilen Institution präsent, sichtbar und handlungsfähig ist – welche Berechtigung hat dann ein individuelles Recht zur Infragestellung dieser in komplexen Integrationsprozessen zustande gebrachten politisch-kulturellen Leistung? Denn es handelt sich dabei stets um die Infragestellung des Gelingens der Repräsentation des Volkes. Und welche Legitimation zur verbindlichen Entscheidung über diese Frage hat ein Gericht, das sich nicht scheut, das vielsagende Schweigen der zum Einschreiten befugten obersten Bundeorgane und -organteile zu ignorieren und namens eines gegen alle juristischen Kunstregeln interpretierten subjektiven Rechts implizit grundlos und beharrlich ein Versagen der demokratischen Repräsentation des Bundestages zu behaupten? Man muss es in dieser Deutlichkeit sagen: der demokratische Repräsentationsprozess in Deutschland ist durch die Rechtsprechung des Zweiten Senates des Bundesverfassungsgerichtes in gefährliche Fahrwasser geraten.49
49 Hierzu eingehend Meinel, Vertrauensfrage (Fn. 3); ders., Das Bundesverfassungsgericht in der Ära der Großen Koalition: Zur Rechtsprechung seit dem Lissabon-Urteil, in: Der Staat 60 (2021), S. 43 – 98.
Legitimität der Legalität Überlegungen zum Beitrag Adolf Merkls zur Reinen Rechtslehre Von Agostino Carrino Seid nur einen Tag unmodern, dann werdet ihr sehen, wieviel Ewigkeit ihr in euch habt. Rainer Maria Rilke, Das Florenzer Tagebuch, 1898.
I. Hofmann und Kelsen Wie jeder weiß, hatte Hasso Hofmann seine wissenschaftliche Karriere mit einem Buch über Carl Schmitt begonnen, das heute ein Referenztext geworden ist1. Es verdankte sich diesem Buch, dass ich Hasso das erste Mal in Würzburg getroffen habe – fast vor 25 Jahren. Wir begannen eine Freundschaft, die sich mit der Zeit verstärkte. Einige Jahre später organisierte ich an der Universität von Neapel Federico II eine Carl-Schmitt-Konferenz anlässlich der italienischen Übersetzung seines Schmitt-Buches, das auch ein Symposium zu Ehren von Hasso war2. Das Schmitt-Buch, das nun die sechste Auflage erreicht hat, ging weit über die Rolle des Plettenberger Juristen hinaus, den Hasso übrigens nie treffen wollte3. Hassos Problem war die Frage der Legitimität 1
H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 1964, 6. Aufl., Berlin 2020. 2 A. Carrino (Hrsg.), Legalità e legittimità in: Carl Schmitt. Scritti in onore di Hasso Hofmann: Diritto e cultura, IX (1999). 3 „Was mich dabei antrieb“ – schreibt H. Hofmann, Rückblick, in: H. Dreier (Hrsg.), Rechts- und staatstheoretische Schlu¨ sselbegriffe: Legitimität – Repräsentation – Freiheit. Symposion fu¨ r Hasso Hofmann zum 70. Geburtstag, Berlin 2005, S. 193 – 203 (199) –, „war hauptsächlich die Frage: Gab es (u¨ ber möglichen Opportunismus hinaus) in einem der intelligentesten und anspruchsvollsten rechtswissenschaftlichen Werke der Weimarer Zeit sachliche Dispositionen für den Absturz 1933 und welche waren es? Es ging m.a.W. um die symptomatische Be-
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in seinem Verhältnis zur Legalität, die er in seiner letzten Arbeit zu Weber aufgegriffen hat4. Er interessierte sich für die Rechtfertigung der Legitimität unter Wahrung des Grundprinzips des modernen Verfassungs- und Rechtsstaatsprinzips: keine Legitimität gegen Legalität, aber auch nicht nur Legitimität durch Legalität, sondern Legitimität der Legalität5, eine historisch6 und nicht abstrakt begründete Legalität. In diesem Zusammenhang mag es verwundern, dass in Hassos Bibliographie ein Aufsatz fehlt über Carl Schmitts größten theoretischen Gegner, Hans Kelsen, der Lehrer der modernen, logisch-formalen Legalität. Dies erklärt sich jedoch dadurch, dass Kelsen später ein wichtiges Buch gewidmet wurde von seinem Schüler Horst Dreier7. Das Hauptthema der Reinen Rechtslehre von Kelsen ist das Thema der Geltung als Wesen der Legalität und der Legalität als Grundlage neuzeitlicher Legitimität, ein Thema, das Hofmann behandelt in einem Essay, der vielleicht heute ein bisschen vergessen ist, aber den ich noch für aktuell halte: Legitimität und Rechtsgeltung, ein Buch von 1977 bei Duncker und Humblot erschienen8. Die Lehre von Kelsen wird zwar in diesem Essay in vielerlei Hinsicht nur unterstellt, was im Übrigen ver-
deutung der Arbeiten Schmitts. Als Individuum interessierte mich der Autor herzlich wenig“. 4 Cf. H. Hofmann, Legitimität und Legalität bei Max Weber und seinen Interpreten, in: C. De Angelis/A. Scalone (Hrsg.), Pokit³ia. Liber amicorum Agostino Carrino, Milano 2020, S. 339 – 358. 5 „Gibt es im Grunde also doch einen Gegensatz von Legitimität und Legalität bei Weber? Ja, aber mit umgekehrter historischer Stoßrichtung: nicht plebiszitäre Legitimität gegen depotenzierte, bloß noch formale Legalität, sondern moderne, rationale, in ihren Nebenwirkungen allerdings ambivalente Legalität gegen vormoderne, irrationale, personengebundene Legitimität“: Hofmann (Fn. 4), S. 358. 6 Nicht zufällig war Hofmann auch ein scharfsinniger Historiker des politischen und juristischen Denkens; cf. z. B. H. Hofmann, Recht – Politik – Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt a. M. 1986. 7 Cf. H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990; s. auch ders., Kelsen im Kontext. Beiträge zum Werk Hans Kelsens und geistesverwandter Autoren, Tübingen 2019. 8 H. Hofmann, Legitimität und Rechtsgeltung. Verfassungstheoretische Bemerkungen zu einem Problem der Staatslehre und der Rechtsphilosophie, Berlin 1977.
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ständlich ist, da der Name Kelsen in der rechtswissenschaftlichen Literatur in Deutschland nur ab den 1980er Jahren an Bedeutung gewinnt9. II. Kelsen, Merkl und die reine Rechtslehre In meinen heutigen Überlegungen im Gedenken an Hasso möchte ich die Frage stellen: Wieviel schuldet aber die Reine Rechtslehre als Theorie des neuzeitlichen Rechtsstaates Kelsen und wieviel anderen Autoren? Es war Kelsen selbst, der im Vorwort beim Neudruck der Hauptprobleme 1923 daran erinnerte, wie viel seine Theorie Juristen wie Merkl, Sander, Verdross und anderen (vor allem dem vernachlässigten Franz Weyr) schuldete10. Meine Argumentation geht jedoch noch weiter, und ich werde versuchen zu zeigen, dass der spezifische Beitrag von Adolf Julius Merkl zur reinen Rechtslehre viel entscheidender ist als Kelsen anerkannte und dass Merkl de facto der gleichrangige Entdecker mit gleichem Verdienst der Reinen Rechtslehre ist, genau in Bezug auf jenen Begriff, der ein Grundbegriff einer Theorie der Rechtsgeltung und der modernen Legalität geworden ist: das ist der Begriff der Hierarchie oder der Stufenaufbau der Rechtsordnung. Es ist kein Zufall, dass Hofmann genau auf diesen Begriff schon in Legitimität gegen Legalität verwies, wo er schrieb, dass nur auf der Grundlage der Lehre Merkls vom Stufenbau „eine auf die Staatsfunktionen als Rechtsfunktionen gerichtete streng normative Betrachtungsweise alle individuellen staatlichen Exekutivakte auch in ihrer je konkreten inhaltlichen Besonderheit rechtswissenschaftlich erfassen [kann], wenn sie ,das Recht unter dem Gesichtspunkt seiner Dynamik‘ begreift, wenn sie die statische Einheit der generellen, abstrakten Rechtsregeln auflöst in die dynamische Einheit eines Rechtserzeugungszusammenhanges stufenweiser Konkretisierung der Rechtsordnung von der ,nur mehr theoretisch vorausgesetzten, nicht aber als Tatbestand gesetzen Grundnorm‘, also jener rechtswissenschaftlichen Hypothese, welche die oberste, nicht weit ab9
Cf. W. Krawietz/E. Topitsch/P. Koller (Hrsg.), Ideologiekritik und Demokratietheorie bei Hans Kelsen: Rechtstheorie, Beiheft 4, Berlin 1982. 10 H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, zweite, um eine Vorrede vermehrte Auflage, Tübingen 1923, S. V ff. Über Weyr s. A. Carrino, Un pre´curseur de la the´orie pure du droit: Frantisˇek Weyr, in: Droit international et culture juridique. Mélanges offerts à Charles Leben, Paris 2015, S. 429 ff.
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leitbare empirische Rechtsregel allererst zum positivrechtlichen, d. h. logisch autonomen Rechtssatze macht, bis zum letzen bloß realen Akt“11.
Diese Bezugnahme von Hofmann auf Merkl war 1964 in Deutschland keineswegs selbstverständlich, wo, um Horst Dreier zu zitieren, Kelsen noch bis in die 1980er Jahre „ein Unbekannter“ blieb. In dem zitierten Ausschnitt sah Hofmann den entscheidenden Aspekt der Dynamik und des Stufenbaus der Normen innerhalb der Reinen Rechslehre, doch war dieser Beitrag immer noch als Beitrag von Außen zur Reinen Rechtslehre dargestellt, ein Beitrag, der nur noch auf der Grundlage von Kelsens Methodenlehre geleistet wird. Trotzdem war Merkls Beitrag zu Kelsens Theorie mehr als nur ein Teilbeitrag zu einem an sich schon geschlossenen System, sondern es stellt ein autonom gedachtes System des positiven (besonders Verwaltungs-)Rechts dar, das sich in der rein logischen Form der normativistischen Theorie Kelsens versteckt. In Wirklichkeit gehört, wie Ewald Wiederin schreibt, die „Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung […] zu den raren Innovationen, die der Rechtstheorie im 20. Jahrhundert gelungen sind“12. Es gibt zwei Bereiche, in denen der Einfluss von Merkl entscheidend war: der erste betrifft die Theorie der Auslegung in ihrem Verhältnis zur Freirechtsbewegung. In der Tat ist die Auslegungstheorie, die Kelsen 1934 in seine Lehre aufnimmt, derselbe Ansatz für das Problem der Interpretation, den Merkl in seinen frühen Arbeiten schon entwickelt hatte. Ich werde mich hier aber auf das konzentrieren, woran Hofmann in seinem Buch über Carl Schmitt erinnert hat. Es handelt sich in der Tat um einen entscheidenden Aspekt: der Stufenbau des Rechts als Ergebnis des Ansatzes zur Erklärung der spezifisch modernen Rechtsordnung. Das ist es, was in die Rechtsordnung auf allen Stufen das Moment des Willens einbringt, da jede Stufe, wie das Janusantlitz13, eine doppelte, 11
Hofmann (Fn. 1), S. 42 – 43. E. Wiederin, Die Stufenbaulehre Adolf Julius Merkls, in: S. Griller/H. P. Rill (Hrsg.), Rechtstheorie: Rechtsbegriff – Dynamik – Auslegung, Wien/New York 2011, S. 81 – 114 (81). 13 Cf. A. J. Merkl, Das doppelte Rechtsantlitz. Eine Betrachtung aus der Erkenntnistheorie des Rechts (1918), in: ders., Gesammelte Schriften, hrsgg. von 12
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zugleich anwendende und erzeugende Seite umfasst und sie daher einen Akt des Willens braucht. Diese Willensäußerung ist nicht nur ein Akt des Willens, der den Eingang des Seins in die Welt des Sollens darstellt, sondern sie bringt auch die ideologische Dimension in das Recht ein. Denn man kann in der Tat das Recht autokratisch oder demokratisch erzeugen. So argumentiere ich für Merkl als Theoretiker der konkreten verwaltungsrechtlichen Realität des Rechts und für Kelsen als Mitbegründer der reinen Rechtslehre als Theoretiker der normativen Form, deren innere Kohärenz und Rationalität der Rechtsordnung eben ihre liberale Dimension verleiht: Rechtsstaat nicht nur im kelsenschen Sinne, für den jeder Staat Rechtsstaat ist, sondern auch in dem Sinne, für den der moderne Staat Rechtstaat sein soll, ein Staat auf der Grundlage der Legalität gebaut, die als solche an das Recht mit seiner Geltung Legitimität verleiht; ein Staat, der gegenüber den übrigen Rechtssubjekten, die privaten eingeschlossen, gleichberechtigt ist14. III. Zwei Systeme der reinen Rechtlehre Was also ist die Rechtsordnung für Kelsen und für Merkl? Wie bekannt ist, war für Kelsen die Rechtsordnung als soziale Realität, „als Prozeß oder Zustand des sozialen Lebens“, in ursprünglich radikaler Weise unerheblich für die normative Rechtslehre. Für den jungen Kelsen war die Positivität eine ideale Qualität, kein Faktum, reine Geltung, nicht Wirksamkeit oder materielle Wirklichkeit. Das reine Sollen war reine Geltung, in der das Werturteil als klares objektives (Erkenntnis-)Werturteil enthalten war: „Kann ein Urteil, das einen Inhalt als D. Mayer-Maly, H. Schambeck, W.-D. Grussmann, Berlin 1993, Bd. 1/1, S. 227 – 252. 14 Cf. H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, 1911, in: Hans-Kelsen-Werke, hrsgg. von Matthias Jestaedt, Bd. 2/1, Tübingen 2008, S. 297 f.: „Damit ist aber erkannt, daß der Begriff des Staatswillens durchaus gleicher Natur ist mit demjenigen, was diese Untersuchungen als Wille der übrigen Rechtssubjekte im juristischen Sinne überhaupt festgestellt haben: Endpunkt der rechtlichen Zurechnung. Und jetzt erst hat der Satz einen klaren und widerspruchslosen Sinn erhalten, daß die Persönlichkeit des Staates in derselben Bedeutung nur eine ,juristische‘ sei, wie die Persönlichkeit aller übrigen Rechtssubjekte“.
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rechtmäßig oder rechtswidrig bezeichnet, das zwischen ,Recht‘ und ,Unrecht‘ scheidet, ein anderes als ein Werturteil sein, so es nicht eine Wirklichkeit ausdrückt?“15. Die Sphäre des Sollens war die Sphäre des an sich Unbedingten, und die Normen als Sinn eines Wollens konnten von der Rechtswissenschaft als Wissenschaft von Soll-Bedeutungen gewiss nicht in Betracht gezogen werden. Die Geltung war daher eine Idee, eine faktisch absolut nicht ,verifizierbare‘ Vernunftqualität; die Rechtswissenschaft war Ideenlehre, Lehre von Rechtssätzen als reinen Formen, die logischerweise ihre Inhalte ignorierten, die notwendigerweise ,in Klammern gesetzt‘ werden mussten. Die Reine Rechtslehre war reine Lehre von einem reinen Gegenstand, dem reinen Recht bzw. dem reinen Staat16. Trotzdem gründet sich Kelsens Rechtslehre, wie heute bekannt ist, auf die Idee der Dynamik, will sagen: auf den Begriff einer dynamischen, hierarchisch organisierten Ordnung. „Stufenbau“ und dynamische Ordnung sind in der Tat zwei verschiedene Formulierungen desselben Sachverhalts: dass das Recht „wesentlich dynamisch“ und hierarchisch strukturiert ist17. Und hier ergibt sich ein Problem: wenn diese dynamische Auffassung des Rechts, die sich in dem Gedanken einer hierarchischen Struktur der Rechtsordnung entfaltet, der spezifische Beitrag Fritz Sanders18 15 H. Kelsen, Die Rechtswissenschaft als Norm- oder als Kulturwissenschaft (1916), in: HKW, Bd. 3, Tübingen 2010, S. 552 – 605 (591). 16 Vgl. H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff. Kritische Untersuchungen des Verhältnisses von Staat und Recht (1922), 2. Aufl., Tübingen 1928, S. 80 f.: „Diese prinzipielle logische Isolierung des Sollens vom Sein, speziell des Systems der Rechtsnormen von der kausal determinierten Wirklichkeit ist aber unerläßlich und unvermeidlich, soll überhaupt eine Wissenschaft vom Recht (oder Staat) möglich sein. Diese hat eben die Rechtsnormen in ihrer spezifischen Eigengesetzlichkeit und ohne Rücksicht auf irgendeine Naturgesetzlichkeit zu erkennen. Insofern ist sie eben ,reine‘ Rechtserkenntnis, Erkenntnis des reinen Rechts oder des reinen Staates“. 17 H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., Wien 1960, S. 200. 18 F. Sander, Rechtsdogmatik oder Theorie der Rechtserfahrung? Kritische Studie zur Rechtslehre Hans Kelsens, Wien/Leipzig 1921, jetzt in: ders./H. Kelsen, Die Rolle des Neukantianismus in der Reinen Rechtslehre. Eine Debatte zwischen Sander und Kelsen, hrsgg. v. S. L. Paulson, Aalen 1988, S. 115 – 278. Zu betonen ist hier, dass der Begriff der Dynamik des Rechts bei Sander eine sowohl rechtstheoretische als auch, und nicht zufällig, rechtssoziologische Dimension besitzt, weil das Recht in seiner „prozeduralen“ Sicht der Ordnung immer einen „Zu-
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(Begriff der dynamischen Verfahren) und Adolf Merkls19 (Begriff des dynamischen Stufenbaus20) zur reinen Rechtslehre ist – und gerade darum wird insbesondere Merkl von Kelsen als Mitbegründer der Wiener Schule anerkannt –, und wenn dieser Beitrag in Wirklichkeit ihr Grundpfeiler ist – was ist dann Kelsens spezifischer Beitrag zur reinen Rechtslehre? Er besteht m. E. nach in der rein normativen Ausarbeitung der Statik21 der Rechtsordnungen22, im Gedanken des Systems, in dem sammenhang synthetischer Urteile“ darstellt, „eine kontinuierliche (verfahrungsmässige) Synthesis von Rechtsbegriff und rechtserheblicher Tatsache“ (a.a.O., S. 129). Zum gemeinsamen Einfluss auf die Reformulierung von Kelsens Lehre solcher Autoren wie Merkl, Sander und Weyer s. G. Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre. Kritische Anmerkungen zum Dilemma von Sein und Sollen in der Reinen Rechtslehre aus geistesgeschichtlicher und erkenntnistheoretischer Sicht, Wien/New York 1990, S. 40 ff. 19 „Das Verdienst, die Rechtsordnung als ein genetisches System von Rechtsnormen erkannt und dargestellt zu haben, die in stufenweiser Konkretisierung von der Verfassung über Gesetz und Verordnung und sonstige Zwischenstufen bis zu den individuellen Rechtsakten der Vollziehung fortschreiten, gebührt Adolf Merkl“: H. Kelsen, Vorrede zur 2. Aufl. der Hauptprobleme (Fn. 14), S. XV. S. A. Merkl (Fn. 13); ders., Das Recht im Lichte seiner Anwendung (1917), jetzt in: ders., Gesammelte Schriften (Fn. 13), S. 85 – 146; ders., Die Lehre von der Rechtskraft, Wien 1923. 20 Cf. G. Kukso-Stadlmayer, Der Beitrag Adolf Merkls zur Reinen Rechtslehre, in: R. Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 107 – 135. 21 U. Scheuner, Dynamik und Statik in der Staatsrechtslehre. Eine Untersuchung zur Staats- und Rechtslehre Léon Duguits und Hans Kelsens, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts 3 (1928), S. 220 – 246. In dieser rein statischen Betrachtung des Rechts, die sich allein auf den Begriff des Rechtssatzes gründet, hat Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre (Fn. 18), S. 29 ein „Prokrustesbett“ gesehen. In den Hauptproblemen ist der Rechtssatz eine „statische, strenge, formallogische und normative Figur“: „Was hineinpaßte, war Recht, was nicht hineinpaßte, war nicht Recht“ (S. 28). 22 Das System ist notwendig statisch und kann nur statisch sein, wenn es das Ergebnis des erschöpfenden rationalen Erkennens, einer aufklärerischen juristischen Vernunft, die alles Rechtliche ohne kontingenten Rest erfasst, ist. Es sind im Gegenteil die dynamischen Systeme, die keine wahren und eigentlichen Systeme sind, sofern sie, das Moment der Normenproduktion betonend (und folglich den Zweck der Normen), einem empirischen und nicht rationalisierbaren Moment Aufmerksamkeit schenken. Das dynamische System repräsentiert in Wirklichkeit jenes soziologische Moment, das Kelsen als die Dissoziation des Ganzen bezeichnet, als die Destruktion der Einheit zugunsten des konfliktuösen Datums, das der rein sozialen Dimension angehört (s. Kelsen, Staatsbegriff [Fn. 16]). Das gilt, solange man im Bereich der Kelsens-Philologie bleibt.
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das Recht als in sich geschlossenes logisches, einheitliches und exklusives System begriffen wird, in dem Normenproduktion ausschließlich normativ, d. h. „logisch-rechtlich“23, niemals empirisch-faktisch aufzufassen ist. Ich sehe m.a.W. den authentischen und originellen Beitrag Kelsens zur reinen Rechtslehre in der Vorstellung der Rechtsordnung eben als Ordnung, als eine Ordnung der Rechtswissenschaft, als eine sinnvolle Erzeugung des juristischen Wissens. Meine These ist daher, dass es zwei Systeme der reinen Rechtslehre gibt, von denen nur eines auf Kelsen selbst (den Kelsen der Wiener Jahre) zurückgeht; alles Übrige sind Hinzufügungen, Ergänzungen, Einfügungen und epistemologische Wendungen, die der ganzen Lehre allmählich ihre historische Gestalt geben, sie aber zugleich sprengen: eine solche Einfügung, und zwar die entscheidende, ist jener Begriff der hierarchisch ,dynamischen‘ Rechtsordnung. IV. Normativismus und dynamische Systeme Kelsens Unterscheidung zwischen statischen und dynamischen Sollensordnungen ist aber in Wirklichkeit unhaltbar. Der Gedanke, statische normative Ordnungen seien aufgrund ihres Gehalts zu charakterisieren, d. h. aufgrund des Faktums, dass die Inhalte aller Normen eines Systems aus dem Inhalt seiner (statisch-materialen) Grundnorm abgeleitet werden können, setzt sich sofort Einwänden aus. Es gibt tatsächlich keine rechtsnormativen Ordnungen im eigentlichen Sinn außer den dynamischen. Die Unterscheidung selbst erweist sich als problematisch: alle rechtsnormativen Ordnungen sind dynamische Ordnungen als Zusammenhang von Rechtssätzen, Akten und Ermächtigungen, d. h. von
23 „Der methodische Fehler der herrschenden Lehre vom Staat, der die Rechtsordnung aufstellt und so zunächst nur die anderen – Menschen? – verpflichtet, um sich dann auch selbst dieser seiner Rechtsordnung zu unterwerfen, d. h. sich selbst zu verpflichten, besteht darin, daß der physisch-psychische Akt der Erzeugung von Rechtsnormvorstellungen und deren motivierende Wirksamkeit mit der Geltung von Normen, der Voraussetzung einer Grundnorm und der rechtslogischen Erzeugung weiteren Normen, der ,Ableitung‘ weiterer Rechtsnormen, beziehungsweise Rechtspflichten unklar vermengt wird“: H. Kelsen, Staat und Recht. Zum Problem der soziologischen oder juristischen Erkenntnis des Staates (1922), in: H. Kelsen/A. Merkl/A. Verdross, Die Wiener rechtstheoretische Schule, hrsgg. von H. Klecatsky/R. Marcic/H. Schambeck, Wien/Salzburg/München 1968, Bd. 1, S. 149 – 169 (163).
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Sollen und Sein24. Kelsens ursprüngliche Idee, dass das Recht exklusiv im Gesetz in Erscheinung tritt und Urteile, Verordnungen und Verwaltungsakte schon im Gesetz mit eingeschlossen sind, hat nur wenig Übereinstimmung mit der konkreten Realität des Rechts, zu seiner Zeit und umso mehr heute. In der Tat ist es kein Zufall, dass Kelsen, wenn er – in den „Hauptproblemen“ – die rein soziale Herkunft der Gesetzgebung und das Übergehen des sozialen Lebens in den Staatskörper betont, gezwungen ist, im Gesetzgebungsprozeß „das große Mysterium von Recht und Staat, das sich in dem Gesetzgebungsakte vollzieht“25, zu erblicken. Im Gegenteil kann für Merkl eine Verordnung, aufgrund ihrer derogatorischen Kraft, ein Gesetz zwar nicht vollständig vernichten, „wohl aber“, wie Heinz Mayer – Robert Walter folgend – betonte, „zurückdrängen. Freilich gibt es auch Verordnungen, die die rechtliche Kraft haben, bestimmte Gesetze abzuändern. Diese Kraft kann zu einer befristeten oder zu einer endgültigen Abänderung ausreichend sein“26. Kelsens Rechtspositivismus, obgleich als ,kritisch‘ etikettiert, ist immanent ambivalent und widerspruchsvoll; es handelt sich um einen nur auf Sollensansprüche reduzierten Rechtspositivismus, der, wie man ge24
Im Hinblick auf das statische normative System – hat Michel Troper bemerkt – irrt Kelsen, weil, «[i]l est en effet impossible de soutenir en même temps d’une part que, dans un système statique, le contenu de la norme inférieure peut être déduit du contenu de la norme supérieure et d’autre part qu’une norme ne peut être déduite d’une autre» (M. Troper, Système juridique et État, in: Archives de philosophie du droit 31 [1986], S. 29 – 44 [39]). Kelsen selbst muss diese berechtigte Kritik schon bemerkt haben, denn in den Schriften der sechziger Jahre und insbesondere in der postumen Allgemeinen Theorie der Normen verzichtet er auf die Idee eines dem dynamischen entgegengesetzten statischen Systems: für den späten Kelsen, dem es darum geht, die reine Staatslehre mit den amerikanischen realistischen, empirischen und soziologischen Strömungen zu versöhnen, sind alle Systeme dynamisch. S. auch J. Wróblewski, Dilemmas of the Normativistic Concept of Legal System, in: W. Krawietz/H. Schelsky (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Rechtstheorie Beiheft 5, Berlin 1984, S. 319 – 333 (326). 25 Kelsen (Fn. 14), Bd. 2/2, S. 547: „Wenn die Gesetzgebung auch nicht als Tätigkeit des Staates qualifiziert werden kann, so muß sie doch zweifellos als soziale Funktion erkannt werden. (…) Der Staat ist nur eine Form der Gesellschaft, die als das substantielle Element, als der Inhalt dieser Form zu denken ist“. 26 H. Mayer, Die Theorie des rechtlichen Stufenbaues, in: R. Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 37 – 46 (43 f.).
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schrieben hat, „eine – wie von [Kelsen] selbst zugestanden wesentliche – Facette der Rechtsgeltung als bloße Seinstatsache von vorn herein ausklammert, zugleich aber auch als voraussetzbar erklärt“27. Indessen ist der Gedanke eines nur normativen dynamischen Systems, das sich auf die methodische Trennung von Sein und Sollen gründet, ein Widerspruch in sich. Schon Fritz Sander28 – erst Kelsens Lieblingsschüler, dann sein erbitterter Gegner – hat zurecht bemerkt, dass die rein normative Betrachtung, die Kelsens Theorie ja sein möchte, statisch bedingt ist, gerade weil es sich um ein – neukantianisches – konstruktives Erkennen des Gegenstandes handelt29. Nicht zufällig haben viele Kritiker in der Grundnorm (besser: Urnorm) der Rechtsordnung ein ethisches Fundament des Systems, ein Moment materiellen Wertgehaltes (z. B. des Friedens oder der Demokratie) gesehen. Und wirklich durchzieht das Ganze von Kelsens Denken, da es nicht auf seine Voraussetzungen und Ausgangspunkte verzichtet, die Vorstellung von einem ,dynamischen‘ normativen System als eine grundsätzliche Zweideutigkeit, so als könnte dieses zu dem Moment des Willens und der Wirksamkeit in einem extrinsischen, nicht aber begründenden und strukturierenden Verhältnis stehen und so eine Alternative zum reinen Normativismus und zur Idee der Geltung als objektiv bindender Kraft bilden. „Der Staat als verpflichtende Autorität – und anders kann sein Wesen nicht ausgedrückt werden – ist aber ein Wert oder – sofern der satzmäßige Ausdruck des Wertes eingesetzt wird – eine Norm bzw. ein System von Normen und als solches wesensverschieden von der wertindifferenten, psychisch-realen Tatsache des Vorstellens oder Wollens einer Norm“, schreibt Kelsen zum Beispiel30. Dagegen müsste, wie Julius Moór feststellt, eine „reine normative Betrachtung […] das Problem der Rechtsproduktion gänzlich ignorieren und behaupten, daß das Recht nicht erzeugt, sondern bloß erkannt werden könne“31. 27 B.-C. Funk, Die Leistungsfähigkeit der Stufenbaulehre: Zur Wissenssoziologie eines reduzierten Positivismus, in: Griller/Rill (Fn. 12), S. 195 – 208 (199). 28 Sander (Fn. 18), S. 178. 29 S. Verf., Das Recht zwischen Reinheit und Realität. Hermann Cohen und die philosophischen Grundlagen der Rechtslehre Kelsens, Baden-Baden 2011. 30 Kelsen (Fn. 23), S. 157 f. 31 J. Moór, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht. Untersuchungen zur reinen Rechtslehre, Wien 1931, S. 58 – 105 (68).
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Das ist der Grund, warum Kelsen gezwungen ist, mit einer unstatthaften Vermischung zu arbeiten: sein ,dynamisches‘ Rechtssystem ist kontradiktorisch zu sich selbst, weil es gleichzeitig zwei Dinge sein möchte, die einander wechselseitig ausschließen: normatives System, wissenschaftlich erkannt durch die Rechtswissenschaft – d. h. (logische) Erzeugung dieser Wissenschaft – und positives Recht im empirischen Sinn, Recht, das gesetzt, ,gemacht‘ und hervorgebracht wird durch einen empirischen menschlichen Willen, der der Ordnung und den Rechtsnormen ihren Inhalt gibt durch Verordnungen, Geschäfte, Vorschriften niederen Ranges, keineswegs jedoch ihre „Wesensform“, ihre „Geltung“32. Er verschiebt die Deduktion der Normen im Ausgang von der Grundnorm dorthin, wo diese – unter rein normativem Aspekt – keine Bedeutung besitzt: eben in das dynamische System; dort hingegen ist das, worauf es ankommt, das Moment der produktiven Autonomie, der Machtvollkommenheit, der Komplex autonomer Determinanten33 im Rechtssystem und daher die Produktion neuer Normen und auch neues Inhalts34 in Übereinstimmung mit den generellen Zwecken des Rechts; folglich der Inhalt der Normen (eine soziologische Frage) und nicht die ,Erkennbarkeit‘ des Rechts und der Rechtsnormen als Ordnung des reinen Sollens, als normative, gültige Ordnung. In Wirklichkeit ist Kelsens Erzeugungsregel nicht anders zu verstehen als – wie Merkl betont – „die Summe der für einen anderen Akt bedingenden
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Kelsen (Fn. 16), S. 69. Wie Achterberg feststellt, ergibt sich aus „der autonomen Determinante, […] daß auch nach Konzeption der Wiener Schule auf jeder Erzeugungsstufe prinzipiell die Möglichkeit besteht, außerrechtliche Vorstellungen in die Rechtsordnung zu induzieren – und genau hier liegt der Punkt, an dem […] sich die Rechtswissenschaft den Sozialwissenschaften zu erschließen vermag.“ N. Achterberg, Hans Kelsens Bedeutung in der gegenwärtigen deutschen Staatslehre (1974), in: ders., Theorie und Dogmatik des öffentlichen Rechts. Ausgewählte Abhandlungen, Berlin 1980, S. 51 – 72 (71). Zur Ermessensfreiheit der Organe der Produktion und Anwendung des Rechts als autonomer Determinante vgl. A. J. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien und Berlin 1927, S. 142 ff. und Th. Öhlinger, Der Stufenbau der Rechtsordnung. Rechtstheoretische und ideologische Aspekte, Wien 1975, S. 40. 34 „Wenn dieser neue Inhalt stofflich angesehen wird, ist er auch zweifellos ein Erzeugungsprodukt der unteren Rechtsakte“: H. Nawiasky, Kritische Bemerkungen zur Lehre vom Stufenbau des Rechtes, in: Zeitschrift für öffentl. Recht 6 (1927), S. 488 – 496 (495). 33
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Akte“35. Dabei handelt es sich um Rechtsakte, die nicht mehr nur allgemeine, sondern individuelle Vorschriften schaffen, die in gewisser Weise die eigentliche und lebendige Rechtsordnung bilden, welche nicht nur aus Regeln zur Produktion von Normen besteht, sondern aller einzelnen Verordnungen des Verwaltungsrechts, die auch aufgrund eines gewissen Ermessenspielsraums der Organe, die das Recht anwenden und zugleich erzeugen, aus dem Verwaltungsrecht etwas Lebendiges machen. Das Verwaltungsrecht ist Regel und Wille, Wille und Regel. Recht ist nicht nur Allgemeinheit, sondern vor allem Individualität36. Das gilt insbesondere in komplexen Rechtssystemen wie zeitgenössischen Systemen, in denen die Überlegenheit der allgemeinen und abstrakten Regel (z. B. die der Parlamente) immer mehr der kreativen Macht des Rechts von Organen, die theoretisch nur zur Anwendung bestimmt sind, nachgibt. Diese Organe schaffen aufgrund der zunehmenden Komplexität von Rechtsquellen immer mehr Entscheidungen, vielleicht nur für den Einzelnen, aber dennoch erheblich in einem immer weiter um sich greifenden Bereich des gesellschaftlichen Lebens: denken wir nur an die zunehmende Macht des Richters, Recht mit genereller Rechtskraft zu schaffen, oder an die so genannten Verwaltungbehörden (authorities), die zunehmend in der Lage sind, den klassischen rechtsstaatlichen Grundsatz der Gewaltenteilung zu überwinden. Es ist kein Zufall, dass Merkl in einem Essay von 1921 die Rolle des Richters und des Richterrechts im Gesetzesstaat nachdrücklich hervorgehoben hat37. 35 Cf. Merkl (Fn. 33), S. 142: „Ein relativ abstrakter Akt, der als Erzeugungsregel eines relativ konkreten Aktes dient, kann diesen nicht zur Gänze determinieren, sondern kann nur die eine Komponente des Konkretisierungsprozesses abgeben und muß einer anderen Komponente Raum geben: dem Ermessen des zum Konkretisierungsakt zuständigen Organs. Stellt das präformierte objektive Recht, das in den Rechtserzeugungs- oder Rechtsanwendungsprozeß eingeht, die heteronome Determinante des Rechtserzeugungs- oder Rechtsanwendungsorgans dar, so stellt das freie Ermessen die komplementäre autonome Determinante dar: Akte der Rechtskonkretisierung sind somit dank ihrer objektiv-heteronomen Determinante Akte der rechtlichen Bindung, dank ihrer subjektiv-autonomen Determinante Akte des freien Ermessens“. Wie Ch. Eisenmann, Cours de droit administratif, Paris 1983, t. 2, S. 674, bemerkt: „Le pouvoir discrétionnaire existe donc dans tous les domaines de l’action normatrice, pour toutes les sortes d’organes. Il n’existe donc pas une particularité du droit administratif“. 36 Cf. C. Mortati, Le leggi provvedimento, Milano 1968. 37 Cf. A. J. Merkl, Gesetzesrecht und Richterrecht (1922), in: Die Wiener Rechtstheoretische Schule (Fn. 23), Bd. 2, S. 1615 – 1624: „Im Gesetzesrechts-
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V. Über einige Antinomien der reinen Rechtslehre Richtig nimmt Hasso Hofmann, wenn auch indirekt, den Widerspruch wahr, wenn er auf der obengenannten Seite seines Buches über Schmitt weitergeht und unterstreicht, wie in der normativen Hierarchie „die im Urteil oder im Verwaltungsakt individualisierte Rechtsnorm durch Ein- und Übergriff in die lediglich kausal-explikativ erfassbare Welt des Seins vollstreckt wird“. In diesem Sinne, schreibt er, sind „alle Staatsfunktionen […] Rechtserzeugungsfunktionen“. Aber was bemerkenswert ist, dass Hofmann hier betont, wie dieses Ergebnis einer „Auflösung der statischen Einheit abstrakter Rechtsregeln in einen dynamischen Prozess der Rechtsverwirklichungsakte […] Carl Schmitt praktisch schon 1912 in seiner Abhandlung über „Gesetz und Urteil‘ erreicht“ hatte38. Diese Ausgestaltung der Rechtserzeugung durch die verschiedenen Stufen der gesamten Rechtsordnung stellt eine Abkehr von der statischen Rechtsauffassung dar, die Kelsen in seinen „Hauptproblemen“ vertreten hatte, bevor der hierarchisch-dynamische Ansatz von Merkl in die reine Rechtslehre übernommen wurde. Die Überwindung der statischen Rechtsauffassung ist aber auch die Überwindung der reinen normativen Rechtserklärung. Adolf Merkl, trotz seines starren epistemologischen Normativismus, bereichert aufgrund seiner Verwaltungserfahrung offenbar den Normativismus von Kelsen, verbindet ihn jedoch mit einer anderen Art von Normativismus, einen sozusagen rein empirischen, da er nicht nur auf den allgemeinen Rechtssätzen, sondern auch auf den konkreten Willenserklärungen der rechserzeugenden Organe beruht. Der Kontrast zwischen einer statisch-materiellen Grundnorm (als Grundlage statischer Systeme wie etwa der Moral) und einer dynamisch-formalen Grundnorm bildet in Wirklichkeit einen doppelten logischen Widerspruch im Rahmen der reinen Rechtslehre. Einerseits nämlich ist der Begriff des Inhalts mit der Statik verbunden, andererseits die „Form“ mit der Dynamik, während es hingegen die Dynamik system ist Richterrecht nicht Ausnahme, sondern ausnahmslose Regel, unvermeidliche Ergänzung, Schlußstein zum abgeschlossenen Rechtsgebäude“ (S. 1624). 38 Hofmann (Fn. 1), S 43. Cf. C. Schmitt, Gesetz und Urteil. Eine Untersuchung zum Problem der Rechtspraxis (1912), München 2009.
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mit den Inhalten zu tun hat, die Statik aber immer Form bleibt, Form der Vernunft, der aufklärerischen Vernunft39. In der Statik feiert der reine Normativismus seinen Triumph, nicht in der Dynamik, denn nur dort, im ersten System, kann die juristische Vernunft rein logisch verfahren und die Einheit des Rechtssystems als ein System, das eines, einheitlich und exklusiv ist, begründen. Bei Kelsen ist (bis zu seiner SelbstWiderlegung in den frühen sechziger Jahren) ein durchaus neukantischnaturrechtliches Erbe im logischen Sinne virulent, das ihn dazu führt, die Methode gegenüber dem Gegenstand, die Form gegenüber dem Leben, die Vernunft gegenüber der Geschichte zu privilegieren. Der Normativismus kann in Wirklichkeit so, wie Kelsen in seiner Frühzeit den Begriff der Norm (bzw. Rechtssatz) verwendet, nichts anderes sein als logisch-formelles Naturrechtsdenken40. Denn für Kelsen ist die Norm Wert, ist Geist, und die Rechtswissenschaft ist „Geisteswissenschaft“. Es ist dieser logizistische, im Hinblick sowohl auf die Methode als auch auf den Gegenstand (das Produkt der Methode) formalistische Kelsen, der mit seinen fundamentalen Schriften der 1910er Jahre das Panorama der europäischen Rechtskultur betritt. Das ist der originale Kelsen, der den Grundstein zu einem Gebäude legt, das im Laufe der Jahre mit oft merkwürdigen und untereinander unvereinbaren Bauteilen erweitert wird, und für den Recht Norm ist und der Normativismus ein rein normatives System errichtet. An einer wichtigen Stelle einer Arbeit aus dem Jahr 1912, geschrieben kurz nach Veröffentlichung der Hauptprobleme und gegen Hermann Kantorowicz, einen Vertreter der Freirechtslehre, gerichtet, heißt es: „Keine, auch nicht die modernste Rechtsauffassung kann aber auf das Postulat verzichten, daß zwischen Rechtsanwendung und Rechtsordnung eine logi39
Cf. W. Bauer, Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie. Zur Politologie des Methodenstreits der Staatsrechtslehrer, Berlin 1968, S. 113: „Kelsens idealistischer Kosmopolitismus ist ein aufklärerisches Erbe zur Verwirklichung des Humanitätspostulats in einer Weltgemeinschaft des Friedens. Weltmoral, Weltrecht und Weltstaat bilden eine Einheit. In der Kühnheit, die klassische Harmonievorstellung des 18. Jahrhunderts in ihrer reinsten Form in das 20. Jahrhundert verpflanzen zu wollen, liegen Leistung und Illusion Kelsens“. 40 Wie Kunz festgestellt hat, setzt schon „die Historische Rechtsschule […] der Statik des Naturrechts die historische Dynamik der Rechtsentwicklung entgegen“: J. L. Kunz, Statisches und dynamisches Völkerrecht, in: Verdross, Gesellschaft (Fn. 31), S. 217 – 251 (217).
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sche Relation besteht, der zufolge die Einzel-Entscheidung sich als ein Schluß darstellt, dessen Obersatz ein allgemeiner im Gesetze enthaltener Rechtssatz ist. Diese statische Relation gilt ohne Rücksicht darauf, ob nach der Dynamik der Urteilsfindung die Entscheidung aus dem Gesetze herausgeholt oder in das Gesetz hineingepaßt wird. Das fragliche logische Band zwischen Rechtsordnung und richterlicher oder sonstiger staatlicher Tätigkeit ist deshalb notwendig, weil es das einzige Kriterium dafür ist, daß eine staatliche, das heißt dem Staate zuzurechnende Tätigkeit und keine Willkürhandlung einzelner Menschen vorliegt“41.
Rein normative Betrachtung und dynamische Ordnung befinden sich ab origine in Widerspruch: „Und es ist merkwürdig“, schreibt Julius Moór 1931, auch wenn er dabei Merkls soeben erschienenen Prolegomena ganz vernachlässigt42, „daß gerade Adolf Merkl, der die rein normative Auffassung viel einseitiger als Kelsen vertritt, zuerst energisch diese Forderung der Rechtsdynamik gestellt hat, die der normativen Betrachtung geradezu widerspricht“43. Normativität im logischen Sinn (der einzige, der Kelsens Ursprungs-Normativismus interessiert) nämlich impliziert Statik: die Normen be-stehen, wenn sie Normen sind, ihre Qualität ist es, als Normen, als Regeln statisch: be-ständig zu sein; rein normative Rechtswissenschaft: Sollenswissenschaft und Dynamik stehen sich genauso gegenüber wie, in Kelsens eigener Konzeption, Normativismus und Rechtssoziologie einander entgegen gesetzt sind. Denn das Ordnungsprinzip im dynamischen Stufenbau, wie Siegfried Marck in „Substanzund Funktionsbegriff in der Rechtsphilosophie“ geschrieben hat, „ist nicht logischer Art, sondern durch soziale Zweckmäßigkeitserwägungen bestimmt. Nicht ein logisches Vorangehen kennzeichnet die Verfassung im Verhältnis zum Gesetz, das Gesetz in Beziehung zum Urteil. Herrschaftsverhältnisse vielmehr prägen sich in dieser Ueber- und Unterordnung aus und werden erst nachträglich in die juristische Ordnung hineingestellt, die dann auch ein logisches Abhängigkeitsverhältnis eigener Art zwischen ihnen postuliert“44. 41 H. Kelsen, Zur Soziologie des Rechtes. Kritische Betrachtungen (1912), in: S. L. Paulson (Hrsg.), Hans Kelsen und die Rechtssoziologie. Auseinandersetzungen mit Hermann U. Kantorowicz, Eugen Ehrlich und Max Weber, Aalen 1992, S. 601 – 614 (605). 42 Merkls Essay war im selben Buche veröffentlicht. 43 Moór (Fn. 31), S. 80. 44 S. Marck, Substanz- und Funktionsbegriff in der Rechtsphilosophie, Tübingen 1925, S. 41.
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Kelsens Widerspruch ist sofort auch von Karl Larenz gesehen worden: „Diese Stufentheorie verträgt sich schlecht mit einer Auffassung, nach der das Recht nicht durch Willensakte, sondern erst durch Erkenntnisakte zustande kommt. Darin liegt ein Widerspruch zu den vorausgesetzten Grundgedanken der Kantischen Erkenntnislehre“45.
Und in der Tat: dass eine rein normative Betrachtung nur statisch und nicht dynamisch sein kann, erscheint aufgrund der Tatsache ganz klar, dass auch das zur Veränderung fähige positive Recht, wenn es vom normativen Standpunkt aus betrachtet wird, nur als ein schon bestehendes System von Rechtsnormen erscheinen kann: „Die dogmatische Rechtswissenschaft abstrahiert gänzlich von dem kausalen Moment der zeitlichen Veränderung: Sie betrachtet das positive Recht gleichsam als in einem gegebenen historischen Augenblick erstarrt, sub specie puncti temporis, also statisch“46.
Normativ – wenn man Ernst macht mit dem Normativismus – kann das Recht nämlich nur „als prinzipiell unveränderlich und unwandelbar, zeitlos und ewig“47 betrachtet werden, was Kelsen selbst in den ,statischen‘ „Hauptproblemen der Staatsrechtslehre“ zugibt, wenn er feststellt, dass sich die Handlungen in der Zeitlichkeit immer und nur in der Form der Wirklichkeit, des Seins zeigen, niemals in der des Sollens48. Und was sind die Akte, die die individuellen Bestimmungen oder gar die konkreten Maßnahmen hervorbringen, wenn nicht die Entscheidungen, die einmal relativ autonom gefasst wurden und die heute doch – angesichts der zuhnemenden Verwirrung der Rechtsquellen – einen großen Ermessensspielraum haben? Zwar betont Merkl, dass das oberste Organ dem unteren Organ auch die ihm im Verwaltungsbereich zustehende Ermessensfreiheit entziehen kann, doch handelt es sich um ein Argument, das zwar vor 100 Jahren von Bedeutung sein konnte. Heute aber, in immer komplexeren Gesellschafts- und Rechtssystemen, widerspricht diese These der Zunahme der autonomen Determinante innerhalb der hierarchischen Struktur der Rechtsordnung, zu einem 45 K. Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 27. 46 Moór (Fn. 31), S. 80. 47 Moór (Fn. 31), S. 63 f. 48 Kelsen (Fn. 14), S. 15.
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Zeitpunkt, da dieser hierarchischen Struktur eine Struktur gewissermaßen immer mehr entgegengesetzt zu sein scheint, in der es immer schwieriger wird, den genetischen Moment der Rechtsordnung zu begreifen; nicht umsonst scheint die Rechtsform der mittelalterlichen Epochen in Frage zu kommen. Die Konsequenz ist bekanntlich eine doppelte: Zum einen das, was Bernhard Schlink den ,Bundesverfassungsgerichtspositivismus‘ genannt hat49; andererseits das Phänomen, auf das Hofmann hingewiesen hat, der Übergang der Staatslehre zur Soziologie der Verfassung50. Übrigens ist oft bemerkt worden, dass eine Rechtsdynamik im eigentlichen Sinn notwendig zu einer Überwindung des Dualismus von Sein und Sollen, Normen und Fakten, und zu einer engen Verbindung zwischen dem einen und dem anderen führt. Die Anwesenheit einer Rechts-,Dynamik‘ in Kelsens rein normativem System des Sollens stellt also einen Widerspruch in dieser Lehre dar51. Die Rechtsordnung als ,reine‘ normative Ordnung kann nämlich nur aus der normativen Erkenntnis des Rechts deduziert werden, die so, in Kelsens eigenen Worten, als „eine normative und deduktive Wertwissenschaft, wie die Ethik oder Logik“52, als wertende Wissenschaft erscheint. In der ersten der hier bezeichneten ,alternativen‘ Perspektiven würde sich die reine Rechtslehre einerseits der Phänomenologie, andererseits der Rechtssoziologie öffnen. Ist die ,dynamische‘ Sicht vielleicht keine soziologische Auffassung des Rechts, freilich nur implizit und nicht wissenschaftlich thematisiert, also ungeklärt? Ist die phänomeno49 B. Schlink, Die Entthronung der Staatsrechtswissenschaft durch die Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Der Staat 28 (1989), S. 161–172 (168). 50 Cf. H. Hofmann, Von der Staatssoziologie zu einer Soziologie der Verfassung?, in: Juristenzeitung 54 (1999), S. 1065 – 1074. 51 Wie Winkler (Fn. 18), S. 49, schreibt, setzt eine dynamische Betrachtung des Rechts „nämlich die erkenntnistheoretische und methodologische Synthese von Sein und Sollen zwangsläufig voraus. Die Dynamik des Rechts wurzelt in der Tatsächlichkeit seiner Erzeugung und Erzeugtheit, in der verhaltensgebundenen Kausalität seines Werdens, in seiner Veränderung. Sie liegt weder in einer reinen, bloß formal-logischen Normativität, noch in der bloß logischen Konsequenz seiner Bedingungen und Bedingtheiten. Sie liegt in ihrer Teleologie, Intentionalität, Funktion und Finalität. Sie liegt in ihrer sozial-kulturellen Kausalität aus Rechtserzeugung, Rechtsanwendung und Rechtsbefolgung“. 52 H. Kelsen, Eine Grundlegung der Rechtssoziologie (1915), in: Paulson, Kelsen (Fn. 41), S. 839 – 876.
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logische Sicht vielleicht nicht – vom philosophischen Standpunkt aus – eine Betrachtungsweise, die die abstrakte Entgegensetzung von Sein und Sollen überwindet? In einer solchen Perspektive hätte Kelsen die ,Kehre‘ seiner letzten Werke vermeiden können, die eine jahrzehntelange wissenschaftliche Arbeit mit dem einzigen Ergebnis in Frage stellen, im Recht nichts anderes als das Produkt eines beliebigen und künstlichen Willens zu sehen, was Sinn nur haben kann in einem Verständnis, das von dem Kelsens völlig verschieden ist. Nur ein Beispiel: jedermann weiß, dass der Begriff der Geltung bei Kelsen dadurch charakterisiert ist, dass eine Norm dann gilt, wenn sie in Übereinstimmung mit einer höheren Norm steht, die ihrerseits die Geltungsgrundlage der niedrigeren bildet; 1965 jedoch ist die Geltungsgrundlage für Kelsen etwas ganz anderes. So liest man in seiner Schrift gegen Paul Amselek: „Unter ,Geltung‘ einer Norm verstehe ich aber ausschließlich und allein: daß die Norm befolgt bzw. angewendet werden soll; nicht, daß sie einer höheren Norm gemäß gesetzt wurde. Das letzere ist nicht ihre Geltung, sondern der Grund ihrer Geltung“53.
Tatsächlich ist nicht mehr die höhere Norm Geltungsgrundlage, sondern der Akt, der die niedrigere Norm setzt, eine Perspektive, die Merkl schon in seinen Prolegomena eröffnet hat. Sicherlich könnte man sagen, das sei schon in der den Wendungen der sechziger Jahre vorausgehenden Theorie implizit so gewesen, korrekter scheint es mir jedoch, wenn man sagt, in Kelsens Denken sei auch das andere, empirisch-realistische und dezisionistische System schon virulent gewesen: „On ne saurait faire abstraction dans le schéma qu’on veut dessiner, des actes juridiques eux mêmes qui, à chaque échélon, s’interposent entre la norme qu’ils créent et la norme dont ils sont l’application. Il est important de voir que la hiérarchie réelle ne s’établit pas immédiatement de norme à norme, mais, au contraire, par la médiation d’actes. Cela met en évidence le véritable principe de la hiérarchie: la norme supérieure est celle qui confère le pouvoir en vertu duquel l’acte générateur de la norme inférieure est posé“54.
Virally stellt fest, dass das hierarchische System in Wirklichkeit ein doppeltes ist: Hierarchie von Normen und Hierarchie von Akten – bedeutet das aber nicht einerseits eine normative Hierarchie, eine des Sol53 H. Kelsen, Eine phänomenologische Rechtstheorie, in: Österr. Zeitschrift f. öffentl. Recht 15 (1965), S. 353 – 409 (366 f.). 54 M. Virally, La pensée juridique, Paris 1960, S. 173 (Anm.).
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lens, und anderseits eine empirische Hierarchie, eine des Seins? Wie Adolf Julius Merkl schreibt: „Die Reihe bedingender und bedingter Rechtssätze stellt sich demnach als eine Rangsreihe, bildlich gesprochen als Hierarchie höherer und niedrigerer Akte dar“. Bedeutet es aber nicht, in Kelsens Terminologie, einen unerlaubten Methodensynkretismus von Sein und Sollen55? Tatsache ist, dass sich die Extreme oft berühren und Kelsens radikaler Neukantianismus sich – vielleicht mehr als in der methodologischen Reinheit (die ein anderer Neukantianer: Stammler, vertritt) – in seiner methodologischen Einseitigkeit erweist, genauer: in der „vorgefaßten Meinung, das Recht sei – für die Rechtswissenschaft – ein reines Sollen“56. VI. Die Wichtigkeit der Stufenbaulehre von Adolf J. Merkl Diese methodologische Einseitigkeit jedoch – das ist besonders zu betonen – gestattet Kelsen Kehrtwendungen, die er anders unmöglich vollziehen könnte: vor allem die Transformation von Recht in Macht und umgekehrt, die Wandlung von Macht in Recht. Otto Hintze hat jedoch Unrecht, wenn er behauptet, Kelsen schalte den Begriff der Macht gänzlich aus und wolle nur rechtliche Beziehungen anerkennen57. Es ist 55
Schon H. Nawiasky hat 1927 bemerkt, dass die Rechtsdynamik bei der „stufenweisen“ Konstruktion der Ordnung voraussetzt, dass die normative Kette durch die niederstufigen rechtserzeugenden Akte zerbrochen wird, da sie „doch in jedem Fall etwas Neues, zu dem Tatbestand der oberen Norm Hinzutretendes“ hinzufügen und „also ein schöpferisches, ein selbständiges Element“ aufweisen. Einige „niederstufige“ Akte müssten also konsequenterweise „aus dem einheitlichen Rechtssystem hinausgewiesen, dem Gebiete des Soziologischen zugeteilt werden“: H. Nawiasky, Kritische Bemerkungen zur Lehre vom Stufenbau des Rechts, in: Zeitschrift f. öffentl. Recht 6 (1927), S. 488 – 496 (488 f.). 56 R. Horneffer, Die Entstehung des Staates. Eine staatstheoretische Untersuchung, Tübingen 1933, S. 61. 57 O. Hintze, Kelsens Staatslehre (1927), in: ders., Soziologie und Geschichte. Gesammelte Abhandlungen zur Soziologie, Politik und Theorie der Geschichte, hrsgg. u. eingeleitet von G. Oestreich, 2. erw. Aufl., Göttingen 1964, S. 223 – 232 (232): „Eine Staatslehre, die den Begriff der Macht gänzlich ausschaltet, die keine anderen Beziehungen der Staaten untereinander kennt als rechtliche, die eigentlich überhaupt den wirklichen historischen Einzelstaat nur als Teilordnung der Universalrechtsordnung eines allgemeinen Weltstaates begreifen kann, streift doch nahe an die Utopie, mag sie auch noch so nachdrücklich darauf bestehen, daß sie nur die positive Staats- und Rechtsordnung zum Gegenstand habe. Sie läßt die ganze geschichtlich-gesellschaftliche Wirklichkeit in dem farblosen Begriff des
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gerade die hervorgehobene Betonung der logischen Deduktion im Bereich des Rechts, die aus der reinen Theorie eine „Logik des Sollens“58 oder auch eine Art logisch-formaler, konkreter Inhalte beraubter Naturrechtslehre macht – gleichzeitig und in widersprüchlicher Weise aber auch eine realistische Lehre von den politischen Akten59 der Normenproduktion, d. h. der verschiedenen, im ,Körper‘ der Rechtsordnung verbreiteten politischen Gewalten. Das dynamische System wird produziert, nicht deduziert, die normative Theorie dagegen verfährt deduktiv (wesentlich aus sich selbst, d. h. aus der originären Norm [Urnorm] des Denkens). Aber (logische) Deduktion und (faktische) Produktion begegnen sich in dem Punkt, der alles vereinigt – auf diese Weise eine logisch-transzendentale Instanz der Reflexivität des Rechts verlangend, in François Ewalds Bezeichnung ein „Recht des Rechts“60 –: eben in jener Grundannahme, die nicht nur Macht in Recht transformiert, sondern zugleich Recht in Macht, Deduktion in Produktion und Produktion in Deduktion: eine existierende, normative Rechtsordnung kommt, wie Norberto Bobbio feststellt, nicht umhin, „bestimmte Akte zu vollziehen, in denen genau die Macht des Rechts besteht“61. Auch Horst Drei,Rechtsinhalts‘ verschwinden und verzichtet damit auf das eigentliche Verständnis des dadurch bestimmten positiven Staatsrechtes“. So nützlich dieses Urteil Hintzes ist, um den polemischen Hintergrund zu verstehen, vor dem sich Kelsens Staatstheorie entwickelt, so einseitig ist es allerdings auch. 58 E. Bloch, Naturrecht und menschliche Würde, Frankfurt a.M 1983, S. 168. 59 S. A. Carrino, Die Normenordnung. Staat und Recht in der Lehre Kelsens, Wien/New York 1997; R. C. van Ooyen, Der Staat der Moderne: Hans Kelsens Pluralismustheorie, 2. Aufl., Berlin 2020. 60 F. Ewald, The Law of Law, in: G. Teubner (Ed.), Autopoietic Law: A New Approach to Law and Society, Berlin 1988, S. 36 – 50 (36): „Es ist eine Tatsache, daß es kein (positives) Recht ohne ein Recht des Rechts gibt; kein Recht ohne ein Prinzip, eine Instanz der Reflexion, durch die das Recht über sich selbst nachdenkt. Die Reflexivität entspricht vor allem einer logischen Notwendigkeit. Den Beweis hat Kelsen erbracht: eine Norm ist rechtlich nur unter der Bedingung, daß sie aus einer Norm, die selbst rechtlich ist, abgeleitet wird. Das Recht setzt sich selbst voraus; es geht sich selbst notwendig voraus.“ (Eigene Übersetzung, A.C.). 61 N. Bobbio, Kelsen e il potere giuridico, in: ders., Diritto e potere in Kelsen, Napoli 1992, S. 20. Für diesen Punkt des Übergangs vom Recht auf die Politik und umgekehrt (durch die Informationen des Rechts an die Politik wie auch über die Grenzen des Ermessens auf der Grundlage der Verfassung und der Verfassungsgesetze) siehe die glänzenden Betrachtungen von Hasso Hofmann, Das Recht des Rechts, das Recht der Herrschaft und die Einheit der Verfassung, Berlin 1998, der sich auf Luhmanns Soziologie bezieht.
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er spricht von einer „Vielzahl subjektiver, juristisch nicht rationalisierbarer, letzlich dezisionistischer Willensbetätigungen der normsetzungsbefugten Organe“62. Tatsache ist, dass sich die Extreme oft berühren und Kelsens radikaler Neukantianismus sich in seiner methodologischen Einseitigkeit erweist, genauer: in der „vorgefaßten Meinung, das Recht sei – für die Rechtswissenschaft – ein reines Sollen“63. Der logische Normativismus (der eigentlich Kelsensche Gedanke) impliziert in der Tat die Sicht des Rechts als ein echtes Normensystem. Nun ist ein System per definitionem nichts, was sich ,bewegt‘, sondern etwas ,Stehendes‘. Ein ,System‘ in Bewegung ist ein Zusammenhang, ein Ganzes, aber nie ein echtes System: das setzte, wie Kelsen in den 1910er und 1920er Jahren zu zeigen bemüht ist, Einheit, Einheitlichkeit, Exklusivität, Vollständigkeit und logische Kohärenz voraus (auch Selbstlegitimierung). Ein System dieser Art ist umso notwendiger, als es das Produkt einer Methode des Erkennens ist, der normativen Methode der Rechtserkenntnis. Wie der Naturwissenschaftler die Gesetze der Natur erkennt, Gesetze, die ein in sich geschlossenes System bilden, so erkennt der Rechtswissenschaftler das System des Rechts, d. h. ein Objekt, das erkennbar ist, gerade weil es nichts Willkürliches oder Beliebiges von diesem oder jenem Individuum hat und, da es nur formal ist und mit Vorbedacht alle eigene Inhaltlichkeit aus sich tilgt, ein einziges und abgeschlossenes Ganzes bildet. Dieser Normativismus ist nicht zufällig an sich auf die Deduktion, nicht auf die Produktion von Normen gegründet. Die Normen werden voneinander abgeleitet, während ihre Erzeugung, die etwas mit ihren Inhalten zu tun hat, Gegenstand einer Wissenschaft wie der Soziologie, aber nicht wie der normativen Rechtswissenschaft sein kann. Hier aber liegt bereits eine bedeutsame Inversion gegenüber der gewohnten Idee, nach der in der ,statischen‘ Ordnung die Inhalte der Normen abgeleitet werden können, während man es nur in der ,dynamischen‘ mit den Delegationen (oder Verweisungen) und Autorisierungen zu tun hat, die eine rein formale Kette determinieren. Das Umgekehrte gilt beim frühen Kelsen: das Rechtssystem im eigentlichen Sinn ist statisch, nicht dynamisch, insofern die Dynamik (also Produktion) der Normen auf eine 62 63
Dreier (Fn. 7), S. 133. Horneffer (Fn. 56), S. 61.
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Erkenntnismethode soziologischer (induktiver), nicht normativer (deduktiver) Art verweisen muss. Kelsen muss vor dem Hintergrund des Rechtsdenkens im 19. und frühen 20. Jahrhundert interpretiert werden, auf der Grundlage eines Denkens also, zu dem Kelsens Position keineswegs in einem Verhältnis der Kontinuität, sondern geradezu in einem Verhältnis der Umkehrung steht. Diese Umkehrung bewirkt Kelsen, indem er die Rechtswissenschaft in die in jenen Jahren sehr lebhafte (philosophische) Methodendebatte einbezieht. Wie kann die Rechtswissenschaft als Wissenschaft begründet werden? Als Geisteswissenschaft von gleicher Dignität wie die Naturwissenschaft? Es ist der Neukantianismus, der Kelsen – wie zuvor Max Weber – die notwendigen Instrumente in die Hand gibt: zuerst der Heidelberger (die Wertphilosophie), dann der Marburger (Cohen, Cassirer), aber auch Husserls Phänomenologie. In dieser Perspektive hat Kelsens Normativismus eine sowohl juristische als auch (im methodologischen Sinn) philosophische Dimension: der Normativismus besitzt eine starke erkenntnistheoretische Charakterisierung, über die man sich nicht hinwegtäuschen darf. Normativismus ist nicht Imperativismus: der Rechtssatz ist kein Imperativ. Obschon kein Imperativismus, hat er aber dieselbe logische Struktur wie die Geometrie (so betont Kelsen) oder die Ethik oder die Grammatik oder die Logik: wie alle Normensysteme, in denen das Moment des Willens, d. h. das empirische Moment, radikal ausgeschlossen wird. Kelsens Normativismus stammt aus der Symbiose zweier methodischer Normativismen: dem Gerbers, Labands und Jellineks auf der einen Seite, dem Simmels, Cohens und Cassirers auf der anderen. Aber diese Symbiose bewirkt nur eine Verstärkung des logischen Aspekts des Normativismus, der zusammen mit seinem unverzichtbaren deduktiven Moment aus der Rechtswissenschaft wohl eine Wissenschaft vom ,positiven‘ Recht macht, aber von einem positiven Recht, das methodisch (logisch) so produziert, konstruiert wird, dass es nur noch wenig zu tun hat mit jenem ,rohen‘, auf Fakten gegründeten Positivismus (Kelsens Bezeichnung) des 19. Jahrhunderts. Das System wird also mit Hilfe der Logik, nicht der Fakten errichtet. Die Stellen, wo Kelsen jede Bezugnahme auf Fakten, auf das Sein ablehnt, sind zahllos: die Rechtswissenschaft hat es ausschließlich mit den Formen (den Rechtssätzen, den Normen) zu tun, nicht mit der Empi-
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rie. Die Gründe für die Annahme eines solchen logizistisch-formalen Normativismus, der die Wissenschaft vom positiven Recht an Leibniz’ Wissenschaft vom natürlichen Recht assimiliert, durch Kelsen sind wahrscheinlich historisch-soziologischer und vielleicht auch geistig-politischer Art64. Und ob es uns nun gefällt oder nicht: dies ist der Kelsen, von dem die „reine Rechtslehre“ ausgeht, und es ist dieser Kelsen, den man kennen muss, wenn man in die Problematik dieser Lehre, die seit gut 100 Jahren in Bewegung ist, eindringen will. Die Notwendigkeit, von mehreren Perioden der reinen Rechtslehre zu sprechen, ist von verschiedenen Seiten erkannt worden und erscheint gerade auch im Hinblick auf die Frage der statischen und dynamischen Ordnungen evident. In der ersten Auflage der „Reinen Rechtslehre“ heißt es, man könne von einem System sprechen, wenn eine Mehrheit von Normen eine Einheit bildet und der Inhalt der verschiedenen Normen auf eine Grundnorm zurückgeführt bzw. aus ihr abgeleitet werden kann wie das Besondere vom Allgemeinen: „die Grundnorm hat hier einen materiell-statischen Charakter“65. Ich sagte schon, dass diese Kennzeichnung einen Widerspruch in Kelsens System darstellt, da die Bindung der Statik an die moralischen Systeme auf der Basis der Voraussetzungen der reinen Rechtslehre unverständlich bleibt: statisch sind alle normativen Systeme, sofern sie nicht nach Belieben des Gesetzgebers, sondern von der normativen Wissenschaft erkannt und ,produziert‘ werden, die sie eben in ihrer Einheit und logischen Folgerichtigkeit, in ihrer Einheitlichkeit und Ausschließlichkeit, erkennt. Die Idee eines dynamischen Systems als wesentlich rechtlich, d. h. formal, ist in dieser Sicht unverständlich. Dass es sich hier um einen Widerspruch handelt, geht nun schon daraus hervor, dass Kelsen selbst in der zweiten Auflage der Reinen Rechtslehre von 1960 die Notwendigkeit sieht, diese Antinomie zu überwinden, wenngleich sie nicht mehr vom Normativismus her geschieht, sondern von einer immer ,empirischeren‘ Auffassung her: statisches und dynamisches System werden hier nicht mehr als ein System inhaltlicher Deduktionen und ein System formaler Erzeugung unterschieden. Kelsen selbst beschreibt den Übergang von der ersten 64 S. A. Carrino, Legge e libertà. Primato del Parlamento e sindacato delle leggi nella costituzione austriaca del 1920, Milano 2022. 65 H. Kelsen, Reine Rechtslehre. Einleitung in die rechtswissenschaftliche Problematik, Wien/Leipzig 1934, S. 63.
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zur zweiten Auflage des Buches in einer Replik auf den französischen Phänomenologen P. Amselek so: „Mit seiner Behauptung, der affektive Wert des Inhalts der Moralnorm begründe deren Verbindlichkeit, beruft sich Amselek (…) auf eine Stelle in meiner Théorie Pure du Droit, 1953, wo es heißt, die Geltung von Moralnormen gründe sich – zum Unterschied von der Geltung der Rechtsnormen – auf ihren Inhalt. Diese Ansicht habe ich aber aufgegeben und in der zweiten Auflage meiner Rechtslehre (1960, S. 198 ff ) in dem Kapitel ,Das statische und dynamische Prinzip‘ gezeigt, daß der Geltungsgrund der Moral- wie der Rechtsnormen letzen Endes auf einer Grundnorm beruht, die nicht den Inhalt, sondern nur die Erzeugung der Normen bestimmt, die die auf der Grundnorm beruhende Moral- oder Rechts-Ordnung bilden, so daß auch die Geltung von Moralnormen sich nicht auf ihren Inhalt gründet“66.
Das ist der Beweis, dass uns nur die Stufenbaulehre von Merkl erlaubt, die reine Rechtslehre in einer fruchtbaren Weise zu benutzen, durch Einführung in das Rechtssystem und durch die Anerkennung der Funktion von Ermächtigungen67 der Organe, Normen zu schaffen, die soziale und politische Realität, die sozusagen das ,selbstlegitimierende‘ System des Rechts umgibt (Legitimität der Legalität). Während die ursprüngliche kelsensche Theorie, die Theorie der Statik des Rechts, eine Theorie der Rechtsstaatlichkeit als Rechtsstaat ist, sowohl im Sinne einer Beschreibung als auch im Sinne einer Ideologie des Gesetzesstaates – absoluter Vorrang des Gesetzes –, ist die Stufenbaulehre von Merkl auch eine Theorie, wenn man so will, des modernen Staates in seiner geschichtlichen Dynamik und Fähigkeit zur Anpassung und Transformation. Roger Bonnard, ein Schüler von Charles Eisenmann, hatte Recht, als er schrieb, dass in Merkl Staat und Rechtsstaatlichkeit nicht qualitativ, sondern nur quantitativ gegeneinander ausgespielt wird: „D’autre part, l’administration ne peut pas être entièrement affranchie de la loi, toujours pour la meme raison qu’elle est un des degrés de la formation du droit […]. On ne peut pas logiquement la concevoir comme entièrement libre à l’égard de la loi car alors elle ne serait plus une fonction d’ordre juridique“68. 66 H. Kelsen, Eine phänomenologische Rechtstheorie, in: Österr. Zeitschrift f. öffentl. Recht 15 (1965), S. 353 – 409 (366 f., 402). 67 R. Bonnard, La Théorie de la formation du droit par degrés, Paris 1928, S. 19. Cf. Merkl (Fn. 33), S. 68 – 77. 68 Bonnard (Fn. 67), S. 20.
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Das macht sowohl die Praxis des Rechts als auch die Politiker und Rechtslehrer mit dem konkreten und historisch bedingten Problem vertraut, vor dem jeder – insbesondere in der heutigen Welt insgesamt – steht: das richtige Gleichgewicht zwischen Recht und Politik zu finden. Der Prozess der Verrechtlichung der Politik ist an sein Ende gekommen und manche Leute beginnen ihn in seiner letzten Entwicklung zu fürchten. VII. Schluss Abschließend möchte ich noch auf eine grundsätzliche Frage zurückkommen, die uns zu Hofmann zurückbringt: ob die Rechtsstaatlichkeit der historische Rahmen ist, in dem Kelsen seine Rechts- und Staatstheorie aufbaut69, wieviel Rechtsstaat im 21. Jahrhundert noch möglich ist? Die reine Rechtslehre von Kelsen und Merkl erweist sich als eine sozusagen binäre Lehre, die auf zwei Richtungen der Tendenz ausgerichtet ist: eine, die mit der dringenden Notwendigkeit zusammenhängt, eine Rechtswissenschaft zu begründen, die den Erfolgen der Naturwissenschaften des 19. und des 20. Jahrhunderts entspricht (Kelsen). Dieser Trend basiert auf dem (auch moralisch gerechtfertigten) Primat des Gesetzes (das in den ersten Arbeiten von Kelsen, 1911 bis 1914, ein absoluter und exklusiver Vorrang ist). Der andere Trend (Merkl) ist, dass dieses Ideal mit der Welt der Rechtspraxis in Einklang gebracht werden muss, wo Politik und konkrete Interessen gleichermaßen wichtig sind. Man könnte sagen, dass der Staat, der gegründet wird, ein Rechtsstaat 69
„Die implizite Reduktion von Verwaltung auf Eingriffs- und punktuelle Leistungsverwaltung ebenso wie die vorausgesetzte Trennung von Staat und Gesellschaft zeigen die Zugehörigkeit der Stufenbaulehre – nicht ihrem rechtstheoretischen Anspruche nach, dessen Fruchtbarkeit hier nochmals ausdrücklich unterstrichen sei, deren konsequente Einlösung jedoch das Bild der geschlossenen Stufenpyramide auflöst, sondern in jener Gestalt, in der sie in die konkrete Rechtsund Verfassungsinterpretation Eingang gefunden hat – zu einem bestimmten Staatstypus und Staatsideal: dem des Liberalismus. Diese Diagnose ,widerlegt‘ die Stufenbaulehre nicht, erweist aber ihre Geschichtlichkeit, die sie mit jenem Rechtsstoff teilt, dessen prägnanteste Formel sie darstellt: des rechtsstaatlich-demokratischen Verfassungstypus, dessen wesentliche Institutionen eine epochale Leistung des liberalen Rechts- und Staatsdenkens sind“: Öhlinger (Fn. 33), S. 42. Richtig Nawiasky (Fn. 55), S. 493: „(…) scheint es naheliegend, eine stufenweise Ermächtigung als gegeben anzunehmen (…) Diese durchgehende Gültigkeitsabhängigkeit ist aber kein Moment eines Sollens oder Müssens, einer Verpflichtung, sondern eines Könnens, einer Ermächtigung“.
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ist, der als eine Kombination von Regeln – Rechtssätzen – und Entscheidungen – Verordnungen, Befehlen, Urteilen und so weiter – verstanden wird. Die Bedeutung des Beitrags von Kelsen und Merkl bestand darin, dass sie einerseits die Zentralität des Gesetzes auch im Verwaltungsstaat unterstrichen und andererseits die Tatsache hervorgehoben haben, dass es nicht möglich ist, von der hierarchischen Komplexität einer wesentlich dynamischen Rechtsordnung70 auf jeder Stufe der Ordnung die autonome Determinante auszuschließen. Deshalb, um mit Hofmann zu schließen, folgt „ein Totalvorbehalt […] aus dem demokratischen Vorrang des Gesetzes so wenig wie aus dessen rechtsstaatlicher Funktion. Denn der parlamentarische Gesetzgeber hat kraft ,demokratische(r) Legitimation zur politischen Leitentscheidung‘ wohl die Prärogative, aber nicht das Monopol der Rechtserzeugung“71. Der heutige – kritische72 – Zustand der parlamentarischen und konstitutionellen Demokratie bedeutet – und es ist bezeichnend, dass dies bereits vor mehr als 40 Jahren geschrieben wurde – einen starken Verantwortlichkeitsprozess auf allen Ebenen der Rechtsordnung, besonders für die verschiedenen Stufen der Gesetzesanwendung ( Justiz und Verwaltung). Wie Hofmann eben sagte: „Kein Richter kann sich für die Verbindlichkeit seiner Entscheidung darauf berufen, daß er von einem Ausschuß gewählt sei, kein Verwaltungsbeamter hierfür auf die parlamentarische Veranwortlichkeit seines Ministers verweisen“73. Wie bekannt ist, heißt einer von Hasso Hofmanns kleinen Essays Von der Staatssoziologie zu einer Soziologie der Verfassung? (1999). In diesem Essay beruft sich Hasso auf die kelsensche These der Auflösung des Staates im Recht, um den Übergang vom Primat des Staates zum Primat der Verfassung zu begründen. Doch gerade in diesem Aufsatz zeigt 70 „Innerhalb der dynamischen Darstellung bzw. Betrachtungsweise gibt es im Grunde das Ermächtigtsein; es ist ihre kennzeichnende Modalität. Daher ist das ,Sollen‘ innerhalb der dynamischen Betrachtungsweise sozusagen als Platzhalter für Vorkommnisse des Ermächtigtseins anzusehen.“ S. L. Paulson, Zur Stufenbaulehre Merkls in ihrer Bedeutung für die Allgemeine Rechtslehre, in: R. Walter (Hrsg.), Adolf J. Merkl – Werk und Wirksamkeit, Wien 1990, S. 93 – 105 (104). 71 Hofmann (Fn. 8), S. 80. 72 S. M. A. Graben/S. Levinson/M.Tushnet (eds.), Constitutional Democracy in Crisis?, New York, NY 2018. 73 Hofmann (Fn. 8), S. 83.
Legitimität der Legalität
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er auf der einen Seite seine Sympathie für den Primat der Verfassung und die Rationalität des modernen Staates auf der Grundlage einer unpersönlichen Aufteilung der Mächte und der Zuständigkeiten, verkennt aber auf der anderen Seite nicht die realistischen Gefahren, denen diese Transformation ausgesetzt ist. Heute scheint die Legitimität der Legalität ein minderwertiges Argument in einer Zeit zu sein, die von Notfallsituationen beherrscht zu sein scheint und in der Hasso uns mit seiner Weisheit und seiner Ironie hätte helfen können; besonders dank seiner Fähigkeit, unterschiedliche Positionen dialektisch zu vergleichen und zu verstehen. Es liegt jetzt in der Verantwortung seiner Freunde und Kollegen, seine Weisheit und auch seine Zweifel (die Philosophie ist von Natur aus skeptisch, da sj]ptolai genau kritische Beobachtung meint), die einem Philosophen im alten Sinn des Wortes eigen sind, fruchtbar zu machen.
Recht anschaulich. Die Kunst der Erzählung von Recht und Staat Von Jana Osterkamp und Thomas Osterkamp I. Die Kraft der Vorstellung und der Ruf der Frage „Wir wollen uns also vorstellen“ – mit diesen Worten führt John Rawls seine Leser in die „Theorie der Gerechtigkeit“ ein1. Es ist seine Gabe der bildhaften „Vorstellung“ von Argumenten, seine Erzählung und Imagination, kurz: die Anschaulichkeit, mit der ihm nicht weniger gelang als eine Renaissance der politischen Philosophie. Neben einer Erneuerung des Gesellschaftsvertrages glückte ihm mit seinem „Schleier des Nichtwissens“ auch ein neues Sinnbild der Gerechtigkeit. Wer sich hinter diesen Schleier begibt, soll eine Ordnung schaffen, die verallgemeinerbar und daher für alle annehmbar ist. Das harte Gedankengebäude der kantischen Philosophie bekommt mit diesem Bild eine weiche und poetische Stofflichkeit, die zur Popularität des Werks maßgeblich beigetragen hat. Eine Rechts- und Gerechtigkeitstheorie, die sich gleichsam an den Leser anschmiegt, war nicht die Sache Hasso Hofmanns, auch wenn er das letzte Kapitel seiner „Rechts- und Staatsphilosophie“ Rawls’ Theorie sozialer Gerechtigkeit gewidmet hat. Er hatte dafür seine ganz eigene Weise, Fragen von Recht, Gerechtigkeit und Staat anschaulich zu machen. Allerdings bedeutet Anschaulichkeit hier etwas grundsätzlich anderes, als ideale Verfassungsgrundsätze aus einem fiktiven Urzustand abzuleiten und mit einem eleganten Bild zu illustrieren. Anschaulich 1 John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, übers. v. Hermann Vetter, 1. Aufl. 1975 (21. Aufl. 2021), S. 28 f. Auch wenn Rawls den Urzustand nicht als geschichtliche Situation, sondern als „rein theoretischen Zustand“ beschreibt, geht es ihm darum, dem Leser mit dieser Erzählung „lebhaft vor Augen zu führen“, welche Bedingungen von Freiheit, Gleichheit und Fairness „für die Argumentation über Gerechtigkeitsgrundsätze und damit für diese selbst als vernünftig erscheinen“ (ebd., S. 36).
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macht Hofmann eher die Unaufhebbarkeit von Frage und Gegenfrage, These und Gegenthese. Anschaulich wird kein philosophisches System, sondern wissenschaftliche Redlichkeit als Methode. Hofmanns Erzählungen führen zu den Urfragen der Rechts- und Staatsphilosophie: Was ist und woraus entsteht Recht, was sind Maßstäbe einer gerechten Ordnung und welche Bedeutung hat dabei das allgemeine Gesetz? Welche Zeitdimensionen hat das Recht, das an Traditionen gebunden ist und zugleich über die eigene Gegenwart hinausweisen muss? Wie kann aus dem Gedanken politischer Selbstbestimmung ein Bild des modernen Staates entstehen und wo hat dieses Bild schon wieder begonnen sich aufzulösen? Seine Kunst der Anschaulichkeit bedient sich bei Literatur, bildlicher Kunst und religiöser Erzählung. Er stutzt diese nicht philosophisch zurecht, sondern schätzt sie gerade deshalb, weil sie ihr Eigenleben führen. Neben den beiden Schriften, die sich unmittelbar der künstlerischen Bilderwelt bzw. der Literatur widmen – die „Bilder des Friedens“ (1997) 2 und sein Aufsatz über „Individuum und allgemeines Gesetz“ bei Kleist (1987) 3 – ist es die „Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie“ (2000) 4, die besonders drei Erzählungen in die Argumentation einwebt: die Antigone des Sophokles, das biblische Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg und den Mythos von Prometheus. Die Verknüpfung dieser Erzählungen mit zentralen Themen der Rechtsphilosophie ist Hofmanns Art von „law and literature“5. Es sind nur wenige Geschichten, aber mit ihnen geht er aufs Ganze.
2 Hasso Hofmann, Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit. Drei anschauliche Kapitel der Staatsphilosophie, 1997. 3 Hasso Hofmann, Individuum und allgemeines Gesetz. Zur Dialektik in Kleists „Penthesilea“ und „Prinz von Homburg“, in: Kleist-Jahrbuch 7 (1987), S. 137 – 163. 4 Hasso Hofmann, Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, 1. Aufl. 2000 (5. Aufl. 2011). 5 Zum Thema Recht und Literatur vgl. Ino Augsberg, Die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt des Rechts. Annäherungen zwischen Rechts- und Literaturwissenschaft, 2012; Elizabeth S. Anker, Bernadette Meyler, New directions in law and literature, 2017 sowie Thomas Sprecher, Literatur und Recht. Eine Bibliographie für Leser, 2011. Zum Thema Recht und Bilder vgl. Wolfgang Schild, Bilder von Recht und Gerechtigkeit, 1995.
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Die zentrale Rolle seiner Heldinnen und Helden ist es, sich und anderen Fragen zu stellen – und noch wichtiger: Fragen auszuhalten. „Der Ruf der Frage und das in ihr nachhallende Verlangen [trägt] viel weiter als die Antwort“6 – so hat es Jacques Derrida einmal formuliert, den Hofmann so gar nicht mochte und mit dem er doch einen dekonstruierenden Blick teilte. Gerade mit den Mitteln der Kunst und ihrer wechselvollen Interpretation kann Hofmann zur Anschauung bringen, dass die systematischen Entwürfe der Rechtsphilosophie nicht aus einer „Selbstbewegung“ des Denkens resultieren, sondern „auf Fragen antworten, die – einmalig oder in historischen Variationen – aus konkreten geschichtlichen Erfahrungen resultieren.“7 Von dem Ruf dieser Fragen ließ sich Hasso Hofmann berühren und verstand es kunstvoll, diese Berührung an seine Leser weiterzugeben. II. Erzählungen von Recht und Gerechtigkeit 1. Antigone und das Recht über dem Recht Die Frage nach dem Ursprung des Rechts führt zur ersten Geschichte, der antiken Tragödie von Antigone und Kreon. Antigone hat es trotz Androhung des Todes gewagt, das Gebot Kreons als Herrscher Thebens zu missachten, um ihren Bruder Polyneikes, den Feind der Stadt, heimlich zu bestatten. Kreon stellt sie zur Rede8: Kreon: Du wusstest, daß geboten war, dies nicht zu tun? Antigone: Ich wußt’s. Wie sollt ich nicht. Es ward ja deutlich kund. Kreon: Und wagtest doch, zu übertreten das Gebot? Antigone: Es war ja Zeus nicht, der es mir verkündet hat.
Schon aus diesen vier Zeilen des Sophoklos erwächst eine ganze Philosophie von Normen, Hierarchien, Gesetzlichkeit, Moralität und Widerstand. Und wir sind sofort inmitten dessen, was Hofmann die „no-
6 Jacques Derrida, Den Tod geben, in: Anselm Haverkamp (Hrsg.), Gewalt und Gerechtigkeit, 1994, S. 331 ff., 440. 7 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. IX. 8 Sophokles, Antigone, in: ders., Dramen, hrsgg. und übers. von Wilhelm Willige, 5. Aufl. 2007, S. 180 ff., 207 ff. (griechischer Text Zeilen 447 ff.).
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mologische Differenz“ genannt hat, also der Frage, ob das „Recht“ auch „recht“, nämlich richtig und gerecht sei9. Antigone hat in diesem Konflikt viel auf ihrer Seite: Sie riskiert nicht aus Eigensinn, sondern aus Bruderliebe den Tod, sie verstößt nur deshalb bewusst gegen das Recht der Stadt, weil sie sich durch höheres Recht dazu berufen fühlt: „ungeschriebne, ewige, göttliche Gesetze“10 könne ein Sterblicher nicht außer Kraft setzen. Kann aber allein die Wucht eines Gefühls und der individuelle Kompass einer empfundenen Ungerechtigkeit es rechtfertigen, einen verbindlichen Rechtsakt zu missachten? Kreon ist immerhin der rechtmäßige Herrscher. Er steht für das Gesetz Thebens und hat seinen Befehl in aller Form verkünden lassen. Und auch der Inhalt seines harten Rechtsspruchs ist „nicht von Anfang an willkürlich und tyrannisch“11. Nach den Erschütterungen des Krieges muss die Autorität der Königsherrschaft wieder gefestigt werden. Soll daran allein das heiße Herz einer trauernden Schwester etwas ändern dürfen? Ist also doch Antigone im Unrecht? Auch das würde zu kurz greifen. Zu den beiden normativen Ordnungen – dem Herrscherbefehl und dem göttlichen Recht – kommt noch eine dritte hinzu. Antigone empfindet das Verbot nicht nur als ungerecht, weil sie darin einen Verstoß gegen das ewige Recht der Götter sieht, sie will mit der Bestattung auch einen Brauch erfüllen. Totenkult ist heilige Sitte und Gewohnheit. Auch diese Sitte begründet „Recht“ und Rechtsverbindlichkeit, wenn auch von anderer Art und mit anderen Konnotationen als das Gebot einer höheren Autorität12. Die verpflichtende Kraft der Sitte stellt auch der Wächter fest, der das Grab zuerst entdeckt: Hier wurde für die Ruhe des Toten ein heiliger Brauch vollzogen13.
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Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 3 ff., 6. Sophokles, Antigone (Fn. 8), S. 209 (griechischer Text Zeilen 454 f.). 11 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 77. 12 Hasso Hofmann, Gebot, Vertrag, Sitte. Die Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit, 1993. Zu diesen drei Kategorien von Rechtsverbindlichkeit entwickelt Hofmann dazu passende Leitvorstellungen von Personen (Vater, Geschwister, Mutter), Tugenden (Gehorsam, Offenheit, Ergebenheit), Raum (ÜberUnterordnung, Gleichordnung, Eingebundensein) und Zeit (Gegenwart, Zukunft, Konstanz), ebd., S. 16 f. 13 Sophokles, Antigone (Fn. 8), S. 195 (griechischer Text Zeile 247). 10
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Als Kreon von dieser Provokation erfährt, fragt er: „Wer der Männer war’s, der das gewagt?“14 Schon mit dieser Frage zeigt Kreon, dass er sich einer wesentlichen normativen Dimension verschließt. Es gibt neben der Welt des Krieges und der Staatsräson noch eine andere: die der Familie, des Hauses, der Kreatürlichkeit. Und für diese Sphäre sind in der Welt der Antike die Frauen verantwortlich. Antigone wird so erneut zu einer ambivalenten Figur: Sie vollbringt mit ihrem Zorn, ihrem Mut und auch ihrer körperlichen Kraft etwas, was nur Männern zugetraut wird. Und sie steht zugleich für die Welt der Frauen, für die Sphäre des Hauses und der gelebten Tradition. In dieser Perspektive handeln Antigone und Kreon zwar entgegengesetzt, aber doch jeder im Einklang mit der eigenen normativen Sphäre. In den Worten Hegels: „Jede dieser beiden Seiten verwirklicht nur die eine Seite der sittlichen Mächte“15. Antigone verletzt das Recht des Staates, Kreon das der Familie. Und genau diese Antinomie sittlicher Prinzipien macht das Wesen der Tragödie aus. Ist das also die Lösung des Konflikts von Antigone und Kreon: Beide haben Recht und beide haben Unrecht, nur mit unterschiedlicher normativer Perspektive? Hofmann vertraut hier dem antiken Text mehr als Hegel. Kreon ist zwar kein Tyrann von Anfang an, aber er wird es. Er verrennt sich, indem er trotz zahlreicher Mahnungen nicht richtig zuhört, den Kontext der Tat ignoriert und sie daher zum individuellen Widerstand verkleinert. Als er das erkennt, ist es schon zu spät16. Seine Schuld besteht nicht allein in seinem grausamen Urteil, sondern darin, die Frage erst gar nicht zuzulassen, ob es ein höheres Recht geben kann als den Befehl des Herrschers. Damit verstößt er gegen die antike Überzeugung, dass es einen solchen Maßstab gibt. Hasso Hofmann bricht an dieser Stelle zunächst ab. Erst in einer viel späteren Passage seiner „Rechts- und Staatsphilosophie“, als es um die neuzeitliche Begründung des Rechts aus vernünftiger Selbstreflexion geht, kommt er wieder auf Antigone zurück. In einer nachantiken-nachmittelalterlich-nachchristli14
Sophokles, Antigone (Fn. 8), ebd. (griechischer Text Zeile 248). Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Werke stw 17, 1. Aufl. 1986, 11. Aufl. 2020, S. 133. 16 So kommentiert es auch der Chor, nachdem der Bote den Selbstmord von Antigone, ihrem Verlobten Haimon, Kreons Sohn, und Eurydike, Kreons Frau, berichtet hat: „Ach, du erkennst das Rechte, scheint mir, allzu spät.“ Sophokles (Fn. 8), S. 257 (griechischer Text Zeile 1270). 15
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chen Welt kann es nun nicht mehr um ein „natürliches“ oder „göttliches“ Recht gehen, sondern um eine ethische Reflexion geteilter Prinzipien. Und doch bleibt die Frage dieselbe: Die „nach dem Rechten über dem Recht oder den Grenzen der Rechtlichkeit des Rechts“17. So wird schon die erste Geschichte anschaulicher Rechtsphilosophie zu einem Lehrstück für die Erzählung des Rechts im Spiegel der Kunst. Hasso Hofmann lässt sich von der literarischen Kraft eines zweieinhalbtausend Jahre alten Stoffes bis zu der eigenen historischen Welt tragen, die von den Unrechts- und Verletzungserfahrungen des 20. Jahrhunderts geprägt ist. Und er bricht dabei die Geschichte wie in einem Kaleidoskop in verschiedene rechtsphilosophische Blickwinkel auf, was „Recht“ alles sein kann und wie vielfältig die Perspektiven darauf sein müssen. Erst danach erlaubt sich Hofmann das persönliche Bekenntnis einer tief empfundenen Nähe zu seiner Heldin, die ihm zwar auch keine Antwort geben kann, mit ihrem heiligen Zorn aber nicht weniger verkörpert als die „Unauslöschlichkeit der Frage“18. 2. Die Arbeiter im Weinberg und der Ruf nach sozialer Gerechtigkeit Szenenwechsel: Vom antiken Theben zum biblischen Weinberg. Mit Weinbergen kannte sich Hasso Hofmann aus. Geht doch der Blick vom Schreibtisch des Würzburger Hauses genau auf den gegenüberliegenden Weinberg des Bürgerspitals. Im Vergleich mit der antiken Tragödie ist das Gleichnis der Arbeiter im Weinberg19 keine existenzielle Geschichte um Leben und Tod, sondern – jedenfalls auf der ersten Ebene – über die Arbeitswelt und den gerechten Lohn. Eine Alltagsgeschichte: Arbeiter, die bereits frühmorgens mit einem Hausherrn vereinbart hatten, für einen Denar einen Tag im Weinberg zu arbeiten und die diese Arbeit sogleich aufgenommen haben. Andere Arbeiter, die erst später dazugekommen sind und nur noch wenige Stunden ihre Arbeit verrichten. Und die doch am Ende alle den gleichen Lohn erhalten. Ist das gerecht? Die Geschichte dreht sich um das Verhältnis von Gerechtigkeit und Gleichheit und die verschiedenen Arten von Gerechtigkeit. Anders als die alltägliche Erfahrung der Ungerechtigkeit als Ungleichbehandlung beruht 17
Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 79; vgl. ebd., S. 149. Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 79. 19 Matthäus 20, 1 – 16, zitiert nach der Übersetzung der Zürcher Bibel. 18
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sie auf einer strikten Gleichbehandlung. Gerade aus dieser Paradoxie erwächst ihre Anschaulichkeit – allerdings erneut nicht als Herleitung einer richtigen Lösung, sondern als Vermittlung eines Widerstreits von Argumenten und Betrachtungsweisen. So wie die Geschichte der Antigone die verschiedenen Geltungsansprüche von Recht behandelt, so erzählt die biblische Geschichte von den verschiedenen Sphären der Gerechtigkeit. Die Arbeiter, die den ganzen Tag geschuftet hatten, werfen dem Hausherrn vor, er habe die später Hinzugekommenen „uns gleich gemacht“. Ihre Empörung beruht nicht auf der Zahlung von einem Denar, sondern darauf, dass die anderen denselben Lohn empfangen haben. Ist das schon Ungerechtigkeit oder nur Neid? Wie Antigone müssen sich auch diese namenlosen Helden Fragen gefallen lassen: „Bist Du nicht um einen Denar mit mir übereingekommen?“ fragt sie der Hausherr. Und weiter: „Ich will aber diesem Letzten so viel geben wie dir. Oder steht es mir nicht frei, mit dem Meinigen zu tun, was ich will?“ In diesen wenigen Zeilen steckt wieder eine ganze philosophische Diskurswelt: um den gerechten Preis, die Vertragsfreiheit, die Verantwortung des Eigentums. Die eigentliche Pointe ist aber, dass die Worte des Herrn und nicht die der Arbeiter zur religiösen Deutung des Gleichnisses hinführen: „So werden die Letzten Erste und die Ersten Letzte sein.“ Hier geht es nicht mehr um die Hitze des Tages und die Belohnung von Leistung, sondern um göttliche Gnade, die auch denjenigen einschließt, der in der irdischen Welt zu spät gekommen ist. In dieser Verbindung von irdischer und göttlicher Gerechtigkeit stellt sich die Frage neu, um welche Form der Gerechtigkeit es im Gleichnis eigentlich geht. Geht es um einen gerechten Ausgleich zwischen Vertragspartnern? Oder geht es um eine gerechte Verteilung von Gütern in einer Über- und Unterordnung – bis hin zur höchsten Gnade einer göttlichen Macht? Oder ist man mit diesem Dualismus von ausgleichender und austeilender Gerechtigkeit schon auf der falschen Spur, weil es um die in der Rezeption des Aristoteles oft vergessene „allgemeine Gerechtigkeit“ geht, die das Verhältnis des Ganzen zu seinen Teilen in den Blick nimmt. Hasso Hofmann war gerade diese grundsätzliche Perspektive der allgemeinen Gerechtigkeit wichtig20. Es ist gewissermaßen das moralphilosophische „big picture“. Mit dieser allgemeinen Gerechtigkeit lässt sich auch eine Brücke schlagen zu dem großen Thema, dem Hasso Hofmann die letzten Kapitel sei20
Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 99.
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ner „Rechts- und Staatsphilosophie“ gewidmet hat: der „sozialen Gerechtigkeit“, die gerade in der katholischen Soziallehre aus der allgemeinen Gerechtigkeit entwickelt wurde. Können wir das biblische Gleichnis also auch als Frage der sozialen Gerechtigkeit diskutieren? Hofmann hat dies nicht getan – begriffsgeschichtlich aus gutem Grund, ist der Begriff doch erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Zuge der neuen „sozialen Frage“ entstanden. Ist der biblische Weinberg noch zu unschuldig für die moderne, aus der Industrialisierung geborene Frage der sozialen Gerechtigkeit? Auf den ersten Blick sicherlich. Auf den zweiten Blick schiebt sich aber auch in das biblische Gleichnis die soziale Frage. Wir werfen dazu einen Seitenblick auf ein Gemälde, das zwar keinen Weinberg zeigt, aber doch eine vom Menschen kultivierte Naturlandschaft. Das Bild gehört nicht zur bekannten rechtsphilosophischen Bilderwelt. Es ist eines der ganz persönlichen Bilder Hasso Hofmanns, das er einmal erworben hat, weil er darin das Bild einer Zeit im Umbruch erkannte. Der Maler Pieter Caspar Christ zeigt in seinem Gemälde von 1855 eine bäuerliche Szenerie vor einer ruhigen, sanft-hügeligen Landschaft. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass hier auch ein moderner Wind weht. Der Rauch von kleinen Schornsteinen zieht in die eine, der Dampf der fernen Lokomotive in die andere Richtung. Es ist also das Bild einer beginnenden Industrialisierung hinter der vermeintlich vorindustriellen Idylle, das Hasso Hofmann so fasziniert hat. Die Arbeiter, die diesen Rauch der Moderne erzeugen, zeigt das Bild nicht. Aber natürlich weiß der Betrachter, dass es sie gibt. Und so wissen wir auch heute um die sozialen Umstände und Wohnverhältnisse von Erntearbeitern. Um zu erfahren, was soziale Gerechtigkeit ist bzw. nicht ist, muss man nicht bis in die Textilfabriken Bangladeschs gehen. Bei genauem Hinsehen reicht mitunter schon ein Weinberg. Denn auch hinter dieser Idylle kann die schwache Verhandlungsposition von Arbeitern erkennbar werden, die ihre Empörung im Gleichnis erst verständlich macht. Denkt man das Gleichnis einer strikten Gleichbehandlung in diesem Sinne weiter und verknüpft es mit dem letzten Kapitel von Hofmanns „Rechts- und Staatsphilosophie“, so wird daraus die Geschichte einer vergeblichen Aushandlung des gerechten Lohns im Zeichen sozialer Ungleichheit. Was im Überirdischen als Verheißung göttlicher Gnade erscheinen mag, hat auf Erden den Geschmack der Willkür. Damit wird
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die kleine, immer wieder neu gewendete Geschichte aus dem Mikrokosmos des Weinbergs zu einem anschaulichen Lehrstück über die große Frage der allgemeinen und sozialen Gerechtigkeit, die ebenso „unauslöschlich“ ist wie die Frage der Antigone, ob das Recht auch recht sei. 3. Prinz von Homburg und der Traum vom allgemeinen Gesetz Von der allgemeinen Gerechtigkeit ist es nur ein kleiner Schritt zur Allgemeinheit des Gesetzes. Wir kommen damit zum dritten Schauplatz und Hofmanns Aufsatz „Individuum und allgemeines Gesetz. Zur Dialektik in Kleists ,Penthesilea‘ und ,Prinz von Homburg‘“ (1987). Rechtsphilosophisch ergiebig ist besonders das preußische Drama um den ungestümen Prinzen in der Schlacht von Fehrbellin (historisch 1675, von Kleist beschrieben im Jahr 1810). Gegen den ausdrücklichen Befehl des preußischen Kurfürsten zieht Homburg in die Schlacht, trägt traumwandlerisch den Sieg über die Feinde davon, wird dafür vom aufgeklärten Herrscher von der Kanzel herab geehrt und zugleich wegen der Missachtung des Befehls vor ein Kriegsgericht gestellt, das ihn zum Tode verurteilt. Was ist auf dem Weg vom antiken Theben ins aufgeklärte Preußen passiert, dass ein Herrscher sich dazu verpflichtet fühlt, einen ihm nahestehenden Menschen für einen errungenen Sieg vor ein Kriegsgericht zu stellen, das ihn zum Tode verurteilt? Hier herrscht nicht mehr ein strenger Herrscher. Hier herrscht das allgemeine Gesetz. Wenn auch kein wirkliches Gesetz, sondern ein gedachtes. Nicht nur der Prinz träumt, auch der Kurfürst. Ob Homburg wirklich ein Gesetz verletzt hat oder nur einen einzelnen Befehl, bleibt völlig offen21. Und trotzdem stellt Kleist diesen Befehl genau in den Kontext eines allgemeinen Gesetzes und einer darauf gegründeten aufklärerischen Rechtsphilosophie. Dies allerdings nicht ungebrochen. Der Prinz kann seine Gefangennahme erst gar nicht fassen, hat er doch seine Soldaten zum Sieg geführt. Graf Hohenzollern hält dem nüchtern entgegen: „Gleichviel! – Der Satzung soll Gehorsam sein.“ 21 Zur Frage, ob es ein Kriegsrecht, wie es Kleist unterstellt, unter dem Großen Kurfürsten überhaupt gab, vgl. Klaus Lüderssen, Recht als Verständigung unter Gleichen in Kleists ,Prinz von Homburg‘ – ein aristokratisches oder ein demokratisches Prinzip?, in: Kleist-Jahrbuch 5 (1985), S. 56 – 83 (62 ff.).
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Wunderbar die Reaktion, die Kleist seinem traurigen, träumerischen Helden in den Mund legt: „So – so, so, so!“22 In die heutige Comicsprache übersetzt: „?!?!“ Hier stimmt etwas nicht – und genau das erweckt das Interesse Hofmanns. Wie alle seine Helden muss sich auch der Kurfürst heftige Fragen gefallen lassen: von seinen obersten Soldaten, die für den Prinzen um Gnade bitten („Jedwedes Heer, weißt Du, liebt seinen Helden“) 23, von seiner Nichte Natalie und nicht zuletzt von den eigenen Selbstzweifeln des anspruchsvollen, zur eigenen Prüfung bereiten Herrschers. Natalie bringt es auf den Punkt:24 Erst, weil er siegt’, ihn kränzen, dann enthaupten, Das fordert die Geschichte nicht von Dir; Das wäre so erhaben, lieber Ohm, Daß man es fast unmenschlich nennen könnte. Und Gott schuf noch nichts Milderes, als Dich.
Gibt der militärische Erfolg dem Prinzen nicht zumindest im Nachhinein Recht? Nicht in einem Staat, in dem kein persönlicher Herrscher mehr regieren soll, sondern eine Abstraktion der Vernunft. Hier geht es nicht mehr um die Klugheitsregeln der Staatskunst, die ihre Entscheidungen aus Erfahrungen ableitet und flexibel an neue Situationen anpasst. Es geht um ein allgemeines Gesetz, das seine Legitimation eben daraus bezieht, dass es allgemein ist: für alle, ohne Ausnahme und zumindest gedanklich zurückzuführen auf einen allgemeinen Willen25. Erst in dieser Doppelbedeutung ist Allgemeinheit ein Gegenbild zur Willkür, selbst zur gütigen Willkür eines gnädigen Paternalismus. Auf Natalies sanften, aber eindringlichen Widerspruch entgegnet daher der Kurfürst26: Mein süßes Kind! Sieh! Wär’ ich ein Tyrann, Dein Wort, das fühl ich lebhaft, hätte mir Das Herz schon in der ehrnen Brust geschmelzt.
22 Heinrich von Kleist, Prinz Friedrich von Homburg, in: ders., Sämtliche Werke und Briefe, Band 2: Dramen 1808 – 1811, S. 596. 23 Kleist, Prinz Friedrich von Homburg (Fn. 22), S. 628. 24 Kleist, Prinz Friedrich von Homburg (Fn. 22), S. 612. 25 Zu dieser Deutung auch Lüderssen, Recht als Verständigung (Fn. 21), S. 58: „Es gibt also einen Zusammenhang zwischen der Konsensfähigkeit von Normen und ihrem Inhalt. Daß Kleist eine Rechtsordnung vorgeschwebt hat, die man auf diesen Begriff bringen darf, macht er im ,Prinzen von Homburg‘ anschaulich.“ 26 Kleist, Prinz Friedrich von Homburg (Fn. 22), S. 612.
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Dich aber frag‘ ich selbst: darf ich den Spruch, Den das Gericht gefällt, wohl unterdrücken?
Für das Vaterland sei entscheidend, „Ob Willkür drin, ob drin die Satzung herrsche“27. Das allgemeine Gesetz ist eben kein beliebiges Herrschaftsinstrument, sondern die rechtliche Übersetzung eines kategorischen Imperativs, der zwar zum Zeitpunkt der Schlacht von Fehrbellin noch nicht erfunden war, dem preußischen Kurfürsten aber von Kleist und seinem Interpreten Hofmann ex post eingeschrieben wird. Es geht in der Geschichte daher nicht nur um einen militärischen Disziplinarfall, es geht um das Grundprinzip von Herrschaft. Auch der aufgeklärte Herrscher muss sich und die eigene Krone unter das Gesetz eines Volkes stellen, das er repräsentieren soll. Dem aufgeklärten, aber einsamen Herrscher steht dabei kein allgemeiner Gesetzgeber zur Seite. Trotzdem soll er dem Ideal der Republik in einem kantischen Sinne als einem repräsentativen System des Volkes folgen. Der revolutionäre Gedanke einer Selbstherrschaft des Volkes ist damit historisch schon wieder zur regulativen Idee eines aufgeklärten Monarchen eingeschmolzen. Der Herrscher soll das allgemeine Gesetz zumindest im eigenen Kopf simulieren. Er muss so tun, als ob er selbst unter einem allgemeinen Gesetz stünde28. Genau dieses „als ob“ stellt Hofmann ins Zentrum. Es erfüllt die gleiche Funktion wie der „Schleier des Nichtwissens“ bei Rawls. Es geht um ein Gedankenexperiment, das ein individuelles Urteil mit einem allgemeinen Willen verbindet. Deshalb darf der Kurfürst nicht einfach Gnade vor Recht ergehen lassen, wie es Homburg zunächst erfleht. Dies wäre nur eine „väterliche“ Regierung des persönlichen Wohlwollens, gerade damit aber in der kantischen Interpretation der „größte denkbare Despotismus“ eines Herrschers gegen ein unmündiges Volk. Gefragt ist keine väterliche, sondern eine „vaterländische“, republikanische Regierung, die das Recht im Geist der Repräsentation durch „Gesetze des gemeinsamen Willens“ 27
Kleist, Prinz Friedrich von Homburg (Fn. 22), S. 613. Hasso Hofmann, Repräsentation. Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 1. Aufl. 1974, 4. Aufl. 2003, S. 412: „Konsequenterweise ist es dann eine durchaus zweitrangige Frage, ob die Verfassung selber oder nur die Art der Regierung republikanisch ist, d. h. ob die autokratische Herrschaft nur ,im Geiste des Republikanism‘ analogen Gesetzen folgt, wie sie ,sich ein Volk selbst nach allgemeinen Rechtsprinzipien geben würde‘.“ (Zitat aus Kants „Streit der Fakultäten“). 28
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schützt und vollzieht29. Homburgs einzig legitime Position ist es, sich diesem gemeinsamen Willen anzuschließen. Tatsächlich will am Ende des Stücks auch er das „heilige Gesetz des Kriegs, das ich verletzt im Angesicht des Heers, durch einen freien Tod verherrlichen!“30 So tritt er dem Kurfürsten zumindest nachträglich „als Mitgesetzgeber einer vaterländischen Regierung zur Seite“31. Das macht den Weg frei nicht für Gnade, sondern für eine glanzvolle Erhöhung, ja Apotheose. Glückt damit die erhoffte Synthese von Individualität und allgemeinem Gesetz? Es glückt nur der Traum davon. Denn die Heilsrufe, die in der Schlussszene für den Sieger der Schlacht von Fehrbellin erklingen, erscheinen nicht nur Homburg als so unvermittelt und unwirklich, dass er es nur für einen Traum halten kann. Auch der alte Kottwitz sekundiert: „Ein Traum, was sonst?“32 Diese traumwandlerische SchlussSzene, hat – wie Hofmann schreibt – ihr „eigenes poetisches Recht“33. Man könnte ergänzen: Und das Recht hat damit seine eigene Poesie, die genau zu dieser historischen Zeit passt. Zu ihren Idealen, ihren Widersprüchen und ihren Träumen. Die Geschichte verwandelt sich so von einem Bild der preußischen Spätaufklärung zu einer Utopie. Diese Auslegung des Stücks deutet Hofmann selbst mit dem Begriff „Hoffnung“ nur an34. Ingeborg Bachmann hat diese utopische Deutung des Stücks in gemeinsamer Arbeit
29 Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, Abschnitt II: Vom Verhältnis der Theorie zur Praxis, hrsgg. v. Heiner F. Klemme, 1992, S. 22. Hofmann, Repräsentation (Fn. 28), S. 413: „Repräsentation steht gegen jede ,Unform‘ des Staates und bezeichnet – gleichviel letztlich, ob der Repräsentant übertragene Macht ausübt oder seine Macht als übertragene begreift, sie ausübt, als sei sie ihm übertragen – den schlechthinnigen Gegensatz zu jeder Eigen-Macht.“ 30 Kleist, Prinz Friedrich von Homburg (Fn. 22), S. 638. 31 Hofmann, Individuum und allgemeines Gesetz (Fn. 3), S. 320. 32 Kleist, Prinz Friedrich von Homburg (Fn. 22), S. 644. 33 Hofmann, Individuum und allgemeines Gesetz (Fn. 3), S. 322. 34 Hofmann, Individuum und allgemeines Gesetz (Fn. 3), S. 321. Lüderssen, Recht als Verständigung (Fn. 21), S. 58, hält die Deutung des Stücks als Utopie für unbegründet. Seine eigene Interpretation, Kleist habe mit dem Stück gezeigt, unter welchen persönlichen und institutionellen Bedingungen das staatliche Ideal konkrete Gestalt annehmen könnte, passt allerdings wenig zum geradezu surrealen Schluss.
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mit Hans-Werner Henze an ihrer Oper über den Prinzen von Homburg so formuliert35: Was an dem Stück wie die Verherrlichung der Legitimität erscheint, ist nicht die Glorifizierung jener Legitimität (oder besser: Illegitimität), unter der wir seit je in unseren Ländern gelitten haben und die Deutschland in den Abgrund geführt hat, sondern eine noch nie verwirklichte, durch die der Staat einsichtig werden könnte, die Gerechtigkeit lebbar wird.
In dieser Interpretation werden die beiden dialektischen Preußen Homburg und Kurfürst in ihrer träumerischen Versöhnung zu Figuren der Zukunft. Den Widerstreit von Individuum und allgemeinem Gesetz kann die Geschichte in der historischen Wirklichkeit nicht auflösen, sie kann aber zumindest das Ringen darum zeigen, dem rechtsphilosophischen Ideal gerecht zu werden. Es ist die Legitimation von rechtlicher Fremdbestimmung durch Selbstbestimmung sowie eine Vorstellung von demokratischer Repräsentation, die die Brücke schlägt zwischen individuellem und allgemeinem Willen. Dies ist nicht nur in der historischen Phase des aufgeklärten Neoabsolutismus auf träumerischen Pfaden leichter zu erreichen als in der eigenen Wirklichkeit. Eine heutige Demokratie muss ihre Gesetze zwar nicht mehr im Kopf eines klugen Monarchen simulieren, sondern hat reale Instanzen der Gesetzgebung und der gesellschaftlichen Willensbildung. Die Versöhnung des Einzelnen mit der einigenden Verbindung eines allgemeinen Willens ist damit aber nicht einfacher geworden. Auch die Geschichte von Homburg und dem Großen Kurfürsten weist daher über ihre Zeit weit hinaus und bekräftigt gerade mit ihrem nur träumerisch gelingenden Schluss die Frage, wie sich der Widerstreit zwischen dem Macht- und Zwangscharakter des Rechts und dem Leitbild der individuellen und kollektiven Autonomie in einer gelingenden Synthese aufheben lässt. Bleibt dies „ein Traum, was sonst“?
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Ingeborg Bachmann, Entstehung eines Librettos, in: Melos (Zeitschrift für neue Musik) 27 (1960), S. 136 – 138 (136). Bachmann beschreibt das dargestellte Staatswesen als eine „Vision Kleists“: „Sie alle, und ihre Handlungen und ihre Worte bezeugen es immerzu, atmen eine Luft der Freiheit, die uns selbstverständlich erscheint, die aber, bedenken wir es wirklich, noch nie in einem Staatswesen geatmet worden ist.“ Ebd.
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4. Prometheus und die Fackel der Aufklärung Die Deutung des preußischen Dramas als dialektische Utopie führt zur Zeitdimension des Rechts und damit zur vierten Figur anschaulicher Rechtsphilosophie: zu Prometheus, der sowohl in den „Bildern des Friedens“36 als auch in der „Rechts- und Staatsphilosophie“37 als Verkörperung eines fortschrittlichen Geistes erscheint. Prometheus hat das göttliche Feuer aus dem Sonnenwagen des Zeus entwendet, um es gegen den Willen des obersten Gottes den Menschen zu geben, die daraus mit ihrer eigenen Kraft eine neue Zivilisation schaffen können. Wie Antigone wird er für seine kühne Tat grausam bestraft. Er, der die Menschen entfesseln wollte, liegt nun selbst in Fesseln. Seit Aischylos ist dieser gefesselte Prometheus in Literatur und Kunst eine vielfach dargestellte Figur der Aufklärung und Auflehnung zugleich38. Je nach Perspektive ist seine Gabe des Feuers für die Menschen Geschenk oder Gefahr und er selbst Heilsbringer oder Brandstifter39. Wie Antigone steht Prometheus für rebellischen Mut und den Widerstand gegen eine bestehende Ordnung. Beide widersetzen sich allerdings auf genau gegenläufige Weise. Antigone beruft sich auf göttliches Recht, um sich gegen das Gebot des menschlichen Herrschers zu stellen und ihrem gefallenen Bruder das schützende Dunkel des Grabes zu schenken. Im Gegensatz dazu ist Prometheus der „Lichtbringer“ für die Menschen „im Ungehorsam gegen den herrschenden Gott“40. Prometheus bringt sein neues Licht in die bis dahin noch vom göttlichen Licht abhängige Menschenwelt. Das von ihm gestohlene Feuer dient den Menschen als „Enlightenment“ im buchstäblichen und übertragenen Sinne. Prometheus bringt den Menschen mit dem Feuer auch das Den36
Hofmann, Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 53 ff. Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 142 ff., 152 f. 38 Grundlegend dazu Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, 1. Aufl. 1979, 7. Aufl. 2021 – ausführlich besonders zur Wandlung des Mythos in der Antike (S. 327 ff.), zur Prometheus-Identifikation bei Goethe, der, wie später auch Marx, Prometheus zu seinen „Heiligen“ zählte (S. 433 ff.), und zur späteren Rezeption im 19. und frühen 20. Jahrhundert (S. 605 ff.). Neuere Zugänge und Nachweise bei Claus Leggewie/Ursula Renner-Henke/Peter Risthaus (Hrsg.), Prometheische Kultur, 2013. 39 Blumenberg, Arbeit am Mythos (Fn. 38), S. 350 f. 40 Blumenberg, Arbeit am Mythos (Fn. 38), S. 493. 37
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ken, die Zahl und die Schrift, die Heilkunst und den Ackerbau. Kurzum: „Es kommt jedwede Kunst dem Erdvolk von Prometheus her.“41 Während Antigone dem Einen Ruhe geben will, schafft Prometheus produktive Unruhe für alle. Besonders in der neuzeitlichen Wiederentdeckung der Figur wird er daher zum Symbol des schöpferischen menschlichen Geistes. Francis Bacon erzählt von ihm in seiner Schrift über die „Weisheit der Alten“, um menschliche Schaffenskraft, Forschungs- und Erfindergeist gegen Stillstand und Genügsamkeit zu stellen42. Das Feuer des Prometheus ist für ihn der „Helfer aller Helfer“ und die „Kraft aller Kräfte“, die „in vielfältiger Weise jegliche Verrichtungen und Handwerke und selbst die Wissenschaft unterstützt und befördert“ und so die Menschen „fortwährend zu neuem Fleiß und zu neuen Erfindungen“ anspornt43. Bacons zeitweiliger Sekretär Thomas Hobbes begründet später wie kein anderer vor ihm auch die Rechtsgemeinschaft aus einem menschlichen Schöpfungsakt44. Da Hobbes aus diesem Willensakt dennoch eine absolute, unangefochtene Herrschaft ableiten will, kann er den Mythos von Prometheus allerdings nur als Verfallsgeschichte von der alten Staatsform Monarchie zu Aristokratie und Demokratie deuten: Wie Prometheus das Feuer dem einen Gott entwendet habe, um es den Menschen für ihre Zwecke zu schenken, so seien auch diese neueren Staatsformen „aus den Trümmern der durch Aufstände aufgelösten Monarchie von den Menschen später künstlich zusammengefügt worden“. Für diesen Aufruhr gegen die „natürliche“ Herrschaft der Könige würden sie nun „durch stete Sorgen, Verdächtigungen und Zwistigkeiten gepeinigt“ – ebenso wie Prometheus für seine List mit dem Adler bestraft wurde, der seine Leber immer wieder aufs Neue zerfrisst45. 41
Aischylos, Der gefesselte Prometheus, in: ders., Tragödien, übers. v. Oskar Werner, hrsgg. v. Bernhard Zimmermann, 7. Aufl. 2011, S. 469 ff., 503 (Zeilen 435 ff.). 42 Francis Bacon, Weisheit der Alten, übers. v. Marina Münkler, hrsgg. v. Philipp Rippel, 1990, Kapitel XXVI. „Prometheus oder die Situation des Menschen“, S. 60 ff. 43 Bacon, Weisheit der Alten (Fn. 42), S. 64 f. 44 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 152, und ders., Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 53. 45 Thomas Hobbes, Vom Bürger, auf Basis der Übersetzung v. Max FrischeisenKöhler hrsgg. v. Günther Gawlick, 10. Kapitel „Eine Vergleichung der drei Arten
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Gerade mit dieser Interpretation bekräftigt Hobbes freilich die Stellung von Prometheus als moderne Figur einer selbstbewussten Erneuerung. Steht Antigone für die normative Kraft der „alten Welt“, wird die Fackel des Prometheus später in der amerikanischen Freiheitsstatue zum Symbol des Aufbruchs in eine „neue Welt“46. Diesem Kontrast von Dunkelheit und Licht, Ruhe und Unruhe, natürlich gewachsener und künstlich geschaffener Ordnung, alter und neuer Welt entspricht eine gegensätzliche Zeitdimension. Antigone schöpft ihren Mut aus der Gewissheit der Tradition, dem familiären Brauch und der göttlichen Gesetze, die ihr ewig gültig erscheinen. Ganz anders Prometheus: Er durchbricht die bisherige, nur vermeintlich ewige Ordnung und betrügt den obersten Gott, um den Zukunftshorizont der Menschen zu öffnen und sie mit ganz neuen Möglichkeiten buchstäblich zu befeuern. Beide Figuren lassen sich somit den beiden zeitlichen Funktionen von Recht zuordnen. Zum einen die konservative, Ordnung schaffende und Erwartungen stabilisierende Dimension, die Urteile, Gesetzesnormen und rechtliche Dogmatik in eine Linie mit bisherigen Gewissheiten stellt. Zum anderen die offene und zukunftsgerichtete, die mit juristischer Interpretation, der Normenänderung in geregelten Verfahren und dem revolutionären Neuanfang einer völlig neuen Rechtsordnung die Möglichkeit zu Wandel und Erneuerung schafft. Hofmann interessiert diese zweite Dimension vor allem in Hinblick auf die Verfassung, genauer: den seit dem 18. Jahrhundert neuartigen Begriff der einen geschriebenen Verfassung. Verfassung ist nun nicht mehr nur die tatsächliche Verfasstheit und der vorgefundene Zustand einer sozialen Gemeinschaft, sondern sie wird zum Zielbegriff, „der bestimmte Erwartungen transportiert, die historisch erst einzulösen sind“.47 Erst mit dieser Finalität kann Verfassung neu geschrieben, nicht mehr nur in ihrem Vorhandensein beschrieben werden. Verfassung wird daher revolutionär als des Staates nach ihren Nachteilen“, 1994, S.174 ff. (176 f.). Zur Differenz von Natürlichkeit und Künstlichkeit in der Darstellung des Prometheus bei Hobbes siehe auch Blumenberg, Arbeit am Mythos (Fn. 38), S. 409 f.: „Prometheus steht nicht für den Primärakt der Begründung des Staates, dessen Form vielmehr in der Herrschaft des Zeus präfiguriert ist, sondern für die wuchernde sekundäre Künstlichkeit“. 46 Hofmann, Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 53. 47 Dieter Grimm, Verfassung II: Konstitution, Grundgesetz(e) von der Aufklärung bis zur Gegenwart, in: Heinz Mohnhaupt/Dieter Grimm, Verfassung. Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart, 1995, S. 100.
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„einheitlicher Bau- oder Konstruktionsplan einer politischen Aktionsgemeinschaft für die Eroberung ihrer Zukunft“48. Dieses revolutionäre „Verfassungsfieber“49 verkörpert niemand besser als Prometheus. Allerdings entgeht auch diese Figur nicht einem dialektischen Perspektivenwechsel. Er wird gewissermaßen von der „Dialektik der Aufklärung“50 erfasst und infiziert51. Diese Umwertung von Prometheus setzt spätestens in der Studienzeit Hasso Hofmanns ein, der als Kind noch die letzten Jahre des Krieges erlebt hat, in dem sein Vater gefallen war52. Dem Sohn blieb als Mann der „weißen Jahrgänge“ zumindest der eigene Wehrdienst erspart. Für diese Generation, die in den Trümmern des Krieges und im Bewusstsein des industrialisierten Mordens im Holocaust und des Abwurfs der Atombombe aufwuchs, ist das Verhältnis zu Prometheus bereits tief gespalten zwischen Fortschrittsoptimismus und Zukunftsangst. Im Jahr 1955 entsteht beim wiedererbauten Ehrensaal des Deutschen Museums in München (einem der Studienorte Hofmanns) noch ein neues Deckengemälde von Hermann Kaspar mit Prometheus als Leitfigur von Technik und Wissenschaft, der seine Hand schützend über die versammelte Gemeinschaft der Nobelpreisträger ausbreitet. Nur ein Jahr darauf veröffentlicht Günter Anders den ersten Band seiner „Antiquiertheit des Menschen“53 – eines Menschen, der vom technischen Fortschritt überfordert ist, mehr herstellt als er sich vorstellen und verantworten kann und darum sich selbst als „anti48
Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 152. Hasso Hofmann, Über Verfassungsfieber, in: Jus Commune 17 (1990), S. 310 – 317. 50 Max Horkheimer/Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Manuskript 1944, 1. Aufl. 1947. 51 Blumenberg, Arbeit am Mythos (Fn. 38): „daß Lichtbringer unausweichlich auch Feuersbringer sind, hat erst späten Zweifeln an ,Aufklärungen‘ Ausdruck gegeben, ob die Wahrheit den Preis der Brände wert ist, die sie entzünden können.“ (S. 351). 52 Im Vorwort zu den „Rechtsfragen der atomaren Entsorgung“ schreibt Hofmann im Andenken an seine Mutter, der das Buch gewidmet ist: „Nach dem frühen Kriegstod ihres Mannes hat sie – von den Wirkungen des ,Wirtschaftswunders‘ kaum erreicht und berührt – für die Zukunft ihrer Kinder gelebt.“ Hasso Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 10. 53 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. I: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, 1. Aufl. 1956, 3. Aufl. 2010, S. 21 ff. („Über Prometheische Scham“). 49
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quiert“ erlebt. An die Stelle der von Prometheus verkörperten Fortschrittslust tritt nun die „prometheische Scham“, die den Menschen befällt, weil er mit der Entwicklung der eigenen Technik nicht mehr mithalten kann und sie ihm daher unheimlich geworden ist. Noch einmal 30 Jahre später ist für Hans Jonas der „entfesselte Prometheus“ geradezu zu einer Bedrohung geworden, dem eine neue Ethik der Selbstbeschränkung Zügel anlegen muss: „Der endgültig entfesselte Prometheus, dem die Wissenschaft nie gekannte Kräfte und die Wirtschaft den rastlosen Antrieb gibt, ruft nach einer Ethik, die durch freiwillige Zügel seine Macht davor zurückhält, dem Menschen zum Unheil zu werden.“54 Aus der Perspektive des späten 20. und nun auch des 21. Jahrhunderts ist Prometheus zum Sinnbild einer bereits vergangenen Zukunft geworden – eines Optimismus, der die Gefahren menschlicher Technik und eines aus dem Wissen um die Naturkräfte entstandenen Willens zur Naturbeherrschung noch nicht kannte. Nun steht sein Zukunftssymbol der Fackel als Zeichen eines Wissens, das den Menschen zur Nutzung der Bodenschätze befähigt hat55, zugleich für die Ausbeutung der Rohstoffe, die Brennstäbe der Atomkraft und die Gefahren ökologischer Zerstörung. Auch das Recht muss sich diesen Gefahren stellen, will es dem „Prinzip Verantwortung“ folgen. Kurz vor Jonas’ Schrift veröffentlicht Hofmann seine „Rechtsfragen der atomaren Entsorgung“ – zunächst als Beiheft zu den „Scheidewegen“, der „Vierteljahresschrift für skeptisches Denken“56.
54 Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, 1984, S. 7. Diese Passage liest sich wie eine aus der Philosophie der Technik gespeiste Antwort auf das, was Hans Blumenberg fünf Jahre zuvor in seiner „Arbeit am Mythos“ (Fn. 38) an den Werken von Nietzsche, Freud, Gide und Kafka beschrieben hatte: „Wenn die Aufklärung im Feuerraub des Prometheus ihr geschichtliches Amt präfiguriert sah […], mußte sich auch das Scheitern der Aufklärung bis hinein in ihre Rückläufigkeit mit der Sprache des Prometheus-Mythologems Ausdruck geben können. Der Lichtbringer gerät ins Zwielicht.“ Ebd., S. 644. 55 Aischylos hebt dies im großen Monolog des Prometheus über den Weg des Wissens, den er den Menschen gebahnt hat, besonders hervor: „was der Erdenschoß / Verbarg dem Menschenvolk an Schätzen hohen Werts, / Als Erz und Eisen, Silber sowie Gold, wer mag / Behaupten, daß er früher es entdeckt als ich“? Aischylos (Fn. 41), S. 501 (griechischer Text Zeilen 500 ff.). 56 Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung (Fn. 52).
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Seine Skepsis gegenüber dem Selbstbewusstsein prometheischen Rechtsdenkens zielt nicht allein auf die Ökologie. Hofmann erkennt auch die Gefahr einer Vereinzelung, die entsteht, wenn sich eine politische Ordnung allein am Freiheitsgeist der Einzelnen ausrichtet, ohne dass es noch ein Korrektiv der Gerechtigkeit und der solidarischen Gemeinschaft gibt. Ausgerechnet die Darstellung der antiken Licht- und Zukunftsgestalt inspiriert Hasso Hofmann zu einer ungewöhnlich düsteren Passage über das Ende der durch Prometheus verkörperten Zukunft in „allgemeiner Ratlosigkeit“57: Erschien Zukunft einst als perspektivischer Raum für den von einem starken Wir-Gefühl der aufgeklärten Geister getragenen gemeinsamen Willen zur Realisierung von Ideen zur Umgestaltung und Verbesserung der Verhältnisse, schrumpft der Zukunftshorizont in der Gesellschaft des nahezu vollendeten Individualismus auf den Gesichtskreis des Einzelnen. Der Rest ist drohendes Dunkel, vor dem man sich an das klammert, was man hat.
Das Gefühl für die Zeit selbst, das Erlebnis der eigenen Gegenwart und der Erwartungshorizont an die Zukunft hat sich verändert, seit das Aufbruchsgefühl der Aufklärung verflogen ist. Bedeutet das Wissen um die Gefahren der Technik und der menschlichen Selbstermächtigung nun das Ende von Prometheus als Helden der Zukunft? Brauchen wir sein Werkzeug technischen Wissens vielleicht dringender denn je – nun als Wissen um sicherere und verträglichere Technik? Oder fordert die eigene Zeit noch eine andere Form der Orientierung, die mit neuen Leitfiguren erzählt werden muss? Weil sie nicht nur Geisteskraft erfordert, sondern etwas Anderes: Verzicht. Davon erzählt die fünfte Geschichte. 5. Erysichthon und der Verkauf der eigenen Zukunft In einer vom Klimawandel bedrohten Welt wächst die Bereitschaft, die ökologischen Aufgaben des Rechts noch einmal neu zu erzählen. Wenn alte Helden des Fortschritts nicht mehr ganz passen und sich neue noch nicht eingestellt haben, kann man sich an kraftvolle Gegenfiguren halten, die zumindest auf negative Weise Orientierung geben. Ein solcher Anti-Held ist Erysichthon. Dieser hochmütige Königssohn will sich einen neuen Festsaal bauen und lässt dafür den uralten Baum fällen, der im heiligen Hain der Erntegöttin Demeter steht. Zur 57
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Strafe schickt ihm Demeter einen grenzenlosen Hunger. Um diesen Hunger zu stillen, verkauft Erysichthon nach und nach alles, was er hat, schließlich seine eigene Tochter, die ihn zuvor verzweifelt gewarnt hatte. In seiner Gier beißt er sich am Ende ins eigene Fleisch und verschlingt sich selbst. Wie Antigone und Prometheus ist es eine Figur der antiken Mythologie, über die der alexandrinische Dichter Kallimachos in seinen „Hymnen“ und später Ovid in seinen „Metamorphosen“ berichten58. Wie die beiden anderen antiken Figuren steht er für eine Dimension der Zeit – diesmal nicht für Vergangenheit oder Zukunft, sondern für eine Gegenwart, die kein Gestern und kein Morgen kennt. Eine Gegenwart, von der man nur hoffen kann, dass es nicht die eigene ist. Eine Verbindung von Erysichthon zu Prometheus stellt sich schon über den Namen her. Sein Beiname ist „Aithon“, der „Brennende“ oder der „Feurige“. Anders als Prometheus hat er das Feuer nicht mehr als nützliches Instrument in der Hand, sondern es hat ihn als Strafe für seine Schändung des heiligen Baums selbst erfasst. Das Symbol instrumenteller Vernunft zur Verbesserung der menschlichen Lebenswelt ist zum Symbol einer brennenden Selbstzerstörung geworden. Damit dreht sich auch die Zeitperspektive: Aus dem offenen Zukunftshorizont des Prometheus wird im Mythos von Erysichthon buchstäblich der Verkauf der künftigen Generation, was den eigenen Untergang aber nur noch hinauszögern, nicht mehr aufhalten kann. Erysichthon wird von Demeter mit der Logik des eigenen Tuns bestraft: Weil er selbst keine Grenzen einhalten wollte, soll er zur Strafe auch keine Grenzen mehr einhalten können59. Für den griechischen Ökonomen Giorgos Kallis ist Erysichthon eine Mahnung an die heutige Gesellschaft, die die politische Kultur der eigenen „Grenzen“ (so der Titel seines Buches, das schon
58 Kallimachos, 6. Hymnus auf Demeter, in: ders., Werke, hrsgg. und übers. v. Markus Asper, 2004, S. 448; Ovid, Metamorphosen, übers. v. Erich Rösch, 1977, S. 321 ff. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Fassungen des Mythos findet sich bei Hans-Christoph Binswanger, Der Frevel des Erysichthon als Ursprung der ökologischen Krise, in: ders., Die Glaubensgemeinschaft der Ökonomen, 1998, S. 11 ff. (mit eigener Übersetzung des Hymnus von Kallimachos durch Urs Wyss, ebd., S. 28 ff.). 59 Binswanger, Frevel (Fn. 58), S. 15.
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zum Buch der Stunde erklärt wurde) 60 wieder lernen müsse, um sich nicht der eigenen Zukunft zu berauben. Die Geschichte kehrt in Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ wieder. Hier ist es Wotan selbst, der herrschende Gott, den seine Gier verbrennt. Auch er will sich einen neuen Palast bauen. Er lässt sich dafür auf einen Vertrag mit zwei Riesen ein, denen er Freia verspricht, die Göttin der Jugend, von der die Götter täglich ihre Zauberäpfel erhalten, die sie vor dem Altern schützen. Auch hier droht also ein Verkauf der Zukunft. Als Wotan erkennt, wie abhängig er von der Zauberkraft der Jugendgöttin ist, muss er sich im Austausch für Freia vom Ring trennen, der mit seiner Zaubermacht zuvor den Rheintöchtern – also den Naturkräften – entrissen wurde und nun verflucht ist. Auch diese Geschichte von Macht, Gier und Naturausbeutung endet mit einem brennenden Untergang: Einer Götterdämmerung, die die Götterburg Walhall und die ganze alte Götterwelt erfasst. Patrice Chéreau hat in seiner legendären Bayreuther Inszenierung von 1976 diesen „Ring“ aus der Zeitlosigkeit des Mythos in die Entstehungszeit des Werks gerückt. Mit dieser Deutung aus der Industriewelt des 19. Jahrhunderts hat er Wagners Werk zum „Jahrhundertring“ des 20. Jahrhunderts gemacht, das einen neuen Blick auf das Verhältnis von Macht, Kapital und Natur wirft61. Das Recht kommt in dieser Untergangserzählung Richard Wagners nicht gut weg. Das Motiv des Vertrages steht für die rechtliche Bindung eben jener Verträge, die in den Untergang führen. Auch der Herrschergott muss sich zwar an sein selbst gesetztes Recht halten, wenn er die eigene Herrschaft nicht untergraben will. So viel Kant gilt auch in der Götterwelt. Recht ist hier aber nur noch das instrumentelle Mittel einer Gegenwart, die für die Pracht Walhalls auch 60
Giorgos Kallis, Grenzen. Warum Malthus falschlag und warum uns das alle angeht, 2021 (engl. Originaltitel „Limits“, 2019). Vgl. auch die Besprechung des Buchs von Jens-Christian Rabe in der Süddeutschen Zeitung vom 22. 10. 2021. 61 Stephan Mösch, „Ist es das, was wir erhofft haben?“ Über die Entstehung des Jahrhundert-Rings von Patrice Chéreau und Pierre Boulez, in: Katharina Wagner/ Holger von Berg/Marie Luise Maintz (Hrsg.), Szenen-Macher. Wagner-Regie vom 19. Jahrhundert bis heute, 2020, S. 1 – 28. Eine Interpretation des „Rings“ als Parabel auf die sozialen und ökonomischen Umbrüche des 19. Jahrhunderts und damit als „Drama der Gegenwart“ seiner Entstehungszeit findet sich schon bei George Bernard Shaw, The Perfect Wagnerite. A Commentary on The Niblung’s Ring, im Original erschienen 1898, dt.: Ein Wagner-Brevier. Kommentar zum Ring des Nibelungen, übers. v. Bruno Vondenhoff, 15. Aufl. 2016, S. 21.
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die Göttin der Jugend als Preis verspricht. Ein normativer Garant für die Zukunft ist das Recht nicht mehr. Weder Erysichthon noch die Götter der Wagner’schen Götterdämmerung gehören zur originären Figurenwelt Hasso Hofmanns. Aus beiden Geschichten lässt sich aber eine rechtsphilosophische und verfassungsrechtliche Perspektive entwickeln, die er früher als andere entwickelt hat: „Nachweltschutz als Verfassungsfrage“62. Es geht dabei um eine Selbstbeschränkung der Gegenwart im Interesse der Nachwelt. Der Leitgedanke der Autonomie wird nun aus einer anderen Perspektive erzählt – nicht mehr als Emanzipation von alten Autoritäten, Selbstbefreiung und Selbstermächtigung, sondern als bewusste Selbstbegrenzung, die wieder zum antiken Verständnis von Mäßigung zurückführt63. Die Notwendigkeit dieses erneuerten Verständnisses von Autonomie als Selbstbegrenzung ergibt sich aus dem Zeitalter des „Anthropozäns“, in der erstmals eine einzige Spezies in der Lage ist, den eigenen Planeten radikal umzugestalten und dadurch in seinem Bestand zu gefährden64. Um dies zu verhindern, muss der ethische Grundsatz der Verallgemeinerbarkeit, wie ihn Kant im Kategorischen Imperativ formuliert und Rawls mit seinem Schleier des Nichtwissens veranschaulicht hat, über die Gegenwart hinaus erweitert werden auf diejenigen, die nach uns kommen65. Diese Verantwortungsdimension für die Zukunft war für Hasso Hofmann immer auch eine Verantwortung des Rechts, das selbst wieder höherem Recht genügen muss. Angesichts der „mit spezifischen Langzeit62 Hasso Hofmann, Nachweltschutz als Verfassungsfrage, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 19 (1986), S. 87 – 90. Ein Kapitel „Über die zeitlichen Dimensionen staatsrechtlicher Verantwortung“ findet sich schon in den „Rechtsfragen der atomaren Entsorgung“ (Fn. 52), S. 262 ff. 63 Kallis, Grenzen (Fn. 60), S. 69: „Das Plädoyer für die Selbstbegrenzung beruht auf den negativen Konsequenzen oder den Risiken eines Verzichts auf Selbstbegrenzung, und auf der Freiheit, unseren eigenen Vermögen und Absichten Grenzen zu setzen – Grenzen, ohne welche die Freiheit ihre Bedeutung verliert.“ 64 Daniel R. Headrick, „Macht euch die Erde untertan“. Die Umweltgeschichte des Anthropozäns, übers. v. Martin Richter, 2021. 65 Hans Jonas hat dies in seinem „Prinzip Verantwortung“ (Fn. 54) schon früh formuliert. „Dies nun fügt dem moralischen Kalkül den Zeithorizont hinzu, der in der logischen Augenblicksoperation des kantischen Imperativs gänzlich fehlt; extrapoliert der letztere in eine immer-gegenwärtige Ordnung abstrakter Kompatibilität, so extrapoliert unser Imperativ in eine berechenbare wirkliche Zukunft als die unabgeschlossene Dimension unserer Verantwortlichkeit.“ Ebd., S. 37 f.
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risiken für Leben und Gesundheit belasteten Technik“ sei es „an der Zeit, darüber nachzudenken, was für uns nützlich und was wirklich existenznotwendig ist. Das erheischt nicht nur die Moral, sondern es ist ein verfassungsrechtliches Gebot des Nachweltschutzes.“66 Wenn sich auch mit neuerer und besserer Technik die Gefahren nicht beherrschen lassen, bleibe „konsequenterweise im Prinzip nur die Reduzierung des Risikos durch Verzicht“67. Die Diskussion um die Nutzung der Kernenergie und deren langfristige Risiken stand für ihn dabei schon in den 1980er Jahren „nur stellvertretend für die Folgen unserer technischen Zivilisation im ganzen“68. Als neues Recht über dem Recht ist nun an die Stelle eines höherrangigen göttlichen, natürlichen oder vernünftigen Rechts der Gerechtigkeitsanspruch der Verfassung getreten69. Dieser umfasst auch eine Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Dazu hat sich inzwischen auch das Bundesverfassungsgericht mit seiner Entscheidung zum Klimaschutzgesetz bekannt70. Das Gericht schreibt dem Grundgesetz darin eine Verantwortungsdimension zu, die weit über den Tag hinausgeht: die Verpflichtung auch des heutigen Gesetzgebers zum Schutz vor Lebens- und Gesundheitsgefahren, die erst künftige Generationen treffen. Als erste Autorität zitiert das Gericht Hofmanns Aufsatz über den verfassungsrechtlichen Nachweltschutz, den dieser 35 Jahre zuvor veröffentlicht hatte71. Das Gericht begründet seine Entscheidung allerdings im Ergebnis nicht mit einer Verletzung dieser Schutzpflichten für Leben und Gesundheit der Nachwelt, sondern mit der Verletzung künftiger Freiheit72. Das für den Klimaschutz unzureichende Gesetz wird nicht zum Schutz der Natur als Lebensbedingung künftiger Generationen kassiert, sondern im Interesse einer ausgleichenden Gerechtigkeit von Freiheitsbeschränkungen über die Zeit. Eine heutige Generation soll künftigen Ge66
Hofmann, Nachweltschutz (Fn. 62), S. 90. Hofmann, Nachweltschutz (Fn. 62), S. 89. 68 Hofmann, Nachweltschutz (Fn. 62), S. 87. 69 Thomas Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit. Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht, 2004, Kap. 7: Der Gerechtigkeitsanspruch der Verfassung, S. 169 ff. 70 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021, 1 BvR 2656/18. 71 Ebd., Rz. 146. 72 Ebd., Rz. 151 ff., 182. 67
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nerationen nicht noch mehr Verzicht zumuten als sich die heutige Generation selbst auferlegt73. Die Argumentation bleibt somit im Kern klassisch liberal, wenn auch mit erweitertem Zeithorizont. Das Staatsziel des Umwelt- und Klimaschutzes aus Art. 20a des Grundgesetzes genieße keinen unbedingten Vorrang und müsse „im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien“ gebracht werden. Allerdings nehme „das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu“74. Ob sich auf diese Weise die Politik der Gegenwart so zähmen lässt, dass sich die Gegenwart nicht am Ende wie Erysichthon selbst verschlingt? Auch hier trägt der Ruf der immer drängenderen Fragen viel weiter als die sorgsam abgewogenen Antworten der Juristen. III. Bilder des Staates Die bisherige Figurenwelt von der Antigone, Prometheus und Erysichthon, den Arbeitern im Weinberg und dem Großen Kurfürsten steht für die Gedankenwelt von Recht und Gerechtigkeit. Die literarischen Erzählungen führten von der Frage nach dem Ursprung des Rechts über die gerechte Sozialordnung bis zur Spannung von Individuum und allgemeinem Gesetz und der Verfassung als Zukunftsraum des Rechts. Nach diesen Erzählungen des Rechts wenden wir uns nun den künstlerischen Darstellungen vom Staat zu. Ein Pendant „Was ist Staat?“ zu seinem Einführungskapitel „Was ist Recht?“ sucht man in Hasso Hofmanns „Rechts- und Staatsphilosophie“ allerdings vergebens. Der Staat ist ein Elefant im Raum, den er nur vorsichtig umkreist. Seine Sache ist die Verfassung, nicht der Staat. Den beiden Herausgebern des „Handbuchs des Staatsrechts“ hat er einmal nichts weniger als Trotz und „empathisch geübte Wortmagie“ bescheinigt, weil sie als Titel für ihr Erläuterungswerk zum Grundgesetz nicht „Handbuch des Verfas-
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„Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Subjektivrechtlich schützen die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft.“ Ebd., Leitsatz Nr. 4. 74 Ebd., Rz. 198.
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sungsrechts“ wählten75. Trotzdem kommt auch Hofmann nicht um eine Auseinandersetzung mit dem so prägenden Staatsbegriff herum76. Er nähert sich diesem „unbegriffenen Begriff“77 aber mit einem Unbehagen an Staats- bzw. Nationalstaatserzählungen78. Die „Bilder des Friedens“ liefern dazu erste „anschauliche Kapitel der Staatsphilosophie“, so der Untertitel. Was zuerst auffällt: Nicht mehr Literatur, sondern die bildliche Kunst bieten Hasso Hofmann die künstlerischen Perspektiven auf Staatlichkeit. Den verschiedenen Stimmen und individuellen Schicksalen in der Literatur über Recht und Gerechtigkeit entspricht nun eine Interpretationsvielfalt in der Ausdeutung der Bilderwelt über den Staat. Der Genrewechsel ist dem Gegenstand geschuldet. Der Staat, trotz oder wegen seiner modernen Fassung des 19. Jahrhunderts als „juristische Person“, lässt sich eben weniger über literarische Personen erzählen. Es geht nicht mehr um gerechte Herrscher, sondern um eine bestimmte Form von Herrschaft. Die Darstellung löst sich von der individuellen Perspektive des einzelnen Schicksals und wird abstrakter. Da der Staat in seiner „unbegriffenen Begrifflichkeit“ weder auf treffende Begriffe noch auf eine passende Geschichte gebracht werden kann, betreten wir nun die europäische Welt der Allegorien, Metaphern und Staatsbilder. Metaphern schweben zwischen Abstraktion und Anschau75 Hasso Hofmann, Von der Staatssoziologie zu einer Soziologie der Verfassung?, in: Juristenzeitung 54 (1999), S. 1065 – 1074 (1066, 1069). Mit dieser Kritik am Staatsbegriff von Josef Isensee und Paul Kirchhof als Herausgebern des Handbuchs des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (7 Bde., 1987 – 1992) unterscheidet Hofmann sich auch von Rechtsphilosophen seiner Generation wie Ernst-Wolfgang Böckenförde, die am Staatsbegriff festhalten; vgl. nur Ernst-Wolfgang Böckenförde, Die verfassungstheoretische Unterscheidung von Staat und Gesellschaft als Bedingung der individuellen Freiheit, 1973. 76 Christoph Möllers, Staat als Argument (2000), 2. Aufl. 2011; Frieder Günther, Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949 – 1970, 2004. 77 Hasso Hofmann, Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet, in: Der Staat 44 (2005), S. 171 – 186 (177). 78 Allgemein zu Staatserzählungen Grit Straßenberger/Felix Wassermann (Hrsg.), Staatserzählungen. Die Deutschen und ihre politische Ordnung, 2018; Otto Depenheuer, Erzählungen vom Staat. Ideen als Grundlage von Staatlichkeit, 2011. Vgl. auch Wolfgang Schild, Formen der Visualisierung des Rechts, in: Michael Fischer/Paul Hoyningen-Huene (Hrsg.), Paradigmen. Facetten einer Begriffskarriere, 1997, S. 221 – 263.
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lichkeit, zwischen Begriff und Symbol79. Sie machen das „Unanschauliche anschaulich“80. Eben weil sie sich definitorischer Festlegung entziehen und sich in der jeweiligen Lebenswelt immer neuartige Möglichkeiten zur Vergegenwärtigung ihres Bildgehalts ergeben, bilden sie ein kreatives Reservoir. Gerade das Nicht-Festgelegte, die „Unbegrifflichkeit“ der Metapher, macht sie für Begriffsbildung und Begriffswandel produktiv81. Manche künstlerisch dargestellten Staatsmetaphern wie der „politische Körper“ und das „Staatsschiff“ halten sich dabei über die verschiedenen Epochen, andere wie der „Staat als Maschine“ sind epochenspezifisch und zeigen nur das Staatsbild einer bestimmten historischen Zeit82. 1. Der Körper des Leviathan als moderne Herrschaftsmaschine Das Bild des modernen Staates schlechthin ist das berühmte Titelkupfer, das 1651 den „Leviathan“ von Thomas Hobbes ziert (Abb. 1). Der „Leviathan“ nimmt die antike Metapher vom „politischen Körper“ auf und gibt dieser eine moderne Wendung. Sie vereint damit „Tradition und Traditionsbruch in einem Bild“83. Geboren aus dem Schrecken der Religions- und Bürgerkriege während des Dreißigjährigen Kriegs, flößt der Leviathan selbst Furcht ein, um Frieden zu stiften84. Damit steht Leviathan über Gut und Böse, denn bewusst deutet Hobbes hier
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Hans Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, 1979, S. 77, 89. Vgl. Hendrik Birus, Lemma Metapher, in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2: H–O, hrsgg. von Harald Fricke, 2007, S. 571 – 576. 80 Herfried Münkler, Politische Bilder. Politik der Metaphern, 1. Aufl. 1994, S. 126. 81 Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauern (Fn. 79), ebd.; Barbara StollbergRilinger, Der Staat als Maschine. Zur politischen Metaphorik des absoluten Fürstenstaats, 1986, S. 11. 82 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine (Fn. 81), S. 13. 83 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine (Fn. 81), S. 49. 84 Dazu Horst Bredekamp, Thomas Hobbes – Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder (1651 – 2001), 5. Aufl. 2020, S. 18 – 20 und 34. Bredekamp betont, dass der mutmaßliche Kupferstecher, der Prager Merian-Schüler Wenceslaus Hollar, mit seinen Stichen vom Bürger- und Religionskrieg in Böhmen und der symbolträchtigen Schlacht am Weißen Berg Hobbes beeinflusste.
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ein biblisches Ungeheuer und Symbol für Tyrannis um zum Friedensstifter und Sicherheitsgaranten Staat85.
Abb. 1: Thomas Hobbes, Leviathan. Or the Matter, Forme and Power of a Commonwealth, London 1651, Titelkupfer. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Leviathan_Hobbes%27_ Leviathan_%281651%29,_title-page_-_BL.jpg
Das Moderne am Leviathan als Friedens- und Sicherheitsstaat wird erst verständlich, wenn man diesen wie Hofmann als Gegenmetapher 85
Münkler, Politische Bilder (Fn. 80), S. 61.
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zu vormodernen Darstellungen von politischer Gemeinschaft versteht. Ein solches Gegenbild sind die mittelalterlichen „Bilder des Friedens“ mit den Allegorien der guten und der schlechten Regierung von Ambrogio Lorenzetti, die den Ratssaal der Stadt Siena ausschmücken86 (Abb. 2). Unter dem Schutz von Frieden und Gerechtigkeit beschreiten die Bürger von Siena ihren Weg in solidarischer Gemeinschaft – mit einem Band verbunden. Dieses Band steht für die concordia der voranschreitenden Stadtbürger87. Ihre Einmütigkeit entsteht erst in der gemeinsamen Bewegung, der gemeinsamen Aktion und Interaktion88. Dieser Eintracht ist also eine dynamische, auf die Zukunft gerichtete Perspektive eingeschrieben. Lorenzettis Allegorie wird so zum Argument: Eintracht und Einheit sind nichts Feststehendes, Gegebenes, sondern müssen durch gemeinsame Ziele, politische Abstimmungen und konsensuale Zusammenarbeit in einer arbeitsteilig organisierten Stadtbürgergesellschaft immer wieder neu politisch hergestellt werden89. Auf dem Fresko mit seinen strahlenden Farben sind tätige Händler und Handwerker, Bauleute und Bauern, tanzende Frauen und Mädchen sowie zur Jagd reitende Herren zu sehen90. Blühende Landschaften symbolisieren ein blühendes Gemeinwesen91. Das Seil des Konsenses als Sinnbild bürgerlicher Eintracht schlingt sich dabei um den Arm der übermenschlich großen Allegorie einer guten Regierung92. Ganz anders bei Hobbes. Ein gekrönter Fürst thront über einer menschenlosen Landschaft. Das Gesicht des Herrschers nimmt am Himmel den Platz der Sonne ein. Die Sonnenmetaphorik steht traditionell für die alles überstrahlende Gewalt Gottes und symbolisiert zu Zei86 Diese Entgegensetzung zwischen dem Bild des Leviathan und Lorenzettis Fresko findet sich fast zeitgleich auch bei Hofmanns Berliner Universitätskollegen Herfried Münkler, Politische Bilder (Fn. 80), und Horst Bredekamp, Hobbes (Fn. 84). 87 Hofmann, Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 18 f. 88 Dazu auch Hofmanns Auseinandersetzung mit Marsilius von Padua und der Vorstellung von Repräsentation in den norditalienischen Stadtrepubliken des 14. und 15. Jahrhunderts, Hofmann, Repräsentation (Fn. 28), S. 210 f. 89 Hofmann, Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 20. 90 Hofmann, Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 26. 91 Hofmann, Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 29. 92 Hofmann, ebenda.
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Abb. 2: Ambrogio Lorenzetti, Allegorie der guten Regierung, Siena 1338–1339, Fresco, Museo Civico di Siena. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Ambrogio_Lorenzetti_-_Allegory_ of_Good_Government_-_Google_Art_Project.jpg
ten Hobbes’ mit dem französischen „Sonnenkönig“ die absolute Hoheitsgewalt des frühneuzeitlichen Fürsten. In Hobbes’ Staatsbild verschwimmt so die künstliche Person des Staates mit der tatsächlichen Person eines Monarchen. Da Hobbes die Monarchie als natürliche und am wenigsten für Streit anfällige Staatsform ansieht, kommt das nicht überraschend93. Im Text seiner philosophischen Staatsbegründung des Leviathan lässt er die Wahl der Staatsform gleichwohl offen. Die künstliche Staatsperson sei „a man or an assembly of men“94; sie könne ein Einzelner oder eine Versammlung sein, also auch ein Parlament. Wenn Hobbes’ Leviathan oft als Verteidigung der absolutistischen Monarchie gelesen wird, so ist dies also keine notwendige theoretische Schlussfolgerung aus dem Text, entspricht aber dem suggestiven Titelkupfer95. 93
Vgl. dazu die oben bei Fn. 45 zu Prometheus bereits zitierte Passage zum Vergleich der drei Arten des Staates in der Schrift „Vom Bürger“. 94 Thomas Hobbes, Leviathan. Or the Matter, Forme, and Power of a Commonwealth Ecclesiastical and Civill, 1. Aufl. London 1651, Kap. XVII (S. 87). 95 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 141. Zu diesem Verhältnis von Text und Bild auch Horst Bredekamp, Souverän ist, wer mit den Bildern
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Die Attribute Schwert und Bischofsstab unterstreichen den metaphorischen Anspruch auf eine Allgewalt des Leviathan, die weltliche und geistliche Herrschaft bündelt: Hobbes’ Staat ist „a Mortal God […] under the Immortal God“96. In einem Gemeinwesen, das Frieden und Sicherheit gewähren soll, müssen alle Attribute politischer Gewalt und kirchlicher Autorität als höchste Machtfülle des einen irdischen Souveräns gedacht werden. Hobbes wird damit modellbildend für die moderne weltliche „Idee einer einzigen, einheitlichen und unteilbaren Staatsgewalt“ und der „Vorstellung, dass alle Fragen des Zusammenlebens […] von einem einzigen zentralen Punkt aus zu entscheiden seien“97. Der „sterbliche Gott“ entthront den Gott der Christen und tritt auf Erden an seine Stelle. Im europäischen Denken entstand so über die Jahrhunderte eine bemerkenswerte Parallele von Monotheismus und Monoetatismus98. Mit dieser Ausdeutung des „Leviathan“ als einheitliche, über ein bestimmtes Territorium gebietende Herrschaft sind mit Staatsgebiet und Staatsgewalt bereits zwei Charakteristika des europäischen Territorialstaates anschaulich gemacht. Das Titelkupfer vom landbeherrschenden Leviathan ist dabei sowohl im Gegensatz zum spätmittelalterlichen Personenverbandsstaat99, den frühneuzeitlichen Seehandels- und modernen Kolonialreichen als auch dem nationalsozialistischen Reichsbegriff interpretiert worden100. Machtfragen politischer Territorialität sind in Hofmanns Werk allerdings nicht der zentrale Bezugspunkt. Er beschränkt diese auf seine klassisch gewordene Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, der in der Mitte der 1930er am Leviathan den Unterschied von „terraner“ und „maritimer“ Herrschaft, Land und Meer entwickelt hatte101. Gegen das geopolitisch motivierte Raumraunen von Schmitt102 entscheidet, in: Straßenberger/Wassermann, Staatserzählungen (Fn. 78), S. 127 – 148 (132 f.). 96 Hobbes, Leviathan (Fn. 94), Kap. XVII (S. 87). 97 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 171. 98 Zum Zusammenhang von Monotheismus, alteuropäischem Personalismus und modernem Individualismus Hasso Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, in: Der Staat 37 (1998), S. 349 – 360 (352). 99 Münkler, Politische Bilder (Fn. 80), S. 59. 100 Hasso Hofmann, Legitimität gegen Legalität. Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, 1. Aufl. 1964, 6. Aufl. 2020, S. 228 ff. 101 Hofmann, ebd.
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richtet Hofmann seinen „menschenrechtlichen Einwand“103. In seinem Werk stellt er der Staatsgewalt stets die Frage nach den Menschen und ihren Rechten gegenüber. Komplett ist die Staats-Erzählung daher erst mit dem dritten Element des Staatsbegriffs, dem Staatsvolk. Es sind die kleinen Menschen, aus denen der Leib des Leviathan zusammengesetzt ist. Diese Bürger, die sich dem Staatskörper des Leviathan einzeichnen und einen kollektiven Schuppenpanzer bilden, sind keine mit einem gemeinsamen Band verbundene Gemeinschaft. Sie bleiben auch im großen Staatskörper isolierte Einzelne, die sich aus Furcht vor Gewalt und Tod zusammengeschlossen und gemeinsam die Maschine Staat erschaffen haben, um ihre individuelle Freiheit zu sichern. Der Leviathan-Staat als politischer Körper aller Bürger symbolisiert eine von rationalem Kalkül und individuellem Egoismus getragene Herrschaftsvertragsidee. Noch Immanuel Kant beschreibt den Staat in dieser Tradition als eine friedens- und freiheitsstiftende Konstruktion, die selbst „ein Volk von Teufeln“ bewerkstelligen kann104. Hobbes fasst den Staat unter Rückgriff auf das mechanistische Weltbild seiner Zeit als künstliche Maschine auf, die sich zwar aus einzelnen Menschen zusammensetzt, aber nicht von diesen gesteuert wird. Dieses Auseinanderdriften von Mensch und Maschine zeigt er auch bildlich105. Betrachten wir das Titelkupfer noch einmal genauer (Abb. 3). Nur der Körper des Leviathans wird aus den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern gebildet, die den Staatsriesen bis in dessen Fingerspitzen ausfüllen106. Das Haupt aber, das den großen Körper beseelt und die Glieder mit den Herrschaftsattributen Fürstenkrone, Zepter und Bischofsstab 102
Carl Schmitt, Land und Meer. Eine weltgeschichtliche Betrachtung, 1. Aufl. 1942, 6. Aufl. 2008; ders., Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes. Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, hrsgg. von Günter Maschke, 1982 (1. Aufl. 1938). 103 Reinhard Mehring, Der menschenrechtliche Einwand. Hasso Hofmanns Antwort an Carl Schmitt, in: Der Staat 47 (2008), S. 241 – 257. 104 Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Erster Zusatz: Von der Garantie des ewigen Friedens, hrsgg. von Heiner Klemme, 1992, S. 79. Zu diesem Aphorismus Michael Pawlik, Kants Volk von Teufeln und sein Staat, in: Jahrbuch für Recht und Ethik 14 (2006), S. 269 – 293. 105 Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine (Fn. 81), S. 53; Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 131. 106 Bredekamp, Leviathan (Fn. 84), S. 147.
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lenkt, steht über den Menschen und auch über Gesetz und Verfassung. Zwar unterstellt Hobbes, dass sich die bürgerlichen Gesetze des Staates und die natürlichen Rechte der Menschen deckten, doch gesteht er dem Souverän zu, alles zum Gesetz zu machen, was nicht dem Gesetz der Natur widerspricht, ohne dass eine andere Instanz darüber wacht107.
Abb. 3: Hobbes, Leviathan, Titelkupfer (Ausschnitt).
Als Maschine gleicht der Staat einem tickenden Uhrenwerk, dessen Räder aufgrund seiner rationalistischen Bauweise regelmäßig laufen sollen. Der Staat ist ein Werk von Regeln, nicht von Prinzipien. Diese radikal mechanistische Staatsphilosophie schließt Fragen des Gemeinwohls, der Gerechtigkeit und anderer höherer politischer Zwecke ausdrücklich aus108. Der Leviathan duldet keine Allegorien guter Regierung an seiner Seite und ist die „Negation der nomologischen Differenz“109: Ein Recht über dem Recht, das den staatlichen Herrschaftsanspruch in Frage stellen und das Ticken der Staatsmaschine für einen Augenblick stören oder gar zum Stillstand bringen könnte, darf es nicht geben. Autorität, nicht Wahrheit, schafft Recht und gibt dem Staat Frieden und Sicherheit, gerade in Hobbes’ von Religionskriegen zerrütteten Zeiten110. Die Berufung auf höheres göttliches, natürliches oder vernünftiges Recht wird den Einzelnen damit abgeschnitten – „wider allen Anti107
Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 138. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine (Fn. 81), S. 57. 109 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 135. 110 Hobbes, Leviathan (Fn. 94), Kap. XII und XXVI. 108
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gonen“111. Der „Wert“ in Hobbes’ Staat wird nicht durch Moral, sondern den Markt bestimmt. Hobbes wendet sich daher auch vom Gleichnis der Arbeiter im Weinberg und der Idee einer gerechten Vergütung individueller Arbeit ab: „als wäre es ungerecht, (…) jemandem mehr zu geben als er verdient!“112 Wenn die allgemeine Gerechtigkeit als Leitbild guter Staatsordnung ebenso ausgedient hat wie die philosophische Wertschätzung für konsensuales Handeln und damit die Eintracht im politischen Zusammenwirken113, ist Hobbes’ Leviathan als Gegenbild zu Lorenzetti nicht nur eine neue Darstellung politischer Herrschaft, sondern auch Ausdruck eines gewandelten Verständnisses von politischer Kultur: Konkurrenz, Konflikt und Machtentscheidung als Bedingung für die künstliche Maschine Leviathan im Unterschied zu politischer Kooperation, Aushandlung und Solidarität als Folge und Ideal gelungener Herrschaft in einer norditalienischen Stadtrepublik114. Von dem modernen Postulat individueller Freiheit und kollektiver Sicherheit seit Hobbes führt historisch und theoretisch allerdings kein Weg mehr zurück in die Ständegesellschaft Sienas mit ihren farbenfrohen Bildern einer guten, gerechten Regierung. Dennoch lässt es Hofmann nicht bei einer Verlustanzeige bewenden: Die allgemeine Gerechtigkeit, das Gemeinwohl und das konsensuale Aushandeln von politischen Lösungen können zwar heute nicht mehr so dargestellt werden wie auf Lorenzettis Fresko. Dies ist aber kein Grund, sie mit Hobbes aus der politischen Theorie und der Philosophie des Rechts zu verabschieden115. Sie müssen nur neu erzählt werden.
111 So die Formulierung bei Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 136. 112 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 133. Hobbes, Leviathan, zitiert nach der deutschen Ausgabe, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, übers. v. Walter Euchner, hrsgg. v. Iring Fetscher, 1. Aufl. 1966, 17. Aufl. 2020, Teil I Kap. 15, S. 115. 113 Vgl. Stollberg-Rilinger, Staat als Maschine (Fn. 81), S. 53. 114 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 135. 115 Gemeinwohl versteht er dabei als heuristische Fiktion: Hasso Hofmann, Verfassungsrechtliche Annäherungen an den Begriff des Gemeinwohls, in: Herfried Münkler/Karsten Fischer (Hrsg.), Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht. Konkretisierung und Realisierung öffentlicher Interessen, 2002, S. 25 – 42 (38).
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2. Die Unterordnung der Natur im Staatsbild Ein weiterer Einwand gegen das Hobbes’sche Staatsbild zielt auf das instrumentelle Verhältnis des künstlichen Staatskörpers zur Natur. Was hat es zu bedeuten, dass auf dem Kupferstich die kleinen Menschen zwar den Leviathan bilden, jedoch nicht die Landschaft bevölkern? Ist die Natur nur Objekt menschlicher Herrschaft? „Nature“ ist tatsächlich das erste Wort des Leviathan. Die Begriffe Natur, Mensch und Staat bestimmen als Dreiklang die erste Seite: Nature (the art whereby God hath made and governs the world) is by the art of man, as in many other things, so in this also imitated, that it can make an artificial animal. […] Art goes yet further, imitating that rational and most excellent work of nature, man. For by art is created that great Leviathan called a Commonwealth or State (in Latin Civitas), which is but an artificial man, though of greater stature and strength.116
Hobbes’ Verständnis der Natur als „Kunst, mit der Gott die Welt gemacht hat und lenkt“117, lässt zunächst eine Doppelbedeutung vermuten. In Anlehnung an die philosophische Unterscheidung von natura naturans und natura naturata kann die von Gott bereits geformte Natur oder die (unabhängig von Gott) noch zu formende Natur gemeint sein118. Auch der Mensch erscheint in dieser Eingangspassage des Leviathan in einer Doppelnatur. Einerseits ist er das „vernünftige, hervorragendste Werk der Natur“119, andererseits wird ihm die Fähigkeit zugesprochen, die Natur nachzuahmen, zu verändern und zu formen. Dieses Verhältnis von Mensch und Natur schlägt zugunsten des Menschen um, der als gottesebenbildlicher, künstlerischer und technischer Gestalter der Welt die Natur unter seine Herrschaft bringt. Eine unberührte, „natürliche“ Natur sucht man daher auf dem Titelkupfer vergebens: die Landschaft, in der ikonografischen Tradition eine „Weltlandschaft“120, ist in allen Winkeln vom Menschen geordnet. Die überraschende Menschenleere121 der Landschaft vor dem Leviathan – die 116
Hobbes, Leviathan (Fn. 94), Introduction (S. 9). Hobbes, Leviathan (Fn. 112), Einleitung (S. 5). 118 Bredekamp, Hobbes (Fn. 84), S. 58. 119 Hobbes, Leviathan (Fn. 112), Einleitung, S. 5. 120 Bredekamp, Hobbes (Fn. 84), S. 15, 17, 46. 121 So Bredekamp, Hobbes (Fn. 84), S. 110. 117
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ganz anders ist als die mit prallen Lebensbildern belebte Landschaft Lorenzettis – wird vor diesem Hintergrund verständlich. Diese Entgegensetzung von Mensch und Natur, die Verschmelzung von Herrschaft und Naturbeherrschung interessiert Hofmann als philosophisches Problem von Recht und Verfassung, als europäische Ideengeschichte und als umweltpolitische Frage122. Seine Kritik an einem Naturverständnis à la Hobbes entzündet sich an der „anthropozentrischen Geringschätzung der natürlichen Umwelt als eines vermeintlich unerschöpflichen Materials“, wie er in seinem Aufsatz „Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive“ (1998) ausführt123. Hofmann betont die lange vergessene Rolle der Religion im politischen Denken und verweist auf die jüdischchristliche, monotheistische Tradition eines personenhaften Schöpfergottes, die den Menschen als „Krone der Schöpfung“ und gottesebenbildlich religiös auszeichnet. Aus dieser „Gotteskindschaft“ des Menschen entstand der europäische Individualismus als Vorstellung einer universellen Gleichheit aller Menschen mit einer besonderen Würde, die ihn gegenüber allen anderen Wesen der Schöpfung hervorhebt. Mit dieser Erhöhung des Menschen geht eine potentielle Erniedrigung alles Nicht-Menschlichen einher. Die „Gottesebenbildlichkeit“ wird zur Ermächtigung des Menschen, die Welt zu beherrschen und die Natur zu unterwerfen. Im politischen Denken verlieren sich später diese religiösen Bezüge. Mit der „Entheiligung der Welt“ denaturiert der Kosmos „zur Menschenwelt, schrumpft zur Umwelt“124. Was bleibt, ist der Mensch mit seinen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, der sich – ganz im Geiste des Prometheus – weiter zur Naturbeherrschung ermächtigt glaubt, durch einen zivilisatorischen Fortschritt darin bestätigt sieht und für die Naturunterwerfung auch den Staat zu nutzen weiß125. Erst mit den verheerenden Umweltfolgen menschlicher, vermeintlich rationaler Tätigkeit, aber auch der neuen Leitwissenschaft der Evoluti122 Hasso Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, in: Der Staat 37 (1998), S. 349 – 360; ders., Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, in: Juristenzeitung 43 (1988), S. 265 – 278. 123 Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis (Fn. 122), S. 358. 124 Hofmann, Natur und Naturschutz (Fn. 122), S. 268. 125 Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis (Fn. 122), S. 356, 358.
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onsbiologie, die den Menschen als Säugetier unter Säugetieren mit gleichen Genmodulen desselben Baukastens wahrnimmt, beginnt dieses alteuropäische Menschenbild zu wanken. Dies hat schließlich Folgen für den heutigen Verfassungsstaat, der noch auf dem Pathos eines Menschenbilds aufgebaut wurde, das den Menschen in seiner Freiheit und Würde aus der Natur heraushebt. Es mache, so Hofmann, „keinen rechten Sinn mehr, die Würde des autonomen Individuums in Opposition zu der von ihm vermeintlich souverän beherrschten außermenschlichen Natur zu definieren.“126 Hobbes’ Grundsatz, dass das staatliche Recht von den Bürgern nicht als Verletzung empfunden werden kann, da sie sich willentlich zu diesem künstlichen Machtkörper zusammengeschlossen haben, kann somit allenfalls für die menschlichen Herrschaftsbeziehungen gelten. Er kann aber nicht ausschließen, dass einer vom Menschen „beherrschten“ Landschaft, Natur und Umwelt Unrecht geschieht. Zur auch heute wieder aktuellen, philosophischen und juristischen Frage, ob die Natur eigene Rechte haben und darin „verletzt“ werden kann127, äußert sich Hofmann 1988 jedoch skeptisch. Menschengleiche Schutzrechte für die Natur, die wie für Minderjährige oder Geisteskranke durch eine Vormundschaft geschützt werden sollten, hält er – mit einem bedauernden „leider“ – rechtlich nicht für begründbar128. Er legt den Schwerpunkt stattdessen auf den Naturschutz als „ganzheitliche Ökologie“ mit Blick auf die menschlichen Bedürfnisse des Überlebens, auch „diachron im Horizont der Zukunft gedacht“.129 Soll ein Bild des Staates dies veranschaulichen, so müssen daher auch die nachgeborenen Menschen in den Kreis derer aufgenommen werden, die mit ihren kleinen Körpern den großen künstlichen Körper des Staates erst entstehen lassen und legitimieren. In seiner Skepsis gegenüber einem mechanistischen Staatsverständnis, das die Natur nur als Gegenstand menschlicher Herrschaft bebildern kann, lässt sich Hofmann auch von einem außereuropäischen Rechtsdenken inspirieren. Er verweist auf Rechtskulturen, die „nicht 126
Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis (Fn. 122), S. 359. Zur aktuellen Debatte Frank Adloff/Tanja Busse (Hrsg.), Welche Rechte braucht die Natur? Wege aus dem Artensterben, 2021; Bernd Ladwig, Politische Philosophie der Tierrechte, 2020. 128 Hofmann, Natur und Naturschutz (Fn. 122), S. 277. 129 Hofmann, Natur und Naturschutz (Fn. 122), S. 278. 127
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oder weniger stark von mechanistischem Denken, Ich-Philosophie und einem Sozialmodell miteinander konkurrierender Individuen“ geprägt sind130. Die Trennung von Mensch und Natur in der Staatsphilosophie bezeichnet Hofmann vor japanischen Verfassungstheoretikern dabei als so europäisch wie überholt131. Mit seinen Aufsätzen „Natur und Naturschutz“ sowie „Naturverständnis und Menschenwürde“ schließt sich auch ein wissenschaftsbiographischer Kreis. Er verneigt sich mit seiner europäischen Ideengeschichte des Naturbegriffs vor seinem Lehrer Karl Löwith und dessen Werk „Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik“132. Mit dem gewählten Ort seines Vortrags in Tokio würdigt er zugleich die ganz eigene Kultur von Japan, Löwiths vorübergehendem Exilland im Zweiten Weltkrieg133, mit der Vielfalt seiner Götterwelt, die besonders im Shintoismus auch die Naturkräfte religiös verehrt. 3. Das menschliche Antlitz und der homogene Staat Das Unbehagen Hasso Hofmanns am modernen Begriff des einheitlichen Staates speist sich nicht nur aus der Verschränkung von politischer Herrschaft und Naturbeherrschung. Die Zweifel wurzeln mehr noch in der Verschränkung von Staatseinheit und der Erwartung an einen „homogenen Staat“, die gerade das Titelkupfer sichtbar macht. Die Menschen, die den Staatskörper ausmachen, haben ihre Gesichter abgewendet und sind nur von hinten zu sehen. Der Ausdruck der Einzigartigkeit eines jeden Einzelnen, das Antlitz, ist nicht sichtbar. Es sind ununterscheidbare Männer mit Hut und Frauen im Kopftuch, deren Kleidung sie einander gleich macht und die sich gegenseitig nicht an-, sondern gemeinsam zum Leviathan aufblicken. Die Darstellung des Leviathan betont so die Gleichheit der Einzelnen als Staatsbürger und 130
Hofmann, Menschenwürde und Naturverständnis (Fn. 122), S. 356. Wenn sich Hofmann von einer Überhöhung des Menschen gegenüber dem „Natürlichen“ abwendet und dennoch an der besonderen „Würde“ des Menschen als Grundbestand der Verfassung festhält, so zieht dies freilich einen neuen Kreis von Fragen nach der Begründbarkeit der Menschenwürde nach sich. Dazu Hasso Hofmann, Die versprochene Menschenwürde, in: Archiv des öffentlichen Rechts 118 (1993), S. 353 – 377. 132 Karl Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Metaphysik von Descartes bis zu Nietzsche, 2. Aufl. 1967. 133 Birgit Pansa, Juden unter japanischer Herrschaft. Jüdische Exilerfahrungen und der Sonderfall Karl Löwith, 1999. 131
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blendet ihre Unvergleichlichkeit als Individuen mit einem persönlichen Antlitz bewusst aus134. Hofmann stört sich an diesem Bild des einen homogenen Staates, die sich von der Vielfalt der kleinen Menschen loslöst und diese Vielfalt geradezu negiert135. Sein eigenes Verfassungsideal umfasst „mehr als die wechselseitige Achtung des Lebens, der Unverletzlichkeit und der Freiheit im negativen Sinne gegenseitiger Ungestörtheit, es fordert die Anerkennung des anderen in seiner Eigenart und individuellen Besonderheit mit allem, was er als Teil des Ganzen einbringt.“136 Seine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Verbrämung von Hobbes’ Intentionen des „absoluten Staates“ zum „totalen Staat“ bei Carl Schmitt sind in diese Haltung eingeflossen137. Die „nachhaltige Wirkung des unbegriffenen Begriffs ,Staat‘ “138 zeichnet Hofmann mit feinen Strichen bis in die jüngste bundesrepublikanische Gegenwart nach. Noch das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993, in dem sich das Karlsruher Gericht die Kontrolle über das vertragsgerechte Verhalten der europäischen Organe vorbehält, verpflichtete sich nach 134 Zu Blickrichtung und Augenkommunikation von Bürgern und Souverän im Bild des Leviathan s. Horst Bredekamp, Bild, Recht, Zeit. Ein Plädoyer für die Neugewinnung von Distanz, 2021, S. 25 ff., mit einem Vergleich des Titelbildes von Hobbes’ englischer (1651) und französischer (1652) Ausgabe. Zur Rechtsphilosophie von Derrida und Lévinas, die Fragen von Recht und Gerechtigkeit nicht aus dem Bild des abstrakten „Staatsbürgers“, sondern aus dem Antlitz und der Einzigartigkeit des Anderen entwickeln, s. Emmanuel Lévinas, Zwischen uns. Versuche über das Denken an den Anderen, 1995, S. 262; Osterkamp, Juristische Gerechtigkeit (Fn. 69), S. 254 ff., 267 ff.; Christoph von Wolzogen, Emmanuel Lévinas. Denken bis zum Äußersten. 2. Aufl. 2017. 135 Hofmann, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 4), S. 142. 136 Hofmann, Die versprochene Menschenwürde (Fn. 131), S. 377. Hofmann formulierte dieses „Gründungsversprechen“ einer idealen Rechtsgemeinschaft in seiner Antrittsvorlesung an der Berliner Humboldt-Universität im Januar 1993. Als Vizepräsident der von Ost- und Westdeutschen gebildeten Universität setzte er sich damit auch hochschulpolitisch für gegenseitige Anerkennung und Respekt vor der Eigenart des Anderen ein. Die beiden letzten Sätze der Vorlesung „Wir sind gegenwärtig davon weit entfernt. Machen wir uns auf den Weg.“ (ebd.) beziehen sich sowohl auf den Mikrokosmos der Universität als auch auf den Makrokosmos eines Landes, dessen Menschen nach Jahrzehnten der Trennung wieder zusammenfinden mussten. 137 Hofmann, Legitimität gegen Legalität (Fn. 100), S. 200 – 203; vgl. auch Mehring, Der menschenrechtliche Einwand (Fn. 103), S. 245. 138 Hofmann, Souverän ist (Fn. 77), S. 177.
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seiner Lesart neben dem Grundgesetz einem überkommenen Nationalstaatsbegriff und verteidigt die Idee eines „homogenen“ Staatsvolks139. Hofmann fragt, ob solche Begriffe gerade angesichts der integrierten Verfassungsstaaten Europas nicht längst hinfällig geworden seien140. Unter den Bedingungen des geeinten Europa sieht Hofmann keinen anderen Weg, als sich von Hobbes’ Staatsbegriff und der entsprechenden Bilderwelt zu verabschieden: „Der große Leviathan als politischstaatsrechtliches Paradigma hat ausgedient“141. Mit der Rhetorik von nationalstaatlicher Einheit und Homogenität, die nach Innen in Ausgrenzung und nach Außen in Aggression umschlagen kann, löse man heute keine Konflikte mehr, schreibt er im Jahr 2005, sondern nur mit permanenten Verhandlungen142. Notfalls durchgesetzt von einer internationalen Rechtsgemeinschaft. Hofmanns Wertschätzung für ein konsensuales und plurales Politikverständnis wird hier noch einmal deutlich143. Wenn Staatserzählungen zu „Wortmagie“ gerinnen, ist er bereit für Schlussstriche. Zu den Aufgaben der politischen Philosophie gehört es für ihn auch, eine künstlich geschaffene Kreatur wieder einzufangen, wenn ihre historische Zeit abgelaufen ist – oder sie so zu modifizieren, dass sie wieder zur eigenen Zeit passt. 4. Vom allmächtigen Staatsriesen zum föderalen Staatsschiff Eine von Hobbes inspirierte Staatstheorie mit ihrer Idee der einen Staatsperson findet ihre Grenze besonders an der Wirklichkeit mehrstufiger Herrschaftsordnungen144. In das Bild des Leviathan lassen sich weder 139 Das Bundesverfassungsgericht postuliert dort, dass sich in Europa das „jeweilige Staatsvolk in einem von ihm legitimierten und gesteuerten Prozeß politischer Willensbildung entfalten und artikulieren kann, um so dem, was es – relativ homogen – geistig, sozial und politisch verbindet (vgl. hierzu H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, Gesammelte Schriften, 2. Band, 1971, S. 421 [427 ff.]), rechtlichen Ausdruck zu geben.“ BVerfGE 89, 155 (186). 140 Hofmann, Staatssoziologie (Fn. 75), S. 1066, Fn. 18. 141 Hofmann, Souverän ist (Fn. 77), S. 186. 142 Hofmann, Souverän ist (Fn. 77), S. 186. 143 Hofmann, Bilder des Friedens (Fn. 2), S. 20 f. 144 Zum passenden Bild des „entmachteten Leviathan“ der gleichnamige Sammelband und insbesondere Maurizio Bach, Jenseits der Souveränitätsfiktion. Der Nationalstaat in der Europäischen Union, in: ders. (Hrsg.), Der entmachtete Leviathan. Löst sich der souveräne Staat auf ?, 2013, S. 104 – 124.
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die beachtliche Geschichte der zahlreichen historischen Föderationen und Unionen der Neuzeit und Moderne noch das geeinte Europa von heute hineinlesen. Überzeugend ist mehrstufige Herrschaft nicht als Nebeneinander von Landschaften vorstellbar, über die jeweils ein Leviathan wacht. Auch die Bürger, die zwei oder mehr politischen Körpern angehören, lassen sich nicht als Teile eines einzigen Gesamtleibs abbilden. Was folgt aber dem Bild des Leviathan nach, wenn die souveräne, Mensch und Natur beherrschende einheitliche Staatsgewalt und die Anschaulichkeit ihrer Bilderwelt ausgedient haben145? Charakterisiert das geeinte Europa eine hilflose Bilderlosigkeit oder beliebige Bilderflut? Haben wir für zentrale Phänomene der Herrschaftsorganisation in Europa keine prägenden Bilder mehr? Mit der Suche nach Allegorien für mehrstufige Herrschaftsordnungen entfernen wir uns von Hofmanns Erzählungen. Wir wechseln vom Staatsriesen zum Staatsschiff. Etymologisch geht das englische, lateinische und griechische Wort für Regieren (govern, gubernare, kybernein) auf die nautische Wortbedeutung des Steuerns zurück146. Schon bei Platon findet sich die Metapher des Staatsschiffs, dessen Steuermann weder der König noch das Volk, sondern ein hellsichtiger Philosoph sein soll147. In späteren Darstellungen wird dieser Philosoph am Steuer wieder vom König, römischen Kaisern und europäischen Monarchen verdrängt 148. Auch die Kirche macht sich für ihren Anspruch auf Alleinherrschaft das symbolische Herrschaftsschiff zu eigen149.
145 Der „Leviathan“ wurde in der Staatskunst der Moderne vielfach modifiziert: 1919 bildeten amerikanische Soldaten den Körper ihres Präsidenten Woodrow Wilson nach; 1931 schuf El Lissitzky einen Lenin, dessen Gesicht durch die Teilnehmer einer Versammlung belebt wird; schließlich wurde die neue Glaskuppel des Berliner Bundestags als Metapher interpretiert, den Kopf des Leviathan für die Bürger transparent und begehbar zu machen: Bredekamp, Leviathan (Fn. 84), S. 153 ff. 146 Edward Jenks, The Ship of State. Essentials of Political Science, 1949, S. 22 f. 147 Platon, Der Staat. Über das Gerechte, übers. v. Otto Apelt, 1989, S. 92 (389 c und d sowie 489 c). 148 Eckart Schäfer, Das Staatsschiff. Zur Präzision eines Topos, in: Peter Jehn (Hrsg.), Toposforschung. Eine Dokumentation, 1972, S. 259 – 292 (285). 149 Ebd.
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Zu einem künstlerischen Ausdrucksmittel für die Konkurrenz von mehreren Herrschaftsansprüchen wird das Staatsschiff besonders im 16. Jahrhundert, als Europa unter den Machtkämpfen zwischen Papst und Kaiser und innerhalb der Kirche ächzt. Im neuartigen Medium leicht reproduzierbarer Druckgrafiken wird dieser Widerstreit konkurrierender Kapitäne als ein Kampf von Staats- und Kirchenschiffen bildlich dargestellt150. Ein Blatt zeigt ein Einheitsschiff von Staat und Kirche, das unter dieser Bürde entzweibricht und sinkt. Ein anderes gleich große Schiffe von Kirche und Staat. Für die Darstellung der konfessionellen Spaltungen greifen Künstler ebenfalls auf die Schiffsmetapher zurück. Unter Anspielung auf die Arche Noah ist auf einer Grafik zu sehen, wie sich Protestanten und Katholiken wechselseitig von ihren Booten werfen151. In der geistlichen Ikonografie geht es auch um neue Formen der Herrschaftsbeteiligung: Im protestantischen, vom Gedanken der Gemeinde und nicht des Papsttums geprägten Schiff darf nicht nur der Kapitän, sondern auch die Schiffsbesatzung den Kurs mitbestimmen152. Die Metapher des Staatsschiffs eignet sich nicht nur, um den unterschiedlichen Kurs konkurrierender Kapitäne zu illustrieren. Sie zeigt auch in nautischer Schlüssigkeit, dass sich die Gefahr eines Schiffbruchs nur vermeiden lässt, wenn Kapitän und Besatzung über Ziel und Kurs einig und sich dessen bewusst sind, buchstäblich in einem Boot zu sitzen. So wie das Seil des Konsenses auf Lorenzettis Fresko, so eignet sich daher das Staatsschiff besonders für die Darstellung von Konsens und Kooperation. Die künstlerischen Möglichkeiten, das Staatsschiff auszuschmücken, dem Steuermann und der Besatzung neue Rollen zu geben sowie Details wie die Anzahl der Segel, den Kurs oder die Schiffstüchtigkeit auf hoher See zu verändern, öffneten diese Metapher schließlich für eine Darstellung föderaler Vielfalt als einer besonderen Form politischer Kooperation. Zu Beginn der künstlerischen Auseinandersetzung mit mehrstufigen Herrschaftsordnungen steht noch die Vielfalt der Territorien im Vordergrund. Auf einem Druck von 1558 werden die frühneuzeitlichen Herr150 Stephan Leibfried/Wolfgang Winter, Kirchen- und Staatsschiffe zwischen Reformation und Gegenreformation im 16. Jahrhundert. Segel hissen für die moderne Staatlichkeit, 2013. 151 Leibfried/Winter, Kirchen- und Staatsschiffe (Fn. 150), S. 20 f. 152 Leibfried/Winter, Kirchen- und Staatsschiffe (Fn. 150), S. 7.
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schaftsterritorien im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation beispielsweise durch das Hissen verschiedener Flaggen auf dem Staatsschiff symbolisiert153. Das Nebeneinander der Flaggen macht den Begriff der Föderation allerdings nur bedingt anschaulich. Föderalismus ist mehr als die Vervielfältigung von Staatssymbolen am Schiffsmast. Nicht nur die Vielfalt der Territorien, sondern auch der Völker, Landschaften und ihrer Geschichte machen eine Föderation aus. In den 1790er Jahren bedient sich Thomas Jefferson der Metapher des Staatsschiffs, um Elemente des Föderalen in der neuen amerikanischen Verfassungsordnung zu beschreiben. Der demokratisch-föderale Zusammenhang Amerikas erscheint bei ihm in flexibler nautischer Metaphorik mal als „gemeinsamer Boden“, mal als „rettender Anker“ im Sturm der Geschichte154. Ein weiteres Beispiel für ein föderales Staatsschiff, das anspielungsreich auch die gesellschaftliche Vielfalt bebildert, stammt aus dem 19. Jahrhundert. Es bezieht sich auf die Habsburgermonarchie – ein „Europa im Kleinen“, wie sie oft genannt wurde. Knapp 300 Jahre nach dem Leviathan und 600 Jahre nach Lorenzettis Fresko erscheint in Wien 1849 die Lithographie „Barke mit der Austria, Kaiser Franz Joseph I. und den Allegorien der Kronländer“ des liberalen Künstlers August Strixner155 (Abb. 4). Auch dieses „Bild des Friedens“ geht aus einem Krieg hervor. Nach der mit Waffengewalt niedergeschlagenen österreichischen Revolution von 1848 und den Separationskriegen in Ungarn und Italien entwirft die Lithographie ein friedvolles Gemeinwesen, in dem der habsburgische Herrscher mit einer föderalen Verfassung die Kräfte sammelt. Die römische Kleidung und die cäsarenhafte Figur leiten die Herrschaft des frisch gekrönten Kaisers Franz Joseph aus einer „translatio imperii“ her, die beim Römischen Reich beginnt und über das Heilige Römische Reich deutscher Nation bis hin zu Franz Joseph führt.
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Leibfried/Winter, Kirchen- und Staatsschiffe (Fn. 150), S. 23. Charles A. Miller, Ship of state. The nautical metaphors of Thomas Jefferson, with numerous examples by other writers from classical antiquity to the present, 2003, S. 34 und 39. 155 Dazu und zum Folgenden Jana Osterkamp, Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918), 2. Aufl. 2021; zur Lithographie Selma Krasa-Florian, Allegorie der Austria. Die Entstehung des Gesamtstaatsgedankens in der österreichisch-ungarischen Monarchie und die bildende Kunst, 2007, S. 78. 154
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Abb. 4: August Strixner, Barke mit der Austria, Kaiser Joseph I. und den Allegorien der Kronländer, Wien 1849, Lithographie, ÖNB/Wien Pk 3003, 1196.
„Viribus unitis“ lautet das am Mast wehende Krönungsmotto. Bereits diese Losung markiert die Unterschiede zum Leviathan: Der Monarch ist nicht selbst souverän, sondern metaphorisch in ein Staatsschiff eingebunden und rechtlich in einen Verfassungsstaat hineingestellt. Nicht er, sondern die Allegorie des Gesamtstaates „Austria“ gibt den Kurs mit Blick auf die versprochene „Constitution“ vor. Der Herrscherabsolutismus eines Hobbes ist hier der Idee der konstitutionellen Monarchie gewichen156. Staatlichkeit wird dabei auch nicht mehr über die Natur gestellt, sondern in diese eingebunden und von ruhig dahingleitenden Wellen getragen. Kaum ein Lüftchen umspielt dieses Staatsschiff, das nicht auf drohende Gefahren hinsteuert. Auf See herrscht Ruhe nach dem Sturm der Revolution, in den Gesichtern der Schiffsrei-
156 Zu der auf den Deutschen Bund zurückgehenden Tradition Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert (1967), in: ders., Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, 1991, S. 273 – 305.
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senden ruhen die politischen Leidenschaften, die das Staatsschiff vorwärts bewegen oder aber – bis zum Schiffbruch – gefährden können157. Die Bilderzählung der „Barke“ wendet die Metapher des Staatsschiffs ins Föderale. Ohne jeden dramatischen Seegang, im ruhigen Fahrwasser werden dem Betrachter die komplexen Beziehungen zwischen dem männlichen Monarchen, der Verfassungsallegorie „Austria“ sowie den weiblichen Länderallegorien vorgeführt158. Die Personalisierung des Staates vervielfacht sich in den detailverliebten Darstellungen der einzelnen Länder und eröffnet nun unterschiedliche Perspektiven auf Staatlichkeit. Auch die Gerechtigkeit wird nicht vergessen: Die Galionsfigur mit der Schriftrolle „Justitia“ am Bug gibt dem Staatsschiff ebenso die Richtung vor wie die Verfassungsallegorie im Heck. Gerechtigkeit im föderalen Staat wird dabei als Gleichheit imaginiert – eine Gleichheit verschiedener Bevölkerungsgruppen und Nationalitäten sowie der verschiedenen historischen Regionen und Länder, die alle in einem Boot sitzen. Die föderale Gleichheit der Länder im Staatsschiff unterscheidet sich bildlich von der Gleichheit der einzelnen Menschen, die den Leib des Leviathan bilden. Jene waren voneinander nicht zu unterscheiden, die Länderallegorien sind hingegen mit charakteristischen Attributen ausgestattet. Nicht unterschiedslose Gleichheit, sondern die Gleichheit im Unterschied wird hier gezeigt. Die Allegorie Tyrolia trägt als wehrbereites Grenzland eine Waffe in der Hand. Die Allegorie Mähren lässt mit einer Getreidegarbe im Arm keine Sorge vor leeren Kornkammern aufkommen. Die teuren, fremdartigen Kleider der Lombardei und der Venezia erinnern an den reichen Handel im norditalienischen Österreich. Die bäuerliche Tracht der Woiwodina verbindet sich mit kargen Grenzlandschaften. Anschaulich wird damit auch ein konservativer Charakterzug des Föderalismus, der – anders als der abstrakte Individualismus eines Hobbes – bestehende regionale, soziale, wirtschaftliche, nationale und religiöse Unterschiede bewahren will.
157 Bildlich liegt hierin ein Gegensatz zur Aufklärung, die „Sturm“ und „Schiffbruch“ als Preis für das Streben nach Höherem in Kauf nahm, Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer (Fn. 79), S. 30. 158 Zur geschlechtergeschichtlichen Interpretation der Staatsschiffs-Metapher vgl. Norma Thompson, The Ship of State. Statecraft and Politics from Ancient Greece to Democratic America, 2001.
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In der föderalen Spannung von Vielfalt und Einheit, historischer Ungleichheit und rechtlicher Gleichberechtigung sieht sich das föderale Bewahren von Unterschieden häufig dem Vorwurf ausgesetzt, Ungleichheit zu zementieren, Fortschritt zu verzögern und schlanke Staatsstrukturen unmöglich zu machen. Dieser Vorwurf trifft historische, zwischen Föderation und Imperium schwankende Ordnungen wie die Habsburgermonarchie in besonderer Weise, in denen der Gegensatz zwischen dem politischen Kernraum und den peripheren Grenzländern besonders ausgeprägt ist159. Kann es hier eine „richtige“ föderale Gleichheit in der „falschen“ politischen Kultur des Imperialen geben? Die Lithographie ist erstaunlich ehrlich und bildet die Länder als rechtlich Gleiche in der Konstellation historischer Ungleichheit ab. Den inneren Zirkel um den Monarchen bilden sechs Länder, die dynastisch, politisch, wirtschaftlich und kulturell das Reich im Kern ausmachen. Die anderen Länder sind weiter entfernt oder wenden sich ab und scheinen nicht zugehörig. Das föderale Verfassungsprogramm kollidiert ganz offensichtlich mit der asymmetrischen Verfassungswirklichkeit. Das „Staatsschiff“ zeigt beide Aspekte und damit mehr, als es der bloße Begriff des Föderalen vermag. Die Personalisierung der Länder in der habsburgischen Staatskunst erfährt kurze Zeit später noch eine Apotheose. Nach dem gescheiterten Attentatsversuch auf den jungen Kaiser 1853 veröffentlicht der Hof ein neues Blatt. Die Verfassung von 1849 war zu diesem Zeitpunkt längst zurückgenommen, Franz Joseph rechtfertigt seine neoabsolutistische Herrschaft stattdessen aus dem Gottesgnadentum und lässt nach dem überstandenen Attentat eigens die Wiener Votivkirche erbauen160. Auf einer offiziellen Druckgrafik dieser Zeit treten die himmlischen Heerscharen um die Gottesmutter Maria sowie – für jedes Land der Monarchie – auch die christlichen Landespatrone schützend an seine Seite. Diese christliche Überhöhung der Kronländer zum Wohle des Kaisers 159 Zum „imperialen“ Zentrum-Peripherie-Gegensatz in der Habsburgermonarchie vgl. Pieter M. Judson, L’Autriche-Hongrie était-elle un empire? In: Annales. Histoire, Sciences Sociales 63/3 (2008), S. 563 – 596. 160 Harm-Hinrich Brandt (Hrsg.), Der österreichische Neoabsolutismus als Verfassungs- und Verwaltungsproblem. Diskussionen über einen strittigen Epochenbegriff, 2014; Otto Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl. 1968, S. 160 – 186.
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bringt keine Vielheit der Götter wie in Japan in die europäische Staatskunst, aber zumindest eine Vielheit unterschiedlicher Heiliger auf das Bild. Auch in dieser Hinsicht ist dies ein Gegenpol zur einheitlichen Staatsgewalt des Leviathan. Die Staatskunst des habsburgischen „Europa im Kleinen“ eignet sich gewiss nicht, um das große Europa von heute zu bebildern. Um das geeinte Europa anschaulich zu machen, bedarf es neuer Erzählungen161. Das blaue Banner mit den Sternen bekräftigt unsere Bilder- und Sprachlosigkeit eher als dass es sie behebt. Einen von der Öffentlichkeit vergessenen Versuch stellt ein Plakat des dänischen Künstlers Reyn Dirksen dar, der Europa erneut als gemeinsames Staatsschiff entwarf 162 (Abb. 5). Er gewann damit 1950 einen Wettbewerb der Marshall-Stiftung zur geplanten Einigung Europas. Sein Staatsschiff ist auf das Nötigste reduziert: Es besteht nur aus den Lettern „Europa“, darüber schweben die nationalen Fahnen – ein neues, utopisches und gleichzeitig vertrautes Staatsbild. Alle Mitgliedstaaten setzen ihr jeweiliges Segel, treiben das gemeinsame Schiff durch unruhiges Gewässer voran und halten es zusammen auf Kurs. Es lässt sich als Sinnbild für die künftige Kooperation in einer gemeinsamen Föderation verstehen163. 50 Jahre später wird es vom amerikanischen Harvard-Politologen Andrew Morawcsik für seinen Klassiker „A choice for Europe. Social Purpose and State Power from Messina to Maastricht“ als Titelbild adaptiert. Einige Flaggen wurden eingeholt, andere neu gehisst, um der politischen Lage Europas im Erscheinungsjahr 1998 zu entsprechen. Weil das Schiff nur durch symbolische Lettern, nicht durch eine tatsächliche Konstruktion zusammengehalten werde, steht es ihm zufolge aber auch für den fehlenden staatsrechtlichen Zusammenhalt Europas. In diesem Sinne verkörpere es gerade keine Föderation164. 161 Herfried Münkler, Auf der Suche nach einer neuen Europaerzählung, in: Straßenberger/Wassermann, Staatserzählungen (Fn. 78), S. 169 – 196. 162 Stephan Leibfried/Susan M. Gaines/Lorraine Frisina: Through the Funhouse Looking Glass. Europe’s Ship of States, in: German Law Journal 10 (2009) S. 309 – 334; Stephan Leibfried/Karin Elderen, „And they shall Beat their Swords into Plowshares“ – The Dutch Genesis of a European Icon and the German Fate of the Treaty of Lisbon, in: German Law Journal 10 (2009), S. 1297 – 1308. 163 Leibfried/Gaines/Frisina: Through the Funhouse Looking Glass (Fn. 162), S. 317. 164 Leibfried/Gaines/Frisina: Through the Funhouse Looking Glass (Fn. 162), S. 319.
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Abb. 5: Reyn Dirksen, All Our Colours to the Mast, Plakat im Wettbewerb der Marshall-Stiftung, 1950. Private Collection/Bridgeman Images
Ein vergleichender Blick auf die habsburgische Barke macht deutlich, warum es so schwer ist, das heutige Europa anschaulich zu machen. Auch in Europa heute sitzen wir zwar alle im selben Boot und haben uns gemeinsamen Zielen verschrieben, die am Mast oder Bug eines europäischen Staatsschiffs befestigt werden können. Was fehlt, ist eine Verfassung, die alle auf Kurs bringen könnte. Was für die Anschaulichkeit fehlt, ist zudem die Vorstellung einer höchsten Instanz. Der Kaiser im römischen Habit lässt sich nicht durch eine Kommissionspräsidentin im Kostüm ersetzen. Dass die von manchen geforderte christliche Apotheose Europas ebenfalls fehl geht, versteht sich angesichts von
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multireligiösen und zu weiten Teilen agnostischen bzw. atheistischen Gesellschaften von selbst.165 Ein prägnantes Bild fehlt nicht nur deshalb, weil Europa sich bisher keine Verfassung gegeben hat. Die Hilflosigkeit der Kunst bei der Veranschaulichung der europäischen Ordnung spiegelt auch die oft hilflose Auseinandersetzung damit wider, was diese Ordnung eigentlich ausmacht. Manche Künstler haben sich vor dieser Sprachlosigkeit in Sarˇ erny´ schuf wähkasmus geflüchtet: Der tschechische Bildhauer David C rend der Ratspräsidentschaft seines Landes eine haushohe Installation zu den Stereotypen der Europäer voneinander. Deutschland ist ein aus Autobahnen zusammengesetztes, deformiertes Hakenkreuz. Bulgarien ein Plumpsklo. Andere wie der Schriftsteller Robert Menasse zeigen das Unheroische Europas: Ein selbstverständliches Miteinander der Sprachen, Religionen und Kulturen, aber auch von Bürokratie, Lobbyismus und Opportunität, die selbst das historische Erinnern an die zivilisatorischen Trümmer Europas im Jahr 1945 als Gründungsmythos der heutigen Europäischen Union noch als Instrument von Beamtenkarrieren einsetzt. Am Ende seines Buchs über die europäische „Hauptstadt“ steht eine Warnung: Erst wenn Europa zerfällt, werden es viele wertschätzen, denn, so Menasse lakonisch: „wenn etwas zerfällt, muss es Zusammenhänge gegeben haben“166. IV. Der Erzähler im Spiegel seiner Erzählungen Von diesen Zusammenhängen Europas und seiner Rechtsordnung sollten wir daher erzählen, bevor sie zerfallen. Odo Marquard hat die Erzählung einmal als Kunst beschrieben, die „vorhandene Wahrheit in die Reichweite unserer Lebensbegabung zu bringen“. Denn wir können nur in einer „,erzählten Welt‘“ leben167. Marquard wendet sich dabei de-
165 In einer multireligiösen Gesellschaft ermöglicht erst der säkulare Staat Freiheitsgewinn: Horst Dreier, Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, 2018. 166 Robert Menasse, Die Hauptstadt. Roman, 2017, S. 401. 167 Odo Marquard, Lob des Polytheismus. Über Monomythie und Polymythie, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen. Philosophische Studien, 1995, S. 91 – 116 (95).
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zidiert gegen Erzählungen, die nur eine Geschichte, einen Begriff, einen Mythos kennen und so „zentralisieren und damit entpluralisieren“168. Hasso Hofmann war ein unerreichter Meister darin, die philosophischen Fragen des Rechts in eine plurale Welt der Erzählungen zu kleiden, damit vielfältige Perspektiven zu öffnen und diese mit Blick auf andere Erzählungen immer wieder neu zu hinterfragen. In seinen Perspektiven auf den antiken Mythos, das biblische Gleichnis, das mittelalterliche Fresko, den frühneuzeitlichen Kupferstich und das preußische Drama kann er auf besonders plastische Weise erzählen, was er in seinen großen Schriften systematisch entfaltet hat: seine Auseinandersetzung mit Carl Schmitt, sein Verständnis von Repräsentation und Verfassung, die Verpflichtung auf Nachweltschutz und Ökologie und die Frage der sozialen Gerechtigkeit, mit der er seine „Rechts- und Staatsphilosophie“ beschlossen hat. Sucht man nach einer persönlichen Nähe Hofmanns zu seinen Bildern und Figuren, so wird es bei aller Liebe zur Wissenschaft nicht Prometheus sein, der ihm am nächsten steht – trotz oder gerade wegen der Verkörperung eines selbstbewussten Fortschritts. Es ist eher die Antigone, die sich mit ihrer Leidenschaft und Schwesterliebe dem Befehl des Kreon in aller Konsequenz entgegenstellt und sich auf das Recht über dem Recht beruft. Es sind die Arbeiter im Weinberg, die es zwar nicht schaffen, alle einen gerechten Lohn zu erhalten, aber mit ihren drängenden Fragen den Herrn zumindest zur Rede stellen. Es ist nicht der künstliche Staatskörper des Leviathan, sondern das farbenreiche Bild von den Bürgern Sienas mit ihrem Band der Solidarität. Und es ist das in dem Kleist-Aufsatz gezeichnete Bild des vorsichtigen, verantwortungsvollen, in seinen Ansprüchen strengen und zugleich menschlich empfindsamen preußischen Kurfürsten, dem Hofmann nahesteht. Anschaulich werden damit nicht nur die großen Themen der Rechtsund Staatsphilosophie. Anschaulich wird auch die große Persönlichkeit des Erzählers selbst. Wie ein Fotograf ist er nie mit auf dem Bild. Und hat doch im Spiegel der von ihm gewählten Bilder und Erzählungen ein unvergessliches Porträt von sich für uns hinterlassen.
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Hasso Hofmann – Ein Gedenkwort Von Gerd Irrlitz Frau und Herrn Hofmann begegnete ich 1990 im Berliner Wissenschaftskolleg. Hasso Hofmann arbeitete dort als einer der Fellows, ich wollte das eben beginnen. Ein Ostberliner Universitätskollege im Westberliner Kolleg, es war eine Fügung buchenswerter Art dank der generösen Orientierung des Hauses durch dessen Rektor Wolf Lepenies, im Bunde mit dem vorzüglichen Sekretär Joachim Nettelbeck. Hofmanns, beide musizierend, interessierten sich natürlich für die Ostberliner Kultur, mehr noch nun fürs Denken Ostberliner Intellektueller, deren soziale und politische Welt eben versank. Gemeinsam besuchten wir Ostberliner Museen, besonderes Interesse fanden das kaum bekannte Mahlsdorfer private Gründerzeit-Museum und das Gespräch mit dessen Gründer und Eigentümer. Im Gang der Jahre, mit Besuchen der Philharmonie-Konzerte, der Kolleg-Abende – Hofmanns nahmen eine Zweit-Wohnung in Berlin-Mitte –, mit Besuchen in Berlin-Wilhelmshagen, in Würzburg, mit den Jahren bildete sich eine Freundschaft, die, aufs Ganze gesehen, mir natürlich weiter greifende Erfahrungskorrekturen brachte als dem Verfasser der außerordentlichen zeitkritischen Abhandlung „Erneuerung des Rechtsbewusstseins nach 1945“ aus dem Jahre 2017, einer Studie aber, die mich das zeitkritische Denken der Bundesrepublik neu begreifen ließ, um von Hasso Hofmanns Büchern gar nicht weiter zu sprechen. Meist trafen wir uns als Ehepaare, einige wenige Male nur sah ich ihn allein. Es war im Jahre 1993, als Hasso Hofmann das undankbare Amt des Vizepräsidenten der Humboldt-Universität übernommen hatte, neben ihm eine Präsidentin der Westberliner linken Tradition, deren Umgestaltungsanspruch sehr ins Weite strebte. Dieser selbstlose Dienst für die Humboldt-Universität hat leider sehr dazu beigetragen, Hasso Hofmanns Gesundheit zu untergraben.
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Gerd Irrlitz
Meine Gespräche mit ihm brachten mir ein anderes Verständnis der Philosophiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Eigentlich brachen die Fronten der Gedankenlinien auf, die ich mir gebildet hatte. Hasso Hofmann hatte bei Karl Löwith studiert, dessen Zeichnung der Philosophie des 19. Jahrhunderts mir natürlich bekannt war. Aber der kulturelle Sinn der neben einander geführten Linien dieser Darstellung ging mir nun klarer auf. Eine andere Vielströmigkeit bis in die entschiedenste kritische Gegenwärtigkeit erfasste ich, mehr aus den Gesprächen mit dem Freunde als aus der Lektüre der Schriften Carl Schmitts, die ich längst besaß und in ihnen auch gelesen hatte. Nun wurde mir die Mehrlinigkeit dieses willenshaften Aktivismus klarer, und ich begann auch das durch und durch aktivistische Konzept, das der frühe Marx entworfen hatte und das ich seit der Studienzeit bei Ernst Bloch bei mir hielt, neu zu bedenken. Ich erkannte Carl Schmitt als einen charakteristischen cäsaristischen Helden der „Verwindung“, wie Heidegger es nannte. Das Spiel zwischen voller aktivistischer Gegenwärtigkeit und dem Rückzug ins Latente, das seiner neuen Stunde zuwartet, es war an Schmitts Wechsel zwischen direkter Aussage und deutendem Verweisen ernüchternd zu beobachten. In vielen Gesprächen mit Hasso Hofmann ward mir der Charakter des Rechts als einer Zwangsbefugnis höchster Gegenwärtigkeit in seiner je relativen kulturellen Funktion klarer, als ich es zuvor verstanden hatte. Denn unsere idealisierende sozialistische Überzeugung richtete sich seit Studentenzeiten und dann bis zu politischen Zusammenstößen bitterer Art auf Freiheit der gleichgesinnten Sozialisten, deren kritische Staatsfremdheit zum antidogmatischen Bekenntnis gehörte. Solche geistigen Erfahrungen, Einsichten, treten heraus, wenn ich, seiner erinnernd, mich bedenke. Sicher hatte auch er neue Aufschlüsse gefunden durch meine Ideen und Erfahrungen, die ich ihm mitteilen konnte und durch Freunde und Gefährten meines Gedankenkreises, mit denen er bekannt wurde. Das waren vor allem der musikhistorische und zeitgeschichtliche Autor Friedrich Dieckmann und dessen Ehefrau Christine. Hasso Hofmann gewann wohl einen näheren Einblick in aktuale produktive Aspekte ostdeutscher intellektueller Beiträge zur gegenwärtigen, nun gesamtdeutsch gewordenen westdeutschen Gesellschaft, die eben aus dem Stabilisierungs-Wunder der letzten Jahrzehnte heraustrat. Um wenigstens einen Fachgenossen zu nennen, so ist es natürlich Hermann Klenner, den Hasso Hofmann sehr zu schätzen lernte. Viel-
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leicht gewann Hasso Hofmann auch einen näheren Blick auf die Differenziertheit der sozialistischen Orientierungen aus meiner politischen Familien-Geschichte, die er erfuhr. Dankbar bleibe ich für mein Leben, begegnet zu sein diesem Manne strenger geistiger Präzision und herzlicher menschlicher Nähe, die den Lichtschein lässt auf allen Begegnungen und Gesprächen jener guten Jahre einer noblen Freundschaft.
Ein persönliches Wort zum Schluß Von Heinrich Meier Hasso Hofmann war mit der Carl Friedrich von Siemens Stiftung über drei Jahrzehnte hinweg eng verbunden, als Vortragender, als Autor, als Fellow, als ein ganz besonderer Freund. Es hat einen guten Grund, daß das Symposion zu seinem Gedenken, das Horst Dreier initiierte, konzipierte und organisierte, gestern nachmittag und heute vormittag in diesem Haus stattfand. Hasso Hofmann hielt im Wissenschaftlichen Programm der Stiftung drei herausragende Vorträge. 1990 sprach er über „Gebot, Vertrag, Herkommen. Die drei Grundfiguren des Rechtsdenkens“, 1997 über „Bilder des Friedens. Drei anschauliche Kapitel der Staatsphilosophie“ und 2011 über „Rechtsphilosophie nach 1945. Zur Geistesgeschichte der Bundesrepublik Deutschland“. Der erste Abend wurde von Hans Maier geleitet, der zweite von Peter Landau, der dritte von Horst Dreier. Der erste Vortrag erschien 1993 in veränderter Gestalt als selbständige Veröffentlichung im Nomos-Verlag, der dritte 2012 im Verlag Duncker & Humblot. Den zweiten publizierte die Stiftung, stark erweitert und reich bebildert, 1997 in ihrer Reihe „Themen“. Eine zweite Auflage folgte 2008. Die Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit sind, noch vor der berühmten und in mehreren Neuausgaben vorgelegten Dissertation Legitimität gegen Legalität, die am weitesten verbreitete Veröffentlichung des Autors. Mehr als 10.000 Exemplare haben ihren Weg zu Lesern und in den Bestand der Bibliotheken in aller Welt gefunden. Der Band, der Hasso Hofmann besonders am Herzen lag, er nannte ihn einmal „das schönste Kind“, kam im Jahr des Carl Friedrich von Siemens Fellowship heraus, mit dem ihn die Stiftung auszeichnete. Die 12 Monate als Fellow in München vom Oktober 1996 bis September 1997 waren für die Verbindung zur Stiftung eine prägende Zeit. Hasso Hofmann nahm an vielen Veranstaltungen in Nymphenburg zu den unterschiedlichsten Themen teil. Er kam in den beiden Jahrzehnten danach immer wieder zu den Abenden hierher, gemeinsam mit seiner Frau Bar-
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bara Hofmann, beide als hochgeschätzte, gern gesehene Gäste, etwa zu dem denkwürdigen Vortrag von András Schiff über die Goldberg- und die Diabelli-Variationen im Februar 2014, der das Auditorium mehr als drei Stunden in Bann schlug. Und Hasso Hofmann hielt nach seinem Jahr als Fellow nicht nur, wie erwähnt, 2011 einen dritten Vortrag im Wissenschaftlichen Programm. Er übernahm zwei weitere große Vorträge außerhalb der Stiftungsserien: Im Jahr 2000 sprach er bei einem Symposion anläßlich des 70. Geburtstags von Ernst-Wolfgang Böckenförde über die Stoiker, 2006 hielt er an dieser Stelle den Festvortrag „Verfassungsgeschichte als Phänomenologie des Rechts“ zum 70. Geburtstag von Dietmar Willoweit. Auch für die Freundschaft, die Hasso und mich verband, war sein Münchner Jahr prägend. Wir waren uns 1986 zum ersten Mal begegnet. Als meine beiden Bücher über Carl Schmitt 1988 und 1994 erschienen, meldete er sich sehr großzügig und eingehend zu Wort. Ich erinnere mich lebhaft an ein langes Gespräch in Berlin im Januar 1995. Er war noch von einer Bypassoperation gezeichnet, die ihn gezwungen hatte, das Amt des Vizepräsidenten der Humboldt-Universität aufzugeben. Wir erörterten unsere Übereinstimmungen und Differenzen in der Deutung Schmitts. Er war besonders an meiner Kritik der Politischen Theologie interessiert, zu der er sich später in den ausführlichen Vorworten zu den Neuauflagen seines Schmitt-Buchs öffentlich äußerte. Aber die Auseinandersetzung mit Schmitt war nicht mehr als der Auftakt. Sie trat bald in den Hintergrund. Im Münchner Jahr wurde Leo Strauss viel wichtiger, mit dem Hasso 1965 einen intensiven Briefwechsel über Legitimität gegen Legalität führte und auf den ihn sein Lehrer Karl Löwith früh aufmerksam gemacht hatte. Löwith selbst war ein Gegenstand unserer Gespräche, dessen Nietzsche-Buch ich als Gymnasiast zum ersten Mal las, aber auch Hobbes und Hegel. Und natürlich spielten Rousseau und Nietzsche eine wichtige Rolle. Die Rechtswissenschaft, insonderheit das Öffentliche Recht und die Rechtsgeschichte, war das Fach, in dem Hasso Großes leistete und meisterlich auftrat. Doch er blieb Zeit seines Lebens der Philosophie zugewandt. Sie war mehr als seine erste Liebe. Bis in das Münchner Jahr reicht schließlich das enge Verhältnis zurück, das beide Familien seit einem Vierteljahrhundert verbindet. Hasso hatte ein offenes Ohr für die historischen Interessen von Desiderius, und er musizierte mit Anima. Sie hat gestern vor ihrem Konzert zu seinem Gedenken davon berichtet. Wir alle lernten damals einen Menschen von
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wahrer Herzensbildung und mit der Gabe großer Zuwendung kennen. Ich hatte davor schon seine scharfsinnige Argumentation, seine Urteilskraft, seine Lakonik und seinen Humor zu schätzen gewußt. Jetzt kamen sein väterlicher Rat hinzu und die Erfahrung unbedingter Verläßlichkeit. Nach Hassos Fellowship ist es zu zahlreichen Begegnungen in Berlin, in Würzburg, in München und anderenorts gekommen. Ich erinnere mich an ein Treffen in Syrakus auf Sizilien, wo Hasso uns als kundiger Führer die Zeugnisse der griechischen Ära erklärte. 1999 waren wir alle beim Symposion zu seinem 65. Geburtstag in Berlin. Er kam im Februar 2000 zu meiner Antrittsvorlesung in der Aula der Ludwig-MaximiliansUniversität und 2013 zu meiner Gedenkrede auf Wilhelm Hennis in der Aula der Universität Freiburg. Der Gesprächsfaden riß nie ab. Die Verbindung war bis zum Ende fest und ungetrübt. Hasso war der einzige außerhalb des engsten Familienkreises, der mich über 12 Jahre hinweg an meinem Geburtstag in Chicago anrief. Es entspann sich dann immer ein Gespräch, das eine Stunde oder länger dauern mochte. Ein Geburtstagsgeschenk der besonderen Art. Hasso hat mir viele andere Geschenke gemacht, für die ich ihm von Herzen dankbar bin. Drei von ihnen will ich erwähnen. 1996 schenkte er mir die drei Originalbriefe, die Leo Strauss 1965 an ihn geschrieben hatte und die Originaldurchschläge seiner umfangreichen Antwortbriefe an Strauss. 2013 beteiligte er sich an der Festschrift, mit der mich amerikanische Kollegen zu meinem 60. Geburtstag in Chicago überraschten. Sein Aufsatz „Rousseau’s Happiness of Freedom“ war der einzige der 12 Beiträge, der aus Deutschland kam. Fünf Jahre später widmete er mir zum 65. Geburtstag den Aufsatz „Nietzsche–Zarathustras Gleichnis von den ,letzten Menschen‘“, eine seiner letzten Veröffentlichungen überhaupt. Das größte Geschenk aber war seine unverbrüchliche Freundschaft.
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann I. Selbständige Veröffentlichungen 1.
Legitimität gegen Legalität – Der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts (POLITICA, Bd. 19), Neuwied/Berlin 1964, 304 Seiten; 2., durch eine Vorbemerkung erg. Aufl., Berlin 1992, XXX u. 304 Seiten; 3. Aufl., Berlin 1995, XXX u. 304 Seiten; 4. Aufl. mit einer neuen Einleitung, Berlin 2002, L und 285 Seiten; 5., unveränderte Aufl. 2010; 6., unveränderte Aufl. 2020. Italienische Übersetzung u.d.T.: Legittimità contro legalità. La filosofia politica di Carl Schmitt, a cura di Roberto Miccù, Napoli: Edizioni Scientifiche Italiane, 1999, 342 Seiten.
2.
Der Herrschaftsvertrag – Übersetzungen von Peter Badura und Hasso Hofmann, hrsgg. v. Alfred Voigt (POLITICA, Bd. 16), Neuwied 1965, 294 Seiten.
3.
Repräsentation – Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert (Schriften zur Verfassungsgeschichte, Bd. 22), Berlin 1974, 484 Seiten; 2. Aufl., Berlin 1990; 3. Aufl., Berlin 1998; 4. Aufl. mit einer neuen Einleitung, Berlin 2003, VIII und 484 Seiten, Nachdr. innerhalb der 4. Aufl. Berlin 2010. Italienische Übersetzung von Claudio Tommasi u.d.T.: RappresentanzaRappresentazione. Parola e concetto dall’ antichità all’Ottocento, introduzione di Giuseppe Duso (Per la storia del pensiero giuridico moderno 72), Milano 2007, 586 Seiten. Einleitungskapitel in französischer Übersetzung u. d. T.: Le concept de représentation: une problème allemand? In: Raisons politiques – Revue de théorie politique 50 (Paris Mai 2013), pp. 79 – 96.
4.
Legitimität und Rechtsgeltung – Verfassungstheoretische Bemerkungen zu einem Problem der Staatslehre und der Rechtsphilosophie (Schriften zur Rechtstheorie, Heft 64), Berlin 1977, 103 Seiten.
5.
Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, Stuttgart 1981, 410 Seiten.
6.
Recht – Politik – Verfassung. Studien zur Geschichte der politischen Philosophie, Frankfurt/M. 1986, IX und 299 Seiten.
7.
Privatwirtschaft und Staatskontrolle bei der Energieversorgung durch Atomkraft (Schriften der Juristischen Studiengesellschaft Regensburg e. V., Heft 3), München 1989, 47 Seiten.
190
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
8.
Die versprochene Menschenwürde (Öffentliche Vorlesungen der HumboldtUniversität zu Berlin, Heft 2), Berlin 1993, 37 Seiten; auch in: AöR 118 (1993), S. 353 – 377. Italienische Übersetzung u.d.T.: La promessa della dignità umana. La dignità dell’uomo nella cultura giuridica tedesca, in: Rivista Internazionale di Filosofia del Diritto 1999, pp. 620 – 650. Griechichische Übersetzung u.d.T.: Autó pou upóschetai ae anthrópinae axioprépeia, Athen 2009.
9.
Gebot, Vertrag, Sitte – Die Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit (Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, Heft 17), Baden-Baden 1993, 49 Seiten.
10. Verfassungsrechtliche Perspektiven. Aufsätze aus den Jahren 1980 – 1994, Tübingen 1995, 490 Seiten. 11. Neuere Entwicklungen in der Rechtsphilosophie (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 145), Berlin 1996, 23 Seiten. Spanische Übersetzung u.d.T.: Nuevos Desarrollos en la Filosofía del Derecho, in: Jurídica – anuario del departemento de derecho de la universidad iberoamericana, 1999 No. 29, S. 451 – 467. 12. Bilder des Friedens oder Die vergessene Gerechtigkeit – Drei anschauliche Kapitel der Staatsphilosophie, München: Carl Friedrich von Siemens Stiftung, 1997, 92 Seiten; 2. Aufl. 2008. 13. Das Recht des Rechts, das Recht der Herrschaft und die Einheit der Verfassung (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 24), Berlin 1998, 68 Seiten. Italienische Übersetzung u.d.T.: Il Diritto del Diritto, il Diritto del Potere e l’Unità della Costituzione, Modena 2013, 81 Seiten. 14. Die Entdeckung der Menschenrechte (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft zu Berlin, Heft 161), Berlin 1999, 19 Seiten. 15. Einführung in die Rechts- und Staatsphilosophie, Darmstadt 2000, 224 Seiten; 2., um ein Register erweiterte Aufl., Darmstadt 2003, 228 Seiten; 3. Aufl., Darmstadt 2006; 4. Aufl. Darmstadt 2008; 5., überarbeitete u. erweiterte Aufl., Darmstadt 2011, 229 Seiten. Spanische Übersetzung von Luis Villar Borda u.d.T.: Filosofía del Derecho y del Estado, Bogotà – Colombia: Universidad externado de Colombia, 2002, 279 Seiten. Italienische Übersetzung u.d.T.: Introduzione alla filosofia del diritto e della politica, a cura di Giuseppe Duso, Roma/Bari: Gius. Laterza & Figli, 2003, 250 Seiten; 5. Aufl., Roma/Bari 2007. 16. Vom Wesen der Verfassung (Öffentliche Vorlesungen der Humboldt-Universität zu Berlin, Heft 112), Berlin 2002, auch in: JöR NF 51 (2003), S. 1 – 20.
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
191
17. Verfassungsgeschichte als Phänomenologie des Rechts (Bayerische Akademie der Wissenschaften – Philosophisch-historische Klasse – Sitzungsberichte – Jg. 2007, Heft 3), München 2007, 28 Seiten. 18. Recht und Kultur – Drei Reden (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 55), Berlin 2009, 92 Seiten. 19. La libertà nello Stato moderno – Saggi di dottrina della Costituzione, a cura di Agostino Carrino, Napoli: Guida, 2009, 170 Seiten. 20. Rechtsphilosophie nach 1945 – Zur Geistesgeschichte der Bundesrepublik Deutschland (Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Bd. 66), Berlin 2012, 75 Seiten. Portugiesische Übersetzung u.d.T.: Filosofia Juridica Pós 1945 – Sobre a História do Pensiamento Juridico na República Federal da Alemanna, Traducao Italo Roberto Fuhrmann, Porto Alegre: Edition Fundacao Fénix, 2020, 70 Seiten.
II. Aufsätze, Beiträge in Sammelwerken, Rezensionsabhandlungen 1.
Zur Anwendung des § 133 BBauG auf bebaute Grundstücke an vorhandenen Erschließungsanlagen, in: DVBl. 78 (1963), S. 212 – 215.
2.
Präventivpolizeiliches Durchsuchungsrecht und Verfassung, in: BayVBl. NF 10 (1964), S. 36 – 40.
3.
Feindschaft – Grundbegriff des Politischen? in: Zeitschrift für Politik NF 12 (1965), S. 17 – 39.
4.
Bemerkungen zur Hobbes-Interpretation, in: AöR 91 (1966), S. 122 – 135.
5.
Die Rechtsnatur der Widerspruchsfrist, in: VerwArch. 58 (1967), S. 63 – 69 und S. 135 – 170.
6.
Nietzsche, in: Klassiker des politischen Denkens, hrsgg. v. Hans Maier u. a., Bd. 2, München 1968, S. 320 – 343 u. 395 – 399; 2. Aufl. 1969; 3. Aufl. 1974; 4. Aufl. 1979; 5., überarbeitete u. erweiterte Aufl., München 1987, S. 276 – 295, 350 – 356, 388 – 391.
7.
Ausnahme, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter, Bd. 1, Basel/Stuttgart 1971, Sp. 668 – 669.
8.
Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche als Kritiker des Bismarckreiches, in: Der Staat 10 (1971), S. 433 – 453.
9.
Dezision/Dezisionismus, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter, Bd. 2, Basel/Stuttgart 1972, Sp. 159 – 161.
10.
Diktatur, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter, Bd. 2, Basel/Stuttgart 1972, Sp. 245 – 247.
192
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
11.
Diskussion, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter, Bd. 2, Basel/Stuttgart 1972, Sp. 262.
12.
Freund/Feind, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter, Bd. 2, Basel/Stuttgart 1972, Sp. 1104 – 1105.
13.
Bemerkungen zur politischen Ideengeschichte, in: AöR 100 (1975), S. 628 – 639.
14.
Kampf, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter und Karlfried Gründer, Bd. 4, Basel/Stuttgart 1976, Sp. 685 – 687.
15.
Über Gemeinwohlformeln im NS-Recht, in: Die Verwaltung 10 (1977), S. 375 – 382.
16.
Das Problem der cäsaristischen Legitimität im Bismarckreich, in: Der Bonapartismus – Historisches Phänomen und politischer Mythos. 13. deutsch-französisches Historikerkolloquium des Deutschen Historischen Instituts Paris in Augsburg vom 26. bis 30. September 1975, hrsgg. v. Karl Hammer und Peter Claus Hartmann (Beihefte der FRANCIA, hrsgg. v. Deutschen Historischen Institut Paris, Bd. 6), München 1977, S. 77 – 101.
17.
Hugo Grotius, in: Staatsdenker im 17. und 18. Jahrhundert, hrsgg. v. Michael Stolleis, Frankfurt/M. 1977, S. 51 – 77; 2. Aufl., Frankfurt/M. 1987, S. 52 – 77.
18.
Wege zum Europäischen Patent- und Markenamt, in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 71 (1980), S. 2 – 6.
19.
Langzeitrisiko und Verfassung, in: Scheidewege 10 (1980), S. 448 – 479.
20.
Nietzsche, in: Katholisches Soziallexikon, hrsgg. v. Alfred Klose u. a., 2. Aufl., Innsbruck/Graz 1980, Sp. 1943 – 1948.
21.
Rousseau, in: Katholisches Soziallexikon, hrsgg. v. Alfred Klose u. a., 2. Aufl., Innsbruck/Graz 1980, Sp. 2470 – 2475.
22.
Legalität/Legitimität, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter (†) und Karlfried Gründer, Bd. 5, Basel/Stuttgart 1980, Sp. 161 – 166.
23.
Ist die Festlegung auf Kernenergie mit einer freiheitlich-demokratischen Verfassung vereinbar?, in: Atomkraft – ein Weg der Vernunft?, hrsgg. v. Phillip Kreuzer u. a., München 1982, S. 327 – 338.
24.
Zur Lehre vom Naturzustand in der Rechtsphilosophie der Aufklärung, in: Rechtsphilosophie der Aufklärung – Symposium Wolfenbüttel 1981, hrsgg. v. Reinhard Brandt, Berlin/New York 1982, S. 12 – 46, und in: Rechtstheorie 13 (1982), S. 226 – 252.
25.
Grundpflichten als verfassungsrechtliche Dimension, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Heft 41, Berlin/ New York 1983, S. 42 – 83.
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
193
26.
Grundpflichten – Oder: Die vergessene Kehrseite der Medaille, in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 74 (1983), S. 1 – 4.
27.
Atomgesetz und Recht auf Leben und Gesundheit, in: BayVBl. 114 (1983), S. 33 – 38.
28.
Von den Ursprüngen deutschen Rechtsstaatsdenkens in der nachchristlichen Sozialphilosophie, in: Juristische Schulung 24 (1984), S. 9 – 14.
29.
Der Einfluß der Großtechnik auf Verwaltungs- und Prozeßrecht, in: Umwelt- und Planungsrecht 1984, S. 73 – 84.
30.
Atomenergie und Grundrechte, in: Energie und Gerechtigkeit, hrsgg. im Auftrag der Studiengruppe Entwicklungsprobleme der Industriegesellschaft (STEIG) e.V. v. Reiner Kümmel und Monika Suhrcke (Politik – Recht – Gesellschaft, Bd. 6), München 1984, S. 33 – 47; auch in: Recht und Technik im Spannungsfeld der Kernenergiekontroverse, hrsgg. v. Alexander Roßnagel, Opladen 1984, S. 55 – 66.
31.
Naturzustand, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter (†) und Karlfried Gründer, Bd. 6, Basel/Stuttgart 1984, Sp. 653 – 658.
32.
Norm, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter (†) und Karlfried Gründer, Bd. 6, Basel–Stuttgart 1984, Sp. 906 – 910.
33.
Öffentlich/privat, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter (†) und Karlfried Gründer, Bd. 6, Basel/Stuttgart 1984, Sp. 1131 – 1134.
34.
Kann der Mensch wollen, was er will? Zum Problem von Naturgesetzlichkeit, Willensfreiheit und rechtlicher Verantwortung, in: Wie erkennt der Mensch die Welt? – Grundlagen des Erkennens, Fühlens und Handelns. Geistes- und Naturwissenschaften im Dialog. Symposium der Universität Würzburg, hrsgg. v. Martin Lindauer und Alfred Schöpf, Stuttgart 1984, S. 255 – 275.
35.
Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie, in: Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 76 (1985), S. 110 – 115; auch in: Politik und Kultur 12 (1985) Heft 5, S. 37 – 50.
36.
Carl Schmitt oder: Die eigene Frage als Gestalt, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 7 (1985), S. 64 – 68.
37.
Das Widerspruchsverfahren, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Festschrift für Christian-Friedrich Menger, Köln/Berlin/ Bonn/München 1985, S. 605 – 619.
38.
Bundesstaatliche Spaltung des Demokratiebegriffs?, in: Festschrift für Karl H. Neumayer, hrsgg. v. Werner Barfuß u. a., Baden-Baden 1985, S. 281 – 298.
194
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
39.
Verfassungsrechtliche Sicherungen der parlamentarischen Demokratie. Zur Garantie des institutionellen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses, in: Konsens und Konflikt – 35 Jahre Grundgesetz – Vorträge und Diskussionen einer Veranstaltung der Freien Universität Berlin vom 6. bis 8. Dezember 1984, hrsgg. v. Albrecht Randelzhofer und Werner Süß, Berlin/New York 1986, S. 267 – 286.
40.
Biotechnik, Gentherapie, Genmanipulation – Wissenschaft im rechtsfreien Raum? in: Juristenzeitung 41 (1986), S. 253 – 260; auch in: Die Erde unser Lebensraum – Zweites Symposium der Universität Würzburg, hrsgg. v. Martin Lindauer und Alfred Schöpf, Stuttgart 1987, S. 312 – 342.
41.
Nachweltschutz als Verfassungsfrage, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 19 (1986), S. 87 – 90.
42.
Die WAA Wackersdorf – Gefahren für die Freiheitsrechte? in: Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf: Befürworter und Kritiker im Gespräch; Beiträge und Ergebnisse eines wissenschaftlichen Kolloquiums vom 12. bis 14. Mai 1986/Evangelische Akademie Tutzing, hrsgg. v. Martin Held, Tutzing 1986, S. 103 – 106.
43.
Institution (II. Rechtlich), in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 3, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1987, Sp. 102 – 105.
44.
Jellinek, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 3, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1987, Sp. 212 – 214.
45.
Die Entwicklung des Grundgesetzes nach 1949, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsgg. v. Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. I, Heidelberg 1987, S. 259 – 319; 2. Aufl., Heidelberg 1995, S. 259 – 319; 3. Aufl., Heidelberg 2003: Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990, S. 355 – 421.
46.
Individuum und allgemeines Gesetz. Zur Dialektik in Kleists „Penthesilea“ und „Prinz von Homburg“, in: Kleist-Jahrbuch 1987, S. 137 – 163.
47.
Das Verfassungsprinzip der Freiheit – Eine Vorlesung –, in: Recht und Rechtsbesinnung. Gedächtnisschrift für Günther Küchenhoff (1907 – 1983), hrsgg. v. Manfred Just u. a., Berlin 1987, S. 231 – 242.
48.
Das Postulat der Allgemeinheit des Gesetzes, in: Die Allgemeinheit des Gesetzes, hrsgg. v. Christian Starck (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen – Philologisch-Historische Klasse – Dritte Folge Nr. 168), Göttingen 1987, S. 9 – 48.
49.
Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit. Zur Frage des Repräsentativprinzips in der „Politik“ des Johannes Althusius, in: Politische Theorie des Johannes Althusius, hrsgg. v. Karl-Wilhelm Dahm, Werner Krawietz und Dieter Wyduckel (Rechtstheorie, Beiheft 7), Berlin 1988, S. 513 – 542. Spanische Übersetzung u. d. T.: La representación en la teoria del estado premoderna. Sobre el principio de representación en la „política“ de Johannes Altusio, in: Fundamentos Nr. 3/2004, S. 37 – 70.
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
195
50.
Was ist uns Carl Schmitt?, in: Politik, Philosophie, Praxis. Festschrift für Wilhelm Hennis zum 65. Geburtstag, hrsgg. v. Hans Maier u. a., Stuttgart 1988, S. 545 – 555.
51.
Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, in: Juristenzeitung 43 (1988), S. 265 – 278; gekürzte Fassung in: Natur in den Geisteswissenschaften I – Erstes Blaubeurer Symposion vom 23. bis 26. September 1987, hrsgg. v. Richard Brinkmann, Tübingen 1988, S. 151 – 179.
52.
Person (Rechtsphilosophisch), in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 4, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1988, Sp. 335 – 339.
53.
Schmitt, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, 7. Aufl., Bd. 4, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1988, Sp. 1052 – 1055.
54.
Zur Herkunft der Menschenrechtserklärungen, in: Juristische Schulung 28 (1988), S. 841 – 848.
55.
„Die deutsche Rechtswissenschaft im Kampf gegen den jüdischen Geist“, in: Geschichte und Kultur des Judentums – Eine Vorlesungsreihe an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, hrsgg. v. Karlheinz Müller und Klaus Wittstadt (= Quellen und Forschungen zur Geschichte des Bistums und Hochstifts Würzburg XXXVIII), Würzburg 1988, S. 223 – 240.
56.
Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, in: Der Staat 27 (1988), S. 523 – 545; auch in: Höfische Repräsentation – Das Zeremoniell und die Zeichen, hrsgg. v. Hedda Ragotzky und Horst Wenzel, Tübingen 1990, S. 17 – 42. Italienische Übersetzung u.d.T.: Il concetto giuridico tardo-medievale della rappresentazione nell’ Impero e nella Chiesa, in: Filosofia Politica IV (Bologna 1990), S. 77 – 101.
57.
Aufgaben und Grenzen des Staatshandelns unter den Bedingungen der Gegenwart, in: Die Zukunft gestalten – Möglichkeiten und Grenzen realpolitischen Handelns (Veröffentlichungen der Walter-Raymond-Stiftung, Bd. 27), Köln 1988, S. 21 – 46.
58.
Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: Umweltstaat, hrsgg. v. Michael Kloepfer, Berlin u. a. 1989, S. 1 – 38.
59.
Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz (zusammen mit Horst Dreier), in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, hrsgg. v. Hans Peter Schneider und Wolfgang Zeh, Berlin/New York 1989, S. 165 – 197.
60.
Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789, in: Europa 1789. Aufklärung – Verklärung – Verfall, hrsgg. v. Werner Hofmann, Köln 1989, S. 41 – 45.
61.
Pluriversum, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsgg. v. Joachim Ritter (†) und Karlfried Gründer, Bd. 7, Basel 1989, Sp. 995.
62.
Die Grundrechte 1789 – 1949 – 1989, in: Neue Juristische Wochenschrift 42 (1989), S. 3177 – 3187.
196
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
63.
Die Pflicht des Staates zum Schutz des menschlichen Lebens, in: Viertes Symposium der Universität Würzburg. Woher, Wozu, Wohin? Fragen nach dem menschlichen Leben, hrsgg. v. Winfried Böhm und Martin Lindauer, Stuttgart 1990, S. 196 – 205; auch in: Recht und Kriminalität. Festschrift für Friedrich-Wilhelm Krause, hrsgg. v. Ellen Schlüchter und Klaus Laubenthal, Köln u. a. 1990, S. 115 – 122.
64.
Über Verfassungsfieber, in: JUS COMMUNE – Zeitschrift für Europäische Rechtsgeschichte XVII (1990), S. 310 – 317.
65.
Natur- und Umweltschutz, in: Das Grundgesetz – Verfassung des geeinten Deutschland. Perspektiven für Schutz des Lebens, soziale Sicherheit und Bewahrung der Natur. Beiträge von Willi Geiger u. a. (Vorträge und Beiträge der Politischen Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., Heft 15), hrsgg. von Klaus Weigelt, Bonn 1991, S. 48 – 62.
66.
Gerechtigkeit der privaten und öffentlichen Rechtsverhältnisse durch juristische Amtstätigkeit. Über eine Phänomenologie rechtlicher Urakte und ihrer Geschichte, in: Der Staat 30 (1991), S. 245 – 258.
67.
Rechtsphilosophie, in: Orientierung durch Philosophie – Ein Lehrbuch nach Teilgebieten, hrsgg. v. Peter Koslowski, Tübingen 1991, S. 118 – 145.
68.
Gebot, Vertrag, Sitte, in: Wissenschaftskolleg zu Berlin – Jahrbuch 1989/ 90, hrsgg. v. Wolf Lepenies, Berlin 1991, S. 62 – 64.
69.
Zum Stand des Rechts der atomaren Entsorgung, in: Wissenschaftskolleg zu Berlin – Jahrbuch 1989/90, hrsgg. v. Wolf Lepenies, Berlin 1991, S. 273 – 287.
70.
Il contenuto politico delle dichiarazoni dei diritti dell’ uomo, in: Filosofia Politica V (Bologna 1991), pp. 373 – 397. Dt. Fass. u.d.T.: Menschenrechtliche Autonomieansprüche – Zum politischen Gehalt der Menschenrechtserklärungen, in: Juristenzeitung 47 (1992), S. 165 – 173.
71.
Vier Erfahrungen des Rechts – Vier Zugänge zur Rechtsphilosophie, in: Würde und Recht des Menschen. Festschrift für Johannes Schwartländer, hrsgg. v. Heiner Bielefeldt u. a., Würzburg 1992, S. 81 – 92.
72.
Grundpflichten und Grundrechte, in: Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, hrsgg. v. Josef Isensee und Paul Kirchhof, Bd. V, Heidelberg 1992, S. 321 – 351; 2. Aufl., Heidelberg 2000, S. 321 – 351; 3. Aufl. in Bd. IX, Heidelberg 2011, S. 699 – 730.
73.
Die Legitimität der Legalität und deren Verwaltung, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie 13 (1992), S. 294 – 309.
74.
Das Versprechen gegenseitiger Achtung. Über das Gebot der Menschenwürde, in: FAZ Nr. 84 v. 10. 4. 1993, Beilage „Bilder und Zeiten“.
75.
Technik und Umwelt, in: Handbuch des Verfassungsrechts, hrsgg. v. Ernst Benda, Werner Maihofer und Hans-Jochen Vogel, 2. Aufl., Berlin/New York 1994, S. 1005 – 1038.
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
197
76.
§ 11 Einwendungen Dritter bei Teilgenehmigung und Vorbescheid, in: Gemeinschafts-Kommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, hrsgg. v. Hans-Joachim Koch und Dieter H. Scheuing, Düsseldorf 1994, 18 Seiten.
77.
§ 8 Teilgenehmigung, in: Gemeinschafts-Kommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, hrsgg. v. Hans-Joachim Koch und Dieter H. Scheuing, Düsseldorf 1994, 1. Ergänzungslieferung 1995, 52 Seiten.
78.
§ 9 Vorbescheid, in: Gemeinschafts-Kommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, hrsgg. v. Hans-Joachim Koch und Dieter H. Scheuing, Düsseldorf 1994, 1. Ergänzungslieferung 1995, 55 Seiten.
79.
§ 13 BImSchG (Genehmigung und andere behördliche Entscheidungen), in: Gemeinschafts-Kommentar zum Bundes-Immissionsschutzgesetz, hrsgg. v. Hans-Joachim Koch und Dieter H. Scheuing, Düsseldorf 1994, 2. Ergänzungslieferung 1996, 34 Seiten.
80.
Geschichtlichkeit und Universalitätsanspruch des Rechtsstaats, in: Der Staat 34 (1995), S. 1 – 32; auch in: Der Universalitätsanspruch des demokratischen Rechtsstaates, ARSP-Beiheft 1996, S. 9 – 32.
81.
Development and Crisis of Constitutionalism, in: Christian Starck (Hrsg.), Studies in German Constitutionalism: The German Contributions to the Fourth World Congress of the International Association of Constitutional Law, Baden-Baden 1995, S. 17 – 46. Deutsche Fassung u.d.T.: Zur Verfassungsentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995, S. 155 – 181.
82.
Recht, Moral, Ethos, in: Politik – Bildung – Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag, hrsgg. von Theo Stammen u. a., Paderborn u. a. 1996, S. 171 – 176.
83.
Rechtsdogmatik, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, in: Recht und Recht. Festschrift für Gerd Roellecke zum 70. Geburtstag, hrsgg. v. Rolf Stober, Stuttgart u. a. 1997, S. 117 – 130.
84.
La dottrina classica del contratto sociale e il „neo-contrattualismo“, in: Filosofia Politica XI (Bologna 1997), pp. 445 – 467. Deutsche Fassung u.d.T.: Die klassische Lehre vom Herrschaftsvertrag und der „Neo-Kontraktualismus“, in: Öffentliches Recht als ein Gegenstand ökonomischer Forschung, hrsgg. v. Christoph Engel und Martin Morlok, Tübingen 1998, S. 257 – 277.
85.
Vielfalt, Sicherheit und Solidarität statt Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in: Sicherheit, Vielfalt, Solidarität. Ein neues Paradigma des Verfassungsrechts?, hrsgg. v. Johannes Bizer und Hans-Joachim Koch, BadenBaden 1998, S. 101 – 116.
86.
Menschenwürde und Naturverständnis in europäischer Perspektive, in: Der Staat 37 (1998), S. 349 – 360.
87.
Gerechtigkeitsphilosophie aus Unrechtserfahrung – Zum Gerechtigkeitssinn der Arbeiter im Weinberg, in: Festschrift für Martin Heckel zum
198
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann 70. Geburtstag, hrsgg. von Karl-Hermann Kästner, Knut Wolfgang Nörr und Klaus Schlaich, Tübingen 1999, S. 547 – 562.
88.
Perché Carl Schmitt, in: Diritto e cultura IX (1999): Legittimità e legalità in Carl Schmitt – Scritti in onore di Hasso Hofmann, a cura di Agostino Carrino e Roberto Miccú, Edizioni Scientifiche Italiane: Napoli, pp. 5 – 9.
89.
Von der Staatssoziologie zu einer Soziologie der Verfassung?, in: Juristenzeitung 54 (1999), S. 1065 – 1074; auch in: Rechtssoziologie am Ende des 20. Jahrhunderts – Gedächtnissymposion für Edgar Michael Wenz, hrsgg. v. Horst Dreier, Tübingen 2000, S. 180 – 205.
90.
La fundamentación del Derecho a partir de principios y mediante procedimentos, in: Anuario de Derechos Humanos, Nueva Época, Vol. 1, Mexico 2000, S. 61 – 75.
91.
Das Recht des Rechts und das Recht der Herrschaft, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem, hrsgg. v. Dietmar Willoweit, München 2000, S. 247 – 267.
92.
Il contenuto politico delle dichiarazioni del diritto dell’uomo, in: Filosofia Politica 5 (1991), pp. 373 ss.
93.
Menschenrechte und Demokratie oder: Was man von Chrysipp lernen kann, in: Juristenzeitung 56 (2001), S. 1 – 8, und in: Das Recht des Menschen in der Welt. Kolloquium aus Anlaß des 70. Geburtstags von ErnstWolfgang Böckenförde, hrsgg. v. Rainer Wahl und Joachim Wieland, Berlin 2002, S. 31 – 58.
94.
Das Politische in Spinozas „Politischem Traktat“, in: Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach, hrsgg. v. Joachim Bohnert u. a., Berlin 2001, S. 429 – 453.
95.
„Umweltstaat“: Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen und Schutz vor den Gefahren und Risiken von Wissenschaft und Technik in staatlicher Verantwortung, in: Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, hrsgg. v. Peter Badura und Horst Dreier, 2. Bd., Tübingen 2001, S. 873 – 895.
96.
Il diritto e il giusto: la questione della giustizia, in: Filosofia Politica XV (Bologna 2001), pp. 57 – 67.
97.
Verfassungsrechtliche Annäherungen an den Begriff des Gemeinwohls, in: Gemeinwohl und Gemeinsinn im Recht, hrsgg. v. Herfried Münkler und Karsten Fischer, Berlin 2002, S. 25 – 41.
98.
Recht und Ethik. Festvortrag zur Eröffnung des 64. Deutschen Juristentages Berlin 2002, in: Verhandlungen des 64. Deutschen Juristentages, hrsgg. von der Ständigen Deputation, Bd. II/1, München 2002 (tatsächlich: März 2003), S. K 5–K 23.
99.
Vom Wesen der Verfassung, in: JöR NF 51 (2003), S. 1 – 20.
100. Recht, Politik und Religion, in: Juristenzeitung 58 (2003), S. 377 – 385.
Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
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101. Das antike Erbe im europäischen Rechtsdenken – Römische Jurisprudenz und griechische Rechtsphilosophie, in: Ferne und Nähe der Antike, hrsgg. v. Walter Jens und Bernd Seidensticker, Berlin 2003, S. 33 – 47. 102. Die Entwicklung des Grundgesetzes von 1949 bis 1990, in: Handbuch des Staatsrechts, hrsgg. v. Josef Isenseee und Paul Kirchhof, Bd. I, 3. Aufl., Heidelberg 2003, S. 355 – 421. 103. „Die Welt ist keine politische Einheit sondern ein politisches Pluriversum“ – Menschenrecht im politischen Pluriversum?, in: Carl Schmitt, Der Begriff des Politischen – Ein kooperativer Kommentar, hrsgg. v. Reinhard Mehring, Berlin 2003, S. 111 – 122. 104. Bereicherung durch Rechts- und Staatsphilosophie, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 3 (2003), S. 166 – 168. 105. I diritti dell’uomo, la sovranità nazionale, la Carta europea dei diritti fondamentali e la Costituzione europea, in: I diritti umani tra politica filosofia e storia, hrsgg. v. Pietro Barcellona und Agostino Carrino, Bd. 1, Neapel 2003, S. 127 – 144. 106. Freiheitsrechte und Demokratie, in: I diritti umani tra politica filosofia e storia, hrsgg. v. Pietro Barcellona und Agostino Carrino, Bd. 2, Neapel 2003, S. 125 – 142. 107. Zu Entstehung, Entwicklung und Krise des Verfassungsbegriffs, in: Verfassung im Diskurs der Welt. Liber Amicorum für Peter Häberle zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 2004, S. 157 – 171. Italienische Fassung u.d.T.: Riflessioni sull’origine, lo sviluppo e la crisi del concetto di Costituzione, in: Sui concetti giuridici e politici della Costituzione dell’Europa, hrsgg. v. Sandro Chignola und Giuseppe Duso, Mailand 2005, S. 227 – 237. 108. Recht und Staat bei Christian Wolff, in: Juristenzeitung 59 (2004), S. 637 – 643. 109. Verfassung der Freiheit gegen Gentechnik? in: Menschliches Leben – was ist das? hrsgg. v. Adolf-Arndt-Kreis, Berlin 2004, S. 63 – 72. 110. Änderungen des Grundgesetzes – Erfahrungen eines halben Jahrhunderts, in: Festschrift für Thomas Raiser, hrsgg. v. Reinhard Damm, Peter W. Heermann und Rüdiger Veil, Berlin/New York 2005, S. 859 – 870; spanische Übersetzung in: Teoría y Realidad Constitucional No. 29, Madrid 2012, S. 327 – 337. 111. „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet“, in: Der Staat 44 (2005), S. 171 – 186; auch in: Konstitutionalismus und Verfassungskonflikt. Symposion für Dietmar Willoweit, hrsgg. v. Ulrike Müßig, Tübingen 2006, S. 269 – 284. 112. Zur politischen Theologie von Thomas Hobbes, in: Summa – Dieter Simon zum 70. Geburtstag, Frankfurt/M. 2005, S. 283 – 296.
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113. Rückblick, in: Rechts- und staatstheoretische Schlüsselbegriffe: Legitimität – Repräsentation – Freiheit. Symposion für Hasso Hofmann zum 70. Geburtstag, hrsgg. v. Horst Dreier, Berlin 2005, S. 193 – 203. 114. Ralf Dreiers Hegel, in: Integratives Verstehen – Zur Rechtsphilosophie Ralf Dreiers, hrsgg. v. Robert Alexy, Tübingen 2006, S. 111 – 126. 115. Der Begriff des Gesetzes in der politischen Theologie von Thomas Hobbes, in: Der biblische Gesetzesbegriff – Auf den Spuren seiner Säkularisierung (Veröffentlichungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen), hrsgg. v. Okko Behrends, Göttingen 2006, S. 151 – 196. Italienische Übersetzung u. d. T.: Il concetto di legge nella teologia politica di Thomas Hobbes in: Lo Stato – Rassegna di diritto costitutionale, dottrina dello Stato e filosofia del diritto, a cura di Agostino Carrino, Vol. 1 (2012), Turin 2012, S. 27 – 55. 116. Auctoritas, non veritas, facit legem?, in: Souveränität, Recht, Moral. Die Grundlagen politischer Gemeinschaft, hrsgg. v. Tine Stein, Hubertus Buchstein und Claus Offe, Frankfurt a. M./New York 2007, S. 19 – 24. 117. Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft – Ein kritischer Rück-Blick, in: Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft?, hrsgg. v. Marcel Senn und Dániel Puskás, Stuttgart 2007, S. 23 – 30. 118. Christian Wolffs Deutsche Politik, in: Christian Wolff und die europäische Aufklärung. Akten des 1. Internationalen Christian–Wolff–Kongresses, Halle (Saale), 4.–8. April 2004, Teil 1, Hildesheim/Zürich/New York 2007, S. 205 – 220. 119. Methodische Probleme der juristischen Menschenwürde-Interpretation, in: Mensch – Staat – Umwelt, hrsgg. v. Ivo Appel und Georg Hermes, Berlin 2008, S. 47 – 78. 120. Il modello della costituzione statale e suoi punti critici, in: Ripensare la costituzione. La questione della pluralità, ed. Mario Bertolissi, Giuseppe Duso, Antonino Scalone, Monza 2008, S. 21 – 28. 121. „In Europa kann’s keine Salomos geben.“ – Zur Geschichte des Begriffspaars Recht und Kultur, in: Juristenzeitung 64 (2009), S. 1 – 10. 122. Jherings Rechtspositivismus – Eine Diskussionsbemerkung, in: ARS IURIS – Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, hrsgg. v. Martin Avenarius, Rudolf Meyer-Pritzl und Cosima Möller, Göttingen 2009, S. 217 – 222. 123. Recht und soziale Ordnung, in: Internationale Zeitschrift für Philosophie 17 (2008; tatsächlich 2009), S. 45 – 62. 124. Repräsentation durch Partizipation, in: Individualität und Selbstbestimmung. Festschrift für Volker Gerhardt, hrsgg. v. Jan-Christoph Heilinger, Colin G. King und Héctor Wittwer, Berlin 2009, S. 157 – 165. 125. From Jhering to Radbruch: On the Logic of Traditional Legal Concepts to the Social Theories of Law to the Renewal of Legal Idealism, in: A Treatise
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of Legal Philosophy and General Jurisprudence, Ed. Enrico Pattaro, Vol. 9: A History of the Philosophy of Law in the Civil Law World, 1600 – 1900, Ed. Damiano Canale, Paolo Grossi, Hasso Hofmann, Dordrecht/Heidelberg/London/New York 2009, S. 301 – 354. 126. Politik durch Wissenschaft überholen – Der Atlantis-Traum der Aufklärer, in: Der Staat 49 (2010), S. 1 – 21; auch in: Wissenschaft und Politik, hrsgg. v. Horst Dreier und Dietmar Willoweit, Stuttgart 2010, S. 129 – 149. 127. Zur sozialistischen Rechts- und Staatsphilosophie in der DDR, in: Rechtsgeschichte. Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte 19 (2011), S. 130 – 141. 128. Die Konstitutionalisierung der juristischen Hermeneutik, in: Öffentliches Recht im offenen Staat. Festschrift für Rainer Wahl, hrsgg. v. Ivo Appel, Georg Hermes und Christoph Schönberger, Berlin 2011, S. 99 – 110. 129. Schiller und der Rechtsstaat, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2013, Berlin 2013, S. 147 – 162. 130. Rousseau’s Happiness of Freedom, in: Thomas L. Pangle and J. Harvey Lomax (Eds.): Political Philosophy cross-examined – Perennial Challenges to the Philosophic Life. Essays in Honor of Heinrich Meier, New York 2013, S. 153 – 171. 131. Rousseaus Gesetzgeber oder: Rousseau in der europäischen Verfassungsgeschichte, in: Die Verfassung als Aufgabe von Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit. Freundesgabe für Bernhard Schlink zum 70. Geburtstag, hrsgg. v. Jakob Nolte, Ralf Poscher und Henner Wolter, Heidelberg u. a. 2014, S. 99 – 109. 132. Über Volkssouveränität. Eine begriffliche Sondierung, in: Juristenzeitung 69 (2014), S. 861 – 868. 133. The Development of German Language Legal Philosophy and Legal Theory in the Second Half of the 20th Century, in: A Treatise of Legal Philosophy and General Juriaprudence, Ed. Enrico Pattaro, Vol. 12: Legal Philosophy in the Twentieth Century: The Cvil Law World, Tome I, Ed. Enrico Pattaro and Corrado Roversi, Springer Netherlands 2016, S. 285 – 365. 134. „Vielleicht ist die Verständigung doch eine zuverlässigere Grundlage der Ordnung als die Dezision“. Staatsrechtler im Briefwechsel mit Carl Schmitt, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2015, Berlin 2016, S. 49 – 67. 135. Anhang II und III: Volkssouveränität als Verfahren (1988). Staatsbürgerschaft und nationale Identität (1990), in: Peter Koller/Christian Hiebaum (Hrsg.), Jürgen Habermas: Faktizität und Geltung, Berlin/Boston 2016, S. 185 – 200. 136. Erneuerung des Rechtsbewusstseins nach 1945 – Eine Erinnerung, in: Humanismus in der Krise. Debatten und Diskurse zwischen Weimarer Repu-
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Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann blik und geteiltem Deutschland, hrsgg. v. Matthias Löwe und Gregor Streim, Berlin/Boston 2017, S. 237 – 252.
137. Nietzsche-Zarathustras Gleichnis von den „letzten Menschen“, in: Politisches Denken. Jahrbuch 2017, Berlin 2018, S. 181 – 201. 138. Die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht. Zum griechisch-römischen Erbe der europäischen Rechtswissenschaft, in: Der Staat 57 (2018), S. 5 – 33. 139. „Recht ist Streit“. Eine rechtsphilosophische Betrachtung, in: Juristenzeitung 73 (2018), S. 473 – 479. 140. Wissenschaftgeschichtliche Aspekte des Rechtsdenkens. Acht Thesen zu Rechtsdogmatik, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtsgeschichte, Kulturwissenschaft des Rechts und Rechtssoziologie, in: Juristenzeitung 74 (2019), S. 265 – 275; gekürzte Fassung in: Wozu Wissenschaftsgeschichte? Ziele und Wege. Internationales Symposium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften am 29. und 30. März 2019, Forschung und Gesellschaft/16, S. 69 – 76. 141. Legitimität und Legalität – Zur Kritik der Herrschaftssoziologie Max Webers, in: Juristenzeitung 75 (2020), S. 585 – 593. 142. Legitimität und Legalität bei Max Weber und seinen Interpreten, in: Pokit³ia. Liber amicorum Agostino Carrino, a cura di Carmine De Angelis e Antonino Scalone, Milano 2020, S. 339 – 358.
III. Besprechungen und Anzeigen 1.
Besprechung des Buches „Die Freund-Feind-Theorie Carl Schmitts“ von Mathias Schmitz, in: AöR 91 (1966), S. 407 – 413.
2.
Besprechung des Buches „Die Problematik der Reinen Rechtslehre“ von Karl Leiminger, in: AöR 94 (1969), S. 507.
3.
Besprechung des Buches „Rationales Naturrecht als revolutionäre Praxis“ von Jürgen Sandweg, in: AöR 100 (1975), S. 344 – 347.
4.
Besprechung des Buches „Die kaiserlichen Wahlkapitulationen“ von Gerd Kleinheyer, in: AöR 100 (1975), S. 347 – 349.
5.
Besprechung des Buches „Die Reichsstaatsrechtslehre des Johannes Limnäus“ von Rudolf Hoke, in: AöR 100 (1975), S. 507 – 508.
6.
Besprechung des Buches „Johannes Popitz und Carl Schmitt – Zur wirtschaftlichen Theorie des totalen Staates in Deutschland“ von Lutz-Arwed Bentin, in: Die Verwaltung 8 (1975), S. 540 – 544.
7.
Besprechung des Buches „Die naturrechtliche Staatslehre Christian Wolffs“ von Hanns-Martin Bachmann, in: DVBl. 93 (1978), S. 650 – 651.
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8.
Besprechung des Buches „Verfassungsmischung und Verfassungsmitte – Moderne Formen gemischter Verfassung in der politischen Theorie des beginnenden Zeitalters der Gleichheit“ von Viktor Wember, in: Zeitschrift für Historische Forschung 6 (1979), S. 236 – 238.
9.
Anzeige des Buches „Quellen zur Geschichte des Sozialrechts“ von Michael Stolleis, in: AöR 107 (1982), S. 169 – 170.
10. Besprechung des Buches „Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland – Untersuchung zur Bedeutung und theoretischen Bestimmung der Repräsentation in der liberalen Staatslehre des Vormärz, der Theorie des Rechtspositivismus und der Weimarer Staatslehre“ von Volker Hartmann, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 4 (1982), S. 87 – 89. 11. Besprechung des von Manfred Lurker herausgegebenen Buches „Beiträge zu Symbol, Symbolbegriff und Symbolforschung“, in: Zeitschrift für Religionsund Geistesgeschichte XXXVII (1985), S. 361 f. 12. Besprechung des Buches „Jus Publicum – Grundlagen und Entwicklung des öffentlichen Rechts und der deutschen Staatsrechtswissenschaft“ von Dieter Wyduckel, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 8 (1986), S. 202 – 204. 13. Anzeige des Buches „Planfeststellung für die Endlagerung radioaktiver Abfälle“ von Hans-Werner Rengeling, in: AöR 111 (1986), S. 489 f. 14. Besprechung des Buches „Souveränität. Entstehung und Entwicklung des Begriffs in Frankreich und Deutschland vom 13. Jh. bis 1806“ von Helmut Quaritsch, in: Zeitschrift für Historische Forschung 18 (1991), S. 101 – 104. 15. Besprechung des von Hans-Christian Lucas und Otto Pöggeler herausgegebenen Buches „Hegels Rechtsphilosophie im Zusammenhang der europäischen Verfassungsgeschichte“, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 13 (1991), S. 218 – 223. 16. Besprechung des Jahrbuchs für Recht und Ethik, hrsgg. von B. Sharon Byrd, Joachim Hruschka und Jan C. Joerden, Bd. 1 (1993), Bd. 2 (1994), Bd. 3 (1995), in: Theologische Literaturzeitung, 121. Jg. (1996), S. 758 – 761. 17. Besprechung des Buches „Die Repräsentation der Gruppen. Texte – Bilder – Objekte“, hrsgg. v. Otto Gerhard Oexle und Andrea von Hülsen-Esch, Göttingen 1998, erschienen im Internet. 18. Spiegelungen, in: Die Verwaltung 40 (2007), S. 583 – 589.
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Schriftenverzeichnis Hasso Hofmann
IV. Editionen 1. Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechtssoziologie, hrsgg. v. Hasso Hofmann, Ulrich Weber und Edgar Michael Wenz, Alfred Metzner Verlag: Frankfurt am Main, seit 1990 Nomos-Verlag: BadenBaden; seit 1991 hrsgg. v. Hasso Hofmann, Edgar Michael Wenz und Dietmar Willoweit, Hefte 1, 3 – 14. 2. Ökologie, Ökonomie und Jurisprudenz, hrsgg. v. Edgar Michael Wenz, Otmar Issing und Hasso Hofmann, München 1987, 143 Seiten. 3. Christian Wolff, Vernünftige Gedanken von dem gesellschaftlichen Leben der Menschen und insonderheit dem gemeinen Wesen – „Deutsche Politik“. Bearbeitet, eingeleitet und herausgegeben von Hasso Hofmann (Bibliothek des deutschen Staatsdenkens, Bd. 13), München 2004, 475 Seiten. 4. A Treatise of Legal Philosophy and General Jurisprudence, Ed. Enrico Pattaro, Vol 9: A History of the Philosophy of Law in the Civil Law World, 1600 – 1900, Ed. Damiano Canale, Paolo Grossi, Hasso Hofmann, Dordrecht/Heidelberg/London/New York 2009, 409 Seiten.
V. Varia 1. Hans Meyer zum 75. Geburtstag, in: AöR 133 (2008), S. 107 – 108. 2. Nachruf auf Hans F. Zacher (1928 – 2015), in: Jahrbuch 2014/15 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 2016, S. 108.
Autorenverzeichnis Carrino, Agostino, geboren 1950; Promotion 1974; seit 1980 a.o. Professor (Professore Associato), seit 1994 bis 2015 ordentlicher Professor für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Neapel Federico II.; verschiedene Gastprofessuren (an der Universität des Saarlandes; der Washington University, St. Louis; der Universidad Autonoma de Barcelona; der Universität Wien; an den Universitäten Paris-X, Paris-XI, Paris-II und Paris-Ouest); Herausgeber der Werke von Hans Kelsen in Italien gemäß der deutschen Ausgabe im Verlag Mohr Siebeck; lebt in Rom und arbeitet derzeit mit dem „Istituto di Studi Politici S. Pio V“, Rom. Ausgewählte Veröffentlichungen: Die Normenordnung. Staat und Recht in der Lehre Kelsens, Wien/New York 1998; Das Recht zwischen Reinheit und Realität. Hermann Cohen und die philosophischen Grundlagen der Rechtslehre Kelsens, Baden-Baden 2011; La costituzione come decisione. Contro i giusmoralisti, Milano 2019; Weimar. Critica di una costituzione, Milano/Udine 2021; Michael Oakeshott Philosopher of Skepticism: Conservative or liberal?, in: Eric S. Kos (Ed.), Oakeshotts Skepticism, Politics, and Aesthetics, New York 2021, S. 31 – 50; Legge e libertà, Milano 2022. Dreier, Horst, geboren 1954; Promotion 1985, Habilitation 1989; nach Stationen in Heidelberg und Hamburg seit 1995 und bis zur Versetzung in den Ruhestand Ende September 2020 Ordinarius für Rechtsphilosophie, Staats- und Verwaltungsrecht an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg; 2004 bis 2006 Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Ausgewählte Veröffentlichungen: Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, Baden-Baden 1986 (2. Aufl. 1990); Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat. Genese, aktuelle Bedeutung und funktionelle Grenzen eines Bauprinzips der Exekutive, Tübingen 1991; Gilt das Grundgesetz ewig? Fünf Kapitel zum modernen Verfassungsstaat, München 2009; Idee und Gestalt des freiheitlichen Verfassungsstaates, Tübingen 2014; Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, München 2018; Kirche ohne König, Tübingen 2020. Irrlitz, Gerd, geboren 1935; Promotion 1968, Habilitation 1976; von 1993 bis 2000 Inhaber des Lehrstuhls für Philosophische Propädeutik und Geschichte der Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ausgewählte Veröffentlichungen: Moral und Methode. Die Struktur in Kants Moralphilosophie und die Diskursethik, Baden-Baden 1994; Kant-Handbuch.
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Autorenverzeichnis
Leben und Werk, Stuttgart 2000, 3. Aufl. 2015; Rechtsordnung und Ethik der Solidarität. Der Strafrechtler und Philosoph Arthur Baumgarten, Berlin 2008; Widerstand, nicht Resignation. Eine antifaschistische Widerstandsgruppe der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands in Leipzig 1933 – 1935, Leipzig 2018; Johann Gottlieb Fichte: Leben und Werk. Ein deutscher Philosoph in europäischer Umbruchzeit, Heidelberg 2022. Lepsius, Oliver, geboren 1964; Promotion 1993, LL.M. (Univ. of Chicago) 1993, Habilitation 2000, Professor für Öffentliches Recht zunächst in Heidelberg, dann in Bayreuth, seit 2017 in Münster (Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie). Ausgewählte Veröffentlichungen: Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung. Methodenentwicklungen in der Weimarer Republik und ihr Verhältnis zur Ideologisierung der Rechtswissenschaft im Nationalsozialismus, München 1994; Verwaltungsrecht unter dem Common Law, Tübingen 1997; Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht, Tübingen 2002; Das entgrenzte Gericht. Eine kritische Bilanz nach sechzig Jahren Bundesverfassungsgericht, Berlin 2011 (zusammen mit Matthias Jestaedt, Christoph Möllers und Christoph Schönberger; englische Übersetzung 2020); Relationen. Plädoyer für eine bessere Rechtswissenschaft, Tübingen 2016. Meier, Heinrich, geboren 1953; Promotion 1985; von 1985 bis 2022 Geschäftsführer der Carl Friedrich von Siemens Stiftung in München; seit 1999 Honorarprofessor für Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München; George Lurcy Professor des Jahres 2000 an der University of Chicago; 2003 Gastprofessor am Boston College; seit 2008 ständiger Gastprofessor am Committee on Social Thought der University of Chicago. Ausgewählte Veröffentlichungen: Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart 1988, 3. Aufl. 2013; Die Lehre Carl Schmitts. Vier Kapitel zur Unterscheidung Politischer Theologie und Politischer Philosophie, Stuttgart–Weimar 1994, 4. Aufl. 2012; Was ist Politische Theologie? München 2006; Über das Glück des philosophischen Lebens. Reflexionen zu Rousseaus Rêveries in zwei Büchern, München 2011; Was ist Nietzsches Zarathustra? Eine philosophische Auseinandersetzung, München 2017; Nietzsches Vermächtnis. „Ecce homo“ und „Der Antichrist“. Zwei Bücher über Natur und Politik, München 2019. Osterkamp, Jana, geboren 1977; Promotion im Fach Rechtswissenschaft 2007, Habilitation im Fach Geschichte 2019; Tätigkeiten am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt/M., am Collegium Carolinum München, an der Universität Wien sowie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Ausgewählte Veröffentlichungen: Verfassungsgerichtsbarkeit in der Tschechoslowakei (1920 – 1939). Verfassungsidee, Demokratieverständnis, Nationalitätenpro-
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blem, Frankfurt/M. 2009; Vielfalt ordnen. Das föderale Europa der Habsburgermonarchie (Vormärz bis 1918), Göttingen 2020 (2. Aufl. 2021). Osterkamp, Thomas, geboren 1973; Promotion 2003; nach Stationen an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Bayerischen Staatskanzlei seit 2016 Ministerialrat im Bayrischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst. Veröffentlichung: Juristische Gerechtigkeit. Rechtswissenschaft jenseits von Positivismus und Naturrecht, Tübingen 2004. Preuß, Ulrich K., geboren 1939; Promotion 1969; Berufung an die Universtiät Bremen 1971 auf die Professur für öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften; von 1997 bis 2005 Professur für Rechtliche Grundlagen der Politik an der Freien Universität Berlin, FB Politikwissenschaft; von 2005 bis 2011 Professur für Law and Politics – Theory of the State an der Hertie School of Governance, Berlin; 1991 und 1997 Gastprofessuren an der New School for Social Research, New York; 2003 Gastprofessur University of Chicago Law School. Ausgewählte Veröffentlichungen: Zum staatsrechtlichen Begriff des Öffentlichen, untersucht am Beispiel des verfassungsrechtlichen Status kultureller Organisationen, Stuttgart 1969; Die Internalisierung des Subjekts. Zur Kritik der Funktionsweise des subjektiven Rechts, Frankfurt/M. 1979; Politische Verantwortung und Bürgerloyalität. Von den Grenzen der Verfassung und des Gehorsams in der Demokratie, Frankfurt/M. 1984; Revolution, Fortschritt und Verfassung. Zu einem neuen Verfassungsverständnis, 2. erw. Aufl., Frankfurt/M. 1994; (gemeinsam mit Claus Offe) Citizens in Europe. Essays on democracy, Constitutionalism and European Integration, Colchester (UK) 2016. Waldhoff, Christian, geboren 1965; Promotion 1996, Habilitation 2002; 2003 bis 2012 Inhaber eines Lehrstuhls für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, seit 2012 an der Humboldt-Universität zu Berlin; 2018 bis 2020 im Vorstand der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Ausgewählte Veröffentlichungen: Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland – Schweiz, München 1997; Staat und Zwang. Der Staat als Rechtdurchsetzungsinstanz, München u. a. 2008; (Hrsg.) Recht und Konfession – Konfessionalität im Recht?, Frankfurt/M. 2016; Der positive und der negative Verfassungsvorbehalt, Baden-Baden 2016; Das andere Grundgesetz. Gedanken über Verfassungskultur, München 2019.