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German Pages 222 [220] Year 1988
HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON HANS FROMM UND HANS-JOACHIM MÄHL
BAND 56
URSULA PETERS
Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer Texte des 13. und 14. Jahrhunderts
MAX NIEMEYER VERLAG T Ü B I N G E N 1988
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Peters, Ursula: Religiöse Erfahrung als literarisches Faktum : zur Vorgeschichte u. Genese frauenmyst. Texte d. 13. u. 14. Jh. / von Ursula Peters. - Tübingen : Niemeyer, 1988 (Hermaea ; N.F., Bd. 56) NE: G T
ISBN 3-484-15056-4
©
ISSN 0440-7164
M A X N I E M E Y E R VERLAG T Ü B I N G E N
1988
Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz u. Druck: Maisch + Queck, Gerlingen. Einband: Heinr. Koch,Tübingen.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
VII
Abkürzungen
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Einleitung I. Die Vorgeschichte frauenmystischer Literatur im frühen 13. Jahrhundert: die mulieres sanctae der Diözese Lüttich
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1. Religiöse Frauenbewegung und neue Frömmigkeitsformen 2. Literaturinteressen und literarische Aktivitäten religiös bewegter Frauen im 13. Jahrhundert 3. Die brabantischen Frauenviten des 13. Jahrhunderts als kulturgeschichtliche Quelle
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II. Die mulieres religiosae und ihre Literatur: das Problem der sog. Beginenmystik
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1. Hadewijchs Texte und ihr intendiertes Publikum 2. Mechthild von Magdeburg: biographische Spuren im f l i e ß e n d e n Licht der Gottheit< 3. Der Häresieprozeß der Marguerite Porete 4. »Poemes sur les beguins« 5. Die ad ^egm^s-Predigten der Sammlungen des Peter von Limoges III. Die mulier religiosa und ihr Beichtvater: der Prozeß der Entstehung frauenmystischer Texte 1. Marie von Oignies und Jakob von Vitry: der Rollentausch als hagiographisches Thema 2. Mechthild von Magdeburg und Heinrich von Halle: Helfta als literarisches Zentrum frauenmystischer Texte im 13. Jahrhundert
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3. Die dominikanischen Nonnenbücher des H.Jahrhunderts 4. Heinrich Seuse und Elsbeth Stagel: die Entstehung von Seuses >Vita< 5. Margarethe Ebner und Heinrich von Nördlingen: eine erfolgreiche literarische Zusammenarbeit? 6. Christine Ebner und der schreibende Bruder: die Verschriftlichung eines Gnadenlebens 7. Adelheid Langmann und der lesmeister predier ordern: die Offizialität des Schreibbefehls
129 135 142 155 176
Resümee
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Literaturverzeichnis
195
Register
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VI
Vorwort
Die vorliegende Arbeit, die auf eine Reihe von interdisziplinären Frauenmystik-Lehrveranstaltungen an der Universität Konstanz zurückgeht, ist in den Jahren 1985 und 1986 entstanden. Die später erschienene bzw. mir erst danach bekannt gewordene Literatur - das gilt vor allem für Otto Langer, Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit. München 1987 - habe ich leider nicht mehr systematisch verwerten, nur noch in Ansätzen einarbeiten können. Herzlich danken möchte ich Susanne Bürkle, deren präzise Textkenntnisse vor allem dem Christine Ebner-Kapitel zugute gekommen sind, den Herausgebern der Reihe >HermaeaAbendländische Mystik im Mittelalter< (September 1984) hat eine eigene Sektion Frauenmystik des Mittelalters vorgesehen: Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984. Hrsg. von Kurt Ruh. Stuttgart 1986 (Germanistische Symposien. Berichtsbände VII), S. 347-477. U n d auf dem Internationalen Germanistentag in Göttingen (September 1985) sind zwei Vorträge zum Thema Frauenmystik gehalten worden: Lewis, Gertrud Jaron: Zur Rezeption des Werkes Gertruds von Helfta. In: Frauensprache - Frauenliteratur? Für und Wider einer Psychoanalyse literarischer Werke. Hrsg. von Inge Stephan und Carl Pietzcker. Tübingen 1986, (Akten des VII. Internationalen Germanisten-Kongresses Göttingen 1985. Kontroversen, alte und neue. Hrsg. von Albrecht Schöne, Bd. 6) S. 3—10; Meyer, Eva: Schreiben aus Liebeswut. Mystik und Hysterie. In: Ebda., S. 11-17.
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Erlebnissen um konkret-körperliche Ausdrucksformen der Gottesbegegnung, die ihr Leben in Phasen der Beglückung und Verzweiflung gliedern. U n d gerade dieser körperliche U m g a n g der Frauen mit dem göttlichen Partner, auf den schon die zeitgenössischen franziskanischen und dominikanischen Prediger eher mit Vorbehalten, 2 die ältere F o r schung sogar mit deutlicher Ablehnung reagiert haben, 3 wird nun - vor allem natürlich in feministischen A r b e i t e n - als ihre entscheidende Leistung herausgestellt: denn diese Frauen insistierten auf eine spezifisch weibliche, nämlich sinnliche Erfahrungsmöglichkeit; oder theologisch gewendet: auf körperliche Realisationen eines kreatürlich-konkreten N a c h v o l l z u g s des Inkarnations-Gedankens. 4 2
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Zur ablehnenden Haltung männlicher Ordensangehöriger vgl. Haas, Alois M . : Traum und Traumvision in der Deutschen Mystik. In: Spätmittelalterliche geistliche Literatur in der Nationalsprache. Bd. 1. Salzburg 1983 (Analecta Cartusiana 106), S . 2 2 - 5 5 , hier S.26ff.;46ff. Vgl. dazu unten S.105ff. Einen guten Eindruck von dem neueren feministischen Interesse an den spezifischen religiösen Artikulationsmöglichkeiten mittelalterlicher Frauen bieten am Beispiel Hildegards von Bingen und Mechthilds von Magdeburg Gössmann, Elisabeth: Theologische Frauenforschung: Das Menschenbild des Mittelalters und die Stellungnahme der zeitgenössischen Frau. In: Frauenstudien. Frauenforschung. Vortragsreihe zur Frauenforschung SS 82 - WS 82/83 (Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung an der F U Berlin). Berlin 1983, S. 6 4 - 8 7 , am Beispiel der Tösser Schwester Elsbeth Stagel Opitz, Claudia: » . . . zu schriben von gutten und selgen schwestren uebung«. Frauenmystik und geistliche Literatur in südwestdeutschen Frauenklöstern des Spätmittelalters. In: Die Frauenfeder (Frauenjahrbuch Bodensee, Oberschwaben 2) Weingarten 1986, S. 75-104. Perspektivenreich und abgewogen argumentiert Bynum, Caroline W.: Women mystics and eucharistic devotion in the thirteenth century. In: Women's Studies 11 (1984), S. 179-214; ähnlich auch Haas, Traum und Traumvision, S.51ff. und Langer, O t t o : »We ist ein gut wort, we ist ein gnadenrichez wort.« Zur Spiritualität der Dominikanerinnen im Spätmittelalter. In: Lerne leiden. Leidensbewältigung in der Mystik. Beiträge von Martina Wehrli-Johns, O t t o Langer, Alois M . H a a s , Dietmar Mieth und Wolfgang Böhme. Hrsg. von Wolfgang Böhme. Karlsruhe 1985, S. 2 1 - 3 4 ; 78f., hier S. 28f., die beide - i m Rückgriff auf Hans Urs von Balthasar- das bei den Frauen auf die Gesamtexistenz bezogene »experientielle Innewerden der Wirklichkeit Gottes« (Langer, S. 28) herausstellen. Wenig hilfreich sind jedoch Arbeiten, bei denen der identifizierende Zugriff die literarhistorische Textanalyse überdeckt: etwa Langner, Ilse: Vorläuferinnen der Emanzipation? In: N e u e deutsche Hefte 26 (1979), S . 4 9 7 - 5 1 1 , in der z . B . Mechthild von Magdeburg als »himmlisch verzückte Minnesängerin« (S. 498) vorgestellt wird, die am »Konflikt irdischer Körperlichkeit mit ihrer Himmelsseligkeit« (S. 508) leide, oder die oberflächliche Darstellung von Schirmer, Mystik und Minne, die ohne detaillierte Textkenntnis in der Nonnenmystik, die »erste feministische Theologie des Mittelalters« (S. 96) sieht, und schließlich die textferne, poststrukturalistischer Diktion und Denkweise verpflichtete Mechthild von Magdeburg-Studie von Bäurle, Margret und Braun, Lucia: »Ich bin heiser in der Kehle meiner Keuschheit«. Uber das Schreiben der Mystikerinnen. In: Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Hiltrud G n ü g und Renate Möhrmann. Stuttgart 1985, S. 1-15; 509f.
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Das bedeutet geradezu einen Paradigmenwechsel in der Einschätzung. Denn bislang, gelegentlich auch noch in den neueren Arbeiten galten die Fremd- und Selbstberichte der Frauen über das spirituelle Leben einzelner Schwestern als eher abschreckende Dokumente einer verflachten, weil reduzierten Erlebnismystik, die sich in absonderlichen Kasteiungen, in Ekstasen, Schwangerschafts-, Geburtssensationen und Serien von Visionen erfüllt. Sie bezeuge zugleich ein eklatantes Unverständnis der Frauen angesichts der mystischen Spekulationen der dominikanischen Prediger.5 Die Visions- und Krankheitsberichte der Frauen wurden deshalb weniger dem Bereich christlicher Mystik zugeordnet. Umso größere Beachtung fanden sie als kulturhistorische bzw. sozialpsychologische Quelle 6 für das ekstatische Leben religiös erregter Frauen, für die allmähliche Institutionalisierung der religiösen Frauenbewegung und die damit verbundenen lebensweltlichen wie spirituellen Konsequenzen in den Dominikanerinnenkonventen und schließlich für die vielfältigen gruppendynamischen, psychischen und sexuellen Probleme der klausurierten Frauen des 14. Jhs. Hadewijch und Mechthild von Magdeburg waren allerdings mit ihren auch poetisch befriedigenden Visionen und Reflexionen schon immer von diesem Verdikt ausgenommen. In ihnen sah man bedeutende und kühne Vorläuferinnen der dominikanischen Mystik des 14. Jhs., die mit einem erstaunlichen Selbstbewußtsein im Rückgriff auf theologische wie literarische Traditionen ζ. T. völlig neue Texttypen kreiert haben. Inzwischen ist dieses Wertungsgefälle zwischen diesen Texten des 13. und der dominikanischen Nonnenliteratur des 14. Jhs. allmählich abgebaut worden. Zwar behalten die Werke einer Hadewijch und Mechthild ihren überragenden Rang als intellektuell wie literarisch herausragende Zeugnisse einer sehr eigenständigen Form von cognitio Dei experimentalis religiös bewegter Frauen des 13. Jhs. Doch gerade der neuerdings positiv gewürdigte Aspekt einer körperlichen Konkretisierung der Gotteserfah-
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Vgl. dazu unten S. 105ff. Beispiele für dieses kultur- bzw. spiritualitätsgeschichtliche Interesse an den frauenmystischen Texten sind etwa Wilms, Hieronymus: Das Beten der Mystikerinnen dargestellt nach den Chroniken der Dominikanerinnen-Klöster zu Adelshausen, Diessenhofen, Engelthal, Kirchberg, Oetenbach, T ö ß und Unterlinden. (1916) (Quellen und F o r schungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 11), 2. verb, und erw. Aufl. Freiburg 1923, Rode, Rosemarie: Studien zu den mittelalterlichen KindJesu-Visionen. Diss. Frankfurt 1957 oder neuerdings Dinzelbacher, Peter: Mittelalterliche Vision und moderne Sterbeforschung. In: Psychologie in der Mediävistik. Gesammelte Beiträge des Steinheimer Symposiums. Hrsg. von Jürgen Kühnel, Hans-Dieter Mück, Ursula Müller, Ulrich Müller. Göppingen 1985 ( G A G 431), S . 9 - 4 9 .
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rung gewinnt nun auch den Dominikanerinnen des 14.Jhs. eine neue Aufmerksamkeit. Sie löst sich zunehmend von dem vergleichenden Blick auf die sog. spekulative Mystik und wendet sich dem programmatischen Aspekt eines >Lebens< der gnaden und wunder zu. Das bedeutet eine Versachlichung der Auseinandersetzung. Sie ist begleitet von einem Rekurs der jüngsten Diskussion auf die neuere, religionssoziologisch orientierte Hagiographieforschung,7 die mit ihren Überlegungen zur Entstehung und Funktionsbestimmung des Heiligen auch den frauenmystischen Texten ein neues Verständnis gewinnt. Denn damit verlagert sich das Interesse von der Person des Heiligen auf die in den hagiographischen Texten vermittelte Vorstellung eines heiligmäßigen Lebens, auf das Konzept von Heiligkeit, das am Beispiel eines >saint construitreligiöse Erfahrung - literarischer TextOffenbarungen< Elsbeths von O y e vor und ich von Christine Ebners Textkorpus. Grundmann, Herbert: Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik (1935). Anhang. Neue Beiträge zur Geschichte der religiösen Bewegungen im Mittelalter. Darmstadt 1977.
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sind.11 Grundlage dieser Diskussion um die Lebensvorstellungen und Spiritualitätsformen geistlicher Autorinnen des 13.Jhs. ist ein umfangreiches Textkorpus programmatischer Berichte von dem aufsehenerregenden Leben religiös bewegter Frauen in der Diözese Lüttich bzw. im Herzogtum Brabant im 13. Jh., 1 2 das bereits in der Beginenforschung zu Beginn des 20.Jhs., aber etwa auch in dem Frauenmystik-Teil von Wilhelm Pregers >Geschichte der Deutschen Mystik im MittelalterSpurensuche< ist eine ansprechende Darstellung der besonderen kulturellen Atmosphäre in den Kreisen jener mulieres sanctae der Diözese Lüttich, aus der spezifische literarische Aktivitäten, d. h. die uns interessierenden geistlichen Texte der Seelsorger und der von ihnen betreuten Frauen erwachsen seien. Da dieses zunächst von niederländischen Philologen entworfene, 14 dann bei Herbert Grundmann vertiefte und erweiterte Bild von den literarischen Interessen religiöser Frauengruppen in Brabant und Flandern inzwischen auch die literarhistorische Diskussion zur Entstehung und Verbreitung frauenmystischer Literatur weitgehend bestimmt, sollen - in einem ersten Teil - diese programmatischen Thesen zur Vorgeschichte frauenmystischer volkssprachiger Literatur im Umkreis der mulieres religiosae der Diözese Lüttich auf ihre Evidenz überprüft und - a u f der Basis jenes aufgefächerten Vitenkorpus- neu diskutiert werden. Um die besonderen Probleme der Entstehung und Verbreitung frauenmystischer Literatur geht es auch im zweiten Themenkomplex: dem Nebeneinander von Nonnen- und Beginenspiritualität, genauer: der Frage nach der Existenz einer spezifischen Beginenspiritualität, die nicht 11
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Das zeigen praktisch sämtliche neueren Frauenmystik-Studien, die sich durchweg auf Grundmanns Darstellung und seine Überlegungen zur Einbindung der deutschen Mystik in die cura monialium beziehen. Programmatisch neuerdings, Langer, Otto: Mystische Erfahrung und spirituelle Theologie. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenfrömmigkeit seiner Zeit. München, Zürich 1987 (MTU 91), der Eckharts Theologie auf seine Aufgaben im Rahmen der Frauenseelsorge, d. h. auf seine Auseinandersetzung mit einer in Frauenkonventen entwickelten charismatischen Spiritualität zurückführt. Vgl. dazu unten S. 14ff. Preger, Wilhelm: Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter. Nach den Quellen untersucht und dargestellt. l.Theil. Geschichte der deutschen Mystik bis zum Tode Meister Eckhart's. Leipzig 1874, hier S. 5 3 - 6 9 . Vgl. dazu unten S. 12 und S. 32, Anm. 43.
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nur im lebensweltlichen Bereich spezieller Frömmigkeitsformen faßbar ist, sondern möglicherweise auch literarische Werke, etwa die Texte Hadewijchs, Mechthilds von Magdeburg oder Marguerite Poretes, entscheidend geprägt hat. Auch hier steht ein traditionelles und einflußreiches Deutungsstereotyp der Frauenmystik-Forschung zur Diskussion: die Unterscheidung von Beginen- und Nonnenmystik, von frühen, uns in den literarischen Werken der volkssprachigen Mystikerinnen des 13.Jhs. erhaltenen, dogmatisch brisanten theologischen Spekulationen der Beginen des 13. Jhs. und den etablierten vita re/igzosa-Vorstellungen der Dominikanerinnen des 14. Jhs. Diese Einschätzung der Werke einer Hadewijch, Mechthild von Magdeburg und Marguerite Porete als dogmatisch bedenkliche literarische Artikulationen unreguliert lebender mulieres religiosae bedeutet zugleich eine ideologische und entstehungsgeschichtliche Ausgrenzung dieser Texte, die mit ihren eigenwilligen Bestimmungen über die Gottesliebe abseits der offiziellen Diskussion entstanden seien und ihren schon durch ihre Lebensweise gefährdeten Autorinnen nicht nur Anfeindungen und Verfolgungen, sondern - i m Falle Marguerite Poretes- sogar die Verurteilung durch die Inquisition eingebracht hätten. Mit dieser Uberzeugung von der Existenz eines spezifischen Typs beginenmystischer Literatur sind allerdings bestimmte Vorstellungen über die Produktion und Rezeption frauenmystischer Texte verbunden, deren Prämissen und Konsequenzen hier in weiter ausgreifenden Überlegungen zu den Beginen und ihrer Literatur erörtert werden. Und schließlich wird - im dritten Teil— das für die frauenmystischen Texte charakteristische komplizierte Verhältnis von religiösen Erfahrungen, persönlichen Aufzeichnungen und kollektiver Entstehung der uns vorliegenden Texte diskutiert. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist hier die Figur des Beichtvaters, der in zahlreichen Werken - im literarischen Motiv des Schreibbefehls- eine wichtige Rolle als Initiator und Förderer des Schreibens der begnadeten Frauen hat und zugleich in seiner vertrauensvollen Kooperation mit der schreibenden Schwester das Neben- und Ineinander von >privater< und >offizieller< Textentstehung zu garantieren scheint. Und auch die Forschung sieht in den seelsorgerlichen Bemühungen der Beichtväter um die mulieres religiosae, genauer in ihrem literarisch fruchtbaren Zusammenwirken mit den schreibenden Frauen, die entscheidenden kulturhistorischen Voraussetzungen für das Entstehen einer frauenmystischen Literatur in der Volkssprache. Beliebte Zeugen für diese die literarische Entwicklung offenbar entscheidend prägende Figuration der cura monialium sind einerseits die Auto7
ren der Viten jener brabantischen mulieres sanctae und die in diesen Lebensberichten genannten Seelsorger der Frauen, andererseits die berühmten literarischen >Paare< Mechthild von Magdeburg und Heinrich von Halle, Elsbeth Stagel und Heinrich Seuse, Margarethe Ebner und Heinrich von Nördlingen, deren literarische Zusammenarbeit die Forschungsthese von der kooperativ-kollektiven Genese frauenmystischer Texte in ihrer charakteristischen Spannung von heimlicher Niederschrift und öffentlichem Auftrag eindrucksvoll zu bestätigen scheint. Da diese >Entstehungstheorie< frauenmystischer Texte auch die neueste Forschungsdiskussion bestimmt, bislang jedoch nie grundsätzlich überprüft worden ist, wird hier - auf der Basis einer systematischen Durchsicht der literarischen Angaben zum Prozeß des Schreibens, Sammeins, Redigierens und Verbreitens der Texte - noch einmal generell nach der Bedeutung der literarischen Figurenkonstellation Beichtvater - schreibende Schwester für die einzelnen Stadien der Textentstehung gefragt. Mit diesen drei Problembereichen der Textentstehung sind freilich weniger die einzelnen Werke als vielmehr grundsätzliche Fragen der Produktion und Rezeption frauenmystischer Literatur angesprochen. Nicht die literarhistorische Analyse herausragender Werke hinsichtlich ihrer thematisch-ideologischen Ausrichtung wird deshalb im Zentrum unseres Interesses stehen, sondern eher Überlegungen zu den kulturhistorischen und organisatorischen Voraussetzungen des Aufkommens einer im 13. und 14.Jh. von und für mulieres religiosae verfaßten volkssprachigen Literaturtradition in den Niederlanden, in Deutschland und Frankreich. Denn gerade die Herausbildung einer aszetisch-mystischen Literatur religiös bewegter Frauen im 13. Jh. ist schon immer, in letzter Zeit sogar zunehmend von - wie ich meine - wenig abgesicherten generellen Forschungshypothesen hinsichtlich ihrer Entstehung überschattet gewesen. An ihnen wird sich auch die folgende Darstellung orientieren, die als eine kritische Überprüfung wirkungsmächtiger Forschungspositionen und damit zugleich als ein Beitrag zur Genese und Funktion frauenmystischer Literatur gedacht ist.
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I. Die Vorgeschichte frauenmystischer Literatur im frühen 13. Jahrhundert: die mulieres sanctae der Diözese Lüttich
Die Bedeutung religiöser Frauen im Prozeß der Entstehung und Ausdifferenzierung einer geistlichen Literatur in der Volkssprache wird von der Forschung nicht unterschätzt. Besonders im Falle der sog. Deutschen Mystik ist immer wieder das Bemühen der dominikanischen Prediger um die Volkssprache im Zusammenhang mit ihren seelsorgerlichen Aufgaben für Frauenkonvente und Beginensammlungen diskutiert und die im 13. und 14. Jh. entstandene volkssprachige Predigt-, Traktat- und Ubersetzungsliteratur als eine Antwort der vornehmlich mit der cura monialium betrauten Bettelorden auf das Drängen der religiös bewegten Frauen auf spirituelle Unterweisung gesehen worden.1 Diese als der zentrale Aspekt der dominikanischen curia monialium hervorgehobene Rolle der Frauen als Initiatorinnen, Hörerinnen und Schreiberinnen volkssprachiger geistlicher Literatur stellt schließlich Herbert Grundmann ins Zentrum seiner Überlegungen zu den »Geschichtlichen Grundlagen der Deutschen Mystik«. 2 Dabei betont er die Konvergenz von zwei zunächst getrennten Linien: jenen seit dem 13. Jh. deutlich auf die speziellen Erfordernisse der Frauenseelsorge ausgerichteten Interessen der Weltgeistlichen, Zisterzienser und später vor allem der Dominikaner an Viten-Übersetzungen und volkssprachigen Predigten entspreche auf der Seite der Frauen eine ausgeprägte Forderung nach religiöser Unterweisung und eine selbständige Spiritualität, die die literarischen Aktivitäten ihrer Seelsorger entsprechend bestimmt habe. Diese Überlegungen zu den speziellen spirituellen Bedürfnissen religiös bewegter Frauen und den literarischen Bemühungen ihrer Seelsorger als Überset1
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Vgl. dazu die programmatischen Thesen von Denifle, Heinrich: Über die Anfänge der Predigtweise der deutschen Mystiker. In: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 2 (1886), S. 6 4 1 - 6 5 2 ; kritisch dazu Scheeben, Heribert Christian: Über die Predigtweise der deutschen Mystiker (1961). Wieder in: Altdeutsche und altniederländische Mystik. Hrsg. von Kurt Ruh. Darmstadt 1964 (Wege der Forschung 23), S. 1 0 0 - 1 1 2 . In einem ersten Aufsatz: Grundmann, Herbert: Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Mystik (1934). Wieder in: Altdeutsche und altniederländische Mystik, S. 7 2 - 9 9 , hier S . 9 2 f f . und kurz darauf auf breiter Grundlage: Ders., Religiöse Bewegungen, hier vor allem S. 452ff.
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zer, Hagiographen und Prediger kulminieren bei Herbert Grundmann schließlich in der zugespitzt formulierten Behauptung: »Wo sich Männer mit theologischer Bildung der religiösen Frauenbewegung annahmen, war der Boden für eine volkssprachige religiöse Literatur bereitet«. 3 Diese These hat inzwischen in differenzierter Form allgemein Zustimmung gefunden. 4 Und auf ihrer Basis sind in der historischen und literaturgeschichtlichen Forschung Einzelheiten des lokal und zeitlich sehr unterschiedlichen Zusammenwirkens der spirituellen Vorstellungen und Wünsche der Frauen mit den theologischen und literarischen Konzepten ihrer Seelsorger analysiert worden. So konstatiert Simone Roisin auf der Grundlage der in Zisterzienserkonventen der Diözese Lüttich entstandenen lateinischen Viten des 13. Jhs. eine charakteristische »interaction cistercienne-beguinale«, 5 denn um die Wende des 12. bzw. zu Beginn des 13. Jhs. seien in der Diözese Lüttich zahlreiche mulieres religiosae im Laufe ihres Lebens in Zisterzienserinnenkonvente eingetreten, um mit den organisatorischen Rahmenbedingungen eines streng regulierten Lebens auch Schutz vor Häresieverdacht und Verfolgungen zu finden. Dadurch hätten sie aber zugleich mit ihren spezifischen Frömmigkeitsformen die Spiritualität sowohl ihrer zisterziensischen Mitschwestern als auch ihrer Seelsorger entscheidend beeinflußt. Das literarische Ergebnis dieses Kontakts vor allem der Zisterzienser mit der 3 4
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Grundmann, Religiöse Bewegungen, S. 457. Vgl. etwa die Ausfächerung des sozialgeschichtlichen Hintergrunds in dem lapidarprogrammatischen Vortrag von Ruh, Kurt: Vorbemerkungen zu einer Geschichte der abendländischen Mystik im Mittelalter (1982). Wieder in: Ruh, Kleine Schriften. Bd. II. Scholastik und Mystik im Spätmittelalter. Hrsg. von Volker Mertens. Berlin, N e w York 1984, S. 3 3 7 - 3 6 3 sowie die einleitenden Überlegungen von Langer, Mystische Erfahrung, S. 9ff. Roisin, Simone: L'efflorescence cistercienne et le courant feminin de piete au X I I F siecle. I n : Revue d'histoire ecclesiastique 39 (1943), S. 3 4 2 - 3 7 8 , hier S. 3 7 6 ; vgl. dazu auch ihre einige Jahre später erschienene weitausgreifende und informative Darstellung: Dies., L'hagiographie cistercienne dans le dicoese de Liege au X I I I e siecle. Louvain, Bruxelles 1947 (Universite de Louvain. Recueil de Travaux d'Histoire et de Philologie 3C Serie, 27 e fasc.), in der die Frauenviten des Herzogtums Brabant bzw. der Diözese Lüttich einer detaillierten mentalitätsgeschichtlichen Analyse unterzogen werden. Ähnlich -allerdings auf die Dominikaner bzw. Franziskaner bezogen - argumentiert Mens, Α . : L ' O m b r i e italienne et l'Ombrie brabanjonne. Deux courants religieux paralleles d'inspiration commune. Paris 1967 (Etudes franciscaines N . S . 17. Supplement annuel 1967), der die brabantischen und italienischen Viten vergleicht und eine »vaste fusion du courant beguinal et des ordres mendiants« (S. 53) konstatiert, die »l'ige d'or de la mystique populaire medievale« (S. 53) hervorgebracht habe. N o c h im Jahre 1946 hatte Mens, Alcantara: D e Vereering van de H . Eucharistie bij onze vroegste begijnen. I n : Studia eucharistica D C C Anni a condito festo sanctissimi corporis Christi 1 2 4 6 - 1 9 4 6 . Bussum, Antwerpen 1946, S. 157-186, keine Unterschiede zwischen Beginen und Zisterzienserinnen gesehen (S. 174).
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»mentalite beguinale«6 dieser Frauen sei im brabantisch-lütticher Raum des 13.Jhs. der literarische Typus der >mystischen< Vita mit seinen thematischen Schwerpunkten Armut und Askese, Eucharistie-Verehrung und Gnadenerlebnisse der unio. Aber auch Meister Eckharts deutsche Schriften werden neuerdings sehr direkt auf religiöse Ausdrucksformen und Konzepte von Frauenfrömmigkeit bezogen, wenn etwa Kurt Ruh in Meister Eckharts volkssprachigen Texten eine Auseinandersetzung mit der vornehmlich durch Marguerite Poretes >Miroir des simples ames anienties< vertretenen Beginenmystik sieht, deren nicht ungefährliche Aussagen über die Vollkommenheit der in Gott vereinten, von allem Irdischen abgelösten Seele bei Eckhart - um den spirituellen Wert dieser Überlegungen zu erhalt e n - eine theologisch entschärfte Umformulierung und dogmatische Präzisierung erfahren hätten. 7 Otto Langer verweist hingegen auf die Dominikanerinnen der Nonnenbücher, auf deren Vorstellungen eines begnadeten Lebens der Tugenden und Wunder Meister Eckhart kritisch und relativierend mit seiner Programmatik der »radikalen Selbstenteignung«8 reagiert habe. In allen drei Fällen —den Beziehungen der Lütticher mulieres sanctae zu den Zisterziensern, der Beginen und Dominikanerinnen zu Meister Eckhart - wird von einer eigenständigen, 6 7
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Roisin, Efflorescence, S. 377. Diese Überlegungen sind thesenhaft in einem kürzeren Aufsatz zusammengestellt: Ruh, Kurt: Meister Eckhart und die Spiritualität der Beginen. In: Perspektiven der Philosophie (1982). Wieder in: Ruh, Kleine Schriften. Bd. II, S. 327-336; neuerdings hat Kurt Ruh sie noch einmal - auf breiterer Grundlage und etwas abgewandelt - in seinem Eckhart-Buch entwickelt: Ruh, Kurt: Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker. München 1985, S. 95-114 (»Meister Eckhart und die Beginenspiritualität«). Zu Ruhs These vgl. unten S.48, Anm. 14; S. 74 und S. 99. Zu Eckharts Wissen um Marguerites Buch und ihren Prozeß vgl. auch Grundmann, Herbert: Ketzerverhöre des Spätmittelalters als quellenkritisches Problem (1965). Wieder in: Grundmann, Ausgewählte Aufsätze. Teil 1. Religiöse Bewegungen. Stuttgart 1976 (Schriften der M G H 25.1), S. 3 6 4 - 4 1 6 , hier S. 373, sowie Colledge, Edmund and Marler, J. C.: >Poverty of the Wille Ruusbroec, Eckhart and the Mirror of Simple Souls. In: Jan van Ruusbroec. The Sources, Content and Sequels of his Mysticism. Ed. by P. Mommaers and N . de Paepe. Leuven 1984 (Mediaevalia Lovaniensia Series I. Studia XII), S. 1 4 - 4 7 , hier S. 15f. Auch Mens, Ombrie, hat - allerdings wesentlich allgemeiner - einen deutlichen Einfluß der »mystique beguinale« auf Eckhart erwogen (S.53, Anm. 123). Langer, Otto: Zur dominikanischen Frauenmystik im spätmittelalterlichen Deutschland. In: Frauenmystik im Mittelalter, S. 341-346, hier S. 341. Detailliertere Begründungen der hier nur thesenhaft vorgetragenen Überlegungen bietet Langer, Otto: Enteignete Existenz und mystische Erfahrung. Zu Meister Eckharts Auseinandersetzung mit der Frauenmystik seiner Zeit. In: Sö predigent eteliche. Beiträge zur deutschen und niederländischen Predigt im Mittelalter. Hrsg. von Kurt Otto Seidel. Göppingen 1982 (GAG 378), S. 4 9 - 9 6 . Beide Vorträge basieren auf Otto Langers Habilitationsschrift: Mystische Erfahrung.
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nur ζ. Τ. literarisch ausformulierten Spiritualität religiös bewegter Frauen ausgegangen, die im 13. Jh. als Beginenfrömmigkeit, im 14.Jh. eher als eigenwillige vita re/zgzos^-Programme von Dominikanerinnen die seelsorgerlichen und literarischen Aktivitäten ihrer Beichtväter —im Sinne der Adaption oder kritischen Auseinandersetzung - zutiefst beeinflußt habe. Herbert Grundmann geht sogar noch weiter, wenn er generell die neuen religiösen Bedürfnisse und Erfahrungen von Frauen für die seit dem 12. Jh. forcierte Ausbildung einer geistlichen Literatur in der Volkssprache verantwortlich macht. Am Beispiel des niederländischen Raums mit seiner im 12. und 13. Jh. breit dokumentierten religiösen Frauenbewegung betont er den literarischen Impetus, der in den verschiedensten Bereichen von den Frauen ausgegangen sei. Sie hätten hier nicht nur als begierige Hörerinnen ihre Seelsorger - e t w a den Lütticher Weltgeistlichen Lambert, genannt Ii Begue- zur Ubersetzung hagiographischer Texte bewogen, sondern seien auch selbst literarisch aktiv geworden, da sie ihre eigenen spirituellen Erfahrungen niedergeschrieben, die Gnadenerlebnisse von Konventsmitgliedern und spirituellen Freundinnen aufgezeichnet, wie Beatrix von Nazareth ihre vita religiosa bereits in einem theoretisch-spekulativen Rahmen schriftlich fixiert oder wie Hadewijch, die berühmteste Autorin dieses Raums, in einem literarisch anspruchsvollen, breit ausgefächerten CEuvre von Liedern, Briefen und Visionen Anleitungen zu einem herausgehobenen spirituellen Leben der Nachfolge Christi und Annäherung an Gott vermittelt hätten. 9 Grundmann vermutet sogar in Anlehnung an die Überlegungen des niederländischen Philologen J. van Mierlo, 10 daß in diesen religiösen Frauenkreisen des brabantisch-lütticher Gebiets schon sehr früh, d. h. bereits um die Wende des 12. bzw. in der ersten Hälfte des 13. Jhs. eine ausgeprägte mystische Literatur in der Volkssprache verfaßt und ausgetauscht worden sei, die allerdings verloren gegangen sei bzw. nur in den literarischen >Spitzenleistungen< einer Beatrix von Nazareth oder Hadewijch überdauert habe. Zentrale Argumente für die Annahme einer nicht überlieferten volkssprachigen mystischen Frauenliteratur sind zum einen die ohne entsprechende literarische Vorläufer unbegreifliche Selbstverständlichkeit, mit der etwa Beatrix oder Hadewijch bei der literarischen Ausformulierung ihrer religiösen Erfahrungen mit der Volkssprache umgehen, zum anderen die in den lateinischen Viten dieses Raums nicht
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Grundmann, Religiöse Bewegungen, S.452ff. Ebda, S. 456.
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seltenen Angaben über literarische Aktivitäten der begnadeten Frauen, über ihre volkssprachigen Aufzeichnungen, die der Hagiograph dankbar benutzt habe. Diese autobiographischen Notizen, Lebensberichte oder Reflexionen der Frauen seien zwar in die offiziellen lateinischen Viten eingegangen, jedoch in ihrer ursprünglichen Form nicht erhalten, bis auf das Vita-Kapitel »De caritate Dei et VII eius gradibus« 1 1 der Beatrix von Nazareth, das in der Form eines abgeschlossenen volkssprachigen Traktats >Van seven manieren van heileger minnen>12 Eingang in die Predigtsammlung >Limburgische Sermoenen< des 14.Jhs. gefunden habe und einen vorzüglichen Eindruck nicht nur von Beatrix' spirituellem Anspruch, sondern auch von den literarischen Dimensionen dieser frühen frauenmystischen Literatur in der Volkssprache vermittle. Diese Überlegungen zu den Anfängen und Vorläufern frauenmystischer Textproduktion in brabantisch-lütticher Frauenkreisen gelten ebenso für den thüringischen Raum, der in der zweiten Hälfte des 13.Jhs. mit Mechthilds von Magdeburg fließendem Licht der Gottheit^ 3 einen Text hervorbringt, der ohne das Wissen um literarische Vorläufer und die genauen Umstände seiner Entstehung kaum verständlich ist. Hier sind wir freilich in besonderer Weise auf Spekulationen über die Lebensweise, spirituellen Ausdrucksformen und literarischen Aktivitäten religiöser Frauenkreise angewiesen, da wir nur sehr spärliche, zudem problematische Informationen über Mechthilds Leben in Magdeburg und ihren späteren Eintritt in das Kloster Helfta besitzen. 14 U m zumindest eine literarische Anbindung dieses in der volkssprachigen Literatur des 13.Jhs. merkwürdig isolierten Textes zu erreichen, sind immer wieder Verbindungen zu Hadewijchs (Euvre, zumal ihrer geistli-
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Vita Beatricis. D e Autobiografie van de Z. Beatrijs van Tienen O . Cist. 1200-1268. In de Latijnse bewerking van de anonieme biechtvader der abdij van Nazareth te Lier voor het eerst volledig en kritisch uitgegeven door L. Reypens S. J . Antwerpen 1964 (Studien en Tekstuitgaven van O G E 15), Kap. III, 14 (S. 157-179). Neueste Ausgabe: Beatrijs van Nazareth, Van seuen manieren van heileger minnen. Uitg. naar het Brusselse handschrift, ingeleid en van aantekeningen voorzien door H . W . J . Vekeman en J . J . T h . M . Teersteeg. Zutphen o . J . (1971). Offenbarungen der Schwester Mechthild von Magdeburg oder Das fließende Licht der Gottheit. Aus der einzigen Handschrift des Stiftes Einsiedeln hrsg. von P. Gall Morel (1869). Nachdruck: Darmstadt 1976. Zur >Biographie< Mechthilds von Magdeburg vgl. vor allem die grundlegende, aber nicht unproblematische Arbeit von Neumann, Hans: Beiträge zur Textgeschichte des f l i e ß e n d e n Lichts der Gottheit< und zur Lebensgeschichte Mechthilds von Magdeburg (1954). In leicht gekürzter Form wieder in: Altdeutsche und altniederländische Mystik, S. 175-239 sowie unten S. 53ff.
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chen Lieddichtung erwogen worden. 1 5 Allerdings ohne durchschlagenden Erfolg, da die Texte hinsichtlich ihrer Typenzugehörigkeit, ihrer ideologischen Ausrichtung und literarischen Technik zu unterschiedlich sind, als daß ein Vergleich zu sinnvollen Ergebnissen führen kann. Aussichtsreicher scheint deshalb ein vergleichender Blick auf die möglichen literarhistorischen Voraussetzungen der Entstehung der beiden CEuvres zu sein. U n d dafür bieten die zahlreichen Viten von Zisterzienserinnen b z w . unregulierten mulieres religiosae des Herzogtums Brabant b z w . der Diözese Lüttich mit ihren detaillierten Angaben über die verschiedenen Formen einer vita religiosa, die Lektüre und Bildungsvoraussetzungen der Frauen eine vorzügliche Basis. Sie werden auch für die Mechthild-Forschung von Bedeutung sein, weil sie möglicherweise - per Analogieschluß - wesentliche Informationen über die kulturhistorischen und spirituellen Hintergründe der Entstehung und Rezeption des f l i e ßenden Lichts der Gottheit< bieten und damit den uns bislang k a u m zugänglichen >Sitz im Leben< dieses Textes erhellen. Im Zentrum des Interesses an dem Viten-Corpus des brabantisch-lütticher Raums stehen deshalb die Themenbereiche Frömmigkeitsformen, Bildungsmöglichkeiten und literarische Aktivitäten der verehrten mulieres sanctae, um - im Blick auf Herbert Grundmanns These von der Existenz einer autobiographischen b z w . biographisch ausgerichteten Textproduktion der religiösen Frauenkreise im 13. J h . - den kulturhistorischen Hintergrund der Entstehung frauenmystischer Literatur zu diskutieren.
1. R e l i g i ö s e F r a u e n b e w e g u n g u n d n e u e F r ö m m i g k e i t s f o r m e n In der ersten Hälfte des 13. Jhs. haben offenbar eine Reihe von Frauen in brabantischen Zisterzienserinnenkonventen, in Spitalgemeinschaften oder als Reklusen im Umkreis von Klöstern und Stiftern der Diözese Lüttich besondere Formen einer vita religiosa verwirklicht, so daß sie schon zu ihren Lebzeiten, verstärkt aber nach ihrem Tod als wundertätige Heilige verehrt wurden. Aus diesem Grund sind bald - auf Initiative 15
Vgl. etwa die Überlegungen bei Taigel, Hermann: >Minne< bei Mechthild von Magdeburg und bei Hadewijch. Diss, (masch.) Tübingen 1955; Neumann, Hans: Mechthild von Magdeburg und die mittelniederländische Frauenmystik. In: Mediaeval German Studies. Presented to Frederick Norman. London 1965 (University of London Institute of German Studies), S. 2 3 1 - 2 4 6 ; Gooday, Frances: Mechthild of Magdeburg and Hadewijch of A n t w e r p : A Comparison. In: O G E 48 (1974), S. 3 0 5 - 3 6 2 .
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von geistlichen Institutionen, Würdenträgern und Einzelpersonen, die besondere Kontakte zu diesen Frauen hatten- Viten zusammengestellt worden, die von ihrem heiligmäßigen Leben, den Begnadungen und Wundern berichten. Diese vor allem in Zisterzienserkonventen entstandenen, aber auch etwa von dem Regularkanoniker Jakob von Vitry oder dem Dominikaner Thomas von Chantimpre verfaßten Vitentexte, die z.T. von einem hohen literarischen Anspruch getragen sind und in einigen Fällen untereinander literarische Beziehungen aufweisen, gelten in der Forschung zur Frühgeschichte der religiösen Frauenbewegung als vorzügliche Quellen für die neuartigen Lebensmöglichkeiten, die in der ersten Hälfte des 13.Jhs. religiöse Frauen gegen den erbitterten Widerstand ihrer Umwelt durchgesetzt haben. 16 Von besonderer Bedeutung sind dabei Jakobs von Vitry Lebensbeschreibung der Marie von Oignies, Thomas' von Chantimpre >Supplementum< zu dieser Vita, sein >Leben< der Christina Mirabilis von St. Trond und Leutgards von Tongeren, Hugos von Floreffe Lebensbild der Ivette von Huy, sowie die anonymen Viten der Spitalschwester Juliana von Cornillon und der Zisterzienserinnen Beatrix von Nazareth, Ida von Nivelles und Ida von Leeuw, beide Schwestern in La Ramee, und schließlich Ida von Löwen in Rosendaal. 17 Diese Texte dokumentieren ein breites Spektrum an religiö-
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Vgl. etwa die von den brabantischen Viten bestimmten Darstellungen des >neuen< religiösen Lebens im 13.Jh. bei Preger, Geschichte der deutschen Mystik, 1. Teil, S. 53-69; Greven, Joseph: Die Anfänge der Beginen. Ein Beitrag zur Geschichte der Volksfrömmigkeit und des Ordenswesens im Hochmittelalter. Münster 1912 (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen 8); Ders., Der Ursprung des Beginenwesens. Eine Auseinandersetzung mit Godefroid Kurth. In: HJb 35 (1914), S. 26-58; 291-318 oder Mc Donneil, Ernest W.: The Beguines and Beghards in Medieval Culture with Special Emphasis on the Belgian Scene (1954). Nachdruck: New York 1969. Marie von Oignies: AASS 23. Juni, Bd. IV (1969), S. 630-666; Supplementum ad vitam: S. 666-678; Christina Mirabilis: AASS 24.Juli, Bd.V (1969), S. 637-660; Leutgard von Tongeren: AASS 16.Juni, Bd.III (1969), S.231-262; Ivette von Huy: AASS 13. Januar, Bd. I (1965), S. 863-887; Juliana von Cornillon: AASS 5. April, Bd. I (1968), S. 437-477; Ida von Nivelles: Henriquez, P. F. Chrysostomus: Quinque prudentes virgines. Antwerpen 1630, S. 199-297; Ida von Leeuw: AASS 29. Okt., Bd. XIII (1970), S. 100-124; Ida von Löwen: AASS 13. April, Bd. II (1968), S. 155-189. In den näheren Umkreis dieser mulieres religiosae des Herzogtums Brabant und der Diözese Lüttich gehört auch die Thomas von Chantimpre-Vita der flandrischen Margarethe von Ypern: Meersseman, G.: Les freres precheurs et le mouvement devot en Flandre au XIIP siecle. In: AFP 18 (1948), S. 69-130, hier S. 106-130. Zu den Lebensformen und spirituellen Bedürfnissen dieser Frauen vgl. die übergreifenden Arbeiten: Roisin, Efflorescence; Dies., Hagiographie cistercienne; Axters, Stephanus: Geschiedenis van de Vroomdheid in de Nederlanden I. De Vroomdheit tot rond het Jaar 1300. Antwerpen 1950, S. 205-238; 306-334; Mens, Ombrie; Ganck, Roger de: The Cistercian nuns of Belgium in the thirteenth century seen against the background
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sen Lebenssituationen und spirituellen Ausdrucksformen und vermitteln damit zumindest einen Eindruck von den Vorstellungen, die sich die Zeitgenossen von den Konkretisierungsmöglichkeiten einer vorbildlichen vita religiosa für Frauen im 13. Jh. gemacht haben. Eine programmatische Rolle wird dabei Jakobs von Vitry Vita der Marie von Oignies zugewiesen, die nicht nur in literarischer Hinsicht die hagiographischen Aktivitäten etwa des Dominikaners Thomas von Chantimpre beeinflußt hat. 18 Die Lebensbeschreibung der Marie von Oignies ist auch in ideologischer Hinsicht als Exempel eines neuen Programms gedacht, das Jakob von Vitry in einem ausführlichen Widmungsbrief an Fulko, den Bischof von Toulouse, entwickelt. 19 In polemischer Wendung gegen die Erfolge der Albigenser im Süden Frankreichs präsentiert der Hagiograph dem bedrängten Bischof als positives Gegenbild die vita religiosa frommer Frauen der Diözese Lüttich, die ein Leben in Armut und humilitas führen, auch in Extremsituationen ihre Keuschheit bewahren, Zeiten der Gliederstarre, des absoluten Schweigens, des Weinens erleben, die von ekstatischen Zuständen der süßen Nähe Gottes unterbrochen werden. Da dieser Prolog geradezu stichwortartig die zentralen Tugenden und Gnaden einer vita religiosa auf-
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of the second wave of Cistercian spirituality. In: Cistercian Studies 5 (1970), S. 169-187; Bolton, Brenda M.: Mulieres sanctae. In: Sanctity and Secularity: The Church and the World. Papers read at the eleventh Summer meeting and the twelfth Winter meeting of the Ecclesiastical History Society. Ed. by Derek Baker. Oxford 1973, S. 7 7 - 9 5 ; Dies., Vitae matrum: A further aspect of the Frauenfrage. In: Medieval Women. Dedicated and Presented to Professor Rosalind M.T. Hill on the Occasion of her seventienth Birthday. Ed. by Derek Baker. Oxford 1978, S . 2 5 3 - 2 7 3 ; Dies., Some Thirteenth Century Women in the Low Countries. A Special Case? In: Nederlandse Archief voor Kerkgeschiedenis NS 6 (1981), S. 7 - 2 9 ; Bynum, Women mystics. Zu dem Kirchenpolitiker und Hagiographen Jakob von Vitry vgl. Funk, Philipp: Jakob von Vitry. Leben und Werke (1909). Nachdruck: Hildesheim 1973; zu Thomas von Chantimpre, der neben dem >Supplementum< zur Vita Maries von Oignies auch eigenständige Viten der Leutgard von Tongeren, Christine von St. Trond und Margarethe von Ypern verfaßt und sich dabei immer wieder auf Jakobs von Vitry Lebensbericht der Marie von Oignies bezogen hat, vgl. Roisin, Simone: La methode hagiographique de Thomas von Cantimpre. In: Miscellanea Historica in honorem Alberti de Meyer Universitatis Catholicae in oppido Lovaniensis iam anno X X V professoris. Bd. 1. Louvain, Brüssel 1946 (Universite de Louvain. Recueil de Travaux d'Histoire et de Philologie 3e serie. 22 e fasc.), S. 5 4 6 - 5 5 7 , die Thomas' zunehmendes Interesse für >mystische Phänomene< weniger auf den Einfluß Jakobs von Vitry als auf eine Wirkung des zisterziensischen Milieus zurückführt, in dem sich Thomas von Chantimpre bewegt habe (S. 557). Marie von Oignies: Prolog, S . 6 3 6 - 6 3 8 ; vgl. auch die leicht gekürzte Ubersetzung dieses Widmungsschreibens bei Oehl, Wilhelm: Mystikerbriefe des Mittelalters. München 1931, S. 192-196; 761-764.
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weist, wie sie in späteren Texten zu den entscheidenden Merkmalen und Stationen eines Mystikerinnenlebens werden, gilt Jakob von Vitry als ein besonders aufmerksamer Beobachter der Szene der frühen religiösen Frauenbewegung, deren spezifisch eucharistische Spiritualität von ihm sehr genau erfaßt worden sei. Deshalb bestimmt Jakobs von Vitry Bericht von dem erstaunlichen Verhalten der Mädchen, Frauen und Witwen der Diözese Lüttich die meisten Arbeiten zur Spiritualität und Lebenspraxis jener religiös ergriffenen Frauen, die von den Zeitgenossen bald Beginen genannt werden. Aber auch die anderen Viten sind immer wieder auf ihre Informationen hinsichtlich der Lebensform religiös lebender Frauen außerhalb der Klöster befragt und für eine Darstellung der Frühgeschichte der Beginen verwertet worden. Diese eher punktuellen Überlegungen hat schließlich Simone Roisin auf der Basis einer systematischen Durchsicht der zisterziensischen Viten des brabantisch-lütticher Raums zu einem Gesamtpanorama einer sehr spezifischen Frauenspiritualität, einer Beginenspiritualität, erweitert, die sie von den Themen und Praktiken zisterziensischer Frömmigkeit der männlichen Protagonisten deutlich abhebt.20 Die Frauen hätten mit ihrem Insistieren auf ein Leben in Armut und Keuschheit, ihrer Verehrung der Eucharistie und ihrem Streben nach außergewöhnlichen Gnadenbezeugungen bereits sehr charakteristische Frömmigkeitsformen ausgebildet, bevor sie engere Verbindungen zu ihren Beichtvätern aufgenommen hätten und als Zisterzienserinnen in den Gesichtskreis ihrer späteren Hagiographen getreten seien. Diese wiederum hätten diese eigenständigen religiösen Ausdrucksformen der Frauen eifrig unterstützt, aber bei den Lebensbeschreibungen männlicher Religiösen deutlich andere Akzente gesetzt, demnach ein klares Bewußtsein von der andersartigen Spiritualität der Frauen gehabt und vermittelt. Simone Roisin geht davon aus, daß sich diese eigenen Vorstellungen der mulieres sanctae ihren früheren und dauerhaften Kontakten mit Beginen verdankten. Sie verweist einerseits auf die Vitenangaben über intensive Bindungen der Frauen zu Beginen oder Reklusen ihrer Umgebung, etwa Julianas von Cornillon Freundschaft mit der Rekluse Eva, der sie ihre spirituellen Erfahrungen mitteilt, andererseits auf die
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Roisin, Hagiographie cistercienne, S. 1 0 6 - 1 2 3 ; vgl. auch Philippen, L.J. M.: Begijnhoven en Spiritualiteit. In: O G E 3 (1929), S. 1 6 5 - 1 9 6 und Mens, Ombrie, die ähnlich argumentieren. Bynum, Women mystics, verzichtet hingegen auf eine Ausgrenzung einer spezifischen Beginenspiritualität, sondern unterscheidet nur zwischen männlichen und weiblichen religiösen Ausdrucksformen.
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Kindheits- und Jugendgeschichte der Zisterzienserinnen, die vor ihrem Klostereintritt oft bei Beginen aufwachsen, von ihnen unterrichtet werden oder zumindest häufig und gern bei ihnen verkehren. Auch bei den klausurierten Frauen seien demnach die entscheidenden Eindrücke ihres Lebens von den Beginen ausgegangen, die ihnen bereits in ihrer Jugend ausgeprägte Vorstellungen einer beginischen vita religiosa vermittelt hätten, bevor sie etwa mit dem Eintritt in einen Zisterzienserinnenkonvent die Welt bernhardinischer Frömmigkeit hätten kennenlernen können. Damit sind grundsätzliche Probleme einer Einschätzung der religiösen Frauenbewegung hinsichtlich der Eigenständigkeit ihrer Spiritualität und Lebensformen verbunden. Auf der Basis des brabantischen Vitenkorpus unterscheidet Simone Roisin zwischen weiblichen und männlichen Frömmigkeitsformen, die sie mit dem Gegensatzpaar Beginen- und Zisterzienserspiritualität belegt, und unterstreicht dabei die Priorität und Initiative der außerhalb des Klosters lebenden mulieres sanctae bei der Durchsetzung neuer Lebensweisen wie religiöser Ausdrucksformen. Die spezifischen Frömmigkeitsformen dieser mulieres devotae hätten sich unabhängig von den geistlichen Institutionen, Würdenträgern und zisterziensischen wie dominikanischen Hagiographen entwickelt, die meist erst in einer späteren Lebensphase der Frauen als organisatorische Instanzen, als persönliche Beschützer oder spirituelle Vertraute aufgetreten seien. Und erst in den Viten sei diese Beginenspiritualität eine fruchtbare literarische Verbindung mit zisterziensischen Frömmigkeitsformen und Lebensprogrammen eingegangen. Die Unterscheidung zwischen einer bernhardinischen Frömmigkeit der Zisterzienser und den spezifischen religiösen Ausdrucksformen jener mulieres religiosae hat auch Konsequenzen für die literarhistorische Beurteilung jener Texte, die - wie etwa Hadewijchs CEuvre oder Mechthilds von Magdeburg fließendes Licht der GottheitInnensichtKetzerbekämpfung< bestimmt sind23 und die z.T. — gerade aufgrund ihrer signifikanten Eucharistieverehrung - sehr konkrete Aufgaben im Pastoralbereich der Kirche übernehmen. Männer und Frauen agieren demnach sehr unterschiedlich, aber nicht unbedingt im Sinne einer zisterziensischen bzw. beginischen Spiritualität. Es empfiehlt sich deshalb, die geschlechtsspezifisch konzipierten Heiligkeitsvorstellungen der brabantischen Viten in ihren funktionalen Bestimmungen zu sehen und nicht zu sehr als Hinweis auf eine spontane, d. h. ursprünglich unabhängig von den monastischen Lebensprogrammen der Männer entstandene, eigenständige Spiritualität religiös bewegter Frauen. Bei der Frage nach spezifischen Frömmigkeitsformen dieser Frauen - u n d wenn auch nur im Sinne der Zuschreibung- wird man deshalb weniger auf die Unterschiede zwischen den männlichen und weiblichen Protagonisten der Viten zu achten haben als auf mögliche Differenzierungen innerhalb des Frauenkorpus, d. h. auf Unterschiede in der Darstellung des spirituellen Lebens etwa der Zisterzienserinnen und jener nicht klausurierten mulieres religiosae, die in den Viten eine große 23
Vgl. etwa den Widmungsbrief Jakobs von Vitry zur Vita Maries von Oignies, S. 636, D, das siebenjährige Fasten Leutgards von Tongeren wegen der Albigenser: II, 1 (S.243, E ) , die Beispiele bei Goodich, Vita perfecta, S. 179f., Mens, Vereering, S. 1 6 4 - 1 6 6 sowie die Hinweise auf die Häresie-Thematik der eucharistischen Visionen bei Bolton, Some Thirteenth Century, S.27.
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Rolle spielen. Simone Roisin verzichtet auf diese Unterscheidung, da sie davon ausgeht, daß auch die Zisterzienserinnen zutiefst von der vita religiosa jener unregulierten mulieres religiosae beeinflußt gewesen und bereits mit der Kenntnis dieser neuen Frömmigkeitsformen in ihre Konvente gekommen seien. Tatsächlich bieten die Viten zahlreiche Angaben über semireligios24 lebende Frauen, die die begnadeten Nonnen in das spirituelle Leben einführen und auch später noch enge Kontakte zu ihnen pflegen. Die meisten Informationen konzentrieren sich auf die Jugendgeschichte der Frauen, da hier die Verbindung mit »in saeculo non saeculariter«25 lebenden Frauen als eine entscheidende Station bei der Weltabkehr der mulieres sanctae dargestellt wird. Am wenigsten zielgerichtet auf dieses Thema erscheint noch die Begegnung mit den Beginen bei Beatrix von Nazareth: sie wird nach dem Tod ihrer Mutter mit sieben Jahren einem »devotum beghinarum collegium«26 anvertraut, die sich durch ihre mores und virtutes empfehlen. Anders schon bei Ida von Leeuw in Ramee, die nach der conversio ihrer Schwester, die sich in die strenge Klausur der Zisterzienserinnen begibt und die Benediktinerregel befolgt, zwar weiterhin im Elternhaus bleibt, jedoch »in saeculo« lebt, sich aber »non saeculariter«27 verhält und eifrig Reklusen und Beginen aufsucht, bis sie mit 13 Jahren in das Zisterzienserinnenkloster La Ramee eintritt. Und noch expliziter wird diese Sicht bei Ida von Nivelles, die sich — nach dem Tode ihres Vaters — als neunjähriges Mädchen der drohenden Verheiratung durch die Flucht zu »pauperes virgines«28 entzieht. Sie wohnt drei Jahre lang bis zum Tode ihrer religiös lebenden Mutter mit sieben >Jungfrauen< in einem Haus »iuxta ecclesiam que sepulchrum nuncupatur« (S.201), bemüht sich bereits hier in der Nachfolge Marthas um ein vorbildlich asketisches Leben in Armut und zieht bettelnd durch die Straßen, um mit 16 Jahren in das Zisterzienserinnenkloster Kerckenhof einzutreten. Da in diesen Beispielen das semireligiose Leben der Frauen im Umkreis von Gleichgesinnten nur eine Etappe auf ihrem Weg ins Kloster darstellt und vornehmlich ihre frühen religiösen Ambitionen zeigt, 24
Begrifflichkeit nach Elm, Kaspar: Die Stellung der Frau in Ordenswesen, Semireligiosentum und Häresie zur Zeit der heiligen Elisabeth. In: Sankt Elisabeth. Fürstin, Dienerin, Heilige. Aufsätze, Dokumentation, Katalog. Hrsg. von der Philipps-Universität Marburg . . . Sigmaringen 1981, S. 7 - 2 8 .
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Ida von Leeuw: I, 6 (S. 109, D). Beatrix von Nazareth: I, 3 (»De eo quod beghinis sociata fuit et scolas frequentauit«), 11 f. (S. 24). Ida von Leeuw: I, 6 (S. 109, D). Ida von Nivelles: S . 2 0 1 .
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bleiben die Angaben über die Spiritualität dieser Beginengruppen eher allgemein. Das Interesse des Hagiographen konzentriert sich naturgemäß nicht auf das frühe semireligiose Leben der Protagonistinnen, das kein Eigengewicht hat, sondern zur spirituellen Vorgeschichte eines begnadeten Lebens gehört, die mit dem Klostereintritt abgeschlossen und aufgehoben ist. Man wird deshalb keine detaillierten Informationen über spezifische Frömmigkeitsformen semireligios lebender Frauen erwarten dürfen. Anders ist das freilich bei jenen Viten, in denen mulieres religiosae im Mittelpunkt stehen, die nicht in einen etablierten Nonnenkonvent eingetreten sind: etwa Marie von Oignies, Christina Mirabilis, Ivette von Huy und Juliana von Cornillon. Ihre Lebensberichte, die bis in Einzelheiten die verschiedenen Stationen und Möglichkeiten ihres semireligiosen Lebens verfolgen, müßten eigentlich auch relativ unverstellt Auskunft über die vermuteten Besonderheiten in den Frömmigkeitsformen und spirituellen Bedürfnissen religiös bewegter Frauen um die Wende des 12.Jhs. geben. Marie von Oignies, die berühmteste von ihnen, überredet - nach der Darstellung ihres Hagiographen Jakob von Vitry- ihren Ehemann zu einem Leben in beiderseitiger Enthaltsamkeit und Dienstbereitschaft im Leprosenhaus von Willambrouk in der Nähe ihres Geburtsortes Nivelles. In geistlichem Kontakt mit Magister Guido von Nivelles, einem Kapellan der Kirche Willambrouk, lebt sie hier ein asketisches Leben der Gnaden und Wunder Gottes, das von Jakob von Vitry unter das Thema der sieben Gaben des Hl. Geistes gestellt wird. Sie siedelt nach einer Vision in eine Zelle beim Augustinerpriorat St. Nicholas in Oignies-surSambre über und wird bereits hier als wundertätige, prophetische Heilige verehrt. Ihre Berühmtheit verdankt sie vor allem ihrer Verbindung zu Jakob von Vitry, dem späteren Bischof von Akkon und Kardinal von Tusculum, der sich - nach den Angaben des >Supplementum< zur Vitavon seinen theologischen Studien in Paris unverzüglich nach Oignies begibt, um sich von ihr gegen geistliche Karrierewünsche immunisieren und zu seiner Predigttätigkeit inspirieren zu lassen. Die dem Spitaldienst ergebene, später als Rekluse lebende Marie von Oignies wird schließlich in den Viten des brabantisch-lütticher Raums zu einer dominierenden Figur, die als Prototyp einer >neuen< Heiligen zur begnadeten Visionärin und geistlichen Beraterin im Kampf der Kirche gegen die Albigenser aufsteigt.29 29
Vgl. etwa Thomas' von Chantimpre Verweise auf Jakobs von Vitry Lebensbericht der Marie von Oignies bzw. das Auftreten Maries von Oignies in der Vita Leutgards von Tongeren: II, 1, (S.244, A ) ; III, 1 (S.257, F ) ; III, 3 (S.261, A ; E).
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So verweist auch Thomas von Chantimpre im Prolog der Christina Mirabilis-Vita ausdrücklich auf Marie von Oignies und ihren Lebensbericht durch Jakob von Vitry, der auch für seine Darstellung vorbildlich sei.30 Christinas Leben, das Thomas von Chantimpre 8 Jahre nach ihrem Tod und ein Jahr nach der Öffnung ihres Grabes im benediktinischen Katharinakloster von St. Trond niederschreibt, verläuft allerdings sehr viel weniger geradlinig: nach dem Tode ihrer Eltern wächst sie zunächst zusammen mit ihren beiden älteren Schwestern auf, die sie wegen ihres ungewöhnlichen Verhaltens - sie steigt zum Beten auf Bäume und hohe Türme, singt laut Psalmen auf den Plätzen der Stadt- ärztlich untersuchen und in Gewahrsam nach Lüttich bringen lassen. Nachdem ihre wunderbare Verpflegung durch Christus bekannt geworden ist, wird sie aus ihrem >Gefängnis< befreit und von vielen andächtig bestaunt. Sie flieht jedoch diesen Ruhm, widmet sich der Pflege von Kranken und Sterbenden, hält sich für längere Zeit bei der Rekluse Ivetta in Loon auf und übt hier als prophetische Beraterin einen großen Einfluß auf den Grafen Ludwig von Loon aus, der sie sogar an sein Totenbett rufen läßt. Danach kehrt sie wieder nach St. Trond zurück, lebt allein, verkehrt aber häufig mit den Nonnen des Benediktinerinnenklosters St. Katharina, in dem sie schließlich begraben wird. Auch Christina Mirabilis wird demnach als Beraterin mit prophetischen Gaben gesehen, als eine >heilige< Frau die neben Krankenpflege und Sterbedienste besondere Aufgaben der geistlichen Belehrung übernimmt. Dies gilt auch für Ivette von Huy, die sich - n a c h der Vita des Prämonstratensers Hugo von Floreffe- als junge Witwe erfolgreich einer weiteren Heirat widersetzt, mit 23 Jahren in das armselige Leprosenhaus am Rande des Ortes Huy übersiedelt, hier zunächst in der Nachfolge Marthas die Kranken pflegt und mit ihnen in engstem Kontakt lebt, sich nach Jahren des Spitaldienstes - i m Sinne der kontemplativen Maria- mit der Unterstützung des Abtes des Zisterzienserklosters Orval als Inkluse bei der Klosterkirche installiert, sich um den Aufbau und eine Regel des Leprosenhauses kümmert, in Fürbitten und Gesprächen Vater und Sohn zur conversio animiert und bald zu einer berühmten prophetischen Beraterin wird, der sich auch andere Frauen als Inklusen anschließen.31 Auch Juliana von Cornillon beginnt ihre vita religiosa als Spitalschwe30 31
Christina Mirabilis, Prologus (S. 650, A). Zur Abfolge Spitaldienst - Reklusenleben im Sinne der Opposition einer Martha Maria-Nachfolge bei Ivette von H u y vgl. die übergreifende Darstellung von WehrliJohns, Martina: Maria und Martha in der religiösen Frauenbewegung. In: Abendländische Mystik im Mittelalter, S. 3 5 4 - 3 6 7 , hier S. 356f.
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ster: 32 sie wird nach dem Tode ihrer Eltern - z u s a m m e n mit ihrer Schwester Agnes - von Verwandten in die bei Lüttich gelegene »domus Montis Cornelii« (I, 1, 2 S. 445 A) gegeben, ein Leprosenhaus, in dem kranke und gesunde Männer und Frauen jeweils unter der Leitung eines Priors und einer Priorin leben. Die Übergabe der beiden wohlhabenden Mädchen ist offenbar auch als eine Art finanzielle Zuwendung gedacht. Während aber H u g o von Floreffe bei Ivette von H u y ausdrücklich das »ministerium Marthae« (S. 870, Cap. XI, 37), ihren freiwilligen Dienst an den Kranken, ihre Bitte um Ansteckung, das gemeinsame Essen und Trinken in der armseligen Stätte, betont, wird hier die vorzügliche Ausbildung in der »scriptura latina et gallica« (I, 1, 6, S. 445, F) herausgestellt, die Juliana im Leprosenhaus von Cornillon bei einer Magistra mit dem sprechenden Namen Sapientia erhält. Zur gleichen Zeit führt sie ein Leben der Askese, der teuflischen Versuchungen und immer wiederkehrenden Eucharistie-Visionen, über die sie zunächst nur mit der ihr bis zu ihrem Tod vertrauten, bei dem Lütticher Kollegiatstift St. Martin lebenden Rekluse Eva spricht. Nach 20 Jahren eröffnet sie schließlich den ihr in kontinuierlichen Visionen übermittelten göttlichen Wunsch nach einem eigenen Leib-Christi-Fest einem Kanoniker von St. Martin, Johannes von Lausanne, der ihre Visionen zunächst zur Prüfung an ein Gremium von Gelehrten, dann an den Lütticher Bischof und schließlich an den Papst weiterleitet. Sie werden akzeptiert, so daß sie zusammen mit einem jungen Bruder Johann die Liturgie zu diesem neuen Fronleichnamsfest erarbeiten kann, um dessen Durchsetzung in seiner Diözese sich der Lütticher Bischof Robert von Thorote sehr bemüht. Inzwischen ist Juliana - als Nachfolgerin von Sapientia- zur Priorin des Leprosenhauses in Cornillon gewählt worden, gerät aber im Rahmen sich verschärfender juristisch-ökonomischer Auseinandersetzungen des Spitals mit der Stadt Lüttich zunehmend in Schwierigkeiten und ist schließlich den heftigsten Anfeindungen von seiten des neuen Priors ausgesetzt, der von der Stadt unterstützt wird. Sie muß zu ihrer Freundin, der Rekluse Eva, fliehen, findet aber zugleich Schutz bei dem Kanoniker Johannes von Lausanne und vor allem die Hilfe des Bischofs 32
Zu Juliana von Cornillon als der >Initiatorin< des Fronleichnamfestes gibt es eine Reihe >biographisch< orientierter Arbeiten, die die gesellschafts- und kirchengeschichtlichen Hintergründe ihres >Lebens< ausleuchten; vgl. etwa Berliere, D . U r s m . : Vie de Sainte Julienne de Mont-Cornillon par un Moine benedictin de l'Abbaye de Maredsons. N a m u r 1884; Abbe Denis, Emile: Sainte Julienne et Cornillon. Etude Historique. (Extraits de l'Histoire de la leproserie de Cornillon). Liege 1927; Ders., La vraie histoire de Sainte Julienne de Liege et de l'institution de la Fete-Dieu. Paris, Tournai 1935.
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Robert von Thorote, der die Oberaufsicht über das Spital zurückgewinnen möchte, sich deshalb in den Konflikt einschaltet und nach einer Untersuchung der Vorfälle den Prior durch jenen jungen Bruder Johann ersetzt, der sich bereits um die Liturgie des neuen Corpus-Christi-Festes verdient gemacht hat. Nach dem Tod des Bischofs im Jahre 1246 beginnt allerdings für Juliana ein Leben sich steigernder Verfolgungen und immerwährender Flucht: von der gewaltsamen Rückkehr des strafversetzten Priors, den Feindseligkeiten der Bewohner von Lüttich, der Verwüstung ihrer Zelle, ihrer Flucht zu armen Beginen in Namur, ihrer Unterstützung durch die Äbtissin des Zisterzienserinnenklosters Salzinnes, der Zerstörung dieses Klosters durch die Bewohner von Namur, dem Tod ihrer wenigen treuen Begleiterinnen bis zu ihrem letzten Zufluchtsort, einem reclusorium, das ihr ein Kanoniker, der Kantor von Fosses, zur Verfügung stellt. Auf eigenen Wunsch wird sie schließlich nach ihrem Tod im Jahre 1250 im berühmten Zisterzienserkloster Villers begraben, von dem auch ihre Verehrung ausgeht. Die brabantisch-lütticher Viten des 13.Jhs. bieten ein farbiges Bild von den Lebensmöglichkeiten und Aktivitäten religiös bewegter Frauen, die den Umkreis ihrer bisherigen Existenz verlassen und die verschiedensten Richtungen eines geistlichen Lebens erproben. Auffallend ist dabei die Vielfalt, in der sich nach der Darstellung dieser Lebensberichte für diese Frauen eine vita religiosa außerhalb des Klosters verwirklichen kann: von der »vivens in saeculo non saeculariter se deduxit« (I, 6, S. 109, D) bezeichneten Lebensweise Idas von Leeuw in ihrem Elternhaus, über das Zusammenleben Idas von Nivelles mit bettelnden »pauperes virgines« (S.201) in einem eigenen Haus bis zu den sehr divergierenden Formen eines Lebens — wie Marie von Oignies oder Eva von St. Martin in Lüttich - als geachtete, mit geistlichen Institutionen bzw. einzelnen geistlichen Personen in Kontakt stehende Rekluse in der Nähe einer Kirche oder - wie Marie von Oignies in Willambrouk oder Juliana im »domus Montis-Cornelii« (I, 1, 2, S. 445, A) — als Mitglied des streng geordneten Gemeinschaftsleben eines Spitals. Diese Ausdifferenzierung an religiösen Lebenssituationen außerhalb des Klosters widerspricht aber zugleich auch der Annahme einer konsistenten Spiritualität dieser mulieres religiosae, die sich ungeachtet der Unterschiede in den Lebensformen und Aktionsmöglichkeiten eigenständig entwickelt und als spezifisch weibliche Variante religiöser Erfahrungsmöglichkeiten die religiösen Ausdrucksformen auch der Klosterinsassen beeinflußt und vor allem die Hagiographen zutiefst beeindruckt habe. Vielmehr ist mit enormen Unterschieden nicht nur in den Lebens25
formen, sondern auch in den Bildungsvoraussetzungen und den religiösen Ambitionen dieser Frauen zu rechnen, die einer übergreifenden Spiritualität entgegenstehen: auf der einen Seite die verschiedenen Möglichkeiten eines Gemeinschaftslebens, wie es etwa die zahlreichen ungenannten virgines pauperes verwirklichen, die sich auf ein asketisches Leben des Betteins und der Handarbeit konzentrieren, oder die differenzierte Organisationsform der Spitalhäuser, die hochgebildete Mitglieder mit weitreichenden Kontakten haben können, auf der anderen Seite die sehr verschiedenen Varianten eines Individuallebens als >unabhängig< auftretende mulier sancta, die - wie Christina Mirabilis von St. Trondlediglich lockere Kontakte zu einem Frauenkonvent sucht oder als eine cella bei einem Stift bewohnende Rekluse, die enge Verbindungen zu den Kanonikern pflegt. Die Unterschiede in der Lebensweise und den spirituellen Ambitionen sind innerhalb dieses semireligiosen Spektrums sicherlich nicht geringer als zwischen den >in der Welt< und den monastisch lebenden Frauen. Im Gegenteil, die straffe Organisation des Leprosenhauses in Cornillon mit einem Prior und einer Priorin rückt ζ. B. die mulier religiosa Juliana von Cornillon, zumindest in ihrer Zeit als Spitalschwester, näher an begnadete Mitglieder von Nonnenkonventen als etwa an die singular lebende Christina Mirabilis. Natürlich gibt es auch sehr charakteristische Gemeinsamkeiten in den religiösen Lebensformen der verschiedenen Frauen: ihr Bedürfnis nach einem Leben in sexueller Enthaltsamkeit oder das Gebot äußerster Armut, das sie dann im einzelnen sehr unterschiedlich verwirklichen; aber auch ihr ausgeprägtes Interesse für das eucharistische Geschehen, den Akt der Elevatio, das sich in eucharistischen Wundern und Visionen, in ihrer häufigen Kommunion und auffallenden Verehrung der Eucharistie zeigt und in besonderer Weise die Aufmerksamkeit der Hagiographen auf sich gezogen hat. Diese Gemeinsamkeiten eines Lebens in Armut und humilitas sind jedoch nicht erstaunlich. Sie gehören zum >Repertoire< der apostolischen Erneuerungsbewegung, die immer wieder an denselben Punkten einsetzt und sich bei den brabantischen Frauen des 13. Jhs. sehr dezidiert auf den Bereich der Keuschheit, der humilitas und Eucharistie-Verehrung konzentriert. Und gerade in diesen Punkten zeigen sich - wie ich meine- keine prinzipiellen Unterschiede zwischen den semireligios lebenden Frauen und den Zisterzienserinnen, die — wie etwa die spirituellen Stationen einer Beatrix von Nazareth oder Ida von Nivelles verdeutlichen- vergleichbare religiöse Erfahrungen haben. Das ist nicht erstaunlich. Denn gerade bei diesen Aspekten einer vita religiosa, der Keuschheit, der humilitas und vor allem Eucharistie26
Verehrung, handelt es sich - wie Jakobs von Vitry Prolog zur Vita der Marie von Oignies sehr klar dokumentiert - um programmatische Konzepte im Rahmen der kirchlichen Ketzerbekämpfung. Dem kirchenschädlichen Verhalten der südfranzösischen Ketzer wird hier die forcierte Religiosität nicht nur der brabantischen Klosterfrauen, sondern gerade auch der in saeculo lebenden Mädchen, Frauen und Witwen entgegengestellt, die in den verschiedensten Konstellationen und Situationen die erstaunlichsten Beispiele einer auf Keuschheit, Armut, humilitas und die Eucharistie ausgerichteten vita religiosa liefern. Uns mögen die semireligios lebenden Frauen mehr interessieren, zumal auch Jakob von Vitry sein Programm einer >neuen< Heiligen sicher nicht zufällig nicht an einer Zisterzienserin, sondern am Beispiel der Spitalschwester und Rekluse Marie von Oignies vorführt. Unser Vitenkorpus bietet jedoch keine Anhaltspunkte dafür, daß die semireligios lebenden Frauen spezifische religiöse Ausdrucksformen entwickelt und sie erst nachträglich - vielleicht über ihre Seelsorger und Hagiographen - auch den Mitgliedern der Nonnenkonvente vermittelt hätten. Beide Typen, die begnadete Schwester eines Nonnenkonvents und die semireligiose mulier, die Spitalschwester oder Rekluse, sind vielmehr nach dem Zeugnis unseres Vitenkorpus zwei Varianten jener übergreifenden, von Jakob von Vitry programmatisch formulierten Konzeption einer zeitgenössischen mulier sancta, die sich - abgesehen von detailrealistischen lebensweltlichen Ausdifferenzierungen im einzelnen - hinsichtlich der vorgestellten Spiritualität unterschiedslos an einer allein lebenden mulier religiosa, dem Mitglied einer Spitalgemeinschaft, einer Rekluse oder einer begnadeten Zisterzienserin verwirklichen läßt. 2. Literaturinteressen und literarische Aktivitäten religiös bewegter Frauen im 13. Jahrhundert Während die Vitenberichte über das begnadete Leben von religiös bewegten Frauen in der Diözese Lüttich bzw. im Herzogtum Brabant im 13. Jh. nicht ohne weiteres als verläßliche Dokumente für die Ausbildung einer spezifischen Spiritualität semireligioser Frauen gelten können, scheint ihr Quellenwert hinsichtlich der Annahme früher literarischer Aktivitäten dieser mulieres sanctae wesentlich unproblematischer zu sein. Anlaß für diese Vermutung, daß bereits zu Beginn des 13.Jhs. mulieres religiosae in der Diözese Lüttich in den berühmten Zisterzienserinnenklöstern, aber auch außerhalb der Konvente als Reklusen oder Spitalschwestern die asketischen Übungen und spirituellen Erfahrungen 27
ihrer vita religiosa niedergeschrieben hätten, sind Angaben ihrer Hagiographen über ihre Quellen. Denn die Vitenautoren berufen sich zwar in vielen Fällen auf ihre eigene Vertrautheit mit dem Leben der von ihnen verehrten >heiligen< Frauen bzw. auf die >authentischen< Berichte der Verwandten, Konventsmitglieder, Freundinnen oder Beichtväter, aus denen sie schließlich den Lebensbericht zusammengestellt hätten. 33 Daneben verweisen sie aber auch auf schriftliche Vorlagen, die sie nur redigiert bzw. übersetzt hätten: so der anonyme Verfasser der Vita der Zisterzienserin Ida von Löwen in Rosendaal, der kaum Augenzeugen ihres Lebens gekannt, sondern vornehmlich über schriftliche Aufzeichnungen ihres Beichtvaters verfügt haben will, die er in eine gegliederte Kapitelfolge gebracht habe. 34 Auch die lateinische Vita der Juliana von Cornillon geht offenbar auf eine volkssprachige Darstellung von Julianas Leben zurück, über deren Entstehungsgeschichte der anonyme Verfasser im Prolog ausführlich informiert: die Berichte von Julianas Freundinnen, Bekannten und Förderern über ihr Leben, ihre virtutes, Gnaden und tribulationes, seien von einer »valde religiosa persona in lingua Gallica« 35 festgehalten worden, von Johannes von Lausanne, dem Kanoniker von St. Martin in Lüttich, geprüft, gebilligt und ihm, dem Verfasser der Vita, mit dem Auftrag zur Ubersetzung übergeben worden. Die ungenannte »valde religiosa persona« (S. 444, C), die sich - nach diesen Prologhinweisen - durch ihre volkssprachigen Aufzeichnungen um die 33
34
35
Vgl. etwa die Prologe Thomas' von Chantimpre zur Vita Leutgards von Tongeren: »breviter dico . . . quod plurima ex iis ab ore ipsius piae Lutgardis, sicut familiarissimus ejus, accepi« (S. 234 C ) oder zur Vita der Christina Mirabilis: »ab illis proprie audivi, qui ea ab ore illius se percepisse testati sunt« (S. 650, C ) . Ida von Löwen, Prologus: »Attende ergo, Lector, imprimis hujus operis me non auctorem esse, sed potius collectorem: parum enim aut nihil eorum quae scripturus sum ex cujuscumque verbali relatione percepi; sed solum, ut dictum est, ex quibusdam scedulis adunata sub Capitulorum certa distinctione distribui . . . cum certum et indubitatum testem habeam veritatis, ilium scilicet qui de sanctae feminae singula quae dicturus sum, ore collegit et scripta memoriae commendavit. Is siquidem spiritualium amicorum illius praecipuus extitisse dignoscitur et confessionum ejus auditor, secretorumque conscius pariter et symmista« (S. 157, Ε f.). Juliana von Cornillon, Prologus, S. 444 C ; vgl. die ausführlichen Angaben: »Quae vero conscripta sunt, a venerabilibus et fide dignis personis cognita sunt et relata: quarum quaedam, etsi non omni, tarnen multo tempore quo vixit, cum ipsa conversatae; quaedam autem specialem dilectionis ejus gratiam consecutae, de vita et virtutibis ejus plurima cognoverunt, et sine falsitatis fermento sciscitantibus nobis narraverunt. Quae quidem per diligentiam unius valde religiosae personae, veluti quaedam fragmenta ne perirent, in lingua Gallica litteris commendata; et per D o m i n u m Joannem de Lausenna, Canonicum ecclesiae Sancti Martini Leodiensis, admirandae sanctitatis virum, approbata s u n t . . . Ipso autem mihi . . . supplicante, licet rudis et indoctus, tandem aliquando adorsus sum, quod Gallice factum fuerat, vertere in Latinum« (S. 444, C , D ) .
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Juliana-Vita verdient gemacht hat, wird -allerdings ohne zwingende Gründe- in der Regel mit der an der Lütticher St. Martinskirche lebenden Rekluse Eva identifiziert, der nach der Darstellung der Vita engsten Vertrauten und Ansprechpartnerin von Juliana, die sie in allem unterstützt, sie bei ihren Schwierigkeiten mit dem Prior und der Stadt bei sich aufnimmt und sie schließlich mit dem Kanoniker von St. Martin, dem späteren Initiator und Förderer des Corpus-Christi-Festes wie auch der Juliana-Vita, in Verbindung bringt.36 Und auch der Autor der umfangreichen lateinischen Vita der Beatrix von Nazareth stellt sich ausdrücklich als ein »translator« dar, der nicht auf eigene Eindrücke zurückgreifen kann, dafür aber auf Beatrix' eigenhändige volkssprachige Aufzeichnungen ihres >inneren< Lebens, die er ins Lateinische übertragen und mit den Berichten ihrer Konventsgenossinnen, vor allem ihrer Schwester Christine, über die Umstände ihres Sterbens zu einer Vita kombiniert habe.37 Damit sind allerdings bereits die konkreten Angaben der Hagiographen über literarische Aktivitäten der Frauen im Sinne der autobiographischen bzw. biographischen Fixierung ihrer spirituellen Erfahrungen erschöpft. Sie bieten zwar in ihrer Spärlichkeit und nicht unproblematischen Zuweisung kein überwältigendes Bild von der Initiative der Frauen bei der Niederschrift ihrer vita religiosa, sind jedoch eingebunden in eine Fülle von Hinweisen auf die Bildungsmöglichkeiten, Lektürefähigkeiten und literarischen Ambitionen jener Frauen, die offenbar in einer Atmosphäre intensiver Schriftlichkeit enge Kontakte mit literarisch
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Zu Eva von St. Martin vgl. vor allem Demarteau, Joseph: La premiere auteur wallonne. La Bienheureuse Eve de Saint-Martin. Notes d'histoire. Liege 1896 sowie Lambert, D o m C . : Eve de Saint-Martin et les premiers historiens liegeois de la Fete-Dieu. In: Studia Eucharistica, S. 1 0 - 3 5 , der die verstreuten Angaben der Vita über die Aktivitäten der engsten Vertrauten Julianas zu einem farbigen Lebensbild der einflußreichen Rekluse Eva von St. Martin zusammenstellt, die Julianas Bemühen um die Einsetzung des Herrenfestes zu ihrer eigenen Sache gemacht habe. Ähnlich auch Vowles, W.: Eva, Recluse, and the Feast of Corpus Christi. In: The Downside Review 58 (1940), S. 4 2 0 - 4 3 7 und Simenon, G.: Les origines liegeoises de la Fete-Dieu. In: Studia Eucharistica, S. 1 - 9 .
37
Beatrix von Nazareth, Prolog: »me solum huius operis translatorem existere non auctorem; quippe qui de meo parum addidi vel mutaui: sed, prout in cedulis suscepi, oblata verba wlgaria latino [tantum] eloquio coloraui« (S. 14, 32ff.) . . . »Quis enim vel insani capitis estimet venerabilem beatricem aut falsum aliquid aut confictum de semetipsa proferre vel scribere potuisse; que totum in experientie libro legit et didicit quod, eo veratiori quo fideliori stilo, suis postea manibus exarauit?« (S. 14, 5 4 - 5 7 ) ; III, 15: »nunc autem qualiter ex hac luce migrauerit, et per optatum mortis transitum ad celestem patriam euolauerit, quod non ex libro vite sue sed ex fidelium narratione comperi, maxime venerabilis christine sororis sue . . . « (S. 183, 1 1 5 - 1 1 8 ) .
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interessierten Geistlichen, gebildeten Nonnen oder Reklusen gepflegt und dementsprechend tatsächlich die besten Voraussetzungen zur literarischen Umsetzung ihres spirituellen Wegs zu Gott gehabt haben könnten.38 Denn in den Viten vertritt mit Leutgard von Tongeren, Christina Mirabilis und Marie von Oignies der hagiographische Typus der ungebildeten, schriftunkundigen Frau, die nur durch die Gnade des Hl. Geistes den lateinischen Text der Hl. Schrift versteht, schwierige theologische Probleme diskutiert und zu den höchsten Einsichten fähig ist,39 zwar eine Möglichkeit, aber nicht den dominanten Part einer vita religiosa. Diesen illiteraten Frauen stehen in den Klöstern, aber auch außerhalb der Konvente mulieres religiosae mit sorgfältiger Ausbildung und ungewöhnlichen theologischen Ansprüchen gegenüber: nicht nur die Zisterzienserin Beatrix von Nazareth, die eine langjährige Ausbildung vor ihrem Klostereintritt und im Kloster genossen hat, viel liest, Bücher über die Trinität besitzt, nach La Ramee gesandt wird, um dort die Kunst des Schreibens zu lernen, und später für ihr Kloster selbst Bücher abschreibt, oder Ida von Leeuw, die in dem für seine ars scriptoria offensichtlich berühmten Kloster La Ramee vor allem im Skriptorium beschäftigt ist, Augustins Traktat >De trinitate< liest und deutsche Verse verfaßt,40 auch die in das Leprosenhaus von Cornillon eingetretene Juliana scheint eine gründliche Ausbildung in »scriptura latina et gallica« (I, 1, 6, S.445, F) erhalten zu haben, die sie befähigt, Augustin- und Bernhard-Texte zu lesen und sogar - wegen ihres erstaunlichen Gedächtnisses- über 20 Hohelied-Predigten des berühmten Zisterzienserabtes im Wortlaut zu behalten.41 Zwischen diesen Extremen einer »idiota et rustica et laica monialis« (I, 1, 12, S. 239, B) Leutgard von Tongeren, die zu ihrem Erstaunen die Psalterworte erfaßt, sonst aber die
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Vgl. dazu vor allem Roisin, Simone: Reflexions sur la culture intellectuelle en nos abbayes cisterciennes medievales. In: Miscellanea Historica in honorem Leonis van der Essen. Universitatis Catholicae in oppido Lovaniensi iam annos X X X V professoris. 1. Bd. Brüssel, Paris 1947, S. 2 4 5 - 2 5 6 .
39
Vgl. etwa Leutgard von Tongeren: I, 1, 12 (S.239, B); Christina Mirabilis: IV, 40 (S. 657, C ) ; Marie von Oignies II, 7, 68 (S.654, Ef.). Ida von Leeuw, II, 2 0 : »Quo laeta beneficio, versus in teutonico dulcis virgo composuit, qui latino eloquio transferuntur in hunc modum: Pocula quae tradunt gentes Christi bona constant; / Sed meliora satis sunt haec quae dat Deus ipse« (S. 113, D).
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Juliana von Cornillon I, 1, 6: »libros B.Augustini multo affectu legebat . . . Verum quoniam scripta beatissimi Bernardi vehementer sibi ignita visa sunt, et dulciora super mel et favum; ea legebat et amplectebatur devotione multa valde . . . ; et plusquam viginti sermones extremae partis, editos ab eodem super Cantica Canticorum, in quibus ipse Beatissimus humanam scientiam visus est excessisse, studiose cordetenus didicit, et firmae memoriae commendavit« (S. 446, A).
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Psalmen »ne aliquid de Scripturis« (II, 1,16, S. 247, A) nicht versteht und sich bei ihrem Eintritt in das Zisterzienserinnenkloster Aywieres sogar weigert, die französische Verständigungssprache zu lernen, und jenen hochgebildeten Zisterzienserinnen von La Ramee sind allerdings nach dem Willen der Hagiographen eine Reihe von Frauengestalten angesiedelt, die die gesamte Spannbreite an Bildungsvoraussetzungen abdecken: etwa jene »magis litterata« Sybille de Gagis, 42 die Leutgard von Tongeren gerade in den letzten Jahren ihres Lebens versorgt und nach ihrem Tode ein Epitaph »more versificans« (III, 3, 20, S.262, A) verfaßt, oder die magistra des Leprosenhauses von Cornillon Sapientia, die Juliana in der »scriptura latina et gallica« (I, 1, 6, S. 445, F) unterrichtet, oder schließlich sogar die eigentlich illiterate Marie von Oignies, die durch das Hören von »divinos sermones« (II, 7, 68, S. 654, E) mit der Hl. Schrift bestens vertraut ist. Gerade dieses Nebeneinander von lateinkundigen und illiteraten Frauen hat aber nach Herbert Grundmann in besonderer Weise die Entstehung einer volkssprachigen mystischen Literatur gefördert, da die gebildeten Frauen - wie etwa der Hinweis auf Julianas Vertrautheit mit Bernhards Hohelied-Predigten und der spezifisch mystischen Liebessprache z e i g t - über intensive Kenntnisse einer lateinischen Tradition mystischer Erfahrung verfügten, die der anderen Gruppe in der Volkssprache vermittelt werden mußte. Damit wird jedoch zugleich eine Lücke in der Dokumentation argumentativ überdeckt. Denn die Viten bezeugen zwar die hohe Bildung einzelner Frauen, nicht jedoch in der gewünschten Eindeutigkeit die Existenz volkssprachiger mystischer Lebensberichte für und von Frauen in diesen Kreisen. Zwar werden die Themen Lateinkenntnisse und Lektürefähigkeit der Frauen in den verschiedensten Abstufungen und Varianten vorgeführt. Die angesprochenen Bildungsvoraussetzungen und literarischen Aktivitäten überschreiten jedoch -abgesehen von dem Hinweis auf Julianas von Cornillon ungewöhnliche Gedächtnisleistungen und spezifisch liebesmystische Literaturinteressen- in der Regel nicht die in anspruchsvollen Nonnenkonventen üblichen literarischen Betätigungen der Schreibkunst und Augustinlektüre. Jedenfalls konkretisieren sie sich normalerweise nicht zu volkssprachigen Aufzeichnungen ihres spirituellen Lebens, zu geistlicher Dichtung oder Traktatliteratur. Mit zwei Ausnahmen: die »valde religiosa persona« (S. 444, C), die Julianas Lebensweg in der Volksspra-
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Leutgard von Tongeren: III, 2, 12 (S. 259, C und D); ähnlich III, 1, 6: »litteratioris monialis« (S.257, C).
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che aufgezeichnet, und die Zisterzienserin Beatrix von Nazareth, die ihr eigenes >Liber vite< zusammengestellt haben soll. Die »valde religiosa persona« (S.444, C) der Juliana-Vita verbleibt jedoch so sehr im mysteriösen Dunkel, daß Beatrix' >Liber viteVan seven manieren van heileger minnenBuch< bestimme den gesamten Lebensbericht, dem lediglich im Kapitel III, 16 »De transitu eius« (S. 183, 1) die Berichte ihrer Schwester Christina, ihrer Nachfolgerin als Priorin von Nazareth, über ihr Sterben angefügt worden seien. Von diesen Vorbehalten gegenüber der Existenz einer volkssprachigen autobiographischen Darstellung des Lebens der Beatrix von Nazareth wird allerdings auch die Einschätzung der >Seven manieren van heileger minnen< als eines authentischen Werks der Priorin von Nazareth nicht unberührt bleiben können. Denn Grundlage der seit van Mierlo und Reypens geradezu selbstverständlichen Zuweisung dieses Textes an Beatrix sind die Vita-Aussagen über ihr volkssprachiges >Liber viteSeven manieren van heileger minnen< und dem Vita-Kapitel III, 14, die in der Regel auf eine nachträgliche Umarbeitung des Traktats durch Beatrix zurückgeführt werden.46 Offensichtlich hat die Freude über die mit diesem Textfund mögliche Rekonstruktion des Profils einer neuen volkssprachigen Autorin bislang einen detaillierten Vergleich zwischen dem lateinischen und volkssprachigen Text und damit eine offene Auseinandersetzung um Prämissen wie Evidenz dieser Zuschreibung verhindert. So lange dies nicht nachgeholt wird, scheint Beatrix' Autorschaft für die Abhandlung über die sieben Stufen der Liebe nicht zweifelsfrei gesichert zu sein. Die hier vorgestellten Viten der brabantischen mulieres religiosae lassen jedenfalls nicht ohne weiteres eine bereits in der ersten Hälfte des 13.Jhs. blühende mystische Literaturtradition in diesen Kreisen erkennen, zumindest nicht in der von Jos. van Mierlo und Herbert Grundmann angenommenen Breite und Vielfalt, aus der dann das literarische CEuvre einer Hadewijch geradezu kontinuierlich hervorgegangen sei. Wir haben zwar eine Reihe von Informationen über die z.T. sehr profunde Bildung dieser Frauen, die als Zisterzienserinnen oder - wie Juliana von Cornillon- als Angehörige eines Leprosenhauses alle Vor45
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Beatrix von Nazareth: »Quis denique vel extraneus aut ignotus in illud secretissimum triclinium mentis sue potuisset irrumpere, vel absconditum in agro cordis sui thesaurum diuine gratie, propalando detegere, cum et proprias spiritu carneque germanas, quas in eodem monasterio consortes habuit, referatur ab eo velut extraneas exclusisse« (S. 14, 46-49). Vgl. etwa Reypens, L . : De Seven manieren van Minne geinterpoleerd? (1931). Wieder in: Vita Beatricis, Bijlage I X , S. 2 2 7 - 2 5 6 .
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aussetzungen hatten, durch Lektüre und Diskussionen mit Geistlichen ihre religiösen Bedürfnisse und theologischen Interessen zu befriedigen. Es gibt jedoch keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, daß diese Frauen auch besondere literarische Aktivitäten entwickelt und - sei es in Form von persönlichen Aufzeichnungen ihres Gnadenlebens oder eher in theoretischen Reflexionen über die Gottesliebe- auf breiter Basis eine mystische Literatur in der Volkssprache initiiert hätten. Wir können deshalb -zumindest nach den Angaben der Viten- nicht unbedingt davon ausgehen, daß etwa Hadewijchs CEuvre, vielleicht auch der Traktat >Van seven manieren van heileger minnen< auf eine bereits ausdifferenzierte eigenständige Tradition mystischer Erfahrungsliteratur religiös bewegter Frauen aufruhen und diese theologisch und ästhetisch transzendieren. Im Gegenteil: nicht auf dem Hintergrund biographischer Aufzeichnungen spiritueller Erfahrungen und hagiographischer Bemühungen lokaler Frauenkreise scheinen die volkssprachigen Texte einer Hadewijch und der Traktat >Van seven manieren van heileger minnen< entstanden zu sein, sondern im Rekurs auf eine in Frankreich etablierte Tradition lateinischer und volkssprachiger Literatur. Denn bei diesen Werken, die im brabantischen Raum die Anfänge einer anspruchsvollen volkssprachigen Literatur religiös bewegter Frauen darstellen, handelt es sich in jedem Fall um Rezeptionsphänomene: Hadewijch bedient sich für ihre geistliche Lieddichtung der formell-registralen Poetik weltlicher Liebespoesie, 47 für die Visionen und Briefe der Typen der nur locker biographisch angereicherten Visionen bzw. der didaktischen Briefsammlung; der >Seven manieren van heileger minnenStrofische Gedichten«. In: Hoofsheid en devotie in de Middeleeuwse Maatschappij de Nederlanden van de 12C tot de 15 e eeuw. Handelingen van het Wetenschappelijk Colloquium te Brüssel 2 1 - 2 4 Oktober 1981, S. 7 1 - 9 4 sowie vor allem Ders., De poetica van Hadewijch in de Strofische Gedichten. Utrecht 1984, der einen detaillierten Vergleich altfranzösischer Trouverekunst des 13.Jhs. mit Hadewijchs poetischer Technik bietet. Detaillierte Vergleiche neuerdings in der noch ungedruckten Arbeit von Vekeman, Herman: Beatrijs van Tienen: Seven Manieren van Minne. Lexicografisch Onderzoek. Eerste Deel: Studie van het object en de literaire structuur der seven manieren afzonderlijk in het licht van de 12 dc - e e u w s e spiritualiteit van Citeaux. Proefschrift Katholieke Universiteit van Leuven 1967, die mir der Verfasser freundlicherweise in der Manuskriptfassung zur Verfügung gestellt hat. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse dieser Arbeit bietet Vekeman, Herman: Minne in Seven Manieren van Minne van Beatrijs van Nazareth. In: Citeaux 4 (1968), S . 2 8 4 - 3 1 6 .
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sind in diesen Texten die Ausnahme und darüber hinaus in intentionale literarische Techniken des affektiven Publikumsbezugs eingebunden. Schon aus diesem Grund sollten hinter diesen frühen volkssprachigen frauenmystischen Texten nicht zu sehr autobiographische bzw. biographische Aufzeichnungen und Vorformen gesucht werden. Vielmehr scheint - wie im Bereich der weltlichen höfischen Liebesdichtung — auch hier die literarische Tradition mit zwar persönlich formulierten, aber eher theoretisch orientierten Reflexionen einzusetzen, die erst später - e t w a in der Vitenliteratur der Dominikanerinnen des 14.Jhs.- eine geradezu detailrealistische Konkretisierung im Sinne der ausführlichen und präzisen Darstellung eines spirituellen Lebenswegs erfahren.
3. Die brabantischen Frauenviten des 13. Jahrhunderts als kulturgeschichtliche Quelle Die Viten des brabantisch-lütticher Raums sind für den Literarhistoriker ausgesprochen ambivalente Dokumente der frühen religiösen Frauenbewegung. Zwar bieten sie in ihrer lokalen und zeitlichen Konzentrierung auf die Diözese Lüttich und das Herzogtum Brabant im 13. Jh. wertvolle Informationen über literarische und persönliche Kontakte berühmter Zisterzienserinnen, über die Entstehung und Organisationsform von Spitalgemeinschaften, die Aktivitäten der Geistlichen als Seelsorger, Beschützer und Promotor einzelner religiös lebender Frauen, und schließlich auch die vielfältigen Verbindungslinien zwischen Konventen, Weltgeistlichen, als Reklusen lebenden Frauen und den lokalen weltlichen Herrschaftsträgern. Und gerade das enge Nebeneinander der verschiedenen, oft aufeinander bezogenen Vitentexte mit ihrer detailrealistischen Breite der Darstellung erlaubt uns z.T. ungewöhnlich differenzierte Einblicke in das religiöse >Klima< der in Zisterzienserinnenkonventen, in Spitälern, im Umkreis von Stiftern und Pfarrkirchen, in Beginengemeinschaften und allein lebenden mulieres sanctae, die enge Kontakte mit Klosterangehörigen, Kanonikern, geistlichen Würdenträgern des Bischofssitzes und den Adeligen der Umgebung pflegen. Diese eher >atmosphärischen< Informationen zur spirituellen Szenerie der Diözese Lüttich werden auch nicht in ihrer kulturhistorischen Bedeutung entwertet, wenn wir -entsprechend der Zugehörigkeit der Texte zur hagiographischen Tradition im Sinne von Pierre Delooz' Unterschei35
dung von »saint construit« und »saint reel«49 - mit einer Vielzahl >konstruierter< biographischer Angaben und Konstellationen rechnen müssen, die einen bestimmten Typus an Heiligkeit profilieren. Denn auch der Literarhistoriker interessiert sich ja weniger für das faktische Leben einer Marie von Oignies oder Juliana von Cornillon als vielmehr für die besondere Konzeption einer weiblichen vita religiosa des 13. Jhs. mit ihren charakteristischen geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen, wie sie von den Hagiographen auf der Basis von biographischen Aufzeichnungen und Augenzeugenberichten entworfen wird. Sie sind auf diese Weise ein vorzügliches Vergleichsmaterial zu der volkssprachigen, biographisch angelegten Nonnenliteratur der süddeutschen Dominikanerinnen im 14. Jh. Weniger befriedigend werden allerdings die Antworten ausfallen, sobald man in den Viten kulturhistorische Quellen von faktischer Authentizität sieht und von ihnen realhistorisches Material für die Frühgeschichte der religiösen Frauenbewegung erwartet: etwa detaillierte Angaben über gruppenspezifische Ausprägungen religiöser Praktiken und Ausdrucksformen dieser Frauenkreise oder Informationen über die verschiedenen literarischen Aktivitäten dieser mulieres religiosae im 13. Jh. Die programmatische Ausrichtung der Lebensdarstellung auf bestimmte Themen führt in den meisten Fällen zu einer zweckgerichteten Montage von biographischen Materialien, hagiographischen Stereotypen und thematischen Schwerpunkten, die eine kultur- bzw. kirchenhistorische Rekonstruktion bestimmter Sachverhalte sehr erschweren, wenn nicht sogar verhindern. Das zeigt sich nicht nur an den Lebensberichten im Ganzen, die - entsprechend ihrem Vita-Charakter- ein topisches Heiligen-Leben des Rückzugs aus der Welt, der Anfeindungen, Verfolgungen, Anfechtungen und göttlichen Begnadungen vorführen. Sie erfahren gelegentlich auch noch eine spezifische thematische Akzentuierung, die die Lebensdarstellung auch im einzelnen prägt: die Albigenserproblematik in den Viten Maries von Oignies und Leutgards von Tongeren, das für die Darstellung der Beziehungen Jakobs von Vitry zu Marie von Oignies charakteristische Kontrastschema von Karrierestreben des studierten geistlichen Würdenträgers und die humilitas der gottbegnadeten Frau, die Einführung eines neuen Herrenfestes, auf das die spezifisch eucharistische Spiritualität Julianas von Cornillon bezogen ist. Und schließlich die verschiedenen Aufbauschemata, nach denen der Lebens-
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Delooz, Pierre: Sociologie et canonisations. Preface de Gabriel Le Bras. La Haye 1969 (Collection Scientifique de la Faculte de Droit de l'Universite de Liege 30), S. 7ff.
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weg gegliedert wird: die sieben Gaben des Hl. Geistes, denen Jakob von Vitry die biographischen Materialien der Marie von Oignies zuordnet oder die Orei-status Lehre, die den Lebensbericht Leutgards von Tongeren und Beatrix' von Nazareth strukturiert, indem die äußeren Lebensabschnitte des Klosterwechsels - b e i Leutgard der Ubertritt von dem Benediktinerinnenkloster St. Katharina bei St. Trond in den Zisterzienserinnenkonvent Aywieres, bei Beatrix die Abfolge von Maagdendaal, Blomendaal und Nazareth- im Sinne des Schemas von status inchoantium, proficientium und perfectionis gedeutet werden. Es ist klar, daß diese Konzeption eines Lebensberichts keine präzisen Hinweise auf mögliche Differenzen in der Spiritualität von Klosterinsassen und semireligios lebenden Frauen liefert. Die Darstellung eines dezidiert semireligiosen Lebens >in der Welt< ist entweder als eine Art Vorstufe auf eine spätere bewußte Entscheidung für ein Leben im Kloster bezogen oder an eine spezifische Institution, ein Spital oder ein nahegelegenes Stift bzw. Kloster, angebunden, von denen in der Regel auch die Initiative zur Niederschrift des Lebens dieser Frauen ausgegangen ist. Ein besonderes Interesse an charakteristischen Ausprägungen der Spiritualität jener semireligios lebenden Frauen ist bei diesen Autoren kaum zu erwarten. Allerdings wird man auch unabhängig von diesen grundsätzlichen Einwänden aufgrund der in den Viten präsentierten Vielfalt semireligioser Lebensmöglichkeiten zu einem negativen Ergebnis hinsichtlich der Ausdifferenzierung einer spezifischen Spiritualität semireligios lebender begnadeter Frauen kommen. Ahnliche Probleme ergeben sich bei der Frage nach den literarischen Interessen und Aktivitäten der in den Viten glorifizierten mulieres religiosae. Auch bei diesem Thema sind häufig die ζ. T. sehr konkreten Angaben über die Bildungsvoraussetzungen der Frauen, über ihre Augustinlektüre und fehlenden Lateinkenntnisse, ihre theologischen Diskussionen und illiterate Schriftexegese eingespannt in hagiographische Deutungsmuster - d e r ungebildeten, aber zu Schriftkenntnissen und höchsten Einsichten inspirierten Frau oder der ganz unglaublichen theologischen Interessen einzelner Frauen - und deshalb nur bedingt als kulturhistorisch relevante Aussagen zu verwerten. Dabei zeigt sich eine deutliche Gruppenbildung in einerseits hochgebildete Frauen, die Zisterzienserin Beatrix von Nazareth oder das Mitglied eines Leprosenhauses Juliana von Cornillon, die einen sorgfältigen Unterricht im Elternhaus wie in der geistlichen Institution ihrer Wahl erfahren haben und über entsprechende literarische Fähigkeiten und theologische Kenntnisse verfügen, und andererseits jene illiteraten Frauen in den 37
Klöstern und außerhalb der Konvente, etwa die Zisterzienserin Leutgard von Tongeren oder die unabhängig lebende Christina Mirabilis, die ihre Umwelt mit ihren Kenntnissen der »Scripturae secreta«50 und unerwarteten Erklärungen dunkler Fragen51 erstaunen. Diese Informationen über die Lateinkenntnisse und Schreibpraxis der Frauen bieten im einzelnen ein eindringliches Bild von intellektuell anspruchsvollen Konventen und Spitalgemeinschaften, in denen gebildete Frauen Unterricht erteilen, theologische Werke studieren, Texte abschreiben und sich um eine reichhaltige Bibliothek bemühen. Sie vermitteln jedoch im ganzen nicht den Eindruck, als hätten sich im Umkreis dieser brabantischen Zisterzienserinnen und verschiedensten religiösen Frauenkreise in der Diözese Lüttich besondere literarische Aktivitäten in der Volkssprache im Sinne von Übersetzungen oder autobiographischen bzw. biographischen Aufzeichnungen religiöser Erfahrung entwickelt. Die Hinweise auf volkssprachige Lebensniederschriften sind spärlich und - selbst im Falle von Beatrix von Nazareth - nicht unproblematisch. Die Viten können deshalb - entgegen Herbert Grundmanns Vermutungen - die dunkle Vorgeschichte der Entstehung einer volkssprachigen frauenmystischen Literatur im frühen 13. Jh. nur wenig erhellen. Dennoch sind sie als programmatische Entwürfe neuer Ausdrucksformen weiblicher Religiosität für eine literarhistorische Analyse und Einordnung etwa der Werke Hadewijchs oder Mechthilds von Magdeburg eine Quellengattung von herausragender Bedeutung. Denn sie bieten ein breites Spektrum an Vorstellungen eines begnadeten Lebens als Zisterzienserin oder - wie Ida von Leeuw vor ihrem Eintritt in La Ramee- als »in saeculo non saeculariter« (I, S. 109, D) lebende mulier religiosa, eine Fülle an variierend wiederkehrenden Lebenssituationen und Konstellationen im Verhältnis dieser mulieres religiosae zu ihrer Umwelt, zu den geistlichen und weltlichen Herrschaftsträgern und ihren Seelsorgern, ein vielfältiges Repertoire an geschlechtsspezifischen Rollenzuweisungen und eine ausdifferenzierte Palette an Konkretisierungsmöglichkeiten einer eucharistischen, gelegentlich auch brautmystischen Spiritualität. 50 51
Leutgard von Tongeren: I, 1, 12, S. 239, C . Christina Mirabilis: »Intelligebat autem ipsa omnem latinitatem, et sensum in Scriptura divina plenissime noverat, licet ipsa a nativitate litteras penitus ignoraret, et earum obscurissimas quaestiones spiritualibus quibusdam amicis, cum interrogaretur, enodatissime referabat.« (4, 40, S.657, C). Es wird freilich sofort betont, daß sie sich nur ungern zu solchen >Schrifterklärungen< und theologischen Erläuterungen verleiten lasse, da sie davon ausgehe, daß dies die vornehmliche Aufgabe der Geistlichen sei: »dicens Scripturas sanctas exponere, proprium esse clericorum, nec ad se hujusmodi ministerium pertinere.« (Ebda.).
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Damit sind sie jedoch eher >parallele< literarische Zeugnisse bestimmter Spiritualitätskonzepte und nicht etwa eine kulturhistorische bzw. frömmigkeitsgeschichtliche Quelle, die die Hintergründe einer spezifisch weiblichen Spiritualität ausleuchtet, aus denen zunächst heimliche biographische bzw. autobiographische Aufzeichnungen der Frauen, dann aber etwa auch der Traktat >Van seven manieren van heileger minnen< und Hadewijchs CEuvre erwachsen sein könnten. Zwischen dem Bild, das die Viten von den literarischen Interessen und Aktivitäten der mulieres religiosae zeichnen, und den Texten einer Hadewijch oder einer Mechthild klafft vielmehr - schon aufgrund der gattungsspezifisch unterschiedlichen Ausrichtung der Texte - eine Lücke, die sich nicht ohne weiteres schließen läßt. Die literarhistorische Analyse wird deshalb bei den Autorinnen selbst einsetzen müssen bzw. bei den Texten, die in der Forschung semireligios lebenden Frauen zugeschrieben werden und d. h. im Falle Hadewijchs und Mechthilds von Magdeburg bei der Frage nach der Existenz einer spezifisch literarischen Form von Beginenmystik, die sich bestimmten Lebensformen der schreibenden Frauen verdankt und ihre Texte von anderen literarischen Ausprägungen abgrenzt.
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II. Die mulieres religiosae und ihre Literatur: das Problem der sog. Beginenmystik
Die Beginen haben schon immer in besonderer Weise das Interesse der Forschung auf sich gezogen.1 Sie sind jene mulieres religiosae, die wir bereits aus den Viten der Diözese Lüttich kennen: Frauen, die seit dem Ende des 12.Jhs., verstärkt aber erst im 13. Jh. zum Erstaunen ihrer Umwelt ein forciert religiöses Leben führen, aber nicht im Rahmen einer 1
Aus der älteren Beginenforschung, die sich vornehmlich auf die Entstehung des >Instituts< der Beginen etwa in Lüttich im Umkreis Lamberts Ii Begue bzw. in Nivelles im Umkreis Maries von Oignies konzentriert hat, vgl. folgende Arbeiten, die ein breites Spektrum an Argumentationen abdecken und zugleich die anderen >Positionen< verzeichnen: Greven, Anfänge der Beginen; Kurth, Godefroid: De l'origine liegeoise des beguines. In: Academie Royale de Belgique. Bulletin de la Classe des Lettres et des Sciences Morales et Politiques et de la Classe des Beaux-Arts 1912. Bruxelles 1912, S. 437-462, Greven, Ursprung; Philippen, L . J . M . : De Begijnhoven. Oorsprung, Geschiedenis, Inrichting. Antwerpen 1918. Inzwischen wird eher die Offenheit des Begriffs >Begine< und das weite Spektrum an damit verbundenen Lebensmöglichkeiten betont: vgl. etwa die zusammenfassend-übergreifenden Arbeiten von Grundmann, Herbert: Zur Geschichte der Beginen im 13.Jh. (1931). Wieder in: Grundmann, Ausgewählte Aufsätze. Teil 1., S. 201-221; Mens, Alcantara: Oorsprong en betekenis van de Nederlandse Begijnen- en Begardenbeweging. Vergelijkende Studie: X I I d e XIII d e eeuw. Louvain 1947 (Universite de Louvain. Recueil de trauvaux d'Histoire et de Philologie 3™ serie, 30™ fasc.); Ders., Les beguines et les begards dans le cadre de la culture medievale. In: MA 64 (1958), S . 3 0 5 - 3 1 5 ; McDonnell, Beguines and Beghards; Elm, Stellung der Frau; Degler-Spengler, Brigitte: Die religiöse Frauenbewegung des Mittelalters. Konversen - Nonnen - Beginen. Albert Bruckner zum 13. Juli 1984. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 3 (1984), S. 7 5 - 8 8 . Daneben dominieren lokalhistorische Detailuntersuchungen, die eine präzise Konturierung des Beginenproblems für einen bestimmten Raum garantieren, etwa die Arbeiten von Phillips, Dayton: Beguines in Medieval Strasburg. Α Study of the Social Aspect of Beguine Life. Stanford University, California 1941; Neumann, Eva Gertrud: Rheinisches Beginen- und Begardenwesen. Ein Mainzer Beitrag zur religiösen Bewegung am Rhein. Meisenheim 1960 (Mainzer Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 4); Nübel, Otto: Mittelalterliche Beginen- und Sozialsiedlungen in den Niederlanden. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Fuggerei. Mit 6 Tafeln. Tübingen 1970 (Schwäbische Forschungsgemeinschaft bei der Kommission für bayerische Landesgeschichte. Reihe 4. Bd. 14. Studien zur Fuggergeschichte 23); Patschovsky, Alexander: Straßburger Beginenverfolgung im 14. Jh. In: D A 30 (1974), S. 56-198; Schmitt, Jean-Claude: Mort d'une heresie. L'Eglise et les clercs face aux beguines et aux beghards du Rhin superieur du X I V e au XV e siecle. Preface de Jacques Le Goff. Paris, La Haye, New York 1978 (Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales. Centre de Recherches Historiques. Civilisations et Societes 56).
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Klostergemeinschaft, sondern - w i e Marie von Oignies, Juliana von Cornillon, Christina Mirabilis oder Ivette von H u y - >in der Weltneuen< Lebens bald zu charakteristischen Institutionen der vita apostolica formiert habe. Die religiös bewegten Frauen hätten zunächst als Konversen, Reklusen und Spitalschwestern die traditionellen Möglichkeiten semireligiosen Lebens eingeschlagen, dann aber auch in Frauengruppen, in der vita regularis unter der Führung einer magistra bzw. Martha, neue Lebensformen entwickelt. 5 Auffallend ist und war schon für die Zeitgenossen das Ausmaß dieses >Aufbruchs< von Frauen, die - z u m i n d e s t nach den Berichten ihrer Hagiographen- seit dem 12. Jh. ihr >normales< Leben aufgegeben und die verschiedensten Möglichkeiten einer vita religiosa erprobt haben. Uber die Gründe dieses Auf- und Ausbruchs der Frauen aus der Welt besteht in der Forschung bislang noch kein Konsens. Spätestens mit Herbert Grundmanns 6 Arbeit über die religiösen Bewegungen wird der Zudrang der Frauen zu Nonnenklöstern, geistlichen Institutionen und semireligiosen Gemeinschaften nicht mehr, zumindest nicht mehr ausschließlich auf die sog. Frauenfrage, d. h. einen eklatanten Frauenüberschuß zurückgeführt, der die wohlhabenden Frauen bei fehlenden Heiratsmöglichkeiten in die Nonnenklöster gezwungen, den mittellosen Frauen hingegen zur Vermei-
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Vgl. dazu die in Anm. 1 sowie die in Anm. 5 des ersten Kapitels genannten Arbeiten. Dazu am explizitesten Degler-Spengler, Religiöse Frauenbewegung. Grundmann, Religiöse Bewegungen, S . 1 7 0 f f .
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dung einer Existenz als Prostituierte ein zwar unreguliertes, aber geachtetes religiöses Leben der Armut und des Dienstes am Nächsten eröffnet habe. Die Dominanz eines dezidiert religiösen Impetus, der die Frauen, gerade die wohlhabenden, zu einer abrupten Abkehr von den gesellschaftlichen Rollen der botmäßigen Tochter, Ehefrau und Mutter gebracht habe, scheint in der neueren Forschungsdiskussion unumstritten zu sein. Uneinigkeit besteht jedoch hinsichtlich der Frage nach den spezifischen Interessen und Lebensvorstellungen dieser semireligios lebenden Frauen. Dabei lassen sich drei Grundlinien der Argumentation unterscheiden: Joseph Greven und Herbert Grundmann hatten die >frauenabweisende< Politik der Orden für die im 13.Jh. sprunghafte Zunahme semireligioser Frauengruppen verantwortlich gemacht.7 Die religiös bewegten Frauen hätten zwar zunächst als Einzelpersonen wie auch als Gruppen die volle Unterstützung der >neuen< Orden erfahren, seien jedoch bald in mehreren Entscheidungen der oberen Beschlußorgane der Orden an einer vollständigen Integration in diese Orden gehindert worden. Das im Jahre 1198 von den Prämonstratensern erlassene Verbot der Inkorporation von Nonnenkonventen, ja sogar der geistlichen Betreuung von Frauengemeinschaften, dem entsprechende Bestimmungen der Zisterzienser, Dominikaner und Franziskaner in der ersten Hälfte des 13.Jhs. folgten, habe die Mehrzahl der an einer vita religiosa interessierten Frauen in die Sonderexistenz eines semireligiosen Lebens gezwungen, die sie ursprünglich nicht angestrebt hätten. Ahnlich argumentiert neuerdings Brigitte Degler-Spengler; allerdings betont sie die Nähe der Beginen zu den Konversen und damit ihre Zugehörigkeit zu jenem seit dem 12. Jh. machtvoll hervortretenden Frömmigkeitsstreben der Laien, die eine religiöse Lebensführung mit Arbeit zu verbinden suchten und deshalb normalerweise in den Klöstern als Konversen Aufnahme gefunden hatten. Da jedoch die Orden im 13. Jh. im Zuge der zunehmenden Laienfrömmigkeit den Frauen eine religiöse Existenz als Konversen nur noch in Einzelfällen, aber nicht mehr in großem Maßstab eröffnet haben, hätte sich den weniger wohlhabenden Frauen, die nicht in die Konvente als Ordensmitglieder aufgenommen wurden, lediglich ein religiöses Leben außerhalb der Konvente, d. h. in Spitalgemeinschaften, als Reklusen und schließlich auch in Beginenhäu-
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Greven, Anfänge der Beginen, S. 120-132; Grundmann, Religiöse Bewegungen: »Das Beginentum ist also nicht eine absichtlich und planvoll geschaffene Sonderform des religiösen Lebens, sondern das Ergebnis der religiösen Frauenbewegung, soweit sie nicht Aufnahme fand in den neuen Orden.« (S.320).
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sern angeboten. 8 In beiden Fällen - bei Grundmann wie bei DeglerSpengler- ist die Beginenexistenz eine A r t Notlösung, weil die Orden nicht bereit gewesen seien, die religiös bewegten Frauen in vollem Umfang als Nonnen oder religiöse Laien zu integrieren. Im Gegensatz dazu werden immer wieder - verstärkt in neueren feministischen, aber auch marxistisch orientierten Arbeiten 9 - die Beginen einer selbständigen, spontanen Frauenbewegung zugeordnet, die sehr bewußt ein semireligioses Leben außerhalb der Orden angestrebt und sich nur widerstrebend den verschiedenen Regulierungs- und Disziplinierungsversuchen von seiten der Orden, der Geistlichkeit und der städtischen Herrschaft gefügt habe. Als Beginen hätten sich die Frauen in Ablehnung familiärer Bindungen und in Abgrenzung von der O r -
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Degler-Spengler, Religiöse Frauenbewegung: »Die Selbständigkeit der Beginen, ihre relative Unabhängigkeit von männlichen Verbänden, war zweifellos eine Notlösung, hervorgerufen durch die mangelhafte Bereitschaft der Orden, religiöse Institutionen für weibliche Laien zu schaffen.« (S. 86). Auch Freed, John B.: Urban Development and the >cura monialium< in thirteenth-century Germany. In: Viator 3 (1972), S. 311-327, betont weniger den Rückzug der Orden von der Frauenseelsorge als den ökonomischen Faktor, der den weniger wohlhabenden Frauen den Eintritt in klausurierte Konvente versagt habe. Beide Autoren wenden sich gegen eine Uberbewertung der >Ausschlußbestimmungen< der Orden. Vor allem Brigitte Degler-Spengler korrigiert in ihrem Einleitungsbeitrag zu dem Helvetia Sacra-Band: Die Zisterzienser und Zisterzienserinnen, die reformierten Bernhardinerinnen, die Trappisten und Trappistinnen und die Wilhelmiten der Schweiz. Redigiert von Cecile Sommer-Ramer und Patrick Braun. Zweiter Teil. Bern 1982 (Helvetia Sacra Abt. III. Die Orden mit Benediktinerregel Bd. 3, Zweiter Teil), S. 507-574, die vornehmlich von der Ordenshistoriographie vertretene, wirkungsmächtige These, daß sich die Zisterzienser von Anfang an gegenüber ihren Frauenklöstern ablehnend verhalten hätten. Sie zeigt vielmehr, wie sehr sich einzelne Abte um die Betreuung von Frauenklöstern und der gesamte Orden von Anfang an zumindest um eine »selektive Eingliederungspolitik« (S. 556) bemüht habe. Diese Integration der Frauengemeinschaften sei freilich seit dem 13. Jh. nicht mehr in großem Maßstab möglich gewesen, sondern nur noch im Rahmen lokaler Entscheidungen und punktueller Konstellationen. Eine Kurzfassung dieser Darstellung auch bei DeglerSpengler, Brigitte: Zisterzienser und Frauenklöster. Anmerkungen zur Forschungsproblematik. In: Die Zisterzienser. Ordensleben zwischen Ideal und Wirklichkeit. Ergänzungsband. Hrsg. von Kaspar Elm unter Mitarbeit von Peter Joerißen. Köln 1982, S. 2 1 3 - 2 2 0 .
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Vgl. etwa die Überlegungen von Habermas, Rebekka: Die Beginen - eine >andere< Konzeption von Weiblichkeit? In: Die ungeschriebene Geschichte. Historische Frauenforschung. Dokumentation des 5. Historikerinnentreffens. Hrsg. von Wiener Historikerinnen. Wien 1984, S. 199-207 oder Devlin, Dennis: Feminine Lay Piety in the High Middle Ages: The Beguines. In: Distant Echoes. Medieval Religious Women. Vol. One. Ed. by J. A. Nichols and L . T h . Shank. Kalamazoo 1984, S. 183-196; die >Emanzipationsbestrebungen< religiös bewegter Frauen betont auch Rüdiger, Bernd: Zur Reflexion der Frauenfrage in der deutschen Frauenmystik des 13./H.Jahrhunderts. In: Untersuchungen zur gesellschaftlichen Stellung der Frau im Feudalismus. Magdeburg 1981 (Magdeburger Beiträge zur Stadtgeschichte 3), S. 1 3 - 4 5 .
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densdisziplin selbständig neue Lebensweisen und religiöse Ausdrucksformen erobert und deshalb in besonderer Weise die Feindschaft und Verfolgungen der geistlichen und weltlichen Behörden provoziert. Wie dem auch sei, diese semireligios lebenden Frauen haben jedenfalls — wie wir in dem Vitenkorpus des brabantisch-lütticher Raums gesehen haben — von Beginn an in geistlichen Würdenträgern einflußreiche Förderer gefunden, die ihr auf Keuschheit, Armut und asketische Übungen ausgerichtetes Leben bewundern und sie - wie die Hagiographen Jakob von Vitry oder Thomas von Chantimpre - ihren durch Ketzerei gefährdeten Zeitgenossen als Exempel vorbildlicher sanctitas vorstellen. In diesem Zusammenhang ist im Herzogtum Brabant bzw. der Diözese Lüttich jenes eindrucksvolle Textkorpus an Frauenviten entstanden, die im Umkreis von Jakobs von Vitry Lebensbild der Marie von Oignies herausragende Frauen vorführen, die als Spitalschwestern, Reklusen, in Gemeinschaft mit anderen Frauen oder ganz auf sich gestellt ein asketisches wie karitatives Leben der göttlichen Begnadung, aber auch der akuten Gefährdung und Verfolgung durch einflußreiche Gegner führen. Tatsächlich scheinen semireligios lebende Frauen in besonderer Weise Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Denn die Geschichte der Beginen ist sehr bald nach ihrem Auftreten begleitet von dem Vorwurf der ungeregelten Lebensführung und dem Verdacht der Häresie. Das zeigt bereits der Name, der - wenn seine Erklärung als Abwandlung von albigensis zutrifft- 1 0 als Spottname Verbindungen zu den südfranzösischen Ketzern suggeriert und im 14. Jh. - vor allem im Zusammenhang mit seinem männlichen Pendant Begarde - zum Synonym für das Verbreiten von Irrlehren, für Kirchenungehorsam und liederlichen Lebenswandel wird. Dieser Weg der Beginen in das gesellschaftliche Abseits von Verachtung und Unterdrückung hat sehr unterschiedliche Stationen: etwa die bei Jakob von Vitry erwähnten >neuen< Namen,11 die von Feinden der mulieres religiosae erfunden seien, dann die dem Konzil von Lyon im Jahre 1274 vorgelegte Zusammenstellung >Collectio de scandalis ecclesiae< des Franziskaners Gilbert von Tournai, der bei den mulieres religiosae ihre subtilitates und novitates, ihre Bibellektüre und theologischen Diskussionen inkriminiert, die Polemik des Pariser Universitätslehrers Wilhelm von St. Amour und die in seinem Umkreis entstandenen französischen beginenkritischen Texte Rutebeufs und anderer Autoren, 10 11
Vgl. die ausführliche terminologische Diskussion bei Philippen, Begijnhoven, S. 1 - 3 9 . Vita der Marie von Oignies, Prolog: »nova nomina« (4, S.637, A ) ; vgl. auch die detailliert nach Ländern aufgefächerten Angaben in Jakobs von Vitry zweiter Predigt »ad virgines«, die Greven, Ursprung, S. 4 3 - 4 9 veröffentlicht hat, hier S.44f.
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vor allem aber das Beginenverbot und die Verdammung ihrer Irrlehren auf dem Konzil von Vienne im Jahre 1311/12, die Aufnahme dieser Bestimmungen in die Clementinen im Jahre 1317 und schließlich die oft blutig endenden Verfolgungen der Beginen im 14. und 15. Jh. 12 Es fragt sich natürlich, ob hinter diesen offensichtlichen Gefährdungen der Beginen spezifische Lebens- und Frömmigkeitsformen der mulieres religiosae stehen, die abweichendes Verhalten, eigenwillige Lebensvorstellungen und unorthodoxe Spekulationen implizieren und damit auch das Eingreifen der Kirche provoziert haben. Wie schwer es allerdings ist, diese schon zu Lebzeiten der Beginen immer wieder, vor allem in offiziellen Verlautbarungen behauptete eigene Lebenswirklichkeit und Spiritualität der Beginnen zu erweisen, haben bereits die Viten des brabantisch-lütticher Raums gezeigt, die hinsichtlich der Spiritualität der Frauen keine tiefgreifenden Unterschiede zwischen semireligios und in Klöstern lebenden Frauen erkennen lassen. Die Zisterzienserinnen von Aywieres, La Ramee, Rosendaal oder Nazareth sind ja ebenso wie die nicht regulierten mulieres religiosae fixiert auf den Umkreis des eucharistischen Geschehens und haben den eucharistischen Erfahrungen einer Marie von Oignies oder Juliana von Cornillon vergleichbare Visionen. Nun mag dies die Sicht der Hagiographen gewesen sein, die die ursprünglichen Unterschiede in den Frömmigkeitsformen semireligioser und regulierten Frauen nicht wahrnehmen bzw. - w i e Simone Roisin13 vermutet- spezifisch beginische Spiritualitätsformen begierig aufgreifen und allen >heiligen< Frauen, den Reklusen, Spitalschwestern und Zisterzienserinnen gleichermaßen zuschreiben. Da in den Viten die betroffenen Frauen selbst stumm sind, bleiben uns kaum Möglichkeiten zur Abgrenzung einer ursprünglich beginischen von einer eigentlich monastischen Spiritualität. Demgegenüber scheinen Beginen als Autorinnen besonders günstige Voraussetzungen für die Erforschung der religiösen Bedürfnisse und spirituellen Ambitionen dieser mulieres religiosae zu bieten. Hadewijch, Mechthild von Magdeburg und Marguerite Porete sind drei prominente Beispiele. Sie gehören zu den ersten Frauen, die geistliche Texte in der Volkssprache verfassen und nicht - wie etwa Beatrix von Nazareth - von Jugend an in einem Klosterkonvent leben. Ihre Werke gelten deshalb als profilierte Beispiele einer sonst nicht
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Zum Beginengutachten des Konzils von Lyon, den beginenkritischen Texten im Umkreis des Pariser Mendikantenstreits, den Beginenbestimmungen des Konzils von Vienne und den Auswirkungen der Beginenverfolgungen des 14. Jhs. vgl. unten S. 60ff. Roisin, Efflorescence, S. 376. Zum Problem einer Unterscheidung von Beginenspiritualität und zisterziensischen Frömmigkeitsformen vgl. oben S. 17ff.
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bezeugten Beginenmystik, 14 die um das Thema der Gottesliebe, den beschwerlichen Weg der Seele zur Vereinigung mit ihrem göttlichen Partner zentriert ist.
1. H a d e w i j c h s Texte und ihr intendiertes Publikum Hadewijch ist ein besonders interessantes Beispiel. Diese Autorin, von der ein reichhaltiges und literarisch wie gedanklich anspruchsvolles CEuvre an Sendbriefen, Visionen und Liedern 15 überliefert ist, gilt seit den Überlegungen Josef van Mierlos 16 zur Biographie dieser überragenden niederländischen Autorin als Leiterin einer Beginengemeinschaft, die in Liedern, Visionen und Briefen ihre - vielleicht ehemaligen Mitbewohnerinnen und geistlichen Freundinnen zur Ausdauer und Geduld auf ihrem schwierigen Weg einer zunehmenden Annäherung an Gott ermuntert. Zunächst waren allerdings die verschiedensten Möglichkeiten der Identifizierung dieser literarisch so produktiven Mystikerin erwogen worden: mit Helwidis, der Äbtissin des Zisterzienserinnen14
Am dezidiertesten verfolgt seit einigen Jahren Kurt Ruh diesen Gedanken eines Vergleichs der drei Autorinnen hinsichtlich ihrer beginenmystischen Konzeption der Gottesliebe: vgl. dazu Ruh, Kurt: Beginenmystik. Hadewijch, Mechthild von Magdeburg, Marguerite Porete (1977). Wieder in: Ruh, Kleine Schriften. Bd. II, S. 237-249 sowie neuerdings Ruh, Kurt: Gottesliebe bei Hadewijch, Mechthild von Magdeburg und Marguerite Porete. In: Romanische Literaturbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift für Franz Rauhut zum 85. Geburtstag. Hrsg. von Angel San Miguel, Richard Schwaderer und Manfred Tietz. Tübingen 1985, S. 2 4 3 - 2 5 4 . Darüber hinaus versucht Kurt Ruh ein weiteres Umfeld an >Beginenpoesie< zu erschließen, etwa: Ruh, Kurt: Mystische Reimverse, einem Begarden in den Mund gelegt (1982). Wieder in: Ruh, Kleine Schriften. Bd. II, S. 3 1 8 - 3 2 6 ; zu Kurt Ruhs Überlegungen vgl. auch unten S. 74f.
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Ich beziehe mich im folgenden auf die ältere Ausgabe der Werke Hadewijchs durch Josef van Mierlo: De Visioenen van Hadewijch, opnieuw uitg. I. Tekst en commentaar. II. Inleiding. Leuven o . J . [1925] (Leuvense Studieen en Tekstuitgaven); Hadewijch, Strofische Gedichten, opnieuw uitg. I. Tekst en commentaar. II. Inleiding. Antwerpen, Brüssel, Gent, Leuven 1942 (Leuvense Studieen en Tekstuitgaven); Hadewijch, Brieven, opnieuw uitg. I. Tekst en commentaar. II. Inleiding. Antwerpen, Brüssel, Gent, Leuven 1947 (Leuvense Studieen en Tekstuitgaven).
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van Mierlo, Jos.: Uit de Geschiedenis van onze middeleeuwsche letterkunde. Wanneer heeft Hadewijch geleefd? In: Dietsche Warande en Beifort 21 (1921), S. 135-153; zusammenfassend auch van Mierlo, J . : Hadewijch. Une mystique flamande du treizieme siecle. In: Revue d'ascetique et de mystique 5 (1924), S. 2 6 9 - 2 8 9 ; 380-404. Einen guten Uberblick über die Probleme von Hadewijchs Biographie bieten auch Axters, Geschiedenis van de Vroomdheid, S. 3 4 3 - 3 6 7 sowie neuerdings zusammenfassend Mommaers, Paul: Hadewijch. In: Verf. Lex. III ( 2 1981), Sp. 3 6 9 - 3 7 8 . Aus der reichen Hadewijch-Literatur werden im folgenden nur Arbeiten angesprochen, in denen biographisch argumentiert wird.
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konvents Aywieres, in deren Auftrag Thomas von Chantimpre die Vita der Leutgard von Tongeren verfaßt hat, mit Bloemardinne, einer bei Jan van Ruusbroec genannten Ketzerin, die ihre häretischen Lehren in Form von Briefen vertreten haben soll, und schließlich mit einer im Zisterzienserkloster Villers im Jahre 1229 beigesetzten und von den Mönchen verehrten beata Helwigis, die offenbar in Nivelles als Begine gelebt hat. Der Hinweis auf die Äbtissin von Aywieres ist - wegen der Beliebtheit des Namens Helwidis/Hawidis und der Dominanz der romanischen Sprache im Kloster Aywieres - nicht weiter verfolgt worden. Und auch die Identifizierung Hadewijchs mit der Ketzerin Bloemardinne, die von Brüsseler Rechnungen einer Begine Helwich Bloemarts ausging, ist bald wieder verworfen worden, da es in der Wirkungsgeschichte Hadewijchs, gerade im Umkreis Ruusbroecs, keine Anzeichen eines Häresieverdachts gibt und sich auch hinsichtlich der Namen keine Verbindungen zwischen Hadewijch und jener Bloemardinne nachweisen lassen.17 Die Autorin wird ausschließlich Hadewijch genannt, die bei Ruusbroec angesprochene Ketzerin ist hingegen nur als Bloemardinne bekannt. Die in Villers begrabene beata Helwigis hat schließlich van Mierlo veranlaßt, in Hadewijch die Leiterin eines Beginenhauses in Nivelles zu vermuten. Diese Identifizierung der Autorin mit jener uns sonst unbekannten beata Helwigis ist allerdings, da über die Zufälligkeit der Namensgleichheit hinausgehende Anhaltspunkte fehlen, auch nicht weiter diskutiert worden. Durchgesetzt hat sich jedoch die mit der Niveller Begine Helwigis verbundene Vorstellung, daß Hadewijch, die sich nicht als Angehörige eines Klosterkonvents hat nachweisen lassen, eine semireligios lebende mulier religiosa gewesen ist, genauer: als Leiterin einer Beginengemeinschaft ihre Texte verfaßt hat. Diese Annahme stützt sich freilich ausschließlich auf Ich-Aussagen bzw. gelegentliche Hinweise in den Texten, vornehmlich in den Briefen, in denen die als abwesend gedachte Schreiberin in der Rolle einer >Mutter< eine Gruppe von z.T. namentlich genannten Freundinnen belehrt. Sie vermittelt hier - so wird vermutetden Eindruck einer relativ mobilen, gute Kontakte zur Welt unterhaltenden, jedenfalls nicht in die strikte Klausur eines Konvents eingebundenen Frau, die in ihrer Rolle als Leiterin eines Kreises von Mystikerinnen ihrer ehemaligen Gruppe spirituellen Trost und geistliche Unterweisung zukommen lasse. Die - wie es bei van Mierlo heißt - religiöse Atmosphäre ihrer Texte entspreche sehr genau der lockeren Gruppenbildung 17
Zu diesem Problem hat J. van Mierlo noch einmal grundsätzlich Stellung genommen: Hadewijch een Gelukzalige Bloemardinne? In: Dietsche Warande en Beifort 25 (1925), S. 2 8 - 4 9 .
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der Beginen im Frühstadium ihrer Geschichte vor ihrer Institutionalisierung in fest geregelten Beginenhöfen. 18 Die am Ende der 14. Vision angefügte Liste der Vollkommenen, die auch einige semireligios lebende Frauen verzeichnet, bestätige diese Vorstellung, denn auch hier zeigten sich noch einmal sehr deutlich die Mobilität und Freizügigkeit einer unregulierten Begine, die über weitreichende Kontakte zu den verschiedensten semireligiosen Zirkeln ihrer Heimat, aber auch weiter entfernt in Paris und Thüringen verfügte. Dieses Hadewijch-Bild ist inzwischen in der Forschung so etabliert, daß es als unumstrittenes biographisches und kulturhistorisches Faktum seinerseits wieder die literarhistorische Diskussion bestimmt. Das gilt vor allem für die Atrophischen Gedichtenarmen< Beginengemeinschaft, wie sie Hadewijch - etwa im 37. Lied - als eine für Frauen attraktive, alternative Lebensform zur Männerwelt der ritterlichhöfischen Gesellschaft entwerfe. 21 Diese lebensweltliche Deutung von Hadewijchs Texten als eine Art Verständigungsliteratur für die Kreise avancierter Beginen, die sich den Repressionen und ideologischen Diskriminierungen ihrer adeligen U m welt entziehen, ist allerdings nicht unproblematisch. Denn damit werden Annahmen über die Lebensumstände der Autorin, die ohnehin schon nicht auf historische Bezeugungen, sondern auf textexterne Informationen, auf biographische Konkretisierungen literarischer Publikumsanreden zurückgehen, in einem zirkulären Verfahren noch einmal für ein funktionsgeschichtliches Verständnis von Hadewijchs Texten eingesetzt. Und nicht nur in diesem Einzelfall einer Liedanalyse, sondern auch prinzipiell scheint mir bei Hadewijch der Versuch einer biographischen Ausdeutung der Ich-Aussagen der Briefschreiberin, der Visionärin oder
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des gesamten CEuvres Hadewijchs, die in stellvertretenden Ich-Aussagen den Mitgliedern einer zwar historisch nicht bezeugten, aber in den Texten sehr konkret präsentierten Beginengemeinschaft die Stufen eines mystischen Wegs vorführe. Breuer, Wilhelm: Mystik als alternative Lebensform. Das 37. Strophische Gedicht der Suster Hadewijch. In: ZfdPh. 103 (1984), S. 103-115. Dieser konkreten Fixierung des Publikums von Hadewijch entzieht sich allerdings Frank Willaert, Poetica, in seiner Arbeit über Hadewijchs poetische Technik, denn auch er geht zwar von einer »solidaire gemeenschap« (S. 329) zwischen der Ich-Person und dem angesprochenen Publikum aus, den »kringsgenoten« (S. 358), die Hadewijch in der exemplarischen Ich-Figur einer »mystische minnare« (S. 328) zur Ubergabe der eigenen Person an die Minne ansporne, versagt sich jedoch zurecht eine weitergehende lebensweltliche Konkretisierung dieser Kommunikationssituation. Zu Hadewijchs Publikum vgl. auch neuerdings Willaert, Frank: Hadewijch und ihr Kreis in den V i s i o nen*. In: Abendländische Mystik im Mittelalter, S. 368-387.
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>Sängerin< über ihr spirituelles Leben unangebracht zu sein. Schon im Bereich der höfischen Liebeslyrik hat sich dieses Verfahren nicht bewährt. Ebenso verfehlt ist es bei Hadewijchs Texten, die typenspezifisch unterschiedlich akzentuierte Vorstellungen einer vita religiosa vermitteln und - abgesehen von einzelnen Frauennamen in den Briefen und profilierten Anreden an ein intendiertes Publikum in den Visionen - gerade konkret-biographische Angaben eher vermeiden. Und es ist kein Zufall, daß sich die These von Hadewijchs Führungsrolle in einem Beginenhaus nicht auf biographisch-lebensweltliche Informationen über die Autorin oder auf charakteristische Unterschiede zur mystischen Nonnenliteratur etwa einer Beatrix von Nazareth stützt, sondern aus jenen literarischen Publikums-Hinweisen erschlossen wird: aus Frauennamen, aus Bemerkungen über persönliche Beziehungen zu den Adressatinnen, aus Hadewijchs Selbstbezeichnung als Mutter und der Vorstellung einer zumindest zeitweiligen Abwesenheit von der Adressatinnengruppe ihrer Briefe. Dieses Netz >pe[sönlicher< Anspielungen auf eine Bezugsgruppe der Autorin vermittelt zwar - wie Frank Willaert eindringlich am Beispiel der Visionen gezeigt hat - eine gute Vorstellung von einem von der Autorin intendierten Publikum spirituell ambitionierter Frauen, denen Hadewijch an dem als repräsentativ gedachten Beispiel eigener Erfahrungen die Möglichkeit einer Vereinigung mit Gott in der Nachfolge Christi vorführt. Diese punktuellen Selbstaussagen und Publikumsanreden, die in ihrer Allgemeinheit ebenso gut einen Nonnenkonvent wie eine Beginengemeinschaft als potentielle Zielgruppe anvisieren können, gehören jedoch als literarischer Publikumsentwurf der Texte zur ideologisch-programmatischen Ebene von Hadewijchs mystischer Lehre und bieten uns deshalb keine Anhaltspunkte für die faktische Situierung der Autorin in einem historischen Kreis religiös bewegter Frauen. Jedenfalls wird sich die Annahme, Hadewijch habe als Leiterin einer Beginengemeinschaft ihre Werke für diese Frauengruppe verfaßt, nicht an ihren Texten verifizieren lassen. Solange wir aber keine historischen Zeugnisse für Hadewijchs Beginenstatus haben, bleibt er eine - wie mir scheintwenig überzeugende, vor allem aber eine konsequenzenlose Vermutung. Und das bedeutet, daß auch die Charakterisierung von Hadewijchs (Euvre als eines Beispiels für Beginenmystik neu überprüft werden muß. 22 22
Wie sehr die Beginen als Produzenten und Rezipienten literarischer Texte auch in anderen Fällen eine erschlossene, mit großen Unsicherheiten belastete Größe sind, zeigen auch die Überlegungen von Axters, Stephanus: De anonieme begijn van Tongeren en haar mystieke dialoog. In: O G E 15 (1941), S. 8 8 - 9 7 : ausgehend von dem
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2. Mechthild von Magdeburg: biographische Spuren im fließenden Licht der Gottheit< Während der >Fall< Hadewijch wegen des völligen Fehlens textexterner historischer Lebenszeugnisse der Autorin ein denkbar ungünstiges Beispiel für die Uberprüfung der Beginenthese ist, scheinen bei Mechthild von Magdeburg die Voraussetzungen wesentlich besser zu sein. Denn im Gegensatz zu dem schemenhaften Hadewijch-Bild der Forschung, das sich aus der in den Texten profilierten literarischen Konstellation einer begnadeten Mystikerin im Kreise ihrer geistlichen >FreundinnenLehrerin< einer geistlichen Frauengruppe ergibt, sind offenbar die Lebensumstände der Autorin des fließenden Lichts der Gottheit< in ganz anderer Weise dokumentiert. Mechthild von Magdeburg gilt jedenfalls als eine aus einer adeligen, zumindest begüterten Familie stammende Frau, die lange Jahre in Magdeburg eine gefährdete Existenz als Begine geführt, bevor sie im Alter Schutz im nahegelegenen Kloster Helfta gesucht habe. 23 Das f l i e ßende Licht der Gottheit< sei zu seinem größeren Teil bereits in ihrer Magdeburger Zeit entstanden, von ihrem Beichtvater, dem Dominikaner Heinrich von Halle, redigiert, im Kloster Helfta schließlich durch das 7. Kapitel erweitert und abgeschlossen worden. 2 4 Das Hauptinteresse der Forschung gehört freilich ihrem Magdeburger Beginenleben. Mechthild habe hier offenbar sehr nachdrücklich die Unsicherheit und Gefährdung einer semireligiosen Existenz erfahren, die auch deutliche Spuren
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Einleitungssatz »In beginagio tungerensi factum est verbum J h e s u Christi ad q u a n d a m iuvenculam innocentem valde in hunc m o d u m « (S.96, 1 - 3 ) eines lateinischen G e sprächs zwischen Christus und einer anima vermutet er für diesen Text eine E n d e des 13. J h s . im Beginenhof von Tongeren entstandene volkssprachige Vorstufe, einen brautmystischen D i a l o g in der Ich-Form, der zu Beginn des 14.Jhs. -vielleicht von einem der Seelsorger der B e g i n e n - ins Lateinische übersetzt, von der 1. in die 3. Person übertragen und mit einer objektivierenden Einleitung versehen worden sei, u m in dieser F o r m in eine im Kloster Villers im Jahre 1320 geschriebene Sammelhandschrift zu gelangen. Auch bei Mechthild von M a g d e b u r g beschränke ich mich im wesentlichen auf biographisch akzentuierte Arbeiten: vgl. vor allem die grundlegende Studie von N e u m a n n , Beiträge zur Textgeschichte; die ältere Diskussion z u m Leben Mechthilds ist verarbeitet bei Ancelet-Hustache, Jeanne: Mechtilde de M a g d e b o u r g (1207-1282). E t u d e de Psychologie religieuse. Paris 1926. Dieser Lebensabriß gehört bis in die neuesten Darstellungen hinein z u m G r u n d b e s t a n d der Mechthild-Forschung; vgl. etwa die >Biographie< bei N e u m a n n , H a n s : Mechthild von M a g d e b u r g . In: Verf. Lex. VI ( 2 1985), Sp. 2 6 0 - 2 7 0 , hier S p . 2 6 0 f . oder Schmidt, M a r g o t : »die spilende minnevlut. D e r Eros als Sein und Wirkkraft in der Trinität bei Mechthild von Magdeburg. In: »Eine H ö h e , über die nichts geht«, S. 71-133, hier S. 71.
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in ihrem Werk hinterlassen hätten: in expliziten Anspielungen auf Widerstände der Geistlichen, in dogmatisch-apologetischen Präzisierungen25 und schließlich - wie Caroline W. Bynum 26 im Vergleich zu den lateinischen Helftaer Texten gezeigt hat - in einem eher zurückhaltenden Rollenentwurf der Begine als Visionärin. Denn während sich Gertrud die Große und Mechthild von Hackeborn im gesicherten Rahmen ihres unproblematischen Status als geachtete Nonnen des Klosters Helfta ohne Schwierigkeiten sogar priesterliche Funktionen des Bindens und Lösens hätten zuschreiben können, bleibe die schutzlose und deshalb viel vorsichtigere Begine Mechthild von Magdeburg in den vorgegebenen Bahnen weiblicher Selbstdarstellung als ungebildetes Sprachrohr Gottes. Ihr Text sei demnach ein prägnantes Beispiel für Beginenmystik, die sich in charakteristischer Weise von der mystischen Nonnenliteratur der Helftaer Schwestern unterscheide und damit einen guten Eindruck von den für unklausurierte mulieres religiosae charakteristischen religiösen Ausdrucksformen und lebensweltlich-dogmatischen Problemen vermitteln könnte. Diese Einschätzung Mechthilds als eine Magdeburger Begine, die die gesamte Mechthild-Forschung beherrscht,27 scheint zunächst unproblematisch zu sein. Denn im Gegensatz zur Spärlichkeit biographischer Anspielungen im CEuvre Hadewijchs, die das intendierte Publikum eines mystischen Lebensprogramms entwerfen, aber keine biographisch-lebensweltliche Festlegung erlauben, kann sich offenbar im Falle Mechthilds der Versuch einer Lebensskizze dieser Autorin auf die verschiedensten Materialien stützen. Zwar fehlen auch hier textexterne Dokumente im Sinne einer historischen Bezeugung der Magdeburger Begine. Doch das ist im 13. Jh. nicht erstaunlich. Auffallend sind hingegen - gerade im
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Vgl. etwa auf ihr >Buch< bezogen im fließenden Licht der Gottheit< II, 26: »Ich wart von disem buche j;ewarnet, / Und wart von menschen also gesaget; / Wolte man es nit bewaren, / D a mohte ein brant ubervaren« (S. 52) oder III, 16: »Du seitest mir öch vor über sehs jar, mich solten geistliche lute noch viel sere versmahen, das tünt sie nu vlisseklich und hant es dikke arglich getan« (S. 78); III, 20 (S. 81) und IV, 2 2 : »De mir disu gnade mohte beschehen / Und dis mohte besehen, / de was sunderlich davon de ich dur got eilende was und von gotz frunden steteklichen arglich versmahet« (S. 118). Vgl. auch die dogmatischen Präzisierungen: VI, 31 (S.205) zur »ai«re-Stelle des Kapitels I, 44 (S. 22); VI, 36 (S.210) zur Messe Johannes des Täufers im Kapitel II, 4 (S.31ff.). Bynum, Caroline Walker: Jesus as Mother. Studies in the Spirituality of the High Middle Ages. Berkeley, Los Angeles, London 1982, hier S. 1 7 0 - 2 6 2 . Darüber gibt es in der Forschung - d a s zeigt etwa die Sicherheit, mit der Ruh, Gottesliebe, formuliert: »der Stand der Beguinage - er ist für Mechthild . . . bestens bezeugt (S. 244) - keine Diskussion: Uneinigkeit besteht nur hinsichtlich der Daten von Textentstehung, Klostereintritt und Tod der ehemaligen Begine in Helfta.
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Vergleich zu Hadewijchs Zurückhaltung hinsichtlich ihrer Lebensumstände- die biographischen Informationen, die uns Mechthilds Werk und seine Wirkungsgeschichte vermitteln. Bereits der deutsche Text bietet eine Reihe verstreuter biographischer Anspielungen, am konzentriertesten in dem Lebensabriß des Kapitels IV, 2: hier berichtet Mechthild, daß sie bereits mit 12 Jahren als »vnwirdige sunderin« (S. 91) den Gruß des Hl. Geistes empfangen, später freiwillig ihr Elternhaus und damit auch ein unproblematisches Leben unter Verwandten aufgegeben und in einer fremden »stat, da nieman min frund was« (S. 91) bis auf einen einzigen vertrauten Menschen ohne Verwandte und Bekannte gelebt habe. Verstreute Anspielungen auf fortwährende Anfeindungen,28 auf Beginen, deren niedrigsten eine sie selbst sei,29 und schließlich auf einen ihr offenbar gut bekannten Dekan Dietrich 30 ergänzen diese Lebensskizze einer - so scheint es - mit den Magdeburger Verhältnissen vertrauten mulier religiosa, die - wie die Klosteranspielungen des 7. Buches nahelegen - 31 später in einem Klosterkonvent gelebt hat. Während allerdings diese punktuellen biographischen Hinweise noch kein zusammenhängendes Lebensbild einer Magdeburger Begine ergeben, wird die lateinisch-deutsche Vorrede »Von Offenbarungen einer liebhabenden Seel« (S. lf.) zum fließenden Licht der Gottheit< schon konkreter: hier stammt der Text von »cuidam begine« (S. 1) bzw. einer »swester« (S. 2), die 40 Jahre lang den Spuren der Dominikaner gefolgt sei und ab 1250 etwa 15 Jahre lang an dem deutschsprachigen Werk gearbeitet habe, das dann in seiner endgültigen Form von einem Dominikaner zusammengestellt worden sei. Und die lateinische Übertragung des fließenden Lichts der GottheitLux DivinitatisFließenden Licht der Gottheit< zurückzugehen. Zumindest der Verfasser des lateinischen Prologs zum deutschen Text hat offenbar keine eigenständige Kenntnis von Mechthild gehabt. 34 Er bietet zwar einige konkrete Daten und Angaben zur Lebens· und Werkgeschichte, die nicht aus Mechthilds Text stammen, bleibt aber bei seinen biographischen Informationen innerhalb des Rahmens des von Mechthild vorgegebenen Lebensbildes. Denn die in Kap. IV, 2 des deutschen Textes präsentierten Stadien einer mulier religiosa erscheinen hier konkretisiert als das Leben einer Begine - in der deutschen Fassung einer »swester« (S. 2) - , die Gott mehr als 40 Jahre gedient habe. Und dem vor allem in den letzten Partien des fließenden Lichts der Gottheit< deutlichen Interesse der Autorin für die Belange der Dominikaner entspricht in der Vorrede die Formulierung: »sequens perfecte vestigia fratrum ordinis praedicatorum« (S. 1). Das von Mechthild an mehreren Stellen erwähnte unverständige, ja feindliche Verhalten
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S. 517. Zu den biographischen Informationen der >Lux Divinitatis< über Mechthilds >Bruder< Balduin und den Dominikaner Heinrich von Halle vgl. unten S. 118ff. Zur >Unglaubwürdigkeit< des Prolog-Autors, der seine biographischen Angaben aus Mechthilds Text bezieht, vgl. auch die - allerdings nicht befriedigenden - Überlegungen bei Hauck, Α.: Kleinigkeiten. 1. Zu Mechthild von Magdeburg. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 32 (1911), S. 186-198, hier S. 189.
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ihrer Umgebung wird im Prolog der >Lux Divinitatis< zusammenfassend charakterisiert als »multas tribulationes« (S. 436), die ihrem Eintritt ins Kloster Helfta vorangegangen seien. Vielleicht ist damit aber auch nur das freiwillige entsagungsvolle Armuts- und Demutsleben einer mulier religiosa gemeint, das nun im institutionalisierten Rahmen eines Konvents weitergeführt werde. Ausschlaggebend für Mechthilds Lebensbild in den Prologen zum deutschen und lateinischen Text scheinen demnach ihre eigenen Bemerkungen im fließenden Licht der Gottheit< zu sein. Sie markieren jedoch zunächst nicht mehr als die prägnanten Spuren einer in der Vitenliteratur des 13. Jhs. gängigen, geradezu idealtypischen vita religiosa. Dazu gehören die Unwissenheit des Kindes, frühe religiöse Erfahrungen, der freiwillige Verzicht auf ein angenehmes Leben im Elternhaus, die Abkehr von Verwandten und Freunden, der Rückzug aus der Welt. Auch die übrigen in das >Fließende Licht der Gottheit< eingefügten biographischen Anspielungen folgen diesem Vitenschema: das Ertragen von Spott und schlechter Behandlung, ungerechtfertigte Beschuldigungen bzw. Verfolgungen, aber auch der Hinweis auf fehlende Lateinkenntnisse, 35 die die ungebildete mulier religiosa zum privilegierten Sprachrohr für göttliche Geheimnisse prädestinieren. Diese im fließenden Licht der Gottheit< verstreuten Spuren einer vita religiosa erscheinen schließlich im lateinischen Prolog und der lateinischen Übersetzung in der Art der den provenzalischen Minneliedern vorangestellten Trobadorbiographien systematisiert zu einer durch detailrealistische Fakten ergänzten Lebensund Werkgeschichte. Dabei werden die in den Visionsbericht des Kapitels IV, 2 eingebundenen biographischen Positionen einer vita religiosa konkretisiert zur Lebensabfolge eines Beginendaseins und späteren Eintritts in das Kloster Helfta. Noch nachdrücklicher aber hat sich die Forschung dieser punktuellen Angaben bedient: sie präzisiert sie zu jenem Lebensbild einer gefährdeten Begine, die in Magdeburg in Zusammenarbeit mit einem Dominikaner ihre religiösen Erfahrungen niederschreibt, vor den anhaltenden Anfeindungen der lokalen Geistlichkeit in das nahegelegene, angesehene Kloster Helfta flieht, hier ihre Aufzeichnungen abschließt und damit zugleich Mechthild von Hackeborn, die cantrix des Konvents, Gertrud die Große und andere, ungenannte Schwestern zur Niederschrift ihrer religiösen Erfahrungen anregt.
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Vgl. etwa II, 3: » N u gebristet mir tusches, des latines kan ich nit« (S. 30); II, 26: »der vngelerte mund« (S. 53); III, 1: »wa ich der schrift vngeleret bin« (S. 56); VII, 21: »und ich selber vngeleret bin« (S.237).
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Die lapidare Spärlichkeit der biographischen Angaben im fließenden Licht der GottheitFlucht< der alten Begine ins Kloster Helfta auf ihren Text bezogen, der in seinen kirchenkritischen, dogmatisch bedenklichen und nicht zuletzt auch den sinnlich-erotischen Passagen den Arger der Magdeburger Geistlichkeit provoziert habe. Damit setzt sich eine Vorstellung von beginenmystischer Literatur durch, die auf ihre prekäre, die Autorin existentiell betreffende, gefährdende Wirkung abhebt. Die prominentesten Beispiele sind Hadewijch, Mechthild und vor allem Marguerite Porete, die vermutete Autorin des Traktats >Miroir des simples ämes anienties«, die als rückfällige Ketzerin in Paris verurteilt und am 1. Juni 1310 auf dem Place de Greve verbrannt worden ist. Beginenmystik scheint demnach einen Spezialtyp von konventikelhafter, nicht-offizieller, ausgegrenzter Literatur hervorzubringen - ein Literaturverständnis, das merkwürdig quer zu unseren sonstigen Informationen über die literarische Produktion im Mittelalter steht. Sie ist bekanntlich sehr direkt an institutionelle Voraussetzungen gebunden: an ein literarisches Mäzenatentum, eine Hofgesellschaft, im Bereich der monastischen Literatur an die literarischen Interessen und Bedürfnisse der Klostergemeinschaft. Es fragt sich deshalb, ob die Vorstellung von Beginenliteratur im Sinne einer abseits der geistlichen Institutionen bzw. 58
im kleinsten Kreis religiöser Frauen quasi-verborgen entstandenen und verbreiteten Literatur den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Semireligios lebende Frauen gehören zur Gesellschaft des 13. Jhs. Sie treten - wie die Viten des brabantisch-lütticher Raums gezeigt haben - in den verschiedensten Situationen hervor: als Spitalschwester, Rekluse, Drittordensangehörige, im Elternhaus oder bei Verwandten, im Kreis anderer Frauen, als Hausbesitzerin und Erbin. Sie leben geachtet, zumindest toleriert, häufig sogar verehrt im Umkreis ihrer Verwandten, Bekannten und Freunde. Während jedoch in den historischen Quellen, in den Steuerlisten oder bei Verkaufsgeschäften, fast ausschließlich die wirtschaftliche Seite ihrer Existenz erscheint, 36 bietet etwa jenes bereits vorgestellte Korpus an Frauenviten des brabantisch-lütticher Raums, das naturgemäß die detailliertesten Informationen über diese neue Form der vita religiosa für weibliche Laien liefert, ein sehr charakteristisches Bild von den Lebensumständen dieser Frauen. Sie führen ein vorbildliches Leben der Askese, Armut, humilitas und eucharistischen Sehnsucht, der Nächstenliebe in Krankenpflege und geistlichem Beistand am Totenbett, der Visionen und Prophezeiungen. Sie müssen jedoch in der Regel diese Auserwähltheit bewähren und durchsetzen in permanenten Auseinandersetzungen mit dem Unverständnis, den Vorwürfen, falschen Beschuldigungen und Verfolgungen einer schockierten, mißtrauischen, gelegentlich sogar offen feindseligen Umwelt. Deshalb erscheinen die semireligios lebenden Frauen dieser Viten oft als verdächtige Außenseiterinnen und hilflose Opfer einer eher ablehnenden geistlichen wie weltlichen Öffentlichkeit. Das ruhelose Leben der Lütticher Spitalschwester Juliana von Cornillon, die durch persönliche Widersacher, aber auch ungünstige politische Konstellationen immer wieder vertrieben wird, bis sie schließlich in den letzten Lebensjahren völlig vereinsamt bei einem Kanoniker Zuflucht als Rekluse findet, illustriert sehr eindrücklich diese Vorstellung von den Gefährdungen einer offenbar nur wenig geschützten Existenz als mulier religiosa. Die mit den Bestimmungen des Konzils von Vienne zu Beginn des 14. Jhs. einsetzenden Beginenverfolgungen scheinen dieses Bild nur zu bestätigen. Das hat dazu geführt, daß für die Forschung die Geschichte der Beginen von Anfang an von Mißtrauen, Häresieverdacht und striktem Abgrenzungswillen einer geistlichen wie weltlichen Öffentlichkeit bestimmt gewesen ist. Diese Vorstellung von der prekären Existenz der Beginen verdankt sich allerdings einer Kontamination sehr unterschiedlicher Informatio36
Diese Seite ist am besten dokumentiert bei Neumann, Rheinisches Beginenwesen, S. 9 3 - 1 0 4 (»Wirtschaftliche Grundlagen der Gemeinschaft«),
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nen.37 Für das 13. Jh. informieren uns vornehmlich die brabantischen Viten über die Existenz und das bewegte Leben semireligios lebender Frauen. Hier dominiert freilich gerade nicht das Bild einer häretisch gefährdeten Begine, sondern umgekehrt der streng rechtgläubigen, den Kampf gegen die Albigenser aktiv unterstützenden mulier religiosa, die jedoch — im Sinne der topischen Stationen im Leben eines Heiligen - ihre humilitas und gottvertrauende Geduld im Ertragen der verschiedensten Anfeindungen und Verfolgungen von Seiten der geistlichen wie weltlichen Instanzen bewährt. Diese Frauen bieten als >neue< Heilige ein Exempel forcierter Rechtgläubigkeit und vorbildlicher Zusammenarbeit mit Reformbestrebungen der Kirche, mit einzelnen Weltgeistlichen, Konventsangehörigen und weltlichen Herrschaftsträgern. Eine ganz andere Vorstellung vermitteln hingegen die mit der zweiten Hälfte des 13.Jhs. einsetzenden Synodalbeschlüsse gegen vagierende, unbefugt predigende Begarden und Beginen, die Irrlehren aufgenommen und verbreitet hätten.38 Bereits der Franziskaner Gilbert von Tournai hatte in seinem für die Beratungen des zweiten Lyoner Konzils im Jahre 1274 erstellten Bericht über den Zustand der Kirche, der >Collectio de scandalis ecclesiaeschlechten< Beginen, die »de sancta trinitate et divina essencia« (S. 73) diskutierten, ja sogar predigten, Irrtümer in Glaubensfragen einführten und so die einfachen Seelen verführten, und jenen Frauen, »que similiter Beghine vulgo vocate« (S. 73), die jedoch ein ehrbares Leben führten, die Kirchen aufsuchten, dem Pfarrklerus Folge leisteten und sich keine Fähigkeiten des Predigens und Disputierens anmaßten. Während die erste Gruppe weiterhin exkommuniziert und verfolgt werden sollte, könnten die >guten< Beginen ihr ehrbares Leben ungestört fortführen. Bereits die »Ratio recta«-Formulierung »dyocesanis locorum et parochiarum ecclesiarum rectoribus reverenter obediunt« (S. 73) zeigt, daß hinter der Beginenfrage Auseinandersetzungen zwischen Pfarrklerus und Mendikanten stehen, die die Seelsorge jener Frauen übernommen haben. Während in der Bulle »Ratio recta« bei den >guten< Beginen noch ihre Zugehörigkeit zu den Pfarrkirchen betont wird, nimmt - offenbar auf Iniative der Bettelorden - ein Jahr später der Papst in der Bulle »Etsi apostolicae« 45 ausdrücklich von jenem Verbot die Drittordensangehöri43
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Edition dieses Schreibens »Lecte coram nobis« bei Patschovsky, Straßburger Beginenverfolgungen, S. 1 4 8 - 1 5 3 (Nr. 4). Text in: Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis neerlandicae. Verzameling van stukken betreffende de pauselijke en bisschoppelijke inquisitie in de Nederlanden. Uitg. door Paul Fredericq en zijne leerlingen. Tweede deel stukken tot anvulling van het eerste deel (1077-1518). Gent, 'sGravenhage 1896 (zitiert als Fredericq II), S. 7 2 - 7 4 (Nr. 44). Text in: Bullarium Franciscanum Romanorum Pontificum constitutiones, epistolas, ac diplomata continens tribus ordinibus Minorum, Clarissarum, et Ponitentium a . . . Sancto Francisco institutis concessa . . . nunc primum in lucem editum notis atque indicibus locupletatum studio et labore Fr. Johannis H.Sbaralex (Bullarium Franciscanum . . . continuavit Conradus Eubel.) 7 tom. Romae 1 7 5 9 - 1 9 0 4 , B d . 5 , S. 163f. (Nr. 354).
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gen aus, also jene Frauen, die nach einer approbierten Regel leben und unter dem besonderen Schutz der Bettelorden stehen. Diese Unterscheidung von >freien< und >regulierten< Beginen überlagert schließlich auch den Häresievorwurf. Denn bei den Bestimmungen, die im Anschluß an das auf dem Konzil von Vienne erlassene Beginenverbot formuliert worden sind, geht es nicht mehr in erster Linie um die häretischen Aktivitäten der Beginen, sondern - wie Alexander Patschovsky 4 6 zeigen k o n n t e - um die Frage der Obödienz, um ihre Zugehörigkeit zu den Pfarrkirchen, denen sich die nicht nach einer approbierten Regel lebenden Frauen mit ihrer Hinwendung zu den Bettelorden zu Unrecht entzogen hätten. Die Beginenauseinandersetzungen des späten 13. und 14.Jhs. sind jedenfalls ganz entscheidend vom sog. Mendikantenstreit 47 bestimmt, jenen Spannungen zwischen den Bettelorden und dem Pfarrklerus, die sich an den Seelsorgebefugnissen entzündet, bald jedoch zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen im Umkreis der Pariser Universität ausgeweitet haben. Sie sind für jenes Neben- und Nacheinander von Beginenkritik, Beginenverboten, Differenzierungsversuchen und Schutzbestimmungen für regulierte Frauen verantwortlich. Die Quellen bieten jedenfalls sehr unterschiedliche Seiten des Beginenproblems, die zunächst eine gattungsspezifische Aussonderung und historisch eine zeitliche Differenzierung mit den Bestimmungen des Konzils von Vienne als eine Art Wendepunkt erfordern. Diese Unterscheidung zwischen den verschiedensten Formen semireligios lebender Frauen im 12./13.Jh., ihrer Präsentation im Viten-Kontext und ihrer begrifflichen Differenzierung nach dem Konzil von Vienne ist jedoch in der Forschung sehr häufig unter dem Eindruck der Beginenverfolgungen des 14.Jhs. versäumt worden, so daß sich normalerweise die Geschichte der Beginen als eine kontinuierliche Abfolge von Abwehr, Ausgrenzung und Verfolgung darstellt. Diese Sicht negiert freilich die gerade in den brabantischen Viten des 13.Jhs. reich bezeugten Formen eines von allen Seiten unterstützten und offiziell anerkannten semireligiosen Lebens. Und auch im 14. Jh. überwiegen die Beginenkonvente, die nach einer approbierten Regel leben, bei weitem die sog. freien, vagierenden Beginen. Diese Möglichkeit einer im Umkreis einer geistlichen Institution unter der geistlichen Führung der Bettelorden lebenden geachteten Beginen-
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Patschovsky, Straßburger Beginenverfolgungen, S. 9 2 - 1 0 8 . Zur Beginenkritik im Zusammenhang und Gefolge des sog. Mendikantenstreits vgl. unten S. 81ff.
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existenz wird aber im Falle Mechthilds von Magdeburg nicht einmal in Erwägung gezogen. In Mechthild scheinen sich vielmehr die verschiedensten beginenkritischen Linien zu treffen: sie gilt als eine selbstbewußte, unabhängig denkende, frei spekulierende Frau, die ihre eigenständige Spiritualität und ihre Kritik an der Geistlichkeit mit Anfeindungen und Verfolgungen zu bezahlen hatte. Damit liefert bei ihr das Beginendasein, das hier ganz unter dem Aspekt der sozialen Unsicherheit und theologischen Gefährdung gesehen wird, zugleich eine vorzügliche sozialgeschichtliche Begründung für eine lebensweltliche Außenseiterrolle der Autorin, die der literarischen Sonderstellung ihres Textes entspricht. Diese Einschätzung beruht freilich ausschließlich auf jenen Ich-Aussagen über ihre abwehrend-geringschätzige Behandlung durch die Umwelt, über Belästigungen und Bedrohungen, die nicht in ihrem hagiographischen Status als Exemplifizierung der schwierigen Rolle einer gegen Widerstände ankämpfenden, im eilende der Welt lebenden Visionärin verstanden worden sind, sondern sehr konkret im Sinne von Feindseligkeiten kirchlicher Würdenträger gegenüber einer selbstbewußten, kirchenkritischen Begine. Die brabantischen Viten zeigen jedoch, wie sehr zu einem heiligmäßigen Leben nicht nur die höchste Begnadung durch Gott und die Verehrung durch die Frommen, sondern auch die Gegenmaßnahmen bestimmter Gruppen gehören, die sich durch das Auftreten einer visionär und prophetisch begabten mulier religiosa in ihren unrechtmäßigen Aktivitäten beeinträchtigt fühlen. An diese Konzeption knüpft auch das >Fließende Licht der Gottheit< an, wenn etwa - i m Kapitel 11,26 »Von disem buche und von dem schriber dis büches« (S. 52) sehr speziell auf Mechthilds Rolle als Autorin bezogen- die Brisanz des ihr geoffenbarten göttlichen Wortes und im Zusammenhang damit die Gefährdung ihrer Existenz als Sprachrohr Gottes angesprochen wird. Selbst wenn Mechthild in Magdeburg, vielleicht auch bereits in der Umgebung des Klosters Helfta im engen Zusammenwirken mit den Konventsangehörigen und deren dominikanischen Beichtvätern als geachtete, ja verehrte mulier religiosa gelebt haben sollte, so überwiegen dennoch in ihrem Text —entsprechend einer traditionell hagiographischen Programmatik- die dunklen Seiten einer vita religiosa, die in besonderer Weise die Dignität eines begnadeten Lebens und das heißt hier auch der Autorenrolle einer Visionärin erweisen. Die biographischen Anspielungen des f l i e ß e n d e n Lichts der Gottheit< sind demnach so deutlich auf die sanctitas einer mulier religiosa und damit auf ein hagiographisches Konzept von Begnadung ausgerichtet, daß sich - wie
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ich m e i n e - von ihnen keine Überlegungen zum faktischen Leben der Autorin und schon gar nicht zu ihrem gefährdeten Auftreten als Magdeburger Begine ableiten lassen. Die kulturgeschichtliche Zuordnung des f l i e ß e n d e n Lichts der Gotth e i t zur Beginenmystik als eines bestimmten literarischen Typus einer lebensweltlich in die Außenseiterrolle der Beginen eingebundenen Spiritualität semireligios lebender und permanent von häretischer Gefährdung bedrohter Frauen hat freilich zugleich verhindert, daß in der Forschung die mögliche Bedeutung des Klosters Helfta für die Entstehung und Verbreitung von Mechthilds Text genügend gewürdigt worden ist. Dies ist um so erstaunlicher, als dieses Kloster mit den literarischen Aktivitäten Mechthilds von Hackeborn, Gertruds der Großen und anderer an deren Texten beteiligter, namentlich nicht genannter Schwestern ein literarisches Zentrum ist, in dem die Entstehung und Redaktion von Offenbarungsschriften besonders gefördert werden. Helfta erweist sich damit auch als der geeignete O r t für die Niederschrift und Verbreitung von Mechthilds Text. 48 Eine stärkere Anbindung der Entstehung und redaktionellen Bearbeitung des >Fließenden Lichts der Gottheit< an das Kloster Helfta bedeutet aber zugleich eine Umakzentuierung hinsichtlich seiner ideologischen Einschätzung: der Beginenaspekt würde zurücktreten hinter die etablierten Formen monastischen Literaturbetriebs. Und Mechthilds Text wäre jenen Spekulationen über heimliche, nur im kleinsten Kreis gepflegte, tendenziell existenzgefährdende literarische Aktivitäten einer Begine entzogen, die - getragen von neuzeitlichen Vorstellungen einer existentiell lebensweltlich fundierten Literaturproduktion— einer historischen Uberprüfung kaum standhalten. Mit dem Helftaer Konvent haben wir zwar eine Gemeinschaft, die an der Redaktion, vielleicht auch an der Übersetzung der Schriften einer ihrer Angehörigen ein besonderes Interesse gehabt haben dürfte. Es bleiben jedoch die deutlichen literarischen Unterschiede zwischen dem >Fließenden Licht der Gottheit< auf der einen Seite und den lateinischen Texten aus Helfta auf der anderen, die bislang mit gesellschaftsgeschichtlichen Argumenten begründet worden sind: den tiefgreifenden Differenzen zwischen Nonnenkonventen zisterziensischer Ausrichtung und regellos lebenden Beginenkreisen hinsichtlich ihrer Spiritualität, Selbstprä-
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Zu den Offenbarungsschriften Helftaer Schwestern vgl. die übergreifende Darstellung von Goyau, Lucie Felix-Faure: Christianisme et culture feminine. Paris 1914, S. 1 6 5 - 2 1 0 ; Bynum, Jesus as Mother, S. 1 7 0 - 2 6 2 sowie unten S. 122ff.
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sentation und literarischen Intentionen.49 Bestimmender scheint mir jedoch im Falle der Helftaer Literatur die Opposition von Latein und Volkssprache, d.h. der Unterschied zwischen den lateinischen Texten der Helftaer Nonnen und Mechthilds volkssprachigem Werk im Sinne typenbestimmender Ausprägungen zu sein. Denn während Gertrud und Mechthild von Hackeborn bzw. die an der Entstehung ihrer Texte beteiligten, aber ungenannten Schwestern mit ihren >Lebensberichten< an die monastische Vitentradition anknüpfen und sie zumindest stellenweise zu einer Art Gesamtbild der Vitae sororum eines vorbildlichen Konvents erweitern, bedient sich Mechthild von Magdeburg auch volkssprachiger Formen der geistlichen und weltlichen Literatur, die sie zu einem flexiblen Neben- und Ineinander von Dialog, Gebet, Meditation, Traktat und Visionsbericht zusammenbindet. Jedenfalls scheint sich der postulierte Sonderstatus ihres Textes weniger ihrem regellosen Beginendasein zu verdanken als einer Kontamination sehr unterschiedlicher Literaturformen. Auch Mechthild von Magdeburg ist demnach - trotz der im Vergleich zu Hadewijch geradezu reichen Fülle an biographischen Nachrichten ein wenig geeignetes Beispiel für eine schreibende und wegen dieses Schreibens verfolgte Begine. Ihr Fall sollte davor warnen, bei frauenmystischen Texten - ohne die gattungs- und funktionsgeschichtlichen Traditionen bestimmter literarischer Themen zu berücksichtigen - in Anspielungen auf eine feindselige Umwelt biographische Informationen über die Unsicherheiten eines semireligiosen Lebens bzw. die Gefahren für schreibende Beginen zu sehen und auf dieser Basis den Texten von mulieres religiosae einen besonderen Status einer lebensweltlich-existentiell fundierten Literatur zuzusprechen. Die Angaben im fließenden Licht der Gottheit< über die Widrigkeiten einer vita religiosa gehören sehr deutlich zur Programmatik des Textes und liefern uns deshalb keine Erkenntnisse über die literarischen Aktivitäten von Beginen. Nicht nur im Falle von Hadewijch, sondern auch bei Mechthilds Text werden sich deshalb die näheren Umstände seiner Entstehung kaum rekonstruieren lassen. Zumindest der ganze Komplex von Mechthilds Leben und Schreiben als Begine in Magdeburg bleibt ungeklärt, wenn nicht sogar unwahrscheinlich. Denn die wenigen Anhaltspunkte, die wir haben, 49
A m dezidiertesten von Bynum, Jesus as Mother: »It is not surprising that Mechthild of Magdeburg, who grew up in the world and fled from it into a quasi-religious role that left her open to misunderstanding, should show in her religious imagery an awareness of the world's opinion that female are lowly, powerless, without learning or authority, and in need of complementation.« (S.244f.)
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weisen weniger auf die Sonderexistenz einer schreibenden Begine als auf die institutionell abgesicherte Gemeinschaft eines Nonnenkonvents, die die literarischen Aktivitäten ihrer Mitglieder fördert. Mit diesen Vorbehalten gegenüber der Annahme, Hadewijch und Mechthild von Magdeburg hätten ihre Texte als Beginen und für eine Beginengemeinschaft verfaßt, soll freilich nicht generell die Existenz einer spezifischen Spiritualität der Beginen und ihre literarische Ausprägung in beginischen Werken bestritten werden. Hadewijch und Mechthild fallen allerdings als potentielle Zeugen für eine spirituelle und literarische Traditionslinie beginenmystischer Texte aus, da in beiden Fällen die Entstehung ihrer Texte im Beginenmilieu historisch nicht nachweisbar ist, vielmehr auf ein problematisches biographisch-konkretisierendes Verständnis bestimmter Ich-Aussagen und literarischer Themen zurückgeht. Die spezifischen literarischen Konturen einer beginenmystischen Spiritualität müßten deshalb zunächst unabhängig von diesen beiden Autorinnen erwiesen sein, bevor sich in einem literarischen Vergleich ihr Verhältnis zu dieser Tradition erörtern läßt. Bessere Voraussetzungen für eine Untersuchung des Problems Beginenmystik bietet hingegen möglicherweise der Paradefall Marguerite Porete, die als Autorin eines volkssprachigen Textes speziell wegen der Verbreitung häretischer Lehren zunächst in ihrer Heimat in Hennegau, dann in Paris angeklagt und verurteilt worden ist. Ihr Prozeß und Feuertod am Vorabend des Konzils von Vienne scheinen demnach eindringlich und schlagend jene drohenden Perspektiven einer schreibenden und lehrenden Begine vorzuführen, die - a l s potentielle G e f a h r e n - auch für die etwa 4 0 - 5 0 Jahre zuvor lebenden Autorinnen Hadewijch und Mechthild von Magdeburg vermutet worden sind.
3. Der Häresieprozeß der Marguerite Porete Die Begine Marguerite Porete, die selbstbewußte und unerschrockene Autorin eines ungemein wirkungsmächtigen Textes, 50 dessen Verbrei50
Romana Guarnieri hat bereits im Jahre 1946 im Osservatore Romano 141, Juni 16, den altfranzösischen Traktat »Le mirouer des Simples Arnes anienties et qui Seulement demourent en vouloir et desir d'amour« der Chantilly-Handschrift 157 der in Paris im Jahre 1310 verurteilten Marguerite Porete zugeschrieben, den Text in einem Privatdruck (Roma 1961) ediert und schließlich im Rahmen der großangelegten Studie: II movimento del Libero Spirito. In: Archivio per la Storia della pietä 4 (1965), S. 3 5 1 - 7 0 8 , hier S. 5 1 3 - 6 3 5 der wissenschaftlichen Öffentlichkeit bekanntgemacht. Ihre Identifizierung der Verfasserin des >MiroirMiroir des simples ämes< et Marguerite de Navarre. In: La mystique rhenane. Colloque de Strasbourg 16-19 mai 1961. Paris 1963 (Bibliotheque des Centres d'Etudes superieures specialises. Travaux du Centre d'Etudes superieures specialise d'Histoire des Religions de Strasbourg), S. 281-289; Orcibal, J.: Le »Miroir des simples imes« et la »secte« du Libre Esprit. In: Revue de l'histoire des religions 88 (1969), S. 35-60; Mc Laughlin, Eleanor: The Heresy of the Free Spirit and Late Medieval Mysticism. In: Medievalia et Humanistica NS 4 (1973), S. 37-54; Ruh, Kurt: >Le miroir des simples ämes< der Marguerite Porete (1975). Wieder in: Ruh, Kleine Schriften. Bd. II, S. 212-236; Schweitzer, Franz-Josef: Der Freiheitsbegriff der deutschen Mystik. Seine Beziehung zur Ketzerei der >Brüder und Schwestern vom Freien Geist< mit besonderer Rücksicht auf den pseudoeckhartischen Traktat »Schwester Katrei« (Edition). Frankfurt, Bern 1981 (Arbeiten zur mittleren deutschen Literatur und Sprache 10); Dronke, Peter: Women Writers of the Middle Ages. A Critical Study of Texts from Perpetua (f203) to Marguerite Porete ( t 1310). Cambridge University Press 1984, hier S.217-228; Ruh, Beginenmystik, und Ders., Gottesliebe. Vgl. die Darstellung des >Falls< bei Lea, Henry Charles: Geschichte der Inquisition im Mittelalter (1880). Autorisierte Übersetzung, bearbeitet von Heinz Wieck und Max Rachel, rev. und hrsg. von Joseph Hansen. In 3 Bänden. Bd. 2. Die Inquisition in den verschiedenen christlichen Ländern. Neudruck der Ausgabe Bonn 1909: Aalen 1980, S. 136-137; 655-657; Corpus documentorum inquisitionis haereticae pravitatis neerlandicae. Verzameling van stukken betreffende de pauselijke en bischoppelijke inquisitie in de Nederlanden. Uitg. door Paul Fredericq. Eerste deel tot aan de herinrichting der inquisitie onder keizer Karel V. (1025-1520). Gent, 'sGravenhage 1889 (zitiert als Fredericq I), S. 155-160 (Nrr. 164-166); Fredericq II, S. 63-65 (Nrr. 37-39); Langlois, Ch.-V.: Marguerite Porete. In: Revue historique 54 (1894), S. 295-229; Grundmann, Ketzerverhöre, S. 368-374; Lerner, Heresy, S. 68-78 und neuerdings Lerner, Robert E.: An »Angel of Philadelphia« in the Reign of Philip the Fair: The Case of Guiard of Cressonessart. In: Order and Innovation in the Middle Ages: Essays in Honor of Joseph R. Strayer. Ed. by William C. Jordan, Bruce McNab, Teofilo F. Ruiz. Princeton, New Jersey 1976, S. 343-364; 529-540. 68
von Vienne acht Irrlehren der Begarden und Beginen im Deutschen Reich verurteilt und die Inquisitoren und Bischöfe zur Verfolgung dieser Häresien auffordert. Marguerites Prozeß, der geradezu die Aktualität und Notwendigkeit eines kirchlichen Einschreitens zu bestätigen scheint, wirkt wie ein Präludium zu diesem Dekret. Die juristischen Aktivitäten im Umkreis von Marguerite sind erstaunlich gut dokumentiert: Wilhelm von Nogaret und Wilhelm von Blaisians, beide Minister des französischen Königs Philipps des Schönen, haben Originaldokumente und Abschriften aus dem Verfahren besessen, die nach dem Tod der beiden Beamten als offizielle Dokumente im Tresor des Chartes aufbewahrt wurden. Es handelt sich dabei vor allem um vier Akten: ein dreiteiliges Notariatsinstrument vom 31. Mai 1310 mit einem Urteil von Pariser Theologen über Marguerites Buch vom 11. April, ihrer Verurteilung durch den päpstlichen Inquisitor Wilhelm von Paris vom 31. Mai und der Verurteilung eines Guiard von Cressonessart, der sich für sie eingesetzt habe, vom gleichen Tag52 und um die Kopie eines Gutachtens von fünf Kanonikern vom 9. Mai 1310. 53 Diese Akten geben einen vorzüglichen Einblick in Marguerites Vorgeschichte und die näheren Umstände ihrer Verurteilung als rückfällige Ketzerin: bereits einige Jahre vorher hat offenbar Bischof Guido II. von Cambrai ein Buch von ihr in Valenciennes als häretisch verurteilt, sie selbst exkommuniziert und ihr die weitere Verbreitung ihrer Lehren untersagt. Entgegen diesem Verbot hat sie jedoch nach dem Tod dieses Bischofs ihr Buch nicht nur dem Bischof Johann von Chalons vorgelegt, sondern auch - wie es heißt - anderen einfachen Leuten, »personis simplicibus, begardis et aliis« (Lea, S. 657) zugänglich gemacht, bis sie im Jahre 1308 -möglicherweise zusammen mit Guiard von Cressonessart- in Paris festgesetzt wird. Sie verweigert jedoch eineinhalb Jahre jede Aussage. Im März des Jahres 1310 bittet der Inquisitor eine Gruppe von Theologen und Kanonikern um eine Beurteilung der beiden Fälle. Ihre Überlegungen enden am 3. April mit einer Verurteilung Marguerites und Guiards als Ketzer. Am 11. April versammeln sich Ordens-, Weltgeistliche und Pariser Theologen in der Pariser Maturins-Kirche zur Beratung über inkriminierte Auszüge aus Marguerites Buch. Sie verurteilen den Text als
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Dieses Dokument ist nicht als Ganzes ediert, sondern jeweils nur stückweise: das Urteil der Theologen bei Fredericq II, S. 63f.; das endgültige Urteil des Inquisitors bei Lea, S. 6 5 5 - 6 5 7 bzw. Fredericq I, S. 1 5 8 - 1 6 0 (Nr. 165), und das Urteil für Guiard von Cressonessart neuerdings bei Lerner, Angel, S.359f. Dieses Gutachten ist veröffentlicht bei Lea, S . 6 5 7 bzw. Fredericq I, S. 1 5 6 - 1 5 7 (Nr. 164).
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häretisch und zitieren dabei als Begründung zwei Aussagen der Autorin über die anima adnichilata: den 1. und 15. Artikel. Zusätzliche Informationen bietet der unbekannte Fortsetzer der Chronik Wilhelms von Nangis, der einen weiteren beanstandeten Satz aus Marguerites Buch aufführt.54 Am 9. Mai verurteilen die Kanoniker Marguerite Porete als rückfällige Ketzerin, am 31. Mai fällt schließlich der Generalinquisitor sein endgültiges Urteil und einen Tag später, am 1. Juni, wird sie auf der Place de Greve verbrannt. Der mit ihr arrestierte Guiard von Cressonessart hatte bereits am 9. April widerrufen und war am 31. Mai zu lebenslanger Haft verurteilt worden.55 Die Nähe dieses Verfahrens zu den Begarden-Beginen-Entscheidungen auf dem Konzil von Vienne scheint offensichtlich zu sein. Nicht nur daß prominente Prozeßbeteiligte, allen voran natürlich der mit der Durchführung des Templerprozesses beauftragte Generalinquisitor Wilhelm von Paris,56 die Beratungen des Vienner Konzils mitbestimmt haben. Auch die beanstandeten Sätze aus Marguerites Buch zielen auf vergleichbare Punkte wie einzelne Errores der »Ad nostrum«-Bulle: die Lösung der anima annihilata bzw. perfecta anima von den Tugenden, ihr Verzicht auf die göttlichen und kirchlichen Gnadenmittel und ihre Befreiung von den Sünden der Natur.57 Damit rückt Marguerites Prozeß in den Umkreis der Auseinandersetzungen der Kirche mit den Anhängern einer sog. Freien-Geist-Häresie, die in der Errores-Liste des »Ad nostrum«-Dekrets die entscheidende juristische Basis erhalten, an der sich auch in Zukunft die Ketzerprozesse orientieren werden. Bei Marguerites Verfahren scheint - im Vorfeld des Konzils von Vienne- diese Richtung der Argumentation gegen die Ansichten jener sich auf das Paulus-Wort »ubi autem spiritus Domini, ibi libertas« (2. Kor. 3,17) beziehenden »secta quaedam abominabilis«58 erstmals erprobt worden zu sein. Es bestehen freilich auffallende Unterschiede zwischen Marguerites Ketzerprozeß und den Bestimmungen des Konzils von Vienne: während 54
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Chronique latine de Guillaume de Nangis de 1113 ä 1300. Avec les continuations de cette chronique de 1300 ä 1368. Nouvelle edition revue sur les manuscrits, annotee et publiee pour la Societe de l'Histoire de France par Η. Geraud. Tome premier. Paris 1843, S.379f. Über das Schicksal dieses Guiard von Cressonessart informiert Lerner, Angel, S. 347ff. Vgl. dazu Guarnieri, S.414f. Es handelt sich dabei um die Artikel 6, 8 und 2, die Romana Guarnieri, S. 416, den Porete-Sätzen gegenüberstellt. Dieses Verfahren einer direkten Identifizierung der »Ad n o s t r u m « - £ r r o m mit den in Marguerites Buch beanstandeten Sätzen kritisiert freilich Orcibal, S. 40, Anm. 5 und 6. »Ad nostrum«-Dekret: Conciliorum oecumenicorum, S. 383, 22f.
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Papst Clemens V. in den Errores seines »Ad nostrum«-Dekrets explizit die Lehre des »spiritus libertatis« (S.383, 35) anspricht, die er vornehmlich in Begarden- und Beginenkreisen konzentriert sieht und gleichzeitig in den Bestimmungen von »Cum quibusdam mulieribus« den gesamten Beginenstand mit dem Hinweis auf seine häretische Gefährdung und ungeregelte Lebensführung verbietet, fehlen im Verfahren der Marguerite Porete diese Konkretisierungen und Verbindungslinien. Das Gutachten zu ihrer Verurteilung läßt sowohl das Reizwort libertas als auch die mit dem Konzil von Vienne einsetzenden Vorwürfe gegen die dogmatischen wie lebensweltlichen Vergehen der Beginen vermissen. Das ist um so erstaunlicher, als sich bei Marguerite Porete, die von den Chronisten als »beguine clergesse« bzw. »beguine en clergie«59 bezeichnet wird, diese Verbindung einer dogmatischen Argumentation mit den in Zukunft für Beginenprozesse charakteristischen Vorwürfen gegen ihren Lebenswandel angeboten hätte. Doch die offiziellen Akten sparen Angaben zu ihrem sozialen Status aus: während der mit ihr verurteilte Guiard von Cressonessart immer wieder »quidam beguinus« bzw. pseudo religiosus«60 genannt wird, heißt es bei ihr normalerweise lakonisch: »Margarita de Hannonia dicta Porete«61 bzw. »Margarite Porete, culpabilis de heresi«.62 Nur die fünf Kanoniker, die ausdrücklich betonen, daß Marguerite ihr Buch nicht nur dem Bischof von Chalons, sondern auch anderen Leuten »pluribus aliis personis simplicibus, begardis et aliis (Lea, S. 657), bekannt gemacht habe, nennen sie am Schluß 59
Vgl. etwa die von Fredericq II, S. 64f. (Nrr. 38 und 39) aufgeführten Chroniknotizen im Rahmen der Templerprozesse in: Les grandes Chroniques de France publiees pour la Societe de l'Histoire de France (Serie anterieure ä 1789) par Jules Viard. Tome huitieme (Philippe III le Hardi, Philippe IV le Bei, Louis X Hutin, Philippe V le Long). Paris 1934, im Kapitel »LXV. De la condampnacion des Templiers« ( S . 2 7 2 ) : »Et le lundi ensivant, fu arse ou lieu devant dit, une beguine clergesse qui estoit appellee Marguerite P o r e e . . . « (S.273) sowie in: L y Myreur des Histors, chronique de Jean des Preis dit d'Outremeuse, publiee par Stanislas Bormans. Tome VI. Bruxelles 1880 (Academie Royale des Sciences, des Lettres et des Beaux-Arts de Belgique. Commission Royale d'Histoire): »et le lundi tantoist fut arse une beghine en clergrie mult suffissant, en cheli lieu propre que ons nom Margarite-porte« (S. 141). Daß Marguerite - w i e der Herausgeber Bormans m e i n t - identisch mit jener bereits vorher genannten »Margarite qui estoit heretique malvais« (S. 109) ist, die zusammen mit dem Ketzer »Dulcin« (S. 109) gefangengesetzt, verurteilt, vor dessen Augen »talhie en pieches tout le corps« (S. 110) und danach verbrannt wird, scheint mir nicht sehr wahrscheinlich zu sein, da es sich hier um den italienischen Apostoliker Fra Dolcino handelt, der mit seiner geistigen Schwester Margarete verbrannt wird.
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Lerner, Angel, S. 3 6 1 ; 363; der Fortsetzer der Chronik Guillaumes de Nangis nennt ihn »pseudo-quidam« (Chronique latine, S.380). Lea, S. 655 und 657. Lerner, Angel, S. 536, Anm. 56 (Uberschriften der Prozeßakten).
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ihres Gutachtens »beguina«,63 die als rückfällige Ketzerin zu verurteilen sei. Sie zielen demnach auf ein Beginen-Begarden-Milieu ab, das ein Jahr später auf dem Konzil von Vienne als das Zentrum einer gefährlichen Häresie gelten sollte. Anders die volkssprachigen Chronisten, die Marguerite nur als beguine clergesse kennen und offenbar eher die nicht selbstverständliche Zusammenstellung von beguine und clergie herausstellen wollen. Mit diesen nicht eindeutigen Charakterisierungen bleiben aber trotz einer durch die Notariatsinstrumente der beiden königlichen Minister so vorzüglichen Quellenlage des Prozesses gerade die zwei uns bei Marguerite Porete besonders interessierenden Punkte ungeklärt: das Problem ihres sozialen Umfelds und damit zugleich die Frage nach einer in ihrem Text vielleicht expliziter als in anderen Werken formulierten, dogmatisch problematischen Beginenspiritualität, die möglicherweise Verbindungen zu den auf dem Konzil von Vienne verdammten Errores der Anhänger eines spiritus libertatis-Konzepts aufweist. Die zweite Frage wird seit den Arbeiten Romana Guarnieris, ihrer Identifizierung des altfranzösischen Traktats >Le Miroir des simples ames anienties< mit Marguerites verurteiltem Buch, ihrer Edition des altfranzösischen Textes und ihrer Dokumentation der Geschichte der Freien Geist-Bewegung intensiv diskutiert. Romana Guarnieri sieht in Marguerites Traktat einen häretischen Text und damit ein wertvolles volkssprachiges Zeugnis für die gefährlichen Lehren einer in Europa vom 12. bis 16. Jh. gut bezeugten Sekte des Freien Geistes,64 die seit dem 13. Jh. in den verschiedensten Konstellationen verstärkt hervorgetreten und bald von der Kirche erbittert bekämpft worden sei. Diese dogmatische Zuordnung von Marguerites Traktat zu den Lehren der Sekte des Freien Geistes ist inzwischen zurecht im historisch-faktischen wie im ideologisch-dogmatischen Bereich problematisiert worden.65 Denn Ro63
Nach der Frage »Utrum in talibus dicta beguina debeat relapsa judicari?« heißt es: »dicimus quod ipsa beguina, . . . judicanda e s t . . . « (Lea, S.657). Und auch für den Fortsetzer der Chronik Guillaumes de Nangis ist Marguerite -vergleichbar dem »pseudo-quidam »Guiart de Cressonessart (Chronique latine, S . 3 8 0 ) - eine »quaedam pseudo-mulier de Hanonia« (Chronique latine, S. 379).
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Vgl. dazu die Porete-Einträge ihrer Dokumentation, S.388f.; 408f.; 410; 4 1 1 - 4 1 3 ; 4 1 4 - 4 1 6 sowie ihre Bemerkungen über die Autorin im Rahmen ihrer Textedition, S. 5 0 9 - 5 1 1 . Vor allem durch Orcibal und McLaughlin; sehr ähnlich argumentiert auch Spaapen, B . : Hebben onze 13 de - e e u w s e mystieken iets gemeen met de broeders en zusters van de Vrije Geest? In: O G E 40 (1966), S. 3 6 9 - 3 9 1 , der sich gegen Guarnieris breiten Begriff des Freien Geistes und gegen die Einbeziehung von Beatrix von Nazareth und Hadewijch in die Geschichte der >Sekte< des Freien Geistes wendet.
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mana Guarnieris eindrucksvolle Zusammenstellung der »casi«66 zur Geschichte dieser Ketzerbewegung suggeriert zwar eine seit dem 13. Jh. kontinuierliche Tradition einer Freien-Geist-Bewegung, die vor allem in den Ketzerprozessen des 14. und 15.Jhs. deutliche dogmatische und organisatorische Konturen erhalten habe. Diese Dokumentation beruht jedoch gerade für die weniger gut bezeugte >Frühgeschichte< des 13. Jhs. auf den unterschiedlichsten Fakten, die oft weit auseinander liegen und schon gar nicht eine Traditionskette der Freien-Geist-Bewegung erweisen können: etwa die Geburt Meister Eckharts (S. 380), der später Kontakte zu Anhängern dieser Bewegung gehabt habe, der Tod Beatrix' von Nazareth (S. 384) oder Mechthilds von Magdeburg Warnung vor »einer sunde die bose ist über alle sunde« (Morel S.260), die - nach Guarnieri - gegen die >Freien Geister< gerichtet sei (S. 382). Zahlreiche Eintragungen sind - wie die eben zitierten - gänzlich ohne Evidenz für die Existenz einer Freien-Geist-Sekte im 13. Jh. Und auch in den meisten der übrigen Fälle muß die implizierte Beziehung zu diesen Lehren überhaupt erst argumentativ gesichert werden. Das gilt auch für Marguerites Traktat, dessen häretischer Charakter seit Orcibals Widerspruch gegen Guarnieris Einschätzung zur Diskussion steht. Ansatzpunkte für diese Überlegungen sind jene Passagen des Textes, die in etwa den von den Gutachtern beanstandeten Sätzen entsprechen. Von besonderem Interesse sind dabei die Bestimmungen der »ame anientie« bzw. »ame franche« im 7., 8. und 9. Kapitel des Traktats, da sich hier die >vernichtete< Seele frei von »desirs forains« (S. 526, 2), von »sentement de dedans« (S. 526, 2) von »toute effection d'esperit« (526, 2) fühle, über die Tugenden befehle (»car telles Ames sont leurs maistresses« S. 527, 2) und sogar als »ame franche« - m i t dem neuralgischen Stichwort der >Freiheit< - auf die üblichen Tugenden und kirchlichen Heilsmittel verzichten könne: »laquelle Ame ne desire ne ne desprise pouvr(e)te, ne tribulation, ne messe, ne sermon, ne jeune ne oraison, et donne a Nature tout ce qu'il luy fault, sans remors de conscience« (S. 527, 17-19). Die Anklageschrift reagiert offenbar darauf mit ihrem ersten Artikel: »Quod anima adnichilata dat licentiam virtutibus nec est amplius in earum Servitute, quia non habet eas quoad usum, sed virtutes obediunt ad nutum«. 67 Und die Errores-Liste des Konzils von Vienne bekräftigt schließlich diesen Sachverhalt noch einmal: »Sexto, quod se in actibus exercere virtutum est hominis imperfecti, et perfecta anima licentiat se virtutes«.68 66
Guarnieri, S. 3 7 8 - 4 9 9 .
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Fredericq II, S. 63.
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Conciliorum oecumenicorum, S. 383.
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Die dogmatischen Implikationen und kirchengeschichtlichen Hintergründe dieser von dem Generalinquisitor Wilhelm von Paris im PoreteProzeß und einige Jahre später auf dem Konzil von Vienne verurteilten Häresie einer Vollkommenheitslehre der in Gott vereinten Seele ist oft dargestellt worden, am klarsten von Kurt Ruh, 69 der in einem Vergleich von Hadewijch, Mechthild von Magdeburg und Marguerite Porete die ideologischen Gefahren mystischer Liebesspekulationen vorführt. Denn auch bei Hadewijch und Mechthild von Magdeburg strebe die Seele die Wesenseinheit mit Gott in der Liebe an und lehne auf dieser Stufe die Tugenden und kirchlichen Gnadenmittel ab. Bei ihnen sei jedoch diese Wesenseinheit in der Liebe eindeutig nur ein transitorischer Zustand, während in Marguerite Poretes Text dieser »tugendfreie Zustand der Vollkommenheit als dauernder gnadenhafter Status«70 der ame franche erscheine. Damit aber habe die Autorin des >Miroir des simples ames anienties< endgültig die Grenze zur Heterodoxie überschritten und - im Gegensatz zu Hadewijch und Mechthild von Magdeburg, die zwar nicht unbehelligt, aber doch von einem Prozeß verschont geblieben seien ihre Verurteilung durch die Inquisition provoziert. Gleichzeitig wird jedoch in der Forschung immer wieder die durch den literarischen Kontext des >Miroir< deutliche dogmatische Unbedenklichkeit von Marguerites Formulierungen betont bzw. auf den Traditionshintergrund der mystischen Theologie des 12.Jhs. verwiesen, in dessen Bahnen sich auch noch Marguerite mit ihren Überlegungen zur ame anientie bewege.71 Das führt - am dezidiertesten bei Eleanor Mc Laughlin- im Einzelfall zu einer Verwischung des Gegensatzes von orthodox und häretisch,72 da auch die in den Inquisitionsakten festgehaltenen >Lehren< der >Freien Geister< lediglich eine oft erst durch die prononcierte Zuspitzung der Inquisitoren bewirkte häretische Ausweitung einer orthodoxen Spiritualität der Einheit mit Gott seien und
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Vor allem in seinem Eckhart-Buch: Ruh, Meister Eckhart, im Kapitel »Meister Eckhart und die Beginenspiritualität« (S. 9 5 - 1 1 4 ) sowie in dem neuen Aufsatz: Ruh, Gottesliebe. Ruh, Gottesliebe, S. 253. Beide Argumentationen verfolgt vor allem Orcibal. Eleonor McLaughlin betont die für mystische Texte des 13. und 14.Jhs. charakteristische Ambivalenz des >MiroirMiroir< im Rahmen der im 14.Jh. verfolgten Frei-Geist-Häresie von Patschovsky, Alexander: Freiheit der Ketzer, den mir der Verfasser freundlicherweise noch vor der Drucklegung überlassen hat.
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umgekehrt auch die Spekulationen der orthodoxen Mystiker jederzeit in gefährliche Formulierungen umschlagen könnten. Diese Offenheit ändere sich erst mit der Errores-Liste des Konzils von Vienne und dem Eckhart-Prozeß des Jahres 1329: nun bemühten sich die mystischen Prediger um präzise Formulierungen und eine explizite Auseinandersetzung mit häretischen Positionen. Anders jedoch noch Marguerite Porete, die wesentlich unbefangener formuliere und deshalb im Vorfeld der Diskussionen des Konzils von Vienne in einer radikalisierten Paraphase einzelner Themen durch die Inquisition als Häretikerin erscheine. Ihr Traktat und seine Verurteilung seien jedoch weniger ein Zeugnis für die Kontinuität einer häretischen Freien-Geist-Lehre als für den gefährlichen Grat zwischen Orthodoxie und Häresie, auf dem sich um 1300 die mystischen Spekulationen um den Aufstieg der Seele zu Gott bewegten. Meister Eckhart sei jedenfalls - so betont schließlich Kurt Ruh in seinem Eckhart-Buch- von der spirituellen Bedeutung des »dogmatisch ins Unreine gesprochenen« (S. 107) >Miroir< und der subjektiven Rechtgläubigkeit seiner Autorin überzeugt gewesen und habe sich in seinen Traktaten und Predigten um eine theologische Fundierung und dogmatische Präzisierung dieser Vorstellungen über die Vollkommenheit der >vernichteten< Seele in der Wesenseinheit mit Gott bemüht. Während eine dogmatische Analyse des >Miroir< zu den Aufgaben der Theologie und Kirchengeschichte gehört, führt die Frage nach dem sozialen Umfeld Poretes ins Zentrum eines literarhistorischen Forschungsinteresses, das sich um die kulturhistorischen Voraussetzungen der Entstehung literarischer Werke bemüht. Im Gegensatz zu den meisten mittelalterlichen Texten, bei denen wir in der Regel kaum textexterne Anhaltspunkte für ihre Situierung haben und deshalb - wie im Falle der Werke Hadewijchs und Mechthilds von Magdeburg— auf eine methodisch bedenkliche biographisch-lebensweltliche Ausdeutung von Ich-Aussagen angewiesen sind, liefern uns die Akten von Marguerites Inquisitionsprozeß, der ganz auf die Autorin eines häretischen Buches ausgerichtet ist, eine ungewöhnliche Fülle an Informationen zu den organisatorischen Hintergründen der Wirkung eines volkssprachigen geistlichen Textes. Entscheidend für die Verurteilung der Marguerite Porete sind ja ihre Aktivitäten für die Verbreitung und Anerkennung ihres bereits verurteilten Werkes, die in dem Gutachten der fünf Kanoniker wie auch in dem Urteil des Generalinquisitors ausführlich dokumentiert werden: Marguerite soll entgegen der Warnung des Bischofs von Cambrai ihr bereits als häretisch verdammtes Buch einerseits geistlichen Würdenträgern, dem Bischof Johann von Chalons, nach dem apologeti75
sehen Prolog zur lateinischen Fassung des >MiroireinfachenBegarden und andere< charakteris i e r t - bekanntgemacht haben. Die Zielrichtung der Argumentation ist klar: Die Begine Marguerite Porete hält sich nicht an das Urteil des Bischofs von Cambrai, sie verfaßt weitere Bücher, bemüht sich um eine Revision der Indizierung des bereits verurteilten Werkes und vermittelt ihre ketzerischen Lehren an die mißtrauisch beobachtete Gruppe der Begarden, die in der »Ad nostrum«-Bulle des Konzils von Vienne und den nachfolgenden Auseinandersetzungen in ihrer Rolle als häretische Aktivisten und Verführer, denen sich die häretisch gefährdeten Beginen angeschlossen hätten, die zentrale Zielgruppe der Polemik und Verurteilung werden. Damit ist bereits in Marguerites Prozeß eine wirkungsmächtige Konstellation vorgezeichnet: das angebliche Zusammenwirken von Begarden und Beginen zur Verbreitung häretischer Lehren, wobei in diesem- Fall die aktive Rolle nicht den Begarden, sondern der Autorin Marguerite Porete zukommt. Trotz dieser Detailinformationen über Marguerites Aktivitäten als Verfasserin eines offiziell inkriminierten Buches hat der Literarhistoriker große Probleme bei der Frage nach der primären Funktionsbestimmung des >MiroirMiroir< kaum verfolgt, sondern eher — ausgehend von der Bezeichnung der Autorin als Begine eine Situierung des Textes im Beginenmilieu anvisiert. D a dieser Aspekt in den Prozeßakten überhaupt nicht erwähnt wird, ist allerdings die literarhistorische Argumentation auf Spekulationen über ein potentielles Beginenpublikum und das bedeutet im wesentlichen auf Analogien zu den bei Hadewijch und Mechthild erprobten Argumentationsmustern angewiesen. Basis der Überlegungen zur gesellschaftsgeschichtlichen Einordnung des >Miroir< sind - wie im Falle Hadewijchs und Mechthilds 73
Guarnieri, S. 638f.
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von Magdeburg— einerseits die Informationen über die Geschichte und Spiritualität der Beginen aus dem Ende des 13. Jhs., andererseits spezifische Hinweise im Text, die biographisch ausgedeutet und zur Funktionsbestimmung des >Miroir< eingesetzt werden. Bereits die Herausgeberin Romana Guarnieri geht davon aus, daß der >Miroir< in erster Linie für Frauen bestimmt gewesen ist. 74 Sie betont -entsprechend ihrer Einschätzung des >Miroir< als eines häretischen Textes- den sektiererischen Aspekt der Textentstehung: Marguerite Porete habe wie Hadewijch ihr literarisches Werk als Leiterin einer Gruppe religiöser Frauen verfaßt, die - wie schon Gilbert von Tournai in seinem Gutachten für das Konzil von Lyon im Jahre 1274 vermerkt hatte - in ihren Winkeln, auf den Gassen und öffentlichen Plätzen über theologische Fragen diskutierten und in der Volkssprache die Geheimnisse der Hl. Schrift ergründeten. Damit bestätigt für Romana Guarnieri der >Miroir< die seit Gilbert von Tournai vermuteten sektiererischen Aktivitäten der Beginen, die mit ihren Spekulationen über die Vollkommenheit der in Gott vereinten Seele die begardischen Lehren des Freien Geistes aufgegriffen und weitergeführt hätten. Der Gewagtheit ihrer Lehrdialoge sei sich Marguerite voll bewußt gewesen, wenn sie etwa im 122. Kapitel den Protest der verschiedenen Gruppen an Semireligiosen, Weltgeistlichen und Ordensangehörigen antizipiert: »Amis, que diront beguines, et gens de religion, / Q u a n t ilz orront l'excellence de vostre divine changon? / Beguines dient que je erre, prestres, clers, et prescheurs, / Augustins, et carmes, et les freres mineurs, / Pour ce que j'escri de l'estre de l'affinee Amour« (S. 618, 35-619, 1). Als selbstbewußte, offensichtlich auch sozial hochstehende Persönlichkeit habe Marguerite im Kreis ihrer geheimen Anhängerschaft diesen Konflikt suchen und sich an bedeutende Persönlichkeiten mit der Bitte zur Parteinahme wenden können. Abgesehen von dieser generellen Charakterisierung des >Miroir< als einer dem häretischen Begarden-Beginen-Kontext des Freien Geistes zugehörigen esoterischen Geheimschrift verzichtet Romana Guarnieri auf weitergehende konkrete sozialgeschichtliche Aussagen über die Autorin und ihr Publikum. Die Angaben der Kapitel 96/97 über eine »mendiant creature« (S. 594, 27 und 35), die dieses Buch verfaßt habe, damit ihre »proesmes« (S. 595, 1) in ihrem beispielhaften Leben — und zwar in Schrift und Wort — Gott finden könnten, versteht sie zurecht als Stationen einer Seelengeschichte, die keine biographische Konkretisie74
G u a r n i e r i : »Scritto da una d o n n a per d o n n e « (S. 510).
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rung dieser »mendant creature« zulasse: etwa im Sinne einer vagierenden Begine, jenes Typus einer >schlechten< Begine, die auf dem Konzil von Vienne offiziell verfolgt wird, weil sie mit ihrem keiner Regel verpflichteten unsteten Leben den begardischen Brüdern des Freien Geistes nahesteht. Diese Figur einer häretischen Begine trete erst in dem pseudoeckhartischen Traktat >Schwester Katrei< auf. Auch Franz-Josef Schweitzer, der in seiner Arbeit über den Freiheitsbegriff der deutschen Mystik ausführlich Marguerites Werk diskutiert,75 betont die metaphorische Bedeutung der mendier-Thematik, die in Art einer Glossierung der Aussagen des Kapitels 96 im folgenden Kapitel auf die Hörer bezogen werde: denn die Autorin, die »Arne qui escripsit ce livre« (S. 595, 29f.), wolle, »que creatures mendiassent, aussi comme eile fist, en autres creatures« (S. 595, 26f.). Die Autorin habe als bettelnde Kreatur Gott vergeblich gesucht, diesen erfolglosen Weg aufgeschrieben, um ihren »proesmes« (S. 595, 1), die als Hörer bei ihr >betteln< sollen, die GottSuche zu erleichtern. Der Text ziele demnach auf das »intellektuelle Nachvollziehen des realen Betteins als Betteln bei der Verfasserin« (S. 49). Schon diese metaphorische Verwendung des mendier, noch mehr aber die in den Kapiteln 96/97 deutlich formulierte »theoretische >Aufhebung< des praktischen Weges« (S. 54) des Betteins spreche dafür, daß der >Miroir< weniger für vagierende Beginen und Begarden bestimmt gewesen sei als für »kleinere seßhafte Gemeinschaften« (S. 54), die auch die Geheimhaltung dieses nicht ungefährlichen Textes garantiert hätten. Zugleich seien aber diese stabilen Kleingruppen von Beginen eine Art »Stützpunkt« (S. 55) für die vagierenden Begarden und Beginen gewesen, jenen Anhängern der Freien Geist-Lehre, die durch diesen Kontakt mit seßhaften Beginengemeinschaften Marguerites brisanten Text kennengelernt und für seine - durch den Prozeß wie auch die ungewöhnliche Wirkungsgeschichte bezeugte - weite Verbreitung gesorgt haben mochten. Diese Überlegungen zur gesellschaftsgeschichtlichen Situierung des >Miroir< in eine Kontaktstelle von seßhaften und vagierenden häretischen Beginen und Begarden entbehrt jedoch aus mehreren Gründen der Evidenz: weder im Text noch in den Prozeßakten gibt es Anhaltspunkte für ein »geheimes Kursieren« (S. 54) des >Miroir< in Beginen- und Begardenkreisen. Im Gegenteil, der Prozeß verzeichnet pointiert Marguerites Bemühen um eine offizielle Anerkennung ihres Buches, das sie offensichtlich auch nach seiner Verbrennung in Valenciennes nicht als 75
In dem Kapitel »Zu Marguerite von Porete: Marguerites Freiheitsbegriff, ihre Anweisungen zum Lesen des >Miroir des simples ämes< und seine Adressaten« (S. 3 8 - 5 6 ) .
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esoterische Geheimschrift für häretische Beginengruppen verstanden wissen wollte. Diese Vorstellung von der in Beginenkreisen praktizierten geheimen Lektüre anstößiger Werke, die ja auch in der Hadewijch- und Mechthild-Forschung ganz wesentlich die Argumentation bestimmt, geht offenbar - explizit bei Romana Guarnieri- 76 auf die vielzitierten Beginenformulierungen der >Collectio de scandalis ecclesie< zurück, deren Verfasser ausdrücklich ihre gemeinsame Lektüre und Diskussion von Bibeltexten und -kommentaren »in conventiculis« (S. 61, 31) erwähnt. Er meint damit freilich - wie schon die Ergänzung »in ergastulis, in plateis« (S. 61, 31f.) zeigt- nicht in erster Linie die sektiererische Heimlichkeit einer nach außen abgeschlossenen, auf die eigene Gruppe beschränkten Form der religiösen Kommunikation, sondern die Inoffizialität der Bibelübersetzungen, theologischen Disputationen und bibelexegetischen Bemühungen dieser »mulieres, quae Beghinae vocantur« (S. 60, 27). In der Forschung hat sich jedoch in Anlehnung an die Formulierung »in conventiculis« (S. 61, 31) der Topos von der konventikelhaften theologischen Spekulation und Bibellektüre der Beginen durchgesetzt, der ein einseitiges Bild von Beginengemeinschaften als sektiererischen Geheimgruppen suggeriert. Marguerites Prozeß bestätigt jedoch diese Vorstellung nicht. Überhaupt scheinen die Beginen als die erste und hauptsächliche Adressatengruppe für Marguerites Text weniger gesichert zu sein, als normalerweise angenommen wird. Im Prozeß werden nur geistliche Würdenträger und die als Begarden »et alios« bezeichneten »simplices personas« (Lea, S.657) genannt, nicht aber die Beginen, denen Marguerite ihr Buch vorgelegt habe. Der Text selbst verweist in generellen Formulierungen des Typs »auditeurs de ce livre«77 oder »tous ceulx qui orront ce livre«78 auf einen breiten Hörerkreis, der keine weitere Spezifizierung erfährt. Ebenso allgemein ist die Bezeichnung »Amis« (S. 618, 35), mit der Arne in ihrer das 122. Kapitel füllenden »changon« (S. 616, 30) ein potentielles Publikum in einer rhetorischen Frage anspricht. Zugleich stellt sie hier die Beginen neben die »gens de religion«, neben die »prestres, clers, prescheurs, Augustins, et carmes, et les freres mineurs« (S.618, 35ff.), die sich wie die Beginen gegen den in der »changon« formulierten vollkommenen Status der »affinee Amour« (S. 619, 1) wenden. Den Beginen scheint demnach als Ansprechpartner des >Miroir< keine herausragende Rolle zuzukommen: sie gehören zwar 76 77 78
Guarnieri, S. 510. S. 532, 3; vgl. auch S. 566, 20; 584, 25. S. 564, 26; vgl. auch S. 606, 5.
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als mulieres religiosae neben den Weltgeistlichen und Ordensangehörigen zu den potentiellen Adressaten dieses Textes, erfahren jedoch - etwa wegen ihres besonderen Verständnisses für die Thematik des >Miroireigentliche< Zielgruppe, für die der Text vornehmlich bestimmt sei. Die von Arne formulierte ausgrenzende Spezifizierung des Publikums bezieht sich auf das besondere Verständnis der Hörer, nicht auf eine gesellschaftsgeschichtliche Zuordnung: die Beispiele des Textes seien aussagekräftig für »ceulx qui ont entendement, pour entendre le demourant de ce que c'est a dire; car pour aultres gens n'est escript ce livre« (S. 578, 31f.). Diese Zurückhaltung gegenüber konkreten Hinweisen auf die möglichen lebensweltlichen Bezüge des >Miroir< entspricht der gesamten Anlage der Lehrdialoge. Es fehlen völlig jene zwar nur punktuellen, aber doch detailrealistischen biographischen Selbstaussagen, wie wir sie aus Hadewijchs Visionen und Briefen, vor allem aber aus Mechthilds »Fließendem Licht der Gottheit< kennen. Demgegenüber ist - wie bereits der programmatische Titel vermuten läßt- der >Miroir< eindeutig als ein >Lehrbuch< konzipiert: mit Lehrgesprächen zwischen Amour!Arne und Raison, gelegentlich auch anderen Personifikationen wie Saint Esperit, Saincte Eglise, Entendement de Raison über die »sept estres de noble estre« (S. 522, 10), über den Status der vollkommenen Seele, der ame anientie, die in die Natur der Gottheit eingegangen ist. Als lockere Abfolge von Lehrdialogen provoziert der >Miroir< freilich weniger einen literarischen Vergleich mit Hadewijchs und Mechthilds Texten als mit der Tradition der in Frankreich im 13. Jh. blühenden Dit-Literatur der Debats und Minneallegorien. Die tiefgreifenden Unterschiede zur niederländischen frauenmystischen Literatur hat bereits Kurt Ruh79 in seinen grundlegenden Studien zur Liebessprache des >Miroir< herausgearbeitet. Nach seinen Untersuchungen sind Marguerites auf verschiedene Personifikationen verteilte Reflexionen über den Zustand der Vollkommenheit einer ame anientie, die ihren Willen verloren und ihre Tugenden verabschiedet hat, terminologisch und konzeptionell so weit von Hadewijchs Überlegungen zum beschwerlichen Weg der Seele zu Gott entfernt, daß spirituelle und literarische Verbindungen zwischen der (vermuteten) brabantischen Beginenliteratur aus der Mitte des 13. Jhs. und dem >Miroir< im Sinne einer niederländischen Vorgeschichte von Marguerites Reflexionen über den Status der ame anientie auszuschließen seien. Marguerites Text gehöre vielmehr in das Umfeld litera79
Ruh, Miroir, S.231ff.
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risch interessierter nordfranzösischer Beginenkreise, die im 13. Jh. eine charakteristische, mit höfischer Terminologie versetzte religiöse Sprache ausgebildet und in einer Gruppe von Texten die spezifische fin' amorKonzeption der Beginen vorgestellt hätten. In diesem Kontext habe auch Marguerite ihre Lehrdialoge über die Fine Amour der Arne Enfranchie formulieren können, die demnach ein hervorragendes Beispiel einer »genuin französischen Beginenmystik« (S. 387) seien. Damit verlagert sich unsere Frage nach der Existenz einer spezifischen Beginenspiritualität auf den nordfranzösischen Bereich, speziell auf eine Gruppe französischer Texte über den Beginenstand, die in der Forschung ein besonderes Interesse als eindrucksvolle Beispiele einer in dieser Form nur in Nordfrankreich existierenden Ausprägung von Beginenmystik gefunden hat.
4. »Poemes sur les beguins« 8 0 Die traditionellen Unterschiede zwischen der französischen und deutschen Literatur sind auch im geistlichen Bereich evident. Während für den deutschsprachigen Raum zwar in Hadewijchs Texten und in Mechthilds von Magdeburg fließendem Licht der Gottheit< höchst anspruchsvolle und sehr charakteristische Beispiele von Beginenmystik vermutet werden, im übrigen aber im 13. Jh., zumindest in der volkssprachigen Literatur, die Beginen in ihrer gesellschaftlichen Rolle wie ihrer potentiellen literarischen Bedeutung ausgespart bleiben, gehört in Frankreich die Figur der Begine zum thematischen Repertoire der didaktischen und geistlichen Literatur des 13.Jhs. Die gesellschaftliche Realität religiös bewegter Frauen scheint hier in ganz anderer Weise als in Deutschland Eingang in die literarische Welt der volkssprachigen Literatur gefunden zu haben. Dies ist um so erstaunlicher, als offenbar gerade im deutschen Reich im 13.Jh. die Zahl der Beginenhäuser ungeahnte Ausmaße annimmt und zu einem für die kirchliche Organisation wie die städtische Politik bedeutenden Faktor wird, auf den bereits Ende des 13.Jhs. verschiedene Bischofssynoden mit Versuchen der Abgrenzung und organisatorischen Reglementierung reagieren. Die ideologische Auseinandersetzung um die semireligiosen Lebensformen der Beginen konzen80
Dieser mißverständliche Titel geht auf den Dokumentationsband zum G R L M VI >La litterature didactique, allegorique et satirique< zurück. Tome 2 (Partie documentaire). Redacteurs: Jürgen Beyer et Franz Koppe. Heidelberg 1970, wo die im folgenden behandelten französischen Texte unter der Rubrik »Poemes sur les beguins« (S. 53) aufgeführt sind. Sie werden von mir jeweils nach den GRLM-Siglen zitiert.
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triert sich jedoch auf Frankreich: vornehmlich durch die Polemik des Weltgeistlichen Wilhelm von St. Amour, der im Rahmen des sog. Mendikantenstreits 81 an der Pariser Universität heftige und folgenschwere Angriffe gegen die Lebensweise und Spiritualität der Beginen richtet, damit aber zugleich den Ausbruch der >neuen< Orden der Franziskaner und Dominikaner aus einem traditionell monastischen Bildungsideal anspricht. Auf diese erbitterten Auseinandersetzungen um neue religiöse Gemeinschaftsformen beziehen sich auch volkssprachige Autoren, etwa Jean de Meun, der Fortsetzer von Guillaumes de Lorris Rosenroman, der offenbar ganze Passagen aus Wilhelms von St. Amour Polemik übernimmt. 82 Durch diese Beteiligung der volkssprachigen Autoren an der Beginen-Polemik des Mendikantenstreits gewinnt die Beginenthematik in der französischen Literatur des 13.Jhs. eine besondere Aktualität, etwa bei Rutebeuf oder Baudouin de Conde, die in Anlehnung an die einschlägigen Argumente Wilhelms von St. Amour gegen die semireligiosen Lebensformen der nicht klausurierten mulieres religiosae ein negatives Beginenbild mit den stereotypen Vorwürfen Arbeitsscheu, leichte Verführbarkeit, Überheblichkeit und vor allem hypocrisie prägen. 83 Die Beginen werden in diesen Texten als Synonym für hypocrisie und papelardie zum Signum eines verdorbenen Zeitalters, da sich bei ihnen hinter einer religiösen Maske, hinter asketischen Kleider- und Lebensregeln die schlimmsten Sünden der luxuria und superbia verbergen. 81
Zur Chronologie und den bildungsgeschichtlichen Hintergründen des Mendikantenstreits vgl. Dufeil, Michel M . : Guillaume de Saint-Amour et la polemique universitaire parisienne 1 2 5 0 - 1 2 5 9 . Paris 1972 sowie den Band: Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im X I I I . Jahrhundert. Hrsg. von Albert Zimmermann. Berlin, N e w Y o r k 1976 (Miscellanea Mediaevalia 10), in dem die umfangreiche ältere Literatur verzeichnet ist; hier vor allem K ö h n , Rolf: Monastisches Bildungsideal und weltgeistliches Wissenschaftsdenken. Zur Vorgeschichte des Mendikantenstreites an der Universität Paris, S. 1 - 3 7 .
82
Vgl. etwa die Textbeispiele bei Langlois, Ernest: Origines et sources du Roman de la Rose. These Paris 1890, S. 1 5 3 - 1 6 0 ; neuerdings auch Walther, Helmut G . : Utopische Gesellschaftskritik oder satirische Ironie? Jean de Meun und die Lehre des Aquinaten über die Entstehung menschlicher Herrschaft. I n : Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters. Hrsg. von Albert Zimmermann. Berlin, N e w Y o r k 1979 (Miscellanea Mediaevalia 12, 1), S. 8 4 - 1 0 5 .
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Zu den beginenkritischen Argumenten französischer Autoren vgl. Denkinger, J . : Die Bettelorden in der französischen didaktischen Literatur des 13. Jahrhunderts, besonders bei Rutebeuf und im Roman de la Rose. I n : Franziskanische Studien 2 (1915), S. 6 3 - 1 0 9 ; 2 8 6 - 3 1 3 , hier vor allem S . 2 8 8 , A n m . 2 sowie van den Boogaard, N . H . J . : La forme des polemiques et les formes poetiques: Dits et Motets du X l l l e siecle. In: Auseinandersetzungen an der Pariser Universität, S. 2 2 0 - 2 3 9 ; neuerdings auch D u fournet, J e a n : Rutebeuf et les moines mendiants. I n : Neuphilologische Mitteilungen 85 (1984), S. 1 5 2 - 1 6 8 .
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Doch diese im Umkreis des Pariser Mendikantenstreits entstandenen beginenkritischen Werke bzw. Passagen beleuchten nur eine Seite der Beginenthematik in der französischen Literatur. Daneben existiert eine ganz andere, affektiv-positive Beginenvorstellung, die vor allem in einer Gruppe von Texten des nordfranzösisch-pikardischen Raums um die Wende des 13. und zu Beginn des 14.Jhs. vermittelt wird. Es handelt sich dabei zunächst um drei strophische Dits der ehemaligen Berliner, heute verschollenen Handschrift Ms. Gall. oct. 28, die der Herausgeber E. Bechmann »Dits de l'äme«84 genannt hat und wegen einer - wie es bei ihm heißt- für die Texte charakteristischen weiblichen Perspektive, speziell wegen des in ihnen geschilderten »bräutlichen Verlangens nach dem Heiland« (S. 53) für spezifische literarische Produkte von Beginenhäusern, zumindest im Sinne der Zuhörerschaft hält. Dies gelte vor allem für den Text »Douls Jhesucris, je vieng a vous« (Nr. 1160), ein 36strophiger affektiv-hymnischer Preis des dous amis Christus mit der Bitte um Liebesvereinigung, aber in etwas abgeschwächter Form auch für die Liebeslehre »Pour moustrer, que dieus s'esbanie« (Nr. 1156) und den Text »Saves que j'apiel Beghinage?« (Nr. 1176), in dem die Annäherung der Seele an Gott in verschiedenen Metaphernkomplexen der heilsgeschichtlichen Liebeswerkzeuge, der Tuchproduktion, der Turniertechnik und Turmbelagerung vorgeführt wird. Diese von Bechmann bereits Ende des 19.Jhs. initiierte Frage nach einer französischen Beginenliteratur ist im Jahre 1927 durch Alfons Hilka 85 wieder aufgegriffen worden. Er ergänzt die beginenthematischen Partien der Berliner Handschrift noch durch den Abdruck eines von Bechmann nur erwähnten Gesprächs zwischen einem maistres von Paris und einer Begine, 86 die den maistres davon überzeugt, daß das Leben der Beginen in Askese, humilite und Gottesliebe die Bemühungen der Meister um divinite weit übertreffe. Das Kernstück von Hilkas Überlegungen zur altfranzösischen Beginenmystik sind allerdings drei sehr unterschiedliche Texte aus einer Metzer Handschrift: 87 »A Dieu proier me tornerai« (Nr. 1152), ein zweigeteilter Text mit Verhaltensregeln 84
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86 87
Bechmann, E . : Drei Dits de l'ame aus der Handschrift Ms. Gall. Oct. 28 der Königlichen Bibliothek zu Berlin. In: ZfrPh 13 (1889), S. 3 5 - 8 4 . Hilka, Alfons: Altfranzösische Mystik und Beginentum. In: ZfrPh 47 (1927), S. 1 2 1 - 1 7 0 ; vgl. hier auch eine vorläufige Sammlung von Texten und Textstellen zur Bedeutung des Beginenthemas in der französischen Literatur, S. 1 5 6 - 1 7 0 . Hilka, S. 123. Vgl. dazu bereits Meyer, Paul: Notice du Ms. 535 de la Bibliotheque Municipale de Metz. Renfermant divers compositions pieuses (prose et vers) en franPriorin< von Robaud dokumentiert, sondern auch ihr segensreiches Wirken für ihr >HausBuch der Reformacio PredigerordensKurzbiographien< der Nonnenbücher stehen die sog. einzelpersönlichen Gnadenviten bzw. Gnaden-Leben 7 gegenüber, ausführliche Eigen- oder Fremdberichte über das wechselvolle Leben einer prominenten Schwester, ihre Askese und Krankheit, ihre Gebetsübungen und teuflischen Versuchungen, ihre Visionen und göttlichen Begnadungen. Diesem Typus einer ausladenden spirituellen Lebensdarstellung entsprechen die Viten Margarethe Ebners in Medingen, Christine Ebners und Adelheid Langmanns in Engelthal, der Schwester Irmgard in Kirchberg, Elsbeths von O y e in Oetenbach und vielleicht auch die fragmentarisch erhaltene Gerdrut-Vita der Engelthaler Kapläne Konrad Friedrich und Heinrich. 8 In den weiteren Umkreis dieser hagiographischen Großformen gehören schließlich noch einige Beispiele >männlicher< Biographien: die >Vita< Heinrich Seuses und das erst kürzlich von Siegfried Ringler entdeckte Gnaden-Leben des Engelthaler Kaplans Friedrich Sunder. 9 Diese Texte, die eine enge literarische Verbindung zu den Nonnenbüchern aufweisen, zumindest in denselben Konventen entstanden sind, zeigen jedoch im Vergleich zu diesen Sammelviten der Dominikanerinnen ein deutlich anders gelagertes Interesse ihrer Autorinnen bzw.
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Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 2. Heft), S. 54-106: »Hie vahet an die vorred des dritten büchs oder daz dritt tail der materien dis gantzen büchs, daz da sait von dem haiigen andechtigen leben der ersten swöstren des closters Schönenstainbach und och von etlichen miracklen, die by in geschehen sind« (S. 54). Die synonym gebrauchten Termini Gnadenvita und Gnaden-Leben gehen auf Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, zurück, der sich zugleich um eine gattungstypologische Einordnung der Texte bemüht (S. 334-359). Zur Problematik dieser Termini als Gattungsbezeichnung vgl. Peters, >LebenLebens< der Christine Ebner kompilierte neuhochdeutsche Paraphrase von Lochner, Georg Wolfgang Karl: Leben und Gesichte der Christina Ebnerin, Klosterfrau zu Engelthal. Nürnberg 1872, vor; Adelheid Langmann: Die Offenbarungen der Adelheid Langmann Klosterfrau zu Engelthal. Hrsg. von Philipp Strauch. Strassburg 1878 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker 26). Irmgard-Vita: noch unediert; die unten S. 132f. folgenden Zitate aus der Irmgard-Vita stammen aus der in der Handschrift Β (Berlin mgq 730, fol. 205 v -231 v ) überlieferten sog. Spätredaktion, die mir die Berliner Staatsbibliothek freundlicherweise im Mikrofilm zur Verfügung gestellt hat. Gerdrut-Vita: Text dieser nur fragmentarisch überlieferten Vita bei Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 445-447. Heinrich Seuse, Deutsche Schriften. Hrsg. von Karl Bihlmeyer (1907). Nachdruck: Frankfurt 1961, S. 1-195; Friedrich Sunder: Text bei Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 391-444.
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Redaktoren: während die Schwesternbücher auf den Konvent als Ganzes, auf das dominikanische Zusammenleben der Schwestern ausgerichtet sind, verweisen die großangelegten einzelpersönlichen Gnadenviten eher auf ein monastisches Lebensprogramm: den beschwerlichen Weg der Einzelseele zur Begnadung häufiger Gotteserfahrung, wie wir es auch aus den lateinischen Frauenviten des brabantisch-lütticher Raums kennen. Während diese jedoch von einem stringenten thematisch-biographischen Aufbau bestimmt sind, die Abfolge des berichteten Lebens gelegentlich sogar -etwa bei Beatrix von Nazareth, bei Leutgard von Tongeren oder Marie von Oignies- von festen Gliederungsschemata, von Aufstiegsmodellen einer triplex via bzw. der 7 Gaben des Hl. Geistes getragen ist, löst sich bei den volkssprachigen Gnadenviten des 14.Jhs. das chronologische Vitenschema in eine eher zufällig wirkende Abfolge von Fremd- und Selbstberichten, Briefen, Gesprächen, Gebeten und Meditationen auf, die von bestimmten thematischen Schwerpunkten, etwa Krankheit, asketische Übungen, Teufelserscheinungen, Visionen, Formen der Gottesbegegnung, überlagert werden. Sie tragen nach Siegfried Ringlers10 ansprechender Vermutung als ein nur grob biographisch-chronologisches Gerüst die mystische Lehre der zunehmenden Vergöttlichung der Seele. Mystische Lehre in Form eines Lebens als Programm der Nonnenbücher und einzelpersönlichen Gnadenviten. Das ist eine relativ neue, durch die Arbeiten von Georg Kunze, Hester McNeal Reed Gehring, Walter Blank und vor allem Siegfried Ringler initiierte Einschätzung der volkssprachigen Nonnenliteratur süddeutscher Dominikanerinnen des 14.Jhs. Bislang dominierte in der Forschung ein eher kulturhistorisches bzw. religionspsychologisches Interesse an diesen Texten, die - mit unterschiedlicher Akzentuierung - als Dokumente eines deutlichen Niedergangs dominikanischer Spiritualität und Lebensorganisation in den Frauenklöstern des 14. Jhs. galten.11 Diese Sicht hat sich bis in die jüngste 10 11
Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 334ff. Vgl. etwa die geradezu topische Charakterisierung der Texte als Zeugnisse krankhafter Hysterieanfälle, Massensuggestionen und sexueller Obsessionen bei Escherich, Mela: Das Visionenwesen in den mittelalterlichen Frauenklöstern. In: Deutsche Psychologie 1 (1918), S. 1 5 3 - 1 6 6 ; Wentzlaff-Eggebert, Friedrich-Wilhelm: Deutsche Mystik zwischen Mittelalter und Neuzeit. Einheit und Wandlung ihrer Erscheinungsformen (1943). Dritte erweiterte Auflage Berlin 1969, der auf den »krankhaften Zug« (S. 60) bzw. die »pathologischen Zustände« (S.63) der Frauen, die »Gefahren verdrängten weiblichen Gefühls« (S. 63), der »Ubersteigerung« (S. 63) oder »des mißverstandenen geistigen Eros« (S. 68) hinweist; Dünninger, Josef: Weihnachtliche Motive in der Mystik der Dominikanerinnenklöster Maria Medingen und Engelthal. In: Bayerische Literaturgeschichte in ausgewählten Beispielen. Bd. 1: Mittelalter. Hrsg. von Eberhard
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Diskussion durchgehalten. 12 Denn in Anlehnung an Selbstaussagen der Autorinnen zur Funktion ihrer Texte wird im allgemeinen in den Nonnenbüchern und einzelpersönlichen Viten der Versuch einzelner Schwestern bzw. bestimmter Gruppen gesehen, mit ihren literarischen Aktivitäten den drohenden Niedergang monastischer Disziplin in ihren Konventen aufzuhalten und ihren Hörerinnen bzw. Leserinnen emphatisch das vergangene Bild eines vorbildlichen Konvents begnadeter Schwestern vorzustellen, das - wie es in den Texten gelegentlich heißt>unser< Konvent wieder anstreben solle. Die dominikanische Nonnenliteratur bezeuge demnach mit ihrem rückwärtsgewandten Blick auf die Blütezeit dominikanischer Nonnenspiritualität das faktische Absinken der Dominikanerinnenkonvente des 14. Jhs. in adelige Versorgungsinstitute, die einer monastischen Reform dringend bedurft hätten. Das ist aber nur die eine Seite. Gleichzeitig stand und steht in der Forschung immer wieder die Faktizität des Berichteten zur Diskussion. Bestimmend ist dabei die Vorstellung, daß die seelsorgerlichen Aktivitäten der dominikanischen Prediger, vornehmlich ihre mystische Lehre von der Gottesgeburt in der Seele und der Abgeschiedenheit des Menschen, in den Nonnenkonventen aus Unverständnis gegenüber dem theologischen Anspruch dieser Konzepte in lebensweltliche Formen des Bemühens um eine persönliche Gotteserfahrung in asketischen Praktiken, Krankheitsanfällen, Ekstasen und Visionen umgesetzt worden seien. 13 Die betroffe-
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Dünninger und Dorothee Kisselbach. München 1965, S. 3 3 8 - 3 4 8 , der in der starken religiösen Erregung der Nonnen eine Folge ihrer »völligen Abgeschiedenheit« (S. 339) sieht, oder Kunze, Studien zu den Nonnenviten, der neben wegweisenden literarhistorischen Einsichten in gattungsspezifische Merkmale der Nonnenviten eben auch von der »eher irrationalen Wendung zur Innerlichkeit« (S. 90), von »Verirrungen und Exzessen« (S. 90) spricht, denen sich die Frauen in ihrer Abgeschiedenheit hingegeben hätten, um in Tagträumen und Visionen die »seelische Leere ihres Daseins« (S. 90f.) zu überdecken. Weniger kritisch äußert sich hingegen Rode, Studien zu den Kind-JesuVisionen: sie rühmt den »Geist kindlicher Frömmigkeit, warmherziger Fraulichkeit und zuweilen überraschender Naivität« (S. 33). Eine rühmliche Ausnahme im Rahmen dieses Forschungspanoramas zur dominikanischen Nonnenliteratur des 14. Jhs. ist die weitausgreifende Arbeit von Krebs, Engelbert: Die Mystik in Adelhausen. Eine vergleichende Studie über die >Chronik< der Anna von Munzingen und die thaumatographische Literatur des 13. und H.Jahrhunderts als Beitrag zur Geschichte der Mystik im Predigerorden. In: Festgabe, enthaltend vornehmlich vorreformationsgeschichtliche Forschungen. Heinrich Finke zum 7. August 1904. Freiburg 1904, S. 41-105, der in den Gnadenerfahrungen der Schwestern weniger eine >Umsetzung< der mystischen Predigten der Dominikaner sieht, als »Spuren der Wundergeschichten, die man in Dominikanerkreisen gern erzählte« (S. 102), also die literarischen Verbindungen betont. Vgl. etwa Blank, Walter: Umsetzung der Mystik in den Frauenklöstern. In: Mystik am Oberrhein und in benachbarten Gebieten. Hrsg. von Hans H . Hofstätter. Freiburg 1977, S. 2 5 - 3 6 , der in diesen »Spätformen des sogenannten mystischen Lebens« (S. 29) eine »Verflachung im mystischen Erleben« (S. 29) dokumentiert sieht.
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nen Schwestern, später auch ihre Beichtväter hätten schließlich diese mißverstandenen Versuche einer Annäherung an Gott in Form biographischer Berichte ihres Lebens in Askese, Leid und göttlicher Begnadung aufgezeichnet. Die Texte lieferten demnach nicht nur Informationen über die spirituellen Ambitionen bestimmter Konvente, sondern auch über die >fatale< Wirkung und Umwandlung der Lehren mystischer Prediger bei den Dominikanerinnen in eine handfeste Erlebnismystik der Schwangerschaftssensationen, der Kind-Jesu-Begegnungen, der Identifikation mit dem leidenden Christus und vielfältigen Formen der Vereinigung mit dem göttlichen Partner. Damit rückten aber zugleich geradezu unverstellt die sexuellen und gruppendynamischen Probleme dieser Dominikanerinnen in den Blick, die im Gegensatz zu den mulieres religiosae des 13.Jhs. und auch zu dem männlichen Zweig ihres Ordens ihre spirituellen Bedürfnisse im Rahmen der strengen Klausur eines Dominikanerinnenkonvents, das bedeutet eines abgeschlossenen, >inneren< Lebens ihrer persönlich-sinnlichen Gottesbegegnung hätten verwirklichen müssen. Unsere Texte dokumentierten demnach auch den Prozeß einer erfolgreichen Institutionalisierung, ja Disziplinierung der offensiv ins Leben hineinwirkenden religiösen Frauenbewegung des 13.Jhs., deren vielfältige Programme einer vita activa als mulier sancta schließlich bei den Dominikanerinnen des 14. Jhs. zur esoterisch-ausgegrenzten Innerlichkeit körperlicher Sensationen, gelegentlich geradezu fanatischen Egozentrik sehr persönlicher Begnadung geworden seien. 14 Diese kulturhistorischen bzw. ideologiekritischen Überlegungen zu den in süddeutschen Dominikanerinnenkonventen entstandenen Lebensberichten basieren auf der Annahme einer grundsätzlichen Faktizi-
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So Blank, Umsetzung, der davon ausgeht, daß sich in den Nonnenviten »eine verhängnisvolle Umsetzung dessen vollzieht, was die Brüder in ihren Predigten auf spekulativer Basis zu erklären versuchten« (S. 28). Die Beziehungen zwischen der Spiritualität der Dominikanerinnen, wie sie sich in ihren Texten abzeichne, und den Postulaten eines Meister Eckhart diskutiert neuerdings auf breiter Basis Otto Langer in seinen Arbeiten zur Frauenmystik, wobei er allerdings die Chronologie vertauscht: Meister Eckhart und mit ihm Heinrich Seuse und Johannes Tauler korrigierten in ihren Predigten und Traktaten die extremen Ausprägungen der Lebensprogramme der Dominikanerinnen, indem sie sich nicht um eine lebensweltliche, sondern eine spirituelle Radikalisierung dieser Konzepte bemühten; zu Langers Thesen vgl. auch unten S. 190 Anm.2. Zur >erotischen< Bildlichkeit etwa Mechthilds von Magdeburg, in der sich die unterdrückte Sexualität der in strenger Askese und totaler Abgeschlossenheit lebenden mulier religiosa artikuliere, vgl. neuerdings wieder Müller, Ulrich: Mechthild von Magdeburg und Dantes >Vita Nuova< oder Erotische Religiosität und religiöse Erotik. In: Liebe als Literatur. Aufsätze zur erotischen Dichtung in Deutschland. Hrsg. von Rüdiger Krohn. München 1983, S. 163-176.
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tät hinsichtlich einer erlebten bzw. anvisierten Erfahrungswirklichkeit des Berichteten. Erst dann ist es sinnvoll, die Texte als Idealbild einer vergangenen Klosterkultur, als Beispiel für >falscheSchreibbefehls< hat dazu geführt, daß auch die neuere Forschung, die weniger an dem >Seelenleben< der begnadeten Frauen, d. h. an der Authentizität des Berichteten als an einer literarhistorischen Kommentierung der Texte interessiert ist, bei frauenmystischen Texten eine ursprünglich sehr persönliche, private Form der Textentstehung annimmt: heimliche bzw. nur im Zusammenwirken von Seelsorger und Schwester entstandene Aufzeichnungen, die zunächst nicht für die >Offentlichkeit< gedacht gewesen und erst nachträglich durch Redaktoren in möglicherweise verschiedenen Phasen der Bearbeitung zu einem Lebensbericht zusammengestellt worden seien. Man 15
Zum Topos des Schreibbefehls vgl. Ringler, Viten- und S. 1 7 5 - 1 7 7 .
108
Offenbarungsliteratur,
müsse demnach bei diesem Typus von Literatur von zwei prinzipiell verschiedenen Textebenen ausgehen: einer Grundschicht ursprünglich autobiographischer, persönlicher Aufzeichnungen und ihrer nachträglichen Umarbeitung zu einem Lebensbericht, in den diese Erfahrungsnotizen der begnadeten Schwestern als authentisches Material eingebunden seien. Dieser Auffassung von einer Entstehung der Vitenliteratur aus sehr unterschiedlichen Materialien scheint der gelegentlich diffus wirkende Aufbau der überlieferten Texte, vor allem der einzelpersönlichen Gnaden-Leben zu entsprechen, die oft - ohne eine geradlinig-chronologische Gliederung und ohne eine feste Erzählerinstanz- den Eindruck einer eher zufälligen Abfolge von nur notdürftig verklammerten unterschiedlichen Quellen vermitteln. Es wechseln >authentische< Ich-Partien mit übergreifenden Berichten in der dritten Person, ausladende biographisch-chronologische Passagen mit kurzen Visionsniederschriften, undatierten Notizen, Briefen, Meditationen, Gebeten, Dicta und Kommentaren eines oder sogar mehrerer Redaktoren, die sich offenbar nur wenig um eine vereinheitlichende Bearbeitung und erzählerische Einbindung dieser unterschiedlichen Materialien bemüht, sondern im wesentlichen die verschiedenen Bausteine in ihrer ursprünglichen Gestalt belassen haben. Dies würde zwar bedeuten, daß die uns überlieferten Texte nicht mehr direkt auf die betroffenen Frauen zurückgehen, da sie in einem mehrfachen Bearbeitungsprozeß entstanden sind. Dennoch ließen sich -zumindest bei einer günstigen Uberlieferungssituation- in einer Rekonstruktion der allmählichen Entstehung dieser Texte möglicherweise die ursprünglichen Aufzeichnungen der begnadeten Frauen eruieren und damit zugleich genuine Eindrücke von ihren spirituellen Erfahrungen und ihren literarischen Aktivitäten gewinnen. In diese Richtung argumentiert auch Siegfried Ringler, wenn er etwa an der Uberlieferungsgeschichte der >Offenbarungen< Adelheid Langmanns die allmähliche Entstehung des Werks verfolgt und in den wenigen Ich-Partien der in der Berliner Handschrift Β überlieferten Fassung des Lebens der Adelheid Langmann Relikte des Grundbestands authentischer Aufzeichnungen dieser Engelthaler Nonne sieht. Adelheids >autobiographische< Schriften seien erst nachträglich in einer objektivierenden Bearbeitung der verschiedensten Redaktoren einem distanzierten legendarischen Berichtsstil der dritten Person anverwandelt worden und nur an wenigen Stellen der offenbar >älteren< B-Fassung in ihrer ursprünglichen persönlichen Ich-Form erhalten geblieben. Diese Ich-Partien wiederum erlaubten einen Blick in die Vorgeschichte der Gnaden109
vita, in die >Werkstatt< der begnadeten Schwester, die ihre religiösen Erfahrungen, ihre Visionen und ekstatischen Erlebnisse niederschreibe.16 Dies bedeutet freilich zugleich eine Rückkehr zu den früheren Diskussionen über den Erlebnisgehalt der dominikanischen Nonnenliteratur. Bei den überlieferten Textfassungen wird zwar sehr klar die hagiographische Funktionsbestimmung eines legendarischen Vitenkonzepts gesehen und damit die Frage nach der Authentizität des Berichteten abgewiesen. Dies würde jedoch nicht für jene vermuteten, ursprünglich autobiographischen Textpartien gelten, die dann als primär nicht für die Öffentlichkeit gedachte Aufzeichnungen unverstellt die religiösen Erfahrungen einzelner prominenter Schwestern artikulierten. Damit sind allerdings wieder und sogar verstärkt jene Probleme angesprochen, die bereits im Zusammenhang mit der Beginenthese im Falle Hadewijchs und Mechthilds von Magdeburg diskutiert worden sind: Überlegungen zur Genese mittelalterlicher Texte, die unserem Wissen von den Voraussetzungen der literarischen Produktion im Mittelalter nicht entsprechen. Denn wie die Vorstellung einer konventikelhaften, heimlichen Entstehung und Verbreitung beginenmystischer Werke die für den mittelalterlichen Literaturbetrieb charakteristische institutionelle Einbindung aller literarischen Aktivitäten in feste Gebrauchssituationen negiert, so wird auch im Falle der Dominikanerinnen des 14. Jhs. das Schreiben, zumindest die primäre Schicht ihres Schreibens, zu einer quasi-verborgenen, geradezu intim-persönlichen Form der Aufzeichnung religiöser Erfahrungen. Schon aus diesem Grund bedarf jener Themenkomplex des >Schreibbefehls< einer kritischen Uberprüfung. Denn die Vorstellung einer Kooperation der begnadeten, schreibenden Schwester mit ihrem Seelsorger ist nicht nur ein zentraler Gedanke bei der Genese der dominikanischen Nonnenliteratur des 14. Jhs. Auch für die mulieres religiosae des brabantisch-lütticher Raums und für Mechthilds von Magdeburg literarische Produktion im 13. Jh. scheint diese Konstellation so dominierend zu sein, daß sie zur Grundlage kultur- und literarhistorischer Überlegungen über die Entstehung frauenmystischer Literatur geworden ist. Deshalb bietet es sich an, die Genese frauenmystischer Texte, den Prozeß des Schreibens religiös bewegter Frauen auf der Basis dieser Beichtvater-Thematik zu untersuchen.
16
Ebda., S. 6 5 - 8 2 ; vgl. jedoch seine wesentlich zurückhaltendere Einstellung gegenüber den »tagebuchartigen Aufzeichnungen« spätmittelalterlicher Dominikanerinnen in Ders., Die Rezeption mittelalterlicher Frauenmystik als wissenschaftliches Problem, dargestellt am Werk der Christine Ebner. In: Frauenmystik im Mittelalter, S. 1 7 8 - 2 0 0 .
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1. Marie von Oignies und Jakob von Vitry: der Rollentausch als hagiographisches Thema Das prominenteste Beispiel dieser Konstellation von Beichtvater und mulier religiosa ist der vertrauensvolle Umgang, den - nach dem Bericht des >Supplementum< zur Vita Maries von Oignies - der Regularkanoniker Jakob von Vitry, der berühmte Prediger, Bischof von Akkon und spätere Kardinal von Tusculum, mit der Inkluse Marie von Oignies gepflegt hat. Schon während seiner Studien in Paris habe er von ihrer sanctitas gehört, sei zunächst als Gast in das Augustinerpriorat St. Nicholas nach Oignies gekommen, nach seiner Priesterweihe in Paris auf ihr Anraten als ein Mitglied des Konvents der Regularkanoniker ganz nach Oignies übergesiedelt, um sich mit Maries Hilfe verstärkt der Volkspredigt gegen die Ketzer und für den Kreuzzug zu widmen. Er unterhält aber nicht nur zu der berühmten Inkluse der Augustiner von Oignies enge Verbindungen, sondern verkehrt ganz allgemein in den Kreisen religiös bewegter Frauen seiner näheren Umgebung, kennt sehr genau ihre Lebensformen, verwendet sich bei der Kurie für sie und verfaßt schließlich die von den Zeitgenossen weithin geschätzte Vita Maries von Oignies, deren programmatischer Widmungsbrief an den Bischof von Toulouse als eine der frühesten und informativsten Quellen für die Lebensweise und Spiritualität der Beginen der Diözese Lüttich um die Wende des 12. Jhs. gilt. 17 Diese literarisch ambitionierte Vita mit ihren zwei Büchern über das äußere und innere Leben der Gnaden und Wunder dieser mulier sancta bietet zwar - w i e wir gesehen h a b e n detaillierte Nachrichten über das spirituelle Leben religiös bewegter Frauen und ihren konsequenten Weg zur sanctitas einer Inkluse. Es fehlen jedoch genauere Angaben über die uns interessierende Beichtvater-Thematik, etwa die spezifischen Beziehungen Maries von Oignies zu ihrem Hagiographen Jakob von Vitry, der offenbar nicht von Anfang an ihr besonderer Seelsorger gewesen ist. Denn als geistlicher Betreuer ihrer frühen Jahre wird ausdrücklich - zumindest während ihres Aufenthalts in Willambrouk - ein »vir humilis et devotus, et pater ejus spiritualis Magister Guido de Nivella« (II, 6, 55, S. 651, D) genannt. Er ist - wenn er mit jenem später als der geistliche Berater einer Inkluse Heldewidis erwähnten Magister Guido (II, 8, 80, S.657, E) identisch i s t - der Kapellan der Kirche Willambrouk. Uber Jakob von Vitry, das berühmte Mitglied des Augustinerpriorats 17
Zur Bedeutung der Vita und des >Supplementum< vgl. oben S. 22f.
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von Oignies, informiert hingegen sehr ausführlich das >Supplementum< zur Vita Maries von Oignies, in dem ein Zeitgenosse - er nennt sich im Prolog »frater N . humilis Canonicus Cantipratensis coenobii« (1, S.666, D ) und wird in der Forschung mit Thomas von Chantimpre, dem Hagiographen Leutgards von Tongeren und Christinas von St. Trond, identifiziert - Details aus dem weiteren Umfeld der mulier sancta Marie von Oignies zusammenträgt. Dazu gehören Nachrichten über Jakobs spirituelle und kirchliche Laufbahn, über die Aktivitäten der Regularkanoniker, vor allem ihres Priors Aegidius von Oignies, des Adressaten des >SupplementumSupplementum< ist jedoch der ungeheure Einfluß, den Marie von Oignies auf den ambitionierten Geistlichen Jakob von Vitry ausgeübt hat, der hier als passives Sprachrohr der Inkluse dargestellt wird. Er verläßt seine theologischen Studien in Paris und wird auf ihr Betreiben ein höchst erfolgreicher Prediger, der nicht mehr nur vor Klerikern und Theologen, sondern nun auch vor dem >Volk< redet, wozu Marie ihn durch ihre Gebete inspiriert. Sie erscheint als eine zentrale geistige Kraft in Oignies, die die asketische Spiritualität der Regularkanoniker, vor allem aber des berühmten Geistlichen Jakob von Vitry aktiviert. Wie sehr dieser >SupplementumFreundinnen< die Rolle der 20
Leutgard von Tongeren, etwa II, 3: »ut ipsa mihi in magnis lacrymis dixit« (S. 252, 42, E ) ; dazu paßt auch der Brief, den Jakob von Vitry Ende März 1217 an Leutgard von Tongeren geschrieben hat (»Domne Ligardi de sancto Trudone, amice sue spiritualiss i m e . . . « ) : Lettres de Jacques de Vitry ( 1 1 6 0 / 1 1 7 0 - 1 2 4 0 ) eveque de Saint-Jean-d'Acre. Edition critique par R. Β. C. Huygens. Leiden 1960, S. 7 9 - 9 7 .
21
Ida von Löwen, Prolog: »cum certum et indubitatum testem habeam veritatis, illum scilicet qui de sanctae feminae singula quae dicturus sum, ore collegit et scripta memoriae commendavit. Is siquidem spiritualium amicorum illius praecipuus extitisse dignoscitur et confessionum ejus auditor, secretorumque conscius pariter et symmista« (S. 157, F).
22
Margarethe von Ypern: Widmung an den Beichtvater, S. 106f. Ivette von H u y , Prolog, S. 864, 7.
23
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Vertrauten, die das äußere und innere Leben der begnadeten Frauen begleiten. Das gilt vor allem für die Lütticher Rekluse Eva von St. Martin, 24 die in der Vita Julianas von Cornillon eine prominente Rolle als spirituelle Vertraute, Helferin und unermüdliche Propagatorin des durch Julianas Visionen initiierten Fronleichnamsfestes hat. Sie ist für Juliana von Cornillon in ihrer Lütticher Zeit nicht nur die zentrale Gesprächspartnerin, mit der sie ihre göttlichen Eucharistie-Erscheinungen und Begnadungen diskutiert, sondern auch oft ihre letzte Zuflucht bei ihren Schwierigkeiten als Priorin des Leprosenhauses und schließlich nicht zuletzt die kompetente Vermittlerin wichtiger Kontakte für die Realisierung des neuen Kirchenfestes. Beichtväter haben im Lebensbericht Julianas von Cornillon keinen Platz. Auch Johannes von Lausanne, jener Kanoniker von St. Martin, der zusammen mit der Rekluse Eva die Institutionalisierung des neuen Festes betreibt und nach Julianas Tod den ungenannten Autor um eine lateinische Fassung ihrer Vita bittet, fungiert in der Vita nicht als ihr Seelsorger. Er kümmert sich weniger um den spirituellen Weg Julianas als um ihre Lebensmöglichkeiten und vor allem um die organisatorischen Voraussetzungen und Probleme der Einsetzung des neuen Festes. Und auch nach ihrer Vertreibung aus Lüttich bewegt sich Juliana vornehmlich im Kreis befreundeter Frauen: ihrer Gefährtinnen aus Cornillon, Isabella von Huy, Agnes und Odile, die sie ins Exil begleiten, armer Beginen in Namur, die sie aufnehmen, und schließlich Hymana, der Äbtissin der Zisterzienserinnen von Salzinnes, die der bedrängten virgo Christi mit einem »vinculum caritatis« (II, 6, 33, S. 470, D) verbunden ist, ihr bis zu ihrem Tod beisteht und immer neue Existenzmöglichkeiten eröffnet. Ähnliches gilt für die Zisterzienserinnen Leutgard von Tongeren und Beatrix von Nazareth, die beide - im Sinne der zisterziensischen amicitia-Thematikintensive spirituelle Frauenfreundschaften pflegen: Leutgard von Tongeren in Aywieres mit der gelehrten Sybille von Gages 25 und Beatrix von Nazareth im Kloster La Ramee mit Ida von Leeuw, 26 in deren Gegenwart sie die höchsten Verzückungen erlebt. Unser Vitenkorpus des brabantisch-lütticher Raum bietet demnach -abgesehen von dem Sonderfall Jakob von Vitry und Marie von Oignies- wenig Anhaltspunkte für eine spezifische >Zusammenarbeit< von Beichtvater und mulier religiosa, die zur Entstehung der Vitentexte geführt hat. Die Angaben sind undeutlich und verweisen bestenfalls 24 25 26
Zu Eva von St. Martin, vgl. oben S. 29. Leutgard von Tongeren: vgl. III, 1, 6, S.257, C oder III, 2, 12, S . 2 5 9 , Cf. Beatrix-Vita, S. 4 1 - 4 9 (Kap.I, 10 und 11).
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generell auf die Bedeutung der Beichtväter für die Entstehungsgeschichte der Viten. Sie gelten zwar als glaubwürdige Augenzeugen und Chronisten des spirituellen Wegs der religiös bewegten Frauen, sie haben jedoch in den Lebensberichten keineswegs einen herausragenden Part als Initiatoren bei der literarischen Fixierung der spirituellen Erlebnisse dieser Frauen. Dieses Ergebnis ist vielleicht nicht repräsentativ für die Vitenliteratur des 13. Jhs. Schon bei Christine von Stommeln übernimmt der Dominikaner Peter von Dacien souverän die Seelsorge wie auch die Niederschrift ihres Wegs der teuflischen Versuchungen und göttlichen Ekstasen. Dennoch bleibt es auffallend, daß die brabantischen Texte als frühe und ausgeprägte Beispiele >mystischer< Viten mit ihrer Konzentration auf die innere Welt der Gnadenerlebnisse nur wenig Aufmerksamkeit dem Thema Beichtvater-begnadete Frau schenken, das nicht nur in der Mystikforschung, sondern auch ein Jahrhundert später in der volkssprachigen Vitenliteratur der Dominikanerinnen des 14. Jhs. eine besondere Rolle spielt. Dies mag daran liegen, daß bei den lateinischen Viten des 13. Jhs. das Schreiben bzw. die Verschriftlichung der spirituellen Erfahrungen nicht zum begnadeten Zustand der Betroffenen gehört, d. h. nicht in den Prozeß der Begnadung einbezogen ist. Dazu würde die eher neutrale Rolle der Seelsorger passen, die nach der Darstellung der Viten weder durch Aufforderungen zur Niederschrift noch durch eigene literarische Aktivitäten einen besonderen Einfluß auf das Gnadenleben der Frauen nehmen. 2. Mechthild v o n M a g d e b u r g u n d H e i n r i c h v o n Halle: H e l f t a als literarisches Z e n t r u m frauenmystischer Texte im 13. J a h r h u n d e r t Mit Mechthild von Magdeburg verlassen wir den Bereich der Vitenliteratur mit ihren hagiographischen Hinweisen auf das Zusammenspiel von Seelsorger und mulier religiosa und betreten das Feld literarischer Aktivitäten der begnadeten Frauen. Das >Fließende Licht der Gottheit< ist im deutschen Sprachraum—neben den Texten Hadewijchs und Beatrix' von N a z a r e t h - eines der ersten volkssprachigen geistlichen Werke, das auf die eigenständigen literarischen Aktivitäten einer Frau zurückgeht. Allerdings scheint an der Redaktion und Verbreitung dieses Textes ganz wesentlich ein Geistlicher beteiligt gewesen zu sein, der Dominikaner Heinrich von Halle, zunächst Lektor in Neuruppin, dann Angehöriger des Konvents in Halle, der in der lateinischen Fassung erwähnt wird und in der Mechthild-Forschung eine zentrale Rolle spielt: als Seelsorger, der 116
sie schon in Magdeburg immer wieder zur Niederschrift ihrer religiösen Erfahrungen ermuntert haben soll.27 Aber auch nach ihrem Rückzug ins Kloster Helfta sei er weiter mit ihr in Verbindung gestanden, habe ihre Papiere gesammelt, geordnet und vielleicht sogar nach ihrem Tod ins Lateinische übersetzt.28 Dieses Bild von den literarischen Aktivitäten des Seelsorgers, Redaktors und Ubersetzers Heinrich von Halle hat freilich eine sehr unsichere historische Basis. Die Überlegungen zu seiner Tätigkeit als Mechthilds Beichtvater, Förderer und Bearbeiter ihrer Schriften stützen sich - ebenso wie die bereits erörterten Thesen zu Mechthilds Beginenstatus —29 auf historisch-biographische Anspielungen im »Fließenden Licht der GottheitLux Divinitatisbiographischen< Kapitels IV, 2 »Dis buch ist von gotte komen. Die sele lobet sich an mangen dingen. Ir sint zwen engel geben und zwen bose tufel und zwölf tugenden stritent wider das vleisch« (S. 90), in dem Mechthild ihre vita religiosa im eilende entwirft, auch ein Beichtvater auf. An ihn habe sie sich gewendet, nachdem sie vergeblich Gott auf die »wisen lute« (S. 95) verwiesen habe, denen er doch »disu ding« (95) - besser und mit größerem Lob als i h r verleihen könne: »Do gieng ich armu bibende, in diemutiger schäme zu minem bihter und seite ime dise rede, und gerte och siner lere. Do sprach er, ich solte frolich volle varn; got der mich hette gezogen, der solte mich wol bewaren. Do hies er mich das, des ich mich dikke weinende scheme; wan mine grossu vnwirdekeit vor minen ögen offen stat, das was, das er eim snoden wibe hies vs gottes herzen und munt dis buch schriben« (S. 95). Dieser Schreibbefehl des Beichtvaters entlastet die Autorin von dem Verdacht der Selbstüberhebung eines »snoden wibe« (S.95) und garantiert endgültig die Gottgewolltheit des Schreibens. Dementspre27
28
29
Das ist Konsens der Mechthild-Forschung; vgl. dazu die biographische Darstellung Hans Neumanns in der Neuauflage des Verfasserlexikons, Sp. 260f. Zu Heinrich von Halle vgl. die biographischen Dokumente bei Hünicken, Rolf: Studien über Heinrich von Halle. In: Thüringisch-sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst 23 (1934/ 35), S. 1 0 2 - 1 1 7 . A m deutlichsten formuliert das Stierling, Hans: Studien zu Mechthild von Magdeburg. Diss. Göttingen 1907, S. 35ff.: Heinrich von Halle habe Mechthilds Aufzeichnungen in losen Blättern besessen und sie zu einem Werk in sechs Büchern zusammengestellt; ähnlich auch Ancelet-Hustache, Mechtilde, S. 3 1 - 4 4 . Diese Sicht hat sich in einigen Arbeiten bis in die jüngste Zeit durchgehalten, vgl. etwa Müller, Mechthild von Magdeburg, S. 163f. Vgl. dazu oben S. 54ff.
117
chend heißt es abschließend: »Alsus ist dies buch minnenklich von gotte harkomen und ist us menschlichen sinnen nit genomen« (S. 95) Der Beichtvater, der hier in Stellvertretung Gottes den Schreibbefehl formuliert und damit dem Buch die Dignität der göttlichen Stimme verleiht, erfährt allerdings - entsprechend der generalisierend-biographischen Darstellung des gesamten Kapitels - keinerlei historisch-biographische Konkretisierung. Damit verweigert uns aber das >Fließende Licht der Gottheit< zunächst jede Möglichkeit, in dem «bihter« (S. 95), der Mechthild zur Niederschrift ihrer religiösen Erfahrungen auffordert, den vornehmlichen Rezipienten und Diskussionspartner zu sehen. Der Beichtvater ist hier nicht mehr als eine schematische Rollenfigur, die keine kulturhistorische Kommentierung des Schreibbefehls im Sinne eines literarischen Zusammenwirkens von Mechthild mit ihrem Seelsorger erlaubt. Im Gegensatz zu dieser generalisierenden bihter-Episode wird in Kapitel V, 12 »Wie got antwurtet einem brüdere von der schrift dis buches« (S. 140) ein Meister Heinrich genannt, der über Einzelheiten in Mechthilds Schriften verwundert ist, demnach ihren Text zu kennen scheint. Dieser Meister Heinrich ist vielleicht identisch mit jenem an einem Ostermontag nach der Messe verstorbenen »brüder Heinrich« (S. 116) des Kapitels IV, 22, zu dessen ehrenvoller, von einer prächtigen Dominikanerprozession begleiteten Aufnahme in den Himmel Mechthild im Rahmen einer Vision am Grabe des verstorbenen Dominikaners >geladen< wird. Sie scheint über seine Lebensverhältnisse gut informiert zu sein, denn sie berichtet, daß er durch sie seiner Schwester >Trost< innerhalb von 40 Tagen verheißen habe. Und tatsächlich: »Sie starp vierzehen naht danach.« (S. 117) Man ist versucht, in diesen verstreuten Angaben über einen ungenannten »bihter« (S. 95), der Mechthild zum Schreiben ermuntert, über einen Meister Heinrich, der ihre Schriften kennt und schließlich den Tod eines von ihr sehr geschätzten Dominikaners »brüder heinrich« (S. 117) eine einzige Person zu sehen, einen dominikanischen Beichtvater namens Heinrich, der nicht nur Mechthilds spirituelles Leben, sondern auch ihre schriftlichen Aufzeichnungen kontinuierlich verfolgt hat und zunächst jedenfalls der vornehmliche Ansprechpartner ihres Textes gewesen ist. Tatsächlich wird dieses Bild eines für die Textentstehung bedeutenden dominikanischen Herrn im lateinisch-deutschen Prolog wie auch in der lateinischen Ubersetzung von Mechthilds Werk vermittelt. Ihre Informationen über die literarischen Aktivitäten eines Dominikaners gehen freilich weit über Mechthilds spärliche Hinweise hinaus. 118
Denn nach dem lateinisch-deutschen Prolog der Einsiedler Handschrift hat ein Dominikaner dieses »buch« (S. 2) der Begine Mechthild zusammengestellt, 30 die mehr als 40 Jahre lang den Spuren, dem Licht und der »lere« (S. 2) der Dominikaner gefolgt sei. Den Namen dieses Dominikaners scheint der Prolog-Autor nicht zu kennen. Genauere Informationen bietet erst der lateinische Text >Lux DivinitatisFließenden Lichts der GottheitLux Divinitatis< heißt- »tribulationes« (S. 436) beigestanden und zugleich nach Kräften ihre Aufzeichnungen gefördert habe. Die Entstehung des >Fließenden Lichts der Gottheit< würde demnach auf ein spezifisches Zusammenwirken von Mechthild von Magdeburg und ihrem dominikanischen Seelsorger Heinrich von Halle zurückgehen. Umstritten ist dabei allerdings das Ausmaß seiner Aktivitäten. Denn es ist unklar, ob mit »librum istum« (S. 516) der lateinische oder schon der deutsche Text gemeint ist, ob also dieser Heinrich von Halle eine sechs Teile umgreifende deutsche Fassung des >Fließenden Lichts der Gottheit< kompiliert und mit einer Art Abschlußkommentar des Kapitels VI, 43 »Dise schrift ist vs got gevlossen« (S.215) versehen habe, oder ob ihm nicht doch nur die lateinische Ubersetzung dieser volkssprachigen sechs Teile mit ihrer thematischen
30
»Conscriptus autem a fratre quodam predicti ordinis« (S. 1) bzw. »Aber das buch samente und schreib ein brüder des selben ordens« (S. 2)
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Umstellung zu verdanken sei.31 Man wird davon ausgehen müssen, daß Heinrich von Halle, der überhaupt nur in der lateinischen Ubersetzung genannt wird, bestenfalls an dieser Fassung von Mechthilds Text beteiligt gewesen sein kann. Aber selbst dies wird sich endgültig erst nach einer detaillierten Analyse der mit zahlreichen späteren Randnotizen versehenen Überlieferung der >Lux Divinitatis< entscheiden lassen. Damit bleiben freilich die entscheidenden Stationen der Entstehung von Mechthilds Text im Dunkeln. Einigkeit besteht eigentlich nur in der Auffassung, daß zumindest das 7. Buch des deutschen Textes mit der Bemerkung »do ich ze kloster kam« (S.224) im Helftaer Konvent zusammengestellt worden ist,32 der - nach der Aussage des Prologs der >Lux Divinitatis< - der Zufluchtsort der alten mulier religiosa Mechthild gewesen ist. Die Bedeutung des Dominikaners Heinrich von Halle für die Entstehung und Verbreitung von Mechthilds Schriften ist demnach alles andere als klar. In der >Lux Divinitatis< entspricht er dem »meister Heinrich« (S. 140) bzw. dem brüder« (S. 140) des deutschen Textes, erhält aber hier noch zusätzlich die Rolle eines Kompilators und Redaktors von Mechthilds Werken zugewiesen. Die lateinische Ubersetzung scheint demnach biographische Lücken des deutschen Textes zu füllen und historische Anspielungen biographisch zu konkretisieren. Das zeigt sich auch an den Informationen über den leiblichen Bruder Mechthilds, den Dominikaner Balduin, der im Konvent von Halle das Amt eines Subpriors innegehabt habe und dessen spirituelles Leben die >Lux Divinitatis< in dem Kapitel II, 21 »De fratre Baldewino« (S. 515) vorstellt. Grundlage dieses biographischen Exkurses scheinen zwei nicht unbedingt zusammengehörige Kapitel des deutschen Textes zu sein: das Kapitel IV, 26 »Von dem gotztrost eis beswereten brüders Baldewinus« (S. 120), in dem Mechthild sich bei Gott für einen durch ein wichtiges Amt in seiner 31
32
U n d auch das wird seit Becker, Ernst: Beiträge zur lateinischen und deutschen Ueberlieferung des Fliessenden Lichts der Gottheit. Diss, (masch.) Göttingen 1951, S. 195, sehr zurückhaltend beurteilt. Inzwischen hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß Heinrich von Halle nur an der lateinischen Fassung des Textes beteiligt gewesen sei: nicht unbedingt als Ubersetzer oder Bearbeiter, sondern eher als Initiator bzw. als eine Art Auftraggeber, der sechs Kapitel von Mechthilds Text neu habe ordnen und übersetzen lassen, vor der Vollendung jedoch gestorben sei, so daß man mit späteren Zusätzen rechnen müsse. Wobei allerdings die Modalitäten der Entstehung dieses Buches in Helfta keineswegs geklärt sind: eigenhändige Niederschrift, Diktat der erblindeten Schwester - eine wenig überzeugende Vermutung aufgrund des Gebets: »Herre, ich danken dir, sit du mir benomen hast die maht miner ögen, de du mir nu dienest mit vromden ögen« (S. 279) oder spätere Kompilation ihrer lockeren Aufzeichnungen durch einen Dritten?
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jugendlichen Kraft geschwächten »brüder in der predierorden« (S. 120) verwendet, und das 42. Kapitel des sechsten Buches, eine in Briefform an einen »lieben bülen« (S.215) gehaltene Aufforderung zu einem gottgefälligen Leben, die mit der konkretisierenden Uberschrift »Dis schreib swester mehtilt an einer cedelen irem brüder B. predier orden und sprach« (S.215) versehen ist. Im lateinischen Text erfahren diese Kapitel eine weiterführende biographische Konkretisierung: der nach dem f l i e ßenden Licht der Gottheit< ohne verwandtschaftliche Bezeichnung eingeführte Dominikaner »brüder Baldewinus« (S. 120) ist hier ihr leiblicher Bruder, der aufgrund der Verdienste seiner Schwester in den Predigerorden aufgenommen wird, sich in »virtutes« (S.515) und »scientia« (S. 515) auszeichnet, schließlich das Amt des Subpriors übernimmt, das ihn seine Jugend und seine Kräfte kostet. Hier setzt die Übertragung des deutschen Textes ein mit dem Hinweis auf Mechthilds Fürbitte für diesen Bruder. Man wird deshalb den biographischen Informationen der lateinischen Übersetzung mit Vorsicht begegnen und sie gelegentlich eher als hagiographische Versuche einer detailrealistischen lebensweltlich-biographischen Konkretisierung mehr oder weniger persönlich gehaltener historisch-biographischer Anspielungen des deutschen Textes betrachten müssen. In besonderer Weise scheint das für den Dominikaner Heinrich von Halle zu gelten, dessen weitere Stilisierung zum Verfasser der >Lux Divinitatis< man in der lateinischen Überlieferung verfolgen kann, wenn ihm etwa in einem späteren Zusatz - und gegen alle Wahrscheinlichkeit auch der Prolog zugeschrieben wird. 33 Man wird zwar - t r o t z aller Skepsis im einzelnen- davon ausgehen können, daß der Dominikaner Heinrich von Halle an der wahrscheinlich im Predigerkonvent von Halle entstandenen, redigierenden Übersetzung von Mechthilds Schriften ins Lateinische beteiligt gewesen ist. Weitergehende Informationen über seine Beziehungen zu Mechthild haben wir freilich nicht. Mechthilds Verweis auf den Schreibbefehl des »bihters« (S. 95), der sich zu einer 33
Heinrich von Halle ist schon längst verstorben. Der »Prologus fratris Henrici lectoris de ordine fratrum praedicatorum« (S. 435) der Hs. Β ist ein sekundärer Zusatz. Vgl. dazu Becker, Beiträge, S.30, der in diesem Zusammenhang auch die gleichlautenden Bemerkungen am Schluß des Registers der Wolhusener Handschrift aufführt: » N u n folgt hiernach ein vorred des geistlichen vatters henrici Ruppinensis, lesmeisters, in das Buch so genannt ist das liecht der gottheit welches von christo ist geoffenbart worden der heiligen frowen mechtildi von Helpede« (S. 30). Hier wird bereits die volkssprachige Autorin mit der Helftaer Schwester Mechthild von Hackeborn verwechselt - eine Identifizierung, die vielleicht auch schon die biographischen Informationen des >Lux DivinitatisLiber specialis gratiae< und Gertruds >Legatus divinae pietatisLiber specialis gratiae< 34
»Tandem post multas tribulationes, in senectute, vita sanctimonialium in Helpede assumpta, et per annos duodecim commorata, omnium virtutum perfectione floruit...« (S. 436).
35
Mechthilds von Hackeborn >Liber specialis gratiae< in: Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae II. Sanctae Mechtildis virginis ordinis sancti Benedicti Liber specialis gratiae, accedit sororis Mechtildis ejusdem ordinis Lux Divinitatis. Opus ad codicum fidem nunc primum integre editum Solesmensium O.S.B, monachorum cura et opera. Pictavii, Parisiis 1877, S. 1 - 4 2 1 . Gertruds >Legatus divinae pietatis< ist vollständig ediert in: Revelationes Gertrudianae ac Mechtildianae. I. Sanctae Gertrudis Magnae virginis ordinis sancti Benedicti Legatus divinae pietatis accedit ejusdem Exercitia Spiritualia. Opus ad codicum fidem nunc primum integre editum Solesmensium O.S.B, monachorum cura et opera. Pictavii, Parisii 1875. Nach dieser Ausgabe wird allerdings nur das 5. Buch zitiert, da die ersten vier Bücher des >Legatus< neuerdings in einer kritischen Edition vorliegen: Gertrude d'Helfta CEuvres spirituelles. Tome II. III. IV. Le heraut (livres I, II, III, IV). Introduction, texte critique, traduction et notes par Pierre Doyere (II. III) Paris 1968 (Sources Chretiennes 139. 143). Jean-Marie Clement, les moniales de Wisques et Bernard de Vregille (IV). Paris 1978 (Sources Chretiennes 255).
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am Ende einer weitausgreifenden Vision von der über den neun Engelschören thronenden maiestas Gottes und der Jungfrau Maria eine verstorbene Schwester M. 36 erwähnt, deren Seele wegen ihrer »cognitio illa qua in terris prae caeteris illuminata vigebat« (S. 192) im Bild eines Vogels erscheint, der im Chor der Seraphim direkt auf das Angesicht des Herrn zufliegt. Die Seele ihrer Vertrauten M. steht in der Hierarchie der Engel etwas niederer, aber ihr doch noch nahe genug, um Schwester M. bei der Hand halten zu können. In einer vergleichbaren Vision des Kapitels IV, 8, in der der Klosterkonvent zusammen mit der Gemeinschaft der Heiligen zunächst vom Tisch des Herrn gespeist, danach zu einem Tanz geführt wird, heißt es abschließend: »Visa etiam est soror M. stare coram Domino, et de Corde Domini radius quidam ibat in cor ejus, propter speciale donum quod habebat amoris« (S.266). Und das 5. Buch des >Liber specialis gratiae< mit seinen Offenbarungen über verstorbene Gläubige widmet schließlich das 3. Kapitel »De anima sororis Mechtildis« (S. 320) einer »soror M.« (S.320), die in Gestalt einer schönen Jungfrau ihre Verklärung erwartet. Während in diesem Fall eine Identifizierung mit Mechthild von Magdeburg nicht erwogen worden ist, vermutet man in jener Schwester Mechthild, deren Krankheit, Sterben und freudige Einkehr in das Reich ihres göttlichen Bräutigams im folgenden 6. Kapitel beschrieben wird, wieder die Verfasserin des f l i e ßenden Lichts der GottheitLiber specialis gratiae< bietet demnach eine Reihe von Hinweisen auf eine bzw. mehrere Schwestern M. bzw. Mechthild, die an die Präsenz der Autorin des fließenden Lichts der Gottheit< denken lassen. Allerdings sind diese Anspielungen so unspezifisch, daß sie für uns wenig hilfreich sind. Es werden zwar besondere Gaben der Liebe bzw.
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>Liber specialis gratiaeLiber specialis gratiaeLegatus divinae pietatisDas Fließende Licht der Gottheit< gemeint wären, dann würde dies die im Konvent geachtete Stellung dieser Mechthild von Magdeburg als Visionärin und Autorin zeigen. Sie gehörte dann zu den prominentesten Schwestern des Konvents, die im Gnadenwerk des Visionslebens der so berühmten Schwestern Mechthild von Hackeborn und Gertrud eine besondere Stellung einnehmen. Es bleiben jedoch Unsicherheiten, die einer unproblematischen Identifizierung entgegenstehen. Denn es ist keineswegs ausgeschlossen, daß etwa in jenem Kapitel V, 7 von Gertruds >Legatus divinae pietatis< der Tod Mechthilds von Hackeborn und damit nicht >Das Fließende Licht der GottheitLiber specialis gratiae< angesprochen wird, an dessen Entstehung wohl auch Gertrud beteiligt gewesen ist. 40 Aber selbst wenn sich diese Zweifel beseitigen ließen und in der Helftaer Literatur tatsächlich mit Schwester M. bzw. Mechthild die
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>Legatus divinae pietatisLegatusLiber specialis gratiae< formulierte Anspruch als »Lumen Ecclesiae« (S. 412) würde jedenfalls dem in Gertruds Text am Beispiel der eben verstorbenen Schwester M. erörterten Thema der streitbaren Wundermacht Gottes bestens entsprechen. Zum legitimatorischen Anspruch des >Liber specialis gratiae< vgl. die Ausführungen von Haas, Alois M . : Mechthild von Hackeborn. Eine Form zisterziensischer Frauenfrömmigkeit (1981). Wieder in: Haas, Geistliches Mittelalter, S. [373]—[391], hier S. [374]—[376].
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volkssprachige Autorin Mechthild von Magdeburg gemeint wäre, so fällt doch die Spärlichkeit der biographischen Informationen auf. Wir erfahren kaum den Vornamen, nichts von der Entstehung ihres Buches, von ihrer Vorgeschichte in der Welt und schon überhaupt nichts von einer Verbindung mit jenem Dominikaner Heinrich von Halle, der sich als ihr Beichtvater um die Redaktion der von ihr eigenhändig niedergeschriebenen geistlichen Erfahrungen gekümmert haben soll. Im >Liber specialis gratiae< wird hingegen ein Dominikaner »frater N.« (S. 329) neu eingeführt, der sich in besonderer Weise an den der Schwester Mechthild erwiesenen Gnadengaben Gottes erfreut habe. Im deutschen Text findet er wiederum keinerlei Erwähnung. Die Auffassung von der bedeutenden Rolle, die Heinrich von Halle für Mechthild als Seelsorger und für ihren Text als ordnender Bearbeiter gehabt habe, kann sich wiederum nur auf die Meister-Heinrich-Bemerkungen des f l i e ß e n d e n Lichts der Gottheit< sowie seine in der lateinischen Fassung behauptete Autoren- bzw. Redaktor-Tätigkeit stützen - eine nicht nur sehr schmale, sondern auch ausgesprochen ungesicherte Basis. Und es fragt sich, ob die Vorstellung eines engen Zusammenwirkens Mechthilds von Magdeburg mit ihrem dominikanischen Berater Heinrich von Halle nicht eher zu den Mythen einer Mystikforschung gehört, die die Entstehung frauenmystischer spiritueller Erfahrungstexte vornehmlich unter dem Gesichtspunkt einer Kooperation der begnadeten Frauen mit ihren Seelsorgern gesehen hat. Wie Texte auch unabhängig von den Aktivitäten und Einwirkungsmöglichkeiten der Seelsorger entstehen können, zeigen die lateinischen Werke über das spirituelle Leben der Helftaer Schwestern Mechthild von Hackeborn und Gertrud, die beide offenbar eine Gemeinschaftsarbeit mehrerer Schwestern sind. Mechthilds >Liber specialis gratiae< ist —nach textinternen Angaben- 4 1 das Werk von zwei ungenannten Schwestern, die zunächst heimlich, später in engem Kontakt mit Mechthild das von ihr Berichtete aufzeichnen. In einer der beiden Schreiberinnen vermutet man Gertrud, da bei dem Bericht von Mechthilds Tod, der nahezu wörtlich mit einer entsprechenden Passage in Gertruds >Legatus divinae pietatis< übereinstimmt, eine ungenannte, durch ihre besondere Zuneigung zu Mechthild hervortretende Schwester eben jene Visionen und Gnadenerfahrungen hat, die im >Legatus< der Protagonistin Gertrud 41
Vgl. die zahlreichen und extensiven Angaben zur Textentstehung im >Liber specialis gratiaec II, Kap. 31: »De potentia amoris« (S. 176-177); II, Kap. 43: »De nomine et utilitate hujus libri« (S. 192f.); V, Kap.22: »Die veritate hujus libri, videlicet specialis gratiae« (S. 354); V, Kap. 24: »Qualiter hie liber sit provisus« (S. 356-357); V, Kap. 31: »Gratiarum actio pro completione istius libri« (S. 369-370).
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zugewiesen sind. 42 Dazu gehört auch ihr Versuch, die Vision ihrer durch die heiligen Dünste der sterbenden Schwester bewirkten eigenen Reinigung aus Demut zu verheimlichen. 43 Als ihr aber Gott jede weitere Offenbarung über die himmlischen Auszeichnungen der sterbenden Schwester Mechthild verweigert und sie diese >Blindheit< zurecht auf ihr Schweigen zurückführt, verspricht sie, in Zukunft das Geschaute zur Ehre Gottes und als Hilfe für die Menschen zu verbreiten. Das Ergebnis wäre dann Gertruds Bericht über Mechthilds heiligmäßiges Sterben, wie er - gemeinsam mit anderen Schwestern - im >Liber specialis gratiae< und dem >Legatus divinae pietatis< zusammengestellt ist. Sicher ist freilich nur, daß in beiden Texten dasselbe Material über Mechthilds Tod - einmal ausdrücklich auf Gertrud, das andere Mal auf eine ungenannte Schwester bezogen— verarbeitet worden ist. Daß deshalb eine der Schreiberinnen des Mechthild-Buches die Heilige Gertrud gewesen sein muß, scheint mir weniger gesichert und zwingend zu sein. Wie dem auch sei, das von zwei ungenannten Schreiberinnen zunächst ohne Mechthilds Kenntnisse verfaßte Buch verbleibt nicht in diesem Dunkel einer geheimen Textentstehung, sondern erhält - w i e Alois Haas 44 gezeigt h a t - eine ungewöhnlich breite Legitimationsbasis. Denn nachdem Mechthild von seiner Existenz erfahren hat und sich bestürzt an Gott wendet, versichert er ihr, daß das Geschriebene aus seinem Herzen geflossen sei, der Titel Ü b e r specialis gratiae< von ihm stamme, und er dieses Buch vor Irrtümern und Verstümmelungen bewahren werde. 45 Nun wird auch Mechthild in den Schreibprozeß eingeschaltet: die beiden Schwestern zeigen ihr das Geschriebene und sie bittet bei strittigen Fragen Gott um Bestätigung des Erlebten. Aber auch die institutionelle Seite des Konvents bleibt nicht ausgespart, denn das Buch ist - wie es heißt - nicht aus eigenen Erwägungen und in Anmaßung der Schreibenden, sondern »consilio et praecepto Domnae Abbatissae suae 42
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Vgl. die im >Liber specialis gratiae< und »Legatus divinae pietatis< parallelen Berichte über Mechthilds Tod: »Liber specialis gratiaec Buch VII, Kap. 1 - 9 (S. 3 9 1 - 4 0 3 ) >Legatus divinae pietatisc Buch V, Kap. 4 (S. 5 2 3 - 5 3 6 ) . Zur Beteiligung Gertruds an Mechthilds >Liber specialis gratiae< vgl. die kommentierenden Bemerkungen in den Ausgaben und Ubersetzungen sowie die neuesten Darstellungen im Verfasserlexikon: Grubmüller, Klaus: Gertrud von Helfta. In: Verf. Lex. III ( 2 1980), S p . 7 - 1 0 , hier Sp. 10; Schmidt, Margot: Mechthild von Hackeborn. In: Verf. Lex. VI ( 2 1985/86), Sp. 2 5 1 - 2 6 0 , hier Sp.252. >Liber specialis gratiaec Buch VII, Kap. 7 (S. 398f.) - >Legatus divinae pietatisc Buch V, Kap. 4 (S.528f.). Haas, Mechthild von Hackeborn, S. [374]-[376], >Liber specialis gratiaec Buch V, Kap. 31 (S. 369f.) und schon vorher Buch V, Kap. 22 (S. 3 5 3 - 3 5 5 ) .
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et consensu Praelati sui« (S. 369) fertiggestellt worden. Damit wird im Bereich der Textentstehung ein breites Spektrum an Begründungen und Konstellationen vorgeführt: die heimlichen Aufzeichnungen einiger Schwestern, die nachträgliche Mitarbeit der Visionärin, der Auftrag der Äbtissin, die Approbation der Ordensoberen und schließlich das durchgehende Interesse Gottes an der Veröffentlichung seiner Gnadengaben und Offenbarungen. U m so auffallender ist dabei das Fehlen eines Seelsorgers, der sich um die Niederschrift von Mechthilds spirituellen Erfahrungen als Berater, Förderer, Redaktor oder sogar Schreiber gekümmert hätte. In Helfta scheinen demnach die Vitentexte im Kreis der Schwestern, d.h. ohne eine Beteiligung der Beichtväter des Konvents entstanden zu sein. Dieses Zusammenwirken der Schwestern zeigt sich auch an Gertruds >Legatus divinae pietatisc der Hauptteil dieses Werks, vor allem das 1. Buch, ist der Bericht einer Mitschwester, die sich als Augenzeugin des Gnadengeschehens um Gertrud vorstellt 46 und - offenbar mit deren Wissen, ja sogar auf ihre Anweisung hin bzw. nach ihrem D i k t a t - die Gnadenerfahrungen und die in Offenbarungen bezeugten Belehrungen der Visionärin niederschreibt. N u r im zweiten Buch sind Ich-Berichte zusammengestellt, Gnadenerfahrungen, Gebete und Danksagungen, die Gertrud - wenn wir der Vorbemerkung f o l g e n - seit dem Gründonnerstag im 9. Jahr nach ihrer ersten großen Vision auf eine stets mitgeführte Wachstafel aufgezeichnet hat. 47 Auch hier übernimmt Gott die Verantwortung für das Buch: er habe der Visionärin die Gnaden eingeflößt, das Erfahrene geordnet, der Zuhörerin das Gedächtnis gestärkt und beim Schreiben die Hand geführt. N u n wolle er dieses Buch auch in Zukunft vor Irrtümern bewahren. 48 Die Entstehungsgeschichte verbleibt auch hier ganz im Bereich der Schwestern. Eine Beteiligung der Seelsorger, die in die Sterbeberichte und Fürbitten des 5. Buches einbezogen sind, wird nicht erwähnt. Die Helftaer Literatur bietet reiche Informationen über die Spiritualität des Konvents im 13. Jh., über das Gebetsleben, die Klosterdisziplin und die spirituellen Beziehungen zu Personen und Institutionen außerhalb des Klosters. In diesem Zusammenhang erfahren wir auch von der Präsenz dominikanischer Seelsorger, die offenbar an dem Gnadenleben 46 47
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»Legatus divinae pietatisc »dixit ad Dominum, me audiente« (Doyere, I, 13, S. 192). >Legatus divinae pietatisFließende Licht der Gottheit< setzt andere Akzente. Auch im Bereich der Seelsorger-Thematik zeigen sich diese Unterschiede, denn Mechthild von Magdeburg aktualisiert den Topos des Schreibbefehls, der dem bihter bei der Entstehung ihres Textes eine 49
Z u den tiefgreifenden Unterschieden zwischen dem f l i e ß e n d e n Licht der Gottheitgruosses< das auslösende M o m e n t « (S. 146) ist, und Mechthild von H a c k e b o r n , deren »geistliche E r f a h r u n g dem öffentlichen, kirchlichen Gebet, d e m O f f i z i u m « (S. 146) entspringt, vgl. neuerdings Schmidt, M a r g o t : Elemente der Schau bei Mechthild von M a g d e b u r g u n d Mechthild v o n H a c k e b o r n . Z u r B e d e u t u n g der geistlichen Sinne. In: F r a u e n m y s t i k im Mittelalter, S. 1 2 3 - 1 5 1 , hier S. 145f. D a ß allerdings hinter diesen thematischen Unterschieden tatsächlich eine - wie B y n u m in ihrem perspektivenreichen B a n d : J e s u s as M o t h e r , S. 1 7 0 - 2 6 3 , v e r m u t e t - gesellschaftsgeschichtlich begründete K l u f t z w i s c h e n den selbstbewußt auftretenden und sich auch pastorale A u f g a b e n der Geistlichen zuweisenden Zisterzienserinnen von H e l f t a einerseits und der eher vorsichtigen, die exklusive D o m i n a n z der Geistlichen als Seelsorger und Sakramentenspender nicht antastenden Begine Mechthild v o n M a g d e b u r g andererseits steht, scheint mir nicht erwiesen z u sein; vgl. d a z u die Ü b e r l e g u n g e n o b e n S . 6 5 f f .
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entscheidende Rolle zuweist. Sie ordnet sich damit in eine andere Tradition der Selbstdarstellung ein, in der der Kontakt mit dem Seelsorger offenbar von zentraler Bedeutung ist. Aber auch ihr Text kennt noch nicht die dominante Figur des Beichtvaters, der als Seelsorger die Spiritualität der mulier religiosa begleitet und als Initiator, Berater und Förderer ihr Schreiben ganz wesentlich beeinflußt. Erst in der Vitenliteratur der süddeutschen Dominikanerinnen des 14. Jhs. ist dies ein prägnantes Thema.
3. Die dominikanischen Nonnenbücher des 14. Jahrhunderts Tatsächlich scheinen sich in der dominikanischen Nonnenliteratur des 14. Jhs. die Verhältnisse grundlegend gewandelt zu haben. Wir kennen hier die berühmten Paare Heinrich Seuse und Elsbeth Stagel bzw. Heinrich von Nördlingen und Margarethe Ebner, die sich offenbar gemeinsam um die Entstehung und Verbreitung mystischer Vitentexte bemüht haben. Auch Christine Ebner und Konrad von Füssen, vor allem aber der ungenannte schreibende Bruder eines ihrer Lebensberichte wären hier zu nennen. Die Informationen, die wir in den einzelpersönlichen Gnadenviten über die Beziehungen dieser Seelsorger zu den begnadeten und schreibenden Dominikanerinnen haben, vermitteln den Eindruck, als habe in jenen literarisch aktiven Frauenkonventen des 14.Jhs. gerade der vertraute Umgang anspruchsvoller Seelsorger mit einzelnen prominenten Mitgliedern der ihnen anvertrauten Konvente, ihre spirituelle Unterweisung und schließlich nicht zuletzt ihr Interesse an den Gnadenerlebnissen dieser Frauen deren literarische Aktivitäten zumindest sehr gefördert, wenn nicht sogar überhaupt erst initiiert. Möglicherweise sind jedoch die Angaben der Gnadenviten, aber auch der Briefe eines Heinrich von Nördlingen oder Heinrich Seuse über die Entstehung der mystischen Vitenliteratur zu sehr an den Einzelfall gebunden, als daß von ihnen generalisierbare Aussagen über die Existenz und lebensweltlichen Hintergründe dieser literarisch produktiven Beziehungen von Beichtvater und begnadeter Schwester zu erwarten sind. Sie bedürfen erst einer genauen Überprüfung. Demgegenüber scheinen die Nonnenbücher süddeutscher Dominikanerinnen des 14. Jhs. mit ihren auf den gesamten Konvent bezogenen Sammlungen von Kurzviten begnadeter Schwestern eher ein repräsentatives Bild von der Seelsorgepraxis und Spiritualität ambitionierter Dominikanerinnenkonvente zu bieten. Denn sie berichten von dem 129
asketischen und begnadeten Leben, den Übungen, Visionen und Entrückungen der Schwestern eines Konvents, von den Wundern bei und nach ihrem Tod und bieten durch die Vielzahl an Einzelberichten eine eindrückliche Vorstellung von der spirituellen Atmosphäre eines gesamten Konvents, die sich aus einer Reihe detaillierter Einzelszenen aus dem spirituellen Leben der Schwestern zusammensetzt. Dabei beziehen sich zahlreiche Episoden auf den Klosteralltag, zumal den Bereich der geistlichen Betreuung der Schwestern. Deshalb ist zu erwarten, daß hier die Beichtväter, möglicherweise auch ihre herausragende Bedeutung bei der schriftlichen Fixierung des spirituellen Lebens der Schwestern eine besondere Beachtung finden. Erstaunlicherweise spielen jedoch die Seelsorger in den Nonnenbüchern eine mehr als untergeordnete Rolle: in den meisten Fällen werden sie nur als Statisten der eigentlichen Gnadenhandlung erwähnt, wenn sich etwa einzelne Frauen an ihren Seelsorger wenden: so Anna von Seiden, die Priorin von Adelhausen, die ihren Seelsorger um die Deutung ihrer Gesichte bittet, 50 oder Elisabeth von Beggenhofen in Oetenbach, die sich mit ihren »peichtiger (...) und ander prediger und von andern ördenen weis pfaffen« 51 über die ihr von Gott auferlegten verborgenen Leiden berät. Die Beichtväter sind demnach durchweg präsent. Das zeigt auch die im Kirchberger Nonnenbuch eingefügte Vita des Beichtvaters Walther,52 der mit jungen Jahren zu den Dominikanerinnen von Kirchberg kam und bis zu seinem Tod ihr bevorzugter Beichtvater war. Gelegentlich wird bei den Seelsorgern auch eine gewisse Vertrautheit zu den Schwestern deutlich: so etwa im Falle der Adelhauser Priorin Mechthild Tüschelin, die an der freundlichen Art ihres Seelsorgers im Beichtgespräch Gefallen findet, aber nach einer Vision, in der sie mitansehen muß, wie aus einem Kästchen ihr »das beste vnd das liebste kleinot« (S. 162), nämlich ihr »hertzen minne« (S. 162), verschwindet, sofort wieder ihr >Herz< von diesem Seelsorger und anderen Menschen abzieht. Jedenfalls sind die Beichtväter über das Gnadenleben der einzelnen Schwestern informiert und werden deshalb - wie im Falle der Anna von Ramswag in Katharinental- 53 von den Schreiberinnen 50
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Adelhausen: »Also ingetruckt w z ir die gesicht, vnd do si zu ir selben kam, da fraget si iren bichter, ob ir recht oder vnrecht were?« (S. 154). Oetenbach, S. 263. Es geht hier vor allem um »gelerter leuten rat« (S.263). In diesem Zusammenhang wird auch Meister Eckhart eingeführt: »Denn ze einem mal klagte si es meister Eckhart« (S.263). Kirchberg: »Von dem heiligen vater Walther« (Roth, S. 116f.). Hugo von Stauffenberg, der Lektor des Konstanzer Dominikanerklosters, ein Verwandter Annas von Ramswag, der der Schreiberin die dogmatische Unbedenklichkeit
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befragt oder eröffnen - wie der Dominikaner Werner von Erlenbach in Unterlinden - 5 4 nach dem Tod einer Schwester deren Tochter im Beichtgespräch die »dicta« (S. 464, 23), die er, der Beichtvater der verstorbenen Schwester, in Erscheinungen nach ihrem Tod erfahren habe. Sie übernehmen jedoch in der Darstellung der Nonnenbücher keinerlei Initiative bei der schriftlichen Fixierung von Gnadenerlebnissen, Wundern und Prophezeiungen im Konvent. Diese literarischen Aktivitäten bleiben völlig den Schwestern vorbehalten: sie berichten einzelnen Mitschwestern von ihren religiösen Erfahrungen, gelegentlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit, 55 oft auch - wie in Unterlinden offiziell »per ordinem« der Priorin, 5 6 dem ganzen Konvent 5 7 oder sogar ausdrücklich - wie bei der Tösser Schwester Elsbeth B e c h l i n 5 8 - im Blick auf die Niederschrift ihrer Erlebnisse der Schreiberin, die sich um eine gewisse Vollständigkeit ihrer Aufzeichnungen bemüht und deshalb die Schwestern einzeln befragt. Dieser Schritt vom mündlichen Bericht zur schriftlichen Fixierung wird sehr unterschiedlich dargestellt. In Ausnahmefällen schreibt die begnadete Schwester - wie Willi von Konstanz in T ö ß - 5 9 eigenhändig ihre spirituellen Erfahrungen auf. In der Regel übernimmt das eine Chronistin, die alles aufschreibt, was sie bei ihren Mitschwestern selbst erlebt hat oder zumindest nachträglich in Erfahrung bringen kann. Sie befragt die betroffenen Schwestern, erkundigt sich nach ihrem Tod beim Beichtvater und den Schwestern ihrer Umgebung, 6 0 benutzt aber auch
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ihrer Gesichte bestätigt: »do sprach er: sie hat mir vil geseit von inren ubung vnd was got mit ir getan hat vnd in allem dem, das si mir ie geseit, do kande ich nie enheinen yrtum vinden won das es alles luterlich got was« (Katharinental, S. 178). Unterlinden, S. 462, 31ff. Unterlinden, S. 393, 3 3 - 3 6 ; Adelhausen: »Nieman wiste aber, wa von es wz, wann das sis einre swester heimlich verjach, das es ir alle tage bescheche...« (S. 183). Etwa Gertrud von Brugg nach einem von Gesichten begleiteten Schwächeanfall: »Hec omnia supradicta postea, uiribus receptis sibique reddita, priorisse tunc temporis secrete per ordinem patefecit« (Unterlinden, S.415, 14-16). Die Formulierung per ordinem patefacere zieht sich durch den gesamten Text. Etwa Heilwig von Rottenburg in Kirchberg, die vor ihrem Tod den Schwestern von einer Vision berichtet (Kirchberg, Roth, S. 112). Töß, S. 86, 84ff.; vgl. dazu auch unten S. 133f. Töß: »und das sy denn also gehört, das behüb sy untz das sy uns ain schon buch gemachet« (S. 48, 13f.). Vgl. etwa die genauen Angaben in den >Vitae sororum< von Unterlinden. S.398, Iff.; 410, 12ff.; im Falle der Kirchberger Schwester »Sant Werendraut« (Roth, S. 105), deren spirituelle Erfahrungen durch »Sant Irmgart« (S. 106) der Schreiberin übermittelt werden: »Was ich noch von ir geschriben hab, das sagt mir alles Sant Irmgart« (S. 106), oder die Information, die der Dominikaner Hugo von Stauffenberg über seine Verwandte in Katharinental der Schreiberin weitergibt (Katharinental, S. 178).
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- w i e die Schreiberin des Nonnenbuchs von Katharinental- 6 1 bereits schriftliche Vorlagen. Jedenfalls dokumentiert sich in diesen Angaben zur Entstehung der Lebensberichte ein ausgeprägtes Gruppenbewußtsein der Schwestern, die gemeinsam die spirituelle Vergangenheit - im Falle von Weiler sogar ausdrücklich die eigene Gegenwart - ihres Konvents festhalten. 62 An diesem Prozeß einer kollektiven Erinnerung sind viele Personen beteiligt: die begnadeten Schwestern, die ihre asketischen Übungen und religiösen Erfahrungen weitergeben, die Mitschwestern, die das Selbsterlebte und Gehörte übermitteln, und die Schreiberinnen, die quasi-offiziell diese Erlebnisse zu einer Sammlung von Kurzviten zusammenstellen. N u r gelegentlich werden auch ausgefallenere Formen der Verschriftlichung erwähnt: etwa in der - ohnehin wegen ihres Umfangs und Anspruchs den Rahmen eines Nonnenbuchs überschreitenden - IrmgardVita am Ende des Nonnenbuchs von Kirchberg, die auf heimliche Aufzeichnungen einer Schwester — sie nennt sich selbst Schwester Elisabeth - 6 3 zurückgeht. Diese Elisabeth dokumentiert am Ende der Vita die komplizierte Entstehungsgeschichte ihres Textes: zum Zeitpunkt ihres Schreibens sei sie bereits 42 Jahre im Kloster Kirchberg gewesen, davon 20 Jahre lang in einer besonders vertrauten Beziehung zu Schwester Irmgard. Auf diese Weise habe sie — vor allem während Irmgards Krankheiten - viel von den spirituellen Übungen und Gnaden dieser Schwester selbst erlebt oder zumindest von ihr erfahren, dies alles heimlich erst auf eine Tafel geschrieben, um es dann auf Pergament zu übertragen. Irmgard sei jedoch bald mißtrauisch geworden. Da sie ahnte, daß ihre Vertraute ihre Gnadenerlebnisse aufschreibe, habe sie zunächst selbst - in einer nächtlichen Aktion am Bett Elisabeths - nach den Aufzeichnungen gesucht und sie schließlich mit aller Ungeduld und Strenge beschworen, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber erst nachdem Irmgard versprochen habe, ihr die Aufzeichnungen nicht zu entwenden, habe sie, Schwester Elisabeth, das bereits Geschriebene herausgegeben. Damit beginnt - n a c h den Worten der A u t o r i n - eine enge Zusammenarbeit der beiden 61
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Katharinental: die »legend« (S. 173) der Elsbeth Heinburg oder das »schon buch« (S. 48, 14) der Tösser Schwester Willi von Konstanz. Zur Schreiberin des Nonnenbuchs von Katharinental vgl. auch die schöne Darstellung von Borst, Arno: Mönche am Bodensee. 610-1525. Sigmaringen 1978, S. 284-301. Es heißt hier, daß »man von den lebendigen, dy noch bey uns und under uns sein, auch vil möcht schreyben; sy wollen aber iren willen dar zu nit geben, daz man ihtz von yn schreib, die weil sie leben« (Weiler, S. 85). »Schwester elisabeth bin ich genant die got von den juden nam« (B-Fassung des Codex mgq 730, fol.230v).
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Schwestern, die zu einer >dritten< Version des Irmgard-Lebens führt: »da half sy mir lauterlich durch das ich es recht nach der warhait von irem mund schrib bey irem leben, also was das des drittmal das ich ditz schraib mit arbeiten« (fol. 231 v). Diese Schwester Elisabeth erweist sich als eine selbstbewußte Autorin, die - als Ohren- und Augenzeugin des Gnadengeschehens - das Gehörte und Gesehene aufzeichnet, zahlreiche redaktionelle Bemerkungen einfügt und am Ende der Vita ihr Publikum nicht nur über die verschlungene Vorgeschichte des Textes, sondern auch über ihre eigene Person informiert. Ein Beichtvater hat hier keinen Platz. Denn Irmgard erfährt ihre Gnaden im Kreis ihrer Mitschwestern, berichtet ihnen von ihren spirituellen Erfahrungen, speziell aber ihrer Vertrauten Elisabeth, die zuerst heimlich, dann in enger Kooperation mit ihr das spirituelle Leben dieser prominenten Kirchberger Schwester in mehrfacher Fassung aufgezeichnet haben will. Die Irmgard-Vita des Kirchberger Nonnenbuchs greift allerdings in ihrer Elaboriertheit weit über den Rahmen der Nonnenviten hinaus und gehört eher zu jener Gruppe sog. einzelpersönlicher Gnaden-Leben, die etwa in Engelthal mit den Texten Christine Ebners und Adelheid Langmanns vertreten sind. Elisabeths ausladende Irmgard-Vita wird demnach kaum als ein prägnantes Beispiel für die Entstehung der Lebensberichte der Nonnenbücher gelten können. In ihren Angaben über die Entstehung des Textes zeigt sie jedoch eine auffallende Parallele zu den Nonnenbüchern: die Absenz der Beichtväter, die weder das Gnadenleben der Protagonistin begleiten noch am Prozeß des Schreibens mitwirken. Denn auch die Nonnenbücher vermitteln die Vorstellung einer ausschließlich von den Schwestern selbst getragenen schriftlichen Fixierung. Hier dominiert eine konventsöffentliche und kollektive Form der literarischen Tradierung der spirituellen Vergangenheit des Konvents, an der die Beichtväter bestenfalls als Informationsquelle, nicht jedoch als Initiatoren der schriftlichen Fixierung beteiligt sind. Eine Sonderstellung nimmt dabei das Nonnenbuch von Töß mit seinen zahlreichen Hinweisen auf die Entstehung der einzelnen Lebensberichte ein. Sie konzentrieren sich vor allem in den das Textkorpus abschließenden Viten Elisabeth Bechlins und Elsbeths von Cellikon, die mit ihren profilierten Autorinnenfiguren aus dem Rahmen des VitenKorpus herausfallen. 64 Aber auch bei diesen >literarischen< Viten, in denen der Schreibprozeß sukzessive kommentiert wird, fehlen alle Hin64
Töß, S. 86, 3 0 - 9 5 , 9. Zur literarischen Sonderstellung vor allem der Bechlin-Vita vgl. Grubmüller, Viten der Schwestern von Töß, S. 197f.
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weise auf einen Beichtvater, der das spirituelle Leben der Schwestern und seine Verschriftlichung begleitet hätte. Die schreibenden Schwestern, vor allem die Verfasserin der Bechlin-Vita, stellen sich als selbstbewußte Autorinnen bzw. Redaktorinnen dar, die sich aus eigenem Antrieb dazu entschließen, »zu schriben von gütten und salgen schwestren ubung und von sunderlicher Offenbarung der gnaden, so unser her tet, der ich dik fil vor mir hört sagen« (S. 86, 32-34). Sie werden in engem Kontakt mit den begnadeten Schwestern vorgestellt, deren Übungen und Wunder sie festhalten. So begegnet etwa die alte Elisabeth Bechlin zufällig der als Ich-Person auftretenden Autorin, die sie um Informationen aus ihrem spirituellen Leben bittet. Elisabeth erkundigt sich nach dem Sinn dieser literarischen Fixierung, wird programmatisch belehrt und willigt schließlich ein, allerdings mit der Einschränkung, daß das Berichtete bis zu ihrem Tod geheim bleiben solle. 65 Auch Elsbeth von Cellikon lebt auf engem Raum mit ihrer Biographin, einer ihrer wenigen Gesprächspartnerinnen, die sie während ihrer Krankheit und im Alter als ihre Dienerin bis zu ihrem Tod versorgt. Diese »schwester die dis alles von ir schraib« (S. 91, 21f.) ist, wenn wir nicht - wie Grubmüller als Möglichkeit andeutet - mit einer erst nachträglich auf Elsbeth Stagel bezogenen »verdeckten Selbstnennung« (S. 198, Anm. 4) der Autorin rechnen müssen, die »salge schwester Elsbeth Staglin« (S. 93, 5), auf deren Materialien sich dann die ungenannte Bearbeiterin stützt. Sie ist eine der prominentesten Dominikanerinnen, die in der Seuse-Forschung eine besondere Rolle spielt, weil auf ihre Initiative die Entstehung von Seuses >Vita< zurückgeführt wird. 66 Sie sei durch den intimen spirituellen und freundschaftlichen Kontakt mit ihrem Beichtvater Heinrich Seuse so sehr zur literarischen Produktion angeregt worden, daß sie zunächst die asketischen Bemühungen und göttlichen Wunder ihrer Mitschwestern in Töß aufgezeichnet, dann aber auch die Erzählungen ihres Seelsorgers Heinrich Seuse über seinen langen und beschwerlichen spirituellen Weg der Askese, Anfechtungen und Begnadungen niedergeschrieben habe. Diese Informationen stammen allerdings nicht aus dem Tösser Nonnenbuch - hier bleibt Elsbeth Stagel als Verfasserin der Bechlin-Vita strikt in die Schwesterngemeinschaft eingebunden-, sondern vor allem aus Seuses >Vita< und aus der Vorrede bzw. der Stagel-Vita, die Johannes Meyer bei seiner Bearbeitung der Tösser Viten im Jahre 1454 auf der Basis der 65 66
Töß, S. 86, 3 4 - 8 7 , 26. Zur Frage der literarischen Kooperation von Elsbeth Stagel und Heinrich Seuse vgl. unten S. 135ff. Elsbeth Stagel als Autorin des Tösser Nonnenbuchs steht auch im Zentrum des Interesses von Opitz, » . . . zu schriben von gutten und selgen schwestren uebung«.
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Angaben im Seuse-Buch als eine Art biographische Einführung der Vitensammlung vorangestellt hat. 67 Mit Seuses >Vita< betreten wir allerdings den Bereich der einzelpersönlichen Lebensberichte, die möglicherweise ein von den Nonnenbüchern abweichendes Bild von der Spiritualität der Schwestern, der Bedeutung der Seelsorger und den Hintergründen der Entstehung geistlicher Lebensberichte in diesen Konventen vermitteln.
4. Heinrich Seuse und Elsbeth Stagel: die Entstehung von Seuses >Vita< Die Vorstellung eines engen Zusammenwirkens Elsbeth Stagels mit ihrem Seelsorger Heinrich Seuse ist an Seuses >Vita< bzw. an die Sammlung seiner Schriften im sog. >Exemplar< gebunden. Hier wird an mehreren Stellen das Verhältnis Seuses zu seiner geistlichen Tochter angesprochen, der eine ganz entscheidende Rolle nicht nur für die Entstehung der >Vita< und Seuses Briefsammlungen, sondern auch im Rahmen der Lebensbeschreibung selbst zugewiesen wird. Denn der zweite Teil der >Vita< konzentriert sich immer deutlicher auf den spirituellen Weg der geistlichen Tochter, der sich in ausladenden Lehrgesprächen zwischen Seuse, dem Diener der ewigen Weisheit, und seiner geistlichen Tochter entfaltet. Von besonderem kulturhistorischen Interesse sind freilich die im >Exemplar< verstreuten biographischen Angaben zum Leben dieser Schwester. Sie beschränken sich auf einige wenige Partien: den >ExemplarVitaVitaBriefbüchleinExemplarExemplarsVita< entwirft schließlich eine nicht unkomplizierte Entstehungsgeschichte des Textes: »ein brediger in tutschem lande, von geburt ein Swabe« (S. 7, 2f.), die Hauptperson dieses Lebensberichts, habe einen »heiligen erluhten menschen« (S. 7, 5), eine Frau, kennengelernt, die ihn über sein spirituelles Leben ausgefragt, davon »trost und wisung« (S. 7, 12) erhalten und deshalb das Gehörte - allerdings ohne sein Wissen aufgeschrieben habe, sich und anderen Menschen zur Hilfe. Seuse habe von diesem »geischlichen dupstal« (S. 7, 15) erfahren, sie getadelt, das bereits Geschriebene herausgefordert und verbrannt. Als er auch den zweiten Teil habe verbrennen wollen, sei ihm dies von Gott verboten worden. Auf diese Weise habe sich dieser Teil erhalten, der nach dem Tod der geistlichen Tochter von ihm durch Lehrpartien »in ir person« (S. 8, 3) ergänzt worden sei. Während der >VitaExemplarsBriefbüchleinExemplar< und vor allem die >Vita< vermitteln demnach das eindrucksvolle Bild eines engen und vertrauten Zusammenwirkens von Seuse und der Tösser Dominikanerin Elsbeth Stagel, die als geistliche Tochter ihren Seelsorger durch ihre spirituelle Entwicklung zu einer kontinuierlichen und systematischen Lehre animiert und zugleich als literarisch aktive Schwester eines anspruchsvollen Konvents die literarische Fixierung und Tradierung seiner Werke übernimmt. Das hat dazu geführt, daß in der Forschung zur >Vita< Heinrich Seuses bei der Frage ihrer Echtheit diese Aussagen über die Rolle Elsbeth Stagels für die Verschriftlichung von Seuses Lebenserinnerungen von besonderer Bedeutung gewesen sind. 69 Inzwischen ist jedoch der ideologische An69
Während etwa noch Vetter, Ferdinand: Ein Mystikerpaar des vierzehnten Jahrhunderts. Schwester Elsbeth Stagel in Töss und Vater Amandus (Suso) in Konstanz. Vortrag gehalten im Ratshaussaale zu Bern. Basel 1882, noch keine Bedenken hinsichtlich Stagels Anteil an der Entstehung von Seuses >Vita< hatte, galten schon bald gerade die Prologe mit ihren Angaben zur Zusammenstellung des >Exemplars< bzw. der >Vita< als verdächtige Partien, die auf einen Fälscher verweisen: vgl. etwa die Argumente bei Rieder, Karl: Besprechung von K. Bihlmeyers Seuse-Ausgabe, in: Göttingische gelehrte Anzeigen Jg. 171 (1909), S. 4 5 0 - 5 0 0 , hier S. 4 8 3 - 5 0 0 ; Lichtenberger, Henri: Le mystique Suso. L'QEuvre de Suso. In: Revue des Cours et Conferences. Annee scolaire 18, 2 (1909/10), S. 6 0 0 - 6 1 2 ; Ders., Le mysticisme allemand. La vie de Suso. In: Ebda., 19, 1 (1910/11), S. 7 3 - 8 1 ; Examen critique de la Vie. In: Ebda., S. 1 5 5 - 1 6 7 ; Inauthenticite de la Vie de Suso. In: Ebda., S . 2 0 3 - 2 2 8 ; Ancelet-Hustache, Jeanne: Le probleme de l'authenticite de la vie de Suso. In: La Mystique Rhenane. Colloque de Strasbourg 1 6 - 1 9 mars 1961. Paris 1963, S. 1 9 3 - 2 0 5 . Demgegenüber hat man - w i e der Herausge-
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spruch des ganzen Themas »geistliche Tochter< für die Lehre der >Vita< erkannt worden. Bereits Walther Muschg 70 war auf die Verherrlichung Elsbeth Stagels in Seuses >Vita< aufmerksam geworden, die durch das >Briefbüchlein< noch verstärkt werde. Er hatte deshalb vermutet, daß das >Exemplar< mit seinen biographischen Informationen über die Entstehung von Seuses Werken im Kloster Töß zusammengestellt worden sei. Dies würde die Namensnennung in der >Vita< und den beiden Briefen des >Briefbüchleins< erklären, nicht aber das für die >Vita< zentrale Thema des Zusammenwirkens von Seelsorger und geistlicher Tochter. Hier geht die neuere Forschung ein Stück weiter, wenn sie die programmatische Seite dieses Verhältnisses betont: Christine Pleusner 71 weist etwa der >Vita< im Rahmen des >Exemplars< den Status einer A r t autobiographischen Prologs zu Seuses Werken zu, in dem die Lehre vom mystischen Weg des Menschen zu Gott in zwei Varianten - d e m eigenen Lebensweg des Meisters und dem der geistlichen Tochter- vorgeführt werde. Die merkwürdige Entstehungsgeschichte aktualisiere den gerade in der Vitenliteratur zentralen Gedanken der christlichen Demut, da hier der A k t des Schreibens auf eine Hauptautorin verlagert werde, die die »anstößige Subjektivität« (S. 139) von Seuses Lebensdarstellung verdecke. Ahnlich
70
71
ber Karl B i h l m e y e r - immer wieder versucht, zumindest die Beteiligung der beiden Protagonisten, Seuses und Elsbeth Stagels, an der >Vita< zu erweisen: vgl. etwa die Überlegungen bei Planzer, D . M . : Das Horologium Sapientiae und die Echtheit der Vita des seligen Heinrich Seuse Ο. P. In: AFP 1 (1931), S. 180-231; Senn, Reinhard: Die Echtheit der Vita Heinrich Seuses. Berlin 1930 (Sprache und Dichtung 45); Thimme, Wilhelm: Uber Verfasserschaft und Zuverlässigkeit der Vita H. Seuses. In: Theologische Studien und Kritiken 103 (1931), S. 371-428; am dezidiertesten Gröber, Conrad: Der Mystiker Heinrich Seuse. Die Geschichte seines Lebens. Die Entstehung und Echtheit seiner Werke. Freiburg 1941, der der Lebensdarstellung Seuses in der >Vita< in allem folgt, lediglich in Einzelfällen eine gewisse »Freiheit der Gestaltung« (S. 152) zugesteht. Erst Schwietering, Julius: Zur Autorschaft von Seuses Vita (1960). Wieder in: Altdeutsche und altniederländische Mystik, S. 309-323, und Misch, Georg: Geschichte der Autobiographie. Vierter Band. Erste Hälfte. Dritter Teil: Das Hochmittelalter in der Vollendung. Aus dem Nachlaß hrsg. von Leo Delfoss. Frankfurt 1967, S. 2 1 3 - 3 1 0 , haben sich dieser Diskussion entzogen und die literarischen Konturen des Seuse-Textes betont. Und Ruh, Kurt: Altdeutsche Mystik. Ein Forschungsbericht. In: W W 7 (1956/57), S. 135-147; 2 1 2 - 2 3 1 , hier S.222, hat schließlich den fiktionalen Charakter der Elsbeth Stagel-Aussagen erwogen. An diese Überlegungen knüpft die neuere Forschung, vor allem Grubmüller, Viten der Schwestern von Töß, S. 195ff., an. Muschg, Mystik in der Schweiz, S. 2 5 2 - 2 7 0 ; ähnlich auch Cognet, Louis: Gottes Geburt in der Seele. Einführung in die deutsche Mystik. Geleitwort von Alois M. Haas. Freiburg, Basel, Wien 1980, S. 127f. Pleusner, Christine: Tradition und Ursprünglichkeit in der Vita Seuses. In: Heinrich Seuse. Studien zum 600. Todestag 1366-1966. Gesammelt und hrsg. von Ephrem M . Filthaut. Köln 1966, S. 135-160. 138
argumentiert Anna-Marie Holenstein-Hasler, 72 die in den beiden Protagonisten Heinrich Seuse und Elsbeth Stagel aussagekräftige Rollenfiguren eines geistlichen Programms für Nonnen sieht: die vorbildliche Gemeinschaft zwischen Lehrer und Schülerin, die - i n Analogie zur Gnade der Eucharistie- auch die Leser bzw. Hörer einbeziehe. Denn der spirituelle Weg des Dieners der ewigen Weisheit erfülle sich im Bericht seines Lebens, der wiederum die geistliche Tochter zur Vervollkommnung ihrer spirituellen Tugenden ermuntere. Auf diese Weise seien Seuse und Elsbeth Stagel als Prototypen eines erfolgreichen Seelsorgers und einer vollkommenen geistlichen Tochter in die Lehre der >Vita< eingebunden, die ihrem Nonnenpublikum am Lebensbeispiel der beiden vorführe, wie die Lehre eines geistlichen Vaters zu befolgen sei. Damit erfahren auch die Angaben der >Vita< über Elsbeth Stagels literarische Aktivitäten eine neue Bewertung. Denn sie informieren dann weniger über den faktischen Entstehungsprozeß der >Vita< als über die Bedeutung, die nach der Darstellung der >Vita< dem hagiographischen Schreiben im Prozeß der eigenen Begnadung zugewiesen wird. Elsbeth Stagels Autorinnenrolle als Kompilatorin von Seuses Werken scheint demnach in erster Linie zur Didaxe der >Vita< und zur biographischen Konkretisierung zu gehören. Daneben verweist sie aber auch auf die Tösser Nonnenviten, in denen Elsbeth Stagel ebenfalls als Hagiographin genannt wird. Diese Verbindungen hat Klaus Grubmüller untersucht und dabei gezeigt, daß die Vorstellung, Elsbeth Stagel sei die Verfasserin des Tösser Nonnenbuchs, ausschließlich auf Seuses >Vita< zurückgeht, um dann in der Mitte des 15.Jhs. von Johannes Meyer in seine aus Informationen der >Vita< kontaminierten Elsbeth-Stagel-Vita des Tösser Nonnenbuchs übernommen zu werden. 73 Im Viten-Korpus von Töß wird Elsbeth Stagel lediglich in der Elsbeth von Cellikon-Vita erwähnt. Sie ist hier jene vertraute Schwester, die die kranke Elsbeth von Cellikon versorgt und »dis ales von ir schraib« (S. 93, 5). Ihre Aufzeichnungen über das Leben der Elsbeth von Cellikon hat dann offenbar die ungenannte Redaktorin der uns erhaltenen Fassung verwendet. Elsbeth 72
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Hohenstein-Hasler, Anna-Marie: Studien zur Vita Heinrich Seuses. In: Z S K G 62 (1968), S. 1 8 5 - 3 3 2 . Wie sehr sich inzwischen diese Einschätzung durchgesetzt hat, zeigt auch der Hinweis von Haas, Alois M.: Die deutsche Mystik im Spannungsbereich von Theologie und Spiritualität. In: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit. Symposium Wolfenbüttel 1981. Hrsg. von Ludger Grenzmann und Karl Stackmann. Stuttgart 1984 (Germanistische Symposien Berichtsbände 5), S. 6 0 4 - 6 3 9 , der ohne Kommentar von einer »literarischen Rollenfiktion« (S. 628) spricht. Grubmüller, Viten der Schwestern von Töß, S. 195ff.
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Stagel spielt demnach im Tösser Nonnenbuch keine prominente Rolle. Sie ist allerdings - neben Willi von Konstanz - eine der wenigen Schwestern, die hier überhaupt als Schreiberinnen namentlich genannt werden. Erst in Seuses >Vita< fungiert sie als Verfasserin des ganzen Buchs der Tösser Viten. Klaus Grubmüller hat deshalb - wie ich meine zu Recht gefragt, ob nicht der Gedanke von Elsbeth Stagels Autorinnen-Rolle auf die spärlichen Hinweise der Cellikon-Vita des Tösser Nonnenbuchs zurückgehe, in Seuses >Vita< zur »fiktionalen Rahmung der Seuse-Biographie« (S. 202) aufgegriffen und hier zum Bild einer schreibenden geistlichen Tochter amplifiziert worden sei. Jedenfalls habe sich zur biographischen Konkretisierung des Konzepts einer gebildeten geistlichen Tochter die berühmte Tösser Nonne, die bereits im Nonnenbuch als eine schreibende Schwester vorgestellt worden sei, besonders angeboten. Die Hintergründe des Elsbeth-Stagel-Komplexes in Seuses >Vita< werden sich nicht restlos klären lassen. Für eine Herkunft der Stagel-Figur aus dem Tösser Nonnenbuch bzw. aus der Cellikon-Vita sprechen jedoch die auffallende Abfolge und Verteilung der Informationen über diese Schwester im >Exemplar< bzw. der >VitaExemplar-< bzw. >VitaVita< überhaupt nur an dieser Stelle namentlich genannt wird. Die Elsbeth Stagel der Seuseschen >Vita< scheint demnach nicht unabhängig von der im Tösser Nonnenbuch angesprochenen schreibenden Schwester der Cellikon-Vita zu existieren. Auch die Nennung Elsbeth Stagels als Adressatin von Seuses Briefen verweist auf eine an die >Vita< bzw. das >Exemplar< gebundene sekundäre biographische Konkretisierung. Denn Elsbeth Stagel begegnet als Empfängerin nur im 3. und 8. Brief des >BriefbüchleinsExemplar< zusammengestellten und bearbeiteten Auswahlsammlung von Seuses im >Großen Briefbuch< versammelten Sendschreiben. Diese sind offenbar eigens für das >Exemplar< umgearbeitet und thematisch auf 140
Seuses Werke, vor allem auf die >Vita< ausgerichtet worden. In diesem Zusammenhang ist auch die Adressatin Elsbeth Stagel zu sehen. Das zeigt sehr deutlich der 3. Brief des >BriefbüchleinsGroßen BriefbuchGroßen Briefbuchs< keine spezielle Empfängerangabe aufweist, ist der entsprechende >ExemplarBriefbüchleins< an Elsbeth Stagel gerichtet. Die Tösser Nonne taucht also namentlich erst in einer gekürzten >ExemplarVita< anlehnt, ja sogar - das verdeutlicht die lapidare Schlußbemerkung über das Fußtuch, das der Briefschreiber seiner geistlichen Tochter gerne zugesandt hätte 7 5 - ohne den Kontext der >Vita< nicht verständlich ist. Die namentliche Nennung der Tösser Schwester in den Briefen würde demnach zu jener durch die Zusammenstellung der Werke Seuses zum >Exemplar< erreichten Bearbeitungsschicht gehören, bei der Seuses Sendbriefe die >VitaVita< konzipierten Lehrer-Schülerin-Verhältnisses. Das prominente Paar Heinrich Seuse und Elsbeth Stagel dokumentiert - ähnlich wie Jakob von Vitry und Marie von Oignies - in erster Linie eine Lehre. Während bei Jakob von Vitry und Marie von Oignies das Legendenmotiv einer Umkehrung etablierter Rollen das Verhältnis des berühmten Kirchenmannes zu der ungebildeten mulier sancta aus Nivelles bestimmt, erweitert Seuses >Vita< die Situation des Lehrgesprächs zu dem zentralen Thema einer auf Lebensberichten basierenden Lehre, die sich lebensweltlich-biographisch in der vertrauensvollen Beziehung des Dieners der ewigen Weisheit zu seiner in ihren spirituellen Bestrebungen anspruchsvollen geistlichen Tochter Elsbeth Stagel verwirklicht. Abwei74
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12. Brief des »Großen Briefbuchsc S.440, 6; 442, 9; 29; 443, 4 und 22 - 3. Brief des >BriefbüchleinsBriefbüchleinsVitaVitaVita< das Schreiben ganz unmittelbar in jenen Gnadenprozeß eingebunden, der sich in den Lebenswegen des Dieners und seiner geistlichen Tochter dokumentiert. Dennoch nimmt diese Thematik in Seuses >Vita< mit den wenigen Bemerkungen über die Vorgeschichte der Entstehung dieses Textes noch eine Randstellung im Rahmen der Beichtvater-geistliche Tochter-Thematik ein. Dies ändert sich mit den Texten Margarethe Ebners und Christine Ebners, da hier dieser Themenkomplex ganz im Zeichen der Verschriftlichung von Gnadenerlebnissen steht.
5. Margarethe Ebner und Heinrich von Nördlingen: eine erfolgreiche literarische Zusammenarbeit? Mindestens ebenso berühmt wie das Thema der spirituellen Freundschaft Heinrich Seuses zu der Tösser Dominikanerin Elsbeth Stagel und ihrer gemeinsamen Bemühungen um Seuses >Vita< ist in der Forschung das Zusammenwirken des Weltgeistlichen Heinrich von Nördlingen und der Medinger Nonne Margarethe Ebner, wie es in Margarethes >Offenbarungen< und den Briefen Heinrichs von Nördlingen an seine geistliche Freundin im Kloster Medingen bezeugt ist. Im Bereich der Frauenmystik sind sie sogar das prominenteste Paar, weil sie - im Gegensatz zu der extremen Konstellation eines redenden Seelsorgers und einer schreibenden Nonne bei Heinrich Seuse und Elsbeth Stagel- in der üblichen Rollenverteilung auftreten: als begnadete Dominikanerin, die von ihrem Seelsorger zu der Niederschrift ihres spirituellen Lebens ermuntert und beim langwierigen Prozeß ihres Schreibens kontinuierlich unterstützt wird. Und während bei Seuse und Elsbeth Stagel die spezifische >VitaOffenbarungen< und schließlich zur bereiten Aufnahme, die diese Aufzeichnungen in den Kreisen Basler und Straßburger Gottesfreunde gefunden haben, daß Heinrich von Nördlingen und Margarethe Ebner aufs Vorzüglichste unsere fehlenden Kenntnisse über die Genese und Verbreitung frauenmystischer Vitenliteratur zu komplettieren scheinen. Aus diesem Grund nimmt wohl auch Margarethes Text in der Frauenmystik-Forschung eine besondere Stellung ein. Denn er scheint-zusammen mit den Briefen ihres geistlichen Betreuers Heinrich von Nördlingen - ganz unverstellt jene Informationen über den Klosteralltag, die spirituellen Bedürfnisse klausurierter Frauen und die Erwartungen ihrer Beichtväter zu bieten, die bei anderen Texten als kulturhistorischer bzw. sozialpsychologischer Hintergrund des Berichteten erschlossen werden. Es fragt sich jedoch, ob Margarethes >Offenbarungen< und die Briefe ihres Seelsorgers zurecht diese paradigmatische Bedeutung für die Erforschung der frauenmystischen Vitenliteratur haben. 77 Denn Margarethes 76
Vgl. etwa die Ausführungen bei Strauch, Margaretha Ebner, S. X X X I f f . ; Zoepf, Ludwig: Die Mystikerin Margaretha Ebner (c. 1 2 9 1 - 1 3 5 1 ) . Leipzig und Berlin 1914, S. 143ff.; Muschg, Mystik in der Schweiz, S. 290ff.; Weitlauff, Manfred: Margareta Ebner (um 1291 - 20. Juni 1351). In: Bavaria Sancta. Zeugen christlichen Glaubens in Bayern. Hrsg. von Georg Schwaiger. Bd. III. Regensburg 1973, S . 2 3 1 - 2 6 7 sowie Ders., Ebner, Margareta. In: Verf.Lex. II ( 2 1980), Sp. 3 0 3 - 3 0 6 .
77
Vgl. dazu Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 7f., der auf die fatalen Folgen hinweist, die diese Hypostasierung von Margarethes >Offenbarungen< zu einem typischen Beispiel frauenmystischer Vitenliteratur des 14. Jhs. für die literarhistorische Einschätzung der dominikanischen Nonnenliteratur gehabt hat.
143
>Offenbarungen< stehen in thematischer Hinsicht eher am Rande des breiten Spektrums frauenmystischer Vitenliteratur; zumindest vermitteln sie ein extremes Bild von dem Gnadenleben einer asketischen Dominikanerin. Es fehlt der in anderen Texten übliche biographische Rahmen einer >VorgeschichteOffenbarungen< der Margarethe Ebner als Krankheitsgeschichte betrachtet und in einem Fall sogar einer - allerdings völlig verfehlten - psychoanalytischen Deutung unterzogen worden sind. 78 Tatsächlich sind die extensiven, dem heilsgeschichtlichen 144
Kreislauf des Kirchenjahrs nacherlebten Krankheits- und Gnadenberichte nur gelegentlich unterbrochen von relativ abgeschlossenen Einzelstücken, die zwar nicht völlig aus dem Kontext der körperlichen Sensationen herausfallen, aber doch zumindest auch weitere Themenbereiche ansprechen: etwa die historischen Anspielungen auf die Schwierigkeiten Kaiser Ludwigs (S. 148, 2 - 1 2 ) und den Tod des mittelfränkischen Adeligen Konrad von Schlüsselberg (S. 150, 11-14), die Geschichte von dem Hostienfrevel einer Frau aus dem benachbarten Dorf Medingen (S. 116, 19-117, 12), von der unrechtmäßigen Bestattung einer weltlichen Dame im Kloster (S. 153, 3 - 2 4 ) und schließlich auch eine längere LehrdialogSequenz mit dem Christuskind über konkret-kreatürliche Probleme seines Lebenswegs von der Empfängnis bis zu seinem Sterben (S. 99, 10-102, 23). Diese wenigen Erzählpartien unterbrechen jedoch nur selten den textbestimmenden Berichtsablauf des turnusmäßigen Wechsels von gebundener swige und rede, von Heiserkeit und lauter rüeffe, von Starrheit und der Gnade eines süezzen smac im Mund. Eine Sonderstellung im Rahmen dieses chronologischen Berichtstils nimmt allerdings die Mittelpartie (S. 73, 17-91, 12) des Textes ein, mit ihren abgegrenzten Einzelabschnitten des Typs »Item ich han auch gewonhait« (S. 81, 27) bzw. »Item ich begert aines tagez« (S. 78, 3), die ohne feste Einbindung punktuelle Informationen über Margarethes Klosteralltag und ihre speziellen spirituellen Erfahrungen bieten. Hier konzentrieren sich auch eine Reihe von Angaben über den Prozeß des Schreibens, die uns über nähere Umstände der Entstehung des »büechelin« (S. 86, 15) informieren. Zwar durchzieht das Thema des Schreibens den gesamten Text: in zahlreichen Rückverweisen, Unsagbarkeitsformulierungen, aber auch Vorverweisen,79 die den Prozeß des Schreibens
78
A m dezidiertesten von Pfister, Oskar: Hysterie und Mystik bei Margaretha Ebner (1291-1351). In: Zentralblatt für Psychoanalyse l . J g . Heft 10/12 (1911), S. 4 6 8 - 4 8 5 . Aber auch Weitlauff, Margareta Ebner, spricht von einer »eher psychisch bedingte(n) Krankheit« (S.243), von »Erscheinungen ihrer Wechseljahre« (S. 250), die hinter Margarethes Darstellung stünden.
79
Rückverweise: S. 36, 20f.; 47, 15f.; 48, 20; 50, 16f.; 51, 16f.; 52, 4; 55, 7f.; 58, 7 ; 61, 2 ; 63, 18; 66, 10f.; 67, 5f.; 68, 19f.; 69, 12; 71, 7f.; 73, 17; 78, l l f . ; 85, 3f.; 12; 93, 5f.; 95, 3f.; 97, 1; 98, 20f.; 23; 99, 10f.; 105, 9; 107, 19f.; 108, 13; 110, 18f.; 112, 11; 113, 2 2 ; 1 1 6 , 4 ; 1 1 7 , 2 3 ; 118, 24; 120, 23; 121, 19f.; 127, 13f.; 22f.; 24f.; 129, 15; 130, 1; 12; 131, 8f.; 132, 7; 134, 21f.; 138, 6f.; 15; 139, 21f.; 145, 13f.; 151, 9f.; 152, 9 ; 26; 153, 25f.; 154, 5; 9 ; 155, 2 ; 156, 9 ; 157, 9f.; 25. Vorverweise: S.28, Auf das Schreiben 2 1 ; 51, 6f.; 61, 24; 111, 12f.; 112, 9f.;
15f.; 109, lf. bezogene Unsagbarkeitsformulierungen: S. 1, 14; 15, 2 ; 27, 2 2 ; 42, 62, 17; 66, 15f.; 69, 7; 74, 8; 82, 19f.; 86, 14f.; 93, 2 4 ; 102, 1 3 - 1 5 ; 147, 14f.; 148, 25f.; 149, 13f.; 156, 9 ; 160, 6 ; 21; 24.
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akzentuieren. In der eher kommentierend angelegten Mittelpartie treten aber diese redaktionellen Bemerkungen zum Thema Schreiben geradezu massiert auf. Hier erfahren wir auch, daß die Initiative zum Schreiben von ihrem »warhaften friund gotez« (S. 83, 27) ausgegangen ist, 80 daß Margarethe damit - zunächst wider Willen und mit »forht und schrekken« (S. 84, 5 ) - im Advent begonnen hat und zwar nicht allein, sondern mit der Unterstützung einer ihr vertrauten Schwester, die offenbar auch ihre akuten Gnadenerfahrungen, z . B . einen ihrer Träume, sogleich aufzeichnet. 81 Dieser Schreibbeginn im Advent bedeutet einen Einschnitt im spirituellen Leben der Schwester. Denn der Akt des Schreibens wird programmatisch mit einer charakteristischen Steigerung der Gnadenerlebnisse verbunden: seit dem Beginn ihrer Aufzeichnungen im Advent habe sie eine ganz besondere Sehnsucht nach der »kinthet unsers herren« (S. 87, 23) und nach »siner aller süezzesten besnidunge« (S. 87, 24) empfunden. U n d : »do ich daz büechelin enmitten scraib, do viel mir der aller gröst lust in in die kinthait unsers herren mit der aller süezzesten genade« (S. 86, 15f.). Damit erfüllt sich offenbar eine göttliche Verheißung, die zu Beginn des dritten Teils formuliert wird: »Min luteriu warhet Jhesus Cristus hat mir war gelaun allez, daz er mir gelopt, do ich daz büechelin an fieng ze scriben« (S. 91, 13-15). Das Schreiben ist demnach in den Prozeß der Begnadung einbezogen, zumindest von besonderen Gnadenerlebnissen begleitet. Diese im Schreiben bewirkte Intensivierung religiöser Erfahrungen betrifft nicht nur jene mit dem Beginn des »büechelin« (S.91, 14) verstärkten adventlichen Kind-JesuErfahrungen, sondern generell das gesamte spirituelle Leben der Schwester, denn Margarethe betont ausdrücklich, daß sie im Akt des Schreibens noch einmal die vergangenen Gnadenerlebnisse erfahre und zwar so heftig, daß sie dies alles kaum in der richtigen Reihenfolge habe niederschreiben können. 82 Das Schreiben ist hier Movens der Rekapitulation spiritueller Erfahrungen und zugleich verstärkendes Medium der Begnadung.
80 81
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S. 83, 27-84, 24. »do kom zuo mir dar nach kurczlichen diu swöster, diu mir haimlich ist und mir daz gescriben hat . . . und gewan da ainen geturst mit fräden und gedaht, ich wölt si ez lauzzen wissen und an scriben die selben Sache, diu as crefteklichen mir enmitten an lag.« (S. 90, lOff.) »Item allez daz ich gescriben han, daz wart mir as gegenwertig, so man ez von mir und uz mir scriben wolt, mit solcher inner genade als ze der zit, do ez mir geben wart, und mit so vil riehen sinnen und worten, daz ich ainz kum vor dem andern gescriben moht« (S. 114, 1 - 5 ) .
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Ähnliches gilt für den »warhaften friund gotez« (S. 83, 27), der nach Margarethes Darstellung ihren spirituellen Weg kontinuierlich begleitet. Er wird eingeführt als ein Besucher des Konvents, der Margarethe, die sich mit dem Tod ihrer Schwester ein Leben »in eilend« (S. 12, 22) auferlegt hat, seitdem in tiefster Traurigkeit und Einsamkeit lebt und den Besucher deshalb nur widerwillig aufsucht, mit »sin warhaft 1er« (S. 16, 7) ungewohnten Trost spendet. Er wird für sie bald zu einem besonderen, ihr von Gott geschenkten »crefteclichen lerer« (S.25, 12) in dessen Gegenwart, zumal bei seinen Messen, ihre Gnadenerlebnisse deutlich intensiver werden 83 und nach dessen Abreise sie um so mehr in die »gefangen banden« (S. 61, 2) ihrer belastenden Krankheit zurückfällt. Zugleich ist er in ihrer Isolation ihr besonderer Vertrauter, ihr sehnlichst erwarteter Gesprächspartner, der - a l s Einziger- um ihre spirituellen Erfahrungen weiß 84 und der sie schließlich bittet, ihm alles aufzuschreiben, was sie von Gott empfange: »Item ich wart gebeten von dem warhaften friund gotez, den er mir ze grossem trost geben hatt allem minen leben, daz ich ime scribe, waz mir got gebe.« (S. 83, 27-84, 1). Sie ist zunächst erschrocken, weil sie davon ausgegangen war, daß er das selbst übernehme, fügt sich jedoch und beginnt im Advent - zur Ehre Gottes und aus Gehorsam zu ihrem Seelsorger - mit der Niederschrift, die von jenen bereits erwähnten besonderen adventlichen Gnadenerweisen begleitet ist: »ich fieng ez an in der zit des advencz vor der zuokunft unsers lieben herren Jhesu Cristi, wan mir diu genade unsers herren süezzeklich verlihen wirt me denn durch daz gancz jar« (S. 84, 9-11). Eine Spur dieser ursprünglich für diesen friund gotez bestimmten Aufzeichnungen scheint sich am Ende einer Dialogsequenz erhalten zu haben, wenn es plötzlich heißt: »und der rede vil, der ich dir aller nit gescriben kan« (S. 147, 14f.). Hinter dem annalistischen Berichtsstil werden hier punktuell einmal die Konturen einer persönlichen Schreibsituation sichtbar, in der die begnadete Schwester für eine vertraute Person ihre Gnadenerlebnisse aufzeichnet. Die einseitige Beziehung Margarethe Ebners zu jenem Priester, der ihr von Gott als Trost und Unterstützung in ihrem Leben der »grossen 83
84
»... und von der güet gotes und der hailigen messe do geschach ain ledigunge in mir mit der süezzen genade gotes, in der ich berait wart zuo dem hailigen sacrament« (S. 60, 13-15); vgl. auch S. 138, 22-139, 22. »do het ich nieman, wan der friunt unsers herren, der mir von siner güet geben was zem creftigen trost« (S.42, 17-19); »nu het ich kainen geturst, daz ich es kainem menschen immer gesagen törst denn dem friunde unsers herren, der mir von got geben ist.« (S. 90, 8-10).
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liden« (S. 59, 23) und »creftigen genade« (S. 73, 16) geschickt worden sei, wird allerdings gegen Ende des Textes etwas aufgelockert, denn nun wendet sich dieser »friund unsers herren« (S. 148, 13) hilfesuchend an die Medinger Schwester, indem er sie inständig um ihre Fürbitte bittet.85 Sie erfüllt diesen Wunsch und erfährt von - wie es heißt- »Jhesu minem kinde« (S. 148, 17), daß der Priester wegen seiner Liebe zu ihm das ewige Leben verdient habe. Die Medinger Nonne übernimmt damit unversehens die Rolle einer geheiligten Mittlerin zwischen Gott und den Menschen. Die Figur des »aller getriwest friund unsers herren« (S. 25, 8), der in bestimmten Abständen das Kloster Medingen aufsucht und hier für Margarethe Ebner eine wichtige Funktion als Gesprächspartner, geistlicher Berater und ihre Gnadenerlebnisse intensivierender Priester hat, ist im gesamten Text präsent. Er tritt nach dem Tod ihrer Schwester -gleichsam als Ersatz - auf und wird kontinuierlich in affektiven Formulierungen des Typs min lieber frunt, der warhafte, wirdige friunt gotez und min bis zum Schluß des Textes angesprochen. Und doch bleibt in Margarethes Darstellung die Persönlichkeit dieses Priesters mehr als undeutlich. Die Verfasserin erwähnt lediglich einmal eine Reise des »friunt unsers herren, der mir von siner güet geben was zem creftigen trost« (S. 42, 18f.) nach Avignon und - aber ganz vage - Probleme, die er habe.86 Und auch diese Hinweise nehmen keinen breiten Raum ein, sondern werden eher nebenbei bzw. im Zusammenhang mit dem Bericht eigenen Erlebens eingestreut. Ansonsten verzichtet Margarethe auf jede weitere biographische Information: wir erfahren weder den Namen noch genauere Umstände des Lebens dieses »friunt unsers herren und min« (S. 148, 13), der als Person völlig hinter den Gnadenbericht der Medinger Nonne zurücktritt. Im Kontext der >Offenbarungen< ist er nicht mehr als ein Funktionsträger, der als »lerer« (S.25, 12) und Sakramentspender, vor allem aber als Initiator der Aufzeichnungen Margarethes Gnadenleben intensiv fördert und zugleich bestimmte Themenbereiche -etwa die Vereinsamung der begnadeten Schwester im Konvent oder ihren Wunsch nach täglicher Kommunion- ermöglicht, dabei aber selbst keine eigenen Konturen erhält.
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»Nu was der friund unsers herren und min zer selben zit bi mir und der begert mit grossem ernst, daz ich got für in bet« (S. 148, 1 3 - 1 5 ) . »do kom ich an die stat, da ich gewonlichen bet in dem cor, und het vil begirde und sunderlich über den fruint, den mir got geben het von siner güet, umb etlich sach, diu im uf lag« (S. 143, 1 - 4 ) .
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Das ist nicht erstaunlich. Wir kennen diese funktionalistische Ausrichtung der Darstellung bereits aus Seuses >VitaVita< ohne weitere Charakterisierung die neutrale Bezeichnung geischliche tohter zugewiesen, die ihrem Part der anvahenden, wißbegierigen Nonne entspricht. Das ist nicht anders bei Margarethes warhaften friund gotez: er hat in den >Offenbarungen< die charakteristische Rolle des vertrauten Seelsorgers, der zwar unregelmäßig den Konvent aufsucht, aber um so intensiver an dem spirituellen Leben einzelner Schwestern teilnimmt. Insofern bieten die >Offenbarungen< keine auffallenden Details über das Verhältnis der Medinger Nonne zu ihrem friund gotez, der sich hier noch unspezifisch als Rollenfigur des vertrauten Seelsorgers präsentiert. Ungewöhnlich wird die Beziehung Margarethe Ebners zu diesem Priester erst durch eine Sammlung von Briefen dieses >Gottesfreundes< und anderer Bewunderer an die Medinger Nonne, die in einer Londoner Handschrift 8 7 aus dem 16. Jh. im Anschluß an die >Offenbarungen< und das >Paternoster< Margarethe Ebners und vor den Margarethe-Lebensbeschreibungen Sebastian Schlettstatters und Eustachius Eysenhuet eingetragen ist. Neben einigen wenigen Schreiben eines Bruder T., des Abtes von Kaisheim, der Margarethe zum Goldenen Ring und eines Anonymus gehört der Hauptanteil von 58 Briefen -entsprechend der Uberschrift in der Handschrift ihrem »gaistliche(n) geträwe(n) vatter Meister Hainrich von nerlingen geheissen« (Strauch, S. X X I ) . Dieser Heinrich von Nördlingen, der sich in den Briefen selbst »her Hainrich« ( X L I I , 46, S. 242) nennt, von den anderen Briefschreibern jedoch als »her Heinrich von Nördlingen« (LXIII, 7, S. 275) bzw. »maister von Norlingen« (LXIV, 27, S.277) bezeichnet wird, ist uns praktisch nur aus dieser Briefsammlung bekannt. Sie bietet freilich reichhaltige Informationen über das Leben dieses Weltgeistlichen, der nach seiner eigenen Darstellung in seiner engeren Heimat keine feste Bleibe fand, mehrere Reisen nach Avignon, Köln und Bamberg unternahm, sich während des Interdikts in Basel im Kreis berühmter Geistlicher und religiös ergriffener Laien bewegte, neben dem Medinger Konvent auch mit der Engelthaler Nonne Chri-
87
Brit. Mus. cod. Add. 11430; zur Beschreibung dieser Handschrift vgl. die Einleitung von Strauch, Margaretha Ebner, S. X V I I - X X I I I .
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stine Ebner in Verbindung stand und überhaupt feste Kontakte zu >Gottesfreunden< der verschiedensten Städte, etwa zu den Merswins in Straßburg, unterhielt. 8 8 A m interessantesten ist für uns natürlich das Bild, das diese Briefe von seiner Beziehung zu den Medinger N o n n e n , speziell zu Margarethe Ebner, vermitteln. Hier ist - so scheint es— die Ausbeute an kostbaren Details besonders reich: wir erfahren von seinen Besuchen in Medingen, seiner Freundschaft mit mehreren Schwestern, den wechselseitigen Geschenken, dem Austausch von Büchern, seinen intensiven Gesprächen mit Margarethe und schließlich - als Pendant zu Margarethes Darstell u n g - von seinen Aktivitäten im Zusammenhang der Entstehung ihrer »hailig(en) geschrift« ( X L I I , 39, S. 242). U n d gerade in diesem Bereich liefern die Briefe ausgesprochen wertvolle Ergänzungen zu den lapidarvagen A n g a b e n der >OffenbarungenGottesfreundenLaien< im Schrifttum des Straßburger Gottesfreundes Rulman Merswin und der deutschen Dominikanermystiker des 14.Jahrhunderts. In: Literatur und Laienbildung, S. 6 4 3 - 6 5 8 .
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X X X I I : »es begert auch unszer lieber vatter der Tauler und ander gotzfrüind, das du uns in der gemein etwas schribest, was dir dein lieb Jhesus geb und sunderlichen von dem weszen der cristenhait und seiner fruind, die dar under vil lident« (69-73, S. 219); X L : »ich beger auch, als ich dich gebeten han, das du mir in dem willen gotz die Wandlung, die got mit dir gethan hat, ordenlichen schribest...« (57-60, S.237f.); L I : » U m b das püchlein, als du waist, bit ich dich, wan es geschriben si. das send mir.« (97f., S.264); L I I : »ich beger zu wissen wie es nun umb dich stand, und ob du mer geschriben habest zu dem vordem ausz dem willen und ausz dem mund gottes, das send mir« ( 5 5 - 5 8 , S.266).
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X L I : »und dar umb bitt ich dich in gott, als ich vor geton hab, was dir got ze sprechen geb, das du vileicht vor vergeszen habest oder on das noch nit geschriben habest, das du es mit fleisz schreibest und zesamen samnest bisz an das e n d . . . « (10-13, S.240).
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und über die Unterstützung der Schreiberin Elsbeth Scheppach verfüge. 91 Es sei ihre Pflicht, ihr Herz und ihren Mund der ewigen Wahrheit zu leihen, damit diese ihr göttliches Werk mit und in ihr vollbringen könne. Gleichzeitig bedankt er sich wortreich immer wieder für bereits erhaltene Partien ihrer »hailig geschrift« (XLII, 39, S.242), bei deren Lektüre er »sunder froud und lust« (XLIII, 37f., S.243) empfinde. Er wage, »weder in latein noch in tüchtz« (XLI, 16, S. 240) etwas zu ändern, sondern werde warten, bis er mit ihr zusammen den Text durchsehen und von ihr selbst die Deutung erfahren könne. Dieser Heinrich von Nördlingen figuriert in seinen Briefen an Margarethe Ebner als enger Vertrauter der Medinger Nonne: er verehrt sie als eine Art heilige Mutter, bewundert ihre göttlichen Leiden und Gnaden, versorgt sie mit geistlicher Unterweisungsliteratur (XXXV, 83ff., S. 229; XLIII, 17ff., S. 246) und ermuntert sie kontinuierlich zum Schreiben und Redigieren, jedoch nicht nur als Privatmann, sondern zugleich als eine Art Sprachrohr der >GottesfreundeGottesfreundeChronik< Annas von Munzingen in Adelhausen, vor allem aber aus den lateinischen >Vitae sororum< des Klosters Unterlinden. Denn hier wird immer wieder behauptet, die mündliche wie schriftliche Übermittlung der spirituellen Erfahrungen sei fast ausschließlich über die Priorin gelaufen, der die Gnaden und Wunder per ordinem eröffnet worden seien.94 In Medingen bleibt zumindest in der Darstellung Margarethes, aber auch in den Briefen Heinrichs von Nördlingen dieser offizielle Aspekt zunächst ausgeblendet: die begnadete und schreibende Nonne scheint sich bei der schriftlichen Fixierung ihres Gnadenlebens lediglich auf die Hilfe einer ihr vertrauten Schwester zu stützen, die ζ. B. ihre aktuellen Gnadenerfahrungen, etwa ihre Träume, sofort niederschreibt. Erst die in Heinrichs Briefen angesprochene prominente Stellung dieser hilfreichen Schwester als Schaffnerin und Priorin läßt die möglichen offiziellen Hintergründe dieser freundschaftlichen >Hilfe< und damit auch die Offizialität von Margarethes literarischen Aktivitäten erkennen. Heinrichs Briefe ergänzen demnach auf signifikante Weise Margarethes spärliche Hinweise auf den Prozeß der Verschriftlichung ihres spirituellen Lebens. Zugleich zeigen sich interessante Differenzen zwischen den beiden Quellentypen. Margarethe begnügt sich mit allgemeinen und eher vagen Bemerkungen und verzichtet auf jede individualisierende Angabe: ohne Namensnennung oder genauere Charakterisierung berichtet sie vom Auftreten und Wirken des geistlichen friund gotez, verweist auf die Hilfe jener Schwester, »diu mir haimlich ist und mir daz gescriben hat« (S.90, 11 f.), und erwähnt die ablehnende Reaktion der Mitschwestern, die sich wegen ihrer anhaltenden Krankheit und Schwäche von ihr allmählich zurückziehen. Damit werden freilich nicht mehr als die notwendigsten Figurationen und Stationen eines begnadeten Lebens entworfen, das sich im Spannungsfeld von Einsamkeit und Vertrautheit, von Verachtung und Verehrung entfaltet. In diesem allgemeinen und wenig individuellen Rahmen bewegt sich Margarethe mit ihren sparsamen und typisierenden Angaben über ihr personelles Umfeld. Erst die Briefe bieten die gewünschten Konkretisierungen: der für 94
Vgl. dazu oben S. 131.
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Margarethes Spiritualität und die Entstehung ihres Textes so wichtige, aber seltsam blaß bleibende friund gotez und min erweist sich hier als der Weltgeistliche Heinrich von Nördlingen mit seinen weitverzweigten Beziehungen zu literarisch interessierten Kreisen in und außerhalb der Klöster, als ein aktiver Förderer und Promulgator von Margarethes Schriften und als ein glühender Bewunderer der begnadeten Medinger Schwester. Die ungenannte hilfreiche Schwester der »Offenbarungen« ist hier die Priorin Elsbeth Scheppach und auch die anonyme Präsenz des Medinger Konvents erhält durch Nördlingens Grüße, die er »unsern lieben kindern und allem dem convent« (XLVII. 77f., S.256) zukommen läßt, vor allem aber in den Namen Hochstetten (IX, 52, S. 182), Scharenstetten (IX, 52, S. 182) oder Wimar (IV, 71, S. 175) eine wesentlich individualisiertere Ausprägung. Erst die Briefe liefern demnach die biographischen Hintergrundinformationen zu Margarethes typisierter Szenerie. So sind sie eigentlich auch immer verstanden worden: das zeigt sich bereits an der Uberlieferung dieser Briefsammlung, die in der - einzigen - Londoner Handschrift auf Margarethes Text folgt und mit Bemerkungen über die Beziehung Heinrichs von Nördlingen zu Margarethe Ebner versehen ist. 95 Auch ihr Herausgeber Philipp Strauch unterstreicht mit dem Titel seiner Edition »Margaretha Ebner und Heinrich von Nördlingen« die enge Verzahnung von Margarethes Darstellung mit Heinrichs von Nördlingen Briefen. Und seine Ausgabe hat zutiefst die nachfolgende Frauenmystik-Forschung geprägt, in der bis heute das Bild der Medinger Dominikanerin von den in den Briefen vermittelten Informationen über ihre Beziehung zu Heinrich von Nördlingen bestimmt ist. Das ist freilich eine problematische Prämisse. Denn es fragt sich, ob die Briefe tatsächlich ohne weiteres als biographische Quelle zu Margarethes Leben in Medingen gelesen werden dürfen. Nicht nur ihre späte Uberlieferung in einer Art Margarethe-Sammelhandschrift des 16.Jhs., auch literarhistorische Überlegungen zur typenspezifischen Ausprägung von Themen und literarischen Figuren legen - wie ich meine— eine eher skeptische Einschätzung des biographischen Quellenwerts der Briefe dieses Heinrich von Nördlingen nahe. Die stilisierte Selbstdarstellung dieses literarisch gebildeten und interessierten Schreibers dieser Briefe an 95
Strauch, M a r g a r e t h a E b n e r : » D i e brieff hat ir gesant ir gaistlicher geträwer vatter Meister Hainrich v o n nerlingen gehaissen, ain andechtiger seiliger man v n d besunderer f r ü n d gottes, der ir vnd andern gottes kindern v o n got w a r d geben v. z u g e s a n d v n d d e m sie in götlicher lieb v n d ausz d e m einsprechen gottes ir leben vnd wesen und das g o t mit ir wircket g e o f f e n b a r t hatt vnd von y m ratt v n d v n d hilff entpfangen etc.« (S. X X I ) .
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Margarethe Ebner, der ihre Aufzeichnungen kennt, ist jedenfalls offensichtlich. Er präsentiert sich hier in der Stilisierung eines heimatlosen, von finanziellen Problemen und weltlichen wie pastoralen Geschäften aufgezehrten Geistlichen, der nur im Kloster Medingen in der Gegenwart der »mutter und ... schwester« (XVI, 86f., S. 196) Margarethe Ebner Stunden des Friedens findet. Wir kennen diese Konstellation aus dem >Supplementum< zur Vita Maries von Oignies, in dem Jakobs von Vitry kirchenpolitische Aktivitäten der kleindimensionierten, aber begnadeten Welt einer mulier religiosa untergeordnet werden. Auch Margarethe vertritt in Heinrichs Briefen mit ihrem festumrissenen Leben des einsamen, aber begnadeten Leidens eine prononcierte Gegenwelt zur Unzufriedenheit und Unrast dieses Weltgeistlichen, der forciert seine gesellschaftlichen Verstrickungen, beruflichen Frustrationen und persönlichen Eitelkeiten herausstellt und deshalb auch in der Forschung als Person eine überwiegend negative Aufnahme gefunden hat.96 Wir müssen jedoch gerade in diesen Briefen an Margarethe Ebner, die ja nicht unabhängig von den >Offenbarungen< entstanden sind, demnach auch zum hagiograpahischen Umfeld dieses Textes gehören, mit deutlichen Stilisierungstendenzen rechnen, die bestimmte didaktische Themen anvisieren. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Themenkomplex der Beziehungen einer begnadeten Schwester zu ihrem Seelsorger, der gerade in den Briefen eine interessante Ausdifferenzierung erfährt. Während in Margarethes Darstellung der »friund unsers herren und min« (S. 148, 13) eine zwar häufig erwähnte, aber doch schematische Figur ihres Gnadenlebens bleibt, werden in den Briefen prägnante lebensweltliche Konturen dieser Konstellation geradezu detailrealistisch nachgeliefert, allerdings aus der Perspektive des Seelsorgers und in einer deutlichen thematischen Zuspitzung auf den Kontrast zwischen dem in liden und süezzen gnaden eingespannten, abgeschlossenen spirituellen Leben der Medinger Nonne und der geschäftigen Unruhe des Priesters, der die begnadete Schwester über ihren Text mit der Außenwelt der >Gottesfreunde< verbindet. Damit verliert freilich das Paar Heinrich von Nördlingen und Margarethe Ebner die ihm bislang zugewiesene Bedeutung als Paradebeispiel für die auch emotionale Intensität der Beziehungen einer begnadeten Schwester zu ihrem Seelsorger. Margarethes >Offenbarungen< und die an sie gerichteten Briefe bieten kein stimmiges Bild dieser Konstellation, 56
Vgl. etwa Muschg, Mystik in der Schweiz: »geile Tändelei« (S.295); Weitlauff, Margareta Ebner: »Seichtheit seiner Gedanken« (S.258); Schultz: »ein weicher, sentimentaler und entschlußloser Charakter« (S. 155).
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sondern sehr charakteristische typenspezifische Ausprägungen: Margarethe profiliert in stereotypen Formulierungen die Figur eines ihr vertrauten, Trost spendenden Seelsorgers, der mit seinen seltenen Besuchen in Medingen nicht nur ihre Gnadenerfahrungen intensiviert, sondern auch ihre totale Vereinsamung zumindest punktuell aufhebt. In den Briefen ist Margarethe hingegen eine in religiösen Kreisen in und außerhalb des Klosters bereits berühmte Schwester, die in besonderer Weise von dem Briefschreiber, der sich auch um die Verbreitung ihrer Schriften kümmert, verehrt wird. Er ist jedoch mit seinen finanziellen Sorgen, seinem Prestigedenken und seinen Eitelkeiten der Gegenpol zur begnadeten Schwester in Medingen, denn seine Selbstdarstellung kreist um die Widrigkeiten eines sehr weltlichen Lebens, dem er sich ausgeliefert sieht und von dem er sich nur in der Gegenwart der verehrten Medinger Nonne befreien kann. Eine deutliche hagiographische Thematik, die zu einer extremen Konstellation, der affektiven Beziehung zwischen der verehrten mulier sancta und einem ihr ergebenen sündenbewußten Weltgeistlichen, führt. Diese unterschiedliche Darstellung des Seelsorger-Themas in Margarethes Lebensbericht und den an sie gerichteten Briefen mindert zwar ihren historischen Zeugniswert, sie bietet jedoch zugleich wertvolle Einblicke in einen zentralen Aspekt der literarischen Technik dieser Vitenliteratur: ihre strikt text- und typenspezifische Ausgestaltung der Figuren und lebensweltlich-biographischen Situationen. Sie sind jeweils als detailrealistische Illustrationen in ein übergreifendes thematisches Konzept eingespannt und entziehen sich deshalb letztlich einer biographischen Ausdeutung. Daß tatsächlich diese typenspezifische Konkretisierung des Beichtvater-Themas nicht nur auf den Spezialfall Heinrich von Nördlingen und Margarethe Ebner beschränkt bleibt, zeigt auch die Engelthaler Literatur, vor allem das Textkorpus der Christine Ebner, an deren Gnadenleben eine Reihe von Seelsorgern - unter ihnen an prominenter Stelle auch wieder der Weltgeistliche Heinrich von Nördlingen ganz wesentlich beteiligt gewesen zu sein scheinen.
6. Christine Ebner und der schreibende Bruder: die Verschriftlichung eines Gnadenlebens Das (Euvre der Engelthaler Dominikanerin Christine Ebner stand bislang in der Mystik-Forschung unter einem Unstern. Nach den zwei umfangreichen, aber verstümmelnden und aus verschiedenen Fassungen 155
kompilierten neuhochdeutschen Paraphrasen ihres Lebens von Peter Lechner und G . W. K. Lochner und den Exzerpten von Philipp Strauch 97 ist die von Wilhelm Oehl im Jahre 1931 angekündigte Edition ihrer >Visionen und Offenbarungen< 98 nie erschienen. Deshalb basierten weiterhin die Überlegungen zur Engelthaler Literatur, speziell zu Christines literarischen Aktivitäten, auf den Lebensberichten von G. W. K. Lochner und Peter Lechner, die jedoch mit ihrer eklektisch-harmonisierenden Präsentation des biographischen Materials ein verzerrtes Bild von Christines CEuvre bieten. Erst Siegfried Ringler hat neue Grundlagen für die Erforschung der literarischen Bedeutung Christine Ebners geschaffen. Denn in der Neuauflage des Verfasserlexikons liefert er auf der Basis der Stuttgarter Sammelhandschrift des 18. Jhs. (LB cod. theol. phil. 2° 282) eine typenspezifische Charakterisierung der verschiedenen Berichte 99 ihres begnadeten Lebens und demonstriert in vergleichenden Zitaten Christines zentrale Rolle bei der Entstehung und Verbreitung der Engelthaler Literatur im 14. Jh. 1 0 0 Bereits an Ringlers Hinweisen und Zitaten zeigt sich die überragende Bedeutung, die die beiden Christine EbnerTexte, die Nürnberger Visionen und die Medinger Gnadenvita, mit ihren vielfältigen Informationen für die Erforschung der Vitenliteratur der Dominikanerinnen des 14. Jhs. und - s p e z i e l l e r - für unsere Frage nach der möglichen Genese dieses Literaturtyps im Zusammenwirken von Seelsorger und begnadeter Schwester haben werden. Und tatsächlich bietet das Ebner-Korpus eine Reihe von kultur- und literarhistorischen Informationen, die wir in vergleichbaren Lebensberichten vermissen: über Nürnberger Ereignisse, den Besuch adeliger und fürstlicher Laien 97
98 99
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Lechner, Peter: Das mystische Leben der heiligen Margareth von Cortona. Mit einem Anhange: Bericht aus dem mystischen Leben der gottseligen Ordensjungfrauen Christina und Margareth Ebner aus Nürnberg. Regensburg 1862, S. 141-218; Lochner, Leben und Gesichte; umfangreiche Exzerpte aus dem Ebner-Korpus bei Philipp Strauch in seiner Besprechung des 2. Bandes von Wilhelm Preger, Deutsche Mystik. In: A n z 9 (1883), S. 113-159, hier S. 134-138. Oehl, Deutsche Mystikerbriefe, S. 847. Ringler, Ebner, Christine, Sp. 2 9 9 - 3 0 1 , unterscheidet drei Lebensberichte: a) S , 4 0 r 70 ν mit Aufzeichnungen aus den Jahren 1344 bis 1351/52, die wir im folgenden-wegen ihrer Uberlieferung in einer der Familie Ebner gehörenden Nürnberger Handschrift (vgl. dazu unten Anm. 103)- als Nürnberger Visionentext bezeichnen, b) S, 75 v-155r, ein übergreifender Lebensbericht von der Geburt bis zum Tod der Engelthaler Schwester, der hier - wegen seiner Uberlieferung in einer Handschrift des Klosters Maria Medingen (vgl. dazu unten Anm. 102) aus dem 15. Jh. - als Medinger Gnaden-Leben geführt wird, und c) S, 156r-158v, eine fragmentarische, chronologisch geordnete, aus Materialien des Medinger Textes zusammengestellte Vita, die allerdings wohl erst erheblich später entstanden ist und deshalb im folgenden unberücksichtigt bleibt. Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, mit zahlreichen Exzerpten aus dem Christine-Ebner-Korpus der Stuttgarter Sammelhandschrift.
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im Kloster, das Auftreten der Geißler, die Judenverfolgungen, die Auswirkungen der Pest, die Literaturkenntnisse der Dominikanerinnen und schließlich die verschiedenen Formen des Kontakts der begnadeten Schwester zu den Sakramente spendenden und schreibenden bzw. ihr Schreiben initiierenden Priestern. 101 Diese Informationen verteilen sich freilich sehr unterschiedlich auf die beiden Texte: der in der Stuttgarter Sammelhandschrift und der Medinger Handschrift cod. Md. 1 überlieferte, ausladende Lebensbericht der Gnadenvita, 102 der mit Christines Geburt, ihrer Kindheit im Elternhaus und ihrem Eintritt ins Kloster beginnt und im Wechsel von Ich- und Fremdberichten über die Gebets- und Askesepraxis der Dominikanerin, ihre göttlichen Begnadungen, teuflischen Versuchungen, Bußübungen und Minnedialoge mit Christus informiert, ist zugleich mit einer Vielzahl wertvoller Details über den Prozeß der Verschriftlichung ihrer Gnadenerlebnisse durchsetzt. Hingegen bietet der andere ChristineText 103 eher eine lockere Folge von streng auf den zeitlichen Rahmen von 101
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Zur literarhistorischen Bedeutung der Ebner-Texte vgl. neuerdings auch Ringler, Rezeption, sowie Peters, Ursula: Das >Leben< der Christine Ebner. Textanalyse und kulturhistorischer Kommentar. In: Abendländische Mystik im Mittelalter, S. 4 0 2 - 4 2 2 . S , 7 5 v - 1 5 5 r ; der Text der Stuttgarter Sammelhandschrift des 18.Jhs., die mir die Württembergische Landesbibliothek freundlicherweise für einige Wochen nach K o n stanz ausgeliehen hat, geht unmittelbar auf die Medinger Handschrift Md. 1 zurück, eine kleinformatige Handschrift aus dem 15. Jh. mit 373 Blättern, in die nur Christines Gnaden-Leben (mit späterer Paginierung auf 746 Seiten) eingetragen ist; allerdings nicht vollständig, denn auf p. 746 brechen Christi Verheißungen abrupt ab: »der guss miner miltikeit der ist ob dir etc«. Es folgt in einer anderen Hand, vielleicht der des Korrektors: »allzeit sy verschyd seliglich an Sant iohannes tag zu weyennechten ze (die nächste Zeile: »Bitten fur mich armen« ist vom Korrektor gestrichen) vn gab ir got was er ir verhaisen het, das aug nie gesach or nie gehört noch in des menschen hertzen nie ist kumen, das got berait hat denen die in lieb habent. zu dem selben Ion helf vnsz got auch durch sein barmhertzigkayt amen«. Auch die Stuttgarter Abschrift S bricht hier ab und übernimmt diesen Schluß. Die aus dem Kloster Maria Medingen stammende H a n d schrift Md. 1, die praktisch der einzige Zeuge für diesen Text ist, hatte Wilhelm Oehl in den 20er Jahren zur Vorbereitung seiner Edition ausgeliehen. Sie war seitdem verschollen und ist erst kürzlich wieder aufgetaucht und inzwischen auch dem Kloster Maria Medingen zurückgegeben worden. Durch die Freundlichkeit von Herrn Dr. Peter Ochsenbein, dem Leiter der Stiftsbibliothek St. Gallen, und Sr. Ingeborg Senkel, der Verwalterin des Archivs von Maria Medingen, habe ich den Text einsehen und transkribieren können. Die folgenden Zitate aus Christines Gnadenvita stammen deshalb durchweg aus der Medinger Handschrift M d . 1. S, 4 0 r - 7 0 v ; dieser Text ist in einer Handschrift des 14. Jhs. überliefert, die die Nürnberger Familie Ebner besessen hatte: C o d . Cent V App. 99 der Nürnberger Stadtbibliothek ( Ν 1), die mir freundlicherweise als Mikrofilm zur Verfügung gestellt worden ist. Aus ihr wird im folgenden zitiert. Eine direkte Abschrift dieser Nürnberger Handschrift bietet der C o d . 90 (15. Jh.) der Ebner-Bibliothek der Familie Ebner von Eschenbach, von dem ich durch die großzügige Vermittlung des inzwischen verstorbenen Freiherrn Karl Wilhelm Ebner von Eschenbach einen Mikrofilm erhalten habe.
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1344 bis 1351/52 datierten Gnadenerlebnisse, die gelegentlich sehr konkrete lebensweltliche Hintergründe und Anlässe dieses spirituellen Lebens im Konvent von Engelthal erkennen lassen. Für unsere Frage nach den kulturhistorischen Voraussetzungen der Entstehung dieser Vitenliteratur in Dominikanerinnenkonventen des 14. Jhs. scheint jedenfalls der umfangreiche Lebensbericht der Medinger Handschrift mit seiner Fülle an redaktionellen Bemerkungen einschlägig zu sein. Denn er ist weder ein durchgehender Ich-Bericht der Engelthaler Schwester über ihr Gnadenleben im Kloster noch eine abgeschlossene Vita, die nach dem Tod der begnadeten Nonne von Konventangehörigen oder Seelsorgern mit einer festen thematischen Intention verfaßt worden ist. Vielmehr präsentiert er sich mit seinem Wechsel von Ich-Partien, nur locker chronologisch geordneten Fremdberichten und redaktionellen Kommentaren eines Bearbeiters zu Lebzeiten der Schwester, aber auch mit seiner Einarbeitung der verschiedensten Materialien wie Briefe, Lebensberichte, Visionsaufzeichnungen, Gebete, Lieder und Meditationen als ein höchst komplexer Mischtext, der nur unvollständig die Spuren seiner allmählichen Entstehung verdeckt.104 Dies gilt vor allem für den ersten Teil, da hier in den Bericht einzelner Gnadenerlebnisse der Schwester immer wieder - m i t der stereotypen Einleitung si schreib mir disu wort oder Dar nach hat si mir geschribengrößere Ich-Partien eingeschaltet sind, in denen Christine größere chronologische Zusammenhänge ihrer Kindheit, ihrer ersten Klosterjahre und Askesepraxis vermittelt. Offenbar hat sich hier ein Hagiograph um genaue Informationen und authentische Materialien bemüht, die er als Dokumente des biographischen Gerüsts in seine Darstellung einfügt. Dieser >Autor< präsentiert sich jedenfalls im ersten Teil sehr deutlich als ein kundiger Berichterstatter, der sich um Detailinformationen ihres Lebens und ihrer Gnadenerfahrungen kümmert. So erbittet er sich etwa von Christine eine genaue Aufzeichnung einer bestimmten Heilig-GeistVision, von der sie ihm berichtet habe (p. 107f.), redet mit Christines Mutter über die Vorgeschichte der Geburt ihrer ungewöhnlichen Tochter (p. 282) oder dringt auch bei Christine auf eine Präzisierung ihrer Kindheitserzählungen (p. 262f.). Dabei tritt er zunehmend aus dieser Anonymität des Hagiographen heraus und fungiert als enger Vertrauter, der der Schwester von Gott gesandt worden sei (p. 356), um ihre Erfahrungen schriftlich zu fixieren: er besucht sie am Krankenbett und hält 104
Vgl. hierzu und im folgenden die Angaben und Überlegungen zur Schichtung« des Textes bei Peters, >LebenAutors< brechen freilich - mit einer Ausnahme (p. 495) - abrupt mit dem Beginn der ausladenden Schlußpartie der »minneclichen spruch« (p. 422) ab, in der die stereotype Abfolge von Christines Fragen und göttlichen Verheißungen nur durch zahlreiche erklärende Bemerkungen des Typs un maint oder as vor geschriben ist unterbrochen wird.105 In diesen Ich-Aussagen eines mit Christine vertrauten Schreibers ersteht demnach das Bild einer engen Zusammenarbeit einer begnadeten Schwester mit einem Beichtvater, der in Absprache mit ihr und offenbar durchweg noch zu ihren Lebzeiten ihre Gnadenerlebnisse aufzeichnet, sich dabei auch auf Informationen ihrer Umwelt, vornehmlich aber auf Christines eigene mündliche wie schriftliche Berichte stützt, die er ζ. T. wörtlich in seine Darstellung einfügt. Diese Aussagen zur Textentstehung werden ergänzt durch eine Reihe von Episoden im Mittelteil des Textes (p. 169-422), die um das Thema Verschriftlichung der Gnaden< kreisen, jedoch nicht aus der Eigen- bzw. Ich-Perspektive des >Autors< formuliert sind, sondern die Figur eines schreibenden Bruders, eines »bruder der disw ding von erst schreib« (p.321) vorstellen. Dieser schreibende Bruder agiert in den verschiedensten Konstellationen: er erläutert ihr die Bedeutung von Traumgesichten (p. 93) und scheint ihr jederzeit zur Verfügung zu stehen, denn Christine eilt am Ende eines Gnadenerlebnisses mit den Worten »herre nün las mich, das ich ims sag« (p. 319) zu ihm, damit er das Erlebte sofort niederschreibe. Es folgt ein erklärender und generalisierender Kommentar, der den programmatischen Charakter dieses Zusammenwirkens betont: »vnd das hat sy offt mer getan: dz sie got pat das er sie Hess zü im, wenn sie in vberflussigen gnaden wz got ze einem lob, dz disw grossw ding nicht verdiiget wur105
Dieser Schlußteil der Medinger Gnadenvita beginnt mit einer Art Uberschrift: »Stundeclich vn zitlich sprach unser herre manigen minneclichen spruch zü disem menschen und tett im vil gnaden an gaben vn an andern lvten durch sinen willen vnd aller meist, wonn er sinen lichnam hett enpfangen« (p.422).
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den, sunder das sie geoffent wurden got ze eim lob« (p. 320). Die Tätigkeit dieses schreibenden Bruders wird sogar in den Prozeß der Begnadung einbezogen, denn seine Präsenz provoziert bei Christine ein Hochgefühl, das einer Vereinigung mit Gott entspricht: »Si vergicht och, das ir offt, wenn sie bey im gewesen ist, als wol ist gewesen, als ob si wer vereint gewesen mit got vnd der mensch nicht bey im wer gewesen, vnd do mag man prüfen gotes wolgefallen zü disen dingen, dz dü geöffnet wurden vn die levt dar von gepessert« (p. 320). Zugleich bewirkt dieser Schreiber die Anamnese vergangener Gnadenerfahrungen, die Christine längst vergessen hatte. Sie werden nun in seiner Gegenwart zumindest kurzfristig noch einmal aktualisiert. 106 Damit wird aber der Akt der Verschriftlichung von Christines Gnaden mit einer ungeheuren Bedeutung aufgeladen: er ist nicht nur deutlich von Gottes Wohlgefallen getragen, sondern wird selbst zu einer Art Gnadenwerk, das mit Gottes Unterstützung Christines spirituelles Leben reaktiviert und intensiviert. Und noch weitergehend rückt sogar die gnadenvolle Kooperation der beiden in die heilsgeschichtliche Perspektive einer Auseinandersetzung mit der Gegenwelt des Teufels ein, denn - das zeigt eine Episode im Umkreis des Themas teuflische Versuchungen - 1 0 7 die schriftliche Fixierung des an Christine vollbrachten göttlichen Gnadenwerks wird als eine wichtige Etappe zum Sieg über den Teufel gesehen, der verzweifelt diese Zusammenarbeit der beiden zu verhindern sucht. Diese im Mittelteil des Textes versammelten Episoden zur Figur des »menschen« bzw. »bruder der disw ding von erst schreib« (p. 321) bieten interessante Informationen zu dem Thema begnadete SchwesterBeichtvater: vornehmlich im Sinne ungewöhnlich konkreter kulturhistorischer bzw. lebensweltlicher Details zu den bislang immer nur vermuteten engen Beziehungen der Schwester zu ihrem Seelsorger, den sie nach einer Gnadenerfahrung sofort aufsucht, um ihm das Erfahrene zu berichten (p.319), von dem sie sich über den Sinn ihrer Traumvisionen belehren läßt 108 und mit dem sie auch die bereits vergangenen und 106
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»wenn sie etwenn eins dinges nicht gedacht vnd so der mensch zii ir kom, der disw ding von erst schreib, das sie dann sin gedacht vnd dar nach aber wider vergass, daz sie sin nimer me gedacht« (p. 321). In einem Traum erscheint der Prior mit dem schreibenden Bruder und einem ihr unbekannten, allerdings ihr von Anfang an widerwärtigen Dominikaner, der ihr den Kontakt mit dem schreibenden Bruder untersagt, aber sofort verschwindet, nachdem sie in ihm den Teufel erkannt hat (p.337f.). » . . . mit dem so kumt sie wider in die kappelen vnd vint den prüder dar inn, der diss schreib. Vnd sagt im den spruch. D o fragt er sy, wie sie in verstanden hett. D o sprach sie, sy hett in verstanden uff das himelrich. D a sprach er: also hat ers nit gemeint, er hat es gemeint uff sin lichnam...« (p.339f.).
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vergessenen Erfahrungen neu beleben kann (p.321), also bereits eine zeitlich übergreifende Darstellung ihrer gnaden und wunder konzipiert. Dazu würden auch die im Anfangsteil eingefügten Ich-Berichte der Schwester passen, die offensichtlich auf Veranlassung einer Person entstanden sind, die sich um eine gewisse Vollständigkeit von Christines Gnadenerfahrungen bemüht. Zugleich vermitteln aber diese um den schreibenden Bruder zentrierten Partien nachdrücklich die programmatische Vorstellung, daß zu den göttlichen Offenbarungen auch ihre >Veröffentlichung< gehört, die sich in einer von Gnadenerfahrungen begleiteten Zusammenarbeit von Schwester und schreibendem Bruder vollzieht. Die Verschriftlichung von Christines Gnadenleben und damit auch das vertrauensvolle Zusammenwirken der von Gottes Wundermacht erfüllten Schwester mit dem ihr zugeordneten schreibenden Bruder ist in Gottes Heilsplan eingeordnet. Und das bedeutet, daß auch in diesem Text die herausgehobenen Angaben über die komplizierte Entstehung des Lebensberichts in der Kooperation von Beichtvater und Schwester zum programmatischen Konzept der Lebensdarstellung gehören. Dieser für die Entstehung des Lebensberichts so wichtige Beichtvater bleibt freilich anonym. Sowohl in den Ich-Bemerkungen des >Autors< über sein Verhältnis zu der begnadeten Schwester als auch in den Episoden über das Zusammenwirken von Christine mit dem schreibenden Bruder erfährt dieser schreibende Seelsorger keinerlei historische Konkretisierung. Zumindest fehlen alle Angaben über die näheren Umstände und Daten dieser Zusammenarbeit. Nur an einer Stelle wird eine relative Zeitangabe eingeschoben: »Sie hat dar fur, es wer an dem osterabent in dem ersten iar, do mich got zü ir fugt.« (p. 356). Demgegenüber erhalten wir zu Beginn des Textes sehr genaue biographische Mitteilungen über die Vorgeschichte seiner Entstehung. Denn nach den einleitenden Bemerkungen über Christines Geburt am Karfreitag des Jahres 1277 in Nürnberg und nach der Wiedergabe einer Vision der jungen Christine von dem Auftreten der 24 Alten der Apokalypse wird sofort ihr Beichtvater, der Dominikaner Konrad von Füssen, genannt, dem sie später »das vn ander ding, als an disem buchlin geschriben ist« (p.4) berichtet habe. Daß damit zugleich die Niederschrift ihrer Gnadenerlebnisse verbunden ist, zeigen die folgenden Bemerkungen. Denn es heißt ausdrücklich, daß Christine als 40jährige Schwester, also im Jahre 1317, im Advent ihrem Beichtvater Konrad von Füssen die »wunder, die ir got het getan« (p. 4), eröffnet und mit ihm zusammen während der nächsten sieben Jahre, also bis ins Jahr 1324, das vorliegende 161
»büchlin« (p. 4) geschrieben habe: »In einem aduent hüb sie an dem bychtiger zesagen von den wundern, die ir got het getan, vn schriben disz büchlin siben iar« (p. 4f.). Und tatsächlich scheinen die nachfolgenden Ich-Berichte Christines von ihren kindlichen Gnadenerlebnissen und ihren ersten Jahren im Konvent aus der Perspektive der 40jährigen Christine verfaßt zu sein. Zumindest verweisen alle genaueren Zeitangaben auf das vierzigste Lebensjahr der begnadeten Schwester. 109 Christines Aufzeichnungen bzw. die Ich-Partien des ersten Teils könnten demnach auf Initiative und im Kontakt mit jenem Konrad von Füssen entstanden sein, der in der Anfangspartie des Textes immer wieder erwähnt wird: als Beichtvater des Konvents, dem wohl auch der vor der Themennennung eingeschobene Brief Christines an den »lieben herren bruder Conrat« (p.27—31) gilt. Dieses persönliche Dokument ihrer göttlichen Freundschaft hätte dann Konrad von Füssen als Redaktor in den Bericht eingefügt. Zu diesen Angaben würde auch die allerdings sehr allgemein gehaltene Bemerkung passen, daß der Beichtvater des Konvents im Jahre 1324 nach Freiburg gegangen sei (p. 10) und die 47jährige Schwester auf den Abschied ihres Beichtvaters mit einem besonderen Traum von dem 12jährigen Christus reagiert habe. Die sieben Jahre des gemeinsamen Schreibens würden sich dann auf die Präsenz dieses Beichtvaters beziehen, der im Jahre 1324 den Konvent verlassen mußte. Wir kennen diesen Konrad von Füssen auch aus Christines Engelthaler Schwesternbuch, 110 vor allem aber aus dem Lebensbericht des Engelthaler Kaplans Friedrich Sunder, der ebenfalls - nach dem prologartigen Anfangsteil des Textes - von diesem Dominikaner zur Niederschrift seiner Gnadenerlebnisse angeregt worden ist. 111 Konrad von Füssen scheint demnach während seines Aufenthalts in Engelthal in besonderer
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Etwa die Behauptung, sie habe sich eine bestimmte marter gewünscht seit ihrem 13. Lebensjahr bis jetzt, d. h. »an die zyt das es (= das mensch) vierzig iar alt was an dem karfritag da ditz gesriben warde.« (p. 65); oder etwa der Hinweis auf eine spezielle, vom 14. bis zu ihrem 40. Lebensjahr praktizierte Übung mit einem härenen Hemd (p. 123), auf ihren Fleischverzicht, den sie inzwischen 25 Jahre durchgehalten habe (p. 127) und schließlich auch ihre Bemerkungen über einen viereinhalbjährigen Zustand der Gottesferne, den sie mit 31 Jahren - durch einen Akt des Ungehorsams- verschuldet habe, der aber nun schon seit vier Jahren beendet sei (p. 104, 201). Zu dieser >Chronologie< vgl. dazu die Überlegungen bei Peters, >LebenAufstieg< etwa Elsbeth Stagels von der nur kurz namentlich erwähnten Schwester, über die Verfasserin des Tösser Nonnenbuchs zur prominenten geistlichen Tochter in Seuses >Vita< läßt sich auch bei Konrad von Füssen in seinem literarischen Auftreten eine erstaunliche >Karriere< dieses Dominikaners verfolgen. Im Engelthaler Nonnenbuch ist er noch einer der vielen Beichtväter, der u. a. die sterbende Schwester Elsbeth von Klingenberg geistlich betreut. Schon im Gnaden-Leben des Friedrich Sunder ermuntert er einen Angehörigen des Klosters zur Niederschrift seiner spirituellen Erfahrungen und in der einleitenden Konrad von Füssen-Partie der Gnadenvita der Christine Ebner spielt er schließlich sogar die prägnante Rolle eines Förderers und Schreibers von Aufzeichnungen der Visionen einer prominenten Schwester. Außerhalb dieser Texte ist er allerdings nicht nachweisbar, so daß wir ganz auf ihre Informationen angewiesen sind. Und dabei fragt es sich, ob die Angaben in den Lebensberichten Christine Ebners und Friedrich Sunders über seine Rolle als Initiator und aktiver Förderer der Aufzeichnungen spiritueller Erlebnisse von Engelthaler Klosterinsassen unabhängig voneinander entstanden sind. In Christines Text tritt die Figur des dominikanischen Beichtvaters Konrad von Füssen nur in den ersten Abschnitten (p. 1-31) auf: in jenen locker gereihten Episoden und zeitgeschichtlichen Anspielungen, die dem pointierten Neueinsatz, dem - wie es scheint — eigentlichen Beginn des Textes, mit der Themennennung des »buchs« (p.31) unmittelbar vorausgehen. Dieser Konrad von Füssen ist der Beichtvater des Konvents, scheint aber von Christine besonders frequentiert zu werden, die ihm ihre Gnadenerlebnisse anvertraut. Diese Konrad von Füssen-Partien enden mit Christines Brief an »bruder Conrat« (p.27), an den sich übergangslos der materien-Katalog des buchs, eine Aufzählung der behandelten Themen anschließt: »Disz buch hat materien vil, der ich zehen uzs welen will« (p.31). Im folgenden wird zwar gelegentlich die vertraute Beziehung der begnadeten Schwester zu einem »gaistlichen priester«, dem sie »heimlich waz« (p. 325), einmal sogar explizit der Abschied eines Predigers angesprochen, »dem disv ding kund waren« (p. 333f.). Er soll die Wunder, die Gott mit ihr vollbracht hat, verbreiten, besonders in »eim stetlin . . . wann do wer ein wildes land und werin globig leut do« (p. 334). Es fehlt jedoch jeder Name, der eine biographische Ausdeutung solcher nur scheinbar konkreten Bemerkungen er163
laubte. Historisch-biographische Informationen über einen Beichtvater bietet nur der Anfangsteil mit der Figur des Konrad von Füssen. Es liegt deshalb nahe, die späteren Hinweise auf einen vertrauten Seelsorger, die im Mittelteil des Textes verstreuten Anspielungen auf den »prüder der diss schreib« (p. 338), ja sogar den Berichterstatter des ersten Teils, der Christines Aufzeichnungen in seine Darstellung einarbeitet, auf jene Konrad von Füssen-Figur zu beziehen. Dazu würde auch passen, daß Christines Ich-Bericht des ersten Teils in ihrer internen Chronologie - sie spiegeln die Perspektive der 40jährigen Christine wider - sehr genau den Daten der Konrad von Füssen-Partie entsprechen. Trotzdem sollte man darauf verzichten, konkretere Filiationen zwischen den Konrad von Füssen-Episoden des Beginns und den späteren Beichtvater-Anspielungen bzw. den Ich-Aussagen des schreibenden Seelsorgers nachzuzeichnen. Die Ich-Perspektive des Redaktors bzw. des Verfassers geht weit über 1324 hinaus bis zur Gegenwart des Schreibens im Kontakt mit der alten Schwester. 112 Und jener Dominikaner Konrad von Füssen wird zu Beginn des Textes mit seiner konkreten biographischen und chronologischen Einbindung als namentlich genannter Beichtvater und Vertrauter der schreibenden Schwester, deren literarische Aktivitäten er sieben Jahre lang, von 1317 bis 1324, begleitet, merkwürdig abgelöst von den späteren, deutlich unpersönlich gehaltenen Beichtvater-Schreiber-Informationen des Textes eingeführt. Er wirkt deshalb eher wie eine - vielleicht sogar erst nachträgliche- historisch-biographische Konkretisierung der verschiedenen im Text verstreuten Beichtvater-Anspielungen oder genauer: wie eine personalisierte Demonstration der Entstehung jener im ersten Teil versammelten dokumentarischen Ich-Berichte der 40jährigen Schwester über ihre Kindheit, Jugend, Askese und Gebetspraxis der frühen Klosterjahre. Die Figur des Dominikaners Konrad von Füssen, eines Engelthaler Beichtvaters, der Christines Gnadenerlebnisse verfolgt, sie mit ihr zusammen schriftlich fixiert und im Jahre 1324 nach Freiburg geht, fällt in 112
Vgl. etwa die Bemerkung: »vn verstat ez noch, als sie es do verstond« (p. 148); »dis begird hat si gehabt von iren iungen tagen von der zyt, do got mit ir an fieng huntz nvn« (p. 168); »si spricht och, dz si sit dem iar vn si gehorsam tett vntz an disen tag ie an etlich amt gewesen ist« (p. 200); »si hat die gnad von iren kintlichen tagen vff gehabt vnd hat n o c h . . . « (p.234); »vn das si diser köstigung vn andrer köstigung nun nicht gepflegen mag von grossem siechtum vnd kranckheit, das ist ir dw grost trubsal« (p.363f.); »si wz och gar ankretig vnd ist noch« (p.419). - Die durch Altersangaben oder zeitgeschichtliche Anspielungen fixierbaren Textpartien gehen bis 1344 (Offenbarung an die 67jährige Visionärin, p.33) bzw. 1346/47 (Anspielung auf das Doppelkönigtum von Ludwig dem Bayern und Karl IV., p. 382).
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ihrer historisch-biographischen Ausgestaltung aus dem Rahmen der für den Text charakteristischen unspezifischen Personendarstellung heraus. Historische Konturen gewinnt neben ihm nur noch jener »caplan fridericus« (p.324), »prüder fri der caplan« (p. 348), gelegentlich auch der »alt caplan« (p.22) genannte Friedrich Sunder. Er ist ein geschätzter Beichtvater, der einen abtrünnigen Zisterzienserabt vor der Verdammnis bewahrt (p.301ff.), Christine das »tortuosum« (p.324) der Sequenz >Ave praeclara< übersetzt und interpretiert und für sie im Traum eine Messe zelebriert, die er zur selben Zeit in dem nahegelegenen Ort Offenhausen gehalten hat (p. 348f.). Seinem >schnellen< Tod folgt die freudige Aufnahme in den Himmel, die Christine in einer Vision verfolgen kann (p. 2 2 - 2 6 ) . Damit sind freilich bereits die Informationen unseres Textes über den »alt caplan« (p. 22) Friedrich Sunder erschöpft. Genaueres erfahren wir von diesem Weltgeistlichen aus dem Engelthaler Nonnenbuch, 113 dem Gnaden-Leben Friedrich Sunders und vor allem aus Engelthaler Urkunden, die - nach Siegfried Ringlers Darstellung 1 1 4 - auch das öffentliche Auftreten dieses langjährigen Engelthaler Kaplans dokumentieren. Christines Text bietet keine Hinweise auf diese offiziellen Aktivitäten des Kaplans, er vermittelt jedoch einen guten Eindruck von der Präsenz dieses geschätzten Beichtvaters als spiritueller Berater. Während mit dem »caplan fridericus« (p. 324) die historische Figur des Engelthaler Kaplans Friedrich Sunder in der selbstverständlichneutralen Rolle des Beichtvaters und Beraters präsentiert wird, tritt im Schlußteil des Medinger Textes die Figur eines ungenannten »frund« 1 1 5 in den Vordergrund, der wiederum keine historische Konkretisierung erfährt. Es liegt nahe, in ihm jenen »sunder freunt« 1 1 6 des anderen Christine Ebner-Textes, der in der Nürnberger Ebner-Handschrift überlieferten Visionen der Jahre 1344 bis 1351/52, zu sehen: den »wertlich priester Heinrich« (fol. 144r) und das hieße: jenen Heinrich von N ö r d lingen, der bereits im Margarethe-Ebner-Korpus eine besondere Rolle
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Engelthaler Nonnenbuch: S. 15, 22 (»Friderich der alte caplan«); 40, 2 0 - 4 1 , 23 Bericht über den Tod dieses »heilig caplan« (S. 40, 26). Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 449f.; vgl. auch S. 364f. Vgl. neben p . 4 8 2 besonders: »dv solt i(m) sagen, er wer in vil iaren zv dem leben komen, vn wer er herr zv dir nit komen« (p. 506); »ditz solt dv dim frund sagen zu eim vrkund, das er dest minder zwiuel dar an« (p.654) oder: »vn gedacht . . . das er si nit liesz engelten eins irs frunds, wenn si pi im was. Vnd das ander lut so groszen schaden da von namen, die frundschafft hant, als man set, das er di sins trosts etwenn der von beraubt. Vnd das er ir allweg so gutlich tat vn si mer gnaden offt hat, wenn ir frund do wer denn süss« (p. 693). fol. 144r; zur Rolle dieser Figur in den Nürnberger Visionen vgl. unten S. 169ff.
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als Seelsorger und geistlicher Freund hatte. Auffallende wörtliche Übereinstimmungen, zumindest parallele Formulierungen der beiden Christine-Texte sprechen für diese Identifizierung, denn in beiden Fällen handelt es sich um göttliche Lehren und Verheißungen, in denen die Schwester auf ihr Verhältnis zu diesem frund angesprochen wird. In dem Medinger Lebensbericht sind die Angaben des Schlußteils über diesen Priester jedoch sehr allgemein gehalten. Der frund ist hier offenbar ein ihr von Gott gesandter besonderer Vertrauter, in dessen Gegenwart sie mehr Gnaden als sonst erfährt (p. 693) und der seinerseits durch Christine spezielle göttliche Belehrungen und Versprechen erhält: etwa ausgewählte Gnadenerlebnisse, weil er - im Gegensatz zu Christine - in besonderer Weise >bereit< dazu sei (p.482). Eine begnadete spirituelle Beziehung also, die schließlich sogar typologisch auf das herausgehobene Verhältnis Marias zu dem Jünger Johannes bezogen wird, dem Christus die Verantwortung für seine Mutter anvertraut habe: »Item ich enpfalh min lieb muter iohani, so han ich dich enpfolhen dem« (p. 691). Aber nur bei einer dieser Verheißungen scheint eine konkrete biographische Ebene thematisiert zu werden: Christine wird hier aufgefordert, ihren frund an das Beispiel von David und Moses zu erinnern, die trotz ihrer restlosen Bemühungen um das Königreich bzw. das Volk Israel immer die Gnade göttlicher Rede empfangen hätten (p. 653f.). Auch er solle deshalb nicht daran zweifeln, daß Gott auch und gerade mit dem in weltlichen Pflichten verstrickten Menschen spreche, d.h. ihm seine Geheimnisse eröffne. Hier mögen nicht nur Christines Klagen über ihre Belastungen mit »vssern dingen« (p. 653) gemeint sein, sondern vielleicht auch sehr konkret die Probleme einer >historischen< Person: jenes betriebsamen Weltgeistlichen Heinrich von Nördlingen, wie wir ihn aus seinen Briefen an Margarethe Ebner kennen. Und doch ist das Verhältnis von Ämterpflichten und meditativer Abgeschiedenheit zugleich auch ein zentrales Thema der Nonnenliteratur, das nicht unbedingt eine konkretbiographische Zuweisung verlangt. Der frund bleibt deshalb in der Gnadenvita der Christine Ebner eine schemenhafte Figur, die aus dem bekannten Themenrepertoire des Beichtvater-Komplexes nicht herausfällt. Er gewinnt lediglich in der Schlußpartie der »minneclichen spruch« (p.422) Konturen; allerdings nicht in den üblichen Schwester-Seelsorger-Konstellationen und -episoden, sondern in einer Serie von göttlichen Verheißungen, die deutlich an das Vorwissen der Hörer und Leser appellieren: »ich wils aber deim frvnd tvn dvrch dinen willen dir zelieb ...« (p. 482) oder »das solt dv dim frund sagen zü eim urkund, das er dest minder zwiuel dar an« (p. 654). In dem Medinger Text scheint er jeden166
falls eine bekannte Figur zu sein, die nicht eigens eingeführt werden muß, sondern in Anspielungen und Verweisen präsent ist. U m so expliziter ist dafür der Nürnberger Ebner-Text, jener chronologische Bericht von Christines Gnadenerfahrungen der Jahre 1344 bis 1351/52, in dessen Schlußteil ein »freunt vnsers herren« bzw. »der swester sunder freunt in vndern herren« (fol. 144 r) eine besondere Rolle spielt. Dieser Text unterscheidet sich - trotz zahlreicher wörtlicher Ubereinstimmungen - erheblich von der Medinger Gnadenvita. Während der ausladende Medinger Lebensbericht mit seiner Mischung von Ich- und Er-Partien, den Berichten von Christines Geburt, ihrer Kindheit und Jugend, ihrer Askese- und Gebetspraxis im Kloster, ihrer Krankheiten und Gnadenerlebnisse, dem Wechsel von Einzelepisoden und übergreifenden Berichtspartien, annalistischer Reihung und undatierter Verheißungen den Eindruck einer auf Vollständigkeit ausgerichteten Zusammenstellung sehr verschiedener Materialien vermittelt, bietet der Nürnberger Text ihrer Gnadenerfahrungen ein wesentlich geschlosseneres Bild: er beschränkt sich auf die Wiedergabe der z.T. minutiös chronologisch geordneten Gnadenerlebnisse, die eine »heilige person« (fol. l r ) in Engelthal von Ostern des Jahres 1344 bis Ende 1351 bzw. Pfingsten 1352 gehabt hat. Im Zentrum des Berichtsinteresses steht die >Heiligkeit< dieser 67- bzw. 74-/75jährigen weithin berühmten Engelthaler Schwester, die sich - eingepaßt in den festen Rahmen des Konventsleb e n s - auf vielfältige Weise äußert: in Visionen, Entrückungen, Träumen, Gesprächen mit Gott, in ihrer strengen Askese und täglichen Kommunion, der Belehrung und göttlichen Verheißung, der Gabe der Prophezeiung und häufigen Gnadenfrucht, ja sogar der Wunderheilung. Es fehlen die in den Medinger Lebensbericht eingepaßten Partien der >VorgeschichteWahrheit< in einem Traum prononciert betont wird. 1 1 8 Entsprechend unterschiedlich bietet sich in beiden Texten das Thema >Schreiben< dar. In der Medinger Vita wird - zumindest im Mittelteil - in verschiedenen Episoden Christines Zusammenwirken mit einem schreibenden Bruder und das bedeutet: der komplizierte Prozeß der Verschriftlichung ihrer Gnadenerfahrungen vorgeführt. In dem Nürnberger Visionentext bleibt hingegen dieser gesamte Komplex ausgespart. Der Schreibvorgang ist ganz auf Christine selbst konzentriert. Gott
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werden zwar - n e b e n dem Amt der Pförtnerin (p. 63; 109; 200; 721) der Werkmeisterin (p.218) und ihren Problemen mit dem Siechenamt (p. 2 0 1 ) - gelegentlich die Pflichten und Sorgen eines beschwerlichen >Amts< erwähnt (etwa p. 157; 249f.; 306; 456) bzw. wird eigens festgehalten, daß sie sich seit einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr den Aufgaben der Amter entzogen habe (p.200), die freilich ganz unspezifiziert bleiben. Allerdings vermittelt auch Heinrich von Nördlingen in einem seiner Briefe an Margarethe Ebner das Bild einer Christine Ebner, die für den gesamten Konvent Verantwortung trägt (Brief XXVI, 21f., S. 210). In der Forschung ist Christines Priorinnenamt kontrovers diskutiert worden. Gegen ihre Stellung als Priorin scheint zu sprechen, daß sie, die nicht in der Engelthaler Priorinnenliste aufgeführt wird, im Prolog ihres Engelthaler Nonnenbuchs behauptet, »zu disen dingen mit der gehorsam« (S. 1, 13) gezwungen zu sein. Dieser Gehorsam, in dem man einen >Auftrag< der Priorin sah, kann sich allerdings auch auf den göttlichen >Schreibbefehl< beziehen, wie er in Christines Nürnberger Visionen-Text (fol. 64 v) bezeugt ist, zumal die Verfasserin des Engelthaler Nonnenbuchs zugleich auf ihre fehlende Bildung abhebt: »Nu wolt ich gern schreiben etswaz von der genaden uberlast: so han ich laider deinen sin und kan dar zu der schrift n i h t . . . « (S. 1, l l f . ) . Gehorsam würde dann - w i e bei Mechthild von M a g d e b u r g - auf die Selbstdarstellung einer durch göttliche Eingebung inspirierten, ungelehrten Frau verweisen. Zur Priorin-Diskussion vgl. auch Blank, Nonnenviten, S. 78, Anm. 3. »Donach an der mitwochen gedoht si ir, daz got alz grozze wunder mit ir tet, ez wer den leuten vngeleuplich. Vnd do si vndern herren enpfing, do träumt ir, wie sie kom in ein closter, daz waz reht, alz ob di prediger ir hohz Capitel wolten sitzen. Vnd kom ein pot vnd proht ein puch. Vn daz selb puch laz er den predigern offenlichen. Vn an dem puch prüft si daz nahent, daz all di gutet dor an stunt, di ir got geton het. Vn sunderlichen daz si vngleupig dauht. Vn sprach der pot, do er ditz puch gelaz: dise ding, di hot got zu gut geton eim pischof; der ist aller erst tot, vn nah seim tot ging gar ein süsser smag von im. Do wurden ir di sinn vf geton, daz ir ditz dink dor vm getrawmt wer, daz si furbaz iht mer zweifelt an der gutet, di ir got tet« (>170f.Liebe< zu »disen dingen« (fol. 130v) und in ihrer Hoffnung auf das Wirken Gottes in der Welt bestärkt werden. 119 U n d Christine übernimmt diese Aufgabe allein, ohne sich auf eine andere Hilfe als die Gottes zu stützen: » D o fragt si vnsern herren, wi si ez schreiben solt. D o sprach er: der gaist der worheit, der hot mir ez kunt geton« (fol. 75 v). Jedenfalls tritt sie im gesamten Text als eine selbstbewußte Autorin auf, die allein zur Ehre Gottes eine Vitensammlung ihres Konvents, »ein buchlein (...) von den gotlichen gnaden, die vnser herr den swestern in irem closter getan het« (fol. 71 r), verfaßt, 120 ihre eigenen Gnadenerfahrungen aufschreibt und diese Tätigkeit nur ausnahmsweise einmal - aus Schwäche- unterbricht: »An sant elspeten abent, do viel ir ein, si wolt nimmer schreiben, wann sie dauht sich zu swach dor zu« (fol. 146 r). Uber die Modalitäten und Gründe ihres Schreibens verhandelt sie nur mit Gott selbst. 121 Seelsorger scheinen keinen Anteil an der Verschriftlichung ihrer Gnadenerfahrungen zu haben. Das ist um so erstaunlicher, als im Schlußteil des Textes Christines besondere Beziehung zu einem Priester Heinrich ein zentrales Thema ist. Diese Partie setzt mit dem Bericht von der Ankunft dieses Weltgeistlichen in Engelthal am 9.11.1351 ein: » D o man zalt von Cristus gepurt tausent ior drewhundert iar vn in dem L I iar an sant theodorus tag, do kom ein werltlicher prister hintz dem closter, der hietz heinrich vnd waz ein freunt vnsers herren vnd aller guten leut. Vn waz der swester sunder freunt in vnderm herren. Vn der waz wol drei wochen datz dem closter; vn di selben zeit vnd wol aht tag hinnoch tet ir got all tag sunder gnade«, (fol. 144 rv). In regelmäßigen Abständen folgen nun in enger Chronologie Informationen über diese »gnoden reiche zeit« (fol. 151 v) der Präsenz dieses Priesters, der ihre Gnadenerlebnisse verstärkt (fol. 155r) und zugleich zum vornehmlichen Objekt ihrer Gespräche mit Gott wird. Spuren dieser Priester-Thematik finden sich zwar schon vorher: in
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»Ditz dink sol geschriben werden, swer ez hernach hört oder list, daz der dester mer minn vnd gedingen hab zu disen dingen« (fol. 130v). Es folgt der Dialog: »do sprach si zu im: vil liber herre, daz büchlein hon ich dir zu ein eren gemacht. D o antwurt er ir vnd sprach: so hon ich dir ein so grozzen leumunt geben, daz manig heilig ist, von dem man singt vnd list, der nie kein az grozzen leumunt gewan alz du« (fol. 71 r). Vgl. etwa fol. 75v; oder: »Eins andern tagez sprach er hintz ir: di hernach dein schrift lesen, die wunderlichen ding, di ich dir geton hon, di sullen sich sein nit w u n d e r n . . . « (fol. 143v).
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kurzen Bemerkungen über das Eintreffen eines Priesters in Engelthal, 122 die jedoch ganz allgemein gehalten sind. Der weitgereiste Weltgeistliche zelebriert ζ. B . in Engelthal eine Messe, die Gott ausdrücklich als »gewerliche messe« (fol. 8 v) bezeichnet, deren Teilnehmern er die Erfüllung ihrer Bitten gewähre. Eine speziellere Beziehung dieses Priesters zu Christine wird nur an einer Stelle angesprochen, wenn es zum Jahre 1346 heißt: »An vnser frawen abent assumpcio, do kom ein heiiger prister hintz dem closter, der het ein sunder minne werk mit dir heiigen swester« (fol. Urs). Daß mit diesem mehrmals erwähnten, aber ungenannten Priester der Weltgeistliche Heinrich des Schlußteils gemeint ist, zeigt schließlich eine Offenbarung des Jahres 1350, in der Gott ihr von dem Engel Gloriosus berichtet, den er seinem Priester wegen seiner besonderen Verdienste beigegeben habe. 1 2 3 Dieser Engel Gloriosus tritt später in den Priester-Heinrich-Gesprächen des Jahres 1351 noch einmal auf: als Engel des »vorgnanten pristers« (fol. 150v) Heinrich: »Si hört, daz under herre vom thron herab rief dez vor gnanten pristers engil gloriosus vn sprach: ich hon dich geert vnd hon dich höh gewirdigt vn wil dich noch mer eren do von, daz du eins menschen pfligest, der mir alz reht liep ist« (fol. 150 v). Dieser Weltgeistliche Heinrich ist der thematische Fixpunkt der Schlußpartie des Textes, die um den dreiwöchigen Aufenthalt dieses geistlichen Herren in Engelthal kreist. Christine hat - in dieser »gnodenreichen zeit« (fol. 149r) bzw. in »dirre hohzeit« (fol. 1 5 0 r ) - fast tägliche Gnadenerlebnisse, besonders während seiner Messe, erblickt seinen und ihren Engel, bittet für den »vorgnanten prister« (fol. 154 r), der betrübt sei, und erfährt von Gott spezielle Verheißungen, die diesen Priester, gelegentlich auch den »tauler«, also Johannes Tauler, betreffen: 124 Gott 122
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Vgl. etwa 1344: »an eim suntag, do waz komen ein werblicher prister verre landes zu in, wan er si vnd si in in got liep heten . . . « (fol. 8v); 1346: »Vnser herre sprach zu ir von eim prediger: ich spil mit seim leben von trewen, di sein hertze gegen mir hat. So han ich im vil vertragen, daz im di leutnit wollen über sehen« (fol. 73 r); 1348: »An dem andern tag, do laze ein werltlicher prister messe in dem kor, do sah si in dem oblat . . . « (fol. 80v). »Vnd offent ir von eins pristers engil. Der wer auch in iren kor vnde hiez gloriosus. Der wer im dor um geben vmb sein erbergez leben« (fol. 108 r). 1351: » D o sprach er: ich wil im ein lust geben seiner sei vn seim leib; do ist mir paz mit denn mit der heiigen lob in dem himel« ( > 1 6 7 v < ; da ab fol. 157v die Zählung nicht mehr stimmt, ist die Angabe irreführend: eigentlich fol. 158v); »ich wil im geben ein Sicherheit meiner freuntschaft vn ein hitz von meim gotlichen hertzen« ( > 1 6 9 < ; fol. 1 5 9 r ) ; »Er sprach von zwein pristern, die vor gnant sein: ich minne si mit trewen; ich han mein gotlich gunst zu in gekert« (Ebda.); »Er sprach von dem tauler: ich won in im alz ein sussez Seiten spil« (Ebda.); »Er sprach von dem heinrich: ich sih in an mit mein parmhertzigen äugen. Vn sprach aber von im: er sol sein in eim aufgang vn in einem z u n e m e n . . . « ( > 1 6 7 < ; fol. 159v).
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nehme ihn in seine Barmherzigkeit und Minne auf, wolle besondere Wunder mit ihm wirken, obwohl er noch ein weltliches Gewand trage, und gebe ihm die Gabe, daß seine Worte in den Herzen der Leute noch »prinnender« (fol. 154r) würden. Er solle deshalb auch andere Orte aufsuchen, um dort zu predigen. Diese Predigterfolge des Weltpriesters Heinrich werden noch einmal angesprochen, als es in einem Lehrgespräch um die verschiedenen Tätigkeitsbereiche der Geistlichen und ihre Bedeutung geht. Hier wird Christines geistlichen Freunden, dem Weltgeistlichen Heinrich und dem Dominikaner Tauler, eine besondere Ehrenstellung zugewiesen, denn sie hätten »daz ertrich an gezunt mit iren fewren zungen« (fol. 156v) und deshalb den höchsten Rang inne. Ihr beider Name sei im Himmel angeschrieben: »der hiez einer der tauler vn waz ein prediger, der ander hiez heinrich, der auch vor me do geschriben stet« (fol. 157r). Auch Maria schließt sich diesen besonderen Verheißungen ihres Sohnes für den Priester Heinrich an, wenn sie ihm während der Messe Rorate durch Christine spezielle »minnegruz« (, fol. 159v) übermitteln läßt: »Du solt im mein minnegruz von mir sagen. Du solt im sagen, ich wol furpaz sein gespuntz vn sein geminte freuntin sein alz seins lebens vntz an sein tot« (, fol. 159v). Der Nürnberger Bericht von Christines Gnadenleben der Jahre 1344 bis 1351/52 bietet demnach ausgeprägte Informationen über das Auftreten eines Weltgeistlichen Heinrich in Engelthal, der in einer besonderen Beziehung zu Christine steht. Dabei ist in diesem Text der vertrauensvolle Umgang dieses Priesters zu der begnadeten Schwester nicht dem Thema Verbreitung und Verschriftlichung der göttlichen Wunder< untergeordnet, indem Christine diesem Seelsorger - und nur diesem - ihre Gnadenerlebnisse eröffnet hätte und von ihm zur Niederschrift ermuntert worden wäre. Diese Form einer gnadenvollen Zusammenarbeit bleibt hier völlig ausgespart. Im Zentrum des Interesses steht vielmehr ein generelles Zusammenwirken der beiden auf dem Weg ihrer Begnadung: der Priester verstärkt mit seinen Messen und seiner fast täglichen Kommunionspendung ihre Gnaden und profitiert seinerseits exemplarisch von ihrer Mittlerfunktion als heilige Schwester, der göttliche Offenbarungen und Verheißungen auch für ihn zuteil werden. Diese besondere Ausprägung der Seelsorger-Thematik, bei der der Aspekt des Schreibens völlig ausgeblendet wird, entspricht zugleich der Ausrichtung des Textes auf die >Heiligkeit< der Engelthaler Schwester, die unerhörte Gnadenerlebnisse erfährt und dabei auch die Erhöhung ihres »sunder freunt in got« (fol. 155 r) erwirkt. Dieser Weltgeistliche Heinrich wird - sicher zurecht - mit dem friunt 171
der >Offenbarungen< Margarethe Ebners, jenem Heinrich von Nördlingen identifiziert, der in seinen Briefen an die Medinger Schwester auch über seine Verbindungen zu Engelthal, speziell zu Christine Ebner berichtet. 125 Das würde bedeuten, daß dieser Heinrich von Nördlingen im Herbst des Jahres 1351, nach dem Tod Margarethe Ebners, rund drei Wochen in Engelthal verbracht und hier durch seine Präsenz als Priester, als Seelsorger und Gesprächspartner die Gnadenerfahrungen Christine Ebners intensiviert hätte. Die biographischen Hintergründe dieser Darstellung bleiben freilich unklar. Wir kennen nur die literarische Ausgestaltung der geistlichen Freundschaft der 74jährigen Engelthaler Visionärin zu dem Weltgeistlichen Heinrich in dem Nürnberger Text, die auf eine Verherrlichung der beiderseitigen Begnadung abzielt. Dabei rückt der »vor gnante prister« (fol. 151 r) zunehmend ins Zentrum von Verheißungen, die ihn wegen seiner Tugenden und seiner engen Bindung an Christine Ebner der besonderen göttlichen Liebe versichern. Diese Apotheose des Weltgeistlichen Heinrich im Schlußteil des Nürnberger Lebensausschnitts könnte darauf hinweisen, daß Heinrich von Nördlingen an der Entstehung dieses Textes beteiligt gewesen bzw. daß diese Fassung von Christines Gnaden-Leben in seinem näheren oder weiteren Umkreis entstanden ist. 126 Eine Verfasserschaft dieses Heinrich von Nördlingen scheint allerdings nicht wahrscheinlich zu sein. Seine herausragende Stellung als Objekt göttlicher Verheißungen in der Schlußpartie dieses Textes würde eher auf einen Hagiographen verweisen, der in der Umgebung Heinrichs von Nördlingen zu suchen wäre, der über dessen Kontakte zu Margarethe und Christine Ebner informiert ist und deshalb möglicherweise auch den »werblich prister« (fol. 144r) Heinrich programmatisch in den Gnadenprozeß der Christine Ebner einbezieht. Diese Überlegungen zur möglichen direkten oder indirekten Beteiligung 125
126
Brief X X V I : »Christin von Engeltal hat mir geantwürt« (21f., S. 210); X L I I I : »ich wolt es ( = Mechthilds f l i e ß e n d e s Licht der Gottheit*) auch gen Engeltal liehen« (140f., S. 247); L H : »uns ist ein grosser und geträwer fründ tod ze Basel, die hiesz Anna; der gedenkent fleissiglich durch got. von der senden wier dir und Kristina von Engeltal und Irmeln von Hochenart einen guldin...« (60ff., S. 266). Merkwürdigerweise ist dies nie erwogen worden, obwohl Heinrich von Nördlingen, der Mittelpunkt eines Basler Kreises von >Gottesfreunden< und engster Berater Margarethe Ebners, als einer der aktivsten Förderer frauenmystischer Literatur gilt. N u r für die von Hartmann Schedel erwähnte Pillenreuther Handschrift einer Christine-Vita vermuten Gürsching, S.54 und Langen, Elvira: Eine neue Quelle für die Kenntnis des mystischen Lebens im Kloster Pillenreuth. (Untersuchungen und Texte). Diss. Heidelberg 1960, S. 19, ein >Alterswerk< Heinrichs, der sich am Ende seines Lebens zu den Augustinereremitinnen nach Pillenreuth zurückgezogen und hier aus seinen Materialien ein uns allerdings nicht mehr erhaltenes >Leben< Christine Ebners zusammengestellt habe.
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Heinrichs von Nördlingen an der Entstehung der Christine Ebner-Texte lassen sich freilich kaum weiter verfolgen, solange wir keine tragfähigen biographischen Zeugnisse zu diesem Weltgeistlichen haben. Wir kennen ihn nur aus seinen spät überlieferten Briefen an Margarethe Ebner und als Rollenfigur des geistlichen Freundes in Margarethe und Christine Ebners Gnadenviten. Außerhalb dieser literarischen Dokumente fehlt von ihm jede Spur. Es bleibt uns demnach die literarische Figur des Priesters Heinrich in den Texten Margarethe und Christine Ebners bzw. ihre literarische Ausgestaltung der Beziehungen dieser begnadeten Dominikanerinnen zu einem ihnen vertrauten geistlichen Freund. Die Unterschiede in der literarischen Konkretisierung der Rolle dieses sunder frund in got sind allerdings erheblich. Bei Margarethe Ebner ist er nicht nur der geschätzte Seelsorger und einzige Vertraute ihrer Leiden und Gnadenerlebnisse, sondern auch der Initiator ihrer Aufzeichnungen, der den Prozeß ihres Schreibens aktiv unterstützt und aufmerksam verfolgt. Dieses Bild des geistlichen Freundes als eines unermüdlichen Förderers von Margarethes Niederschrift ihrer Gnadenerfahrungen ersteht vornehmlich in den Briefen des Priesters Heinrich an die Medinger Nonne und erhält in den >Offenbarungen< seine prägnante Zuspitzung in dem Thema des >Schreibbefehls< durch den frunt. Ganz anders ist freilich die Rolle des geistlichen Freundes in den beiden Christine Ebner-Texten: in der breit angelegten Medinger Gnadenvita erscheint er lediglich in Andeutungen der Schlußpartie der minnespruch als ein Gegenstand spezieller Verheißungen, bleibt aber ohne weitere biographische Konturen. In dem Nürnberger Visionentext der Jahre 1344-1351/52 gewinnt er hingegen Profil als ein »werltlich prister« (fol. 144 r) Heinrich, der sich gelegentlich im Kloster aufhält, hier in engem Kontakt mit Christine ihr Gnadenleben intensiviert und seinerseits über Christines Vermittlung das Versprechen größter Begnadung erhält. In beiden Fällen ist er an der Entstehung von Christines Vitenliteratur unbeteiligt. In der Medinger Fassung ihres >Lebens< arbeitet die Engelthaler Schwester zunächst mit dem Dominikaner Konrad von Füssen, später mit einem ungenannten schreibenden Bruder zusammen, dem sie schriftlich und mündlich ihre Gnadenerfahrungen zukommen läßt. Und in dem Nürnberger Text figuriert Christine Ebner als selbständige Hagiographin, die ohne fremde Hilfe ihre Texte verfaßt. Der Weltgeistliche Heinrich hat zwar in den Berichten des Jahres 1351 an ihrem spirituellen Leben einen bedeutenden Anteil, nicht aber an ihrem Schreiben, bei dem sie ausschließlich in Zwiesprache mit Gott vorgestellt wird. 173
Bereits hier zeigt sich die textspezifische literarische Ausgestaltung der Rollenfigur des geistlichen Freundes, der entsprechend der thematischen Ausrichtung des jeweiligen Textes sehr verschiedene Ausprägungen erfährt: der sunder frund in got kann der einzige Vertraute, das Objekt der Fürbitte oder der hauptsächliche Initiator des Schreibens sein. Eine biographische Rekonstruktion wird dadurch sehr erschwert, wenn nicht sogar unmöglich. Dies gilt freilich nicht nur für die Rollenfigur des geistlichen Freundes, sondern auch generell für die Konstellation Schwester-Seelsorger, die sich in beiden Christine Ebner-Texten sehr unterschiedlich entfaltet. Der Nürnberger Bericht über ihr Gnadenleben der Jahre 1344 bis 1351/52 entwirft das Bild einer weithin berühmten Visionärin, die selbstbewußt in ihrem Konvent und in die Welt hinein wirkt und auch als Rezipientin wie Autorin literarischer Werke ganz selbständig agiert. Sie kennt volkssprachige geistliche Werke und scheint im Schreiben eine ihrer Hauptbeschäftigungen zu sehen. Jedenfalls wird sie an mehreren Stellen als eine schreibende Schwester vorgeführt, die sich mit ihrem göttlichen Partner beredet, nicht jedoch mit einem Seelsorger, auch nicht mit jenem frund der Schlußpartie, der von ihren literarischen Aktivitäten sogar ganz ausgeschlossen zu sein scheint. Möglicherweise verhindert hier das Rollenkonzept der verehrten, wundertätigen >heiligen< Dominikanerin, die den Geißlern predigt, hochadelige Herren, ja sogar den König empfängt, sich um die Spiritualität und >Heiligkeit< ihres Konvents kümmert und ihrem geistlichen Freund zu höchsten Gnaden verhilft, die Ausgestaltung des Themas >Beichtvater begnadete Schwester< im Sinne einer vertrauensvollen literarischen Kooperation, bei der der Seelsorger den führenden Part als Initiator, Förderer, Schreiber, ja vielleicht sogar Promulgator der Aufzeichnungen innehat. Die »heilige person« (fol. 1 r) des Nürnberger Texts scheint - wie die Helftaer Nonnen, wie Elisabeth von Kirchberg und die >Autorinnen< der Nonnenbücher - ganz allein, ohne die beratende Hilfe eines Beichtvaters die gnaden und wunder ihrer Engelthaler Mitschwestern wie auch ihres eigenen Lebens aufgezeichnet zu haben. Ganz im Gegensatz zu der Hauptfigur des Medinger Gnaden-Lebens, die zwar programmatisch als schreibende, lehrende und redende Schwester in der Nachfolge Paulus' (p. 689f.) gesehen und auch gelegentlich als schreibende Schwester vorgestellt127 wird, aber überhaupt erst mit der
127
Vgl. etwa Christines Bemerkung: »ez kumpt etwan do zw, das ich in vil nachten uff ein nacht slaff, so clein wurt min rwe, aber die sinn sint gestekt vn begraben in got, dz ich in vil tagen nicht mocht gesriben zwey wort oder ander ding geton, do ich der sinn zü
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Niederschrift ihrer Gnadenerlebnisse beginnt, nachdem sie sich ihrem Beichtvater eröffnet hat. Und auch danach steht sie in engstem Kontakt mit einem schreibenden Bruder, dem eigentlichen >Verfasser< ihrer Vita, dem sie ihre aktuellen Gnadenerfahrungen berichtet. Die Initiative zur >Lebensgeschichte< dieser Schwester scheint hier von den Seelsorgern ausgegangen zu sein, die sie zum Schreiben ermuntern oder - wie die schreibende bzw. redigierende Ich-Person des Textes- um übergreifende Berichte ihres Lebens in Askese und Gnadenerfahrungen, um die Aufzeichnung spezieller Visionen bitten, die aber auch mit ihr über ihre göttlichen Offenbarungen diskutieren und am Krankenbett ihre Meditationen und Gebete schriftlich festhalten. Diese Episoden eines vertrauensvollen Zusammenwirkens von begnadeter Schwester und schreibendem Bruder, die vornehmlich im Mittelteil des Lebensberichts in verschiedenen Konstellationen entfaltet wird, gehören zu dem für diesen Text charakteristischen Thema der komplizierten Verschriftlichung von Christines Gnadenerfahrungen, die als ein gottgewollter Prozeß der Veröffentlichung von Gottes Wundertaten gesehen wird, von dem beide Partner profitieren. Der intensive Kontakt von Schwester und Beichtvater bezeichnet demnach ein Programm: den Gnadenprozeß der öffentlichen Verbreitung von Gottes Wundern, der hier in lebensweltlichen Situationen und Konstellationen des vertrauten Umgangs der begnadeten Schwester mit einem schreibenden Bruder vorgeführt wird. Die beiden Christine Ebner-Texte gehören eng zusammen. In ihren Schlußpartien weisen sie sogar eine Reihe wörtlicher Übereinstimmungen auf, wobei der übergreifende Lebensbericht, wie er uns in der Medinger Handschrift überliefert ist, vielleicht auch eine seiner Vorstufen oder nur bestimmte Partien dieses >Lebens< jenes »puch« (fol. 43 r) gewesen sein mag, auf das sich der Nürnberger Text mit den Gnadenerlebnissen der Jahre 1344 bis 1351/52 bezieht. 128 Die beiden Lebensaufzeichnungen sind jedenfalls nicht unabhängig voneinander entstanden. Und doch präsentieren sie ein sehr unterschiedliches Bild von der
b e d o r f f t . « (p. 103f.) oder »sie hett dise w o r t geschriben in eim puchlin« (p. 336) und nicht zuletzt natürlich die im Anfangsteil eingefügten A u f z e i c h n u n g e n ihrer frühen B e g n a d u n g e n , Askesepraktiken und Visionen, die sie - auf Wunsch des H a g i o g r a p h e n eigenhändig v o r n i m m t ; vgl. etwa den A b s c h l u ß eines ihrer Ich-Berichte: »Ich han got vn ew geleistet mein g e h o r s a m an dirr schrifft. G o t sey mit ew. A M E N « (p. 128). 128
Z u m J a h r e 1345 wird im N ü r n b e r g e r Text auf die p r o g r a m m a t i s c h e 7 - J u n g f r a u e n Vision des M e d i n g e r >Lebens< ( p . 2 0 7 - 2 1 1 ) verwiesen: »nu hon ich alz d a z volbraht an dir, az ich dir ez zeiget in der pildung der siben iunkfrawen, alz in deim puch geschriben stete« (fol. 43 r).
175
Engelthaler Dominikanerin, die in der Darstellung der weitausgreifenden Medinger Fassung ihres >Lebens< im wesentlichen auf die innere Welt ihrer spirituellen Erfahrungen bezogen bleibt und zusammen mit ihrem Seelsorger die an ihr vollbrachten Gnadenwerke Gottes schriftlich festhält, in den Aufzeichnungen der Visionen der Zeitspanne von 1344 bis 1351/52 hingegen als weithin verehrte >heilige< Schwester selbständig handelt und auch als Autorin nur an die Hilfe ihres göttlichen Gesprächspartners appelliert. Zwei verschiedene Typen eines heiligmäßigen Lebens, die nachdrücklich zeigen, daß auch die Seelsorger-Thematik eng an das jeweils anvisierte Konzept von Heiligkeit gebunden ist und nur wenig Spielraum für eine biographische Ausdeutung beläßt.
7. Adelheid Langmann und der lesmeister
predier
ordens:
die
Offizialität des Schreibbefehls Im Gegensatz zu den Christine Ebner-Texten, die eine Fülle kultur- und literarhistorischer Informationen zur Lebens- und Vorstellungswelt ambitionierter Dominikanerinnen des 14. Jhs. bieten, bleibt der Lebensbericht der Engelthaler Schwester Adelheid Langmann - vergleichbar dem Gnaden-Leben des Friedrich Sunder - eher auf den engeren Umkreis des Themas >Gnadenerfahrungen< und >Gnadenlehre< beschränkt. Dies wird in einem selbstbewußten Ich-Gestus des Hagiographen gleich zu Beginn des Textes programmatisch verkündet: »In nomine patris et filii et spiritus sancti wil ich diser rede beginnen von einer closterfrauwen, wie got mit ir gewundert hat von jugent auf... (S. 1, 1-3). Zwar setzt dieses >Leben< zunächst mit einer detailrealistisch ausgeführten >Vorgeschichte< (S. 1, 4 - 4 , 26) der Schwester in der Welt ein, dem Bericht von der Krankheit ihres Bräutigams, seinem Tod im ersten Jahr nach der >HochzeitTochter Syon< vertrauten Personifikationen Spes und Caritas fällt schon wegen seines elaborierten Erzählstils aus dem bisherigen Berichtsablauf heraus. Er erhält aber ein zusätzliches Gewicht, weil hier in Philipp Strauchs Leithandschrift B, dem Berliner Codex mgq 866, auf dem Höhepunkt des Geschehens der Bericht von der dritten in die erste Person wechselt: »do sie an dem pett also lag, do sah si iren herren her gen, und er was so schön daz ich nie so vil het gehört von seiner schön« (S. 65, 4 - 6 ) . Diese Ich-Perspektive, die in der B-Version bis zum Ende der Vision beibehalten wird, bestimmt auch noch das sich in der BFassung anschließende Gebet der Schwester (S. 66, 8-16). In der nachfolgenden weihnachtlichen Kind-Jesu-Vision wird jedoch — wie in den beiden anderen Uberlieferungsträgern- wieder die Erzählhaltung des kommentierenden Berichterstatters eingenommen, die - mit einer Ausnahme: »Ich verstunt des nit wol« (S. 95, 18)- bis zum Schluß des Textes durchgehalten wird. Die Perspektive dieses Hagiographen ist allerdings - w i e in den Nonnenviten- die des Konvents, die sich in einigen prononcierten Wir-Partien von dem durchgängigen Berichtsstil der Viten in der dritten Person abhebt: »wir gingen auch mit den kreutzen und mit dem heiligtum in unserm closter hintz unsern eitern und sungen got und den heiigen noch under gewonheit und do wir wider komen uf den kor, so sungen wir di antipfen ...« (S. 71, 16-19). Wir kennen diesen abrupten Wechsel von der dritten in die erste Person aus anderen Gnadenviten, am deutlichsten etwa aus der Eingangspartie des Medinger Christine Ebner-Textes, denn auch hier setzen mitten in dem Bericht von der Messe eines »lesmeisters« (p. 12) — ohne 177
redaktionelle Bemerkungen- Christines Ich-Aussagen ein: »by der messe nam ich unsern herren« (p. 13). Sie bleiben jedoch hier zunächst einmal auf die lesmeister-Partien des Anfangsteils beschränkt und werden bald wieder zugunsten einer Darstellung in der dritten Person aufgegeben: »An sant andreas tag da der lesmeyster vnsers herren lichnam in den henden hett, do hört ich das der vatter vom himel zü im sprach... Es wz ein bruder, der wolt sich selber getöttet han, da batt dirr mensche für« (p. 17f.). Im Falle des Adelheid-Langmann-Textes werden in diesen Ich-Aussagen der Berliner-Fassung die Relikte jener ursprünglichen persönlichen Aufzeichnungen der Engelthaler Schwester gesehen, die später von ihr selbst oder von anderen umgearbeitet und in der distanzierenden Form eines Fremdberichts zu einer Lebensdarstellung zusammengestellt worden seien.129 Tatsächlich tritt in dem Text Adelheid Langmann als eine schreibende Schwester auf, die ihre Gnadenerfahrungen eigenhändig aufzeichnet, allerdings im Kontakt und mit dem Wissen eines Dominikaners, der ihr den Schreibbefehl· erteilt: »In den selben Zeiten kom ein hoher lesmeister predier ordens. do hiez si unser herre, daz sie dem selben lesmeister all ir sache für leget, daz tet si, er überdaht und übertraht all ir sache und vant daz, daz ez allez gereht was und sterket si dor an. do hiez si der selb lesmeister daz si ez an schribe« (S.26, 1-6). Mit dem »hohe(n) lesmeister predier ordens« (S.26, lf.), dem sie »all ir sache für leget« (S.26, 3), bietet die Engelthaler Schwester Adelheid Langmann zugleich eine weitere Variante in dem Themenbereich Seelsorger - begnadete Schwester. Denn hier wird nicht die Vertrautheit der Beziehung betont, sondern die Offizialität. Die Schwester legt auf Gottes Befehl ihre Gnadenerfahrungen einem dominikanischen Lektor vor, der alles sehr genau prüft, für richtig hält, sie darin bestärkt und ausdrücklich ermuntert, ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Ein offizieller Auftrag zur Niederschrift also, der den mit diesen Texten verbundenen Anspruch als dominikanische Vitenliteratur herausstellt. Dieses offizielle Auftreten des lesmeister als Garant eines dominikanisch geprägten Gnaden-Lebens wird zwar im folgenden etwas abgemildert, da Adelheid Langmann kurz vor der Ankunft dieses »lesmeister predier ordens« (S.26, 1) erfährt, daß sie ihre Gnadenerlebnisse nur einem bestimmten 129
Zur H s . B. vgl. vor allem die Überlegungen des Herausgebers Philipp Strauch: »Persönliche Aufzeichnungen der Adelheid als Vorlage von Β anzuerkennen, zwingt vor allem der plötzliche Ubergang der dritten in die erste Person 65, 6ff.« (S. X I V ) sowie Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 6 5 - 8 2 : »Insgesamt steht diese Handschrift der Visionärin am nächsten« (S. 79).
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Menschen eröffnen dürfe, dessen Namen sie erst später erfahren werde. Der lesmeister, wenn er überhaupt mit diesem »menschen ... der im als liep wer« (S.25, 13f.) gemeint ist, wäre dann nicht nur ein offizieller Vertreter des Ordens, sondern zugleich in das geistliche Liebeswerk um Adelheid Langmann einbezogen. Das zeigt sich auch daran, daß Adelheid bei der Predigt dieses lesmeister die Gnadenerfahrung einer göttlichen »predige« (S.27, 23) hat: ein mit Hohelied-Zitaten versetztes affektives Liebesgespräch mit Christus in der Kammer ihres Herzens. Es endet mit einer Bezeugung durch den lesmeister: »dor noch do dise swester zu ir selber kom, do sprach unser herre zu ir: >zu einer bewerung dirr gnoden so gank zu dem lesmaister und freg in des, wann er dis predige von mir und von dir hat getanvon unserm herren und von dirPrior< des Zisterzienserklosters Kaisheim, ihrem »geistlichen freunt«, 130 der in und nach der Messe Gott für sie bittet, göttliche Verheißungen für sie erfährt und ihr Trostbriefe schreibt. Diese Zurückhaltung des Adelheid Langmann-Textes gegenüber jener Beichtvater-Thematik im Sinne eines konstruktiven literarischen Zusammenwirkens der begnadeten Schwester mit ihrem geistlichen Freund ist kein Zufall. Zumindest legt die thematische Anlage des gesamten Textes diese Art der Ausgestaltung des Beichtvater-Themas nahe. Denn nicht der verschlungene geistliche Lebensweg der Schwester in Askese und Entrückung, in Verzweiflungsphasen und spiritueller Beglückung ist bei Adelheid Langmann das Hauptthema, sondern ihr permanenter Kontakt und Dialog mit Christus, seiner Mutter und den Heiligen und der in Lehre und Beratung bewirkte Aufschwung der Seele zur Gottesnähe bzw. zur Heiligung, die die begnadete Schwester zunehmend in die Position einer fürbittenden Mittlerin und Trösterin rückt. Vorgeführt wird dies in zahlreichen Gesprächssequenzen, in denen Christus der entrückten Schwester Rat und Trost spendet und ihr zugleich Informationen und Belehrungen vermittelt: über ihre >EinkleidungSzenerie< des Liebes- und Lehrgesprächs mit Christus und den Heiligen hat - das zeigt auch der ausgreifende Schlußteil der minneclichen Spruch im Medinger Christine-Ebner-Text- die Figur des Seelsorgers und spirituellen Freundes, der zusammen mit der Schwester die Niederschrift der Gnadener-
130
S.91, 29ff. Diesen »geistlichen freunt« (S.91, 30) der Adelheid Langmann identifiziert der Herausgeber Philipp Strauch mit dem Kaisheimer Abt Ulrich III. Niblung (S. 115, Anm. zu 91, 29), der auch fünf Briefe an Margarethe Ebner (Nrr. LVIII-LXII, S. 271-275) geschrieben habe.
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lebnisse übernimmt, keinen prominenten Platz. Deshalb verschwindet wohl auch in der Schlußpartie dieses Ebner-Textes die Rollenfigur des in das Gnadenleben der Schwester einbezogenen Beichtvaters völlig hinter dem kommentierenden Redaktor bzw. Hagiographen, der Christines Minnedialoge mit unserm herren aneinanderreiht und nur gelegentlich kommentierend eingreift. Bei Adelheid Langmann wird hingegen das im Beichtvater-Komplex angelegte Thema des Gnadenprozesses der Verschriftlichung auf eine Prüfung des Lehrinhalts reduziert, die nachdrücklich den offiziellen Status des Textes als dominikanische Auftragsliteratur unterstreicht. Damit sind wir am Ende unseres Uberblicks über die Rolle des Beichtvaters in der frauenmystischen Vitenliteratur des 13. und 14.Jhs. Es war ein langer Weg mit den verschiedensten Stationen, die differierende, gelegentlich sogar unvereinbar wirkende Vorstellungen von der Bedeutung der Seelsorger für die Entstehung der Texte vermitteln. Man wird deshalb sehr genau zwischen den verschiedensten literarischen Typen und Ausprägungen der Beichtvater-Thematik unterscheiden müssen, bevor übergreifende Aussagen über die kulturhistorische Rolle der Seelsorger bei der Herausbildung und Verbreitung einer frauenmystischen Literatur möglich sind. Dabei bietet sich eine Dreiteilung des Materials an: der sog. Normaltypus an Frauenvita, deren Entstehung sich häufig der direkten Mitwirkung der Beichtväter verdankt, die spezielle Ausprägung volkssprachiger dominikanischer Gnaden-Leben im 14. Jh. mit ihrer komplexen Beichtvater-Thematik und schließlich jene frauenmystischen Texte, die auf die Figur des schreibenden und redigierenden Beichtvaters ganz verzichten. Bei den Frauenviten des 13. bis 16. Jhs. ist normalerweise der Seelsorger als primärer Augenzeuge und intimster Kenner des Gnadengeschehens eine wichtige Figur. Er übermittelt — in mündlichen Berichten oder schriftlichen Aufzeichnungen- die zentralen Informationen über die ihm vertraute Person und tritt entsprechend häufig auch als der eigentliche Initiator ihrer Kanonisation auf. Er fördert ihre kultische Verehrung und kümmert sich nicht selten - als Autor oder zumindest als Redaktor bzw. Sammler biographischer Materialien- um die Entstehung einer Vita, die den Heiligsprechungsprozeß in Gang setzen und unterstützen sollte. Die Viten der mulieres sanctae der Diözese Lüttich bzw. des Herzogtums Brabant im 13. Jh. zeigen die literarischen Aktivitäten und Ambitionen der Seelsorger begnadeter Frauen ebenso deutlich wie Peters von Dacien hagiographische Bemühungen um Christine von 181
Stommeln131 oder im 15. Jh. etwa Johannes' von Marienwerder lateinische und deutsche Viten der Dorothea von Montau.132 In der deutschsprachigen Vitenliteratur süddeutscher Dominikanerinnen des 14. Jhs. scheint jedoch der Beichtvater diese Autorenrolle abgetreten und sich eher als Initiator und Förderer schriftlicher Aufzeichnungen betätigt zu haben. Allerdings nicht durchgängig, denn schon in Christine Ebners Medinger Gnadenvita erweist sich der schreibende Bruder als eine dominierende Hagiographenfigur. Und noch eindeutiger geht die fragmentarische Vita der ehemaligen Begine und späteren Engelthaler Schwester Gerdrut auf ihre Beichtväter Konrad Friedrich und Heinrich zurück, die im Prolog als Verfasser auftreten und hier ihre Zusammenarbeit begründen: »Da von tu wir kunt, ich brüder Cünrat Fridrich vnd ich brüder Hainrich, die baid caplan waren zü Engeltal, da ain swester waz die hieß Gerdrut, der bichtiger wir baid waren vnd dem sie je ains sait dem andern ain anders, je als ir vnser herr gnad gab her zü vns. Vnd daz hab wir etlich tail zü ain ander geschriben, daz sie vns gesagt hat vnd was ir got all ir tag von kinthait vncz jn ir alter genaden hat getan, als wir es aller werlichest mochten vinden: wann wir es daz tusent tail nicht geschriben haben daz sie vns gesait het.« (S. 445, 1911-1918). Eine komplizierte Form der Textentstehung, die auf unterschiedliche Informationen der beiden Beichtväter zurückgeführt wird. In den deutschen Texten des 15.Jhs. ist der Beichtvater ohnehin wieder die beherrschende Figur, wenn er als Seelenführer den streng asketischen und von einem deutlichen Reformwillen getragenen Lebensweg einzelner durch besondere Gnadenerfahrungen ausgezeichneter Frauen begleitet und nach ihrem Tod diese vita religiosa der Askese, Ordensdisziplin und Begnadung aufzeichnet. Das gilt ζ. T. schon für den
131
Ausgabe der Vita und Briefe bei Paulson, Johannes: Petri de Dacia vita Christinae Stumbelensis. Fase, secundum de vita Christinae librum continens. Göteburg 1896 (Scriptores latini medii aevi Suecani I), S. 1 - 2 5 7 . Eine populär-hagiographische Aufbereitung des Lebensberichts bietet Wollersheim, Theodor: Das Leben der ekstatischen und stigmatischen Jungfrau Christina von Stommeln, wie solches von dem Augenzeugen Petrus von Dacien und Andern beschrieben ist, nach, authentischen Quellen verfaßt. Köln 1859.
132
Zur Person dieses Beichtvaters Dorotheas von Montau und zu seinen literarischen Bemühungen um ihre Kanonisierung vgl. den Sammelband: Dorothea von Montau. Eine preußische Heilige des 14. Jahrhunderts. Anläßlich ihrer Heiligsprechung im Auftrage des Historischen Vereins für Ermland e.V. hrsg. von Richard Stachnik und Anneliese Triller. Osnabrück 1976 sowie die zusammenfassende Skizze von Triller, Anneliese geb. Birch-Hirschfeld: Marienwerder, Johannes. In: Verf.Lex. VI ( 2 1985), Sp. 5 6 - 6 1 .
182
Lebensbericht der Klarissin Magdalena von Freiburg, 133 die sich im Sinne der Ordensreform des 15.Jhs. in ihrem Konvent um die strikte Einhaltung der >Regel< bemüht, in Offenbarungen und göttlichen Unterweisungen in dieser reformatorischen Haltung bestätigt wird, diese göttlichen Anweisungen in schriftlicher oder mündlicher Form ihrem Beichtvater übermittelt, der dann - w i e es heißt- das »meiste deil« (S. 22) niedergeschrieben habe. Diese Bemühungen des anonymen Beichtvaters um eine Vita der Freiburger Klarissin sind allerdings zugleich begleitet von literarischen Aktivitäten der Schwestern ihres Konvents. Denn in einem Gedenkbuch der Freiburger Klarissen aus dem 17. Jh. wird auch eine Mitschwester, Elisabeth Vögtin, erwähnt, die sich um die schriftliche Fixierung des Lebens der Magdalena von Freiburg gekümmert habe: »Von iren tugenten unnd gottseeligem leben schreibt s. Elisabeth Vögtin, das si solches selber gesehen und gehert hab unnd achtzehen jar bey unnd nebent iren gelebt« (S. 202). Demnach würde auch die Vita Magdalenas von Freiburg auf die verschiedensten Aktivitäten, auf Berichte der begnadeten Schwester, auf Aufzeichnungen ihres Seelsorgers und die Lebensdarstellung ihrer Mitschwestern, zurückgehen. Demgegenüber ist etwa im Falle der Vita Elsbeth Achlers von Reute 134 der hagiographische Impetus ihres langjährigen Beichtvaters und geistlichen Leiters, des Augustinerchorherrn Konrad Kügelin von Waldsee, ganz eindeutig dokumentiert: er will - n a c h der ältesten Fassung 135 »etlichen personen, es sigint meister der kunst, priester, beide frowe, man, geistlich oder weltlich« (S. 77, B, 79-83) über das heiligmäßige
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Auszüge bei Schleußner, W.: Magdalena von Freiburg. Eine pseudomystische Erscheinung des späteren Mittelalters. In: Der Katholik. Zeitschrift für katholische Wissenschaft und kirchliches Leben 87 (1907), S. 1 5 - 3 2 ; 1 0 9 - 1 2 7 ; 1 9 9 - 2 1 6 . Zum Magdalenenbuch vgl. auch Dinzelbacher, Peter und Ruh, Kurt: Magdalena von Freiburg. In: Verf.Lex. V ( 2 1984/85), Sp. 1 1 1 7 - 1 1 2 1 . Ausgabe bei Bihlmeyer, Karl: Die schwäbische Mystikerin Elsbeth Achler von Reute ("f" 1420) und die Uberlieferung ihrer Vita. In: Festgabe Philipp Strauch zum 80. Geburtstage am 23. September 1932. Dargebracht von Fachkollegen und Schülern. Hrsg. von Georg Baesecke und Ferdinand Joseph Schneider (1932). Nachdruck: Wiesbaden 1973, S. 8 8 - 1 0 9 ; neuerdings die einzelnen Fassungen in Paralleldruck bei Köck, Werner: Vita der seligen Elisabeth von Reute. Text, Wortindex und Untersuchungen. Diss, (masch) Innsbruck 1972, S. 7 2 - 3 0 6 ; Zitate im folgenden nach Köck. Zu den einzelnen Fassungen vgl. Köck und Ringler, Siegfried: Kügelin, Konrad. In: Verf.Lex. V ( 2 1984/85), Sp. 4 2 6 - 4 2 9 . Die ungewöhnlich engen Beziehungen Konrad Kügelins zu Elsbeth und seine Bedeutung für ihren Lebensweg betont Borst, Mönche am Bodensee, in dem Kapitel: »Elsbeth Achler - Franziskanerin in Reute« (S. 3 0 1 - 3 1 9 ) .
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Leben dieser begnadeten Franziskanertertiarin in Reute informieren und hat bald nach ihrem Tod im Jahre 1420 einen lateinischen Vitenbericht verfaßt, den er selbst ins Deutsche übersetzt habe. 136 Hier ist der Beichtvater der dominante Berichterstatter, der als Augenzeuge mit dem Blick auf eine kirchliche Bestätigung ihrer >Heiligkeit< und d. h. in einer strikt hagiographischen Perspektive das heiligmäßige Leben seiner geistlichen Tochter vorstellt: er beginnt im Stil der >Legenda Aurea< mit einer Namensetymologie, schreitet ihr Leben der kindlichen, freiwilligen Armut und Passionsfrömmigkeit als Tertiarin bis zu ihrem Tod ab und endet mit einer Aufzählung der ihr Leben begleitenden Wunder. Dieser Lebensbericht gehört mit seiner durchgehenden Ich-Perspektive des Hagiographen zu jenem weit verbreiteten Vitentypus, bei dem der Beichtvater-Autor in der Rolle des vertrauten Augenzeugen des Geschehens das >Leben< der Protagonistin wiedergibt. Diese eindeutige Perspektive ist jedoch der volkssprachigen Vitenliteratur der Dominikanerinnen des 14. Jhs., den Gnadenviten bzw. Gnaden-Leben, fremd. Hier überlagern sich oft verschiedene Ebenen: Ichund Sie- bzw. Er-Berichte, eigene Aufzeichnungen und Kommentare von Redaktoren; am deutlichsten in Christine Ebners Medinger Lebensbericht, in dem ganz unterschiedliche Materialien verarbeitet zu sein scheinen. Thema dieser Vitenliteratur ist deshalb nicht nur das heiligmäßige Leben der begnadeten Schwester, sondern auch die Verschriftlichung dieses >LebensVerbreitung< und >Veröffentlichung< der göttlichen Wundertaten als persönlichen Kommunikationsprozeß vorzuführen. Aber das ist nur eine der möglichen Konstellationen. Im ganzen decken die Gnadenviten ein breites Spektrum an Grundsituationen der Verschriftlichung von Gnadenerfahrungen< ab: die affektive Beziehung der Schwester zu einem geistlichen Freund, die enge Zusammenarbeit mit ihrem Beichtvater, der offizielle Auftrag von einem Dominikanerlektor, die selbständig arbeitende Autorin und schließlich —wie im Falle der Kirchberger Irmgard-Vita— die Kooperation mit einer schreibenden Mitschwester. Die beiden letzten Möglichkeiten der Entstehung vertreten die lateinischen Texte aus Helfta, die Nonnenbücher 136
Nach K . : »und han ich euch dis bichlin von wort zu wort ihn latin geschriben geben und darnach zu theusch bracht« (S. 82, K, 140-143).
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süddeutscher Dominikanerinnen des 14.Jhs., aber auch - n e b e n der Irmgard-Vita - Christine Ebners Nürnberger Bericht über die Gnadenerfahrungen der Jahre 1344 bis 1351/52 oder Elsbeths von Oye Offenbarungen^ Hier ist der Seelsorger bestenfalls der Vertraute einzelner Schwestern, erhält aber keinen Part bei der Entstehung der einzelnen Texte zugewiesen. Thematisches Zentrum ist der ganze Konvent, der entweder - wie in den Nonnenbüchern- in der Vielfalt von Kurzviten oder - wie in den Lebensberichten der Helftaer Schwestern — im liturgischen Abschreiten des Kirchenjahres präsentiert wird. Grundlage dieser in den einzelnen Texten jeweils sehr anders dargestellten Genese der frauenmystischen Vitenliteratur scheinen eigenhändige Aufzeichnungen der Schwestern gewesen zu sein; 137 allerdings nicht - w i e oft vermutet wird - persönlich-intime, geheime, autobiographische Niederschriften ihrer religiösen Erfahrungen, die abseits vom Konventsleben entstanden und - als verborgene Dokumente ihres spirituellen Lebens - nicht für eine Öffentlichkeit bestimmt gewesen wären. Vielmehr sind bereits —das zeigen Adelheid Langmanns literarisierter IchBericht über den von Spes und Caritas begleiteten Weg der Seele zur unio mystica ebenso deutlich wie die abgeschlossenen Ich-Partien in Christine Ebners Medinger Gnadenvita - die >ursprünglichen< Aufzeichnungen der Schwester dezidiert literarisch konzipierte Texte: Traktate, Gebete, Meditationen, Lebensberichte, Visionsschilderungen oder Briefe, die von der Verfasserin selbst, von >HelferinnenSciviasLeben< niederschreiben.
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Vita Sanctae Hildegardis auctoribus G o d e f r i d o et T h e o d o r i c o monachis. In: P L 1 9 7 , Sp. 9 1 - 1 3 0 , hier die Hinweise auf dieses Verfahren im V o r w o r t Theoderichs z u r V i t a : er w e r d e die Vita G o t t f r i e d s bearbeiten » . . . et quasi odoriferis f l o r i b u s serta contexens, visiones ejus, gestis suis insertas, sub divisione l i b r o r u m , in unius corporis f o r m a m redigerem« (Sp. 9 1 , A ) . U n d in K a p . I, 1: » A i t enim sic in libro suo, qui Scivias praenotatur« (Sp. 93, B); es folgt eine biographische Partie aus Hildegards >SciviasVita< gezeigt, deren Auftreten als lernbegierige Beichttochter, kompetente Fragerin und aufmerksame Hörerin zur Programmatik der auf die Person des begnadeten Seelsorgers und Theologen ausgerichteten >Vita< gehört, in die dann auch die literarischen Aussagen über die geheimnisvolle und komplizierte >Entstehung< dieses Lebensberichts eingebunden sind. Ähnliches gilt aber auch für die anderen Texte. Ausschlaggebend für die Darstellung der Textentstehung ist offenbar in jedem Fall die literarische Programmatik bzw. die anvisierte Textfunktion: ein Revelationen-Text über die Gnaden und Wunder einer bereits verehrten >heiligen< Dominikanerin wird diese - wie der Nürnberger >Ausschnitt< aus Christine Ebners Gnadenleben- als selbstbewußte Autorin präsentieren, die ohne die Mitwirkung ihrer Seelsorger ihre Gnaden aufzeichnet. Eine Gnadenvita im Kontext eines Nonnenbuchs wird - wie die Kirchberger Irmgard-Vita- auf die in diesem Texttypus übliche Ausprägung des Themas Verschriftlichung der Gnaden< rekurrieren und die offenen bzw. verborgenen hagiographischen Aktivitäten der Schwester herausstellen, die ohne die Unterstützung ihrer Seelsorger die spirituellen Erfahrungen ihrer Mitschwestern schriftlich festhalten. In einem Vitentext hingegen, der - wie Christine Ebners Medinger >LebenEntstehungsgeschichten< frauenmystischer Texte sind nicht selten detailrealistische, historisch-biographische Konkretisationen des Vitenthemas Schreibbefehls das hier in der affektiven Beziehung der schreibenden Schwester zu ihrem literarisch interessierten und deshalb ihr Schreiben aktiv unterstützenden Seelsorger eine typen- und funktionsspezifische Ausprägung erfahren hat. Die eingangs angesprochenen Thesen Herbert Grundmanns zur Bedeutung der cura monialium für die Entstehung der Deutschen Mystik, speziell der Ausbildung einer frauenmystischen Literatur sind von diesem Ergebnis natürlich ganz unmittelbar betroffen. Nicht in ihrer generellen Aussage, daß die seelsorgerliche Betreuung religiöser Frauengemeinschaften etwa durch die Zisterzienser im 13. Jh. und die Dominikaner bzw. Franziskaner im 14. Jh. den Frauen überhaupt erst Perspektiven einer theologischen Diskussion eröffnet und umgekehrt den Seelsorgern den Blick auf bestimmte Ausdrucksmöglichkeiten geschärft und sie zu einer speziellen Form theologischen Sprechens in der Volkssprache geführt habe. Dieser Kontakt der bedeutenden zeitgenössischen Theologen zu einzelnen mulieres religiosae bzw. literarisch aktiven Konventen ist überlieferungsgeschichtlich bezeugt und in unseren Texten in Situationen des persönlichen Umgangs literarisch verarbeitet worden: etwa in dem Gespräch Meister Eckharts mit der Katharinentaler Schwester Anna von Ramswag, 139 der Beziehung Heinrich Seuses zu Elsbeth Stagel, der Messe Bertholds von Moosburg 140 in Engelthal oder der besonderen Wertschätzung Christine Ebners für Johannes Tauler. Problematisch sind allerdings die von Herbert Grundmann initiierten und seit vielen Jahren auf der Basis seiner Ausführungen weitergeführten Überlegungen zum faktischen spirituellen und literarischen
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Katharinental: »Meister Ekart was ze einer zit bi vns. do kam disu salig swester zu im heimlich in das b y h t u e n s t e r . . . « (S. 177). Adelheid Langmann: »Ains mols do sprach ein prister mess, der hiez prueder Perhtolt von M o s b u r k « (S. 73, 13f.) sowie Christine Ebners Lebensbericht der A n n a von Weitersdorf im Engelthaler N o n n e n b u c h : »Do ich hintz dez Mosburgers messe gink da die graz genade hie w a z . . . « (S.28, 17f.).
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Zusammenwirken einzelner religiös bewegter schreibender Frauen mit ihren Seelsorgern, dem sich nicht zuletzt auch die Entstehung ihres Viten- und Offenbarungswerks verdanke. Denn diese kulturhistorische Ebene der Argumentation zur Textgenese ist uns weitgehend verschlossen, sobald wir in der konkret-historischen Ausdifferenzierung der Beichtvater-Thematik bzw. in den berühmten >literarischen< Paaren frauenmystischer Werke des 13. und 14.Jhs. weniger die historischen Persönlichkeiten als typenspezifische Figurenkonstellationen des Schreibens sehen, deren programmatische Ausprägung uns kaum Spielraum für eine lebensweltlich-historische Ausdeutung läßt. Entscheidend ist für diese Texte offenbar nicht die historische Substanz der literarischen Figuration des Schreibbefehls, sondern die in dem Beichtvater-Thema vermittelten hagiographischen Rollenprogramme gemeinsamer Bemühungen um das Gnadenwerk der >Veröffentlichung< jener Zeichen und Wunder, die Gott an einer »Heiligem vollbringt: der Seelsorger in der Rolle des auf Niederschrift drängenden spirituellen Freundes, des schreibenden Bruders, Redaktors oder kritisch-prüfenden Dominikanerlektors, die begnadete Schwester eher als >Medium< dieser Aktivitäten. Gleichwohl hat sie den dominierenden Part, wenn sie ihren spirituellen Weg aufzeichnet, geistliche Texte verfaßt, als Autorin über den Gnadenprozeß des Schreibens reflektiert und das literarische Zusammenwirken mit einem ihr vertrauten Seelsorger zum Gnadenakt erhöht.
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Resümee
Wir sind von den lateinischen Frauenviten des brabantisch-lütticher Raums über die berühmten Autorinnen des 13. Jhs. bis zu den dominikanischen Nonnenviten des 14. Jhs. ein breites Spektrum hagiographisch-frauenmystischer Literatur abgeschritten. Und doch sind die literarhistorischen Probleme vergleichbar. Der gemeinsame Ausgangspunkt waren Forschungsüberlegungen zur Vorgeschichte frauenmystischer Texte, d . h . zu den spezifischen kultur- und spiritualitätshistorischen Voraussetzungen des Schreibens religiös bewegter Frauen im 13. und 14. Jh., die vornehmlich auf den Aspekt der autobiographischen Fixierung religiöser Erfahrungen abheben. Diese Sicht wird von den Texten provoziert. Denn in vielen Fällen suggerieren die Werke, die lateinischen Viten über charismatische mulieres religiosae wie auch die volkssprachigen Texte begnadeter Frauen des 13. und 14. Jhs., eine ursprünglich spontan-persönliche Niederschrift geistlicher Erfahrungen, die zunächst nicht für die >Offentlichkeit< bestimmt gewesen und erst im Laufe eines nachträglichen Redaktionsprozesses zu den uns erhaltenen Texten angewachsen sei. Diese Vorstellung von einer privaten, im engsten Umkreis angesiedelten, im Falle der sog. Beginenmystik sogar verborgen-konventikelhaften und deshalb nicht ungefährlichen Genese frauenmystischer Literatur hat deshalb schon immer die literaturgeschichtlichen Darstellungen zur Mystik bestimmt und zu einer pointierten Einschätzung frauenmystischer Werke hinsichtlich ihres Erfahrungsgehalts und fehlenden theoretisch-programmatischen Anspruchs geführt. Diese Sicht hat auch in die neuesten literarhistorischen Überlegungen zur Textentstehung Eingang gefunden. Denn die Genese frauenmystischer Literatur wird hier als ein kontinuierlicher Prozeß der O b jektivierung und Legendarisierung ehemals persönlich-privater Erfahrungsberichte gesehen. Und dementsprechend ist die Annahme heimlicher Aufzeichnungen bzw. privater literarischer Selbstäußerungen begnadeter Frauen inzwischen in der Forschung zu einer Art Signum frauenmystischer Literatur geworden. Diese Einschätzung bezieht sich auf Beatrix' von Nazareth erschlossenen >LebensberichtBekenntnisbuch< des f l i e ß e n d e n Lichts der Gottheitprivaten< Genese frauenmystischer Texte impliziert allerdings ein neuzeitliches und dadurch problematisches Literaturverständnis, das bekannten Formen der Produktion und Rezeption mittelalterlicher Literatur wenig entspricht und lange eine angemessene literarhistorische Erschließung dieser Texte eher verhindert hat. Denn noch in den neuesten Untersuchungen werden auf der Basis dieser Überlegungen zum autobiographischen Substrat der Texte nicht nur Probleme der Authentizität des Dargestellten diskutiert, sondern auch die erhaltenen Werke immer wieder als Dokumente einer echten bzw. falschen Erfahrungsmystik charakterisiert. Für die frauenmystische Literatur scheint jedenfalls - d a s zeigen auch die jüngsten Diskussionen über die Erfahrungswirklichkeit der in frauenmystischen Texten dargestellten Welt der Askese, Visionen und Träume1 oder die Einschätzung Meister Eckharts als eines Kritikers der Spiritualität der Dominikanerinnen des 14. J h s . - 2 in besonderer Weise die Frage des Verhältnisses von authentischer Erfahrung und literarischer Ausgestaltung, von autobio1
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Vgl. etwa die Überlegungen von Peter Dinzelbacher in seiner Besprechung von Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, in: Anz93 (1982), S. 63-71, hier S.64f. So etwa die neueste perspektivenreiche Arbeit zu dem Verhältnis Frauenmystik Meister Eckhart von Otto Langer, Mystische Erfahrung, der in den Nonnenviten eine »Grundlage für die Rekonstruktion der Normen und Ideale des Nonnenlebens zur Zeit Eckharts« (S. 48) sieht, ohne dabei - wie mir scheint - die gattungs- und typenspezifische Ausprägung und Ausformulierung bestimmter Themen genügend zu berücksichtigen. Die Nonnenviten sind ihm dann Dokumente einer Nonnenspiritualität, deren »Verdinglichung der Gnade« (S. 185) bzw. deren »Tendenzen zu einer veräußerlichten Werkgerechtigkeit und Leistungsideologie« (S. 187) Meister Eckhart in seinen Predigten und Traktaten einen »radikal verinnerlichten Begriff von Tugend« (S. 187) entgegensetze. Es fragt sich jedoch, ob der den Nonnenviten zugrundeliegende hagiographische Typus des >Lebensberichts< mit dem Leitthema >Begnadung< überhaupt eine andere Präsentation der Problembereiche ker, üebunge, Visionen, contemplatio und actio ermöglicht hätte, ob also die einzelnen Episoden der Nonnenviten unter einer programmatischen lebensweltlichen Perspektive gelesen werden und mit Eckharts Überlegungen zu vergleichbaren Themen verglichen werden dürfen. Mystische Predigt und Nonnenbuch bzw. Gnaden-Leben sind jedenfalls zwei so sehr voneinander differierende Diskurstypen, daß thematische Filiationen nicht ohne weiteres im Sinne des Deutungsschemas >Lebensprogramm der Nonnen< und >Gegenkonzept eines dominikanischen Predigers< gedeutet werden sollten.
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graphischer Selbstoffenbarung und hagiographischer Konstruktion, d. h. die Opposition von historischer Wirklichkeit und literarischer Fiktion virulent zu sein. Auch unsere Ausführungen sind ganz unmittelbar von diesem Problemkomplex betroffen. Kernpunkt der Argumentation war dabei die Frage der Entstehung frauenmystischer Texte, die von mehreren Seiten, in unterschiedlicher thematischer Ausdifferenzierung und methodischer Akzentuierung umkreist worden ist: im Rückgriff auf die >Lebenswirklichkeit< religiös bewegter Frauen und damit möglicherweise auf die bildungs- und spiritualitätsgeschichtlichen Voraussetzungen der Entstehung einer mittelalterlichen Offenbarungs- und Vitenliteratur in Frauengruppen, wie sie sich in den lateinischen Viten des brabantisch-lütticher Raums darstellen, als Problematisierung der These von der Ausbildung einer spezifisch beginenmystischen Literatur in den Kreisen unregulierter mulieres religiosae und schließlich in der Diskussion der BeichtvaterThematik, die nach der Darstellung einiger Texte eng mit ihrer Entstehungsgeschichte verbunden ist. Dabei hat sich immer wieder gezeigt, daß unsere Überlegungen zur Genese frauenmystischer Literatur auf literarische Themen zurückgehen, die in der Hagiographie zur Aura des Heiligen gehören: der Schreibbefehl, Gottes Wunsch nach Verbreitung seiner Wundertaten, das Aufzeichnen spiritueller Erfahrungen in der Abgeschiedenheit, die heimliche Niederschrift durch einen Außenstehenden, der Beistand einer vertrauten Person und die Begnadung beim Schreiben. Im Hintergrund dieser Detailinformationen stehen bestimmte Vorstellungen eines heiligmäßigen Lebens, das - i m Sinne der neueren Hagiographieforschung- am Beispiel eines saint construit, einer kontaminierten Person in skizzenhaften Nebenbemerkungen - wie etwa bei Mechthilds von Magdeburg >autobiographischen< Selbstaussagen über ihren Lebensweg - oder im Rahmen eines Lebensberichts - wie bei der Vitenliteratur süddeutscher Dominikanerinnen- vorgeführt wird. Auch die Modalitäten der Textentstehung gehören ganz offenbar zu dieser programmatischen Ebene der Lebensdarstellung, die -entsprechend den jeweiligen Texttypen und der anvisierten >LehreLehrmeisterin< in Sendbriefen und Visionsberichten, das eigenhändige Schreiben Christine Ebners im Nürnberger Vitentext, der Kirchberger Schwester Elisabeth in der Irmgard-Vita, Elsbeth Stagels in Seuses >Vita< und auch der schreibenden Nonnen in den Nonnenbüchern des 14.Jhs., andererseits die forcierte Anbindung des Schreibbeginns an den Rat des bihters bei Mechthild von 191
Magdeburg bzw. den >Befehl< des Dominikanerlektors bei Adelheid Langmann und die verschiedenen Formen des literarischen Zusammenwirkens der begnadeten Schwester mit einem interessierten, das Schreiben unterstützenden Beichtvater bei Christine Ebner im Medinger >Leben< und bei Margarethe Ebner. Nicht nur die Gnadenerfahrungen, auch das Schreiben der Mystikerinnen bzw. der Akt der schriftlichen Fixierung ihrer Begnadungen ist ganz offensichtlich an bestimmte Rollen, an feste Konstellationen und auch an unterschiedliche Vorstellungen von einer mulier sancta gebunden. Der Literarhistoriker der volkssprachigen frauenmystischen Texte wird freilich noch ein Stück weiter gehen müssen und zugleich den dezidierten und von Anfang an literarischen Charakter dieser Werke zu beachten haben. Auch die sog. ursprünglichen Aufzeichnungen der Frauen, die Textpartien in der Ich-Perspektive, bedienen sich etablierter literarischer Formen des Gebets, der Meditation, des Lehrdialogs, des Liedes, des Visionsberichts und der Lebensdarstellung, die im Verlauf einer mehrfachen Bearbeitung in die übergreifende hagiographische Form des Gnaden-Lebens bzw. der Vitensammlung eingebunden werden können. Frauenmystische Werke sind in jedem Falle - das gilt für die vermuteten Basistexte wie auch ihre redaktionellen Umarbeitungen - literarisch konzipierte und intentional ausgerichtete Texte, die eine Unterscheidung hinsichtlich ihrer Nähe zu einem möglichen religiösen Erfahrungssubstrat nicht zulassen. Das zeigen die Ich-Aussagen einer Hadewijch oder Mechthild von Magdeburg ebenso wie Christine Ebners oder Adelheid Langmanns Ich-Partien, die in feste Diskurstypen der Selbstaussage eingebunden sind. Es empfiehlt sich deshalb, den Blick weniger auf den Akt der Verschriftlichung religiöser Erfahrungen als auf die literarische Technik und Funktionsbestimmung der erhaltenen Texte zu richten. Denn die frauenmystischen Werke entstehen nicht im verborgenen Abseits religiös bewegter Gruppen, entfernt von dem kulturellen und literarischen Leben ihrer Zeit, sondern in den Zentren literarisch produktiver Spiritualität: im 13. Jh. - wenn auch nicht strikt fixierbar, aber doch deutlich zu erkennen- im Umkreis der literarischen Aktivitäten berühmter brabantischer und thüringischer Zisterzienserinnenkonvente, im 14. Jh. in angesehenen und ambitionierten Dominikanerinnenklöstern der Diözese Konstanz, Straßburg und Eichstätt, die ausgeprägte literarische Interessen pflegen. Diese Konvente stehen in Verbindung mit den berühmten Theologen und Predigern ihrer Zeit, bemühen sich im 13. Jh. - wie das Zisterzienserinnenkloster La Ramee - um die ars scriptoria oder - wie die Konvente Aywieres und Nazareth - um Hagiographen 192
für ihre >heiligen< Schwestern und verschaffen sich im 14. J h . - das zeigt etwa der kürzlich von Peter Machilek aufgefundene Engelthaler Bibliothekskatalog aus dem 15. Jh. - 3 die anspruchsvollen spirituellen volkssprachigen Texte ihrer Zeit: Predigten, Traktate, brautmystische Werke, programmatische Viten, Anleitungen zu einem monastischen Leben, ordensgeschichtliche Darstellungen und die >mystischen< Nonnenbücher aus anderen Dominikanerinnenkonventen. In dieser Atmosphäre hochgespannter Spiritualität und literarischen Austausche sind auch die Aktivitäten einer Hadewijch, einer Mechthild von Magdeburg im 13. und der Dominikanerinnen im 14. J h . anzusiedeln: Hadewijch im Umkreis der brabantischen Zisterzienserinnen des 13.Jhs., deren Bemühungen um ambitionierte Spiritualitätskonzepte und monastische Lebensprogramme in den lateinischen Mystikerinnenviten der Diözese Lüttich ihren Niederschlag gefunden haben, Mechthild von Magdeburg im Umfeld vergleichbarer Interessen des Helftaer Konvents mit seiner anspruchsvollen Viten- und Gebetsliteratur, selbst wenn sich der Hinweis des >Lux DivinitatisFlucht< in diesen Konvent einem Mißverständnis verdanken sollte. Und die schreibenden Dominikanerinnen des 14.Jhs. bewegen sich im Rahmen ihrer blühenden Konvente, die über die Familien ihrer Schwestern, aber auch aufgrund des spirituellen Anspruchs ihrer Insassinnen vielfältige Kontakte zu den bedeutenden geistlichen und weltlichen Würdenträgern ihrer Zeit unterhalten. Hier verfassen einzelne Schwestern und ihre Kapläne die verschiedensten Typen geistlicher Unterweisungsliteratur und - in Anlehnung an die Wunder- und Gnadengeschichten der dominikanischen Hagiographie- 4 >Lebensberichtemodernen< mystischen Texten, der mystischen Predigt, den brautmystischen Werken im Umkreis des Themas >Christus und die liebende Seele< und besonders der nonnenklösterlichen Vitenliteratur, von der sich die Schwestern die Nonnenbücher von Weiler, Kirchberg und des ungenannten Ulmer Konvents besorgt haben. Zu dieser von Peter Machilek entdeckten Engelthaler Bücherliste vgl. auch die Bemerkungen von Ringler, Viten- und Offenbarungsliteratur, S. 52f.
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Zu den literarischen Traditionen, denen sich die Nonnenviten verdanken, vgl. vor allem Krebs, Mystik in Adelhausen, S.94ff.: er geht davon aus, daß die berühmten mystischen Prediger in den Nonnenbüchern weniger Spuren hinterlassen haben als die »Wundergeschichten, die man in Dominikanerkreisen gern erzählte und die man schöpfte aus der Legenda aurea, den Vitae fratrum, den jüngeren Dominikuslegenden und endlich aus den Erzählerkreisen des Thomas v. Chantimpre, des Caesarius von Heisterbach und verwandter Seelen.« (S. 102).
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sind im Sinne der Forderungen religiöser Reformbewegungen des 13.Jhs. bzw. der Konzepte der berühmten dominikanischen Prediger des 14.Jhs. von einem appellativen Anspruch auf eine persönliche conversio und Intensivierung des spirituellen Lebens getragen. Dazu gehört Mechthilds von Magdeburg Konzeption ihres Lebens der peregrinatio im eilende der Welt, der Anfeindungen und Bedrängnisse ebenso wie die im 14. Jh. dominierende Darstellung einer heimlichen, in einer gnadenhaften Zusammenarbeit mit dem Seelsorger erfolgten Niederschrift spiritueller Gnadenerlebnisse. Beide Themen vermitteln keine tragfähigen kulturhistorischen Informationen über die lebensweltliche Situierung der Autorin bzw. den komplizierten Prozeß einer Verschriftlichung und Literarisierung der spirituellen Erlebnisse religiös bewegter Frauen des 13. und 14.Jhs., sondern programmatische Vorstellungen einer vita religiosa und einer gnadenhaften Entstehung der Texte. In der Nonnenliteratur des 14.Jhs. verwirklicht sich freilich dieser Anspruch auf eine persönliche Erneuerung des geistlichen Lebens zugleich sehr konkret in Verhaltensprogrammen dominikanischen Zusammenlebens. Diese Linie wird sich schließlich im 15. und 16. Jh., im Zuge der vielfältigen Versuche einer Reformierung des Ordenslebens, deutlich verstärken, wenn einzelne Schwestern, etwa in Unterlinden die Dominikanerin Margareta von Kenzingen oder ihre Tochter, die Freiburger Klarissin Magdalena von Freiburg, die Reformpostulate der strikten Klausur, der Fastenaskese und forcierten Armut in ihrer persönlichen Lebensführung, mit aufsehenerregenden Auftritten und ihren literarischen Aktivitäten unterstützen. Noch deutlicher wird allerdings die funktionale Ausrichtung frauenmystischer Texte auf den Gedanken der Ordensreform hervorgehoben, wenn Reformpropagatoren wie Johannes Meyer auf diese in den berühmten Dominikanerinnenkonventen bereits im 14. Jh. entstandene Viten- und Offenbarungsliteratur zurückgreifen und sie in redaktionellen Zusätzen nachdrücklich an programmatische Vorstellungen der Ordensreform anbinden. Dabei verlieren freilich zunehmend jene für die Nonnenliteratur des 14.Jhs. charakteristischen Situationen einer persönlichen Gottesbegegnung der Entrückung, der Visionen und Offenbarungen an Bedeutung und Interesse. Auch die Figur der diktierenden bzw. schreibenden Schwester, die über ihre Rolle als Autorin reflektiert und in den verschiedensten Formen den Prozeß des Schreibens zum Thema macht, wird dann zurückgedrängt und durch Episoden aus dem Klosteralltag einer reformwilligen Schwester, vor allem aber durch Detailinformationen über die rigide Einführung der Observanz ersetzt. 194
Literaturverzeichnis
Das Literaturverzeichnis bietet nur eine Auswahl: neben den Texten und Quellen, aus denen zitiert worden ist, und Spezialarbeiten zu Einzelproblemen, die mehrmals auftauchen und deshalb in den Anmerkungen nur noch in einer abgekürzten Form aufgeführt werden, vor allem die übergreifende Forschungsliteratur zu den Themenbereichen: Religiöse Frauenbewegung, Beginen und Frauenmystik.
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-verböte S. 42 u. A n m . 3, 47, 61 u. A n m . 40, 62, 63 -Spiritualität S. 6, 17 u. A n m . 20, 18, 37, 47, 65, 67, 72, 77, 81, 82, 88, 91, 93, 97, 111 -Spiritualität vs. Nonnenspiritualität S. 6, 17, 18, 19, 20, 25f., 37, 47 u. A n m . 13, 65 -frömmigkeit S. 12, 85 -literatur S. 8 - 8 9 , 94, 96, 97 -mystik S. 7, 11 u. A n m . 7, 39, 4 1 - 4 8 , 52, 54, 58, 65, 67, 8 1 - 8 9 , 96, 97, 98, 99, 110, 189, 191 Beichtvater (Seelsorger) S. 4, 6, 7, 8, 9, 10, 12, 17, 20, 27, 28, 35, 38, 53 u. A n m . 22, 6 4 , 6 8 , 85, 94, 95, 101-188, 190, 191, 192, 194 Bernhard von Clairvaux S. 84 >HoheliedAd nostrum< S. 61 u. Anm. 40, 68, 70 u. Anm. 57 u. 58, 71, 76 >Cum de quibusdam mulieribus< S. 61, 62, 71 Cornillon S. 24, 25, 26, 30, 31 Cur a monialium (Seelsorge) S. 4, 6 Anm. 11, 7, 9, 62, 63, 90, 106, 114, 116, 122, 129, 179, 180, 187 Debat S. 80 Dit S. 80, 83, 86, 87 Dolcino, Fra S. 71 Anm. 59 Dominikuslegenden S. 193 Anm. 4 Dorothea von Montau S. 182 u. Anm. 132 Douai S. 92 Douceline S. 95 u. Anm. 108, 96 >Vida de la benaurada Sancta Douceline< S. 94-97 Drittorden/Tertiaren S. 59, 62, 184 -regel S. 42 Anm. 3 Ebner, Christine S. 5 u. Anm. 9, 104 u. Anm. 8, 129, 133, 142, 143, 149f„ 155-176, 177, 178, 179, 180, 181, 184, 186, 187 u. Anm. 140, 191, 192 >Medinger Gnadenvita< S. 156 u. Anm. 99, 157 u. Anm. 102, 158-167, 167 Anm. 117, 168 u. Anm. 117, 173, 174, 175 u. Anm. 128, 176, 177f„ 180, 182, 184, 185, 186, 192 »Nürnberger Visionen< S. 156 u. Anm. 99, 157f. u. Anm. 103, 165 u. Anm. 116, 167-171, 172, 173, 174, 175, 185, 186, 191 >Von der genaden uberlast< s. Engelthal, Nonnenbuch Ebner, Margarethe S. 8, 104 u. Anm. 8, 129, 142-155, 165, 166, 168 Anm. 117, 172 u. Anm. 126, 173, 179, 180 Anm. 130, 186, 192 »Offenbarungen* S. 142-155, 172, 173 >Paternoster< S. 149 Eckhart, Meister S. 1, 6 Anm. 11, 11 u. Anm. 7, 73, 74 Anm. 69, 75, 90, 98, 99, 107 Anm. 13, 130 Anm. 51, 187 u. Anm. 139, 190 u. Anm. 2 Eichstätt Diözese S. 192 Elisabeth von Beggenhofen S. 130 u. Anm. 51 Elisabeth von Kirchberg S. 103 Anm. 4, 132-133, 174, 191
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Elsbeth Achler von Reute S. 183 u. Anm. 134 u. 135 Elsbeth von Cellikon S. 133, 134, 139, 140 Elsbeth von Klingenberg S. 163 Elsbeth von Oye S. 5, 104, 143 >Offenbarungen< S. 185 Engelthal S. 103 u. Anm. 4, 104, 109, 133, 149, 151 Anm. 92, 155-181, 187, 193 u. Anm. 3 Nonnenbuch S. 162 u. Anm. 110, 163, 165 u. Anm. 113, 168 u. Anm. 117, 169, 187 Anm. 140 Eva von St. Martin S. 17, 24, 25, 29 u. Anm. 36, 115 u. Anm. 24 Eysenhuet, Eustachius S. 149 fin' amor I fine amour S. 81, 84, 85, 87 s. auch Liebeslyrik, höfische Flandern S. 6, 42 Franco von Villers S. 76 Franz von Assisi S. 94, 95 u. Anm. 109 Frauenbewegung, religiöse S. 4, 5, 6, 8, 10, 12, 14-27, 35, 36, 44, 45, 107, 189 Freiburg S. 162, 164, 183, 194 Freien Geist, Lehre vom S. 68 Anm. 50, 70, 71, 72 u. Anm. 65, 73, 74 u. Anm. 72, 75, 77, 78 Fulko von Marseille, Bischof von Toulouse S. 16, 111 Geißler S. 157, 168, 174 Gent Beginenhof S. 42 u. Anm. 2, 94 Gerdrut von Engelthal S. 104 u. Anm. 8, 182, 185 Anm. 137 Gerhard von Frachet >Vitae fratrum< S. 102 u. Anm. 2, 193 Anm. 4 Gertrud die Große S. 54, 57, 65, 66, 122-124, 125, 126 u. Anm. 42, 127, 174 »Legatus divinae pietatis< S. 122 u. Anm. 35, 124, 125-127 Gertrud von Brugg S. 131 Anm. 56 Gilbert von Tournai S. 61, 77 >Collectio de scandalis ecclesiae« S. 46, 60 u. Anm. 39, 79 Gnadenvita, Gnaden-Leben S. 34, 104 u. Anm. 7, 105, 106, 109f„ 129, 133, 154, 155, 156 u. Anm. 99, 157, 163, 166, 168, 172, 173, 176, 177, 178, 181ff., 184, 185, 186, 190 Anm. 2, 192 Gottesfreunde S. 143, 149, 150 u. Anm. 89, 151 u. Anm. 92, 154, 172 Anm. 126 Gottfried von Fontaines S. 76
Gregor IX. S. 112 Guiard von Cressonessart S. 69 u. Anm. 52, 70 u. Anm. 55, 71, 72 Anm. 63, 99 Guido II, Bischof von Cambrai S. 69, 75, 76 Guido von Nivelles S. 22, 111 Guillaume de Lorris >Roman de la Rose< S. 82 Hadewijch S. 1, 3, 7, 12, 13, 18, 32 Anm. 43, 33, 34 u. Anm. 47, 38, 39, 47, 4 8 - 5 2 , 53, 54, 55, 58, 66, 67, 72 Anm. 65, 74, 75, 76, 77, 79, 80, 81, 92, 93, 97, 98, 99, 110, 116, 190, 191, 192, 193 Atrophische Gedichten* S. 13f., 50f. Hagiograph S. 10, 13, 16, 17, 18, 19 u. Anm. 21, 22, 25, 26, 27, 28, 29, 31, 36, 43,46, 47, 96, 97,111, 112,114, 128, 137, 139, 140, 142, 158, 172, 173, 176, 177, 181, 182, 184, 192 Hagiographie (hagiographisch) S. 4, 12, 30, 34, 35, 36, 37, 58, 64, 88, 96, 97, 104, 108, 110, 111, 112, 113, 116, 121, 122, 128, 139, 154, 155, 181, 182 Anm. 131, 183, 184, 186, 188, 189, 190 u. Anm. 2, 191, 192, 193 Halle S. 116, 120, 121 Häresie S. 10, 20 u. Anm. 23, 27, 42 Anm. 3, 46, 50 Anm. 18, 58, 59, 60, 61, 63, 65, 67-81, 94, 98, 99 Heilwig von Rottenburg S. 131 Anm. 57 Heinburg, Elsbeth S. 132 Anm. 61 Heinrich von Halle S. 8, 53, 56 u. Anm. 33, 116-129 Heinrich von Nördlingen S. 8, 129, 142-155, 165, 166, 168 Anm. 117, 169-173 Heinrich, Kaplan von Engelthal S. 104, 182 Helfta S. 13, 53, 54 u. Anm. 27, 56, 57, 58, 64, 65 u. Anm. 48, 66, 100,116-129, 174, 185, 193 Hennegau S. 67, 68 Hildegard von Bingen S. 2 Anm. 4, 185 >Scivias< S. 185 u. Anm. 138 Vita S. 185 u. Anm. 138 Hochstetten, Schwester in Medingen S. 151, 153 Hoheslied S. 91 u. Anm. 101, 141 u. Anm. 74, 179 Hugo von Digne S. 94 u. Anm. 108
Hugo von Floreffe S. 15, 23, 24, 114 s. auch Ivette von H u y Hugo von Stauffenberg S. 130 Anm. 53, 131 Anm. 60 H u y S. 23 Hyeres S. 94 Ida von Leeuw S. 15 u. Anm. 17, 21 u. Anm. 25 u. 27, 25, 30 u. Anm. 40, 38, 115 Ida von Löwen S. 15 u. Anm. 17, 28 u. Anm. 34, 114 u. Anm. 21 Ida von Nivelles S. 15 u. Anm. 17, 21 u. Anm. 28, 25, 26 Irmgard von Kirchberg S. 5, 104 u. Anm. 8, 131 Anm. 60, 132, 133, 184, 185 u. Anm. 137, 186, 191 Ivette von H u y S. 15 u. Anm. 17, 22, 23 u. Anm. 31, 24, 42, 114 u. Anm. 23 Jakob von Vitry S. 15, 16 u. Anm. 18, 17, 20 Anm. 23, 22 u. Anm. 29, 23, 27, 36, 37, 46 u. Anm. 11, 92, 111-115, 141, 154 s. auch Marie von Oignies Jan van Ruusbroec S. 49 Jean de Meun »Roman de la Rose< S. 82 u. Anm. 82 u. 83 Johann, Bischof von Chalons S. 69, 71, 75 Johanna, Gräfin von Flandern S. 42 Johannes von Lausanne S. 24, 25, 28f. u. Anm. 35, 115 Johannes von Legio S. 91 Anm. 101 Johannes von Marienwerder S. 182 u. Anm. 132 s. auch Dorothea von Montau Johannes XXII. S. 61, 62, 95 Anm. 110 >Ratio recta< S. 62 u. Anm. 44 >Etsi apostolicae< S. 62 u. Anm. 45 Juliana von Cornillon S. 15 u. Anm. 17, 17, 22, 2 3 - 2 5 , 26, 28 u. Anm. 35, 29 u. Anm. 36, 30, 31, 32, 33, 36, 37, 42, 43, 47, 59, 114, 115 Kaisheim S. 149, 180 u. Anm. 130 Karl IV. S. 164 Anm. 112, 168 Karl von Anjou S. 94, 96 Katharina von Gueberschwihr S. 102 u. Anm. 3, 131 Anm. 60, 152 Katharinental S. 103 u. Anm. 4, 130, 131 Anm. 53 u. 60, 132 u. Anm. 61, 187 Kempf, Elisabeth S. 102 Anm. 3 Kerckenhof S. 21 Kirchberg S. 5, 103 u. Anm. 4, 104, 130 u. Anm. 52, 131 Anm. 57 u. 60, 132-133, 184, 191, 193 Anm. 3
209
Konkretisierung S. 51 Anm. 21, 57, 58, 77, 86, 91, 118, 120, 121, 155, 161, 164 Konrad Friedrich, Kaplan in Engelthal S. 104, 182 Konrad von Füssen S. 129, 161-165, 173 Konrad von Schlüsselberg S. 145 Konstanz S. 130 Anm. 53 Diözese S. 192 Konversen S. 43, 44 Köln S. 149 Kügelin von Waldsee, Konrad S. 183 u. Anm. 135 LaBiloke S. 42 LaRamee S. 15,21, 30, 31, 38, 47, 115,192 Lambert, Ii Begue S. 12, 41 Anm. 1, 43 Langmann, Adelheid S. 104, 109, 133, 143, 176-181, 185, 187 Anm. 140, 192 >Legenda Aurea« S. 184, 193 Anm. 4 Legende S. 4, 110, 141, 189 Lehrdialog S. 77, 80, 81, 83, 87, 98, 142, 145, 177, 180, 192 Leutgard von Tongeren S. 15 u. Anm. 17, 16 Anm. 18, 20 Anm. 23, 22 Anm. 29, 28 Anm. 33, 30 u. Anm. 39, 31 u. Anm. 42, 36, 37, 38 u. Anm. 50, 49, 105, 112, 114 u. Anm. 20, 115 Liebesdichtung, höfische S. 34 u. Anm. 47, 35, 86, 87 Liebeslyrik, höfische S. 50, 52, 86 provenzalische S. 57 s. auch Trobadors Liebestheorie S. 83, 84, 85, 86 Lied S. 12, 14, 34 u. Anm. 47, 48, 50, 51, 158, 192 >Limburgische Sermoenen< S. 13 Ludwig, Graf von Loon S. 23 Ludwig IV, der Bayer S. 144, 145, 164 Anm. 112 Ludwig IX, König von Frankreich S. 90, 93 Lüttich Diözese S. 6, 9, 10 u. Anm. 5, 11, 14, 15 Anm. 17, 16, 17, 20, 24, 27, 35, 38, 41 u. Anm. 1, 46, 89 Anm. 95, 111, 181, 193 Stadt S. 23, 24, 25, 43 St. Martin S. 24, 28 u. Anm. 35, 29 Lyon, Konzil von S. 46, 47 Anm. 12, 60, 77 Maagdendaal S. 37 Magdalena von Freiburg S. 183 u. Anm. 133, 194 Magdeburg S. 53, 54, 55 u. Anm. 30, 57, 58, 64, 65, 66, 117, 119, 122
210
Margaretha von Kenzingen S. 194 Margarethe von Ypern S. 15 Anm. 17, 16 Anm. 18, 114 u. Anm. 22 Marie von Oignies S. 15 u. Anm. 17, 16 u. Anm. 18, 20 Anm. 23, 22 u. Anm. 29, 23, 25, 27, 30 u. Anm. 39, 31, 36, 37, 41 Anm. 1, 42, 43, 46, 47, 105, 111-114, 115, 141, 154 >Supplementum< S. 15, 16 Anm. 18, 22, 111-114, 154 Marseille S. 94, 95, 96 Mechthild von Hackeborn S. 54, 57, 65, 66, 121 Anm. 33, 122-128, 174 >Liber specialis gratiae< S. 122-124, 125-127 Mechthild von Magdeburg S. 1, 2 Anm. 4, з, 7, 8, 13 u. Anm. 14, 14, 18, 38, 39, 47, 53-67, 73, 74, 75, 76, 77, 79, 80, 97, 98, 99, 107 Anm. 14, 110, 116-129, 168 Anm. 117, 191, 192, 193, 194 >Das fließende Licht der Gottheit« S. 13, 14, 18, 53-67, 80, 81, 116-118, 119, 121, 123-125, 128 u. Anm. 49, 168, 172 Anm. 125, 189 >Lux Divinitatis« S. 55 u. Anm. 32, 56 u. Anm. 33, 57, 117, 119, 120, 121 u. Anm. 33, 122, 123 Anm. 38, 125, 193 Medingen Kloster S. 104, 142, 148, 149, 150, 151 и. Anm. 92, 152, 153, 154, 155, 156 Anm. 99, 157 Anm. 102, 172, 173 Dorf S. 145 Mendikantenstreit S. 47 Anm. 12, 63 u. Anm. 47, 82 u. Anm. 81, 83 Merswin, Familie S. 150 Rulman - S. 150 Anm. 88 Meyer, Johannes S. 103 u. Anm. 5, 134, 135 Anm. 67, 139, 194 >Buch der Reformacio« S. 103f. Adelhausen-Exzerpt S. 103 Anm. 5 Minneallegorie S. 80, 86 u. Anm. 91 Namur S. 25, 115 Nazareth S. 37, 47, 192 Nivelles S. 22, 41 Anm. 1, 43, 49, 141 Nonnenbuch, Nonnenviten, Schwesternbuch S. 11, 101 u. Anm. 1, 103 Anm. 4 u. 5, 104, 105, 106 u. Anm. 11, 107 Anm. 13, 129-135, 136, 139, 140, 152, 174, 177, 185, 186, 189, 190 Anm. 2, 191, 192, 193 u. Anm. 3 u. 4 Nürnberg S. 156, 157 Anm. 103, 161, 167 Burggraf von - S. 168
Oetenbach S. 103 u. Anm. 4, 104, 130 u. Anm. 51 Offenhausen S. 165 Oignies S. 111, 112 St. Nicholas S. 22, 111-114 Orange S. 95 Ordensreform S. 4, 103, 106, 183, 194 Orval S. 23 Paris S. 22, 50, 58, 60, 67 u. Anm. 50, 68, 69, 82, 83, 85, 89, 111, 112 St. Katharina S. 9 0 - 9 4 Peter von Dacien S. 116, 181 s. auch Christine von Stommeln Peter von Limoges S. 92 u. Anm. 103 Sammlung >Ad beginas< S. 8 9 - 9 4 Philipp IV, der Schöne, König von Frankreich S. 68, 69 Philippine de Porcellet S. 95 Pillenreuth S. 172 Anm. 126 Porete, Marguerite S. 1, 7, 11, 47, 48 Anm. 14, 58, 67-81, 97, 98, 99 »Miroir des simples ames anienties< S. 11, 58, 67 Anm. 50, 71, 72, 74 u. Anm. 72, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 87, 98, 99 Prediger S. 1, 2, 3, 9, 10, 20, 75, 90, 91, 92, 93, 106, 107, 112, 113, 121, 130, 163, 168 Anm. 118, 171, 190 Anm. 2, 193 Anm. 4, 194 Predigt S. 13, 75, 88, 89, 90, 91, 92 u. Anm. 103, 93, 99, 106 Anm. 11, 107 Anm. 13, 111, 112, 171, 179, 190 Anm. 2, 193 u. Anm. 3 -Sammlungen S. 13, 88, 8 9 - 9 4 Provence S. 95, 96 Ranulph von Homblieres S. 91 Anm. 101 »Regle des fins amans< S. 84f., 86, 87 Reklusen, Inklusen S. 14, 17, 21, 22, 23 u. Anm. 31, 24, 25, 26, 27, 29 u. Anm. 36, 30, 35, 42, 43, 44, 46, 47, 59, 111, 112, 113, 114, 115 Reute S. 183f. Robert von Thorote, Bischof von Lüttich S. 24, 25 Rom S. 112 Rosendaal S. 15, 28, 47 Roubaud, Dames des S. 94, 95 u. Anm. 110, 96 u. Anm. 113 Ruppin S. 116, 119, 121 Anm. 33 Rutebeuf S. 46, 82 Salzinnes S. 25, 115 Scharenstetten, Schwester in Medingen S. 151, 153 Schedel, Hartmann S. 172 Anm. 126
Scheppach, Elsbeth S. 151 u. Anm. 91 u. 93, 153 Schlettstatter, Sebastian S. 149 Schönensteinbach S. 103 u. Anm. 6 Schreibbefehl S. 7, 108 u. Anm. 15, 110, 117, 118, 121, 128, 147, 163, 168 Anm. 117, 169, 171, 173, 175, 176, 178, 184, 187, 188, 191, 192 Schreibprozeß S. 8, 142, 145-155, 157, 159-161, 168, 169, 171, 173, 175, 181, 184, 185f., 188, 191 f., 194 »Schwester Katrei< S. 68 Anm. 50, 78 Seuse, Heinrich S. 8, 104 u. Anm. 9, 107 Anm. 13, 129, 134 u. Anm. 66, 135-142, 185 Anm. 137, 187 >Briefbüchlein< S. 135-142 >Exemplar< S. 135, 136-142 >Das große Briefbuch< S. 140, 141 u. Anm. 74 u. 75 >Vita< S. 104, 134, 135-142, 149, 163, 186, 191 Siger von Lille S. 114 Spital S. 14, 22, 23 u. Anm. 31, 24, 25, 26, 27, 30, 33, 35, 37, 38, 42, 44, 115 -schwester S. 15, 23f„ 26, 27, 42, 43, 46, 47, 59 St. Trond S. 23 St. Katharina S. 23, 37 St. Viktor S. 32 Anm. 43, 34 Stagel, Elsbeth S. 2 Anm. 4, 8, 103 Anm. 4, 129, 134 u. Anm. 66, 135-142, 149, 163, 186, 187, 191 Straßburg S. 42 Anm. 3, 62, 143, 150 u. Anm. 88, 151 Anm. 92, 192 Sunder, Friedrich S. 104 u. Anm. 9, 162 u. Anm. 111, 163, 165, 176 Sybille de Gagis S. 31, 115 Tauler, Johannes S. 107 Anm. 13, 150 Anm. 89, 170 u. Anm. 124, 171, 187 Templerorden S. 68, 70, 71 Anm. 59 Thomas von Chantimpre S. 15 u. Anm. 17, 16 u. Anm. 18, 22 Anm. 29, 23, 28 Anm. 33, 46, 49, 112, 114, 193 Anm. 4 s. auch Christine von St. Trond, Leutgard von Tongeren, Margarethe von Ypern, Marie von Oignies (»Supplementum