Religionsfreiheit in Ungarn: Verfassungspolitik und -wirklichkeit am Beispiel kleiner Religionsgemeinschaften in Ungarn 1845–1945 unter besonderer Berücksichtigung der Horthy-Zeit [1 ed.] 9783428548200, 9783428148202

Schon vor über tausend Jahren soll der ungarische Staatsgründer König Stephan in weiser Voraussicht seinem Sohn aufgetra

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Religionsfreiheit in Ungarn: Verfassungspolitik und -wirklichkeit am Beispiel kleiner Religionsgemeinschaften in Ungarn 1845–1945 unter besonderer Berücksichtigung der Horthy-Zeit [1 ed.]
 9783428548200, 9783428148202

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Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Band 63

Religionsfreiheit in Ungarn Verfassungspolitik und -wirklichkeit am Beispiel kleiner Religionsgemeinschaften in Ungarn 1845–1945 unter besonderer Berücksichtigung der Horthy-Zeit

Von

Annegret Dirksen

Duncker & Humblot · Berlin

ANNEGRET DIRKSEN

Religionsfreiheit in Ungarn

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Martin Schermaier, Bonn Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg

Band 63

Religionsfreiheit in Ungarn Verfassungspolitik und -wirklichkeit am Beispiel kleiner Religionsgemeinschaften in Ungarn 1845–1945 unter besonderer Berücksichtigung der Horthy-Zeit

Von

Annegret Dirksen

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Die Fakultät für Kultur- und Sozial­w issenschaften der FernUniversität Hagen hat diese Arbeit im Jahre 2014 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Mit freundlicher Unterstützung der Arnold-Liebster-Stiftung

Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany

ISSN 0937-3365 ISBN 978-3-428-14820-2 (Print) ISBN 978-3-428-54820-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-84820-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für Ruth und Inge

Geleitwort Zu den grundlegenden historischen Voraussetzungen des Verfassungsstaats in Europa gehört die sukzessive Trennung von Kirche und Staat und die Befreiung der Religion, des persönlichen Bekenntnisses, von staatlicher Zwangsgewalt. Wir sind es gewohnt, die uneingeschränkte Glaubensfreiheit als eines der zentralen Grundrechte und universellen Menschenrechte anzusehen. Insofern überzeugt der Gedanke, der der vorliegenden Untersuchung von Annegret Dirksen zugrunde liegt, die nominellen Rechte und die faktische Bewegungsfreiheit gerade kleiner Religionsgemeinschaften zum Maßstab der diesbezüglichen Qualität einer gegebenen Verfassungsordnung zu machen. Dabei kommen die nichtchristlichen Religionen in Betracht, namentlich die jüdische, deren „Emanzipation“ und staatsbürgerliche Gleichstellung (bzw. Anfechtung und Rücknahme) eines der herausragenden Themen der modernen europäischen Geschichte bilden. Ein unter dem verfassungsgeschichtlichen Gesichtspunkt der Religionsfreiheit möglicherweise noch aufschlussreicheres Kriterium mag die rechtliche Regelung und das faktische Verhalten von Staat und Gesellschaft gegenüber den kleinen christlichen Gemeinschaften („Sekten“) sein. Diese zeichneten und zeichnen sich generell durch ein hohes Maß an Überzeugungstreue der Gläubigen, deren Identifikation mit ihrer Religionsgemeinschaft und somit – in unterschiedlichem Grad – durch die Relativierung der Loyalität gegenüber dem Staat, insbesondere dem Nationalstaat des 19. und 20. Jahrhunderts, aus. Und auch für die etablierten großen Kirchen war und ist die Konkurrenz der kleineren christlichen Gruppierungen besonders problematisch. Annegret Dirksen untersucht in ihrer religions- und verfassungsgeschichtlichen Arbeit auf der Basis umfassender Quellenstudien am Beispiel kleiner christlicher Gemeinschaften die Entwicklung der Religionsfreiheit in Ungarn zwischen dem mittleren 19. und dem mittleren 20. Jahrhundert; der Schwerpunkt liegt auf den 1920er-, 30er- und frühen 40er-Jahren. Den größten verfassungs- und allgemeingeschichtlichen Einschnitt der ungarischen Geschichte seit Jahrhunderten markiert die Revolution von 1848/49, die das Land zu einem konstitutionellen Staat mit allgemeiner Staatsbürgerschaft machte und die Entwicklung zur bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft beschleunigte. Bis dahin lässt sich ungeachtet mehrerer absolutistisch geprägter Perioden von einer ständischen Monarchie sprechen, wobei der ungarische König mit dem österreichischen Kaiser in Wien personenidentisch war. In den „Ländern der Stephans­ krone“, wozu auch Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien gehörten, stellten die ethnischen Ungarn lediglich knapp zwei Fünftel dar. Sie lebten aber nicht nur im

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Geleitwort

eigentlichen Ungarn, und die ungarischen Revisionsbestrebungen nach dem drakonischen Friedensvertrag von Trianon 1920 (Verlust von zwei Dritteln des früheren Staatsgebiets) waren auf weite Territorien neu geschaffener, benachbarter Nationalstaaten gerichtet. Der zahlreiche ungarische Adel, ca. 5 Prozent der Bevölkerung, umfasste ein breites soziales Spektrum und formte in seinen ständischen Institutionen eine progressive Strömung aus, unter deren Einfluss um 1830 bereits eine Reihe liberaler Reformen eingeleitet wurden. Trotz deutlichen Wachstums der Städte und einer sukzessiven rechtlichen Entfeudalisierung der Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Großgrundbesitzern und ehedem hörigen Bauern, der Masse der Bevölkerung bis weit ins 20. Jahrhundert, bleiben die agrarischen Magnaten bzw. der höhere Adel die sozial und politisch dominierenden Gesellschaftsgruppen – über die Wechsel der Verfassungsordnung hinweg: nach der liberal-nationalen Revolution 1849 Neoabsolutismus, 1860/67 Rückkehr zu den vorrevolutionären liberalisierten ständischen Institutionen, 1918–20 Republikgründung, kurze Räteherrschaft und Restauration der Monarchie unter dem „Reichsverweser“ Horthy, dessen Regime sich, zunächst eher semi-autoritär, in den 30er-Jahren partiell in faschistische Richtung entwickelte, 1944–47 Diktatur der Pfeilkreuzler und bürgerlich-demokratisches Zwischenspiel, das unter Druck von außen in eine stalinistisch ausgerichtete „Volksdemokratie“ übergeleitet wurde. Es ist verblüffend zu sehen, Annegret Dirksen kann das en détail zeigen, in welchem hohen Maß der jeweilige staatliche Umgang mit den kleinen Religionsgemeinschaften den allgemeinen politischen und verfassungspolitischen Perioden der ungarischen Geschichte entspricht, wobei volle Freiheit nur in der ersten Phase nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und (heute schon wieder infrage gestellt) nach der Überwindung des kommunistischen Etatismus um 1990 gewährt worden ist. Die in den 1840er-Jahren vom Landtag beschlossene Gleichstellung aller etablierten religiösen Denominationen grenzte die kleinen Religionsgemeinschaften aus. Auch nach der gesetzlichen Garantie der vollständig freien Religionsausübung 1895 blieb die Unterscheidung von rezipierten (weiterhin privilegierten) und lediglich offiziell anerkannten Religionen bestehen, und die Kategorie der nichtanerkannten, lediglich geduldeten Religionen blieb bestehen, zu denen die meisten kleinen Gemeinschaften gehörten; deren Anhänger wurden wie Konfessionslose behandelt: Methodisten, Siebenten-Tags-Adventisten, Nazarener, Pfingstgemeinden und Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas. Das Misstrauen der staatlichen Instanzen auf allen Ebenen der Verwaltung richtete sich vor allem auf den internationalen Charakter und den Pazifismus (bis zur totalen Wehrdienstverweigerung bei den Zeugen Jehovas) der Gemeinschaften; in der Zwischenkriegszeit kam sogar der Verdacht auf, kommunistische Ideen könnten sich über „Sekten“ im religiösen Gewand verbreiten. Der durch Bespitzelung, permanente Kontrolle und Diskriminierung gekennzeichnete, sich in den 1920er und vor allem 30er-Jahren tendenziell verschlechternde Zustand ging ab 1937/38 in völlige Entrechtung, Verfolgung und Terror über.

Geleitwort 

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Annegret Dirksen gebührt das Verdienst, ein kaum bekanntes düsteres Kapitel der ungarischen (und europäischen) Religions- und Verfassungsgeschichte erforscht und eingehend dargestellt zu haben. Es wäre zu wünschen, dass Studien dieser Art zu anderen Ländern bald einen empirisch fundierten, systematischen Vergleich ermöglichen. Berlin, im Mai 2016

Prof. Peter Willy Brandt

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Einleitung  ........................................................................................................................  13 Forschungsstand und Quellenlage  ................................................................................  15 Kapitel 1

Historischer Überblick    21

A. Staatsgründung und religiöse Bindung  ....................................................................... 21 B. Goldene Bulle  .............................................................................................................  24 C. Religionsgesetze in Siebenbürgen  ..............................................................................  25 D. Gegenreformation und Einfluss der Habsburger  ........................................................  30 Kapitel 2

Reformzeitalter und Religionsgesetze    35

A. Reformzeitalter und seine Auswirkungen  ..................................................................  35 B. Gesetzesartikel XLIII/1895 zur Religionsfreiheit  ....................................................... 51 I. Bestimmungen  ..................................................................................................... 51 II. Verordnung zur Umsetzung des Gesetzesartikels  .............................................. 56 Kapitel 3

Umsetzung von GA XLIII/1895 im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts    58

A. Situation in Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg  ..........................................................  58 B. GA XLIII/1895 und die Religionsgemeinschaften vor dem Ersten Weltkrieg  ...........  62 I. Tätigkeit der Siebententags-Adventisten  ............................................................. 63 II. Gotteshäuser der Nazarener  ................................................................................  66 III. Gesetzliche Anerkennung der Baptisten  ............................................................. 75 IV. Publikationen der Bibelforscher  .......................................................................... 77 Kapitel 4

Erster Weltkrieg und Wehrdienstverweigerung    80



Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit    88

Kapitel 5 A. Politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg  ........................................................  88 B. Trianon und das Streben nach Erhalt des Ungarntums in der Zwischenkriegszeit  ....  99 I. Militärische Ausrichtung  ................................................................................... 101

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Inhaltsverzeichnis II. Politik und die Rolle der historischen Kirchen im multireligiösen Kontext  .... 104

C. Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)  ............................. 112 I. Gesetzliche Grundlagen in Verbindung mit der Religionsfreiheit  ................... 112 1. Geltende Gesetze zur Religionsfreiheit  ...................................................... 112 2. Ordnungsgesetz: GA III/1921  .....................................................................  114 3. Pressefreiheit ...............................................................................................  116 4. Versammlungsrecht .....................................................................................  117 II. Erste Auseinandersetzung der Behördenmit den Gemeinschaften  .................. 120 III. Erste Maßnahmen und Entwicklungen zur polizeilichen Überwachung  ......... 126 1. Einrichtung einer Zentralen Ermittlungsbehörde beim Innenministerium. 126 2. Kontroll-VO 1.670/1923 des Innenministers in Sachen „antimilitaristische Propaganda“  ................................................................................................. 127 3. Restriktiver Umgang bei der Genehmigung von Presseerzeugnissen durch VO 60.002/1923  ........................................................................................... 128 IV. Verstärkte Zusammenarbeit mit historischen Kirchen  ..................................... 129 V. Weitere Auseinandersetzung mit den Gemeinschaften  .................................... 139 1. Rechtlicher Stand/Rechtssubjektivität  ........................................................ 139 2. Anwesenheit Minderjähriger  ...................................................................... 147 3. Anmeldung eines ständigen Geistlichen  ..................................................... 153 VI. Erstes Resultat: VO 208.458/1924  ..................................................................... 159 VII. Weiteres Resultat: Geheime Verordnung des Innenministers 14.700/1924 zur Überwachung der „Sektenbewegung“  ..............................................................  161 VIII. Auswirkung der IM-VO 14.700/1924  ............................................................... 166 1. Zusammenkünfte ......................................................................................... 166 a) Position der bischöflich methodistischen Kirche  .................................  166 b) Zusammenkünfte der Baptisten  ............................................................  173 c) Zusammenkünfte der STA  ....................................................................  178 2. Weitere Versuche zur Koordination der lokalen Behörden in Verbindung mit Zusammenkünften  ................................................................................ 184 3. Presseerzeugnisse ........................................................................................ 193 4. Kommunismusvorwurf ..............................................................................  204 IX. Ergänzungsverordnung 3.100/1926 und ihre Auswirkung  ............................... 210 1. Inhalt von VO 3.100/1926  ............................................................................ 210 2. Tagung der Ministerien zum Thema „Sektenbewegungen“  ...................... 213 3. Beschwerde der Baptisten  ...........................................................................  216 4. Antrag der Methodisten auf gesetzliche Anerkennung  .............................. 219 X. Geheime Verordnung des Innenministers 6.200/1928  ...................................... 222 XI. Zusammenfassung der Bethlen-Ära  .................................................................. 229 D. Rechtsruck der 1930er-Jahre  ....................................................................................  234 I. Maßnahmen zur Durchsetzung der Verordnungen und Haltung der Gemein­ schaften  ............................................................................................................... 245

Inhaltsverzeichnis

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1. Stärkung der Gendarmerie und Polizeibehörden bei der „SektenBekämpfung“  ............................................................................................... 245 2. Verbot der Ibrányer Glaubensgemeinschaft  ............................................... 250 3. Reaktion der Bibelforscher auf die Repressionen  .....................................  260 a) Anerkennungsbemühungen und Verbindungen nach Deutschland  ......  260 b) Druckerzeugnisse .................................................................................  268 4. Turaner Monotheisten (Turáni Egyistenhivők)  .......................................... 272 II. Geheime Verordnung 8.300/1936 zur Einhaltung von Verordnungen  ............. 274 III. Auswirkungen der VO 8.300/1936  .................................................................... 283 1. In Verbindung mit Druckschriften  ............................................................. 283 2. In Verbindung mit den Turaner Monotheisten  ...........................................  284 3. Auf den Umgang mit den Nazarenern und deren Reaktion  ....................... 286 4. Auf Adventisten  ........................................................................................... 287 5. Auf Baptisten und Methodisten  .................................................................. 289 6. Weitere Entwicklungen in Verbindung mit der Heilsarmee  ...................... 291 7. Zeugen Jehovas: Kommunismusvorwürfe – Großaktion – Presseprodukte  293 IV. Weitere Maßnahmen  .......................................................................................... 315 1. Geheime VO 14.485/1937  ............................................................................ 315 2. Maßnahmen zu Presseprodukten  ................................................................  316 V. Waffen- und Militärdienstverweigerung  ........................................................... 323 1. Zwangsrekrutierungen und inoffizielle allgemeine Wehrpflicht  .............. 323 2. Maßnahmen durch Ministerpräsident Gyula Gömbös  ............................... 325 3. VO 5.431/1938 und weitere Maßnahmen des Innenministers  .................... 328 4. VO 8.769/1938 des Verteidigungsministers  ................................................ 330 5. VO 92.518/1939 des Verteidigungsministers  .............................................. 331 6. VO 32.816/1939 des Oberbefehlshabers und weitere Entwicklungen  ........ 338 7. VO 43.008/1939 des Verteidigungsministers  .............................................. 341 8. Reaktionen ................................................................................................... 342 VI. Gesetzesartikel II/1939  ...................................................................................... 345 VII. Verbotsverfügung des Innenministers  .............................................................. 348 1. Weiterer Aufschluss über die Hintergründe der Verbotsverfügung  .......... 355 2. Zuordnungsprobleme ................................................................................... 359 VIII. Zusammenfassung der 1930er-Jahre  ................................................................ 360 Kapitel 6 Kriegsjahre    364 A. Umgang mit der israelitischen Religion  ...................................................................  368 B. Ungarische Bibelnachfolger alias Siebenten-Tags-Adventisten  ..............................  378 C. Wege der Pfingstgemeinde und Auswirkungen auf die Methodistische Gemeinschaft  390 D. Schwierigkeiten der Baptisten und weitere Zuordnungsprobleme  ..........................  393

Inhaltsverzeichnis

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E. Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener  ....................................... 397 I. Engere Zusammenarbeit der Behörden – Konzertierte Aktionen  .................... 397 II. Aktionen gegen die Nazarener  .........................................................................  402 III. Sonderaktion gegen Zeugen Jehovas in Budapest  ...........................................  404 IV. Aktionen in der Karpato-Ukraine, Oberungarn und Siebenbürgen  ................. 415 F. Folgen für die „Pokait“  ............................................................................................  426 G. Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940 in Verbindung mit 363.500/1939  428 I. Folgen für die „Pokait“  ...................................................................................... 428 II. Entwicklungen bei der Heilsarmee  .................................................................... 439 H. Internierungen und Untreue-Verfahren  ....................................................................  439 I. Verwaltungstechnische Entwicklungen  ............................................................ 439 II. Fallbeispiele und Entwicklungen  ....................................................................... 445 III. VO 13.400/1942 des Innenministeriums  ........................................................... 459 IV. Staatssicherheitszentrale .................................................................................... 462 V. Landesermittlungen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener  ............................. 465 VI. Untreue-Verfahren ............................................................................................. 472 J. Militärdienstverweigerung während der Kriegszeit  .................................................  516 I. Verfahrensweise  ................................................................................................. 521 II. Unterschied im Umgang mit Nazarenern und Zeugen Jehovas  ........................ 527 III. Urteilsauswertungen und Strafvollzug  ............................................................... 534 1. Ausgewählte erstinstanzliche Urteile  ......................................................... 535 2. Ausgewählte Urteile des Obersten Militärgerichts  .................................... 542 3. Strafvollzug und Haftbedingungen  ............................................................ 549 K. Arbeitslager Bor  .......................................................................................................  559 L. Besetzung Ungarns und das Szálasi-Regime  ...........................................................  568 M. Zusammenfassung der Kriegsjahre  ..........................................................................  574 Kapitel 7 7:



Weitere Entwicklungen    579

A. In der Kommunismuszeit  .........................................................................................  579 B. Nach dem Systemwechsel  ........................................................................................  603 Kapitel 8

8:

Resümee – Thesen – Entwicklungen    613

A. Auswirkungen des Vertrages von Trianon  ................................................................  618 B. Verfassungswirklichkeit oder der Umgang mit Verfassungsgesetzen  ......................  620 C. Techniken im Vorgehen gegen die Gemeinschaften  .................................................  629 D. Militärdienstverweigerung .......................................................................................  634 E. Schlussfolgerungen in Verbindung mit der Haltung der Gemeinschaften  ...............  639

Inhaltsverzeichnis

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F. Erfolg der Maßnahmen im Horthy-Regime  .............................................................  643 G. Einordnung der Horthy-Zeit in das europäische Gesamtgeschehen  ........................  646 H. Schlussgedanken ......................................................................................................  648 Anhang  ............................................................................................................................ 651 Quellen- und Literaturverzeichnis  ..............................................................................  656 Sachwortregister  ............................................................................................................ 691

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17:

Nazarener beim Militär  .......................................................................... 86 Ungarn vor Trianon  .............................................................................. 100 „Esti Kurír“ vom 19. März 1933, S. 9  .................................................. 249 „Az Est“ vom 18. April 1929  ............................................................... 252 Mühlenbesitzer Ferenc Tóth  ................................................................. 287 „Herunter mit der Maske!“, Függetlenség vom 23. Dezember 1937  ..  314 „Arany Korszak“ am 15. November 1937  ...........................................  319 Zweiteiliger Artikel über das KZ Esterwegen  ..................................... 320 „Die schöne Seifenblase“  .....................................................................  321 Unterschrift von Dr. Frigyes Kormann  ...............................................  335 Belügyi Közlöny, Anzeiger des Innenministeriums  ...........................  353 Formular des Verteidigungsministeriums  ........................................... 399 Gruppe von Nazarenern Frühjahr 1944  ...............................................  561 Teil des Lagerkomplexes, Zeichnung von László I. Papp  .................. 566 Nach Bor deportierte Zeugen Jehovas  ................................................. 567 Gruppe Glaubensangehöriger der Nazarener 1946  .............................  581 „Verkündigerausweis“ von Julia Ötvös  ............................................... 582

Einleitung „Tausend Jahre und kein bisschen weise“, hieß es in der Frankfurter Allgemeinen vom 5. Mai 2013 mit Bezug auf Ungarns neues Grundgesetz vom 1. Januar 2012.1 In dessen Präambel berufen sich die Verfassungsväter auf die Heilige Stephanskrone als Symbol für staatliche Kontinuität wie auf das tausendjährige Christentum und dessen besondere Bedeutung für den Erhalt der ungarischen Nation über alle Zeiten hinweg. Überraschender Weise kann diese neue Verfassung ihrerseits jedoch keine große Kontinuität für sich beanspruchen, wurde sie doch inzwischen bereits mehrfach abgeändert – offensichtlich nicht zum Vorteil für wichtige Freiheitsrechte, da diese zunehmend eingeschränkt werden. Man fragt sich, ob der Verweis auf Traditionen und Geschichte des Landes, auf alte Werte und Symbole, in Wirklichkeit dazu dienen soll, die freiheitsliebenden Teile der Bevölkerung auf eine neue Gangart einzuschwören, bei der hart erkämpfte Freiheitsrechte im Austausch gegen nationalistische Staatsziele über Bord geworfen werden. Tatsächlich taugt der Verweis auf alte Traditionen dabei nicht wirklich, denn die ungarischen Könige standen über die Jahrhunderte oftmals für „europa-orientiertes“ Denken wie auch für eine weltoffene Politik. Schließlich haben sie so das Land frühzeitig gen Westen orientiert und ausländischen Siedlern und ihren Kulturen geöffnet. Gleichzeitig kann man auf eine ungewöhnliche Religionstoleranz im Mittelalter verweisen und nicht zuletzt wurden mit der Revolution 1848 liberale Reformen auf den Weg gebracht – historische Meilensteine freiheitlichen Denkens. Spricht man heute von Ungarn, denkt man daran, dass es die Ungarn waren, die 1989 den Zaun niedergerissen, die Grenzen geöffnet und Ausreisewillige haben ziehen lassen. Diese Handlungsweise erschien dem restlichen Europa schon Ausdruck von „Weisheit“ und besonderer Freiheitsliebe gewesen zu sein. Denn auch zuvor war das sozialistische Ungarn als „Gulaschkommunismus“ in Erscheinung getreten oder als „lustigste Baracke im sozialistischen Lager“ bekannt und damit anscheinend nicht von der Ernsthaftigkeit für die Ziele des Sowjetkommunismus durchdrungen, die sich der große sowjetische Bruder von seinen Satelliten wohl gewünscht hätte. Wie ist es daher um Liberalität und Freiheitsdenken der Ungarn und ihrem Staat bestellt? Waren die Ungarn in ihrem völkischen Selbstbewusstsein traditionell den Werten der Freiheit und Gleichheit verbunden? Wurden Menschenrechte in Ungarn schon immer mehr als in anderen politischen Systemen geachtet? Eines der wichtigsten Freiheitsrechte dieser Epoche war die Religionsfreiheit, um die besonders 1  Zilahy, Péter: Ungarns neue Verfassung. Vom Leben in magischen Zeiten. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ungarns-neue-verfassungvom-leben-in-magischen-zeiten-1634890.html (Zugriff am10.11.2013).

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Einleitung

stark gerungen wurde. Der Umgang mit der Religionsfreiheit ist ein signifikanter Markstein für die Haltung von Regierung und Gesellschaft eines Landes, gerade weil sie unabhängig von wechselnder politischer Couleur immer eine beständige Frage auf der Agenda der politischen Tagesordnung bleibt. Tatsächlich hat es in den Jahrzehnten vor und nach der Wende zum 20. Jahrhundert eine Vielzahl verschiedener politischer Regime in Ungarn gegeben. Zusätzlich handelt es sich um eine Zeit, in der viele neue Religionsgruppierungen und Gemeinschaften auftraten und dadurch rechtlichen Regelungs- und Entscheidungsbedarf aufwarfen. Auf welche Art und Weise diesem Bedarf durch den Staat konkret entsprochen worden ist, dürfte einen sehr präzisen Aufschluss darüber geben, wie es um den Geist der Freiheit und des Humanismus in Ungarn ganz grundsätzlich bestellt gewesen ist. Inwieweit die Gewährung von verbrieften Verfassungsrechten in der administrativen Alltagswirklichkeit eines Landes tatsächlich stattfindet, ist Gradmesser nicht nur dafür, ob zwischen festgelegter Theorie und gelebter Praxis eine Kluft besteht, sondern eben auch dafür, von welcher humanistischen und idealen Güte ein Staat und sein Volk in Wirklichkeit sind. Antworten hierauf wird daher nur die Betrachtung eines längeren historischen Zeitraumes liefern können, welche in der Lage ist, kurzfristige politische Irrungen und Wirrungen auszublenden. Gleichzeitig darf bei einer solchen Untersuchung der Blick auf die historische Gesamtentwicklung des Landes in Bezug auf die Freiheit der Religionsausübung nicht außer Acht gelassen werden, denn nur so wird es möglich sein, die Kontinuität der ungarischen Geschichte zu bewerten.

Forschungsstand und Quellenlage Forschungsstand und Quellenlage

Im deutschen Sprachraum scheint bisher keine Forschungsarbeit veröffentlicht worden zu sein, die sich wissenschaftlich mit dem Umgang mit den religiösen Minoritäten in Ungarn beschäftigt. Die Sekundärquellenlage ist sehr dürftig und beschäftigt sich fast ausschließlich mit den großen Kirchen in Ungarn oder eben mit der Entwicklung der ungarischen Verfassungsgeschichte an sich.1 Außer einem rechtsgeschichtlichen Essay von Hans-Hermann Dirksen zu verschiedenen Minoritäten in Ungarn und Rumänien 2 stehen zur ungarischen Thematik nur einige Artikel zur Verfügung, die im Zusammenhang mit der vorliegenden Forschungsarbeit entstanden sind und auf Konferenzen vorgestellt wurden.3 Bei der Aufarbeitung 1  Z. B.: Adriányi, Gabriel: Die Geschichte der katholischen Kirche in Ungarn. Köln 2004. Ders.: Geschichte der Kirche Osteuropas im 20. Jahrhundert. Paderborn 1992. Bu­ csay, Mihály: Der Protestantismus in Ungarn 1521 – 1978. Ungarns Reformationskirchen in Geschichte und Gegenwart. Teil 2: Vom Absolutismus bis zur Gegenwart. In: Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte. Erste Reihe. In Zusammenarbeit mit dem Institut für protestantische Kirchengeschichte, Wien, herausgegeben von Peter F. Barton. Wien 1979. Fabiny, Tibor (Hrsg.): Geschichte der Lutherischen Kirche in Ungarn. Budapest 1997. Spannenberger, Norbert: Die katholische Kirche in Ungarn 1918 – 1939: Positionierung im politischen System und „Katholische Renaissance“. Stuttgart 2006. Tomka, Miklós: Religiöser Wandel in Ungarn. Religion, Kirche und Sekten nach dem Kommunismus. Ostfildern 2010. Bos, Ellen: Verfassungsgebung und Systemwechsel. Die Institutionalisierung von Demokratie im postsozialistischen Osteuropa. Wiesbaden 2004. Kerek, Angela: Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn und Rumänien. Ein Vergleich der Verfassungsgerichtsbarkeiten zweier Osteuropäischer Transformationsstaaten auf ihrem Weg zum konsolidierten Rechtsstaat. In: Schriftreihe zum Osteuropäischen Recht, Bd. 14. Berlin 2010. Küpper, Herbert: Die ungarische Verfassung nach zwei Jahrzehnten des Übergangs. Frankfurt 2007. 2  Dirksen, Hans-Hermann: Eine doppelte europäische Diktaturerfahrung: Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in Rumänien und Ungarn. In: Besier, Gerhard/Vollnhals, Clemens (Hrsg.): Repression und Selbstbehauptung. Die Zeugen Jehovas unter der NS- und der SED-Diktatur. Berlin 2003, S. 327 – 358. 3  Dirksen, Annegret: Wechselnde Regimes – wechselnde Vorwürfe. Jehovas Zeugen in Ungarn. In: Religion – Staat – Gesellschaft, 8. Jg., Nr. 1, 2007, S. 115 – 119. Dies.: The Hungarian Experience – Various Developments of a Constitutional Guarantee for Religious Freedom. In: Religion – Staat – Gesellschaft, Jg. 10/2009, Heft 2, S. 291 – 304. Dies.: Developments in Controlling Small Religious Minorities in Hungary in the 20th Century. In: Fiamová, Martina/Jakubčin, Pavol (Hrsg.): Prenasledovanie cirkví v komunistických štátoch strednej a východnej Európy/Persecution of Churches in the Communist Countries in Central and Eastern Europe. Bratislava 2010, S. 451 – 460. Dies.: A katonai szolgálat megtagadása: Fejlődések Magyarországon és Németországon [Die Wehrdienstverweigerung: Entwicklungen in Ungarn und Deutschland]. In: Heinz, Daniel/Rajki, Zoltán/Simon, Ervin (Hrsg.): Szabadegyházak, vallási kisebbségek és a diktatúrák Europában a 20. Században

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Forschungsstand und Quellenlage

der Geschichte der Religionsfreiheit im 20. Jahrhundert in Europa unter besonderer Beachtung der religiösen Minderheiten leistet Gerhard Besier, dem ich in Verbindung mit der Dissertation großen Dank schulde, wertvolle Beiträge. Er erklärt: „Die Güte eines demokratischen Verfassungsstaates bemisst sich unter anderem daran, wie er mit ethnischen, religiösen und sprachlichen Minderheiten umgeht“.4 Zurzeit entsteht beispielsweise unter seiner Ägide ein umfangreiches Werk zur Geschichte der Zeugen Jehovas in Europa, wobei auch Ungarn Berücksichtigung finden soll.5 Nicht viel anders sieht die Lage bezüglich Veröffentlichungen im ungarischen Sprachraum aus, die nachfolgend punktuell skizziert werden soll. Als eine bemerkenswerte frühe Forschungsarbeit ist die juristische Untersuchung von Károly Eötvös (1842 – 1916) hervorzuheben, der sich ab 1873 ein objektives Bild von den Nazarenern zu machen versuchte und insbesondere über deren Anfänge in Ungarn, und seine Ergebnisse später in einem Buch veröffentlichte.6 Anders als Eötvös äußerte sich der katholische Theologe und Publizist Nyisztor in mehreren kleinen veröffentlichten Studien in den 1920er-Jahren tendenziös über die kleinen Religionsgemeinschaften.7 Ebenfalls als wichtige Kampfschrift ist eine Veröffentlichung von Imre Somogyi zu betrachten, die sich 1933 mit der „Sektenfrage“ in Ungarn beschäftigt.8 In der Zeit des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Jahren des kommunistischen Regimes konnten keine wissenschaftlichen und insbesondere objektiven Forschungsarbeiten zu religiösen Minderheiten in Ungarn nachgewiesen werden. Erst in den späteren Jahren der sozialistischen Ära wurden Studien und Veröffentlichungen durch die ungarischen Staatsorgane in Auftrag gegeben. Mit den rechtlichen Beziehungen von Staat und Kirche in der Horthy-Zeit setzt sich der anerkannte Jurist Andor Csizmadia 1971, zwar aus sozialistischer Sicht, aber dennoch verhältnismäßig neutral auseinander. Dabei geht es aber vor allem um die großen Kirchen, die kleinen Religionsgemeinschaften werden nur ganz peripher [Freikirchen, kleine religiöse Gemeinschaften und die Diktaturen Europas im 20. Jahrhundert. Budapest 2013, S. 72 – 81. (Basierend auf einer Konferenz in Veszprém am 31. März 2011). 4  Besier, Gerhardt: Einleitung/Editorial. In: Religion – Staat – Gesellschaft: Die Zeugen Jehovas in Ostmittel-, Südost- und Südeuropa. , 8. Jg., Heft 1, 2007, S. 1 – 5, hier S. 5. 5  Besier, Gerhard/Stokłosa, Katarzyna (Hrsg.): Jehovas Zeugen in Europa. Geschichte und Gegenwart, Bd. 1. Berlin 2013. 6  Eötvös, Károly: A Nazarénusok. Budapest 31908. 7  Nyisztor, Zoltán: Adventisták [Adventisten]. Budapest 1927. Ders.: A szekták Magyarországon. [Die Sekten in Ungarn.] Budapest 1926. Ders.: Az üdvhadsereg [Die Heilsarmee]. Budapest 1927. Ders.: Baptisták [Baptisten]. Budapest 1927. Ders.: Millenisták vagy bibliakutatók“ [Millenisten oder Bibelforscher]. Budapest 1927. Ders.: Nazarénusok [Nazarener]. Budapest 1927. 8  Somogyi, Imre: A szekta-kerdés. Megjegyszések. „A szekta és az ellnük való védekezés modjai“ [Die Sektenfragen. Anmerkungen. „Die Sekten und wie man sich vor ihnen schützen kann“], Budapest 1933.

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erwähnt.9 Kleinere Arbeiten befassten sich mit den Zeugen Jehovas. So zum Beispiel 1977 die Broschüre „Tévedések útján. A ‚Jehova Tanúi‘ [Auf dem Weg der Täuschungen. Die ‚Zeugen Jehovas‘“], die unter Mitarbeit des Historikers und adventistischen Theologen Jenő Szigeti, Mitglied des Freikirchenrats, entstand, und sich, wie der Titel schon zeigt, abwertend mit der Glaubensgemeinschaft auseinandersetzte.10 Zu erwähnen ist ferner die von László Kardos, Religionssoziologe, zusammen mit Szigeti angefertigte Forschungsarbeit über die Nazarener auch in Verbindung mit deren Anerkennung, die 1988 veröffentlich wurde und sich recht umfassend mit deren Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt.11 Den beiden Forschern wurden seitens der Nazarener eine Vielzahl von Dokumenten überlassen, die heute unerklärlicherweise als verschollen gelten. Alle diesbezüglichen Anfragen bei Szigeti verliefen bisher ergebnislos.12 Als einer der ersten veröffentlichte nach der Wende der Journalist Károly Martinkó eine beachtete Sammlung von Erfahrungsberichten.13 Eine grundlegende historische Aufarbeitung entstand mit der Dissertation von Csaba Fazekas „Kis­ egyházak és szektakérdés a Horthy-korszakban“ [Kleine Religionsgemeinschaften und die Sektenfrage in der Horthy-Zeit], die 1996 veröffentlicht wurde. Fazekas gibt mit seiner objektiven Herangehensweise und umfassenden Forschung einen guten Überblick über den Umgang mit den kleinen Religionsgemeinschaften in der Horthy-Zeit, dem Zusammenspiel von Kirchen und Zivilbehörden. Auf die Rolle der Militärbehörden geht er dagegen kaum ein. Eine weitere sehr fundierte Untersuchung zum Verhältnis von Kirche und Staat stellt die 2005 veröffentlichte juristische Dissertation „Oszd meg és uralkodj. A pártállam és az egyházak“ [Teile und Herrsche. Der Einparteienstaat und die Kirchen] von Szilvia Köbel dar, die viel Aufschluss über die Entwicklungen von Kirchen und Staat im Kommunismus gibt. Weitere Forschungen wurden von Jenő Szigeti, nunmehr als Historiker und Zeitzeuge, veröffentlicht. Gemeinsam mit dem Theologen, Historiker und Sozilogen Zoltán Rajki gab er „Szabadegyházak története magyarországon 1989ig“ [Geschichte der Freikirchen in Ungarn bis 1989] heraus.14 Zoltán Rajki stellt auf einer von ihm betriebenen Website „Kisegyház-kutató Egyesület“ [Vereinigung der Forschung zu kleinen Religionsgemeinschaften] Material und Sekundärliteratur

9  Csizmadia, Andor: Rechtliche Beziehungen von Staat und Kirche in Ungarn vor 1944. Budapest 1971. 10  Palota, Sándor/Szigeti, Jenő (Hrsg.): Tévedések útján. A „Jehova Tanúi“ [Auf dem Weg der Täuschungen. Die „Zeugen Jehovas“]. Budapest 1977. 11  Kardos, László/Szigeti, Jenő: Boldog emberek közössége. A magyarországi nazarénusok. [Die Gemeinschaft der fröhlichen Menschen. Die Nazarener in Ungarn.] Budapest 1988. 12  Kardos lebt bereits seit längerer Zeit nicht mehr. 13  Martinkó, Károly: „Ti vagytok az én tanuim …“ [„Ihr seid meine Zeugen …“]. Budapest o. Datum (wahrscheinlich 1995). 14  Rajki, Zoltán/Szigeti, Jenő (Hrsg.): Szabadegyházak története magyarországon ­1989-ig [Geschichte der Freikirchen in Ungarn bis 1989]. Budapest 2012.

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Forschungsstand und Quellenlage

zur Verfügung und hat auf diese Weise auch die vorliegende Arbeit unterstützt.15 Hinzu kommen weitere kleinere Veröffentlichungen, die das Bild der Verfolgungsgeschichte kleiner Religionsgemeinschaften in Ungarn ergänzen.16 Zu vielen untersuchten Teilaspekten gibt es auch im ungarischen Sprachraum noch keine oder sehr wenig Forschung. Das betrifft neben dem gesamten Komplex der Wehrdienstverweigerung z. B. die Internierungen, die Arbeit des General­ stabsgerichts, die Tätigkeit der Staatssicherheitszentrale, aber auch die Umsetzung von GA XLIII/1895 vor der Horthy-Zeit oder die Hintergründe des Verbotes kleiner Religionsgemeinschaften von 1939. Im Ungarischen Staatsarchiv (Magyar Országos Levéltár, – seit Kurzem Magyar Nemzeti Levéltár, also Ungarisches Nationalarchiv) finden sich umfangreiche Aktenbestände, die für die vorliegende Arbeit ausgewertet werden konnten.17 Ergänzend existieren Unterlagen im Hauptstadtarchiv Budapest (Budapest Főváros Levéltára) sowie in regionalen Archiven (wie Miskolc, Nyíregyháza) und daneben auch Materialbestände in rumänischen Archiven (z.B. Cluj-Napoca). Die Unterlagen im Militärarchiv (Hadtörténeti Intézet) in Budapest zu kleinen Religionsgemeinschaften sind bisher kaum ausgewertet worden. Hier wurde in der vorliegenden Untersuchung komplettes Neuland betreten. Zusätzlichen Aufschluss geben auch Materialen aus dem Archiv der kommunistischen Staatssicherheitsbehörde (Állambiztonsági Szolgálatok Történeti Levéltára), die eingesehen werden konnten18 und zunächst in Verbindung mit der Zwischenkriegszeit ausgewertet wurden. Ein Aktenkonvolut zur Kommunismuszeit aus diesem Archiv steht noch zur Auswertung an. Ergänzend geben Dokumente aus dem Bundearchiv Berlin, der Behörde des Bundesbeauftragen für die Unterlagen der Staatssicherheit und des Archivs des Auswärtigen Amts Aufschluss. Ergänzendes Material vor allem in Verbindung mit Medienberichten konnte in der Széchényi Bibliothek (Országos Széchényi Kön­y vtár) im dort archivierten Periodika-Bestand gefunden werden. Auch verschiedene Dokumente aus den Archiven der Religionsgemeinschaften bzw. deren Angehörigen waren bisher nicht bekannt. Darunter fallen z. B. Unterlagen der Geschichtsarchive der Zeugen Jehovas in Ungarn, Deutschland und der 15 http://kisegyhazkutato.hu

16  Martinkó, Károly: Jehova tanúinak magyarországi története [Die ungarische Geschichte von Jehovas Zeugen]. Budapest 2013. Ferner Kovács, Zoltán: Methodism in Hungary [Methodismus in Ungarn], April 2009. archives.gcah.org/xmlui/…/211/Methodist-History-04 – 2009-Kovacs.pdf? Szebeni, Olivér: A baptista hittestvéri közösség élén, 1933 – 1951 [Am Rande der baptistischen brüderlichen Gemeinschaft, 1933 – 1951]. In: Somogyi, Barnabás (Hrsg.): Csontokba zárt tűz. Dr. Somogyi Imre (Emericus) élete és munkája [In Knochen eingesperrtes Feuer. Leben und Arbeit von Dr. Imre Somogyi (Emeritus)]. Budapest 1983, S. 151 – 169. Lakatos, Judit (Hrsg.): Keskeny utak [Schmale Wege]. Tanulmányok a Magyarországi Metodista Egyház történetéről [Studien zur Geschichte der Ungarischen Methodistischen Kirche]. Budapest 2005. 17 Behilflich bei der unkomplizierten Einsichtnahme war hier neben vielen anderen freundlichen Helfern der leitende Mitarbeiter Herr Tamás Kovács. 18  Mithilfe von Frau Dr. Katalin Kutrucz und Frau Béláné Sarnyai.

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Schweiz. Hier geht mein Dank insbesondere an Karlheinz Hartkopf und Michele Lobosco sowie Wolfram Slupina. Dankbar bin ich auch für die Bereitstellung von Unterlagen und Bildern zu Nazarenern aus dem Archiv von Tibor Gál. Freundliche Unterstützung erhielt ich, was Sekundärliteratur anbelangt, vom Zentralarchiv der Adventistischen Gemeinschaft in Friedensau, Herrn Daniel Heinz. Dokumente wurden leider nicht zur Verfügung gestellt. Auch von der Methodistischen Gemeinschaft konnten keine Unterlagen bereitgestellt werden. Die Interviews mit den wenigen noch lebenden Zeitzeugen Ádám Szinger, Lajos Papp, Bálint Papp, Lajos Gerencsér und János Lakó, denen ich ebenfalls sehr für ihre Unterstützung danke, sowie einzelne Erfahrungsberichte von Zeitzeugen ergänzen die sachlichen Behördenberichte und stellen die menschlichen Schicksale hinter den Dokumenten eindringlich heraus. Wertvolle Unterstützung bei den Forschungsarbeiten kam von Tamás Csapody, der umfangreiche historische Untersuchungen zum Arbeitslager Bor gemacht und veröffentlicht hat19 und seine Informationen zum Nutzen der Forschung gern teilt, genauso wie von Margit Balogh und Gergely Jenő, beide Mitglieder der Ungarischen Akademie der Wissenschaften wie auch von Mitarbeitern des juristischen Lehrstuhls der ELTE, Eötvös Loránd Universität, die verschiedene Verordnungen und weiteres Hintergrundmaterial zur Verfügung stellten. Aufschlussreiche Informationen zu den Entwicklungen der Religionsfreiheit nach der Wende 1989/1990 gab der ungarische Verfassungsrechtler und seinerzeitige Abgeordnete Balázs Schanda, ferner der ehemalige ungarische Verfassungsrichter István Kukorelli. Weitere wertvolle Hinweise zum Verfassungsrecht kamen von Herbert Küpper vom Institut für Ostrecht in Regensburg, von Rainer Barth, Autor des Buches zu Noel Field, und von János M. Rainer, Leiter des 1956er Instituts und Archivs für Oral History in Budapest (1956-os Intézet és Oral History Archivum) und Autor der politischen Biografie von Imre Nagy, genau so wie von dem ungarischen Theologen Tamás Majsai, der u. a. zum christlichen Gewissen forscht. Vladimir Farkas, selbst Mitarbeiter des ungarischen Staatssicherheitsdienstes, gab noch kurz vor seinem Tod 2002 ein kleines Telefoninterview über die Arbeit der Staatssicherheitsorgane, Hintergründe und die Rolle der historischen Kirchen. Besonderer Dank geht an Herrn Professor Peter Brandt als Doktorvater wie auch an Herrn Professor Gerhard Besier für die wertvolle Unterstützung. Und natürlich auch an meinen Ehemann Professor Hans-Hermann Dirksen, ohne den das Projekt nicht denkbar gewesen wäre. Weiterhin möchte ich folgenden Personen Dank aussprechen: Gabriel Adrianyi, Margit Balogh, Magdolna Baráth, Bernd-Rainer Barth, Szilvia Böning für ihre Hilfe bei der Übersetzung, Julia Brandt, Tamás Csapody, Mike Dennis, Ingeborg Dirksen-Küfner, Ulrike Dude, Lajos Gerencsér, Tibor Jankovics, Oliver Joch, Christine E. King, Uwe Klages, Walter Köbe, Szilvia Köbel, Tamás Kovács, Katalin Kutrucz, Katalin Laki, János Lakó, Judit Lenkovics, Simone Arnold Liebster, Max Liebster, Andreas Nickol, Angelika und Thomas 19  Csapody, Tamás: Bori Munkásszolgálatosok [Arbeitsdienstleistende von Bor]. Buda­ pest 2011.

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Forschungsstand und Quellenlage

Matzen, Judit Molnár, Bálint Papp, Lajos Papp, Éva Peltz, Armin Pikl, Domenico Piliero, György Podlovics, Fritz Poppenberg, János M. Rainer, Ernő Rakmányi, Werner Rudtke, Andreas Schlack, Bélané Sarnyai, Peter Schicketanz, Daniel Schmidt, Ervin Simon, László Soós, Johannes-Dieter Steinert, Norbert Számvéber, Oliver Szebeni, Ádám Szinger, Kevin Unterholzner, Karl Heinz Voigt, Angela und Konstantin Weiss, Ulrich Wien, Katalin Zalai und ganz besonders meiner Mama Ruth U. Zornsch. Sehr großen Dank schulde ich auch Max Wörnhard! In Anbetracht der wenigen Untersuchungen und Veröffentlichungen auf dem Gebiet der Geschichte der religiösen Minoritäten in Ungarn will die vorliegende Forschungsarbeit versuchen, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten. Die in der Untersuchung verwandten Dokumente und Schriften in ungarischer Sprache wurden, wenn nicht anders angegeben, von der Verfasserin übersetzt.

Kapitel 1 1:

Historischer Überblick

A.  Staatsgründung und religiöse Bindung Nachdem die Árpáden sich zunächst am griechisch-orthodoxen Glauben orientiert hatten, banden sie das Land mit der Staatsgründung an das westliche Christentum.1 Keine hundert Jahre nach der Landnahme der Magyaren im Karpatenbecken hatten Fürsten der Árpádenlinie unter Stephan (István, R 997/1001 – 1038)2 Anschluss an die römisch-katholische Kirche gesucht und damit an den Westen Europas.3 Stephan führte ein für seine Zeit modernes Staatswesen ein – nahm gesellschaftspolitische Umwandlungen vor, entmachtete Sippenvorsteher, richtete Burgkomitate ein und ernannte an deren Spitze Gespane, die als Vertreter des

1  Die Magyaren waren bereits auf ihrer Wanderung und später bei ihrer Niederlassung durch pannonische und mährische Slawen mit der christlichen Religion in Berührung gekommen. Bulcsu und Gyula in Siebenbürgen bekehrten sich nach 943 zur griechisch-orthodoxen Kirche. Über eheliche Verbindungen (Sarolt, Tochter von Gyula war bereits christlich getauft) kam dadurch auch das Árpádenhaus mit der christlichen Religion in engeren Kontakt. Gergely, Jenő/Kardos, József/Rottler, Ferenc: Az egyházak Magyarországon [Die Kirchen in Ungarn]. Budapest 1997, S. 5 ff. Vgl. auch Gergely, Jenő: Katolikus Egyház, magyar társadalom 1890 – 1986 [Katholische Kirche, ungarische Gesellschaft 1890 – 1986]. Budapest 1989. Romsics, István: Történelem, Történetírás, Hagyomány. Tanulmányok és cikkek, 2002 – 2008 [Geschichte, Geschichtsschreibung, Tradition. Studien und Artikel, 2002 – 2008]. Budapest 2008, S. 10 f. Vgl. Györffy, György: Az Árpádok és a kereszténység. A keresztény királyideál [Die Árpáden und das Christentum. Das christliche Königsideal]. http://www.tankonyvtar.hu/hu/tartalom/historia/83 – 056/ch04.html (Zugriff am 1.3.2015). 2 Ursprünglich Vajk, er erhielt bei seiner Taufe den Namen des christlichen Märtyrers Stephanus, ungarisch István. Verheiratet war er mit Gisela, der Tochter des bayerischen Herzogs Heinrich des Zänkers. 3  Hantos, Elemér: The Magna Carta of the English and of the Hungarian Constitution. A Comparative View of the Law and Institutions of the Early Middle Ages. New Jersey 2005, S. 4 f.: „Missionary efforts in Hungary have been made by the Eastern as well as by the Western Church, so that it is not a mere accident that the new state turned rather to Rome than to Constantinople for its organic connection. Had St. Stephen joined the Eastern Church, Hungary could never have withstood the ambition and supremacy of the German Emperors, aided by the Popes of Rome. Having adopted the Roman form of Christianty, it was endowed with the Western or rocher seedlings of civilization.“ Schlett, István: A magyar politikai gondolkodás története [Geschichte des ungarischen politischen Denkens]. Budapest 2000, S. 13 f.

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Kap. 1: Historischer Überblick

Königs und als Richter fungierten.4 Er veranlasste auch die Bekehrung der Bevölkerung, ließ im Land Diözesen einrichten, regelte die Zahlung des Zehnten, des „dézsma“, per Gesetz und übereignete den Kirchen einen großen Grundbesitz, was sie zum größten Feudalherrn des Landes werden ließ.5 Das von Stephan und „den Großen“, auch als Senatus bezeichnet, erlassene Gesetzeswerk soll sich an karolingischen/bayerischen Beispielen orientiert haben.6 Die katholische Kirche gelangte mittels ihr unter der Árpádenherrschaft verliehener Sonderrechte in die Rolle einer kulturschaffenden, gesellschaftsbildenden und traditionserhaltenden Institution – sie wurde zu einem Eckpfeiler der Herrschaft, einem konstitutiven Element.7 In groben Grundzügen blieb diese Funktion bis ins 19. Jahrhundert erhalten.8

4 Die ungarischen Bezeichnungen der regionalen Verwaltungseinheiten megye bzw. vármegye werden deutsch zumeist als Komitat bzw. Burgkomitat, aber auch als Grafschaft, Gespanschaft oder Provinz wiedergegeben. Vorsteher eines Komitats war der Gespan bzw. seit dem 15.  Jahrhundert der Obergespan, ungarisch ispán bzw. főispán. Bereits ab dem 12. Jahrhundert sind Vizegespane nachweisbar. Ein Komitat konnte weiter in Bezirke unterteilt werden. Vgl. Szekfű, Julius (Gyula): Der Staat Ungarn: eine Geschichtsstudie. Stuttgart 1918. Küpper, Herbert: Autonomie im Einheitsstaat. Geschichte und Gegenwart der Selbstverwaltung in Ungarn. Berlin 2002, S. 21 – 29, 51 f. Neben den vom König neu eingeführten Normen, lebte das althergebrachte Normensystem der Stämme noch lange fort. Vgl. Mezey, Barna: Ungarische Rechtsgeschichte – Europäische Rechtsgeschichte. In: Heun, Werner/ Lipp, Volker (Hrsg.): Europäisierung des Rechts. Deutsch-Ungarisches Kolloquium, Budapest 2007. In Göttinger Juristische Schriften, Bd. 5. Göttingen 2008, S. 11 – 28, hier S. 11 f. 5  Im Jahr 1001 soll Stephan mit einer von Papst Silvester II. verliehenen Krone gekrönt worden sein. Diese sogenannte Stephanskrone war über Jahrhunderte Symbol staatlicher Einheit und Souveränität wie auch Wahrzeichen ungarischen Christentums. Gergely/ Kardos/Rottler, S. 9. Klimó, Árpád von: Nation, Konfession, Geschichte: zur nationalen Geschichtskultur Ungarns im europäischen Kontext. München 2003, S. 330. Hanák, Péter (Hrsg.): Die Geschichte Ungarns von den Anfängen bis zur Gegenwart. Budapest 1986, S.  21 – 27. Spannenberger, Norbert: Die katholische Kirche in Ungarn in ihren nationalen und gesellschaftlichen Bedeutungen 1919 – 1939. In: Maner, Hans-Christian/Schulze Wessel, Martin (Hrsg.): Religion im Nationalstaat zwischen den Weltkriegen 1918 – 1939. Polen – Tschechoslowakei – Ungarn – Rumänien. In der Reihe Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa. Bd. 16. Stuttgart 2002, S. 157 – 175, hier S. 157. Die originale Krone in Form eines Diadems soll 1074 verloren gegangen sein. Die jetzige Stephans­ krone wurde im 13. Jahrhundert fertiggestellt. Küpper, Autonomie, S. 30. 6  Tomka, Religiöser Wandel, S. 27. 7  Die zwei von König Stephan herausgegebenen Gesetzesbücher berücksichtigten insbesondere die Rechtsstellung der Kirche und stärkten ihre Macht. Der Bau von Kirchen und Klöstern wurde geregelt. „Zehn Dörfer erbauen eine Kirche, die mit zwei Grundstücken und ebenso vielen Sklaven versehen wird, ferner mit Rossen und Stuten, sechs Ochsen und zwei Kühen sowie 30 Stück Federvieh. Für Kleidung und Altardecken kommt der König auf, für Priester und Bücher sorgt der Bischof.“ Zitiert nach Gergely/Kardos/Rottler, S. 8. Das Gesetzbuch regelte auch die Abgabe des Zehnten. Festgelegt wurde ferner, dass Geistlichen nur vor Kirchengerichten der Prozess gemacht werden konnte. Ebenda, S. 8 ff. König Stephan und sein Sohn wurden bereits 1083 heiliggesprochen. 8  Gergely, Katolikus Egyház, S. 5 ff.

A.  Staatsgründung und religiöse Bindung

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König Stephan, Gründer des ungarischen Staates und Urheber des feudalen Systems, vertrat, was Traditionen und Sitten anderer Völker anbelangte, weitsichtig eine in Bezug auf sein Land tolerante, also für andere Bräuche und Kenntnisse offene Ansicht, eine Bereitschaft zur Koexistenz, die sich als vorteilhaft für politische und wirtschaftliche Entwicklungen erweisen sollte. In dem ihm zugeschriebenen Fürstenspiegel, dem „De institutione morum“, forderte er seinen Sohn Emerich (Imre, um 1007 – 1031) auf: „So wie die Ansiedler aus verschiedenen Ländern und Provinzen kommen, ebenso bringen sie auch verschiedene Sprachen und Sitten, verschiedene lehrreiche Dinge und Waffen mit sich, welche den königlichen Hof zieren und verherrlichen, die auswärtigen Mächte aber erschrecken. Ein Land, das nur einerlei Sprache und einerlei Sitten hat, ist schwach und gebrechlich. Darum, mein Sohn, trage ich Dir auf, begegne ihnen und behandle sie anständig, damit sie bei Dir lieber weilen als anderswo.“9 Bereits im 12. Jahrhundert holte der ungarische König Géza II. (1141 – 1162) ausländische Siedler ins Land.10 Die Bevölkerung war ethnische Diversität und Sprachvielfalt gewohnt, sowohl von der eigenen Zusammensetzung her, als auch aufgrund der früheren Lebensweise. Abstammung und Sprache wurde wenig Relevanz beigemessen. Zentrales Anliegen war vielmehr die Staatsbildung.11 Dieser natürlich nicht uneigennützige Geist, Ausländer anzusiedeln, sollte Entwicklung und Kultur jahrhundertelang prägen. Die westeuropäischen Siedler, neben Franzosen und Wallonen vor allem viele Deutsche (unterschiedslos als Sachsen bezeichnet) brachten ihre städtische Kultur mit und als Teil dessen das Konzept des Stadtrechts. Die westliche Kultur und Gesetzgebung hatte von Anfang an großen Einfluss auf die Entwicklungen in Ungarn.12 Gegen Ende des 14. Jahrhunderts entstanden freie königliche Städte, deren Rechtsstatus dem der entwickelten spätmittelalterlichen städtischen Selbstverwaltung in Westeuropa glich.13 Die osmanische Herrschaft14 brachte keine größeren Veränderungen in der örtlichen Selbstverwaltung mit sich. Das trifft ebenfalls auf die Herrschaftsperiode des Hauses Habsburg zu,15 wie auch auf das Fürstentum Siebenbürgen.16 Diese 9  Corpus juris Hungarici 1000 – 1526, S. Stephani I. Cap. 6. Zitiert nach www.datenbanksoftware.net/article/Deutsche_Ostsiedlung. Vgl. Farkas, Julius von: Ungarns Geschichte und Kultur in Dokumenten. Wiesbaden 1955, S. 11 f. 10 Ebenda. Klimó, Nation, Konfession, Geschichte, S. 330. Die Ansiedlung begann um 1150 mit Deutschen in Siebenbürgen, den sogenannten Siebenbürger Sachsen. Vgl. Schmid, Judith/Weiß, Norman/Dietzel, Björn: Mitgliedstaaten des Europarates. 5. Folge. Ungarn. In: MenschenRechtsMagazin, Heft 1/2001. www.uni-potsdam.de/u/mrz/mrm/mrm14 – 3.htm. 11  Reinert-Tárnoky, Ilona: Das nationale Selbstverständnis der Ungarn. In: Alexander, Manfred/Kämpfer, Frank/Kappeler, Andreas/Stökl, Günther (Hrsg.): Kleine Völker in der Geschichte Osteuropas. Stuttgart 1991, S. 93 – 104, hier S. 93. 12  Ungarn, eigentlich Ungarnland von „Magyarország“. 13  Die Städte verfügten über eine umfassende körperschaftliche Autonomie, wozu auch das Recht der Verwaltung, der Gesetzgebung, der Rechtsprechung gehörte. Später kam es zur Errichtung sogenannter Königsstädte. 14  Nach der vernichtenden Schlacht von Mohács 1526. 15  Vor allem ab dem 17. Jahrhundert. 16  Im 16. Und 17. Jahrhundert.

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Kap. 1: Historischer Überblick

Unveränderlichkeit verhinderte allerdings auch eine Modernisierung des Landes, feudalistische Überreste blieben teilweise bis in 20. Jahrhundert erhalten.17

B.  Goldene Bulle König Andreas II. (András II.) erließ 1222 die häufig mit der Magna Charta verglichene „Goldene Bulle“, das Reichsgrundgesetz, welches die grundlegenden Rechte der Adligen wie Steuerfreiheit ihres Grundbesitzes und persönliche Freiheit18 festschrieb und ihnen einräumte, den Willen des Königs zu missachten, wenn dieser widerrechtlich war.19 Sie gilt als das „erste zentrale verfassungsrechtliche Dokument Ungarns“.20 Neben den Grundrechten der Adligen garantierte sie einerseits der Kirche Steuerfreiheit, indem sie bestimmte, „vom Volk der Kirche […] keinerlei Abgaben“ zu nehmen.21 Sie restringierte andererseits jedoch die Rechte von Juden und Muslimen, indem sie vorschrieb, dass die Zuständigen für Geld, Salz und Steuern „Adliges des Landes, keine Ismaeliten und Juden sein können“.22 Damit wurden Juden und Muslime von wichtigen Ämtern und der Verleihung von Adelstiteln ausgeschlossen. Bis 1848 war die Goldene Bulle mehr oder weniger Grundlage des ungarischen Grundgesetzes. Den Siedlern, denen schon in der Goldenen Bulle zugesichert worden war, dass „Gästen“ jedweder Nation die ihnen früher verliehenen Freiheiten verbleiben sollten, wurde 1224 im „Goldenen Freibrief der Siebenbürger Sachsen“23 gewährt, das „Jus Theutonikum“, das „deutsche Recht“, anzuwenden.24 17 Vgl. Küpper, Autonomie, S.  31 – 40, 43 – 45. Mezey, Barna: Magyar Alkotmánytörténet [Ungarische Verfassungsgeschichte]. Budapest 1996, S.  142  ff. Scharinger, Manfred: Eine kurze Geschichte der ungarischen Arbeiter/innen/bewegung. www.agmarxismus.net/ aktartikel/ungarn_arbbew.htm. Der Jurist Csizmadia spricht noch für die 1920er-Jahre von einem kapitalistischen halbfeudalen System. Allerdings stammt seine Formulierung aus sozialistischer Zeit beeinflusst von deren Stil. Csizmadia, rechtliche Beziehungen, S. 12 f. Szöllösi-Janze spricht von „bedeutenden Reststrukturen der alten ständisch-feudalen Gesellschaftsordnung“. Szöllösi-Janze, Margit: Die Pfeilkreuzlerbewegung in Ungarn. Historischer Kontext, Entwicklung und Herrschaft. München 1989, S. 41 f. 18  Zur persönlichen Freiheit gehörte, dass ein Adliger vor Verurteilung durch ein Gericht nicht inhaftiert werden durfte. Auch unterstanden sie zwar der Gerichtsbarkeit des Paladins, ging es aber um ihr Leben oder ihren Besitz, konnte allein der König entscheiden. Szekfű, Ungarn, S. 50 f. 19  Hantos, S. 20 f., 80 f. 20  Bos, S. 213. 21  Abdruck des Textes in Ungarisch und Latein in Érszegi, Géza: Az Aranybulla [Die Goldene Bulle]. Budapest 1990, S. 29: „Super populos ecaim ecclesiarum ipsorum nullam penitus collectam faciemus.“ 22  Ebenda, S. 33: „Comites camere monetarii, salinarii et tributarii nobiles regni, Ismaelite et Iudei fieri non possint.“ 23  Auch nach dem Verleiher König Andreas II. als „Andreanum“ bezeichnet. 24  Érszegi, S. 31: „Hospites cuiuscunque nacionis secundum libertatem ab inicio eis concessam teneantur.“ Wagner, Ernst (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Siebenbürger

C.  Religionsgesetze in Siebenbürgen

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C.  Religionsgesetze in Siebenbürgen Die weitsichtige Politik der ungarischen Herrscher, Ausländer ins Land zu holen und sich deren Kenntnisse zunutze zu machen, wirkte sich auch auf die religiöse Landschaft aus. So kamen mit den Juden und Deutschen neue religiöse Bewegungen – wie im Zuge der Reformation die secta lutherana. Im 16. Jahrhundert, während das Land nach der verheerenden Niederlage des ungarischen Heeres unter der Führung des Erzbischof von Kalocsa Paul (Pál) Tomori bei Mohács am 29. August 1526 unter osmanische Herrschaft geraten war und seine höchsten geistlichen und weltlichen Autoritäten im Kampf verloren hatte, konnte sich besonders über das Fürstentum Siebenbürgen, ungarisch Erdély – die Wiege der ungarischen Sprache und Kultur wie auch Geburtsstätte ungarischer Könige –, die Reformation vor allem unter den Leibeigenen und der Gentry (dzsentri), dem niederen Adel, rasant bis in den Norden des Landes verbreiten. Es heißt, dass bis Ausgang des 16. Jahrhunderts zwei Drittel des Landes protestantisch geworden seien.25 Zwischen 1543 und 1571 entstand dann in Siebenbürgen, das für das damalige Europa einmalige Landesgesetz der vier receptae religiones, es widerspiegelt einen traditionellen Geist ideologischer Toleranz, der gegenseitigen Akzeptanz und Bereitschaft zur Koexistenz, einen modus vivendi, der sich in unterschiedlicher Ausprägung durch die Geschichte Ungarns zieht.26 Rechtliche Grundlage für die Religionsgesetze bildete der Unionsvertrag von Torda (rumänisch Turda, deutsch Thorenburg), der das Sachsen. 1191 – 1975, Köln 21981, Nr. 5, S. 12 – 19. Vgl. Gündisch, Konrad: Siebenbürgen und die Siebenbürger Sachsen. München 1998. (online-Version: http://sibiweb.de/geschi/ geschichte_der_siebenbuerger_sachsen.php, 20.12.2011). Der Freibrief „enthält das am besten ausgearbeitete und weitestgehende Siedlerrecht, das westlichen Siedlern in Osteuropa verliehen wurde und stellt das Grundgesetz der Sachsen auf dem Königsboden für viele Jahrhunderte dar“. Zitiert nach Gündisch, Siebenbürgen. 25  Vielen erschien der Sieg der Türken wie eine Strafe Gottes wegen des verderbten Handelns der katholischen Kirche. Hanák, S. 59 ff. www.reformatus.hu/deutsch/geschichte.htm. Majoros, Ferenc: Zur Gesetzgebung des Fürstentums Siebenbürgen (XVI.-XVII. Jh.). Ein breites Feld religiöser Toleranz. In: Hofmann, Mahulena/Küpper, Herbert (Hrsg.): Kontinuität und Neubeginn. Staat und Recht in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Baden-Baden 2001, S. 409 – 440. Tomka, Wandel, S. 30. 26  Durch den Vertrag von Großwartein 1538, der das alte ungarische Königtum in Westund Oberungarn bzw. in Mittel- und Ostungarn teilte, kam Siebenbürgen unter die Herrschaft von König Johann Sigismund Zápolya (Szapolyai János Zsigmond, als Johann II. 1540 – 1551 und 1556 – 1570 König von Ungarn, als Johann I. erster Fürst von Siebenbürgen von 1570 bis zu seinem Tod 1571). Nach seinem Tod wurde Siebenbürgen ein selbständiges, den Osmanen tributpflichtiges Königtum.1699 konnten die Habsburger ihre Ansprüche dann durchsetzen und nahmen dann auch Einfluss auf die Religionsgesetzgebung. Vgl. Daugsch, Walter: Toleranz im Fürstentum Siebenbürgen. Politische und gesellschaftliche Voraussetzungen der Religionsgesetzgebung des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Hauptmann, Peter (Hrsg.): Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde. Bd. 26. Göttingen 1983, S. 35 – 72, hier S. 36 f. Révész, László: Die Entwicklung der konfessionellen Toleranz in Siebenbürgen. In: Ungarn-Jahrbuch, 1982 – 1983, S. 109 – 132. Ebenda, S. 110. Bucsay, Protestantismus, S. 71. Tomka, Wandel, S. 30. Er be-

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Kap. 1: Historischer Überblick

Recht jeder „natio“ auf innere Autonomie bestätigte – zu den drei ständischen „Nationen“ Siebenbürgens gehörten: der ungarische Komitatsadel, die Székler27 und die Sachsen.28 In den Jahren von 1542 bis 1545 legte der Landtag von Torda die Grundgesetze für das Fürstentum fest. Dazu gehörte die Anerkennung eines Fürsten, der den traditionellen Privilegien und Freiheiten verpflichtet war, ferner die Bildung eines geheimen Rates, der von den „nationes“ anteilig besetzt wurde, wie auch die Abhaltung allgemeiner Landtage, deren Beschlüsse mit der Zustimmung aller drei Stände Gültigkeit erlangten.29 Zunächst garantierte 1552 der Landtag von Torda die freie Religionsausübung für Katholiken und Lutheraner.30 1557 bekannte sich der Landtag von Torda mit der Maxime „ut quisque teneret eam fidem quem vellet“31 erneut zum Grundsatz der religiösen „Toleranz“.32 Dabei war darauf zu achten, „nicht irgendeinem anderen Unrecht“ zuzufügen. Die Landstände wollten verhindern, dass „die Anhänger der neuen Religion die Altgläubigen“ herausforderten oder „den Anhängern jenes alten Glaubens irgendein Unrecht geschehe“. Ihnen lag daran, „die Eintracht unter den Kirchen wieder zu gewinnen und die über zeichnet Toleranz und Akzeptanz als „wichtige und bleibende Bestandteile der ungarischen Kultur“. 27  Bewohner des Szeklerlandes im Osten Siebenbürgens, die sich zum Magyarentum bekannten, ihre genaue Herkunft ist unbekannt. 28 Diese Union knüpfte an die 1437/38 von den „nationes“ geschlossene Union von Kápolna an, in der sie sich bereits ihre Rechte und Pflichten anerkannt hatten und die mehrfach erneuert worden war. Vgl. Daugsch, S. 37 f. Das war auch insofern von Bedeutung, als bei den Sachsen seit ihrer Einwanderung das Prinzip der Eigenkirche galt. Geistliche wurden durch die Gemeinden direkt gewählt, bestellt und bezahlt und verfügten über eigene Gerichtsbarkeit. Mit der Zeit wurde diese Geistlichkeit von der bischöflichen Jurisdiktion getrennt und auf lokaler Ebene in Kapiteln organisiert. In der Folge kam es bereits um 1400 zu einer eigenen Kirchenorganisation, der sogenannten geistlichen Universität. Diese erkannte noch vor der Reformation die übergeordnete Stellung der Nationsuniversität an – die Repräsentationskörperschaft aller sächsischen Stühle und Bezirke, die innerständische Verwaltungs- und Gerichtsinstanz der sächsischen Nation. 1544 führte die Nationsuniversität die Reformation offiziell ein. Teutsch, Friedrich: Geschichte der evangelischen Kirche in Siebenbürgen. Bd. I, 1150 – 1699. Hermannstadt 1921, S. 72, 159. Müller, Georg: Die sächsische Nationsuniversität in Siebenbürgen. Ihre verfassungs- und verwaltungsrechtliche Entwicklung. 1224 – 1876. Hermannstadt 1928, S. 16, 73 – 86, 97 f. Die Nationsuniversität (Concilium Transylvania Saxonicum) entstand Ende des 15. Jahrhunderts und diente als höchstes Verwaltungs- und Rechtsgremium. Daugsch, S. 40 f. 29  Ebenda, S. 38 f. 30  Revész, László: Die helvetische Reformation in Ungarn. In Ungarn-Jahrbuch 1972, S. 72 – 100, hier S. 77. 31  „Dass jeder dem Glauben folgt, den er begehrt.“ 32  Auch wenn der Begriff „Toleranz“ in seiner späteren Bedeutung zu dieser Zeit noch nicht geprägt wurde, setzten sich doch die Humanisten Thomas Morus, Erasmus von Rot­ terdam und Sebastion Castellio inhaltlich mit der Problematik auseinander. Vgl.: Guggis­ berg, Hans R.: Wandel der Argumente für religiöse Toleranz und Glaubensfreiheit im 16. und 17. Jahrhundert. In: Lutz, Heinrich: Zur Geschichte von Toleranz und Religionsfreiheit. Darmstadt 1977, S. 455 – 481, hier S. 459 – 468. Ders.: Sebastian Castellio 1515 – 1563. Humanist und Verteidiger der religiösen Toleranz im konfessionellen Zeitalter. Göttingen 1997.

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die evangelische Lehre entstandenen Streitigkeiten beizulegen“.33 Mit Beschluss des Landtags von 1564 wurde dann auch der Calvinismus, das helvetische Bekenntnis,34 als rezipierte Religion anerkannt. Gleichzeitig wurde Zwang zum Religionswechsel bzw. zu dessen Verhinderung untersagt.35 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der protestantischen Religionen führte auch zur weiteren rechtlichen Abgrenzung zwischen den Ständen, der „magyar vallás“, der ungarischen Religion, und der „német vallás“, der deutschen Religion.36 In den Jahren 1568 und 1576 wurden dann auch die reformierte und die unitarische Kirche37 per Landtagsbeschluss gesetzlich anerkannt. Im Fall der Unitarier erfolgte 1571 die endgültige Rezeption.38 Der Landtag zu Weißenburg bestätigte 1595: „Was die Religionsangelegenheiten betrifft, haben wir von Reichswegen beschlossen, daß die rezipierten Religionen, nämlich die Katholische oder römische, die Lutherische, die Calvinistische und die Arianische [Unitarier] überall frei erhalten werden sollen.“39 Dennoch war die Religionstoleranz eingeschränkt. Einmal, da sie keine Gleichberechtigung der betroffenen Kirchen bedeutete. Die protestantische Kirche nahm eine bevorzugte Stellung ein. Zum anderen wurden kleinere Gemeinschaften wie die der Sabbatianer und der Puritaner weder anerkannt noch toleriert, genossen also keine religiöse Freiheit. Die orthodoxe Kirche, zu dieser Zeit ohne eigene Kirchenorganisation,40

Landtag von Torda von 1557, zitiert nach Wagner, S. 121 f. Révész, helvetische Reformation, S. 72 f. 35  Vorausgegangen war 1560 eine Disputation, in der deutlich wurde, dass Hermannstadt sich zum Zentrum der Lutheraner und Klausenburg (ungarisch Kolozsvár, rumänisch Cluj) zum Zentrum der Reformierten entwickelte. Eine weitere Disputation war im Januar 1564 abgehalten worden, bei der es jedoch weniger zu einer Einigung, sondern vielmehr zur Abgrenzung der Standpunkte kam. 36  Daugsch, S. 43. Völkl, Ekkehard: Grenzen der konfessionellen Toleranz dargestellt am Beispiel Siebenbürgens im 16. Jahrhundert. In: Ungarn-Jahrbuch, Nr. 4, 1972, S. 46 – 60, hier S. 48. 37  Häufig wird die vertretene Lehre auch als eine Art Antitrinitarismus bezeichnet, wobei man zwar die Dreieinigkeit vertrat, aber nicht die Wesensgleichheit des Sohnes und des Geistes mit dem Vater. Z. B. weil der Sohn ungleich dem Vater einen zeitlichen Anfang hat. Vgl. Majoros, S. 414 f., Küpper, Autonomie, S. 41. 38 König Johann Sigismund hatte sich auf die Seite der Unitarier gestellt. Es kam 1566 und 1568 erneut zu Disputationen, die jedoch zu keiner Einigung führten Der Fürst, der den Titel „König von Ungarn“ trug und von der Hegemonialmacht als solcher anerkannt wurde, ging im Gesetz Nr. X von 1566 gegen das Gebot der Toleranz verstoßend sogar so weit, die Ausweisung sämtlicher katholischer Geistlicher zu fordern. Vgl. Majaros, S. 410. In Ungarn selbst wurde die protestantische Kirche erst Anfang des 17. Jahrhunderts anerkannt. Révész, Entwicklung, S. 114. 39  Zach, Krista: Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte. Hrsg. v. Joachim Bahlcke und Konrad Gündisch, Münster 2004 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 6), S. 116. 40  Ihr gehörten ostslawische und rumänische Leibeigene an. Sie wurde erst Ende des 18. Jahrhunderts rechtlich gleichgestellt. Tomka, Wandel, S. 30. 33 

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wurde geduldet und galt „pro tempore“ als „religio tolerata“.41 Der Unterschied im Rechtszustand zwischen den rezipierten Religionen und der geduldeten Kirche spiegelte sich auch in den gesellschaftlichen Verhältnissen wider und verfestigte diese – damit waren frühzeitig zwei Kategorien entstanden: die der rezipierten und die der geduldeten Religion. Den privilegierten Feudalherren, Stadtbewohnern und Sachsen standen die zumeist orthodoxen rumänischen erbuntertänigen Bauern gegenüber. Allerdings kam es in dieser Region nicht wie im westlichen Europa zu Religionskriegen (Kämpfe wurden zumeist gegen Nicht-Christen wie Osmanen oder Mongolen geführt). Dem nach dem Tod Johann Sigismund Zápolya (auch Johann I.) 1571 von drei Städten zum neuen Fürst gewählten katholischen Stephan (István) Báthory lag dann daran, weitere religiöse Neuerungen zu unterbinden, die katholische Religion wieder zu stärken und erneut zur vorherrschenden zu machen. Dennoch musste er einen Eid auf die Wahrung der vier rezipierten Religionen leisten.42 Durch das Innovationsgesetz, das sich gegen radikale Vertreter des Unitarismus richten sollte, wurde 1572 jede Neuerung in Religionsangelegenheiten verboten und somit auch die Rezeption der orthodoxen Kirche verhindert.43 Um den Ansprüchen des Hauses Habsburg entgegenzuwirken, das die Osmanen vertreiben und das Gebiet der Stephanskrone wieder unter „christliche“, sprich katholische Herrschaft bringen wollte, hatten sich die siebenbürgischen Fürsten außenpolitisch immer wieder mit der Hohen Pforte verbunden, die ihrerseits alles stärkte, was antikatholisch und damit auch in gewissem Sinne antihabsburgisch war. Mit seinem 1606 ausgehandelten „Frieden von Wien“ erkämpfte István (Stephan) Bocskai (1557 – 1606) Religionsfreiheit für Oberungarn und sicherte Siebenbürgen gleichzeitig die Anerkennung der Religionsfreiheit durch die Habsburger. György (Georg) Rákóczi I. gelang es 1645 im „Frieden von Linz“ Ferdinand III. für die Protestanten Ungarns, sogar erstmals auch für Hörige und Leibeigene unabhängig von der Konfession des Grundherrn, das Recht auf Bekenntnisfreiheit abzuringen.44 Indem die wichtigsten Landtagsbeschlüsse, darunter auch die zur ReligionsfreiDaugsch, S. 60. Gündisch, S. 87, Wagner, S. 50 ff. Kiss, András: Ein Jahr im Leben István Bocskais im Spiegel der Quellen von Klausenburg. In: Barta, János/Jatzlauk, Manfred/Papp, Klára: „Einigkeit und Frieden sollen auf Seiten jeder Partei sein.“ Die Friedensschlüsse von Wien (23.06.1606) und Zsitvatorok (15.11.1606). Debrecen 2007, S. 75 – 84, hier S. 75 f. 43  Daugsch, S. 66. Hier kam die Devise „quieta non movere“ zum Tragen. Nach dem Gesetz durften die Kirchen nur geringfügige Veränderungen vornehmen, die das Bekenntnis und die Verfassung der Kirche nicht tangierten. Majoros, S. 415. Krista Zach unterscheidet in eine „klassische Periode religiöser Toleranz“ von 1542 – 1571, die mit dem Tod Johann Sigismunds endete, und in eine Zeit der „schrittweisen Einschränkung der Toleranz seitens der Obrigkeit und der einzelnen bevorrechtigten Religionsgemeinschaften“ von 1571 bis 1603. Zach, Krista: Orthodoxe Kirche und rumänisches Volksbewußtsein im 15. und 18. Jahrhundert. Wiesbaden 1977, S. 159. 44  Rákóczi hatte sich mit Frankreich und Schweden verbündet, eroberte 1644 das königliche Ungarn und unterstützte die Schweden bei der Belagerung von Brünn. Ferdinand III. war zu Konzessionen bereit. Auf Druck der Hohen Pforte, der Siebenbürgen zu mächtig zu werden schien, schloss Rákóczi mit Ferdinand in Linz Frieden, gab die eroberten Gebiete 41 

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heit, 1653 in den „Approbatae constitutiones regni Transsylvanie et partium eidem adnexae“ als öffentliches Recht kodifiziert wurden, hatte sich die ständische Religionsfreiheit etabliert und war, selbst als die Habsburger nach der Niederlage der Türken 1683 vor den Toren Wiens in Siebenbürgen immer mehr Fuß fassten, nicht mehr zu revidieren. Am 4. Dezember 1691 erließ Kaiser Leopold I. (R1657 – 1705) das „Leopoldinische Diplom“, das als Grundgesetz fungierte und sowohl die Privilegien der ständischen „Nationen“ wie auch die Rechte der vier „rezipierten“ Religionen anerkannte. Selbst während der teilweise gewaltsamen Gegenreformation in Ungarn blieben die vier rezipierten Konfessionen erhalten. Die orthodoxe Religion fand in dem Diplom keine Erwähnung, obgleich sie zahlenmäßig der Gesamtheit der rezipierten Religionen überlegen war.45 Wie der hier dargelegte historische Kontext zeigt, handelt es sich bei der Religionsfreiheit Siebenbürgens nicht um Freiheit im modernen Verständnis, sondern um eine alte ständische Libertät, die nicht auf der Gleichheit aller vor dem Gesetz beruhte, sondern auf der verfassungsmäßigen Ungleichheit – einem Privileg basierend auf der Unfreiheit der Nichtprivilegierten. Gyula Szekfű (1883 – 1955) sah in der religiösen Toleranz in Siebenbürgen keine frühe Aufklärung, keine Toleranz im eigentlichen Sinne, sondern eine notgedrungene Koexistenz der Religionen, die nicht stark genug waren, einander zu verdrängen. Allerdings muss man einschränkend hinzufügen, dass er das 1935 als antiliberal, konservativ und katholisch ausgerichteter Historiker äußerte.46 Pfarrer Gyula Kulifay hingegen interpretiert die religiöse Toleranz in Siebenbürgen aus heutiger Sicht wie folgt: „Die Stadt Torda in Transsylvanien wurde 1557 zum Schauplatz eines Weltereignisses: Die Ständeversammlung erklärte die freie Religionsausübung der christlichen Konfessionen. Damit war Transsylvanien allen europäischen Völkern weit voraus und wurde im 16. Jahrhundert zur Heimat der Gewissensfreiheit.“47 Auch Ulrich Andreas Wien, versteht Siebenbürgen als „Pionierregion der Religionsfreiheit“.48 Miklós Tomka hält es jedenfalls für bemerkenswert, dass sich die Konfessionen im größten Teil des Landes zu einer Koexistenz zusammengefunden haben und erklärt: „Die religiöse Toleranz und die Akzeptanz der Religionsfreiheit sind wichtige und bleibende Bestandteile der ungarischen Kultur geworden.“49 Damit räumt der Religionssoziologe den Ereignissen in Siebenbürgen eine Schlüsselrolle bei den weiteren historischen Entwicklungen in Ungarn ein. Unabhängig davon, wie diese frühe Toleranz zu beurteilen ist, steht fest, dass anders als in vielen Teilen Europas in Siebenbürgen über lange Zeit ein verhältnismäßig friedliches religiöses Nebeneinander möglich war. zurück und beendete sein Bündnis mit Frankreich und Schweden. Bucsay, Mihály: Geschichte des Protestantismus, Stuttgart 1959, S. 212. 45  Zach, Konfessionelle Pluralität, S. 76 f. Daugsch, S. 59 ff. 46  Szekfű, Gyula: A tizenhatodik Század [Das 16. Jahrhundert]. In: Hóman Bálint/Szekfű Gyula (Hrsg.): Magyar Történet [Ungarische Geschichte], Bd. 3, Budapest 1935, S. 268 f. 47  Kulifay, Gyula: Stehet im Glauben. Köln 1978, S. 146. 48 Siebenbürgische Zeitung vom 1.10.2005: Interview mit Dr. Ulrich Andreas Wien. www.siebenbuerger.de/zeitung/artikel/drucken/index.php?id=6541. 49  Tomka, Wandel, S. 30.

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Kap. 1: Historischer Überblick

D.  Gegenreformation und Einfluss der Habsburger Siebenbürgen sollte auch noch in der Zeit der teilweise gewaltsamen Gegenreformation in Ungarn und Österreich im 17. Jahrhundert eine Rolle spielen. Nachdem es Bocskai, dem siebenbürgischen Fürsten, 1606 nach seinem Aufstand gegen die Habsburger in Oberungarn gelungen war, die calvinistische und die lutherische Konfession in Oberungarn, im Königlichen Ungarn, also dem habsburgischen Teil, und in Siebenbürgen verfassungsrechtlich und konfessionell gleichzustellen,50 suchte dagegen die katholische Kirche, und insbesondere Erzbischof Péter Pázmány (1570 – 1637),51 zwecks Restauration engen Anschluss an den katholisch ausgerichteten Wiener Hof. Diese Verbindung zu den Habsburgern, die nur äußerst weitläufig mit dem ungarischen Königshaus verwandt waren, und damit zu einer quasi fremden, nicht selten konfliktreichen und für die Mehrheit bedrückenden Dynastie, brachte der katholischen Kirche den Ruf ein, Promoter habsburgischer Interessen zu sein und damit Gegenpol des die magyarischen Tugenden verkörpernden niederen Adels, der Gentry, und des mit ihm verbundenen Protestantismus, der sich seinerseits zum Symbol des nationalen Widerstands gegen Wien entwickelte.52 In der Phase der Rekatholisierung gelang es Pázmány unter anderem durch seine Schriften, 30 Magnatenfamilien wieder für die katholische Kirche zu gewinnen. Auch die Politik des Hofes, königliche Ämter nur mit Katholiken zu besetzten, zeitigten beim Adel Erfolg. Eine 1664 durch den katholischen Palatin Franz Wesselényi (1605 – 1667) angeführte Magnaten-Verschwörung gegen die Habsburger nahm man als Vorwand, 1673 die ungarische Verfassung aufzuheben und gegen die Protestanten vorzugehen.53 In der Folge kam es zu Schauprozessen gegen protestantische Geistliche.54 Die Jahre 1671 bis 1681, das Dezennium, gelten als „Trauerdekade des 50  Kiss, Ein Jahr, S. 75. Csáky, Moritz: Die katholische Kirche und der liberale Staat in Ungarn im 19. Jahrhundert. In: Ungarn-Jahrbuch 1973, S. 117 – 131, hier S. 119. Vgl. auch Gesetzesartikel V/1647. Zöllner, Erich: Geschichte Österreichs: von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien 1990, S. 200 – 204. 51  Eigentlich calvinistisch erzogen, nahm er den katholischen Glauben an, lehrte an der Universität von Graz, wurde 1617 Erzbischof von Gran und 1629 Kardinal. 52  Spannenberger, Katholische Kirche, S. 157 f. 53  Damit in Verbindung standen auch die Kuruzenaufstände (1674, 1678), die sich gegen die Habsburger wie auch die katholische Kirche richteten. 54  Der sogenannte Galeerensklavenprozess. Vgl. Csepregi, Zoltán: Das königliche Ungarn im Jahrhundert vor der Toleranz (1681 – 1781). Die Konsolidierungspolitik nach der „Trauerdekade“ von 1671 – 1781. In: Leeb, Rudolf/Scheutz, Martin/Weikl, Dietmar (Hrsg.): Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert). Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 51. Wien 2009, S. 299 – 329, hier S. 299 f. Das Gericht in Pozsony (deutsch Preßburg, heute Bratislava) verurteilte 1674 über 60 protestantische Glaubensangehörige als Galeerensklaven. Vorgeworfen worden war ihnen Religionshetze, Vaterlandsverrat und Aufruhr sowie sich mit den Türken zu verbünden. Die Reaktion der betreffenden Geistlichen soll gelautet haben: „Nem a rebellió volt a mi bününk, hanem a religió [Nicht die Rebellion war unser Vergehen, sondern die Religion].“ Zitiert nach Payr, Sándór: A

D.  Gegenreformation und Einfluss der Habsburger

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ungarländischen Protestantismus“.55 Die Orthodoxie blieb im Großen und Ganzen von diesem Vorgehen verschont. Für eine Abschwächung der Gegenreformation sorgten erneut Siebenbürger Fürsten und erzwangen Zugeständnisse an die Protestanten.56 So bestimmte der Gesetzesartikel (GA) XXVI, dass Protestanten in zwei oder drei Orten in jedem Komitat Bauplätze für die Errichtung von Holzkirchen erhalten könnten. Diese Orte wurden im GA angeführt und als „artikulare Orte“ bezeichnet.57 Gleichzeitig sicherte GA XXV Religionsfreiheit mit Bezug auf den Frieden von Wien und die Religionsgesetze zu, hob aber mit der Klausel „ohne Hintenansetzung der Rechte der Grundherren“ die im Linzer Frieden geregelte Kultusfreiheit der Bauern wieder auf.58 Nach dem Sieg über die Osmanen veranlasste Leopold die ungarischen Stände, auf das Recht der freien Königswahl zugunsten der Habsburger und auf ihre in der Goldenen Bulle festgeschriebenen Rechte zu verzichten – einschneidende Verfassungsänderungen, die sich allerdings kaum auf

magyar protestáns gályarabok [Die ungarischen protestantischen Galeerensklaven]. In der Reihe Kersztyén Hithősök [Christliche Glaubenshelden], herausgegeben von Sándor Kovács, Bd. II. Budapest 1927. S. 20. http://medk.lutheran.hu/1_Payr_08_Galya_1927.pdf (Zugriff am 5.11.2013). Vgl. Brandt, Julia: Verfolgung, Minderheitenposition und langfristige Formulierung konfessioneller Identität. Analyse und Auswirkungen dieser Entwicklungen am Beispiel der ungarischen Protestanten im 19. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim (Hrsg.): Glaubensflüchtlinge: Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008, S. 373 – 402, hier S. 381. 55  Barton, F. Peter/Makkai, László (Hrsg.): Rebellion oder Religion. Budapest 1977. 56  Gábor (Gabriel) Bethlen (1580 – 1629) verbündete sich mit den böhmischen und österreichischen Ständen, die 1620 am Weißen Berg bei Prag geschlagen wurden, was eine schwere Niederlage für die Protestanten bedeutete. 1621 schlug Bethlen die kaiserlichen Truppen und erreichte eine Bestätigung der Protestanten in Ungarn. Bethlen selbst war Calvinist. Chalin, Olivier: Die Schlacht am Weißen Berg (8. November 1620). In: Bussemann, Hans/Schilling, Heinz (Hrsg.): 1648 – Krieg und Frieden in Europa. Bd. 1, Münster 1998, S. 95 – 101, hier S. 95, 100. Majoros, S. 415. Romsics, Ignác: Bethlen István. Politikai életrajz [István Bethlen. Politischer Lebenslauf]. Budapest 2000. Neben Bocskai und dem schon erwähnten Fürsten György Rákóczi I. (1593 – 1648) engagierte sich der Magnat Imre (Emmerich) Thököly (1657 – 1705), der Führer der Kuruzen, wie auch der Katholik Ferenc (Franz) Rákóczi II. (1676 – 1735). Rákóczi befreite Oberungarn von Leopolds Truppen, woraufhin die Landstände ihn zum Fürsten Ungarns wählten mit dem Auftrag, die verfassungsgemäßen politische und religiösen Freiheiten zu sichern. 1711 nach seinem Freiheitskampf gegen die Habsburger im Frieden von Szátmár (Sathmar) bestätigte er die Religionsgesetze und die Verfassung, nachdem er Thököly und Kaiser Leopold I. (1640 – 1705) an den Verhandlungstisch gebracht hatte. Den rezipierten Religionen in Ungarn und Siebenbürgen gewährten die Habsburger Religionsfreiheit. Eberhard, Winfried: Voraussetzungen und strukturelle Grundlagen der Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hrsg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkung des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999, S. 89 – 104, hier S. 91 – 93. Csepregi, Toleranz, S. 300 f., 308. 57  Gyenge, Imre: Der ungarische Landtag zu Ödenburg 1681 und die Artikulargemeinden. In: Barton, F. Péter (Hrsg.): Im Lichte der Toleranz. Wien 1981, S. 33 – 58. 58  Csepregi, Toleranz, S. 302 f.

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Kap. 1: Historischer Überblick

religiöse Belange auswirkten.59 Mit der „Explanatio Leopoldina“ wurde 1691 zwischen öffentlicher und privater Religionsausübung unterschieden.60. Nach der Befreiung Ungarns 1699 von der osmanischen Herrschaft (ausgenommen das türkische Banat) geriet das Land weiter unter die absolutistische Herrschaft der Habsburger.61 Leopold schränkte 1701 die zuvor verliehenen Rechte wieder ein, indem er verfügte, dass in den von den Osmanen zurückeroberten Gebieten allein das römisch-katholische Bekenntnis Geltung besaß.62 Das galt nicht für Siebenbürgen, was die Basis für die spätere Ansiedlung von „Landlern“ schuf – der Umsiedlung von Protestanten.63 Karl VI.64 (R1711 – 1740) setzte die Gegenreformation mit gemäßigteren Mitteln fort.65 Unter Maria Theresia, die der katholischen Kirche eine Blütezeit verschaffte,66 59  Ebenda, S. 304. Das bedeutete auch Verzicht auf Artikel XXXI, der berechtigte, sich gegen ungesetzlich regierende Könige bewaffnet zu erheben. 60  Das öffentliche Religionsexercitium wurde auf die „artikularen Orte“ beschränkt, anderenorts war die private Religionsausübung ohne einen Geistlichen im privaten Kreis des Hauses erlaubt, die „devotio domestica“ oder der „private Kult“. Die Postillenliteratur des Pietismus spielte bei der Bewahrung des Protestantismus eine große Rolle, da diese sich an die kleinen Familienkreise wandte, „ecclesiola in ecclesia“. Die Zahlung des Zehnten erfolgte an den für das Gebiet zuständigen römisch-katholischen Pfarrer. Csepregi, Imre: Magyar pietizmus 1700 – 1756. Budapest 2000. www.swabiantrek.com/?_id=137 (Zugriff am 5.10.2012). Csepregi, Toleranz, S. 304 f. 61  Aufgrund der Erbverträge war Ferdinand I. bereits 1526 zum König von Ungarn gewählt worden, wobei sich sein Herrschaftsgebiet nur auf einen schmalen Streifen (nordwestliches Kroatien und die ungarischen Gebiete bis zum Balaton) ausdehnte. 62  Die Religionsfreiheit wurde für die artikularen Orte zurückgenommen, vom Katholizismus zum Protestantismus Zurückkonvertierende wurden als Eidbrüchige verfolgt. 63 Protestanten, die von 1734 bis 1756 nach Siebenbürgen umgesiedelt wurden. Die Bezeichnung geht auf die Umsiedler aus dem sogenannten Landl, einem Gebiet Oberösterreichs, zurück. Die unter dem Fürsterzbischof Firmian in Salzburg vertriebenen Protestanten waren nach Preußen gegangen, eine Stärkung Preußens aber wollte der Wiener Hof vermeiden. Buchinger, Erich: Die „Landler“ in Siebenbürgen. Vorgeschichte, Durchführung und Ergebnis einer Zwangsumsiedlung im 18. Jahrhundert. München 1986. Knall, Dieter: Aus der Heimat gedrängt. Letzte Zwangsumsiedlungen steirischer Protestanten nach Siebenbürgen unter Maria Theresia. Graz 2002. 64 Als Karl III. König von Ungarn. 65  Die „Carolina Resolutio“ von 1731 bestätigte erneut die Regelung durch die GA XXV und XXVI von 1681 wie auch der „Explanatio Leopoldina“, was die Ausübung der öffentlichen und privaten Religionsausübung anbelangt. Csepregi, Toleranz, S. 314. Die Habsburger wollten im 18. Jahrhundert durch das „ius reformandi“ nach dem Grundsatz „cuius regio, eius religio“ und der absolutistischen Formel „ein König, ein Gesetz, ein Glaube“ für Glaubenseinheit sorgen und den protestantischen Adel ausschalten. Einen rebellierenden Untertan hielt man für gefährlicher als 10 ausländische Feinde. Scheuner, Ulrich: Staatsräson und religiöse Einheit des Staates. Zur Religionspolitik in Deutschland im Zeitalter der Glaubensspaltung. In: Schnur, Roman (Hrsg.): Staatsräson. Studien zur Geschichte eines politischen Begriffs. Berlin 1975, S. 365 – 405. 66  Sie gründete fünf römisch-katholische sowie zwei griechisch-katholische Bistümer in Ungarn. Tomko, Jozef: Die Errichtung der Diözesen Zips, Neusohl und Rosenau (1776) und das königliche Patronatsrecht in Ungarn. In: Kirche und Recht, Nr. 8, XVI, Wien 1968.

D.  Gegenreformation und Einfluss der Habsburger

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fand Mihály Bucsay67 zufolge ein Vorschlag des Graner (Esztergomer) Erzbischofs Zustimmung, der ein „geräuschloses Bestatten“ des Protestantismus plante, wonach es u. a. zum Verbot der Einfuhr ausländischer Bücher kam und einer strengen Zensur „des einheimischen Schrifttums“.68 Die josephinische Toleranz unter Joseph II. (1741 – 1790, R1780 – 1790) machte, unter anderem beeinflusst von der Naturrechtschule,69 schließlich der Gegenreformation ein Ende.70 Er unterstellte die katholische Kirche in Österreich vollständig der Staatshoheit und Nichtkatholiken gestand er private Religionsausübung und bürgerliche Rechte zu.71 Leopold II. (1747 – 1792) setzte die Toleranz seines Bruders Joseph fort und regelte die Autonomie der protestantischen Kirche. Zwar sicherte er mit GA XXVI/1791 den Katholiken die Stellung der „religio praedominans“, machte sie damit aber auch vom Staat abhängig.72 Auf 67 (1912  – 1988) Lehrstuhl für Kirchengeschichte an der Evangelisch-Lutherischen Theologischen Universität Budapest. 68  Bucsay, Protestantismus, S. 19. 69  Landau, Peter: Zu den geistlichen Grundlagen des Toleranzpakets Joseph II. In: ÖAKR (Österreichisches Archiv für Kirchenrecht), 32, 1981, S. 187 – 203, hier S. 187 ff. Ideen und Lehren der Naturrechtsphilosophen Samuel von Pufendorf und John Locke nahmen Einfluss. Mit dem Verweis auf die Erkenntnis, dass die Staaten nicht um der Religion willen gegründet worden sind, wurde eine staatliche Pflicht, für das Seelenheil der Untertanen zu sorgen zurückgewiesen. Ein Erzwingen der „religio vera“ bzw. ein Bekämpfen der „religio falsa“ war nicht vorgesehen. Pufendorf zufolge hatten sich weder der Herr noch die Apostel „der Gewalt bedient, deshalb soll der Fürst die Andersgläubigen nicht vertreiben, sondern sie dulden, wenn sie sich als gute und maßvolle und tugendhafte Staatsbürger erweisen und in ihren Lehren nichts enthalten ist, was zu Aufständen und zur Rebellion führt“. Zitiert nach Schwarz, Karl (Wien): Staat und Kirche im Donau- und Karpatenraum in historischer Perspektive. http://www.christophschwarz.net/kgdk/txt/Schwarz%20-%20Staat%20und%20 Kirche%20im%20DK.htm (Zugriff am 20. Oktober 2011). 70  Spannenberger, Positionierung, S. 157 f. Toleranzpatent 1781. 71  Das Privatexercitium bedeutete Verzicht auf Zeichen der Öffentlichkeit wie Turm, Glocken, direkten Zugang von der Straße und Erkennbarkeit als Kirche. Toleranz war hier mehr ein Ertragen. Für Ungarn selbst entfaltete das Toleranzpatent keine so große Wirkung wie zum Beispiel in den böhmischen Provinzen. Hinzukommt, dass Joseph selbst kurz vor seinem Tod seine Verordnungen wieder aufhob. Bucsay, Protestantismus, S. 22 – 23. 72  Dieses Gesetz bestimmte ebenfalls, dass die Religionsausübung, die Benutzung der Kirchen, Kirchtürme und -glocken, der Schulen und Friedhöfe überall unterschiedslos freigestellt sei. Es ermöglichte den öffentlichen Gottesdienst, den Erhalt von Bauplätzen für die Errichtung protestantischer Einrichtungen. Keiner durfte zum Besuch von Gottesdiensten gezwungen werden; den Protestanten wurde gestattet, Synoden abzuhalten, auch Staatsämter sollten ihnen offenstehen. Konversionen zur protestantischen Religion waren möglich, jedoch erst nach einem sechswöchigen katholischen Religionsunterricht. Misch­ ehen durften geschlossen werden, allerdings nur vor einem katholischen Geistlichen. Die religiöse Erziehung der Kinder war größtenteils von der Religion des Vaters abhängig: War der Vater katholisch, mussten sie seiner Konfession folgen; war er nicht katholisch, konnten die männlichen Nachkommen der Religion des Vaters folgen. In der Folge entstand das sogenannte Mischehenproblem, da die katholische Kirche letztendlich die katholische Erziehung aller Kinder verlangte. Ebenda, S. 55 ff. Csáky, katholische Kirche, S. 119. Für Siebenbürgen wurden die hier schon etablierten Freiheiten der vier rezipierten Religionen auf

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Kap. 1: Historischer Überblick

der Grundlage des Toleranzpatents von 1781 wurden die calvinistische und lutherische Kirche als frei deklariert und rezipiert. Im Endeffekt gestaltete sich jedoch schon kurze Zeit später im Zusammenhang mit der Radikalisierung der französischen Revolution, wobei der Geist der Aufklärung in Mitleidenschaft gezogen und Protestanten in Ungarn zunehmend revolutionäres Verhalten unterstellt wurde, die Umsetzung dieser Regelungen als schwierig. Der Trend ging zurück in Richtung ancient régime, was die Stellung der katholischen Kirchen wieder stärken sollte. Katholiken war es bei Strafe untersagt, protestantische Gottesdienste zu besuchen. Konversionen wurden erschwert und die Gotteshäuser der Protestanten bezeichnete man markanterweise nicht als Kirchen, sondern lediglich als „Bethaus“.73 Dennoch muss an dieser Stelle auf eine ganz ungewöhnliche Regelung Josephs II. in Verbindung mit dem Militärdienst hingewiesen werden. In der zum Reich gehörenden Bukowina befreite er die waffendienstverweigernden Lipowaner, sogenannte „Altrussen“, die sich zu den alten Riten der orthodoxen Kirche bekannten, mit einem Patent von 9. Oktober 1783 „von jeder militärischen Last und Einquartierung“, nachdem sich diese mit einer Petition an den Reichsrat gewandt hatten, worauf der Reichsrat darum bat, die „religiösen Gefühle der Lipowaner zu schonen“. Der tolerante Umgang der österreichischen Behörden mit dieser kleinen Minderheit war auch auf die „volkswirtschaftliche Nützlichkeit“ der Lipowaner zurückzuführen.74 In jedem Fall ist die entgegenkommende Verfahrensweise mit der Gemeinschaft höchst bemerkenswert und zeigt, wie verhältnismäßig unkompliziert mit Gewissens- und Glaubensansichten umgegangen werden konnte, wenn auch nicht aus uneigennützigen Gründen. Die Gegenreformation hatte dramatische Folgen für die protestantischen Kirchen Ungarns – von Einschränkungen bis hin zu heftigster Verfolgung, nur Siebenbürgen galt auch in dieser Zeit als ein Zufluchtsort. Weiterhin kam es zu Beschränkungen des öffentlichen Religionsexercitiums durch die Habsburger auf „artikulare Orte“, wie auch zur Einführung des Privatexercitiums. Eine wichtige Rolle dabei spielten schriftliche Veröffentlichungen, weshalb ausländische Bücher plötzlich als gefährlich galten. Erst das Toleranzpatent sorgte für Umschwung, der jedoch vorübergehend wieder eingedämmt wurde.

dem Landtag 1790/91 bestätigt. Anders als im königlichen Ungarn sollten die aus Misch­ ehen stammenden Kinder je nach Geschlecht dem Glaubensbekenntnis der Eltern folgen, was zu weniger Unruhe führte. 73  Zahlenmäßig stärkte das die katholische Kirche. Gemäß einer Volkszählung von 1804 gehörten 52 % der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche an, 16 % waren reformiert und 8 % evangelisch-lutherisch. Bucsay, Protestantismus, S. 58 ff. 74  Suttner, Ernst Christoph: Religiöse und ethnische „Minoritäten“ in der Donaumonarchie an der Wende zum 20. Jahrhundert. In: Kirche im Osten, Nr. 35/1992, S. 84 – 110, hier S. 106. Ders.: Staaten und Kirchen in der Völkerwelt des östlichen Europa: Entwicklungen der Neuzeit. Fribourg 2007. S. 435 f. Kennzeichnend für die Lipowaner war auch, dass sie Krankheiten als „von oben bestimmte Heimsuchungen“ ansahen, weshalb sie medizinische Hilfe ablehnten.

Kapitel 2 2:

Reformzeitalter und Religionsgesetze

A.  Reformzeitalter und seine Auswirkungen Die Aufklärung (1720 – 1785), die ihr Hauptziel in der Verbesserung der „conditio humana“ sah und „die höchste und die gleichste Freiheit aller“ zu erreichen suchte, bewirkte in Ungarn zwischen 1795 und ca. 1825 die Entstehung einer politischen Gesinnung, die auch als Frühliberalismus bezeichnet wird.1 In der Zeit des ungarischen „Reformzeitalters“ (1825 – 1848) und während des von Protestanten unterstützten Freiheitskampfes von 1848/49 gestaltete sich das Verhältnis von Staat und katholischer Kirche schwierig. Und doch waren es insbesondere liberale Katholiken wie Ödön Beöthy (1796 – 1854) und Franz (Ferenc) Deák (1803 – 1876), die sich für eine Trennung von Kirche und Staat und für Religionsfreiheit einsetzten. Beöthy hatte bereits in den 1830er-Jahren im Landtag einen Antrag auf Religionsfreiheit eingebracht. Deák favorisierte das amerikanische System der Religionsfreiheit und sprach sich für eine volle Trennung von Kirche und Staat aus. Als einer der Gründerväter der Religionsfreiheit muss auch der liberale Katholik Joseph Eötvös (József, 1813 – 1871) gesehen werden, der sich in einer seiner ersten Reden für die Gleichstellung der Juden stark machte. Er vertrat den Standpunkt: „Jede Unterdrückung, jede Vergewaltigung des Gewissens, zeitigt letztendlich seine schädlichen Früchte, ganz gleich bei wem dies auch geschieht. Wie überall, so ist auch bei der Religion die Freiheit der einzig sichere Grundstein für die Zufriedenheit.“2 Mit dem Landtag von 1843/1844 wurden die Weichen in Richtung religiöser Gleichstellung gestellt: Der zwangsweise Religionsunterricht für konversionswillige Katholiken nach GA XXVI/1791 wurde gestrichen und Mischehen konnten nunmehr auch von protestantischen Geistlichen rechtsgültig geschlossen werden.3 Im Zuge der ungarischen Revolution, die sich zu einem Unabhängigkeitskampf gegen die Habsburger entwickelte – einem Ereignis, dem noch heute hoher Stellenwert in der Geschichte Ungarns zugemessen wird – kam unter Lajos Batthyány (1807 – 1849)4 eine Regierung an die Macht, die Staatsreformen veranlasste. In ihrem Freiheitskampf hatten Lajos Kossuth (1802 – 1894),5 einer der Hauptanführer, Csáky, Katholische Kirche, S. 117 f. Zitiert nach ebenda, S. 121. 3 Ebenda. 4  Batthyány wurde am 6.10.1849 hingerichtet. 5  Nicht alle Politiker teilten den radikalen Kurs Kossuths. Eötvös ging aus Protest nach München, wo er sein Werk: „Einfluss der herrschenden Ideen des 19. Jahrhunderts auf den Staat (1851 – 1854)“, Leipzig 1854, verfasste, das auf Ungarn nicht ohne Wirkung blieb. 1 

2 

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Kap. 2: Reformzeitalter und Religionsgesetze

und seine Anhänger auf die Unabhängigkeit Ungarns von den Österreichern, auf die Bildung eines unabhängigen Staates, fokussiert, wobei „die Eigenstaatlichkeit zur Frage der nationalen Identität“ wurde und ethnische Zusammensetzung in den Hintergrund rückte.6 Die „verfehlte Nationalitätenpolitik“7 beraubte Kossuth wichtiger Bündnispartner und schwächte damit die Revolution. Gleichzeitig kam es zu einer Art Doppelrevolution, bei der sich die Magyaren gegen die Macht der Habsburger richteten, die Nichtmagyaren hingegen Front machten gegen den magyarischen Nationalismus – am Ende einer der Gründe des Versagens der Revolution unter Kossuth.8 Was blieb, war dennoch eine „gesetzlichen Revolution“,9 in der im März/April 1848 mit Erlass von GA XX/1848 auch der erste entscheidende Schritt in Richtung Religionsfreiheit unternommen worden war. In dem Gesetz wurde festgelegt: „Für alle in diesem Land gesetzlich recipirten Confessionen wird ausnahmslos vollständige Gleichheit und Reciprocität festgestellt.“10 Zu den „recipirten“ Konfessionen gehörten neben der katholischen, die lutherische, die calvinistische und mit GA XX auch die unitarische Gemeinschaft. Staatlicherseits wurde die Kultausübung nicht eingeschränkt und die Deckung der Kosten zugesichert: „Alle kirchlichen und schulischen Erfordernisse aller eingenommenen Glaubensgemeinschaften sind durch staatliche Kosten zu decken.“ Dennoch wurde nicht allen Religionen Gleichberechtigung und eine uneingeschränkte Tätigkeit zugesichert. Die „in Mode kommenden Religionen“ wie auch „der Status außerhalb einer Gemeinde“ wurden ignoriert.11 Die katholische Kirche verlor durch die Gleichstellung aller gesetzlich anerkannten Kirchen ihre Vormachtstellung.12 Auch die von 6  Joos, Michael: Revolution 1848/1849. In: Wilhelm, Franz (Hrsg.): Rumaer Dokumentation 1745 – 1945. Mittelpunkt der deutschen Bewegung in Syrmien, Slavonien und Kroatien (hrsg. von der Donauschwäbischen Kulturstiftung). Bd. 1.Stuttgart 1990, S. 393 – 412, hier S. 395. 7  Dalos, György: Der Vorhang geht auf: Das Ende der Diktaturen in Osteuropa. München 2009, S. 247 f. 8 Ebenda. Joos, S. 395. 9  Gergely, András: Im Mittelpunkt aller Traditionen: Ungarn und sein 1848. In: Kiss, Endre/Stagl, Justin (Hrsg.): Nation und Nationenbildung in Österreich-Ungarn, 1848 – 1938: Prinzipien und Methoden. Wien 2006, S. 9 – 18, hier S. 10 f. Deák, Iván: Die rechtmäßige Revolution: Lajos Kossuth und die Ungarn, 1848 – 1949. Budapest 1989. Die Revolution begann am 15. März 1848, im Oktober 1848 begann der Krieg gegen Österreich. Am 13. April 1848 wurde die völlige Unabhängigkeit von Ungarn ausgerufen. Mit russischer Unterstützung durch Zar Nikolaus I. Im August 1949 wurde die Revolution dann gänzlich niedergeschlagen. 10  Steinbach, Gustav: Die ungarischen Verfassungsgesetze. Wien 41906, S. 71 f. 11  Révész, T. Mihály: Freiheitsrechte in Ungarn. In: Ungarische Rechtsgeschichte. Einige Abschnitte aus einem Lehrbuch der ungarischen Staats- und Rechtsgeschichte. Halle, Budapest 2006, S. 58 – 75. Die transsilvanische Landesversammlung verfügte eine ähnliche Gleichheit, wobei zusätzlich die griechisch-orthodoxe Kirche anerkannt wurde. Ebenda, S. 60 f. 12  Gesetzesartikel XX/1848.

A.  Reformzeitalter und seine Auswirkungen

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König Stephan erhobene Abgabe des Zehnten, der an die Kirche zu entrichtende „dézsma“, wurde abgeschafft.13 Mit der Klassifizierung der rezipierten Religionen, entstand automatisch die Gattung der nicht rezipierten oder gesetzlich nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften. Als wichtiger Erfolg in Verbindung mit Freiheitsrechten war auch die Verankerung der Pressefreiheit durch GA XVIII/1848 zu bewerten, der jedem zusicherte, seine Meinung und seine Gedanken frei äußern und verbreiten zu können.14 Die am 11. April 1848 verabschiedeten Gesetzesartikel in ihrer Gesamtheit kommen dem ungarischen Rechtshistoriker József Ruszoly zufolge einer geschriebenen Verfassung gleich.15 Gustav Steinbach16 führt GA XX in dem Kapitel „Staatsbürgerliche Rechte“ an. Die Versammlungsfreiheit, die bisher nicht geregelt worden war, legte der Innenminister am 28. April 1848 mit der Verordnung (VO) 216 fest. Dergemäß waren Versammlungen unter Angabe von Zeit, Ort und Zweck anzumelden. Verstieß der Zweck der geplanten Versammlung nicht gegen Gesetze, war die Veranstaltung erlaubt, führte sie hingegen zu schwerem Aufruhr und damit zur Störung der öffentlichen Ordnung, musste sie untersagt werden. Diese Verordnung bildete die Grundlage der Entwicklung des ungarischen Versammlungsrechts, das Religionsgemeinschaften ermöglichen sollte, Zusammenkünfte bzw. Gottesdienste abzuhalten.17 Interessanterweise wurde einige Jahre später in § 190 Strafgesetzbuch, GA V/1878, festgelegt, dass wer „religiöse Zeremonien vom Staat anerkannter Religionsgemeinschaften mit Gewalt verhindert oder stört, begeht eine Straftat“, die mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet werden konnte.18 Das belegt, welchen hohen Stellenwert Gottesdienste bzw. religiöse Zeremonien prinzipiell einnahmen. Wenngleich Revolution und Freiheitskampf niedergeschlagen wurden, gewannen doch mit dem Ende der Phase des Neoabsolutismus die Freiheitsrechte in Un-

13  GA IX/1848. Gergely/Kardos/Rottler, S. 131. Im Zuge der Durchsetzung der Rechtsgleichheit 1848, bei der u. a. Fron und Fronarbeit, Eigentum der Grundherren und die Abgabe des Zehnten aufgehoben wurden, schaffte man auch den Kirchenzehnten (GA XIII) ab. 14  Törvénytár [Tt.], GA XVIII/1848. http://www.1000ev.hu/ (Zugriff am 16.4.2013). 15  Ruszoly, József: Beiträge zur Neueren Verfassungsgeschichte (Ungarn und Europa). In der Reihe: Ungarische Rechtshistoriker, Bd. III. Budapest 2009, S. 385 f. Steinbach, ungarische Verfassungsgesetze, S. 59, 71 f. 16  Der Jurist Steinbach (1848 – 1911) arbeitete für verschiedene Zeitungen, u. a. für die „Neue Freie Presse“ in Wien. 17  Civil Jogász Bizottság [Zivilrechtliches Komitee] (Hrsg.): A 2006. Október 23-i budapesti erőszakos cselekmények kivizsgálására létrejött Civil Jogász Bizottság jelentése. A 2006. szeptemberi-októberi emberi jogi jogsértésekről [Das zur Überprüfung von Straftaten am 23. Oktober 2006 in Budapest einberufene zivilrechtliche Komitee. Menschenrechtsverstöße im September-Oktober 2006]. Budapest, 1. März 2007, S. 100 f. www.hunsor.se/ dosszie/morvai_cjb_ jelentes2.pdf Tamás, Sándor: A gyülekezési jog szabályozása a polgári Magyarországon (1848 – 1914) [Die Regelung des Versammlungsrechts im bürgerlichen Ungarn]. In: Valóság, 2008, Jg. 51, Nr. 12. www.valóság.hu. 18  Tt. GA V/1878.

Kap. 2: Reformzeitalter und Religionsgesetze

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garn wieder an Bedeutung.19 Die 1848er-Gesetze erhielten erneut Rechtsgültigkeit. Durch den Ausgleich, die verfassungsrechtlichen Verhandlungen, zwischen Österreich und Ungarn von 1867,20 mit dem die staatsrechtlichen Verhältnisses in der Monarchie neu geordnet und die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie begründet wurden, erhielt Ungarn seine verfassungsmäßige Freiheit wieder, der ungarische Reichstag (oder ungarische Landtag)21 wurde im Februar 1867 wieder hergestellt22 und ein eigenes Kabinett eingerichtet, ein Ministerpräsident (Graf Gyula Andrássy) ernannt. Damit entstand eine Realunion, in der sowohl Österreich als auch Ungarn Staatsqualität zukam. Mit dem Ausgleich wurde die Gewalt des Monarchen in Kaiser von Österreich und apostolischer König von Ungarn getrennt. Ein gemeinsamer Ministerrat regelte gleich einem zwischenstaatlichen Organ äußere Angelegenheiten, Militär und Finanzen.23 Im Zusammenhang mit den Minderheiten regelte das Nationalitätengesetz XLIV/1868 den Verfassungsrechtlern Brunner und Küpper zufolge „den Sprachgebrauch im amtlichen Verkehr und im Schulwesen in einem bemerkenswert liberalen Geist“ und gewährleistete den Kirchen völlige Sprachautonomie, allerdings wurde die praktische Durchführung ab der 1880er-Jahre „von zunehmender Intoleranz“ geprägt.24 Dieses Verfassungsgesetz sprach von Ungarn, als der Heimat eines jeden Bürgers egal welcher Nationalität – „einer Nation in politischer Hinsicht“ oder auch politischen Nation.25 Brunner und Küpper zufolge „lag es nicht an den Bestimmungen des Gesetzes, sondern an seiner praktischen Durchführung in einer Atmosphäre seit den 1880er-Jahren zuUnter dem Regime von Alexander Bach wurde alles untersagt, was das nationale Gefühl und die Erinnerung an das Geschehen von 1948/1949 zu stärken vermochte, womit genau das Gegenteil erreicht wurde: der 1848er-Kult entstand. Vgl.: Erdödy, Gábor: Revolutionserbe und nationale Selbstbehauptung in Ungarn. In: Langewiesche, Dieter (Hrsg.): Die Revolution von 1848 in der europäischen Geschichte. Ergebnisse und Nachwirkungen. Beiträge des Symposiums in der Paulskirche vom 21. bis 23. Juni 1998. Historische Zeitschrift, Beiheft 29. München 2000. 20 Verhandlungsführer für die ungarische Seite waren vor allem Deák und Gyula Andrássy. 21  Magyar Országgyűlés. 22  Der Kaiser hatte 1848 zugestimmt, seine Herrscherrechte nur durch die ungarische Regierung wahrzunehmen. 23  Ungarn war stolz auf die alte Staatstradition, die eine schriftliche Verfassung, abgesehen von der Goldenen Bulle, überflüssig zu machen schien. Die Macht sollte ungeteilt beim Reichstag liegen, Ober- und Unterhaus hatten mit dem König das Recht, über Gesetzesinitiativen zu entscheiden. In der Praxis wurden die Rechte des Königs kaum genutzt, da er aufgrund der konfliktreichen Situation gezwungen war, zurückhaltend mit den Vertretern der ungarischen Nation umzugehen. Sternberger, Dolf/Vogel, Bernhard: Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane. Ungarn 1848 – 1919. Band I: Europa, Berlin 1969, S. 1372. 24  Brunner, Georg/Küpper, Herbert: Minderheitenschutz im östlichen Europa. Ungarn. S. 6. http://www.uni-koeln.de/jur-fak/ostrecht/minderheitenschutz/Vortraege/Ungarn/Ungarn_Brunner_Kuepper.pdf (Zugriff am 4.4.13). 25  Tt., GA XLIV/1868. Vgl. Steinbach, S.  59 – 65. Steinbach nennt das Gesetz unter Kapitel III: Staatsbürgerliche Rechte, Nr. 18 GA XLIV/1868 „über die Gleichberechtigung der Nationalitäten“, S.  59 – 65. 19 

A.  Reformzeitalter und seine Auswirkungen

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nehmender nationaler Intoleranz“, weswegen die ungarische Minderheitenpolitik später in einen schlechten Ruf geriet.26 Bei den Umgestaltungen hinsichtlich des Militärs wurden neben der gemeinsamen Armee auch ungarische Streitkräfte, die königlich ungarische Landwehr (Magyar Királyi Honvédség, kurz Honvéd)27 aufgestellt. Die seit 1866 geltende allgemeine Wehrpflicht, wurde 1868 für den ungarischen Part gesetzlich geregelt.28 Im Unterschied zur gemeinsamen Armee hatten die Soldaten einen Eid auf die ungarische Verfassung zu leisten.29 Ausgleichsgesetze bildeten die Rechtsgrundlage beider Staaten. Die ungarische Verfassung von 1848 trat mit nur wenigen Veränderungen erneut in Kraft bzw. bildete die Grundlage für weiterreichende Gesetzgebungen.30 Das Gesetz zur Pressefreiheit wurde im Ausgleichsjahr sofort wieder in Kraft gesetzt. Das Gesetz regelte auch die Bedingungen der Verbreitung: „Der Straßenverkauf von Presseerzeugnissen, die die öffentliche Ordnung oder die Sittlichkeit verletzen oder gefährden, besonders von denen, die geeignet sind, gegen eine Nationalität, eine Klasse oder eine Glaubensgemeinschaft Hass zu schüren oder die internen Angelegenheiten des Familienlebens auszubreiten, ohne dass dies von öffentlichem Interesse wäre, darf nicht genehmigt werden.“31 Schon früh lag das Augenmerk der Politik auf dem Umgang mit Religionen. Aufgrund einer Interpellation des Abgeordneten Kálmán Tisza bezüglich der Schaffung einer Gesetzesvorlage zur Lösung „der Verhältnisse der verschiedenen Glaubensgemeinschaften untereinander und mit dem Staat aufgrund von Rechtsgleichheit“ im laufenden Jahr, legte die Regierung am 30. März 1867 fest: „Die Absicht der Regierung ist, mit einer Nostrifikationsgesetzesvorlage für die Religionsgleichheit und für die gleiche politische Rechtspraxis von allen Konfessionen noch während dieser Gesetzgebungsperiode eine Vorlage dem Haus einzubringen.“32 An welche Religionen dabei genau gedacht wurde, wird aus dem Protokoll nicht deutlich. Wie sich zeigen sollte, ging es aber über die bereits rezipierten hinaus, denen Brunner/Küpper, S. 6. Bezeichnung Honvéd geht auf die Freiwilligenarmee von 1848 zurück, wobei „hon“ für Heimat und „véd“ für schützen steht. 28  Reinert-Tárnoky, Ilona: Prälat Sándor Giesswein. Christlicher Sozialismus und Demokratie in Ungarn zu Beginn des 20. Jahrhunderts. I. Teil. In: Ungarn-Jahrbuch 1997, S. 205 – 286, hier S. 207. Österreich-Ungarn verfügte nach dem Ausgleich über ein dreigeteiltes Heer: das gemeinsame Heer, die k. k. Landwehr und die Honvéd. 29  Kronenbitter, Günther: „Krieg im Frieden“, Die Führung der k. u. k. Armee und die Großmachtpolitik Österreich-Ungarns 1906 – 1914. München 2003, S. 159. 30  Küpper, Autonomie, S. 65 f. Máthé, Gábor: Die Gesetzgebung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Ungarn. In: Máthé, Gábor/Mezey, Barna (Hrsg.): Ungarische Rechtsgeschichte. Einige Abschnitte aus einem Lehrbuch der ungarischen Staats- und Rechtsgeschichte. Halle 2006, S. 26 – 40, hier S. 26. Glassl, Horst: Der österreichisch-ungarische Ausgleich von 1867 in der Historischen Diskussion. In: Ungarn-Jahrbuch 1969, München S. 185 – 215, hier S. 187. 31  Zitiert nach Révész, Freiheitsrechte, S. 67. 32  Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Nationalarchiv, MOL], Digit-Archiv, MT1867 – 03 – 30. 26 

27  Die

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das schon mit GA XX/1848 zugesichert worden war. Noch im selben Jahr erging zunächst der GA LIII/1868, der sich auf den GA XX/1848 stützte und die kirchenpolitische Grundlage der Ära des Dualismus bildete. Er bestimmte die Gleichheit der rezipierten Konfessionen bzw. erklärte, dass ein jeder, der sein 18. Lebensjahr erreicht hatte, von einer zur anderen Konfession überzutreten berechtigt sei.33 Die Problematik der aus Mischehen stammenden Kinder wurde hier jedoch nicht zufriedenstellend geregelt, da sie nach § 12 des Gesetzes je nach Geschlecht der Konfession des Vaters oder der Mutter zu folgen hatten. In der Folge kam es zur „Wegtaufe“. So setzten sich Geistliche häufig über die gesetzliche Regelung hinweg und tauften widerrechtlich zur protestantischen oder katholischen Taufe vorgesehene Kinder, um Anhänger zu gewinnen, wodurch es zu einer doppelten Führung von Taufmatrikeln kam.34 Die Wegtaufen-Problematik wird als Auslöser für den „ungarischen Kulturkampf“ angesehen.35 Und noch ein weiterer Gesetzesartikel erging: GA XVII/1867 regelte die Gleichberechtigung der Juden „hinsichtlich ihrer bürgerlichen und politischen Rechte“. Obgleich es den Vätern des österreichisch-ungarischen Ausgleichs wie József Eötvös – dem einzigen Politiker aus der Regierungsriege der 1848er, der wieder ein politisches Amt bekleidete und ab 1867 bis zu seinem Tod als Kultus- und Bildungsminister amtete –, Ferenc Deák, und Boldizsár Horvát (1822 – 1898) um die Sicherung der Freiheitsrechte und die Verankerung der Menschenrechte und politischen Rechte der Bürger in Gesetzen des öffentlich-rechtlichen Positivismus des Rechtsstaates ging, und die damalige Rechtswissenschaft die Freiheitsrechte als fundamentale Institutionen der sogenannten ungeschriebenen Verfassung ansah, kam es in dieser Zeit nicht zu einer Kodifizierung der Freiheitsrechte und einer einheitlichen Regelung der Institutionen der Grundrechte.36 Die konstituierende Politik musste sich nach dem Abschluss des österreichisch-ungarischen Ausgleichs jahrzehntelang mit den Kirchen, ihrer Betreibung und den Beziehungen zueinander befassen. Die Rechte kleiner bisher nicht anerkannten Religionsgemeinschaften (insbesondere Nazarener, Baptisten) standen ebenfalls immer wieder zur Debatte. Schon vor dem Ausgleich 1867 hatte man sich in der Ratssitzung mit der Glaubensgemeinschaft der Nazarener beschäftigt.37 Wie aus einem Bericht des Kultus33 

Tt., GA LIII/1868. Steinbach, ungarische Verfassungsgesetze, S.  74 – 77. Csáki, Katholische Kirche, S. 126. 35  Geyr, Géza Andreas von: Sándor Wekerle. 1848 – 1921. Die politische Biographie eines ungarischen Staatsmannes der Donaumonarchie. München 1993, S. 125 f. Dieser Kulturkampf ist aufgrund der unterschiedlichen Gegebenheiten nicht mit dem in Deutschland gleichzusetzen. Nach Csáky ging es vor allem um „die gesetzliche Regelung eines Bereichs der Öffentlichen Verwaltung“, eines Bereichs, der gemeinsame Angelegenheiten von Staat und Kirche betraf, die „res mixtae“, was „die kirchliche Administration tangierte“. Zitiert nach ebenda, S. 152. 36  Révész, Freiheitsrechte, S. 63. Csáky, Moritz: Der Kulturkampf in Ungarn. Die kirchenpolitische Gesetzgebung der Jahre 1894/95. Graz 1967. 37  Kardos/Szigeti, S. 191 Begründer ist der Schweizer Samuel Heinrich Fröhlich (1803 – 1857), seine Anhänger werden daher auch oft Fröhlichianer genannt. Ihre An34 

A.  Reformzeitalter und seine Auswirkungen

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ministers von 1923 hervorgeht, wurde „ihre erste ungarische Versammlung 1840 von dem Schmiedegesellen Lajos Hencsel in Budapest gegründet. Danach verfassten sie ihr Statut in Hódmezővásárhely.“38 Anders als die historischen Kirchen lehnen die Nazarener die Kindertaufe ab, verweigern das Ablegen von Eiden und bekennen sich zur Wehrlosigkeit – allerdings mit der Bereitschaft, Sanitätsdienste bzw. andere militärische Dienste ohne Waffe zu verrichten. Sie sind independistisch organisiert.39 Bereits 1850 war unter der Ära Bach40 gegen die Gemeinschaft vorgegangen worden: Staatliche Behörden, die eigentlich beauftragt waren, eine kommunistischen Vereinigung in Pest aufzuheben, hatten sich gegen Nazarener gewandt, aller Wahrscheinlichkeit nach des Vorwurfs wegen, kommunistische Lehren zu verbreiten. Der Kommunismusvorwurf sollte der Gemeinschaft im 19. Jahrhundert verschiedentlich gemacht werden.41 Dabei waren Mitglieder der Pester Versammlung inhaftiert, unter Beobachtung gestellt und Schriften beschlagnahmt worden; in Polizeiberichten nannte man sie auch „Anabaptisten“.42 Bei der Auffindung weiterer Anhänger der Gemeinschaft hatten sich die Behörden an die Kirchen gewandt und um Unterstützung gebeten.43 Zu behördlichen Problemen kam es auch aufgrund der Ablehnung der Kindertaufe bzw. der bis dahin damit einhergehenden Registrierung der Kinder durch die historischen Kirchen. Die Gefahr einer Nichtregistrierung wurde als gesellschaftsgefährdend gewertet. Das führte zu Verhören, Beschlagnahme von Bibeln, Schriften und Liederbüchern.44 Auch der Kultusminister wurde wegen ihrer Einstellung zum Töten eingeschaltet. Das Ministerium schlug vor, die Gefahr dieser „Sekte“ durch umfassende Aufklärung des Volkes einzudämmen. Gleichzeitig gingen die Polizeibehörden weiter schauungen ähneln sehr täuferischen Ansichten, aber es gibt keine Beziehung zu Baptisten. Nachdem zwei Gesellen 1839 von ihrer Wanderschaft, bei der sie in der Schweiz mit den Glaubensansichten von Fröhlich bekannt geworden waren, in ihre Heimat zurückkehrten, begannen sie über ihre neue Überzeugung zu sprechen und fanden bald Anhänger, die sich durch Erwachsenentaufe zu ihrem neuen Glauben bekannten. Ebenda, S. 43 – 75. 38  MOL, K579 – 1923 – 2-Okt., Bl.  141 – 147. 39  Galling, Kurt (Hrsg.): Die Religionen in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. I. Tübingen 31958, S.  101 – 104. 40  Alexander Freiherr von Bach (1813 – 1893) gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Neoabsolutismus in Österreich. Vgl. Macho, Eva: Alexander Freiherr von Bach: Stationen einer Umstrittenen Karriere. In der Reihe Beiträge zur Neueren Geschichte Österreichs, Bd. 24, Frankfurt/Main 2009. 41  Orbán, Imre: „Megdöbbentő tünemény“ A nazarénus hit és mozgalom története Makón 1864 – 1920. [Umwerfendes Phänomen. Die Geschichte des Glaubens und der Bewegung der Nazarener in Makó]. Budapest 2001, S. 19. Auf den Kommunismusvorwurf soll an späterer Stelle eingegangen werden. Palotay, Sándor/Szigeti, Jenő: A Nazarénusok [Die Nazarener]. Budapest 1969, S. 8. 42  Eine Gruppierung, die man zur Radikalen Reformation zählt, dem sogenannten linken Flügel der Reformation. Vgl. Fast, Heinold: Der linke Flügel der Reformation. Glaubenszeugnisse der Täufer, Spiritualisten, Schwärmer und Antitrinitarier. Bremen 1962. 43  Kardos/Szigeti, S. 78. 44 Vgl. Orbán, Megdöbbentő, S. 13 – 16. Kardos/Szigeti, S. 81. Ihnen wurde auch vorgeworfen, sich neue Mitglieder zu erkaufen.

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gegen Zusammenkünfte vor und verhörten leitende Prediger. Im Endeffekt aber wollte man die Angelegenheit den Kirchen überlassen: Örtliche Geistliche wurden eingeschaltet, Nazarener verschiedentlich zum „Religionsunterricht“ gezwungen, Kinder versucht, einer Zwangstaufe zu unterziehen. Seitens der reformierten Kirche wurde immer wieder auf die Problematik der Nichtregistrierung der Neugeborenen wegen der Verweigerung der Kindertaufe hingewiesen, den Nazarenern warfen sie Verleumdung vor und forderten die Behörden auf, gegen die Gemeinschaft vorzugehen. Am 16. Dezember 1851 hatte dann das Innenministerium die VO 3.115/7688 erlassen, die die Behörden aufforderte, gegen die religiösen Zusammenkünfte der Nazarener vorzugehen. Es kam zu Inhaftierungen und Verurteilungen.45 Drei Nazarener, die nach ihrer Einberufung 1857 den Dienst verweigert hatten, wurden inhaftiert und mit äußerster Härte bestraft. Einer von ihnen wurde erschossen, die anderen zu Tode geprügelt.46 Am 20. Juni 1860 erließ der Innenminister eine weitere Verordnung, die die Gottesdienste der Nazarener und die freie Religionsausübung direkt verbot.47 Dennoch war es den Behörden nicht gelungen, die Bewegung einzudämmen. Nach dem Ausgleich kam die Problematik der Registrierung Neugeborener und Nazarener durch die Anfrage eines Anhängers der Gemeinschaft über die weitere Verfahrensweise erneut auf dem Tisch. Nunmehr erging durch die Stadt Pest am 13. August 1868 die VO 12.548, in der Kultus- und Bildungsminister Eötvös erklärte, dass die Nazarener zum Führen eines Personenstandsregisters „noch nicht“ berechtigt seien, er sie aber auch „nicht zwingen möchte“, die Eintragungen gegen ihre Überzeugung bei einer rezipierten Kirche vorzunehmen. Eötvös verfügte, „da bisher für die Registrierung nur die Geistlichen der rezipierten Religionsgemeinschaften zuständig waren“, die Anmeldung eines Neugeborenen oder Sterbefalls der Nazarener durch die städtischen Behörden vorzunehmen. Diese sollten sich dann ihrerseits mit dem zuständigen Geistlichen der rezipierten Kirche in Verbindung setzen, der der Nazarener zuvor angehört hat, um die dortige Registrierung zu veranlassen – ein erster Durchbruch. Eötvös musste dann allerdings im Weiteren feststellen, dass, solange, noch keine entsprechende Gesetzgebung vorläge, „die Regierung wie auch die Behörden gezwungen“ wären, Kinder aus einer Ehe von Nazarenern als illegitim anzusehen.48 In seiner Wortwahl wird deutlich, dass der Minister unzufrieden war mit der gegebenen Gesetzeslage und bis zur gesetzlichen Klärung der Sache eine Kompromiss- und zugleich Übergangslösung anstrebte. Sein Nachfolger Ágoston Trefort (1817 – 1888) bezog sich in seiner Verordnung vom 13. Januar 1875 an die Behörden im Land auf Eötvös’s Verfügung, ergänzte sie jedoch in Absprache mit dem Innenminister, indem er die Behörden anwies, dafür zu sorgen, dass „die Nazarener oder ähnliche, unter irgendeinem Namen tätige Mitglieder einer gesetzlich nicht rezipierten Sekte“ Kirchensteuern oder kirchliche Abgaben zahlten, und wies sie 45 

Ebenda, S.  83 – 109. Ebenda, S. 117 f. Palotay/Szigeti, S. 13 f. 47  Kardos/Szigeti, 151 f., 155. 48  Magyar Rendeletek Tára [Ungarische Verordnungssammlung, MRT], Nr. 12.548/1868, S. 28 f. 46 

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die liberalen Fußstapfen seines Vorgängers verlassend an, die gesellschaftliche Tätigkeit der „nicht ordnungsgemäß angemeldeten, durch das Gesetz nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften“ unter Polizeiaufsicht zu stellen.49 Rechtlich gesehen blieben somit Angehörige von nicht rezipierten Gemeinschaften und deren Kinder Mitglieder der rezipierten Religionen. Dániel Irányi (1822 – 1892), Abgeordneter und ein Anführer der 1848er und enger Vertrauter Kossuths, hatte am 10. Juni 1869 einen umfassenden Gesetzesentwurf zur Religionsfreiheit eingereicht, der allerdings nicht angenommen worden war – Irányi hatte unter anderem vorgeschlagen, jeder solle unter Einhalten der Gesetze berechtigt sein, seine Religion frei zu wählen, nach außen zu bekunden und auszuüben; Eide sollten ohne religiöse Formeln abgelegt werden, Eltern die religiöse Erziehung ihrer Kinder bestimmen können, Geburten- und Sterberegister in die Zuständigkeit der Behörden übergeben und die Zivilehe eingeführt werden. Kálmán Tisza legte einen knappen Gegenvorschlag vor. Demzufolge wollte auch er „jedem völlige Religions- und Gewissensfreiheit zusichern“, die Religionszugehörigkeit sollte bei der Ausübung bürgerlicher Rechte keine Rolle spielen, die staatsbürgerlichen Pflichten müssten jedoch eingehalten werden. Sein Gesetzesvorschlag wurde aber von der Tagesordnung genommen, und geriet nach dem Tod Eötvös’s 1871 in Vergessenheit. Noch am 7. April 1870 hatte Eötvös seinen 13 Absätze umfassenden Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem jedermann eine freie Religionsausübung innerhalb der Grenzen der Gesetze des Landes ermöglicht werden sollte und der auf die Gleichberechtigung der Glaubensgemeinschaften untereinander und gegenüber dem Staat abzielte, gleichzeitig aber auch auf Geltung und Durchführung der Gesetze drängte und erklärte, dass die gesetzlichen Verordnungen bezüglich der bürgerlichen Verhältnisse des Staates nicht von den Ansichten und Regeln der Religionen abhängig zu machen seien. Doch auch dieser Vorschlag erhielt keine Gesetzeskraft. Er scheiterte an der katholisch-konservativen Mehrheit.50 Interessanterweise war dem Gesetzesentwurf Eötvös’s Anfang 1870 ein Bericht des 8. Honvédbatallions an den Verteidigungsminister über die im Armeeverband stehenden Mitglieder der Glaubensgemeinschaft der Nazarener vorausgegangen, wonach sie „sich der Benutzung und Handhabung der Waffe unbedingt entziehen wollten“. Hinzukam eine Beschwerde des Verteidigungsministeriums vom 27. Mai 1870 beim Innenminister Pál Rajner, diese Lehre verderbe die Disziplin der Armee. Eötvös in seiner Funktion als Kultusminister erklärte Rajner am 7. Juli 1870: „Falls diese Glaubensgemeinschaft solche Glaubensartikel aufgestellt hätte, die dem Interesse des Staates, sogar den positiven Gesetzen ganz und gar widersprechen, kann der Staat diese [die Gemeinschaft] nicht anerkennen, darf die daran Glaubenden zwar auch nicht verfolgen, führt jedoch die Gesetze auch ihnen gegenüber aus. Solange also, bis der von mir eingereichte Gesetzentwurf in Religionssachen, der diesbezüglich positive Regeln enthält, in Kraft tritt, erachte ich es für notwendig, dass die Gesetze durch die Regierung und Behörden auch 49 

50 

Ebenda, 1875, Nr. 563, S. 29 f. Reinert-Tárnoki, Giesswein, S. 214. Kardos/Szigeti, S.  200 – 208.

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gegenüber den Nazarenern streng durchgeführt werden; die Durchführung selbst ist die zweckvollste Aufklärungsmethode.“51 Ende der 1870er-Jahre52 wandte sich das Kultus- und Bildungsministerium auf Nachfrage des Verteidigungsministers und in Übereinstimmung mit dem Innen- und Justizminister 1878 an die Munizipialbehörden53 mit der Bitte, Gesetzesverstöße der Nazarener zu melden, damit die Ausbreitung der religiösen Gemeinschaft die Wehrkraft nicht weiter untergrabe. Ihre Verweigerung des Wehrdienstes führte zu Verurteilungen54 und bei der Okkupation Bosniens und Herzegowinas55 1878 durch Österreich-Ungarn wurden Berichten zufolge einige Nazarener sogar hingerichtet.56 Dennoch soll man in der Folge nachsichtiger mit ihnen umgegangen sein. Ursache dafür dürfte auch gewesen sein, dass es in den Ländern der Donau-Monarchie noch andere Gemeinschaften gab wie „die Lipovaner (aus Rußland stammende Sekte der Bukowina), der Mennoniten und der Karaiten (jüdische Sekte)“. Über die Mennoniten wurde auch in einer ungarischen Zeitung berichtet, dass sie im Unterschied zur ungarischen Honvéd bei dem gemeinsamen Heer keinen Eid, sondern nur ein Gelübde ablegten und auch vom Wehrdienst befreit waren. Dafür gab es sogar eine gesetzliche Vorkehrung, die auf die Nazarener ausgeweitet wurde. Die Verordnung Abt. 2 Nr. 5747 vom 11. August 1869 besagte: „Stellungspflichtige, welche der nicht gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft der Nazarener (christusgläubige Johannesbrüder, Nachfolger Christi) angehören […] sind zu ihren Ergänzungsbezirks-Regimentern zu assentiren [sic!] und zur Erfüllung ihrer Wehrpflicht, als einer der wichtigsten Staatsbürgerpflichten zu verhalten. Sollten sie aber aus Gewissensüberzeugung den Waffendienst ablehnen und ungeachtet der diesfälligen Belehrungen von ihrem Irrglauben nicht abzubringen sein, so sind sie analog dem § 67, Absatz 3 der Instruktion zur Durchführung der Wehrgesetze zu behandeln und zu einem Garnisonsspital zu transferieren.“ § 67 Absatz 3 besagte: „Die der Religionssekte der Mennoniten in Galizien angehörigen, zur Einreihung in das stehende Heer gelangenden Stellungspflichtigen … sind zum Dienste mit der Waffe nicht zu verwenden, sondern zu einem Garnisonsspital einzutheilen. Wird ein solcher Mann zur Landwehr eingereiht, so ist er in der Handhabung der Waffen nicht auszubilden und im Kriegsfalle analog zu verwenden.“57 Wenn schon im gemeinsamen Heer solche Ausnahmeregelungen gefunden wurden, um Gewissensund Glaubensstandpunkte zu berücksichtigen, wie viel mehr wird es den liberalen 51 

Zitiert nach ebenda. Russisch-Osmanische Krieg (1877/78) brachte neue Grenzen auf dem Balkan. Serbien wurde unabhängig. 53 Munizipien (Komitate und Städte mit Munizipalrecht) waren Selbstverwaltungsorgane. 54  Teilweise bis zu 12 Jahren Festungshaft. 55  Nach dem Krieg mit den Osmanen gingen Bosnien und Herzegowina an die Habsburger. Zeinar, Hubert: Geschichte des österreichischen Generalstabes. Wien 2006, S. 568. 56  Kardos/Szigeti, S. 234. 57 Privatarchiv Tibor Gál, Budapest. Himmel, Henrik: „Von den Nazarenern“. In: Pester Lloyd vom 4.6.1897. 52  Der

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Politikern Ungarns ein Anliegen gewesen sein, eine Lösung für diese Problematik zu finden. Allerdings wurde auch für das Heer vom „Reichs-Kriegsministerium im Einvernehmen mit dem kön. Ung. Landesvertheidungs-Ministerium“ diese Regelungen mit dem „Reskript Abth. 2 Nr. 3890 vom 18. Juni 1875“ wieder abgeschafft: „Es ist zur hieramtlichen Kenntniß gekommen, daß zur Assentirung gelangte Anhänger der in steter Zunahme begriffenen Sekte der Nazarener, wenn nicht unmittelbar, so höchstens 1 – 2 Jahre vor dem Eintritt in das stellungspflichtige Alter zur selben übergetreten, was zu der Annahme berechtigt, daß nicht mehr blos Gewissensüberzeugung, sondern die Möglichkeit, sich hierdurch dem Dienste mit der Waffe zu entziehen, ein Motiv zum Übertritt sei. Um nun wenigstens in dieser Richtung der Ausbreitung der Sekte vorzubeugen, findet das Reichs-Kriegsministerium im Einvernehmen mit dem kön. Ung. Landesvertheidungs-Ministerium das Reskript vom 11. August 1869 Abth. 2 Nr. 5747 außer Kraft zu setzen und anzuordnen, daß Anhänger der Nazarener-Sekte nicht nur wie bisher zu assentiren, sondern auch zum Dienste mit der Waffe zu verhalten sind, was, wenn vorausgegangene Einwirkung und Belehrung sich fruchtlos erweisen, unter Anwendung aller gesetzlichen Mittel zu geschehen hat. Erst wenn diese, ohne das gewünschte Resultat zu erlangen, erschöpft sind, ist der konkrete Fall der hierortigen Entscheidung zu unterbreiten.“58 Wenngleich es sich hier nur um ein kurzes Intermezzo der legalen Wehrdienstverweigerung handelt, zeigt es doch, dass auch Gewissens- und Glaubensüberzeugungen Rechnung getragen werden konnte und man sich dieser Problematik durchaus bewusst war. Gleichzeitig wird deutlich, dass es durchaus eine realistische Lösung des Problems der Wehrdienstverweigerer geben konnte. In Sachen Religionsfreiheit und bürgerlicher Ehe wandte sich Dániel Irányi mit einer Interpellation am 4. November 1872 erneut an den Kultusminister, wobei er auf die Verfolgung der Nazarener und die gewaltsame Taufe ihrer Kinder hinwies. Sie blieb jedoch unbeachtet. Nachdem sich die Nazarener an Dániel Irányi mit der Bitte um Hilfe gewandt hatten, trug er am 1. Februar 1873 auf der Parlamentssitzung ihren Antrag vor, in welchem sie erklärten, „dass sie seit 20 Jahren sowohl von den Komitats-, als auch von den Kirchenbehörden ständiger Verfolgung ausgesetzt sind und dass zahlreiche Familien […] nicht nur mit Geldstrafe, Prügelstrafe und Gefangenschaft bestraft wurden, sondern darüber hinaus ihres Viehs, ihrer nötigen Kleidung, Lebensmittel, sogar all ihrer Hausmöbel beraubt wurden, sodass in manchem Haus nichts außer Stroh“ übriggelassen wurde. „Daher bitten sie das Hohe Haus, solange, bis die freie Religionsausübung gesetzmäßig vorge58  Ebenda. Das Kriegsministerium begründet die Zurückziehung der den Nazarenern während sechs Jahre gewährten Begünstigung durch den Hinweis „auf die auffällige Vermehrung der Sekte und durch die Thatsache, daß die assentirten Nazarener zumeist erst kurz vor ihrer Einreihung in das Heer Nazarener geworden sind“. Nach dem Glauben der Nazarener musste jemand, bevor er in die Gemeinschaft aufgenommen werden konnte, zumeist das 18. Lebensjahrs erreichen, da dieser Aufnahme das „Erreichen geistiger Reife, gründliche Belehrung und eingehende Prüfung“ vorausgingen. Es war deshalb nur natürlich, dass die zwanzigjährigen Stellungspflichtigen, sich erst zwei Jahre vorher zu den Nazarenern bekannt haben.

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schrieben wird, das Vorgehen ihnen gegenüber einzustellen.“ Diese Formulierung zeigt, dass die anhaltende Diskussion um Religionsfreiheit durchaus bekannt war. Irányi forderte, „das Abgeordnetenhaus sollte die Regierung anweisen, einen Gesetzentwurf für die freie Religionsausübung und die bürgerliche Ehe noch während dieser Sitzungsperiode einzubringen“ – jedoch vergeblich.59 Wie aus dem Protokoll der Ratssitzung vom 16. August 1875 hervorgeht, setzte sich die Debatte um Religionsfreiheit an oberster Stelle dennoch fort, sowohl die Nazarener wie auch die Zivilehe betreffend. In dem Sitzungsprotokoll heißt es: „Seine Majestät [Franz Joseph I., Kaiser von Österreich und König von Ungarn (R1848 – 1916)] wünschen bei dieser Gelegenheit noch über die zwei Gesetzentwürfe über die Nazarener und über die Noth-Zivilehe, welche vom Kultusminister zur vorläufigen allerhöchsten Kenntnisnahme unterbreitet wurden zu befinden. […] In Betreff der Gesetzentwürfe über die Nazarener geben seine Majestät allergnädigst zu erwägen, ob es aus konstitutionellem Standpunkt zulässig ist, im Gesetze auszusprechen, daß sich die Regierung im Sinne des Gesetzes abgewiesenen Angelegenheit im Petitionswege an den Reichstag appelliert werden könne.“60 Durch das Gesetz sollte „der Übertritt von einer Confession zur anderen an Formen gebunden und dadurch voreiligen unbedachten Übertritten vorgebeugt“ werden. Ferner ging es um die Regelung der „Eheangelegenheiten und die Verhältnisse der Kinder bei den Nazarenern“. Insgesamt wollte man durch individuelle Regelungen der Forderung nach einem „allgemeinen Religionsgesetz“ aus dem Weg gehen.61 Der König selbst nahm in der Frage der Kirchengesetze eine konservative Haltung ein, zumal er ja selbst der katholischen Kirche verbunden war.62 Nachdem 1875 die Nazarener ihre Glaubensansichten den Behörden vorgelegt hatten, wurden sie aufgefordert, sich unter anderem zu ihrer Organisation, zur Art der Wahl ihrer kirchlichen Würdenträger und Kirchenältesten zu äußern. Daher legten sie ihre Statuten vor.63 Wie über diese Statuten entschieden wurde, muss offenbleiben, wiewohl der Umstand in einem im Januar 1940 verfassten Schreiben eines Außenstehenden an den Innenminister erwähnt wurde, da er behauptete: „Die echten Nazarener haben auch eine anerkannte oder genehmigte Glaubensgrundlage [möglicherweise Statute], sie wurde noch 1876 zusammengestellt, am 12. Februar von dem damaligen Exzellenz Herr Kultusminister aufgrund einer ausführlichen Prüfung bezüglich ihrer Zeremonie genehmigt, das heißt sie wurde

59  Ebenda, S. 216 – 220, 223, 225 f. Der reformierte Theologe Aladár Molnár (1839 – 1881) brachte am 28. April 1875 einen erneuten Gesetzentwurf über freie Religionsausübung ein. 60  MOL, Digit-Archiv, MT-1875.08.16. (55. Sitzung) 4, Bl. 22 – 24. 61 Ebenda. 62  Die Diskussion um die Nazarener veranlasste neben Irányi zum Beispiel auch den Politiker, Juristen und Publizisten Károly Eötvös (1842 – 1916) 1873 dazu, sich selbst ein Bild von den Nazarenern zu machen, das er später 1904 in einem Buch veröffentlichte. In den einleitenden Worten schrieb er: „Weder empfehle ich noch verdamme ich ihren Glauben und ihre Religion.“ Eötvös, S. 2. 63  Kardos/Szigeti, S. 228 f.

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als statthaft erfunden.“64 Allerdings kann diese Aussage nicht anhand eines entsprechenden Dokumentes verifiziert oder falsifiziert werden. Obgleich 1875 der liberale Kálmán Tisza Ministerpräsident geworden war, ging er die kirchenpolitischen Reformen nicht zielstrebig an, musste er doch im dualistischen System verstärkt auf die dominante katholische Seite Rücksicht nehmen. Tiszas Politik wird verschiedentlich als „quieta non movere“ bezeichnet.65 Markant für den Umgang der Behörden war das Verfahren bei der Errichtung der sogenannten Bethäuser. So erklärte der damalige Kultusminister Trefort im Mai 1876, es habe in keinem Fall eine sachliche Bearbeitung gegeben, es sei vielmehr stillschweigend darüber hinweggesehen worden, eine offizielle Genehmigung wurde nicht erteilt. Dazu stellte der Innenminister fest: „So lange, wie die Nazarener gesetzlich noch nicht geregelt sind, müsste diesbezüglich genauso verfahren werden wie im Fall von Bauvorhaben Einzelner oder von Vereinen.“66 Wegen der Ausbreitung der Nazarener sandte 1885 der Innenminister auch auf Betreiben reformierter Kirchen eine geheime Rundverordnung an alle Munizipialbehörden67 mit der Aufforderung, deren Umtriebe festzustellen, die gegen die Gesetze und die bestehenden Versammlungsbestimmungen verstoßen und damit Störungen der öffentlichen Ordnung hervorrufen. Wegen der Sorge um die weitere Ausbreitung der Bewegung organisierten Kirchen im Juni 1887 eine interkonfessionelle Konferenz, auf der Geistliche über Maßnahmen zur Eingrenzung beratschlagten und sich an den Minister wandten und eine Verschärfung der Verordnung einforderten.68 Neben der Sache der Nazarener kam 1876 die Problematik der Baptisten auf den Tisch, die wegen ihrer positiven Einstellung zum Wehrdienst als dem Staat gegenüber loyaler galten, weshalb sie eine günstigere Ausgangssituation für die Verhandlungen über Religionsfreiheit lieferten.69 Ihre Geschichte hatte in Ungarn 1846 begonnen, sich aber erst 1873 unter Heinrich Meyer (1842 – 1919)70 richtig entfaltet. Zunächst gehörten ihr überwiegend Deutsche, später viele Ungarn an.71 Nicht nur die Problematik der Nazarener und der Baptisten, auch der Umgang mit der Eheschließung von Juden und Christen wurde von den Politikern heftig diskutiert. Der Anfang 1881 eingebrachte Gesetzentwurf scheiterte 1884 nach anhaltender Debatte und es sollten zehn Jahre vergehen, bis dieses Thema wieder

64 

MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 4, 5. Geyr, S. 124 ff. Kálmán Tisza war von 1875 bis 1890 Ministerpräsident. Csáky, Kulturkampf, S. 80. 66  Ebenda, S. 230. 67 Vgl. Küpper, Autonomie, S. 68 f. Der Begriff Munizipium (ungarisch törvényhatóság) kann sich sowohl auf Städte als auch auf Komitate beziehen. 68  Kardos/Szigeti, S. 241 – 244. Teilnahmen verschiedene reformierte Kirchen und katholische Geistliche. 69 Ebenda. 70  Rösler, Klaus: Auch in Rumänien: Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. 21. Oktober 2009. www.ebf.org 71 www.baptist.hu. 65 

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aufgegriffen wurde.72 Erst zum Ausklang des Jahrhunderts, nachdem Ministerpräsident Sándor (Alexander) Wekerle (1848 – 1921, R1892 – 1895)73 die kirchenpolitische Reform in seine Regierungserklärung aufgenommen hatte, wurden gleich mehrere Gesetzesentwürfe vorgelegt und später in den Corpus Juris inartikuliert.74 Wekerle, selbst katholisch, aber zugleich vom Denken der Freimaurer beeinflusst, hatte sich wie Graf Albin Csáky (Kultusminister) und Dezső Szilágyi (Justizminister) auf die Seite der Reformer gestellt. Seine Zielsetzung war die Rezeption der israelitischen Religion, die Führung eines zivilen Personenstandsregisters, die Zivilehe und nicht zuletzt die Religionsfreiheit, was zwar Beifall in der Bevölkerung und der überwiegend liberal eingestellten Presse fand, der von katholischer Seite hingegen vehementer Widerstand entgegengebracht wurde. Der Episkopat hatte auf die Reformvorschläge mit klar missbilligendem Memorandum, gerichtet an König Franz Joseph, die Regierung und den Papst reagiert und versuchte, durch Hirtenbriefe an das Nationalgefühl der Gläubigen zu appellieren.75 Es heißt, dass „die Abwehrtätigkeit der Katholiken immer fieberhafter wurde“, und dass in den Landgemeinden nach dem Gottesdienst immer wieder „Protestkundgebungen gegen die staatlich-liberalen Maßnahmen“ veranstaltet wurden.76 Mit der Enzyklika „Constanti Hungarorum“ vom 2. September 1893 rief der Papst gar den ungarischen Episkopat auf, gegen die Kirchengesetze zu kämpfen.77 Andererseits sprach sich aus dem Exil kein Geringerer als Lajos Kossuth für die Reformpolitik aus, der die Reformen als „ein elementares Postulat des gesunden Menschenverstandes“ bezeichnete.78 Das und die ablehnende Haltung des Wiener Hofes dürfte die oppositionelle Unabhängigkeitspartei79 für kurze Zeit mit der Liberalen Partei Wekerles vereint haben. Doch auch in der eigenen Partei hatte Wekerle mit Widerstand zu kämpfen, weshalb er im Januar 1893 die Reformgegner aufforderte,

72  Fischer, Rolf: Entwicklungsstufen des Antisemitismus in Ungarn 1867 – 1939. Die Zerstörung der magyarisch-jüdischen Symbiose, München 1988, S. 51. 73  Entstammte einer donauschwäbischen Familie, Jurist. 74  Der Corpus Juris Hungarici bestand aus zwei Teilen: Der erste beinhaltete Gesetzessammlung bis 1848. Der zweite Teil bildete den „Body of Law“ ab 1867. MOL, Digit-Archiv, K27, MT-1893.04.18, Bl. 3R/11, 4. In der Sitzung vom 18.4.1893 wurde z. B. beschlossen, die Gesetzesvorlage zur Religionsfreiheit neu zu verfassen. Ebenda, K27, MT-1893.04.27, Bl. 7R/17. Am 27.4.1893 wurde der neue „sorgsam überarbeitete“ Gesetzestext „mit den nötigen Änderungen“ vorgestellt. 75  Geyr, S. 126 ff., 134 ff., 140 f., 145. Csáky, Kulturkampf, S. 95: „Die allgemeine Religionsfreiheit müsse nicht zum Gesetz erhoben werden, da ja in Ungarn praktisch ohnehin Religionsfreiheit herrsche.“ 76  Ebenda, S. 96. 77  Ebenda, S. 96 f. 78  Zitiert nach Geyr, S. 145. 79  Die Függetlenségi és Negyvennyolcas Párt (Unabhängigkeits- und 48er Partei), auch Kossuth-Partei genannt, lehnte den Ausgleich von 1867 ab und arbeitete auf völlige Unabhängigkeit Ungarns hin.

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aus der Partei auszutreten, woraufhin nicht wenige die Liberale Partei verließen.80 Nach langem Hin und Her über den Gesetzesentwurf, der sogar einen kurzzeitigen Rücktritt Wekerles als Ministerpräsident beinhaltete,81 kam es zur Verabschiedung des GA XXXI/1894, mit dem die Institution der verbindlichen bürgerlichen Eheschließung verankert und die staatliche Gerichtsbarkeit in Ehesachen verfügt wurde, GA XXXII/1894 regelte im Zusammenhang mit der Religionszugehörigkeit der Kinder das Recht über die Entscheidung der Konfession der Kinder den Eltern zu überlassen.82 Allerdings legte das Gesetz auch fest, dass die Kinder nur in rezipierten oder gesetzlichen Religionsgemeinschaften zu erziehen sind, eine Festlegung, die in der Horthy-Zeit noch von Bedeutung werden sollte. GA XXXIII/1894 führte zur Lösung der Wegtaufen-Problematik die staatliche Matrikelführung ein und setzte gleichzeitig die Verordnung 563 von 1875 über die Bestimmung zur Registrierung von Neugeborenen und Verstorbenen, für den Fall, dass keiner der Eltern einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Kirche angehört, außer Kraft.83 Danach kam es im Januar 1895 zur Demission Wekerles und seiner Regierung, eine Art Bedingung, damit der König die ihm nicht genehmen Kirchengesetze passieren ließ. Die von Eötvös erträumte liberalere Religionspolitik wurde dann erst im November 1895 zumindest partiell Wirklichkeit – und das trotz bzw. aufgrund des heftigen Widerstands der katholischen Kirche, die als Reaktion im Januar 1895 die „Katholische Volkspartei“ (Katolikus Néppárt) gründete, deren Ziel u. a. die katholische Autonomie, der Kampf gegen die Trennung von Kirche und Staat und die Revision der kirchenpolitischen Gesetze war.84 Unter Ministerpräsident Dezső Bánffy (R1895 – 1899, 1843 – 1911) wurde am 22. November 1895 der GA XLIII/ 1895 zur Religionsfreiheit erlassen.85 Was die israelitische Religion anbelangt, war zwar 1867 mit GA XVII die Gleichberechtigung hinsichtlich ihrer bürgerlichen und politischen Rechte verfügt worden, erst im Oktober 1895 wurde sie mit GA XLII rezipiert. Die hier angeführten sogenannten Kirchengesetze waren Teil

80  Szabó, Daniel: Wekerle Sándor – A válságmenedzser [Sándor Wekerle – der Krisenmanager]. In: Rubicon Történelmi Magazin, 1996/10. http://www.rubicon.hu/magyar/oldalak/wekerle_sandor_a_valsagmenedzser/ (Zugriff am 10.4.2013). 81  Geyr, S. 150 f. 82  § 1 besagt: Eheschließende Personen, die verschiedenen rezipierten und gesetzlich anerkannten Confessionen angehören, können vor Abschluß der Ehe sich ein für allemal darüber einigen, daß ihre sämtlichen Kinder der Religion des Vaters oder der Mutter folgen und in derselben erzogen werden. 83  MRT, 1896, VO 11.579/1896, S. 830 f. 84 Baron Bánffy hatte in Berlin und Leipzig studiert. Révész, Freiheitsrechte, S. 67 – 69. Csáky, Katholische Kirche, S. 128. Reinert-Tánoky, Giesswein, S. 214. Eötvös hatte in seinem Gesetzentwurf von 1870 die volle Gleichberechtigung aller Religionen vorgesehen. Geyr, S. 153. Fazekas, Csaba: Egyházak, egyházpolitika és politikai eszmék az osztrák-magyar monarchiában [Kirchen, Kirchenpolitik und politische Ideen in der österreichisch-ungarischen Monarchie]. Miskolc 2008. http://mek.niif.hu/06700/06708/06708.pdf (Zugriff am 12.07.2013). 85  Tt., GA XLIII/1895. Das Gesetz wurde am 22.11.1895 vom König abgesegnet.

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der ungarischen Verfassung, wie auch das Buch „Die ungarischen Verfassungsgesetze“ klar zeigt, das das erste Mal 1895 herausgegeben wurde.86 Mit Blick auf die Entwicklungen im 19. Jahrhundert kann festgestellt werden, dass für die Kirchenrechtsreform die im ungarischen Freiheitskampf von 1848 entstandene Verfassung und die damit verbundene tatsächliche Rechtsausweitung ausschlaggebend war wie beispielsweise die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz aber auch die gesetzliche Verankerung bestimmter Freiheitsrechte. Damit einher gingen so unterschiedliche Entwicklungen wie die Beschneidung der traditionellen Vormachtstellung der katholischen Kirche, die Garantie von Presse- und Versammlungsfreiheit, das Nationalitätengesetz, gesetzliche Regelungen zur bürgerlichen Ehe und die Anerkennung der Israelitischen Religion. Das Auftreten neuer Glaubensgemeinschaften wie der Nazarener erwies sich als politische Herausforderung, welches zu teilweise hartem Vorgehen führte, obwohl diese bereits 1885 den Behörden ihre Statuten vorgelegt hatten. Gleichzeitig wurde die Problematik der Religionsfreiheit hart diskutiert und eine Entscheidung immer wieder verschoben. Schon 1887 kam es zu einer interkonfessionellen Konferenz, bei der von den Behörden Maßnahmen gegen die Ausbreitung der neuen Gemeinschaften gefordert wurden. Im Laufe endloser weiterer Diskussionen auch auf oberster Ebene kam auch die Problematik des Militärdienstes auf den Tisch – und damit ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Gemeinschaften in den nächsten mindestens fünfzig Jahren ziehen sollte. Militärhistorische Entwicklungen spielen daher bei den weiteren Untersuchungen eine überaus wesentliche Rolle. Trotz des heftigen Widerstands konservativer politischer und kirchlicher Kräfte gelang es den liberalen Politikern, ihre Ansichten durchzusetzen und ein epochemachendes Gesetz über die Religionsfreiheit in Ungarn entstand. Die Einstellung und der Kampf der liberalen Seite bis zum Erlass dieses GA spiegeln den freiheitlichen Geist hinter dem Gesetz wider. Als problematisch für das Ausleben eben dieses Geistes erwies sich jedoch die Demission Wekerles und seiner Führungsriege, und damit der fortschrittlichen liberalen Kräfte. Die zwar ebenfalls liberalen Nachfolger verfolgten einen eher konservativen, königsfreundlichen Kurs, was sich in der Handhabung der Gesetze niederschlagen sollte. Die Umsetzung der liberalen Religionspolitik, also einer Politik im Sinne der Gründerväter stand gleich mit Inkrafttreten des Gesetzes unter schlechtem Vorzeichen.

86  Steinbach, S. 89. Tt., XLII/1895. Reinert-Tárnoky, Giesswein, S. 214. Der katholische König, der selbst die Religionsgesetze ablehnte, aber zur Aufrechterhaltung des Ausgleichs auf die Mehrheit der Liberalen im Parlament angewiesen war, war genötigt das Gesetz zur Rezeption der jüdischen Religion durchzubringen und erhöhte dafür die Anzahl der Mitglieder des Magnatenhauses.

B.  Gesetzesartikel XLIII/1895 zur Religionsfreiheit

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B.  Gesetzesartikel XLIII/1895 zur Religionsfreiheit I. Bestimmungen Paragraph 1 des Gesetzes XLIII besagt: „Jedermann kann sich frei, zu jedwedem Glauben oder zu jedweder Religion bekennen, ihr folgen und das auch innerhalb der Gesetze des Staates sowie der Erfordernisse der öffentlichen Moral nach außen hin bekunden und praktizieren. Niemand darf an seiner Religionsausübung gehindert werden, solange diese nicht gegen das Gesetz oder die öffentliche Moral verstößt, und niemand darf zu religiösen Handlungen gezwungen werden, die nicht mit seinem Glauben übereinstimmen.“ Und § 5 erlaubte jedermann, „innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen aus jedweder Religionsgemeinschaft auszutreten oder in jedwede Religionsgemeinschaft einzutreten“. In § 2 wurde festgelegt, dass „die Fähigkeit, bürgerliche und politische Rechte wahrzunehmen, vom Glaubensbekenntnis vollkommen unabhängig“ ist, was also jedem, auch wenn er keiner bisher gesetzlich anerkannten Gemeinschaft angehörte, erlauben würde, politische Ämter zu bekleiden. Allerdings enthoben nach § 3 die religiösen Anschauungen oder kirchlichen Vorschriften auch niemand von „der Erfüllung irgendeiner gesetzlichen Pflicht“. Diese Formulierungen im Kontext der Entstehung des Artikels gesehen, könnten die Frage aufwerfen, ob die Verfasser hier schon die Eidesproblematik der Nazarener und ihre Einstellung zum Waffendienst im Sinn hatten. Andererseits war die Religionsfreiheit nur innerhalb der bestehenden Gesetze erlaubt bzw. wurde verlangt, gesetzliche Pflichten zu erfüllen, worunter das Ableisten des Eides und der Dienst an der Waffe fallen konnten. Eötvös selbst hatte ja im Zusammenhang mit der Verweigerungshaltung der Nazarener einerseits darauf hingewiesen, dass die „daran Glaubenden“ nicht verfolgt werden sollten, aber gleichzeitig auch die Meinung vertreten, dass die Gesetze streng durchzuführen wären, bis der von ihm „eingereichte Gesetzentwurf in Religionssachen, der diesbezüglich positive Regeln“ enthalte, in Kraft trete. Hatte er hier vielleicht schon eine Lösung für Verweigerer im Sinn? War diese Lösung vielleicht aufgrund der zähen Verhandlungen in das Gesetz nicht aufgenommen worden? Auch Kálmán Tisza wollte ja in seinem Vorschlag „jedem völlige Religions- und Gewissensfreiheit zusichern“, wobei die staatsbürgerlichen Pflichten einzuhalten waren. In jedem Fall war den Gründervätern die Problematik bekannt und sie hatten in ihren Ansätzen nach praktikablen Lösungen gesucht. Prinzipiell wurden Regelungen für Verweigerer auch nicht in Gesetze zur Religionsfreiheit aufgenommen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird als eigenständiges Grundrecht angesehen, wenngleich es auch den Bereich von Glaubens- und Gewissenfreiheit betrifft.87 Mit dem Religionsgesetz GA XLIII entstand gewissermaßen ein Koordinatensystem der Religionen, was das Verhältnis der Glaubensgemeinschaften untereinander und zum Staat regelte, indem es zwei große Kategorien aufstellt: die eingenommenen oder rezipierten (bevett) und die gesetzlich anerkannten (törvé87 

Vgl. ebenda.

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nyesen elismert) Religionsgemeinschaften.88 Die erste Kategorie erhielt größeren Schutz und mehr Autonomie, ihre Beziehung zum Staat war wesentlich enger und kordialer, obwohl nicht in Frage gestellt wurde, dass auch die anerkannten Glaubensgemeinschaften dem öffentlichen Interesse dienten. Als rezipierte Religionsgemeinschaften wurden die römisch-katholische, die griechisch-katholische und armenisch-katholische, die evangelisch reformierte, die evangelische Kir­ che Augsburger Konfession, die griechisch-orientalische serbische und die grie­ chisch-orientalische rumänische, die unitarische und die israelitische Religion klassifiziert.89 Formaljuristisch gesehen waren damit die rezipierten Religionsgemeinschaften zwar einander gleichgestellt, in der Praxis sah das jedoch anders aus. So kamen zum Beispiel der katholischen Kirche schon aufgrund ihrer Vergangenheit als Staatsreligion besondere Privilegien zu, wozu auch ihr umfangreicher Grundbesitz gehörte.90 Staatlicherseits wurde den rezipierten Gemeinschaften das Recht auf Selbstverwaltung zugesichert und für die Eintreibung der Kirchensteuern gesorgt. Bestand eine Kirche aus mehreren Gemeinden, war sie nach § 16 verpflichtet, einen übergeordneten Vorstand zu bilden. Zur Vollstreckung von Disziplinarmaßnahmen ließ man ihnen staatliche Unterstützung zuteilwerden. Sie erhielten Beihilfen von der Gemeinde und vom Staat. Ihre Schulen wurden finanziell unterstützt. Schließlich erfolgte die Vergütung der Religionslehrer aus staatlichem Budget. Wenngleich zur Zeit der Gesetzgebung nur die Kategorie der rezipierten Religionsgemeinschaften mit Leben erfüllt war, hat die Regierung vorbereitend für die gesetzliche Anerkennung neuer religiöser Gemeinschaften, die nicht gegen Gesetze verstießen, rechtliche Vorkehrungen getroffen. Das betraf die große, vom Gesetz nicht direkt als solche bezeichnete, Kategorie der gesetzlich nicht zugelassenen (törvényesen el nem ismert) Religionsgemeinschaften. Mit § 7 bis § 21 wurde unter anderem bestimmt, dass die betreffenden Staatsbürger, die eine gesetzlich anerkannte Religion bilden wollten, verpflichtet waren, „mindestens eine Kirchengemeinde aufzubauen und aufrechtzuerhalten, ferner für die Kinder, die zur Glaubensgemeinschaft gehörten, Religionsunterricht sicherzustellen“ und „ein organisatorisches Statut, das alle das Glaubensleben betreffenden Vorschriften zusammenfasste, dem Kultus- und Bildungsminister vorzulegen“. Laut § 8 konnte die Genehmigung der Anerkennung nur dann verweigert werden, wenn die Auflagen nicht erfüllt wurden oder „sich die entstehende Glaubensgemeinschaft als staatsund volksfeindlich erweist“, ferner „wenn die Glaubensgrundsätze, der Gottesdienst und andere religiöse Zeremonien oder die geplante Organisation a) im Widerspruch zu den bestehenden Gesetze oder zu den öffentlichen Sitten stehen“ oder „b) mit einer bereits bestehenden rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaft in Übereinstimmung sind oder sich lediglich in der Sprache des Gottesdiens88 

Zum Beispiel § 8 Abs. 3b, 4b, §§ 22 – 30. Steinbach, S. 89. 90  Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 11. Csizmadia verweist vor allem auf den Grundbesitz von rund 1 Million Hektar. 89 Vgl.

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tes und Kirchenleitung unterscheiden“. Darüber hinaus durfte die Benennung der sich bildenden Glaubensgemeinschaft „keine rassischen oder nationalen Züge“ beinhalten und „schon rezipierte oder gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften“ nicht verletzen. Wurden die Statuten genehmigt, stand die Gemeinschaft nach § 9 als „gesetzlich anerkannte öffentliche religiöse Körperschaft“ unter Schutz und Aufsicht des Staates und hatte das Recht, „öffentlich gemeinsame Gottesdienste frei abzuhalten“ und „autonom entsprechend ihrem Kirchenrecht in religiösen und kirchlichen Fragen selbst zu bestimmen“. Sie konnten auf Grundlage und gemäß der genehmigten Statuten oder der Bestimmungen der Kirchengemeinde Steuern und Dienstleistungen von den Glaubensanhängern erheben. Es war ihnen auch möglich, „auf Grundlage der genehmigten Disziplinarordnung durch ihre dazu berechtigten Behörden kirchliche Zucht (Disziplin) über ihre eigenen Glaubensangehörigen“ auszuüben, „nicht erlaubt sind allerdings Einsperren, körperlicher Bestrafung oder Geldstrafe“. Sie durften Gebäude für Bethäuser, für Unterrichts-, Erziehungs- und Wohltätigkeitsinstitutionen, für Wohnhäuser der Kirchenbeamten erwerben bzw. dafür nötige Grundstücke. Die diesbezüglichen Urkunden waren dem ersten Beamten des Munizipiums vorzulegen, um von ihm mit einer „Präsentationsklausel“ versehen zu werden. Nach § 13 konnte nur ein ungarischer Staatsbürger als Seelsorger und Kirchengemeindevorsteher fungieren, der bei dem obersten Beamten der Munizipialbehörde anzumelden war.91 Abschließend legte § 21 fest, dass die gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften eigene Friedhöfe einrichten oder ihre Mitglieder auf den Gemeindefriedhöfen ungehindert bestattet werden konnten. Die erste Gemeinschaft, die auf der Grundlage des GA XLIII/1895 gesetzliche Anerkennung erfuhr, war 1905 die baptistische Kirche.92 Damit wurde die zweite vom Gesetz festgelegte Kategorie, die der gesetzlich anerkannten Gemeinschaften, Realität. Mit dem Ersten Weltkrieg war dann zunächst mit der gesetzliche Anerkennung weiterer Gemeinschaften Schluss, abgesehen von den Muslimen, deren Anerkennung 1916 politische Hintergründe hatte – sie war eine Geste gegenüber den Türken, als Alliierte Österreich-Ungarns im Krieg und wurde auf ungewöhnliche Weise durch Gesetz vorgenommen, was besondere Gründe hatte. Der Gesetzartikel XVII von 1916 befreite diese Gemeinschaft von der Pflicht des Nachweises mehrerer Erfordernisse, die gemäß GA XLIII/1895 für die Anerkennung jeder Glaubensgemeinschaft obligatorisch waren. Interessanterweise stellte 91  § 15: „Wenn irgend ein Geistlicher oder Kirchenvorsteher die ungarische Staatsbürgerschaft verliert oder wegen staatsfeindlicher Tätigkeit oder einer solchen Straftat wie der Gewinnsucht, Sittenverstoß oder öffentlichen Ärgernisses verurteilt wird, ist er auf Anordnung des Religions- und Bildungsministers zu entfernen. Wenn irgendein Geistlicher oder Kirchenvorsteher eine solch staatsfeindliche Haltung an den Tag legt, welche den weiteren Verbleib im Amt im Interesse des Staates als gefährlich erscheint, kann er auf Anordnung des Religions- und Bildungsministers entfernt werden.“ 92 Vgl. Steinbach, S. 80 – 89. Gergely/Kardos/Rottler, S. 145 ff. VO 77.092/1905 des Kultusministers vom 2.11.1905 zur Anerkennung der Baptisten. GA XVII/1916 zur Anerkennung der islamischen Religion.

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der Justizminister 1934 im Zusammenhang mit der Anerkennung einer anderen Gemeinschaft fest: „Übrigens entstand der Islam als gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft in der Wirklichkeit in unserer Heimat gar nicht, weil seine Nachfolger das Errichten und Aufrechterhalten mindestens einer Gemeinde, ferner den schulischen Religionsunterricht ihrer Kinder nicht gewähren konnten.“93 Im Grunde hatte man hier also im Fall der Muslime liberaler entschieden, als der GA selbst vorsah, was die politische Motivation der Entscheidung der Anerkennung unterstreicht und die Möglichkeiten der Behörden aufzeigt. Zu der Klasse, der gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften, gehörten alle weiteren Minoritäten wie die Methodisten, die Siebenten-Tags-Adventisten (STA), die Nazarener und die Bibelforscher (ab 1931 Jehovas Zeugen). Die Angehörigen dieser Gemeinschaften wurden im Gesetz nicht – wie es später häufig der Fall sein wird – als konfessionslos bezeichnet, sondern als außerhalb der rezipierten und gesetzlich anerkannten Gemeinschaften Stehende. Dass die Kategorie der „Konfessionslosen“ im Gesetz nicht angesprochen wurde, geschah bewusst. Diesbezüglich hatte es im Parlament starke Einwände gegeben. Das wird deutlich im Vortrag des Ministerpräsidenten in der Sitzung vom 6. Februar 1895, wo er erklärte, dass um die Erwähnung „der von vielen widersprochenen Konfessionslosen im Gesetz“ zu umgehen, „die gesetzliche dauerhafte Festlegung der Rechtsstellung der Konfessionslosen außen vorgelassen werden soll, und die Regelung der Rechtsverhältnisse konfessionsloser Personen durch Verordnungen vorgenommen“ würde.94 Anfänglich war somit vorgesehen, die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften im Gesetz zu bedenken, was belegt, dass der Geist des Gesetzes ursprünglich weiter ging, als am Ende schriftlich realisiert wurde. Dieser hier eingegangene Kompromiss und der Verweis auf künftige Verordnungen stellte jedoch eine Schwachstelle im Gesetz dar, da es politische Manipulationen möglich machte. In den Schlussbestimmungen des dritten Kapitels des Religionsgesetzes finden sich auch Konvertierungsbedingungen und die Regelung der Kindererziehung in Mischehen. In § 26 wird festgelegt, dass in dem Fall, da ein Elternteil oder beide keiner rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehören, die Kinder einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft folgen oder darin erzogen werden müssen. Dabei wird in § 27 auf § 1 des GA XXXII/1894 hingewiesen. Danach können sich die Ehekandidaten einigen, welcher von ihnen bestimmten rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft ihre Kinder nachfolgen bzw. in welcher sie erzogen werden sollen – und das spätestens bis zum Erreichen des schulpflichtigen Alters der Kinder.95 Dieser Zeitpunkt wiederum legt nahe, dass im obligatorischen Religionsunterricht einer der Hauptgründe für eine Festlegung der Eltern bezüglich der religiösen Kindererziehung zu finden ist. Im Zusammenhang mit der Gültigkeit der Entscheidung 93 

MOL, K579 – 1934. Bl.  130 – 136. Ebenda, Digit-Archiv, MT-1895 – 02 – 06, 9R/20. 95  Wurde keine Festlegung durch die Eltern getroffen, entschied die Vormundschaftsbehörde. 94 

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der Erziehung der Kinder im Falle außerhalb der rezipierten und gesetzlich anerkannten Gemeinschaften Stehender wird in § 30 XLIII/1895 auf die Anwendung der Regelung zur Erziehung von Kindern aus interkonfessionellen Ehen rezipierter Gemeinschaften in § 13 und 15 des GA LIII/1868 verwiesen, wonach auch der Tod eines Ehegatten oder die Auflösung der Ehe die Entscheidung für die religiöse Kindererziehung nicht umwirft, ferner die religiöse Erziehung unehelicher Kinder ehelichen gleichgestellt wurde. In Kapitel III, § 31 des Religionsgesetzes wurde auch die religiöse Freiheit von Ausländern festgelegt, die sich im Land aufhielten. Ihnen wurde gewährt, in Ungarn ihren Glaubenssätzen entsprechend zu leben und öffentliche Gottesdienste abzuhalten, sofern diese nicht gegen bestehende Gesetze, die Staatsinteressen oder die öffentlichen Sitten verstießen und sie die Gottesdienste zuvor bei der Polizei anmeldeten. Diese Regelung ist insbesondere für die religiösen Gemeinschaften von Interesse, die über das Ausland in Ungarn Einzug hielten und ihre Vertreter und Missionare aussandten, um sich und ihre Tätigkeit hier zu organisieren – und das betrifft fast alle gesetzlich noch nicht anerkannten Gemeinschaften. Wenngleich dieses Gesetz religiöse Freiheiten in bisher nicht dagewesenem Ausmaß zusicherte, handelte es sich dennoch nicht um Gewährung von Gleichbehandlung. Die wurde nur den rezipierten Kirchen zugestanden, und selbst das scheiterte in der Praxis. Der Status „gesetzlich anerkannt“ sollte vor allem die Tätigkeit garantieren; sie ermöglichte die Selbstverwaltung und bedeutete nicht gleichzeitig die Zusicherung von Privilegien oder finanzielle Unterstützung vom Staat. Die gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften, die dem Kreis der rezipierten Kirchen nicht angehörten, hatten in der Folge in verschiedener Hinsicht staatliche Kontrolle hinzunehmen. Ihren Geistlichen wurden Bedingungen gestellt, Gründungen neuer Gemeinden waren an die Meldepflicht gebunden, öffentliche religiöse Versammlungen konnten restringiert werden und Schulen erhielten keine finanziellen Unterstützungen. Wirken und Organisation nicht anerkannter Religionsgemeinschaften vor ihrer gesetzlichen Anerkennung wurden nicht speziell geregelt, wenngleich ihnen die Tätigkeit innerhalb der bestehenden Gesetze und Ordnung zugestanden wurde, was dazu führte dass je nach politischem Kontext von den Behörden liberal oder restriktiv damit umgegangen werden konnte.96 Wie man allerdings im Fall der Anerkennung der Muslime sieht, fühlten sich die Behörden, so es politisch opportun war, zugunsten der Gemeinschaft nicht unbedingt an den Buchstaben des Gesetzes gebunden, sondern konnten großzügig damit umgehen. Als Besonderheit anzumerken ist, dass der Gesetzestext immer und einheitlich von Religionsgemeinschaften (vallásfelekezet) spricht, nie abwertend von Sekten. Damit hebt er sich von der allgemein üblichen Diktion der Behörden ab und lässt den Willen einer anvisierten Gleichbehandlung der Gemeinschaften erahnen.

96 Vgl.

Revész, Freiheitsrechte, S.  67 – 69.

Kap. 2: Reformzeitalter und Religionsgesetze

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Mit der Umsetzung dieses Verfassungsgesetzes waren gemäß § 34 der Kultusund Bildungsminister, der Minister des Innern und der Justizminister betraut.

II.  Verordnung zur Umsetzung des Gesetzesartikels Am 8. Januar 1896 erließen Religions- und Bildungsminister, Innenminister und Justizminister gemeinsam die Verordnung 56 zur Umsetzung des GA XLIII97 von 1895. Paragraphen 3 und 4 legten fest, das GA XLIII bezüglich Konversion auch für Anhänger der in Zukunft anzuerkennenden Gemeinschaften oder für Anhänger außerhalb der rezipierten und gesetzlich anerkannten Gemeinschaften Gültigkeit habe. Wer nicht den gesetzlichen Bestimmungen gemäß aus einer rezipierten oder anerkannten Kirche austrat, wurde nach § 5 auch dann noch als deren Angehöriger angesehen, wenn er sich selbst schon als Anhänger einer anderen Religion verstand. Trat der Betreffende ordnungsgemäß wie u. a. in § 6 beschrieben aus, wurde er als außerhalb einer rezipierten oder anerkannten Gemeinschaft Stehender betrachtet, bis er gemäß § 8 in eine ebensolche eintrat. Im zweiten Teil der Verordnung ging es um die Verfahrensweise bei der administrativen Umsetzung einer Entscheidung bezüglich der Erziehung der Kinder in einer rezipierten oder anerkannten Religionsgemeinschaft mit Verweis auf GA XXXII/1894, wenn ein oder beide Ehepartner keiner solchen angehörten. Im Mittelpunkt stand vor allem die administrative Umsetzung: Eine Entscheidung über die Erziehung der Kinder sollte bis zu deren 6. Lebensjahr, also spätestens bis zur Einschulung getroffen werden, um festzulegen, welchen Religionsunterricht sie besuchten. Über die Art der Erziehung bzw. eine konkrete Vorgehensweise über die Belehrung durch die Eltern oder eine Einschränkung ihrer Erziehung wird nichts ausgesagt. Hier wird nicht darauf abgehoben, dass Kinder nicht gemeinsam mit ihren Eltern die Gottesdienste der Kirche ihrer Eltern besuchen dürfen bzw. dass der Besuch der Gottesdienste einer rezipierten Religion zwingend zur Erziehung des Kindes gehört. Interessanterweise wird in der Durchführungsverordnung die in § 1 XLIII einschränkende Regelung der freien Religionsausübung, „solange diese nicht gegen das Gesetz oder die öffentliche Moral verstößt“, nicht näher kommentiert, was sicher hilfreich gewesen wäre. Unklar blieb auch, ob bei Verstößen gleich die Religionsausübung an sich oder nur bestimmte Tätigkeiten verboten bzw. eingeschränkt werden sollten. Versäumt wird auch zu klären, in welcher Übergangsform sich die noch nicht anerkannten Gemeinschaften bis zu ihrer Anerkennung formieren konnten. Unklar ist ferner die Formulierung, neue Gemeinschaften dürften bereits bestehende nicht verletzen. Bezog sich das auf die Lehre oder die Umsetzung der Lehre, so war eine Kollision kaum zu vermeiden, denn die meisten der neuen Gemeinschaften waren häufig gerade aus dem Mangel einer traditionellen Kirche entstanden. Das Publikmachen eines solchen Mangels dürfte zu gewissen „Verletzungen“ geführt haben. Auch ein mit einer Abspaltung oder Konversion einhergehender Mitgliederverlust kann als verletzend wahrgenommen worden sein. Insgesamt blieben sowohl Ge97 

MRT, VO 56/1896. Vgl. MOL, Digit-Archiv, K27, MT-18.12.12, Bl. 24R/27.

B.  Gesetzesartikel XLIII/1895 zur Religionsfreiheit

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setz als auch Durchführungsverordnung klare Definitionen und Regelungen schuldig, die für die weitere Anwendung jedoch nicht unwesentlich gewesen wären und deren Fehlen der politischen Interpretation subjektiv nach Geschmack und Bedarf Raum gab – die Verfassungswirklichkeit also sehr von den jeweiligen politischen und auch wirtschaftlichen Gegebenheiten abhängig machte.

Kapitel 3 3:

Umsetzung von GA XLIII/1895 im 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts 3: Umsetzung von GA XLIII/1895

A.  Situation in Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg Zwischen 1867 und 1914 war in Ungarn ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent jährlich zu verzeichnen, damit lag man über dem europäischen Durchschnitt. Ein Drittel der industriellen Produktion des Kaiserreichs wurde von Ungarn erbracht und die Hälfte der landwirtschaftlichen Produktion. Industrie und Bergbau spielten eine zunehmend wichtigere Rolle. Als fünftgrößte europäische Metropole war die Hauptstadt Budapest mit 60 Prozent aller Industriebetriebe sowohl Industrie- wie auch Finanz- und Kulturzentrum des Landes. Bildungs- und Gesundheitswesen galten dagegen als Schwachstellen, so erreichten z. B. nur die Hälfte der Geborenen das fünfte Lebensjahr; jeder dritte Bürger über sechs Jahren war des Lesens und Schreibens nicht mächtig. In der Landwirtschaft überlagerten halbfeudale Strukturen kapitalistische Eigentumsverhältnisse.1 Neben der katholischen Kirche als größter Grundbesitzer des Landes besaßen 184 Familien des Hochadels große Ländereien.2 Auf 2,5 Millionen Betriebe entfielen nur 7,6 von insgesamt 23,9 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche und dazu gehörten 1,5 Millionen Kleinstbetriebe bzw. Kleinbauern, die sich von ihrem Land allein nicht ernähren konnten. Obwohl 1848 zur Bauernbefreiung beigetragen hatte, herrschte teilweise großes Elend unter der Landbevölkerung, insbesondere unter den Tagelöhnern, sodass Ende des 19. Jahrhunderts agrarsozialistische Bewegungen entstanden, die aufbegehrten und eine gerechtere Landverteilung forderten.3 Mit der Entwicklung des Proletariats um die Jahrhundertwende, das in 28 landesweiten Branchenverbänden der Gewerkschaft und in der politisch eng verbundenen 1890 gegründeten Sozialdemokratischen Partei Ungarns (Magyarországi Szociáldemokrata Párt, MSzDP) organisiert war, entstand eine neue starke politische Kraft.4 Ziel der MSzDP war 1903 dem Parteiprogramm zufolge das „Vergesellschaften der kapitalistischen Produktionsmittel als einzigen Weg zur Beseitigung der Ausbeutung und Unterdrückung“. Dazu gehörte die Überführung 1 

Ein Drittel des Landes gehörte 71 000 Großgrundbesitzern. Z. B. Graf Móric Esterházy (300 000 ha), Graf István Tisza (86 500 ha), Mihály Károlyi (30 000  ha). 3  Romsics, Ignác: Magyarország története a XX. Században [Ungarns Geschichte im XX. Jahrhundert]. Budapest 2005, S. 81 – 84. Gräfe, Karl-Heinz: Von der Asternrevolution zur Räterepublik. Ungarn 1918/19. In: Utopie kreativ, Heft 168 (Oktober 2004), S. 885 – 900. 4  1913 waren 72 700 der 107 000 Gewerkschaftler Parteimitglieder. 2 

A.  Situation in Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg

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von weltlichem und kirchlichem Grundbesitz, von Industrie, Bergwerken, Banken und Verkehrsmitteln in Gemeineigentum.5 Hier zeichnete sich deutlich das Konfliktpotential zwischen proletarisch-bäuerlicher Unterschicht und Großgrundbesitzern, Finanzmogulen und Industriemagnaten ab. Hinzu kamen die noch immer ungelöste Nationalitätenfrage und politische Machtkämpfe zwischen Magyaren und nationalen Minderheiten in einer Atmosphäre zunehmender Magyarisierungsmaßnahmen. Dezső Bánffy zum Beispiel hatte sich während seiner Regierungszeit Ende des 19. Jahrhunderts die Schaffung eines ungarischen Nationalstaates auf die Fahne geschrieben, was die Spannungen zu Österreich und zu den Minderheiten im Reich verschärfte.6 In der Sphäre der Diskriminierungsproblematik entwickelten sich zwei linksbürgerliche Strömungen: zum einen die „Függetlenségi és 48-as Párt“ (FP)7 von Graf Mihály Károlyi (1875 – 1955) und zum anderen die „Országos Polgári Radikalis Párt“ (OPRP)8 von dem Soziologen Oszkár Jászi (1875 – 1957) und dem Juristen Pál Szende (1879 – 1934).9 Das Abtreten der Wekerle-Regierung 1895 kurz vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Religionsfreiheit wird als „der Vorbote des Endes der von den Liberalen geprägten Ära angesehen, das dann endgültig 1906 eintrat“.10 Mit Wekerle waren gleichzeitig die fähigsten liberalen Politiker aus der Regierung ausgeschieden, ein „tiefgreifenderer Wechsel im politischen und gesellschaftlichen Klima“ setzte ein.11 Der katholische Historiker Gyula Szekfű (1883 – 1955), Mitbegründer der Katholischen Volkspartei, die für eine Revision der Kirchengesetze kämpfte, soll rückblickend den letzten Abschnitt des ungarischen Liberalismus abwertend als „Zeitraum der Illusionen“ und „Entnationalisierung“ bezeichnet haben.12 In ähnlicher Weise war ja auch, wie bereits erwähnt, die Umsetzung des Nationalitätengesetzes ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert immer mehr von Intoleranz geprägt. 1905 verlor die liberale Regierung seit 1867 zum ersten Mal ihre Mehrheit, die oppositionelle Unabhängigkeitspartei führte nun die parlamentarische Mehrheit an. Wenngleich der liberale Ministerpräsident István (Stephan) Tisza (1861 – 1918)13 zunächst im Amt blieb, damit einen Verfas5  Zitiert nach Institut für Parteigeschichte USAP [Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei]: Geschichte der ungarischen revolutionären Arbeiterbewegung. Von den Anfängen bis 1962. Berlin 1983, S. 40. 6 Vgl. Volkmer, Gerald: Die Siebenbürgische Frage 1878 – 1900. Der Einfluss der rumänischen Nationalbewegung auf die diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Rumänien. Köln 2004, S. 229 f. 7  Unabhängigkeits- und 48er-Partei 8  Bürgerlich Radikale Landespartei 9  Gräfe, S.  885 – 900. Hauszmann, János: Bürgerlicher Radikalismus und demokratisches Denken in Ungarn des 20. Jahrhunderts. Der Jászi-Kreis um „Huszadik Század“ (1900 – 1949), Frankfurt 1988. Fischer, Holger: Oszkár Jászi und Mihály Károlyi. München 1978. 10  Geyr, S. 174. 11 Ebenda. 12  Zitiert nach Schickert, Klaus: Die Judenfrage in Ungarn. Jüdische Assimilation und antisemitische Bewegung im 19. und 20. Jahrhundert. Essen 1943, S. 138 f. 13 Sohn Kálmán Tiszas.

Kap. 3: Umsetzung von GA XLIII/1895

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sungskonflikt auslösend, war die Ära liberaler ungarischer Politik gänzlich vorbei. Neue politische Strömungen stellten sich ihnen entgegen, wie zum Beispiel sozialistische, magyarische, klerikal konservative Kräfte. Was dann folgte war die sogenannte ungarische Krise. Da die Opposition trotz Mehrheit keine Regierungsbildung vornehmen konnte, rief sie zum nationalen Widerstand auf; es folgten landesweite Streiks und Verweigerung von Steuerzahlungen. Angeheizt wurde die Stimmung zusätzlich von der Russischen Revolution 1905. Schließlich erteilte der Hof seine Zustimmung zu einer Regierung unter dem in der Zwischenzeit aus dem parteipolitischen Leben ausgeschiedenen und bei den konservativen Habsburgern wegen der Kirchengesetze unbeliebten, aber hinter dem 1867er Ausgleich stehenden Wekerle. 1906 übernahm Wekerle die Regierungsgeschäfte. Sein Vertreter und gleichzeitig Gegenspieler in Wien war Graf Aladár Zichy, Leiter der Katholischen Volkspartei, der Partei, die als Reaktion auf Wekerles liberalen Kirchengesetze gegründet worden war. Eine von der Regierung angestrebten Wahlrechtsreform konnte nicht durchgesetzt werden.14 1913 übernahm István Tisza, der zwischenzeitlich die Nemzeti Munkapárt (Nationale Arbeitspartei) gegründet hatte, wieder die Regierung. Tisza setzte die rigorose Magyarisierungspolitik fort und sperrte sich vehement gegen die Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Er war es auch, der Ungarn, wenngleich widerstrebend, in den Ersten Weltkrieg führen sollte.15 Nach dem Ausscheiden Tiszas übernahm für einige Monate Móric Esterházy (1881 – 1960) die Regierung und nach ihm erneut Sándor Wekerle. Eine nicht unbedeutende Rolle bei der nationalen Stärkung des Königreiches spielte auch das ungarische Militär und insbesondere die Honvéd, die ungarische Landwehr, mit der sich ja seit 1848 der nationale Gedanke verband – der Schutz der Heimat. 1868 war die allgemeinen Wehrpflicht gesetzlich geregelt und damit ein dreijähriger Präsenzdienst und sieben Jahre Reservedienst festgelegt worden, d. h. der Wehrpflichtige leistete zunächst drei Jahre, wurde zu mehrwöchigen Reserveübungen herangezogen und musste nicht selten zusätzlich Dienst in der Landwehr leisten.16 1890 folgten Landwehrgesetze, die einen zweijährigen Präsenzdienst vorsahen, womit man die Ausbildung einer größeren Menge Rekruten beabsichtigte.17 Auch in den Folgejahren wurde weiter über den Ausbau der Streitkräfte und Geyr, S. 212 ff., 218, 232. Romsics, Magyarország, S. 72 – 74. 16  1881 hatte man auch in Bosnien und der Herzegowina die Wehrpflicht eingeführt, 1886 wurde ein Landsturmgesetz in Österreich und Ungarn erlassen, welches alle wehrtauglichen Bürger erfasste. Dabei handelte es sich um eine Kriegsdienstpflicht für den Fall, dass Teile des Reichsgebiets bedroht waren. Mit dem Wehrgesetz von 1889, Reichsgesetzblatt, 1889, Nr. 41 vom 11. April 1989, wurden die Stärke des Heeres und der Landwehren festgelegt. GA VI/1889 regelte nochmals die allgemeine Wehrpflicht, wobei interessanterweise nur jeder vierte männliche Staatsbürger in Österreich-Ungarn eingezogen wurde. Tt., GA VI/1889. Nach § 8 waren 3 Jahre im gemeinsamen Heer abzuleisten und weitere 10 Jahre Reservedienst bzw. 4 Jahre bei der Marine und 5 Jahre Reservedienst oder/und Dienst bei der Honvéd. Rauchensteiner, Manfried: Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg. Graz 1997, S. 42. 17  Tt., hier V/1890. 14 

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A.  Situation in Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg

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ein neues Wehrgesetz debattiert. Ab 1903 kam es dann in Österreich-Ungarn zu gemeinsamen Aufrüstungsschritten. Der Ausbau der Honvéd zur Machtsicherung der ungarischen Krone war bereits nach dem Ausgleich in den Mittelpunkt militärischer Interessen in Ungarn gerückt, hatte man doch keine eigene ungarische Streitmacht aufstellen können und auch quasi keinen Zugriff auf die k. u. k. Armee. 1905 war es in Verbindung mit der ungarischen Krise zur Forderung nach Trennung der ungarischen Armee von der österreichischen und der Abschaffung der deutschen Kommandosprache gekommen.18 Innenpolitisch gesehen spielte die Militärpolitik in Verbindung mit der Stärkung der magyarischen Nation eine zentrale Rolle. Die Honvéd wurde als Kern einer ungarischen Armee angesehen.19 1908 wurde die österreichisch-ungarische Rüstungsdebatte vorangetrieben und ab der Wehrreform von 1912 massiv gerüstet – der Wehretat aufgestockt, die Artillerie vergrößert, das Rekrutenkontingent erhöht, die Waffenproduktion modernisiert und gesteigert, was auch die ungarische Industrie ankurbelte, einen besonderen Rüstungsschub erfuhr die Marine.20 Angeheizt wurde diese zusätzlich durch die Balkankriege 1912 und 1913, in die Österreich-Ungarn indirekt verwickelt war.21 Militärische Stärke und Präsenz spielten in Österreich-Ungarn eine wichtige Rolle. In diesem Kontext muss auch die Beurteilung der Verweigerungshaltung der Nazarener zu bestimmten militärischen Pflichten gesehen werden.

18  Für den Machterhalt galt die Einheit der k. u. k. Armee befehligt durch den Monarchen für die Habsburger als conditio sine qua non. 19  Kronenbitter, S. 153 – 155, 158 f. Bereits 1889 hatte der spätere ungarische Ministerpräsident Tisza, der wesentlichen Anteil an der Durchsetzung des Wehrgesetzes hatte, postuliert: „Der dunkelste Zug unseres öffentlichen Lebens ist die systematisch verblendete Agitation, welche die Armee und die Nation in feindliche Lager teilt. … Seit ungefähr 12 Jahren sind wir mehr oder weniger von der Gefahr eines europäischen Krieges bedroht. Wir müssen uns auf diesen Krieg noch in der Friedenszeit vorbereiten. Dieser Krieg wird kein Kinderspiel sein, es kann leicht geschehen, daß er über Leben und Tod der ungarischen Nation entscheidet.“ Zitiert nach: www.tiszaistvan.hu. (Zugriff am 10.12.2011). 20  Moderne Schlachtschiffe wurden gebaut. Rothenberg, Gunther: The Army of Francis Joseph. Indiana 1998, S. 164 f. Kronenbitter: Krieg im Frieden, S. 180 f., 194. 21 Österreich-Ungarn suchte die Serben von der Adria fernzuhalten und trug dazu bei, mit Albanien einen neuen Staat zu schaffen. Löding, Dörte: Deutschlands und Österreich-Ungarns Balkanpolitik von 1912 – 1914 unter besonderer Berücksichtigung ihrer Wirtschaftsinteressen. Hamburg 1969, S. 38, 157. Vgl. Boeckh, Katrin: Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg. Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung am Balkan. München 1996.

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Kap. 3: Umsetzung von GA XLIII/1895

B.  GA XLIII/1895 und die Religionsgemeinschaften vor dem Ersten Weltkrieg Die Implementierung der liberalen Gesetzgebung des GA XLIII/1895 stellte für die Behörden vor allem, was die Behandlung nicht anerkannter Gemeinschaften betraf, eine Herausforderung dar.22 Die neuen Gemeinschaften, ihre Lehren, ihre Tätigkeiten und ihr Verhalten erschienen fremd und suspekt und vor allem abweichend von vertrauten alten Traditionen und Bräuchen. Nicht zu vergessen ist, dass das Gesetz nur gegen den heftigen Widerstand der katholischen Kirche und der katholischen Volkspartei angenommen worden war und letztere sich für die Revision der Kirchengesetze und für die Autonomie der katholischen Kirche einsetzte. Das Oberhaus war zwar mit GA VII/1895 reformiert worden, wodurch auch Vertreter des Bildungsbürgertums und der Wirtschaft ins Oberhaus gelangten, die Einfluss auf das Gesetz der Religionsfreiheit nehmen konnten, aber 1896 gelangte auch die „Volkspartei“ ins Parlament und stellte sich der liberalen Partei in kirchenpolitischen Fragen entgegen.23 Gleich nach Erlass des Gesetzes XLIII/1895 bemühten sich auch die Freien Israeliten um Anerkennung, die ihnen jedoch verwehrt wurde. Wie aus dem Protokoll der Ministerratssitzung vom 18. November 1897 hervorgeht, kündigte der Religions- und Kultusminister an, „dass er die Bitte des provisorischen Vorstands der in Budapest unter dem Namen ‚Freie Israeliten‘ entstandenen Glaubensgemeinschaft, diese Glaubensgemeinschaft gemäß GA XLIII/1895 zur gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaft zu erklären, abzulehnen beabsichtige, weil er den Nachweis zur Aufstellung und Aufrechterhaltung von mindestens einer Kirchengemeinde als unzulänglich hält, und aus der Sicht von Punkt 4.b) und 3.b) von § 8 des zitierten GA auch Bedenken hat“.24 Die Ablehnung erfolgte demnach zum einen, weil die Freien Israeliten das Bestehen einer Kirchengemeinde nicht glaubhaft nachweisen konnten, und zum anderen, weil man ihnen unter Bezug auf Punkt 4.b vorwarf, rezipierte oder gesetzlich anerkannte Religionen zu verletzen und man mit Verweis auf Punkt 3.b ein Problem mit bestehenden Gesetzen oder öffentlichen Sitten zu erkennen glaubte. Um was es sich dabei genau handelte, bleibt im Dunkeln.25 Um hinsichtlich der Präsenz der nicht anerkannten Gemeinschaften und ihrer Anhängerzahl auf dem Laufenden zu sein, wandte sich der Kultusminister am 21. Januar 1897 mit der Verordnung 73.101 an die Munizipialbehörden und forderte sie auf, die Anzahl der „außerhalb der Religionsgemeinschaften“ stehenden

22  Im Gegensatz zu vielen anderen machte sich zum Beispiel der Politiker, Jurist und Publizist Kárloy Eötvös selbst ein Bild von den Nazarenern und veröffentlichte seine Erkenntnisse in einem Buch. In den einleitenden Worten schrieb er: „Weder empfehle ich noch verdamme ich ihren Glauben und ihre Religion.“ Eötvös, S. 2. 23  Sternberger/Vogel, S. 1372. 24  MOL, Digit-Archiv, MT-1897 – 11 – 18. 25  Weitere Dokumente ließen sich bisher nicht nachweisen.

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Personen aus statistischen Gründen jährlich zu berichten.26 Im selben Jahr hatten sich die Nazarener mit Bezug auf GA XLIII/1895 wegen einer Lösung des Problems der Verweigerung des Dienstes an der Waffe und der Eidesablage an den Verteidigungs- und den Kultusminister gewandt. Gleichzeitig reichten sie erneut ihre Statuten und eine Aufstellung ihrer Glaubensansichten ein, was am 18. April 1898 aus Gründen der Unerfüllbarkeit abgelehnt wurde.27 Im Folgenden soll das Vorgehen der Behörden in Verbindung mit den nicht anerkannten Gemeinschaften anhand einiger Vorkommnisse aufgezeigt werden.

I.  Tätigkeit der Siebententags-Adventisten Zu den außerhalb stehenden Gemeinschaften zählten die Siebenten-Tags-Adventisten (STA). Wie aus einem späteren Bericht von Graf Kunó Klebelsberg (1875 – 1932) aus dem Jahr 1923 hervorgeht, ist „die sogenannte Siebententags-Adventisten-Missionsgesellschaft seit 1897 in Ungarn tätig“. Das bestätigt sich auch durch andere Berichte, wonach es 1890 erste missionarische Erfolge in Österreich-Ungarn gegeben hatte, 1895 war in Klausenburg in Siebenbürgen zunächst von meist deutschsprachigen Gläubigen eine Gemeinde gegründet worden. Das Werk breitete sich dann von hier insbesondere durch die missionarische Tätigkeit John F. Huenergardts ab 1898 weiter aus. Weitere Gemeinden bildeten sich unter anderem in Fogaras, Arad, Kronstadt und Budapest.28 Zu den Zentrallehren der Gemeinschaft gehört das Halten des Sabbats; sie unterscheiden sich von den historischen Kirchen auch durch die Ankündigung des endzeitlichen Gerichts, ferner da sie die Kindertaufe ablehnen und nicht an ein Weiterleben nach dem Tod glauben.29 Ihre Gemeinden werden ehrenamtlich von Ältesten, Diakonen, Schatzmeistern, Bibelschulvorstehern und Missionsverwaltern geleitet. Eine wichtige Rolle kommt Schulen, der Schriftenmission und dem Gesundheitswerk zu. Die Gemeinschaft in Ungarn hatte enge Kontakte ins Ausland, vor allem nach Deutschland und in die USA.30 Am 12. November 1898 richtete sich der Kultusminister an den Justizminister in Sachen Entstehung einer Glaubensgemeinschaft nach den Statuten der Siebenten-Tags-Adventisten im Komitat Fogaras und stellte dabei fest, sie seien politisch orientiert, und übersandte als Beleg eine Flugschrift. Er erklärte: „Wie aus dem Text des sich unter den Dokumenten befindlichen rosafarbenen mit weißem Papier beklebten Plakats hervorgeht, der gegen das Licht gehalten sichtbar wird, befasst 26 

MRT 1897, VO 73.101, S. 156. Palotay/Szigeti, S. 18 f. 28  Heinz, Daniel: Church, State and Religious Dissent. A History of Seventh-day Adventists in Austria, 1890 – 1975. Frankfurt 1993. S. 60 f., 66, 69. 29  Mit dem Tod tritt ein schlafähnlicher Zustand ein, der bis zur Auferstehung während der Wiederkunft Christi anhält. 30  Galling, Kurt (Hrsg.): Die Religionen in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft, Bd. II. Tübingen 31958, S. 1157 f. 27 

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sich die zur Rede stehende religiöse Gemeinschaft mit Politik, genauer mit der Erörterung internationaler Fragen.“31 Der Justizminister setzte sich zunächst mit dem Sachverhalt auseinander und stellte fest, dass die Gemeinschaft öffentliche Vorträge hielt, ohne dafür Eintrittsgelder zu verlangen und auf Plakaten ihre Vortragsthemen ankündigte. So zum Beispiel: „Ist die Bibel Gottes Wort?“, „Die Zukunft des Menschen“, „Die Ausbreitung des Antichristen“, „Was sagt die Bibel über den Verfall [oder Untergang] der Türkei?“. Er stellte weiter fest, dass die Vorträge bei den Behörden angemeldet wurden und „aus Gründen der öffentlichen Sitte kein Einwand dagegen erhoben werden“ konnte. In seiner Antwort an den Innenminister, zur Klärung der weiteren Duldung der Tätigkeit der Gemeinschaft, erklärte er in einem handschriftlichen Manuskript nochmals die Rechtsgrundlage: „Nach dem Gesetz zur freien Religionsausübung § 1 Abs. 1 XLIII/1895 kann jeder innerhalb der Grenzen der Landesgesetze und der der öffentlichen Sitte jedweden Glauben oder jedwede Religion frei wählen bzw. nachfolgen, nach außen zum Ausdruck bringen und ausüben.“ In einer Randnotiz des Dokumentes heißt es: „Dazu, dass die Anhänger dieser religiösen Überzeugung sich zu einer gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft entwickeln, ist keinerlei Druck auszuüben. […] Die Entscheidung zu der Frage, ob die Adventisten berechtigt sind, öffentliche Gottesdienste, oder wie die Plakate zeigen, eher öffentliche Vorlesungen abzuhalten, liegt meiner Meinung nach im Wirkungsbereich des Herrn Innenminister.“32 Danach stärkte der Justizminister nachdrücklich das Recht nicht anerkannter Kirchen, Gottesdienste abzuhalten: „Der § 9 XLIII/1895 erwähnt als ein besonderes Recht der gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften, dass diese die gemeinsamen öffentlichen Gottesdienste frei ausüben dürfen. Daraus folgt aber meiner Meinung nach nicht, dass andere überhaupt keine öffentlichen Gottesdienste abhalten dürfen, weil § 31 des zitierten Gesetzes das Recht auch für die, in unserer Heimat durchreisenden oder sich aufhaltenden Fremden gibt, mit den dort erwähnten Voraussetzungen öffentliche Gottesdienste abhalten zu dürfen. Unter den Voraussetzungen erwähnt das Gesetz besonders, dass der öffentliche Gottesdienst der Polizeibehörde im Voraus angemeldet wird. Und mit dieser Voraussetzung ist die Abhaltung des öffentlichen Gottesdienstes angesichts des § 1 XLIII/1895 innerhalb der dort erwähnten Grenzen zweifellos auch ein Recht der ungarischen Staatsbürger. Das gleiche ist auch von öffentlichen Vorlesungen zu halten, ob sie religiösen Inhalts sind oder nicht.“ Gottesdienste oder öffentliche Vorlesungen abzuhalten war somit nicht ein Privileg rezipierter oder anerkannter Gemeinschaften. Außerdem musste sich der Inhalt seiner Aussage zufolge nicht auf religiöse Themen beschränken. Gleichzeitig zeigte der Justizminister einen organisatorisch-rechtlichen Weg auf, den künftige Gemeinschaften nehmen könnten: „Aus dem Recht der Bürger, sich frei zu vereinen, ergibt sich, dass gleichgesinnte Personen innerhalb der Grenzen des Vereinsrechts und des § 1 XLIII/1895, eigene Vereine zur Ausübung 31 

32 

MOL, K579 – 1898, Bl. 7. Ebenda, Bl. 5 f.

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ihres Glaubens oder Religion gründen können. Diese Gründung ist nur nach der IM VO vom 2.5.1875, Nr. 1.508, zu bewirken.“ Diese VO gab vor, welche Art Verein gebildet werden konnte: Vereine mit politischer, gewinnorientierter, humanistischer, kultureller oder wirtschaftlicher Ausrichtung. Entsprechend hätte die STA sich dann einzufügen. Voraussetzung wäre in diesem Fall, sich vom Innenminister die Statuten genehmigen zu lassen, die jedoch noch nicht vorlagen. An dieser Stelle nahm die Antwort des Justizministers aus nicht ersichtlichen Gründen, möglicherweise mangels Statuten oder aufgrund behördeninterner Abstimmungen, eine extreme Wendung. Er schlug vor, die Zusammenkünfte der STA zu verbieten, „weil sie über keine, vom Innenminister genehmigten Statuten verfügen“. Wenngleich die STA über die Bildung einer Vereinigung eine Lösung suchen konnte, hatte sie dennoch wenig Chance, ihre Zusammenkünfte abzuhalten, da offensichtlich die Einstellung der Behörden sowohl an oberster und, wie dieser Fall belegt, auch an unterer Stelle eher konservativ, einschränkend ausgerichtet war – entgegen der ehemals liberalen Haltung der Reformkräfte. So erklärte der Justizminister: „Wenn die Adventisten danach in Fogaras eine Privatvereinigung bilden möchten, und sie ihre Statuten zur regierungsbehördlichen Genehmigung vorlegen würden, dann könnte man dafür sorgen, dass sie zur Abhaltung von ähnlichen öffentlichen Vorträgen, wie auf den beigefügten Plakaten, keine Berechtigung erhalten.“ Wie auch immer sich die STA organisierte, ihre Zusammenkünfte würden nicht genehmigt. Unklar erscheint, was konkret den Justizminister an den Vortrags-Themen störte, da sie alle biblische Themen zum Inhalt hatten – bis auf eins zur Türkei, das sich auf den „kranken Mann am Bosporus“, das geschwächte Osmanische Reich, beziehen konnte.33 Interessant ist auch, dass der Justizminister aus bereits so wenig Information schon darauf schloss, die Zusammenkünfte untersagen zu müssen. Weiter erwähnte der Justizminister in einer „Pro domo“ Notiz: „Die Privatvereinigung ist […] in sich nicht berechtigt zur Abhaltung von öffentlichen gemeinsamen Gottesdiensten oder öffentlichen Versammlungen. […] Wenn die vorliegenden Zusammenkünfte große Dimensionen annehmen würden, sodass man diese Zusammenkünfte als eine Versammlung mit politischem Charakter ansehen könnte; vorausgesetzt, dass sie keinen Verein oder keine Vereinigung bilden, ist es aufgrund der Praxis gestützt auf I.M. [innenministerlichen] VO von 26. April 184834 zu verlangen, dass die Versammlung zusammen mit dem Programm bei der Verwaltungsbehörde im Voraus angemeldet wird. Die Behörde kann sich an der Versammlung vertreten lassen, und falls der Polizeifunktionär findet, dass es 33  1875 war es zum Staatsbankrott gekommen. Das Osmanische Reich, auch Türkisches Reich genannt, kämpfte im 19. Jahrhundert auch gegen den territorialen Zerfall. Es begann sich aus den europäischen Territorien zurückzuziehen. In dessen Folge fiel 1878 Bosnien, Herzegowina unter österreichisch-ungarische Hoheit. Buchmann, Bertrand Michael: Österreich und das Osmanische Reich: eine bilaterale Geschichte. Wien 1999, S. 184, 231 f. Jorga, Nicolae: Geschichte des Osmanischen Reiches. Gotha 1913. Vgl. Herm, Gerhard: Der Balkan. Das Pulverfaß Europas. Düsseldorf 1993, S. 278. 34 Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen Bezug auf die Innenminister-VO 216/1848 vom 28. April zu Volksversammlungen.

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bei der Versammlung zu einer die öffentliche Ordnung und öffentliche Moral bedrohenden Bewegungen kommt, ist er berechtigt die Auflösung der Versammlung zu verlangen, eventuell dies, falls der Vorsitzende es nicht tun würde, auch selber zu verordnen.“35 Würden also die Zusammenkünfte auf der Basis von Vereinen stattfinden und hätten keinen politischen Charakter, müssten sie nicht angemeldet werden. In jedem Fall aber hatten die Behörden die Möglichkeit, Zusammenkünfte zu untersagen oder abzubrechen. Die Grundhaltung des Justizministers gegenüber den nicht anerkannten Gemeinschaften erscheint eher negativ. Im Unterschied zu dem liberalen Versammlungsrecht mit VO 216/1848, das diesem einen hohen Stellenwert beimaß und Versammlungen nur bei „schwerem Aufruhr“ untersagte, steckte man hier mit Bezug auf eben diese Verordnung die Grenzen bei Weitem enger. Nach VO 216/1848 waren Probleme bei Versammlungen an sich noch kein Grund, sie zu untersagen. Eingegriffen werden sollte erst bei einer maßgeblichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung. Von dieser Maßgabe wich die prinzipiell liberale Regierung im ausgehenden 19. Jahrhundert ab.

II.  Gotteshäuser der Nazarener Auch die Nazarener nutzten ihre neue religiöse Freiheit, und bauten Gotteshäuser, so zum Beispiel in Szeged. Diese Tatsache rief am 31. Januar 1903 den Verteidigungsminister auf den Plan, der sich wegen der Aktivität der Nazarener in seinem Schreiben36 direkt an Ministerpräsident Kálmán (Koloman) Széll (1843 – 1915)37 wandte. Er stellte fest, dass „sich gemäß dem Gesetz zur freien Religionsausübung XLIII/1895, § 1a jeder zu jedweder Religion bekennen und ihr nachfolgen kann, sie aber nur innerhalb der Landesgesetze ausüben kann und der Betreffende darf bei der Ausübung solcher religiöser Zeremonien nicht gehindert werden, wenn sie nicht gegen Gesetze oder die öffentlichen Sitten verstoßen“. Offenbar zutreffend auf die Nazarener, denn es heißt weiter, dass „die freie Religionsausübung und die Verbreitung der Nazarener von den Staatsbehörden bisher in keinster Weise behindert oder eingeschränkt wurde, was jedoch ein Grund dafür ist, dass die Glaubensanhänger sich in den Ländern der ungarischen Krone bekannterweise im großen Maß vermehrt haben“. Sein Problem im Hinblick auf die militärischen Interessen: „Von Jahr zu Jahr nimmt die Zahl der Soldaten zu, die unter Bezug auf die Glaubensgrundsätze der Nazarener die gesetzliche Anforderung der Wehrpflicht, die Waffe in die Hand zu nehmen und damit zu trainieren, nicht erfüllen und trotz der zuvor wohlwollenden Ermahnung und der gegen sie angewandten Disziplinarstrafe lieber bereit sind, die gegen sie als letztes Mittel durch das Militärgericht (MG) verhängte mehrjährige Gefängnisstrafe zu verbüßen, als den Befehl ihrer 35 

Ebenda, Bl. 5 f. Az. 2202, Unterschrift Dezső Gromon (1838 – 1912), 1884 zum Staatssekretär des VM ernannt. 37  26. Februar 1899 bis 27. Juni 1903. Ministerpräsident, zugleich eine Zeitlang Innenminister. 36 

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Vorgesetzten zu erfüllen und den Waffendienst durchzuführen.“ Nach ihrer Haft­ entlassung würden sie „erneut den Befehl verweigern, die Waffe in die Hand zu nehmen. Die Verkehrtheit der Sache wird noch dadurch verschärft, dass gegen den insubordinanten nazarenischen Soldaten, als Aufwiegler fungierenden Täter, § 149 Militärstrafgesetz angewandt wird, wonach das bewusste Subordinationsvergehen mit 3 bis 5 Jahren, in Kriegszeiten 5 bis 10 Jahren Haft, unter Umständen sogar mit Tod durch Erschießen bestraft wird, während seine nicht unter der Militärgerichtsbarkeit stehenden Glaubensgenossen nicht einmal zur Verantwortung gezogen werden können. Wenngleich heutzutage, da wir in Friedenszeiten leben, die oben geschilderten militärisch zu disziplinierenden Erscheinungen der zersetzenden Reaktionen noch nicht in bedenklicher Weise zu verspüren sind; und das bewusste Subordinationsvergehen und die Bissabdrücke der Strenge des Militärstrafgesetzes geben heute noch genügend Mittel und Wege“. Ganz offensichtlich wäre der Verteidigungsminister gern rechtlich gegen Zivilpersonen vorgegangen, die aufgrund ihres Glaubens ebenfalls den Militärdienst ablehnen würden, was ihm jedoch nicht möglich war, da sie nicht der Militärgerichtsbarkeit unterstanden. Also versuchte er, Einfluss auf die zivilen Behörden zu nehmen, ihrerseits gegen Glaubensansichten vorzugehen, in deren Folge Personen in irgendeiner Weise den Militärdienst verweigerten. Der Verteidigungsminister erklärte, nicht tatenlos zusehen zu wollen, „weil es nicht ausgeschlossen ist, dass die Prinzipien der Nazarener sich in größerem Maße ausbreiten vor allem in Zeiten der Mobilmachung der Streitkräfte zur Erhöhung der Truppenstärke; der bekannte Fanatismus der Nazarener in Verbindung mit ihren Glaubensansichten verursacht so viele Subordinationsvergehen, wodurch die Kampfbereitschaft mancher Truppen nachteilig beeinflusst werden könnte“. Daher kam er zu dem Schluss, „dass die Nachsicht, die die Staatsgewalt der Tätigkeit und Ausbreitung der Sekte der Nazarener gegenüber übte, mit den Sicherheitsinteressen des Staates nicht weiter vereinbar ist und das jetzt die beste Zeit dafür ist, zur Beendigung der ungünstigen Zustände der Ausbreitung und Ausübung der Glaubensansichten der Nazarener einen Riegel vorzuschieben, wofür die durch das Gesetz zur freien Religionsausübung hervorgebrachten Anordnungen hinreichend Grund liefern. Gemäß § 1 Gesetzesartikel VI/1889 zur Wehrpflicht gibt es eine allgemeine Wehrpflicht und jeder wehrpflichtige Staatsbürger ist persönlich verpflichtet, ihn zu leisten. Die Wehrpflicht besteht in erster Linie in der bewaffneten Verteidigung des Vaterlandes gegen die äußeren und inneren Feinde. Die Religionsgemeinschaft, deren grundlegende Glaubensansichten nicht erlauben, Waffen in die Hand zu nehmen, das sogar zur Sünde erklärt und dadurch direkt jeden wehrfähigen Staatsbürger gleichermaßen verbietet, den mit der (betreffenden) Wehrpflicht untrennbar verbundenen Waffendienst zu leisten […,] diese Religionsgesellschaft verkündet gegen Gesetze verstoßende Glaubensgrundsätze und Lehren, stiftet zur Gesetzesübertretung an und fanatisiert, und verfolgt staatsgefährdende Ziele, demzufolge sie nicht nur keine Anerkennung vom Staat zu erwarten hat, sondern auch das Recht der Religionsausübung und Versammlung beschränkt werden kann und zu beschränken ist.“ Wieder war es also der Militärdienst. In der Einstellung der

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Nazarener, den Dienst an der Waffe zu verweigern, sah der Verteidigungsminister einen Tatbestand, der den Verstoß gegen Landesgesetze gemäß § 1 XLIII/1895 erfüllte und auf dessen Grundlage die freie Religionsausübung eingeschränkt werden konnte. Konkret führte er am Ende seines Schreibens den Bau eines Bethauses durch die Nazarener im belebten Innenstadtbereich von Szeged an. Ihm war daran gelegen, „die vom Szegeder Stadtrat direkt zum Bethausbau erteilte Genehmigung eventuell außer Kraft zu setzen“ und „das Recht zur öffentlichen Ausübung und zum Versammeln der betreffenden gesetzlich nicht rezipierten und staatlich nicht anerkannten, im Widerspruch zu den Gesetzen unseres Vaterlandes stehenden Religionsgemeinschaft bzw. ihre Ausbreitung durch allgemeine Anordnungen entsprechend einzuschränken“.38 Am 28. Juni 190339 wandte sich der Innenminister unter Bezug auf dieses Schreiben an den Justizminister, den parteilosen Sándor Plósz (1846 – 1925), und bat um Stellungnahme.40 In einer handschriftlichen Version seines Antwortschreibens vom 24. Oktober 1903 stellte der Justizminister daraufhin zunächst fest, dass sich das äußere Auftreten und die Tätigkeit der „Nazarener Religion“ innerhalb der Landesgesetze abspiele. „Was allerdings die Lehren über das Verbot der Religion zum Dienst an der Waffe anbelangt, so verstößt sie gegen die Gesetze des Staates zur Selbstverteidigung, deshalb haben die Nachfolger der erwähnten Religion keinen Anspruch auf den, im zitierten Gesetz gesicherten Schutz.“ Dem Innenminister unterstellte Amtspersonen hätten daher nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, „gegen die Verkündigung der gegen die Gesetze des Staates verstoßenden und damit gemeingefährlichen Lehren dienenden Zusammenkünften vorbeugend vorzugehen, solange man von der Verkündigung dieser Lehren nicht absteht“. Daher könnten „die Verwaltungsbehörden unmöglich die Entstehung der Vereinigung der Nachfolger der sog. Nazarener Religion zur Kenntnis nehmen“ und auch nicht eine Erteilung der Baugenehmigung für ein öffentliches Gotteshaus gutheißen. Eine andere ebenfalls handschriftliche Version vom 22. Dezember 1903 richtete sich zwar auch gegen den Bau eines Gotteshauses, aber räumte der Gemeinschaft doch das Recht ein, sich zu versammeln: „§ 9 des GA 1895/XLIII bezieht sich nur auf die dort genannten Zwecke der Immobilienbeschaffung der gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften. Daher wird die Nazarener Sekte [Streichung im Original] Glaubensgemeinschaft oder Versammlung in dieser Qualität [also als nicht anerkannte Religionsgemeinschaft] eine Immobilie zur Errichtung eines Gebetshauses – wie es wohl in Szeged geschah – nicht beschaffen können und die 38 

39 

MOL, K579 – 1904, Bl. 33 f. Ministerpräsident ist vom 27. Juni 1903 bis 3. November 1903 Károly Khuen-Héder­

váry. 40  Ebenda, Bl. 32. Ein interner Aktenvermerk des Justizministers vom 5. Juli 1903 verweist auf die VO 12.548 vom 13.8.1868 von Eötvös zur Registrierung Neugeborener und Verstorbener die Nazarener betreffend und die VO von Trefort, der polizeiliche Überwachung der Tätigkeit verfügte. Ferner auf die VO 4.075 von 1895 über die Gültigkeit des Gesetzes XLIII in Fiume (heute Rijeka/Kroatien), die VO 73.101/1896 über die Meldung der Zahl der Angehörigen nicht anerkannter Gemeinschaften.

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Verwaltungsbehörden können die Errichtung eines Bethauses aus diesem Zwecke nicht genehmigen.“ In einer Randbemerkung griff der Justizminister die bereits zuvor in Verbindung mit der STA Überlegung auf, wonach Fremde das Recht haben, öffentliche Gottesdienste abzuhalten und schlussfolgerte: „Meiner Meinung nach ist daraus nicht abzuleiten, dass andere nicht auch gemeinsam öffentlich Gottesdienst abhalten können […]. Dieses Recht ist also zweifelsohne neben den vorliegenden Einschränkungen auch für den ungarischen Staatsbürger gültig.“ Damit gab der Justizminister grundsätzlich grünes Licht für das Abhalten von Zusammenkünften bzw. Gottesdiensten nicht anerkannter Religionsgemeinschaften. Im Fall der Nazarener sogar, obwohl sie, wie der Verteidigungsminister feststellte, gegen Gesetze verstoßen. In gewisser Hinsicht spiegelte er damit ein wenig die Haltung Eötvös wider, der sich durch das Gesetz zur Religionsfreiheit eine Lösung der Problematik erhofft und 1870 dem damaligen Verteidigungsminister erklärt hatte, dass der Staat bis dahin eine solche Gemeinschaft zwar nicht anerkennen, sie aber auch nicht verfolgen sollte. Interessant ist die Herleitung des Rechts auf Abhalten von Zusammenkünften vom Justizminister: Zum einen, weil das Gesetz das Abhalten von Gottesdiensten nicht anerkannter Gemeinschaften nicht explizit ausschließt und zum anderen, weil das Recht eines ungarischen Staatsbürgers in seinem Heimatland nicht hinter dem eines Ausländers zurückstehen dürfe. Gleichzeitig knüpfte der Minister das Abhalten der Gottesdienste an die Bedingung, „öffentliche religiöse Zusammenkünfte“ „nur nach vorheriger polizeibehördlicher Genehmigung“ abzuhalten. In einer weiteren Randbemerkung wurde hinzugefügt: „Und bei den öffentlichen Gottesdiensten ist von Seiten der Polizei Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass die verkündeten Lehren nicht den Gesetzen des Staates zuwiderlaufen.“ Hier also wollte er der Forderung des Verteidigungsministers gerecht werden. Der dann folgende weitere Text, der durchgestrichen wurde,41 hebt nochmals diesen Punkt hervor: „Aus Sicht der Polizeibehörden sehe ich es allerdings auch als angebracht an, bei Erteilung der Erlaubnis strenger vorzugehen, denn ich bin derselben Meinung wie der Herr Verteidigungsminister, dass die Lehren der betreffenden Sekte, die verbieten Dienst an der Waffe zu verrichten, mit den Staatsschutzinteressen kollidieren.“ Er schloss an, die Verwaltungsorgane seien zu informieren, „dass sie nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, gegen die staatlichen Gesetze verstoßende und so gemeingefährliche Lehren-Verbreitung die nötige Sorge und Aufmerksamkeit zu schenken“.42 Betrachtet man den großen Zeitunterschied von der Anfrage des Verteidigungsministers von Ende Januar bis zur Antwort des Justizministers im Dezember und die mehrfach erfolgten Überarbeitungen beziehungsweise Stellungnahmen, lässt das erkennen, dass dem Minister die Formulierung oder Findung einer juristisch begründeten einschränkenden Regelung nicht leicht 41  Unklar ist, ob der handschriftliche Text diagonal durchgestrichen wurde, weil er so nicht übernommen wurde, oder ob man damit die Erledigung einer Abschrift gekennzeichnet hat. 42  MOL, K579 – 1904, Bl. 29 f., 35.

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gefallen sein dürfte. Was den Bau eines Gotteshauses anbelangt, gewährleistete man den gesetzlich anerkannten öffentlich religiösen Körperschaften das Recht des Grundstückserwerbs für Gebäude mit religiösem Zweck nach Paragraph 9 XLIII/1895, das schloss selbiges aber für nicht anerkannte Religionsgemeinschaften nicht aus, wobei hier jedoch das Argument der Beteiligung von Ausländern nicht greift. Allerdings differierten die Einstellung einzelner lokaler Behörden und ihrer Beamten verschiedentlich beim Umgang mit den Gemeinschaften. So berichtete das Titeler Amtsgericht am 31. Januar 1904 dem Justizminister, dass es „in fast jedem Ort im Gebiet des Amtsgericht von Titel […] Glaubensangehörige der Nazarener (Nachfolger Christi, Söhne des Lichts) gibt, die zur Pflege ihrer religiösen Gesinnung regelrechte Bethäuser haben“. Die Gemeinschaft konnte also des Öfteren bereits legal Gotteshäuser errichten. Als es jedoch um die Grundbucheintragung ging, sträubten sich die Behörden und versuchten sich aus der Affäre zu ziehen. So wird berichtet, das Katasteramt habe die Sache „gelöst“, indem es den „vorgelegten Antrag immer wieder abgelehnt“ und die regelmäßigen Anfragen der Nazarener abgewiesen habe. Dennoch, so stellt das Justizministerium fest, habe es in letzter Zeit diesbezüglich einen Richtungswechsel gegeben, und es wäre eine Eintragung vorgenommen worden. Der Schreiber war der Auffassung, dass die Eintragung nach § 9 nur dann erfolgen konnte, wenn die Gemeinschaft nach § 7 GA XLIII/ 1895 gesetzlich anerkannt wurde, dem jedoch stünden ihre teilweise staatsfeindlichen Glaubensansichten und Lehren gegenüber, so sei es „ihnen nicht erlaubt, zur Waffe zu greifen“ und „ihr Glaubensleben [sei] in der heutigen bestehenden gesetzlichen Ordnung gesetzlich nicht organisierbar“. Die letzte Aussage könnte sich auf die Lebensweise der Nazarener bezogen haben, die sich streng an der Bibel orientierte, wonach sie auch die Kindertaufe ablehnten, was nach der Meinung mancher Behörden einer Registrierung entgegenstand. Er könnte sich aber ebenfalls darauf bezogen haben, dass sie nicht bereit waren, einen Eid abzulegen – wobei es sich bei diesen Argumenten nicht um Gesetzesverstöße handelte, die eine Einschränkung gerechtfertigt hätten. Das Justizministerium war der Auffassung, es wäre nicht zweckmäßig, den Nazarenern das Recht auf Eigenerwerb zuzugestehen.43 Dem Schreiben des Innenministers vom 27. Februar 1904 zufolge ging der Justizminister der Sache nach,44 um den uneinheitlichen Umgang der Behörden zu beenden, sich diesbezüglich mit dem Innenminister zu verständigen und danach die weitere Verfahrensweise allgemein kundzutun.45 In der Zwischenzeit wandte sich Ministerpräsident Graf Tisza46 in seiner Funktion als Innenminister am 26. August 1904 persönlich an den Verteidigungsmi43 

Ebenda, Bl. 27. Ebenda, Bl. 25. 45  Ebenda, Bl.  22 – 25. 46  Tisza war 3. November 1903 bis 18. Juni 1906 Ministerpräsident und Innenminister. Seine extreme, teilweise gewaltbereite Vorgehensweise gegen die parlamentarische Opposition polarisierte. 44 

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nister Sándor Nyiri47 mit einer durchaus überraschenden Feststellung. Er erklärte, er halte „die strenge disziplinierende und strafende Macht der Militärbehörden gegenüber den ablehnenden Nazarener-Soldaten zur Abwehr dieser schädlichen Auswirkungen für ein ausreichendes Mittel“, insbesondere auch deshalb, weil „die Nazarener bezüglich ihres starren Standpunktes, wonach zur Waffe zu greifen für sie eine schwere Sünde bedeutet, beginnen einzulenken und sich in ihren Kreisen hoffentlich teils durch gutmütige Aufklärung, teils durch die harte Bestrafung von militärischem Ungehorsam eine vernünftigere Auffassung immer mehr durchsetzen wird“. Und danach kam er zu dem offenen, deutlichen Schluss: „Die Anwendung strengerer Maßnahmen durch die Behörden ist auch aus anderen Gründen nicht angezeigt, weil die Lehren der Nazarener, abgesehen davon, nichts beinhalten, was gegen die bestehenden Gesetze oder Sittenmaßstäbe verstößt, ganz im Gegenteil, sie sind geeignet, die Moral der untersten Volksschichten zu zähmen, vernünftigen Lebenswandel und religiösen Eifer zu befördern.“ Mit anderen Worten, die Lehre dieser Gemeinschaft wäre eigentlich für die Gesellschaft nützlich. Seiner Ansicht nach lag der Erfolg der Lehre der Nazarener darin, dass sie „die religiösen Bedürfnisse des Volkes befriedigen, welchen […] die Geistlichen bisher nicht in der nötigen Weise nachkamen“. Eine polizeiliche Beschränkung sah er nicht für angezeigt; er gewann der Tätigkeit vielmehr etwas Positives ab. Die Erfahrung habe gezeigt, „dass der Erfolg des Nazarenismus als mahnendes und anspornendes Beispiel für die Geistlichen der anerkannten Religionsgemeinschaften in der Richtung dient, dass sie sich häufiger um ihre Gläubigen kümmern, das Glaubensleben befördern, die religiösen Bedürfnisse befriedigen und sie in jeder Hinsicht nach Kräften unterstützen“.48 Eine Abschrift dieses Schreibens ging auch an den Justizminister. Der Justizminister wandte sich am 5. September 1904 mit Verweis auf das Schreiben Tiszas an den Präsidenten des Titeler Gerichts und forderte ihn auf, alle zuständigen Gerichte zu informieren, dass in Übereinstimmung mit dem Innenund dem Justizminister „die Religionsgemeinschaft oder Versammlung der Nazarener in dieser Eigenschaft Grundstücke auch zum Zweck der Errichtung eines Bethauses nicht anschaffen darf und die Verwaltungsbehörden die Genehmigung für einen solchen Zweck, zur Errichtung eines Bethauses nicht erteilen können, weil die in § 9a GA 1895/XLIII aufgeführten Zwecke bezüglich der Beschaffung eines Bethauses sich nur auf gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften beziehen“.49 Doch damit war die Sache der Grundbucheintragungen noch nicht vom Tisch. Wie der Kultusminister in seinem Schreiben an den Justizminister Antal Günther (1847 – 1920)50 vom 8. Mai 1909 zu berichten wusste, war es in Teregova zu einer Grundbucheintragung in Sachen Nazarener gekommen. Der Kultusminister infor47 

VM v. 3.11.1903 bis 18.6.1905. MOL, K579 – 1904, Bl. 21., Az.: 72.590/904. 49  Ebenda, Bl. 18 f., 36, Az. 29.103. 50  Er amtete zwischen 1907 und 1909 als Justizminister. 48 

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mierte daraufhin den Obergespan des Komitats Temesvár, dass „die sogenannte Nazarener Religionsgemeinschaft nicht eigentumserwerbsfähig ist, und die Urkunde zum Eigentumserwerb der oberste Beamte der Munizipialbehörde im Sinne von § 9a XLIII/1895 nicht mit der Vorzeigeklausel versehen werden kann, und in der Folge die sich Nazarener Nennenden oder ihre Versammlung in dieser Eigenschaft Grundstücke nicht erwerben können, weil das Gesetz, § 9a XLIII/1895, nur den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften für die dort angeführten Zwecke unter bestimmten Auflagen das Recht zu Beschaffung zugesteht, demzufolge der Eintrag eines Grundstückes auf die ‚Kirche der an Christus glaubenden Nazarener‘ mit Beschluss des Amtsgerichts von Teregova als Grundbuchbehörde vom 17. Februar 1906, Az. 1011, keinen Bestand haben kann“.51 Noch am selben Tag informierte der Kultusminister über einen weiteren Fall in Alibunár.52 Der folgende Schriftverkehr bemühte sich um Aufklärung, die genaue Suche des Schuldigen und um juristische Aufklärung der zuständigen Mitarbeiter.53 Interessanterweise behauptete der Leiter des Gerichts in Alibunár gegenüber dem Justizministerium am 17. Januar 1910, dass „die Person der Nazarener im Grundstückserwerb nicht eingeschränkt ist, denn darauf bezieht sich das Gesetz § 9 LXIII/1895 nicht“.54 Hier wird deutlich: Das Religionsgesetz konnte in einem liberalen Sinne ausgelegt werden und so einen offenen günstigen Umgang mit den Gemeinschaften ermöglichen. Was den Fall der Szegeder Gemeinschaft der Nazarener anbelangt, so geht später aus einem Schreiben des Polizeipräsidiums vom 6. März 1940 hervor, dass ein 1905 in Szeged errichtetes Bethaus der Nazarener im Grundbuch eingetragen wurde.55 Das würde bedeuten, dass die Szegeder Behörden trotz der klar ablehnenden Haltung des Justizministers sich anders entschieden hatten. Aus dem Schreiben von 1940 geht ferner hervor, dass „gemäß der Darstellung des Nazarener Predigers, János Ördögh sen.“ die Gemeinde „ihre Glaubenssätze in Form eines Statuts zur Genehmigung dem ung. kngl. Religions- und Kultusministerium unterbreitet hat. Die Unterbreitung hat das Ministerium zur Kenntnis genommen, und seitdem waren sie als eine geduldete Glaubensgemeinschaft tätig. Die Gemeinde hat damals einen Beschluss erhalten, nach dem sie tätig sein durfte; diesen konnte ich aber nicht auftreiben, weil die Vorsteher ihn mir nicht vorlegen konnten.“56 Inwiefern tatsächlich ein schriftlicher Beschluss der Duldung durch den Kultusminister ergangen ist, sei dahin gestellt – doch in Verbindung mit der positiven Äußerung Tiszas nicht unmöglich, der allerdings in der Folge unter anderen Kultusministern 51 

MOL, K579 – 1904, Bl. 17. MOL, K579 – 1909, Bl. 10. 53  Ebenda, Bl. 13. 3.12.1909, Bl. 15 – 16, 13.12.1909, Bl. 14, 28.12.1909, Bl. 42, 15.10.1910, Bl. 43, 14.12.1910 (Fall Teregova). Ebenda, Bl. 9, 12, 13.12.1909., Bl. 41, 47. 8.5.1912 (Fall Alibuna). Bl. 39, 40, Mai 1910, Bl. 49 – 50, Oktober 1913, Bl. 52, 53, Abschluss der Angelegenheiten 23.10.1913 (beide Fälle betreffend). Bl. 39, 40: Hier wird auch von der Löschung einer Eintragung zugunsten der Baptisten in Temesvár berichtet. 54  MOL, K579 – 1910, Bl. 46. 55  MOL, K579-F-70843 – 941, Bl. 10. 56 Ebenda. 52 

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nicht mehr von Bestand gewesen sein dürfte. Immerhin deutet alles darauf hin, dass die Nazarener in Szeged 40 Jahre lang mehr oder weniger geduldet wurden, was nicht bedeutet, dass ihnen nicht auch Schwierigkeiten gemacht wurden. Hieran wird auch deutlich, dass der Umgang mit den Gemeinschaften sehr von der persönlichen Einstellung der Mitarbeiter der lokalen Behörden abhing. Das geht auch aus einem Schreiben des Innenministers an den Justizminister hervor, in dem er davon berichtet, dass verschiedentlich Bethäuser „auf den Namen der betreffenden Sekten als ‚Versammlungen‘, ‚Vereine‘ oder ‚Gemeinden‘ ins Grundbuch eingetragen“ worden waren, oder auch auf den Namen eines oder mehrerer Glaubensangehöriger, so in Sükösd und Dusnok, wohl mit Wissen der Behörden.57 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Behörden sich insgesamt im Umgang mit den neuen Gemeinschaften nicht einig waren. Selbst unter den Ministerien herrschten unterschiedliche Auffassungen. Kein Wunder, wenn dann auch die verhältnismäßig selbständigen örtlichen Behörden in den einzelnen Komitaten verschiedene Standpunkte vertraten. Essenziell ist die Feststellung in Bezug auf die Nazarener, dass ihre Glaubenslehren und das Ausleben derer grundsätzlich nicht gegen Gesetze und Moral in Ungarn verstoßen, sondern sich sogar im Gegenteil für Gemeinschaft und Zusammenleben als vorteilhaft erweisen würden. Ansatzpunkt dafür, ihre Tätigkeit einzuschränken, war lediglich in ihrer Haltung zum Waffendienst und der damit verbundenen Eidesleistung zu sehen. Dieses Argument war jedoch in einer Zeit der Militarisierung so schwerwiegend, dass es ausreichen konnte, die Tätigkeit der Gemeinschaft völlig zu unterbinden, hätte es nicht einzelne Fürsprecher wie István Tisza gegeben. Die Untersagung des Baus bzw. der grundbuchrechtlichen Eintragung eines Gotteshauses wurde letztendlich nur mit der Ablehnung des Waffendienstes begründet. Intention des Verteidigungsministers war es, die Ausbreitung der Gemeinschaft durch solche Maßnahmen einzuschränken. Offensichtlich wäre es aus seiner Sicht sogar angezeigt gewesen, die Existenz der Gemeinschaft an sich zu unterbinden. Während der Justizminister hier einen sehr eingeschränkten radikalen Weg der Interpretation des Religionsgesetzes von 1895 vertrat, waren andere Behörden bereit, liberaler damit umzugehen, Religionsfreiheit zu gewähren und im Fall einer Gesetzesübertretung diese separat und gezielt zu behandeln. Im Großen und Ganzen wird an den untersuchten Beispielen jedoch ein zentrales Problem in Verbindung mit dem Gewähren von Religionsfreiheit deutlich: die Einstellung einer Gemeinschaft zum Militärdienst. Das wird auch durch einen Artikel des Pester Lloyd, einer deutschsprachigen Zeitung in Budapest, vom 7. Juni 1897 über die Nazarener bestätigt, der nach umfänglichen Ausführungen zu den Umständen der Entstehung der Glaubensansichten erklärte, dass es bei den Nazarenern, die die „kommunistische und dergleichen Theorien durchaus nicht huldigen“ nur „die Wehrpflicht“ sei, die sie „derzeit zur staatlichen Ordnung in Widerspruch bringt“. Eine „starre Negation bezüglich der Erfüllung der ,Wehrpflicht‘ existiert aber bei den Nazarenern auch schon heute nicht“. Im Artikel wurde weiter erklärt: „Die persönliche Wehrpflicht perhorresziere die 57 

MOL, K579 – 1940, Bl. 41.

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Nazarener durchaus nicht; sie knüpfen an deren hingebungsvollste Erfüllung nur die Voraussetzung, daß sie zur Handhabung und zum Gebrauche der Waffen nicht verhalten werden.“ Dann sprach sich der Verfasser weiter für diese Haltung aus: „Eine solche Reservation ist keine Negation. Die Wehrpflicht erfüllen ja doch ganz gesetzlich auch alle Jene, die, ohne das Schwert in Blut zu tauchen, in Kanzleien, Schulen, am Krankenbette, in Arsenalen, Verpflegungsmagazinen, Montur-Depots und sonstigen Heeranstalten den Interessen und Bedürfnissen der Armee persönlich und werkthätig dienen. Daß unsere höchsten Militärbehörden überdies religiöse Gewissensskrupel als einen Rechtsgrund – zwar nicht zur Befreiung von der Wehrpflicht, wohl aber zur Enthebung vom Waffendienste – betrachtet haben und noch betrachten, beweist die Thatsache, daß die assentierten Anhänger der Religionsgenossenschaften der Lipovaner (aus Rußland stammende Sekte der Bukowina), der Mennoniten und der Karaiten (jüdische Sekte) mit Rücksicht auf ihre religiöse Überzeugung nur als Krankenwärter und Sanitätssoldaten ihrer Dienstpflicht in legaler Weise nachkommen.“ Dann verwies er auf „§ 67 Absatz 3 der ‚Instruktion zur Durchführung der Wehrgesetze‘ und auf die Reichs-Kriegsministerialverordnungen Abtheilung 2 Nr. 933 vom 19. Feber 1869 und Abtheilung 2 Nr. 6697 vom 15. September 1869, welche dieses Privilegium ausdrücklich konstatieren. Die zitierten Verordnungen sind in der jedermann zugänglichen, weil käuflichen ,Normalien-Sammlung für Militärgerichte‘ vom General-Auditor Wimmer enthalten.“ Er verwies darauf, dass auch den Nazarenern im Heer eine Zeit lang diese Vergünstigungen eingeräumt wurden. Dann erwähnte er die seit 1875 übliche Praxis, wonach „der die Waffenannahme Verweigernde ‚wegen Nichtbefolgung eines erhaltenen Befehls‘ zuerst stufenweise mit allen Disziplinarstrafen belegt und dann mindestens zweimal gerichtlich gestraft wird; das erste Mal bei Anwendung aller zulässigen Verschärfungen gewöhnlich mit Kerker in der Dauer von 18 – 20 Monaten, das zweite Mal mit 30 – 40 Monaten. Der Nazarener hat also bei Berücksichtigung der Verschärfungen in der Regel fünf Jahre Kerker (!!!) zu überstehen, ehe die gesetzlichen Mittel für erschöpft betrachtet werden. Zu einer weiteren Prozedur kommt es dann gewöhnlich nicht mehr, da die Kerkerhaft zumeist die Militärtauglichkeit bricht und der Mann als invalid entlassen werden muß.“58 Man glaubte, damit eine abschreckende Wirkung hervorzurufen und die Verbreitung der Gemeinschaft einzudämmen. Doch das Gegenteil war der Fall. Der Schreiber verwies auf die Erfahrungen mit den Lipowanern, Mennoniten und Karaiten, deren Zahl stark abnehme. Diese Diskussion zeigt, dass es durchaus Stimmen gab, die für eine legale Lösung zur Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensoder Glaubensgründen plädierten und es auch als eine Frage der Menschlichkeit ansahen, Verweigerer nicht so lange wegzusperren.

58  Himmel, Henrik: Von den Nazarenern. In: Pester Lloyd vom 7.6.1897. Privatarchiv Tibor Gál, Budapest.

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III.  Gesetzliche Anerkennung der Baptisten Die ungarischen Baptisten traten am 15. September 1905 an den Kultusminister György Lukács59 von ihrer in Ócsa (Komitat Pest-Pilis-Solt-Kiskun) abgehaltenen außerordentlichen genossenschaftlichen Hauptversammlung heran, damit er nach Änderung der Statuten aufgrund seiner Korrekturansprüche und der seines Vorgängers über die gesetzliche Anerkennung der Glaubensgemeinschaft entscheide. Mit Bezugnahme auf Punkt 2 § 7 GA XLIII/1895 und „weil die vorgelegte Organisation und Glaubensbekenntnis gegen die bestehenden Gesetze und öffentliche Moral nicht verstößt, und mit keiner der schon existierenden gesetzlich rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaften identisch ist, und ansonsten auch kein solcher gesetzlichen Grund besteht, aufgrund dessen man die Genehmigung gemäß § 8 des GA XLIII von 1895 der Organisation und dem Glaubensbekenntnis verweigern müsste; weil schließlich der Antragsteller das Errichten und Aufrechterhalten von gemäß Punkt 1 des § 7 des zitierten GA verlangten mindestens einer Kirchengemeinde, ferner den schulischen Religionsunterricht der ihrer Glaubensgemeinschaft angehörenden Kinder gesichert hat“, versah der Kultusminister das Statut und Glaubensbekenntnis der Baptisten mit der gesetzmäßigen Genehmigungsklausel und erklärte: „die baptistische Glaubensgemeinschaft aufgrund dieser schon genehmigten Statuten gemäß den Bestimmungen von XLIII/1895 hiermit für eine unter dem Schutz und Oberaufsicht des Staates stehende gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft.“60 Somit galten die Baptisten seit dem 2. November 1905 als eine gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft – die erste neben den rezipierten Kirchen, Einschränkungen nahm der Minister nicht vor. Wie aus den Statuten hervorgeht, bilden die Baptisten kleinere und größere Versammlungen, Gemeinden, die selbstständig agieren, aber auch kirchenorganisatorisch verbunden sind. Bei den kirchlichen Verantwortlichen unterscheiden sie in Gemeindevorsteher, Kanzelredner (Geistlichen), Gemeindeältesten, Evangelisten, und Diakone, die vor allem organisatorische Aufgaben übernehmen – die ersten drei Funktionen können nur von ungarischen Staatsbürgern übernommen werden. Teilweise werden sie für ihre Tätigkeit bezahlt, wobei lediglich der Kanzelredner davon leben muss. Wenngleich keine Gemeindesteuer erhoben wird, ist doch jedes Mitglied verpflichtet, „nach Vermögen aus Liebe zu spenden“. Die Gemeinschaft verpflichtet sich auch für Religionsunterricht gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu sorgen. „Unordentlich wandelnde Mitglieder“ können ausgeschlossen werden. Wer von den Verantwortlichen sich moralisch etwas zu Schulden kommen lässt, seine Amtspflichten vernachlässigt, eine andere Lehre verkündet, staatsfeindliches Verhalten an den Tag legt u. ä., wird durch Disziplinarverfahren zur Rechenschaft gezogen. Jede Veränderung der Statuten musste dem Kultusminister vorgelegt werden. Auch die Baptisten führen 59  Nicht zu verwechseln mit dem Philosophen György Lukács, der den Posten im Oktober/November 1956 innehatte. 60  Runderlass des ung. kngl. Religions- und Kultusministers von 1905, Nr. 77.092 in MRT, S. 151.

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bekanntlich keine Kindertaufe durch, was ebenfalls zu Registrierungsproblemen der Neugeborenen geführt haben muss, dennoch aber offensichtlich keinen Hinderungsgrund für die Anerkennung darstellte.61 Die gesetzliche Anerkennung der Gemeinschaft bedeutete jedoch nicht, automatisch entsprechend auch als solche behandelt zu werden. So kam es zum Beispiel bei Bestattungen von Glaubensangehörigen zu Behinderungen und das insbesondere von Seiten der historischen Kirchen. Die baptistische Gemeinschaft beschwerte sich daraufhin beim Kultusminister, ihnen würde teilweise bei der „Beerdigung der Toten“ aus ihrer Glaubensgemeinschaft „mit verschiedenen Begründungen unberechtigt Hindernisse in den Weg“ gestellt werden. Der Innenminister reagierte und forderte die Beamten der Munizipialbehörden mit seiner VO 57.891/1906 vom 23. Juli 1906 auf, „im Interesse des Aufrechterhaltens des Friedens unter den Glaubensgemeinschaften sorgfältig darauf zu achten, dass der Ablauf der Beerdigungen auf keine pietätlose Weise gestört wird“, auch Gemeindefriedhöfe könnten eingerichtet werden.62 Als rechtlich anerkannt funktionierende Glaubensgemeinschaft war es naheliegend, sich zwecks Organisation der Tätigkeit ein Bild von der eigenen Anhängerschaft im Land machen zu wollen. Wahrscheinlich ist das einer der Gründe, warum sich die Gemeinschaft in Sachen Konversion mit einem Rundschreiben an die ersten Beamten der Komitate und Munizipien wandte und darum bat, über Beitritte zu ihrer Gemeinschaft benachrichtigt zu werden. Kultusminister Graf Albert Apponyi (1846 – 1933)63 erklärte diesbezüglich in seiner Verordnung 1.347/1907 vom 19. Januar 1907 allerdings einschränkend mit Bezug auf eine spätere Verordnung, die VO 99.205/1906, offensichtlich Ende 190664 ebenfalls von Apponyi herausgegeben, nach der nur die Budapester Baptisten Gemeinde in Ungarn als einzige gesetzmäßig gebildete Gemeinde zu betrachten sei, deren Gebiet sich auf ganz Ungarn erstrecke, dass ein Beitritt zur baptistischen Gemeinschaft beim Budapester Bürgermeister persönlich angemeldet werden müsse, egal, wo der Beitretende in Lande lebte, „weil nur die Budapester Baptisten Gemeinde zur Zeit als gesetzmäßig gebildet zu betrachten ist“. Alle anderen bisher gemeldeten Beitritte waren ungültig.65 Waren die Baptisten hier davon ausgegangen, dass Konversionen überall im Land vorgenommen werden könnten, schränkte der jetzige Minister es auf die Gemeinde ein. In der ursprünglichen Anerkennungsverordnung VO 77.092/1905 des Kultusministers Lukács selbst ist kein solcher Verweis einer Einschränkung der gesetzlichen Zulassung auf die Budapester Gemeinde zu finden – demnach wurden die Baptisten in Ungarn uneingeschränkt gesetzlich anerkannt. Apponyi 61 Ebenda. 62 

Runderlass des ung. kngl. Innenministers von 1906 Nr. 57.891, MRT, S. 109. Vom 8.4.1906 bis 17.1.1910 Kultusminister. 64  In der MRT wurde die VO 75.559 veröffentlicht, die von Apponyi am 28.9.1906 unterzeichnet wurde, was darauf schließen lässt, dass unter seiner Ägide auch VO 99.205/1906 entstand. 65  Der Runderlass des ung. kngl. Religions- und Kultusministers von 1907 Nr. 1.347, MRT, 34. 63 

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seinerseits restringierte diese Freiheit der baptistischen Gemeinschaft bereits nach nur einem Jahr. Dennoch war die Anerkennung der baptistischen Gemeinschaft auf Grundlage des GA XLIII/1895 ein weiterer Schritt in eine pluralistische religiöse Landschaft in Ungarn, wenn auch zunächst der letzte für einen längeren Zeitraum. Die weitere Verfahrensweise mit dieser neu zur „gesetzlich anerkannten Religion“ erhobenen Gemeinschaft nach den anfänglichen Schwierigkeiten wie in Verbindung mit der Bestattung bleibt spannend.

IV.  Publikationen der Bibelforscher Auch die Bibelforscher, die ebenfalls als Bibelstudenten bezeichnet wurden, waren in Ungarn schon um die Jahrhundertwende tätig. Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab es in verschiedenen Städten außerhalb der Hauptstadt kleine Gruppierungen, so in Hajdúböszörmény, Bagamér und Balmazújváros (Ostungarn) und in Nagyvisnyó (Nordungarn), in Kolozsvár (Cluj, heute Rumänien) und in Marosvásárhely (Tîrgu Mureş, heute Rumänien). Ihre Anhänger bestellten zunächst ihre Publikationen zumeist in Deutschland, wenngleich es 1911 unter der Leitung von Károly Szabó, György Kiss und József Kiss bereits in Marosvásárhely in der Béla Király Straße 46, die Biblia és Traktatus Társulat (Bibel- und Traktatgesellschaft) gab.66 Ab 1914 wurde dann in der privaten Druckerei „Tükör“ bzw. rumänisch „Oglinda“ in Marosvásárhely die 16-seitige monatliche Ausgabe der Zeitschrift „Der Wacht-Turm und Verkünder der Gegenwart Christi“ sowie Bücher und Traktate in ungarischer Sprache gedruckt.67 Mit der Zustellung von Veröffentlichungen erhielten die Empfänger häufig auch kleine Traktate oder Flugschriften mit biblischen Themen, die sie dann meist an andere weitergaben, wie ein ungarischer Leser zu berichten wusste: „Die Traktate, welche Sie uns damals zum Verteilen beigelegt, für die wir herzlich danken, haben wir hie und da in etlichen Gemeinden verteilt.“68 Was hier noch unkoordiniert und sporadisch klingt, entwickelte sich schnell zum organisierten Missionswerk, Kolporteure wurden entsandt, das Land systematisch bearbeitet, wobei sich das Predigen von Haus zu Haus zu einem Markenzeichen der Bibelforscher, später Jehovas Zeugen, entwickeln sollte. Die Tätigkeit der Gemeinschaft nahm schnell zu, sodass man auf sie und ihre Druckschriften aufmerksam wurde, und die Behörden einschritten. Der Innenminister erließ am 21. Juni 1916 mit der VO 23.806 ein Verbot der Herstellung und Verbreitung der Zeitschrift „Világító Őrtorony és Krisztus jelenlétének hirdetője“ [Leuchtturm und Verkündiger der Gegenwart Christi, der ungarische Titel der Zeitschrift „Der Wachtturm“ 66  Magyarországi Jehova Tanúi Egyház Archívumá [Kirchenarchiv von Jehovas Zeugen in Ungarn, MJTA], Bericht von László Papp vom 27.6.1946. Chronik 1911 – 1994 von László Papp, Datum unbekannt. 67  WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1996. Selters/Ts. 1995, S. 71. Dies.: Jahrbuch 2006. Selters/ Ts. 2005, S. 75. 68  Dies.: Der Wacht Turm, November 1905, S. 176. (János Brunner)

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zu dieser Zeit], wie auch der Blätter „Tanitás“ [Lehre], die in der Druckerei „Tükör“ in Marosvásárhely herausgegeben wurden. Dieses Verbot erging, obgleich 1848 Pressefreiheit propagiert worden und mit GA XIV vom 11. April 1914 ein weiteres Gesetz zur Pressefreiheit, das mediale Meinungsfreiheit garantierte (nicht nur via Zeitungsmedium, sondern auch mit Grammophon-Platten) ergangen war. Gemäß § 10 GA XIV/1914 konnte aber auch die Verbreitung im Ausland hergestellter Druckschriften untersagt werden.69 Allerdings gehörte Marosvásárhely zu dieser Zeit zum Königreich Ungarn, weshalb § 10 des Pressegesetzes nicht griff. Der Innenminister forderte die Postbehörden auf, die Sendungen nicht an die Empfänger weiterzugeben, sondern sie der Staatsanwaltschaft zu überstellen.70 Zusätzlich wurde mit der Verordnung 23.806/II auch das englische Pendant des „Wachtturms“, die Zeitschrift „The Watch Tower and Herold of Christe [sic!] Presence“ verboten, wobei man sich dabei ggf. auf § 10 hätte beziehen können.71 Was genau der Hintergrund dieses Verbots war, bleibt unklar. Allerdings war auf der Basis der wegen des Krieges verhängten Ausnahmegewalt eine Pressezensur eingeführt worden.72 Sicher ist, dass 1911 zwei Bibelforscher Károly Szabó und József Kiss von Amerika in ihre Heimat zurückgekehrt waren, sich in eben dem Ort, Marosvásárhely, wo später die Publikationen hergestellt wurden, niederließen und in ganz Siebenbürgen predigten, wodurch sich ihnen viele anschlossen. 1919 soll es dort bereits 150 Versammlungen mit 1 700 Gläubigen gegeben haben.73 Das muss die Aufmerksamkeit der Behörden geweckt haben. Vielleicht aber störte man sich zur Zeit des Krieges auch an dem in den Publikationen dargelegten Gedanken der praktizierten Nächstenliebe, was auch bedeutete, einem Feind Gutes zu tun, oder aber an der internationalen Ausrichtung und der Ansicht über die Gleichheit aller Menschen. Vielleicht aber wusste man auch um die Haltung einzelner Bibelforscher zum biblischen Tötungsverbot und damit zum Kampf mit der Waffe. Schließlich weigerten sich Bibelforscher im Ersten Weltkrieg auf Mitmenschen zu schießen oder verweigerten den Militärdienst komplett.74 Aber vielleicht war es auch der starke Missionsgedanke, der den Bibelforschern zu eigen ist, und durch den ihre auffällig von der kirchlichen Dogmatik abweichenden Lehren publik wurden. Dazu gehörten unter anderem die Ablehnung der Lehren von der Dreieinigkeit, der Hölle, des Weiterlebens der Seele nach dem Tod, der Kindertaufe, vielleicht auch ihre aktive Verkündigung des Reiches Gottes. 69 

Magyar Törvénytár, GA XIV/1914. A Magyar Királyi Posta és Táviroda MRT [Verordnungssammlung von Ungarischer Post und Fernmeldedienst], Nr. 83 vom 21.6.1916. 71 Ebenda. 72  Murányi, Gábor: A bilincsbe vert beszéd [Die in Ketten geschlagene Rede]. Vásárhely Miklós sajtótörténeti tanulmányai [Pressegeschichtliche Studien von Miklós Vásárhely]. Budapest 2002, S. 24 f. http://www.kka.hu/_Kozossegi_Adattar/Azadatt.nsf/99b0698cd023d10 18525670c0080e328/1da1d7981eab2bbec12571aa003071f9/$FILE/A%20bilincsbe%20 vert%20beszéd.pdf (Zugriff am 30.5.2013). 73  WtBTG (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 68 – 75. 74  Dies.: Beröer Handbuch zum Bibelunterricht. Barmen 1912 (Englisch 1908). 70 

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Zusammenfassend kann bis hierher festgestellt werden, dass das Gesetz XLIII/ 1895 zwar freie Religionsausübung für jedermann zusicherte, die Umsetzung jedoch von subjektiven und allgemeinpolitischen Ansichten geprägt wurde. Gleichzeitig schienen die Auffassungen der jeweils amtierenden Minister erheblich zu divergieren, von der Sicht der Nützlichkeit der neuen Gemeinschaften und damit deren Förderung bis hin zum Verbot aufgrund ihrer Gefährlichkeit. Gefährlich erschienen sie den Behörden, und zwar besonders die Nazarener, wegen ihrer Ansicht, nicht zu den Waffen zu greifen – diese Einstellung wird quasi zum Lackmustest, was sich an der intensiven Diskussion um das Thema belegt und Grund für Einschränkungen liefert. Anders als die Nazarener und die Bibelforscher haben die Baptisten im Allgemeinen keine Probleme mit der Ableistung des Wehrdienstes, weshalb das auch einer gesetzlichen Anerkennung nicht im Wege stand. Auch passten die Baptisten in Bezug auf ihre Lehre, die abgesehen von der Ablehnung einer Kindertaufe doch sehr der der historischen Kirchen gleicht, besser ins politische Verständnis. In jedem Fall ging mit der Anerkennung die Regierung den Weg, der durch GA XLIII vorgesehen war, neue Religionen gesetzlich zuzulassen. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass auch die liberal orientierten Behörden nicht den ursprünglichen Geist des Gesetzes auslebten, sondern die Tätigkeiten der Gemeinschaften, wo es möglich erschien, einschränkten.

Kapitel 4 4:

Erster Weltkrieg und Wehrdienstverweigerung Kap.  4: Erster Weltkrieg und Wehrdienstverweigerung

Während des Ersten Weltkrieges, bei dem sich herausstellte, dass Ungarn trotz der Aufrüstung der vergangenen Jahre militärisch wie strategisch ungenügend ausgerüstet bzw. vorbereitet und immer wieder auf die Unterstützung des deutschen Kaiserreichs angewiesen war, zählte im Kampf um das Überleben des Vielvölkerstaates jeder Mann im Feld. Konnten Verweigerer des Dienstes an der Waffe schon vor dem Krieg auf wenig Verständnis hoffen, war das mit Kriegsausbruch noch schwieriger. Bereits am 24. November 1909 hatte der Innenminister alle Munizipialbehörden dazu aufgefordert, die Verbreitung „antimilitaristischer Bewegungen“, die sich „in unserem Heimat auf einen engen Rahmen beschränken“, aber „im Ausland schon größere Ausmaße angenommen haben“, zu verhindern. Der Begriff „antimilitaristisch“ wurde von den Behörden zumeist sowohl auf politische, pazifistische wie religiöse Aktivitäten bezogen, die sich gegen militärische Interessen richteten, also militärfeindlich waren. Der Innenminister hatte verfügt, „dass die obersten Polizeibehörden diejenigen, die sich an den antimilitaristischen Bewegungen beteiligten, von nun an dauernd aufmerksam überwachen und von ihnen ein ‚geheimes‘ Verzeichnis führen“, wobei Name, Wohnort, Arbeit der Person, Leiter und Agitatoren der Bewegung, alle aktiven Teilnehmer, besonders Vorbestrafte zu nennen waren.1 Wenngleich es in Österreich nicht zu so starken Friedensbewegungen wie in England gekommen war, gab es in Wien 1894 mit der Gründung eines Vereins jugendlicher Hilfsarbeiter eine antimilitaristische Bewegung und in Budapest kam es zur Entstehung einer Jugendbewegung, die unter Ministerpräsident Bánffy kurzzeitig zusammenbrach, wieder auflebte und 1901/02 mithilfe von Polizei und Gerichten zerschlagen wurde, aber ab 1904 wieder neuen Schwung erfuhr, sich weiterentwickelte und in deren Folge sozialistisch orientierte Publikationen erschienen.2 Unter diesen sogenannten antimilitaristischen Bewegungen verstand 1 

MOL, K149 – 1909 – 1 – 554. das sich gern am Westen und besonders an Deutschland orientierte, verschloss sich diesen Bewegungen nicht. Vgl. Kovács, Henriett: Die Friedensbewegungen in Österreich-Ungarn an der Wende zum 20. Jahrhundert. Herne 2009. Namentlich die österreichische Pazifistin Bertha von Suttner (1843 – 1914) und der ungarische liberale Politiker und Schriftsteller Mór Jókai (1825 – 1904) setzten sich dafür ein. Eine Rolle spielte auch Liebknecht, Karl: Militarismus und Antimilitarismus. 2. Teil: Antimilitarismus. Der Antimilitarismus im Auslande unter besonderer Berücksichtigung der Jugendorganisationen. Leipzig 1907. www.marxists.org/deutsch/archiv/liebknechtk/1907/mil-antimil/b-02b.htm (Zugriff am 10.10.2013). 2 Ungarn,

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man nun nicht gleich religiöse Gemeinschaften. Dennoch passten die Angehörigen religiöser Gemeinschaften, die den Dienst an der Waffe ablehnten und möglicherweise bei ihren religiösen Zusammenkünften auch darüber sprachen, ins Bild, zumal bereits „gewisse antimilitaristische Gefühle“ zu melden waren.3 Man war somit schon vor dem Krieg gegen pazifistische oder antimilitaristische Bewegungen gewappnet und hatte sie im Kalkül. Auch im Ersten Weltkrieg waren illegale pazifistische und antimilitaristische Bewegungen in Ungarn aktiv.4 Interessant ist außerdem, dass in Verbindung mit den Friedensbewegungen der sozialistische Gedanke mit ins Spiel gebracht wurde, der zukünftig auch im Umgang mit den Religionsgemeinschaften noch eine große Rolle spielen sollte.5 Mit Kriegsausbruch und der Einberufung ihrer Anhänger waren auch die Religionsgemeinschaften gefordert, was ihre Haltung zur Beteiligung am Krieg anbelangt. Im Folgenden soll ein Blick auf die Gemeinschaften und ihre Stellung zum nun ausbrechenden Weltkrieg geworfen werden, wobei aufgrund der internationalen Verknüpfung, aber auch aufgrund des Mangels an Informationen in ungarischen Archiven, diesbezüglich auf Berichte aus dem Ausland und insbesondere Deutschland zurückgegriffen wird. Bei den STA herrschte zu jener Zeit eine indifferente Haltung zum Krieg. Wie aus dem Brief des Sekretärs der Europäischen Division der STA, Hamburg, Guy Dail vom 2. August 1914 hervorgeht, sprach sich die Leitung der Organisation für eine Teilnahme am Krieg aus: „In dieser in Europa schweren und ernsten Zeit möchten wir eine Bitte an euch richten. 1. Als Nachfolger Christi sollten wir in diesen Tagen durch die Kraft Gottes uns als treue, gehorsame, zum Dienst bereite Untertanen unseres Landes zeigen. […] 2. Sollten wir, soweit wir im Heer stehen oder ins Heer eintreten müssen, unsere militärischen Pflichten freudig und von Herzen erfüllen, so daß die Vorgesetzten in uns tapfere, treue Soldaten finden, die bereit sind, ihr Leben für ihr Heim, ihren Landesherrn und ihr Vaterland einzusetzen. […] Heerespflichtige dürfen auch nicht verkennen, daß in Kriegszeiten jedermann voll und ganz seine Pflicht zu erfüllen hat.“6 Diese Ansicht teilten jedoch nicht alle Glaubensangehörigen. Gründe für eine Verweigerung des Dienstes sahen sie sowohl im biblischen sechsten Gebot, „Du sollst nicht töten“, als auch im vierten Gebot, „Du sollst den Sabbat heiligen“. Wahrscheinlich liegen gerade im Ersten Weltkrieg die Wurzeln einer Reformbewegung innerhalb der STA, die sich zur Verweigerung des Dienstes an der Waffe bekennt. Im Herbst 1915 kommt es zu 3 

MOL, K149 – 1909 – 1 – 554. Vgl. z. B. Stadeisky, Éva: Kassák Lajos – interjú 1960-ból [Lajos Kassák – Interview von 1960]. In: Múltunk [Unsere Vergangenheit], Nr. 2, 2007, S. 253 – 267, hier S. 253, 258. http://epa.oszk.hu/00900/00995/00010/pdf/standeiskye3.pdf (Zugriff am 12.10.2013). 5  Heiss, Gernot/Lutz, Heinrich: Friedensbewegungen, Bedingungen und Wirkungen. Bd. 1. München 1984, S. 151. Roth, Roland/Rucht, Dieter (Hrsg.): Die sozialen Bewegungen in Deutschland seit 1945: ein Handbuch. Frankfurt/Main 2008, S. 269. 6  Ruttmann, Hermann: Die adventistische Reformationsbewegung 1914 – 2001. Die Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Reformationsbewegung in Deutschland. Köln 2002, S. 44. 4 

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ersten „organisatorischen Verfestigungen“ der Reformbewegung, deren offizieller Name „Internationale Missionsgesellschaft der STA, Alte, seit 1844 stehengebliebene Richtung“ lautet.7 Nachdem man wohl immer wieder vergeblich Anschluss an die Hauptorganisation gesucht hat, gründete man 1925 eine eigene Bewegung.8 Auch bei den Bibelforschern, war man sich zunächst hinsichtlich der Haltung zum Krieg nicht völlig im Klaren. Man wollte zwar den Staatsgewalten gehorsam sein, aber ohne politische Anteilnahme. Den Armeedienst hielt man wohl für eine ordnungsgemäße Verpflichtung, wollte aber gleichzeitig dem biblischen Tötungsverbot nachkommen. Daher favorisierte man den Dienst als Sanitäter, um so keine „fleischlichen Waffen“ gebrauchen zu müssen.9 Charles T. Russell (1852 – 1916)10 hatte 1904 erklärt: „Es ist freilich am Platze, dass wir alle guten Gesetze und alle Wächter über den irdischen Gesetzen lieben.“ Schränkte dann aber ein: „Allein damit ist nicht gesagt, dass wir nun auch mit fleischlichen Waffen dafür kämpfen.“11 Schon 1896 hatte man im „Wachtturm“ geschrieben: „We cannot be otherwise than opposed to the destruction of human lives.“12 Auch wenn ein Christ einer Einberufung nachkommen musste, würde er nicht auf Menschen schießen. 1903 wurde im WatchTower erklärt: „We could not in harmony with the divine program fire upon a fellow-creature with the intention of taking his life. If we fired we should be obliged to fire either into the air or into the ground“.13 Man lehnte zwar klar das Töten, nicht aber die Teilnahme am Krieg ab. Aufgrund der Brutalität des Krieges stellte man dann 1916 im „Wachtturm“ offen die Frage: „Unterstehen wir in dieser Sache den obrigkeitlichen Gewalten?“14 Unter den einzelnen Glaubensangehörigen war dieselbe Entwicklung zu erkennen, wie das Beispiel von Konrad Mörtter zeigt: „Ohne, dass ich von einer Seite beeinflusst wurde, erkannte ich aus Gottes Wort klar, dass ein Christ nicht töten darf. Aus diesem Grunde habe ich dann den Wehrdienst und den Fahneneid verweigert.“ Wie er weiter berichtete, hatte er Glück: „Ich kam dann vor das Abteilungsgericht und dank dem Verständnis meines Hauptmannes kam ich nicht auf eine Festung, sondern wurde Sanitäter.“15 Manchen Bibelforschern gelang es auch, sich zu Arbeiten einteilen zu lassen, wo sie nicht 7 

Ebenda, S. 47. Hetednap Adventista Reformmozgalom [Siebententags-Adventisten Reformbewegung]: Egyházunk kialakulásának története [Geschichtliche Entwicklungen unserer Kirche]. http://www.hnarm.hu/egyhazunk_kialakulasanak_tortenete.htm (Zugriff am 15.10.2012). 9 Vgl. Dirksen, Hans-Hermann: „Dann wäre der Krieg gleich zu Ende!“ Zur Geschichte der Wehrdienstverweigerung der Zeugen Jehovas im 20. Jahrhundert. In: Müller, Christian Th./Walter, Dierk (Hrsg.): Ich dien’ nicht! Wehrdienstverweigerung in der Geschichte. Berlin 2008, S. 97 – 126. Dirksen, katonai szolgálat, S. 72 – 81, hier S. 73 f. 10  Russell war seit 1884 Präsident der Verlagsgesellschaft „Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania“. 11  WtBTG (Hrsg.): Zions Wacht Turm. August 1906, S. 124. 12  Dies.: WatchTower, v. 1.1.1896, S. 4 ff. 13  Ebenda, v. 15.4.1903, S. 120. 14  Dies.: Der Wachtturm v. Februar 1916, S. 25. 15 Wachtturm-Gesellschaft, Geschichtsarchiv, Deutschland, Selters (WTA), Erinnerungsbericht von Konrad Mörtter, ohne Jahresangabe, vor 1975, S. 3 f. 8 

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direkt mit Waffen zu tun hatten. Andere, zumeist Totalverweigerer, wurden zu Festungshaft verurteilt.16 Ausnahmeregelungen für Kriegsdienstverweigerer gab es nicht. Im Gegenteil, die Verweigerung des Wehrdienstes erschien äußerst unverständlich. Verweigerer wurden daher wegen religiöser Wahnvorstellungen nicht selten in Nervenheilanstalten eingewiesen.17 Eine deutsche Untersuchung von 1919 konstatierte: „Heutzutage sind es unter den Sekten namentlich die Adventisten und jene wunderliche Internationale Vereinigung ernster Bibelforscher, deren Anhänger durch hartnäckige Verweigerung des Kriegsdienstes die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.“18 Zu dem von dem Mediziner untersuchten Bibelforscher erklärte er, es bestehe kein Zweifel, dass er nicht geisteskrank sei und es sich auch nicht um einen Drückeberger handele, er verweigere vielmehr, weil Gott neutral sei. Selbst auf die Gefahr des Todes hin würde er den Dienst verweigern. Viele Anhänger seines Glaubens seien im Gefängnis. Diese so positive Einschätzung war gleichzeitig ungünstig, da damit in Deutschland eine Straflosigkeit nach § 51 StGB, also Unzurechenbarkeit nicht in Betracht kam und § 48 MStGB griff.19 Bisher weiß man von rund 40 Bibelforschern, die den Waffendienst im Deutschen Kaiserreich verweigert haben. Auch für Ungarn sind einige Fälle bekannt. Im Jahr 1916 wurden die bereits erwähnten Bibelforscher Kiss und Szabó verhaftet. Kiss soll zunächst zum Tode verurteilt worden sein, später wäre das Urteil in lebenslange Haftstrafe umgewandelt worden.20 Wie berichtet wird, erhielt Szabó fünf Jahre Gefängnis. „Da man sie als ‚gefährlich‘ einstufte, hielt man sie 18 Monate in einem Hochsicherheitsgefängnis in Aiud [ungarisch Nagyenyed] isoliert.“ Die Gefährlichkeit soll der Richter damit begründet haben, sie hätten „andere Lehren verkündet als die offiziell anerkannten“. Möglicherweise ging es in ihrem Fall letztendlich gar nicht direkt um Wehrdienstverweigerung, sondern um das Verbreiten einer diesbezüglich „gefährlichen“ Lehre. Von einem rumänischen Bibelforscher Ioan Rus, frisch verheiratet, aus dem Dorf Középeterd (rumänisch Petreştii de Mijloc) südlich von Klausenburg in Siebenbürgen wird berichtet, dass er den Kriegsdienst verweigerte und nach Bukarest verbracht wurde, wo er zum Tode verurteilt wurde. Es heißt in dem Bericht: „Er musste sein eigenes Grab schaufeln und sich mit dem Gesicht zum Erschießungskommando daneben stellen. Der Dienst habende Offizier gestattete Ioan noch ein paar letzte Worte. Ioan beschloss, laut zu beten. Das ging den Soldaten so nahe, dass ihnen Bedenken kamen, ihren Auftrag auszuführen. 16  Wie zum Beispiel der deutsche Bibelforscher Willi Ruhnau, der in der Magdeburger Zitadelle Tränsburg inhaftiert war. Er hatte bereits eine erste Haftstrafe verbüßt und war dann wegen erneuter Verweigerung zu zweieinhalb Jahren Festungshaft verurteilt worden. Ebenda, Erinnerungsbericht von Emil Hartmann, 1971, S. 3 f. Vgl. Dirksen, Wehrdienstverweigerung, S.  98 – 100. 17 Vgl. Köppen, Max: Über einen reinen Fall von überwertiger Idee und über seine forensische Bedeutung. In: Charité Annalen, 29. Jg. Berlin 1905, S. 304 ff. Dirksen, Wehrdienstverweigerung, S. 101 ff. 18  Zitiert nach ebenda. 19 Ebenda. 20 Ebenda. WtBTG (Hrsg.), Jahrbuch 1996, S. 73. Dirksen, Katonai szolgálat, S. 74 f.

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Da nahm der Offizier einen der Männer zur Seite und versprach ihm drei Monate bezahlten Urlaub, wenn er den Häftling erschießen würde. Der Mann nahm das Angebot an und verdiente sich seinen Urlaub.“ In dem Bericht heißt es weiter, dass viele Bibelforscher verhaftet und verurteilt wurden.21 Diesbezügliche Unterlagen aus Archiven konnten bisher nicht aufgefunden werden. Wie bereits ausgeführt, vertreten die Nazarener, von denen die meisten in Ungarn leben, weshalb hier ein Vergleich zu anderen Ländern kaum gegeben ist, anders als die vorgenannten Gemeinschaften schon immer den Standpunkt, keine Waffe in die Hand zu nehmen. Entsprechend waren auch viele ihrer Glaubensanhänger betroffen. Aus Erinnerungsberichten geht hervor, dass Nazarener verschiedentlich ohne Gerichtsverfahren zum waffenlosen Dienst eingeteilt worden sind.22 Die meisten jedoch waren gleich mit der Einberufung vor Gericht gekommen. So hatte das Militärgericht Szeged am 27. Oktober 1914 Frigyes Czimerman, Pál Varga. János Kovács, János Benkő und Ferenc Hegedüs zu drei Jahren Haft verurteilt. Manche wurde auch zu vier oder mehr Jahren Haft verurteilt. Einem Augenzeugenbericht zufolge sollen 1914 im November 33 Nazarener in Arad in Festungshaft gesessen haben, und die Zahl sei noch gestiegen. Es wird auch von einem Fall berichtet, da ein Nazarener eingezogen wurde, zwar die Uniform anzog, aber nicht bereit war, zur Waffe zu greifen und dreimal dem Befehl des Leutnants (in Deutsch) „Ergreift das Gewehr!“, unter Bezugnahme auf seinen Glauben nicht nachgekommen war und dafür auf der Stelle vor versammelter Mannschaft von ihm erschossen wurde. In der folgenden strafrechtlichen Untersuchung sprach man den Leutnant frei mit der Begründung, durch seine schnelle entschlossene Handlung sei den Militärvorschriften völlig genüge geleistet worden. Dass er mit diesem renitenten Menschen kurzen Prozess gemacht habe, würde die Mannschaft in ihrer unbedingten Ergebenheit und Disziplin stärken. Andererseits kamen auch viele Nazarener an vorderster Front bzw. zwischen den Fronten zum Einsatz, wo sie direkt als Sanitäter oder zu anderen waffenlosen Diensten eingesetzt wurden – einen Dienst, den sie zuverlässig verrichteten. Das Schicksal des Einzelnen war zumeist von der Einstellung seines Vorgesetzten abhängig.23 Ferenc Varga, 1890 geboren, seit 1913 Nazarener, war im selben Jahr vom MG Szeged wegen Eidesverweigerung zu 6 Monaten Zuchthaus verurteilt worden. Nachdem er die sechs Monate verbüßt hatte, wurde er erneut eingezogen, verweigerte wiederum die Eidesablegung und den Dienst an der Waffe, weshalb er in Haft war, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Er meldete sich freiwillig zum waffenlosen Dienst und wurde als Sanitäter bis Mai 1915 an der galizischen Front, dann an der italienischen Front eingesetzt, wo er bis November 1919 in Gefangenschaft geriet.24 Auch Ferenc Györffy, Sohn des Nazareners János Györffy, gab in seinem Verhörsprotokoll vom 1. Juni 1940 über WtBTG (Hrsg.), Jahrbuch 2006, S. 82. Kardos/Szigeti, S. 272, 274. 23 Ebenda. 24  Hadtörténeti Intézet és Muzeum (Kriegsgeschichtliches Institut und Museum) [HM], 1939 3092 cs. 44894. Verhörsprotokoll vom 30.8.1939. 21 Ebenda, 22 

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den Dienst seines Vaters im Ersten Weltkrieg an, er sei „als Sanitätssoldat den Heldentod gestorben“.25 Sowohl das moralisch einwandfreie Leben der Nazarener wie auch ihre Haltung zum Waffendienst scheinen damals allgemein bekannt gewesen zu sein. So erzählte der zu seiner Zeit sehr bekannte patriotische Schriftsteller Dezsö Szabó (1879 – 1945), der nach dem Krieg sich für das Ungarntum stark macht, in seinem Buch „Az elsodort falu“ [Das fortgeschwemmte Dorf] aus dem Jahr 1918 von dem dreißigjährigen Nazarener István Páljános, der den Wehrdienst verweigerte. Er stellt ihn als einfachen, ehrlichen, rechtschaffenen, fast einfältigen Mann dar. Als die Gendarmen zu seinem Haus kommen und ihn fragten, warum er sich nicht bei der Armee gemeldet habe, erklärte er, Gott habe ihn dahin gestellt, um zu säen, zu ernten und Brot zu machen. Er könne dort nicht weggehen. Danach zog er eine Bibel hervor und hielt sie fast schon einfältig vor sich, als könne er nun nicht mehr abgeführt werden, wobei er rief: „Meine Brüder, tut mir nichts an, denn wer zur Waffe greift, wird durch die Waffe umkommen. […] Lasst mich ernten, Brot machen, beten. Meine Brüder, meine lieben Brüder im Herrn.“ Daraufhin wurde er in Ketten gelegt und abgeführt.26 Auch der ungarische Dichter György Szántó schreibt über die Nazarener. In einem Gedicht über seine persönlichen Fronterlebnisse heißt es: „Zu Beginn des Krieges hat man kurzen Prozess mit den Nazarenern gemacht. Das Standgericht hat sie an Ort und Stelle erschossen wegen Aufruhr und Ungehorsam.“ Er berichtet auch von Misshandlungen im Feld.27 Als Augenzeuge berichtet der reformierte Geistliche Sándor Csikesz von zwei Erschießungen von Nazarenern wegen Verweigerung des Dienstes an der Waffe im Ersten Weltkrieg, der er beigewohnt, und deren Standhaftigkeit und Haltung ihn beeindruckt hatte. Er erwähnt, dass später eine Verordnung erging, wonach die Verweigerer an vorderste Front zu schicken waren, um die gefährlichste Arbeit zu verrichten wie auch Gräben auszuheben.28 Bezüglich der Verweigerung des Waffendienstes kann folglich festgestellt werden, dass es verschiedene Entwicklungen gab in der Haltung der Organisation der Religionsgemeinschaften und der einzelnen Angehörigen, die sich auch aufgrund der Intensität und Brutalität des Krieges teilweise vom Gebrauch der Waffe distanzierten, wobei es nur in Einzelfällen zur Totalverweigerung kam. Der Krieg wirkte wie ein Katalysator. Er führte zu einer Reaktion bei den Gemeinschaften, bei den Glaubensangehörigen – sie mussten ihre Haltung zum Militär überprüfen, ihre Glaubensansichten auf den Prüfstand stellen. Grundsätzlich konnten die Religionsgemeinschaften auf gute traditionelle Argumente für ihre Verweigerungs-

25 

MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 12 f. Szabó, Dezső: „Az elsodort falu“ [Das fortgeschwemmte Dorf]. Bd. 2, ohne Ortsangabe 21919, S.  12 – 17. 27  Kardos/Szigeti, S. 271, 274. 28  Ebenda, S. 275 f. 26 

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Abbildung 1: Nazarener beim Militär, 1914, Privatarchiv Tibor Gál, Budapest

haltung als christliche Haltung seit der Antike zurückgreifen.29 Tertullian z. B. reflektierte über den Gedanken, des Gehorsams gegenüber den Obrigkeiten. Auf das Argument „Man muß aber dem Kaiser geben, was des Kaisers ist“, erwiderte er, „Zum Glück steht dabei ‚Und Gott, was Gottes ist‘.“ Er verwies darauf, dass Cäsar Würde und Ehre, wie auch Dienste zustanden, gleichzeitig betonte er das Recht Gottes an der Person des Christen.30 Zum Militärdienst schrieb er grundsätzlich: „Es fragt sich gegenwärtig eben, ob Christen sich dem Soldatenstande zuwenden dürfen, ob Militärpersonen zum Christentum zugelassen werden können […]. Es harmoniert nicht zusammen, unter dem Fahneneid Gottes und der Menschen, unter dem Feldzeichen Christi und des Teufels, im Lager des Lichts und in der Finsternis zu stehen, eine und dieselbe Seele kann nicht zweien verpflichtet sein, Christo und dem Teufel.“31 Zu den Gründen für die Ablehnung des Militärdienstes durch christliche Glaubensangehörige gehörten bzw. gehören vor allem folgende Punk29  Galambos, Sándor: A kiegyezés ellen / Böszörményi László harca eszményeiért/ [Gegen den Ausgleich/László Böszörményi’s Kampf um seine Ideale/]. www.szabadarchiv.hu/ drupal/sites/default/files/197 – 206.pdf (Zugriff am 12.10.2013). 30  Tertullian in der Übersetzung von Heinrich Kellner. Über den Götzendienst. In: Bibliothek der Kirchenväter: Tertullians private und katechetische Schriften. Bd. 1. Kempten 1912, S. 137 – 174. Nr. 15, S. 161. 31  Ebenda, Nr. 19, S. 168. Auch wenn es im Römischen Reich kaum zu Problemen mit der Kirche kam, da das römische Heer mehr oder weniger eine Berufsarmee war und es im römischen Heer keine Wehrpflicht im heutigen Sinne gab, sprach Tertullian die Problematik für Söldner, die sich zum Christentum bekennen wollten, an.

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te: Das biblische Gebot der Nächstenliebe schloss Gewaltanwendungen und damit das Töten von Menschen aus. Der Krieg und das damit verbundene Blutvergießen an sich verstießen gegen die friedliche Lehre und das Tötungsverbot. Ferner der absolute Befehlsgehorsam, aber auch der militärische Eid, durch den der Christ der Armee mehr verpflichtet war als Gott. In alter Zeit waren es auch die Feldzeichen, deren Verehrung als Götzendienst angesehen wurde.32 Darüber hinaus wird in der Bibel in Micha 4, 3 darauf hingewiesen, dass ein Diener Gottes keinen Krieg mehr lernen würde,33 wodurch auch militärische Übungen ausgeschlossen waren. Unter Konstantin änderte sich der Standpunkt der Kirche. Gemäß dem Konzil von Arles 314 durfte ein Christ sich dem Militärdienst auch Gewissensgründen nicht entziehen.34 Dennoch hat es im Mittelalter einige wenige Glaubensgemeinschaften gegeben, die keinen Militärdienst verrichteten wie die Minoriten, die Waldenser und die Katharer, teilweise auch Franziskaner. Mit der Reformation waren weitere wie die Hutterer, die Mennoniten, die Quäker hinzugekommen. Ähnlich wie unter Joseph II. in Verbindung mit den Lipowanern hatte auch Friedrich II. Regelungen für Verweigerer der Mennoniten durch das Gnaden-Privilegium geschaffen.35 Bei den STA bildete sich eine Splittergruppe, die den Waffendienst verweigerte. Die Bibelforscher kamen als Gemeinschaft zu dem Schluss, nicht auf Mitmenschen zu schießen, wobei der Einzelne entschied, in die Luft zu schießen, einen waffenlosen Dienst zu bevorzugen oder ganz zu verweigern. Einzig die Nazarener vertraten von vornherein die Haltung, nicht zur Waffe zu greifen, was sie auch so beibehielten. Für das Militär und die Behörden hingegen war der Militärdienst eine „heilige Kuh“, eine „heilige Pflicht“, Verweigerer hatten kaum Verständnis zu erwarten. Mit Kriegsbeginn ging man offensichtlich zunächst unterschiedlich, in Ungarn offensichtlich teilweise gnadenlos mit Verweigerern um, später wurden die Verweigerer häufiger auch, je nach Gutwill des Vorgesetzten zum waffenlosen Dienst eingesetzt, der jedoch zumeist überaus gefährlich war. Verständnis für die biblisch begründete Haltung der Behörden oder Vorgesetzten, die zumeist ebenfalls christlichen oder jüdischen Hintergrund hatten, gab es wenig. In jedem Fall wurde ihre Haltung durch den Krieg noch mehr in den Blickpunkt der Behörden gerichtet. 32 Vgl. Dignath-Düren, Walter: Kirche, Krieg, Kriegsdienst. Die Wissenschaft zu dem aktuellen Problem in der ganzen Welt. Hamburg 1955, S. 16. 33  „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Speere zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere sein Schwert erheben, und werden nicht mehr kriegen lernen.“ Micha 4, 3, Lutherbibel, Berlin 1901. 34  Man schloss sich der Vorstellung des „gerechten Krieges“ an. Buschmann, Nikolaus: Einkreisung und Waffenbruderschaft: die öffentliche Deutung von Krieg und Nation in Deutschland 1850 – 1871. In: Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft. Bd. 161. Tübingen 2003, S. 110. Lorson S. J., Pierre: Wehrpflicht und christliches Gewissen. Frankfurt/ Main 1952, S. 48 ff. 35  Reiswitz, Freiherr von/Wadzeck, Friedrich (Hrsg.): Glaubensbekenntnis der Mennoniten und Nachricht von ihren Colonien, nebst Lebenbeschreibung Menno Simonis. Berlin 1824, S. 212 ff. Man konnte sich so sozusagen freikaufen vom Dienst.

Kapitel 5

Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

A.  Politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs zerfiel die seit 1867 bestehende kaiserlich-königliche Monarchie, womit auch die seit etwa 400 Jahren existierenden staatsrechtlichen Beziehungen zwischen Ungarn und Habsburgern endeten.1 Ungarn musste sich neu konstituieren. Eine in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht wechselhafte Zeit und ein verzweifelter Kampf von Politik und Kirche um den Erhalt des Vielvölkerstaates begann.2 Die Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg und der damit einhergehende drohende Zerfall des tausendjährigen Staatsgebildes des Stephansreiches alarmierte auch die obersten geistlich-administrativen katholischen Kreise, da diese Entwicklungen, die Verluste an Territorium und Bevölkerung, die Macht der Kirche zu schwächen drohten. Die einschneidenden Entwicklungen in Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg sollten nachhaltige Auswirkungen auf die folgenden Zwischenkriegsjahre haben und verdienen daher besondere Beachtung. Am 23. Oktober 1918 trat die Regierung von Sándor Wekerle3 zurück, die vom Wiener Hof angesichts der bevorstehenden Kriegsniederlage nach der Demission der Tisza-Regierung bzw. der kurzzeitigen Nachfolgeregierung unter dem parteilosen Graf Móric Esterházy4 eingesetzt worden war. Die nur wenige Tage währende Regierungsphase des vom König ernannten Ministerpräsidenten, Graf János Hadik (1863 – 1933),5 löste der der bürgerlichen Opposition angehörende Graf Mihály Károlyi ab, unter dessen Führung in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober 1918 1 König Karl IV. verzichtete nach eigener Darstellung auf seine königlichen Rechte, aber nicht auf den ungarischen Thron. Daher versuchte er mehrfach mit Hilfe habsburgtreuer Legitimisten und Unterstützung der Katholischen Kirche zurückzukehren. Der letzte Versuch im Oktober 1921 endete mit der Inhaftierung der königlichen Familie auf der Halbinsel Tihany/Balaton. 2  Von 18,2 Millionen Einwohnern des Königreichs Ungarn gehörte etwa die Hälfte zur staatstragenden magyarischen Nation. Rumänen, Deutsche, Slowaken, Serbokroaten und Ruthenen bildeten die größten nationalen Minderheiten. Von den 910 000 Juden sahen sich 700 000 als Ungarn. Vgl. Gräfe, S. 885 f. 3  Nach seiner dritten Amtszeit, die er am 20.08.1917 angetreten hatte. 4  Der vom König von der Front nach Budapest zurückberufene Esterházy (1881 – 1960) wurde von ihm überraschend zum Ministerpräsidenten ernannt, um Reformen durchzusetzen, trat aber nach nur kurzer Zeit zurück. Gecsényi, Lajos: Die Lebenserinnerungen von Moritz Graf Esterházy. In: Ungarn-Jahrbuch, 1990, S. 179 – 204, hier S. 179 f., 185 ff. 5  Ernennung zum Ministerpräsidenten erfolgte am 27. Oktober 1918.

A.  Politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg

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ein für die Regierungsbildung zuständiger Nationalrat/Wahlrechtsblock gegründet wurde, bestehend aus Függetlenségi Párt von Mihály Károlyi, der OPRP und der MSzDP – also den Anhängern Károlyis und seiner linksorientierten Unabhängigkeitspartei, der Bürgerlich Radikalen Partei und den Sozialdemokraten.6 Durch die Entwicklungen im Ersten Weltkrieg spitzten sich die politischen, sozialökonomischen und nationalen Konflikte zu, was ähnlich wie in Deutschland und Russland eine revolutionäre Situation heraufbeschwor. Bis Anfang des Jahres 1917 waren von 3,8 Millionen Frontsoldaten rund 600 000 gefallen, 750 000 wurden schwer verwundet, ebenso viele waren in Gefangenschaft geraten. Zehntausende lebten in früher unvorstellbarem Elend, hungerten und froren, viele hatten kein Dach über dem Kopf.7 Diese Situation bereitete in Ungarn den Boden für revolutionäre Umwälzungen. Mit der sogenannten Asternrevolution8 übernahm Károlyi am 31. Oktober 1918 die Regierungsgewalt mit dem Ziel, ein unabhängiges, demokratisches Ungarn zu schaffen und damit das Vermächtnis der Revolution von 1848 einzulösen. Oberstes Ziel war zunächst die Beendigung des Krieges.9 Am 16. November 1918 rief der Nationalrat die erste Ungarische Volksrepublik aus. Zwischenzeitlich unterzeichneten Österreich und Ungarn am 3. November die bedingungslose Kapitulation, und König Karl IV.10 verzichtete am 13. November in Ungarn auf die Ausübung seiner Staatsgeschäfte.11 Ein Wahlrechtsgesetz, das das 6  Besier, Gerhard: Das Europa der Diktaturen. Eine neue Geschichte des 20. Jahrhunderts. München 2006, S. 123. www.dus.sulinet.hu/Horthy/Kriegsschuld_h.htm. Rei­ nert-Tárnoky, Prälat Giesswein, S. 107. Es wurde ein Zwölf-Punkte-Programm festgelegt, beispielsweise: Wechsel des derzeitigen Parlaments- und Regierungssystems; volle Unabhängigkeit Ungarns; sofortige Beendigung des Krieges und der Allianz mit Deutschland; allgemeines, gleiches und geheimes Wahlrecht; Selbstbestimmungsrecht für alle Nationalitäten; Versammlungsfreiheit sowie Presse- und Gewissensfreiheit; allgemeine Amnestie; Wirtschaftsreformen; Agrarreformen; Anerkennung der neu entstandenen ukrainischen, polnischen, tschechischen, südslawischen und deutsch-österreichischen Gemeinwesen; friedliche Außenpolitik; Absendung ungarischer, die Abrüstung befürwortender Delegierter zu den Friedensverhandlungen. Vgl. Romsics, Magyarország, S. 112, Gräfe, S. 890 f. 7  Das niedrige Einkommen von Facharbeitern und Tagelöhnern sank auf 50 Prozent und darunter, die täglichen Brotrationen wurden von Januar bis Juni 1918 von 100 auf 50 g herabgesetzt, demgegenüber waren die Dividenden des Großkapitals von 1916 auf 1917 um 38 Prozent gestiegen. In Budapest wurden der Gas- und der Stromverbrauch eingeschränkt. Vgl. Gräfe, Asternrevolution, S. 887. Romsics, Magyarország, S. 119. 8  Bereits mit der Ernennung Hadiks waren hunderttausende Budapester auf die Straße gegangen und hatten die Ernennung Károlys’ zum Regierungschef gefordert. Soldaten und Matrosen entwaffneten Offiziere, befreiten politische Gefangene und steckten sich als Zeichen des Sieges weiße Astern an die Uniformen und in die Gewehrläufe. Einziges prominentes Opfer des ansonsten unblutigen Aufstands war der ehemalige Ministerpräsident István Tisza, der von Soldaten ermordet wurde. 9  Romsics, Magyarország, S. 115. Besier, Europa, S. 123. 10 Kaiser Karl I. von Österreich und König Karl IV. (ungarisch Károly IV.) von Ungarn (1887 – 1922). 11 Fürstprimas Csernoch erkannte am 20. November im Einvernehmen mit dem Episkopat die Republik an und bot ihr die Unterstützung der katholischen Kirche an. Csizmadia,

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

allgemeine und geheime Wahlrecht der Männer einführte, wurde erlassen, Diskriminierungsgesetze wurden abgeschafft, ein Gesetz zur Pressefreiheit erging12 und mit GA III/1919 wurde das Versammlungsrecht festgelegt, wonach jedem das Recht zustand, sich zu versammeln. Sozialpolitische Reformen wurden in Angriff genommen.13 Am 16. Februar 1919 erging das Gesetz über die Bodenzuteilung: Weltlicher Großgrundbesitz über 250 ha und Kirchenbesitz über 100 ha sollte gegen Entschädigung an Landarbeiter und Bauern verteilt werden. Die umfangreiche Agrarreform, kam jedoch nicht in Schwung, wenngleich Károlyi selbst als einer der größten Grundbesitzer mit gutem Beispiel voranging. Andere Adlige waren nicht bereit, ihm zu folgen, auch die katholische Kirche widersetzte sich obstinat.14 Es kam, nicht zuletzt durch den wachsenden Einfluss der kommunistischen Partei, zu eigenmächtigen Enteignungsaktivitäten, so zum Beispiel durch die Bevölkerung, örtliche Räte oder linke Sozialdemokraten. Die Kommunistische Partei Ungarns (KMP, Kommunisták Magyarorzsági Pártja), die Béla Kun, der jüdischer Herkunft war,15 am 24. November 1918 gegründet hatte, fasste schnell in allen Komitaten Fuß und zählte bis Ende des Jahres etwa 35 000 Mitglieder. Ihr Presseorgan war die „Rote Zeitung“ unter Redaktion von Béla Kun. Nach der Schilderung von Professor Oskar Jászi, damaliger Minister für Nationalitätenfragen, „spukte die Gefahr des Bolschewismus vom ersten Augenblick an über die Károlyi-Regierung. […] Die heimkehrenden Soldaten und Invaliden haben die Regierung unausgesetzt mit unausführbaren übermäßigen Forderungen belagert.“ Seinen Berichten zufolge verfügten die kommunistischen Agitatoren über bedeutende finanzielle Mittel, das „Geld kam in Fülle aus Rußland“.16 Obgleich in Regierungskreisen diskutiert wurde, die KMP gewaltsam auszuschalten, und führende Kommunisten, darunter auch Andor: A magyar állam és az egyházak jogi kapsolatiainak kialakulása és gyakorlata a Horthy-korszakban. [Die Entwicklung der rechtlichen Verbindungen zwischen dem ungarischen Staat und den Kirchen und deren Umsetzung in der Horthy-Zeit. Budapest 1966, S. 98 (und Anmerkung 4). 12  Besier, Europa, S. 123 f. 13  Dazu gehörte, die Einführung von Arbeitslosengeld, die Untersagung der Kinderarbeit unter 14 Jahren, Lohnerhöhungen, Steuerverbesserungen für Kleinunternehmer u. a. Man plante auch die Einführung des 8-Stunden-Tages. 14  Die Regierung hatte die Enteignung von mehr als 200 Katastraljoch (altes in Österreich noch übliches Feldmaß, ein Katastraljoch entspricht 0,575465 Hektar) Kirchengüter angeordnet. Vgl. Romsics, Magyarország, S. 117 – 119. Besier, Europa, S. 124. 15  Béla Kohn, geboren 1886 in Siebenbürgen, 1906 Änderung des Namens in die ungarische Form Kun. Er geriet im Ersten Weltkrieg als Soldat in russische Gefangenschaft und wurde dort Anhänger der Bolschewiki. Im März 1919 war unter der Leitung des Journalisten Kun innerhalb der KPR (B) Lenins eine Sektion ungarischer Kriegsgefangener entstanden. Durch das am 4. November 1918 in Moskau gebildete ZK der KMP wurden ungarische Kommunisten zur Rückkehr nach Ungarn aufgefordert. Kun wurde 1939 in der Sowjetunion Opfer der stalinistischen Säuberung. Vgl. Courtois, Stéphane/Werth, Nicolas/Panné, Jean-Louis/Paczkowski, Andrzej/Bartosek, Karel/Margolin, Jean-Louis: Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror. München 1998, S. 300. 16  Jászi, Oszkar: Magyariens Schuld, Ungarns Sühne. Revolution und Gegenrevolution in Ungarn. München 1923, S. 44 – 46, 78.

A.  Politische Situation nach dem Ersten Weltkrieg

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Kun, verhaftet wurden, wuchs der Einfluss der Rätebewegung, sodass Historiker teilweise von einer Art Doppelherrschaft sprechen. Verschiedenerorts übernahmen Arbeiter- und Bauernräte die Verwaltung. Die veränderten Machtverhältnisse führten dazu, dass die Regierung für den 13. April Neuwahlen ansetzte.17 Der Umschwung von der Monarchie auf eine bürgerlich-demokratische Regierung war für viele Legitimisten, die für die Rückkehr Karl IV. eintraten, inakzeptabel.18 Zu ihnen zählten neben Mitgliedern des hohen Klerus, vor allem der Hochadel, eine bürgerliche Mittelschicht und jüdisches Großkapital. Die mehr protestantisch geprägte Kleinlandwirtepartei und das Offizierskorps unter dem deutschstämmigen Gyula Gömbös (1886 – 1936) hingegen unterstützten die „freie Königswahl“.19 Einer der namhaftesten Legitimisten, Kardinal József Mindszenty (1892 – 1975), zu der Zeit noch unter dem Namen József Pehm 20 als Kaplan und Religionslehrer im Komitat Zala tätig, beschreibt die Situation in seinen Memoiren wie folgt: „Überall machten sich bei der Bevölkerung und im Staatsgefüge Zeichen der Unsicherheit und der Erschöpfung bemerkbar. Eine kleine liberale Gruppe, die sich vornehmlich aus Intellektuellen rekrutierte, verbreitete in der Hauptstadt die Parole: ‚Frieden und Revolution‘. […] So kam es im Oktober 1918 zum totalen Zusammenbruch. […] Graf Michael Károlyi übernahm in der ungarischen Hauptstadt die Führung einer Revolutionsregierung. Das Volk sah zunächst weitgehend ohnmächtig und passiv den Ereignissen zu und der Zukunft entgegen. Der Zerfall des Landes des hl. Stephan schien unaufhaltbar zu sein.“21 Mindszenty selbst unterstützte die Interessen der Volkspartei des politischen Katholizismus, indem er in der Presse wie auch auf Volks- und Komitatsversammlungen die Monarchie immer wieder als die einzig legitime Staatsform proklamierte und die Aktionen der amtierenden Károlyi-Regierung kritisierte.22 Er erklärte: „Wir sammelten uns. In der Zeitung, deren Redakteur ich war, kritisierten wir das Verhalten des neuen Regimes scharf. Als dann die Regierung Károlyi 1919 Neuwahlen ausschrieb, habe ich in unserem Gebiet, auf die Bitten meiner Freunde und vieler Priester hin, die Führung der neugegründeten Christlichen Partei im Wahlkampf übernommen. Ich hielt Reden, erläuterte in Versammlungen und im Komitatsrat unseren Standpunkt

Gräfe, S. 893. Und damit eine Restauration der Habsburger verlangten. 19  Gergely, Jenő: Gömbös Gyula. Vázlat egy politikai életrajzhoz [Gyula Gömbös. Manuskript für einen politischen Lebenslauf]. Budapest 1999. Ders.: A Gömbös-szindróma [Das Gömbös-Syndrom]. In: História, Nr. 3, 2000, S. 15 – 17. 20 Um nicht mit den deutschen Nationalsozialisten identifiziert zu werden, änderte Pehm 1941 seinen Namen in Mindszenty. Balogh, Margit: Mindszenty József (1892 – 1975). Élet-Kép-sorozat [József Mindszenty (1892 – 1975). Reihe Lebensbilder]. Budapest 2002, S.  51 – 53, 342. 21  Mindszenty, József: Erinnerungen. Frankfurt 1974, S. 16 f. 22  Balogh, Mindszenty, S. 14, 22 f. 17 

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oft und eingehend. So gelang es uns, die neugegründete Károlyi-Partei in Stadt und Land wirksam zu bekämpfen.“23 Die prekäre innenpolitische Situation wurde durch die Forderung verschiedener Nationalitäten wie Slowaken und Kroaten auf Loslösung von Ungarn verschärft. Bereits am 8. April 1918 hatten die Führer der Nationalitäten der Monarchie in Rom beim Kongress der unterdrückten Nationalitäten erklärt, nicht länger zum historischen Ungarn gehören zu wollen – eine Erklärung, die auch die französische Idee eines „cordon sanitaire“, einer Einrichtung von Pufferstaaten zum Schutz Europas vor der Sowjetunion unterstützte, nach welcher an die Stelle der Monarchie selbstständige bürgerliche Nationalstaaten treten sollten.24 Kroaten und Slowaken hatten sich bereits Ende Oktober 1918 getrennt. Siebenbürgen suchte den Anschluss an das Rumänische Königreich. Im November wurden von der Belgrader Konvention Demarkationslinien innerhalb des historischen Ungarns festgelegt, die jedoch von tschechischen und rumänischen Truppen überschritten wurden und trotz wiederholter Proteste der ungarischen Regierung nicht zurückmarschierten. Diese Besetzungslinien wurden dann im Großen und Ganzen die Staatsgrenzen. Die angespannte Situation lastete zusätzlich und besonders auf der Regierung. Als dann die Pariser Friedenskonferenz die Bildung einer neutralen Zone zwischen Rumänien und Ungarn beschloss, verweigerte Károly der sogenannten Vix-Note vom 20. März 1919, die die Demarkationslinien noch ungünstiger festlegte, die Zustimmung und trat zurück.25 Da keine bürgerliche Partei dieses Ultimatum hätte annehmen können, war der bürgerlich-demokratische Weg gescheitert. Am 21. März übernahm Béla Kun die Macht. Der Revolutionäre Regierende Rat wurde gebildet, Volkskommissare wurden eingesetzt und die Räterepublik wurde unter der Führung von Sándor Garbai (1879 – 1947) ausgerufen, die eigentliche Führung jedoch lag bei Kun.26 An eben diesem Tag vereinigten sich auch die KMP und die MSzDP zu einer Partei, die im Juni zunächst Ungarländische Sozi23  Mindszenty, S. 17, 23. Die mediale Macht erkennend und im Sinne innerkirchlicher Umstrukturierung zur parteipolitischen und publizistischen Öffentlichkeitsarbeit gründete Pehm Ende des Jahres ein eigenes Wochenblatt, „Zalamegyei Újság“, Zeitung des Komi­ tats Zala. Dirksen, Annegret: Kardinal József Mindszenty – reaktionärer Legitimist oder Märtyrer im Freiheitskampf? Leben und Haltung eines Geistlichen unter verschiedenen Regimes in Ungarn (1916 – 1949). In: Kirchliche Zeitgeschichte, S. 655 – 689, hier S. 657 ff. 24  Kovács-Bertrand, Anikó: Der ungarische Revisionismus nach dem Ersten Weltkrieg: der publizistische Kampf gegen den Friedensvertrag von Trianon. Oldenburg 1997, S. 37 f. 25  Zusätzlich sollte eine wichtige Eisenbahnlinie an Rumänien gehen. Ferdinand Vix mit seiner Delegation überbrachte die Entscheidung vom 26.2.1919 der ungarischen Regierung. Vgl. Romsics, Magyarország, S. 133 – 135. Ormos, Mária: Padovától Trianonig 1918 – 1920 [Von Padua bis Trianon 1918 – 1920]. Budapest 1983, S. 160 ff. Besier, Europa, S. 125. 26 Es wurde keine Regierung gegründet, sondern ein Revolutionärer Regierungsrat. Volkskommissariate übernahmen unter der Leitung von Volkskommissaren die Rolle der Ministerien. Es wurden 12 Volkskommissariate eingerichtet. Eugen Varga, Leiter des Kommissariats für Finanzen, gehörte später zu den führenden Wirtschaftsfachleuten der Sowjetunion, war Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und spielte eine wichtige Rolle bei der Verstaatlichung der ungarischen Wirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Vgl.

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alistische Partei (Magyarországi Szocialista Párt) genannt und später in Magyar Szocialista-Kommunista Párt (Ungarische Sozialistische-Kommunistische Partei) umbenannt wurde.27 Die kommunistische Regierung, die mit ihrer Forderung nach sozialer und nationaler Gerechtigkeit, nach Verstaatlichung der führenden Industrieunternehmen und des Großgrundbesitzes genau auf der Welle der Masse lag und ihren Einfluss zum Beispiel in Arbeiter-, Betriebs- und Soldatenräten, bei Verbänden der Arbeiterjugend, der Arbeitslosen, der Kriegsinvaliden und nicht zuletzt bei den Gewerkschaften hatte geltend machen können, begann sofort mit der politischen und wirtschaftlichen Umstrukturierung des Landes.28 Die Räteregierung erhöhte die Löhne, hob die Renten der Kriegsopfer an, dehnte Kranken- und Unfallversicherung auf Arbeiter und Angestellte aus, garantierte kostenlose medizinische Versorgung innerhalb eines staatlichen Gesundheitswesens und nahm viele weitere radikale Änderungen vor.29 Die oberste gesetzgebende Körperschaft der Republik bildeten die Abgeordneten des Landesrätekongresses, die die Verfassung vom 23. Juni beschlossen. Das Schmidt-Papp, Ernst: Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Ungarn während der Räterepublik. In Ungarn-Jahrbuch 1973, S. 158 – 170, hier S. 160 f. 27  Mit Ende der Räterepublik gingen die Parteien wieder auseinander. Die KMP gründete sich 1922 illegal neu und die MSzMP 1925 legal, wurde aber 1928 verboten, Gräfe, S. 894 f. 28  Industrie-, Bergbau-, Verkehrs- und Handelsunternehmen über 20 Beschäftigte, Banken und Versicherungen wurden ohne Entschädigung enteignet. Ebenda, S. 895. 29 Z. B.: Jahresurlaub wurde gewährt, 8-Stunden-Tag eingeführt, Mütter bekamen sechswöchigen Wochenurlaub, Paläste wurden als Kinderferienlager genutzt, Mieten für Kleinwohnungen gesenkt, Schulbesuch war kostenlos. Ebenda, S. 896 f. Der Revolutionäre Regierungsrat ordnete an, alle privaten Schließfächer der Banken zu öffnen, die Werte, vor allem Gold und ausländische Währungen, zu beschlagnahmen. Der amtlich festgelegte Wert wurde dabei den Besitzern in ungarischer Währung gutgeschrieben, die jedoch fast keine Kaufkraft mehr hatte, wodurch dieser Akt quasi einer Enteignung gleichkam. Am 1. April 1919 forderte man die Bevölkerung unter Androhung von Strafe bei Verweigerung auf, Juwelen und Goldgegenstände im Wert von über 2 000 Kronen unentgeltlich bei den Behörden abzuliefern, Kunstgegenstände im Privatbesitz wurden beschlagnahmt, um damit dem ständig ansteigenden Notenumlauf eine gewisse Deckung zu verleihen. Teilweise konnten Wertsachen nach dem Sturz der Räterepublik den Eigentümern zurückgegeben werden. Bereits die Károlyi-Regierung hatte wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation neue Banknoten in Umlauf gesetzt, was sich jedoch nicht so einfach gestaltete, da die Österreichisch-Ungarische Bank in Wien lediglich bereit war, der Revolutionsregierung die für den Druck neuer Banknoten nötigen Klischees für nur eine Seite zur Verfügung zu stellen. Dadurch wurde einseitig bedrucktes Papiergeld, sogenanntes „Weißgeld“, herausgegeben – eine Praxis, an der sich bis zum Ende der Räterepublik nichts änderte. Im Unterschied dazu bezeichnete man die alten Scheine als „blaue“ Banknoten und maß ihnen grundsätzlich mehr Wert bei und weigerte sich häufig trotz strenger Strafen, „Weißgeld“ anzunehmen. Romsics, Magyarország, S. 119 f. Schmidt-Papp, S. 162. Sargent, Thomas J.: Die Beendigung vier großer Inflationen. In: Feldmann, Gerald D./Holtfrerich, Carl Ludwig/ Ritter, Gerhard A./Witt, Peter-Christian (Hrsg.): Die Erfahrung der Inflation im internationalen Zusammenhang und Vergleich. Berlin 1984, S. 34 – 106, hier S. 51 f.

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ganze Verfassungs- und Rechtswesen der Räterepublik orientierte sich am Vorbild der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik. Im April 1919 wurde Frauen und Männer ab dem 18. Lebensjahr das Recht auf Wahlteilnahme eingeräumt. Geistliche besaßen allerdings kein Wahlrecht.30 Die Politik der Räterepublik ging noch stärker als die liberalen Regierungen auf Konfrontationskurs zu den Kirchen. Geplant war die völlige Separation, die klare Trennung von Kirche und Staat sowie eine kommunistische Bodenreform, nach der die katholische Kirche über 600 000 Katastraljoch Ackerboden verloren hätte.31 Tausende konfessionelle Schulen wurden verstaatlicht. Gleichzeitig versprach die Verfassung, dass „jeder seine Religion frei ausüben“ könne.32 Wie viel diese Rechte aber tatsächlich wert waren, zeigt die Erfahrung in der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und später in der Sowjetunion, wo trotz des „Dekrets über die Gewissensfreiheit, die kirchlichen und religiösen Vereinigungen“ von Anfang 1918 direkt nach der Oktoberrevolution gnadenlos gegen religiöse Einrichtungen und Gläubige großer Kirchen und kleiner Gemeinschaften vorgegangen wurde.33 Das bestätigt sich in Ungarn auch in der Zielsetzung Oszkár Fábers, einem ehemaligen katholischen Pater, nunmehr Leiter des Amtes für die Liquidierung konfessioneller Angelegenheiten, nämlich „die vollständige Vernichtung der Kirchen“.34 Ob das in Ungarn auch auf den Umgang mit den kleinen Religionsgemeinschaften zutraf, muss offen bleiben, da bisher keine diesbezügliche Dokumentation oder Archivunterlagen gefunden werden konnten. Lenin, der regelmäßig in Kontakt mit Budapest stand und von Béla Kun als Führer des Weltproletariats angesehen wurde, befürwortete klar ein rücksichtsloses Vorgehen in Ungarn am 27. Mai, wenn er erklärte: „Diese Diktatur setzt die schonungslos harte, schnelle und entschiedene Gewaltanwendung voraus, um den Widerstand der Ausbeuter, der Kapitalisten, Gutsbesitzer und ihrer Handlanger zu brechen. Wer das nicht verstanden hat, der ist kein Revolutionär.“35 Der „rote Terror“ der Rätediktatur zur Verwirklichung ihrer Politik stieß bei der Bevölkerung auf wenig Verständnis. Während der innenpolitische Druck weiter zunahm, spitzte sich die Situation an den Grenzen weiter zu: Der Räteregierung gelang es nicht, die Beziehungen zur Entente zu normalisieren. Paris entschied sich für eine militäriKüpper, Autonomie, S. 84 f. Zu einer Bodenaufteilung kam es jedoch nicht, da Produktionsbeauftragte eingesetzt wurden, die die verstaatlichten Güter verwalten sollten, wodurch die Bauernschaft restlos verprellt wurde. Schmidt-Papp, S. 165 f. Gräfe, S. 895 f. 32  Balogh, Margit/Gergely, Jenő (Hrsg.): Állam, egyházak, vallásgyakorlás Magyar­ országon, 1790 – 2005. Dokumentumok (Staat, Kirchen, Religionsausübung in Ungarn, 1790 – 2005. Dokumente). Bd. 1. In der Reihe: Históriai Könyvtár, Okmánytárok, Budapest 2005, S. 545. Reinert-Tárnoky, Christlicher Sozialismus, S. 111. 33  Slupina, Wolfram/Berezhko, Konstantin: Die Diktaturerfahrung von Jehovas Zeugen in der Ukraine als Teil ihrer Verfolgungsgeschichte in der UdSSR. In: Besier, Gerhard/ Stokłosa, Katarzyna (Hrsg.): Jehovas Zeugen in Europa – Geschichte und Gegenwart, Bd. 2. Berlin 2014. (Im Druck). 34  Zitiert nach Adriányi, Geschichte der Kirche, S. 99. 35  Zitiert nach Courtois/Werth/Panné/Paczkowski/Bartosek/Margolin, S. 301. 30  31 

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sche Intervention und sicherte dafür den bürgerlichen Regierungen von Bukarest, Prag und Belgrad das ungarische Siebenbürgen, Oberungarn und das Vajdaság zu.36 Die „Rote Armee“ eroberte zwei Drittel des tschechisch besetzten Oberungarns zurück. Die in Richtung Budapest vorstoßenden rumänischen Truppen brachten den Revolutionären Rat nach etwa viereinhalb Monaten zu Fall.37 Nachdem die Ultimativnote Clemenceaus den Rückzug aus Oberungarn erzwungen hatte, übergaben die Volksbeauftragten die Regierungsgeschäfte an die sozialdemokratische Regierung unter Gyula Peidl (1873 – 1943), die einen gewerkschaftlich-sozialdemokratischen Weg vertrat, aber bereits nach nur fünf Tagen durch eine von konterrevolutionären Truppen installierte provisorische Regierung unter István Friedrich (1883 – 1951) gestürzt wurde.38 In Szeged hatten sich während des Bestehens der Räterepublik unter der Führung von Graf Gyula (Julius) Károlyi (1871 – 1947, Cousin von Mihály Károlyi) Mitglieder der alten Regierung, Aristokraten und Militärs zu einer konterrevolutionären Regierung zusammengeschlossen. Sie verfügte über eine „Nationale Armee“, die dem ehemaligen Oberbefehlshaber der k. u. k. Marine und nunmehrigen Kriegsminister dieser Gegenregierung unterstand – Admiral Miklós Horthy (1868 – 1957)39. Dem „roten Terror“ der Räterepublik folgte die „weiße Terrorwelle“; Sonderkommandos rechneten nicht nur mit Arbeitern, sondern auch mit vielen Juden ab, da Béla Kun und andere Führungskräfte des Rätesystems jüdischer Herkunft waren. Manch einer sah in der Räterepublik eine von Juden unterstützte Revolution.40 „Im Grunde ist es die gesamte Geschichte des Judentums in Ungarn, die hier ihre Gipfelhöhe erreicht und von hier aus gesehen werden muß […]. Genau genommen ist es die Geschichte des Marxismus, der in Ungarn nur möglich wurde, weil Juden sich seiner annahmen.“41 Der schon unter Wekerle aufgekommene 36 Bei dem Feldzug wurden der Norden bis Pozsony (Bratislava), Miskolc, Kassa (Kosice) und Ungvár (Uzgorod), Ostungarn bis zur Theiß und der Süden bis Arad, Szeged und Pécs besetzt. 37 Vgl. Szidiropulosz, Archimédesz (Hrsg.): Trianon utóélete [Nachwirkungen von Trianon]. Házból, hazából kirekesztett [Ausgestoßen aus dem Haus, aus der Heimat] (Irodalmi Szemle [Literarische Zusammenschau]). Budapest 2004, S. 362 f. Die Räteregierung hatte am 25. März den Aufbau einer Roten Armee beschlossen, die im Juni 285 000 Soldaten zählte. 38  Reinert-Tárnoky, Christlicher Sozialismus, S. 111. Die Räteregierung hatte eine Armee aufgestellt und einen erfolgreichen Nordfeldzug gestartet, was aber ohne außenpolitische Auswirkungen blieb. Révai, József: A párizsi konferencia jegyzéke a magyar tanácskormányhoz [Anmerkungen der Pariser Konferenz zur ungarischen Räterepublik]. Vörös Ujság [Rote Zeitung], Nr. 24, 6.10.1919. http://www.filologia.hu/az-ev-szakdolgozata/a-voros-ujsag/page-32.html. (Zugriff am 10.10.2012). 39  Seine Familie entstammte dem Kleinadel. 40  Silagi, Denis: Die Juden in Ungarn in der Zwischenkriegszeit (1919  – 1939). Ungarn-Jahrbuch, 1973, S. 198 – 214, hier S. 200. 41  Schickert, S. 189 – 195, 198 – 203 u. a. mit Verweis auf die Arbeit „jüdischer Volkskommissare“. Das Argument des jüdischen Kommunismus hielt sich hartnäckig. Noch in einem Polizeibericht vom 9.12.1941 war zu lesen: „Eine bedeutende Zahl der Kommunisten

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Antisemitismus nahm weiter zu.42 Unterstützung fand die Regierung Friedrichs sowohl bei Kardinal János Csernoch (1852 – 1927) wie auch beim Klerus und der christlichen Partei, wenngleich sich herauskristallisierte, dass ein Teil der katholischen Kräfte eher für eine Rückkehr der für sie förderlichen Habsburger eintraten, wohingegen die Szegeder Regierung für eine „freie Königswahl“ war.43 Csernoch, dem im eigenen Interesse an einer konservativen Regierung gelegen war, wandte sich sogar persönlich an die französische Militärmission in Budapest gegen eine von der Entente geforderte Regierungsbildung mit den Sozialdemokraten und teilte dem britischen Diplomaten Sir George Clerk (1890 – 1979), der für ein Regierungskabinett bestehend aus allen Parteien sorgen sollte, seine Bedenken mit. Norbert Spannenberger zufolge „legitimierte er die Bestrafung der Juden“, da Csernoch schrieb: „Die Psychologie Ungarns kann nur jener verstehen, der die Schrecken des Kommunismus sowie die alle nationalen und religiösen Gefühle mit Füßen tretende Barbarei der Sozialdemokraten und der Juden erlebte.“44 Der deutsche Gesandte Max Egon von Fürstenberg (1863 – 1941) berichtete am 29. August 1919 über einen starken einheitlichen politischen Willen in Ungarn, „der sich in der christlichen Organisierung kundtut“.45 Csernoch, wie auch der einflussreiche Bischof Ottokár Prohászka (1858 – 1927) von Székesfehérvár,46 der schon 1918 festgestellt hatte, dass auf die Vernichtung der Räterepublik, die „Rattenrevolution“, nur die „Rüstung der Kirche“ folgen könne, unterstützten die Vereinigung der Parteien von István Friedrich und Pál Teleki (1879 – 1941) (die Partei der Nationalen Einheit und die Christlichsoziale Partei). Prohászka begrüßte den Einzug der Nationalen Armee von Miklós Horthy in Székesfehérvár geradezu stürmisch.47 Nach dem Einzug Horthys am 16. November in Budapest wurde am 24. November 1919 unter Druck Clerks eine Regierung unter Károly Huszár (1882 – 1941) gebildet, die von der Entente akzeptiert und von Horthy unterstützt wurde, sich allerdings nur bis zum 15. Mai 1920 halten konnte. Weitere Regierungswechsel folgten: zunächst stammt von den Juden ab. Von denen Personen, die nach Russland flohen sind die Hälfte Juden.“ MOL, K149, 651.f2 – 1941 – 7 – 6000, Bl.  609  f. 42  DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe 19./20. 5.2001: Die 133 Tage der Räte­ republik. Derstandard.at/druck/?id=585452 Forster, Nicolas: Die Pariser Vorortverträge unter besonderer Berücksichtigung des Vertrages von Trianon und dessen Auswirkungen für Ungarn. Linz 2000. www.mnemopol.net, S. 9. 43 Vgl. Balogh, Mindszenty, S. 46: Die christliche Partei geht auf 1895 zurück, da Graf Nándor Zichy (1829 – 1911) die Katholische Volkspartei (Katolikus Néppárt) ins Leben rief. 44  Zitiert nach Spannenberger, Positionierung, S. 37 f., 39 f. 45  Auswärtiges Amt R 8881. 46 Stuhlweißenburg. 47  Keresztényszociális Gazdasági Párt. Spannenberger zufolge galt Csernoch als Antriebskraft dieser Vereinigung. Wie aus Unterlagen der PL Esztergom hervorgeht, sponserte Csernoch Parteipropaganda mit 50.000 Kronen. Die katholische Kirche unternahm in der Folge im Zusammenhang mit der Unterstützung der christlich-nationalen Politik in der eigenen Institution Umstrukturierungen vor, um parteipolitisch und publizistisch öffentlichkeitswirksamer arbeiten zu können. Ebenda, S. 39 – 42. Prohászka, Ottokár: Kultúra és terror (Kultur und Terror). Reprint der Ausgabe von 1918, Budapest 1997, S. 43, 47.

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Sándor Simonyi-Semadan (1864 – 1946, R15. März bis 19. Juli 1920) und danach Graf Pál Teleki, ein Hauptvertreter der ungarischen Revisionspolitik.48 Da bei den so wichtigen Regionalwahlen die Christlich-Nationale Partei weitaus weniger Mandate erlangte als die Partei der kleinen Landwirte,49 verfügte General Horthy in Übereinstimmung mit konservativen Kreisen die Regierungsbildung unter Graf István Bethlen (1921 – 1931)50, der auf einer Vereinigung der beiden Parteien bestand.51 Mit dem am 1. März 1920 unter Androhung von Gewalt zum Reichsverweser52 ernannten Miklós Horthy, der den Durchbruch der protestantischen Gentry symbolisierte, setzten sich die „freien Königswähler“ gegenüber den Legitimisten durch.53 Horthy sorgte für eine Kontinuität der ungarischen Monarchie und im Großen und Ganzen auch der Rechtsform, wobei sich z. B. das Wahlrecht rückschrittlich entwickelte. Horthy sah sich selbst in der Rolle eines Ersatzkönigs, der eine konservative Politik verfolgte, den aufgeklärten Absolutismus als ideale Regierungsform betrachtend, der Parlamentarismus und Demokratie nur zur Entscheidungsfindung nutzte und seine Befugnisse stark ausbaute.54 Ähnlich wie der Wiener Hof war auch er an einer starken Position der katholischen Kirche interessiert, und weniger an einer multireligiösen Gesellschaft.55 Das Horthy-Regime in der Zwischenkriegszeit wird vor allem durch zwei prägende politische Persönlichkeiten bestimmt. Zum einen durch den konservativen noch vom liberalen Geist des 19. Jahrhunderts beeinflussten Ministerpräsidenten Bethlen in den 1920er-Jahren,

Molnár, Miklós: Geschichte Ungarns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hamburg 1999, S. 391. 49  Egyesült Kisgazda Párt. 50  Bethlen hatte im Februar 1919 die Nationale Vereinigungspartei (Nemzeti Egyesülés Pártja) und im März das Antibolschewistische Komitee gegründet. Der Jurist Anton Czett­ ler beschreibt Bethlen als konservativen Politiker, einen „Mann der alten Schule“, Vertreter des alten Ungarns von vor 1914, als einen Mann, der trotz restaurativer Politik zu Kompromissen bereit war. Czettler, Anton: Politische Betrachtungen eines konservativen Ungarn. Bemerkung zu István Graf Bethlens Schrift: „Die ungarische Politik im Zweiten Weltkrieg.“ In: Ungarn-Jahrbuch, 1984/1985, S. 75 – 115, hier S. 76. 51 Die Vereinigte National-Christliche Kleinlandwirte- und Bauernpartei (Egyesült Nemzeti Keresztény Kisgazda és Földmívespárt) wurde gegründet. 52  Da diese Einrichtung als nur vorübergehend gedacht war, wurde das System „staatsrechtliches Provisorium“ genannt. 53  Zu den Legitimisten zählten neben dem hohen Klerus vor allem der Hochadel, eine bürgerliche Mittelschicht und jüdisches Großkapital. Die mehr protestantisch geprägte Kleinlandwirtepartei und das Offizierskorps unter Gömbös hingegen unterstützten die „freie Königswahl“. 54 Das Amt des Reichsverwesers unterlag gewissen Einschränkungen wie Adelstitel zu verleihen, das Parlament aufzulösen und das oberste Patronatsrecht auszuüben. Vgl. Camphausen, Axel/Riedel-Spangenberger, Ilona/Sebott, P. Reinhold (Hrsg.): Lexikon für Kirchen- und Staatsrecht. Paderborn 2004, S. 178. Révész, László: Verfassung und Verfassungswirklichkeit in Horthy-Ungarn. In: Ungarn-Jahrbuch, 1974/75, S. 47 – 58, hier S. 47, 50 f., 54. Obgleich Horthy seine Stellung stärkte, blieb die Führung beim Parlament. 55  Reinert-Tárnoky, Selbstverständnis, S. 101. 48 

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in der sogenannten Konsolidierungsphase.56 Und zum anderen den militaristisch ausgerichteten Nationalisten Gömbös in den 1930er-Jahren.57 Mit der fortführenden Stärkung der Zentralgewalt entwickelte sich das politische System Horthys immer mehr zu einer persönlichen, schließlich autoritären Herrschaft. Obgleich mit Horthy ein Angehöriger der reformierten Kirche diese Machtstellung einnahm,58 beteuerte Csernoch umgehend die Ergebenheit der katholischen Kirche: „Die ungarische katholische Kirche unterstützt mit ihrer traditionellen Treue und mit ihrer großen moralischen Macht in ihrer Exzellenz die gesetzliche Staatsgewalt, ist in Treue und Liebe der hohen Person Ihrer Exzellenz zugetan und bittet getrost um ihren wirksamen Schutz.“59 Wie Horthy, die politische Relevanz erkennend, in seiner Reaktion erklärte, sah er die katholische Kirche als „einzige Basis des Wiederaufbaus unseres armen Vaterlandes“.60 Die folgende Zwischenkriegszeit betreffend sprach Ottokár Prohászka, der Vertreter des ungarischen christlichen Sozialismus, von einer „katholischen Renaissance“.61 Hauptgegner des Regimes Horthys waren die Kommunisten. Schon am 5. Dezember 1919 war die VO 91.383/1919 von Innenminister Ödön Beniczky (1878 – 1931)62 ergangen, die von der Verwahrung „schädlicher Personen“ spricht, „die für Sicherheit des Staates oder die öffentliche Ordnung und öffentliche Sicherheit gefährlich, besorgniserregend oder verdächtig sind“. Die Verordnung sah auch Internierung vor, die jedoch jeweils vom

Grafen István Bethlen, Gyula Károly und Pál Teleki zählten zu den wichtigsten und engsten Beratern Horthys, der sich zu dieser Zeit „seiner beschränkten politischen Fähigkeit“ bewusst gewesen sein soll. Radvánszky, Anaton: Die Stellung der Familie Horthy in Ungarn 1920 – 1944. In: Ungarn-Jahrbuch, Bd. 9, 1978. S. 197 – 206, hier S. 197. Romsics, Ignác: Konzervativizmus vagy liberalizmus? Grof Bethlen István politikai filozófia [Konservativismus oder Liberalismus? Politische Philosophie Graf István Bethlens]. In: Társadalmi Szemle [Gesellschaftliche Rundschau], 1992, Nr.  8, 9, S.  136 – 142. http://swopdoc. com/bethlen-istvan-es-goemboes-gyula-hatalomfelfogasanak.html (Zugriff am 10.9.2013). 57  Romsics, Magyarország, S. 153. Fazekas, S. 16, 84. 1932 endete Bethlens Konsolidierungspolitik und die Ära der Nachkriegszeit. Vgl. Gosztony, Peter: Die handelnden Persönlichkeiten von Staat, Kirche und Armee 1919 – 1939. In: Ungarn-Jahrbuch 1974/1975, S.  59 – 71. 58  Miklós Horthy selbst war reformiert, seine Mutter katholisch, der Vater obwohl reformiert, war ein habsburgtreuer Gentry. 59  Zitiert nach Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 12. Küpper, Autonomie, S. 86. Die anderen rezipierten Religionsgemeinschaften versicherten in ähnlicher Weise ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit. 60  Zitiert nach Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 12. 61  Prohászka, Ottokár: Naplójegyzetek [Tagebuchaufzeichnungen]. Bd. 1, Szeged 1997, S. 298. Romsics, Magyarország, S.  132 – 141, 225 – 227. Spannenberger, Katholische Kirche, S.  8, 39 – 47. 62  Beniczky gehörte zu den Legitimisten, war Mitglied des „Antibolschewistischen Komitees“, das im April 1919 von ungarischen Emigranten unter der Leitung von István Bethlen in Wien gegründet wurde und sich gegen die ungarische Räterepublik richtete. Rei­ nert-Tárnoky, Prälat Giesswein, S. 111. 56  Die

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Innenminister zu verhängen war.63 Andererseits hielt die VO 6.335/1919 des Ministerpräsidenten alle Behörden „streng dazu an“, sich vor „jeder Maßnahme oder Auftreten zurückzuhalten, welche das Ausüben freiheitlicher Rechte einschränkt und unmöglich macht“. Gegen diejenigen, die dagegen verstießen, war unverzüglich strafrechtlich vorzugehen. Beide Verordnungen wurden gleichzeitig veröffentlicht.64 Diese sich hier zeigende bigotte Umgangsform mit Freiheitsrechten – sie offiziell zu einem hohen Gut erklärend, gleichzeitig aber im Sinne des Systems beschränkend – könnte als ein dem Regime typisches Prinzip bezeichnet werden. Man gewährt Freiheitsrechte zum schönen Schein und sorgt gleichzeitig für Verordnungen, mit denen man diese nach Bedarf und Geschmack einschränken kann. Diese Verfahrensweise zeigt sich auch im Umgang mit religiösen Freiheiten.

B.  Trianon und das Streben nach Erhalt des Ungarntums in der Zwischenkriegszeit B.  Trianon und das Streben nach Erhalt des Ungarntums

Nach vielen erfolglosen Verhandlungen unterzeichnete die ungarische Regierung am Nachmittag des 4. Juni 1920 schließlich den zutiefst demütigenden Friedensvertrag im Versailler Palais Grand Trianon. Damit gingen rund zwei Drittel des Staatsgebietes und der Bevölkerung verloren; 3,2 Millionen Magyaren lebten auf dem Gebiet anderer Nationalstaaten; selbst historische Provinzen wie Siebenbürgen wurden abgetrennt.65 Ein Verlust, der auch die Bevölkerung schwer traf, hatte man doch immer noch gehofft, die Alliierten umstimmen zu können. Trotz der Unterschrift unter den Vertrag war die Zerstückelung des Landes nicht hinzunehmen. Eine der wichtigsten Vereinigungen, die bereits im Dezember 1918 gegründet worden war, war die Liga zur Verteidigung der Territorialen Einheit Ungarns („Magyarország területi épségének védelmi ligája“), die verschiedene 63  Kovács, Tamás: Az internálás mint rendészeti válasz állambiztonsági és államrendész­ eti kihívásokra 1919 – 1945 között [Die Internierung als polizeiliche Antwort auf Herausforderungen der Staatssicherheit und Staatsordnung zwischen 1919 und 1945]. In: Gaál, Gyula/ Hautzinger, Zoltán (Hrsg.): Pécs Határőr. Tudományos Közlemények [Pécser Grenzposten. Wissenschaftliche Mitteilungen]. Nr. XIII. Pécs 2012, S. 431 – 443, hier S. 431 f. http://www. pecshor.hu/periodika/XIII/kovacst.pdf (Zugriff am 4.5.2013). 64 Ebenda. 65  Das bisherige Gebiet mit einer Größe von 325 411 km 2 wurde auf 93 073 km 2 verkleinert. Ungarn verlor über 70% seines Gebietes, fast 64% seiner Bevölkerung (darunter 3,3 Millionen Ungarn) und den Hauptteil seiner Bodenschätze. Romsics, Ignác: Die deutsch-ungarischen Beziehungen im 20. Jahrhundert Grundzüge einer wechselvollen Verflechtung. Festvortrag an der Bayerischen Akademie der Wissenschaften am 25.2.2002. www.ungarischesinstitut.de/programme/2002/buk-e2002 – 2f.htm Küpper, Autonomie, S. 98. MártonffyPetrás, Éva: Eine Alternative zum politischen Katholizismus: Die Rezeption der Soziallehre im Kreise der katholischen Intelligenz in den dreißiger Jahren. In: Maner/Schulze Wessel, Religion, S. 199 – 219, hier S. 206. Besier, Europa, S. 128 f. Tomka, Wandel, S. 35, spricht davon, dass „Gebiete mit geschlossenen ungarischen Bevölkerungsteilen abgetrennt und den Nachbarn zugesprochen“ wurden.

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Abbildung 2: Ungarn vor Trianon, GNU Free Documentation License

Interessengruppen mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der Integrität Ungarns verband.66 In diesem Zusammenhang entstand auch eine der geflügelten Parolen dieser Zeit, „Nein, nein, niemals!“ („Nem, nem, soha!“) nach dem gleichnamigen Gedicht (1905 – 1937) – eine Teilung Ungarns war nicht zu akzeptieren, niemals. Dieser Wahlspruch stand auch für die entschlossene revisionistische Politik der sogenannten Irredentisten,67 die alles daran setzten, das Königreich des „heiligen Stephan“ in seinen historischen Grenzen Attila Józsefs wiederherzustellen.68 Das Debakel, der Verlust der Gebiete mit einem verbleibenden „Rumpfungarn“ oder „Kleinungarn“, glich einem zweiten Mohács, der schicksalhaften Niederlage Ungarns 1526 gegen die Türken.69 Es war ein Desaster, das dem Autoritarismus 66  Kovács-Bertrand, S. 50 f. Ungarisches Glaubensbekenntnis: „Csonka Magyarország nem ország, egész Magyarország mennyország“ [Rumpfungarn ist kein Land, ganz Ungarn ist das Himmelreich]. 67  Wenngleich sich dieser Begriff für die Ideologie der Zusammenführung aller Vertreter einer Ethnie in einem Staat zunächst auf die um 1877 in Italien entstandene Bewegung zur Vereinigung aller italienischsprachigen Gebiete der k. und k. Monarchie angewandt wurde (siehe www.enzyklo.de), wurde und wird er neuerdings wieder in Verbindung mit der revisionistischen ungarischen Politik gebraucht (Vgl. z. B.: DiePresse.com (APA): Slowakei: Ex-Premier kritisiert Ungarns „Revisionismus“. 7. April 2011). 68 www.trianon.hu/trianon/versek/Rückkehrversuch Karl IV. auch deswegen unterbunden, da die Staaten der kleinen Entente jede Restauration der Habsburger-Herrschaft als Kriegsgrund gesehen hätten, was zum völligen Zusammenbruch Ungarns hätte führen können. 69  Klimó, Nation, Konfession, Geschichte, S. 221: Professor Ákos Mihályfi, Zisterzienserpater, brachte 1919 im „Katholikus Szemle“ (Katholische Rundschau) diesen Vergleich.

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des Regimes von Horthy, aber auch Nationalismus und Antisemitismus Tür und Tor öffnete, das den multinationalen Staat, in dem ethnische Zugehörigkeit und Sprache über viele Jahrhunderte nur eine untergeordnete Rolle spielten, zerstörte und nunmehr ungarische Kultur und Sprache zum vereinenden Kennzeichen der Ungarn im Land und in den abgetrennten Territorien werden ließen und den Patriotismus anheizte.70 Trianon glich daher einer Zäsur. Anstelle des multinationalen Denkens trat der Nationalismus, die Pflege des Ungarntums, wozu Sprache und Religion gehörten. Das wurde zum vereinenden Element aller Ungarn, die im Land und in den durch Trianon abgetrennten Gebieten lebten. Ausgeblendet wurde dabei, dass die Situation im Vielvölkerstaat schon länger desolat gewesen war, hatte man doch bereits vor und nach dem Ausgleich 1867 die Nationalitätenfrage trotz Nationalitätengesetz nicht genügend berücksichtigt. Die zunehmende Diskriminierung der nichtmagyarischen Bevölkerung, die circa die Hälfte der Gesamtbevölkerung gestellt hatte, hat dazu geführt, dass nunmehr einzelne Nationen versuchten, aus dem „Völkerkerker“ auszubrechen.71 Die Zersplitterung des ehemaligen Großungarischen Königreiches wurde insofern mit dem Vertrag von Trianon durch die Siegermächte im Endeffekt nur besiegelt und festgeschrieben. Zusätzlich zum territorialen Verlust wurden dem Land noch 200 Millionen Goldkronen Reparationsleistungen auferlegt.72

I.  Militärische Ausrichtung Der trianonische Friedensvertrag hatte auch direkte Auswirkung auf die ungarischen Streitkräfte. Artikel 103 GA XXXIII/1921 bestimmte die Abschaffung der Wehrpflicht in Ungarn. „Das ungarische Heer wird künftighin nur auf dem Wege freiwilliger Verpflichtung aufgestellt und ergänzt werden.“ Artikel 104 beschränkte die Gesamtstärke der Streitkräfte des ungarischen Heeres, dessen Stärke sich im Ersten Weltkrieg auf zwei Millionen belief, nunmehr auf maximal 35.000 Berufssoldaten die nur zum Erhalt der Ordnung innerhalb des Landes und zum Grenzschutz vorgesehen waren. Eine allgemeine Wehrpflicht, aber auch schwere Waffen Reinert-Tárnoky, Selbstverständnis, S. 93. Cybenko, Larissa: „Vielvölkerstaat“ vs. „Völkerkerker“ im Schaffen der österreichischen Ukrainer um 1900. L’viv 2001. www.kakanien.ac.at/beitr/fallstudie/LCybenko1.pdf. Kroaten und Slowenen hatten ihre Unabhängigkeitsbewegung forciert, indem sie am 5. Oktober 1918 in Zagreb den Nationalrat der Serben, Kroaten und Slowenen gründeten, die Rumänen in Siebenbürgen im selben Jahr sich für den Anschluss des Gebietes an Rumänien einsetzten und die Tschechen und Slowaken am 28. Oktober 1918 die Tschechoslowakische Republik ausriefen, auf deren Gebiet eine große magyarische Minderheit lebte. Durch eine Reihe von Verträgen versuchten sich diese Staaten im Rahmen einer sogenannten kleinen Entente zwischen 1920 und 1921 gegen die ungarische Revisionspolitik zu wehren, das neu entstandene Staatensystem aufrechtzuerhalten und alle Versuche, das habsburgische Reich wiederherzustellen, abzuwehren. Karlsburger Beschlüsse vom 1.12.1918. www.uni-protokolle.de/Lexikon/Habsburger.html. 72 http://ub.unibw-muenchen.de/dissertationen/ediss/zarthe-sascha/inhalt.pdf (Zugriff am 13.4.2012). 70 Vgl. 71 

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waren untersagt. Überwacht wurde die Einhaltung der Bestimmungen durch die Alliierte Kontrollkommission.73 Dem Militär in Ungarn kam jedoch im Geist des Revisionismus trotz der trianonischen Beschränkungen eine nicht geringe politische Relevanz zu, schließlich war Miklós Horthy selbst ein bekannter Kriegsheld, der den Regierungswechsel mit seiner „Nationalen Armee“ mit Gewalt erzwungen hatte. Und in Sachen Disziplin sagte man ihm hartes Durchgreifen nach. So hatte er noch im Mai 1918 zwei meuternde Matrosen hinrichten lassen mit der Begründung, es wäre nötig, die Marine von solchen Elementen „wie von einem Krebsgeschwür“ zu befreien.74 Árpád von Klimó zufolge zeichnete sich der traditionsverbundene Horthy als „reaktionärer und brutaler Sachverwalter des Ancien Régime“ aus. Der unter Horthy in der Gegenregierung zur Räterepublik als Staatssekretär im Kriegsministerium amtierende General Gyula Gömbös, von dem es heißt, er habe die „antisemitische und antibolschewistische Dolchstoßlegende“ ungarischer Couleur vertreten, hatte in dieser Zeit zwei antisemitische Geheimbünde gegründet – einen für Zivilisten und einen für Militärs.75 In diesem Verständnis und der militaristischen Traditionspflege versuchte man die Umsetzung der Maßnahmen hinauszuzögern. Zur Einbindung der Jugend gründete man 1921 in Verbindung mit GA LIII/1921 über die Körpererziehung die paramilitärische Jugendorganisation „Levente“, der Kinder zwischen 12 und 21 Jahren verpflichtet waren beizutreten, insofern sie nicht eine Schule, die für Körpererziehung sorgte, besuchten oder Wehrdienst leisteten. Für die militärische Erziehung in der Organisation waren ehemalige Soldaten und Reserveoffiziere zuständig.76 Für die Umsetzung der Forderungen im Vertrag von Trianon erließ man erst im November 1921 ein entsprechendes Gesetz, den GA XLIX/1921. Auf Grundlage dieses Gesetzesartikels wurde am 4. Januar 1922 die Magyar Királyi Honvédség (Ungarische Königliche Armee) anstelle der Nemzeti Hadsereg (Nationale Armee) aufgestellt.77 Für das ungarische Militär wurden 1923 undercover Generalstabskurse organisiert. Die Csendőrség (Gendarmerie, wörtlich „Ruhewächter“, die 1881 gegründete Sicherheitswache), das staatliche Organ zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, bildete ein bewaffnetes Organ, was teilweise zahlenmäßig stärker war als die Streitkräfte selbst. Darin wurden vor allem ausgediente Soldaten eingesetzt.78 Horthy überwachte teilweise persönlich die Aufstellung der Gendarmerie, 73 Friedensvertrag von Trianon. www.versailler-vertrag.de/trianon/index.htm GA XI/ 1922, Tt., lieferte die gesetzliche Grundlage für die Umsetzung der geforderten militärischen Einschränkungen wie zum Beispiel der Bewaffnung von Militär, Gendarmerie und Polizei. 74  Klimó, Nation, Konfession, Geschichte, S. 216. 75  Ebenda, S. 217. Er war der „erste ausländische Staatsmann, der Hitler Besuch abstattete“. 76  Romsics, Magyarország, S. 182. Vitári, Zsolt: Jugendbewegungen im Zeichen nationalpolitischer Ausrichtung im Vorkriegsungarn: Deutsche Jugend und Levente. www.nemettortenelem.tti.btk.pte.hu. (Zugriff am 10.12.2011). 77  http://mek.niif.hu/02100/02185/html/57.html (Zugriff am 14.3.2012). 78  Die ungarische königliche Gendarmerie unterstand in militärischen Angelegenheiten dem Verteidigungsministers, in öffentlicher Hinsicht jedoch dem Innenminister (zum

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auch mit dem Ziel, die militärische Einschränkung des trianonischen Vertrages zu umgehen und illegal über militärische Truppen zu verfügen.79 Das machte sich auch in der Truppenstärke deutlich, die von 12 000 im Jahr 1912 auf 75 000 im Dezember 1919 hochschnellte. In den 1920er-Jahren entwickelt sich die Gendarmerie immer mehr zu einem wichtigen Organ, politisch unzuverlässige Elemente zu erfassen, zu überwachen bzw. deren Tätigkeit zu unterbinden. Die Gendarmen wurden mit Handbüchern ausgerüstet, in denen die Merkmale solcher gefährlicher Elemente beschrieben wurden – zu diesen Elementen gehörten Kommunisten, Sozialdemokraten, in den 1930er-Jahren die Pfeilkreuzler, ferner Volksbewegungen, Zionisten und „religiöse Sekten“. 1930 richtete man die „Központi Nyomozati Parancsnoksága“ ein, das Zentrale Ermittlungskommando der Gendarmerie, mit Unterabteilungen in größeren Städten.80 1927, nachdem die Überwachung durch die Alliierte Kontrollkommission beendet wurde, schloss man mit dem faschistischen Italien einen Freundschaftsvertrag81 und begann mit der Modernisierung der Aufrüstung des Militärs. Im Dezember desselben Jahres beschloss der Kronrat82 einen dreistufigen Aufbau der Streitkräfte, in dessen Folge deren Stärke bereits 1930 auf 57 000 erhöht werden sollte.83 Nachdem es nicht gelang, genügend Freiwillige für das Heer zu finden – der Kultusminister hatte sich 1927 sogar an den Fürstprimas mit der Bitte um Anwerbung von Freiwilligen gewandt, der die Sache an die Kirchenvorsteher weitergab84 – führte man zwischen 1928 und 1930 Zwangs-

Beispiel in Sicherheitsfragen). Während des Ersten Weltkriegs wurde das Organ mehr oder weniger auseinandergerissen, da ein großer Teil der Truppe an die Front beordert wurde. Unter der Räterepublik wurde sie von der Vörös Őrség (der Roten Garde) abgelöst, die unter der Peidl-Regierung wiederum aufgelöst wurde. Am 9. August 1919 rief die Friedrich-Regierung die Csendőrség (Gendarmerie) wieder ins Leben. Ab 1920 unterstand sie dem Innenminister. 79  Kaiser, Ferenc: „A csendőrség a Horthy-korban [Die Gendarmerie in der HorthyZeit].“ Rubicon XX, Nr. 202, 2010, S. 22. A Magyar Királyi Csendőrség zsebkönyve [Taschenbuch der Königlich Ungarischen Gendarmerie]. Budapest 1928. 80  Szabó, Miklós: A csendőrség útja [Der Weg der Gendarmerie]. In: Hetek [Wochen]. 4. Jg., Nr. 8, Februar 2012. http://epa.oszk.hu/00800/00804/00101/6868.html. (Zugriff am 12.8.2012). 81  Romsics bezeichnet diesen Vertrag als ersten Erfolg der ungarischen Revisionspolitik, mit dem sich das Land einen wertvollen Bundesgenossen erwarb. Bethlen ging es jedoch um mehr, er wollte ein italienisch-deutsch-ungarisches Bündnis. Romsics, deutsch-ungarische Beziehungen. 82  In den Kronrat wurden neben Mitgliedern der Herrscherfamilie politische und militärische Führungskräfte zusammengerufen. Der Rat tagte in der österreichisch-ungarischen Monarchie und während der Horthy-Zeit regelmäßig. Vgl. Kisslexikon [Kleines Lexikon]. www.kislexikon.hu/koronatanacs.html, (Zugriff am 10.1.2012). 83  Kardos, Sándor: A magyar katonai büntetőjóg multja és jelene. [Die Vergangenheit und Gegenwart des ungarischen Militärstrafrechts.] www.debreceniitelotabla.hu/doc/bunteto/…/MagyarKatonaiBuntetojog.pdf. (Zugriff am 20.9.2011). 84  Spannenberger, Positionierung, S. 60.

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rekrutierungen („K-toborzás“) durch.85 Der rechtsextreme Kriegsminister Gyula Gömbös86 hatte bereits am 15. November 1918 zusammen mit anderen Offizieren eine paramilitärische Organisation, die MOVE, den Ungarischen Landeswehrverein (Magyar Országos Véderő Egylet), ins Leben gerufen, der sich gegen kommunistische revolutionäre Ideen richtete.87 Gömbös, der unter der Bethlen-Regierung ab November 1929 als Kriegsminister fungierte und es auch weiter blieb, als er 1932 Ministerpräsident wurde, trieb die Aufrüstung und die Verstärkung der Armee energisch voran88 und führte eine allgemeine Wehrpflicht ein.89 Ab dieser Zeit wurden jeweils am 1. Oktober Rekruten zu einem 12 Monate dauernden Dienst einberufen. Nachdem Hitler 1933 an die Macht kam und die Aufrüstung und Militarisierung vorantrieb, schwenkte auch Ungarn verstärkt auf diesen Kurs ein und verstärkte auch die technische Modernisierung. Das Militärbudget wurde in den Jahren zwischen 1933 und 1938 stark angehoben.90 1939 kam es dann mit GA II zur Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht.91 Die Bedeutung des Militärs, dessen Rolle in der Horthy-Zeit noch stärker war als die der Kirchen, hatte auch großen Einfluss auf die kleinen Gemeinschaften.92

II.  Politik und die Rolle der historischen Kirchen im multireligiösen Kontext Die Verzweiflung, verbunden mit dem Streben nach Revision, einte die verschiedenen politischen Strömungen während der Zwischenkriegszeit.93 Hier reihte sich auch die katholische Kirche ein, die den Verlust ganzer Bistümer und einer großen Anzahl Gläubiger beklagte. Prozentual gesehen konnte sie jedoch im Ver85  „K“ (kényszer) sorozás [Zwangs-]Einberufung. http://mek.niif.hu/02100/02185/ html/57.html. (Zugriff am 17.3.2012). 86  Gömbös hatte 1924 die rechtsextreme Magyar Nemzeti Függetlenségi (Fajvédő) Párt (Ungarische Nationale Unabhängige [Rassenschutz-] Partei) gegründet, die er 1928 wieder auflöste. Er stand jedoch weiter in engem Kontakt mit extrem Rechten in Deutschland. 87 Vgl. Spannenberger, Katholische Kirche, S. 31. Gergely, Jenő: Gömbös Gyula – Vázlat egy politikai életrajzhoz. [Gyula Gömbös – Skizze eines politischen Lebenslaufs.] Szeged 1999, S. 36. 88 Vgl. Gosztony, Handelnde Persönlichkeiten, S. 60 f. 89  www.zmne.hu/tanszekek/Hadtortenelem/tematika/hk/m5.htm (Zugriff am 17.3.2012). 136 év után ért véget a kényszersorozás [Nach 136 Jahren Schluss mit Zwangseinberufung]. In: Origio v. 3.11.2004. www.origo.hu/itthon/20041103elfogyott.html (Zugriff am 17.3.2012). 90  http://ub.unibw-muenchen.de/dissertationen/ediss/zarthe-sascha/inhalt.pdf, http://mek. niif.hu/02100/02185/html/57.html (Zugriff am 17.3.2012). 91  Tt., GA II/1939. 92  Klimó, Nation, Konfession, Geschichte, S. 213. 93  Fischer, Holger: Handlungsspielraum und Zwangsbahn. Die ungarisch-deutschen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit. In: Hungarologische Beiträge. Historische Untersuchungen und Aufsätze. Nr. 7. Jyväskylä 1996, S. 7 – 28, hier S. 9. Besier, Europa, S. 129. Spannenberger, Positionierung, Kirche, S. 52.

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gleich zu anderen Kirchen eine Zunahme verbuchen. 1920 gehörten 62,8 Prozent der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche an, während es gemäß einer Volkszählung von 1910 nur 52,1 Prozent im gesamten ungarischen Königreich (darunter 49,3 Prozent in Ungarn selbst und 71,6 in Kroatien-Slawonien) waren. Neben der katholischen Kirche stieg auch der Anteil der reformierten von 14,3 Prozent im Jahre 1910 auf 21,6 und die der israelitischen von 5 Prozent auf 6,2. Der Anteil der griechisch-katholischen und der griechisch-orthodoxen Kirche dagegen nahm stark ab, da die Mehrzahl ihrer Mitglieder in den abgetrennten Territorien lebte.94 Besorgt um den weiteren Erhalt ihrer Macht verwies die katholische Kirche auf die traditionelle Einheit von Nation, Staat und katholischem Christentum. Kardinal Jusztinián György Serédi (1884 – 1945) schrieb mahnend: „In ihrer tausendjährigen Staatlichkeit verschmolz die ungarische Nation so sehr mit dem Christentum, wie der Körper mit dem Geist. Und wie es ohne Geist im menschlichen Körper kein Leben gibt, so gibt es ohne Christentum analog dazu auch kein Leben in der ungarischen Nation. […] Eine wahrhaftige Rettung der Nation war also die Aufnahme des christlichen Glaubens.“95 Politik, Kirche und Öffentlichkeit vertraten die Meinung, nur die christlich-nationale Idee sei in der Lage, das Ungarntum zu retten. Der Diplomat Fürstenberg berichtete am 3. November 1920 nach Deutschland: „Im Kampfe um die Wiederherstellung des Stephansreiches hofft man auf die katholische Kirche als Bundesgenossen.“96 Bethlen räumte ihr weitreichende Konzessionen in der Gesellschaft und politisches Mitspracherecht ein – eine Schlüsselrolle, die sie mehr oder weniger bis 1945 behaupten konnte.97 Für diese politische Einbindung musste die Kirche jedoch auch die Abhängigkeit vom System hinnehmen,98 für welches sie wiederum stabilisierend wirkte. Kirchliche Würdenträger gelangten in politische Gremien auf allen Ebenen. Die katholische Kirche erhielt den Status einer Staatskirche. Die Voraussetzungen für die Renaissance der katholischen Kirche in Ungarn waren gegeben.99

94  Balogh, Margit/Gergely, Jenő (Hrsg.): Egyházak az újkori Magyarországon 1790 – 1992 [Kirchen im neuzeitlichen Ungarn] In der Reihe História Könyvtár. Kronológiák, Adattárak. MTA. Történettudomány Intézet. [Historische Bibliothek, Chronologien, Datensammlung. Akademie der Wissenschaften.] Budapest 1996, S. 162 – 165. 95  Manuskript von 1929. Zitiert nach Spannenberger, Positionierung, S. 59. 96  Ebenda. (PA AA R74141, Bericht Fürstenberg vom 21.7.1920). 97  Tatsächlich unterstützten die Kirche und ihre Vereinigungen die Regierung auch in delikaten Angelegenheiten wie z. B. 1927 beim Anwerben von Freiwilligen für die Armee trotz Remilitarisierungsverbots. Ebenda, S. 60. 98 Personen wie Prälat Alexander (Sándor) Gießwein, die gesellschaftspolitische Reformgedanken vertraten, wurden kaltgestellt. 99  Gergely/Kardos/Rottler, S. 179 f. Geistliche beteiligten sich direkt in der Regierung, und der höhere Klerus stellte Vertreter in das 1926 eingerichtete Felsőház (Oberhaus), wie er es vor dem Krieg für das Magnatenhaus getan hatte. Das Magnatenhaus oder die Magnatentafel geht auf die ungarischen Magnaten zurück; sie wurde 1861 – 1918 die erste Kammer des Parlaments im ungarischen Teil der Doppelmonarchie. Die zweite Kammer bildete das Abgeordnetenhaus.

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Auch die 1921 gegründete Levente-Organisation, die oft mit der später in Deutschland ins Leben gerufenen Hitler-Jugend verglichen wird, erhielt durch die katholische Kirche Unterstützung.100 In die Schul- und Erziehungspolitik fand der Neonationalismus Eingang, die Vermittlung der christlich-nationalen Idee – eine für die katholische Kirche äußerst vorteilhafte Entwicklung und eine Aufwertung ihrer gesellschaftspolitischen Rolle, zumal der Staat kirchliche Schuleinrichtungen subventionierte.101 Graf Kunó Klebelsberg, zunächst Innen- später Kultusminister und Leiter der für die katholischen Angelegenheiten zuständigen ersten Abteilung (die Protestanten gehörten in den Bereich des Staatssekretärs),102 hatte beschlossen, die historischen Kirchen mit allen Mitteln zu fördern, da sie seiner Meinung und auch der Meinung des hohen Klerus nach anstelle des Staates weltanschauliche Kämpfe gegen die Sozialdemokratie bzw. den Radikalismus austragen würden. Norbert Spannenberger zufolge wertete die katholische Kirche den Kurs der Bethlen-Regierung als Erfolg der Zusammenarbeit, wozu auch die judenfeindliche Gesetzgebung in Form des Numerus Clausus103 von 1920 unter der Regierung von Pál Teleki gehörte – eine Maßnahme, die nicht nur einen Rückschritt für die Emanzipation im 19. Jahrhundert bedeutete, sondern die in Europa von sich reden machen sollte, war es doch das erste antijüdische Gesetz in Europa und ein Fall der Diskriminierung durch eine Staatsgewalt, was sogar vor den Völkerbund gebracht 100  Sonntags wurde eine „Leventemesse“ gelesen und die Levente-Angehörigen wurden vom Pfarrer seelsorgerisch betreut. Spannenberger, Positionierung, S. 67. 101  1930 befand sich in der Folge fast die Hälfte des Unterrichtswesens in katholischer Hand. 102 Graf Kuno Klebelsberg (1875 – 1932) hatte in München, Berlin und Paris Jura studiert und er stand in enger Beziehung zum späteren preußischen Kultusminister Carl Hein­ rich Becker. Daher hatte er Anregungen zur Gestaltung eines Erziehungs- und Bildungswesens erhalten. Von Dezember 1921 bis Juni 1922 war er als Innenminister tätig, danach bis August 1931 als Kultusminister. 103  Auszugsweise besagt § 3: „Bei der Erteilung der Genehmigung ist – neben den Erfordernissen der Treue zur Nation und der moralischen Zuverlässigkeit – zum einen auf die geistigen Fähigkeiten der Bewerber, zum anderen darauf zu achten, dass der proportionale Anteil der Jugendlichen, die zu den einzelnen Volksrassen und Nationalitäten, die auf dem Gebiet Ungarns leben, gehören, bei den Studenten möglichst den landesweiten proportionalen Anteil der entsprechenden Volksrasse oder Nationalität erreicht, zumindest aber neun Zehntel ausmacht.“ GA XXV/1920 zur Regelung der Aufnahme in die Universität (numerus clausus), in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Ungarn in der Zwischenkriegszeit“, bearb. von Zsolt Vitári. URL: www.herder-institut.de/startseite/dokumente-und-materialien/moduluebersicht/ungarnin-der-zwischen/textquellen.html?tx_himmat_pi1%5BshowUid%5D= 414&cHash=c709b7 aaa0e772f91c15c808bffb93ec (Zugriff am 03.07.2012). Das Gesetz diente als Vorwand, jüdische Studenten abzuweisen und ihre Anzahl auf 5 % zu beschränken. Allerdings gab es im geltenden Recht der Ungarn den Rassebegriff an sich nicht. Bei den Volkszählungen bis 1930 wurden nicht Nationalitäten, sondern Muttersprachen registriert. 1928 wurde der Gesetzestext ohne ethnischen Bezug angepasst und machte die Zulassung von prozentualen Berufsstatistiken abhängig, die aber zumindest teilweise ebenfalls der Abweisung jüdischer Bewerber dienten. Vgl. Silagi, Juden, S. 202 f. Spannenberger, Positionierung, S. 75.

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wurde.104 Allerdings muss man einschränken, dass die Haltung der Politiker zu Juden in dieser Zeit ambivalent war und sich nicht wenige unter ihnen für eine Fortführung der Integration der Juden aussprachen. So setzte sich auch Rudolf Rupert im Kontext des Trianonischen Vertrages für die Juden ein: „Wir dürfen das Judentum und mit ihm die ganze Welt nicht provozieren.“ Womit er auch auf die außenpolitische Komponente verwies.105 In der Folge der engen Zusammenarbeit zwischen Kirche und Regierung gelangten kirchliche Würdenträger in alle politischen Ebenen und Einrichtungen. Bethlen ging gar so weit, Ungarn als katholische Nation zu deklarieren.106 Die Politik seiner Ära wurde auch als „christlicher Kurs“ bezeichnet.107 Doch auch die protestantischen Kirchen (immerhin über ein Fünftel der Bevölkerung)108 schrieben sich die Rolle der Bewahrerin des Ungarntums auf die Fahnen, standen sie doch in der Vergangenheit im Gegensatz zur katholischen Kirche für eine nationale Loslösung von den Habsburgern und den Kampf gegen die bedrückende Dynastie. Schon 1896, anlässlich des tausendjährigen Bestehens der Nation, verlautbarten kirchliche Kreise Worte wie: „Darin besteht eine der großen Berufungen der Reformation in der Geschichte unserer Nation, die Ungarn als Ungarn zu bewahren.“109 Oder: „Ohne das Wirken des Protestantismus gäbe es vielleicht gar keine ungarische Nation mehr, oder wenn es sie gäbe, befänden wir uns in 104 Vgl. Hoffmann, Katharina: Die jüdischen Petitionen an den Völkerbund gegen das ungarische Numerus clausus-Gesetz von 1920. In: Ungarn-Jahrbuch, Nr. 22, 1995/1996, S.  111 – 152. Schlarp, Karl-Heinz: Das ungarische Numerus-clausus-Gesetz von 1920 als erste judenfeindliche Gesetzgebung in Europa – Ursachen und Folgen. In: Clewing, Konrad/ Schmitt, Oliver Jens (Hrsg.): Südosteuropa: von vormoderner Vielfalt und nationalstaatlicher Vereinheitlichung. Festschrift für Oskar Hösch. München 2005, S. 349 – 382, hier S. 350. Karsai, László: Magyarország úttörő volt a zsidó törvények meghozatalában [Ungarn war Pionier in der Judengesetzgebung]. In: múltkor, történelmi portál [Vergangenheit, Geschichtsportal] vom 29.11.2012. http://www.mult-kor.hu/20121129_karsai_magyarorszag_uttoro_volt_a_zsido_torvenyek_meghozatalaban (Zugriff am 15. Mai 2013). 105 Beispielsweise Prohászka, der im Zusammenhang mit der Entstehung des Gesetzes meinte, „die Richtung des Judentum müsse den Weg zum jüdisch-nationalen Prinzip nehmen“. Gömbös hingegen erklärte, dass „der Gesetzesentwurf dem Gesichtspunkt des Schutzes der madjarischen Rasse seine Entstehung verdanke“, ferner sei es „eine geschichtliche Aufgabe, dem jüdischen Einfluß ein Ende zu setzen“, die „bis zum Ende ausgefochten“ werden müsse. Zitiert nach Schickert, S. 210 f. 106  Spannenberger, Positionierung, S. 70 – 76. Allerdings gab es immer wieder Konfliktpotential, da viele höhere Stellen von Protestanten besetzt waren. Am 19.12.1923 gründete man die ausgesprochen konservative Christlich Nationale Wirtschaftspartei (Keresztény Nemzeti Gazdasági Párt), die, unterstützt vom hohen Klerus, aus der Opposition hinter der Regierungspolitik stand. 107  Reinert-Tárnoky, Giesswein, S. 13. Schickert, Judenfrage, S. 209 – 216. 108  Brandt, Juliane: Konfessionelle und nationale Identität in Ungarn. Die protestantischen Kirchen. In: Maner/Schulze Wessel, Religion, S. 31 – 72, hier S. 42. 109 Zitiert nach Brandt, S. 46 f. Neupor, Béla: Egyházi beszéd [Hazánk ezeréves fennállásának emlékünnepén]. I-III. [Predigt. Am Gedenktage des tausendjährigen Bestehens unserer Heimat]. In: Dunántúli Protestáns Lap. 24 (1896), S. 378 – 381, hier S. 378.

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einem trostlosen Zustand geistiger Dunkelheit und Rückständigkeit.“110 Obgleich die Protestanten Sorge vor der Übermacht der Katholiken hatten, bekannten sie sich zum christlichen Nationalismus und versicherten Horthy in ähnlicher Weise wie Kardinal Csernoch ihre Bereitschaft zur Kooperation.111 Für Horthy war es politisch gesehen zur Wahrung der Einheit des Landes wichtig, beide Richtungen zu gewinnen, war doch mehr oder weniger der ungarische Westen katholisch und der Osten protestantisch. Klebelsberg brachte die Problematik wie folgt zum Ausdruck: „Das nationale Gefühl ist in Ungarn so stark, dass es etwaige konfessionelle Streitigkeiten schon im Keime zu ersticken vermag; dazu ist unsere gegenwärtige Lage viel zu ernst, als dass wir uns den Luxus interkonfessionellen Haders erlauben könnten. In der jetzigen Zeit der Not, die dem Trianoner Frieden folgte, stehen wir katholische und protestantische Ungarn geschlossen und solidarisch nebeneinander und sind von einem einzigen Willen durchdrungen, von dem heiligen Willen, die geistigen Kräfte des katholischen Westungarns und des protestantischen Ostungarns zu vereinen.“112 In Bezug auf die liberale Kirchenpolitik des 19. Jahrhunderts stellte er fest, die Staatswissenschaft, habe die Kraft des Staates überschätzt und erklärte: „Damals war die Auffassung in Mode, daß eine Mitwirkung der Kirchen in älterer Zeit notwendig gewesen sei, doch sei dies infolge der Entwicklung der Kultur überflüssig geworden. Der Staat sei einerseits mittels Strafrechts imstande, die in seinem Rahmen vereinten Völker zusammenzuhalten. Diese Doktrin wurde jedoch von den Revolutionen, die auf den Weltkrieg folgten, nicht bestätigt, deshalb kann die ungarische nationalistische Kulturpolitik auf die Mitwirkung unserer historischen Kirchen nicht verzichten und unterstützt sie.“113 Das erklärt, warum im Folgenden die Ministerien sich bei ihren Schritten bei den Kirchen rückversicherten und sie in ihre Arbeit einbanden. Im Kampf für den Erhalt des traditionellen Ungarntums gerieten auch die Freimaurerlogen ins Visier kirchlicher und staatlicher Organe, wobei man in ihnen ähnlich wie in sozialdemokratischen Organisationen Deckorganisationen des Judentums sah – zum Beispiel sprach der „Katholikus Szemle“114 von Wühlarbeit der Juden im Hintergrund –, sodass sie 1920 geschlossen wurden.115 Der deutsche rassistisch, antisemitisch eingestellte Historiker Klaus Schickert116 schrieb in seinem Buch „Die Judenfrage in Ungarn“, die Juden hätten der „Freimaurerei, der 110  Zitiert nach Brandt, S. 47. Borsos, István: Az új ezredév küszöbén [An der Schwelle des neuen Jahrtausends]. In: Dunántúli Protestáns Lap [Protestantisches Transdanubisches Blatt]. Nr. 1, 1896, S. 1 – 5, hier S. 4. 111  Csizmadia, Rechtliche Beziehung, S. 12. Besier, Europa, S. 129. 112  Zitiert nach Klimó, Nation, Konfession, Geschichte, S. 224. 113  Zitiert nach Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 17. Klebelsberg, Kunó: Politikai hitvallás [Politisches Bekenntnis]. Budapest 1935, S. 110 f. 114  Katholische Rundschau. 115 Vgl. Hösch, Edgar/Nehring, Karl/Sundhaussen, Holm: Lexikon zur Geschichte Südosteuropas, Wien 2004, S. 239 – 241 (Eintrag: Freimaurer (Ungarn)). Spannenberger, Positionierung, S. 63. 116  Schickert arbeitete von 1937 bis 1941 in Bukarest im Deutschen Nachrichtenbüro.

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Kossuth seit 1851 zugehörte,“ Hilfestellung geleistet, und brachte damit gleichzeitig das Judentum und die Freimaurerei auf die Linie des ungarischen Liberalismus. Er verwies dabei auf die angeblich freimaurerische Aussage: „Wir können es täglich hören, daß man bei uns Liberalismus und Judentum und Freimaurerei und Judentum noch immer für synonyme Begriffe erklärt.“ Er konstatierte: „Die Freimaurerei war eine jüdische Angelegenheit geworden.“ Ihre Mitglieder würden sich auf politisches Gebiet vorwagen und sich am „übelberüchtigten Internationalismus“ orientieren.117 Die Gleichsetzung des Liberalismus mit der Freimaurerei und dem Judentum dürfte die Abneigung der konservativen Politiker gegenüber den im Reformzeitalter entstandenen Verfassungsgesetzen untermauert haben. Die offizielle Ideologie des Regimes dieser Zeit, der christlich-nationale Gedanke, wurde unter anderem von dem 1922 zum Ministerialrat im Außenministerium ernannten Gyula Szekfű und insbesondere von seinem Werk „Három nemzedék“ [Drei Generationen] geprägt, wonach die Juden durch den Liberalismus wirtschaftliche Macht gewonnen hätten.118 Szekfű, der sich nicht dem aggressiven Antisemitismus der christlichen Mittelschicht anschloss, plädierte aber für eine Abgrenzung der Juden vom Magyarentum und für eine Stärkung der christlichen Kultur in Ungarn.119 Auch Bischof Ottokár Prohászka schürte die antisemitische Stimmung mit seiner 1920 herausgegebenen Veröffentlichung „Die Judenfrage in Ungarn“.120 Karl-Heinz Schlarp bezeichnete den Bischof gar als Galionsfigur des „christlichen“ und „nationalen“ Gedankens, welcher die größte Gefahr für das christliche Magya­ rentum in der „Verjudung“ des Mittelstands sah.121 In das Konzept des traditionellen Ungarntums passen neben den Juden auch nicht die kleinen Religionsgemeinschaften. So wurde auch die eigentlich gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft der Baptisten nicht selten als „Sekte“ angesehen und auch als solche behandelt. Gleichzeitig aber waren die Menschen aufgrund der Enttäuschung durch Krieg, durch ihre Kirche, wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Situation, aber auch wegen ihres Verlangens nach Lebensinhalt, nach Zielen, nach Vertrauen relativ offen für neue oder andere Ansichten und Verhaltensweisen der Gemeinschaften, die in Bezug auf ihren Glauben und das Ausleben dessen schon in gewisser Hinsicht revolutionär waren, wenngleich sie nicht auf den Umsturz der politischen Ordnung abzielten. Sie erschienen authentisch, lebten sie doch zumeist, was sie lehrten und konnten Lebensinhalt vermitteln. Die kleinen Glaubensgemeinschaften formierten sich und breiteten sich immer weiter im Schickert, S. 174 ff. Szekfű, Gyula: Három nemzedék [Drei Generationen]. Budapest 1920. 119  Fischer, Entwicklungsstufen, S. 151 f. Spannenberger, Norbert/Öze, Sándor: „Wir brauchen Mohács!“ Historiographie und politische Instrumentalisierung der Erinnerung an eine nationale Niederlage in Ungarn. In: Clewing Konrad/Schmitt, Oliver Jens (Hrsg.): Südosteuropa, Festschrift für Edgar Hösch, München 2005, S. 327 – 348. www.rev.hu (Zugriff am 20.10.2011). 120  Klimó, Nation, Konfession, Geschichte, S. 219. Prohászka, Ottokár: Die Judenfrage in Ungarn. Hamburg 1920. 121  Schlarp, Numerus-clausus-Gesetz, S. 360. 117 

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Land aus. Teilweise fanden sie durch ihre Predigttätigkeit viele Anhänger, teilweise durch Wohltätigkeitsaktionen wie im Fall der Bischöflichen Methodistischen Kirche [BMK]. Die Lehre der methodistischen Kirche, die ihre größte Verbreitung in den USA hat, basiert auf reformatorischem und pietistischem Gedankengut und hat einen starken ökumenischen Charakter. Die Tätigkeit in Ungarn hatte einem Bericht des Kultusministers Klebelsberg von 1923 zufolge durch den deutschen Dr. Otto F. M. Melle um 1900 in der Bácska begonnen und hielt 1906 in Budapest Einzug, wo ab 1908 der Deutsche Martin (Márton) Funk (1883 – 1954) als Superintendent tätig war.122 Missionarische Tätigkeiten der methodistischen Kirche lassen sich schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nachweisen.123 Nach dem Krieg stellte man Kontakte zu den obersten Behörden her und begann sich wie auch in anderen Ländern in Ungarn für wohltätige Zwecke zu engagieren. Es wird davon berichtet, dass John Louis Nuelsen (1867- 1946)124 aus der Schweiz, methodistischer Bischof für Kontinentaleuropa, zusammen mit einem weiteren Bischof aus den USA, einem Industriellen und einem Journalisten den damaligen Ministerpräsidenten Károly Huszár (1882 – 1941) besuchte,125 verbunden mit einer großen Hilfsaktion, die auch als Huszár-Aktion landesweit bekannt wurde.126 Die metho122  MOL, K579 – 1923 – 2-Okt. Bl. 141 – 147. Khaled, A. László: A metodizmus története Magyarországon 1901 és 1911 között [Die Geschichte des Methodismus in Ungarn zwischen 1901 und 1911]. In: Lakatos, Judit (Hrsg.): Keskeny utak. Tanulmányok a Magyarországi Metodista Egyház történetéről. [Schmale Wege. Aufsätze zur Geschichte der ungarischen methodistischen Kirche]. Budapest 2005, S. 59 – 95, hier S. 60 ff., 86 f. Vgl. auch Zehrer, Karl: Osmar Martin Funk – a kezdetek lelkiségének meghatározó személyisége [Osmar Martin Funk  – Entscheidende Persönlichkeit der Anfangsspiritualität]. In: Lakatos, keskeny, S. 141 – 164. Galling, Kurt (Hrsg.): Die Religionen in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Tübingen 31958, Bd. IV, S. 913 – 919, hier S. 919. 123  Khaled, László A.: A Magyarországi Métodizmus története 1920 és 1948 között. Egy vallási alternativa esélyei. Trianontól a fordulat évéig. [Die Geschichte des ungarischen Methodismus zwischen 1920 und 1948. Geschehnisse um eine religiöse Alternative. Von Trianon bis zum Jahr der Revolution.] Pécs 2011, S. 26. www.idi.btk.pte.hu/dokumentumok/ disszertaciok/khaledalaszlophd.pdf. (Zugriff am 14.9.2012). 124  Nuelsen leitete die ungarische Mission von 1912 bis 1940. Nuelson, John L.: Methodizmus és Világmisszió. [Methodismus und Weltmission]. Budapest 1913, S. 7. Khaled, Methodismus, S. 39 f. 125  Huszár war vom 24. November 1919 bis 15. März 1920 Ministerpräsident. 126  Szuhánszky, T. Gábor: Diakónia a XX. században. (Diakonie im XX. Jahrhundert). 16.11.2004. www.metodista.hu/metodista.php?page=4&subpage=15&nid=2. (Zugriff am 5.3.2012). Kovács, Zoltán: Methodism in Hungary [Methodismus in Ungarn], April 2009. archives.gcah.org/xmlui/…/211/Methodist-History-04 – 2009-Kovacs.pdf? (Zugriff am 20.09. 2011). Auch in Deutschland war es im August 1919 zu einem Besuch Nuelsens mit einer Delegation gekommen, später kam Nuelsen nochmals im Dezember 1919 zusammen mit mehreren Bischöfen und einem Industriellen aus den USA zu Gesprächen mit dem Reichspräsident Friedrich Ebert, dem Reichskanzler Gustav Bauer (1870 – 1944), mit dem Minister für Volkswohlfahrt und bei einer weiteren Gelegenheit überreichte die methodistische Kirche dem Deutschen Roten Kreuz einen Scheck in Höhe von 200 000 Mark, wovon reichsweit

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distische Kirche in den USA plante im Zusammenhang mit ihrer Hundertjährigen Tätigkeit in der Zeit von 1919 bis 1924 eine besondere Aktion, bei der 3,12 Millionen Dollar für Europa verwendet werden sollten. Bischof Nuelsen koordinierte die Verteilung in den europäischen Ländern. Bezüglich Ungarns wurden nach Berichten der methodistischen Kirche zunächst 300 000 Kronen, dann 10 Millionen Kronen zur Verfügung gestellt, später viele Sachspenden verteilt.127 Dieses Engagement und ihre zahlenmäßige Stärke in Amerika rückte die Gemeinschaft auch ins wirtschaftspolitische Interesse. Auch der damals 1920 in Ungarn allein tätige Bischof Martin Funk berichtete von seinem Besuch zusammen mit Bischof Nuelsen bei den obersten Staatsbehörden, wobei u. a. der damalige Außenminister Miklós Bánffi (vom 14. April 1921 bis 19. Dezember 1922 im Amt) und der damalige Innenminister Graf Gedeon Ráday (von April bis Dezember 1921 im Amt) anwesend waren. Hierbei konnten Sonderkonditionen für die Zusammenkünfte der Gemeinschaft ausgehandelt werden.128 Ab dem 15. Oktober 1920 erschien ihr Kirchenblatt „Friedensglocke“ in Ungarisch („Békeharang“).129 1921 erwarb man ein Grundstück in Budakeszi, am Rande von Budapest, wo ein Waisenhaus errichtet wurde. In Budapest selbst wurde zwischen 1921 und 1928 ein alkoholfreies Restaurant geführt, auf das an späterer Stelle nochmals eingegangen werden soll.130 Ihre wohltätigen Aktionen fanden bei den Politikern durchaus Anerkennung, was sich in der Folge auch im Umgang mit der Gemeinschaft zeigen sollte. Das finanzielle Engagement wurde vom Staat gern angenommen, auch wenn es aus dem Ausland kam und damit auch die Verbreitung anderer religiöser Anschauungen einherging. Alles in allem zeichnet sich jedoch schon zu dieser Zeit in Verbindung mit Trianon eine rückwärtige Entwicklung ab, eine Abwendung von liberalen Ansichten und Prinzipien und damit von Freiheitsgesetzen. Die schon im 19. Jahrhundert aufkommende nationalistische Orientierung hingegen wurde intensiviert und mit der Stärkung des Ungarntums wurden historische Kirchen zum Bündnispartner der revisionistischen Politik.

berichtet wurde. Voigt, Karl Heinz: Freikirchen in Deutschland (19. Und 20. Jahrhundert). Leipzig, 2004, S. 155. 127  Szuhánszky, Diakónia. Streiff, Patrick Ph.: Der Methodismus in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. EmK Geschichte – Monografien Bd. 50, Stuttgart 2003, S. 168 ff. Voigt, S. 156 f. „Ein weiteres Hilfsprogramm der deutsch-amerikanischen Gemeinden wurde eingeleitet, als die Inflation das wirtschaftliche Nachkriegschaos verstärkte. Über den kleinen Zweiges [sic!] der Kirche flossen enorme Hilfen nach Europa.“ Diffendorfer, Ralph, E. (Hrsg.): The World Service of the Methodist Episcopal Church, Chicago 1923, 61924, S.  175 – 232. 128  MOL, K579 – 1924 – 2 Dezember, Bl. 157 f. 129  Szigeti, Szabadegyházak, S. 180. 130  Szuhánszky, Diakónia.

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära) I.  Gesetzliche Grundlagen in Verbindung mit der Religionsfreiheit 1.  Geltende Gesetze zur Religionsfreiheit Der Gesetzesartikel XLIII von 1895 zur Religionsfreiheit behielt auch unter dem Regime Horthys seine Gültigkeit, war grundlegend für den Umgang mit religiösen Gemeinschaften und wurde von den Behörden regelmäßig herangezogen.131 Er hätte auch schlecht abgeschafft werden können, da auch Artikel 55 des im Frieden von Trianon ratifizierten GA XXXIII von 1921 in Abschnitt VI zum „Schutz der Minderheiten“ Religionsfreiheit einforderte. Artikel 55 besagte: „Ungarn verpflichtet sich, allen Einwohnern Ungarns ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren. Alle Einwohner Ungarns werden berechtigt sein, öffentlich und privat jede Art Bekenntnis, Religion oder Glauben frei zu üben, insofern diese Übung nicht mit der Öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist.“132 Nach Artikel 58 war jeder ungarische Staatsbürger vor dem Gesetz gleich, unabhängig von Rasse, Sprache und Religion. Unabhängig von den Unterschieden in Religion, Glaubensansichten und Konfession, standen jedem ungarischen Bürger die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte zu, Diskriminierungen bei Einstellung oder Bekleidung politischer Ämter waren unzulässig. Eine Unterscheidung in historische oder rezipierte Kirchen, gesetzlich anerkannte und nicht anerkannte Religionsgemeinschaften wurde nicht vorgenommen. Dieser Umstand wurde jedoch bei der Anwendung des Gesetzes nicht berücksichtigt, sondern weiter mit der Klassifizierung durch GA XLIII/1895 gearbeitet.133 Mit diesen Bestimmungen bestätigte Artikel 55 die in GA XLIII/1895 garantierten Freiheiten, allerdings genau wie der Verfassungsartikel von 1895 innerhalb der öffentlichen Ordnung und guten Sitten. Im Unterschied zum Verfassungsartikel von 1895 wird hier allerdings der Passus „innerhalb der Gesetze des Staates“ nicht einschränkend vorgegeben. Auch andere Einschränkungen wurden nicht vorgenommen. Vielmehr rief Artikel 54 GA XXXIII/1921 dazu auf: „Ungarn verpflichtet sich, daß die im gegenwärtigen Abschnitt enthaltenen Bestimmungen als Grundgesetze anerkannt werden, daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung mit diesen 131  Als gesetzgebendes Organ fungierte von 1920 bis 1926 die Nationalversammlung, ab 1927 ein Zwei-Kammern-Parlament. Romsics, Horthy-rendszer. 132 Der Friede von Trianon, in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Ungarn in der Zwischenkriegszeit“, bearb. von Zsolt Vitári. URL: http://www.herder-institut.de/startseite/dokumente-und-materialien/moduluebersicht/ungarn-in-der-zwischenkriegszeit/textquellen.html?tx_himmat_pi1%5BshowUid%5D=383&cHash=28835939447d8574283ad77ef82a7ef8 (Zugriff am 21.4.2013). 133 Ebenda.

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)

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Bestimmungen im Widerspruch oder Gegensatz stehe und daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung ihnen gegenüber Geltung haben solle.“ Diese Bestimmung ist wesentlich, macht sie doch erneut den Verfassungsrang der Gesetze deutlich, mehr noch legt schriftlich fest, dass einfache Gesetze, Verordnungen und Amtshandlungen dem nicht widersprechen durften. Es stellt sich sogar die Frage, ob nicht durch diesen Artikel bisher einschränkende Gesetze und Verordnungen aufgehoben wurden, ja sogar der GA XLIII/1895 zur Religionsfreiheit durch den weitergehenden Artikel 55 hätte ersetzt werden müssen, was tatsächlich nicht geschah und wohl auch nicht diskutiert wurde. Ansatzpunkt für Einschränkungen gab nur die Formulierung „Öffentliche Ordnung und gute Sitten. Beide Begriffe waren breit interpretierbar. Aufgrund des Ranges von GA XXXIII/1921 wurde bei Entscheidungen von den Behörden vor allem in den 1920er-Jahren immer wieder darauf verwiesen. Prinzipiell dürfte dieser Artikel sogar über GA XLIII/1895 gestanden haben, er war in jedem Fall breiter angelegt. Im Zusammenhang mit der allgemeinen ablehnenden Haltung gegenüber den Entscheidungen der Siegermächte wurden auch dem Vertrag von Trianon in Form von GA XXXIII/1921 Ressentiments entgegengebracht. Seine Umsetzung erfolgte zumeist mehr aufgrund des äußeren Drucks und nur so weit wie unbedingt nötig. In diesen Kontext passt die Behauptung des nationalsozialistischen Autors Schickert, wonach „die Mächte, die Ungarn beherrschten“, dafür sorgten, „daß Ungarn nicht aus der europäischen Reihe tanzte“ – eine Klassifizierung der Freiheit als eine von außen verordnete.134 Gleichzeitig brauchte das Land aber auch die Anerkennung von außen, um sich aus seiner Isolation zu lösen, was auch am 18. September 1922 mit Aufnahme Ungarns in den Völkerbund gelang, und was weiter dazu beitrug, den Gesetzen nach außen zumindest scheinbar bereitwillig nachkommen zu wollen.135 Nicht selten wurden auch die Kirchengesetze wie das Religionsgesetz oder GA XLII über die Rezeption der israelitischen Religion, nach dem auch die israelitische Religion als rezipiert galt, mit dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts, manchmal aber auch mit der Károlyi-Regierung und der Räterepublik in Verbindung gebracht und in das Licht einer „Politik der Illusionen“136 gebracht, die so nicht realisierbar wäre. Diese sehr konträren politischen Eckpunkte bestimmten das uneinheitliche Konzept der Auslegung der Religionsgesetze und den Umgang mit den Religionsgemeinschaften vor allem in den 1920er-Jahren. Ergänzend soll hier darauf verwiesen werden, dass mit den §§ 65 – 60 des GA XXXIII/1921 auch die Minderheitenproblematik verbindlich geregelt und als Verfassungsrecht qualifiziert wurde. Révész erklärte diesbezüglich, dass diese Bestimmungen vor allem, was das Minderheiten-Schulwesen und das Vereinsrecht anbelangte, in der späteren Zeit der Bethlen-Ära, vor allem aber danach in den 1930er-Jahren nicht eingehalten wurden und es zu Verletzungen des Gleichberech134 

Ebenda, S. 176. konnte das Land 1924 einen Kredit von 250 Millionen Goldkronen vom Völkerbund aufnehmen. 136  Ebenda, S. 189. 135  Dadurch

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

tigungsprinzips und der Bestimmungen des Minderheitenschutzes kam.137 Er verwies auch auf die Meinung eines der damals bedeutendsten Juristen Ödön Polner (1865 – 1961),138 der erklärt haben soll: „Nation und Nationalitäten sollten leitende Nation und untergeordnete Nationen genannt werden.“139 2.  Ordnungsgesetz: GA III/1921 Die angespannte Atmosphäre im Land in den 20er-Jahren spiegelte sich in dem bereits benannten GA III von 1921 zum „wirksameren Schutz der staatlichen und der gesellschaftlichen Ordnung“ wider, dem sogenannten Ordnungsgesetz, das aufgrund der Geschehnisse von 1919 eingerichtet worden war und das System Horthys gegen Organisationen und Bewegungen schützen sollte, deren Ziel darin bestand, die bestehende Ordnung zu stürzen (§§ 1 – 5). Der GA richtete sich vor allem gegen alle linken wie auch gegen extrem rechte Gruppierungen. Nach dem Sturz der Räterepublik ging man gezielt gegen die kommunistischen Bewegungen vor. Durch Spitzel und einen Einbruch in das Büro der kommunistischen Partei in Berlin kam man in den Besitz von Namenlisten, wodurch es Anfang der zwanziger Jahre gelang, kommunistische Organisationen in Ungarn aufzurollen. Zum Beispiel wurden die kommunistischen Anführer, das Mitglied der Räteregierung Mátyás Rákosi (1892 – 1971)140 und der kommunistische Autor Zoltán Vas (1903 – 1983) 1925/26 auf der Grundlage dieses Gesetzesartikels zu mehreren Jahren Haft verurteilt.141 Der mit den Berliner Ermittlungen befasste und am Einbruch beteiligte Jenő Mátyás Hivessy (Hevesi) wurde später Leiter der Ermittlungsgruppe für „Vereine und Sekten“.142 GA III/1921 spielte auch in Verbindung mit der Tätigkeit der kleinen Religionsgemeinschaften eine Rolle – nicht nur, weil man sie oft mit Kommunisten verwechselte. Zum Beispiel waren am 14. April 1921 János Schmidt und Ádám Hecker von der methodistischen Kirche verdächtigt worden, 137  Révész, Verfassung, S. 57 f. Er verwies vor allem auf den Umgang mit den Ungarndeutschen, der sich jedoch auf Intervention der Hitler-Regierung dann besserte. 138  Universitätsprofessor in Budapest, Pozsonyi (Bratislava) und Szeged, Mitglieder der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. 139  Zitiert nach Révész, Verfassung, S. 58. 140 Geborener Rosenfeld, 1904 Namensänderung. Nach seiner Freilassung 1940 Führer der Komintern in der Sowjetunion, Diktator in der Zeit des Stalinismus in Ungarn. Varga, Politikai rendőrség, S. 9. 141  Romsics, Ignác: A Horthy-rendszer jellegéről. Elitizmus, tekintélyelv, konzervativizmus [Das Wesen des Horthy-Regimes. Elitismus, Autoritarismus, Konservatismus]. http:// www.rubicon.hu/magyar/oldalak/a_horthy_rendszer_ jellegerol_elitizmus_tekintelyelv_ konzervativizmus/ (Zugriff am 24.4.2013). 142  Varga, Krisztián: A politikai rendőrség és a baloldali munkásmozgalom Wayand Tibor fogságban írt önvallomásában [Die politische Polizei und die linksgerichteten Bewegungen nach den von Tibor Wayand in der Haft niedergeschriebenen Bekenntnissen]. In: A betekintő [Der Einblick], Zeitschrift des Historischen Archivs der Staatssicherheit [Állambiztonsági Szolgálatok Történeti Levéltára, ÁSzTL], Nr. 1, 2010, S. 2, 5 f., 8 f. http:// www.betekinto.hu/node/6. (Zugriff am 16.8.2012).

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den Kommunisten anzugehören, und wurden inhaftiert. Erst nach langwierigen Verhandlungen gelang es, den Vorwurf zu entkräften.143 Aber auch § 6, in dem es um Aufruf zu Hass, Hetze und Ungehorsam gegenüber den militärischen Einrichtungen oder ungarischen Streitkräften ging, was mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft werden konnte – dieser Vorwurf, wurde später Anhängern von Religionsgesellschaften u. a. in Verbindung mit der Ableistung des Militärdienstes gemacht. Mit dem GA wurde auch der Rahmen von Versammlungs-, Vereins- und Pressefreiheit limitiert, gleichzeitig aber auch im engen Rahmen garantiert. Dieser GA, der gleich zu Beginn des Horthy-Regimes erlassen wurde, gab die allgemeine restriktive Richtung vor. Er ist das erste Gesetz, auf dessen Basis die in den Verfassungsgesetzen garantierten Freiheiten nach Bedarf und mit der Begründung der Notwendigkeit für den Schutz der staatlichen oder gesellschaftlichen Ordnung eingeschränkt werden konnten und der im direkten Zusammenhang mit der Verfassungswirklichkeit stand, was Freiheitsrechte anbelangte.144 Dem Historiker und Juristen László Révész zufolge, waren im Rahmen des Gesetzes „Versammlungs-, Vereins-, Rede-, Presse- und Religionsfreiheit allgemein anerkannt und garantiert“, allerdings wurden sie, wie die Fakten zeigen, zunehmend eingeschränkt.145 GA III/1921 löste quasi auch das unter den Liberalen kodifizierte Strafgesetzbuch, GA V/1878, ab, das nur noch formell Gültigkeit hatte. Diese Verfahrensweise dokumentiert die negative Einstellung des Regimes zur Gesetzgebung der Liberalen des vergangenen Jahrhunderts.146 Die Umsetzung des Gesetzesartikels zum Schutz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung fiel in die Verantwortung der Gendarmerie, die Horthy umfassend ausbauen ließ im Kampf gegen politisch unzuverlässige Elemente.147 Wie schnell ein solcher Vorwurf aufkam, zeigt die Notiz eines Rundbriefs der Diözese Eger unter dem Stichpunkt „Kontrolle glaubens- und nationsfeindlicher Agitation“, worin berichtet wird, dass im Bereich eines Dechanten die Behörden verdächtige ausländische Personen festgenommen hätten, die „religiös anstößige Publikationen verbreiteten“ und „hinter deren Tätigkeit sich anscheinend die Absicht die Zerstörung der nationalen Einheit“ verberge. Hier sei von einer glaubensfeindlichen, lan-

Szigeti, Szabadegyházak, S. 180. Angyal, Pál: Az állami és társadalmi rend hatályosabb védelméről szóló 1921: III. T.  C. [GA  III/1921 zum wirksameren Schutz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung.], Budapest 1928. 145  Révész, Verfassung, S. 55 f. 146  Budapest Főváros Levéltára [Hauptstadtarchiv Budapest]: Jogi segédlet a perekhez [Rechtsbeistand in Verfahren]. http://bfl.archivportal.hu/virtualis_kiallitasok/jozsefattila/ virtualis/jogisegedlet.html (Zugriff am 30.4.2013). 147  Rektor, Béla: A magyar királyi csendőrség oknyomozó története [Die pragmatische Geschichte der ungarisch königlichen Gendarmerie]. Cleveland 1980, S. 172. http://csendor.com/konyvtar/konyvek/Rektor/07.%20XI.%20fejezet%20A%20csend%F6rs%E9g%20 a%20m%E1sodik%20vil%E1gh%E1bor%FAban%20229 – 297p.pdf (Zugriff am 10.3.2013). 143 

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

desweiten Organisation die Rede. Der Erzbischof rief seine Geistlichen auf, wachsam zu sein und die Behörden sofort einzuschalten.148 3. Pressefreiheit Das Pressegesetz XVIII/1848 bildete die Grundlage für die Pressefreiheit in Ungarn. Gemäß § 1 durfte jeder seine Meinung und seine Überlegungen durch die Presse veröffentlichen und verbreiten – auch religiöse Ansichten. Am 11. April 1914 wurde dann noch während des Dualismus ein weiteres Pressegesetz mit GA XIV erlassen, das prinzipiell für die Garantie der Pressefreiheit gedacht war, und in dessen § 1 zugesichert wurde, dass jedermann via Medien seine Meinung kundtun und verbreiten konnte. Gemäß § 10 Satz 3 konnte allerdings die Verbreitung von Druckerzeugnissen, die außerhalb der Länder der ungarischen Krone herausgegeben oder gedruckt wurden, vom Ministerium aus Gründen des öffentlichen Interesses verboten werden.149 Wenngleich man die Zensur der Kriegsjahre 1921 aufhob, gab GA III/1921 während der Horthy-Zeit den Rahmen der Pressefreiheit vor. Grundsätzlich blieb die Pressefreiheit zwar auf dem Papier erhalten, tatsächlich aber wurde sie gesetzlich zunehmend durch Verbote konkreter Druckschriften eingeschränkt.150 Über die 1920er- und 1930er-Jahre wird gesagt, dass die Palette der Presseprodukte relativ bunt war. Neben dem Verbot der bürgerlichen Zeitung „Világ“ (Welt) 1926, gab es immer wieder zeitweilige Verbote wie im Fall der liberalen Zeitung „Az Újság“ (Die Neuigkeit oder Die Zeitung) 1925 mit einer Dauer von 6 Wochen.151 Auch die Zeitung „Népszava“ (Volksstimme) wurde 1921 vorübergehend wegen Hetze und Verletzung der Regierung verboten. Zwischen 1925 und 1927 wurden 320 Presseverfahren gegen sie geführt. 1932 wurde sie vom Innenminister verboten.152 Kommunistische Zeitungen konnten nur illegal erscheinen. Ab 1. September 1939 wurde eine vorübergehende Vorab-Zensur eingeführt, die dann ab 28. August 1940 auf Dauer verordnet wurde. Auch viele große Zeitungen wurden ab 1939 verboten (unter anderem wohl auch wegen Papiermangels), so z. B. der „Pesti Napló“ (Pester Tageblatt).153

148  Egri Főegyházmegyei Levéltár (Archiv der Erzdiözese Eger, EFL), Egyházmegyei Körlevelek [Rundbriefe der Diözese], 1921, S. 49 f., Nr. 5294. 149  Tt., GA XIV/1914. 150  Miklós Vásárhely bezeichnete das Gesetz XIV/1914 als „toten Buchstaben“, der nie zum Leben erweckt wurde, weil kurz nach Erlass des GA der Erste Weltkrieg ausbrach und eine Pressezensur eingerichtet wurde, und das Gesetz auch danach nie in die Praxis umgesetzt wurde. Murányi, S. 25. 151  Die Zeitung hatte über den „Weißen Terror“ geschrieben und auch Horthy verantwortlich gemacht. Romsics, Horthy-rendszer. 152 Ebenda. Németh, Péter: A 130 éves Népszava (Die 130 Jahre alte Volksstimme). http://mek.oszk.hu/04000/04015/04015.htm (Zugriff am 24.4.2013). 153  Romsics, Horthy-rendszer. Murányi, S. 27 ff. Der „Esti Kurír“ (Abendkurier) wurde im September 1939 kurzzeitig verboten. Auch die Zeitung „Magyar Nemzet“ (Ungarische Nation) wurde im Juni 1940 mit VO 5.555/1940 einige Zeit verboten.

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)

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4. Versammlungsrecht Grundlage für die Regelung des Versammlungsrechts legte die liberale VO 216 von 1848, dergemäß Versammlungen zwar anzumelden, aber nur dann zu untersagen waren, wenn sie zu „schwerem Aufruhr der öffentlichen Ordnung“ führten. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war auf Grundlage des GA XXIII von 1912 zur Ausnahmegewalt (kivételes hatalom) vom Ministerpräsidenten die außerordentliche Verordnung 5.481/1914 herausgegeben worden, die das Versammlungsrecht einschränkte. Paragraph 1 untersagte das Abhalten von Volksversammlungen, Demonstrationen, Umzügen usw. mit politischem Hintergrund bis auf Weiteres. Nach § 2 durften ohne behördliche Genehmigung keinerlei Versammlungen, „auch keine kirchlichen“ abgehalten werden – das betraf auch das Versammeln in Privathäusern. Diese Regelung galt bis 1918.154 Damit wurde jede Versammlung, auch jede kirchliche außer den Versammlungen der Verwaltungsbehörden insofern eingeschränkt, als dass sie nur mit vorheriger Genehmigung der Polizeibehörde abgehalten werden konnte.155 Ähnlich wurde auch jede Zusammenkunft und Versammlung in Privaträumen nach § 21 betrachtet. Die Geltung der VO erstreckte sich ursprünglich nur auf bestimmte Komitate des Landes.156 Später wurde sie durch VO 5.735/1914 auch auf die anderen Komitate und mit Munizipialrecht ausgestatteten Stadtgebiete Ungarns ausgedehnt, sodass die VO auf dem ganzen Gebiet Ungarns in Kraft trat.157 Der kurzfristig unter Károlyi und der Räterepublik geltende GA III/1919 räumte in § 1 jedem das Recht ein, sich zu versammeln. Paragraph 2 gewährte, dass für Versammlungen oder Vereinsgründungen keine Genehmigung eingeholt werden musste und auch die Anmeldepflicht von Versammlungen entfiel.158 Mit VO 5.084/1919 setzte die Friedrich-Regierung die Gesetze der bürgerlichen Republik und der Räterepublik wiederum außer Kraft und stellte die gesetzlich Grundlage von vor dem 30. Oktober 1918 wieder her.159 Mit dem GA VI von 1920 wurden die für die Kriegszeit erlassenen Ausnahmegesetze weiter aufrechtgehalten.160 Im erstarkenden nationalistischen Geist der Nachkriegsjahre verfügte Innenminister Ödön Beniczky (1878 – 1931), ein legitimistischer Politiker, zur Stabilisierung des Systems, das Versammlungsrecht weiter einzuschränken und untersagte systemkritische Zusammenkünfte. So wurde in der VO 5.5010/1920 erklärt: „Unter dem Mantel des Versammlungsrechts gab es in letzter Zeit wieder antinationale, die Ordnung störende Bemühungen, die sich gegen die wiederhergestellte staatliche und gesellschaftliche Ordnung richten.“ Die Behörden wurden angewiesen, genau auf die Einhaltung des Versammlungsrechts 154 

MRT, Budapest 1914, S. 1428. MOL, K579 – 1927, Bl.  226 – 229. 156  MRT 1914, Bl. 1429. 157  Ebenda, 1914, Bl. 1449. Vgl. MOL, K579 – 1927, Bl. 226 – 229. 158  Tt., GA III/1919. 159  MRT, Budapest 1919, S. 729. 160  Ebenda, VI/1920. 155 

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

zu achten.161 Eine leichte Lockerung trat mit VO 11.004 des Ministerpräsidenten von 1921 ein, die auf die außerordentliche Verfügung 5.481/1914 zurückging; politische Versammlungen wie auch Zusammenkünfte mit allgemeinem Hintergrund waren zwar nicht gestattet, durften aber nach vorheriger Einholung einer polizeilichen Genehmigung in geschlossenen Räumen abgehalten werden.162 Die strenge Handhabung der Anmeldung regelmäßiger Zusammenkünfte von bürgerlichen Vereinigungen lockerte sich allmählich, wurde im Allgemeinen immer weniger konsequent umgesetzt und lediglich noch auf die kleinen Religionsgemeinschaften, dort allerdings resolut angewandt, und das während der gesamten Horthy-Zeit. Wenngleich aus der Verordnung von 1914 nicht hervorgeht, ob sich die Notwendigkeit der Genehmigung nur auf die gelegentlichen kirchlichen Konferenzen und Sitzungen bezog oder auch auf die wöchentlichen Zusammenkünfte bzw. Gottesdienste ganz allgemein, da nur von „kirchlichen Versammlungen“ die Rede ist, war im Fall der nicht anerkannten Gemeinschaften jede Zusammenkunft betroffen. Im Gegensatz dazu wurden die Veranstaltungen der offiziellen (hivatalos) Kirchen nicht als genehmigungspflichtig betrachtet. Am 12. Januar 1922 gab Innenminister Klebelsberg mit Bezug auf die vorgenannte VO 11.004/1921 die Verordnung 6.000/1922 heraus, derzufolge politische Versammlungen und alle sonstigen Versammlungen nach polizeilicher Genehmigung abgehalten werden konnten, allerdings nur in geschlossenen Räumen oder „umzäunten Örtlichkeiten“. Ort, Zeit, Inhalt, Namen und Anschrift der Organisatoren waren anzugeben. Die Veranstaltung war nach § 3 nur zuzulassen, wenn keine Bedenken für die „lokale öffentliche Ordnung“ bestanden. Hier ist wieder der große Unterschied zur Versammlungsfreiheit nach VO 216/1848 zu sehen, derzufolge Zusammenkünfte nur bei „schwerem Aufruhr“ für die öffentliche Ordnung zu untersagen waren. Nunmehr hingegen wurde bei Abweichung von den eingereichten Inhalten während einer politischen Versammlung oder bei Verstößen gegen die öffentliche Ordnung, gegen das Strafgesetzbuch oder gegen den zum Schutz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung eingerichteten GA III/1921 bzw. bei Hetze und sei es „auch nur versteckt gegen die Behörden“ der nach § 4 bei der Versammlung anwesende Vertreter der Polizei verpflichtet, den Leiter auf die Vorschriftswidrigkeit hinzuweisen, ggf. das Wort zu entziehen und „genügt das nicht, nötigenfalls unter Einsatz von Ordnungskräften die Versammlung aufzuheben“. Dem Innenminister musste Bericht erstattet werden. § 5 regelte, dass Versammlungen ohne Genehmigung strafbar waren.163 Kurze Zeit darauf, am 28. März 1922, wandte sich Klebelsberg zwecks sachgemäßer Umsetzung dieser VO und zur Koordination der Behörden im Land an alle Vizegespane und Polizeipräsidenten und 161 

Ebenda, Budapest 1920, S. 714. MOL, K149 – 651 – 5 – 4-RV-6000 – 22. Rundverfügung des IM 6000/1922. bzw. MRT, 1921. Budapest, 1922, S. 332 – 333. Ebenda, 1922. Budapest, 1923. S. 218 f. Ebenda, 1914. Budapest, 1915. S. 1428 – 1429. 163 Ebenda, VO 6.000/1922. Ein Verstoß konnte gemäß § 10 GA LXIII/1912, einem Ausnahmegesetz, bis zu zwei Monaten Haft und 600 Kronen verurteilt werden. MOL, K149 – 651 – 5 – 4-RV-6000 – 22 (Versammlungsrecht). Tt., GA III/1921. 162 

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)

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wiederholte, dass „jede Volksversammlung / Zusammenkunft / mit politischem oder allgemeinem Hintergrund“ nur nach vorheriger Einholung einer Genehmigung „des für das jeweilige Gebiet zuständigen Polizeipräsidenten“ oder „der zuständigen höchsten Polizeibehörde“ abgehalten werden könne. Die Verordnungen ermöglichten es den Polizeibehörden, „die staatsgefährlichen oder hinsichtlich der Sicherstellung der öffentlichen Ordnung sonst bedenklichen Volksversammlungen nicht zu genehmigen“.164 Begründet wurde der Erlass der „Rundverordnung über die Ausführung der VO 11.004/1921 M.P. zur Regelung des Versammlungsrechts“ damit, dass letztere „politische Volksversammlungen von den strengen Einschränkungen der VO 5.481/1914 M.P. ausgenommen hat, infolge dessen für diese Volksversammlungen neue polizeiliche Regeln festlegt werden mussten“.165 Gesetzesartikel VI/1920, der die Gültigkeit der Ausnahmegesetze in Verbindung mit dem Ersten Weltkrieg verlängerte, wurde zwar mit der VO 6.310/1922 vom 25. Juli 1922166 aufgehoben. Durch GA XVII/1922167 war die Regierung aber berechtigt, auf der Basis der Ausnahmegewalt erlassene Gesetze in Verbindung mit der öffentlichen Freiheit aufrechtzuerhalten.168 Das wird deutlich, wenn der Justizminister noch 1928 diesbezüglich feststellte: „Dieser auf Grund der außergewöhnlichen Macht ausgegebene Erlass ist heute noch gültig. […] Eine Veränderung der VO bestand nur darin, dass die VO 11.004/1921 […] von dem im § 1 der VO 5.481/1914 MP über die Einschränkung des Versammlungsrechts festgelegten Verbot jegliche politische Volksversammlung ausgenommen hat, und die Verordnung 7.470/1924 […] von dem Verbot auch die Kirchenverwaltung, Versammlungen der rezipierten Glaubensgemeinschaften ausgenommen hat.“169 Die von ihm erwähnte VO 7.470 von 1924 brachte den rezipierten Kirchenversammlungen Erleichterung, da diese von der Anmeldepflicht ausgenommen wurden.170 Zwischen 1923 – 1930 ergingen mehrere Verordnungen des Innenministers in Verbindung mit dem Versammlungsrecht, wobei vor allem rechten Bewegungen das Recht auf 164  Ebenda, K149 – 651 – 50922 – 1922. Hintergrund: „Wiederholte Störung der polizeibehördlich genehmigten politischen Volksversammlungen sowohl in der Hauptstadt als auch auf dem Land.“ 165  Ebenda, K579 – 1927, Bl. 226 – 229. MRT 1921, S. 332. Mit der VO 34.100/1922 IM erging am 1. Januar 1922 eine Veränderung, die u. a, vorsah, dass Volksversammlungen auch an öffentlichen Plätzen abgehalten werden könnten. Ebenda, 1922, S. 223 f. Eine weitere Anpassung erging am 27. März 1922 mit der VO 38.061/1922 IM, welche besagte, dass die Kontrolle unbedeutender, friedlich ablaufender politischer Versammlungen auch obersten Polizei- oder Gendarmeriebehörden übertragen werden kann. Im Fall von Problemen sei jedoch die Staatspolizei, d. h. die Polizei der Hauptstadt, zu informieren. Ebenda, 1922, S. 226. Vgl. Magyar Rendészettudományi Társaság [Gesellschaft der ungarischen Polizeiwissenschaft]: A 125 éves fővárosi rendőrség története [125-jährige Geschichte der Hauptstadt-Polizei]. Budapest 24.4.2006. www.rendeszet.hu/documents/A125eveselőszoval.doc 166  MRT 1922, S. 174. 167  Hier insbesondere § 6. 168  Tt., GA XVII/1922. 169  MOL, K579 – 1927Bl226 – 229. 170  MRT 1924, Bl. 277. Vgl. auch MOL, K579 – 1927, Bl. 226 – 229.

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

Versammlung zugesprochen wurde, das der linken Bewegungen hingegen weiter eingeschränkt werden sollte.171 Diese Verordnungsvielfalt versprach den Behörden Sicherheit und Handlungsspielraum, verfassungsrechtliche Freiheiten einzuschränken. Als es 1930 vermehrt zu Demonstrationen, Streiks kam, wurden mit der Verordnung 4.980 von 1931 erneut politische Versammlungen, Demonstrationen, Aufmärsche usw. untersagt.172 1932 dann erfolgte mit VO 6.050 die gänzliche Untersagung von politischen Versammlungen, mit der Ausnahme von geschlossenen Veranstaltungen der politischen Parteien, die im Parlament vertreten waren.173 Ähnlich wie in Verbindung mit der Pressefreiheit bildeten die Anforderungen des Ordnungsgesetzes GA III/1921 den Rahmen der Versammlungsfreiheit. Kundgebungen und Zusammenkünfte, die sich gegen das Regime richteten, auf einen gewaltsamen Umsturz abzielten, waren untersagt. Mit GA II/1939 zur Landesverteidigung erhielt die Regierung erneut Ausnahmegewalt, konnte damit alle Verfassungsgesetze außer Kraft setzen.174 Die VO 8.120 von 1939 untersagte alle Versammlungen, also nicht nur politische.175 In der Folge kam es in der Kriegszeit zu einem sehr eingeengten Versammlungsrecht, unter deutscher Besetzung zum kompletten Versammlungsverbot, das aber aufgrund der chaotischen Zustände nicht publik gemacht werden konnte und nur durch seine Aufhebung bekannt ist.176

II.  Erste Auseinandersetzung der Behörden mit den Gemeinschaften Möglicherweise hatte man gehofft, die Tätigkeit der kleinen Gemeinschaften wäre im Laufe des Krieges erstickt worden oder hätte nur noch geringe Ausmaße. Doch schon spätestens Ende des Jahres 1921 musste man Bekehrungstätigkeiten der „bischöfl. Methodistenkirche, der Siebententags Adventisten, der Baptisten und der Nazarener“, wie auch der „sog. deutschen Baptisten“ feststellen. Aufgrund „der neuerdings aufkeimenden Aktivitäten“ und „konkreter Vorkommnisse“ wandte sich der wenige Jahre später als katholischer Großpropst eingesetzte Religionsund Bildungsminister József Vass (16.12.1920 – 16.06.1922)177 am 17. Dezember

171  Bökönyi, István: A közúti közlekedés blokádok kialakulásának körülményei, rendvédelmi tapasztalatai és kezelésének lehetőségei, különös tekintettel a „taxiblokádra“ [Die Hintergründe zur Entstehung von Blockaden im Straßenverkehr, Erfahrungen beim Schutz der Ordnung und Verfahrensmöglichkeiten mit besonderer Berücksichtigung der „Taxi­ blockade“]. Dissertation. Budapest 2005, S. 19 f. http://uni-nke.hu/downloads/konyvtar/ digitgy/phd/2005/kosa_laszlo.pdf (Zugriff am 20.2.2014). 172  MRT, Budapest 1931, S. 1025. 173  Ebenda, Budapest 1933, S. 1472. 174  Tt, GA II/1939. 175  MRT, Budapest 1939, S. 1268. 176  Tt, 1944, S. 500. Bökönyi, S. 20 f. 177  Februar 1924 in Kalocsa als Großpropst eingesetzt.

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)

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1921178 an das Oberhaupt seiner Kirche, Fürstprimas János Csernoch, mit der Bitte „festzustellen, ob solche Aktivitäten […] auf dem unter der weisen Leitung Ihrer Exz. stehenden Gebiet vorkommen“, genauer „wo, in welchem Komitat und welcher Gemeinde“ diese festgestellt wurden. Ferner interessierte sich das Ministerium für die soziale Struktur der Gemeinschaften. Man erbat Informationen über Beschäftigung, Schulbildung und Herkunft der Vertreter der Gemeinschaften, „wie viele Anhänger die neue Religion“ habe, ob sie über ein Bethaus verfügten, „was für ein Glaubensleben sie führen und wie sie sich verhalten“, gehörten sie einer größeren Organisation an, welche Verbindungen hatten sie, insbesondere ins Ausland. Interessant war auch, ob und wo die Bekehrungstätigkeit Erfolg hatte und auf wessen Kosten dieser Erfolg ging, also welche rezipierte Kirche Einbußen hinnehmen musste – insgesamt eine umfassende Erhebung, was darauf schließen lässt, dass sich die Behörden ein grundlegendes Bild verschaffen wollten. Dazu gehörte auch aufzuklären, in welchen sozialen Schichten die neuen Bewegungen Fuß fassten und in welchen Gebieten des Landes sie besonders tätig waren. Zur Klärung dieser Fragen wandte sich der Minister an die „Konkurrenz“ dieser kleinen Gemeinschaften, was zu einem sehr subjektiv geprägten Bild führen musste und der Kirche Gelegenheit gab, ganz offiziell unliebsame Rivalen zu ermitteln und sich ihrer zu erwehren. Der Kultusminister bat den Fürstprimás sehr direkt und nachdrücklich: „Haben Sie die Güte festzustellen, wo es Konversionen gibt oder sich jemand einem neuen Glauben / einer neuen Sekte / angeschlossen hat, die massenhaft oder verstreut vorkommen und woher der Hang zur Konversion kommt. Auf welche örtlichen oder persönlichen Gründe sind die Erfolge der Bekehrung beziehungsweise Agitationsarbeit zurückzuführen.“ Grundsätzlich war dem Minister allerdings klar, diese kleinen religiösen Gemeinschaften durften „ihre Tätigkeit“ ausüben – aber „nur innerhalb des in § 1 des GA XLIII von 1895 festgelegten Rahmen“.179 Ganz offensichtlich ging dieses Schreiben nicht nur an den Fürstprimas, sondern auch an andere Kirchenoberhäupter. So ging derselbe Brief unter demselben Aktenzeichen am selben Tag auch an den Erzbischof von Eger, Lajos Szmrecsányi.180 Religionsfreiheit war zu gewähren, aber der Umfang des „festgelegten Rahmens“ war zu definieren. In Anbetracht der Situation – der Vertrag von Trianon war vor noch nicht sehr langer Zeit unterschrieben worden, wodurch zusätzlich zum Religionsgesetz GA XLIII/1895 der GA XXXIII/1921, Artikel 55, zur Gewährung der freien Religionsausübung ebenfalls mit Verfassungsstatus Geltung erlangte – wird hier deutlich, dass die Politik den Schulterschluss mit den historischen Kirchen suchte, insbesondere mit der katholischen Kirche. Unklar bleibt hier noch, ob man in den kleinen Gemeinschaften eine Bedrohung oder ein antimagyarisches Feindbild sah. 178  Az.

196.215/1921. DOK-574. 180  EFL, 2637, Nr. 112/1922. Der Bischof wandte sich am 10. Januar 1923 mit den Fragen des Kultusministers an die Dechanten, die sie bis zum 31. des Monats beantworten und über die Tätigkeit solcher Gemeinschaften in ihrem Bereich berichten sollten. Ebenda, 5294, Nr. 112/1922. 179  MJTA,

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

Hinzu kommt noch, dass die Erkundungsmaßnahme des Religions- und Bildungsministers auch in eine Zeit des Misstrauens hinsichtlich der Heimkehrer aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft fällt, die man verdächtigte, kommunistische Ideen einzuschleppen und zu verbreiten. „Mit Blick auf die Gefahr einer Zunahme bolschewistischer Agitation wegen der Rückkehr der Kriegsgefangenen aus Russland“ ordnete der Innenminister die Vizegespane und Polizeiorgane des Landes kurze Zeit später, am 7. Januar 1922, an, „bedenkliche und verdächtige Personen, die die Staatssicherheit, die öffentlichen Ordnung und den Frieden wie auch die öffentlichen Sicherheit gefährden“, unter Polizeiaufsicht zu stellen, zu inhaftieren oder zu internieren.181 Grundlegend dafür war in Veränderung zu VO 91.383/1919 bezüglich Internierung die umfassende VO 4.352/1920, in welcher der Innenminister am 27. März 1920 während der turbulenten Zeit vor Abschluss des Trianonischen Vertrages festgelegt hatte, dass aus Gründen der Staatssicherheit und der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und des Friedens alle gefährlichen, bedenklichen und verdächtigen Personen, auch aus wirtschaftsschädigenden Gesichtspunkten unter Polizeiaufsicht gestellt, in Gewahrsam genommen und interniert werden können, egal, ob sie ausländischer oder ungarischer Abstammung waren. Kommunistische Aktivitäten galten dabei wieder als wichtiger Grund.182 Auffällig ist, dass der Innenminister hier den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ erwähnte, der noch als Einfallstor zur Beschränkung der Religionsfreiheit dienen sollte. Mit der weiteren VO 13.920/1920 verfügte der Innenminister, dass die Aufrechterhaltung der Internierung alle drei Monate zu überprüfen war.183 Auch 1922 zählten zu den Verdächtigen insbesondere „Kommunisten in Österreich, Deutschland und Russland“, die „in ständigem Kontakt mit ung. Kommunisten, besonders aus Russland zurückgekehrten Kriegsgefangenen“ stünden, „die problemlos über die Grenze hin und her verkehrten“, aber auch „russisch-jüdische Spekulanten“.184 Zu der Angst des Innenministers Iván Rakovszky (1885 – 1960)185 vor kommunistischen Einflüssen gesellte sich die Sorge, dass sich im Land „nichtnationale Organisationen stark ausbreiteten“. Gemeint waren in erster Linie sozialistische und sozialdemokratische Bewegungen, die „von Haus zu Haus“ gingen und ihre „Propaganda“ verbreiteten verbunden mit „Hetze“ gegen nationale Verteidigungseinrichtungen. Vor allem ausländischen Kommunisten warf er „Wühlarbeit“ vor. Um „diese Gefahr aus dem Lande zu schaffen“, wandte sich Rakovszky, am 3. Juli 1922 an die Vizegespane und Polizeipräsidenten und verfügte: „Alle Or181  MOL, K149 – 651 – 5 – 4 – 07 – 01 – 1922, VO  700/1922 IM v. 7.1.1922, VO 4.352/1920 IM v. 27.3.1920. 182  MRT, 1920, S. 674 – 684. Das berüchtigte Lager in Zalaegerszeg (Magyar Király Internálótábor Zalaegerszeg [Ungarisch Königliches Internierungslager Zalaegerszeg]), im April 1920 errichtet, wurde 1924 aufgelöst. Kovács, internálás, S. 434 f. 183  Ebenda, S. 432. 184  MOL, K-149 – 651 – 3055. Innenministerium, Hauptabteilung für öffentliche Sicherheit, Az.  3055/1922.VII.3. Ebenda, K-149 – 651-f5 – 4 – 851 – 1922, IM v. 6.4.1922. Ebenda, K149 – 651 – 438 – 22, IM v. 24.4.1922. 185  Innenminister vom 6.6.1922 bis 15.10.1926.

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)

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ganisationen und Bestrebungen, die sich gegen die nationale Einheit richten, vor allem die auf dem Lande auftretende sozialistische/kommunistische Agitation, sind mit größter Aufmerksamkeit zu verfolgen.“ Gegen diejenigen, die „die Wühlarbeit organisieren“ und gegen die „Drahtstifter“, aber auch im Fall von Hetze gegen die nationalen Streitkräfte, die sicherheitsdienstlichen Behörden und die Zollbehörden sollten Strafverfahren eingeleitet werden bzw. die Betreffenden sofort interniert werden. Versammlungen, die vom Standpunkt der öffentlichen Sicherheit und wegen des Schutzes der Nation besorgniserregend schienen, waren auf keinen Fall zuzulassen. Zugelassene Versammlungen wiederum sollten auf ihren Ablauf überprüft werden und darauf, ob sich die Inhalte gegen Behörden, die Nation oder die öffentliche Sicherheit richteten und nötigenfalls aufgelöst werden. Organisationen, die die Staatssicherheit und die Nation gefährden, vor allem unter den Landwirten geheime Agitation führten, waren dem Innenministerium sofort zu melden. Er rief die Behörden auf, hingebungsvoll und loyal zu arbeiten.186 Der Hinweis auf die strenge Überprüfung der Versammlungen passt zum Kontext der vorgenannten VO 5.5010 von 1920, wonach Versammlungen mit „Bemühungen, die sich gegen die wiederhergestellte staatliche und gesellschaftliche Ordnung“ richteten, zu unterbinden waren. Auch reichte gemäß VO 11.004/1921 versteckte Hetze gegen die Behörden, zum Auflösen von Zusammenkünften. Was die beargwöhnte Propagandatätigkeit von Haus zu Haus anbelangt, konnte es leicht zu Verwechslungen mit der Bekehrungstätigkeit der Kolporteure kleiner Religionsgemeinschaften kommen, so zum Beispiel die der Bibelforscher, die in den Städten wie auf dem Land von Ort zu Ort und von Haus zu Haus ihren Glauben verkündeten. Diese Art der Verkündigung betrachteten sie als Pflicht, einen elementaren Teil ihres Glaubens, wie das auch aus einem Rundschreiben an „die ungarischen Brüder der Internationalen Bibelstudenten“ vom 24. Januar 1922 hervorging: „Wenn jemand eine Möglichkeit zum Dienst hat, darf er sich nicht von der Verantwortung befreien, durch das Entziehen von der Tätigkeit, sondern sei es ein Mann oder eine Frau, wenn er für den Herr und seine Sache mit Liebe erfüllt ist, dann ergreift er mit Freude die Möglichkeit und fängt das Werk an. St. Paulus sagt: ‚Wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige‘ – diese Verantwortung betrifft mich in dieser Hinsicht ebenfalls, und wir alle können es ähnlicherweise auf uns anwenden. Das Evangelium über das Königreich muss unter allen Nationen verkündet werden, bevor das Ende kommt. Die Welt hat ihr Ende erreicht und das alte System wird vernichtet. Das Reich Gottes ist an den Türen. Ein menschliches Wesen hatte nie eine bessere Möglichkeit, sich im Dienst des Herrn zu beteiligen als jetzt. Die Welt ist voll mit Problemen. Die Völker sind verwirrt. Sie kennen den Grund nicht für diese niederschmetternde Situation, ferner was darauf folgen wird, aber wir kennen den Plan Gottes, und kennen auch die Gründe, und auch was folgen wird. Wir haben also die Verantwortung, die gute Botschaft zu denen zu bringen, die sich danach sehnen, den Plan Gottes zu kennen. Seien wir also eifrig, liebe Brüder.“187 In die186 

187 

Ebenda, K149 – 651 – 1111 – 22. Az.  1111/1922. MJTA, DOK-725. Körlevél [Rundbrief], Hungarian Department v. 1.2.1922.

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

sem Schreiben wurde weltweit im Februar 1922 eine besondere Aktion in Verbindung mit dem Vortrag „Millionen jetzt Lebender werden nie sterben“ organisiert – eine Aktion, die sicher auch von den Behörden nicht unbemerkt blieb.188 Hinzu kam, dass die Auffassung der Bibelforscher von der Gleichheit der Menschen, die Verkündung des Reiches Gottes mit gerechten Arbeits- und Lebensbedingungen bei oberflächlicher Betrachtung Parallelen zu kommunistischen Ansichten aufzuweisen schien. Allein schon die internationale Ausrichtung machte sie suspekt. In diesem Rundschreiben erklärten die Bibelforscher: „In Christus gibt es keine Nationalität, es gibt keinen Unterschied zwischen Deutschen, Ungarn, Franzosen, Engländer oder Griechen: sondern sie sind alle gleich im Christus.“189 Nicht vergessen hatte man sicher auch, dass Angehörige einiger Gemeinschaften im Krieg den Dienst an der Waffe verweigert bzw. „nur“ Sanitätsdienste geleistet hatten und sie somit die nationalen Verteidigungskräfte nicht ausreichend unterstützten, also quasi eine militärfeindliche Haltung einnahmen. Das bestätigt auch ein vertraulicher Bericht, den der Justizminister erhielt, und den er wortgetreu am 11. Februar 1923 an die Oberstaatsanwälte weitergab. Darin wurde festgestellt, dass „sich in letzter Zeit an mehreren Orten im Alföld, aber auch Dunántúl vom Staat nicht anerkannte Religionsgemeinschaften bilden, welche antimilitaristische Propaganda treiben“. Schon früh taucht somit ein bereits vor dem Ersten Weltkrieg den kleinen Religionsgemeinschaften, insbesondere den Nazarenern, gemachter Vorwurf wieder auf – in einer Zeit, da aufgrund des Trianonischen Vertrages militärische Interessen kaum von Belang hätten sein dürfen. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Staatsanwaltschaften wurden aufgerufen, „diesen Umtrieben Aufmerksamkeit zu schenken“ und „insofern sie davon Kenntnis erhalten, dass unter dem Deckmantel der Bildung solcher Religionsgemeinschaften Propaganda getrieben wird, sie mit größter Entschlossenheit unverzüglich Strafverfahren gegen die Täter einleiten“.190 In diesen Zusammenhang passt auch die Anweisung des Vorgängers Klebelsberg vom 28. März 1922 zur Umsetzung der VO 11.004/1921, staatsgefährliche oder für die öffentliche Ordnung bedenkliche Volksversammlungen nicht zuzulassen.191 In dem Geschehen zeichnen sich bereits zwei mögliche Strategien ab, die es erlaubten, gegen die Gemeinschaften vorzugehen, ohne gegen geschriebenes Verfassungsrecht, den GA XLIII/1895 und den GA XXXIII/1921 des Trianonischen Vertrages, zu verstoßen. Erstens: Der probate Vorwurf, Religion nur als Deckmantel zu benutzen, impliziert, dass die Organisation gar keine Religionsgemeinschaft war und damit nicht unter den verfassungsrechtlichen Schutz der Gesetze zur Religionsfreiheit fiel. Zweitens die Kriminalisierung der Gemeinschaften: Gemäß GA XLIII/1895 konnte die Religionsfreiheit wegen Verstoßes gegen gesetzliche Regelungen eingeschränkt werden, was es theoretisch ermöglichte, den Rahmen 188 Ebenda. 189 Ebenda. 190 

Ebenda, DOK-577, DOK-1059, DOK-1060. MOL, K149 – 651 – 50922 – 1922. Hintergrund: „Wiederholte Störung der polizeibehördlich genehmigten politischen Volksversammlungen sowohl in der Hauptstadt als auch auf dem Land erfordert.“ 191 

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)

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je nach Bedarf durch entsprechende Gesetze und Verordnungen eng zu stecken. Allerdings wurde dieser Möglichkeit mit Artikel 54 GA XXXIII/1921 insofern ein Riegel vorgeschoben, da dieser aufgrund des Grundgesetzvorrangs besagte, „daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung mit diesen Bestimmungen im Widerspruch oder Gegensatz stehe und daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung ihnen gegenüber Geltung haben solle“. War allerdings der Glauben wie Artikel 55 vorgab, nicht mit der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten vereinbar, konnte eingegriffen werden. Das würde bedeuten, dass man mittels entsprechenden Gesetzen und Verordnungen an dieser Stelle ansetzen musste. Beide Wege wurden beschritten. Argumente lieferten dafür die Verbreitung von Glaubensansichten, die nicht ins politische Konzept passten und die Haltung zur nationalen Verteidigung. Auch der Vorwurf der Hetze war ein willkommenes und auch in Zukunft wiederholt gegen die Gemeinschaften vorgebrachtes Argument. Unter dem Straftatbestand der Hetze (izgatás) verstand man nach dem Strafgesetzbuch „die öffentliche Aufforderung zum Verüben von Straftat oder Vergehen“. „Dieses Verbrechen verübt derjenige, der an irgendeiner Versammlung192 öffentlich mit Wort oder durch die Verbreitung oder Zurschaustellung von Druckschrift, Schreiben, Abbildung eine direkte Aufforderung zum Verüben irgendeiner Straftat oder Vergehen richtet.“ Ferner war Hetze nach dem Strafgesetzbuch die „Aufforderung zum Ungehorsam gegenüber dem Gesetz und den Behörden“, wobei derjenige in einer Versammlung öffentlich oder durch die Presse zum Ungehorsam gegenüber Gesetzen, Verordnungen, Anordnungen oder Beschlüssen aufforderte. Hetze war aber auch die „Aufwiegelung gegen Gesellschaftsklassen und elementare Einrichtungen“, wobei jemand wie zuvor beschrieben, „irgendeine Klasse der Gesellschaft /z. B. Bürgerstand, Arbeiterklasse, besitzende Klasse, Priesterklasse, Beamtenklasse, besitzlose Klasse, Richterklasse usw. /, eine Nationalität oder Glaubensgemeinschaft gegen andere zum Hass hetzt, oder die Unterschiede zwischen den einzelnen Gesellschaftsklassen, Nationalitäten oder Glaubensgemeinschaften gezielt, der Wirklichkeit nicht entsprechend oder mit deren Verdrehung und Ausmalung auf einer Weise überspitzt, was geeignet ist, in den zu der betreffenden gesellschaftlichen Sektion nicht gehörenden Personen das Gefühl der Leidenschaft und des Hasses zu wecken“.193 Eigentlich ein Schutzfaktor, der aber Raum für Interpretation gab. Leicht ließ sich hier der Vorwurf der Hetze gegen historische Kirchen oder Priester vermuten oder konstruieren. Ein weiterer Vorwurf, der ebenfalls kontinuierlich wiederkehrte, war der der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und des Friedens wie auch der öffentlichen Sicherheit – das einzige Argument, was legal die Verfassungsgesetze einschränken konnte. In dem Zusammenhang verwies der Innenminister wiederum auf GA III/1921 zum Schutz der staatlichen und öffentlichen Ordnung, der diese 192 „Unter Versammlung ist die gemeinsame Anwesenheit einer Menschenmenge in größerer Zahl zu verstehen.“ 193  Ebenda, K149 – 651 – 5 – 4, Anlage zur IM-VO 600/1922 Straftatbestände in Verbindung mit der Wahl der Nationalversammlung zum Erkennen von Straftaten.

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

„vor destruktiven umstürzlerischen Tätigkeiten wirkungsvoll schützen“ sollte, denn man befürchtete, diese Bewegungen könnten die „staatliche und gesellschaftliche Ordnung aus ihren Ecken aushebeln“ und das Land schließlich in den Ruin treiben. Das Gesetz versuchte, solche Tätigkeiten „schon im Keim zu ersticken“ und sah „strenge Strafen für denjenigen vor, die staatliche und gesellschaftliche gesetzliche Ordnung mit Gewalt umzustürzen oder zu vernichten, insbesondere aber eine, die unumschränkte Macht irgendeiner gesellschaftlichen Klasse / Bsp. Diktatur des Proletariats oder Diktatur der Bauern usw. / durch Gewalt herbeiführende Bewegung oder am Aufbau einer solchen aktiv teilhat oder ihr Vorschub gewährt“. In solchen Fällen konnte nach VO 3.000/1922 des Innenministers sogar ein Internierungsverfahren eingeleitet werden.194 Die VO basierte auf der Internierungs-VO 4.352/1920 und richtete sich gegen alle aus Gründen der Staatssicherheit und der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und des Friedens gefährlichen, bedenklichen und verdächtigen Personen, wozu auch kommunistische Aktivitäten gehörten.195 Deutlich wird im Gesamtkontext, welche starke Rolle dabei die Angst vor dem Kommunismus spielte. Gleichzeitig kann man sich vorstellen, dass in dieser Phase des allgemeinen Misstrauens, des Revisionismus und der Kults um das Ungarntum neuartige religiöse Gemeinschaften als bedenklich oder dubios eingeordnet wurden. Das jedoch war nur der Fall, so lange man sie nicht kannte. Erste Maßnahme der Behörden hätte es daher sein müssen, sich direkt mit ihnen und ihren Glaubensansichten auseinanderzusetzen und sich nicht auf dem Umweg über historische Kirchen zu informieren, von deren Seite naturgemäß keine objektive Einschätzung zu erwarten war. Auffallend ist, dass von Anbeginn der Horthy-Zeit an sehr starre, enge Regeln im gesellschaftlichen Bereich aufgestellt wurden, die wenig Spielraum für Meinungs- und Glaubensfreiheit gaben. Auffallend ist auch, dass Internierungen von Anfang an zum Mittel der Wahl gehörten, um unliebsame Gegner zu eliminieren. Horthys revisionistisch fokussierte Regime konnte daher verfassungsrechtliche Freiheiten nicht als Chance für die Entwicklung einer offenen, fortschrittlichen multikulturellen Gesellschaft begreifen, sondern sah in ihnen ein notwendiges Übel, aufgezwungene unangenehme Normen, zu deren Einhaltung nicht zuletzt auch der Vertrag von Trianon – und damit die internationale Gemeinschaft – verpflichtete.

III.  Erste Maßnahmen und Entwicklungen zur polizeilichen Überwachung 1.  Einrichtung einer Zentralen Ermittlungsbehörde beim Innenministerium In den Kontext der Verfolgung gefährlicher Bewegungen und Elemente, die der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung schaden könnten, passt auch die 194 

195 

Ebenda, K149 – 651 – 5 – 4. MRT, 1922, S. 221 ff.

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Einrichtung einer Zentralen Ermittlungsbehörde („Központi Nyomozó Hivatal“) durch den Innenminister am 1. Dezember 1922 mit VO 9.200 als administrative Maßnahme zur besseren Gewährleistung der Staatssicherheit, mit der die Polizeibehörden zusammenarbeiten und gewissenhaft Bericht erstatten sollten.196 Mit Niederschlagung der Revolution und Errichtung des Horthy-Regimes 1919 – 1920 hatte man zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung eine politische Ermittlungsabteilung bei der Polizei eingerichtet, die später zur Unterabteilung wurde und schließlich eine eigenständige Abteilung bildete.197 Der Innenminister verfügte in der VO 9.200: „Alle bedeutenderen Vorkommnisse im Zusammenhang mit der staatlichen Sicherheit und in strafrechtlicher Hinsicht, ob bereits geschehen oder noch ausstehend, sind der Zentralen Ermittlungsbehörde sofort und genauestens zu melden.“198 Offensichtlich bewährte sie diese Institution jedoch nicht, denn ihre Arbeit wurde Ende Juni 1924 mit der VO 124.037 wieder eingestellt, da die Bearbeitung im Interesse des wirksameren Schutzes der Staatssicherheit und der besseren Ermittlung in bedeutenderen Strafsachen den örtlichen Polizeibehörden übergeben wurde. Dennoch lag die Oberaufsicht und Kontrolle beim Innenministerium. Abteilung VII war für die Öffentliche Sicherheit (közbiztonság) zuständig. Und ging es um den Bestand des Staates, die Interessen des Allgemeinen Friedens und der Allgemeinen Sicherheit, musste der Innenminister eingeschaltet werden.199 Die meisten Maßnahmen des Innenministers bezüglich der Einschränkung der kleinen Religionsgemeinschaften sollten über die Abteilung VII ergehen, was wiederum in den Kontext zur öffentlichen Ordnung passt. 2.  Kontroll-VO 1.670/1923 des Innenministers in Sachen „antimilitaristische Propaganda“ Auf den Bericht des Justizministers vom 11. Februar 1923, wonach gesetzlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaften im Alföld und Dunántúl „antimilitaristische Propaganda“ („antimilitarista propaganda“) trieben, reagierte der Innenminister am 5. März 1923 und thematisierte eben diesen Vorwurf in seiner Kontroll-VO 1.670/1923. Zur „Verhinderung der Ausbreitung von Sekten, die antimilitaristische Ansichten verbreiten“, wandte er sich an die Staatspolizei-Präsidenten der Bezirke, den Polizeipräsidenten der Budapester Staatspolizei, den Budapester Oberstadthauptmann,200 die Bezirkskommandanturen der Gendarmerie und die Vizegespane und forderte, „die Ausbreitung der nicht anerkannten Religi196  Die nach der VO 5.047/1919 und VO 31.300/1920 eingerichtete Unterabteilung „nyomozó osztály“ (Ermittlungsbehörde) beim Innenministerium sollte als „Központi Nyomozó Hivatal“ (KNH) arbeiten. 197  Kovács, Tamás: A nyilas éra politikai rendészetének felépítése [Die Errichtung des politischen Systems der Pfeilkreuzler-Ära], S. 2. http://www.publikon.hu/application/essay/134_1.pdf (Zugriff am 15.7.2013). 198  MOL, K149 – 651 – 5 – 4, VO  9.200/1922; VO  241.500/1922. 199  MRT, 124.000/1924, S. 410 f. 25.6.1924. 200  Chef der Budapester Polizei.

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onsgemeinschaften in Ihrem Zuständigkeitsbereich mit wacher Aufmerksamkeit zu verfolgen und insofern von deren Seite staatsfeindliche oder antimilitaristische Propaganda bemerkt wird, das sofort zu unterbinden und mich in jedem Fall von den Fällen in Kenntnis zu setzen“.201 Das Argument der antimilitaristischen Propaganda wirft erneut Licht auf den Geist nach dem Vertragsschluss von Trianon, der dem Land eigentlich eine „Quasi-Demilitarisierung“ verordnet hatte, weist auf die revisionistische Stoßrichtung der Politik hin und knüpft am militaristischen Geist von vor dem Ersten Weltkrieg an. Im Weiteren wird deutlich werden, wie gegen Personen oder Gruppierungen, die nicht für die Wiederherstellung des historischen Ungarns kämpften – das Ungarntum somit nicht unterstützen – vorgegangen wurde. Da das ungarische Militär schon immer eine zentrale Rolle bei der Stärkung der magyarischen Nation gespielt hat, war antimilitaristische Propaganda in jeder Hinsicht abträglich. Wer durch seine Handlungen „der Reputation [megbecsülés] des ungarischen Staates und der ungarischen Nation“ schadete, „sich gegen die nationale ungarische Staatsordnung, ihren Frieden richtet, wie auch die bestehende gesellschaftliche Ordnung gefährdet, oder aus diesem Gesichtspunkt besorgniserregend ist“, konnte ebenfalls nach VO 3.000/1922 I.M. interniert werden.202 Das Argument der antimilitaristischen Propaganda war somit schwerwiegend, ihm wurde sogar Vorrang vor freiheitlichen Gesetzen eingeräumt, dieses Argument sollte sich wie ein roter Faden durch die weitere Geschichte ziehen. Eine Auseinandersetzung mit den Gesetzen zur Religionsfreiheit war aus den Akten nicht zu erkennen. 3.  Restriktiver Umgang bei der Genehmigung von Presseerzeugnissen durch VO 60.002/1923 Eine große Gefahr für das Ungarntum sah man des Weiteren im Einfluss von Presseerzeugnissen. Angeblich hätten solche Produkte durch die „Lockerung der religiösen Moral und des nationalen Gefühls“ zu den revolutionären Umständen beigetragen. Daher forderte der Innenminister trotz Pressefreiheit schon am 17. April 1923 mit der Verordnung 60.002/1923 der Abt. VII die Behörden auf, Maßnahmen gegen „Schundliteratur“ zu ergreifen, da dieses „die Volksseele und insbesondere die Jugend“ vergifte. Diese würden „auf der Strasse [und] an den Häusern“ verkauft. Dabei ging es neben „Detektivromanen, gegen die Moral verstoßenden pornografischen Büchern, Bildern und Ansichtskarten, Kalendern“, „wertlosen Schundromanen und Erzählungen auf diesem Niveau“ um „verschiedene Flugschriften von unterschiedlichen Organisationen oder nicht anerkannten Sekten, die die Seele und das nationale Gefühl der Bevölkerung schädlich beeinflussen“, die „unter dem Deckmantel der Religion von verschiedenen Organisationen und manchen nicht anerkannten Sekten“ verbreitet wurden. Die Behörden sollten beim Erteilen von Genehmigungen strenger vorgehen, bereits verliehene Genehmigungen überprüfen und Maßnahmen gegen die Verbreiter ohne Erlaub201 

202 

MJTA, DOK-576, DOK-1058, VO 1.670/1923. MOL, K149 651 – 5 – 4, Anlage zur IM VO 600/1922.

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nis ergreifen.203 Diese Maßnahme könnte zum Bereich der guten Sitten gerechnet werden, da man begründete, dass damit einem allgemeinen Rechtsgefühl zuwidergehandelt würde – zum Schaden der Volksseele und der Jugend, deren religiöser Moral und ihrem nationalen Gefühl. Somit war diese Maßnahme geeignet, die Religionsfreiheit in Bezug auf Druckschriften einzuschränken. Tatsächlich setzten religiöse Gemeinschaften verschiedentlich Flugblätter ein, um ihre Botschaften schnell und effizient zu verbreiten. So verteilten zum Beispiel die Bibelforscher häufiger Traktate oder Flugschriften über ihre Glaubenslehren.204 Grund für diese Einschränkung der Pressefreiheit war einmal mehr der Nationalismus – hier konkret „die Volksseele“ und „das nationale Gefühl“ – dem die Publikationen abträglich sein könnten. Auch der Hinweis auf eine Tätigkeit „ unter dem Deckmantel der Religion“ bestätigt die Vermutung: Ist eine Sache nur unter einem Deckmantel religiös, so ist sie es in Wahrheit nicht und man kann dagegen vorgehen, ohne gegen bestehendes Verfassungsrecht zu verstoßen.

IV.  Verstärkte Zusammenarbeit mit historischen Kirchen Dem Bündnispartner historische Kirchen sollte eine größere Rolle bei der Auseinandersetzung mit den gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften zukommen, nicht zuletzt deshalb, weil bisher gesetzlich noch nicht gegen sie vorgegangen werden konnte. Mit Bezugnahme auf die Verordnung des Innenministers die Presseerzeugnisse betreffend wandte sich der Religions- und Bildungsminister Klebelsberg zur Eindämmung der Sektentätigkeit erneut an die Kirchen, die sich ihrerseits bereits in kirchlichen Blättern mit einzelnen Artikeln gegen die Gemeinschaften gerichtet hatten.205 In seinem Schreiben vom 21. September 1923, an den Esztergomer Erzbischof, an den Vorstand des reformierten Konvents und an den Kurator der Augustiner Evangelischen Universalkirche wies der Kultusminister auf den Runderlass Nr. 60.002/1923 des Innenministers gegen die Verbreitung der Kolportageliteratur hin, und erklärte, dass alle Bezirkspolizeipräsidenten, der Budapester ung. kgl. Staatspolizeipräsident, alle Gendarmeriedistrikt Kommandanturen, alle Vizegespane aufgefordert seien, „die Ausbreitung der nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften in ihrer Zuständigkeit zu beobachten, und wenn sie von ihrer Seite staatsfeindliche oder antimilitärische Propaganda feststellten, diese unverzüglich zu verhindern und zu melden“. Er teilte ferner mit, „der Herr Justizminister wies die Staatsanwaltschaften an […], dass wenn sie von antimilitärischer Propaganda Kenntnis erlangen, strafrechtlich gegen die Täter vorgehen und darüber Bericht erstatten“. Die historischen Kirchen waren somit vom koordinierten Vorgehen der Behörden gegen die Gemeinschaften umfassend informiert. Klebelsberg kam jedoch nicht umhin, in seinem Schreiben auf die gesetzlich verankerte Religions203  MJTA,

DOK-578. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 70, 73. 205  Kardos/Szigeti, S. 280, Fn. 79 erwähnt insbesondere evangelische Veröffentlichungen. Fazekas, Kisegyházak, S. 44 ff., 51 ff. 204 

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freiheit zu verweisen: „Weil die Bewegungen zum Kreis des geistlichen Lebens gehören, genießen sie die im Gesetzartikel XLIII von 1895 und im Trianoner Friedensvertrag gesicherte Freiheit, sodass wir mit einem Eingriff von unserer Seite das Recht und die Freiheit der inneren Entwicklung kaum verhindern können.“ Das Verfassungsgesetz und die Auflagen von Trianon erwiesen sich ganz offensichtlich als Hindernis für einen Frontalangriff der Behörden. Dann kam auch Klebelsberg auf mögliche Ansatzpunkte zu sprechen: „Im Hinblick aber darauf, dass die Sekten, nicht so sehr in ihren Lehren, eher in der Agitation der lehrenden und verbreitenden Personen, manchmal staatsfeindlich zu sein scheinen, und auch die gesetzlich anerkannten Kirchen verletzen, ferner aus ihrem Naturell international gerichtet sind, womit sie auch im Hinblick auf den Staat gefährlich sein können, verdient ihre Tätigkeit die verstärkte Aufmerksamkeit. Ich bitte Sie deshalb, diese Bewegungen zu beobachten, und mich von Fall zu Fall auch zu benachrichtigen.“ Anders als andere Behörden, wie sich noch zeigen wird, stieß sich Klebelsberg nicht so sehr an den Lehren der Gemeinschaften, er sah das Problem eher in einzelnen Glaubensanhängern und ihrer Aktivität. Die internationale Ausrichtung hielt er für staatsgefährdend und die Schwächung der Bündnispartner historische Kirchen passte ebenfalls nicht ins Konzept, schließlich hatte sein Vorgänger in dem Schreiben vom 17. Dezember 1921 an das Oberhaupt der ungarischen katholischen Kirche bereits um Feststellung gebeten, welche rezipierte Kirche aufgrund der Bekehrungserfolge Einbußen hinnehmen musste. Anders als der Justizminister und Innenminister jedoch suchte er nach einer Lösung auf religiösem Weg – eine praktische Überlegung, wenn man gesetzlich nicht eingreifen konnte: „Weil es hier um eine geistliche Bewegung geht, ist gegen sie mit rechtlichem Zwang kaum was zu tun und die Verteidigung sollte eine geistliche Richtung nehmen, [daher] möchte ich Sie jetzt schon darum bitten, diesbezüglich für die entsprechenden Maßnahmen zu sorgen, in erster Linie mit dem Intensivieren der geistlichen Betreuung.“ Im Brennpunkt des Geschehens stand die Aktivität der Gemeinschaften: „Besonders in Grenzgebieten des Landes, in Budapest oder in einigen größeren ländlichen Städten, wo die Zentren der Sekten sind und wo die ärmeren Volksgruppen leben, scheint es nötig zu sein, der Sache besondere Aufmerksamkeit zu schenken.“206 Neben dem Einblick in die Zusammenarbeit der Ministerien untereinander sowie mit den historischen Kirchen zeigt der Brief des Kultusministers Überlegungen auf, wie in der Angelegenheit der nichtanerkannten Religionsgemeinschaften weiter vorgegangen werden könnte. Nachdem Klebelsberg das Problem der Unkontrollierbarkeit definierte, präsentierte er seinen Lösungsansatz: „Schließlich, im Hinblick darauf, dass die Gläubigen der obigen Religionen in Ungarn […] außer den anerkannten Baptisten keine gesetzliche Religionsgemeinschaft gründen, ohne staatliche Kontrolle funktionieren und aus polizeilichem Gesichtspunkt lediglich der zufälligen Kontrolle der Verwaltungsbehörden unterliegen, kam der Gedanke auf, sie unter sachgerechte Kontrolle zu stellen“. Die Gläubigen sollten sich unter Beachtung der gesetzlichen Verordnungen in Vereinen zusammentun, 206 

MOL, K579 – 1923 – 2-Okt., Bl.  142 – 147, Az.  111.939/923.II.

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die unter der Kontrolle des Kultusministers standen. Mit dieser Verfahrensweise würde man Religionsvereinigungen einführen, „welche in ihrem rechtlichen Bezug durch die in der Vorbereitung stehenden Vereinsgesetze weitere Regelung erfahren können“.207 Sein Lösungsvorschlag war also, diese Gemeinschaften in Vereine zu organisieren, um sie so kontrollieren und nötigenfalls durch Verordnungen weiter einschränken zu können, als es die Gesetzgebung sonst zuließ. Im weiteren Verlauf seines Schreibens vom 21. September 1923 ging der Kultusminister detailliert auf einzelne Glaubensgemeinschaften ein und fasste die ihm wohl auch von kirchlicher Seite auf das Erhebungsersuchen seines Vorgängers vom 17. Dezember 1921 zugestellten Daten zusammen, wobei seine teilweise sehr moderaten Einschätzungen überraschen. Zunächst ging er auf die methodistische Kirche ein und berichtete wohlwollend, sie hätten „1920 eine Hilfe von 9 000 000 Kronen zur Unterstützung der Bedürftigen Ungarns“ gespendet. „Außerdem sandten die dänischen, schweizer und schwedischen Methodisten hauptsächlich Naturalien nach Ungarn.“ Er verwies auf den Bürgermeister der Haupt- und Residenzstadt Budapest, der aus politischer Sicht „in der Tätigkeit der methodistischen Versammlungen keinen Umstand [sah], der staatsfeindlich wäre oder gegen die Lehren der rezipierten und gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften bzw. gegen die Moral verstoßen würde“.208 Dann kam er zu den Adventisten stellte zwar einerseits fest, dass die Gemeinschaft vom Ausland organisiert und finanziell unterstützt wurde, erklärte aber, „zum Austeilen unter den Armen erhielten sie im Jahr 1921 300 000 Kronen und im Jahr 1920 150 000 Kronen. Daraus durften nur adventistische arme Leute bekommen, aber Naturalien geben sie auch Armen mit anderen Religionen.“ Interessanterweise hatten die Budapester Adventisten ihre öffentlichen Gottesdienste schon seit längerem „ein für alle Mal“ dem Polizeipräsident der Staatspolizei angemeldet, und die Anmeldung in letzter Zeit wiederholt – eine Verfahrensweise, auf die an späterer Stelle noch eingegangen werden soll. Der Minister stellte fest „Die Tätigkeit der Adventisten […] ist aus der Sicht der Staatsverteidigung nicht bedenklich“209 Die STA hatte sich nach dem Krieg neu organisiert, verfügte in Ungarn über 17 Versammlungen mit über 500 Anhängern. Adolf Minck hatte die Leitung der Gemeinschaft inne. Fünf Personen fungierten als Prediger und neun als Missionsarbeiter. Auch sie gebrauchten bei ihrer Missionsarbeit Druckschriften.210 Auch zur Ausbreitung der Nazarener lieferte der Minister einen zahlenmäßig detaillierten Bericht große Gebiete des Landes betreffend, der zeigte, wie weitverbreitet die Gemeinschaft tätig war. Im Bericht wurden klare Vorbehalte genannt. 207 Ebenda. 208 

Ebenda, K579 – 1923 – 2-Okt., Bl. 142 – 147 (RBM an historische Kirchenleitung). „Der Bürgermeister der Haupt- und Residenzstadt Budapest informierte neulich, dass die Siebentag Adventisten den Kirchenältesten A. M. mit Budapester Wohnsitz als ständigen Geistlichen ihrer Versammlungen anmeldeten. Mit ihrer Anmeldung beziehen sie sich auf § 31 Gesetzartikels XLIII von 1895 und teilen gleichzeitig mit, dass von den 230 Mitgliedern der Budapester Versammlung 30 ausländische Staatsbürger sind.“ 210  Szigeti, Szabadegyházak, S. 174. 209  Ebenda.

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

„Gegenüber anderen Kirchen empfinden sie den unversöhnlichsten Hass. In ihrem Missionseifer scheuen sie keine Mühe, kein Opfer, nur um einen Gläubigen zu bekommen. Sie nutzen jede Möglichkeit die Anzahl ihrer Gläubigen zu erhöhen. […] Vom Staat halten sie, dass man seinen Geboten, Gesetzen gehorchen muss, aber nur bis sie nicht Gottes Gesetzen gegenüberstehen, in dem Fall muss man Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Verschiedene Geistliche wurden zitiert, so der Pfarrer von Gyopárhalma-Szenttornya: „Die Anhänger der genannten Sekte waren im Krieg nicht nützlich“ und ein Bischof, der erklärte: „Sie greifen nicht zu den Waffen, ihre Verbreitung ist gegenüber Ungarn sehr gefährlich“.211 Und wiederum war es das Argument der Militärfeindlichkeit – nur diesmal aus dem Mund von Geistlichen. Augenfällig ist: In der Ausführung des Kultusministers über die Nazarener werden weder wichtige ausländische Verbindungen noch wohltätige Sammlungen angeführt, was ein Grund dafür sein könnte, warum die Beurteilung der Gemeinschaft so wenig positiv ausfällt. Ihre Haltung zum Dienst an der Waffe war in jedem Fall abträglich. Nach den Nazarenern wandte sich der Minister als letzter Gemeinschaft den Baptisten zu. Zu der zahlenmäßigen Entwicklung berief sich der Minister auf den baptistischen Anzeiger „Friedensbote“, demzufolge es 50 baptistische Versammlungen und 322 Missionsstationen gab. „Ihre größte Versammlung ist in Budapest“, der 352 Personen angehörten.212 Die Zahl aller Versammlungsmitglieder beliefe sich am 31. Dezember 1921 auf 8 394. „Ihr Werk nahm in allen Teilen des Landes großen Schwung, schreibt das reformierte Blatt ‚Reformátió‘ in der Ausgabe von 1. Juni 1922.“ Der Minister schloss daraus, dass „die fast 20-jährige Entwicklung der Baptisten seit ihrer gesetzlichen Anerkennung Licht auf die Ausdehnungsmöglichkeiten der Sekten wirft“. Ein Ergebnis, was er mit Blick auf die Verluste für die historischen Kirchen und die mögliche ähnliche Entwicklung anderer noch vor der Anerkennung stehender Gemeinschaften mit Schrecken betrachtet haben wird. Andererseits bescheinigte er den Baptisten, für wohltätige Zwecke fast 6 000 000 Kronen ausgegeben zu haben. Mit Blick auf die außenpolitische Lage erklärte der Minister in seinem Bericht, „dass diese Glaubensgemeinschaften in den Amerikanischen Vereinigten Staaten eine beachtliche Anzahl von Gläubigen vereinen, so: die mächtigste die Methodisten […] mit 69 000 000 Dollar jährlichem Budget. Danach die Baptisten […] mit 44 ½ Million Dollar Budget, dann die Adventisten mit […] mit 3 ½ Million Dollar Budget. In Anbetracht dessen, dass die Prediger dieser Glaubensgemeinschaften teilweise aus Deutschland zu uns kommen oder dort geschult werden, möchte ich noch mitteilen, dass es gemäß der Volkszählung im Jahr 1910 im Deutschen Reich 53 958 Baptisten, 21 088 Methodisten und Quäker und 6 596 Adventisten gab.“ Er fügte hinzu, in welchen Ländern des Reiches die methodistische und die baptistische Kirche mit

211 

MOL, K579 – 1923 – 2-Okt., Bl. 142 – 147 (RBM an historische Kirchenleitung). Weitere Versammlungen mit über 300 Personen gäbe es „in Kiskunhalas (340) und in Tótkomlós (343)“, mit über 200 in „Békés (260), Dob (213), Debrecen (282), Hajdúböszörmény (254), Karczag (253), Kétegyháza (273), Kiskörös (271), Kispest (22), Miskolcz (263), Noszvaj (246), Nyíregyháza (269), Vésztő (253)“. Ebenda. 212 

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welchem rechtlichen Status anerkannt waren.213 Diese Ausführungen zeigen neben der Orientierung nach Amerika gleichzeitig auch die Anbindung an Deutschland, eine Verbindung mit über die Jahrhunderte gewachsenem politischen und juristischen Einfluss, der sich immer wieder in Entscheidungen und Ausrichtungen widerspiegelt. Es war durchaus von Interesse für die ungarische Verfahrensweise, wie man in Deutschland mit einer Gemeinschaft umging. Der Jurist Herbert Küpper erklärt dazu: „Ungarn hat sich im Laufe seiner Geschichte immer wieder stark am deutschen Rechtsraum orientiert.“214 Im Zusammenhang mit der Bewertung der Kategorie der anerkannten Religionsgemeinschaften ist aufschlussreich, dass die Baptisten in einem Schreiben, in dem es um die Verhinderung der Ausbreitung gesetzlich nicht anerkannter Religionsgemeinschaften ging, genannt wurden, wenngleich der Minister sie in seiner Beschreibung als anerkannt auswies. Das erweckt erneut den Eindruck, dass sie nicht wirklich als anerkannte Gemeinschaft angesehen oder zumindest weiter beargwöhnt wurden, sonst wäre es auch kaum nötig gewesen, die Kirchenleitungen auf die Gemeinschaft hinzuweisen. Andererseits könnte dies auch den bestehenden, von Behörden und Kirchen gelebten Unterschied zwischen gesetzlich anerkannten und rezipierten Kirchen beschreiben – also quasi auf der Stufe der nicht anerkannten Religionen stehend mit einigen wenigen Privilegien, weit entfernt von der Stellung der rezipierten Kirchen. Aus der Zusammenschau des Kultusministers wird die große territoriale Verbreitung der Gemeinschaften deutlich, gleichzeitig fielen die Verbindungen der Gemeinschaften ins Ausland sowohl positiv auf, was die wirtschaftliche Unterstützung des Landes anbelangte, wie auch negativ, wenn es um den Erhalt des Ungarntums ging. Die Bibelforscher wurden in der Aufzählung nicht genannt, was auf eine Verwechslung mit Gemeinschaften der Adventisten zurückzuführen sein kann.215 213  Ebenda: „Die deutschen baptistischen Versammlungen sind in dem ‚Bund der Baptistengemeinden in Deutschland‘, die adventistische Versammlungen in der ‚Gemeinschaft der Sieben-Tags-Adventisten in Deutschland‘ vereint. … Die Baptisten und die Methodisten bilden zusammen mit der ‚Evangelischen Gemeinschaft‘ und mit dem ‚Bund der freien Evangelischen Gemeinde‘ die ‚Evangelischen Freikirchen in Deutschland‘, deren Ausschuss in Berlin ist.“ 214  Küpper, Autonomie, S. 25 f. 215  WtBTG (Hrsg.): Jehovas Zeugen – Verkündiger des Königreiches Gottes. Selters 1993, S. 70 – 75. Im Übrigen mussten sie sich in Amerika nach 1919 wieder neu organisieren, da ihre Leitung dort einige Zeit inhaftiert war und damit auch die Tätigkeit einen vorübergehenden Aktionsknick verzeichnete, was sich indirekt auch auf die Aktivität in anderen Ländern auswirkte. Die Bibelforscher in den USA hatten während des Krieges das Buch „Das vollendete Geheimnis“ herausgegeben, was sich gegen kirchliche Lehren richtete. Den Herausgebern wurde vorgeworfen, die Bücher mit Geldern aus Deutschland zu drucken, die Verbreitung sei eine Verletzung des Spionagegesetzes. Hinzu kam, dass Bibelforscher wegen ihrer Haltung zum Militärdienst in Armeelagern und Militärgefängnissen festgehalten wurden. Mitte 1918 bis Mitte März 1919 wurden dann Mitglieder der Leitung inhaftiert und wegen Insubordination, Untreue und Verweigerung der Dienstpflicht wie Behinderung beim Anwerben von Soldaten angeklagt, aber wegen Befangenheit des Gerichts und Verfah-

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

Justizminister Emil Nagy (1871 – 1956)216 stellte korrigierend am 19. Oktober 1923 mit direktem Bezug auf dieses Schreiben des Kultusministers fest, dass es neben dem Einschalten der Kirche im Umgang mit den gesetzlich nichtanerkannten Gemeinschaften auch juristischer Überlegungen bedürfe. Mit Bezug auf das Gesetz zur Religionsfreiheit XLIII/1895 und Artikel 55 des Friedensvertrags musste er zunächst einräumen, dass „jeder Einwohner des Landes jedweden Glauben oder Religion frei wählen und nachfolgen und im Rahmen der Landesgesetze und der öffentlichen Moral nach außen zum Ausdruck bringen und frei ausüben [könne], und das unabhängig davon, ob die Religion des betreffenden rezipiert oder anerkannt ist, oder noch nicht anerkannt ist“. Artikel 54 bezüglich der Einordnung einfacher Gesetze ignorierte er bei dieser Beurteilung. Gleichzeitig grenzte er ein: „Diese Freiheit bedeutet jedoch nicht, die Organisation, die Herausbildung einer Glaubensgemeinschaft, den öffentlichen Gottesdienst frei abzuhalten und die Staatsbürger werden nicht befreit davon, die Versammlungs- und Vereinsrechte einzuhalten.“ Diese Eingrenzung nahm Artikel 55 jedoch nicht vor. Er gestattete eine freie Ausübung öffentlich oder privat. Dann wurden die betreffenden Gemeinschaften aufgeführt: „Die Methodisten, die Adventisten, Nazarener und die Baptisten. Unter diesen Sekten sind die Baptisten gesetzlich anerkannt, die anderen Glaubensgemeinschaften können maximal als geduldet betrachtet werden.“ Wieder wurden die Baptisten quasi auf eine Stufe mit den nicht anerkannten Gemeinschaften gestellt. Auffallend ist der negative Gesamtansatz, aufzeigend, was Religionsfreiheit „nicht“ bedeutete. Auch die Wortwahl, sie könnten „maximal als geduldet“ angesehen werden, zeigte die negative Bewertungstendenz. Des Weiteren vertrat auch er ähnlich dem Kultusminister die Ansicht, dass die Gemeinschaften wie Vereine zu behandeln seien – ein Umstand, der noch zur Diskussion kommen soll. Dann nannte er einzelne Gesichtspunkte, die seiner Meinung nach juristisch nicht tragbar waren: „So können zum Beispiel Geistliche herangezogen werden, die nicht ungarische Staatsbürger sind und nicht über ein Diplom verfügen, […] eine vom Schutz des Staates und der Nation her besorgniserregende Propa­ ganda ausführen. Nach Meinung der verfassungsrechtlichen Fachabteilung waren diese Merkmale auch aus rechtlicher Sicht zu beachten und gegebenenfalls entsprechend dagegen einzuschreiten. Bevor jedoch die Fachabteilung in dieser Frage Stellung nimmt und Empfehlungen abgibt, ist Aufklärung aus kirchenpolitischer Sicht nötig.“217 Seine Äußerung zeigt, dass die Behörden noch keine genaue Kennt-

rensfehlern wieder freigelassen. Die Angelegenheit wurde erst 1920 juristisch geklärt und das Verfahren eingestellt. 216  Emil Nagy war vom 11.6.1923 bis 21.2.1924 Justizminister, er gehörte der „Egységes Párt“ (Einheitspartei) von Bethlen an, die konservative und rechtsradikale Kräfte vereinte. Er selbst war ein Sprecher des Revisionismusgedankens. Vgl. Barta, Róbert: A rendszer szilárd támasza. Az Egységes Párt (Eine stabile Stütze des Regimes. Die Einheitspartei). In: Rubicon, Nr. 8, 1997. http://www.rubicon.hu/magyar/oldalak/a_rendszer_szilard_tamasza_ az_egyseges_part/ (Zugriff am 12.4.2013). 217  MOL, K579 – 1923 – 2Okt., Bl. 137 (siehe auch ebenda, K579 – 1925 – 2Juli, Bl. 186).

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nis der religiösen Gemeinschaften hatten, teilweise mutmaßten und Klärungsbedarf bestand. Inwiefern die Aufforderung des Kultusministers, den Kampf auf geistlicher Ebene aufzunehmen, sich auf die seelsorgerischen Aktivitäten der Geistlichen der Kirchen ausgewirkt hat, ist unklar. In der Folge lassen sich weitere einzelne Presseartikel gegen die kleinen Gemeinschaften feststellen, von einer auffälligen Zunahme ist allerdings nichts bekannt.218 Es ist davon auszugehen, dass die historischen Kirchen sich ihrerseits im eigenen Interesse ganz unabhängig vom Staat mit den „neuen“ Gemeinschaften auseinandergesetzt haben, schließlich ging es um ihre Anhänger und ihren Einfluss bzw. mögliche finanzielle Einbußen. Es ist daher nachvollziehbar, wenn auch kirchlicherseits Untersuchungen angestellt wurden und öffentlich zum Glaubensleben der anderen Stellung bezogen wurde, was ja auch zur innerkirchlichen Vitalisierung führen konnte. Retrospektiv wird in Verbindung mit der Aufarbeitung der Geschichte der ungarischen reformierten Kirche in den 20er-Jahren in der Karpato-Ukraine konstatiert: „In dieser Zeit stellten die erstarkenden Sekten für die Kirche eine große Gefahr dar, insbesondere die Zeugen Jehovas.“219 Zu dieser Aussage passt ein Artikel zur „Millenisten Gefahr“, mit dem am 6. Dezember 1924 der „Kálvinista Szemle“ (Kalvinistische Rundschau) titelte. Darin wurde über die starke Tätigkeit der Bibelforscher in Siebenbürgen beschrieben, als eine der größten Plagen für den dortigen Kalvinismus. Das sei nachvollziehbar, wenn man betrachte, „mit welch außergewöhnlicher Energie, Selbstaufopferung, Zähigkeit und Geldeinsatz gearbeitet“ würde. Der Schreiber befürchtete: „Diese Gefahr kann auch uns treffen.“220 Aus Sicht der historischen Kirchen ist es verständlich, dass sie das Angebot der Behörden zur Zusammenarbeit gern annahmen. Kardinal Csernoch bedankte sich am 8. November 1923 beim Kultusminister Klebelsberg für sein Schreiben und versicherte, „den Episkopat und meine eigene Priesterschaft auf vertraulichem Weg aufmerksam“ zu machen und „über den Ursprung, die Lehre, finanzielle Mittel und die Art der Propaganda der einzelnen Sekten weitere Informationen zu verschaffen“. Er schloss sich der Meinung des Kultusministers an, intensive Seelsorge sei das effektivste Gegenmittel, aber auch eine Erfassung der Gläubigen sei nötig – was eine bessere Überwachung ermöglichte. Anders als die Politik jedoch konnte er den von den Glaubensgemeinschaften für wohltätige Zwecke eingesetzten Mitteln nichts abgewinnen. Vielmehr bezeichnete er „das ausländische – nämlich das amerikanische Geld“ als eine der Ursachen ihrer Verbreitung. Gleichzeitig verwies er darauf, dass sich bei den Menschen „im Krieg der religiöse Eifer verfestigt“ hätte und von Amerika Bestrebungen ausgingen, alle christlichen GlaubensFazekas, Kisegyházak, S. 51 ff. Szépné Czippán, Noémi/Szép, Sándor (Hrsg.): Magyar egyháztörténet [Ungarische Kirchengeschichte]. II.  Korszak: XIX – XX. Század [II.  Epoche: 19. – 20.  Jahrhundert]. 4. Band. Pápa 2004, S. 654. www.diaksag.ttre.hu/index.php? (Zugriff am 21.1.2012). 220  Sebestyén, Jenő: A millenista vezedelem (Die Millenisten Gefahr). In: Kálvinista Szemle, Nr. 29, 6.12.1924, S. 1. 218 

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gemeinschaften zu vereinen, was die Tätigkeit der Sekten beleben würde.221 Die katholische Kirche habe daher „auf der ganzen Welt ihre Priester und Gläubige zur vermehrten Wachsamkeit und Eifer aufgefordert“. Csernoch versicherte, „die ungarische katholische Kirche wird auch alles ihr Mögliche unternehmen“, hielt es aber für sinnvoll, die laute Öffentlichkeit zu meiden, um nicht erst auf die Gemeinschaften aufmerksam zu machen – das mag erklären, warum es nicht zu einer Schwemme von Presse-Artikeln seitens der katholischen Kirche gekommen ist. Der Meinung des Kardinals nach waren die Sekten für den Staat gefährlich, „weil sie die Ruhe des Landes stören und die Nation verderben. Jede Sekte bedeutet eine gewisse seelische Einseitigkeit, Fanatismus und kränkliche Exaltiertheit, was den Landfrieden nachteilig beeinflusst. Darüber hinaus haben die meisten Sekten gewisse kosmopolitische und kommunistische Elemente, die das nationale Gefühl, die Ehre der Autoritäten, die historischen Traditionen, die bürgerliche Solidarität zerstören.“ Damit griff er die Argumentation im Sinne des Revisionismus und der Stärkung des Ungarntums auf, wonach alles Fremde abträglich war, gleichzeitig verwies er auf das allgemeine Feindbild der Zeit: den Kommunismus. Er schloss: „Darum handelt der Staat in seinem eigenen Interesse, wenn er sich bemüht mit den zur Verfügung stehenden Mitteln die Verbreitung der Sekten zu verhindern.“ Und dann wurde er konkret, wenn er sich in seinem Schreiben eindeutig gegen die gesetzliche Anerkennung der Gemeinschaften aussprach, genauer der „methodistischen und adventistischen Sekten“, „weil der [GA] 43/1895 nicht nur staatliche Kontrolle, sondern auch staatlichen Schutz gewährleistet“. Seiner Meinung nach war „die Kontrolle durch die Polizeifunktionäre […] auch ohne die gesetzliche Anerkennung möglich, sie ist sogar erfolgreicher zu praktizieren, weil die gesetzliche Anerkennung den Polizeibehörden schon Grenzen setzt, die allgemeine Aufmerksamkeit noch mehr auf die Sekten lenkt und denen eine gewisse Beständigkeit sichert“. Dann erklärte er wohl einen der Hauptgründe: „Jetzt vor der gesetzlichen Anerkennung treten die Gläubigen der Sekten aus den rezipierten Kirchen nicht aus, weil sie sich nicht als konfessionslos bekennen wollen.“ Dadurch würden die Kirchen zumindest nicht ihrer Mitgliederzahlen und damit wohl auch nicht ihrer finanziellen Einnahmen verlustig gehen. Den Polizeibehörden schrieb er bei der Kontrolle aufgrund ihrer Autorität eine große Rolle zu: „Ich weiß aus Erfahrung, dass die Polizeibehörden die Verbreitung der Sekten durch strenge Kontrolle der Prediger, das Verbot oder das Erschweren des Abhaltens von Versammlungen, die Verbreitung von Schriften aus verschiedenen Gründen verhindern können, weil das Interesse der Polizei die Menschen abschrecken kann und einschüchtert, selbst wenn die Behörde keine gewaltsamen Mittel anwendet. Der hartnäckige Widerstand ist nur dort zu beobachten, wo die Behörden nicht rechtzeitig eingeschritten sind.“ Gleichzeitig begrüßte er die Verordnung des Ministers gegen die Verbreitung der „Schundliteratur“, er möge doch die Behörden auch anweisen, die sektiererische Propaganda zu verhindern, indem die Wanderprediger strenger behandelt, Versammlungen verboten oder wenigstens stärker kontrolliert würden, denn da221 

Wahrscheinlich meinte er damit die Anfänge der ökumenischen Bewegungen.

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durch würde der „Staat vor dem schädlichen Einfluss der Sekten [geschützt], die Konsolidation beschleunigt und die nationale seelische Einheit fester geknüpft“.222 Er verwies hier auf den Schutz des Staates, dachte aber sicher auch an den seiner eigenen Kirche. Seine Worte lassen aber auch erkennen, dass die Polizeipräsenz Wirkung bei der Einschränkung der Aktivitäten der Glaubensangehörigen bzw. bei den Rezipienten zeigte. Auch die Bezeichnung von Personen beim Verlassen ihrer früheren Religion, um einer nicht anerkannten Gemeinschaft anzugehören, als konfessionslos, muss als diskriminierend verstanden werden. Die Forderungen Csernochs lassen deutlich erkennen, wie wenig Freiraum er gewillt war, anderen Religionen einzuräumen. Seine Vorschläge kommen einem Auflösen der Gemeinschaften durch die Polizeiorgane gleich, auch wenn er das nicht explizit ausdrückte. GA XLIII/1895 war für ihn kaum relevant, GA XXXIII/1921 wurde noch nicht einmal erwähnt. In seiner Argumentation verstärkte er – offensichtlich ganz bewusst – die Angst der Behörden vor kommunistischen und unpatriotischen Einflüssen. Die Argumentation des Kardinals zeigt auch klar die Ansprüche des Bündnispartners katholische Kirche auf: Kampf allen anderen religiösen Gemeinschaften wegen ihrer Gefährlichkeit für den Staat, um damit eine Schwächung der Institution Kirche zu verhindern. Dabei bediente er die vorhandenen Klischees und Ängste. In die gleiche Kerbe schlug auch der katholische Militärbischof István Zadravecz, wenn er sich im November 1923 gegenüber Graf Károly Csáky, dem Verteidigungsminister des Kabinetts Bethlen, über die „Sekten-Bewegungen“ wie folgt äußerte: „Wenngleich die betreffenden Sekten bisher nur symptomatisch vorkommen, schimmert doch ihre Grundlehre recht deutlich hervor, die jede irdische Ordnung, vor allem aber militärische Mächte ablehnt. […] Und das wird immer erfolgreicher, weil die ungarische Seele sowieso zu besonderen religiösen Auffassungen neigt, das heißt zum Konfessionalismus;223 sie sind aber auch dadurch erfolgreich, weil viele Anzeichen und Erscheinungen den Verdacht aufkommen lassen, dass diese Sekten irgendwoher finanziert werden, um mit ihrer Verbreitung zielgerichtet das Ungarntum zu entwaffnen. Weil die kampfbereiten Katholiken und Protestanten des verstümmelten Ungarns nur so die verstümmelten Grenzen akzeptieren, wenn man ihre Seele von den Waffen abwendig macht.“224 Zadravecz zielte als Militärgeistlicher natürlich ebenfalls auf die wehrdienstverweigernden Gemeinschaften ab, wies aber auch auf eine nötige Stärkung der ungarischen Seele hin, um so „den Geist mit dem Geist zu besiegen“. Indem er die Gesetze, die „diese Sekten unter die rezipierten und zugelassenen Religionen einreihen und mit der geistlichen Freiheit der Demontage der geistlichen Einheit Tür und Tor öffnen“, verurteilte, wandte er sich wie auch der Kardinal gegen eine gesetzliche Anerkennung. Fazekas zufolge übernahm das Verteidigungsministerium die Argumentation in Bezug auf die mi222  MJTA,

DOK-579. spielt er hier auf die Bereitschaft der Ungarn an, sich neuen Religionen zuzuwenden bzw. diese zu tolerieren, so wie die Reformation in Ungarn schnell vielerorts Fuß fassen konnte. 224  Zitiert nach Fazekas, Kisegyházak, S. 20 f. 223  Wahrscheinlich

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litärfeindliche Haltung und fügte in der Begründung, warum gegen die Gemeinschaften vorgegangen werden müsse, hinzu, sie würden „gegen die rezipierten Kirchen und ihre Führer hetzen“.225 Betrachtet man die ersten Jahre nach Trianon, so zeigt sich die Formung einer Allianz in Form der Zusammenarbeit von Innen-, Kultus-, Justiz- und Verteidigungsministerium und historischen, vor allem der katholischen Kirche gegen die kleinen Religionsgemeinschaften, wobei die gemeinsame Basis der Erhalt des Ungarntums darstellte. In diesem Sinne ist der Rundbrief des Erzbischofs Lajos Szmrecsányi der Diözese Eger, Nr. 4597, vom Herbst 1924 zu bewerten. Es heißt dort: „Aus verschiedenen Teilen meiner Diözese wurde mir wiederholt von geheimen und offenen Agitationen von Sekten berichtet, von ihrem Glaubensleben und vom Verbreiten von Schriften, die für die staatliche Ordnung gefährlich sind. Jedes Mal habe ich sofort die zuständigen Behörden auf die Verbreitung der Sekten aufmerksam gemacht und jetzt teile ich zur Beruhigung meiner v.[erehrten] Geistlichen mit, dass die Tätigkeit der zur Lenkung der Sektenpropaganda eingerichteten ,Internationalen Bibelstudenten Vereinigung‘ durch die Behörden eingestellt wurde, wie das aus dem Schreiben des Herrn ung. kgl. Kultus- und Bildungsminister an den ung. kgl. Innenminister gerichteten Schreiben hervorgeht, wovon mir eine Abschrift zugesandt wurde, welche ich hiermit veröffentliche.“226 Offensichtlich waren die Behörden in Zusammenarbeit mit der katholischen Kirche gegen die Gemeinschaft der Bibelforscher im Gebiet Eger vorgegangen. Die Strategie der Behörden, sich der rezipierten Kirchen zu bedienen, kann weiter als Versuch gewertet werden, nicht selbst tätig werden zu müssen und ggf. gegen das Gesetz zur Religionsfreiheit zu verstoßen, sondern die Abwehr in den geistlichen Bereich zu delegieren. In jedem Fall hatte man einen starken Bündnispartner, der schon aus eigenem Interesse bereit war, sowohl Informationen bereitzustellen wie auch selbst gegen die gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften vorzugehen – und jetzt für sein Handeln von der Politik sogar sanktioniert und unterstützt wurde.

225 Ebenda.

226  EFL, Egyházmegyei Körlevelek [Rundbriefe der Diözese], 1924, S. 22, Nr. 4597. Wie aus einem Zusatz hervorgeht, muss sich der Kultusminister 1924 mit Az. 79.054/1924. II. den Erzbischof von Eger, Dr. Lajos Szmrecsányi gewandt haben. Wie ein weiterer Verweis zeigt, muss es in der Sache einen anderen Bericht Diözese vom 20.10.1923 mit Az. 5242/1923 gegeben haben, was den engen Kontakt zwischen Ministerium und oberen Kirchenbehörden zusätzlich unterstreicht.

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V.  Weitere Auseinandersetzung mit den Gemeinschaften 1.  Rechtlicher Stand/Rechtssubjektivität Im Kontext dieses Bündnisses und der vorherrschenden kirchenpolitischen Atmosphäre ist die Untersuchung eines Verfahrens interessant, in dem es um das bereits erwähnte alkoholfreie Restaurant227 der methodistischen Kirche in Budapest ging, was Anlass für die Prüfung des rechtlichen Standes der kleinen Religionsgemeinschaften war. Hier werden nochmals die verschiedenen Standpunkte und Sichtweisen zur Religionsfreiheit deutlich, aber auch wie der GA XLIII/1895 direkt genutzt wurde, um sie einzuschränken. Das Restaurant war im November 1921 von dem methodistischen Geistlichen Gábor Csopjak eröffnet worden und es sollen täglich an über 100 Gäste Essen und alkoholfreie Getränke ausgeschenkt worden sein. In einem getrennten Raum wurden Gottesdienste abgehalten.228 Zur Erlangung der Rechtsfähigkeit wandte sich die methodistische Kirche im Oktober 1923 mit einem Antrag auf „Feststellung ihres Rechtssubjekts“ an den Kultusminister, der sich seinerseits an den Justizminister Emil Nagy wandte.229 Dieser legte am 15. November 1923 seinen grundsätzlichen juristischen Standpunkt in der Sache dar: „Die Prozessrechtsfähigkeit, die im Allgemeinen die Berechtigung bedeutet, dass jemand, dem das Gericht Rechtsschutz garantiert, am Prozess teilnehmen darf, ist mit der privatrechtlichen Rechtsfähigkeit gleich. Dies drückt der § 70 des Gesetzartikels I von 1911 über die Zivilprozessordnung mit der Äußerung aus, dass jemand eine Partei sein kann, die gemäß dem Privatrecht rechtsfähig ist. Die Beurteilung der Frage also, ob der Antragsteller über Prozessrechtsfähigkeit verfügt, hängt davon ab, ob ihm gemäß den Regeln des Privatrechts Rechtsfähigkeit gebührt. Über privatrechtliche Rechtsfähigkeit könnte die antragstellende Bischöfliche Methodistische Kirche in erster Linie dann verfügen, wenn sie eine Kirche (Religionsgemeinschaft) wäre, der gemäß dem Recht des ungarischen Staates Schutz zusteht. Das ungarische Recht erkennt allerdings nur rezipierte und gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaften an, zu denen aber die antragstellende Bischöfliche Methodistische Kirche nicht gehört. Im Hinblick darauf, dass ihre Religionsgemeinschaft eine nicht anerkannte Vereinigung der Gläubigen ist, existiert sie als Kirche (Religionsgemeinschaft) gemäß dem Recht des ungarischen Staates nicht, und insofern verfügt sie über keinen Rechtsschutz vor den Behörden des Staates; der antragstellenden Bischöflichen Methodistischen Kirche gebührt als Kirche (Religionsgemeinschaft) keine privatrechtliche Rechtsfähigkeit und selbstverständlich auch keine Prozessrechtsfähigkeit.“ Justizminister 227 Wohnungskündigung des Geschäftsführers Gábor Csopják und Frau. MOL, K579 – 1924, Bl.  75 – 79. 228  Khaled, Methodismus, S. 105 f. Csopják soll die Leitung des Restaurants schon 1922 wegen Unstimmigkeiten wieder aufgegeben haben. Nach ihm übernahm Ferenc Zavaross, der das Restaurant durch Veruntreuung in die roten Zahlen brachte. Sein Nachfolger war Károly Kiss und ab 1926 Ferenc Mihalco. 229  MOL, K579 – 1923, Bl.  70 – 74.

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Nagy warf dann die Frage auf, inwiefern der Kirche als rechtsgültigem Verein privatrechtliche Rechtsfähigkeit gebühre: „Als Verein kann der Antragsteller nur in dem Fall über Rechtssubjektivität verfügen, wenn er Satzungen hat, die die Regierungsbehörde gesetzmäßig akzeptiert hat.“230 Die Fachabteilung zur Gesetzvorbereitung bemerkte am 16. November 1923 weiter, der Kultusminister habe nicht die Kompetenz, den Antragsteller als Rechtsperson anzuerkennen. Außerdem müsste der Frage nachgegangen werden, inwiefern Gesellschaften, die keine Rechtsperson sind, überhaupt Gewerbegeschäfte ausüben dürften.231 Interessanterweise wurde in diesem Zusammenhang die Frage nach der Organisationsform nichtanerkannter religiöser Gemeinschaften angeschnitten und damit das Thema, ob die kleinen Religionsgemeinschaften, wie verschiedentlich und vom Justizminister selbst angeregt, als Verein zu betrachten waren. Eine Fachabteilung im Ministerium erklärte am 6. Dezember 1923 dazu: „Die methodistische Kirche kann keine religionsgemeinschaftliche Organisation in Form einer Vereinigung bilden, weil dies das offensichtliche Ausspielen der kirchenpolitischen Gesetze wäre. Sie kann also auf diesem Weg kein Rechtssubjekt erlangen. Es könnte oder konnte höchstens darum gehen, dass die Anhänger der methodistischen Kirche zum Bewirtschaften eines alkoholfreien Gasthauses eine extra Vereinigung bilden oder gebildet hätten z. B. unter dem Namen ‚Vereinigung zum Bewirtschaften eines alkoholfreien Gasthauses der Methodisten (oder methodistischen Gläubigen)‘, ausschließlich für den erwähnten menschenfreundlichen Zweck und nicht mit dem Charakter einer Konfessionsorganisation.“232 Diese Stellungnahme zeigt das Problem der juristischen Umgangsweise mit den nichtanerkannten Religionsgemeinschaften auf – stellten sie keine Rechtsperson dar, hatten sie als Gemeinschaft auch keine Rechte. Um als Verein anerkannt zu werden, mussten ihre Satzungen den Vorstellungen der Behörden entsprechen. Also konnte auch darüber bestimmt werden, welche Vereinigung zugelassen werden sollte und welche nicht. Doch selbst wenn die Statuten den Anforderungen entsprachen, war eine Behandlung als Verein offensichtlich nicht gewünscht, da das einem Ausspielen kirchenpolitischer Gesetze gleichkäme. Wahrscheinlich befürchtete man, den Gemeinschaften als Verein zu weitgehende Rechte zuzugestehen und ihre Kontrollierbarkeit durch die Behörden einzuschränken, wie aus einer weiteren Stellungnahme des Justizministers noch hervorgehen wird. Dieses restriktive Umgehen widersprach zum einen dem Geist der Gründer230 

Ebenda, Bl. 74, 71. „Gemäß dem Gewerbegesetz gibt es kein Hindernis dafür, dass Gesellschaften, die über keine Rechtsperson verfügen, nicht eingetragene Gesellschaftsfirmen (§ 4, § 56 XII/1922) Gewerbegeschäft ausüben dürfen, in dem Fall muss man aber in dem Antrag für den Gewerbeschein den Namen aller Mitglieder angeben (§ 39) und auch in dem Schein muss man den Namen aller Mitglieder anführen (§ 109 78000/1923). […] Die über keine Rechtsperson verfügende Gesellschaftsfirma als solche kann sich im Prozess nicht beteiligen, sondern nur die Firmenmitglieder gemeinsam entsprechend den allgemeinen Regelungen; rechtlich ist also die Geltendmachung des Streitanspruchs durch ein Prozess nicht ausgeschlossen.“ 232 Ebenda. 231 Ebenda:

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väter der Religionsfreiheit, verweist aber zugleich auf ein Manko im GA XLIII/ 1895. Andererseits wird hier eine Freiheit des Gesetzes in eine Unfreiheit verkehrt. Der Begründung zur Grundlage des Gesetzes zufolge wollte GA XLIII/1895 auch dem Einzelnen Gewissensfreiheit zusichern, der seine seelischen Bedürfnisse nicht in einer rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaften befriedigen könne, also unabhängig von einer Rechtsperson seiner Überzeugung gemäß zu leben, prinzipiell auch ganz ohne Konfession.233 Im Falle einer Gruppe, die eine religiöse Überzeugung vertrat, sah das Gesetz die Anerkennung und damit die Rechtsperson vor. Andererseits sei an dieser Stelle daran erinnert, dass vor dem Erlass des Gesetzes zur Religionsfreiheit im Parlament beschlossen wurde, die „Rechtsstellung der Konfessionslosen“ über Verordnungen zu lösen. Dem war man im Horthy-Regime nicht nachgekommen, und nutzte nun die Gelegenheit, die diesbezügliche Schwäche von GA XLIII/1895, die Rechtsverhältnisse der Konfessionslosen unberücksichtigt zu lassen, für die eigenen Zwecke. In einem handschriftlichen Schreiben vom 21. November 1923 entwickelte der Justizminister nochmals deutlich die Problematik. Er analysierte zunächst die Existenzberechtigung und -form und stellte fest: Die „Sekten sind weder rezipierte noch gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaften, die es in Ungarn mehr oder weniger sozusagen ständig gab. Diese Sekten sind nach dem Gesetz: freiwillige Vereinigungen Einzelner, die das Recht auf freie Religionsausübung haben, zum Erreichen ihrer gemeinsamen religiösen Ziele; die Vereinigungen verfügen aber über kein Rechtssubjekt des öffentlichen Rechts oder des Privatrechts, und sie sind in keinerlei Hinsicht eine rechtlich organisierte Personengruppe“. Wenn der Minister hier von Vereinigungen sprach, meinte er also nicht Vereinigungen im rechtlichen Sinne, sondern im Sinne einer losen Verbindung einzelner Personen mit denselben Interessen – Interessensgemeinschaften, die keine Rechtswirksamkeit haben. Daraus konnte er dann auch ableiten, dass ihnen „kein Recht auf Abhaltung eines öffentlichen gemeinsamen Gottesdienstes und im § 9 des Gesetzartikels XLIII von 1895 angeführte andere Berechtigungen des öffentlichen Rechts zustehen, außerdem dürfen sie kein bewegliches oder unbewegliches Gut besitzen, sie dürfen in kein Rechtsverhältnis mit ihren Anhängern oder mit anderen treten, dürfen in keinem Prozess stehen, dürfen keine Steuer, Mitgliedsbeiträge erheben. […] Allerdings steht dem nichts im Weg, dass solche Sekten aufgrund des Rechts auf freie Religionsausübung ihrer Anhänger in geschlossenen Versammlungen gemeinsam Gottesdienst abhalten“. Bemerkenswert ist auch die Feststellung des Ministers zur Anwesenheit ausländischer Glaubensangehöriger. Ihnen war es erlaubt, „öffentliche gemeinsame Gottesdienste innerhalb der Grenzen des § 31 des Gesetzartikels XLIII von 1895“ abzuhalten.234 Sie könnten dann auch „einen ständigen Geistli233 

Ebenda, K579 – 1943, Bl.  282 – 294. § 31 des GA XLIII/1895 besagt: „Die in die Heimat reisenden oder sich hier aufhaltenden Fremden können ihren eigenen Glaubensansichten gemäß ordentliche öffentliche Gottesdienste abhalten, insofern sie nicht gegen die bestehenden Gesetze, die Interessen des Staates und die öffentliche Sitte verstoßen und vorher bei der zuständigen Polizeibehör234 

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chen beschäftigen“. Er konstatierte: „Die Freiheit, die solche Sekten in dieser Form gemäß unseren Gesetzen genießen, ist die freie Religionsausübung ihrer Anhänger, aber nicht mehr; also entsteht in keiner Hinsicht eine über dem Einzelnen stehende, höhere rechtliche Institution.“ Es bestand also immer nur das Recht des Einzelnen auf Religionsfreiheit und deren Ausübung, nicht aber als Verein. Durch die Vereinsgründung würden sie ja genau genommen auch schon die Voraussetzung zur rechtlichen Anerkennung schaffen und mindestens eine Gemeinde ins Leben rufen, abgesehen davon hatten sie auch in Verbindung mit dem Vereinsstatus ihre Statuten vorzulegen, ähnlich wie bei der Anerkennung. Religionsfreiheit des Einzelnen ja, einer Gruppe aber nicht – konkret würde das bedeuten: Es gab eigentlich gar keine dritte Kategorie, die der gesetzlich nicht anerkannten oder geduldeten Religionsgemeinschaften, sondern nur einzelne Gläubige, die im Rahmen von Gesetz und Moral ihren Glauben ausüben durften. Diesen Status der Rechtlosigkeit der Gemeinschaften musste der Verteidigungsminister dann auch einräumen, wies aber gleichzeitig auf scheinbare Vorteile hin: „Es ist korrekt, dass dieser Freiheit der komplette Mangel der den rechtlich organisierten Glaubensgemeinschaften zustehenden Berechtigungen gegenübersteht, andererseits werden sie auch nicht durch die gegenüber den organisierten Glaubensgemeinschaften bestehende verstärkte staatliche Kontrollen und Aufsicht belastet, insbesondere in Vermögensfragen.“ Hier von einem Vorteil zu sprechen, ist wohl verfehlt, denn wie bereits der Schriftverkehr der Behörden offenbart, standen gerade die Aktivitäten der nichtanerkannten Gemeinschaften unter strenger Überwachung. Die Kontrolle in Vermögensfragen würden sie für den Erhalt religiöser Freiheit wahrscheinlich in Kauf nehmen. Diesbezüglich war der Minister jedoch anderer Ansicht: „Offensichtlich ist die Abneigung gegenüber dieser verstärkten staatlichen Kontrolle und Aufsicht die Hauptursache dafür, dass diese Sekten die staatliche Anerkennung nicht anstreben. Das Verhältnis der Staatsgewalt zu diesen Sekten ist im § 1 des Gesetzartikels XLIII von 1895 festgelegt. Nämlich, weil die Anhänger dieser Sekten berechtigt sind, ihren Glauben innerhalb der Grenzen der Gesetze des Landes und der Moral auch äußerlich auszudrücken und auszuüben, und weil es nicht erlaubt ist, jemanden in der Ausübung einer religiösen Zeremonie, die nicht gegen die Gesetze und die Moral verstößt, zu hindern, darf sich die Staatsgewalt in das religiöse Privatleben der Anhänger dieser Sekten nur in dem Fall einmischen, wenn ihre Tätigkeit gegen die bestehenden Gesetze, die öffentliche Ordnung oder die Moral verstößt. Also die Kontrolle und Aufsicht über die äußere Ausdrucksform ihres religiösen Lebens darf nur von polizeilicher und strafrechtlicher Natur sein. Aus einem höheren staatlichen Interesse wäre es zwar wünschenswert, die Verbreitung dieser Sekten auch ohne eine gesetzliche Grundlage eines solchen äußeren Eingriffs zu verhindern, aber die über tausendjährige Erfahrung zeigt, dass die Mittel der Staatsmacht dazu unzureichend und unwirksam sind. Die Mittel des erfolgreichen Kampfs gegen sie sind allein in der Hand der ungarischen de gemeldet worden sind. Wenn ein ständiger Geistlicher angestellt werden soll, muss die vorgesehene Person bei den obersten Beamten der Munizipialbehörden angemeldet werden.“

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rezipierten Glaubensgemeinschaften, sie bestehen in ihrer inneren, geistigen und moralischen Stärke.“ Interessanterweise stellte auch der Justizminister auf die Bekämpfung der Gemeinschaften durch die historischen Kirchen ab und räumte eine gewisse Hilflosigkeit der Politik ein, wenn er auf deren Unwirksamkeit hinweist und ungenügende Handhabe, obgleich ihm an einem Eingreifen sehr gelegen war. Das Ziel wer klar definiert, die Verbreitung der Gemeinschaften sollte verhindert werden. Wahrscheinlich dachte er bei seinem Verweis auf die über tausendjährige Erfahrung auch auf die Durchsetzungskraft der Reformation in Ungarn, der letztendlich kein Einhalt geboten werden konnte. Der Ton seiner weiteren Argumentation klingt zunächst so, als wolle er die religiösen Gemeinschaften gern anerkennen, da er in Bezug auf ihre Anerkennung schreibt: „Gemäß dem § 7 des Gesetzartikels XLIII von 1895 sind sie dazu berechtigt, aber man kann sie dazu nicht verpflichten.“ Dann griff er erneut den Gedanken des Kultusministers zur Vereinsbildung auf und verwarf ihn zugleich. Er sah darin eben die oben erwähnte Schaffung einer weiteren offiziellen „dritten Kategorie der rechtlich organisierten Religionsgesamtheiten“ – die des „Religionsvereins“. Auch hier verwies er darauf, dass „man die fraglichen Sekten dazu nicht zwingen“ könne. In keiner Weise aber erwähnt er, dass man es ihnen ja zunächst einmal nahelegen könnte. Der Hauptgrund der Ablehnung der Vereinsgründung scheint zu sein, dass „die neuen Sekten mit einer solchen Lösung in gewisser Hinsicht in einer günstigeren Lage [wären] als die anerkannten Glaubensgemeinschaften, weil sie höchstens vermögensrechtlich unter der Kontrolle stehen würden, die für Vereine üblich ist, ansonsten wäre ihr vermögensrechtliches Subjekt vollständig, während das von den anerkannten Glaubensgemeinschaften nur eingeschränkt ist, und sie daher unter einer verstärkten vermögensrechtlichen Kontrolle stehen (§ 20 des Gesetzartikels XLIII von 1895)“. Er verwies hier erneut auf die vermögensrechtliche Problematik, wonach im Fall der rezipierten und anerkannten Gemeinschaften gemäß § 20 der zuständige Minister das Recht hatte, die Verwaltung des Vermögens zu kontrollieren und zu prüfen, ob „es tatsächlich für kirchliche Zwecke und für den Zweck der gesetzlich erlaubten Belehrung, Erziehung oder Wohltätigkeit eingesetzt wird“. Ferner hatte „der Religions- und Bildungsminister […] auch das Recht, darüber zu wachen, dass die kirchliche Selbstverwaltung bei ihrer Tätigkeit die Verordnungen der Gesetze einhält und innerhalb des in den genehmigten Organisations- oder Kirchenstatuten geregelten Wirkungsbereichs bleibt“.235 Diese Regelung durch § 20 erscheint jedoch allgemein logisch, durchaus nachvollziehbar und dürfte den religiösen Gemeinschaften nicht als Eingriff in ihre Rechte vorgekommen sein, liegt doch eine dementsprechende Verwendung des Vermögens auch im Gemeininteresse einer religiösen Gemeinschaft. Wahrscheinlich wollten die Behörden den Gemeinschaften keine Plattform bieten, sich offiziell zu organisieren und sie damit in gewisser Hinsicht zu etablieren. Es war sicher auch einfacher gegen sie vorzugehen, solange sie keine Rechtsperson darstellten.

235 

§ 20 des GA XLIII/1895.

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Diese Überlegungen werden durch folgende Aussage gestützt: „Obwohl die erwähnten Sekten über kein Rechtssubjekt verfügen, richten sie sich in Wirklichkeit trotzdem wie organisierte Glaubensgemeinschaften ein (sie gründen eine Organisation, Vertretung, ein Konsistorium, sie geben ihren Organen ähnlichen Namen wie die rezipierten und anerkannten Glaubensgemeinschaften, sie stellen mit Stempel versehene Urkunden aus usw.), und damit erwecken sie den Anschein einer rechtlich organisierten Personengesamtheit, Rechtsperson, auf einer Weise, mit der sie die Gemeinschaft und sogar die Behörden täuschen können“, wie im Fall des Gewerbescheins für die „Bischöfliche Methodistische Kirche“. Das Anliegen des Justizministers daher: „Solche Erscheinungen können zum Schaden des Allgemeininteresses und der Privatinteressen führen. Es wäre deshalb zweckdienlich eine Möglichkeit zu finden, die Aufmerksamkeit der Behörden und der Gemeinschaft auf das Fehlen des Rechtssubjekts dieser Sekten zu lenken.“236 Wie aber sollten die religiösen Gemeinschaften, die weder zu Vereinen noch zu Religionsorganisationen zusammenzufassen waren, also nicht registrierte Gruppierungen darstellten, überwacht werden? Der Justizminister empfahl: „Um diese Sekten unter eine verstärkte staatliche Kontrolle und Aufsicht zu stellen, ist es nicht notwendig, neue rechtliche Kategorien zu schaffen. Meiner Ansicht nach kann die Staatsgewalt nichts anderes tun, als die polizeiliche Aufsicht mit einer verstärkten Wachsamkeit auszuüben, mit besonderer Aufmerksamkeit auf die eventuell antimilitärische oder staatsfeindliche Propaganda, und auf die Verbindung der Mitglieder der Sekten zu ausländischen ähnlichen Sekten.“ Damit räumte er ein, dass es bisher keine rechtlichen Kategorien gab, gemäß welcher gegen die Gemeinschaften vorgegangen werden konnte. Deshalb blieb den Staatsanwaltschaften nichts anderes übrig, als auf die zu dieser Zeit gängigen Vorwürfe abzuheben, die mit der Rechtssubjektivität an sich nichts zu tun hatten, aber ein Eingreifen der Behörden ermöglichten. Seiner Meinung nach verdiente auch das Verhalten der Sekten „im privatrechtlichen Verkehr und in alltäglichen Lebensverhältnissen, die Objekt von Verwaltungsverfahren sind“, Aufmerksamkeit.237 Damit zeigte er eine weitere legale Zugriffsmöglichkeit auf. Die Ausführungen des Justizministers werden den Innenminister angeregt haben, seinerseits nach besseren Überwachungswegen zu suchen. In seinem Schreiben vom 6. Februar 1924 formulierte der Justizminister schließlich handschriftlich an den Kultusminister bezüglich des Antrags der methodistischen Kirche auf Rechtssubjektivität: „Dieser Antrag sollte meiner Meinung nach zurückgewiesen werden, da die Anerkennung der Rechtsfähigkeit, der Handlungs- und Prozessfähigkeit des Antragsstellers nicht in den Zuständigkeit[sbereich] des Religions- und [Bildungsministeriums] gehört. Wem Rechtsfähigkeit zugesprochen wird, ist allein Sache des Amtsgerichts, welches das auf Grundlage von § 70 I/1911 zu prüfen und zu entscheiden hat.“ Der Antrag sollte zunächst also wegen Unzuständigkeit abgelehnt werden. Dann die bemerkenswerte Anweisung, 236 

MOL, K579 – 1923 – 2Okt., Bl.  139 – 141.

237 Ebenda.

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die Budapester Versammlung der BMK müsse sich „als Verein gründen und die Bestätigung der Satzungen vom ung. kgl. Innenminister beantragen“. Gleichzeitig schloss er seine Bedenken an, „ob es richtig ist, die Entwicklung der Sekten zu religiösen Organisationen in Vereinsform zu erlauben“. Denn seiner Meinung nach käme das wie bereits mehrfach vorgetragen einem Ausspielen der kirchenpolitischen Gesetze gleich.238 Interessanterweise wies der Justizminister in seinem handschriftlich vorformulierten Schreiben vom 24. Februar 1924 an den Handelsminister zunächst auf den Umstand der fehlenden Rechtssubjektivität hin und dass die Methodisten keinen Gewerbeschein erhalten sollten. Danach jedoch führt er aus: „Meiner Meinung nach könnten sie aus verschiedenen Gründen unter Ausnahmeregelungen fallen, wenn die Behörden jemand mit einem Gewerbeschein ausstatten.“239 Das lässt vermuten, dass er im Fall der methodistischen Kirche eine Ausnahme machen wollte. Obgleich er prinzipiell keinen Raum dafür sah: „Die bischöfl. methodistische Kirche gehört weder zu den rezipierten noch zu den anerkannten Religionsgemeinschaften und da es auch noch kein Verein ist, kann sie in unserer Rechtsordnung nicht als Rechtsperson betrachtet werden. Sie kann auch nicht als Handels- oder Aktiengesellschaft betrachtet werden, da sie sich aus nichtdefinierten Personen zusammensetzt, sondern einzelnen Anhängern einer Sekte.“240 Entweder war seine Bereitschaft, eine Ausnahme zu machen politisch motiviert oder man wollte einen Vereinsantrag der Gemeinschaft wegen der Angelegenheit umgehen, indem man stillschweigend den „illegalen“ Restaurantbetrieb duldete. In einem weiteren Schreiben an den Kultusminister vom 6. Februar 1924, bezog sich der Justizminister erneut auf die Sache der Rechtssubjektivität der methodistischen Kirche und auf das Schreiben des Kultusministers vom 21. September 1923241 an die Vorstände der historischen Kirchen, von dem er eine Abschrift erhalten hatte, und stellte zunächst erneut grundsätzlich klar, dass die Baptisten eine gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft waren, auf welche die juristische Lage des § 2 GA XLIII/1895 zutraf und die, solange sie innerhalb der Gesetze und Vorschriften blieben, schon wegen der staatlichen Anerkennung als Glaubensgemeinschaft kaum durch Organe der Staatsgewalt eingeschränkt werden könnten.242 Danach wurde er eindringlich. Obwohl auch er meinte, der Schutz vor den angeführten Gemeinschaften solle in erster Linie im geistlichen Bereich geschehen, betonte er, es sei nötig, „dass die Tätigkeit dieser Sekten wachsamer als bisher von 238 

Ebenda, K579 – 1924, Bl.  75 – 79 und K579 – 1924 – 2 Dezember-Bl.  147 – 150.

239 Ebenda.

240  Ebenda, K579 – 1924, Bl. 75 – 79. Weitere juristische Diskussionen über die Unzulässigkeit der Tätigkeit auf gewerblicher Ebene folgten (Rechtsunsicherheit, Rechte, Pflichten, Irreführung der Öffentlichkeit). 241  Az. 11939/1923 II. 242  Was die anderen Gemeinschaften, namentlich die Methodisten, Adventisten und Nazarener anbelangt, verwies er auf den Inhalt seiner Schreiben „vom 19. September vergangenen Jahres Az. 78494/1923 II. bzw. am 21. November 123761/1923 II., 24. Januar des lfd. Jahres 51539/1923 und 59940/1923“.

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den Staatsorganen kontrolliert wird und, wenn ungesetzliche Tätigkeiten festgestellt werden, entschlossen dagegen aufzutreten“ war. Für diese Kontrolle wäre in erster Linie der Innenminister zuständig.243 Ein weiterer eindringlicher Aufruf an den Innenminister, Maßnahmen gegen die Gemeinschaften zu ergreifen. Der Handelsminister erklärte auf das Schreiben des Justizministers, dessen Meinung zu teilen, verwies aber darauf, dass die methodistische Kirche bereits Schritte zur Anerkennung unternommen hätte und er zunächst die diesbezüglichen Entscheidungen abwarten wollte. Er behauptete, dass die Gemeinschaft, wenn „sie unter eigenem Namen in Budapest ein alkoholfreies Restaurant führt, dem Allgemeininteresse nicht schadet“. Wie es zu dieser nachsichtigen Beurteilung und positiven Einstellung kam, wird im Weiteren deutlich: „Wie bekannt ist, haben mehrere der in Amerika mit ausgezeichnetem Erfolg auf moralischem Gebiet tätigen religiösen Sekten nach dem Krieg ihren Wirkungsbereich auf die unterlegenen Staaten ausgebreitet und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Valuta solche Einrichtungen ins Leben gerufen, die dazu beigetragen haben, das allgemeine Elend zu mildern. Zu diesen Einrichtungen gehört auch dieses alkoholfreie Restaurant, das in keinster Weise der Profitmacherei dient, im Gegenteil als ein Werkzeug im Kampf gegen den Alkoholismus zu begrüßen ist und ganz offensichtlich nur mit Hilfe des der betreffenden Kirche zur Verfügung stehenden ausländischen Kapitals möglich ist. Es kann nicht im Interesse unseres sich in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befindlichen Landes sein, dass das Bestehen einer mit ausländischem Kapital unterhaltenen, humanitären Zielen dienenden Einrichtung wegen strenger Anwendung der Rechtsvorschriften verhindert wird.“ Die positive Grundhaltung des Handelsministers, die weniger von Nächstenliebe, als vielmehr vom Interesse am Kapital der Kirche zeugte, das man sich in wirtschaftlich schweren Zeiten zunutze machen konnte, zeigt, dass man in so einem Fall gewillt war, lockerer mit den Restriktionen umzugehen und der methodistischen Kirche nicht den Gewerbeschein entzog.244 Der Handelsminister wollte das Verfahren in der Schwebe halten245 und machte noch geltend: „dass die betreffende Kirche im Geschäftsleben den Namen gebraucht, zu dem sie der Gewerbeschein berechtigt. Dieser Namensgebrauch entspricht den Tatsachen und den wirklichen Verhältnissen, weshalb ein Vorgehen unter Verwendung der benannten Gesetze nicht dienlich ist.“246 Damit trat er der geführten Diskussion um die Namensproblematik entgegen. Der Justizminister übersandte eine Abschrift des Schreibens des Handelsministers an den Kultusminister und erklärte zunächst: „Der Inhalt des übersandten Schreiben muss meiner 243 

Ebenda, K579 – 1924, Bl.  75 – 79 und K579 – 1924 – 2 Dezember, Bl.  147 – 150. Der Kirche wäre es dann unmöglich gewesen, das Restaurant unter ihrem Namen zu führen, „da nach § 14 Absatz 1 GA XII/1922 der Gaststättengewerbe – dazu gehört auch das alkoholfreie Restaurant – ein an einen Befähigungsnachweis gebundenes Gewerbe ist“. 245  Das Budapester Zentrale Amtsgericht informierte am 7.1.1925 das Justizministerium, dass das Verfahren unter Bezugnahme auf VO 4.994/109/1924. J.M. in der Schwebe sei. Ebenda, K579 – 1925, Bl. 84. Darüber informiert der JM den RBM am 3.3.1925. Ebenda, Bl. 83, 85. 246  Ebenda, K579 – 1924 – 2 Dezember, Bl.  153 – 154. 244 

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Meinung nach aus dem Gesichtspunkt heraus abgewogen werden, inwiefern er mit den Grundsätzen vereinbar ist, die Ihre Exzellenz für die im Land vorzufindenden Sektenbewegungen konzipiert hat und mir mit Schreiben vom 21. September, Az. 111.939/1923.II., mitgeteilt hat.“247 Hierbei bezog er sich auf das Schreiben des Kultusministers an die Vorstände der historischen Kirchen. Der Kultusminister verwies seinem Schreiben vom 11. März auf die Existenz der methodistischen Kirche in Ungarn mit einigen Hundert Gläubigen, und bemerkte einlenkend, sie weise zwar in ihrer Tätigkeit Züge einer Sekte auf, könne aber eigentlich nicht als Sekte bezeichnet werden. „Das Organ ihrer Mission ist in Amerika sehr verbreitetet und von historischer Gestalt, Dogmatik und Morallehre ist daher vom Geist der Evangelien geprägt.“ Es gäbe 67 000 amerikanische Versammlungen, 7 800 000 wären beim Abendmahl des Herrn anwesend. Dieser Umstand sei „aus außenpolitischen Gründen zu beachten, insbesondere in der derzeitigen Lage unseres Vaterlandes“.248 Mit diesem Kommentar fügte er dem wirtschaftlichen Argument des Handelsministers noch eine außenpolitische Komponente hinzu. Die BMK war auf dem Weg einen Sonderstatus zu erhalten. Auffallend ist, dass bei der Diskussion lediglich auf GA XLIII/1895 verwiesen wurde und Artikel 55 GA XXXIII wiederum ausgespart wurde, der ja Verfassungsvorbehalt vor „einfachen Gesetzen“ beanspruchte. Offensichtlich wollte man den Fakt des Verfassungsvorbehalts bewusst umgehen oder totschweigen und sich nicht mit der weitergehenden Formulierung des Artikels auseinandersetzen. Die Problematik mit der Genehmigung für das Restaurant löste sich später von selbst, da die Gemeinschaft die Gaststätte wegen zu hoher Kosten schließen musste. Zu einer Neueröffnung scheint es nicht gekommen zu sein.249 2.  Anwesenheit Minderjähriger Im Fall der STA wurde das Erscheinen von Minderjährigen, von Personen unter 18 Jahren, beim Gottesdienst thematisiert. Das Polizeipräsidium in Gyula hatte deren Teilnahme an den Gottesdiensten der Adventisten verboten. Diesem Beschluss war die Szegeder Polizeidirektion gefolgt. „In dritter Instanz kam die Sache vor den Innenminister, der den Religions- und Kultusminister um Stellungnahme bat. Nach der Meinung des Religions- und Kultusministers war der Revisionsantrag abzulehnen.250 In der Beurteilung des Falls bezog sich der Kultusminister auf GA XXXII/1894, demzufolge Kinder „nur in rezipierten oder gesetzlichen Religionsgemeinschaften zu erziehen“ waren. Das Religionsgesetz XLIII/1895 schrieb in § 26 vor: „In dem Fall, da ein Elternteil oder beide nicht einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehören, müssen die Kinder irgendeiner rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft folgen 247 

Ebenda, K579 – 1924, Bl. 146, 156. Ebenda, K579 – 1925, Bl. 162. Ebenda, K579 – 1925 – 2 März, Bl. 161 f. 249  Khaled, Methodismus, S. 106. 250  MOL, K579 – 1923, Bl. 63, 67. 248 

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oder darin erzogen werden.“ Inwiefern diese Regelung gleichzeitig bedeutete, dass die Kinder ihre Eltern nicht in den kirchlichen Gottesdienst begleiten durften, wurde in den Gesetzen nicht geregelt. Allein schon die logistische Umsetzung dürfte in dem Fall, da sowohl Vater als auch Mutter sich zu einer nichtanerkannten Gemeinschaft bekannten, schwierig geworden sein: Wo sollten die Kinder, oft Kleinkinder, in der Zeit bleiben, da die Eltern den Gottesdienst besuchten, was ja Teil ihrer erlaubten Religionsausübung war? Wer übte dann die Aufsichtspflicht über die Minderjährigen Kinder aus? Wer begleitete die Kinder in den Gottesdienst der rezipierten oder anerkannten Kirchen? Paragraph 27 GA XLIII/1895 sah zwar für den Fall, dass die Eltern sich nicht einigen können, welcher rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft ihre Kinder nachfolgen bzw. in welcher sie erzogen werden sollten, das Einschalten der Vormundschaftsbehörde vor, die anstelle der Eltern die Entscheidung bezüglich der Zugehörigkeit des Kindes zu treffen hatte, geht aber darüber nicht hinaus. Zur Erziehung selbst wird nichts ausgeführt. Was den Besuch der Gottesdienste geduldeter Gemeinschaften durch Kinder anbelangt, so findet sich im Gesetzestext selbst diesbezüglich keine direkte Untersagung, auch fehlt eine genaue Definition zum Begriff Erziehung in einer rezipierten oder anerkannten Religion, zumal es kaum zu verhindern sein dürfte, dass Eltern im Glaubensalltag ihren Kindern ihre Ansichten vermittelten bzw. auch zu Hause ihren Glauben ausübten, was sich sogar nachhaltiger auswirken konnte als der Besuch eines Gottesdienstes. Nach Meinung des Kultusministers gehörte allerdings „der Besuch der Gottesdienste zu einem der wichtigsten religiös-moralischen Erziehungselemente“ und „die dort gehörten Lehren können von großer Auswirkung auf die sich entwickelnde junge Seele sein“. Daher konnte er „die zur Rede stehenden Maßnahmen der Polizeibehörden nur gutheißen“, die sich gegen eine Beeinträchtigung der den gesetzlich anerkannten Religionen obliegenden religiös-moralischen Erziehung richten würden. Die Jugendlichen hätten dann nach GA LIII/1868, wenn sie erwachsen wären, die Fähigkeit, ihre Religion zu wählen, erklärte er am 21. November 1923 dem Justizminister.251 Nach Einschätzung der Aktenlage stellten die Mitarbeiter der Abteilung II beim Justizministerium am 15. Dezember 1923 fest, dass die Kinder ungarischer Staatsbürger zwar zwangsläufig in einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft zu erziehen seien, aber ausländische Staatsbürger gemäß § 31 des GA XLIII/1895 öffentliche Gottesdienste „innerhalb der Grenzen der bestehenden Gesetze“ nach vorläufiger Anmeldung gemäß ihren Glaubensregeln abhalten könnten, bei denen „im Prinzip jeder erscheinen darf“, also auch Kinder. Wären jedoch Kinder ungarischer Staatsbürger anwesend, die in einer „rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft zu erziehen sind“, würde das „gegen unsere bestehenden Gesetzen verstoßen, indem sie das Ausspielen der Bestimmungen unserer bestehenden Gesetze ermöglichen würde. […] Auf die Kinder der Ausländer kann sich das Verbot allerdings nicht beziehen, da die Feststellung

251 

Ebenda, Bl. 66.

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ihres religiösen Status nicht in die Zuständigkeit der ungarischen Behörden fällt.“252 Kurz gesagt: Kinder ungarischer Staatsangehöriger durften den Gottesdienst nicht besuchen, Kinder von Ausländern schon. In seinem Schreiben vom 24. Januar 1924 an den Kultusminister erklärte der Justizminister schlussfolgernd, dass er mit dessen kirchenpolitischen Überlegungen konform ging und daher einer Behinderung der „betreffenden Sektenbewegung durch die Polizeibehörden“ zustimmte. Dennoch kam er nicht umhin festzustellen, dass es gemäß GA XLIII/1895 und GA XXXIII/1921, Artikel 55, jedem Einwohner Ungarns zustand, die Religion frei auszuüben „und meiner Meinung nach – mit Blick auf die Anordnung von § 31 XLIII/1895 – auch das Recht, öffentliche Gottesdienste abzuhalten, was allerdings für diejenigen, die nicht rezipiert und nicht gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften sind, in jedem einzelnen Fall nach eingehender Prüfung davon abhängig gemacht wird, ob die Religionsausübung nicht gegen bestehende Gesetze, die staatlichen Interessen, die öffentliche Ordnung und öffentliche Moral verstößt“. Hier wird nochmals klar, die Gesetze zur Religionsfreiheit waren zumindest der Form nach einzuhalten, und der Abhaltung von Gottesdiensten stand grundsätzlich nichts im Wege. Prinzipiell hing es an dem in diesem Falle „seidenen Faden“ eines Verstoßes gegen die „öffentliche Ordnung oder die guten Sitten“. Artikel 55 schränkte die Ausübung der Religion nicht auf Erwachsene ein, er richtete sich an „alle Einwohner Ungarns“. Obgleich Artikel 54 GA XXXIII erklärte, dass einfache Gesetze und Verordnungen nicht im Widerspruch zu Artikel 55 stehen durften, wurden allgemeine Gesetzesverstöße als Grund für eine Handhabe gesehen – war den Gemeinschaften ein solcher nachweisbar, konnten sie eingeschränkt werden. Hier war auch der Besuch der Gottesdienste durch Minderjährige einzuordnen. Der Justizminister führte in der Folge aus: „Wie aber unsere Gesetze, namentlich GA XXXII/1894 wie auch § 26 XLIII/1895 verbindlich anordnen, müssen die Kinder, deren wenigstens ein Elternteil nicht einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Kirchen angehört, in irgendeiner rezipierten oder gesetzlich anerkannten Kirche erzogen werden. Daher ist dieser Grundsatz ein Teil der ungarischen öffentlichen Ordnung und schränkt so das durch die genannten Gesetzesartikel […] garantierte Recht auf freie Religionsausübung ein.“ Hiermit definierte er das erste Mal einen Aspekt der ungarischen Ordnung, indem er den Gottesdienstbesuch als ihr zugehörig bestimmte. Inwiefern eine so relativ geringfügige „Störung“ der öffentlichen Ordnung tatsächlich ausreichend war, ein so wesentliches Freiheitsgesetz wie das der Religionsausübung einzuschränken, wurde hier nicht diskutiert. Sehr wahrscheinlich war man eher froh, eine Handhabe zur Einschränkung der Zusammenkünfte gefunden zu haben. Die Interpretation, dass „der Gottesdienst einen Teil der religiösen Erziehungsmaßnahmen darstellt“ und insofern der Besuch der Gottesdienste durch Kinder „ohne Zweifel gegen unsere Gesetze in Bezug auf religiöse Erziehung“ verstoße, machte den Besuch der Zusammenkünfte durch Minderjährige zu einem Straftatbestand, was „zur Zwangsdurchsetzung des Gesetzes führen“ konnte. Während der Horthy-Zeit hatte das Strafgesetz XL von 1879 252 

Ebenda, Bl. 63, 67.

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noch Gültigkeit. Im Kapitel III des Gesetzes zu Übertretungen in Verbindung mit der freien Religionsausübung gab es unter § 53 in Bezug auf die Minderjährigen allerdings lediglich den Verweis, dass wer unter 18-Jährige entgegen LIII/1868 in eine andere Religionsgesellschaft aufnimmt, mit bis zu zwei Monaten Haft bestraft oder einer Geldstrafe belegt werden konnte. Grundsätzlich bot also das gültige Strafgesetzbuch keine Grundlage einer Bestrafung bei Besuchen von Zusammenkünften durch Minderjährige. Allerdings war zu dieser Zeit der Artikel zur Religionsfreiheit auch noch nicht verabschiedet worden und es wurde lediglich unter rezipierten Religionen unterschieden. Grundsätzlich würde also hier der Grundsatz „nulla poena sine lege“ greifen. Auch im Ungarn der Horthy-Zeit wurde das Legalitätsprinzip der Josephinischen Ära „Nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege“ geachtet.253 In gleicher Weise wäre hier in Bezug auf die Eltern wohl auch der Grundsatz „Nulla poena sine culpa“ zum Tragen gekommen, da in keinem Gesetz explizit davon die Rede war, dass man sein Kind nicht mit zu einem Gottesdienst einer nichtrezipierten Kirche nehmen durfte. Dennoch hielt das Justizministerium „es rechtlich gesehen für möglich und erlaubt, dass die Polizeibehörden mit Bezug auf die öffentliche Ordnung die außerkirchliche Religionsausübung beobachten und kontrollieren [und] Kindern unter 18 Jahren den Besuch der Gottesdienste verbieten“. Danach stellte er nochmals klar, dass dieses Verbot sich nicht auf die Kinder ausländischer Staatsangehöriger bezog, deren Kindererziehung nicht dem ungarischen Gesetz unterlag.254 Damit wurde den Behörden eine erste konkrete Handhabe gegeben, die eine Kontrolle oder eine Einschränkung der Religionsausübung juristisch rechtfertigte. Interessanterweise gerieten damit die ungarischen Staatsbürger in ihren Rechten gegenüber den Ausländern ins Hintertreffen – ein Umstand, der so an sich nicht beabsichtigt war, wie sich in Verbindung mit der Gleichbehandlung in Bezug auf Zusammenkünfte noch zeigen wird. Dass diese Handhabung ein wichtiges Werkzeug zur drastischen Einschränkung der Religionsausübung kleiner Gemeinschaften war, wird im Fall der methodistischen Glaubensangehörigen in Nyíregyháza aus dem Jahr 1926 deutlich, wo mittels dieser Argumentation Gottesdienste sogar komplett untersagt wurden. So berichtete der Leiter der Nyíregyházaer Polizei dem Vizegespan des Komitats Szabolcs, er habe den Geistlichen der Gruppe der ungarischen bischöflichen Methodistenkirche gewarnt, „dass unter 18-Jährige ihre in ihrem Bethaus abgehaltene Kulte nicht besuchen dürfen“, dennoch aber „an dem Kult am 23. Mai auch 9- bis 12-jährige Kinder teilnahmen“. Wie der Innenminister dem Kultusminister mitteilte, hielt er es für „die beste Maßnahme“, „das Nyíregyházaer Polizeipräsidium anzuweisen, die methodistischen Zusammenkünfte eine Zeit lang nicht zu erlauben“. Nach Abstimmung des Kultusministers mit dem Justizminister erklärte er am 16. Dezember 1926 unzweideutig, die Polizeibehörden könnten bei einem „Antrag auf Genehmigung der Abhaltung von Gottesdiensten“ diese so lange nicht 253 http://iursaar.de/index.php5?id=wiki&id2=Josephinisches_Strafgesetz (Zugriff am 15.9.2012). Révész, Verfassung, S. 55. 254  MOL, K579 – 1923, Bl. 64 ff.

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genehmigen, bis „sie der in der Genehmigung der Polizeibehörde festgelegten Bedingung Folge leisten“.255 In dieser Auseinandersetzung wird auch offensichtlich, dass die verhältnismäßig geringfügigen Verstöße zu unverhältnismäßigen Maßnahmen führen konnten – nicht wie nach VO 216/1848 bei schwerem Aufruhr der öffentlichen Ordnung. Hinzu kommt die Kollektivhaftung der gesamten Gemeinschaft. Nicht dass nur diejenigen mit minderjährigen Kindern den Gottesdienst verlassen mussten oder gar nicht eingelassen wurden, der Gottesdienst wurde komplett untersagt. Insgesamt gesehen, ist eine Maßnahme, die es Eltern nicht erlaubt, ihre Kinder gemäß ihrem Glauben zu erziehen, überaus fraglich. Vor allem auch unter dem Aspekt, dass die Eltern verschiedener Gemeinschaften ihren Glauben zumeist öffentlich anderen Bürgern predigten, wie viel mehr werden sie dann ihre Kinder darin unterwiesen haben. Wie der Gesetzeszusammenhang von GA XXXII/1894 zeigt, dürfte bei der Gesetzgebung im Hintergrund insbesondere die Problematik des Schulunterrichts der Kinder, hier insbesondere des Religionsunterrichts gestanden haben, auf den zu dieser Zeit großer Wert gelegt wurde.256 Der Besuch eines Religionsunterrichts war obligatorisch, jedoch nicht welcher rezipierten Konfession. Daher führte § 27 GA XLIII/1895 auch aus: „Spätestens bis zum Erreichen des schulpflichtigen Alters der Kinder ist […] festzulegen, in welcher Religion sie zu erziehen sind.“ Auch der Verweis in § 27 auf die §§ 13 und 15 des GA LIII/1868 ist hier einzuordnen, da es darum ging, dass auch beim Tod eines Elternteils sich an der Entscheidung zur Erziehung der Kinder durch eine rezipierte Religionsgesellschaft nichts änderte und die religiöse Erziehung unehelicher Kinder der ehelicher gleichgestellt wurde – also keine Untersagung des Besuchs der Gottesdienste durch Minderjährige beinhaltete. Der Religionsunterricht war zur Sicherstellung einer religiösen Erziehung der Kinder gedacht – und wahrscheinlich ging es den Gründervätern des Gesetzes zur Religionsfreiheit bei der Klausel nur darum. Diesen Zusammenhängen schenkten die Behörden jedoch keine Aufmerksamkeit, was zeigt, dass ihnen nicht an der Gewährung der freien Religionsausübung an sich gelegen war, sondern ihnen der Umstand der Gesetzeslage vielmehr gelegen kam, die Tätigkeit der Gemeinschaften juristisch begründet einschränken zu können. Im Vergleich zur Behandlung der Minderheiten von Ungarndeutschen ist ein Memorandum von 1933 an das Oberhaupt der katholischen Kirche Ungarns aufschlussreich, aus dem hervorgeht, dass vielerorts die Kinder der deutschen Minderheit in Verbindung mit der Levente-Organisation verpflichtet wurden, den Gottesdiensten in ungarischer Sprache beizuwohnen, was dazu führe, dass die Kinder und Jugendlichen der Religion und religiösen Übung des Elternhauses entfremdet 255 

Ebenda, K579 – 1926, Bl.  217 – 220. Tilkovszky, Loránt: Volkstum und Christentum. Krisenjahre der Ungarndeutschen 1938 – 1945. Ungarn-Jahrbuch 1998/99, S. 255 – 274, hier S. 257. Den Ungarndeutschen z. B. war es ein großes Anliegen, dass der Religionsunterricht in der Muttersprache erteilt wurde. Man sprach diesbezüglich von einem „natürlichen und übernatürlichen Recht des Menschen“. 256 

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wurden. Die Folge davon sei „leicht eine Gleichgültigkeit im Glauben oder gar der Abfall“. Der Bitte der Eltern um eine Änderung wurde nicht nachgekommen. Die Magyarisierung hatte Vorrang.257 In den hier genannten Fällen ging es anders als bei den kleinen Religionsgemeinschaften gar nicht darum, die Kirche einer anderen Religion besuchen zu müssen, sondern den Besuch einer Kirche der Religion der Eltern, aber in ungarischer Sprache, was bereits Folgen für den Glauben der Kinder hätte. Sicher wurden eben solche Folgen wie Abkehr vom Glauben der Eltern in Verbindung mit den Kindern von Angehörigen gesetzlich nicht anerkannter Religionsgemeinschaften ganz bewusst angestrebt. Gesetzlich gesehen war die angeführte Problematik der Ungarndeutschen bezüglich der Ausübung der Religionsfreiheit in der Durchführungsverordnung 4.800 M.P. des Jahres 1923 des ungarischen königlichen Ministeriums zur Durchführung der Verpflichtungen des Friedensvertrags von Trianon zum Schutze der Minderheiten geregelt worden. Dort wurde zugesichert: „Jeder ungarische Staatsbürger darf seine Muttersprache im Privatleben und im Geschäftsverkehr, bei der Religionsausübung, in der Presse und auf öffentlichen Versammlungen […] frei verwenden.“258 Offensichtlich haperte es auch hier an der Umsetzung. Später kamen die Behörden auf Druck Deutschlands der Sprachproblematik der Ungarndeutschen mehr entgegen.259 Wie aus Verhörsprotokollen im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren gegen Wehrdienstverweigerer hervorgeht, haben sich die Eltern wohl zumindest formell an die gesetzlichen Bestimmung gehalten, ihre Kinder in einer rezipierten (kaum in einer gesetzlich anerkannten) Religion zu erziehen.260 Nicht selten geht aus den Berichten hervor, dass sie ihre Kinder parallel aber auch in ihrer eigenen Religion erzogen haben, wobei es ja auch naheliegend und auch natürlich ist, dass Eltern ihren Glauben den Kindern weitergeben. So gab Albert Márton an, seine Kinder gehörten der römisch katholischen Kirche an. Räumte dann aber ein: „Meine Frau hat den Kindern mehrfach die Lehren ‚Jehovas‘ aus der Bibel beigebracht.“261 Der Zeuge Jehovas Kálman Soós erklärte sogar ganz offen, seine fünf Kinder seinem Glauben gemäß zu erziehen. Auch der Zeuge Jehovas Rimóczi und seine Frau erzogen ihre Kinder in ihrem Glauben. „Wenn der Pfarrer kommt und fragt, hat der Junge gesagt, dass er nicht in Kirchen gehe, weil Gott nicht in von 257 

Ebenda, S. 257 ff., 261. Nr. 4.800 M.E. des Jahres 1923 des ungarischen königlichen Ministeriums zur Durchführung der Verpflichtungen, die im Friedensvertrag von Trianon zum Schutze der Minderheiten übernommen wurden, in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Deutsche in Ungarn“, bearb. von Gerhard Seewann. URL: http://www.herder-institut.de/startseite/ dokumente-und-materialien/moduluebersicht/deutsche-in-ungarn/themenmodul-deutsche-in-ungarn-textquellen.html?tx_himmat_pi1%5BshowUid%5D=573&cHash=4348cc93d13418e1439a63b7bf2757f6 (Zugriff am 21.4.2013). 259  Tilkovszky, S. 272. 260  Zum Beispiel HM, 1941 13. oszt. 4669 cs. 444.697 (Lantos, Imre). Ebenda, 1942 13. oszt, 5545 cs. (Gorondi, Bálint). Ebenda, 1941 13 oszt. 4669 cs. 901.586 (Martinovszki, János). ebenda, 1943 13. oszt. 6580 cs. 549.748 (Mészáros, László). 261  Ebenda, 1942 13. oszt. 5545 cs. 258  Verordnung

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Menschen gemachten Häusern wohnt.“262 Angehörige anderer gesetzlich nicht anerkannter Gemeinschaften haben das ganz ähnlich gehandhabt.263 3.  Anmeldung eines ständigen Geistlichen Eine weitere interessante Studie eröffnet sich in der Diskussion der Behörden über den Umgang mit der Anmeldung eines ständigen Geistlichen durch die STA. Am 19. September 1923264 sandte Kultusminister Graf Klebelsberg dem Justizminister Emil Nagy die Akten wegen der Anmeldung eines ständigen Geistlichen der STA „beim Bürgermeister der Hauptstadt Budapest mit Bezug auf § 31 GA XLIII/ 1895“ mit der Bitte um Stellungnahme. Gemäß § 31 konnten Ausländer als ständige Geistliche tätig sein, wenn die vorgesehene Person bei den obersten Beamten der Munizipialbehörden angemeldet wurde. Die Mitarbeiter des Justizministers kamen zu dem Schluss: „Gemäß der Benachrichtigung des Polizeipräsidiums entsprachen die Budapester Gottesdienste der Adventisten jederzeit den in § 31 […] verlangten Erfordernissen.“ Obgleich der Kultusminister das Recht der STA für die Abhaltung öffentlicher Gottesdienste und die Haltung eines ständigen Geistlichen anzweifelte, da er meinte, „dass das Gesetz diese Rechte nur angesehenen Kirchen zusichern wollte, denen sie zu verweigern weder notwendig noch gebührend wäre“, ferner weil beim Gottesdienst zu wenige Ausländer teilnähmen, die problemlos öffentliche Gottesdienste abhalten könnten – die Budapester Versammlung habe „230 Mitglieder, wovon [nur] 30 Ausländer sind“ –, weiter wegen des „Mangels der Beständigkeit der Gruppe“, da „die angemeldeten ausländischen Staatsangehörigen aus verschiedenen Ländern / zumeist aus ungarischen Sukzessionsstaaten stammen, [und] die Gruppe daher die gewünschte Dauerhaftigkeit vermisst“,265 vertrat das Justizministerium eine andere Meinung. Es folgt eine aufschlussreiche interne Diskussion. Dabei bezog man sich offensichtlich auf das Gesetzgebungsverfahren zum GA XLIII/1895 und offenbarte damit den Geist des Gesetzes, wenn man feststellt: „Aus der Begründung zum GA XLIII/1895 […] geht hervor, dass die Gesetzgebung das Einräumen der Rechte der Ausländer für Abhaltung eines öffentlichen Gottesdienstes hauptsächlich im Hinblick auf die sich hier aufhaltenden Gläubigen der anerkannten ausländischen Kirchen beabsichtigte. (In der Begründung ist die anglikanische Kirche als Beispiel erwähnt). Daraus folgt aber 262 

MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  127. MJTA, DOK-1066. K149 – 1940 – 7 – 5018. Ferner z. B.: HM, 1940 13/3312 cs. 117895 (Tóth, András). János Martinovszki gab 1941 an, dass seine Kinder evangelisch erzogen würden (Ehefrau war ebenfalls Zeugin Jehovas). Ebenda, 1941 13 oszt. 4669 cs. 901.586. Der Nazarener Mózes Kurucz, der in der Schule reformiert und katholisch erzogen wurde, besuchte aber dennoch die Zusammenkünfte der Nazarener. Ebenda, 1941 13. oszt. 443.032. Der Nazarener András Orcsik erklärte, dass er der römisch-katholischen Kirche angehörte, später aber als Kind von den Eltern im Glauben der Nazarener erzogen worden sei. Ebenda, 1941 414.235. Nach Aussage des 23-jährigen Nazareners Mihály Győrfy gehörten die unter 18-Jährigen alle der reformierten Kirche an. Er selbst wurde mit 19 Nazarener. 264  Az.: 78494/1923 II. 265  MOL, K579 – 1923, Bl. 59. 263 MOL,

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nicht, dass die Gesetzgebung dieses Recht auf die Gläubigen nur einiger oder nur anerkannter ausländischer Kirchen beschränken wollte. Im Gegenteil, das Gesetz lässt in diesem Teil Ausländern mit irgendeiner Konfession völlige Gleichbehandlung zuteilwerden, und setzt ihnen von seiner Seite nur dann Grenzen, wenn dieser öffentliche Gottesdienst gegen die bestehenden Gesetze, die öffentliche Ordnung, die Moral oder die Interessen des Staates verstößt.“ Die Gesetzesväter der Religionsfreiheit von 1895 hatten also nicht im Sinn, bestimmte Gemeinschaften zu privilegieren, sondern vielmehr das multireligiöse Leben im Land zu organisieren und allen gleiche Rechte einzuräumen. Insofern stand Ausländern wie ungarischen Staatsbürgern dasselbe Recht zu, ihre Religion, ob anerkannt oder nicht, öffentlich auszuüben. Das lässt auch Schlüsse auf den Overall-Geist des Gesetzes zu: Es zielte auf eine gleichberechtigte Behandlung religiöser Gemeinschaften ab. Außerdem, wenn schon den Ausländern egal welch religiöser Couleur mit GA XLIII/1895 das Recht auf Ausübung von Gottesdiensten eingeräumt wurde, dann doch vielmehr dem ungarischen Staatsbürger. Das bestätigt sich in der weiteren Argumentation bezüglich des Vorwurfs des Mangels an Beständigkeit, wobei festgestellt wurde, dass „das Recht für Abhaltung eines öffentlichen gemeinsamen Gottesdienstes […] nicht nur Ausländern gebührt, die keiner der anerkannten Konfessionen angehören, […] sondern auch ungarischen Staatsbürgern mit den gleichen Voraussetzungen wie für die Ausländer (d. h. innerhalb der Grenzen der bestehenden Gesetze, der Moral und des Staatsinteresses bei polizeilicher Anmeldung und Kontrolle)“. Es heißt weiter: „Der Gesetzartikel XLIII von 1895 stellt dies ausdrücklich nur für Ausländer fest, aber aus der Anordnung von § 1 des Gesetzes folgt dies automatisch auch für ungarische Staatsbürger, und es ist offensichtlich, dass ein ungarischer Staatsbürger in Ungarn nicht über weniger Rechte verfügen darf als ein Fremder.“266 Spätestens hier hätte man dann auch hinsichtlich der Behandlung Minderjähriger auf Gleichbehandlung schlussfolgern müssen. Wahrscheinlich ging es den Gründungsvätern der Religionsfreiheit mit der Regelung, dass Minderjährige einer rezipierten oder anerkannten Religion folgen bzw. in ihr erzogen werden mussten, auch um organisatorische Aspekte, was wiederum den Besuch der Gottesdienste nichtanerkannter Religionen nicht ausschloss. In seinem Antwortschreiben an den Kultusminister hob der Justizminister den Punkt der Gleichberechtigung auch noch einmal explizit hervor: „Allerdings hat einer meiner Amtsvorgänger in seinem Antwortschreiben vom 12. Dezember 1898 […] hervorgehoben, dass das Recht der Religionsausübung dieser ungarischen Staatsbürger nicht enger gefasst sein könne als die den Ausländern ausdrücklich zugesicherte Religionsausübung. Daher stehen die Rechte, die mit § 31 des betreffenden Gesetzesartikels Ausländern zugesichert werden, ungarischen Staatsbürgern genauso zu. Auch ich teile diese Ansicht und meine, sie sollten in der zur Debatte stehenden Frage beachtet werden.“267 Diese Meinung war auch im frühen 20. Jahrhundert vom Justizminister in Verbindung mit dem Versammlungsrecht der Nazarener vertreten worden, der 266  267 

Ebenda, Bl. 55 – 57, 62. Ebenda, Bl.  60 – 61.

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erklärte, dass das dem Ausländer mit § 31 eingeräumte Recht „zweifelsohne neben den vorliegenden Einschränkungen auch für den ungarischen Staatsbürger gültig“ sei.268 Umso weniger verständlich ist dann die tatsächliche Ungleichbehandlung. Wenn es allerdings um das Abhalten von Gottesdiensten mit ausländischer Beteiligung ging, wurden Privilegien eingeräumt: „Die Staatsmacht führt im Hinblick auf die Ausübung dieses Rechts keine vorhergehende, genehmigende, sondern nur nachträgliche, kontrollierende Tätigkeit durch, wobei ihre Polizeibehörden darauf achten, dass die Ausübung des Rechts die im Gesetz festgelegten Grenzen nicht überschreitet.“ Ausländern war es also gewährt, nach Anmeldung der Gottesdienste diese ungehindert abzuhalten; die Behörden waren nur Kontroll- nicht aber Genehmigungsinstanz, was sicher auch zu einer positiven außenpolitischen Wirkung beitragen sollte. Die zuständige Abteilung im Ministerium war zusätzlich der Meinung, man „sollte den öffentlichen Gottesdienst der Ausländer mit der Begründung der Verletzung der Staatsinteressen nur dann verhindern, wenn die Staatsinteressen offensichtlich so verletzt sind, dass man sofort abhelfen muss (z. B. im Fall einer antimilitärischen Einstellung)“. Diese Feststellung offenbart zweierlei: Zum einen wurden nicht bei jedem Verstoß direkt Staatsinteressen verletzt, und somit musste die Auflösung einer Versammlung bzw. deren weitere Untersagung gut begründet sein. Es war also grundsätzlich zu differenzieren zwischen einer antizipierten und einer offensichtlichen Verletzung der Staatsinteressen, was bisher ganz offensichtlich nicht so praktiziert wurde. Zum anderen erklärte man hiermit die antimilitaristische Haltung zur offensichtlichen Verletzung von Staatsinteressen. Allerdings wird dabei auch nicht auf die Hintergründe dieser Überlegung eingegangen und es könnte sich um die subjektive Meinung eines Einzelnen handeln. Was die STA anbelangt, so wusste das Justizministerium zu berichten, dass ihnen ein solcher Vorwurf der „polizeibehördlichen Benachrichtigung“ zufolge mit Ausnahme der „Siebententags Adventisten auf 1843er Basis mit einem antimilitärischen Geist“ nicht gemacht werden könne.269 Anders als die Ausländer mussten ungarische Gläubige ihre Zusammenkünfte vorher genehmigen lassen, hatten aber „die Möglichkeit zu einer anerkannten Konfession zu werden und damit das Recht auf Abhalten eines freien öffentlichen […] Gottesdienstes“. Für die Verweigerung einer Genehmigung zum Abhalten der Gottesdienste hatte das Justizministerium Ansatzmöglichkeiten: „Ob diese Rechtsausübung gegen die Gesetze des Staates, gegen die Interessen des Staates oder gegen die Moral verstößt, ist der […] Gegenstand der polizeibehördlichen Kontrolle, […] solange sie zu keiner anerkannten Konfession werden, dürfen sie das Recht der Abhaltung eines öffentlichen gemeinsamen Gottesdienstes nur innerhalb der im Gesetz festgelegten Grenzen ausüben.“270 Es stand damit auch außer Frage, dass Gottesdienste nur bei Verstößen gegen Gesetz, Staatsinteresse oder Moral untersagt werden durften. 268 

Ebenda, K579 – 1904, Bl. 29, 30, 35. Internes Schreiben vom 22.12.1903. Ebenda, K579 – 1923, Bl. 55 – 57, 62. 270 Ebenda. 269 

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In der weiteren Diskussion über die Anmeldung eines ständigen Geistlichen kamen die Mitarbeiter des Justizministeriums zu einem sehr realistischen Schluss, wenn sie erklärten, dass „wenn eine Sekte einen Geistlichen hält, sie diesen selbst dann als ihren Geistlichen betrachten wird, wenn die Staatsmacht von ihm keine Kenntnis nimmt; der Geistliche wird funktionieren, ohne dass die Staatsmacht dies verhindern könnte, bis auf den Fall, da sie gegen die bestehende Gesetze verstößt. Das Wesentliche der im § 31 Absatz 2 Gesetzartikel XLIII/ 1895 festgelegten Anordnung ist nicht das Recht des Haltens eines ständigen Geistlichen, sondern die Tatsache der Anmeldung: Der Staat verpflichtet die Ausländer, die öffentliche Gottesdienste halten, ihren ständigen Geistlichen im Interesse einer intensiveren Kontrolle anzumelden. In der zitierten Anordnung ist also eine Verpflichtung […] festgelegt, und nicht irgendein besonderes Recht, das die Staatsmacht für irgendeine Sekte anerkennen oder ihnen verweigern könnte.“271 Das war eine klare Korrektur der Sichtweise: Was der Kultusminister den Gemeinschaften als Recht untersagen wollte, war also vielmehr eine Pflicht. Somit kamen die Adventisten mit der Anmeldung ihres ständigen Geistlichen nur ihrer Pflicht nach, etwas, was ihnen nicht nur nicht verwehrt werden konnte, sondern vielmehr von ihnen gefordert wurde. Am 4. Januar 1924 empfahl auch die Abteilung I des Justizministeriums, die sich der Meinung von Abt. II anschloss, die Anmeldung zunächst zu registrieren, wenn „auf Grundlage der von der Behörde eingeholten Daten nichts dagegen einzuwenden ist“. „Wenn dann aber in Bezug auf die Zuverlässigkeit des angemeldeten Geistlichen Einwände oder Befürchtungen auftreten, kann natürlich die Sache genauso neu verhandelt werden und die Anstellung des betreffenden Geistlichen untersagt werden, wie auch die gemäß § 31 Absatz 1 erteilte Erlaubnis für öffentliche Gottesdienste mit Erlöschen der gesetzlichen Voraussetzungen zurückgezogen werden kann.“272 Somit konnten die STA offiziell einen Geistlichen haben, hatten aber offiziell an sich keine Organisationsform, der er angehörte. Was die Organisation der Gemeinschaften in Vereinen anbelangt, so sprechen die Unterlagen des Justizministeriums eine klare Sprache – sie war nicht erwünscht: „Beachtenswert ist schließlich […] die Tatsache, dass der Bürgermeister der Haupt- und Residenzstadt die Missionsgesellschaft der Adventisten aufforderte, ihre Organisationssatzung vorzulegen. Die Missionsgesellschaft hat daraufhin die Satzung ihrer ungarischen Vereinigung tatsächlich vorgelegt. Diese ist aber bei den Akten nicht zu finden. Demnach erstellten die Adventisten – so scheint es – Vereinsorganisationssatzungen, und treten vielleicht auch in anderer Hinsicht als Verein auf, wofür sie nicht berechtigt sind, weil die Religionsorganisierung in Vereinsform gekleidet ein Ausspielen unserer kirchenpolitischen Gesetze wäre.“273 Hier wird deutlich, dass entgegen anderslautenden Vorwürfen die Gemeinschaften sehr wohl gewillt waren, sich gesetzlich zu organisieren und ihre Satzungen beizubringen. Das Argument, sie wollten sich dem aus Angst vor Kontrolle ihres 271 Ebenda. 272  273 

Ebenda, Bl. 58. Ebenda, Bl. 55 – 57, 62.

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Eigentums entziehen, kann also nicht greifen. Sich vereinsmäßig zu organisieren war teilweise einfacher, als die Voraussetzungen zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft zu erfüllen – so zum Beispiel was die geforderte Sicherstellung des Religionsunterrichts oder des nötigen Verwaltungsapparates anbelangt. Gegen eine ablehnende Haltung einer gesetzlichen Anerkennung durch die Gemeinschaften spricht auch, dass sie sich abgesehen von Amerika auch in anderen Ländern bereits darum bemüht hatten und auch anerkannt worden waren. So hatten sich zum Beispiel die International Bible Students Association am 30. Juni 1914 in London gesetzlich registrieren lassen.274 Nach dieser internen Diskussion wandte sich der Justizminister „abgesehen von den kirchenpolitischen Zügen der Frage und rein die rechtlichen Gesichtspunkte betrachtend“ am 24. Januar 1924 offiziell an den Kultusminister und informierte ihn in diesem Sinne, wenn er ihm erklärte, dass eine solche Anmeldung „weder Voraussetzung für die Unterhaltung eines ständigen Geistlichen noch für die Tätigkeit des angestellten Geistlichen“ sei, da „eine solche Unterhaltung eines Geistlichen das gesetzliche Recht der Religionsangehörigen ist“ und „der Zweck der diesbezüglichen Anmeldung offensichtlich lediglich darin liegt, die behördliche Überwachung der Religionsausübung und der Geistlichenarbeit zu vereinfachen und ermöglichen“. Gegen „den angestellten Geistlichen und die Religionsangehörigen kann die Behörde nur dann und insofern handeln, wenn die Religionsausübung oder ihre Tätigkeit gegen bestehende Gesetze, gegen die Interessen des Staates oder die öffentliche Sitte verstößt. Die Anmeldung dient also nur der Sicherstellung einer entsprechenden Rechtspraxis der Behörden.“275 Er führte ferner aus: „Im Schreiben Eurer Exzellenz wird der Umstand besonders hervorgehoben, dass die zur Begründung herangezogene Gesetzespassage nur vorsieht, das Recht für öffentliche Gottesdienste und der Unterhaltung eines ständigen Geistlichen in der Heimat nicht anerkannten angesehenen ausländischen Religionsgemeinschaften zu gewähren; es gibt meiner Meinung nach keine Grundlage dafür, dass den sogenannten Siebenten-Tags-Adventisten dieses Recht verweigert wird, wie der Gesetzestext den in der Heimat reisenden oder sich aufhaltenden Ausländern das Recht auf einen öffentlichen Gottesdienstes erlaubt; insofern er nicht gegen bestehende Gesetze, Interessen des Staates und die öffentliche Sitte verstößt und bei den zuständigen Behörden angemeldet wird, sichert auch Artikel 55 des Trianonischen Friedensvertrags jedem Einwohner Ungarns das Recht zu, jedweden Glauben, jedwede Religion oder Glaubensüberzeugung öffentlich oder zu Hause frei auszuüben, insofern deren Tätigkeit nicht gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstößt.“ Im Fall der Adventisten gäbe es „keine ausschließenden Umstände, abgesehen von einer hier nicht zur Debatte stehenden Sekte der Adventisten, die sogenannten 1843er Siebententagsadventisten mit antimilitaristischem Geist“. Was die Zusammenkünfte anbelangt, hielt er fest, dass das Anmelden der Gottesdienste und das Halten eines ständigen Geistlichen die Gemeinschaften nicht zu anerkann274  275 

WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1977. Wiesbaden 1976, S. 8. MOL, K579 – 1923, Bl.  60 – 61.

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ten Religionsgemeinschaften mache, es also einer staatlichen Anerkennung nicht gleichkomme und fügte hinzu: „Die Glaubensangehörigen einer solchen Religionsgemeinschaft unterstehen solange polizeilicher Überwachung und Kontrolle, wie eine gesetzliche Anerkennung nicht vorliegt, und ihre Tätigkeit den Gesetzen, der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten zuwiderläuft; um das zu verhindern, hat die Behörde das Recht, jederzeit die nötigen Maßnahmen zu ergreifen.“ Es fällt auf, dass immer wieder auf die Mittel der Überwachung und Kontrolle durch die Polizeibehörden hingewiesen wird. Es fällt auch auf, dass im Zuge der gesamten Argumentation der einzige Ansatzpunkt zur Verweigerung der Rechte der Religionsfreiheit betont wurde: der offensichtliche Verstoß gegen Landesgesetze, öffentliche Ordnung oder Staatsinteressen. In seinem Schreiben an den Kultusminister nannte der Justizminister nun noch ein weiteres Argument: „Meiner Ansicht nach […] hat die Behörde Grund, die nötigen behördlichen Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Tätigkeit der betreffenden Religionsgemeinschaft Hass gegen eine andere Religionsgemeinschaft schürt oder die Proselytenmacherei solche Methoden anwendet, die den interkonfessionellen Frieden stören“.276 Diese Aussagen des Justizministers dürften nicht nur für den Kultusminister, sondern auch für den Innenminister ausschlaggebend gewesen sein. Insbesondere die klare Aussage von Nagy: „Meiner Ansicht nach gehört die Religionsausübung der bisher außerhalb der rezipierten bzw. anerkannten Religionsgemeinschaften stehenden ungarischen Staatsbürger, solange ihre Religionsgemeinschaft nicht in den rechtlichen Stand einer öffentlichen Körperschaft erhoben wurden, unter entsprechender behördlichen Überwachung und Kontrolle.“ Kultusminister und Justizminister waren sich in dem Punkt einig, dass die Erledigung dieses Umstands in den Zuständigkeitsbereich des Innenministers gehörte.277 Dieser war damit aufgefordert, tätig zu werden und für eine Einschränkung der Gemeinschaften mittels Überwachung und Kontrolle durch die Polizeibehörden zu sorgen. Der Innenminister reagierte auf diese Ausführungen mit Schreiben vom 3. November278, und erklärte, er teile den Standpunkt des Justizministers völlig. Auch was die Vereinsproblematik anbelangte, stimmte er zu, die Gesellschaften dürften nicht als Verein funktionieren. Außerdem fügte er an, „dass die Budapester ung. kgl. Staatspolizei die Zusammenkünfte und Funktion der verschiedenen religiösen Sekten ständig beobachtet und kontrolliert, bis jetzt kam aber kein solcher Umstand auf, der ein polizeiliches Eingreifen erfordert hätte“.279 Die Untersuchung dieser unterschiedlichen Fälle – die Diskussion um die Rechtssubjektivität, der Umgang mit Minderjährigen sowie die Anmeldung eines ständigen Geistlichen – zeigt deutlich die enge Zusammenarbeit der Ministerien und ihre internen Abstimmungen. Gleichzeitig wird der liberale Geist der Gesetzesväter deutlich, die auf eine Gleichbehandlung der religiösen Gemeinschaften 276 Ebenda.

277 Ebenda. 278 

279 

1924 Az. 14440/924. Ebenda, K579 – 1925, Bl. 160.

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abzielte und darüber hinaus Ausländer wie Ungarn auf dieselbe Stufe stellte – eine Gleichbehandlung, die in einem Ungarn nach Trianon jedoch schwer umsetzbar war. Diese Diskussionen und Abstimmungen der gemeinsamen Vorgehensweise der Ministerien zeigen deutlich, welch hohen Stellenwert man der „Sektenproblematik“ in den frühen 1920er-Jahren beimaß, wobei die Behörden bisher aufgrund mangelnder Handhabe gegen die Gemeinschaften noch verhältnismäßig zurückhaltend ausfielen. Wohl auch, weil man sich hinsichtlich der Gewährung von religiösen Freiheiten und der Interpretation des Verfassungsgesetzes noch nicht einig war. Vielleicht begründet sich die noch ambivalente Haltung zu dem Gesetz aber auch damit, dass man zunächst große Probleme hatte, das Land nach dem Krieg, der Erfahrung mit der Räterepublik und Trianon politisch und wirtschaftlich zu konsolidieren. Markant ist, dass die Ministerien es unisono für nötig hielten, die kleinen Gemeinschaften stärker zu kontrollieren. Und unisono wurde von allen der Vorwurf der antimilitaristischen Propaganda thematisiert – dem Hauptkritikpunkt. Hier reiht sich auch ein Lagebericht der politischen Abteilung des Verteidigungsministeriums vom 26. November 1924 ein, in dem man sich über die antimilitaristische Propaganda der kleinen Religionsgemeinschaften beschwerte.280

VI.  Erstes Resultat: VO 208.458/1924 Bereits am 20. Oktober 1924 soll vom Innenminister die VO 208.458/VIII ergangen sein, die die Tätigkeit der Bibelforscher einschränkte, möglicherweise sogar untersagte.281 Aus einem Bericht der Polizeikommandantur Debrecen an den Innenminister vom 21. August 1925 über die Ausbreitung der „Adventisten und Millenisten Sekten“ geht hervor: „Die Zusammenkünfte und die Verbreitung von Büchern wurde mit der VO 208.4581924 I.M. für das ganze Land verboten. Die Organisation in Budapest und Versammlungen wurden durch VO fl. 666/1925 untersagt.“282 Einem Schreiben der Ermittlungshauptabteilung der ung. kgl. Polizei vom 19. Dezember 1937 zufolge war mit der VO 208.458/1924 vom Innenminister, die bisher in den Akten nicht aufgefunden werden konnte, „die Tätigkeit des oben beschriebenen Sektengebildes verboten“ worden.“283 Als Grund benannte man in Kardos/Szigeti, S. 281. K149 – 1937 – 7 – 12259, Bl. 342. MJTA, DOK-1065, DOK-567. Magyar Nemzeti Levéltár Szabolcs-Szatmár-Bereg Megyei Levéltára (Ungarisches Nationalarchiv, Komitatsarchiv Szabolcs-Szatmár-Bereg, MNLSz-Sz-B), Nyíregyháza, IV.B.411.29.578/1530, Bl.  14 – 16. 282  MJTA, DOK-567. MNLSz-Sz-B, IV.B.411.29.578/1530, Bl. 14 – 16. 283  In einem Dokument vom 28.8.1940 der Politischen Abteilung der Oberstadthauptmannschaft findet man eine ähnliche Aussage: „Ich berichte, dass die Tätigkeit des jetzt unter dem Namen ‚Jehova Gott Zeugen‘, anderswie und anderswo als ‚Vereinigung der Internationalen Bibelstudenten‘, ferner als ‚Bibelforscher Vereinigung‘, ‚Leuchtender Wachtturm‘, ‚Bibel und Traktat Gesellschaft‘, auftretende Sektengebilde vom Herrn Innenminister mehrfach verboten hat, ihre Tätigkeit jedoch immer wieder unter anderem Namen […] fortgeführt wurde.“ MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  124 – 131. 280 

281  MOL,

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dem Schreiben, dass es sich bei der Gemeinschaft um eine „halblegale Organisation der kommunistischen Bewegung“ handele. „Die halblegale Organisation dient als Deckorganisation und dahinter geschieht die verschleierte Arbeit, welche auf den Weg der Presseerzeugnisse oder mit dieser kombinierten Zeitungsorganisation begann.“ Das macht deutlich, wie eng das Verbot mit der Verbreitung von Druckschriften der Gemeinschaft zusammengehangen haben muss. Interessant ist daher in diesem Zusammenhang ein weiteres Schreiben, ein Brief des Kultusministers an den Konvent der reformierten Kirche wegen der Bibelstudenten in Bóta und Nagyvisnyó vom 25. April 1925,284 das nur als Abschrift vorliegt. Darin wird ebenfalls auf die VO Bezug genommen, allerdings wurde sie nicht als Verbotsverfügung bezeichnet. Darüber hinaus wird sie fehlerhaft zitiert, was allerdings auch auf einen Abschreibfehler zurückgeführt werden könnte, da nur die Abschrift und nicht das Originaldokument vorliegt. In dem Schreiben wurde berichtet, ein Gendarm habe Schriften des Bibelforschers György Kiss „im Sinne der IM-VO 208.453/VIII.1924 [sic!] vom 30. Oktober 1924 beschlagnahmt“. Obwohl nicht nur die Bezeichnung der VO, sondern auch deren Datum abweicht, scheint es sich um dieselbe Verfügung gehandelt zu haben, da sich der Kontext dieses Dokumentes wie auch der des Schriftstücks der Debrecener Polizei auf die Tätigkeit von György Kiss bezog.285 Im Verfahren gegen György Kiss ging es um Pressevergehen.286 Der Kultusminister erklärte, Kiss halte religiöse Reden, „die jedoch Hetze gegen Staat und Nation beinhalten“ und sich gegen Religion und Priester richteten. Er „verbreitet heimlich verbotene Schriften, die die Seele des Volkes in höchstem Maße infizieren können und sie auf die Seite des Kommunismus ziehen“.287 Gleichzeitig erklärte der Kultusminister mit Bezug auf „dieses Sektengebilde“, er habe den Innenminister früher schon und nunmehr wieder, also im April 1925, darum gebeten, etwas zu tun, um dessen Tätigkeit, die sich gegen „die historischen Kirchen und die Nation wende“, einzustellen. In diesem Zusammenhang hatte er sich auch an alle obersten Kirchenbehörden gewandt, damit diese zum Schutz ihrer Interessen etwas zu unternehmen. Gleichzeitig bat er um weitere Aufklärung über „Tätigkeit und Lehren des Sektengebildes“. Diese Formulierungen des Kultusministers lassen nicht auf ein umfassendes Tätigkeitsverbot durch den Innenminister im Oktober 1924 schließen, da er noch 1925 um Maßnahmen gegen die Gemeinschaft bat. Hätte es ein umfassendes Verbot gegeben, hätte er sich wahrscheinlich darauf bezogen und dessen Umsetzung eingefordert. Möglicherweise ging es in dem Verbot wiederum um Presseprodukte und vielleicht auch um das Abhalten von Zusammenkünften, wohl aber eher nicht um ein umfassendes Tätigkeitsverbot der Gemeinschaft. In jedem Fall war die Politische Ermittlungsabteilung des Budapester Polizeipräsidiums mit der Sache befasst. Es ist zu vermuten, dass man in der Begrün284 

Az. 30.693/925. DOK-1062. Reformatus Zsinati Levéltár (Reformiertes Synodalarchiv, RZsL), Közigazgatási iratok (Verwaltungsunterlagen), 100/c. 286  MJTA, DOK-567. MNLSz-Sz-B, IV.B.411.29.578/1530, Bl. 14 – 16. 287  MJTA, DOK-1062. RZsL, Közigazgatási iratok, 100/c. 285 MJTA,

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dung der VO auf den Kommunismus-Vorwurf abgestellt, die Gemeinschaft nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als politische Organisation behandelt hatte, und dann unter Verweis auf GA III/1921 zum Schutz der staatlichen und der gesellschaftlichen Ordnung gegen sie vorgegangen ist, mit dem ja vor allem kommunistische Bewegungen verboten wurden. Der Gemeinschaft scheint das Verbot nicht bekannt gemacht worden zu sein, da sich auch in ihren Archiven und Jahresberichten kein Verweis darauf finden lässt. Dafür, dass es sich bei der Verfügung um eine geheime Verordnung gehandelt haben muss, spricht auch der Umstand, dass sie offensichtlich nicht in der „Rendeletek Tára“ veröffentlicht wurde. In jedem Fall wäre es das erste Verbot der Tätigkeit einer Religionsgemeinschaft in der Horthy-Zeit. Und es wäre ein Verbot, dass sich auf die Kriminalisierung einer Gemeinschaft zurückführen lässt, sie als kommunistische und damit für den Staat und die staatliche Ordnung gefährliche Organisation darstellt. Eine Konstruktion, von der man sich schwer vorstellen kann, dass die oberen Behörden tatsächlich daran geglaubt haben. Es scheint eher so, dass man hier bewusst Parallelen zog, um nicht gegen das Gesetz zur Religionsfreiheit und die Auflagen des Vertrags von Trianon zu verstoßen. Auf den Kommunismusvorwurf soll im Folgenden noch intensiver eingegangen werden.

VII.  Weiteres Resultat: Geheime Verordnung des Innenministers 14.700/1924 zur Überwachung der „Sektenbewegung“ In der Folge der vorangegangenen Diskussionen und der beim Innenministerium eingegangenen Berichte der Polizeibehörden zur Tätigkeit der kleinen Gemeinschaften, der Berichte von Vertretern der historischen Kirchen, aber auch aufgrund des Rufs nach mehr Kontrollierbarkeit durch das Kultusministerium, das Justizministerium, das Verteidigungsministerium und nicht zuletzt das Innenministerium selbst, ferner wegen der Suche nach Möglichkeiten zur Einschränkung ihrer scheinbar das Ungarntum gefährdenden Aktivitäten, und dabei insbesondere wegen der Verhinderung der Verbreitung von Presseprodukten, und verbunden damit dem Wunsch nach Unterbindung ihrer Ausbreitung im Land, zum Schutz des Bündnispartners historische Kirchen, und nicht zuletzt wegen der Problematik der neutralen Einstellung einiger Gemeinschaften zu Politik und Militär, erließ der Innenminister Iván Rakovszky am 27. Oktober 1924 die geheime Rundverfügung 14.700 „zur Überwachung der Sektenbewegung“. Die juristische Begründung konnte er den Stellungnahmen des Justizministeriums entnehmen und erklärte daher: „In der letzten Zeit erhalte ich aus dem ganzen Land häufig Berichte und Beschwerden über stärker zunehmende Sektenbewegungen, die verschiedene konfessionelle Ansichten propagieren. Die Prediger dieser Sekten verkünden häufig über das Glaubensleben hinausgehende, die staatliche Ordnung gefährdende politische Weltanschauungen, treiben sogar die Interessen der Landesverteidigung verletzende antimilitaristische Propaganda. Aber es kommt auch vor, dass innerhalb ihrer Glaubenslehren gegen die rezipierten historischen Kirchen und ihre Vorsteher gehetzt wird und sie beim Missionieren so aggressive Methoden anwenden, dass der

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konfessionelle Frieden gestört werden könnte.“ Man beachte den Konjunktiv seiner Formulierung. Anschließend brachte er noch ein weiteres sehr gewichtiges Argument für den Erlass der Verordnung: „Wie ich aus den verschiedenen Berichten ebenfalls erkennen kann, sind die Polizeibehörden häufig orientierungslos, nach welchen Vorschriften und Rechtsnormen sie gegen die Sektenbewegungen vorzugehen haben.“ Daher verfügte er verbindliche Regeln.288 Die Diskussion der vorgenannten Fälle durch die Ministerien und die damit verbundene Auswertung der Verfahrensweise der zuständigen Polizeibehörden haben gezeigt, dass nach Ansicht des Innenministers eine Koordinierung der unteren Behörden nötig war, da ihm diese offensichtlich nicht, ungenügend oder in unzulässiger Weise gegen die religiösen Gemeinschaften vorgingen. Dem Innenminister war aus der Diskussion der vorgenannten Fälle auch klar, dass die Gesetze zur Religionsfreiheit die Tätigkeit der nichtanerkannten religiösen Gemeinschaften nicht konkret einschränkten. Zum anderen fehlte ihm noch immer die konkrete Handhabe. Also suchte er nach Mitteln, sie weiter zu reglementieren. Rakovszky erklärte: „Es steht außer Zweifel, dass die freie Religionsausübung der Anhänger der Glaubensgemeinschaften/Sekten, die nicht zu dem Kreis der rezipierten und anerkannten Religionen gehören – insofern die Rechtssituation der Anhänger dieser Sekten nicht über die im ersten Paragraph des Gesetzesartikels XLIII von 1895 und den im trianonischen Friedensvertrag, Artikel 55 Gesetzesartikel XXXIII von 1921 festgelegten Bestimmungen hinaus geregelt ist – bis zu ihrer gesetzlichen Anerkennung an die jeweils zu überprüfende Bedingungen gebunden ist, damit die Religionsausübung nicht gegen die bestehenden Rechtsvorschriften, die Interessen des Staates, die öffentliche Ordnung und öffentliche Moral verstößt.“ Wenngleich er also um die Gewährung der Religionsfreiheit nach GA XLIII/1895 und Artikel 55 GA XXXIII/1921 mit Verfassungscharakter nicht umhinkam, suchte er deren allgemein gehaltenen Grenzen, die in Bezug auf das Religionsgesetz von 1895 im Sinne der Gesetzesväter hätten liberal interpretiert werden sollen, durch „zu überprüfende Bedingungen“ enger zu stecken. Dreh- und Angelpunkt wurden die einzigen Angriffsflächen, „die öffentliche Ordnung und die öffentliche Moral“, oder auch guten Sitten. Sich auf die von ihm grob benannten Berichte und Vorkommnisse beziehend unterstellte der Innenminister Zuwiderhandlung und knüpfte die Tätigkeit der Gemeinschaften an zu überprüfende Bedingungen. Entsprechend auch der weitere Wortlaut seiner Verfügung: „Dementsprechend sind die nichtanerkannten Konfessionen / Sekten der fortdauernden wachsamen Beobachtung und Kontrolle durch die Polizeibehörden zu unterstellen.“ Sein Mittel: Überwachung zur Feststellung von Verstößen, die offenbar sonst nicht nachzuweisen waren – eine Maßnahme, die im GA XLIII/1895 so nicht vorgesehen war. Er definierte seine Forderungen: „Wenn […] die Kolporteure über die Glaubensansichten hinaus staatsfeindliche, antimilitaristische oder gegen die öffentliche Moral verstoßende Propaganda verbreiten bzw. innerhalb ihrer Glaubensansichten zum Erwerb neuer Anhänger die Glaubenslehren und die Vorsteher der historischen Kirchen verlet288 

MOL, K63 – 1929 – 34 – 2907 – 14.700.

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zende aggressive Weise vorgehen und so den interkonfessionellen Frieden gefährden, müssen die zuständigen Polizeibehörden unverzüglich die nötigen Maßnahmen gegen die Bewegung ergreifen und mir sofort davon berichten. – Ich verweise hier auf die in eben dieser Sache von mir herausgegebene vertrauliche Verordnung 1.670/1923.“289 Waren die örtlichen Polizeibehörden bisher unsicher und uneins in ihrer Vorgehensweise gegen die Gemeinschaften, zumal diese ja auch nicht offensichtlich gegen bestehende Gesetz verstießen und nach der üblichen Verfahrensweise „nulla poena sine lege“ auch keine Handhabe gegen sie vorlag, wurde sein Ziel mit dieser VO klar – ein einheitliches Vorgehen der Behörden und Schaffung einer Rechtsgrundlage. Er ließ nach möglichen Verstößen der Gemeinschaften gegen bestehende Gesetze und Anordnungen suchen. Gleichzeitig verwies der Innenminister auf seine früher erlassene VO 1.670/1923 in Verbindung mit Maßnahmen bei antimilitaristischer Propaganda, die offensichtlich nicht ihre gewünschte Wirkung erzielt hatte. Dadurch, dass er sie in seine neue umfassende VO 14.700 miteinband, verlieh er dieser Maßnahme entsprechend Nachdruck. Nach dem Gebot der Gleichbehandlung hätte der Innenminister in die Regelung dieser Überwachung theoretisch auch alle rezipierten und anerkannten Religionsgemeinschaften einbeziehen müssen, denn auch sie fielen unter die Vorschrift des § 1 XLIII/1895 bzw. Artikel 55 GA XXXIII, wonach nicht gegen Interessen des Staates, die öffentliche Ordnung oder öffentliche Moral verstoßen werden durfte. Ihre Anerkennung durch den Staat bedeutete ja keineswegs, dass sie nicht ebenfalls gegen geltende Vorschriften verstoßen konnten. Ihre staatstreue Haltung stand aber außer Frage, schon allein aus bündnispolitischen Gründen. Ein besonderer Dorn im Auge der Behörden war, wie die Vorfälle zeigen, das Abhalten von Zusammenkünften bzw. Gottesdiensten der Gemeinschaften, wie auch im Zusammenhang mit der Diskussion um einen ständigen Geistlichen der adventistischen Gemeinschaft klar wurde. Mit Bezug darauf erklärte Rakovszky: „Desgleichen unterliegen auch die Zusammenkünfte /wie auch die Religionsausübung der Sekten der behördlichen Kontrolle. Auf die Zusammenkünfte sind die in den Regierungsverordnungen 5.481/1914. M. P.290 und 1104/1921 M. P. [sic!, wohl 11.004/1921] und i. V. mit der letztgenannten herausgegebene VO 6.000/1922 I. M. und die Anpassung 34.100/1922 I. M. und 38.061/1922291 festgelegten Regelungen anzuwenden. – Dementsprechend unterliegen die Zusammenkünfte der Anmeldungs- und Genehmigungspflicht bzw. der behördlichen Sicherheitsüberwachung.“ Zunächst fällt auf, dass der Innenminister sich hier erneut auf die VO von 1914 bezieht, die das Versammlungsrecht einschränkte – eine Verordnung, die in Verbin289 Kontroll-VO 1.670/1923 des Innenministers in Sachen „antimilitaristische Propa­ ganda“. 290 Die außerordentliche Verordnung 5.481/1914 schränkte in Verbindung mit dem I. Weltkrieg das Versammlungsrecht stark ein. 291  Anpassungsverordnungen. MRT, 1922, S. 223 f., 226 (Versammlungen sind 48 Stunden vor Stattfinden schriftlich einzureichen, können auch öffentlich abgehalten werden; Zuständigkeit der Behörden).

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dung mit dem Ersten Weltkrieg unter Bezug auf das Gesetz zur Ausnahmegewalt von 1912 erlassen worden war, also ein Regelung, die mit Ende des Krieges und Erlöschen der Ausnahmebedingungen eigentlich hätte obsolet sein sollen. Tatsächlich war diese Verordnung 1922 auch aufgehoben worden, gleichzeitig war die Regierung jedoch berechtigt,292 sie in Verbindung mit der Gewährung der allgemeinen Freiheit aufrechtzuerhalten, was im Zusammenhang mit der Einschränkung der Versammlungsfreiheit religiöser Gemeinschaften als eine eher unverständliche Handhabung erscheint. Aber diese Bezugnahme verrät viel über den Zeitgeist, den restriktiven Umgang mit Freiheitsrechten. Man hätte sich an dieser Stelle eigentlich auf die liberale VO 216/1848 zum Versammlungsrecht beziehen können, derzufolge Zusammenkünfte nur in Notfällen aufzulösen waren. Mit Verweis auf die VO 11.004/1921 zog der Innenminister auch die Modifizierung der VO 54.81/1914 heran, wonach politische Volksversammlungen jeder Art abgehalten werden durften, aber polizeilich angemeldet werden mussten und unter polizeilicher Aufsicht standen. Der Verweis auf eine Regelung, auf die im Ausnahmezustand des Krieges zurückgegriffen werden konnte, könnte als Hinweis auf die Hilflosigkeit des Innenministeriums gedeutet werden, als Beleg dafür, dass er unter normalen Bedingungen kaum etwas gegen die Gemeinschaften unternehmen konnte und es ist ein Hinweis darauf, wie angespannt die Situation nach Trianon in Ungarn war und wie wenig man bereit war, GA XLIII/1895 liberal auszuleben. Der Verfassungsartikel, auch wenn er vom Innenminister nicht als solcher, sondern nur als Gesetzesartikel bezeichnet wurde, stand einem schnellen, direkten, strikten und rigorosen Vorgehen der Behörden im Weg. Mit seinem Verweis auf die VO 6.000/1922 und deren Anpassungen kam Rakovszky auf die umfassende Regelung seines Amtsvorgängers Klebelsberg zu sprechen, die unter anderem festlegte, „staatsgefährliche oder hinsichtlich der Sicherstellung der öffentlichen Ordnung sonst bedenkliche Volksversammlungen“ nicht zu genehmigen. Was diese Verordnungen nicht abdeckten, war die Problematik der Minderjährigen, was andeutet, dass das grundsätzlich gar kein Problem war und nur aus Praktikabilitätsgründen zu einem gemacht wurde. Um auch diesem im Vorweg von den Ministerien diskutierten Thema gerecht zu werden, ergänzte er: „An dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass der Besuch der Religionsausübung […] Jugendlichen unter 18 Jahren untersagt ist, da § 26 des GA XLIII von 1895 verbindlich regelt, dass die Kinder gemäß einer der anerkannten oder gesetzlich zugelassenen Religionsgemeinschaften erzogen werden.“ Eine rechtliche Grundlage, auf der diese von ihm erlassene Regelung basierte, lieferte er nicht. Er verfügte es lediglich. Neben der Zusammenkunftsproblematik galt ein weiteres wichtiges Augenmerk des Innenministers, wie die Folgejahre noch zeigen werden, der Einhaltung seiner Verordnung zur Kontrolle der Presseprodukte: „Bezüglich der Kontrollen zur Verhinderung der Verbreitung der Presseerzeugnisse der Sekten rufe ich die Verwaltungs- und Polizeibehörden erneut auf, die mit Bezug auf die Verbreitung von Presseerzeugnissen herausgegebene I.M. VO 60.002/1923 streng durchzuset292 

Festgelegt in GA XVII/1922, Tt.

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zen.“ Dann die Problematik der Vereine: „Ich möchte anmerken, dass die Sekten, als Religionsorganisationen, insofern ihre Ziele nur dogmatischer Natur sind, nicht unter den Begriff Verein fallen und das Vereinsrecht daher auf sie keine Anwendung findet.“ Nachdem er in seiner Verordnung nochmals darauf hinwies, dass für die Baptisten „die Anmelde- und Genehmigungspflicht nicht besteht, da sie mit VO des Kultusministers 72.092/1905 gesetzlich zugelassen worden sind“, mahnte er die Behörden erneut eindringlich zur Kooperation: „Ich erwarte von den Angeschriebenen, die Regeln der oben genannten VO ständig vor Augen zu haben und die untergebenen Behörden zu deren Einhaltung vertraulich einzuweisen. Im Falle einer bedenklichen und sich im großen Maße ausbreitenden Bewegungen erwarte ich, schnelle und ausführliche Meldung.“293 Mit dieser VO wurde der Innenminister allen Anforderungen gerecht, die vor allem durch Kultus- und Justizminister erhoben wurden. Sie stellte ein konzertierte Aktion, eine Ministerien übergreifende Maßnahme dar, in die neben dem Verteidigungsminister sogar der Handelsminister eingebunden war. Mit der Inkorporierung bereits erlassener Verordnungen in Verbindung mit dem Versammlungs- und Presserecht wie auch bezüglich „antimilitaristischer Propaganda“ bündelte er seine Maßnahmen und verlieh dieser übergreifenden Verordnung 14.700 umfassende Schlagkraft. Am 25. Juni 1925 bat der Kultusminister den Justizminister Dr. Pál Pesthy(1873 – 1952294 um Stellungnahme zum letzten Absatz der VO.295 Einerseits muss diese VO als eine erste große Zäsur im Umgang mit den nicht anerkannten Religionsgemeinschaften angesehen werden, sie war aber auch ein erster absehbarer Höhepunkt der Entwicklung der Maßnahmen der obersten Behörden. Sie bot juristische Handhabe und sollte die unteren Behörden zur Zusammenarbeit einschwören. Andererseits macht sie auch deutlich, dass man juristisch noch immer nichts Greifbares gegen die Gemeinschaften in der Hand hatte, um ihre Tätigkeit rechtlich begründet einschränken zu können. Diese VO war insofern auch Mittel zum Zweck, eventuelle Übertretungen der Gemeinschaften aufzudecken bzw. Ansatzpunkte aufzuzeigen, die es den Behörden ermöglichten einzuschreiten bzw. Ansätze gaben, die Gemeinschaften zu kriminalisieren. Insofern muss sie noch als eine ambivalente Maßnahme betrachtet werden, die den Weg für weitere Verordnungen oder Gesetze zur Einschränkung der verfassungsrechtlich garantierten Freiheit ebnen sollte. Ambivalent, da sie Straftatbestände vermissen und damit Schlagkraft lässt. Die Methodik jedoch war abgesteckt: Wenngleich man um das Verfassungsgesetz und den Vertrag von Trianon, Artikel 55 mit Verfassungsrang, nicht umhin kam, konnten Gesetzesverstöße ein Vorgehen der Behörden rechtfertigen und Verordnungen die Auslegung von GA XLIII/1895 nach Bedarf anpassen, was der Vertrag von Trianon aber so nicht ohne Weiteres vorsah. Bedenklich war, dass es sich bei dieser Anweisung um eine geheime Verordnung handelte, weshalb sie sich der alliierten Kontrolle entziehen konnte. Bedenklich war auch, 293 

MOL, K63 – 1929 – 34 – 2907 – 14700. Vom 13.3.1924 bis 4. 2.1929 Justizminister. 295  Ebenda, K579 – 1925 – 3 Juli, Bl.  182. 294 

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dass eine einfache ministeriale Verordnung, also noch nicht einmal eine Regierungsverordnung oder ein „einfaches Gesetz“, die allen Gesetzen voranstehenden Verfassungsgesetze einschränken konnte. In der Diskussion um die Erlaubnis von Zusammenkünften wird auch deutlich, wie weit man sich von dem freiheitlichen Denken der Liberalen des 19. Jahrhunderts und ihrer Wertung von Versammlungsfreiheit bereits zu diesem Zeitpunkt entfernt hatte.

VIII.  Auswirkung der IM-VO 14.700/1924 Im Nachfolgenden soll untersucht werden, wie mit der VO das Verfassungsgesetz in der Praxis eingeschränkt wurde und sich die VO auf die kleinen Gemeinschaften und ihre Tätigkeit ausgewirkt hat, und inwiefern es dem Innenminister gelang, seine Ziele durchzusetzen. Zunächst wird ein Blick auf die Zusammenkunftsproblematik geworfen. Dabei geht es zum einen um die Koordination der Ministerien, zum anderen die Berücksichtigung außenpolitischer bzw. wirtschaftlicher Interessen wie im Fall der methodistischen Kirchen. Deutlich wird aber auch die noch immer ungleiche, unkoordinierte Vorgehensweise der unteren Behörden. Aufgezeigt wird ferner die Arbeitsteilung der Ministerien, der Kultusminister hielt die Verbindung zu den historischen Kirchen, der Innenminister kümmerte sich um das behördliche Vorgehen gegen die Gemeinschaften und der Justizministers fungierte zumeist als Korrektiv gegenüber Maßnahmen und Vorgehen von Kultusminister, Innenminister und unteren Behörden. 1. Zusammenkünfte a)  Position der bischöflich methodistischen Kirche Am 11. März 1925 übersandte Kultusminister Kunó Klebelsberg Justizminister Pál Pesthy mit Az. 18.463/1925296 die Akten zur Stellungnahme, die ihm Innenminister Iván Rakovszky in Sachen Verbot der Gottesdienste297 mit Schreiben 187.898/1925 vom 27. Januar 1925 zugestellt hatte.298 Der Justizminister, dem die Überwachungs-VO 14.700 des Innenministers überraschenderweise noch nicht persönlich übermittelt worden war, ließ sich zunächst sehr sachlich auf die juristische Sicht der Dinge ein; seine Feststellung ist aufschlussreich: „In meinen Zuschriften an Eure Exzellenz von 24. Januar vergangenen Jahres, Az. 51.539/1923 und 59.940/1923, legte ich detailliert dar, dass gemäß unseren Gesetzen kein Hindernis dafür besteht, im Gebiet von Ungarn öffentliche Gottesdienste abzuhalten, selbst von denen, die zu keiner der rezipierten oder gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften gehören; Voraussetzung ist allerdings gemäß § 31 des Gesetzartikels XLIII von 1895, dass der Gottesdienst nicht gegen die bestehenden Gesetze, die Interessen des Staates und die Moral verstößt und dass er bei der 296 

Ebenda, K579 – 1925, Bl. 159. Ebenda, K579 – 1925 – 2 März, Bl. 159. Beschluss des Mezökővesder Bezirksoberstuhlrichters Az. 6841/1924. 298  Ebenda, K579 – 1925, Bl. 157, 163, 164, 165, 166, 167 (5633 – 5635). 297 

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zuständigen Polizeibehörde im Voraus angemeldet wird.“ Soweit alles wie gehabt, grundsätzlich war nichts gegen Gottesdienste und Zusammenkünfte einzuwenden. Daher fügte er erklärend hinzu: „Die Vorschrift für eine Anmeldung bei der Polizeibehörde entstand zweifellos nur deshalb, damit die Abhaltung von gegen die bestehenden Gesetze, die Interessen des Staates und die Moral verstoßenden Gottesdienste verhindert werden kann, also muss sich die Polizeibehörde bei der Erledigung der Anmeldung gesetzmäßig ausschließlich auf die Prüfung der erwähnten Punkte beschränken. Eine gegenteilige Interpretation würde das im § 1 des Gesetzartikels XLIII von 1895 und im Artikel 55 des Trianoner Friedensvertrags gesicherte Recht auf freie Religionsausübung unmöglich machen.“299 Diese Worte widersprachen der Notwendigkeit einer dauerhaften Überwachung der Zusammenkünfte, wie mit der VO des Innenministers gefordert. Und sie machen klar, worum es im GA XLIII/1895 eigentlich ging: Man wollte den Gemeinschaften Zusammenkünfte ermöglichen. Dass diese nicht gegen die Gesetze an sich verstießen, versteht sich von selbst. Es wäre also auch damit getan gewesen, hätte man ein oder zwei religiösen Zusammenkünften beigewohnt und sie bei Unbedenklichkeit dann weiter zugelassen. Gegen eine solche Unbedenklichkeit sprächen unmoralische und ungesetzliche Lehren, was wohl aber bei keiner der bisher untersuchten Gemeinschaften der Fall war. Das Anliegen klang vom Ansatz her soweit nachvollziehbar und verständlich. Dann wurde der Justizminister in seiner Auslegung jedoch bedeutend enger: „In dem mitgeteilten Fall erlaubten die auf der unteren Stufe handelnden Polizeibehörden die religiösen Zusammenkünfte aus dem Grund nicht, weil die allgemeine Sicherheit und die öffentliche Ordnung in der Gemeinde Bogacs in letzter Zeit sehr locker geworden ist, und die Behörde durch eventuell staats- und gesellschaftswidrige Zusammenkünfte nicht noch weiter dazu beitragen wollte. Die angeführten Argumente sind auf jeden Fall solche, die der Begriff des Staatsinteresses beinhaltet, und auf Grund deren die Kenntnisnahme der Anmeldung gemäß dem § 31 des Gesetzartikels XLIII von 1895 zu verweigern ist. Weil ich die örtlichen Zustände nicht kenne, kann ich natürlich nicht überprüfen, ob die Angaben in dem Beschluss des Oberstuhlrichters der Wirklichkeit entsprechen, und insofern sie dem entsprechen, ob sie als so schwerwiegend zu betrachten sind, dass sie das verfassungsmäßige Grundrecht der freien Religionsausübung rechtmäßig einschränken. Solche polizeilichen Gesichtspunkte zu erwägen ist in erster Linie die Aufgabe des Herrn ung. kgl. Innenministers.“300 Diese Ausführungen wiederum zeigen, dass Zusammenkünfte abhängig von der allgemeinen lokalen Situation und unabhängig von den Inhalten der Gottesdienste vorsichtshalber untersagt werden konnten. Ließ die allgemeine Sicherheit in einem Gebiet zu wünschen übrig, konnte das dennoch nicht ohne weiteres als Grund dafür gelten, pauschal Gottesdienste abzusagen. Denn der Justizminister macht darauf aufmerksam, dass die Gründe so schwerwiegend sein müssen, dass sie das wichtige Verfassungsrecht aushebelten. 299 Ebenda.

300 Ebenda.

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Damit machte er indirekt auf die Vorrangstellung des Gesetzes zur freien Religionsausübung als Verfassungsrecht aufmerksam – ein Gesichtspunkt, dem von den Behörden bis dahin noch nicht explizit Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Verfassungsgesetze stehen prinzipiell über „einfachen Gesetzen“, weshalb ein einfaches Gesetz die Verfassung normalerweise nicht einschränken kann, noch viel weniger ministeriale Verordnungen, die allerdings rechtsbindend sind, bis sie aufgehoben werden. Gleichzeitig dürfte man sich über Bedeutung und Erhalt der Grundrechte zu dieser Zeit noch nicht umfassend im Klaren gewesen sein. Neben dem positiven Aspekt der Wahrung der Verfassungsrechte, wird auch auf eine zusätzliche Variante, des Eingreifens durch die Behörden aufmerksam gemacht, ohne dass es seitens der Gemeinschaften zu Verstößen kommen musste: Wenn der Zustand der allgemeinen Sicherheit und öffentlichen Ordnung in einem Gebiet zu wünschen übrig ließ, konnten Zusammenkünfte vorsorglich untersagt werden. Offensichtlich war das bereits dann möglich, wenn sich die öffentliche Moral „lockerte“.301 Was man darunter verstand, wird leider nicht genauer erklärt. Auch welchen offiziellen Anspruch man an die öffentliche Moral stellte, bleibt unklar. Allerdings kann man davon ausgehen, dass diese neuen Bewegungen hochmotiviert waren, nach biblischen Richtlinien zu leben, und kaum Grund zum Anstoß in moralischer Hinsicht gegeben haben. Wie aus den Akten hervorgeht, löste dieser Fall wiederum eine interne Diskussion mit im Ministerium signifikanten Aufschluss bezüglich der Genehmigungspflicht für Zusammenkünfte aus. So heißt es in einer Notiz vom 6. Mai 1925: „Gemäß der Ansicht der Abteilung lässt sich die Pflicht für die Anmeldung von Fall zu Fall nicht unbedingt aus § 31 des Gesetzartikels XLIII von 1895 ableiten; es ist nur nötig, den Gottesdienst der Polizeibehörde ‚im Prinzip‘ anzumelden; dies kann sich aber auch auf das ständige Abhalten von Gottesdiensten mit vorheriger Nennung von Ort und Zeit beziehen.“302 Damit wird deutlich, dass man durchaus auch liberaler bei der Genehmigung vorgehen konnte und Gesetze und Verordnungen in der bisherigen Praxis bewusst eng ausgelegt worden waren. Nach dem Erhalt der VO 14.700/1924 des Innenministers wandte sich der Justizminister erneut an den Kultusminister und stellte sich hinter die Bestimmung des Innenministers, gemäß der „alle Sekten“ die Pflicht hatten, ihre Versammlungen anzumelden, und die Behörden diese überwachen sollten. Er befürwortete auch „den Standpunkt des ung. kgl. Innenministers, dass mit Blick auf die Bischöfl. Methodistenkirche eine von den Vorschriften abweichende Entscheidung nicht wünschenswert wäre“. Dennoch schloss er nicht aus, „dass die Methodistensekte – im Hinblick auf ihre Lehren im Geist des Evangeliums und ihrer außenpolitischen Bedeutung wegen ihrer Verbreitung im Ausland – im Verhältnis zu den anderen Kirchen in der Praxis eine würdigere Behandlung erfährt“. Die „würdigere Behandlung“ könne sich in erster Linie darin zeigen, „dass die Polizeibehörden nicht bei jedem Gottesdienst eine vorherige Anmeldung erwarten. § 31 301 Ebenda.

302 Ebenda.

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XLIII/1895 schreibt sowieso nur eine vorherige nicht ständige […] Anmeldung vor. In der Folge besteht kein Hinderungsgrund dafür, dass die Anmeldung für die Dauer einer Reihe von an einem vorherbestimmten Platz und zur gleichen Zeit stattfindenden Gottesdienste gegeben wird und die Behörden die Anmeldung in diesem Sinne zur Kenntnis nehmen.“ Hier folgte er der internen Diskussion im Ministerium, wonach die Anmeldeverfahren vereinfacht werden konnten, was jedoch nicht allgemein gewollt war. Das machte die Verfahrensweise mit den Methodisten zu einer Sonderregelung. Dem Innenminister zufolge sollten sogar „die unteren Behörden angewiesen werden, die Anmeldungen wohlwollend zu bescheiden“. Der Justizminister bestätigte „eine solche Anweisung“ entspräche „auch dem Geist des Gesetzes“, da die Gottesdienste „weder gegen Gesetze, noch gegen Staatsinteressen und die öffentliche Moral verstoßen und daher die Auflagen gemäß § 31 XLIII/ 1895 erfüllen“. Daher wäre es „nicht nur falsch sondern auch unzweckmäßig, die Aufrechterhaltung dieser Auflagen von Fall zu Fall den unteren Behörden zu überlassen und dadurch gegebenenfalls die Entwicklung gegensätzlicher Routinen möglich machen“. Eine weitere Bestätigung, für die bewusst restriktive Auslegung der Gesetze im Falle der anderen Religionsgemeinschaften, deren Ansichten nicht in die Revisionspolitik passten. Mit dieser verordneten Sonderbehandlung verstieß man jedoch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, ius respicit aequitatem, und verfuhr mit den anderen Gemeinschaften auch nicht gemäß dem vom Justizminister zitierten „Geist des Gesetzes“. Ferner legt die Formulierung einer „würdigeren Behandlung“ den Schluss nahe, mit den anderen unwürdig zu verfahren, was genauso wenig im Sinne des Verfassungsgesetzes gewesen sein kann. Und ganz offensichtlich lagen bis zu diesem Zeitpunkt keinen konkreten Handhaben gegen die anderen Gemeinschaften vor. Dennoch betonte der Minister: „Die vertrauliche Anweisung des Innenministers behindert die unteren Behörden natürlich nicht darin, dass in einem solchen Fall, wenn der Verdacht aufkommt, dass Tätigkeiten durchgeführt werden, die gegen Gesetze, die Interessen des Staates und die öffentliche Moral verstoßen, die Anmeldung untersagen bzw. die behördliche Überwachung verschärfen.“ Danach reduzierte er die in § 1a XLIII/1895 und Artikel 55 GA XXXIII/1921 definierte Religionsfreiheit auf die den betreffenden Religionsgemeinschaften angehörenden Personen, da „sich in keinster Weise eine über den Einzelnen stehende rechtliche Gemeinschaften höherer Ordnung entwickeln“ könne. Das hatte allerdings auch zur Folge, dass die Behörden mit der Religionsgemeinschaft an sich nicht in Kontakt treten konnten – da es diese ja offiziell nicht gab –, sondern nur mit einzelnen Personen, die im Auftrag der losen Gemeinschaft der Glaubensanhänger bei den Behörden vorsprachen. Auf die Frage des Kultusministers, der zunächst auf sein Schreiben vom 21. September 1923303 an die katholische Kirche und seine Feststellung verwies, wonach „die amerikanische Bischöfl. Methodistische Kirche ihrer Form nach sowohl in ihrer Dogmatik als auch in ihrer Sittenlehre eine Glaubensgemeinschaft mit einem eindeutig evangelischen Geist ist, und so die behördliche Kontrolle ihrer Tätigkeit in der möglichen Freiheit in303  Az.

111.939/923.

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nerhalb der im Gesetz festgelegten Rahmen zu sichern wäre“304, und dann klären wollte, wie die Bezeichnung der Gemeinschaft entsprechend dem Landesrechtsstatus305 zu lauten hatte, schlug der Justizminister Bezeichnungen unter Berücksichtigung der Wortwahl des GA XLIII/1895 vor: „Bischöfl. Methodistenkirche, gesetzlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaft“ oder vielleicht „Versammlung, die zur Bischöfl. Methodistengemeinschaft gehört“.306 Damit war die methodistische Kirche die erste und einzige Gemeinschaft, die offiziell die Kategorie der nicht anerkannten Religionsgemeinschaften mit Leben füllte. Gleichzeit hebt die Ausführung des Kultusministers mit der Forderung eines „evangelischen Geistes“ eine weitere im Verfassungsgesetz XLIII/1895 nicht genannte Forderung an die Gemeinschaften hervor. Trotz dieser scheinbar positiven Entwicklungen für die methodistische Kirche blieben die Zusammenkünfte auch weiterhin ein Problem. Nachdem etwa der Oberstuhlrichter des Bezirks von Mohács und Pécs das Abhalten von Gottesdiensten in den Gemeinden Borjód und Pogány verboten hatte, wurden seitens der methodistischen Kirche der Superintendent Martin Funk und der Geistliche E. D. Beynon beim Kultusminister vorstellig. Dieser wandte sich seinerseits am 10. Juli 1925 mit Verweis auf die in seinem Schreiben vom 21. September 1923 zum Ausdruck gebrachte Unbedenklichkeitserklärung die Methodisten betreffend an den Innenminister und bat diesen, die Erlaubnis der Gottesdienste via Telegramm anzuweisen.307 Die Probleme rissen jedoch aufgrund der Überwachungs-VO des Innenministers 14.700/1924 nicht ab. Superintendent Martin Funk schaltete daher den Budapester Oberstadthauptmann ein, der sich seinerseits am 16. Juli 1925 an den Innenminister wandte. Funk hatte in seinem Schreiben auf seine Unterredung zusammen mit Bischof Nuelsen im Jahr 1921 mit dem Außen- und Innenminister verwiesen, bei der vereinbart worden war, dass die von der methodistischen Kirche auf dem Land abgehaltenen Zusammenkünfte „lediglich beim Innenminister angemeldet werden und zwar, wenn sie an einem Platz das erste Mal stattfinden; von hier werden die unteren Behörden offiziell informiert“. Funk musste jedoch einräumen, dass diese Vereinbarung nicht schriftlich festgehalten worden war, konnte aber auf ein Schreiben des Außenministers an seine Person vom 5. Mai 1921 (in deutscher Sprache) verweisen. Darin heißt es: „Hochverehrter Herr Superintendent. Mit Bezug auf unsere gestrige Besprechung, beehre ich mich Ihnen mitzuteilen, dass ich heute Vormittag mit dem Herrn Ministerialrat von Tomcsányi die Verabredung getroffen habe, dass es besser wäre, wenn Sie die Abhaltung des Gottesdienstes in Kaposzszekcső nicht beim Oberstuhlrichter in Sásd, sondern, direkt beim Herrn Ministerialrat Tomcsányi anmelden würden, zu diesem Behufe bitte ich Sie, sich zum Herrn Ministerialrat zu begeben, der die en bloc Anmeldung übernehmen und die Behörden entsprechend instruieren wird. Indem 304 

Ebenda, K579 – 1925, Bl. 159. Ebenda, Schreiben des RBM, Az. 18463/925 v. 11.3.1925. 306  Ebenda, K579 – 1924 – 2 Dezember, Bl.  147 – 150. 307  Ebenda, K579 – 1925 – 3 Juli, Bl.  173R. 305 

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ich hoffe, dass diese Regelung ihrer Angelegenheit, welche ja vollkommen ihren Wünschen trägt [sic!], Sie befriedigt, bitte ich Sie hochverehrter Herr Superintendent den Ausdruck meiner Hochachtung entgegennehmen zu wollen. – Rudnay m. p. Kabinettschef des Ministers Aussern.“308 Funk beklagte, dass seit Oktober 1924 dieser Zustand vorbei sei, „da eine Verordnung des Innenministers gegen die Sekten im ganzen Land für Verwirrung gesorgt hat und in der Folge dieser Verordnung des Innenministers unsere Anmeldung nicht mehr akzeptiert, sondern sie einfach an die örtlichen Behörden weitergeleitet wurde, wo – natürlich – unser Anliegen abgelehnt wurde“. Damit stellte er einen direkten Bezug auf die VO des Innenministers und ihre Auswirkung her. In seinem Schreiben berief er sich auf die ungarische Verfassung und stellte fest: „Unserer Meinung nach, und das haben wir auch in jedem Antrag erwähnt, können wir auf Grundlage der verfassungsrechtlichen Gesetze Gottesdienste frei durchführen und unsere Gottesdienste sind nicht mit den Zusammenkünften zu vergleichen, die Beschränkungen der Polizeibehörden unterliegen. Gemäß der ungarischen Verfassung gibt es, was die Abhaltung von Gottesdiensten anbelangt, keine Unterschiede zwischen anerkannten und nichtanerkannten Kirchen, insbesondere nicht mit Blick auf die protestantischen Glaubensgemeinschaften. Insofern unser Standpunkt für das ung. kgl. Innenministerium keine Geltung hat, sehen wir das als eine schwere Gesetzesverletzung an.“309 Der Kultusminister hakte in der Sache der Zusammenkünfte der methodistischen Kirche mehrfach beim Innen- und Justizminister nach.310 Der Innenminister verwahrte sich jedoch gegen eine offizielle Sonderbehandlung der Methodisten, obgleich er zuvor ja bereits seine Zustimmung signalisiert hatte. In seinem Schreiben vom 23. Juli 1925311 an den Justizminister stellte er fest, dass „trotz der unter meinem Vorgänger geführten Verhandlungen mit hiesigen und ausländischen Vertretern der Methodistenkirche wegen der Zulassung der Zusammenkünfte […] ihnen eine wohlwollende Beurteilung der Anmeldung [zugesagt], aber im Verhältnis zu den anderen Sekten eigentlich keinerlei Sonderbehandlung zugesichert wurde“. Mit Bezug auf seine Verordnung 14.700/1924 empfahl er „die Sicherstellung der Überwachung der Sektenbewegungen nach den gleichen Prinzipien“ und hielt daher „die von dem allgemeinem Versammlungsrecht abweichende Behandlung einzelner Sekten, Befreiung von Zulassung und Anmeldung, nicht für wünschenswert“. Und dennoch erklärte er erneut, er sähe „keinen Hinderungsgrund dafür, unter Beachtung der außenpolitischen Bedeutung der Methodistenkirche wegen ihrer Verbreitung im Ausland und wegen der Meinung des ung. kgl. Herrn Kultusminister […], die Verwaltungs- und Polizeibehörden anzuweisen, die Zusammenkunftsanmeldungen der Methodistenkirche wohlwollend zu beurteilen“.312 Also wohlwollende Beurteilung ja, aber keine offizielle Sonderbehandlung, die einforderbar wäre. Im 308 

Ebenda, K579 – 1924 – 2 Dezember, Bl. 157 f.

309 Ebenda.

310 Vgl. Ebenda, K579  – 1925, Bl. 86, ebenda, K579 – 1925 – 3 Juli, Bl. 174, ebenda, K579 – 1925 – 3 Juli, Bl.  177, ebenda, K579 – 1925 – 2 März, Bl.  169. 311  Az. 199.483/1925 VII. 312  Ebenda, K579 – 1924 – 2 Dezember, Bl.  155.

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August 1925313 erklärte dann der Justizminister dem Kultusminister in der Sache der Zusammenkünfte in Bogács, dass die Entscheidung beim Innenminister läge.314 Damit gab sich der Kultusminister nicht zufrieden und meldete sich am 28. November 1925315 erneut und insistierte, er würde es „für wünschenswert erachten, dass die als Bischöfl. Methodistische Kirche bekannte gesetzlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaft im Verhältnis zu den anderen Religionsgemeinschaften wegen ihrer Lehren im Geist des Evangeliums und ihrer außenpolitischen Bedeutung gebührender und wohlwollend zu behandeln“. Es sollten „Vorkehrungen“ getroffen werden, „damit die Polizeibehörden einigerorts – wo es sich als gemäß den Ihr. Exzell. obliegenden Pflichten als machbar erscheint – von dieser gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaft nicht erwarten, ihre abzuhaltenden Gottesdienste einzeln anzumelden“. Er verwies weiter auf die Möglichkeit, dass wenn nötig die unteren Behörden „die behördliche Kontrolle verstärken bzw. die Annahme der Anmeldung der Gottesdienste verweigern“. Im Fall Bogács verwies nun auch er auf die Gewichtung der Verfassungsgesetze, wenn er schrieb, „dass es abzuwägen gilt, ob die in der Entscheidung des Oberstuhlrichters gemachten Angaben so schwerwiegend sind, dass sie die verfassungsrechtlichen Grundgesetze der freie Religionsausübung zu Recht begrenzen“.316 Die Gewichtigkeit der Verfassung maß er damit am „Geist des Evangeliums“ und der außenpolitischen Bedeutung. Der Justizminister wiegelte das jedoch am 10. Dezember 1925 ab; es sei nichts zu unternehmen.317 Am Rande der Verhandlungen zu den Zusammenkünften in Bogács kam es zu einer kleinen Anekdote, während der das Auftreten des Rechtsanwalts der Methodisten Dr. Zoltán Torday als „frech“ angesehen wurde. Dieser hatte geäußert, „der Herr Bezirksoberstuhlrichter hat nicht das Recht, den üblichen Standpunkt des Chinesischen Reiches einzunehmen“, wonach der Innenminister in Budapest etwas befahl, „er aber in Mezőkövesd“, also weit weg, sei. Er könne nicht „mit dem Stab des Oberstuhlrichters Gewissensfragen regeln“. Der Anwalt fügte auch in Bezug auf die „lockeren“ Zustände in Bogács hinzu, dass es nicht Aufgabe der Religionsgemeinschaft sei, „auf die allgemeine Sicherheit zu achten, sondern die des Herrn Oberstuhlrichters, der mit so einer Äußerung über seine eigene Tätigkeit ungewollt Zeugnis ausstellt. Wenn es so ist, wie der Herr Oberstuhlrichter behauptet, dann ist es eine würdigere Aufgabe des Herrn Oberstuhlrichter, die allgemeine Sicherheit und das Polizeiwesen zu verbessern, als die christliche Gottesdienste

313  Az.

494/118. K579 – 1925 – 3 Juli, Bl. 170, 178. Zur Haltung gegenüber der methodistischen Kirche sah er die Bestimmungen von § 31 XLIII als richtungsweisend, wo vorgeschrieben würde, dass Gottesdienste „bei der betreffenden Polizeibehörde im Vorweg anzumelden sind“, wovon seiner Meinung nach auch diese Gemeinschaft nicht ausgenommen werden konnte. 315  Az. 81916/925. 316  Ebenda, K579 – 1925 – 3 Juli, Bl.  175 – 176. 317  Ebenda, Bl. 188. 314  Ebenda,

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der gottesfürchtigen Methodisten zu bekämpfen.“318 Diese Äußerungen des Anwalts offen den Finger in die Wunde legend wurden als despektierlich gegenüber den Behörden angesehen und Disziplinierungsmaßnahmen eingeleitet. Nichtsdestotrotz hatte der Anwalt sehr direkt einige signifikante Punkte angesprochen: Die Frage nach der Beurteilung der Gewissensfreiheit, die dem Einzelnen gebot mit seinen Glaubensbrüdern zusammenzukommen und Gottesdienste abzuhalten. Und die Frage, inwiefern die Unfähigkeit der Behörden für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zu sorgen, auf den Rücken der Religionsfreiheit ausgetragen werden konnte. Zu den von ihm aufgebrachten Vorwürfen nahm man nicht Stellung. Insgesamt zeigt der Umgang mit der methodistischen Kirche die direkte Auswirkung der VO 14.700/1924 bei der Durchführung ihrer Zusammenkünfte. Einem Zeitzeugenbericht des methodistischen Geistlichen und späteren Superintendenten János Szécsey (1893 – 1963) zufolge kam es des Öfteren zu Auflösungen von Zusammenkünften durch die Gendarmen: „Ich selbst habe in Sashalom häufiger Gottesdienste abgehalten. Nachdem wir einige Kirchenlieder gesungen hatten, und ich zu beten begonnen hatte, spürte ich, wie sich von hinten eine schwere Hand auf meine Schultern legte. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass es ein Polizeiwachtmeister war. Mit herablassend, arroganter Stimme fragte er: ‚He Alter, wo ist die Genehmigung?‘ – Und damit war der Gottesdienst zu Ende.“319 b)  Zusammenkünfte der Baptisten Auch im Fall der Baptisten kam es, obwohl sie schon so lange Zeit gesetzlich anerkannt waren immer wieder zu Einschränkungen oder gar Untersagung ihrer Gottesdienste, weil sie diese nicht angemeldet hätten, wodurch sie den gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften gleichgestellt wurden. Offensichtlich konnten oder wollten die Behörden noch immer nicht unterscheiden. Im November 1924 wurde sogar der baptistische Prediger István Stinner zu zwei Monaten Haft und einer hohen Geldstrafe verurteilt, weil Jugendliche unter 18 Jahren an einer Taufzeremonie teilgenommen hatten. Das Urteil wurde dann in zweiter Instanz aufgehoben. Auch 1925 musste vom Innenminister ein erstinstanzliches Urteil gegen elf Baptisten wegen verbotener Zusammenkünfte aufgehoben werden, das wohl im Zusammenhang mit der Überwachungsverordnung 14.700/1924 ergangen war. In seiner Entscheidung stellte er grundsätzlich fest, dass jemand, der an einer Zusammenkunft der Baptisten teilnahm, nicht gesetzwidrig handelte, „da die Zusammenkunft auch dann keiner polizeilichen Genehmigung bedarf, wenn daran gege-

318 

Ebenda, K579 – 1925, Bl. 165, 166. Kulcsár, Árpád: Csendőrpofonok és elmegyógyintézet [Gendarmenohrfeigen und Irrenanstalt]. Hitvallók a Horthy-korszakban. A keresztényüldözések története (36. rész) [Glaubensbekenner in der Horthy-Zeit. Die Geschichte der Christenverfolgung (Teil 36).] In: hetek, [wochen], Nr. XV/40 vom 7.10.2011. http://hetek.hu/hit_es_ertekek/201110/csendorpofonok_es_elmegyogyintezet. (Zugriff am 23.2.2012). 319 

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benenfalls Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften teilnehmen“.320 Ähnlich wie die Behörden stellten auch die Kirchen gesetzlich anerkannte und nicht anerkannte Gemeinschaften immer wieder auf dieselbe Stufe. So wurden zum Beispiel in einem Artikel des „Kálvinista Szemle“ vom 12. September 1925, da von den „Sekten“ die Rede war, die Baptisten mehrfach in einem Atemzug mit den „Methodisten oder den anderen“ genannt.321 Diese Feststellung ist im Zusammenhang mit einem anderen Fall interessant, da bei einer baptistischen Zusammenkunft mehr Nicht-Baptisten anwesend waren als Baptisten. Nachdem der Mezőkövesder Oberstuhlrichter eine Versammlung am 28. Februar 1926 in Szomolya einen Gottesdienst durch Gendarmen behindern ließ, erhob der Kirchenälteste der Budapester Baptisten-Gemeinde Beschwerde beim Innenminister: „An dem erwähnten Tag trieb der Herr Oberstuhlrichter unsere Szomolyaer Gläubigen ohne jegliche Erklärung auseinander. Später, nach Wochen erhielten wir einen Beschluss, wonach der Grund seiner Maßnahme die Überprüfung des Bethauses aus baulicher-polizeilicher Sicht gewesen sei.“322 Der Innenminister forderte den Vizegespan zum Rapport. Dessen Bericht zufolge gab es in Szomolya keinen Baptisten, sondern ungefähr 30 Personen, die die baptistischen Zusammenkünfte besuchten, ohne zu dem Glauben übergetreten zu sein. Der Vizegespan war daher nicht gewillt, eine baptistische Zusammenkunft in einer Gemeinde ohne baptistische Gläubige als baptistischen Gottesdienst zu betrachten, selbst wenn einige baptistische Gläubige aus einer anderen Gemeinde anwesend waren, sondern definierte das lediglich als Missionsvortrag. Der Vizegespan befürchtete eine Mehrung dieser Missionszusammenkünfte, was für die rezipierten Kirchen bedenklich sei und schränkte sie deshalb ein.323 Pikanterweise hatte er diese Begründung der baptistischen Kirche nicht mitgeteilt, sondern sich vielmehr auf bauliche Maßnahmen herausgeredet. Der Justizminister, der vom Kultusminister eingeschaltet worden war, erklärte am 23. Juli 1926 grundsätzlich: „Gemäß dem § 9 Gesetzartikel XLIII von 1895 hat eine nach der Genehmigung des Statuts entstandene Glaubensgemeinschaft als eine unter dem Schutz und der Hauptaufsicht des Staates stehende gesetzlich anerkannte religiöse Körperschaft das Recht, öffentliche, gemeinsame Gottesdienstes frei auszuüben. Da die baptistische Glaubensgemeinschaft gemäß dem Erlass 77.092/1905 K. M. eine gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft ist, darf sie gemäß dem erwähnten Gesetz zweifelsohne gemeinsame öffentliche Gottesdienste abhalten, und weil das Gesetz keine Einschränkung im Hinblick auf den Ort des Abhaltens des Gottesdienstes auflegt, hat die anerkannte Glaubensgemeinschaft auch das Recht, solche Gottesdienste überall im Land abzuhalten. Zweifelsfrei ist auch, dass diese Gottesdienste ge-

Fazekas, Kisegyházak, S. 33 f. Sebestyén, Jenő: Baptistak és reformátusok [Baptisten und Reformierte]. In: Kálvinista Szemle, Nr. 37, 12.9.1925, S. 1. 322  MOL, K579 – 1926, Bl.  207 – 210. 323  Ebenda, Bl. 206, 216, 215. 320  321 

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mäß VO 7.430/1913 I. M. […], besonders gemäß dem Teil A Punkt 9324 und Teil B Absatz 2325 der VO nicht unter die Verwaltungskontrolle fallen, unter die sonst die öffentlichen Versammlungen fallen.“326 Dem Gesetz nach stand einer solchen Zusammenkunft also nichts im Weg, zumal dort auch keine Einschränkung hinsichtlich der Religionszugehörigkeit der Teilnehmer gemacht wurde. Nun war es der Minister, der hier einschränkte: „Ob eine öffentliche Zusammenkunft als Gottesdienst zu betrachten ist, muss natürlich extra geprüft werden. Wenn irgendeine organisierte Gemeinde oder andere kirchliche Körperschaft ihrem genehmigten Statut entsprechend in dem dazu bestimmten Gebäude oder Raum gemäß ihrem Statut und Brauch ihre religiöse Zusammenkünfte organisiert, ist es nicht fraglich, ob diese Zusammenkünfte tatsächlich Gottesdienste sind. Wenn die betreffende religiöse Körperschaft jedoch unter dem Deckmantel eines Gottesdienstes eine Zusammenkunft mit einem anderen Ziel und anderem Thema abhalten würde, was weder unter den Begriff Gottesdienst noch unter eine gemäß dem genehmigten Statut erlaubte andere kirchliche Versammlung fällt, und sie mit der Abhaltung der Zusammenkunft die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen verletzt, hätte die Verwaltungsbehörde die Möglichkeit, gegen die betreffende religiöse Körperschaft entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.“ Interessant ist, dass er eine Differenzierung zwischen religiösen Zusammenkünften und Gottesdiensten vornahm, wo das Gesetz keine vorsah. Dann brachte er eine raffinierte Wendung ins Spiel: „So viel ich weiß, hat die baptistische Glaubensgemeinschaft in Ungarn zur Zeit nur eine Gemeinde, die Budapester Baptisten Gemeinde. Die wenigen, in den verschiedenen Gemeinden des ganzen Landes zerstreut lebenden Gläubigen der Glaubensgemeinschaft sind alle Mitglieder dieser einzigen Gemeinde. Man kann es nicht beanstanden, dass die Budapester Gemeinde manche zu der zentralen Organisation gehörende Mitglieder aufs Land schickt, damit sie mit der Teilnahme der dort wohnenden, ebenfalls zu der Gemeinde gehörenden baptistischen Gläubigen Gottesdienst abhalten können. Gemäß dem in den oben schon erwähnten VO 77.092/1905 K. M. enthaltenen § 25 der baptistischen kirchlichen Organisation besteht der äußere Gottesdienst der baptistischen Glaubensgemeinschaft: aus Gebet, biblischen Stunden und Predigten. Dessen Ordnung bestimmt der Leiter des Gottesdienstes. Wenn also diese im Land abgehaltenen baptistischen Zusammenkünfte sich in diesem Rahmen bewegen, kann man nicht in Frage stellen, dass es sich um Versammlungen handelt, die nicht unter die auf die Versammlungen sonst bestehende Verwaltungskontrolle zu ziehen sind. Ich halte aber den in der Unterbreitung des Vizegespans von den Komitaten Borsod, Gömör und Kishont 324  Dieser Punkt der VO besagt, dass behördliche Veranstaltungen, ihren Statuten entsprechende Sitzungen von Vereinen, deren Statuten den Genehmigungsvermerk erhalten haben, Versammlungen von Handelsgesellschaften nicht den üblichen Anmeldungs- und Überwachungsauflagen unterlägen. MRT. 325  Hier wurde festgelegt, dass volksübliche Feste und Aufzuge (öffentliche Vergnügungen), kirchliche Prozessionen, Wallfahrten, Hochzeiten und Beerdigungen usw., wenn sie auf traditionelle Weise abgehalten werden. 326  MOL, K579 – 1926, Bl. 206, 216, 215.

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dargelegten Standpunkt für richtig, dass in dem Fall, wenn in den Zusammenkünften nicht die zu der baptistischen Glaubensgemeinschaft gehörenden Gläubigen teilnehmen, sondern hauptsächlich zu anderen Glaubensgemeinschaften gehörende, und die baptistische Glaubensgemeinschaft auf den Zusammenkünften höchstens nur von einem Delegierten der Budapester Baptisten Gemeinde und eventuell von ein-zwei aus anderen Gemeinden dahingebrachten baptistischen Gläubigen vertreten wird, kann man diese Zusammenkünfte, selbst wenn sie sonst scheinbar ordnungsgemäß abgelaufen sind, die der Statut der Glaubensgemeinschaft für Gottesdienst festlegt, kaum als Gottesdienst betrachten. Gegenüber solchen Zusammenkünften kann also die Verwaltungsbehörde, falls es aus ernsten Gründen notwendig ist, eine vorherige Anmeldung und Kontrolle des Versammlungsablaufs verlangen.“ Somit schränkte der Minister die Zusammenkunftsfreiheit aus kirchenpolitischen Interessen weiter ein, als das Gesetz vorsah. Unklar blieb, wie viele Angehörige einer Gemeinschaft seiner Meinung nach anwesend sein mussten, damit eine solche Zusammenkunft als Gottesdienst zugelassen wurde. Unklar ist auch, mit welcher rechtlichen Begründung er diese Einschränkung vornahm. Was davon widersprach dem Gesetz, und inwiefern konnte ohne eine solche Möglichkeit des Zusammenkommens garantiert werden, dass jeder seinen Glauben, auch wenn er formal noch einer anderen Kirche angehörte, frei ausüben konnte und bei Übertritt nicht gehindert wurde – gehörte das nicht zur Konversion, zum Übertreten in eine andere Gemeinschaft. Das Gesetz zur Religionsfreiheit von 1895 sah eine solche Einschränkung jedenfalls nicht vor. Hier ging es demnach um die Wahrung der Interessen der historischen Kirchen und der Behörden. Das Thema Missionieren wurde im GA XLIII/1895 nicht explizit angesprochen, aber es kann unter die Bestimmung, dass jeder seinen Glauben frei ausüben darf, subsumiert werden, da das Missionieren einen Teil des christlichen Glaubens darstellt (und das konnten auch die historischen Kirchen nicht leugnen, sonst wären sie selbst nicht existent). Im vorliegenden Fall wurde offensichtlich auch keiner dazu gezwungen, seine Kirche zu verlassen bzw. den Gottesdienst der Baptisten zu besuchen, was auch dem Justizminister klar war, wenn er einschränkend anfügte: „Man muss allerdings berücksichtigen, dass jeder gemäß dem § 1 Gesetzartikel XLIII von 1895 frei irgendeinen Glauben oder Religion bekennen und folgen darf, und ihn innerhalb der Grenzen der Gesetze des Landes und der Erfordernisse der Moral frei ausüben darf. Wenn man also die erwähnten Zusammenkünfte streng genommen auch nicht als einen öffentlichen Gottesdienst der zu der baptistischen Glaubensgemeinschaft gehörenden Gläubigen betrachten könnte, darf man die polizeiliche Aufsicht auch gegenüber dieser Versammlung entsprechend dem Geist des Gesetzes über die freie Religionsausübung nur so ausüben, dass sie das Recht der freien Religionsausübung nicht verletzt. Ich halte es mit den in dem Gesetz über die freie Religionsausübung verankerten Prinzipien unvereinbar, dass dann, wenn die erwähnten Zusammenkünfte weder gegen das Gesetz noch gegen die Moral verstoßen, und sie die Interessen der Staatssicherheit auch nicht gefährden, die Verwaltungsbehörde gegenüber diesen religiösen Zusammenkünften direkt und prompt

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die Mittel des Erlasses anwendet, die die Regeln des Versammlungsrechts erlauben (Verweigerung der Erlaubnis, Verbot, Auflösung usw.).“327 Gründe hierfür konnten wieder nur im Gesetz oder der öffentlichen Ordnung gefunden werden. Artikel 55 GA XXXIII/1921 kam gar nicht zur Sprache. Dann legte der Justizminister die Karten auf den Tisch, wenn er erklärte: „Ich räume ein, dass auch andere, sehr wichtige Gesichtspunkte von allgemeinem Interesse bestehen können, die gegen die erwähnten Versammlungen sprechen, obwohl diese gar nicht gegen das Gesetz, die Moral verstoßen, und auch die Interessen der Staatssicherheit nicht verletzen. So z. B. macht schon der Umstand alleine solche Versammlungen bedenklich, dass der Missionseifer an den Versammlungen, die Gläubigen von anderen Kirchen planmäßig und massenhaft wegzuziehen, dieses planmäßige, öffentliche und massenhafte Missionieren zur Störung des friedlichen Verhältnisses zwischen den Glaubensgemeinschaften, zum Streit zwischen den Einwohnern der einen oder anderen Gemeinde und zum Sinken der religiösen Gefühle führen kann. Die freie Religionsausübung darf sich nicht so ausdehnen, dass dadurch das friedliche Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften gefährdet ist.“ Das war eine klare Ansage und wohl der tatsächliche Grund: Religionsfreiheit hin oder her, der Schutz der historischen Kirchen hatte Priorität. Auch wenn solche Konversionen ein Teil der freien Religionsausübung darstellten, denn woher sollten denn die Gläubigen der anderen, neuen Gemeinschaften kommen, wenn nicht von den bereits bestehenden Kirchen? Dem Minister fehlte fraglos die rechtliche Handhabe, weshalb er offen einräumte: „Meiner Meinung nach können aber solche und ähnliche Bedenken in sich keine entsprechende Grundlage für einen direkten und taktlosen Eingriff der Verwaltungsbehörde bieten, den die baptistische Glaubensgemeinschaft in diesem Fall beklagt. Es ist zweckdienlicher und den in dem Gesetz über freie Religionsausübung festgelegten Prinzipien eher entsprechend im Hinblick auf die anerkannten Glaubensgemeinschaften, wenn die Verwaltungsbehörde sich auf die Beobachtung der Versammlungen und auf Besorgung von Daten beschränkt, aber für das Ergreifen der nötigen Maßnahmen sich an den für die Leitung der Verwaltung des Religionswesens verantwortlichen Religions- und Kultusminister wendet, der – wie ich es schon vorher erwähnte – aus seinem Aufsichtsrecht über die Glaubensgemeinschaften als kirchliche Körperschaften heraus in der Lage ist, durch die Organe der Glaubensgemeinschaft die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, eventuell diese Organe zur Rechenschaft zu ziehen und gegen sie entsprechend vorzugehen.“328 Also sollten zum einen Informationen gesammelt werden, die ein Eingreifen der Behörden möglich machten und zum anderen waren die Organe einzuschalten, die die richtige rechtliche Begründung liefern konnten. Diese Aussage des Ministers war ein Eingeständnis, gegen die Gemeinschaften nichts in der Hand zu haben. In Anbetracht dessen, dass das Strafgesetz von 1878 in § 190 festlegte, dass jeder, der religiöse Zeremonien oder Gottesdienste von anerkannten Religionsge327 Ebenda.

328 Ebenda.

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meinschaften stört bzw. mit Gewalt verhinderte, eine Straftat beging, hätte es den Ministerien ein Anliegen sein müssen, der gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft der Baptisten den friedlichen Ablauf ihrer Gottesdienste zu ermöglichen. Das Strafgesetzbuch gehörte zur ersten Kodifizierung ungarischen Rechts, eine weitere stellte die Zivilprozessordnung von 1911 dar. Unter Horthy stagnierte dieser Prozess aufgrund von Uneinigkeiten. Auch wenn das Strafgesetzbuch von 1878 in der Zwischenkriegszeit zumindest nominell weiter Gültigkeit hatte, war es mehr oder weniger durch das Ordnungsgesetz GA III/1921 abgelöst worden. c)  Zusammenkünfte der STA Über Verbote von Zusammenkünften der STA gibt es zwar schon Berichte aus dem Jahr 1922. 1924 jedoch nahmen die Differenzen zu.329 Mittlerweile gab es um die 40 adventistische Versammlungen und über 1 000 Anhänger. Auf ihrer I. Buda­ pester Konferenz vom 6. bis 9. März 1925 rief man eine neue Organisationseinheit ins Leben, die „Ungarische Union“, bestehend aus dem Verband Mittelungarns mit 24 Versammlungen, und dem Verband Ost-Ungarns mit 19 Versammlungen. 1926 richtete man eine weitere Region, den Verband West-Ungarns, ein, der sich vom mittel-ungarischen Verband abspaltete. Die II. Konferenz der Union vom 15. bis 18. März in Budapest machte deutlich, dass die Gemeinschaft nunmehr über 1 500 Anhänger und über 60 Versammlungen hatte. Die Missionstätigkeit, bei der auch religiöse Publikationen verwandt wurden, verstärkte sich.330 Auch in der Gemeinde Putnok gab es fünf Glaubensanhänger. Ihnen untersagte der Putnoker Oberstuhlrichter das Zusammenkommen, obgleich sie die Zulassung ordnungsgemäß erbeten hatten. Im Urteil von 1925 hieß es, dass es „große Einwände gegen die Tätigkeit der Sekte“ gäbe, da sie ihre Anhänger, „die sie aus der ärmeren Schicht rekrutierten, einen ganzen Tag von der Arbeit abhielten“. Diese Aussage des Gerichts bezieht sich auf den Glaubensgrundsatz der Gemeinschaft, den Samstag heilig zu halten und an diesem Tag nicht zu arbeiten. Doch auch aus Interesse des Gemeinwohls sei ihre Tätigkeit nicht erwünscht, da sie den zumeist besitzlosen und für Missinterpretationen anfälligen Glaubensanhängern „mit ihrer Gleichgültigkeit, gegenüber Nation und Heimat den Internationalismus der Sozialdemokratie und des Kommunismus ins Herz impfen“ würden. Hinzu käme, dass man, weil das Zentrum der Sekte im Ausland sei, davon ausgehen könne, „dass die ganze Aktion vom Ausland finanziert wird und die Gläubigen unter dem Deckmantel der Religion möglicherweise zur Spionage genutzt werden“. Die STA würden auf diese Weise „ihre antinationalen und unpatriotischen Ansichten“ umzusetzen versuchen.331 Die Zeitung „Az Est“ (Der Abend) beschäftigte sich unter der Überschrift „Sind die Adventisten Kommunisten?“ mit dem Geschehen. Man 329  Szigeti, Jenő: A kisebb magyarországi egyházak [Die kleinen ungarischen Kirchen]. In: Lendvai, L. Ferenc (Hrsg.): A magyar protestantizmus [Der ungarische Protestantismus], 1918 – 1948. Budapest 1987, S. 188 – 262, hier S. 210. 330  Szigeti, Szabadegyházak, S. 174. 331  Fazekas, Kisegyházak, S. 34 f.

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berichtete darüber, dass die „Tätigkeit der Sekte aus öffentlichem Interesse nicht gewünscht“ sei, da sie ihren armen und besitzlosen Anhägern „die Sozialdemokratie und den kommunistischen Internationalismus“ vermitteln würde. Unter dem religiösen Deckmantel verbreiteten sie „sich gegen Nation und Heimat richtende Lehren“. Gleichzeitig zitierte die Zeitung auch einen adventistischen Prediger, der feststellte, dass ihre Zusammenkünfte schon sein Monaten von Detektiven überwacht würden. Er widersprach auch den Vorwürfen und erklärte, dass sie mit politischen Bewegungen nichts zu tun hätten und es ihnen nicht um Politik ginge.332 Kurze Zeit später, am 13. Dezember berichtete eine weitere Zeitung mit einem umfassenden Artikel über die Angelegenheit. Der Überschrift „Die Tätigkeit der adventistischen Versammlung wurde unter Polizeiaufsicht gestellt“ folgten einige Schlagzeilen: „Detektive zu den Gottesdiensten geschickt – Ihre Zusammenkünfte müssen sie zuvor bei der Polizei anmelden – In einigen Städten wird Jugendlichen untersagt, bei den Versammlungen zu erscheinen – Theologisches Streitgespräch zwischen dem Oberstuhlrichter von Putnok und dem adventistischen Prediger.“ Das Hervorheben dieser Punkte macht auf deren Ungewöhnlichkeit in den Augen des Berichterstatters aufmerksam. Es wird deutlich wie wenig man erwartete, dass Gottesdienste angemeldet werden mussten und überwacht wurden, dass Jugendliche, daran nicht teilnehmen konnten. Ganz offensichtlich war das nicht überall der Fall und ließ verwundern. Nachdem der Schreiber die schon in „Az Est“ veröffentlichten Vorwürfe wiederholt hatte, ließ er Vertreter der Gemeinschaft zu Wort kommen. Nachdem sie die Vorwürfe erneut von sich gewiesen haben, wussten sie zu berichten, dass in manchen Städten mit den Gottesdiensten liberal umgegangen würde, in anderen wiederum nicht, wo ihnen teilweise das Zusammenkommen komplett untersagt wurde. Das gleiche gilt für die Beteiligung von Jugendlichen, die ihnen in der Gegend von Gyula und Békés von der Polizei vor einem Jahr untersagt wurde.333 Die Berichterstattung der beiden Zeitungen fiel überraschend neutral aus, auch die Bereitschaft, der Gemeinschaft selbst die Möglichkeit zu geben sich zu den Vorwürfen zu äußern überrascht. Gleichzeitig lässt es erkennen, dass die Öffentlichkeit kein Problem mit der Tätigkeit der Gemeinschaften hatte, die öffentliche Ordnung insofern auch nicht gefährdet war. Die Berichte zeigen außerdem, dass der gewährleistete Rahmen von Religionsfreiheit territorial stark variierte. Das bestätigt auch eine Meldung vom Juli aus Miskolc, wonach vier adventistische Zusammenkünfte abgehalten wurden. Es hieß weiter: „Die Versammlungen liefen ohne Ordnungsstörung ab, und ein behördlicher Eingriff war nicht nötig. Eine erwähnenswerte Erscheinung ist, dass die mit großer Propaganda begonnenen adventistischen Versammlungen schon Ende dieses Monats eingestellt wurden, 332  Az Est [Der Abend]: Kommunisták-e az adventisták? [Sind die Adventisten Kommunisten?], v. 4.11.1935, S. 12. 333  Pesti Napló [Pester Tageblatt]: Rendőri felügyelet alá helyezték az ádventista gyülekezet működését [Die Tätigkeit der adventistischen Versammlung wurde unter Polizeiaufsicht gestellt], v. 13.12.1925, S. 42.

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weil deren Zuhörer nach und nach ausblieben, sodass nur noch sechs Zuhörer an der letzten Versammlung teilgenommen haben.“334 Die Szegeder Bezirkspolizei berichtete sogar von einem Fall in Csongrád, da „die Veranstalter zu einer öffentlichen Versammlung der Adventisten trotz des eindeutigen Verbots der Polizeibehörde auch einen unter 18-jährigen Jugendlichen zugelassen hatten. Der Leiter des Csongráder Polizeipräsidiums hat deshalb gegen die Veranstalter und den Besitzer der Räumlichkeit das Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.“335 Diese Vorfälle und ihre unterschiedliche Handhabung zeigen deutlich die Unabgestimmtheit der Institutionen und die subjektive Herangehensweise Einzelner. Der Zusammenhang zwischen verstärkter Aktivität der Behörden und Kirchen wird auch im vorgenannten Fall der Putnoker STA deutlich, deren Angelegenheit durch den Prediger Alajos Zajner am 19. August 1926 vor den Justizminister kam. Wie die Unterlagen zeigen, hatte sich der Putnoker Oberstuhlrichter im Vorweg zur Meinungsbildung an den reformierten Superintendenten gewandt, welcher ihm eine umfangreiche Abhandlung vorlegte. Aus den Unterlagen wird ebenfalls deutlich, dass es nach Aussage des Richters in der Gemeinde Putnok lediglich einen Gläubigen STA gäbe. 334 

MOL, K149 – 651-f-2 – 1925 – 6 – 4771, Bl.  162 – 167. Ebenda. Auch der Vizegespan von Szabolcs versuchte die Zusammenkünfte der STA zu unterbinden und wie die Oberstuhlrichter am 18. August 1925, Stempel-Az.: 23.880, mit Bezug auf das Schreiben des Innenministers erneut an, sie streng zu überwachen und bei Versammlungen und Verbreiten von Presseerzeugnissen wenn nötig, sofort Maßnahmen zu ergreifen, Inhaftierungen vorzunehmen und ausländischer Agitatoren abzuschieben, und danach Meldung zu erstatten. Davon hatte er auch die Polizeibehörden in Kenntnis gesetzt. (MJTA, DOK-562. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 8330, Az. 8824). In der Folge rapportierte der Oberstuhlrichter von Dada am 18. September, er habe die Gendarmen angewiesen, „die Millenisten- und Adventistenbewegungen“ streng zu beobachten und Auffälliges zu melden. Ferner wusste er zu berichten, dass es „1924 Millenisten gegeben“ habe und mehrere Anwohner von Tiszaeszlár aus der Kirche ausgetreten seien und mit bereits erwähntem György Kiss in Kontakt stünden. Daraufhin habe die Gendarmerie ihre Ermittlungen begonnen, Hausdurchsuchungen vorgenommen und verbotene Schriften beschlagnahmt. Die Leiter der Bewegung in Tiszaeszlár seien Miklós und György Soós und hätten 10 bis 12 Anhänger. 15 Personen seien wegen heimlichen Zusammenkünften zu Geldstrafen verurteilt worden, zwei wurden wegen Verbreitens verbotener Schriften mit bis zu drei Tage Haft und einer Geldstrafe bestraft. Danach hätten sich zehn Personen bei ihm gemeldet, die freie Tätigkeit und Versammlungsmöglichkeit erbaten, was er jedoch strengstens untersagt und mit Strafe gedroht habe. (MJTA, DOK-569, MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, IV.B.411, 2988? unleserlich. Az. 53.925). Auch der Polizeichef aus Nyíregyháza bezog sich am 9. November 1925 auf das Schreiben des Vizegespans und berichtete, dass es in Nyíregyháza sieben Adventisten gäbe, die er namentlich aufzählte. Anstelle des Sonntags würden sie den Samstag begehen und die Kinder in eine jüdische Schule schicken, obwohl sie sich selbst als Christen bezeichnen. Die Mitglieder würden 10 Prozent ihres Einkommens an die Organisation abgeben. Prediger kämen ab und an mal. Bisher habe er gegen die Betroffenen nichts unternommen, da es zu keiner Agitation gekommen war. (MJTA, DOK-2312. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 8330, Az. 109/1925, Bl. 38). Am 27. April 1925 meldet der Oberstuhlrichter von Dada dem Innenminister, Komitat Szabolcs die Schrift „Az új korszak“ (Das neue Zeitalter) der Bibelforscher sichergestellt zu haben. (MJTA, DOK-572. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 8330, Az. 1285/925, Bl. 49). 335 

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Der Oberstuhlrichter wiederholte seinen ablehnenden Standpunkt, da „die Lehren der Adventisten gefährlich sind“, weil sie Kirchenämter für unnötig hielten, keine Kirchensteuer zahlten, „von Gütergemeinschaft träumen, die Geistlichen anderer Glaubensgemeinschaften gering schätzen, sich weder für das Vaterland noch für die Nation begeistern, weil für sie das kommende Reich des Messias die Hauptsache ist“. Letzterer Vorwurf überrascht, sollte doch das kommende Reich Gottes oder des Messias auch wichtiges Anliegen der rezipierten Kirchen sein, war also ganz im „Geist des Evangeliums“. Darüber hinaus verwies der Richter erneut auf die ökonomische Komponente der Arbeitsverweigerung an Samstagen und die finanzielle Unterstützung durch das Ausland und wiederholte den Verdacht der Spionage und anderer staatsfeindlicher Tätigkeiten. Der zuständige Vizegespan stellte sich hinter den Beschluss des Oberstuhlrichters und erklärte das Abhaltung von Zusammenkünften für unerwünscht, ihr religiöser Zweck sei nicht erwiesen.336 In ähnlicherweise wurden dem Justizminister durch den Kultusminister am 19. August zwei weitere Fälle vorgetragen. Der eine drehte sich um die Anmeldung von adventistischen Zusammenkünften, von Bibelstunden, „an jedem Montag- und Freitagabend“ Der Eleker Oberstuhlrichter hatte den Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass die Adventisten nicht zu den gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften gehörten, woraufhin die Antragsteller u. a. auf § 1 des GA XLIII/1895 verwiesen. Der Oberstuhlrichter war nach Anhören „des römisch katholischen Ortsgeistlichen“ jedoch erneut ablehnend, mit der Begründung, an den adventistischen Zusammenkünften würden „hauptsächlich zu extremen Richtungen neigende, unzuverlässige und auf dem niedrigsten Bildungsstand stehende verdächtige Elementen der Bevölkerung teilnehmen“, aber auch deshalb, „weil dort die Bibel von Predigern ohne theologische Ausbildung erklärt wird“, und das „eventuell in eine Richtung, die mit für die staats- und gesellschaftliche Ordnung gefährlichen kommunistischen Lehren identisch“ sei. Der Vizegespan bekräftigte den Beschluss des Oberstuhlrichters, obgleich es offensichtlicher Beweise für die Anschuldigungen ermangelte. Durch einen Revisionsantrag wurde die Sache zunächst dem Innenminister und von ihm dem Religions- und Kultusminister vorgelegt, der wiederum den Justizminister einbezog.337 In einem weiteren Fall ging es um die Ablehnung adventistischer Zusammenkünfte in Vecsés. In der Begründung hieß es, „das Recht der Abhaltung eines öffentlichen gemeinsamen Gottesdienstes“ würde „nur den gesetzlich anerkannten und rezipierten religiösen Körperschaften zustehen“. Auffallend ist, dass es auch „in der Gemeinde Vecsés kaum ein paar Gläubigen“ gäbe, aber so meinte man, die religiöse Versammlung könnte „Propaganda-Ziele und -Wirkung“ entfalten, und „den Frieden der rezipierten und gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften stören“.338 Ähnlich in Mezőtúr, wo es angeblich nur drei Gläubige gab, aber bei der Zusammenkunft „gemäß der Feststellung der Polizei ungefähr 15 – 20 Zuhörer zusammenkamen“, „nur aus Neugier“, wie man meinte. Das Abhalten von Gottesdiensten wurde daraufhin 336 

MOL, K579 – 1926, Bl.  196 – 203.

338 

Der Vizegespan des Komitats Pest bestätigte den Beschluss der ersten Instanz.

337 Ebenda.

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untersagt, da diese offensichtlich dem Zweck dienten, die Lehren der Glaubensgemeinschaft Andersgläubigen bekannt zu machen, und von den Gläubigen der rezipierten und anerkannten Glaubensgemeinschaften Anhänger abzuwerben. „Ein solches propagandamäßiges Werben von Anhängern ist aus dem Standpunkt der allgemeinen Ruhe nicht erwünscht, weil es unter den Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften Unruhe schafft, zwischen den Glaubensgemeinschaften den Frieden stört.“ Ferner hielt man den Antragstellern vor, sie hätten „ihre Glaubensregeln, Morallehren, Regeln bezüglich ihrer religiösen Zeremonien dem Religionsund Kultusminister nicht vorgelegt“ und dieser habe somit nicht prüfen können, ob sie gegen Staatsinteressen verstießen.339 Diese Vorkommnisse, die exemplarisch für die Gesamtsituation stehen, zeigen, dass die Behörden sehr individuell und wenig koordiniert vorgingen und in ihren Begründungen Defizite der Kenntnis der Rechtsgrundlage offenbarten, da ihre Entscheidungen oftmals mit der Gesetzgebung nach XLIII/1895, XXXIII/1921 und den Versammlungsgesetzen nicht vereinbar waren. Dennoch zeigt die bunte Argumentation die Einstellung in summa: Die kleinen religiösen Gemeinschaften schienen äußerst suspekt und gefährlich. Gleichzeitig drohten ihr Wachstum die historischen Kirchen zu schwächen. Deswegen war wohl auch die in der Verfassung gesicherte öffentliche Ausübung des Glaubens, worunter auch das öffentliche Predigen oder „Werben von Anhängern“ fiel, nicht zu billigen. Die Verordnung des Innenministers zeigte offenbar Wirkung. Die Reaktion des Justizministers Pál Pesthy auf die ihm vorgetragenen Fälle erscheint teilweise klärend, zugleich aber auch widersprüchlich und in ihrer Argumentation nicht stimmig: In seinem Schreiben vom 6. Dezember 1926 verwies er auf die Einhaltung von § 1 GA XLIII/1895 und kam zu dem klaren Schluss, dass das Gesetz „keinen Unterschied zwischen den Gläubigen der rezipierten, anerkannten und nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften macht, woraus folgt, dass es die freie Religionsausübung für die Anhänger aller Glaubensgemeinschaften ohne Unterschied sichern wollte. Die freie Religionsausübung darf also keinem nur aus dem Grund verwehrt werden, weil seine Religion nicht zu den rezipierten oder anerkannten Religionsgemeinschaften gehört.“ Ohne Frage, man war an die Religionsfreiheit gebunden. Aber er fand die Lücke im Gesetz, wenn er feststellte: „Wenn es aus dem Gesichtspunkt der persönlichen [kursiv v.d.V.] freien Religionsausübung auch keinen Unterschied zwischen den Anhängern der rezipierten, anerkannten und nicht anerkannten Religionsgemeinschaften gibt, gibt es aus dem Gesichtspunkt der öffentlichen [kursiv v.d.V.] Religionsausübung auf gemeinsamen Gottesdiensten oder anderen religiösen Versammlungen oder gemeinsamen religiösen Zeremonien zwischen den drei gesetzlichen Kategorien der Glaubensgemeinschaften schon einen wesentlichen Unterschied.“ Dieser Unterschied zwischen persönlicher und öffentlicher Religionsausübung wird im Gesetz XLIII/1895 jedoch nicht gemacht, das ja jedem zusicherte, seinen Glauben „nach außen hin bekunden“ zu dürfen, also auch öffentlich innerhalb der gesetzlichen Grenzen auszuüben. Auch Artikel 55 GA XXXIII/1921 sah keinerlei derartige Einschränkung 339 Ebenda.

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vor. Dennoch stellte der Justizminister fest: „Der Unterschied entsteht daraus, dass bis die rezipierte und anerkannte Glaubensgemeinschaften eine von der Staatsgewalt anerkannte Körperschaft des öffentlichen Rechts bilden, die durch die Jahrhunderte alte Praxis bestehenden gesetzlichen Regelungen bestimmten Rechte und Verpflichtungen haben, verfügen die nicht anerkannte Glaubensgemeinschaften über keine solche, von der Staatsgewalt anerkannte Organisation des öffentlichen Rechts.“ Er stellte also auf eine jahrhundertealte Praxis ab, die im Gesetz aber nicht als Voraussetzung für die Tätigkeit genannt wurde. In seiner Argumentation schloss der Minister, dass, während für rezipierte und gesetzlich anerkannte Gemeinschaften Sonderregelungen gelten würden, „die gemeinsamen Tätigkeiten der Gläubigen der nicht anerkannten Religionsgemeinschaften, obwohl sie zur Religionsausübung gehören“, den Regeln des öffentlichen Rechts, des Verwaltungsrechts und des Privatrechts unterlägen. Der Ablauf ihrer Zusammenkünfte würde wie bei jeder anderen öffentlichen Versammlung der polizeilichen Aufsicht unterstehen.340 Es mutet fast schon ironisch an, dass er auf dieser Grundlage die Behörden bezüglich der Gottesdienste nachdrücklich anwies, „auf diesem Gebiet mit der größten Vorsicht und Rücksicht vorzugehen“, damit das viel bedeutende Prinzip der freien Religionsausübung aus dem § 1 GA XLIII/1895 nicht verletzt würde, weil das Abhalten von Gottesdiensten zweifellos zur freien Religionsausübung gehöre und den Gemeinschaften zustehe.341 Was er dann feststellte, ist allerdings tatsächlich bemerkenswert, da er erkannte, dass die erstinstanzlichen Behörden bei ihren Entscheidungen unzureichend informiert waren und sich noch dazu an die falsche Quelle gewandt hatten: „Das zu beurteilen [also, ob die Gemeinschaften gesetzesund moralkonform waren] kann man aber nach meiner hochachtungsvollen Meinung nicht den erstinstanzlichen Organen der örtlichen polizeilichen Verwaltung zutrauen, die besonders gegenüber nicht allgemein bekannten Glaubensgemeinschaften kaum über die für die richtige Beurteilung der Frage notwendigen konkreten Kenntnisse verfügen, um richtige Entscheidungen treffen zu können.“ Das zeige sich auch in den noch laufenden Fällen, in denen sie „sich an den Geistlichen der örtlichen katholischen bzw. reformierten Kirche um Aufklärung wenden, von denen sie gemäß der Natur der Sache eine unvoreingenommene Information kaum erhalten können“. Damit stellte er prinzipiell klar, die Behörden sollten sich in ihrer Entscheidung nicht auf die subjektive und parteiische Meinung rezipierter Kirchen stützen – obgleich das bekanntlich auch die Ministerien taten. Gleichzeit verwies er auf das Grundsatzproblem der Unkenntnis und Desinformation im Allgemeinen, wenn er erklärte, dass „die üblichen Quellen“ von denen man „Kenntnisse auch bezüglich der adventistischen Glaubensgemeinschaft schöpfen könnte, sowie der schulische Religions- und Ethikunterricht und die verbreiteten Lexika usw. in diesem Bereich nur sehr eng geschnittene Informationen bieten“. Er beklagte, die adventistischen Glaubensgemeinschaften hätten auch keine ihre Glaubenslehren zusammenfassende Schrift, die aufklärend diene.342 Es scheint, dass er durchaus 340 Ebenda. 341 Ebenda.

342 Ebenda.

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gewillt war, sich aus erster Quelle ein Bild zu machen. Um dem Informationsmangel abzuhelfen, wandte er sich an den Kultusminister und forderte ihn auf, für „die nötige Information in dieser Frage“ zu sorgen und an den Innenminister, um „die nötigen Anweisungen“ bereitzustellen. Dabei sollte man sich an die „Kirchenältesten, Prediger der adventistischen Gläubigen“ wenden und feststellen, „ob man aus staatssicherheitlichen, moralischen und kirchenpolitischen Gründen gegenüber dieser Glaubensgemeinschaft eine streng ablehnende Haltung annehmen müsste, oder ob man für die freie Religionsausübung auch gegenüber den Gläubigen dieser Glaubensgemeinschaft keine stärkere Grenzen aufstellen muss, sondern es für die polizeiliche Verwaltungsbehörden reicht, wenn sie den Standpunkt der Beobachtung und der schonenden Kontrolle annehmen“.343 Diese sehr moderate, ja fast liberale Antwort, weicht von der bisherigen Verfahrensweise und Einschätzung ab und wirft zugleich Licht auf das wohl größte Problem: die allgemeine Uninformiertheit. Dennoch ließ es Raum für Beobachtung und Kontrolle.344 2.  Weitere Versuche zur Koordination der lokalen Behörden in Verbindung mit Zusammenkünften Wie der Justizminister bereits Anfang 1925 erklärt hatte, wurde dem „verfassungsmäßigen Grundrecht der freien Religionsausübung“ gegenüber anderen Belangen Priorität eingeräumt, sodass sie also rechtmäßig nicht ohne Weiteres einzuschränken war.345 Um die Priorität des Verfassungsrechts auszuhebeln müssten demnach gewichtige Gründe ins Feld geführt werden. Wie der folgende Fall belegt, fand der Justizminister eine entsprechende Argumentation. Im Juni 1927 war es in Verbindung mit Zusammenkünften der methodistischen Kirche erneut zu Schwierigkeiten gekommen. Der Oberstuhlrichter des Dadaer Oberbezirks hatte am 23. Juni 1927 den Antrag des Nyíregyházaer methodistischen Geistlichen Jakob Wallrabenstein (1881 – 1965)346 auf Abhalten von Gottesdiensten (bestehend aus Gesang, Gebet und Bibelerklärung) jeden Sonntagnachmittag 14 bis 17 Uhr in der Gemeinde Szabolcs im Haus von József Hornyák abgelehnt, weil die Örtlichkeit den Gesundheitsvorschriften gemäß Lokalaugenschein des Gemeindevorstands 343 Ebenda.

344  Dass das Abhalten von Zusammenkünften nicht nur ein Problem der kleinen religiösen Gemeinschaften war, zeigt ein Bericht des Budapester Oberstadthauptmanns vom 10.8.1925 an den Innenminister in Bezug auf die sozialdemokratische Partei: „Für Arbeiterbzw. politischen Versammlungen bat man in 21 Fällen um Erlaubnis. Davon haben meine Behörden 9 Versammlungen nicht genehmigt.“ Auch ihre Flugschriften ließ der Vizegespan nicht verbreiten. MOL, K149 – 651-f-2 – 1925 – 6 – 4771, Bl.  162 – 167. 345  Vgl. Ebenda, K579 – 1925, Bl. 157, 163, 164, 165, 166, 167 (5633 – 5635). 346  Wallrabenstein war für die methodistische Kirche ab 1922 in Nyíregyháza, ab 1929 in Budapest tätig. Ab 1932 gehörte er nicht mehr der methodistischen Kirche an. Vgl. Am­ thor, Rosina: Gründer des „ungarischen Bethels“. Pfarrer Jakob Wallrabenstein und sein Werk in Budakeszi. www.hog-jarek.de/html/pfarrer__ jakob_wallrabenstein.html (Zugriff am 5.3.2012).

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überhaupt nicht entspräche.347 Der Vizegespan hatte in der Revision den Beschluss des Oberstuhlrichters bestätigt, ihn allerdings um eine weitere – wahrscheinlich die tatsächliche Begründung – ergänzt, nämlich „dass solche hausierenden Gottesdienste zur Störung der friedlichen Ruhe der rezipierten Glaubensgemeinschaften führen“.348 Der Justizminister, dem die Sache vorgelegt wurde, kam in seinem Schreiben an den Kultusminister vom 18. Oktober 1927, also nach der Antragstellung auf gesetzliche Anerkennung durch die methodistische Kirche, bezüglich der verfassungsrechtlich geregelten Religionsfreiheit zu dem bedeutsamen Schluss: „Was die Begründung des Beschlusses des Vizegespans betrifft, dass die hausierenden Gottesdienste zur Störung der friedlichen Ruhe der rezipierten Glaubensgemeinschaften führen, kann das im gegebenen Fall ein richtiger Grund gegenüber der nicht anerkannten Glaubensgemeinschaft für das Verbot zum Abhalten des Gottesdienstes sein, wenn der Missionseifer bei den Versammlungen, die Gläubigen von anderen Kirchen planmäßig und massenhaft wegzuziehen, zur Störung des friedlichen Verhältnisses zwischen den Glaubensgemeinschaften, zum Streit zwischen den Einwohnern der Gemeinde und zum Sinken der religiösen Gefühlen führen würde. Die freie Religionsausübung darf sich nämlich auch nicht so ausdehnen, dass das friedliche Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften dadurch gefährdet ist.“349 Damit hatte er mit dem immer schon wieder aufgebrachten Argument der quantitativen Absicherung der rezipierten Kirchen nunmehr offiziell neue Maßstäbe gesetzt, sie hatte Priorität vor dem „verfassungsmäßigen Grundrecht der freien Religionsausübung“, Glaubensanhänger der Kirchen durften nicht „planmäßig und massenhaft“ abgezogen werden. Ebenso durfte die Religiosität der Bürger nicht sinken, ihre religiösen Gefühle nicht untergraben werden. Bereits die Orientierung in eine andere Religion, denn nichts anderes war mit dem Missionieren verbunden, konnte demnach der Religiosität und dem öffentlichen Frieden abträglich sein. Insofern stellt sich die Frage, was man unter Religionsfreiheit überhaupt noch verstand. Verfassungsmäßig wurde in § 5 grundsätzlich jedem garantiert, innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen aus jedweder Religionsgemeinschaft austreten oder in jedwede Religionsgemeinschaft eintreten zu können. Die Konversion zu einer anderen Gemeinschaft wird natürlich von den Kirchen nicht so hingenommen worden sein und insofern zu Unruhe bzw. „Unfrieden“ in den Gemeinden geführt haben. Zum anderen definierte hier der Minister die Ruhestörung nicht weiter, was wiederum eine sehr subjektive Betrachtungsweise erlaubte. Zudem blieb offen, ob man es auch als Störung der Ruhe oder der friedlichen Verhältnisse durch den Missionierenden ansah, wenn nicht er, sondern der andersgläubige Rezipient der Auslöser dafür war oder gar die rezipierten Kirchen, die sich dagegen wehrten, ihre Mitglieder zu verlieren. Rechnete man dann die dissonante Reaktion des Einzelnen oder der Kirche selbst dem friedlich Missionierenden als Ruhestörung an? Hinzu kommt, dass man mit dem Sinken religiöser Gefühle zu347  Das 4,60 m lange, 4 m breite, 2 m hohe Zimmer ohne Fußboden sei nicht dafür geeignet, zumal der Hausbesitzer selbst eine fünfköpfige Familie habe. 348  MOL, K579 – 1927, Bl.  220 – 223. 349 Ebenda.

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gleich eine kommunistische, atheistische Orientierung verband, worin sich wieder die Befürchtung der Verbindung kleiner religiöser Gemeinschaften mit kommunistischen Ansichten offenbarte. In jedem Fall wird deutlich, die Grundstimmung gegenüber den kleinen Gemeinschaften wurde zunehmend negativer. Andererseits kam es durch die Ministerien, insbesondere dem Justizminister, auch zur Korrektur völlig haltloser Vorwürfe. So im Fall der Anmeldung adventistischer Zusammenkünfte in der Gemeinde Földeák. Deren Antrag wurde vom zuständigen Oberstuhlrichter abgelehnt, welcher anwies, den „Antragsteller und seine Glaubensgenossen unter dauernder Überwachung“ zu halten und die Zusammenkünfte zu verhindern. Seinen Beschluss begründete er damit, dass die adventistische Glaubensgemeinschaft nicht zu den rezipierten und gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften gehöre, ferner zerstörten „die Bemühungen um die Weihung des Samstags als Feiertag“ das einheitliche Glaubensleben, forderten zum Müßiggang auf. Auch sei die adventistische Zeremonie nirgendwo im Gesetz erlaubt, zumindest nicht bei öffentlichen Zusammenkünften. Interessant auch die Billigung des Beschlusses durch den Vizegespan, der eine „prinzipielle Zulassung der adventistischen Versammlungen“ ablehnte, da sonst die dauernde Überwachung und polizeiliche Aufsicht nicht gewährleistet werden könnte. Ferner verfüge der Leiter nicht über genügend Intelligenz und die nötige Zuverlässigkeit, und biete somit keine Sicherheit, ohne Überwachung in den Versammlungen Reden, Belehrung und Bibelerklärungen zu geben, die nicht gegen die staatliche Ordnung, die Landesgesetze und die öffentliche Moral verstießen. In seinem Schreiben an den Justizminister vom 27. Februar 1928 befand der Kultusminister die Begründung für „nicht völlig zutreffend“. Darin sei „kein Platz für Bemerkungen, die die adventistische Glaubensgemeinschaft verletzen, dass die adventistische Glaubensgemeinschaft zum Müßiggang auffordert. Falsch ist auch der zweite Absatz der Begründung, wonach die adventistischen Zeremonien nirgendwo im Gesetz erlaubt würden, diese Tätigkeit also gegen ein Gesetz verstoße.“350 Interessant liberal wurde auch mit dem Antrag der Angehörigen der Kiskundorozsmaer adventistischen Glaubensgemeinschaft wegen eines Wohnungsscheins zum Bethaus von oberster Instanz verfahren. Aus dem Schriftverkehr zwischen Oberstuhlrichter und Vizegespan ging hervor, dass sich die Kiskundorozsmaer Adventisten bis jetzt noch nicht so verhalten hätten, „dass man gegen sie gemäß dem Erlass des Innenministers Nr. 14.700/1924 vorgehen müsste; die ausschließlich katholische Bevölkerung der Gemeinde empfindet aber die Anwesenheit der Adventisten als befremdend“. Daher hatte sich der Vizegespan an den Innenminister gewandt, der wiederum den Kultusminister um Stellungnahme bat, welcher sich seinerseits an den Justizminister wandte. Dieser ging mit keinem Wort auf die Befremdung der katholischen Bevölkerung ein, sondern verwies auf den Erlass des Ministerpräsidenten 2.830/1926 M. P. hin, wonach mit 1. Mai 1926 „bezüglich der Miete und der Benutzung der Wohnungen und andere Räume in den Gemeinden die Regelungen des Privatrechts (Wohnungsmietvorschriften, Ortsgebrauch) 350 

Ebenda, K 579 – 1927 – 4 Dezember, Bl.  234 – 237.

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angewendet“ würden, weshalb „der Antrag der Kiskundorozsmaer Adventisten auf die Zuweisung des Raumes zum Bethaus an den Bezirksoberstuhlrichter als Wohnungswesen Behörde hinfällig“ sei, ein solcher Antrag nicht gestellt werden müsste.351 In Verbindung mit einer Schulung adventistischer Geistlicher hielt der Prediger Alajos Czeiner im Sommer 1926 außer samstags und sonntags „wochenlang einen Kurs“ mit „13 adventistischen Gläubigen in Gyula ab“. Daraufhin verurteilte das Gyulaer Präsidium der ung. kngl. Staatspolizei als polizeiliches Strafgericht Alajos Czeiner wegen Verstoßes gegen die VO 6.000/1922 I. M. als Ersatz von 10 Tagen Haft zu 1 000 000 Kronen Geldstrafe als Hauptstrafe und 200 000 Kronen Nebenstrafe. Die Teilnehmer des Kurses wurden freigesprochen. Als die Sache durch Revision zum Innenminister gelangte, wandte er sich erneut an den Kultusminister, der wiederum das Justizministerium einschaltete.352 Das Justizministerium korrigierte zunächst die Rechtsgrundlage: Anstelle der VO 6.000/1922, die Bestimmungen für politische und andere Volksversammlungen enthielt, handele sich „das Unterlassen der Anmeldung in diesem Fall um ein im § 3 der VO 5.481/1914 M. P. festgelegtes Vergehen“, da die genannten Zusammenkünfte nicht unter den Begriff der Volksversammlungen oder ähnlicher Versammlungen zu zählen seien und wären „auf Grund des § 10 des Gesetzartikels LXIII von 1912 zu strafen“, wonach jede „Versammlung (auch kirchliche Versammlung) außer den Versammlungen der Verwaltungsbehörden nur mit der vorherigen Genehmigung der Polizeibehörde abgehalten werden“ dürfe. Darunter falle auch „jede Zusammenkunft und Versammlung in Privaträumen“. Es mache „keinen Unterschied, dass sie die Teilnehmer aus einem geschlosseneren Kreis zu der Zusammenkunft eingeladen haben“, weil jegliche Zusammenkünfte der Vereinigung unter vorherige Genehmigung der Polizeibehörde fallen.353 Es mache auch „keinen Unterschied, dass die Zusammenkunft zum Religionsunterricht diente“, sie hätte angemeldet werden müssen. Gleichzeitig fügte man dann ungewöhnlich liberal und großzügig hinzu, dass man in Verbindung mit diesen religiösen Zusammenkünften die Polizeiverwaltung und die Einschränkungen des Versammlungsrechts und die Verstöße gegen diese Bestimmungen mit gewisser Umsicht und Rücksicht behandeln müsste. Auch in dem betreffenden Fall, in dem sich keine böse Absicht, besonders eine Absicht gegen die Staatssicherheit und die öffentliche Ordnung zeigte, sollte man möglichst milde Strafen verhängen.354 Sehr aufschlussreich hinsichtlich Fehlbeurteilung von Gemeinschaften ist der Fall der „Brüderversammlung“ (Testvérgyülekezet)355 – eine offene protestantische Vereinigung, deren Mitglieder irgendeiner Kirche angehören konnten, die 351 

Ebenda, K579 – 1926, Bl.  191 – 193. Ebenda, K579 – 1927, Bl.  226 – 229. 353  Gemäß VO 6.622/1920M.E. (MRT Band Jahr 1920, Bl. 391) in Verbindung mit der VO 5.481/1914. 354  MOL, K579 – 1927, Bl. 226 – 229. Schreiben vom 24. Mai 1928, Az. 58395. 355  Oder „Keresztyén Testvérgyülekezet“ (Christliche Brüderversammlung). 352 

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Gemeinschaft funktioniert ohne Priester, ihre Ansichten ähneln denen der protestantischen Kirche356 – gegen Mihály Mocsáns und Genossen, in Zalalövő, deren Anmeldung von Zusammenkünften im Frühjahr 1927 vom Oberstuhlrichter abgelehnt wurde, da sie adventistische Schriften verbreiten würden und „Jünger für die Adventisten, Bibelstudenten, Anabaptisten und unter anderen Namen formierende gesetzlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaften machen“.357 Abgesehen davon, dass der Richter hier verschiedene Gemeinschaften wohl ob seiner Unkenntnis undifferenziert zusammenwarf und nicht erkannte, dass es sich bei der Brüderversammlung um eine eigenständige Gemeinschaft handelte, und es auch wohl kaum logisch war, dass eine Gemeinschaft für verschiedene Gemeinschaften mit unterschiedlichen Glaubensansichten Anhänger werbe, verweigerte er die Genehmigung auch mit der Begründung, „dass die Bittsteller Adventisten seien, die nur zur Irreführung der Behörden den wohlklingenden Namen ‚Brüderversammlung‘ angenommen“ hätten. Seine Entscheidung wurde vom Vizegespan von Zala bestätigt.358 Die Sache kam auf den Tisch des Justizminister Pesthy, der sich in seiner Stellungnahme gegenüber dem Kultusminister vom 8. Juni 1928 auf seine früheren Auskünfte bezog und lediglich einen Punkt hervorhob, nämlich „dass die Kenntnisnahme der Anmeldung der Gottesdienste nicht einfach abgelehnt werden kann, weil die unter den Namen ‚Brüderversammlung‘ gemeldete religiöse Gemeinschaft eigentlich nichts anderes ist als eine zur adventistischen Religionsgemeinschaft gehörende Versammlung. Auch wenn das zutreffend ist, gibt die Sache an sich keine gesetzliche Grundlage dafür, die Anmeldung der Gottesdienste abzulehnen.“ Seiner Meinung nach sollten die Verwaltungsbehörden „die unter den Namen ‚Brüderversammlung‘ organisierte Religionsgemeinschaft dazu aufrufen“, „ihre Glaubensgrundsätze, Organisation, religiöse Zugehörigkeit, die Verbindung zu anderen Glaubensgemeinschaften darzulegen“ und den Kultusminister zu informieren.359 Damit gab der Justizminister dem Kultusminister bzw. den unteren Behörden den weiteren Verfahrensweg vor, was jedoch offensichtlich nicht sofort entsprechend umgesetzt wurde. Das zeigt sich in einem Folgeschreiben des Kultusministers an das Justizministerium, eingegangen im Januar 1930, das sich nicht um die Glaubensgrundsätze und die Organisation der Gemeinschaft drehte, sondern vielmehr feststellte: „Mihály Mocsáns Auftreten ist nicht nur religiös, sondern wirkt in Irsa und Zalalövő gesellschaftlichen Unfrieden stiftend, wo er Aufruhr unter den Bewohnern verursacht und sie in zwei Lager teilt. Würden seine Gottesdienste von den Behörden genehmigt, führte das bei 90% der katholischen Glaubensangehörigen zu großer Unzufriedenheit. Es konnte allerdings nicht festgestellt werden, was der Inhalt ihrer Gottesdienste ist, da die fanatischen Glau-

356 Vgl. Broadbent, Edmund Hamer: Zarándok Gyülekezet. Evangéliumi Iratmisszió. Az Újszövetségi gyülekezetek történelmi vándorútja. [Pilgerversammlung. Der historische Wanderweg der Versammlung des Neuen Testaments.] Ohne Ortsangabe 1963. 357  MOL, K579 – 1930, Bl.  259 – 264. 358  Ebenda, K579 – 1927 – 3 Oktober, Bl.  257. 359  Ebenda, Bl.  257 – 259.

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bensanhänger das nicht verraten.“360 Ganz offensichtlich war ein konkreter Grund für die Unzufriedenheit nicht benennbar, eine kriminelle oder ordnungsstörende Tätigkeit scheint nicht nachweisbar gewesen zu sein. Lediglich die Auswirkung der Tätigkeit der Gemeinschaft, die Unzufriedenheit der katholischen Bevölkerung, was aber ebenfalls nicht weiter hinterfragt wurde. Bei der internen Beurteilung des Sachverhalts stellte man fest, dass im Beschluss des Oberstuhlrichters erwähnt worden war, dass in letzter Zeit eine unter der „internationalen Vereinigung der Bibelstudenten“ und ähnlichen Namen aktive „Sekte“ im ganzen Land propagativ tätig sei und „solche Schriften verbreitet, in denen mittels verdrehter Bibeltexte die Revolution vor dem Volk gerechtfertigt werden soll und diese Schriften sind in der Lage, die weniger intelligenten Volksschichten in Bezug auf ihre kirchlichen und weltlichen Führer zu verunsichern und den Militärdienst verweigern“. War in der Unzufriedenheit unter der katholischen Bevölkerung vielleicht gar nicht wirklich der Hauptgrund für die Verweigerung zu suchen, sondern vielmehr in der Angst vor undefinierbaren revolutionären Einflüssen auf die Bevölkerung und wie so oft vor der ablehnenden Einstellung zum Militärdienst? In jedem Fall konnte noch immer nicht genau bestimmt werden, um welche Gemeinschaft es sich handelte. Mihály Mocsán und andere hatten jedoch ihrerseits Einspruch eingelegt, und sich gegen die Feststellung verwehrt, sie seien Adventisten. In ihrer Stellungnahme wird vielmehr ihre pro-nationale Einstellung deutlich, wenn sie erklärten: „Die Überlegenheit des unterdrückten Ungarntums und das höhere moralische Niveau könne damit belegt werden, wenn die Freiheitsrechte im kultivierten Westen gemeinkundig werden, besonders die Rechte in Bezug auf Gewissens- und Glaubensleben in Ehren gehalten werden. Das Ziel ihrer Gottesdienste sei es: ihr Herz auf die Erforschung des Willens Gottes zu richten und die Erfüllung der Sehnsucht zur Erreichung des Heils und die Ausführung des Willens Gottes.“ In Bezug auf ihre Gottesdienste erklärten sie, dass sehr ernsthafte, in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben angesehene Gläubige wie Dr. Ferenc Kiss, privater Hochschullehrer, Dr. Gusztáv Schimert, Oberarzt des Elisabethkrankenhauses, Dr. Tibor Csepeli, Krankenhausarzt und andere zu den Antragstellern gehörten. Außerdem fügten sie die Arbeit von Ferenc Kiss „Die Bedeutung ungarischer Gesetze der Religionsfreiheit im Leben des kirchlichen und Versammlung Christentum und des Staates“ an, was den Charakter ihrer religiösen Bewegung aufzeigen sollte. Der nunmehrige Justizminister Tibor Zsitvay stellte sich auf den Standpunkt seines Vorgängers und mahnte in seinem Schreiben vom 8. April 1930 beim Kultusminister dessen Stellungnahme an und die „Glaubensgrundsätze, Organisation, die Zugehörigkeit aus geistlicher Sicht und das Verhältnis zu anderen Glaubensgemeinschaften zu beleuchten“.361 Eine Gemeinde, die die Lehren der Pfingstgemeinde vertrat, hatte sich an den Dombovárer Bezirksoberstuhlrichter gewandt, in der Wohnung von János Both jeden Sonntagvormittag, -nachmittag und -abend, und jeden Mittwoch- und Sams360 

Ebenda, K579 – 1930, Bl.  259 – 264.

361 Ebenda.

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tagabend „staatlich anerkannte konfessionslose freie christliche Versammlungsgottesdienste“ abhalten zu wollen. Der Oberstuhlrichter leitete eine Ermittlung ein, um festzustellen, ob „sich hinter der Anmeldung nicht eine kommunistische Zusammenkunft verbirgt“, und ob sie, insofern sie religiöser Natur sei, „im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und den Frieden das Verleihen der Konzession unbedenklich“ sei. Dabei überprüfte man auch Glaubensangehörige und berichtete über János Both und János Dechert sie seien zuverlässige Menschen mit tadellosem Benehmen. Jakab Fuchsberger hingegen sei eine „politisch unzuverlässige, kommunistisch orientierte Person“, die „unter Beobachtung und Kontrolle“ zu halten sei. Ein Gendarmerieposten der Gemeinde Kurd berichtete, dass die Zusammenkünfte „eindeutig von religiöser Natur sind“. Trotzdem hielt er „die Genehmigung weiterer Zusammenkünfte für gefährlich und bedenklich, weil auch bisher schon nur der Respekt vor dem Gesetz die vernünftiger denkende Bevölkerung zurückhält, die Person oder das Vermögen von Both anzugreifen“. Außerdem sei in Anbetracht dessen, dass die Bevölkerung der Gemeinde Kurd wegen ihrer zwei Muttersprachen362 nicht in einer einwandfreien Harmonie lebe, wäre die Genehmigung zum Schaden des Friedens und der allgemeinen Sicherheit. Der Dombovárer Bezirksoberstuhlrichter lehnte daraufhin am 22. Juli 1927363 die erbetene Genehmigung ab, „weil er auf Grund der durchgeführten Ermittlung festgestellt hat, dass einer der Teilnehmer im Hinblick auf die allgemeine Sicherheit unzuverlässig ist, es somit keine Garantie gäbe, dass sie unter dem Deckmantel von religiösen Zusammenkünften nicht staatsfeindliche Besprechungen abhalten“. Der Vizegespan des Komitats Tolna bestätigte mit den Beschluss am 10. Oktober 1927364, weil „gemäß der durchgeführten Ermittlung tatsächlich auch solche Elemente an der Versammlung teilnehmen, deren Teilnahme gründlichen Verdacht liefert, dass in den Zusammenkünften nicht nur religiöse, sondern auch andere, gegen das Gesetz verstoßende Sachen behandelt werden“. Im Endeffekt wurden also die Zusammenkünfte wegen der vermeintlichen Unzuverlässigkeit einer Person untersagt, obwohl man sicher die Zusammenkünfte hätte überwachen oder dieser Person die Teilnahme daran hätte untersagen können. Der Justizminister, dem die Akten über Innenminister und Kultusminister365 vorgelegt wurden, erklärte am 20. Juni 1928 gegenüber letzterem: Es könnte nicht festgestellt werden, „ob die Lehren, Zeremonien der vorliegenden Sekte staats- oder volksfeindlich sind, gegen die bestehende Ge362  Unter den Türken war die Bevölkerung des Ortes vertrieben worden, später hatten sich Serben und Slowaken dort niedergelassen. 1765 ließen sich deutsche Siedler in Kurd nieder. 363  Beschluss Az. 3732/1927. 364  Beschluss Az. 16.754/1927. 365  Der Kultusminister hatte sich zuvor mit der Budapester Baptistengemeinde in Verbindung gesetzt, da diese bei János Both eine Zeit „lang baptistische Gottesdienste abgehalten haben“ und erfuhr dass es zurzeit keine baptistischen Gottesdienste gäbe, weil die Kurder Gemeinde sich mit den „Pfingstlehren eingerichtet haben“, die denen der baptistischen Glaubensregeln nicht gleichen, „sodass die Baptistengemeinde jetzt in Kurd keine Gottesdienste abhalten kann, bis die Glaubensregeln von Both und co. den baptistischen Glaubensregeln nicht angepasst sind“.

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setze oder die Moral verstoßen und schließlich, ob sie für irgendeine rezipierte oder anerkannte Glaubensgemeinschaft beleidigend“ seien. „Damit das erhabene Prinzip der freien Religionsausübung gemäß § 1 Gesetzartikel XLIII von 1895 nicht verletzt wird“, der Kultusminister „die vorliegende sektiererische Gesellschaft auffordern, ihre Glaubensregel, Morallehren, Gottesdienste und andere religiöse Zeremonien und ihre Organisation detailliert darzulegen“ und danach entscheiden, ob die religiöse Versammlung verhindert werden müsse. Dann verwies er nochmals auf seinen bereits erwähnten Standpunkt hinsichtlich der Religiosität und den Schutz der rezipierten Kirchen, wenn er betonte, dass er „im Hinblick auf das Pflegen religiöser Gefühle und auf das Aufrechterhalten kirchlicher Institutionen die sektiererischen Bewegungen für schädlich halte, die die zu den einfacheren Volksklassen Gehörende von den rezipierten und anerkannten Glaubensgemeinschaften wegziehend, unter die Leitung von Predigern lenken, die im Hinblick auf Bildung und Zuverlässigkeit nicht immer unbedenklich sind.“366 Tiefer blicken lässt eine offensichtlich verworfene, da gestrichene Version seines Schreibens, in der es heißt: „In den Akten gibt es keine Angaben dafür, dass die Glaubensregeln, die Morallehren, die Gottesdienste oder die religiösen Zeremonien der Antragstellenden Staats- oder volksfeindlich sind, gegen die bestehenden Gesetze oder die Moral verstoßen und auf irgendwelche rezipierte oder anerkannte Glaubensgemeinschaft beleidigend sind. Gemäß dem Bericht des Gendarmerieposten sind die seit einem Jahr beobachteten Zusammenkünfte eindeutig von religiöser Natur, und auch die anderen Teilnehmer waren in moralischer oder anderer Hinsicht unbeanstandet. Es stimmt zwar, dass der Kommandant des Gendarmeriepostens auch das berichtet, dass die Genehmigung der Gottesdienste den Frieden der Gemeinde stören würde, weil nur der Respekt vor dem Gesetz die vernünftiger denkende Bevölkerung zurückhält, die Person oder das Vermögen von János Both anzugreifen, aber es gibt im Bericht keine Angabe dazu, dass das Verhalten der Antragstellenden dieses Verhalten der anderen Einwohner der Gemeinde begründen oder herausfordern würde. Auf dieses Teil des Berichts des Gendarmeriepostens stützen sich im Übrigen auch nicht die Beschlüsse der erstinstanzlichen Verwaltungsbehörden. Es ist schließlich der weisen Einsicht Eurer Exzellenz überlassen, zu beurteilen, ob der Teilnahme von einer einzigen, im Hinblick auf die allgemeine Sicherheit unzuverlässigen Person an den, unter die polizeiliche Aufsicht fallenden religiösen Zusammenkünften es begründet, die Kenntnisnahme der angemeldeten Zusammenkünften mit Bezugnahme auf die Gefährdung der allgemeinen Sicherheit zu verweigern, wenn sich die seit langer Zeit beobachteten Zusammenkünfte ausschließlich von religiöser Natur erwiesen haben. Meiner Ansicht nach hätte die vermehrte Vorsicht und Rücksichtnahme, die sich die polizeiliche Verwaltung in ähnlichen Fällen vor Augen halten muss, damit das erhabene Prinzip der freien Religionsausübung gemäß § 1 des Gesetzartikels XLIII von 1895 nicht verletzt wird, es erwünscht, dass die erstinstanzlichen Verwaltungsbehörden den Teilnehmer der Gottesdienste benennen, dessen Zuverlässigkeit im Hinblick auf die allgemeine Sicherheit be366 

Ebenda, K579 – 1928 – 3 Mai, Bl.  245 – 250.

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denklich ist, und so den Antragstellern die Möglichkeit einräumen, entweder die Zuverlässigkeit des Betreffenden mit der nötigen Gründlichkeit zu beweisen oder einen Antrag auf die Genehmigung von Gottesdiensten ohne die Teilnahme des beanstandeten Gläubigen zu unterbreiten; die Verwaltungsbehörden hätten sogar eventuell die Genehmigung der Zusammenkünfte mit der Voraussetzung verknüpfen können, dass der im Hinblick auf die allgemeine Sicherheit beanstandete Gläubige daran nicht teilnimmt. Ich würde es für am richtigsten halten, wenn Eure Exzellenz mit der Änderung des angefochtenen zweitinstanzlichen Beschlusses mit der jetzt erwähnten Voraussetzung die angemeldeten Zusammenkünfte zur Kenntnis nehmen würden.“367 Damit bewies der Justizminister erneut, dass ihm die Priorität des „verfassungsrechtlichen Grundgesetzes“ durchaus bewusst war und er eigentlich für dessen Durchsetzung hätte sorgen müssen. So aber überließ er die Entscheidung dem Kultusminister. Eine ebenfalls recht liberale Haltung offenbart ein kurzer Artikel in einem Blatt der Gendarmerie von 1928. Unter der Rubrik „Nachrichten“ wird erklärt, dass die Religion der Nazarener weder zu den rezipierten noch zu den anerkannten Konfessionen gehört. „Gemäß GA 43/1895 gibt es in unserer Heimat jedoch völlige Religionsfreiheit, das heißt jeder kann seinen Gott nach seinem Geschmack anbeten, aber die Gottesdienste der gesetzlich nicht anerkannten Konfessionen (Sekten) fallen unter das allgemeine Versammlungsrecht, was bedeutet, dass ihre Gottesdienste […] von den […] Behörden zu genehmigen sind und unter ihrer Kontrolle abgehalten werden können. Von den Nazarenern ist bekannt, dass sie den Waffendienst verbieten und daher ihre Versammlungen aus Gesichtspunkten der Staatssicherheit zu überwachen sind. Gegen den Bau eines Gebetshauses ist bei Vorlage einer polizeilichen Genehmigung nichts einzuwenden, da nicht das Bethaus an sich zu beobachten ist [das Problem darstellt], sondern das Abhalten ihrer Versammlungen darauf zu prüfen ist, ob es sich auf rein religiösen Kult beschränkt.“368 Neben den Methodisten, Nazarenern, Adventisten und Bibelforschern waren, wie die Beispiele zeigen, auch andere Gruppierungen von den Maßnahmen der Behörden betroffen – so die Pfingstgemeinde, die etwa in der Mitte der 1920er-Jahre in Ungarn entstanden und wohl über 300 Mitglieder zählte, und die Brüderversammlung, die 1919 in Budapest ihren Anfang nahm und der der Medizinprofessor Ferenc Kiss angehörte, der maßgeblichen Einfluss auf die Gemeinschaft nahm369. Immer wieder zeigt sich die eklatante Unkenntnis der Behörden, die ein korrektes Umgehen mit Verfassungsgesetzen unmöglich macht. Es darf bezweifelt werden, dass die unteren Behörden über die Bedeutung des GA XLIII/1895 umfassend informiert waren. Andererseits fiel es auch den leitenden Ministerien noch immer schwer, rechtlich begründbare Entscheidungen zu treffen. Da sich die Ministerien in der Einordnung des Tätigkeitsfeldes der Gemeinschaften selbst noch uneins 367 Ebenda.

368  „Csendőrségi Lapok“ [Gendarmerie-Blätter] v. 20.2.1928, Nr.  6, Jg.  18, Budapest, S. 166. 369  Szigeti, Szabadegyházak, S. 180.

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waren und immer wieder Unkenntnis über die Gruppierungen und ihre Lehren offenbarten, musste auch eine Koordination der unteren Behörden ins Leere laufen. Dennoch ist festzustellen, dass sich aus der anfänglich ambivalenten Haltung zum Gesetze der Religionsfreiheit und den Gemeinschaften gegenüber zunehmend eine Abwehrhaltung entwickelt hatte. Dennoch: Die Tätigkeit der kleinen religiösen Gemeinschaften ließ sich nicht so leicht einschränken. 3. Presseerzeugnisse Die Angst vor dem Einfluss ausländischen Gedankenguts durch Presseerzeugnisse hatte sich schon in der Verordnung 60.002/1923 manifestiert, in der die Behörden zum Vorgehen gegen Flugschriften aufgefordert wurden, die „die Seele und das nationale Gefühl“ schädlich beeinflussten und die „unter dem Deckmantel der Religion“ verbreitet würden,370 weshalb der Innenminister in der VO 14.700/1924 speziell diese Problematik erwähnt und ermahnt hatte, für eine strenge Umsetzung der Presse-VO zu sorgen. Offensichtlich kamen die Behörden dieser Anweisung nunmehr bereitwilliger, wenngleich noch immer unkoordiniert nach, was nachfolgende Beispiele zeigen: Als besonders aktiv bei der Verbreitung von Presseerzeugnissen erwiesen sich die Bibelforscher, deren Druckerei in Siebenbürgen lag, in Cluj-Napoca, in der Regina-Maria-Straße 36,371 also heute auf rumänischem Gebiet. Dem Innenminister war von der Debrecener Gendarmerie-Kommandantur mitgeteilt worden, dass im November über die Theiß „sektiererische Hefte eingeschleust und in großem Maße in der Gemeinde Tivadar verbreitet“ worden waren. Die Behörden hatten zwei Exemplare sichergestellt, und eins dem Innenminister übermittelt.372 Dieser wandte sich mit der Druckschrift am 22. Dezember 1924373 an den Kultusminister, der wiederum seinerseits am 3. Januar 1925 an die reformierte Kirche herantrat mit der Bitte um Meinungsäußerung – holte sich also wiederum eine subjektive Meinung ein.374 Interessanterweise war zuvor in einem Blatt der reformierten Kirche 370  MJTA,

DOK-578. Anwesen mit einem vierstöckigen und einem zweistöckigen Gebäude war erworben worden und im März 1924 begann man mit dem Umbau durch freiwillige Helfer. Wie aus dem Jahrbuchbericht 2006 zur Geschichte der Zeugen Jehovas hervorgeht, kaufte man unter anderem Linotype-Setzmaschinen, Flachpressen, eine Rotationsmaschine, eine automatische Falzmaschine und eine Goldprägemaschine. Mit dieser modernen Ausrüstung wurde sogar ein neuer Qualitätsstandard in Rumänien gesetzt. In der Druckerei waren sowohl Glaubensangehörige wie auch andere tätig. WtBTG, Jahrbuch 2006, S. 77 f. 372  Das andere ging an die Staatsanwaltschaft von Nyíregyháza. In dem Schreiben hieß es, es wäre nunmehr angezeigt, alle Einreisenden aus Rumänien daraufhin zu kontrollieren, ob sie Hefte mit solcher Propaganda mit sich führten. 373  Az. 121.186 eln. VI-c.1924. 374 MJTA, DOK-1061, Magyarországi Református Egyház Zsinati Levéltára (Archiv der Synode der ungarischen reformierten Kirche, MREZSL) 100/c. Das bestätigt auch ein handschriftliches Dokument von 1925, das sich an alle Oberstuhlrichter und den Bürgermeister von Nyíregyháza richtet (unter Bezug auf 8339 (?)/1925 und 2303/1925 der kgl. An371  Dieses

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vom 6. Dezember 1924 in einem großen, umfangreichen und detaillierten Artikel auf eben die Druckerei in Kolozsvár aufmerksam gemacht worden, der seinerseits auf einem Artikel der reformierten Kirche aus Siebenbürgen basierte. Der Autor beschrieb: „1923 gab die Druckerei folgende Bücher [sic!] heraus: 10 000 Expl. ,Die Harfe‘ in ungarischer Sprache und 5 000 Expl. der Broschüre ,Schöpfung‘ in Rumänisch; 4 500 Expl. des Liederbuchs ,Millennium Tagesanbruch‘375 […], 4 000 Expl. ,Himmlisches Manna‘ in Rumänisch, 15 000 Expl. des ,Goldenen Zeitalter Kalenders‘ in Rumänisch und 20 000 Expl. des Kalenders in Ungarisch.“ In dieser Riesenzahl wären die alle zwei Wochen in beiden Sprachen erscheinenden Zeitschriften das „Goldene Zeitalter“ und der „Leuchtende Wachtturm“ nicht berücksichtigt. Im Verlauf des Jahres seien 179 500 Exemplare des „Goldenen Zeitalters“ auf Ungarisch und 165 688 in Rumänisch376 erstellt worden, die Gesamtseitenzahl würde sich auf 5 523 008 belaufen. Darüber hinaus wären 21 600 Exemplare des „Wachtturm“ in ungarischer Sprache herausgegeben worden und 12 000 in Rumänisch, was bedeute, dass sich „537 600 Seiten nur mit biblischen Erklärungen“ beschäftigen würden. Es sei ferner überaus „bemerkenswert, dass 12 Drucker-Brüder ganz umsonst für den Herrn in der Druckerei“ arbeiteten. Danach wusste der Schreiber zu berichten, dass Kolporteure unermüdlich diese Publikationen verbreiteten und bis Oktober 1923 „1 523 Dörfer und Städte aufgesucht“ und „dort 2 723 Versammlungen abgehalten“ und gelehrt hätten.377 Auch in Rumänien wurden die Behörden auf die Druckerei aufmerksam und am 8. Januar 1925 dort vorstellig. Mit Verweis auf die Verbotsverfügung Nr. 7 des rumänischen Innenministers vom 3. Januar des Jahres beschlagnahmten sie die verbliebenen Druckerzeugnisse, obgleich auch die rumänische Verfassung378 vom 29. März 1923 Gedanken-, Meinungs- und Pressefreiheit garantierte.379 Inwiefern die beiden Aktionen mit den waltschaft) und feststellt, dass Druckschriften der Internationale Vereinigung der Bibelstudenten in großem Maße verbreitet werden und die kgl. Staatsanwaltschaften unverzüglich strafrechtliche Maßnahmen unternehmen. MJTA, DOK-564, MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, Signatur unbekannt, Bl. 46. 375  Wahrscheinlich „Millennium-Tagesanbruchshymnen“. 376  Mit dem rumänischen Titel „Epoca de Aur“. 377  Sebestyén, Jenő: A millenista vezedelem (Die Millenisten Gefahr). In: Kálvinista Szemle, Nr. 29, 6.12.1924, S. 1. Der Jahrbuchbericht zur Geschichte der Zeugen Jehovas in Rumänen bestätigt, dass 1924 in Rumänisch und Ungarisch 226 075 Bücher, 100 000 Broschüren und 175 000 Zeitschriften gedruckt wurden (darunter „Die Harfe Gottes“, englisch, deutsch 1921). 378  Die Verfassung garantierte mit den Artikeln 5, 25 und 26 Pressefreiheit. Die Zensur bzw. Einschränkungen der Presse waren unzulässig. Allen Bürgern, unabhängig von Rang und Status wurden die gleiche Presse- und Meinungsfreiheit garantiert. Vgl. www.pressreference.com/No-Sa/Romania.html 379  MJTA, DOK-724. Dénes Faluvégi, Herausgeber des „Goldenen Zeitalters“ von der Wachtturm-Gesellschaft, berichte in einem offenen Brief in ungarischer Sprache über diesen Vorfall, wies auf die zugesicherten Rechte hin und wandte sich entschuldigend an die ungarischsprachige Leserschaft bzw. insbesondere die Abonnenten, nicht zuletzt, um bereits gezahlte Beträge zurückzuerstatten.

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Artikeln zusammenhängen, muss offen bleiben. Sicher aber hat diese dezidierte Berichterstattung mit der Nennung des riesigen Druckaufkommens bei Behörden und Kirchen Eindruck hinterlassen.“380 1925 übernahm das Büro der Zeugen Jehovas in Magdeburg, möglicherweise auch aufgrund der Schwierigkeiten beim Drucken von Publikationen in Rumänien, diese Arbeit. Einige ungarische Bibelforscher, so zum Beispiel András Bartha, János Török und Lajos Szabó, gingen nach Magdeburg.381 Die Gemeinschaft hörte dadurch nicht auf, religiöse Publikationen zu drucken, sondern verlegte kurzerhand den Herstellungsort. Kurze Zeit nach dem Vorgehen der rumänischen Behörden gegen die Druckerei, am 11. März 1925, berichtete die Nyíregyházaer Staatsanwaltschaft382 dem Justizminister, dass die „Internationale Bibelstudenten Vereinigung“ im Gebiet von Szabolcs und Szátmár vermehrt Presseerzeugnisse verteilte. Die Argumentation in diesem Fall ist richtungsweisend. Zunächst bezog sich der Oberstaatsanwalt direkt auf die VO 14.700/1925 des Innenministers und bat, die Oberstuhlrichter und die Staatsanwaltschaften zu informieren, mit den „Sektierern, die möglicherweise nichtgenehmigte Versammlungen abhalten, streng zu verfahren“ und die Verbreitung dieser besorgniserregenden und gefährlichen Presseartikel zu unterbinden. Aufgrund der starken Tätigkeit und weil die Publikationen quasi kostenlos unter dem unteren Volk verteilt würden, schloss er, die Gemeinschaft müsse über umfangreiche materielle Mittel verfügen, was wiederum für die gesetzliche Ordnung, Staat und Gesellschaft gefährlich sei, insbesondere aber für die militärischen Interessen wegen des antimilitaristischen Gedankenguts. Außerdem würden sie unter dem Deckmantel religiös gefärbter Propaganda sämtliche Glaubenslehren der historischen christlichen Kirchen angreifen, wie auch deren Geistliche, aber ebenfalls die politischen Behörden. Dann ließ er seine Ängste sprechen: Lediglich „das Judenvolk und die jüdische Religion“ würde von den Bibelstudenten hochgehoben, da sie gemäß biblischer Lehre Gottes wahres Volk und die wahre Religion seien. Bezüglich der finanziellen Stärke der Gemeinschaft vermutete er einen kommunistischen Hintergrund. Er glaubte, man verfolge das Ziel, beim einfachen Volk Unzufriedenheit gegenüber kirchlichen und weltlichen Führern und der ganzen gesellschaftlichen Ordnung zu schüren, um sie so für kommunistische Lehren zu öffnen. Rechtlich erkannte er durch die „auf den Umsturz der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung ausgerichteten Presseerzeugnisse“ als einen Verstoß gegen § 172 StGB, der den Aufruf zum Ungehorsam gegen Gesetz und Behörden und Hetze gegen gesellschaftliche Klassen und rechtliche Einrichtun380  WtBTG, Jahrbuch 2006, S. 77 f., 83 f. Nachdem sich verschiedentlich Priester (wie 1921 aus der Bukowina) an das Innenministerium und das Justizministerium gewandt und ein Verbot der Bibelforscher gefordert hatten, schrieben Gläubige an die Weltzentrale: „Hier im Land sitzen zu viele Geistliche in Regierungsstellen und wir sind ihnen gewissermaßen ausgeliefert. Alles wäre wunderbar, wenn sie nur bereit wären, sich an die Gesetze zu halten, aber sie missbrauchen ständig ihre Macht.“ In der Folge war das Kultusministerium bereit, dem Predigen und den Zusammenkünften Einhalt zu gebieten. 381  Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 334. 382  Az. 2303/1925.

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gen sowie politische Hetze unter Strafe stellt,383 aber auch auf Verstoß gegen den bereits zitierten GA III/1921 zum Schutz der staatlichen und öffentlichen Ordnung „vor destruktiven umstürzlerischen Tätigkeiten“.384 Wie aus einem handschriftlichen Dokument vom 23. März 1925 hervorgeht, wandte sich dann der Vizegespan an alle Oberstuhlrichter und den Bürgermeister wegen „unerlaubten Verbreitens von Schundliteratur“ beim „Hausieren“, was sich gegen den Staat richte und den interkonfessionellen Frieden gefährde.385 Der Oberstuhlrichter von Szabolcs, Dada übersandte am 21. April 1924 dem Vizegespan des Komitat Szabolcs, Obart, die Broschüre „Az új korszak“ (Das neue Zeitalter), die durch die Bibelforscher verbreitet wurde.386 Der Vizegespan stellte sie seinerseits dem königlichen Staatsanwalt zu.387 Am 25. April reagierte der Innenminister mit VO 193.611/1925 und teilte in Sachen Verbot von Druckerzeugnissen der „Internationalen Bibelstudenten Vereinigung“ der Budapester Staatspolizei, allen Polizeipräsidenten, Gendarmerie-Kommandanturen und Vizegespane der Komitate mit, welche Druckerzeugnisse der Gemeinschaft auf der Grundlage von GA XIV/1914 § 10 Satz 3 nicht verbreitet werden dürften.388 Mit dem Bezug auf GA XIV vom 11. April 1914 verwies der Innenminister auf das Gesetz aus der Zeit des Dualismus, das zur Pressefreiheit ergangen war. Der angeführte § 10 Satz 3 schränkte sie allerdings dahingehend ein, dass die Verbreitung von Druckerzeugnissen, die außerhalb der Länder der ungarischen Krone herausgegeben oder gedruckt wurden, vom Ministerium aus öffentlichem Interesse verboten werden könnten.389 Dabei verkannte der Minister den Zweck der Verordnung, denn schon § 1 besagte, dass jeder seine Meinung in den 383  Szabolcs, Hornyák: A köznyugalom elleni Bűncselekmények [Straftaten gegen die öffentliche Ruhe]. Pécs 2010, S. 15 – 19. 384  MJTA, DOK-568, MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 29.857/1930. 385  MJTA, DOK-565. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, ohne Signatur. 386  MJTA, DOK-573. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 8330, Schreiben Az. 8824/925, 1285/ 925. 387  MJTA, DOK-563, DOK-573R. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 8330, Schreiben Az. 2303/ 1925. 388  Der Handelsminister hatte zusätzlich den Postversand untersagt. Zu den genannten Veröffentlichungen (herausgegeben von der WtBTG) zählten unter anderem die periodisch erscheinenden Zeitschriften „Az Őrtorony“ [Der Wachtturm] bzw. „A világító Őrtorony“ [Der lichtgebende Wachtturm], Arany korszak [Das Goldene Zeitalter], ferner Bücher und Broschüren wie: „Mennyei Manna“ [Das himmlische Manna, erschien ab 1907 in Englisch und ab 1909 in Deutsch jährlich über Jahrzehnte als eine Art Kalender mit biblischer Tageslosung], „Isten Harfája“ [The Harp of God, 1921. Die Harfe Gottes, 1922], „A kivánatos kormányzot“ [A Desirable Government, 1924. Eine wünschenswerte Regierung, 1924], „A világ nyomorúság, miert? Az orvosszer.“ [Welt in Not – Warum? Das Heilmittel? 1923], „A teremtés története“ [Wahrscheinlich Auszug aus: Das Photo-Drama der Schöpfung, 1914, 1916, 1920, 1925, 1926], „Mit mond a biblia a pokolról?“ [Was sagt die Heilige Schrift über die Hölle? 1923]. In Klammern wurden hier die englischen und deutschen Titel sowie Erscheinungsjahr bzw. Neuauflage vermerkt. Da Ungarn teilweise von Deutschland beliefert wurde, aber auch in Cluj gedruckt wurde, könnte die Herausgabe der Publikation in Ungarn etwas abweichen. 389  Tt., GA XIV/1914.

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Medien frei zum Ausdruck bringen und verbreiten könne. Nach § 9 war es jedem innerhalb der bestehenden Gesetze erlaubt, Presseerzeugnisse (auch auf dem Postweg) zu verbreiten. Allerdings konnte nach § 10 die Verbreitung von Druckerzeugnissen dann untersagt werden, wenn sie durch richterlichen Beschluss oder strafrechtlichen Gründen verboten worden waren. Der Innenminister ordnete an, die Presseerzeugnisse zu beschlagnahmen und gegen die Verteiler ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.390 Bei einer Ministerratssitzung am 15. Mai 1925 erklärte der Handelsminister, dass auf Wunsch des Herrn Innenministers der Flugschrift „Az egyháziak vád alatt“ (Anklage gegen die Geistlichkeit)391 und weiteren Broschüren392 von den Bibelforschern aus Brooklyn, den Vereinigten Staaten, das Recht auf Postzustellung entzogen würde.393 Doch damit nicht genug, schon am 8. Juni 1925394 erging eine weitere Verordnung des Innenministers, die VO 196.359/1925, zu den Schriften der Bibelforscher, wobei diesmal der Innenminister ebenfalls darauf verwies, dass sie aus Brooklyn, Amerika stammen würden.395 Interessanterweise waren die Titel der erwähnten Schriften den der vorher verbotenen sehr ähnlich.396 Möglicherweise hatten die Herausgeber einfach den Titel der verbotenen Publikation geändert, nicht aber den Inhalt. Durch die Veränderung des Titels erschienen sie nicht auf dem Verbotsindex, waren vom Verbot somit ausgenommen und konnten verbreitet werden, bis das bemerkt wurde und auch dagegen eine Verordnung erging. Danach versuchte man es wieder mit einem anderen, ähnlichen Titel usw. Das war eine Technik, deren sich die Bibelforscher auch in Deutschland im „Dritten Reich“ erfolgreich bedienten, um biblische Schriften einzuführen. Am 18. Juni wies der Vizegespan des Komitats Szabolcs die Umsetzung der VO durch 390  MJTA, DOK-571. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, unbekannte Signatur, Az. 193.611/ 1925, Bl. 42. Die Verordnung erscheint mit Datum vom 8. Mai durch den Vizegespan in Nyíregyháza im Amtsblatt des Komitats Szabolcs, Nr. 20, S. 179. Angegeben wird auch die Veröffentlichung „A szocialismus és a Biblia“ (Deutscher Titel: Der Sozialismus und die Bibel. Eine soziale Studie). Hierbei handelt es sich um folgende kleine Broschüre, die von der Wachtturm, Bibel- und Traktat-Gesellschaft herausgegeben wurde. Autor war Edgar, Johannes (Mitglied der königlichen Fakultät der Ärzte und Chirurgen, Glasgow). Er beschäftigte sich mit den Inhalten der sozialistischen Lehre, setzte sich mit der Durchführbarkeit auseinander, stellte dem die Vorzüglichkeit der biblischen Lehren gegenüber und hob ab auf das Reich Gottes, das alle politischen Mächte aufhebt. 391  WtBTG (Hrsg.): Anklage gegen die Geistlichkeit. 1924. 392  Das betraf „A most élő emberek közül milliók sohasem halnak meg!“ (Millionen jetzt lebender Menschen werden nicht sterben, 1920), „Das Heilmittel der Menschheit“, 1923, „A biblia a pokolról“ (The Bible on Hell, 1921. Die Bibel über die Hölle, 1921), „A teremtés hat napja“ (Die sechs Tage der Schöpfung. Wahrscheinlich Auszug aus: Das Photo-Drama der Schöpfung), „Können die Lebenden mit den Toten sprechen?“, 1920. 393  MOL, K-27 (1925.05.15) 5R-50, Bl. 5. 394  Az. 196.359. 395  MJTA, DOK-570. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, Az. 196.359, Bl. 41. Veröffentlicht im Szabolcsvármegye Hivatalos Lapja [Offizielles Blatt des Komitats Szabolcs], Nr. 28, 1925, S. 230. 396  So zum Bsp. „Welt in Not – warum? Heilmittel“, „Die Bibel über die Hölle“.

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die Gerichte und Verwaltungsbehörden an.397 Es hagelte also Verordnungen, mit denen die gesetzlich festgeschriebene Pressefreiheit eingeschränkt wurde. Welche Wirkung die Druckschriften entfalteten und warum sie als echte Gefahr angesehen wurden, wird in einem Referat deutlich, das der reformierte Geistliche und Theologieprofessor der Universität Debrecen, Sándor Csikesz, der als einer der aktivsten „kalvinistischen Theologen“ galt, im Rahmen einer Konferenz für reformierte Theologie 1925 gehalten hat. Csikesz hatte die „Sektenfrage“ bereits auf einer Konferenz der reformierten Kirche im Januar 1923 als eines der schwierigsten Probleme im Land bezeichnet und beklagt, dass es nicht gelang, die Gemeinschaften zum Schweigen zu bringen.398 In seinem späteren Vortrag bezeichnete er die Aktivität der Bibelforscher als einen „Krebsschaden“ für die reformierte Kirche und „die große internationale Sekte der Bibelstudenten“, die mengenmäßig zu dieser Zeit alles andere als groß war, als einen „mächtigen Gegner“, wenngleich er nicht umhin kam, sie zu bewundern. So beschrieb er die Glaubensangehörigen als, „einfach, ordentlich, sauber; sie verkünden das Evangelium mit freiwilligen Spenden. Die Bibelstudenten organisieren ihre Zusammenkünfte so, dass sie ohne jeglichen Zwang zusammenkommen, und gemäß der Inspiration des heiligen Geistes einen Mann aus ihren Reihen zur Leitung des Gottesdienstes wählen. […] Sie spornen jeden Menschen zur Gerechtigkeit, Liebe an, gottesfürchtig zu sein und den Willen Gottes auszuführen.“ Dann erzählte er eine im Februar 1919 gemachte persönliche Erfahrung mit einem Prediger aus Budapest, einem „Mann mit stiller, milder Rede“, der eine in großer Entfernung auf dem Lande lebende Witwe aufsuchte und bereit war, „für eine einzige Seele diesen Weg alle zwei Wochen zu machen, um mit ihr zusammen die Bibel zu studieren und auch andere dahin zu locken“. Dann äußerte er sich zur Effektivität der Flugschriften: „Mit welcher Methode sie arbeiten, dafür nenne ich als Beispiel: Eines morgens erwacht ein Dorf, siehe da, überall, an jedem Tor, wurde ein Blatt eingeworfen, und der Bauer nimmt es gierig und liest. Er merkt nicht, dass die Sonne schon aufgegangen ist und er arbeiten müsste. Dann kommt der Gendarm und forscht nach, verlangt das Blatt, und da sind nicht einmal 8 – 10 Häuser, wo man es hergeben würde.“ Das Ergebnis: Nun wurden die Bauern erst so richtig neugierig. Wie er erklärte, wurde die Druckschrift „plötzlich wertvoll, und er fing an, sie heimlich zu lesen“. Ein besonderer Dorn im Auge war die bereits genannte Flugschrift der Bibelforscher „Anklage gegen die Geistlichkeit“ von 1924, die weit verbreitet wurde und, die den historischen Kirchen bzw. ihren Geistlichen vorwarf, die „Menschheit in Unwissenheit“ zu halten und ihre geistige Machtstellung dazu missbraucht zu haben, „ihre eigenen selbstsüchtigen Wünsche zu befriedigen, indem sie sich selbst geweidet, sich selbst erhöht, es unterlassen und sich geweigert haben, das Volk mit der Wahrheit Gottes zu nähren“. Sie hätten sich „zu Wortführern des Militarismus und des Krieges gemacht und ihn gutgeheißen“. „Sie haben in allen Ländern die Männer in die

397  398 

MJTA, DOK-561. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, Az. 8824, 8830. Fazekas, Kisegyházak, S. 55 f.

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Schützengräben hineingepredigt, um dort zu leiden und zu sterben.“399 Mit diesen Flugschriften, die sich auch gegen kirchlichen Lehren wie die Dreieinigkeit, die Unsterblichkeit der Seele und die Hölle wandten, würde, so Csikesz, der Aufruhr des Sozialismus unterstützt, da man sich gegen die Priester richtete, „und zwar nicht nur gegen die katholischen, sondern auch gegen die reformierten“. „Furchtbar gefährlich“ sei, dass „diese Sachen im Namen der Bibel verkündet“ würden. Er forderte kirchliche Veröffentlichungen gegen die Sekte, und schloss ärgerlich: „Ihre größte Stärke und unsere Schande ist, dass sie unseren schönen Namen, den der ‚Bibelforscher‘ von uns weggenommen haben. Weil, wenn es eine Kirche der Bibelforscher auf der Welt gibt, dann sind wir das. […] Zwei Sachen können helfen: die eine ist, dass der Geistliche die Bibel studiert, die andere ist, dass er die Bibel mit seiner Familie auch auslebt.“400 Die Kirchen hätten, wie es hier anklingt, die neuen religiösen Bewegungen auch als eine Chance sehen können, das eigene Glaubensleben zu intensivieren, alte starre Strukturen aufzubrechen und die Kirche zu reformieren. Bei den Not leidenden Menschen kam die Botschaft nicht selten an, waren sie doch häufig mit ihrer Kirche unzufrieden und sahen sie zugleich als Unterdrücker. Deutlich wird in diesem Zusammenhang, dass kleine Gruppen wie die Bibelforscher durch ihre unentwegte Aktivität außenstehenden Beobachtern als übermächtiger Gegner mit großer Anhängerschaft erschienen. Die Flugblattaktionen und anderen Publikationen der kleinen Religionsgemeinschaften veranlassten auch die katholische Kirche, sich mit Veröffentlichungen wie Flugschriften und Büchern an die Bevölkerung zu wenden. Schon mit Beginn der 20er-Jahre hatte sich die katholische Presse mit den kleinen Religionsgemeinschaften befasst. Fazekas zufolge wurde der Ton mit den Jahren zunehmend schärfer. Er verweist neben verschiedenen anderen Artikeln auf den Pécsi Katolikus Tudósító [Pécser Katholischen Informator] von 1925, der die Baptisten als eine „gefährliche Sekte“ beschrieb, deren „Fanatismus“ selbst „Fakire beschämen“ würde. Die „Sekten“, die sich Baptisten, dann Nazarener, Methodisten, Adventisten, Pfingstversammlung nennten, würden sich unbemerkt, unterirdisch wie eine ansteckende Krankheit ausbreiten.401 Im März 1925 fasste der Episkopat den Beschluss, den katholischen Theologen und Publizisten Zoltán Nyisztor (1893 – 1979), der zwischen 1925 und 1928 für zahlreiche Flugschriften über Baptisten, Adventisten, die Bibelforscher, die Nazarener und die Heilsarmee sorgte, für eine Publikation zu engagieren.402 1926 erschien Nyisztors Buch „A szekták Magyarországon“ (Die Sekten in Ungarn),403 in dem er sich konkret gegen die einzelnen Gemeinschaften wandte, zugleich aber auch mit dem Protestantismus abrechnete. Die Lehren der Nazarener tat er darin nach dem ungarischen Sprichwort „Wer kein Meister einer Sache ist, ist deren Henker“ als „Henkersarbeit“ ab, bezeichnete sie aber auch als WtBTG (Hrsg.), Anklage. DOK-1057. 401  Fazekas, Kisegyházak, S. 51 f. 402  Ebenda, S. 49. 403  Nyisztor, Szekták. 399 

400  MJTA,

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Gift für das „einfache, ungelehrte Volk“. Besonderen Anstoß nahm er an ihrer Haltung, keinen Schwur leisten und keine Waffe in die Hand nehmen zu wollen. Auch die Bibelforscher bezeichnete er als „gefährliche Sekte“, deren Lehre wie „Polypenarme eines modernen Giftes unbemerkt nach der Seele greifen“. Aufgrund der Verschiedenheit ihrer Lehre erklärte er: „Wir trauen uns kaum, die Millenisten zu der großen Familie der Christenheit Christi zu rechnen. Sie leugnen die Dreieinigkeit, verwerfen die göttlich-menschliche Existenz Christi, und sie wiegeln alles auf, worin die Christenheit als Grundwahrheit bis jetzt einig war.“ Dennoch zeigte auch er in gewisser Weise Achtung, insbesondere vor Charles Taze Russell (1852 – 1916), dem Gründer der Bewegung, da er „zweifellos ein gutgläubiger Mensch war und ganz für seine Überzeugung lebte“. 1927 gab Nyisztor über die Gemeinschaft eine Flugschrift mit dem Titel „Millenisták vagy bibliakutatók“ [Millenisten oder Bibelforscher] heraus, worin er schrieb: „Diese sind noch schlimmer als die Bolschewisten, die wenigstens offen mit der Waffe angreifen, diese aber führen die Unschuldigen irre, indem sie sich hinter der Bibel verstecken. […] Die Revolutionen, die Kirchenverfolgung, die Vernichtung, die Ausrottung der Geistlichkeit stellen sie als Plan Gottes dar. […] Die Königliche Ungarische Staatspolizei beobachtet aufmerksam ihre Tätigkeit.“404 Einzig die Heilsarmee konnte mit Nyisztors umfassender Zustimmung rechnen. In seinem Buch „Die Sekten in Ungarn“ erklärte er: „Wir Katholiken dürfen keine Feinde der Heilsarmee sein. Sie greift uns nie an und will nicht unsere Einheit zerstören. Sie arbeiten sogar für die Rettung der Seelen […], sie kämpfen großzügig und aufopfernd gegen die Unmoral und Trunkenheit, deshalb müssen wir in ihnen Kampfgefährten sehen.“ Außerdem bekämpften sie die „internationale Sozialdemokratie“.405 Diese Einstellung der katholischen Kirche zur Heilsarmee sollte sich ändern. Am 27. Oktober 1927 wandte sich der Fürstprimás an den Kultusminister und bat darum, die Tätigkeit der Heilsarmee effektiver zu kontrollieren und die Hetze gegen die historischen Kirchen zu unterbinden. Er begründete: „Die Heilsarmee verkündet einen jede Religion auflösenden individuellen christlichen Geist, […] destruiert die Seele aufrichtig religiöser Menschen. Sie umgibt sich mit dem Mäntelchen der Wohltätigkeit und des Liberalismus, um mehr Freiheit zu haben, ihren Geist zu propagieren. Und tatsächlich erfährt sie von Seiten der ungarischen Behörden eine so große Freiheit, wie sie selbst andere wichtige, die Religion und den Patriotismus pflegende Einrichtungen nicht erhalten. In Ungarn wird eine Geisteskraft benötigt, die den Frieden und die Opferbereitschaft fördert. Ein international verdünnter, ja fast gänzlich ausgeleerter christlicher Geist erzeugt keinen echten Charakter. Dazu sind nur positive Religionen in der Lage. Genau deshalb ist es im Interesse des Staates, die mit Gesang und Musik einhergehende Propaganda der Heilsarmee auszubremsen. Für wohltätige Zwecken können auch wir Sammlungen veranstalten. Dafür brauchen wir keine fremden Agitatoren. Und am allerwenigsten brauchen wir neue Sekten, noch dazu solche, die das verdünnteste Christentum predigen, mehr als alle anderen.“ 404  Ders.: Millenisták. Vgl. WtBGT (Hrsg.), Der Wachtturm v. 15.7.1993, Selters/Ts., S. 9 f. 405  Nyisztor, Szekták, S. 65 ff.

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Er bat den Kultusminister, beim Innenminister diesbezüglich vermittelnd tätig zu werden.406 Der Fürstprimas ließ nicht locker und wandte sich am 22. Januar 1927 erneut an den Kultusminister und erklärte nochmals nachdrücklich: „Die Untersuchung / die beigefügten Dokumente bestätigen die Sorge des Episkopats, der das Dokumentenkonvolut durchgesehen hat, belegen, dass es unmöglich ist, nicht den Eindruck zu erhalten, dass die Heilsarmee nur wirklich wenig Gutes bewirkt. Aus religionsmoralischen Gesichtspunkten hingegen mit geradewegs zerstörerischen Auswirkungen tätig ist. Es wäre zu wünschen, ihre Tätigkeit so weit wie möglich einzuschränken.“407 Auf diese Forderung scheint man behördlicherseits jedoch auch aus außenpolitischen Gründen und weil die Heilsarmee antikommunistische Züge hätte, nicht eingegangen zu sein, sondern hat sie ähnlich den Methodisten vorteilhafter behandelt, wenngleich auch sie überwacht wurden.408 Dadurch zeigt sich auch, dass die Angst vor dem Kommunismus größer war, als die Sorge um die Macht der historischen Kirchen. 1927 gab Nyisztor bei der katholischen Verlagsgesellschaft, Szent István-Tarsulat [Gesellschaft des Heiligen Stephan] eine ganze Reihe von kleinen Publikationen heraus, die sich jeweils mit einer nicht anerkannten Gemeinschaft beschäftigten. In einer Broschüre geht es auch um die Heilsarmee, deren Anhänger er herablassend als „ungebildete Menschen“ mit einem „kleinen Verstand“ bewertete.409 Dennoch kam er nicht umhin, ihr soziales Engagement zu loben, hielt aber dagegen, die Kirche sei genauso wohltätig.410 In einer weiteren Broschüre widmet er sich den Adventisten. Nachdem er sich ein wenig mit der Geschichte der Gemeinschaft auseinandergesetzt hatte, widmete er sich ein wenig den Lehren und erklärte im Anschluss „Merkwürdigkeiten“, um schließlich damit zu enden, dass ihre Lehre kinderleicht zu widerlegen wäre.411 Die Nazarener stufte er „wirklich merkwürdig“ ein. Eine der ersten Eigenheiten, die er erwähnte, war die Verweigerung des Eids und des Waffendienstes. Mit diesen beiden Punkten, setzte er sich dann auch etwas intensiver auseinander, um sie zu verwerfen.412 Auch bei den Baptisten ging er zunächst kurz auf den geschichtlichen Hintergrund ein, und setzte sich dann direkt mit ihrem Wesensmerkmal der Erwachsenentaufe auseinander. Er schloss wiederum damit, dass das Widerlegen der baptistischen Lehren „überhaupt keine Schwierigkeiten“ mache.413 Nicht zuletzt äußerte er sich auch zu den Bibelforschern, wobei er zunächst auf die Geschichte um C. T. Russell und seine Schriften einging, dem er „kranke Vorstellungen“ attestierte, auch weil er nicht an die Dreieinigkeit, die Hölle und die Unsterblichkeit der Seele glaubte.414 Keine seiner Veröffentli406 

MJTA, DOK-1806. DOK-1805. 408  Fazekas, Kisegyházak, S. 28. 409  Nyisztor, Üdvhadsereg, S. 28 f. 410  Ebenda, S. 29 ff. 411  Ders., Adventisták. 412  Ders., Nazarénusok. 413  Ders., Baptisták. 414  Ders., Millenisták. 407  Ebenda,

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chungen ist tiefgehend recherchiert. Abgesehen von teilweiser Unkenntnis ihrer Entwicklungsgeschichte rangiert seine Kenntnis der Lehre von oberflächlichem Halbwissen bis falscher Auffassung. Seine Publikationen dürften insgesamt wenig zur Aufklärung der Glaubensanhänger der katholischen Kirche beigetragen haben und stellten auch für die Behörden keine Hilfe dar. Seitens der Kirche scheinen sie aber den Pastoren „zum Kampf gegen die Sekten“ empfohlen worden zu sein wie im Fall einer älteren Veröffentlichung Nyisztors über die Adventisten durch den Rundbrief der Diözese Eger vom 26. Mai 1925.415 Auch die Verwendung von Nyisztors Veröffentlichung „A szekták Magyarországon“ (Die Sekten in Ungarn) „im Kampf gegen die Sekten und zur Aufklärung des Volkes“ über „Methodisten, Nazarenern, Heilsarmee usw.“ wurde in einem Rundbrief vom 7. Januar 1926 angeregt. Die Veröffentlichung wäre vor allem dort nützlich, wo sie „ihre Köpfe schon rausgesteckt“ hätten.416 Neben Nyisztor publizierte der katholische Pfarrer József Csintalan aus Diósgyőr eine Broschüre, in der er behauptete, die „amerikanischen Sekten“ hätten sich in den Zeiten der Not besonders durch den „Sieger-Dollar“ verbreiten können und bezeichnete die STA als eine „Dollar-Religion“. Er stieß ins Horn der Anti-Trianon Argumentation zum Erhalt der Nation und behauptete, die kleinen religiösen Gemeinschaften „zerrten an der uralten Glaubenseinheit“, würden „den ungarischen Zusammenhalt“ zerreißen, und erklärte sie ohne jedweden Beleg zur „Quelle alles Bösen und aller Unmoral“.417 Zuvor hatte der Episkopat im weihnachtlichen Rundbrief von Dezember 1925 in Sachen Sekten, verfasst von Ottokár Prohászka, und der in allen katholischen Kirchen vorgelesen wurde, auf das historische Primat der katholischen Kirche hingewiesen.418 Der Veszprémer Bischof Nandor Rott maß wegen der Ausbreitung der sektiererischen Bewegungen und deren Propaganda dem Rundbrief großes Gewicht bei und befand, die Geistlichen sollten sich umfassend anhand des bald erscheinenden Buchs von Nyisztor und des Buchs des deutschen katholischen Theologen Konrad Algermissen, „Christliche Sekten und Kirche Christi“, informieren.419 Die Art, mit der die historischen Kirchen von den Behörden immer wieder eingebunden wurden, muss für sie einer Aufforderung gleichgekommen sein, selbst noch aktiver gegen die Gemeinschaften vorzugehen – es war quasi eine Legitimation für den Kampf gegen unliebsame Konkurrenten. Das zeigte sich einerseits in der Kooperation mit den Behörden bei der Durchsetzung ihrer kirchenpolitischen 415 

EFL, Egyházmegyei Körlevelek [Rundbriefe der Diözese], 1925, S. 12, Nr. 2300. Ebenda, 1926, S. 3, Nr. 200. 417  Fazekas, Kisegyházak, S. 52. 418  Auch in diesem Brief wurde behauptet, die Sektenbewegung würde sich mit amerikanischem Geld finanzieren. 419  Algermissen, Konrad: Christliche Sekten und Kirche Christi. Hannover 1925, S. 284. Algermissen sprach vom „christentums- und staatsfeindlichen Treiben“ der Bibelforscher und bezeichnete sie als „jüdisch-freimaurerisch-bolschewistische Sekte“. Fazekas, Kisegyházak, S. 48f. 416 

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Linie und andererseits durch eigene Maßnahmen, die den Behörden sicher mehr als recht waren. Allen Maßnahmen zum Trotz gelang es aber den Gemeinschaften immer wieder, ihre Schriften zu verbreiten. Daher erließ der Innenminister am 5. August 1927 eine weitere VO mit Nummer 127.491 zur Bekämpfung von Schundliteratur, über Vorgehen und Kontrolle bei der Genehmigung der Verbreitung von Presseprodukten auf der Straße und hausierend. Er verwies zunächst auf die VO 60.002/1923 und 125.400/1924 und konstatierte dann: „Mit Bedauern muss ich feststellen, dass die in den oben erwähnten Verordnungen enthaltenen Maßnahmen in manchen Orten nicht dem Geist der Verordnungen entsprechend durchgeführt sind, und vielerorts, besonders auf den Jahr- und Wochenmärkten, ferner durch Hausieren ziemlich viel schlechte schundliterarische Presseprodukte teils ohne jegliche Genehmigung, teils auch aufgrund einer behördlichen Genehmigung in Umlauf kommen.“ Seiner Meinung nach hätten sie viel Einfluss auf die Volksseele, und übten „besonders auf die Jugend eine verderbte Wirkung“ aus. Er forderte erneut und nachdrücklich, „einerseits bei der Genehmigung der Verbreitung von Presseprodukten auf der Straße, hausierend und auf Märkten jederzeit mit der größten Vorsicht und Umsicht vorzugehen, andererseits die Verbreitung des Presseprodukts ohne Genehmigung auf der Straße und hausierend ganz entschlossen zu verhindern, gleichzeitig verordne ich, die Mitarbeit des Munizipalrats für Volksbildung zur fachgemäßen Überprüfung […] der zu verbreitenden Presseprodukte aus nationaler, moralischer, sozialer und im allgemeinen kultureller Sicht in Anspruch zu nehmen“. Er machte es den Polizeibehörden „zur strengen Pflicht“, die Verbreitung der Presseprodukte auf der Straße, durch Hausieren und auf Märkten „mit erhöhter Strenge, nötigenfalls durch Razzia zu kontrollieren, und gegen die Verbreiter ohne Genehmigung neben der Beschlagnahme der Presseprodukte das Verfahren für Ordnungswidrigkeiten einzuleiten“.420 Seine Verordnung bestätigt die Schwierigkeiten, die unteren Behörden zu koordinieren und einheitlich zu organisieren. Gleichzeitig macht es deutlich, dass es den Behörden schwer fiel, den Veröffentlichungen eine Gefährlichkeit zuzuordnen. Auch in den späteren Jahren der Bethlen-Ära änderte sich an der Situation der Bibelforscher und der Verbreitung ihrer Publikationen in Ungarn nichts. So richtete sich zum Beispiel die Miskolcer Gendarmerie am 5. Februar 1931 an den Oberstuhlrichter mit eine Liste von über 50 Bibellesern aus Ricse, bei denen sie verbotene Presseerzeugnisse vermutete, und beantragte eine Hausdurchsuchung.421 420 

MRT, 240, IM VO 127.491. MJTA, DOK-294. Die nachstehenden Beispiele zeigen die Vorgehensweise in Einzelfällen: In Verbindung mit Ferenc Marczinkó wandte sich der Oberstuhlrichter von Kisvarda am 21. Februar 1931 an den Oberstuhlrichter in Ricse, durch Verhör zu ermitteln, wie lange er sich im Dezember 1930 bei József Dobos und bei János Soltész aufgehalten hat, warum er länger da war, ob er dort Presseerzeugnisse wie „Wo sind die Verstorbenen“, „Wünschenswerte Regierung“, „Die sechs Schöpfungstage“ ohne Gegenleistung vertrieben habe, die die Gendarmerie gefunden hatte. Daraufhin erging der Beschluss vom 26. Februar 1931, die sich im Besitz von Ferenc Marczinkó befindlichen verbotenen Presseprodukte zu beschlagnah421 

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Insgesamt versuchte man ähnlich wie bei der Religionsfreiheit die Pressefreiheit durch Verordnungen einzuengen – hier meist Verordnungen zu ganz konkreten Presseprodukten, keine allgemeine. Ein anderer Weg waren Gegenpublikationen wie die von Publizisten der katholischen Kirche. 4. Kommunismusvorwurf Der immer wiederkehrende Vorwurf, religiöse Gemeinschaften würden kommunistische Ideen verbreiten, war wie bereits erwähnt schon 1850 in Verbindung mit den Nazarenern aufgebracht worden und hielt sich seitdem hartnäckig. Dieser Vorwurf hatte sich zum einen durch die Entwicklungen Ende des 19. Anfang des 20. Jahrhunderts in Verbindung mit dem Gedankengut des christlichen Sozialismus verschärft,422 zum anderen besonders durch die Revolution in Russland und die Geschehnisse in der Räterepublik Auftrieb erhalten. Hinzu kam die Rückkehr von Kriegsgefangenen aus Russland und deren „bolschewistischer Agitation“, aber auch die Zunahme nichtnationaler Organisationen, die fremdes Gedankengut von Haus zu Haus verbreiteten und auf die der Innenminister 1922 explizit aufmerksam gemacht hatte. In diese Muster passten die Gemeinschaften, die Kirchen und Behörden suspekt erschienen. Die Zusammenarbeit der Behörden untereinander und mit den Kirchen wurde zunehmend enger. So wandte sich der Kultusminister am 25. April 1925 an den Konvent der reformierten Kirche wegen der „Bibelstudenten“, also Bibelforscher, in Bóta und Nagyvisnyó. Der Budapester György Kiss sei dort als Prediger tätig und halte „religiöse Reden“, „die jedoch Hetze gegen Staat und Nation beinhalten“, und sich gegen Religion und Priester richteten. Er würde taufen, andere Rituale durchführen und er „verbreitet heimlich verbotene Schriften, die die Seele des Volkes in höchstem Maße infizieren können und auf die Seite des Kommunismus ziehen“. Bei seiner Tätigkeit würde ihm der geistesgestörte Lajos Göndör helfen, der vor einigen Monaten aus dem Erzsébet Krankenhaus in Miskolc als geistesmen. MJTA, DOK-292. Im Fall von Ferenc Sztrutinzky und 14 weiteren Anwohnern ermittelte die Miskolcer Gendarmerie wegen verbotenen Schriften. Die Belasteten gaben an, die bei einer Hausdurchsuchung gefundenen Publikationen schon vor 1925 besessen zu haben. Eine Verbreitung konnte ihnen nicht nachgewiesen werden. Ebenda, DOK-293, DOK-296, DOK-297. Die Staatsanwaltschaft veranlasste am 4. November 1931 gegen Sztrutinzky ein Verfahren einzuleiten und die genauen Hintergründe zur Beschaffung und Verbreitung der Publikationen herauszufinden. Ebenda, DOK-289, DOK-288. Bericht v. 13.11.1939 an StA in Sachen Sztrutinzky (Verhör). Letztendlich musste das Verfahren eingestellt werden, die Schriften wurden vernichtet. Ebenda, DOK-290 (Beschluss der StA v. 17.11.1931). Gemäß einem Bericht der Miskolcer Gendarmerie an die die Staatsanwaltschaft in Sátoraljaujhely bezüglich Personen aus Olaszliszka, die Schriften „Internationalen Bibelleser“ hätten und diese zeitweise bei religiösen Anlässen gebrauchten bzw. unter den Gläubigen verteilten, baten die Behörden um eine dauerhafte Erlaubnis, Hausdurchsuchungen durchführen zu können, die ihnen jedoch verweigert wurde. Ebenda, DOK-298, DOK-299 (Schreiben der Staatsanwaltschaft vom 22. Mai 1931). 422 Vgl. Reinert-Tárnoky, Christlicher Sozialismus.

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krank entlassen worden sei und in dessen Wohnung Zusammenkünfte abgehalten würden, die sich „scharf gegen das Vaterland, die Nation und die Regierung“ richteten. Aufgrund der Aktivität dieser beiden Männer gingen gerade mal noch 4 bis 5 Leute in die Kirche, die Kinder würden in der Schule kommunistische Verse aufsagen und Lieder singen. Der Minister verwies darauf, dass die Gendarmerie die Schriften beschlagnahmt423 und Kiss bei der kgl. Staatsanwaltschaft angezeigt hatten. Aus dem Schreiben geht auch hervor, dass Kultusminister Klebelsberg, einst noch verhältnismäßig liberal, sich schon mehrfach an den Innenminister gewandt hatte, um die Tätigkeit zu unterbinden. Zum Schutz der Kirchen hätte er sich in der Sache an alle obersten Kirchenbehörden gewandt, damit diese falls sie es für nötig erachteten, durch ihre kirchlichen Einrichtungen dagegen tätig werden könnten. Gleichzeitig bat er auch in Bezug auf die genannten Schriften, die ihm persönlich nicht zur Verfügung stünden, um theologische Aufklärung und Information über die internationalen Verbindungen der Gemeinschaft.424 Ungleich dem Justizminister war dem Kultusminister nicht daran gelegen, Informationen über religiöse Gemeinschaften aus erster Hand einzuholen, und sich an die Gemeinschaften selbst zu wenden, er wollte sich vielmehr aus der subjektiven, von Vorurteilen und Konkurrenzangst geprägten Auskunft einer rezipierten Kirche ein Bild machen. Eine entsprechende Stellungnahme wurde ihm am 15. Mai durch den zuständigen Bischof zugesandt, an den sich der Konvent am 7. Mai 1925 in der Sache gewandt hatte. Darin ereiferte sich der Bischof über die „Irrlehren“, die sich auch gegen die Geistlichkeit richteten.425 Mit den Irrlehren bezog er sich wohl auf die Glaubensansichten der Bibelforscher, die teilweise nicht nur stark von den Ansichten der katholischen und reformierten Kirchen abweichen, sondern verschiedentlich regelrecht konträr sind.426 In ihren Schriften verglichen die Bibelforscher 423 MJTA, DOK-1062. MREZSL, Közigazgatási Iratok, 100/c. Angeblich aufgrund der IM-VO 208.453/VIII.1924 vom 30. Oktober 1924. Dabei scheint es sich um einen Tippfehler in der Abschrift des Dokumentes zu handeln. Man meinte hier offensichtlich VO 208.458/1924. 424  MJTA, DOK-1062. MREZSL, Közigazgatási Iratok, 100/c. Der Kultusminister erwähnte, dass er von dem Elnökség bezüglich der Schrift „Millionen, die heute leben, werden nie sterben“ bereits aufgeklärt wurde. 425 Ebenda. 426  Im Gegensatz zu einer Dreieinigkeit glauben sie an den einen Gott, Jehova. Jesus ist Gottes Sohn, aber nicht Gott, der heilige Geist eine Kraft. Ein Weiterleben nach dem Tod an sich gibt es nicht, weder in einer Hölle noch im Himmel, die Toten sind vielmehr nichtexistent. 144 000 Personen, die von Gott ausgewählt werden, bilden mit Jesus Christus eine Regierung im Himmel und herrschen mit ihm Tausend Jahre über die Erde. Vgl. mit MJTA, DOK-1057, Csikesz, Sándor, Manuskript einer Rede mit Bezug auf ein Flugblatt der Bibelforscher „Anklage gegen die Geistlichkeit“. Nach dem Eingreifen Gottes, wobei das Reich Gottes die ungerechten menschlichen Regierungen abgelöst und das ursprüngliche Paradies, das einst verloren ging, wiederhergestellt wird, werden dann die Verstorbenen auf der Erde wieder auferstehen. Die Angehörigen der Gemeinschaft sehen es als ihre Pflicht, die Mitmenschen über das Vorhaben Gottes aufzuklären und die biblischen Lehren ins rechte Licht zu rücken. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten steht über allem. WtBTG, Verkündiger, S.  120 – 146.

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die kirchliche Doktrin und die Geistlichen oft mit den Pharisäern zu Jesu Zeit und ihren Ansichten, verurteilten ihr Handeln hart. In politischen Fragen bemühte man sich um Neutralität; an militärischen Aktivitäten beteiligen sie sich nicht.427 Ihr Glaubenskonzept musste mit altherkömmlichen kirchlichen Lehren kollidieren, verärgerte den Klerus und passte prinzipiell auch nicht ins politische Kalkül. Oberflächlich betrachtet schien es allerdings gut zur kommunistischen Idee zu passen: mit Vorstellungen wie die Erde ist der Besitz aller Menschen, Gleichbehandlung aller Menschen unabhängig von Stellung, Herkunft, Rasse, Nationalität, gleiche Rechte für alle, gegenseitige Hilfe bis hin zum Altruismus bzw. Teilen von Gütern, niemand Böses zufügen (also auch nicht zur Waffe zu greifen). Wie der Bischof in seinem Schreiben berichtete, würden sich die Menschen dafür interessieren, da in der „neuen Welt“ jeder gleich sei und die irdischen Güter gerecht verteilt wären. Zuerst hätte man das lächerlich gefunden, da aber die Lehren immer wieder aufgebracht wurden, hätten die „geistig Armen“, die beschränkt Aufnahmefähigen und die, denen es gefiel, dem Pfarrer nichts zahlen zu müssen, dass alle gleich sind und dass die Mächtigen vergehen, die Lehren angenommen. Mit diesen Ansichten würde jedoch der innere Kirchenfrieden zerstört.428 Um das abzuwehren habe die Kirche in der Schule dreimal die Woche als eine Art Gegenveranstaltung religiöse Abende durchgeführt, aber ohne Erfolg. Der Bischof habe auch die Behörden auf die Bewegung und ihre Ausbreitung aufmerksam gemacht, aber erst jetzt seit der „Verbots-Verordnung“ sei die Gendarmerie aufmerksam, würden Bücher und Flugschriften beschlagnahmen, und das Gericht in Sajószentpéter hätte mehrmals die Teilnehmenden an verbotenen Versammlungen bestraft. Er kam zu dem Schluss, die Gemeinschaft zerstöre die Ordnung, wühle alles auf. Griffen jedoch die Behörden weiter so ein, würde all das leicht verblassen.429 Demgegenüber standen aber auch Berichte wie der des Oberstuhlrichters von Dada, der am 18. September 1925 in Bezug auf die Zusammenkünfte der Bibelforscher einräumen musste, bisher kein kommunistisches Gedankengut feststellen zu können, bei Versammlungen ginge es um die Bibel und diesbezügliche Erklärungen.430 Nach verschiedentlichen Observierungen der verstärkten Aktivität der Bibelforscher und nach Erlass der einzelnen Verordnungen bezüglich Presseprodukte stellte die Debrecener Polizeibehörde am 10. August 1925 einen umfangreichen Bericht zur „Ausbreitung der Sekten der Adventisten und Millenisten“, der sich aber vor allem um Bibelforscher dreht, in den Grenzgebieten von Zemplén und Szabolcs für die Politische Ermittlungsabteilung der Polizei zusammen, die ihn ihrerseits am 12. August dem Innenminister weiterleitete.431 Bei der Beobachtung 427 

Siehe ebenda, S. 188 – 201, 659 – 665, 673 f. hätte man die Kirche als Schweinestall und Warenhaus bezeichnet. Die Predigten in der Kirche würden in ihren Zusammenkünften der Kritik unterzogen. 18 Personen seien konvertiert und im Fluss getauft worden. 429  MJTA, DOK-1062. MREZSL, Közigazgatási Iratok, 100/c. 430  MJTA, DOK-569, MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, IV B 411, 2988?? unleserlich. Az. 53.925. 431  MJTA, DOK-567. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 4.B.411 29857/1930, Bl. 14 – 16. 428  Angeblich

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der Adventisten im Bezirk Zemplén, Landkreis Bodrogköz, Orte Damócz und Nagyrozvágy stellte sich heraus, dass sie verbreiteter waren als angenommen – es gäbe in diesen Bezirken eigentlich keinen Ort mehr, wo die „Sekten“ nicht ihre Propaganda verbreiteten.432 Wiederum wurde behauptet, „dass viele der Glaubensansichten und Lehren mit denen der Kommunisten identisch sind und man daher nicht ohne Grund von ihnen behauptet, dass sie nichts anderes sind als Religiosität vortäuschende kommunistische Gemeinschaften. So erscheinen sowohl die Adventisten als auch die Millenisten als religiöse Gemeinschaften und kleiden ihre politischen Reformideen in religiöse Gewänder.“ Die Bibelforscher würden behaupten: „Die traditionellen Kirchen kommen ohne Ausnahme ihrer Berufung nicht nach, sondern verhalten sich ihrer Verpflichtung entgegengesetzt, kompromittieren das Christentum und sind ‚Vertreter Satans‘.“ Weiter hieß es über die Bibelforscher: „Sie sind Internationalisten und Antimilitaristen. Sie bilden auf der ganzen Welt eine Kirche und sind alle Brüder. Die Landesgrenzen wurden ihrer Meinung nach im vergangenen Krieg durch menschliche Habgier errichtet und sind daher für sie nicht bindend. In ihren gesamten Publikationen beziehen sie Stellung gegen den vergangenen Krieg und mögliche künftige Kriege und einer ihrer Führer hat vor uns ganz offen gesagt, dass sie […] nicht bereit sind, zur Waffe zu greifen, da sie ihre Brüder und Mitmenschen nicht ermorden wollten.“ Und weiter: „Aber sie lehren auch, dass die heutige Gesellschaftsordnung und die heutige staatliche Einrichtung sich des Patriotismus schuldig gemacht haben.“433 Ihrer Ansicht nach seien „sämtliche Staatsformen ungerecht und unvollkommen“, diese „alte Ordnung“ würde verscheiden und eine neue kommen – eine Ordnung, die sie mit „eindeutig kommunistischen Prinzipien“ beschreiben würden, „da man sich in ihren Zusammenkünften vor der Anwesenheit von Amtspersonen nicht fürchten muss, […] da jeder auf der ganzen Erde glücklich sei, die Menschen täglich nur 4 – 6 Stunden arbeiten würden, alle gleich seien, alle zusammenarbeiten, einen gemeinsamen Ofen haben würden, den alle unterschiedslos nutzen könnten, auch die Bekleidung hätte man gemeinsam.“ Dann folgt ein nachdrücklicher Verweis: „Sie glauben, die Juden würden die Führer der neuen Welt. Herrschaftssitz und Hauptstadt würde Jerusalem. […] Die Folge dieser Lehren ist, dass die Anhänger die Juden in besonderer Weise verehren, ja in gutem Einvernehmen mit ihnen leben.“ All das passte sehr gut ins Kommunismusbild und das jüdische Feindbild. Problematisch sei jedoch auch, dass sie die Lehre von der „Unsterblichkeit der Seele verwerfen“ und das aus der Bibel belegen würden, andererseits aber die „Auferstehung der Toten“ verkündeten, dahinter verberge sich eine materialistische Einstellung. Wenngleich der Bericht keine klare Trennung zwischen den Adventisten und den Bibelforschern vornahm, war hier ohne Frage vor allem von den Bibelforschern die Rede. 432  Sie hätten sich „in zahlreichen anderen Grenzorten im Landkreis Bodrogköz, ferner den Bezirken Zemplén und Szabolcs ausgebreitet … In Nagyrozvágy, Péczin, Karcsa haben die Sekten schon seit Jahren Anhänger, größeren Zulauf konnten die Organisationen allerdings erst in der letzten Zeit verzeichnen.“ 433  Danach verwies er auf das Buch „Die erwünschte Regierung“ (1925), wo gesagt wurde, dass im Neuen Testament nirgendwo zum Patriotismus aufgerufen würde.

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Als weiteren Beleg für die kommunistische Ausrichtung wurde angeführt, dass in „einem Buch der Millenisten“, also der Bibelforscher, gestanden hätte, „das goldene Zeitalter sei schon unterwegs und es wäre in Russland schon angekommen und der Fürst der neuen Welt bzw. der Messias ist niemand anders als Lenin“.434 Danach wurden drei Personen angeführt, die „sich früher zum Kommunismus bekannten“ und nun bei der Anmeldung einer Zusammenkunft mitunterschrieben hatten. „Möglicherweise haben diese drei Personen das aus persönlicher Verärgerung mit dem Priester des Ortes getan, mit dem sie in der Gemeinde schwer zusammengestoßen waren, aber der Anschluss dieser drei verstärkt in der Gemeinde den Eindruck, dass der Millenismus und der Kommunismus in Verbindung stehen. […] Der Leiter der Millenisten in Kisrozvágy ist József Smajda, der unter den Kommunisten eine führende Rolle gespielt hat. Es ist kennzeichnend für ihre religiöse Organisation, dass in den Ortschaften die Meinung besteht, dass die Millenisten, die in ihr Lager Kommenden mit Geld unterstützen, Positives konnten wir leider nicht feststellen. […] In den Gemeinden von Bodrogköz gibt es überall Millenisten.“ Beargwöhnt wurde auch, dass Priester und Gemeindevorsteher berichteten, dass „die Millenisten dauernd in Verbindung stehen mit den tschechoslowakischen Millenisten und sie Besuche von Predigern von dort bekommen“. Man vermutete, dass die tschechischen Behörden „in den Grenzgebieten den Mangel an Patriotismus, den Internationalismus und den Antimilitarismus unter den ungarischen Einwohnern unterstützen, wie auch die durch die religiöse Trennung ermöglichte Infizierung.“ Wieder handelte es sich um die typischen Vorwürfe, die dem Revisionismus, dem Ungarntum und Patriotismus abträglich waren. Alles in allem aber mussten die Behörden eingestehen: „Eine direkte Verbindung des Millenismus mit dem Kommunismus kann nicht bewiesen werden.“ Auf der anderen Seite meinte man, die „Sektenanhänger“ und ihre Anführer würden möglicherweise „die unter dem Mantel und Vorwand der Religiosität“ durchgeführte kommunistische Hetze gar nicht bemerken, weil sie naiv und ungebildet und fanatisch wären. Ein Übergang zum Kommunismus mittels ihrer Lehren sei „wirklich einfach“. Gegen eine rein religiöse Organisation spräche der Umstand, dass sie es in den Gemeinden, wo sie keine Anhänger hätten, mit Geld probieren würden. Er berichtete auch von einem „Tauffest“, wo sich viele hätten taufen lassen, worin sich auch die Angst einer zunehmenden Verbreitung widerspiegelt. Offensichtlich hatten auch die Verbote der Presseerzeugnisse und die Untersagung der Zusammenkünfte die Tätigkeit der Gemeinschaft nicht stoppen können.435 434  Quelle für diese Feststellung war eine Frau, die darin gelesen haben soll und eine zweite Frau, die „das Buch vor ungefähr zwei Jahren ebenfalls gesehen, aber nicht gelesen hätte, sich aber erinnern würde, dass Frau Barabas diese Aussagen schon damals für anstößig empfunden hätte“. 435  In den Dokumenten werden weitere VO’s benannt: Presseerzeugnisse seien mit wenigen Ausnahmen durch VO 195.700/1925 IM im Land verboten, aber noch immer seien recht viele Publikationen im Allgemeinbesitz. Hier erschien auch der Verweis darauf, dass die Zusammenkünfte und die Verbreitung von Büchern mit der VO 208.453/1924 für das ganze Land verboten worden sei.

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Bezüglich der Adventisten436 in Nyíregyháza und Umgebung wurde festgestellt: „Die Lehre der Adventisten ist mit der der Millenisten verwandt. Die Einhaltung des Sabbat übertreiben sie aber noch mehr.“437 Hier wird deutlich, dass man die Unterschiede in der Lehre tatsächlich nicht kannte, war doch den Bibelforschern nicht an der Einhaltung des Sabbats gelegen, für sie stellte es kein Problem dar, am Samstag zu arbeiten.438 Nach Erhalt des ausführlichen und eindringlichen Berichts wandte sich der Innenminister postwendend am 12. August 1925,439 an den Vizegespan des Komitats Szabolcs wegen der „Verbreitung der Sekte der Adventisten und Millenisten im Grenzgebiet von Zemplén und Szabolcs“ mit der Anweisung, „unverzüglich die nötigen Maßnahmen zur Unterbindung der Zusammenkünfte / zur Verbreitung von Presseerzeugnissen, zur Inhaftierung ausländischer Agitatoren und deren Ausweisung im eigenen Zuständigkeitsbereich zu treffen“.440 Hier kristallisierte sich heraus, dass der Kommunismus-Vorwurf, der zwar verschiedentlich sowohl Nazarenern, Adventisten wie Bibelforschern gemacht wurde, nunmehr häufiger in Verbindung mit den Letztgenannten auftrat und ein Zusammenhang zu ihren Lehren unterstellt wurde. Dabei galten Ansichten wie Gleichbehandlung, Gerechtigkeit und Nächstenliebe bereits als kommunistische Prinzipien. Besonders suspekt jedoch war den Behörden jegliche Internationalität oder Verbindung zu den Juden. Wie ein roter Faden zieht sich auch immer der Vorwurf des Antimilitarismus durch. Die Bibelforscher rückten verstärkt in den Brennpunkt des Geschehens, was sicher ihrer Aktivität geschuldet war, zu predigen und Druckerzeugnissen zu verbreiten. Der Bolschewismus als Feindbild par excellence schloss die Bibelforscher mit ein. Hier reiht sich auch die Beurteilung der Bibelforscher durch den katholischen Zoltán Nyisztor ein, der schrieb: „Es ist schrecklicher und abscheulicher sogar als der rote Wahnsinn, weil der wenigstens nur Politik oder gesellschaftliche Frage macht, aber der Russelianismus steckt die Aufforderung zur Anarchie in den Deckmantel der Religion; die Revolutionen, die Kirchenverfolgung, die Ausrottung der Geistlichkeit stellt er als gemäß dem Plan Gottes dar. […] Nur die Heimat der grenzenlosen Freiheit, Amerika, konnte sie hervorbringen, und nur das Land der hemmungslosen Gemütsbewegung, Russland, kann sie in sich aufnehmen.“441 Der Erlass der Verordnung des Innenministers VO 14.700/1924 führte wie die angeführten Beispiele zeigen im Großen und Ganzen zu einer Zunahme der Beobachtung der kleinen Religionsgemeinschaften und zur weiteren Einschränkung ihrer Tätigkeit. Dennoch gelang es mit dieser Verordnung weder, ihre Tätigkeit völlig still zu legen, noch das behördliche Vorgehen zu koordinieren. Auf lokaler Ebene 436 

Ihr Zentrum befände sich in Budapest, Székely Bertalan utca 12. gewisser „L. Bíró, der reformiert war“, würde „seinen Sohn in eine jüdische Schule“ schicken, „damit der den Sabbat entsprechend begehe“. 438  MJTA, DOK-567. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, 4.B.411 29857/1930, Bl. 14 – 16. 439  Az. 6367/1925. 440  MJTA, DOK-212. MNLSz-Sz-B, Nyíregyháza, o. Signatur. 441  Nyisztor, Szekták, S. 67 – 79. 437  Ein

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wurde nach Bedarf und Geschmack der Behörden gehandelt und entschieden. Immer wieder stand auch der Schutz der historischen Kirchen im Mittelpunkt, die ganz offensichtlich regelmäßig zu Entscheidungen der Ministerien herangezogen wurden. Neue Erkenntnisse zur Tätigkeit der kleinen religiösen Gemeinschaften hatte die Überwachung bis dahin nicht gebracht, man arbeitete mit den bisherigen Anschuldigungen, ohne sie tatsächlich belegen zu können. Obgleich die Behörden sich der Gewichtung der Verfassungsgesetze klar waren, versuchte man sie so eng wie möglich auszulegen oder sogar auszuhebeln.

IX.  Ergänzungsverordnung 3.100/1926 und ihre Auswirkung 1.  Inhalt von VO 3.100/1926 Dem Innenminister wurde wahrscheinlich durch die verschiedenen eingehenden Berichte erst das „Ausmaß“ der Aktivitäten dieser Gemeinschaften klar. Deutlich wurde auch, dass die Gemeinschaften sich nicht sonderlich von den Maßnahmen der Behörden beeindrucken ließen oder sich an der Verordnung vorbei organisierten und sich weiter ausbreiteten. Daher resümierte Innenminister Rakov­ szky in seiner Verordnung 3.100/1926/VII vom 22. Januar 1926, die eine Ergänzung von VO 14.700 darstellte,442 gegenüber den ihm untergebenen Behörden: „Da diese Organisationen seither nicht einlenkten, der ungarische kath. Episkopat ganz im Gegenteil gezwungen war, sich auch im gemeinsamen weihnachtlichen Rundbrief gegen die Sekten zu wenden – fordere ich die Adressaten dazu auf, die Bewegungen weiterhin mit großer Aufmerksamkeit zu verfolgen, Ihre Beobachtungen mir in Abständen mitzuteilen, die Ihnen untergebenen Behörden anzuweisen, […] die örtlichen Vertreter der hist. Kirchen anzuhören und strengstens nach den Bestimmungen der VO 14.700/1924 zu verfahren. Aus diesem Grund sende ich eine Abschrift der VO 14.700/1924 erneut zu.“443 Mit dieser Anweisung machte der Innenminister nochmals Druck auf die Behörden, entsprechend zu kooperieren, wobei er nicht wirklich etwas Neues in der Hand hatte, sondern einfach seine VO von 1924 nochmals zusandte. Auch die Betonung der Bedeutung der Allianz mit den historischen Kirchen, insbesondere mit der katholischen Kirche, war nichts an sich Neues, wurde hier allerdings vom Innenminister direkt verordnet. Dieser Punkt seiner Instruktion, die Vertreter der historischen Kirchen in jedem Fall anzuhören, war somit neu. Ziel war zweifelsohne, eine Front gegen die Sekten zu bilden. Wie der Minister einräumen musste, griff seine VO 14.700 nicht zufriedenstellend. Daher brachte er die VO 3.100 als nachdrückliche Ergänzung, um trotz des GA XLIII zur Religionsfreiheit effektiver gegen die unliebsamen gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften vorzugehen und ihre Tätigkeit einzuschränken.444 Der Innen442 Vgl. MJTA, DOK-1784 Innenminister zur Tagung zum Thema Sektenbewegung, 14.6.1927. 443  MOL, K149 – 651 – 5 – 8 – 1926 – 3100. 444  Vgl. ebenda, K149 – 1936 – 7 – 5788 (Information über die sektiererischen Bewegungen).

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minister wurde konkret und spezifizierte: „Ich möchte insbesondere das Interesse der Behörden auf die unter der Bezeichnung ‚Internationale Bibelforschervereinigung/Wachtturm-Gesellschaft‘ arbeitende Sekte lenken, deren Lehre und die von ihnen verbreiteten Presseerzeugnisse sich nicht nur gegen die hist. Kirchen richten, sondern aus Gesichtspunkten des Strafrechts und des Staatsschutzes ernsthaft beanstandet werden.“ Wenngleich er hier das Strafrecht anführte, wurde er nicht konkret, welche Straftatbestände erfüllt wurden. Im Weiteren bezog er sich auf die bereits angeführten VO’s 193.611 vom 25. April 1924 und 196.359 vom 8. Juni 1925 zum Verbot von Presseerzeugnissen der Gemeinschaft und befahl nachdrücklich: „Es sind daher die unteren Behörden anzuweisen, die Ausbreitung der Sekte unter allen Umständen zu unterbinden und gegen die Verbreitung von Presseerzeugnissen Maßnahmen einzuleiten.“445 Mit der Verbreitung ihrer Veröffentlichungen rückten die Bibelforscher damit besonders ins Visier der Behörden. Was die juristische Verfahrensweise der Behörden anbelangte, kritisierte der Innenminister deren Unprofessionalität: „Ich stelle fest, dass im Zusammenhang mit der Durchsicht bzw. Überprüfung der Beschlüsse die Zusammenkünften der Sekten betreffend, die erstinstanzlichen Behörden sich in ihren Begründungen mit dem Glaubensleben und den Glaubensgrundsätzen eingelassen haben, es kam sogar vor, dass sie sich in der Begründung auf die nur zur vertraulichen Information von mir herausgegebene Verordnung VO 14.700/1924 stützten und dass diese Entscheidungen von der nächsten Instanz unverändert gutgeheißen wurden. An einem solchen, obwohl in der Hauptsache zutreffenden Endbescheid mit falscher Begründung, konnte bei der Überprüfung auch ich nichts ändern. Ich rufe daher die Bezirkspräsidenten und die Vizegespane der Komitate auf, die ihnen unterstellten Behörden anzuweisen, Beschlüsse in diesem Zusammenhang – den Regelungen des Versammlungsrechts entsprechend – auf die von den Behörden festgestellten Fakten bzw. auf die örtlichen Verhältnisse der öffentlichen Ordnung zu begründen. Die davon abweichenden Begründungen sind jedoch auch im Fall der Gutheißung des Endbescheids in der zweiten Instanz zu ändern.“446 Diese Stellungnahme macht deutlich, dass der Minister die Entscheidungen unterer Instanzen widerwillig aufgrund von Begründungsmängeln kippen musste, wenngleich er die Maßnahmen an sich gutgeheißen hätte. Deutlich wird hier auch, stützten sich die Behörden in ihrer Begründung auf Glaubenslehren, verstießen sie gegen GA XLIII/1895. Auch wenn das die tatsächlichen Gründe der Behörden waren, weshalb sie gegen die Gemeinschaften vorgingen, in der Urteilsbegründung durften sie keine Glaubensfragen benennen, sondern mussten sie sich auf Verstöße gegen die öffentliche Ordnung berufen, um eine Rechtsgrundlage zu haben. Wenigstens die zweite Instanz könnte die Beschlüsse durch eine entsprechende Änderung der Begründung retten. Problematisch war auch, dass die unteren Behörden die geheimen Verordnungen 445  Ebenda, K149 – 651 – 5 – 8 – 1926 – 3100. Die im Land herausgegebenen Presseartikel wurden gemäß richterlichen Erlass 192931 und 209463/1925 eingezogen bzw. beschlagnahmt. 446  Ebenda, K149 – 651 – 5 – 8 – 1926 – 3100.

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publik machten, was prinzipiell kein Problem sein dürfte, wenn die Verordnungen rechtens waren und man nichts zu verbergen hatte. Dann machte sich das schon bekannte Problem der nichtvorhandenen Rechtssubjektivität bemerkbar: Der Minister wies die Behörden an, nur mit Einzelpersonen und nicht mit der Gemeinschaft als solcher zu verhandeln, da es diese juristisch nicht gäbe. Er erinnerte daran, dass die betreffenden nicht anerkannten Religionsgemeinschaften „keinesfalls rechtliche Gemeinschaften sind und die Behörden daher nicht mit ihnen als ‚Religionsgemeinschaft‘ verfahren, sondern nur mit den einzelnen Personen, die die Gemeinschaft vor den Behörden vertreten.“ Wenngleich er hiermit die dritte Kategorie der „nicht anerkannten Religionsgemeinschaften“ leugnete, gab er ihr doch offiziellen Bestand, da er verbindlich verfügte, dass – wie schon in Verbindung mit der methodistischen Kirche – allen Namen der Gemeinschaften die Bezeichnung „nicht anerkannte Religionsgemeinschaft“ angehangen werden sollte, wie „z. B: die als Siebentags-Adventisten bezeichnete nicht anerkannte Religionsgemeinschaft“.447 Nur so sollte ihre korrekte Bezeichnung lauten. Damit allerdings kam diese Maßnahme in der vorherrschenden ablehnenden Atmosphäre schon fast einer Stigmatisierung gleich. Andererseits belegt das wiederum, dass man an der Existenz der Gemeinschaften nicht vorbeikam, auch wenn man ihnen keine Rechtssubjektivität zubilligen wollte. Deutlich wird dabei auch, dass man die Absicht der Anerkennung neuer Gemeinschaften, wie in GA XLIII/1895 vorgesehen, bewusst umging. Nach § 7) Abs. 1 waren die Staatsbürger, die eine gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft bilden wollten, nur zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung einer Kirchengemeinde verpflichtet. Die kleinen Religionsgemeinschaften verfügten über weitaus mehr stabile und organisierte Gemeinschaften, sogar über ein gesamtes Organisationsgefüge, womit sie sich von den bereits bestehenden rezipierten und anerkannten Kirchen nicht unterschieden. Ein weiterer Grund für den Erlass der ergänzenden Verordnung lag an der besonderen Behandlung der methodistischen Kirche. Der Minister erklärte: „Mit Blick darauf, dass ihre Lehren im Geist des Evangeliums sind und sie außenpolitisch wegen ihrer Verbreitung im Ausland von Bedeutung sind – habe ich keine Einwände, dass sie mancherorts in wiederkehrenden Abständen abgehaltene Zusammenkünfte durch die unteren oder erstinstanzlichen Behörden nicht einzeln, sondern serienmäßig erlaubt werden. Die Verwaltungs- und Polizeibehörden sollen allerdings die Tätigkeit der Sekte wachsam unter Kontrolle halten und dann, wenn sie gegen Gesetze, die Staatsinteressen oder die öffentliche Moral verstoßen bzw. nach VO 14.700/1924 schädliche Tätigkeiten feststellen, die Anmeldungen verweigern bzw. die behördlichen Überprüfungen verschärfen.“448 Damit trug er erneut der außenpolitischen Bedeutung der Gemeinschaft Rechnung.449 Eines der Hauptanliegen der Verordnung 14.700/1924 des Innenministers war ja, durch die Beobachtung und Kontrolle der unteren Behörden Erfahrungen und 447 Ebenda.

448 Ebenda. 449 Ebenda.

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Informationen zu sammeln, die dann ein gezieltes und begründetes Eingreifen der Behörden möglich machten. Offensichtlich ermangelte es aber noch immer brauchbarer Informationen oder aber die Behörden leiteten sie dem Innenminister nicht weiter. Dieser wies daher am 23. Oktober 1926450 Polizei und Gendarmerie nochmals darauf hin: „Eine der wichtigsten Aufgaben des Staatsschutzes ist, die Unterbindung der häufig vom Ausland unterstützten verbotenen Propaganda und Organisationen, die sich gegen Staats- und Gesellschaftsordnung richtet.“ Um dieser Aufgabe zufriedenstellend nachzukommen, wäre eine rechtzeitige Information über die Geschehnisse nötig. Er bemängelte die bisherige diesbezügliche Arbeit der Behörden und wies sie an: 1. „Werden Erscheinungen festgestellt, die sich gegen die staatliche und gesellschaftliche Ordnung richten, sind die für den Zuständigkeitsbereich der Behörden nötigen Maßnahmen unverzüglich durchzuführen, und die Partnerbehörden umgehend zu verständigen, damit entsprechende Maßnahmen ergriffen werden können. Über beide Dinge, die festgestellten Erscheinungen und die getroffenen Maßnahmen ist mir zu berichten.“ und 2. „Bezüglich der durch mich erteilten Nachrichten, Informationen, Mitteilungen usw. bitte ich um Rückmeldung, ob sie dem Sachbestand entsprechen oder nicht.“451 Damit mahnte er nochmals eine bessere Kooperation und den Fluss von Informationen an. Dass trotz seiner Überwachungsverordnung und der Ergänzungs-VO den Behörden nach rund zwei Jahren noch immer keine brauchbaren Fakten vorlagen, die es erlaubten, gegen die Gemeinschaften vorzugehen, legt den Schluss nahe, dass die Gemeinschaften weder gegen Gesetze noch gegen die öffentliche Ordnung verstießen. Bei der VO 3.100/1926 handelt es sich um eine Art Up-Date der VO 14.700/1924 mit einigen ergänzenden Maßnahmen wie eine direkte Anweisung zur Anhörung der Vertreter der historischen Kirchen und der korrekten Namensbezeichnung der kleinen Religionsgemeinschaften. 2.  Tagung der Ministerien zum Thema „Sektenbewegungen“ Unzufrieden mit der ambivalenten Situation, setzte der Nachfolger von Innenminister Rakovszky, Béla Scitovszky (1878 – 1959),452 für den 12. Juli 1927 eine Tagung zum Thema „Sektenbewegungen“ an. Wie aus einem vorbereitenden Schreiben des Innenministers an den Außenminister vom 14. Juni453 hervorgeht, war Hintergrund der Einberufung der Tagung die weitere Ausbreitung der kleinen Religionsgemeinschaften, die obwohl so klein an Zahl, den Behörden als echte Gefahr erschienen. Der Minister fasste zusammen: „Die Verbreitung der Sektenbewegung war nach dem Sturz des Kommunismus ein besorgniserregender Umstand. Für diese Ausbreitung haben der Krieg und die dann folgenden revolutionären Be450 

Az. IM 5232/1926. Ebenda, K149 – 651 – 5 – 8 – 1926 – 5232. 452  Innenminister vom 15.10.1926 bis 24.8.1931. 453  Az.: 5.064/1927. 451 

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wegungen günstige Voraussetzungen geschaffen, die das seelische Gleichgewicht störten. Geholfen hat aber auch, dass die Sekten mit Geld aus dem Ausland und mit im Ausland hergestellten Propaganda-Presseerzeugnissen in ungarischer Sprache in großen Mengen versorgt wurden. Dieser Umstand hat schnell zu Unruhe in den Kreisen der historischen Kirchen geführt, insbesondere der katholischen Kirche,“ weswegen Kultusminister Klebelsberg immer wieder an ihn herangetreten wäre, Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung der Gemeinschaften einfordernd – ganz anders als 1923, da er noch auf geistlichem Wege, also mithilfe der Kirchen gegen die Gemeinschaften vorgehen wollte. Doch die wohl größten Probleme mit den Bewegungen hatte der Verteidigungsminister. Er habe sich „zum Teil wegen der Verbindungen der Sekten ins Ausland, zum Teil wegen der antimilitaristischen Propaganda, die einige von ihnen verbreiten bzw. den Wehrdienst verbieten /z. B. die Nazarener/ am meisten gegen die Sekten gestellt“. Gleichzeitig hob der Innenminister im Zusammenhang mit den Staatsinteressen eine Gemeinschaft besonders hervor: „Die sogenannten ‚Bibelforscher‘ oder ‚Bibelstudenten Vereinigung‘, die mit in Brooklyn, dann im rumänisch besetzen Kolozsvár hergestellten Zeitschriften in ungarischer Sprache, die den Papst, die Kirchen, das Staatsoberhaupt angreifen und teilweise mit direkt kommunistisch gefärbter Propaganda versuchen, das Land zu überschwemmen.“ Es sei aus Gründen der Staatssicherheit wünschenswert, ihre Tätigkeit zu unterbinden, „weil wir dann einer zunehmenden religiösen Spaltung und damit der Entstehung neuerlicher geistiger Gegensätze aus dem Weg gehen können“. Besonders gefährlich waren demnach die Bibelforscher, die dem gefürchteten Kommunismus nahe ständen, deren Publikationen eine große Gefahr für Staat und historische Kirchen zu sein schienen. Unter Beachtung dieser Umstände sei die VO 14.700/1924 erlassen worden, „deren Hauptanliegen war, auch die Gottesdienste der Sekten dem Versammlungsrecht beziehungsweise verschiedentlich polizeilicher Genehmigung und Kontrolle zu unterstellen“, und die verfügte, dass daran „Personen unter 18 Jahren nicht teilnehmen“ dürften. Bezüglich der Baptisten schränkte er erneut ein, sie seien nur als „Budapester Kirchengemeinde anerkannt“. Damit hatte man auch einen Weg gefunden, eine nach GA XLIII/1895 gesetzlich anerkannte Gemeinschaft einzuschränken. Der Innenminister betonte nochmals, dass gemäß seiner VO „die Sekten nicht unter das Vereinsrecht fallen“. Danach verwies er auf die Ergänzungs-VO 3.100/1926, die der methodistischen Kirche auf Wunsch des Außenministeriums eine Sonderstellung einräumte und „zurzeit die Zusammenkünfte der Sekte auch periodisch genehmigt“. Mit den dann folgenden Worten wird deutlich, wie wichtig den Behörden die Reputation im Ausland war: „Schließlich muss ich erwähnen, dass die Verfahrensweise der Verordnungen auch aus ausländischer Sicht keine Einwände erhoben werden können – trotzdem der Friedensvertrag von Trianon freie Religionsausübung zusichert, da auf die Sekten im Grunde die allgemeinen Versammlungsregeln angewandt werden.“ Man war sich durchaus bewusst, durch den Vertrag von Trianon auch unter „Beobachtung“ zu stehen. Dann formulierte er nochmals sein Ziel: „Das Hauptanliegen ist, dass die Sektenbewegungen keinen größeren Zuwachs mehr verzeichnen.“ Daher wollte er nach dieser Konferenz ge-

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gebenenfalls eine „neue Gesetzgebung“ erreichen. Damit würde er der „wiederholten Stellungnahmen der historischen Kirchen, in denen sie einen strengeren Umgang mit den Sekten anmahnen“ gerecht. Nicht im Alleingang, sondern erneut im Konsens aller Ministerien, die dafür an einen Tisch gebracht wurden. Im Zusammenhang mit der Tätigkeit der kleinen Gemeinschaften erwähnte er einen weiteren interessanten Punkt: „Ich möchte erwähnen, dass in der Hauptstadt – weil dort die Sektenbewegungen kaum auftauchen – die betreffenden Verordnungen nicht streng angewandt wurden und die Zusammenkünfte der Sekten dort auch regelmäßig erlaubt werden.“454 Tatsächlich betreffen die Berichte zumeist die Landgebiete und insbesondere den Osten des Landes. Wie aus einem Bericht an den Justizminister über die Tagung vom 20. Juli 1927 durch einen Vertreter seines Ministeriums hervorgeht, nahmen Vertreter des Innen-, des Kultus-, des Justiz-, des Verteidigungs- und des Außenministeriums wie auch des Ministerpräsidenten teil. Nach Darlegung der Standpunkte zu den nicht anerkannten Gemeinschaften beschloss man, zur Kontrolle ihrer Gottesdienste und anderen Aktivitäten, „eine Anweisung für die Verwaltungsbehörden auszuarbeiten, und den Entwurf der Anweisung zur Äußerung den beteiligten Ministerien, darunter auch dem Justizministerium, zuzusenden“.455 Diese Maßnahme zeigt, dass die VO 14.700/1924 nach fast drei Jahren noch nicht die gewünschten Ergebnisse erbracht hatte und neue Regelungen her mussten, von einer komplett neuen Gesetzgebung bzw. Änderung des Verfassungsrechts war jedoch nicht die Rede. Die Tagung zeigt auch, dass man noch immer nichts gegen die Gemeinschaften in der Hand hatte, man sie aber aus kirchenpolitischen und staatsrechtlichen Gesichtspunkten unbedingt kleinhalten wollte, andererseits aber die Außenwirkung fürchtete. Der Umgang mit den nicht anerkannten Gemeinschaften bis hierher zeigt, dass sich die Problematik von Trianon wie ein roter Faden und damit in Verbindung der Revisionismus und das Ungarntum durch die Entscheidungen der Behörden zog. Ebenso relevant war auch das Argument des Antimilitarismus. Man war sich einerseits bewusst, unter der Kontrolle der Siegermächte in Bezug auf die Einhaltung des Vertrages von Trianon zu stehen, der auch die Religionsfreiheit einforderte. Zum anderen war der revisionistische Geist, wie auch die Angst vor einem weiteren Zerfall Ungarns oder Schwächung des Landes allgegenwärtig. Die Stärkung des Ungarntums mittels des Erhalts alter Traditionen, die sich in den historischen Kirchen vereinten, bestimmte das Auftreten gegenüber neuen Gemeinschaften, die scheinbar dem Internationalismus, dem Kommunismus und Antimilitarismus Vorschub leisteten. Gerade auch die Sicherung der militärischen Interessen fand immer wieder Erwähnung und stand in der Prioritätenliste ganz oben. In diesem Klima war die Gewährleistung der verfassungsmäßigen Garantie der Religionsfreiheit eine echte Herausforderung, wenngleich sie im Vertrag von Trianon eingefordert wurde.

454 

455 

MJTA, DOK-1784. MOL, K63 – 1929 – 34 – 2907, 5064/1927. Ebenda, K579 – 1927, Bl. 224.

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3.  Beschwerde der Baptisten Auch den Umgang mit der baptistischen Kirche gelang es nicht zu regeln. Aufgrund immerwährender Schwierigkeiten reichte der Budapester Baptistenvorstand am 13. September 1928 beim Kultusminister Beschwerde ein, und erklärte: „In der Gemeinde Markaz in Hevesmegye behinderten Verwaltungsbehörden verschiedentlich schon seit Jahren die Freiheit der Baptisten, Gottesdienste abzuhalten, die Angehörigen der Religionsgemeinschaft wurden als Veranstalter von Volksversammlungen mit Haft bestraft, da die betreffenden keine ausgebildeten Geistlichen seien.“ Der Beschluss des Oberstuhlrichters wurde vom Vizegespan nicht aufgehoben. Der Aussage des Oberstuhlrichters des Amtsgerichts Gyöngyös gegenüber dem Vizegespan des Komitats Heves zufolge, soll es jedoch in der Gemeinde Markaz zu keinerlei Behinderung der Gottesdienste der Baptisten gekommen sein. Er berichtete aber, die Baptisten aus Abazar hätten auch mehrfach um Genehmigung der Versammlungen gebeten. Die Genehmigung sei einerseits deswegen nicht erteilt worden, weil die Versammlung nicht an einem öffentlichen Platz stattfinden sollte und andererseits weil begründeter Verdacht bestand, dass die Zusammenkünfte nicht lediglich religiösen Zielen dienten und wie er aus verschiedenen Berichten erfuhr, seien die Zusammenkünfte dafür angetan, den inneren Frieden und die Ruhe in der Gemeinde zu stören, schließlich auch deshalb, weil die Zusammenkünfte aufgrund ihrer Häufigkeit mangels Personal nicht überprüft werden könnten. Der Vizegespan des Komitats Heves fügte hinzu, bei den Baptisten „Widerstand gegen die Impfung von Babys und Kindern festgestellt zu haben.“456 Nachdem der Kultusminister den Justizminister von der Angelegenheit in Kenntnis gesetzt hatte, antwortete dieser am 5. Dezember 1928, dass die Zusammenkünfte der Baptisten „auf religiösem Gebiet nicht einer so direkten behördlichen Kontrolle unterliegen wie irgendwelche anderen öffentlichen Versammlungen, da sie über eine vom Staat anerkannte verwaltungsrechtliche Organisation verfügen und so die Staatsmacht die evtl. nötige behördliche Überwachung über die gesetzliche Organisation der Kirche ausführt“. Daher sei der Standpunkt des Oberstuhlrichters des Amtsgerichts Gyöngyös nicht korrekt, eine vorherige behördliche Genehmigung der Zusammenkünfte sei nicht von Nöten. „Das Abhalten der Gottesdienste in einem Privathaus stellte ebenfalls keinen gesetzlichen Hinderungsgrund zur Unterbindung religiöser Zusammenkünfte dar. Es gibt keine einschränkende Verordnung in der Hinsicht, dass die Angehörigen der anerkannten Religionsgemeinschaft Gottesdienste oder sonstige religiöse Zusammenkünfte nur in Kirchen abhalten oder Zusammenkünfte aus anderem religiösem Zweck nur an ständig festgelegten anderen Plätzen abhalten dürfen. Sollte der Verdacht begründet sein, dass die Zusammenkünfte nicht rein religiösen Zwecken dienen, sollen die Verwaltungsbehörden den Tatbestand ermitteln und wenn sich herausstellt, dass die Zusammenkünfte gegen Gesetze verstoßen, wird gegen die verantwortlichen Personen ein entsprechendes Verfahren eingeleitet, gegebenenfalls werden strafrechtliche Schritte unternommen. […] Zum Einwand des Vizegespans 456 

Ebenda, K579 – 1928 – 4-September, Bl.  252 – 256.

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des Komitats Heves, dass die Baptisten die Impfung ihrer Kinder ablehnen, ist zu sagen, dass sie glauben, ihr Glaube verhütet jede Krankheit.“457 Prinzipiell war also gegen die Baptisten nichts zu unternehmen, selbst eine ablehnende Haltung zu bestimmten medizinischen Behandlungen wurde toleriert. Ein weiteres Extrem-Beispiel der Verfahrensweise mit der baptistischen Kirche noch unter der Bethlen-Regierung macht ein Bericht deutlich, der am 27. Mai 1931 beim Justizminister einging. In einer Gemeinde war es zu einer echten Störung des interkonfessionellen Friedens gekommen. Aus der Akte des Justizministers ergibt sich ein vielsagendes Bild: Der Oberstuhlrichter hatte auf der Grundlage des Erlasses Nr. 228/1893. I. M. und § 8b GA XX/1901 das Abhalten der Gottesdienste sowohl der römisch-katholischen als auch der baptistischen verboten, da zu befürchten sei, dass die Ordnungsstörungen sich wiederholten und insofern „das Interesse der öffentlichen Ordnung und Ruhe das Verbot der religiösen Zusammenkünfte“ erfordere. Vorausgegangen waren tätliche Auseinandersetzungen zwischen den Glaubensangehörigen. Die Vorgänge wurden dem Oberstuhlrichter aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert. Wie die Baptisten berichteten, wurden ihnen 1931 noch immer bei dem Abhalten ihrer Gottesdienste in Polgár durch Polizeifunktionäre Schwierigkeiten gemacht. Seitens der römisch-katholischen Kirche trug Dechant Dr. Péter Kiss vor, es gäbe „in dem sogenannten baptistischen Bethaus auf der Fleischerwiese Abend- und Nachtzusammenkünfte mit Lärm und Prügelei“ und „in diesen Zusammenkünften religionsschmähende Äußerungen“. Außerdem würden diese „nicht im Geist einer Andacht ablaufen“, sondern seien vielmehr „von kommunistischer Natur“. Das wiederum habe zu einer Gegenreaktion auf katholischer Seite geführt. Eifrige römisch-katholische Gläubige hätten sich zu außergewöhnlichen Zusammenkünften eingefunden. Der Dechant bat in Bezug auf die Baptisten, „jegliche solcher Zusammenkünfte außer der Kirche und der Schule im Interesse der öffentlichen Ordnung und Ruhe zu verbieten“. Der Gemeindevorstand seinerseits wusste zu berichten, dass „auf der sogenannten Fleischerwiese in dem einen Haus die Gläubigen der römisch-katholischen Kirche, in dem anderen Haus die baptistischen Gläubigen religiöse Zusammenkünfte abhielten.“ Mit anderen Worten die beiden kirchlichen Einrichtungen standen sozusagen buchstäblich vis-à-vis. Die Glaubensangehörigen beider Kirchen trafen also unvermeidlich aufeinander. Wie weiter berichtet wurde, wäre es zu Spannungen gekommen, da die wirtschaftlichen Verhältnisse die Bevölkerung bereits außergewöhnlich bedrückten und sie durch diese „Aufregung noch mehr aus der Ruhe gebracht“ würden, was bereits in Tätlichkeiten ausgeartet wäre. So wurden in der Nacht die Fenster eines Bethauses zerschlagen. Als man die Täter fassen wollte, seien sie in ein friedliches Haus geflüchtet, und hätten die Bewohner des Hauses mit großem Lärm furchtbar erschrocken. In dem Bericht des Gemeindevorstands wurde auch behauptet, es gehe in den Zusammenkünften „nicht nur um religiöse Fragen, sondern auch um die heutige schwere Lage“. Das jedoch sei „nicht erwünscht“, da das schnell „zur Aufwiegelung genutzt“ werden könne. Hinzu kam der Rapport eines 457 Ebenda.

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Gendarmeriepostens, demzufolge die Zusammenkünfte die allgemeine Sicherheit und die öffentliche Ruhe im großen Maß gefährdeten. Ein Beweis dafür seien „die in jüngster Vergangenheit abgelaufene Schlägereien, Vermögensbeschädigungen usw.“ Auch er wusste zu berichten, dass es bei den Zusammenkünften ebenfalls um „die heutigen schweren Existenzverhältnisse“ ging, was gut geeignet sei, „die Verbitterung und Unzufriedenheit der sowieso schon unzufriedenen Bevölkerung anzuheizen“. Seiner Meinung nach würde man nach den Gebeten über die sozialdemokratische Organisation in der Gemeinde Polgár sprechen. Daher riet der Gendarmerieposten dringend zum Verbot der Zusammenkünfte. Die Baptisten gingen in Berufung und verwiesen darauf, von der Anmeldepflicht der Gottesdienste befreit zu sein. Sie betonten, das Ziel ihrer Zusammenkünfte sei die Seelsorge der in der Gemeinde Polgár wohnenden Baptisten, „die Vertiefung ihres religiösen Gefühls und die Förderung der aus einem aufrichtigen religiösen Gefühl entstehenden patriotischen und bürgerlichen Tugenden“. Man betonte, in der Örtlichkeit schon regelmäßig Zusammenkünfte abgehalten zu haben, als die römisch-katholische Kirche noch keine Räumlichkeit in der Nähe ihres Bethauses angemietet habe. Auch seien gegen die Baptisten aufwiegelnde Flugschriften verbreitet worden, und es soll vorgekommen sein, dass Geistliche den landwirtschaftlichen Verein aufgefordert hätten, Baptisten und Sozialisten keine Arbeit zu geben. Die Baptisten ihrerseits hätten den Oberstuhlrichter darum gebeten, die gottesdienstlichen Zusammenkünfte durch Ordnungskräfte zu sichern. Dieser Bitte sei man nicht nachgekommen, was dazu geführt hätte, „dass unbesonnene Menschen die Fenster mit Steinen eingeschlagen“ und „betende Baptisten verwundet“ hätten. Die Sache war nach dem Rückmeldeprinzip vor den Innenminister gekommen, der zunächst den Kultusminister um Stellungnahme bat, welcher auf das Recht der Baptisten auf das Abhalten gemeinsamen Gottesdienstes verwies: „Dieses Recht steht der Glaubensgemeinde als unter dem Schutz und Hauptaufsicht des Staates stehenden gesetzlich anerkannten öffentlichen religiösen Körperschaft zu.“ Der Justizminister wurde am 30. September 1931 eingeschaltet, und wieder wurde die Frage aufgeworfen, ob die Teilnehmer am baptistischen Gottesdienst wirklich Baptisten seien. Zunächst erklärte er gegenüber dem Innenminister, „dass der gemeinsame Gottesdienst der Mitglieder der baptistischen Glaubensgemeinschaft – an dem aus dem Prinzip der Öffentlichkeit folgend auch Andersgläubige erscheinen dürften – nicht unter die unmittelbare polizeiliche Kontrolle falle, wie andere öffentliche Versammlungen, denn im Allgemeinen übe die Staatsmacht durch die gesetzlichen Organisationen, also indirekt über die rezipierten und gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften, die eine vom Staat anerkannte Organisation des öffentlichen Rechts sind, die eventuell nötige polizeiliche Aufsicht aus.“ Dann jedoch folgt eine interessante Wendung, wenn er auf einen Bericht verwies, wonach „das Ziel der betreffenden Zusammenkünfte war, neue Gläubige für die baptistische Glaubensgemeinschaft zu werben; und an diesen Zusammenkünften, an denen auch nicht nur religiöse Fragen behandelt wurden, haben gelegentlich in die Gemeinde kommende baptistische Prediger vor einer, aus einigen nicht baptistischen

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Bewohnern der Gemeinde bestehenden Zuhörerschaft Vorträge gehalten. Wenn dieser […] Bericht des Oberstuhlrichters den Tatsachen entspricht, so kann man die vorliegenden Zusammenkünfte meiner Ansicht nach selbst in dem Fall nicht als Gottesdienste betrachten, wenn sie scheinbar dem baptistische Statut für Gottesdienste gemäß abgelaufen sind oder wenn bei diesen auch zu dem Bereich des Gottesdienstes gehörende Aktivitäten durchgeführt wurden.“ Eine Zusammenkunft nicht baptistischer Personen sei gemäß den staatlichen Gesetzen auch nach dem in „einem gegebenen Fall zum Ausdruck gebrachten Standpunkt eines Vorgängers Eurer Exzellenz“ nicht als baptistischer Gottesdienst zu betrachten. Zusammenkünfte solcher Natur würden schon unter polizeiliche Kontrolle und Anmeldepflicht fallen und ihre Abhaltung von der Genehmigung der Behörde abhängen, „selbst in dem Fall, wenn in denen ausschließlich religiöse Sachen behandelt werden“. Unklar ist, welcher gesetzlichen Grundlage er diese Aussage entnahm. Er stellte sie ohne weiteren Beleg als Fakt dar.458 In einer Randnotiz erklärte er, es hänge von der Erwägung der Umstände im gegebenen Fall ab, inwieweit der Missionseifer an den Versammlungen, die Gläubigen von anderen Kirchen planmäßig und massenhaft wegzuziehen, diese Versammlungen bedenklich mache. Seiner Ansicht müssten dann, wenn „das planmäßige und massenhafte Missionieren zur Störung des friedlichen Verhältnisses zwischen den Glaubensgemeinschaften führt, es einen Streit zwischen den Einwohnern der einen oder anderen Gemeinde hervorruft, der bis in Tätlichkeiten ausartet“, strengere Mitteln der Polizei begründet sein, „denn die freie Religionsausübung darf sich nicht so ausdehnen, dass dadurch das friedliche Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften gefährdet ist“. Interessanterweise hatte er sich in keinster Weise zur kriminellen Vorgehensweise katholischer Gläubiger gegenüber der baptistischen Gemeinschaft geäußert. Er hat auch mit keinem Wort erwähnt, wie er das Verbot der katholischen Zusammenkünfte bewertete. Die Klärung des Sachverhaltes, wer hier tatsächlich was verursachte hatte und die Anhänger welcher Kirche involviert waren, wurde nicht angestrebt. Dass Handgreiflichkeiten in dieser Zeit kein Einzelfall waren, zeigt auch der Zeitzeugenbericht des reformierten Geistlichen Imre Kádár, der sich lebhaft daran erinnerte, dass „der [reformierte] Geistliche im Ort nicht nur einmal die Prediger der Baptisten durch Gendarmerieohrfeigen abfertigen ließ“.459 4.  Antrag der Methodisten auf gesetzliche Anerkennung Nach all den Diskussionen um eine Sonderbehandlung der methodistischen Kirche wandte sich Superintendent Funk von der methodistischen Kirche am 5. August 1927 nach vorherigen Gesprächen mit Behördenvertretern an die Behörden mit der Bitte, die für eine gesetzliche Anerkennung „nötigen Verhandlungen einzuleiten, um mögliche Hindernisse ausräumen zu können“. Voraussetzung dafür war, so der Kultusminister, „dass die Staatsbürger, die zur gesetzlich anerkannten 458 

459 

Ebenda, K579 – 1931, Bl. 93 – 101. Kulcsár, Gendarmenohrfeigen.

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Religionsgemeinschaft werden wollen, Teil II, § 7 Punkt I XLIII/1895 zur Errichtung und Aufrechterhaltung einer Kirche zusichern können, ferner Erfordernisse für die religiöse Erziehung der zu ihrer Konfession gehörenden Kinder erfüllen. Ferner im Sinne von Punkt 2 des Gesetzes die Statuten der Organisation […] mit allen das Glaubensleben betreffenden Regelungen mir zur Genehmigung vorzulegen.“ Vorzulegen war auch „eine statistische Aufstellung über die Verbreitung der Anhänger der Religion der Methodisten in Ungarn“.460 Am 17. Februar 1928461 setzte der Kultusminister den Justizminister in Kenntnis und übersandte ihm am 24. Mai die Akten im Anerkennungsverfahren.462 Zuvor hatte sich der Innenminister am 1. März 1928 unter Bezug auf die VO 14.700/1924 und die ergänzende Verfügung 3.100/1926 mit einer weiteren VO 4.400/1928 an die Polizeibehörden gewandt, in der er darauf verwies, wegen „der Lehren im Geist des Evangeliums und der außenpolitischen Bedeutung im Zusammenhang mit ihrer Verbreitung im Ausland“ bereits eine nachsichtige Umgangsweise mit der methodistischen Kirche angeordnet zu haben und darüber informierte, dass eine „Anerkennung offenbar in Kürze“ erfolge, und er daher um Anweisung der untergeordneten Behörden und Amtspersonen bat, ihre gegenüber bis dahin die für die Sekten allgemein verbindlichen besonderen Regelungen nicht anzuwenden bzw. ihre Zusammenkünfte nicht genehmigungs- und überwachungspflichtig zu behandeln.“463 Immerhin war man sich der Bedeutung der methodistischen Kirche in den USA „mit fast 67 000 Versammlungen“ bewusst, und „deshalb erfordern die außenpolitische Gesichtspunkte zweifellos, dass die Behörden die religiöse Angelegenheiten der ungarischen Gläubigen der Kirche mit gewisser Rücksicht erledigen“.464 Befremdlicherweise scheint über diesen Antrag nicht schnell entschieden worden zu sein. Noch im September 1934 erhielt das Justizministerium ein Schreiben des Kultusministers, nach dem die methodistische Kirche versicherte, in der Lage zu sein, die Aufrechterhaltung der zu errichtenden Gemeinde bzw. Gemeinden, ferner den schulischen Religionsunterricht der Kinder der Glaubensgemeinschaft zu gewähren. Die den Zwecken der Kirche dienenden Immobilien stünden auf dem Namen der Christlichen Bücherei Genossenschaft; diese Immobilien werden im Fall der Anerkennung der Kirche sofort der Kirche übergehen. Man hatte also bis zur Anerkennung einen modus vivendi gefunden.465 Als Mitgliederzahl der Kirche wurden 1 100 Personen benannt. Schließlich hatte der Ministerpräsident selbst, wie aus dem Schreiben des Kultusministers hervorgeht, darauf verwiesen, dass der Außenminister die Anerkennung der Episkopalen466 Methodisten Kirche im Hinblick auf ihre weite 460 

MOL, K579 – 1928, Bl.  239 – 241. 63.542/1927. 462 Ebenda. 463  Ebenda, K149 – 651f-5 – 10 – 4400, ebenda K579 – 1928 – 2 März, Bl.  242 – 244. 464  Ebenda, K579 – 1927, Bl.  220 – 223. 465  Immobilien und Versammlungen gab es gemäß diesem Schreiben in folgenden Orten: Budapest, Szeged, Nyíregyháza, Kaposvár, Miskolc, Borjád, Györköny und Dombovár. 466  Das Attribut „Episkopale“ wurde später im Statut weggelassen, wahrscheinlich weil in der Frage der Anerkennung die vom Kultusminister höchstwahrscheinlich angehörten 461  Az.:

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Verbreitung in den angelsächsischen Ländern für wünschenswert hielt und auch der Innenminister und der Verteidigungsminister keine Einrede gegen die Anerkennung erhoben haben, daher „hat der Herr Ministerpräsident – aus allgemeiner Regierungssicht – ebenfalls keine Einrede dagegen, die vorliegende Kirche für eine anerkannte Glaubensgemeinschaft zu erklären“.467 Der Justizminister nahm die Befürwortung zur Kenntnis und sah kein gesetzliches Hindernis, außer der Problematik, die Erfüllung der Voraussetzung zur Errichtung und Aufrechterhaltung einer Gemeinde, ferner die Gewährleistung des Religionsunterrichts durch die Methodisten lediglich aufgrund der Aktenlage nicht prüfen zu können. Er bat außerdem noch um einige Änderungen an den Statuten.468 Darüber hinaus schlug er vor, die Überschreibung der „zurzeit auf dem Namen der Christlichen Bücherei Genossenschaft stehenden Immobilien“ vorzubereiten, was zeigt, dass er die an sich nicht legale Umgehungsstrategie der methodistischen Kirche in Verbindung mit den Immobilien billigte.469 Doch damit war die Sache noch nicht ausgestanden, noch im August 1936 ist diesbezüglich Schriftverkehr zwischen den Ministerien belegbar.470 Der methodistischen Kirche dauerte diese Hinhaltetaktik zu lange, zudem es immer wieder zu Problemen beim Abhalten der Gottesdienste kam, wobei die Schwierigkeiten in den 1930er-Jahren zunahmen. Bischof Nuelsen schaltete sich ein und beschwerte sich in Washington bei Botschaftsrat Balásy, der seinerseits am 26. Mai 1936 den ungarischen Außenminister informierte, um Sachstandsmeldung bat und deutlich machte, dass solche Probleme aufgrund der Bedeutung und Position der methodistischen Kirche in den USA bei einer Wiederholung „eine lästige Pressekampagne in den amerikanischen Blättern“ hervorrufen könnten.471 In Ungarn ging man der Angelegenheit nach und stellte fest, dass das weitere Abhalten von Gottesdiensten in der Gemeinde Szakály untersagt worden war, weil Jugendliche unter 18 Jahren daran teilgenommen hatten. Der Vizegespan berichtete am 22. August, dass diesem Zustand aufgrund der Beschwerde Abhilfe

rezipierten christlichen Kirchen ihre Stimmen gegen die Verwendung dieses Attributs erhoben hatten. Ebenda, K579 – 1934, Bl. 130 – 136. 467 Ebenda. 468  Ebenda. So regte er interessanterweise eine Änderung der Terminologie an, es sollte dem Wortgebrauch anderer rezipierter Kirchen angepasst werden. Hierbei ging es um den Begriff „Versammlung“, mit dem die kleines Selbstverwaltungseinheit bezeichnet wurde, was aber irreführend wäre, da dieser Begriff z. B. in der baptistischen Kirche keine organisierte rechtliche Einheit mit Selbstständigkeit des öffentlichen Rechts und des Privatrechts bedeutete. Insofern sollte der Begriff Kirchengemeinde verwendet werden. 469  Man müsse dazu genau feststellen, welche Immobilien die Gläubigen der methodistischen Glaubensgemeinschaft für ihre religiöse Zwecke benutzen möchten, müsste ihre Grundbuchsauszüge besorgen, und das Vorlegen einer, von der erwähnten Genossenschaft firmenmäßig unterzeichnete Bewilligung der Eintragung verlangen. 470  Ebenda, K579 – 1936, Bl. 127, 130, 129 (5555 – 5558). 471  Ebenda, K149 – 651 – 1936 – 9725.

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geschaffen wurde.472 Dennoch sollte es bis zum Jahr 1947 nicht zur gesetzlichen Anerkennung der methodistischen Gemeinschaft kommen.473

X.  Geheime Verordnung des Innenministers 6.200/1928 Die neuerlichen Maßnahmen des Innenministers fallen in eine innenpolitisch angespannte Zeit, da die Wirtschaft stagnierte,474 aber auch eine Zeit, in der man offen über eine Revision der durch Trianon festgelegten Grenzen zu sprechen begann.475 Der Pesti Napló (Pester Journal) erklärte im Januar 1928: „Das besiegte und verstümmelte Ungarn gibt in vielerlei Hinsicht ein konsolidierteres Bild, als mehrere der Siegerstaaten. István Bethlen hat eine stabile Basis geschaffen … aus Ruinen entstand ein neues Land, auf alten Gründen aber mit neuer Kraft. Ein neuer Gemeinschaftsgeist ist am Entstehen.“476 In einer Radioansprache wandte sich Klebelsberg 1928 zur Beförderung des nationalistischen Geistes vor allem an die Jugend, die er die Verstümmelung Ungarns vor Augen haltend nachdringlich aufforderte, die inneren Werte Ungarns hochzuhalten. Gleichzeitig unterschied er zwischen guten und schlechten Staatsbürgern, als letztere wurden die klassifiziert, die die nötigen Maßnahmen nicht unterstützten.477 In Anlehnung an die italienische Politik wollte Klebelsberg den „Ungarn neuen Typus“.478 Die kleinen Religionsgemeinschaften passten sicher nicht in dieses Konzept des gewünschten nationalistischen Menschen neuen Typus – ein Grund mehr für den Innenminister, das Problem zu lösen. Innenminister Scitovszky musste jedoch feststellen, „dass bei der Ausbreitung der Bewegungen nicht der Rückgang zu verzeichnen ist“, den er erwartet hätte, genauso wenig wie bei den Behörden „nicht die Kenntnis und die Kraft“, mit der er aufgrund seiner Richtlinien und Verordnungen gerechnet hatte, vorhanden war.479 Daher fasste er am 8. Juli 1928 nach einer weiteren Tagung im Juni mit einer weiteren Verfügung, der VO 6.200/1928, für die Gendarmerie- und Polizeiorgane „die

472 Ebenda. 473 

Ebenda, K579 – 1947, Bl.  295 – 296. Journalist György Oláh sprach in seinem 1928 in Miskolc erschienenen Buch „Hárommillió koldus“ (Drei Millionen Bettler), einer soziografischen Studie, von 3 Millionen Bettlern in Ungarn. 475  Fischer, Entwicklungsstufen, S. 12. 476  Ungarn in der Zwischenkriegszeit, Textquellen, http://www.herder-institut.de/startseite/dokumente-und-materialien/moduluebersicht/ungarn-in-der-zwischenkriegszeit/ textquellen.html?tx_himmat_pi1[showUid]=1001&cHash=8ac37bee7f54f330c24ce6da02d1a313 (Zugriff am 17.4.2013). 477 Klebelsberg Kuno rádióbeszéde az ifjúsághoz 1928, részlet [Kuno Klebelsbergs Radioansprache an die Jugend 1928, Auszüge]. http://zomobo.net/r%C3%A1di%C3%B3besz%C3%A9de (Zugriff am 4.8.2012). 478  http://mek.oszk.hu/09800/09852/09852.htm#28 (Zugriff am 15.5.2013). 479  MOL, K63 – 1929 – 34 – 2907. 474  Der

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Rechtsvorschriften noch einmal zusammen“, die „sich die Behörden in Verbindung mit den Bewegungen vor Augen zu halten verpflichtet“ seien.480 Im Anschluss auf den Verweis auf die Richtlinien des Innenministeriums mit VO 14.700/1924 und der Ergänzung 3.100/1926, welche „die Polizeibehörden verpflichtet sind, gegen die Sektenbewegungen anzuwenden“, nannte er, nachdem er feststellen musste, dass die Gemeinschaften im Land „eine lebhafte Tätigkeit“ entwickelten, in seinen Gründen für diese Richtlinien – anders als in VO 14.700 – zuerst den Vorwurf, sie hätten mit ihrem aggressiven Auftreten „die Glaubensansichten der historischen Kirchen und deren Vorsteher verletzt“. Darüber hinaus würden sie sogar „mit der Verbreitung ihrer antimilitaristischen Propaganda und ihrer schädlichen Weltanschauung die staatliche Ordnung gefährden“. Inhaltlich ähneln die Vorwürfe der VO 14.700, nur die Reihenfolge wich ein wenig ab. Sein Hauptfokus lag auf dem Erhalt von Macht und Freiheit der historischen Kirchen. Eine Konkretisierung der Vorwürfe oder Beweisführung erfolgte nicht. Angesichts der unkoordinierten Vorgehensweise der Behörden in der Vergangenheit fasste Scitovszky die früheren Richtlinien in sechs Punkten zusammen. In seinem ersten Punkt kam er wie in VO 14.700/1924 nicht umhin, zunächst auf die Rechtslage der Gemeinschaften (er nannte hier konkret „die Methodisten, Adventisten,481 Nazarener, Bibelforscher, Altchristen, Heilsarmee, freie katholische Kirche“) einzugehen, wobei er betonte, dass es zur Religionsfreiheit außer GA XLIII/1895 und § 55 des GA XXXIII/1921 keine weitere Rechtsgrundlage gebe, es stehe „aber außer Zweifel, dass die freie Religionsausübung der Anhänger solcher gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften – bis zu ihrer gesetzlichen Anerkennung – an überprüfbare Bedingungen geknüpft sind, damit diese Religionsausübung im Staatsinteresse, der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sitte nicht gegen die bestehenden Gesetzen verstößt“. Mit dieser Formulierung bestätigte er, dass nicht die formellen Gesetze die Grenze der Religionsfreiheit bestimmten, sondern nur an „die öffentliche Ordnung und öffentlichen Sitten“ geknüpft waren. An der Art seiner Äußerung wird wiederum deutlich, dass er eben keine rechtliche Grundlage hatte, auf die er seinen Anspruch an überprüfbare Bedingungen stellen konnte, sondern ihn nur mit der Formulierung es stehe „außer Zweifel“ wie selbstverständlich erhob. Im Übrigen erwähnte auch er nicht, dass es sich bei GA XLIII/1895 und Artikel 55 GA XXXIII/1921 um Verfassungsgesetze handelte. Die Behörden forderte er erneut gemäß VO 14.700/1924 auf, die „Sekten der dauerhaften und sorgfältigen polizeilichen Überwachung und Kontrolle zu unterstellen“. Würden die Gemeinschaften „das Glaubensleben überschreitende sich gegen den Staat richtende, antimilitaristische oder gegen die öffentli480 Ebenda.

481  In der Anlage verwies der Minister besonders auf ihre Missionstätigkeit und erklärte, dass in Ungarn 26 Missionare predigten und außerordentlich großen Wert darauf legen würden, Schriften zu verbreiten. „80 Schriftausträger verstreuen bei uns in Millionenzahl winzige Heftchen. Ohne Erlaubnis.“ Ihre Lehren drehten sich „vor allem um die Wiederkunft Christi“. Da der Sonntag durch den Klerus eingeführt wurde, sei „der Papst der Antichrist“.

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chen Sitten verstoßende Propaganda entfalten oder innerhalb ihres Glaubenslebens zur Beschaffung von Gläubigen die Glaubensgrundsätze der historischen Kirchen und die Kirchenvorsteher verletzende Methoden anwenden und so den interkonfessionellen Frieden gefährden, soll die zuständige Polizeibehörde unverzüglich die offensichtlich nötigen die Bewegung einschränkenden Schritte unternehmen und mir sofort Bericht zu erstatten“. Erneut war die Vorgabe des Ministers sehr unklar und nach Belieben auslegbar und gab damit großen Spielraum zum Eingreifen der Behörden. Nicht zu vergessen ist, dass der Minister die Behörden erneut wie schon in der VO 3.100/1926 aufrief, „bezüglich der Vorgehensweise gegen die Sektenbewegung die örtlichen Vertreter der historischen Kirchen“ anzuhören. Mit dieser Maßnahme konnte auch die kirchenpolitische Allianz auf der unteren Ebene enger geschmiedet werden. In seinem zweiten Punkt richtete Scitovszky – ebenfalls wie VO 14.700 – sein Augenmerk konkret auf die „Zusammenkünfte, die Religionsausübung, administrative Versammlungen, Ausbildungskurse usw.“, die zu überwachen seien und auf die das Versammlungsrecht (Verweise auf VO 5.481/1914 M.P., VO 11.004/1921 M.P., VO 6.000/1922 I.M. und VO 34.100/1922 I.M.) zutraf. Danach wären „die Zusammenkünfte genehmigungspflichtig bzw. fallen unter die kommissarische Überwachung der Behörden“. Offensichtlich ging es dem Minister im Unterschied zum zweiten Punkt hier, da er konkrete Fälle ansprach, in seinem ersten mehr um die Überwachung der Tätigkeit der Gemeinschaften im Allgemeinen, möglicherweise das Missionieren im Besonderen, wenngleich es nicht direkt benannt wurde. In seinem zweiten Punkt wies Scitovszky nochmals auf die nicht erlaubte Teilnahme von Minderjährigen hin, die angeblich mit GA XLIII/1895 untersagt sei. Noch immer unter Punkt zwei – nunmehr anders als in VO 14.700/1924 – kam er auf das bereits angesprochene Problem der Urteilsbegründungen der unteren Gerichtsbehörden zu sprechen. Er wies darauf hin, dass es vorkäme, dass die erstinstanzlichen Beschlüsse oft mit dem „Glaubensleben und den Glaubensgrundsätzen“ der Gemeinschaften begründet würden, manche sich gar „auf meine lediglich zur geheimen Information herausgegebenen Verordnungen beziehen“, was auch von der zweiten Instanz nicht geändert wurde. Er forderte „die Bezirkspräsidenten und die Vizegespane der Komitate“ auf, die ihnen untergeordneten Behörden anzuweisen, „die Begründung der Beschlüsse in diesen Angelegenheiten mit den allgemeinen Regelungen des Versammlungsrechts die von der Behörde festgestellten Fakten oder mit Erwägungen der öffentlichen Sicherheit die örtlichen Verhältnisse betreffend zu begründen“ bzw. „davon abweichende Begründungen der Beschlüsse zweitinstanzlich zu verändern“ – also Begründungen die Lehre der Gemeinschaften betreffend zu vermeiden, da man sich auf theologisches Gebiet begab, wofür es keine Gesetzesgrundlage gab. Diese Anweisung stellte eine Neuerung, eine wesentliche Änderung, gegenüber den vorausgegangenen Verordnungen dar, mit der man versuchte den Rahmen der Urteilsbegründung für die unteren Instanzen unrechtmäßig vorzugeben.

C.  Handhabung der Religionsfreiheit ab 1920 (in der Bethlen-Ära)

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Auch wies er die Verwaltungs- und Polizeibehörden an, die Namen der Gemeinschaften nach ihrer „rechtlichen Situation“ zu gebrauchen: „Z. B. die unter dem Namen Siebentagsadventisten tätige gesetzlich nicht anerkannte Religionsgemein­ schaft oder die unter der Bezeichnung Heilsarmee tätige gesetzlich nicht anerkann­ te Religionsgemeinschaft [Hervorhebung v.d.V.].“ Er verwies auch erneut darauf, dass die nicht anerkannten Religionsgemeinschaften „nicht unter den Begriff Verein fallen“. Hierbei handelte es sich um eine Ergänzung der VO 14.700/1924. In seinem dritten Punkt kam er offensichtlich zu seinem Hauptanliegen: Wer die weitere Ausbreitung der Gemeinschaft verhindern wollte, musste das Gewinnen neuer Anhänger unterbinden. Scitovszkys Appell richtete sich daher gegen den Vertrieb von Publikationen: „Weil die Hauptform der Beschaffung von Glaubensanhängern und der Agitation der gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften sich in der Verbreitung von Presseerzeugnissen auf der Straße und durch Hausieren äußert, rufe ich die Leiter der Munizipialbehörden auf, wenn in ihrem Zuständigkeitsbereich um Genehmigung für die Verbreitung solche Bewegungen propagierender Presseerzeugnisse gebeten wird, diese nur nach Rücksprache mit mir zu erteilen. Von den Polizeibehörden erwarte ich allerdings, dass sie die Verbreitung von Presseerzeugnissen ohne Genehmigung durch aufmerksame Kontrollen unterbinden.“ Auch das stellte eine nicht unwesentliche Neuerung und gleichzeitig eine nicht geringe Einschränkung der Befugnis der Autonomie der Munizipialbehörden dar, die nunmehr nur dann selbst entscheiden konnten, wenn sie ein Verbot von Druckschriften aussprachen, ansonsten waren sie von der Entscheidung des Innenministeriums abhängig. Alle nun folgenden Forderungen waren mehr oder weniger neu im Hinblick auf die VO 14.700/1924. Mit Punkt vier wandte er sich wiederum gegen eine Stärkung aus dem Ausland, wenn er sich korrekterweise auf § 13 des GA XLIII/1895 bezog, der vorschrieb, dass nur moralisch und politisch einwandfreie ungarische Staatsbürger sich als Geistliche einer gesetzlich anerkannten Gemeinschaft eigneten, was auch auf die nicht anerkannten zutraf. Allerdings könnten Ausländer, die den Auflagen genügten, mit Zustimmung des Kultusministers vorübergehend als Geistliche tätig sein – wahrscheinlich ein Zugeständnis in Verbindung mit der methodistischen Kirche, die große Unterstützung von deutschen Glaubensanhängern hatte. In Punkt fünf betonte er nochmals, „dass die gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften, da ihre Glaubensanhängigen keineswegs eine rechtliche Gemeinschaft darstellen und ihre Ziele rein dogmatisch sind, nicht unter den Begriff Vereinigung fallen“, also auch keinen Verein gründen konnten. Unter Punkt sechs ging er auf einige Gemeinschaften konkret ein. Sein besonderes Augenmerk galt den Bibelforschern: „In Verbindung mit einigen Sektenbewegungen möchte ich Folgendes feststellen: Die unter den Namen ,Internationale Bibelstudenten Vereinigung‘, ,Bibelforscher Vereinigung‘, ,Leuchtturm‘, ,Bibel Traktat Gesellschaft‘ arbeitende Sekte, deren Lehre und verbreitete Presseerzeugnisse, sich nicht nur gegen die historischen Kirchen richte, sondern gegen die aus

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strafrechtlichen oder staatssicherheitlichen Gesichtspunkten schwere Vorwürfe erhoben werden, erfordert besondere Beachtung.“ Die Begründung findet sich in seiner Anlage mit einer Beschreibung der Gemeinschaften, wo es zu den Bibelforschern hieß: „Sie beschäftigen sich auch viel damit, warum die katholische und die protestantische Kirche so viel Schaden gestiftet haben und warum der erste Weltkrieg ausgebrochen ist. Für letzteres machen sie Kirchen und Staat verantwortlich. Ihre Lehren sind kommunistisch gefärbt, weshalb viele ihrer Flugschriften [Broschüren] von den Behörden beschlagnahmt wurden.“ Weiter im Text von Punkt sechs resümierte Scitovszky: „Ein beachtlicher Teil der Presseerzeugnisse dieser Gemeinschaft wurde auf richterliche Verfügung beschlagnahmt oder eingezogen bzw. deren ausländische Ausgaben verboten, wovon ich die Behörden von Fall zu Fall in Rundverfügungen informierte.“ Und forderte dann nachdrücklich: „Die Ausbreitung dieser Sekte ist von den Behörden unbedingt zu unterbinden und gegen die Verbreitung der Presseerzeugnisse vorzugehen.“ Im Gegensatz dazu erklärte er mit Verweis auf seine Verordnung 4.400/1928 die methodistische Kirche482 betreffend, „wegen ihrer Lehren im Geist des Evangeliums und ihrer Verbreitung im Ausland und weiter deswegen, weil die nicht anerkannte Religionsgemeinschaft in der Zwischenzeit beschlossen hat, um Anerkennung zu bitten, in deren Folge es in absehbarer Zeit zur Anerkennung kommen wird“. Die Polizeibehörden sollten die Sekten betreffenden Maßnahmen in diesem Fall nicht anwenden bzw. die Zusammenkünfte nicht an behördliche Genehmigungen knüpfen und nicht kontrollieren. Diese Verfügung halte er bis zur Anerkennung dieser Gemeinschaft auf unbeschränkte Zeit weiter aufrecht. Diese Maßnahme zeigt, dass das Verfassungsgesetz zur Religionsfreiheit auch im Fall nicht anerkannter Religionsgesellschaften großzügiger ausgelegt werden konnte. Auch in Verbindung mit der Heilsarmee483 ging man nachsichtiger um: Ihre Tätigkeit, die „wohltätigen Aktionen“ und das „soziale Engagement“ in Budapest, so sie „nicht übermäßig auffällt“ sollten nicht durch die „unter Punkt I-IV festgelegten Grenzen der Betätigung“ eingeschränkt werden. Auf dem Land hingegen schon, wo „die Gefahr der religiösen Reibereien größer“ sei. Wahrscheinlich kam es häufig zu Rivalitäten, da Geistliche der historischen Kirchen sich angegriffen fühlten, die auf dem Land eine traditionelle Vormachtstellung genossen. Zu diesem Schluss gibt auch der Nachsatz des Ministers Anlass: „Von dieser Regelung auszunehmen sind solche industriell entwickelten Zentren, wo die sozialen Verhältnisse der Tätigkeit der betreffenden Sekte zu wünschen ist oder Grund dafür geben und die örtlichen historischen Kirchen keinen Anstoß nehmen.“ In diesem Kontext wird auch deutlich von wem die Störung des interkonfessionellen Friedens sehr wahrscheinlich ausging. Die Berechtigung der „Platzhirsch“-Behauptung traditionell ansässiger historischer Kirchen auf Kosten des hohen Guts von Religions482  In der Anlage wurde über die Methodisten berichtet, dass sie von Amerika unterstützt würden und in Ungarn 1921 über 340, 1926 über 700 Mitglieder verfügten. 483  In der Anlage hieß es über die Heilsarmee, sie habe ein „großes Kaufhaus zum Laufen gebracht, hat in Budapest ein Versorgungsheim mit 300 Betten eingerichtet“.

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freiheit Raum zu geben, kann nur in der Bedeutung der historischen Kirchen für die Politik gesehen werden. Mit der Sonderbehandlung dieser drei Gemeinschaften wird die Ungleichbehandlung der gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften deutlich. Sicher waren die methodistische Kirche und die Heilsarmee was ihre Glaubenslehren anbelangt mehr auf der Linie der Kirchen als alle anderen. Den Ausschlag für die Bevorteilung dürften dennoch die pekuniären und außenpolitischen Hintergründe gegeben haben. Das verrät gewissermaßen das Beurteilungsprinzip: Konnte man die Gemeinschaften vorteilhaft für die eigene Politik nutzen, gestattete man mehr Freiraum – hier führte das zu einer territorialen Ungleichbehandlung ein und derselben Gemeinschaft. Was die Heilsarmee anbelangt, so ist es bemerkenswert, dass der Minister eine Ungleichbehandlung der Gemeinschaft in Industriezentren und auf dem Land verordnete. In Verbindung mit den Bibelforschern hatte sich schon abgezeichnet, dass sie durch die Vielzahl der von ihnen verbreiteten Publikationen, ihre internationale Ausrichtung und ihre im Widerspruch zu den historischen Kirchen stehenden Lehren, ganz zu schweigen von ihrer Haltung zum Militärdienst, den Behörden aufgefallen waren und nicht in das von der Revisionspolitik bestimmte kirchenpolitische Konzept passten. Nachdem der Minister nochmal auf die korrekte Behandlung der Baptisten als gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft aufmerksam gemacht hat, forderte er nochmals nachdrücklich die Umsetzung seiner Richtlinien: „Von dieser Regelung auszunehmen sind solche industriell entwickelten Zentren, wo die sozialen Verhältnisse der Tätigkeit der betreffenden Sekte zu wünschen ist oder Grund dafür geben und die örtlichen historischen Kirchen keinen Anstoß nehmen.“484 Im Anhang gab der Minister eine, wiederum verschiedentlich inkorrekte, ungenaue und subjektive Einschätzung bzw. Beschreibung der kleinen Gemeinschaften, die aber wenig zahlenmäßigen Aufschluss gab. So wurde von den Adventisten berichtet, in Ungarn „beschäftigen sich 26 Missionare damit, zu predigen und zu bekehren“. Es gäbe, „80 Schriftenausträger“, die „winzige Heftchen in Millionenzahl verstreuen“ würden, und das „ohne Erlaubnis“. 1922 hätten sie 1 222 Mitglieder in Ungarn gehabt. In Budapest hätten sie vier Versammlungsräumlichkeiten. Die Anhängerzahl der Methodisten sei von früheren 340 Mitgliedern 1926 auf 700 angestiegen. Die Mitgliedszahl der Nazarener beliefe sich auf 4 bis 5 000.485 Diese Angabe dürfte allerdings nur ungefähr bis Trianon zutreffend gewesen sein. Danach sank die Zahl um die Zahl der Anhänger in den abgetrennten Gebieten und bewegte sich bis Ende 1945 immer zwischen 3 und 4 000. Zu Zeugen Jehovas und der Heilsarmee wurden keine Zahlen genannt. Betrachtet man diese verhältnismäßig geringen Anhängerzahlen, fragt man sich, ob sie den staatlichen und kirchlichen Institutionen tatsächlich so einen großen Schrecken einjagen konnten, dass diese sich mit so viel Aufwand ihrer erwehren mussten. Möglicherweise agierte man nach dem Prinzip „wehret den Anfängen“, das jedoch nicht in das Konzept 484 Ebenda.

485 Privatarchiv

Tibor Gál, Budapest, Aufstellung vom 5.3.2009.

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von Religionsfreiheit passt. Wahrscheinlich aber wusste man zu wenig über die Gemeinschaften und Ziele. Durch die Unwissenheit bzw. Fehlinformiertheit waren die Behörden mit den starken Aktivitäten der Gemeinschaften überfordert, ihre Angst potenzierte sich und ließ sie die Situation komplett falsch einschätzen. Ein wenig Aufschluss zur Beurteilung der Gemeinschaften durch den Innenminister gibt die Beschreibung der Geschichte, Lehre und Tätigkeit. Zur methodistischen Kirche wurde gesagt: „Sie haben keine anderen Glaubenslehren, vereinen kalvinistische und lutherische Lehren. Ausbreitung wollen sie nicht.“ Damit widersprachen sie nicht kirchlichen Lehren, erregten also theologisch keinen Widerstand, und genauso wenig stellte ihre Ausbreitung eine Gefahr für die Kirchen dar, da sie nicht missionierten. Ähnlich war es bei der Heilsarmee: Über sie wurde gesagt, sie hätten ein „großes Kaufhaus zum Laufen gebracht“ und in Budapest „ein Versorgungsheim mit 300 Betten eingerichtet“. „Auf ihre Kirchenform und Lehren geben sie nicht viel.“ Auch hier gab es keine Reibungspunkte mit den Kirchen. Über die Bibelforscher hingegen hieß es: „Ihre Lehren sind kommunistisch gefärbt, weshalb viele ihrer Flugschriften [Broschüren] von den Behörden beschlagnahmt wurden. Ihre Lehren begründen sie mit der Bibel, besondere Ämter führen sie nicht. Unter den zehn Punkten, die sie zusammengestellt haben, ist das Lächerliche, das sie die Dreieinigkeit verwerfen, nicht an Christi körperliche Auferstehung glauben und dass sie lehren, dass anstelle ewiger Verdammnis der Sünder, die sündige Seele vernichtet wird.“ An der Beurteilung ihrer Lehre wird die Subjektivität der Beschreibung besonders deutlich. Möglicherweise stammte sie nicht aus der Feder des Innenministers, sondern war kirchlicherseits eingebracht worden. Deutlich auch die immer wieder kehrende Kommunismusproblematik. Zu den Nazarenern wurde gesagt: „Ihre Rechtschaffenheit macht sie wirklich sympathisch, aber dass sie nicht schwören, und noch viel schlimmer, dass sie die Ausführung militärischer Befehle verweigern, was sie in viele peinliche Konflikten, jahrelange Gefangenschaft und sogar den Tod brachte. Die Nazarener haben einen Glaubensgrundsatz, nach welchem die Bibel das Wort Gottes ist, die Worte göttliche Gebote, denen die Gläubigen ehrlich und rechtschaffen nachkommen müssen, weil Gott es so gebietet, aber auch weil die Seligkeit der einzige Weg ist. Ihre fehlende Organisation ist der Grund dafür, dass sie größtenteils ein unterirdisches Leben führen und sich nicht mehren. Ihre winzigen Versammlungen hält keinen äußeren Halt, keine gemeinsame Führung, stellen keine Literatur her, verfolgen im Großen und Ganzen keine Mission.“ Für die Kirchen selbst ging also keine Gefahr aus, da sie nicht missionierten und eher eine Art Privatexercitium abhielten. Auch die Behörden hatten nur dann ein Problem, wenn sie mit der Gemeinschaft in Berührung kamen und das war in Verbindung mit dem Militärdienst. Sonst fielen sie nicht auf. Zahlenmäßig schätzte man sie auf zwischen 4 und 5 000 Anhänger. Der Beschreibung der kleinen Religionsgemeinschaften durch den Innenminister ermangelte es offensichtlich an Fakten, sie war fast durchgängig subjektiv gefärbt, teilweise sogar falsch und entstammte möglicherweise gar nicht seiner Feder. Sie könnte kirchlicherseits erstellt worden sein. Im Großen und Ganzen beinhal-

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tete die VO 6.200/1928 nichts Neues. Sie sollte die unteren Behörden deutlich und nachdrücklich einnorden, was aber bei so ungenauen, sogar falschen Beschreibungen bzw. konkret schwer fassbaren Verstößen kaum möglich war. In gewisser Hinsicht war sie ein Eingeständnis der Hilflosigkeit angesichts des engagierten Einsatzes der kleinen Gemeinschaften, Hilflosigkeit ob des tatsächlichen Mangels an Beweisen und des Mangels an Handhabe, um einzuschreiten. Andererseits lässt sie durchblicken, dass die unteren Behörden nach eigenen Maßstäben urteilten, was wiederum den Gemeinschaften verschiedenerorts auch Vorteile gebracht haben dürfte. Als einer der Hauptgegner kristallisiert sich die Gruppe der Bibelforscher heraus. Offiziell bevorzugt wurden die methodistischen Kirche und die Heilsarmee. Die Äußerung, wonach in Budapest und anderen Industriezentren Ungarns mit der Heilsarmee großzügiger verfahren werden könne, lässt darauf schließen, dass man an diesen Orten, und besonders in der Hauptstadt, insgesamt eine lockerere Verfahrensweise hatte, möglicherweise auch aufgrund der aufgeklärteren Bevölkerung. Offensichtlich nahmen die historischen Kirchen in der Stadt weniger an der Tätigkeit der nicht anerkannten Religionen Anstoß als in den nicht aufgeklärten Landgebieten. Erneut versuchte der Minister die unteren Behörden auf eine einheitliche Vorgehensweise einzuschwören und ihre Zusammenarbeit mit den historischen Kirchen zu intensivieren, um eine wirksame Front zu bilden. Mit seiner neuen weitergehenden VO 6.200 löste der Innenminister seine VO 14.700/1924 ab. Seine neue VO war strukturierter und enthielt weitere Hintergrundinformationen zu den Gemeinschaften. Neu war die Anweisung zu den Begründungsinhalten der Entscheidungen der unteren Instanzen und auch die Anordnung, Druckerzeugnisse nur in Rücksprache mit dem Innenministerium zuzulassen. Bezugnahmen auf die VO gab es erst in den 1930er-Jahren, was vermuten lässt, dass es an der Umsetzung dieser VO erneut haperte.

XI.  Zusammenfassung der Bethlen-Ära Ein zusammenfassender Blick auf die Bethlen-Ära und ihren „christlichen Kurs“ zeigt, dass der Wunsch auf Wiederherstellung „Großungarns“ die Innenund Außenpolitik dominierte. Man knüpfte im Wesentlichen an der Kontinuität der Monarchie und Rechtsform des Dualismus an, nunmehr unabhängig von Habsburg, aber die konservative Politik tradierend. Feindbilder wie kommunistische Bewegungen wurden sofort mit großer Vehemenz angegangen und im großen Umfang ausgeschaltet. Ging es außenpolitisch einerseits darum, den Ansprüchen der Siegermächte zu entsprechen und die politische Isolation zu verlassen – schließlich gelang 1922 die Aufnahme in den Völkerbund –, ging es andererseits aber auch darum, die alten Länder der Krone zurückzugewinnen, war man innenpolitisch gerade unter dem Aspekt der territorialen Revision daran interessiert, das Land nach dem Krieg und Trianon zu konsolidieren, den Patriotismus und das Ungarntum zu stärken und dem Irredentismus Vorschub zu leisten, wobei auch die militärische Komponente eine maßgebliche Rolle spielte. Da das Diktat von Trianon als Last empfunden wurde, leistete man dem oktroyierten GA XXXIII/1921 zur

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Gewährung von Religionsfreiheit nur widerwillig Gehorsam, wenngleich dieser Verfassungsrang hatte, und achtete vor allem auf die Außenwirkung dessen und weniger auf Sinn und Geist des Gesetzes. Das trifft insofern auch auf das Verfassungsgesetz XLIII/1895 zur Religionsfreiheit zu, als die liberale Politik des 19. Jahrhunderts nicht der konservativen, nationalen und revisionistischen Idee der 1920er-Jahre entsprach, was zur Neuinterpretation des Gesetzes und Auslegung im Zeitgeist führte. Das zeigt sich schon daran, dass die Behörden im Gegensatz zu den Verfassungsgesetzen, die grundsätzlich den Begriff Religionsgemeinschaften gebrauchten, zumeist von „Sekten“ sprachen, um gesetzlich nicht anerkannte Gruppierungen zu bezeichnen. Beide Gesetze GA XLIII/1895 und GA XXXIII/ 1921, Artikel 55 wurden von den Ministerien bei Entscheidungen immer wieder herangezogen und diskutiert, wobei mit dem ausgehenden Jahrzehnt auf Artikel 55 nicht mehr so oft verwiesen wurde, was einerseits verdeutlicht, wie unangenehm den Behörden dieses Gesetz war, möglicherweise aber auch schon ein Indiz für eine Loslösung vom Trianonischen Vertrag war. Allein schon aufgrund der weitergehenden Regelungen von GA XLIII/1895 ergab sich auch mehr Handhabe gegen die Gemeinschaften als aufgrund von XXXIII/1921, weshalb man ersteren auch bevorzugt haben wird. Tatsächlich standen beide Verfassungsgesetze der Politik im Weg und wären wohl von keiner der Regierungen der Horthy-Zeit freiwillig so ins Leben gerufen worden, wenngleich die Interpretation vor allem von GA XLIII/1895 oft auch kontrovers geführt wurde. Da die beiden Gesetze, GA XLIII/1895 und Abschnitt VI GA XXXIII/1921 zum Schutz der Minderheiten, jedoch Teil der ungarischen Verfassung waren und die Umsetzung von GA XXXIII/1921 zudem von den Siegermächten kontrolliert werden konnte, war man immerhin bereit, ihnen bis zu einem gewissen Grad Rechnung zu tragen, legte sie jedoch so eng wie irgend möglich aus und suchte nach Ansätzen, die Tätigkeit unliebsamer Gemeinschaften einzudämmen. Eine Grundlage zur Einschränkung von GA XLIII/1895 entnahm man zum Beispiel § 1 „Jedermann kann sich frei, zu jedwedem Glauben oder zu jedweder Religion bekennen, ihr folgen und das auch innerhalb der Gesetze des Staates sowie der Erfordernisse der öffentlichen Moral nach außen hin bekunden und praktizieren. Niemand darf an seiner Religionsausübung gehindert werden, solange diese nicht gegen das Gesetz oder die öffentliche Moral verstößt, und niemand darf zu religiösen Handlungen gezwungen werden, die nicht mit seinem Glauben übereinstimmen.“ Der Artikel begrenzte hier die Freiheit durch die Gesetze und die öffentliche Moral. Also musste man Gründe zur Einschränkung in Verstößen dagegen finden oder konstruieren. Allerdings stand Artikel 55 GA XXXIII zur Religionsfreiheit per Anordnung der Alliierten über den einfachen Gesetzen und Verordnungen – und er beschränkte die Freiheit nur durch Unvereinbarkeit mit der „öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten “. Daher schränkte er diese Freiheit auch nicht durch Gesetze, sondern nur durch die öffentliche Ordnung und die guten Sitten ein, was aber immer noch sehr dehnbare und interpretierbare Begriffe darstellten.

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Mit dem Ordnungsgesetz, GA III/1921 zum Schutz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung setzte man genau da an. Alles was scheinbar der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung zuwiderlief, verstand man als Affront gegen die öffentliche Ordnung. Das wiederum lieferte die Grundlage, die Religionsfreiheit durch verschiedene Verordnungen einzuschränken. Wenngleich GA III/1921 zur Verfolgung kommunistischer Organisationen gedacht war, wurde er auch gegen die kleinen Religionsgemeinschaften verwandt, teilweise in Verbindung mit dem Kommunismusvorwurf. Wahrscheinlich ist hier die erste größere Verbotsmaßnahme durch VO 208.458/1924 des Innenministeriums gegen die Bibelforscher einzuordnen. In ähnlicher Weise ging man auch mit der Pressefreiheit um, die durch Einzelverordnungen und -verbote eingeschränkt wurde, offiziell jedoch weiter bestand. Ganz offensichtlich blieb diesen Verordnungen aber großenteils die erhoffte Wirkung versagt, was mehrere Gründe hatte. Zum einen waren sich die obersten Behörden in ihrer Vorgehensweise nicht immer einig, obgleich sie sich mit der Zeit zunehmend besser verständigten. Gleichzeitig müssen ihre Maßnahmen, wohl auch aufgrund der außenpolitischen Lage, als eher ambivalent bezeichnet werden. Zum anderen gingen die unteren Behörden – schon aufgrund der Autonomie der Komitate – nicht selten ihren eigenen Weg. Auffällig ist, dass man gewillt war, den Gemeinschaften in Budapest, das stark im Fokus der Öffentlichkeit stand, mehr Spielraum einzuräumen als im Land. Und ein dritter Grund ist im Engagement der religiösen Gemeinschaften zu finden, die sich auch aufgrund ihrer starken inneren religiösen Überzeugung durch politische Maßnahmen nicht leicht einschüchtern ließen, wenngleich sie sich ihrer Rechte nicht immer bewusst gewesen sein mögen. Erstaunlich ist in der gesamten Bethlen-Ära die verbreitete Unkenntnis der oberen wie unteren Behörden, denen es nicht gelang, sich ein genaues Bild der Gemeinschaften zu machen und die eher gewillt waren, sich von den historischen Kirchen über sie aufklären zu lassen, als sich direkt zu informieren. Parallelen in der Umgangsweise mit Freiheitsgesetzen finden sich in der Handhabung des Nationalitätengesetzes XLIV/1868 bzw. im Umgang mit dem durch Trianon verordneten Minderheitenschutz GA XXXIII/1921, ebenfalls mit Verfassungsrang –, die beide zunehmend unterminiert wurden. Letzteres zeigte sich im Umgang mit Juden und verschiedentlich auch mit Ungarndeutschen. Grund dafür liefert immer wieder die nationalistische Ausrichtung der Politik. Zu den Maßnahmen der Behörden, durch die die Religionsgesetze, und vor allem die Verfassungsgesetze GA XLIII/1895 und Artikel 55 GA XXXIII eingeschränkt werden sollten, und bei deren Umsetzung auch die historischen Kirchen einbezogen wurden, gehören: neben der Kontroll-VO 1.670/1923 gegen „antimilitaristische Propaganda“ insbesondere die geheime VO 14.700/1924 zur Überwachung der Gemeinschaften, die Ansatzpunkte zum Eingreifen der Behörden aufzeigen sollte, die von VO 3.100/1926 ergänzt wurde, und wegen deren Ineffektivität der Innenminister die geheime VO 6.200/1928 erließ.486 Auffallend ist der rote Faden des „Antimilitarismus“-Vorwurfs, der schon vor dem Ersten Weltkrieg aufgekommen 486 

MOL, K149 – 1936 – 7 – 5788.

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war. Im Krieg dann schien sich die Militärfeindlichkeit zu bestätigen. Durch die Revisionspolitik wurde der Vorwurf neu bewertet, wobei unter „antimilitaristisch“ alles verstanden wurde, was sich gegen die militärischen Interessen oder Sichtweisen wandte. Gründe für die Einschränkungen, die man unter die Begriffe der Unvereinbarkeit mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten (nach Artikel 55 GA XXXIII/1921) subsumierte, wurden neben der „antimilitaristischen Haltung“ im scheinbar kommunistischen Geist ihrer Lehren gefunden – einen ebenfalls im 19. Jahrhundert aufgebrachten und immer wieder schwelenden Vorwurf –, ferner im Internationalismus, in der Depretiation der historischen Kirchen und damit in der Schmälerung des Einflusses des Bündnispartners, aber auch in der Teilnahme Minderjähriger an Gottesdiensten, aus der man eine Handhabe schuf. Regelrechte Gesetzesverstöße allgemeiner Art konnte man den Gemeinschaften nicht nachweisen. Eine Kriminalisierung der Gemeinschaften fand teilweise in der Art statt, dass man ihnen unterstellte, sich in ihren Lehren gegen Staat und Gesellschaft zu richten. Tatsächlich widersprachen die Lehren der Gemeinschaften verschiedentlich den Lehren der historischen Kirchen, was für die Begründung einer neuen Religionsgemeinschaft auch nahe liegend ist. Problematisch war die Zunahme der kleinen Gemeinschaften auf Kosten der historischen Kirchen, was jedoch auch unvermeidbar war, da fast jeder Bürger einer solchen angehörte. Daraus wurde ein Straftatbestand konstruiert, der beliebig gegen Zusammenkünfte, das Missionieren, aber auch Veröffentlichungen eingesetzt werden konnte, religiöse Unfreiheit festlegte und damit klar das Verfassungsgesetz unrechtmäßig einschränkte. Weil Presseprodukte von den kleinen Gemeinschaften, besonders aber von der STA und den Bibelforschern, erfolgreich eingesetzt wurden, erging 1923 zunächst die VO 60.002 gegen Schundliteratur, im Fall der Bibelforscher lassen sich weitere gezielte Verbote von Veröffentlichungen auf der Basis des GA XIV/1914 – ursprünglich zur Pressefreiheit – nachweisen (VO’s 193.611 vom 25. April 1924 und 196.359 vom 8. Juni 1925). Zur Umsetzung der Maßnahmen zeichnet sich zunehmend die Aufstellung einer breiten Front gegen die Gemeinschaften ab: die Zusammenarbeit nicht nur der Ministerien, sondern auch der Behörden auf lokaler Ebene – Einbeziehung nicht nur der Polizei- und Gendarmerie, wie der Strafbehörden, sondern der Munizipialbehörden bis hin zu den Notariaten, nicht zu vergessen den historischen Kirchen mit ihren einflussreichen Institutionen vor Ort. Grundsätzlich hätten alle diese Gesetze und Verordnungen zur Einschränkung von Verfassungsgesetzen nicht greifen dürfen, da die Rangordnung des innerstaatlichen Rechts regelt, dass die Verfassung die oberste Norm bildet (Verfassungsvorbehalt), was von Artikel 54 GA XXXIII/1921 unterstützt und schriftlich festgelegt wurde. Dem Verfassungsgesetz folgen die „einfachen“ bzw. formellen Gesetze und Verordnungen, wobei hinsichtlich der Verordnungen in ihrer Bedeutung nach Regierungsverordnungen, Verordnungen des Ministerpräsidenten, bloßen Ministerialverordnungen und schließlich den Verordnungen unterer Behörden zu unterscheiden ist, die noch weniger Einfluss auf Verfassungsgesetze nehmen dürften. Allerdings sind sie dennoch bindend, solange sie nicht aufgehoben werden. Gesetze sind nicht automatisch unwirksam, weil sie rechtswidrig sind. Auffallend ist, dass es sich bei

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den meisten einschränkenden Verordnungen um Ministerialverordnungen handelt, die noch dazu geheim und damit von der Öffentlichkeit, wie dem Kontrollrat, nicht einsehbar und kontrollierbar waren. Dieser Umstand dürfte für ihre Überzogenheit bzw. Unrechtmäßigkeit sprechen, da sie sonst öffentlich hätten gemacht werden können. Geheime Verordnungen zur Einschränkung religiöser Freiheiten lassen Rechtsklarheit für den Bürger vermissen, der diese Bestimmungen nicht einsehen kann, ja soll, was wiederum seine Rechtssicherheit einschränkt. Auffällig ist auch, dass keine der Behörden über die Verfassungsmäßigkeit an sich diskutierte und man GA XLIII/1895 und Artikel 55 GA XXXIII/1921 einfach neutral als Gesetzesartikel bezeichnet, wodurch sie leichter auf eine Stufe mit formellen Gesetzen gestellt werden konnten, was die Schwere unrechtmäßig einschränkender Verordnungen vertuschte. Artikel 54 GA XXXIII/1921, der den Grundgesetzvorrang festlegte, wurde in den Diskussionen der Ministerien überhaupt nicht angesprochen. In Verbindung mit den untersuchten Religionsgemeinschaften zeichnet sich eine gewisse Kategorisierung nach ihrem Gefährlichkeitsgrad ab. Wobei die Methodisten und die Heilsarmee als die ungefährlichsten galten, die Bibelforscher auf der Skala hingegen ganz oben standen, gefolgt von den Nazarenern, danach den Adventisten und der Pfingstgemeinde. Die Einstufung auf der Gefahrenskala hatte direkten Einfluss auf die Verfahrensweise. Insgesamt gesehen handelte es sich hier kaum um eine positive Herangehensweise von Behörden und Politik an die verfassungsmäßige Religionsfreiheit – ganz im Gegenteil, was die Bestimmung von Artikel 54 zur Einstufung des Artikels 55 GA XXXIII/1921 auf Verfassungsrang anbelangt, demgegenüber einfache Gesetze keine Geltung haben, muss man von Verfassungsbruch und Rechtsbeugung sprechen. Juristisch gesehen mussten jedoch auch verfassungswidrige Gesetze und Verordnungen bis zu ihrer Aufhebung eingehalten werden. Hier zeichnet sich die Notwendigkeit einer Verfassungsgerichtsbarkeit ab, die die Einhaltung der verfassungsrechtlich garantierten Normen kontrolliert.487 Grundsätzlich hätten sich die Gemeinschaften jedoch auch bei einem Verfassungsgericht nicht als Gemeinschaft beschweren können, da ihnen die nötige Rechtssubjektivität fehlte. Sie konnten nur als Einzelperson dagegen vorgehen. Diese Bestimmung ging an den Bestimmungen des GA XLIII/1895 vorbei, wonach lediglich eine Gemeinde/Versammlung nötig war. Sie ging auch an der Realität vorbei. Die kleinen Religionsgemeinschaften hatten sich in den 1920er-Jahren im ganzen Land fest etabliert und Organisationsstrukturen aufgebaut, die ihr Funktionieren als Kirchen gewährleistete. Sie konstituierten sich aus vielen kleinen Gemeinden, Versammlungen oder Gruppen mit wachsender Anhängerzahl. Die Einzelmaßnahmen der Behörden sind jeweils einschränkend zu werten, die Freiheit der historischen Kirchen hingegen wurde privilegiert. Selbst die schein487  In Österreich gab es ab 1919 einen Verfassungsgerichtshof, unter der Monarchie hatten der Reichsgerichtshof und der Staatsgerichtshof diese Funktion inne. In Ungarn hatte die Verfassungsgerichtsbarkeit „weder vor noch nach der kommunistischen Machtergreifung Tradition“. Vgl. Kerek, Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 37 f.

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bare Freiheit, die man den Methodisten einräumte, geschah nicht aus religionspositiven oder freiheitlichen Aspekten, sondern wegen ihrer Nützlichkeit in wirtschaftlicher und außenpolitischer Hinsicht. Bethlen wird nachgesagt, am Ende seiner Regierung grundsätzlich viel Wert darauf gelegt zu haben, nach außen die verfassungsrechtlichen Formen zu wahren.488 Die Polarität seiner Ziele machte die Zeit seiner Regierung zu einer Phase der Ambivalenz im Umgang mit dem Verfassungsrecht zur Religionsfreiheit. Dennoch kamen in der Politik Bethlens – die autoritäre Züge aufwies, wiewohl er durchaus vom Liberalismus des 19. Jahrhunderts beeinflusst war – schon in den 1920er-Jahren auch in dieser Beziehung „die politischen Konturen des Horthy-Regimes“ immer deutlicher zum Tragen.489

D.  Rechtsruck der 1930er-Jahre Die Weltwirtschaftskrise in den Jahren von 1929 bis 1933 hatte nachhaltige Folgen auf die Innen- und Außenpolitik Ungarns.490 Die wirtschaftlichen Kontrollen waren im Juli 1926 und die militärischen im April 1927 aufgehoben worden. Noch im April 1928 hatte sich Bethlen, wohl vor allem um sich die Unterstützung der jüdischen Finanzwelt zu sichern, für eine Modifizierung des Gesetzes über den Numerus Clausus von 1920 eingesetzt.491 Mit der ökonomischen Krise nahm die Konsolidierungsphase Bethlens ein Ende; viele erreichte Fortschritte wurden vernichtet; insbesondere die Agrarwirtschaft litt unter der katastrophalen Wirtschaftslage. Die Arbeitslosenzahl stieg in dem Bereich auf 800 000.492 Wenngleich Ungarn das am stärksten verschuldete Land war, traf die Situation auch die Nachbarstaaten schwer. Der Völkerbund rief im Februar/März 1930 eine Konferenz zur Lösung der Probleme der agrarexportierenden Donauländer ein, die die Lage jedoch nicht entschärfen konnte. Weitere Konferenzen folgten, wobei die Länder sogar dazu bereit waren, vorübergehend ihre zwischenstaatlichen Konflikte zumindest teilweise zurückzustecken. Doch die wirtschaftliche Lage blieb weiter angespannt. Im August 1931 bewegte sich Ungarn sogar an den Rand des Staatsbankrotts. Das bedeutete das Ende der Regierung Bethlen – der Ministerpräsident bat um seine Demission. Graf Gyula Károly493 (1871 – 1947), der die konterrevolutionäre Regierung von Sze488 www.sulinet.hu/oroksegtar/data/kulhoni_magyarsag/2010/a/burgenland_vagy_ nyugat_ magyarorszag/pages/bvnym_03_a_bethlen_kormany.htm (Zugriff am 13.04.2012). 489  Fischer, Handlungsspielraum, S. 10. Puttkammer, Joachim von: Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert. München 2010, S. 224. Molnár, Geschichte, S. 384. 490  1928 waren in Ungarn die Völkerbundkontrollen beendet. 491  Die Judengesetze der 30er-Jahre lehnte Bethlen ab. Er warnte auch vor einem zu starken Einfluss des Dritten Reiches auf die ungarische Politik. Der Gesetzestext wurde ohne ethnischen Bezug angepasst, die Zulassung war von prozentualen Berufsstatistiken abhängig. Vgl. Silagi, Juden, S. 198 – 214, hier S. 202 f. 492  Zu den wichtigsten Exportgütern Ungarns gehörte der Weizen. Mit der Weltwirtschaftskrise gingen die Getreidepreise jedoch drastisch zurück. Vgl. Rogowin, Wadim S.: Stalins Kriegskommunismus. Essen 2006, S. 370. Szöllösi-Janze, S. 34 ff. 493  Regierungszeit 19. August 1931 bis 21. September 1932.

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ged angeführt hatte, also ein enger Vertrauter Horthys war, trat an dessen Stelle, erhielt jedoch für seine harte Sparpolitik vom Parlament keine Rückendeckung und musste bereits im September 1932 abdanken.494 Während seiner Regierungszeit hatte Károlyi das Standrecht,495 das „Statárium“, verhängt, ein in Notstandszeiten geltendes Sonderrecht, mit dem durch Schnellgerichte schwere Straftaten verhandelt und die Urteile sofort umgesetzt werden konnten, und eine Verschärfung des Versammlungsgesetzes veranlasst.496 Vorausgegangen war eine noch während der Regierung Bethlens organisierte Großdemonstration der Kommunistischen Partei (KMP) gegen Horthy – eine ihrer wenigen größeren Aktionen zu dieser Zeit, wobei es in dieser Zeit aufgrund der Wirtschaftslage häufig zu Demonstrationen und Streiks kam; auch politisch extreme Gruppierungen verzeichneten starken Zulauf. Außerdem hatte ein Einzeltäter am 13. September auf den Schnellzug Wien-Budapest ein Attentat verübt,497 und am Tatort war ein Brief gefunden worden, dessen Inhalt in eine kommunistische Richtung zu weisen schien. Tatsächlich aber blieben die Motive des Täters im Dunkeln.498 In der Folge nahm man zwei „kommunistische Agitatoren“ fest, Imre Sallai und Sándor Fürst, beide Angehörige der israelitischen Religion. Sie wurden in einem Schnellverfahren zum Tode verurteilt und am 29. Juli 1932 hingerichtet.499 Horthy entschied sich, auch auf Empfehlung Bethlens, für Gyula Gömbös, der sich 1923 aus Unzufriedenheit mit der für seine Begriffe liberalen Politik Bethlens zunächst aus der Regierungspartei zurückgezogen und seine eigene Partei, die Ungarische Nationale Unabhängigkeitspartei (Magyar Nemzeti Függetlenségi Párt) ins Leben gerufen hatte, und sich selbst als „nationalsozialistisch“ bezeichnete.500 1928 jedoch trat er wieder in die Regierungspartei ein, wohl auch wegen der

494  Csöppüs, István: Der Agrarmarkt von Österreich und die Ausfuhr ungarischer landwirtschaftlicher Produkte nach Österreich. In: Ungarn-Jahrbuch, 1989, S. 153 – 189. Vgl. auch Winkler, Heinrich August: Geschichte des Westens. Die Zeit der Weltkriege 1914 – 1945. München 2011. 495  Gültig bis Oktober 1932. 496  MRT, VO 4.980/1931 vom 19. September 1931. 497  Dabei wurde der Nachtexpress, als er über eine Eisenbahnbrücke fuhr, fast komplett in die Tiefe gerissen, wobei 22 Menschen den Tod fanden. Tarján, Tamás: Matuska Szilveszter felrobbantja a biatorbágyi viaduktot. [Szilveszter Matuska sprengt das Viadukt von Biatorbágy in die Luft.] 498  Der Attentäter Szilveszter Matuska aus einer römisch-katholischen Familie hatte bereits Anschläge auf Bahnstrecken verübt. So zum Beispiel am 8. August 1931 bei Jüterborg, wobei er am Tatort die nationalsozialistische Zeitung „Der Angriff“ zurückgelassen hatte. Zander, Ullrich: Vor 80 Jahren wurde Sylvester Matuska festgenommen, nachdem er nahe Budapest einen Zug in die Luft gesprengt hatte. Eine Spur führte auch nach Jüterbog. In: Märkische Allgemeine v. 1.10.2011. (Zugriff am 16.8.2012). 499  Imre Sallai (1897 – 1932) und Sándor Fürst (1903  – 1932), Magyar életrajzi lexikonban (Ungarisches Lexikon der Lebensläufe. http://mek.oszk.hu/00300/00355/html/ ABC13280/13334.htm. (Zugriff am 17.8.2012). 500  Fischer, Handlungsspielraum, S. 13.

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Annäherung Bethlens an das faschistische Italien im Jahr 1927.501 Gömbös hatte Horthy während der Gegenrevolution 1919 maßgeblich unterstützt und entsprach aufgrund seiner Fähigkeiten und politischen Einstellung dessen Vorstellungen von einem modernen, engagierten Politiker. Am 1. Oktober 1932 wurde er zum Ministerpräsidenten ernannt. Noch im selben Monat stellte Gömbös seinen 95 Punkte umfassenden „Nationalen Maßnahmeplan“ vor, als dessen erstes Ziel er „die Kräftigung und das Erblühen der ungarischen Nation“ proklamierte, das „im Rahmen eines unabhängigen Nationalstaates“ von einem „kraftvollen verfassungsmäßigen zentralen Willen geleitet“ werden sollte. Außenpolitisch wollte er dem Land „jene Rolle zusichern“, die ihm aufgrund seiner „Vergangenheit, geographischen Lage und historischen Berufung“ zustünde. Er versicherte, „mit allen friedlichen Mitteln, die Friedensverträge einer Revision im Geiste des Rechts und der Gerechtigkeit zu unterziehen“, womit er die revisionistischen Territorialansprüche Ungarns bekräftigte, auf eine Wiederherstellung Großungarns abzielte. Der nationale Gedanke durchzog das Regierungsprogramm von Gömbös und manifestierte sich im selektiven und restriktiven Umgang mit Grundfreiheiten. Freiheit gewährte Gömbös nur dann, wenn „diese Freiheit die Interessen der nationalen Gemeinschaft nicht in Gefahr bringt“. Zum Vereins- und Versammlungsrecht konstatierte Gömbös, „dass alle Vereinigungen und Versammlungen unmittelbar oder mittelbar der Potenzierung der nationalen Kräfte“ dienen müssten. Auch der Erhalt der Pressefreiheit war nur dann von Interesse, wenn „die Presse tatsächlich den Interessen der Nation dient“. Seine Kulturpolitik, sollte „in den Eigenarten der ungarischen Rasse“ wurzeln und auf „der christlichen Moral und Weltanschauung“ aufbauen. Richtungweisend war auch die Aussage: „Wir halten es für unsere Pflicht, die herrschende seelische Krise niederzukämpfen, die seelische Neugeburt der Nation zu fördern und eine einheitliche ungarische Weltanschauung zu schaffen.“ Unter Punkt 33 sicherte er zu, „den institutionellen Rechtsschutz für die Institutionen, die die Grundlage des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens bilden, nämlich für Familie, Nation, Religion, Behörden, Armee und Bewachungsorgane, aufrechtzuerhalten und effektiver zu gestalten“. Und er fügte hinzu: „Wir streben mit unserer Religionspolitik mit allen Mitteln an, den Frieden zwischen den Konfessionen zu erhalten und zu stärken sowie diejenigen kirchlichen Institutionen, die eine öffentliche Aufgabe versehen, zu unterstützen.“ Damit war im gewissen Sinne auch der Rahmen der Religionsfreiheit gesteckt: Alles was dem Konfessionsfrieden zuwiderlief – und das konnten nach den Erfahrungen der 1920er-Jahre schon Geringfügigkeiten sein wie eine von der kirchlichen Dogmatik abweichende Auffassung oder das Abwerben von Kirchenmitgliedern –, aber auch, was den Institutionen wie Nation, Behörden und Armee abträglich war, widersprach den politischen Interessen . Gerade das Militär war der Augapfel von Gömbös, weshalb er erklärte: „Wir wollen, um unsere nationale Selbstständigkeit zu sichern, besonderes Gewicht auf die Förderung unserer Armee und der Organe der öffentlichen

501 Bethlen

hatte im April mit Italien einen Freundschaftsvertrag abgeschlossen.

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Sicherheit legen.“502 Gömbös, der ewige Soldat, hatte neben dem Posten des Ministerpräsidenten auch den des Verteidigungsministers inne und trieb zielstrebig die Aufrüstung des Militärs voran.503 Unter seiner Ägide wurde ohne Zustimmung der Alliierten auch eine Wehrpflicht eingeführt.504 Was die Judenfrage anbelangt, war Gömbös unter Druck von Horthy, von dessen Berater Bethlen und vom Parlament bereit, zurückzustecken und räumte ein, dass auch ein Jude ein guter Patriot sein könne. Der katholischen Kirche stand der einer evangelischen Familie abstammende Gömbös zurückhaltend gegenüber, er vermied Konfrontation und bemühte sich um Kooperation. Auf die Bemühungen der Kirche um mehr Macht und Einflussnahme reagierte Gömbös im September 1933: „Ich weiß, daß der ungarische Katholizismus viele Verdienste hat. […] Nirgends auf der Welt hat die katholische Kirche eine so vornehme Stelle wie in Ungarn. Deshalb ermahne ich diese Herren, falls sie sonst keine politischen Argumente haben, handeln sie besser, indem sie sich zurückziehen, weil nur Kinder mit dem Feuer spielen.“505 Hatte bereits Bethlen 1927 – eine Revision der Grenzen Ungarns im Hinterkopf – wieder begonnen, sich vorsichtig Deutschland und Italien anzunähern,506 trieb Gömbös diese Verbindungen nun mit Macht voran. Am 1. Februar 1933 richtete er sich an den ständigen Stellvertreter des Außenministers Sándor Khuen-Héderváry (1881 – 1947)507 mit der Bitte, mit Hitler Kontakt aufzunehmen und auf seine frühere Verbindung über den Diplomaten Max Erwin von Scheubner-Richter508 von vor zehn Jahren zu verweisen und die Wichtigkeit einer außen- und wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit zu betonen.509 Schon im Sommer 1933 suchte er dann Hitler persönlich auf – als erster ausländischer Staatsmann überhaupt. Gömbös 502 Zitiert nach: Der Nationale Arbeitsplan der Gömbös-Regierung und das Programm der Partei der Nationalen Einheit, in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Ungarn in der Zwischenkriegszeit“, bearb. von Zsolt Vitári. URL: http://www.herder-institut.de/startseite/ dokumente-und-materialien/moduluebersicht/ungarn-in-der-zwischen/textquellen.html?tx_himmat_pi1%5BshowUid%5D=405&cHash=2c20eed3a9c41ee8f8a8ff7cb03ce8a4 (Zugriff am 30.6.2012). 503 Der österreichische Historiker und Politologe Kriechbaumer spricht davon, dass Gömbös und der österreichische Heimwehrführer Ernst Rüdiger von Starhemberg (1899 – 1956) „fieberhaft die geheime Aufrüstung ihrer jeweiligen Wehrverbände“ betrieben. Kriechbaumer, Robert: Die großen Erzählungen der Politik. Politische Kultur und Parteien in Österreich von der Jahrhundertwende bis 1945. Wien 2001, S. 572. 504 www.zmne.hu/tanszekek/Hadtortenelem/tematika/hk/m5.htm. (Zugriff am 17.3. 2012). Nach § 103 Friedensvertrag von Trianon wurde die ungarische Wehrpflicht abgeschafft. 505  Zitiert nach Spannenberger, Positionierung, S. 92. Függetlenség vom 13.9.1933. Vgl. auch Dirksen, Mindszenty, S. 661 f. 506  Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Personen A-K. Berlin 2009, S. 78. 507  Er bekleidete diese Stelle seit 1925. 508  Scheubner-Richter kam 1923 in München beim Marsch auf die Feldherrnhalle ums Leben. 509  http://www.forost.ungarisches-institut.de/pdf/19330201 – 1.pdf

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setzte sich für einen Ausbau der Achse Berlin – Rom ein, wobei er Ungarn als dritte Macht im Bunde sah.510 Als Hitler nicht wie gewünscht auf die Revisionspläne einging, da er vorhatte, neben Ungarn auch Rumänien und Jugoslawien für seine Zwecke zu gebrauchen, und Gömbös zunächst nur Gebiete der Tschechoslowakei anbot, intensivierte dieser seine Verbindungen zu Mussolini, pflegte aber weiter gute Beziehungen mit Hitler. Wirtschaftspolitisch versprachen 1934 ein Handels­ abkommen mit Deutschland und der Außenhandelsvertrag zwischen Italien, Österreich und Ungarn einen erfolgreichen Absatz ungarischer Agrarprodukte.511 Mit Österreich führte Ungarn während der ganzen Zwischenkriegszeit enge Handelsbeziehungen, die nur durch den Anschluss im März 1938512 beeinträchtigt wurden. Das Land fungierte für Ungarn, umgeben mit den Staaten der kleinen Entente, als eine Art strategischer Brückenkopf mit Verbindung zur westlichen Welt, insbesondere für heimliche Waffenimporte aus Italien.513 Auch deutsche Kredite, die Gömbös nach seinem zweiten Besuch bei Hitler 1935 gewährt wurden, dienten der Aufrüstung der ungarischen Armee. Aufgrund der zunehmend engeren Beziehungen wurde nun Deutschland zum wichtigsten Handelspartner für Ungarn, was das Land allerdings auch eng an Hitlers Politik band. Innenpolitisch musste Gömbös lange Zeit mit dem Parlament Bethlens arbeiten, das zusammen mit der Opposition seine Bestrebungen ausbremste, Reformen im Land durchzuführen und eine rechte Diktatur aufzubauen.514 Gömbös starb jedoch bereits am 6. Oktober 1936 an Nierenkrebs, sodass er seine Pläne nicht umsetzen konnte. Horthy hat von Gömbös später als von einem begabten Redner, einem vorzüglichen Offizier gesprochen, hat ihn in politischer Hinsicht jedoch als „colourful“ bezeichnet. Gömbös habe aber „zweifellos einen neuen Schwung in [… die] innenpolitischen Verhältnisse hineingebracht“. Er sei jedoch eine „ausgesprochen autokratische Natur“ gewesen, stark beeindruckt vom Beispiel Hitlers und Mussolinis und habe gewisse „diktatorische Tendenzen“ entwickelt.515 Die Nachfolge von Gömbös trat Kálmán Darányi (1886 – 1939) an,516 der ehemalige Landwirtschaftsminister. Auch er war am Kampf gegen die Räterepublik 510  Gömbös selbst hatte 1924 den Begriff „Achse Berlin-Rom“ geprägt. Vgl. Graml, Hermann: Zwischen Stresemann und Hitler. Die Außenpolitik der Präsidialkabinette Brüning, Papen und Schleicher. In der Schriftenreihe Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Bd. 83. München 2001, S 136 f. 511  Die Römischen Protokolle. Vgl. Fischer, Handlungsspielraum, S. 15. 512  Deutsche Einheiten hatten am 12. März die Grenze nach Österreich überschritten, am 13. März rief man den Anschluss auf der Grundlage des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ aus und ließ ihn durch die Volksabstimmung am 10. April 1938 legitimieren. www.demokratiezentrum.org/bildung/gedenktage/111213-maerz.htm (Zugriff am 12.12.2012). 513  Csöppüs, Agrarmarkt, S. 159 f. 514  Horthy, beraten von Bethlen, hatte ihm über einen längeren Zeitraum die gewünschten Minister versagt. Auch er beargwöhnte die autokratische Politik von Gömbös. 515  Horthy, Nikolaus von: Ein Leben für Ungarn. Bonn 1953. S. 170 f. Gosztony, Handelnde Persönlichkeiten, S. 60 – 64. 516  Von Oktober 1936 bis Mai 1938 Ministerpräsident.

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beteiligt gewesen. Von 1928 bis 1935 hatte er dann als Staatssekretär des Ministerpräsidenten gedient. Horthy erwartete von Darányi eine innen- und außenpolitische Stabilisierung. Darányi brachte die Regierung und die katholische Kirche einander wieder näher. Als 1936 in Spanien der Bürgerkrieg ausbrach und in Frankreich die linksorientierte Volksfront Regierung unter Léon Blum (1872 – 1950)517 an die Macht kam, als sich in Ungarn viele deutschstämmige Bürger begannen, „auf völkischer Ebene zu organisieren“, sich sogar magyarisierte Beamte zunehmend dem Deutschtum anschlossen und rechtsorientierte Parteien erstarkten, bemühte sich Darányi um innere Ruhe. Jegliche Wühlarbeit gegen Staat und bestehende Ordnung müsse man im Keim ersticken – darin war er sich mit Horthy einig.518 Am 1. Mai 1936 hatte die Sensenkreuzlerbewegung unter Zoltán Böszörmény (1893-unbekannt)519 den „Marsch auf Budapest“ organisiert und damit einen Putsch geplant, der jedoch gänzlich missglückte.520 Darányis Aktionen richteten sich in der Folge neben umfassenden Maßnahmen gegen die sehr geringe Zahl der Anhänger der kommunistischen Partei gegen die erstarkenden radikalen Rechten. Die 1935 gegründete nationalsozialistische Partei des Nationalen Willens (Nemzet Akaratának Pártja)521 von Ferenc Szálasi (1897 – 1946) wurde aufgelöst und Szálasi mit 72 seiner Anhänger unter Polizeiaufsicht gestellt. Szálasis Ziel, der sich als Retter oder Messias der Nation sah: eine vortrianonische, große ungarische Heimat, die „Vereinigten Länder von Hungaria“ (Hungária Egyesült Földek), in der er die Nationalitäten durch Gottesglauben, Kameradschaftlichkeit und Vaterlandslie-

517  Er gilt als der erste sozialistische Premierminister von Frankreich, erste Amtszeit dauerte von Juni 1936 bis Juni 1937. 518  Gosztony, Handelnde Persönlichkeiten, S. 65, mit Bezug auf eine Rundfunkrede Horthys vom 26. Januar 1937. Glasneck, Johannes: Léon Blum – Republikaner und Sozialist. Frankfurt 2003. Klocke, Helmut: Gesellschaftliche Kräfte und ungeschriebene Verfassungswirklichkeit. In: Ungarn-Jahrbuch, Bd. 9, 1978. S. 159 – 196, hier 190. 519  Böszörmény kämpfte 1919 auf Seiten der Gegenreformation, schloss sich Gömbös und seiner Vereinigung MOVE an. Inspiriert von Hitler organisierte er 1930 nationalsozialistische Aktivitäten. Nachdem Innenminister Keresztes-Fischer die Nutzung des Hakenkreuzes (VO 145.000/1933) untersagt hatte, da das Zeichen Staatssymbol des Deutschen Reiches geworden war, benutzte er ein Sensenkreuz (vier verkreuzte Sensen, ein Symbol, das dem Hakenkreuz sehr ähnelte). 520  Böszörmény wurde zu 32 Monaten Haft verurteilt, seine Organisation verboten. Seine Anhänger schlossen sich mehrheitlich der Bewegung Szálasis an. Böszörmény setzte sich nach dem Anschluss nach Deutschland ab, sein weiteres Schicksal ist unklar. Vgl. Szöllö­ si-Janze, S. 107. Besier, Europa der Diktaturen, S. 130 f. 521  Die Partei war gerade erst am 4. März 1935 gegründet und am 16. April 1937 aufgelöst worden. Neben der offiziell auftretenden Partei gab es eine geheime „Hungaristische Bewegung“ (Hungarista Mozgalom). Vgl. Sowards, Steven W.: Moderne Geschichte des Balkans. Der Balkan im Zeitalter des Nationalismus. Seuzach 2004, S. 380 f. Szálasi hatte bereits als Militärangehöriger, obgleich ihm als solcher politische Stellungnahmen untersagt waren, über seine Ansichten publiziert. So veröffentlichte er 1933 „Der Plan des ungarischen Staatsaufbaus.“ Szálasi wurde zu Arrest verurteilt, verlor seine Stellung in der Heeresleitung, er ließ sich 1934 vorzeitig pensionieren.

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be zu einer Nation vereinen wollte.522 Schon im Oktober 1937 entstand unter seiner Leitung die Ungarische Nationalsozialistische Partei (Magyar Nemzeti Szocialista Párt) mit einer starken Anhängerschaft und Rückhalt in der Bevölkerung, da sie auch soziale Ziele ansprach.523 Sie wurde allerdings schon im Februar 1938 wieder verboten. Im April 1938 rief Szálasi die Nationalsozialistische Ungarische Partei (Nemzeti Szocialista Magyar Párt) ins Leben, die jedoch im Februar 1939 verboten wurde. Szálasi selbst, war im Juli 1938 verhaftet und wegen staatsfeindlicher Aufwiegelung zu drei Jahren Haft verurteilt worden, wovon er zwei verbüßte. Im März 1939 wurde die Pfeilkreuzlerpartei (Nyilaskeresztes Párt, NYKP) gegründet.524 Eine Stärkung ihrer Machtposition erfuhren die radikalen Rechten durch den Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938.525 Bereits zuvor war am 3. Februar 1939 ein Anschlag auf die Budapester Synagoge verübt worden, was zur erneuten Verhängung des Standrechts führte.526 Trotz der Gründung der Vereinigten Christlichen Partei (Egyesült Keresztény Párt) am 26. Januar 1937 übten die Pfeilkreuzler insbesondere auf den niederen Klerus eine verhältnismäßig hohe Anziehungskraft aus. Spannenberger zufolge äußerten sich immer mehr Geistliche zugunsten des „modischen Rassenschutzes und anderer extremistischer rechtsradikaler Parolen“.527 Andererseits hatten für Szálasi die Kirchen ihre Rolle im rein geistlichen Bereich bei der christlichen Erziehung der Bürger, für die nationale Erziehung sei der Staat zuständig, politisierende Kirchen waren nicht zu dulden. „Die Kirchen können nicht Staat im Staate sein“, hatte er 1935 erklärt, womit er sich bei den Kirchenoberen keine Freunde gemacht hatte.528 Die rechtsextremen 522  Der Hungarismus wird auch als eine Mischung aus italienischem Faschismus und deutschen Nationalsozialismus bezeichnet. Zu einem besonderen Merkmal des Hungarismus gehörte der Hass auf die Juden. Horváth, Sz. Franz: Szálasi, Ferenc. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 2. Berlin 2009, S. 817 f. Gosztony, Handelnde Persönlichkeiten, S. 65 f. 523  So wurde z. B. in hungaristischen Blättern davon gesprochen, dass dem ungarischen Arbeiter Recht, Arbeit, Anerkennung und eine sichere Heimat versprochen; gleichzeitig wandte man sich gegen die Juden. Szöllösi-Janze, S. 170. 524  Am 24.2.1942 nahm man den Namen Pfeilkreuzlerpartei – Hungaristische Bewegung (Nyilaskeresztes Párt – Hungarista Mozgalom, kurz NYKP-HM) an. Vgl. www.tankonyvtar.hu/hu/tartolom/historia/79 – 04/ch10.html (Zugriff am 10.1.2013). 525  Puttkammer, Ostmitteleuropa, S. 224. 526  Szöllösi-Janze, S. 124 f. Die Wiener jüdische Zeitung „Die Stimme“ verweist in einem Artikel über das Attentat, „Gegen die antisemitische Hetzpropaganda in Ungarn“, auf die jüdische Zeitschrift „Egyenlőség“ [Gleichheit], der zufolge das Attentat auf „die seit einiger Zeit in Ungarn betriebene maßlose Hetze gegen das Judentum zurückzuführen“ war. „Die Stimme“ vom 23.4.1931, 6. Jg., Nr. 172, S. 8. 527  Zitiert nach ebenda, S. 107. Bibó, István: Elit és szociális érzék [Elite und soziale Sensibilität]. In: Demokratikus Magyarország. Válogatás Bibó István tanulmányaiból [Demokratisches Ungarn. Auswahl von Essays von István Bibó]. Budapest 1994, S. 5 – 23, hier S. 9. 528  Kámán, József (Hrsg.): Szálasi Ferenc alapveto ´´ munkája és 3 beszéde. [Die grundlegende Arbeit von Ferenc Szálasi und drei seiner Reden.] München 1959, S. 13, 19. www. magtudin.org/Szalasi_Ferenc_Alapveto_munkaja.pdf (Zugriff am 20.1.2013).

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Ansichten fanden auch im Militär in breiteren Kreisen Widerhall.529 Wie die Gesamtentwicklungen zeigen, nahmen Horthy selbst und seine Ministerpräsidenten zu nationalsozialistischen, faschistischen Strömungen und Entwicklungen eine ambivalente Haltung ein. Einerseits wurden die rechtsradikalen Bewegungen verboten, andererseits erlaubte man ihnen, sich zu reorganisieren. Die politische Ambivalenz Horthys zeigte sich auch in seiner Beziehung zum Hitler-Regime. Nach einem längeren Gespräch seinerseits mit Hitler am 22. August 1936 über die zukünftige Entwicklung der europäischen Kontakte und die Unvermeidbarkeit eines Konflikts mit dem „Bolschewismus“, nahm Ungarn Kontakt zu den Staaten der Kleinen Entente auf, um die Rüstungsgleichberechtigung Ungarns zu erwirken und schloss im August 1938 in Bled mit ihnen eine Vereinbarung zum „gegenseitigen Verzicht auf Anwendung jeder Art von Gewalt“ ab.530 Hitler soll daraufhin erbost erklärt haben: „Wer am Tisch sitzen will, der muß sich auch beim Kochen beteiligen.“531 Um also die gewünschten Revisionspläne realisieren zu können, wurde von Horthy erwartet, „mitzukochen“ und Deutschland bei seinen Expansionsplänen zu unterstützen. Hinzu kam, dass Ungarn in wirtschaftlicher Hinsicht durch den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 noch abhängiger von Hitler geworden war, da die Handelsbeziehungen um fast das Doppelte gestiegen waren.532 Nachdem Horthy Hitler dann seinen Beistand im Falle eines Angriffs auf die Tschechoslowakei zugesagt hatte, durfte Ungarn – um bei der Analogie des am Tischsitzens und Mitkochens zu bleiben – auch am Tisch Platz nehmen und erhielt im ersten Wiener Schiedsspruch am 2. November 1938, im Anschluss an das Münchner Abkommen zur Eingliederung des Sudetengebietes am 30. September 1938, das frühere Oberungarn zugesprochen (ein Gebiet in der Slowakei und der Südteil der Karpato-Ukraine von fast 12 000 qm mit über einer Millionen Menschen, davon etwa 80 Prozent Magyaren) – allerdings ohne Billigung Großbritanniens und Frankreichs, die der Eingliederung des Sudentenlandes zugestimmt hatten. Am 15. März 1939 marschierten deutsche Truppen in der Tschechoslowakei ein und im selben Monat annektierten ungarische Truppen die restliche Karpato-Ukraine (rund 10 000 qm), wo etwa 700 000 Menschen, darunter 10 Prozent Magyaren lebten. Zuvor, am 24. Februar 1939, war Ungarn dem Antikominternpakt beigetreten und im April desselben Jahres war man sogar bereit, aus dem Völkerbund auszutreten.533 Da Ungarn gewillt war, „mitzukochen“, servierte man ihm im zweiten Wiener Schiedsspruch am 30. August 1940 einen Teil Siebenbürgens, seines ehemaligen Kernlandes, das nach dem Ersten Weltkrieg Szöllösi-Janze, S. 194. Schlussverlautbarung der kleinen Entente-Konferenz in Bled vom 23. August 1938. http://ungarisches-institut.de/dokumente/pdf/19380823  –  1.pdf (Zugriff am 15.12.2012). 531  Zitiert nach Romsics, Ignác: Die deutsch-ungarischen Beziehungen im 20. Jahrhundert Grundzüge einer wechselvollen Verflechtung. Festvortrag, München 2002. www.ungarn-guide.com/geschichte_17.php (Zugriff am 4.7.2012). 532  Fischer, Handlungsspielraum, S. 16. 533  Romsics, Beziehungen. 529 

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Rumänien zugeschlagen worden war. Am 20. November 1940 trat Ungarn schließlich dem Dreimächtepakt bei und hatte damit endgültig am Tisch der Achsenmächte Platz genommen.534 Damit schien auch Horthys Gratwanderung, der zwischen einer weiteren Anbindung an Hitler zwecks Revision und Aufrechterhaltung der Beziehungen zu den Westmächten hin- und her schwankte, ein Ende zu haben. Auch innenpolitisch zeichneten sich Auswirkungen des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich ab, das jetzt unmittelbarer Nachbar Ungarns war. Die nationalsozialistische Propaganda im Land wuchs immens und Darányi versuchte sich nunmehr die Unterstützung der Pfeilkreuzler zu sichern, da er wohl glaubte dass ihr Einfluss – auch durch die deutsche Unterstützung, stark zunehmen würde.535 Damit nicht genug. Am 5. März 1938 stellte er in Győr sein Regierungsprogramm (győri program) vor, ein Fünfjahresprogramm, das vor allem von Béla Imrédy536 entwickelt worden war und sich an das Programm der Pfeilkreuzler anlehnte. Es sah neben wirtschaftlichen Bestrebungen vor allem eine massive Aufrüstung und Vergrößerung der Honvéd vor, was den Bestimmungen des Friedensvertrages zuwiderlief,537 wogegen die Großmächte aber kaum intervenierten, und es sah eine weitere Annäherung an Hitler vor (wohl auch um der erstarkten Rechten Rechnung zu tragen). Darányi sprach in seinem Programm auch den Rassenschutzgedanken an, wollte eine Regelung der Judenfrage und betonte die nationale Einheit.538 Mit seiner Politik kollidierte Darányi mit der Auffassung Bethlens, des noch immer engen Beraters von Horthy, und löste eine innenpolitische Krise aus.539 Darányi dankte am 11. Mai 1938 ab. Seinen Posten übernahm am 14. Mai nunmehr der rechtsorientierte aber konservative Béla Imrédy (1891 – 1946),540 der Mitautor des Győrer Regierungsprogramms, ehemaliger Finanzminister unter Gömbös und Präsident der Ungarischen Nationalbank. Er war von Horthy ausgewählt worden, um wieder zum konservativen Kurs zurückzukehren, aber auch aus kirchenpolitischen Gründen. Die katholische Kirche feierte 1938 ein Eucharistie-Jahr in Gedenken an den Heiligen Stephan. Für den reformierten Horthy konnte der katholische Imrédy (anders als der ebenfalls reformierte Darányi) als Bindeglied zur Kirche dienen. Kardinal Serédi trat „für die Beibehaltung der konservativen Gesellschaftsordnung mit all seinen Begleiterscheinungen in Ungarn ein“. Dabei wandte er sich auch ge534  535 

S. 89.

Fischer, Handlungsspielraum, S. 18. Kurtán, Sándor/Liebhart, Karin/Pribersky, Andreas (Hrsg.): Ungarn. München 1999,

536  Horváth, S. Franz: Imrédy, Béla. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus: Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. S. 392 f. 537  Die Umsetzung dieses Programms erfolgte mit GA XX/1938. 538  Gerlach, Christian/Aly, Götz: Das letzte Kapitel. Realpolitik, Ideologie und der Mord an den ungarischen Juden 1944/1945. Stuttgart 2002, S. 41 f. http://bilder.buecher.de/ zusatz/09/09792/09792674_lese_1.pdf (Zugriff am 10.5.2013). 539 Vgl. Czettler, Politische Betrachtungen, S. 79. Ders.: Ungarns Weg zum ersten Wiener Schiedsspruch. Die ungarische Außenpolitik während und nach der Sudetenkrise 1938. In: Ungarn-Jahrbuch, 1988, S. 82 – 156, hier S. 123. 540  Imrédy wurde vom ungarischen Volksgericht wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt und am 28.2.1946 hingerichtet.

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gen eine immer wieder diskutierte und später sowohl von Imrédy wie auch von den Pfeilkreuzlern geforderte Agrarreform, die für die katholische Kirche als einem der größten Grundbesitzer auf keinen Fall in Frage kam.541 Noch vor seiner Demission hatte Darányi als Konsequenz des weiteren Rechtsrucks dem Parlament das sogenannte erste Judengesetz, GA XV/1938, vorgelegt, was unter seinem Nachfolger „vom Oberhaus, insbesondere von den Vertretern der Kirche“, angenommen und im Mai 1938 erlassen wurde.542 Darin wurde unter anderem der Einsatz einer Pressekammer vorgeschrieben, die den nationalen Geist und die christlichen Moral im Kreise des Presse- und Zeitungswesens bzw. der Schauspiel- und Filmkunst durchsetzen und sichern sollte. Das Gesetz beschränkte die Anzahl von Juden in freien Berufen, Verwaltung und Wirtschaft auf 20 Prozent. Als Jude galt, wer nicht vor dem 1. August 1919 „in irgendeine andere anerkannte Konfession“ eingetreten und „ohne Unterbrechung Mitglied dieser Konfession“ war, sowie deren Nachkommen, insofern sie nicht „Mitglied der israelitischen Konfession sind“.543 Nach einem Deutschlandbesuch Imrédys im August 1938 verfolgte Imrédy ebenfalls verstärkt den Kurs des deutschen Nationalsozialismus. Seine nunmehr radikalere Politik und diktatorischen Vorstellungen stießen allerdings bei vielen Politikern auf Widerstand. Im Dezember 1938 wollte Imrédy mangels Unterstützung für seine Politik zurücktreten, Horthy stimmte seiner freiwilligen Demission jedoch nicht zu. Doch schon am 15. Februar 1939 musste er tatsächlich abdanken, nachdem bekannt wurde, dass ein Teil seiner Urgroßeltern jüdischer Abstammung war.544 Graf Pál Teleki, der bereits 1920/21 Ministerpräsident gewesen und unter dessen Ägide die judenfeindliche Numerus-Clausus-Gesetzgebung zustande gekommen war, trat seine Nachfolge am 16. Februar 1939 an. Teleki hatte am 14. Mai 1938 zunächst das Amt des Kultusministers übernommen. Schon am 5. Mai 1939 erging das zweite Judengesetz, GA IV/1939 über die Einschränkung der jüdischen Expansion im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft. Mit diesem Gesetz wurde an Universitäten und 541  Zitiert nach Gosztony, Handelnde Persönlichkeiten, S. 68. Vgl. Czettler, Politische Betrachtungen, S. 77, 79, 99. 1929 war noch immer ein Drittel des Bodens im Besitz von nur 526 Magnaten. Tatsächlich kam es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nicht zu einer Agrarreform. 542  Molnár, Geschichte Ungarns, S. 387 f. Auch Oberhausmitglied Kardinal Serédi soll dem Gesetz zugestimmt haben. Er habe sich lediglich in Verbindung mit den getauften Juden für „geringfügige Änderungen“ ausgesprochen. Gerlach/Aly, S. 43. 543  GA XV/1938 über die wirksamere Sicherung des Gleichgewichts des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens (I. Judengesetz), in: Herder-Institut (Hrsg.): Dokumente und Materialien zur ostmitteleuropäischen Geschichte. Themenmodul „Ungarn in der Zwischenkriegszeit“, bearb. von Zsolt Vitári. URL: http://www.herder-institut.de/startseite/ dokumente-und-materialien/moduluebersicht/ungarn-in-der-zwischen/textquellen.html?tx_himmat_pi1%5BshowUid%5D=412&cHash=d3adc0471e25103af0368e0857d3aecf (Zugriff am 30.06.2012). 544  Tarján, M. Tamás: 1938 május 14. Imrédy Béla megalakítja kormányát. [14.  Mai 1938. Béla Imrédy stellte seine Regierung auf.] In: Rubiconline.Történelmi Magazin [Rubiconline Historisches Magazin]. http://www.rubicon.hu/magyar/oldalak/1938_majus_14_ imredy_bela_mmegalakitja_kormanyat/ (Zugriff am 11.7.2012).

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Hochschulen aber auch für die Anzahl jüdischer Beschäftigter in der Wirtschaft der Numerus Clausus (in Höhe von 12 Prozent) wieder eingeführt.545 Von radikaleren Gesetzen wie in Deutschland hielt man sich zurück. Bethlen selbst hatte 1938 festgestellt, „eine Regelung der jüdischen Frage nach deutschen Gesichtspunkten würde sofort zu chaotischen Störungen im Wirtschafts- und Finanzwesen des Landes führen“.546 Das Funktionieren der ungarischen Wirtschaft war auch im Interesse Deutschlands, insofern galt das Prinzip der Ruhe in den Zulieferländern auch für Ungarn.547 Hitler erklärte in einem Brief an Teleki vom 14. Mai 1940 in Verbindung mit den Revisionswünschen Ungarns, das Interesse Deutschlands ginge dahin, „den Frieden und die Ruhe auf dem Balkan nicht gestört zu sehen“; Deutschland wünsche daher, dass die Balkanstaaten, wobei er Ungarn einschloss,548 politisch und wirtschaftlich gute Beziehungen unterhielten.549 Telekis fuhr eine zweigleisige Politik: Er wollte sich zwecks weiterer Territorialrevision sowohl das Wohlwollen Deutschlands sichern, als auch die Beziehungen zu den Westmächten aufrechterhalten – ein Balanceakt, der auf Dauer nicht realisierbar war. Auch wenn Teleki alles daran setzte, das Land aus dem Krieg herauszuhalten und den deutschen Truppen beim Überfall auf Polen am 1. September 1939 nicht gestattete, durch Ungarn zu marschieren, da Polen ein Verbündeter Ungarns war,550 entschied es sich kurze Zeit später durch seinen Beitritt zum Dreimächtepakt für die Seite Deutschlands.551 545  Gewerbe und Handelslizenzen sollten auf 6 % reduziert werden. Im öffentlichen Dienst angestellte Juden durften zwar bleiben, neue konnten aber nicht eingestellt werden. Schweitzer, Gábor: A „zsidótörvények“ a Közigazgatási Bíróság itélkezési gyakorlatában [Die „Judengesetze“ in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts]. In: Molnár, Holokauszt, S. 164 – 175, hier S. 169. 546  Zitiert nach Klocke, Gesellschaftliche Kräfte, S. 176. 547  In diesem Sinne äußerte sich der österreichische nationalsozialistische Wirtschafts­ experte Hermann Josef Neubacher 1893 – 1960, der zum Beispiel als „Sonderbeauftragter für Wirtschaftsfragen bei der Deutschen Gesandtschaft“ zu Sicherung von Erdöllieferungen nach Bukarest gesandt wurde. Nagy-Talavera, Nicholas M.: The Green Shirts and the others: a history of Fascism in Hungary and Romania. London 2001, S. 156 („Quiet in the raw material zone“). Vgl.: www.deutsche-biographie.de/sfz71221.html (Zugriff am 12.9.2012). 548 Die Bürger des früheren Österreich-Ungarns (wie Ungarn, Kroatien, Slowenien, teilweise auch Rumänien) fühlten und fühlen sich noch immer im Allgemeinen nicht den Balkan-Staaten zugehörend, sondern Mitteleuropa verbunden. 549  Ádám, Magda/Juhász, Gyula/Kerekes, Lajos (Hrsg.): Allianz. Hitler-Horthy-Mussolini. Dokumente zur ungarischen Außenpolitik (1933 – 1944). Budapest 1966, S. 263 – 265. http://ungarisches-institut.de/dokumente/pdf/19400514 – 1.pdf (Zugriff am 12.9.2012). Bei einem Besuch Ende 1940 in Berlin soll Teleki Hitler auf die Judenfrage angesprochen und erklärt haben, dass die Juden bei Friedensschluss aus Europa herausgebracht werden müssten. Pfeifer, Karl: Wiederauferstehung des „christlichen Mittelstands“ Ungarns? In: Con­ text XXI, Jg. 2004, 4 – 5. www.contextxxi.at/context/content/view/61/52/index.html (Zugriff am 12.9.2012). Zur Eröffnung des „Instituts zur Erforschung der Judenfrage“ in Frankfurt sandte Teleki eine offizielle ungarische Delegation. 550  Die ungarische Regierung hatte 1938 die Beziehungen zu Polen verstärkt. Romsics, Magyarország, S. 246 f. 551  Besier, Europa, S. 137 f.

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Die Atmosphäre des stetig fortschreitenden Rechtsrucks und die zunehmende Militarisierung nahmen Einfluss auf den Umgang mit den kleinen Gemeinschaften. War es den Ministerien in den zwanziger Jahren nicht gelungen, die unteren Behörden zur einheitlichen Umsetzung ihrer Vorgaben zu bringen, was zur VO 6.200/1928 geführt hatte, wurde in den dreißiger Jahren verstärkt darauf hingearbeitet. Eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung der Maßnahmen gegen die Gemeinschaften spielten wiederum die Gendarmerie- und Polizeibehörden, an deren effektiveren Einsatz man arbeitete.

I.  Maßnahmen zur Durchsetzung der Verordnungen und Haltung der Gemeinschaften 1.  Stärkung der Gendarmerie und Polizeibehörden bei der „Sekten-Bekämpfung“ Die Gendarmerie hatte zusammen mit den Polizeibehörden bereits in den zwanziger Jahren bei der Umsetzung des GA III/1921 zum Schutz der staatlichen Ordnung, aber auch bei den Verordnungen des Innenministers die Einschränkung der kleinen Religionsgemeinschaften betreffend eine wesentliche Rolle gespielt. Wie die Ereignisse zeigen, wurde das in den dreißiger Jahren intensiviert, zentralisiert und verstärkt koordiniert. Am 1. März 1930 wurde mit VO 71.464/1930 das Zentrale Ermittlungskommando der Gendarmerie (Központi Nyomozati Parancsnoksága) ins Leben gerufen und zunächst in den Städten Szombathely, Szeged und Debrecen Unterabteilungen eingerichtet.552 Später verfügten alle Komitate über eine solche Unterabteilung der Ermittlungsbehörde. Die Einrichtung wertete die Berichte der Gendarmen aus, sammelte die Daten und stellte die Ergebnisse dem Innenministerium zur Verfügung. In Verbindung mit ihren Ermittlungen wurden auch Spitzel in verdächtige Organisationen eingeschleust.553 Die mit den staatspolizeilichen Ermittlungen befasste Abteilung gliederte sich in fünf Untergruppen: 1. rechtsorientierte Gruppierungen (worunter später die Pfeilkreuzler fielen), 2. linksorientierte Gruppierungen und „Sekten“, 3. jüdische Organisationen, 4. Vorkommnisse im Zusammenhang mit Volksgruppen, 5. Spionageabwehr.554 Auffallen muss, dass gesetzlich nicht anerkannte religiöse Gemeinschaften explizit als Zielgruppe herausgestellt wurden und noch dazu im Kontext mit linksorientierten Gruppierungen – ganz offensichtlich ordnete man sie noch immer dem Bereich kommunistischer Bewegungen zu. Das war ein wesentlicher Schritt. Eine zentrale 552  Szabó, Miklós: A csendőrség útja [Der Weg der Gendarmerie]. In: Hetek [Wochen]. 4. Jg., Nr. 8, 19. Februar 2000. http://epa.oszk.hu/00800/00804/00101/6868.html (Zugriff am 12.8.2012). 553  Varga, Politikai rendőrség. 554  Rektor, S. 175. Varga, Krisztián: A harmincas évek politikai rendőrsége Wayand Tibor önvallomásában [Die politische Polizei der dreißiger Jahre in den Bekenntnissen von Tibor Wayand]. In: Betekintő, Nr.  4, 2010, S.  2. http://www.betekinto.hu/sites/default/files/2010_4_varga_k.pdf (Zugriff am 15.8.2012).

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Abteilung der Gendarmerie war mit der Aufklärung der Tätigkeit der kleinen Religionsgemeinschaften befasst, ein eigenes Ressort war entstanden. Damit wurden Fachkräfte herangezogen sowie Wissen und Erfahrungen zentralisiert, zugleich wurden auch Richtungen vorgegeben. Die Art der Ermittlungsstrukturierung oder auch Typisierung der Ermittlungsobjekte muss für die Ermittler einer Kategorisierung gleichgekommen sein: „Sekten“ zählten zu kommunistischen Bewegungen, da sie in einem Atemzug mit ihnen genannt wurden. Gleichzeitig musste eigens zur „Sektenbekämpfung“ für Personal und Mittel gesorgt werden. Offensichtlich bewährte und etablierte sich die Arbeit dieser zentralen Ermittlungskommandos. 1940 etwa, also etwa 10 Jahre nach deren Einrichtung, wandte sich das Hajduböszörményer Polizeipräsidium an das Ermittlungskommando der Gendarmerie in Debrecen mit der Bitte um Hilfe bei der „Bekämpfung“ der Zeugen Jehovas, da diese „sich mit dieser Sektenbewegung gründlich auskennen“.555 Durch die Arbeit dieses Kommandos erfuhr der Innenminister z. B. von der Planung einer quasi internationalen Konferenz der Internationalen Bibelforscher im Grenzgebiet auf slowakischer Seite, zu der auch Glaubensangehörige aus Ungarn eingeladen waren. Ein entsprechender Report zum Thema „Sektenbewegung“ ging von dem Zentralen Ermittlungskommando der Gendarmerie in Budapest vom 9. November 1933 an den Innenminister aufgrund eines Rapports der Unterabteilung der Ermittlungsbehörde in Debrecen. Diese hatte herausgefunden, dass die Prager Vereinigung der Internationalen Bibelforscher ihre Mitglieder in einem Rundschreiben davon in Kenntnis gesetzt hatte, solche Konferenzen, wie sie bisher auf tschechischem und böhmischem Gebiet abgehalten wurden, nunmehr auch in der Slowakei veranstalten zu wollen. Dazu würden dann auch ungarisch, slowakisch und russisch sprechende Mitglieder eingeladen und die Gemeinden in der Slowakei und Ruthenien besucht werden.556 Der Bericht557 wurde mit einem handschriftlichen Vermerk an Polizeipräsident Hetényi weitergereicht. Imre Hetényi (1871 – 1946), zunächst Zeitungsreporter, 1914 der Polizei beigetreten, stand ab 1922 bis zu seiner Pensionierung im Rang eines stellvertretender Polizeipräsidenten558, er avancierte zum Leiter der politischen Abteilung der Staatspolizei 555 

MOL, K149 651.f.2/1941 – 7 – 6000-XI November, Bl. 641. Ebenda, K149 – 1934 – 7 – 3490. 557  Aktenzeichen des Innenministers 9.050/1933. 558  Der Begriff „főkapitányhelyettes“, stellvertretender Polizeipräsident, ist keine Bezeichnung für den Leiter einer polizeilichen Einrichtung oder Abteilung, sondern steht für den Rang. Gleichzeitig und gemeinsam mit Imre Hetényi war zum Beispiel József Som­ bor–Schweinitzer als stellvertretender Polizeipräsident in der Angelegenheit der Verfolgung von Staatsfeinden tätig. Hetényi hingegen war zeitweilig bei der Budapester Polizei, der Oberstadthauptmannschaft, auch Stellvertreter des Budapester Oberstadthauptmanns (Budapesti Főkapitányság helyettes vezetője, auch stellvertretender Polizeipräsident). Vgl.: Varga, politikai rendőrség. Der ungarische Autor Rideg Sándor (1903 – 1966) erklärte, dass Hetényi, „der Chef der politischen Polizei Horthys“, „ein resoluter, erbarmungsloser Hauptbeschützer des ungarischen Herrentums“ war, „der es mit gutem Blick und gutem Stil vom Journalisten zum Polizeioffizier gebracht hatte“. Er hätte über eine gute Allgemeinbildung verfügt und sei belesen gewesen, womit er sich beim Verhör gebildeten Angeklagten gern 556 

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und machte sich bei der Verfolgung staatsfeindlicher Bewegungen verdient. So war es ihm 1924 gelungen, Mátyás Rákosi festzunehmen, ein namhaftes Mitglied der Regierung der gestürzten Räterepublik.559 Die Übergabe des Berichts über die Bibelforscher von Innenminister Ferenc Keresztes-Fischer (1881 – 1948)560 persönlich, der Reichsverweser Horthy sehr nahe stand, am 13. November an Hetényi mit einer handschriftlichen Notiz, die Beobachtung in der Sache zu veranlassen und darüber zu berichten, zeugt einerseits von der Bedeutung der Angelegenheit, bestätigt andererseits zugleich die Einordnung der Bewegung in die Kategorie der staatsfeindlichen Organisationen. Einer weiteren Notiz des Innenministers vom 20. Februar 1934 zufolge, in der er sich sowohl bei Hetényi als auch bei dem Ermittlungskommando der Gendarmerie danach erkundigte, was sich in der Sache getan hatte, war ihm die Angelegenheit präsent, was wiederum die Bedeutung der Angelegenheit betont. Wie das Ermittlungskommando der Gendarmerie daraufhin am 26. Februar berichtete, konnte bisher allerdings keine Person festgestellt werden, die an der besagten Konferenz der Bibelforscher teilnahm.561 Von Hetényis Seite erfolgte am 17. März 1934 ein kurzer Bericht von der Budapester Polizei, Abt. Staatspolizei, aus dem hervorgeht, das auf dem Gebiet der Behörde keine Tätigkeit der Vereinigung der Internationalen Bibelforscher zu spüren sei.562 Wie dieser Bericht zeigt, besaß die Tätigkeit der Bibelforscher bzw. Zeugen Jehovas für den Innenminister und die obersten Polizeibeamten eine solche Bri­ sanz, dass sie sich ihr persönlich annahmen. Das verwundert insofern, als auch Berichte eingegangen waren, die die Ungefährlichkeit der Tätigkeit der Gemeinschaft belegten. So der Bericht des Polizeipräsidenten von Nagykőrös zu Sektenbewegungen vom 29. Dezember 1933, wonach in seinem Bereich zwei „religiöse Sekten“ aktiv waren, nämlich „Jehova Gott Zeugen und die Gottesversammlung“563. Beide Gemeinschaften würden ihre Versammlungen ordnungsgemäß anmelden, die auf der Grundlage von GA XLIII/1895 und VO 3.006/1908 angenommen und deren geheime Überwachung organisiert würden. Den eingesetzten Detektiven zufolge wurden in den Zusammenkünften keine Äußerungen gegen andere Religionsgemeinschaften, den Staat oder die Gesellschaft getätigt und keine politischen in religiöse Gewänder gehüllten Ansichten verbreitet. In ihren Gebeten würde man brüstete, auch um darauf anzuspielen, dass auch ein kultivierter Mensch unerschütterlicher Anhänger der bestehenden Ordnung sein könne. http://mek.niif.hu/01100/01149/html/rideg. htm (Zugriff am 4.12.2009). 559 Geborener Rosenfeld, 1904 Namensänderung. Nach seiner Freilassung 1940 Führer der Komintern in der Sowjetunion, Diktator in der Zeit des Stalinismus in Ungarn. Varga, Politikai rendőrség, S. 9. 560  Der Jurist engagierte sich 1919 bei der Organisation der nationalistischen und konterrevolutionären Kräfte. Von 1931 – 1935 war er Innenminister, dann wieder ab 24.5.1938 bis 22.3.1944. Zwischendurch fungierte er zweimal kurzzeitig vorübergehend als Ministerpräsident. In seinen persönlichen Bereich fiel auch das Einschreiten der Polizei gegen extrem linke, aber auch rechte Bewegungen. 561  MOL, K149 – 1934 – 7 – 3490. 562  Ebenda, K149 – 1934 – 7 – 3490, Bl.  7. 563  „Istengyülekezet“, eine Pfingstgemeinde.

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sogar um Gottes Segen für die Behörden bitten. Im Fall der Pfingstgemeinschaft wusste man zu berichten, dass ihr Anführer 1932 Strafanzeige gegen einen reformierten Geistlichen wegen Hetze gestellt hatte, diesbezügliche Ermittlungen aber eingestellt wurden. Der Polizeipräsident kam zu dem Schluss, dass er die ganzen Jahre, seit er die Sekten beobachten ließ, noch keine besorgniserregende Meldung erhalten hatte oder irgendein Strafverfahren hätte eingeleitet werden müssen. Ihre Tätigkeit würde selbst verdeckt keine Gefahr der staatlichen oder gesellschaftlichen Ordnung hervorrufen.564 Auch ein Bericht der Behörden zu einer Konferenz der methodistischen Kirche in Dombovár bestätigte, dass es zu keiner Ordnungsstörung, zu keinen politischen oder antireligiösen Äußerungen gekommen sei.565 Andererseits wurde in der Presse davon berichtet, dass im Raum Pécs einige Personen aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten seien, um „mit ihrer eigenen primitiven Auffassung unter dem Namen ‚Gottes Glaubensbekenntnis‘ eine neue Sekte zu gründen“. Zwei Anhänger wurden inhaftiert und nachdem die Gendarmerie eine politische Organisation hinter der religiösen Gemeinschaft vermutete, der sich mittlerweile etwa 100 Personen angeschlossen hatten, wurde weiter intensiv ermittelt.566 Gründe für die Annahme einer politischen Organisation wurden nicht genannt, zumal die Gründung einer politischen Organisation an sich nicht ungesetzlich war. Neben der vorgenannten administrativen Umstrukturierung der Gendarmerie wurden die Einheiten auch technisch modernisiert (z. B. motorisiert, mit Funkgeräten ausgestattet), was ihre Einsatzkraft maßgeblich verbesserte.567 Mit der Gömbös-Regierung übernahmen Mitstreiter aus der Zeit des „Weißen Terrors“ Führungspositionen der Gendarmerie. So war László Baky (1898 – 1946), der Hitler-Deutschland sehr nahe stand, für die Abteilung der Gendarmerie beim Innenminister zuständig.568 1932 wurde auch die Abteilung der Politischen Polizei bei der Ungarisch Königlichen Staatspolizei (Magyar Királyi Államrendőrség Politikai Rendészeti Osztálya) eingerichtet. Auf der Grundlage von GA III/1921 begann man in den Landgebieten systematisch gegen alle kommunistischen Aktivitäten vorzugehen, ließ dabei aber auch legal funktionierende sozialdemokratische Bewegungen nicht aus. Auch die am 15. Juli 1932 verhafteten kommunistischen Anführer Imre Sallai und Sándor Fürst wurden auf der Grundlage des Ordnungsgesetzes

564 

MJTA, DOK-2862. MOL, K149 – 651f.9 1934, Bl. 40. 566  „Politikai szervezkedést sejtenek egy uj szekta alapitása mögött“ [Politische Organisation hinter der Gründung einer neuen Sekte vermutet]. In: „Esti Kurír“ [Abendkurier] v. 19.3.1933, S. 9. 567  Rektor, S. 175. 568  Zusammen mit László Endre und Andor Jaross ging er 1944 Eichmann bei der Deportation der ungarischen Juden zur Hand. 1946 wurden alle drei wegen Verbrechen gegen den Staat verurteilt und hingerichtet. Vgl. Rees, Philip: Biographical Dictionary of the Extreme Right Since 1890. New York 1990, S. 20. Szabó, Gendarmerie. 565 

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Abbildung 3: „Esti Kurír“ vom 19. März 1933, S. 9

III/1921 zum Schutz von Staat und Gesellschaft verurteilt und hingerichtet.569 Bis Mitte der 1930er-Jahre gelang es, die Tätigkeit kommunistischer Bewegungen von der Bildfläche zu verbannen. Beim Herausfiltern der „bolschewistischen Elemente“ wurde offensichtlich undifferenziert vorgegangen. Wie die Erfahrungen zeigen, gab es wenig Unterscheidung zwischen politischen, aber auch zivilen Ausrichtungen: Der „Arbeiterverband gegen Alkohol“ („Alkoholellenes Munkásszövetség“), die „Vereinigung der Arbeiter Esperantisten Ungarns“ (Magyarországi Eszperantista Munkások Egyesülete), oder die „Touristische Vereinigung der Naturfreunde“ (Természetbarátok Turista Egyesülete) wurden observiert.570 Bei den Ermittlungen gerieten verschiedentlich auch einige der kleinen Religionsgemeinschaften ins Visier – nicht umsonst gehörten „Sekten“ zu der mit linksorientierten Gruppierungen befassten Untergruppe. Zudem wies das Ermittlungskommando die Gendarmerieorgane an, gegen die Druckerzeugnisse der kleinen Religionsgemeinschaften vorzugehen.571 In die Linie des Sammelns von Daten und Informationen passt auch die geheime Verordnung 13.384/1933 von Innenminister Ferenc Keresztes-Fischer an alle Gendarmerie- und Polizeibehörden vom 23. Dezember 1933, in der sie angewiesen 569  Hegedűs, Sándor: A mi időnkben [In unserer Zeit]. http://www.munkaspart-2006.hu/ mozgalom/sallai-imre-es-furst-sandor.html (Zugriff am 25.4.2013). 570  Varga, Politikai rendőrség. 571  Fazekas, Kisegyházak, S. 88.

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wurden, detaillierte Angaben „über politische Parteivereinigungen und über die Presse“ zu sammeln, wobei ebenso über „Sekten“ und kleine Religionsgemeinschaften zu berichten war.572 Damit wurden erneut Ermittlungen zu politischen Vereinigungen mit Ermittlungen zu kleinen Religionsgemeinschaften gemischt, und damit möglicherweise wiederum kommunistische Parallelen gezogen. Für den internen Gebrauch im Innenministerium wurde dann 1934 eine umfassende Aufstellung von Parteien und Organisationen erstellt. Besonderes Augenmerk galt dabei den kleinen Religionsgemeinschaften. Es wurde darauf verwiesen, dass die „Sektenbewegungen“ im Verhältnis zu den rezipierten Kirchen bzw. den gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften Organisationen lediglich „dritten Ranges“ seien und gemäß den Verordnungen der 1920er-Jahre, die dringend umzusetzen waren, strengstens zu beobachten wären. In der Aufstellung wurden 35 Gemeinschaften benannt, einige davon mehrfach unter verschiedenen Namen. Die Gefährlichkeit der Bewegungen wurde damit unterstrichen, dass als „Zuhause“ der Gemeinschaften die Vereinigten Staaten angesehen wurden.573 Im Zusammenhang mit der Organisation der Ermittlungsbehörden mag interessant sein, dass sich unter der Regierung Gömbös in den Jahren 1932/33 die deutsch-ungarische Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Nachrichtendienstes herausbildete. Angaben des militärischen Generalstabs zufolge war dem deutschen Geheimdienst an einer engen Zusammenarbeit gelegen.574 Informationen aus Deutschland über die kleinen Religionsgemeinschaften könnten auch im weiteren Umgang eine Rolle gespielt und Einfluss auf die ungarischen Behörden genommen haben. 2.  Verbot der Ibrányer Glaubensgemeinschaft Die Problematik des Kommunismus-Vorwurfs gegenüber kleinen religiösen Gemeinschaften wird auch an der Ibrányer Glaubensgemeinschaft deutlich. Ihre Tätigkeit wurde am 10. Januar 1933 mit der VO 117.943/1932 vom Innenminister verboten.575 Das Verbot ist nicht nur deswegen interessant, weil es die erste Verbotsverfügung gegen eine religiöse Gemeinschaft seit Existenz des GA XLIII/1895 ist,576 sondern auch, weil es sich bei Ibrányer Vereinigung um eine der wenigen Gemeinschaften handelt, die sich in den 1920er-Jahren in Ungarn selbst herausgebildet hatten, also nicht als Teil einer internationalen Gemeinschaft „importiert“ wurden, und auch ohne Anbindung an eine solche im Ausland funktionierte, und man ihr insofern keine internationale Verknüpfung vorwerfen konnte. Dabei muss 572 

Ebenda, S. 84. Ebenda, S. 84 f. 574  Szita, Szabolcs: Ujszászy István tábornok pálafutása [Die Laufbahn von General István Ujszászy]. In: Múltunk [Unsere Vergangenheit], Nr. 2, 2006, S. 4 – 30. Beim Generalstab war die Abteilung 2. vkf für Nachrichtendienst und Spionageabwehr zuständig. 575  Vgl. MOL, K149 – 1936 – 7 – 5788. 576  Abgesehen von der VO 208.458/1924, die sich gegen die Tätigkeit der Bibelforscher richtete, deren genauer Wortlaut nicht bekannt ist. 573 

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eingeräumt werden, dass die Gruppierung möglicherweise von den Tolstojanern inspiriert worden war, die in Russland um die Jahrhundertwende auftraten und deren Glaube eine biblische Grundlage hatte. Die Tolstojaner lehnten Kirche, staatliche Ordnung und Privateigentum ab; sie galten als Pazifisten.577 Die Gemeinde Ibrány, nach der die Gemeinschaft genannt wurde, befand sich im Komitat Szabolcs in Nordostungarn. Bei der Glaubensgemeinschaft muss es sich um eine zahlenmäßig relativ kleine Gruppe ohne missionarisches Engagement gehandelt haben, da sich ihre Tätigkeit auf Ibrány und die Umgegend beschränkte. In einem Bericht von 1931 sprach man von etwa 250 Personen.578 Außer dem, was man verschiedenen Zeitungsartikeln und behördlichen Berichten entnehmen kann, ist über die Glaubensansichten nicht viel bekannt. Da diese Quellen jedoch auf subjektiver und politisch gefärbter Berichterstattung basierten, müssen sie mit äußerster Vorsicht betrachtet werden. Positiv wurde ihnen dort eine sanftmütige Lebensart attestiert. Den Berichten zufolge lebten sie in Gütergemeinschaft, was wiederum in den Kontext der Tolstojaner passt. Gleichzeitig war das Leben in Gütergemeinschaft jedoch auch genau der Grund für den Vorwurf der Pflege kommunistischen Gedankenguts. Die Entwicklungen zum Verbot machen die Problematik deutlich. Sándor Berec, ein Anwohner, hatte sich eine Bibel beschafft und war nach dem Lesen dieser der Kirche ferngeblieben, da man dort zu wenig aus der Bibel hörte, so hieß es. Ihm schlossen sich immer mehr Anwohner an, die seiner Bibelauslegung folgten. Berichten zufolge glaubten sie wohl wegen des in der Bibel beschriebenen Sündenfalls, keine Obstbäume besitzen zu dürfen, und hauten die Bäume in ihren Gärten um. Krankheiten seien Gottes Wille, hieß es in den Berichten, weshalb sie keinen Arzt aufsuchten. Zunächst scheint die Tätigkeit der Gemeinschaft nicht sonderlich ins Gewicht gefallen zu sein. Erst in dem Moment, als eine größere Anzahl – Presseberichten zufolge ungefähr 150 Personen – nicht mehr zur Kirche ging und aus der reformierten Kirche austreten wollte, begannen sich die Behörden intensiver für die sich offensichtlich nunmehr ausbreitende Gemeinde und ihre Tätigkeit zu interessieren, da das auf Kosten einer historischen Kirche ging. Wie sehr diese jungen aufstrebenden Gemeinschaften den rezipierten Kirchen ein Dorn im Auge waren, zeigt der Bericht eines reformierten Geistlichen, der erklärte: „Ich habe als junger, neuer stellvertretender Geistlicher im Alföld […] alle meine Schäflein vor den Oberstuhlrichter zitiert, die am Sonntagvormittag zu dem Gottesdienst gegangen sind“.579 Die Gemeinschaft Ibrányer ihrerseits hatte sich an die Behörden, das Büro des Oberstuhlrichters, gewandt mit der Bitte um Genehmigung ihrer Zusammenkünfte. Dazu hatten sie sich in Gruppen eingeteilt, die in drei verschiede577  Kantor, Vladimir: Der Antichrist als Problem des totalitären Zivilisationsbruchs (am Beispiel der russischen Kultur des 20. Jahrhunderts). In: Luks, Leonid: Das Christentum und die totalitären Herausforderungen des 20. Jahrhunderts. Russland, Deutschland, Italien und Polen im Vergleich. Köln 2002, S. 13 – 30, hier S. 18. Tolsztojánusok (Tolstojaner). http://mek.niif.hu/02100/02152/html/07/339.html (Zugriff am 12.8.2012). 578  MOL, K149 – 651-f-2 – 1932 – 6 – 6735. 579  Kulcsár, Csendőrpofon.

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Abbildung 4: „Az Est“ vom 18. April 1929, S. 7, über die Ibrányer Gemeinschaft

nen Wohnungen regelmäßig zusammenkommen wollten, was der Oberstuhlrichter ihnen jedoch untersagte.580 Das Thema Ibrányer Glaubensgemeinschaft wurde sogar in „Csendőrségi Lapok“ (Gendarmerie-Blätter) vom 20. Februar 1928,581 unter der Rubrik „Csendőr Lekszikon“ (Gendarmen-Lexikon) diskutiert. Dabei wurde im Zusammenhang mit der Gemeinschaft folgende Frage gestellt: „In einer Gemeinde hat sich eine eigenartige Religionsgemeinschaft (Sekte) gebildet, die bei Zusammenkünften in Privatwohnungen die heilige Schrift erklären. Die Sektenmitglieder essen überhaupt keine Früchte, legen ihre Obstbäume und ihre Weinstöcke um. Die Behörden haben ihnen untersagt, Zusammenkünfte abzuhalten. Auf welcher Grundlage soll gegen Sektenmitglieder, die trotz des Verbotes zusammenkommen, verfahren werden?“ Die Antwort: „Die Tätigkeit der rezipierten und anerkannten Religionsgemeinschaften ist völlig frei. Die Versammlungen der rezipierten Religionsgemeinschaften müssen nicht angemeldet werden. (Das betrifft nicht die anerkannten Religionsgemeinschaften). Mit den von Angehörigen nicht anerkannter Religionsgemeinschaften (Sekten) abgehaltenen Zusammenkünften (religiösen Tätigkeiten) muss nach den allgemein gültigen Vorschriften des Versammlungsrechts (VO 6.000/1922 I.M.) verfahren werden. Für sie besteht Anmeldepflicht, sie sind von der Genehmigungserteilung abhängig und fallen unter Kontrolle der Behörden. §  5 der angeführten […] VO regelt die Verfahrensweise bei Übertretung gegen jemand, der irgendeine Volksansammlung (Versammlung) ohne Genehmigung der […] Behörden ansetzt, sie abhält, bei deren Organisation oder beim Abhalten mitwirkt, oder daran teilnimmt, obwohl er weiß, dass sie nicht genehmigt ist […]. Die Übertretung wird dann von der Behörde als polizeiliches Strafgericht beurteilt.“ Dass Gendarmen eine solche Anfrage einreichten und die ausführliche, eher 580  Z. B. „Nem birnak az ibrányi szekta fantaszta hivőivel“ (Man hält es mit den Fantasten-Anhängern der Ibrányer Sekte nicht aus). In: Az Est [Der Abend], vom 18.4.1929, S. 7. 581  „Csendőrségi Lapok“ [Gendarmerie-Blätter], 20.2.1928, Nr.  6, Jg.  18, Budapest, S. 157.

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grundsätzliche Antwort legen nahe, dass die Kenntnis der Rechtslage im Umgang mit den Gemeinschaften unter ihnen bis dahin noch immer unklar war, dass die einzelnen Gendarmeriebehörden immer noch nicht selbst entscheiden konnten, wie sie vorgehen sollten. Dennoch fiel die Antwort wenig konkret aus. Es verwundert, dass die Gelegenheit in einem speziell für die Gendarmen veröffentlichten Blatt nicht genutzt wurde, um die Vorgehensweise der Gendarmerie zu vereinheitlichen, sondern nur allgemein rechtliche Ausführungen gemacht wurden, die für den einzelnen Gendarmen zu komplex gewesen sein können. Dem Gendarmen musste klar sein, dass die Ibrányer keine rezipierte und keine anerkannte Gemeinschaft sind, von ihm also im Fall von Versammlungen, die nicht genehmigt waren, erwartet wurde, einzugreifen, die Versammlung aufzulösen und ein Ermittlungsverfahren gegen die Teilnehmer einzuleiten. Wie aus den Berichten der Behörden hervorgeht, wurden Zusammenkünfte der Ibrányer auch untersagt, weil die Teilnehmer reformierte Gläubige seien, was wiederum auf Kosten der reformierten Kirche gegangen wäre. Die Ibrányer Glaubensgemeinschaft ihrerseits soll sich, um ihr Recht auf Religionsfreiheit durchzusetzen, in einem Schreiben an Horthy persönlich gewandt haben.582 Wie Horthy darauf reagierte bzw. ob er das Schreiben persönlich erhalten hat, muss offen bleiben. Offensichtlich hatte Horthy jedoch nichts für die religiöse Freiheit getan, denn die Situation besserte sich nicht. Im Frühjahr 1928 veranlassten die Behörden in einer Nacht-Aktion vielmehr die Festnahme von 12 Leitern der Gemeinschaft und deren Überstellung in unterschiedliche Irrenanstalten. Man überlegte sogar, wenn es nicht gelang, das gemeinschaftliche Glaubensleben der Gemeinschaft zu unterbinden, die Glaubensangehörigen in Internierungslager wegzuschließen oder die ganze Gemeinschaft zu verurteilen und die Anführer einige Jahre zu wegzusperren.583 Besonderes Gewicht hatte der Vorwurf, die Sowjetunion würde die „Sektierer“ gebrauchen, um das Land religiös und national zu zerreißen und so dem „Bolschewismus“ Vorschub zu leisten – ein bei der geringen Anzahl der Glaubensangehörigen und der örtlichen Begrenztheit der Tätigkeit doch offensichtlich überaus abstruser Vorwurf.584 Nichts desto trotz war das Argument Grund genug, um weiter gegen die Gemeinschaft vorgehen zu können. Ohne Frage sah man das größte Problem in der Gütergemeinschaft, was auch der Bericht des Vizegespans im Zusammenhang mit einem Anschreiben des Oberstuhlrichters des Dadaer Oberbezirks vom 9. September 1931 an den Innenminister über diese Fazekas, Kisegyházakzok, S. 39 ff. Es war auch vorgekommen, dass die Behörden, den Besitz Einzelner beschlagnahmten, weil sie ihnen aufgezwungene medizinische Behandlungen nicht zahlen konnten und auch nicht wollten. Diese Formulierung legt nahe, dass die Behauptung richtig war, und die Glaubensangehörigen zumindest bestimmte wenn nicht sogar alle medizinischen Behandlungen ablehnten. Genaue bzw. korrekte Informationen hierüber liegen jedoch nicht vor. Einer Zeitung zufolge sagte ein Angehöriger der Gemeinschaft, dass sie Kinder bis zu sieben Jahren medizinisch behandeln ließen, da sie dazu gesetzlich verpflichtet waren. „Nem birnak …“, Az Est, S. 7. Kulcsár, Csendőrpofon. 584  Fazekas, Kisegyházakzok, S. 39 ff. 582 

583 

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„konfessionslosen Spiritisten“ deutlich macht. Der Vizegespan berichtete: „Jedes bewegliche und unbewegliche Gut der Mitglieder gehört der Versammlung. Ihr Geld verwalten die zwei leitenden Männer ohne jegliche schriftliche Aufzeichnung, ihre Naturalien tragen sie in 2 – 3 Orten zusammen, woher die Leiter den für die tägliche Versorgung nötigen Stoff verteilen. Sie unterhalten in drei Orten gemeinsame Küchen, wo sie nach einem wöchentlich im Voraus festgelegten Speiseplan kochen. Ihre Kost und überhaupt ihre Ernährung ist aber so schlecht, dass sie jetzt schon viele Kranke unter sich haben, und besonders die Kinder verkümmert und bleichsüchtig sind. Diese schwache Ernährung ist der Grund dafür, dass die ärmeren Menschen ihnen nicht in größerer Zahl beitreten.“ Der Schreiber räumte andererseits ein, sie seien fromme, religiöse Menschen, die Amt und Gesetz ehrten, „die die Steuer pünktlich zahlen, keinen Alkohol trinken, nicht fluchen und bis jetzt auch nicht politisiert haben, weil sie sich weder an den Gemeinden- noch an den Parlamentswahlen beteiligt haben“. Bei der Bewirtschaftung ihres eigenen Ackers wären sie „fleißig und würden möglichst zusammen arbeiten“. Prinzipiell lieferte ihre Lebensweise somit keinerlei Handhabe, gesetzlich gegen sie vorzugehen, würde man in ihr nicht einen „kommunistischen Zug“ erkannt haben, obwohl sie, wie man bestätigen musste, nicht Mitglied einer sozialdemokratischen Partei waren „und bis jetzt keine Grundlage lieferten, gegen ihre politische Zuverlässigkeit Einrede zu erheben“.585 Trotz des Eingreifens der Behörden und die Zusammenarbeit der Geistlichen gelang es nicht, die neue schnell wachsende Glaubensgemeinschaft zu zerschlagen. Die Glaubensanhänger waren nicht dazu zu bewegen, in ihre alte Kirche zurückzukehren, da half auch nicht, dass man sie in Irrenanstalten wegsperrte und ihr Hab und Gut beschlagnahmte.586 Die Gemeinschaft soll sogar eine Abordnung nach Budapest zum Innen- und zum Kultusminister entsandt haben, um eine Änderung der Einstellung der Behörden zu erreichen – allerdings ebenfalls ohne Erfolg.587 Die Problematik der Gütergemeinschaft beschäftigte auch den Innenminister, der sich im Dezember 1931 an den Justizminister wandte und über die Entwicklungen in der Gemeinschaft Bericht erstatte und Aufklärung darüber gab, was sich hinter dieser Gütergemeinschaft verbarg. Dem Bericht zufolge hatten 87 Ibrányer Einwohner am 12. Juni 1931 eine Vereinbarung beschlossen, wonach sie es aufgrund von Schlussfolgerungen aus Bibelzitaten als notwendig erachten würden, „das eine und reine öffentliche Leben“ zu gründen und damit „ihre getrennten Privatrechte und Besitz als aufgelöst“ erklärten. Diesen Gemeinbesitz „regieren und regeln die gewählten Mitglieder, diese Mitglieder kann die Gesamtheit der Versammlung jederzeit austauschen. Die Versammlungsmitglieder verfügen im öffentlichen Leben über gleiche Rechte und Besitz. Der Gemeinbesitz der Versammlung kann auf keine Weise vererbt werden, und das ganze Vermögen der Versammlung bildet 585 

MOL, K149 – 651-f-2 – 1932 – 6 – 6735. Kulcsár, Csendőrpofon. 587  „Nem birnak …“, Az Est, S. 7. „Az ibrányi ‚bibliás emberek‘“ [Die Ibrányer „Bibelmenschen“], Pesti Napló [Pester Journal] v. 14.6.1928, S. 8. 586 

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nur den Besitz des im öffentlichen Lebens stehenden Mitgliedes.“ Wurde „der Bedarf der Gemeinversammlung aus einer Sache gedeckt, die vorher ein Privatbesitz des Mitgliedes war, und das Mitglied tritt danach aus dem öffentlichen Leben der Versammlung aus, wird er ausgeschlossen oder stirbt, kann weder das Mitglied noch seine Rechtsnachfolger deren Zurückzahlung verlangen“. Kinder, die nicht den Glauben teilten, aber zu der Familie gehörten, dürften bis zu ihrer Eheschließung im öffentlichen Leben bleiben. Nach ihrer Eheschließung dürften sie nicht im öffentlichen Leben der Gemeinschaft bleiben und von dort auch nichts verlangen. Die Vereinbarung enthielt außerdem Bestimmungen über den Gehorsam, den Ausschluss und die Aufnahme der Versammlungsmitglieder. Der Vereinbarung durfte sich jeder ungarische Einwohner anschließen, wobei auch über diese die Ibrányer Versammlung und der Versammlungsrat entscheiden würde.588 Das Schreiben des Innenministers an den Justizminister könnte mit der Feststellung des Vizegespan im Zusammenhang stehen, derzufolge es sich bei dieser Gütergemeinschaft um eine „von der auf dem Gebiet des ungarischen Staates bestehenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einrichtung abweichende gemeinschaftliche Produktionsordnung“ handle, die „mit dem russischen Sowjetsystem gleich und in der Lage“ sei, „die persönliche Bewegung und Bestrebung in den Staatsbürgern zu ertöten und die Arbeitslosigkeit zu fördern“. Sie laufe „unter dem Deckmantel der Religion“. Die Mitgliedern seien „im überwiegenden Teil gutmütige Opfer der im Geheimen tätigen Leiter des Vereins, einer zum Umsturz des bestehenden Systems gerichtete Organisation“. Außerdem verstießen nach Meinung des Vizegespans „die Glaubensgrundsätze der Sekte und Lehrsätze gegen die Gesetze des Staates und die öffentliche Moral“, da sich die Mitglieder im Fall einer Krankheit nicht medizinisch behandeln ließen, Vorsichtsmaßnahmen gegen Krankheiten selbst unter Androhung strenger Strafen nicht einhalten würden, Weinstöcke und Obstbäume vernichtet und sie so der Wirtschaft einen wesentlichen Umsatzertrag entziehen würden, sie ferner die Institution der Ehe verachteten, indem Frauen und Männer aus verschiedenen Familien sich bei ihrem Treffen ständig küssten, und die täglichen Grußformen oft überschritten. Der Vizegespan forderte strenge Maßnahmen, um die Bewegung zu ersticken, da ihre giftige und zerstörerische Wirkung auch schon in anderen Gemeinden des Bezirks zu beobachten sei.589 Unter den Akten des Innenministers findet sich interessanterweise auch ein Bericht eines Vorstehers der Középszabolcser reformierten Gemeinde, den er bereits im April 1928 dem reformierten Bischof übermittelt hatte und der im Wesentlichen den anderen Berichten über die Ibrányer ähnelte. Darüber hinaus bemängelte er, die Bewegung habe kaum religiösen und moralischen Inhalt. Auch er glaubte, ihre Grußküsse seien von sinnlicher Natur, und fügte hinzu, dass sie sich zwar an die Bestimmungen des Gesetzes hielten, aber nicht an die Ehebestimmungen.590 Ein 588 

MOL, K579 – 1931, Bl.  111 – 116. Ebenda, Bl.  111 – 116. 590  Es wurde davon berichtet, dass ein Mitglied 70 veredelte Obstbäume umgehauen hätte, andere hätten auch Weinstöcke beseitigt. 589 

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weiterer Punkt, den er anführte, dürfte für die Behörden von weitaus größerem Interesse gewesen sein, die Glaubensangehörigen wären nicht bereit, zur Waffe zu greifen und den nötigen Schwur zu leisten. Wie der reformierte Geistliche berichtete, hatte man Maßnahmen gegen die Weiterverbreitung ergriffen. So hätten Geistliche sie einzeln besucht und sie versucht, „mit schönen Worten zu gewinnen, allerdings zumeist ergebnislos“. Dennoch lehnte er strenge Maßnahmen ab, da sie damit zu Märtyrern gemacht würden. Er setzte auf eine „intensive Betreuung durch Seelsorger, die Armenunterstützung, das Beschaffen von Arbeitsmöglichkeiten usw.“ – ein geistlich sozialer Ansatz.591 Anders der Innenminister, er bat um die Prüfung eines Verbots der Gemeinschaft, da die Tätigkeit über die im GA XLIII/1895, § 1 erlaubte Freiheit hinausgehe, den Rahmen des Glaubenslebens überschreite.592 Der Justizminister stellte daraufhin in seinem Schreiben vom 5. Januar 1932 gegenüber dem Innenminister fest: „Die Richtigkeit der Angaben bezüglich der Organisation der Versammlung ist offensichtlich außer Zweifel, weil diese Angaben in der Vereinbarung genannten Urkunde erscheinen, die die Mitglieder der vorliegenden Versammlung in Ibrány, am 12. Juni 1930 selber unterzeichnet haben.“ Ohne auf die Argumente des Geistlichen und des Vizegespans eingehen zu müssen, fand er bereits in der „Vereinbarung“ der Gemeinschaft Vorbehalte. Dabei schloss er sich der Rechtsauffassung der zwanziger Jahre zur Rechtssubjektivität der Gemeinschaften an und erklärte, dass sie keine, „von der Staatsmacht anerkannte Organisation des öffentlichen Rechts“ seien, und „durch ihre Vereinigung zum Erreichen ihrer gemeinsamen religiösen Ziele weder in Hinsicht des öffentlichen Rechts noch des Privatrechts eine über den Einzelnen stehende selbstständige rechtliche Formation oder Rechtsperson“ entstehe. Es sei vielmehr auszusetzen, dass die „Ibrányer Einwohner sich im Wesentlichen wie die organisierten Glaubensgemeinschaften eingerichtet haben, sie einen Leiter wählen, Versammlungsrat gründen, eine mit Stempel versehene Urkunde ausstellen usw. und damit den Anschein einer rechtlich organisierten Personengesamtheit, Rechtspersonen erwecken so, dass sie damit die Allgemeinheit und eventuell sogar die Behörden irreführen können“. Darüber hinaus würde die „Regelung der privatrechtlichen Rechtsverhältnissen der Mitglieder“ wegen rechtlicher Fehler sowieso keine Gültigkeit haben.593 Außerdem stellte er fest, dass die Glaubensregeln „der vorliegenden Sekte gegen die bestehenden Gesetze, die öffentliche Ordnung und die öffentliche Moral verstoßen“. Auffallend ist, dass er am Ende seines Schreibens erklärte, er halte es für den Fall eines Verbots aufgrund „der Glaubensregeln und

591 

Ebenda, K579 – 1931 – 2, Bl.  111 – 116.

592 Ebenda.

593  Er verwies z. B. auf nachstehende Punkte: „Die Vereinbarung aus der Sicht des Privatrechts offensichtlich ungültig, dass die Mitglieder ihre getrennte Privatrechte und Besitz als aufgelöst erklären“, ferner „mit dem Mangel der Rechtsperson der Sekte ist es nicht zu vereinbaren, dass die Vereinbarung über den Gemeinbesitz der Sekte spricht“. Außerdem hingen die Erklärungen mit dem beanstandeten Statut zusammen und gingen „über die erlaubte Grenzen der freien Religionsausübung hinaus“.

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Morallehren“ für zweckdienlich, die Leiter der Versammlung anzuhören, um sich Informationen zu beschaffen.594 Dem kam man offensichtlich nach, da sich in den Akten eine weitere Stellungnahme des Justizministers vom 15. Mai 1932 findet, in der er zu einem Verbot Stellung nahm und sich auf Glaubensgrundsätze und das Glaubensleben der Gemeinschaft bezog: „Meiner Ansicht nach ist an mehreren Sätzen der vorliegenden Glaubensregeln und Morallehren etwas auszusetzen, deshalb können Eure Exzellenz Ihre beabsichtigte Maßnahmen für das Verbot der weiteren Zusammenkünfte der Sekte nicht nur mit den Einreden gegen die Statuten begründen, die ich in meiner vorherigen Zuschrift erwähnt habe, sondern auch mit folgenden Bemerkungen gegenüber den Glaubensregeln: 1. An der Bestimmung unter Punkt 10 der Eingabe […], wonach‚ jedes in die Versammlung geborene Kind auf der in diesem Punkt genannten Weise ‚getauft werden muss‘, ist an sich nichts auszusetzen. Wenn aber die Mitglieder der Sekte diese Bestimmung so verstehen, dass das auf diese Weise getaufte Kind schon mit dieser religiösen Handlung als eine, in den Bund der Sekte aufgenommene und zu ihr gehörende Person zu betrachten wäre, und es auch gemäß den Glaubensregeln dieser Sekte zu erziehen ist, so verstößt die vorliegende Bestimmung gegen unsere Gesetze […] 2. Zwar wäre an sich an der im Punkt 14 der Grundregeln stehenden Glaubensregel nichts auszusetzen, dass die Mitglieder der Versammlung keinerlei Frucht essen dürfen, die ‚das menschliche Leben in Versuchung bringt‘, könnten Ihre Exzellenz in dieser Regel eventuell eine entsprechende Grundlage für die Schlussfolgerung finden, dass die Mitglieder der Sekte dieses Prinzip so ausführen, wie es aus den übereinstimmenden Berichten des Vizegespans des Komitats Szabolcs und des Seniors der Középszabolcser reformierten Gemeinde hervorgeht, dass sie ihre Weinstöcke und Obstbäume komplett ausrotten. Wenn dies der Wirklichkeit entspricht, ist das Vorgehen der Mitglieder der Sekte aus dem Grund beanstandbar, dass es bedeutende wirtschaftliche Interessen verletzt, also gegen die öffentliche Ordnung verstößt. 3. Gemäß dem Punkt 15 der vorliegenden Regeln glauben die Mitglieder der Versammlung nicht an medizinische Behandlungen, im Fall einer Krankheit nehmen sie diese nicht in Anspruch. Die vom Gesetz als obligatorisch vorgeschriebenen Behandlungen bilden eine Ausnahme.“ Er verwies darauf, dass die Inanspruchnahme der medizinischen Behandlung der unter 7-jährigen Kindern obligatorisch sei, „ohne Rücksicht darauf, unter welcher Krankheit das Kind leidet; im Fall einer ansteckenden Krankheit aber – ungeachtet des Alters – ist jeder verpflichtet, medizinische Behandlung in Anspruch zu nehmen“. Eine allgemeine Behandlungspflicht erwähnte er jedoch nicht. Aber er äußerte „ausdrückliche Zweifel, ob es mit den Interessen des Gesundheitswesens und dadurch mit den Erfordernissen der öffentlichen Ordnung zu vereinbaren ist, die Auffassung zur Glaubensregel zu erheben und als Glaubensregel zu verbreiten, dass die medizinische Behandlung vergeblich ist, ferner ein, ansonsten aus der persönlichen Freiheit entstehendes Verhalten in der Form einer Glaubensregel zu verordnen, dass die Mitglieder der Sekte – ausgenommen die, 594 Ebenda.

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durch das Gesetz festgelegten, oben erwähnten Fälle – medizinische Behandlung nicht in Anspruch nehmen sollten“. In dieser Frage wäre der Volkswohlfahrts- und Arbeitsminister berufen, sich zu äußern. Mit dieser Glaubensansicht wurde eine interessante Grundsatzfrage aufgeworfen: Darf ein Mensch über seinen Körper und damit über Behandlungen entscheiden – die Frage des Rechts auf körperliche Unversehrtheit als Grundrecht eines Menschen. Als 4. Punkt führte der Justizminister an: „Die Begründung der Glaubensregel im Punkt 21., dass ‚die von den Aposteln gegründete heilige Kirche und das Glaubensleben […] mit der Entstehung des Systems der Geistlichen verdorben wurde‘, ist für die rezipierten und für die gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften verletzend.“595 Am 16. Oktober 1932 legte dann der Innenminister dem Justizminister seinen Entwurf zum Verbot der Tätigkeit der „Ibrányer konfessionslose Versammlung“ vor, wobei er in der Begründung dieses Beschlussentwurfs den Wortlaut des Schreibens des Justizministers übernahm, weshalb dieser auch grundsätzlich nichts am Erlass auszusetzen hatte.596 Der Justizminister bat in seinem Schreiben vom 18. November 1932 lediglich darum, „die Bezugnahme auf die Verordnung von dem in Gesetzartikel XXXIII/1921 inartikulierten Titel VI. [Schutz von Minderheiten], Teil III, des Trianoner Vertrags wegzulassen, weil diese Bezugnahme zu Missverständnissen führen könnte, und sie für die Begründung der geplanten Maßnahme auch nicht unbedingt nötig ist“.597 Die Entwicklungen und Vorgänge zum Verbot der Gemeinschaft stellen ein Paradebeispiel der Zusammenarbeit der Behörden dar. Einerseits kamen die unteren Behörden ihrer Berichtspflicht nach und informierten die oberen Behörden, wobei auch die Geistlichen mitarbeiteten, zum anderen zeigt sich daran die enge Abstimmung zwischen den Ministerien. Gleichzeitig wird deutlich, dass sich die Ministerien schon bewusst waren, dass Informationen unterer Behörden oder von Seiten der Kirche mangelhaft sein konnten – was durch die in diesem Fall verhältnismäßig ungewöhnlichen Glaubensansichten wohl noch verstärkt wurde. Von den Ministerien selbst wurde der Kommunismusvorwurf in der Begründung nicht mehr erwähnt. Für ein Verbot der Gemeinschaft war das offensichtlich auch nicht nötig, da man genügend andere Gründe finden konnte. Allerdings konnte man den Ibrányern an sich keinen Gesetzesbruch vorwerfen. Auch an ihren Lehren schien an sich nichts auszusetzen zu sein. Vielsagend ist allerdings der Hinweis des Justizministers an den Innenminister, wie im „Obstess-Verbot“ der Gemeinschaft ein Grund für eine Verbotsverfügung gefunden werden konnte, indem man das Abholzen der Obstbäume und Weinstöcke auf dem Besitz der Gläubigen als Schädigung der wirtschaftlichen Interessen klassifizierte und damit als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Die Schädigung dürfte sich bei der Anzahl der regional beschränkt aktiven kleinen Gemeinschaft allerdings in Grenzen gehalten haben. 595  MOL, K579 – 1932 – 1-Februar, Bl. 102, 109, 104, 105, 106, 107, 108, 109 (5500 – 5503 und 5508 – 5518). 596  Ebenda, K579 – 1931 – 2, Bl.  117, K579 – 1932-Okt, Bl.  110, 122 (5520 – 5523). 597  Ebenda, K579 – 1932-Okt, Bl. 110, 122 (5520 – 5523).

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Interessant ist auch, dass eine Ablehnung der medizinischen Behandlungen allein offenbar keine Gesetzesübertretung darstellte und insofern nur indirekt eine Handhabe lieferte, außer die Gläubigen verwahrten sich gegen eine Behandlung ihrer Kinder oder verweigerten im Fall einer ansteckenden Krankheit ärztliche Hilfe. Diese Glaubensauffassung war für den Justizminister offensichtlich ein Novum mit Klärungsbedarf. Allerdings sah er auch hier in Abstimmung mit dem Volkswohlfahrts- und Arbeitsminister eine Ansatzmöglichkeit, um nötigenfalls einzugreifen. Der Umstand des Rechts eines Bürgers auf die Bestimmung über den eigenen Körper wurde nicht diskutiert. Besonders auffällig ist der Umstand, dass vom Justizminister ganz bewusst der Verweis auf Art. 55 GA XXXIII/1921 mit Grundgesetzcharakter gestrichen wurde – angeblich um Missverständnisse zu vermeiden und weil sein Heranziehen nicht nötig sei. Wahrscheinlich zeigt sich auch hier die zunehmende Distanz zu den Anforderungen des Trianonischen Friedensvertrages, an die man sich zunehmend weniger gebunden fühlte. Insgesamt zeigt das Beispiel, dass man sich im Verbot auf einige wenige Argumente beschränkte, nötigenfalls aber weitere Tatbestände wie Hetze gegen historische Kirchen konstruiert hätte. Dennoch wird an diesem Beispiel ein weiteres Mal deutlich, wie wichtig dem Staat der Schutz des Bündnispartners historische Kirchen war. Dass nicht alle die Maßnahmen der Behörden gegen die Gemeinschaft guthießen, geht aus einem schon vor dem Verbot verfassten Artikel über die „Ibrányer Konfessionslosen“ hervor, der am 18. April 1928 im „Pester Napló“ (Pester Journal) erschien. Der Autor legt offen, dass die Einschränkung und das Vorgehen gegen die Gemeinschaft eine Affront gegen die Freiheit aller Bürger war: „Bisher haben sich 150 Landarbeiter der neuen Sekte angeschlossen. Das ist keine große Sache, nicht wichtig, ja noch weniger interessant. Dass sie in ihren Gärten Obstbäume fällen, […] ist keine große Gefahr. Dass sie im Krankheitsfall keinen Arzt rufen, ist keine Katastrophe, dass sich die neuen Sektenmitglieder weigern zu heiraten, ist ihre Sache. Eine große Sache hingegen ist, dass die Gendarmen die Sektenangehörigen nächtens eingesammelt haben und die Behörden sie in sechs verschiedene Irrenanstalten eingewiesen haben. Nur weil einer aus seiner Kirche austritt und sich konfessionslos nennt, ist meiner Meinung nach in keinster Weise eine Angelegenheit der Gendarmerie. Und nur weil jemand die Bibel anders auslegt, so wie der Ibrányer Anführer, berechtigt nicht, ihn in die Irrenanstalt einzuliefern. Damit möchte ich sagen, dass das, was hier geschehen ist, nicht die Sache der Ibrányer ‚Glaubensgemeinschaft‘ ist, es ist nicht die Sache des Ibrányer Anführers und nicht die Sache der einschreitenden Gendarmerie, es ist vielmehr Sache des ungarischen Staates, der eine Regierung hat und es ist die elementare Pflicht der Regierung die Staatsbürger dagegen zu schützen, dass sie wegen religiöser Ansichten nachts von Gendarmen eingesammelt und in eine Irrenanstalt eingewiesen werden […]. Werden Staatsbürger davor nicht geschützt, dann versteh ich nicht, wozu der Staat eigentlich existiert. Ich glaube, wenn diese Sachen so einfach gehen, warum sollte dann nicht das, was heute in Ibrány geschieht, morgen oder übermorgen in Budapest geschehen. […] Welche Rechtsgrundlage gibt es für eine solche Einweisung? Oder kann es in Ungarn 1928 geschehen, dass Menschen ohne ärztliches Attest in

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eine Irrenanstalt eingewiesen werden? Wenn ja, dann verehrter Leser, freuen Sie sich, dass man Sie noch nicht in ein Irrenhaus eingewiesen hat, dass wir auf freien Fuß sind, […] nicht eingeschlossen in einer Irrenanstalt, obwohl das möglich sei.“598 Damit führt er mit einfachen Überlegungen die komplizierten Ausführungen der Behörden und deren Vorgehen ad absurdum und macht deutlich, wie wenig gefährlich die Ansichten der Gemeinschaft waren, wie viel gefährlicher hingegen die Vorgehensweise der Behörden für die Bürger im Allgemeinen war. Er forderte vom Staat vielmehr den Schutz der Freiheit anders denken und leben zu dürfen und den Schutz der eigenen Person, kein Eingreifen des Staates in den Bereich der persönlichen Entscheidungsfreiheit. 3.  Reaktion der Bibelforscher auf die Repressionen a)  Anerkennungsbemühungen und Verbindungen nach Deutschland Wie die Berichte der Behördenvertreter und die Verordnungen der Ministerien immer wieder zeigen, waren die Bibelforscher im besonderen Fokus der Behörden. Auffallend ist jedoch, dass obwohl in den 1920er-Jahren immer wieder von den Bibelforschern die Rede ist, in den Archiv-Unterlagen der Ministerien keine umfassenden Dossiers über bestimmte Angelegenheiten der Bibelforscher zu finden sind, keinerlei Revisionsverfahren oder Beschwerden – wie bei den Methodisten im Zusammenhang mit der Rechtssubjektivität oder der Adventisten in Verbindung mit einem ständigen Geistlichen, wie in Verbindung mit dem Abhalten von Gottesdiensten, die Teilnahme Minderjähriger an solchen usw. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Glaubensangehörigen zunächst nichts gegen die Behandlung und Vorgehensweisen der Behörden unternommen haben und von den oberen Behörden daher lediglich Vorfälle registriert, aber keine Verfahrensakten bei den Ministerien angelegt wurden, in denen die Bearbeitung von den Mitarbeitern der Ministerien diskutiert wurde. Wie ein Mitteilungsblatt der Bibelforscher vom 7. Juni 1929 aus Magdeburg, gerichtet „An den ungarischen Erntearbeiter“599 zeigt, wollte man die unangenehme Verfahrensweise der Behörden mit den Glaubensanhängern an verschiedenen Orten in Ungarn nicht mehr widerspruchslos hinnehmen, sondern vielmehr sich auch in Ungarn für solche Umstände einsetzen, „wie sie zurzeit hier in Deutschland herrschen“600 – bezogen auf die Freiheit, die sie noch 598  „Az ibrányi felkezetnélküliek“ [Die Ibrányer Konfessionslosen]. In: Pesti Napló [Pester Journal] vom 18.4.1928, S. 4. 599  MJTA, DOK-192. Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft, Magdeburg, 7. Juni 1929. 600  In der Weimarer Republik konnten die Bibelforscher aufgrund der „Religionsartikel“ in der Weimarer Verfassung (Artikel 136, 137, 138, 139, 141) verhältnismäßig frei tätig sein. In dieser Zeit gab es in Deutschland eine starke Verbreitung der Bibelforscher. Ihre Zahl stieg zwischen 1918 und 1926 von knapp 4 000 auf über 22 000 an. Dennoch lief auch hier nicht alles reibungslos. Anfeindung erlebten sie von nationalistischer Seite, indem man ihnen vorwarf, der „widerchristlichen, jüdisch-amerikanischen Freimaurerei“ anzugehören oder galten als „Schrittmacher des Bolschewismus“. Roser, Hubert: Widerstand und Ver-

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zur Zeit der Weimarer Republik genossen. Dabei sei man auf genaue und schnelle Information der Glaubensangehörigen in Ungarn angewiesen. Es erging daher die sehr nachdrückliche Bitte an sie, über Verfahren der Behörden mit Angabe von Tag und Stunde sofort, via Express, informiert zu werden. In diesem Mitteilungsblatt äußerten sich die Glaubensangehörigen in Deutschland sehr unzufrieden darüber, dass bisher keiner gegen die Urteile und Beschlüsse in Berufung gegangen sei. So müssten Richter und Behörden den Eindruck haben, Bibelstudenten seien schuldig, denn sonst würden sie sich gegen solche Vorwürfe und eine solche Behandlung wehren. Die Glaubensangehörigen in Deutschland meinten, dass darin auch der Grund zu finden sei, warum man in Ungarn so schlecht über Bibelforscher dächte. Sie wollen daher gern Anwälte in Budapest für ihre Brüder einsetzen und jeden kleinen Fall mühselig durch die Instanzen bringen, um so deren Lage und ihr Ansehen langsam zu verbessern. Andererseits kamen die deutschen Bibelforscher zu dem Schluss, dass sich verschiedentlich Glaubensbrüder in Ungarn im Umgang mit den Behörden nicht unbedingt schlau angestellt hätten. Manche hätten bei Verhören oder in Haft, eingeschüchtert von den Umständen, eingestanden, vom Verbot der Presseprodukte gewusst zu haben, was tatsächlich aber nicht der Fall gewesen war. Es sei schon vorgekommen, dass „unsere lieben Brüder etwas unterschrieben haben, was sie gar nicht kannten“, zumal viele einfache Landarbeiter des Lesens und Schreibens nicht unbedingt mächtig waren. Daher der Hinweis: „Wenn sie euch also irgendetwas zum Unterschreiben vorlegen, sagen wir auf der Polizei oder der Gendarmerie oder vor Gericht oder wo anders, verweigert einfach eure Unterschrift, unterschreibt nicht. Das müsst ihr ganz entschlossen tun und sagen, dass ihr das auf keinen Fall unterschreiben werdet. Damit begeht ihr keine strafbare Handlung. […] Sonst könnten sie später sagen, ‚Diese Sache haben sie durch ihre Unterschrift eingestanden.‘“ Die Verhörsprotokolle seien zumal oft so schwierig aufgebaut, dass man sich damit schwer zurechtfinde. Außerdem war man der Meinung, dass eine so ehrenhafte Arbeit, die sie verrichteten, um „unserem Herrn [zu] dienen und unseren Mitmenschen Gutes [zu] tun“, gar nicht „gegen irgendein Gesetz oder eine Verordnung verstößt, oder durch irgendein Gesetz oder eine Verordnung verboten wird.“601 Wie aus einem Bericht vom 6. September 1929 über eine anschließende Besprechung mit den Glaubensanhängern in Budapest hervorgeht, entschied man, sich zunächst erst einmal dort besonders missionarisch einzusetzen, wo die Behörden nichts gegen ihre Tätigkeit hätten und wo sie erkannt hätten, dass die Gemeinschaft gut ist, sich aber dort, wo es Schwierigkeiten gab, besser zunächst zurückzuhalten. In dem Bericht wurde auch festgestellt: „Es ist in letzter Zeit immer wieder vorgekommen, dass die Behörden die Zusammenkünfte gestört haben.“ In Verkennung der Tatsachen glaubten die deutschen Bibelforscher, das läge daran, dass in Ungarn die Zusammenkünfte im Allgemeinen verboten seien weigerung der Zeugen Jehovas im deutschen Südwesten 1933 bis 1945. In: Ders. (Hrsg.): Widerstand als Bekenntnis: Die Zeugen Jehovas und das NS-Regime in Baden und Württemberg, Konstanz 1999, S. 11 – 87, hier S. 29. 601  MJTA, DOK-192. Wachtturm, Bibel- und Traktatgesellschaft, Magdeburg, 7. Juni 1929.

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und man darunter verstehen würde, sich mit politischen Gedanken zu beschäftigen. „Wir haben allerdings überhaupt nichts mit Politik zu tun, wir studieren lediglich Gottes Wort, halten also Gottesdienst ab.“ Daher sollten die Glaubensangehörigen auch immer das Wort „Gottesdienste“ benutzen, auch wenn manch einer mit dem Wort Schwierigkeiten hat.602 Käme es bei Beerdigungen zu Schwierigkeiten, sollte man sofort schreiben. Alles sollte genau geprüft und Erfahrungen gesammelt werden, um zu sehen, wo Erklärungen nötig seien. Die Gemeinschaft verwies auf GA XIV/1876, § 116 und VO 57.891/1906, der zufolge der Vizegespan „im Interesse des Aufrechterhaltens des Friedens unter den Glaubensgemeinschaften sorgfältig darauf achten“ sollte, dass „der Ablauf der Beerdigungen auf keine pietätlose Weise gestört werde“. Die Glaubensangehörigen sollten auch keine ärgerlichen Briefe an die Behörden schreiben. Es soll vorgekommen sein, „dass Brüder verärgert aus falschen Beweggründen solche Briefe geschrieben und an Richter, Priester und Behörden versandt haben“. Das hätte eine schädliche Wirkung. „Die Geistlichkeit in Ungarn ist bemüht, unsere Arbeit als kommunistische Propaganda hinzustellen. Ihnen kommt jeder bedrohliche Brief gerade gelegen, ihn gegen uns zu verwenden.“ Die deutschen Bibelforscher baten, in Zukunft so etwas zu unterlassen und vielmehr alle Informationen an sie weiterzugeben.603 Diese Schreiben aus Magdeburg belegen, dass die Gemeinschaft den Behörden nicht schlechte Beweggründe, sondern Uninformiertheit unterstellte und man durch Aufklärung und Erklärung glaubte, auf dem Rechtsweg die Dinge richtig stellen zu können. Zum anderen wird deutlich dass man die Fehler auch bei sich und den Glaubensangehörigen suchte. Die Organisation war noch jung, die Anhänger noch nicht lange dabei, es fehlte an Struktur und Verständnis, teilweise auch an einheitlichen Ansichten bezüglich Glaubensangelegenheiten. Wie das Schreiben zeigt, suchte man nach Wegen zur Befriedung der Situation, versuchte die Vorgehensweise den Umständen anzupassen, ohne am Glauben und dessen Ausübung wichtige Abstriche zu machen. Man wollte in den Gebieten, wo es Schwierigkeiten mit den Behörden gab, die Konfrontation vermeiden und richtete die Aktivitäten auf Gebiete, wo es weniger problematisch war. Andererseits wird dabei auch deutlich, dass die Behörden verschiedenenorts unterschiedlich mit der Religionsfreiheit umgingen. Manche hatten keine oder kaum Probleme mit der Tätigkeit und räumten den Gemeinschaften mehr Freiraum ein – etwas, was so nicht im Sinne des Innenministers gewesen sein dürfte. Das wiederum war den Gemeinschaften nicht bekannt. Die Bibelforscher hatten sich selbst zunächst nicht als Religionsgemeinschaft gesehen, weil – obgleich sie sich als Nachfolger der Urchristen verstanden – Reli-

602  Wahrscheinlich aufgrund der Nähe des Wortes zu den rezipierten Kirchen, von denen man sich unterscheiden wollte. 603  MJTA, DOK-194.

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gion in ihren Augen schlecht war.604 Das erklärt auch, warum die Bemühungen um gesetzliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft aller Wahrscheinlichkeit auch erst relativ spät begannen. Wie aus den Akten des Deutschen Auswärtigen Amts hervorgeht, hatten sich die Bibelforscher Ende der 1920er-Jahre an die ungarischen Behörden gewandt und um Anerkennung ersucht, die ihnen aber verweigert wurde, während ihnen gleichzeitig aufgetragen worden war, eine Bescheinigung des deutschen Kultusministers beizubringen, die sinngemäß besagen sollte: „Die internationale Bibelforscher-Vereinigung (Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft) Sitz Magdeburg ist eine Gemeinschaft, die sich ausschließlich mit religiösen Angelegenheiten befasst und der daher jede politische Tendenz und Betätigung, insbesondere jede Stellungnahme gegen den Staat fernliegt. Sie betätigt sich sonach nicht in einer den bürgerlichen Frieden gefährdenden Weise und ist als gemeinnützig anzusehen, da sie dem allgemeinen Volkswohl in idealer Weise dient.“605 In dieser Angelegenheit wandte sich die Internationale Bibelforschervereinigung, Magdeburg, über Rechtsanwalt Jacques Abraham, Berlin, an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung mit der Bitte um eine solche Bescheinigung. Der Anwalt verwies in seinem Schreiben vom 15. Mai 1930 auf das Ministerial-Blatt für die Preußische innere Verwaltung, Nr. 18 vom 30. April 1930, Spalte 3999, Runderlass vom 19. April 1930, I.b 1021, der besagte, „dass die Vereinigung rein religiöse Zwecke verfolgt und sich nicht politisch betätigt; ferner aber, dass die Feststellungen ergeben haben, dass der Zweck der Wachtturm Bibel- und Traktatgesellschaft, unter welchem Namen die Internationale Bibelforscher-Vereinigung ihre Schriften vertreibt, wegen Gemeinnützigkeit steuerfrei anzusehen sei“.606 Darüber hinaus sandte der Anwalt eine „Bescheinigung des Polizeipräsidenten zu Magdeburg vom 28.4.1928“, eine „Bescheinigung des Polizeipräsidenten, Ab. IA Berlin“, eine „Entscheidung des Reichsfinanzhofes vom 23.4.29 – AZ.V.A.890/28 – wonach die Gesellschaft als gemeinnützig anerkannt ist“.607 Der deutsche Kultusminister wandte sich daraufhin zunächst an den Innenminister, welcher ihm mitteilte, dass der herangezogene Runderlass sich in erster Linie an die Polizeibehörden richtete, „von der Einleitung von Strafverfahren wegen der von den Bibelforschern vertriebenen Druckschriften im allgemeinen abzusehen. Der Runderlaß verfolgt daher allgemeine polizeiliche Zwecke“.608 In einem weiteren Schreiben vom 1. August 1930 an das Auswärtige Amt stellte der Kultusminister fest, „daß die Tätigkeit der Internationalen Bibelforschervereinigung nicht einheitlich beurteilt wird“. Ihr würde insbesondere vorgeworfen, „daß sie das Land mit Flugblättern und Traktaten, die gegen Bezahlung umgesetzt werden, überschwemmt und daß die Art ihrer Betätigung, insbesondere ihrer Angriffe gegen die Geistlichen der evangelischen und 604  Nicht umsonst hatte man bei Informationsmärschen mit Plakaten verkündet: „Religion ist eine Schlinge und ein Gimpelfang“ und „Dienet Gott und Christus, dem König“. Vgl. WtBTG, Verkündiger, S. 93. 605  Bundesarchiv, Auswärtiges Amt, A/459, Bl. 176, 176R. 606  Ebenda, Bl. 175 f. 607 Ebenda. 608  Ebenda, Bl. 164, 164R.

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katholischen Kirche nicht der Erhaltung des konfessionelen [sic!] Friedens dient“. Der deutsche Kultusminister wollte weitere Hintergründe wissen, warum man die deutschen Behörden einschalte, und ob dort die Tätigkeit „grundsätzlich für unbedenklich erachtet wird“. Das Auswärtige Amt schaltete die Deutsche Gesandtschaft in Budapest ein. Mit Schreiben vom 6. September 1930 erklärte man dann: „Mit Vorlage einer solchen Bescheinigung würden voraussichtlich der Tätigkeit der Magdeburger Bibelforschervereinigung keine Hindernisse in den Weg gelegt werden.“ Ein grundsätzliches Problem würde in Ungarn in der Erhaltung des konfessionellen Friedens gesehen, da dessen „strenge Wahrung“ „Überlieferung ist und die ungarischen Behörden jedem Versuch einer Trübung stets sehr energisch begegnen“. Wenn daher die Bibelforschervereinigung in Ungarn ihre Angriffe gegen die Geistlichen der verschiedenen Konfessionen richten würde, müsste immerhin damit gerechnet werden, dass ihr später von den Behörden Schwierigkeiten gemacht würden.609 Wahrscheinlich hat man dann die Angelegenheit zunächst ruhen lassen oder war sich ob einer Antwort unschlüssig, denn der Anwalt mahnte beim Kultusminister noch im Dezember des Jahres eine Antwort auf sein Schreiben an.610 Ganz offensichtlich liefen die Bemühungen der Bibelforscher um gesetzliche Anerkennung in Ungarn ins Leere. Wie dieser Vorgang jedoch wiederum zeigt, konnten die Behörden den Gemeinschaften nicht allgemein unterstellen, sich um eine gesetzliche Anerkennung drücken zu wollen. Mangels Anerkennung durch die Behörden suchte die Gemeinschaft nach einem anderen Weg, sich offiziell in Ungarn zu organisieren. Am 26. März 1932 ließ daher die Watchtower Society ein Firmenbüro in Budapest611 registrieren. Als ihre Vertreter fungierte Lajos Szabó,612 1933 der Deutsche Heinrich Dwenger und ab 1935 Gerhard Zennig.613 Wie ein weiteres Schreiben aus Magdeburg an die ungarischen Glaubensbrüder vom 12. Dezember 1932 zeigt, konnten die Probleme mit den Behörden nicht so leicht gelöst werden. In diesem Schreiben baten sie die ungarischen Zeugen, auf öffentlichen Plätzen vor größeren Menschenmengen keine Vorträge zu halten, da dies einer Zusammenkunft ohne Genehmigung gleichkommen würde. Um die Behörden nicht herauszufordern, sollte man das besser in geschlossenen Räumen 609 

Ebenda, Bl. 167, 167R. Ebenda, Bl. 173. 611  Budapest, III. Bezirk, Kenyeres u. 14, in der Wohnung von Lajos Szabó. Im Juni desselben Jahres zog das Büro in den XIII. Bezirk, Katona J. u. 41. 612  Szabó war Ende der zwanziger Jahre mit seiner Frau nach Deutschland in die deutsche Zentrale der Bibelforscher gegangen, sprach Deutsch (auch aufgrund seiner Abstammung) und beteiligte sich an der Übersetzung biblischer Publikationen. Einem Verhörsprotokoll der kommunistischen Staatssicherheit vom 17.11.1950 zufolge haben sie die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas 1938 verlassen. ÁSzTL, TH, V-71056, Bl. 59. 613  Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 334. Zennig war vor 1935 auch in Deutschland und der Tschechoslowakei tätig. 1925 war er in das Bibelhaus in Magdeburg gegangen, 1933 war er in Prag tätig und 1935 dann wieder Ungarn. WTA, Selters, LB Gerhard Zennig. Der Wachtturm v. 1.6.1964, S. 348 – 351. Von Dwenger ist bekannt, dass er im Ersten Weltkrieg den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigert hat. Ebenda. 610 

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tun.614 Dieses Schreiben aus dem Bibelhaus in Magdeburg dürfte eine der letzten Aktionen von dort gewesen sein, denn gleich nach der „Machtergreifung“ Hitlers kam es 1933 nach Erlass der Reichstagsbrandverordnung schnell zu Verboten und Verhaftungen615 und bereits im April 1933 wurde das Bibelhaus in Magdeburg das erste Mal besetzt und am 28. Juni 1933 schlossen SA-Leute die Druckerei. 65 189 kg Bibeln und Publikationen der Bibelforscher wurden am Stadtrand von Magdeburg verbrannt, inwiefern ungarische Publikationen darunter waren, ist unbekannt.616 Die Zeugen hatten sich aufgrund ihrer neutralen Haltung zur Politik am 5. März 1933 nicht an den Wahlen beteiligt, weshalb sie direkt den nationalsozialistischen Behörden sofort auffielen. Auch dem einzelnen Bürger mussten sie auffallen, weil sie generell nicht mit „Heil Hitler“ grüßten, denn diese Ehrenbezeugung stellte für sie einen „Akt der Anbetung“ dar, der nur Gott zustand. Durch ihre Haltung gehörten Jehovas Zeugen im Deutschen Reich zu den ersten Anders­denkenden, die Hitler verfolgen und verschiedentlich in die sogenannten frühen Lager wie Hohenstein und Sachsenburg sperren ließ. Sie wurden sofort als politische Gegner kategorisiert und nicht selten, insbesondere durch die Presse, in Verbindungen zum Kommunismus gebracht. Wenngleich nie ein Reichsverbot der Gemeinschaft ausgesprochen wurde, wurden sie in allen Ländern des Reiches nacheinander verboten, viele wurden inhaftiert und ab 1936 zu Tausenden vor Gericht gestellt bzw. per Schutzhaftbefehl von der Gestapo, so sie ihrem Glauben nicht abschworen, in Konzentrationslager überstellt, wo sie als einzige religiöse Gemeinschaft ein eigenes Symbol, den lila Winkel, erhielten. Insgesamt kamen in der NS-Zeit über 10 000 Zeugen Jehovas in Gefängnissen und Konzentrationslagern, rund 2 000 kamen ums Leben.617 Wegen Verweigerung des Wehrdienstes wurden 331 Todesurteile gegen Zeugen Jehovas ausgesprochen, 272 davon wurden vollstreckt.618 Von der Verfolgung der Nationalsozialisten waren auch Kinder und Jugendliche betroffen, z. B. in Form von Schulverweisen, Arbeitsplatzverlust oder aber auch indem man gemäß § 1666 BGB den Eltern das Sorgerecht entzog und die Kinder bei Pflegeeltern oder in Erziehungsheimen unterbringen ließ.619 614  MJTA,

DOK-193. Garbe, Detlef: Zwischen Widerstand und Martyrium. Die Zeugen Jehovas im „Dritten Reich“. München 1999, S. 108 ff. Dirksen, Hans-Herman: „Keine Gnade den Feinden unserer Republik.“ Die Verfolgung der Zeugen Jehovas in der SBZ/DDR 1945 – 1990. Berlin 22002, S. 74 f., 77. 616 Ebenda. 617 Vgl. Harder, Jürgen/Hesse, Hans: Zeittafel zur Entwicklung und Verfolgung der Zeugen Jehovas. In: Hesse, Hans (Hrsg.): „Am mutigsten waren immer wieder die Zeugen Jehovas.“ Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus. Bremen 2 2001, S. 432 ff. Garbe, Widerstand, S. 495 f. 618  Dirksen, Wehrdienstverweigerung, S. 115. Herrberger, Marcus: Zeugen Jehovas als Kriegsdienstverweigerer in der NS-Zeit (1939 – 1945). In: ders. (Hrsg.): „Denn es steht geschrieben: “Du sollst nicht töten!“ Wien 2005, S. 62 – 236, hier S. 235. 619 Vgl. Dirksen, Annegret/Dirksen, Hans-Hermann: Die Kinder der Zeugen Jehovas – Staatliche Ausgrenzung und soziale Repression. In: Clemens Vollnhals/Jürgen Weber: Der Schein der Normalität. München 2002, S. 218 – 286. Dirksen, Annegret: The Situation of 615 Vgl.

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In einer international organisierten Brief- und Telegrammaktion wandten sich am 7. Oktober 1934 Zeugen Jehovas in vielen Ländern an Hitler und forderten ein Ende der Verfolgung. Inhalt des Telegramms war: „Ihre schlechte Behandlung der Zeugen Jehovas empört alle guten Menschen und entehrt Gottes Namen. Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten.“620 Obwohl in Deutschland die Gestapo informiert war, gelang es ihr nicht, die Aktion zu stoppen. In verschiedenen Ländern wurde durch Postbeamte teilweise die Beförderung behindert oder abgelehnt.621 Auch in Ungarn beteiligten sich Glaubensanhänger an der Aktion. Es wird von einem Fall in Budapest berichtet, da das Telegramm zwar angenommen, aber nicht befördert wurde. Der deutsche, in dieser Zeit in Ungarn lebende Zeuge Jehovas, Martin Pötzinger, wurde einen Tag, nachdem er das Telegramm aufgegeben hatte per Karte benachrichtigt, er müsse persönlich beim Hauptpostamt vorsprechen. Dort wurde ihm erklärt, dass Ungarn dieses Telegramm nicht absenden würde, und ihm wurde sein Geld zurückerstattet.622 Wie diese Aktionen zeigen, stellten die Anhänger der kleinen Religionsgemeinschaft trotz heftiger Verfolgung ihre Tätigkeit nicht ein. Mehrere Zeugen Jehovas aus Deutschland gingen aufgrund der Verfolgung auch in andere Länder – unter anderem nach Ungarn. Als Touristen konnten sie angemeldet drei Monate im Land bleiben, danach mussten sie zwar das Land verlassen, konnten aber umgehend wieder einreisen.623 Die Leitung des ungarischen Gebietes ging aufgrund der Schwierigkeiten in Deutschland an die Schweiz über, wo ein Zentral­ europäisches Büro eingerichtet wurde, das 1929 bereits die Leitung der Tätigkeit in Rumänien übernommen hatte. Neben Deutschland wurde auch Ungarn von der Schweiz aus mit Publikationen beliefert.624

Child Survivors of Jehovah’s Witnesses in East Germany. In: Beyond Camps and forced Labor. Current International Research on Survivors of Nazi Persecution. Proceedings of the International Conference London, 11. bis 13. Januar 2006, S. 650 – 661. Dirksen, Annegret: Children of Jehovah’s Witnesses Under Two Dictatorships. In: Religion, State & Society, Bd. 34, Nr. 2, 2006, S. 191 – 210. 620  Zitiert nach WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1974. Wiesbaden 1973, S. 137. 621  In Doorn (Niederlande), dem Exil des deutschen Kaisers, z. B. hatte sich das Postamt zunächst geweigert, das Telegramm abzuschicken, es dann später aber doch abgeschickt, der Empfang wurde von Berlin bestätigt. Ebenda, S. 138. 622  Ebenda, S. 138 f. Einer Aussage Karl R. Wittigs, dem Bevollmächtigten von General Erich Ludendorffs, zufolge soll Hitler, nachdem ihm einige Telegramme aus dem Ausland durch seinen Innenminister Wilhelm Frick (1877 – 1946) vorgelegt worden waren, aufgebracht ausgerufen haben: „Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!“ 623  Vgl. Jehovas Zeugen Archiv Deutschland (JZAD), Bericht Betty Sontopski von 1970. Bericht von Oskar Hoffmann, 1970/1971. 624  Die Rotationsmaschine, auf der in Magdeburg gedruckt und die dann nach Prag verbracht wurde, brachte man nach Bern. Dieselbe Maschine ging nach dem Krieg zurück nach Deutschland, in das neue Zweigbüro in Wiesbaden. WtBTG, Jahrbuch 1974, S. 243. Vgl. Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 328.

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Deutsche Glaubensanhänger waren dann auch an einer besonderen Aktion in Ungarn beteiligt,625 in der nach der Annahme des neuen Namens „Jehovas Zeugen“ die Broschüre „Das Königreich – die Hoffnung der Welt“ im Land, parallel zu vielen anderen Ländern verbreitet wurde.626 Über die Aktion in Budapest wurde berichtet: „Zu bestimmter Zeit fuhren 90 deutsche Geschwister dahin, und innerhalb 5 Tagen wurden ca. 125 000 ‚Königreichs‘-Broschüren und 200 000 Traktate zur Verbreitung gebracht.“627 In Ungarn wurde 1933 auch eine Erklärung zur Annahme des neuen Namens „Jehovas Zeugen“ verbreitet, mit der man zugleich die Falschanklagen richtig stellen wollte, eine Art offener Brief – sicher ebenfalls ein Akt in Verbindung mit der Legalisierung der Tätigkeit. In dieser Erklärung hieß es: „Wir halten es für unsere Pflicht, die Öffentlichkeit über folgende Dinge aufzuklären: Die religiösen Gegner verbreiten seit Jahren über uns Bibelforscher (Bibelleser) in Ungarn falsche Nachrichten. Deshalb legen wir folgende ausdrückliche Erklärung ab: Die ‚Internationale Bibelforscher Vereinigungen‘ – auf der Welt in den meisten, gebildeten Staaten gesetzlich anerkannt – bestehen seit vierzig Jahren. Alle Mitglieder der Vereinigung sind Männer und Frauen, die sich ganz Gott hingegeben haben und deren Wunsch es ist, Gott zu dienen. Die Bibelforscher sind verstandesmäßig Gegner jedes Aufstandes, Krieges, jeder Ungerechtigkeit und Gewalt. Unser Bestreben besteht darin, ein reines, gottgefälliges Leben zu führen, jedem Menschen Gutes zu tun, die Gesetze des Landes zu ehren und nichts zu tun, was unseren Mitbürgern Schaden am Besitz, Körper oder Seele zufügen könnte. Sie beteiligen sich in keiner Weise politisch, besonders aber weisen sie politisch radikale Bewegungen wegen ihrer gewalttätigen Tendenz zurück – wie z. B. Faschismus, Kommunismus usw.“ Sie würden den Kommunismus missbilligen, „da er den Glauben an Gott und an Gottes Wort bekämpft“. Danach legten sie einige ihrer Glaubensansichten dar und erklärten die Notwendigkeit des Predigens, als „Pflicht eines jeden wahren Christen“, die zur Gottesanbetung gehöre und erklärten: „Auf Grund von all diesem wünschen wir auch achtungsvoll und ausdrücklich, das allen 625  Die deutschen Prediger gebrauchten, da sie der ungarischen Sprache nur teilweise mächtig waren, eine Zeugniskarte, die besagte: „Bestimmt lieben auch Sie Recht und Gerechtigkeit und wünschen, dass es allen um Anständigkeit bemühten Menschen gut geht.“ Dann verwies man anhand der Bibel auf das Unglück in der Welt, die Angst der Menschen vor der Zukunft und versicherte – wiederum mit Schriftstellen – darauf, dass in Gottes Wort außergewöhnliche Ereignisse vorhergesagt würden. „Den Menschen guten Willens wird Schutz versprochen.“ Dann verwies die Karte auf die Publikationen, „die schon Millionen Glück und Segen gebracht haben, weil sie Gott und sein großes Vorhaben erkannt haben.“ MJTA, DOK-186. Dieser theologisch orientierte Text war kaum politisch interpretierbar. 626  Bei dem Feldzug versuchte man die Broschüre persönlich zu übergeben, wandte sich auch an Geistliche und Politiker. In der Broschüre wies man unter anderem darauf hin, dass die Treue der Bibelforscher/Zeugen Jehovas durch patriotische Zeremonien ähnlich auf die Probe gestellt würde wie die der im Bibelbuch Daniel, Kapitel 3 beschriebenen Juden, die sich weigerten, sich vor einem Standbild des Königs niederzubeugen. WtBTG, Verkündiger, S.  196, 565 – 566. 627  WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1933. Magdeburg 1932, S. 98 – 104. Dies., Jahrbuch 1996, Selters/Ts. 1995, S. 76 – 77.

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Staatsbürgern gesetzlich gesicherte Recht ungestört auszuüben, unserer religiösen Überzeugung ‚ohne Widerstand‘ Ausdruck verleihen zu können. Ungarn gereicht es seit Jahrhunderten zur Ehre, dass es die geistigen Rechte und die Freiheit seiner Bürger – ungeachtet ihrer Religion und gesellschaftlichen Stellung – verteidigte. Unsere Gottesanbetung oder Dienst besteht darin, in unserer Freizeit als Zeugen Jehovas über Gottes Namen und seine Wahrheit, mit Hilfe der Bibel Zeugnis abzulegen. Für unsere Tätigkeit bekommen wir keinerlei Vergütung oder Bezahlung, wir tun es aus reiner Liebe zu Gott und unseren Mitmenschen; unsere Schriften geben wir zum Selbstkostenpreis und oft als Geschenk ab. Es ist also eine unumstößliche Tatsache, dass unsere Tätigkeit keinen egoistischen oder geschäftlichen Zielen dient, sondern der Ehre Gottes. Wir erheben auch Anspruch auf unser in der Verfassung gesichertes Recht, unsere gottesdienstliche Tätigkeit geschützt auszuüben, so wie die Christen, die zu anderen Konfessionen gehören, wenn sie nach ihrem Gutdünken Gottesdienst abhalten.“628 Diese landesweite Verteil-Aktion hat ohne Frage die Polizeibehörden alarmiert, wobei wieder die Presseprodukte in den Fokus rückten. Wenngleich man sich hier gegen eine Verbindung zu dem Kommunismus wehrte, dürften die Behörden der Erklärung wenig Glauben geschenkt haben, da dieser Vorwurf in den nächsten Jahren weiter und verstärkt vorgebracht wurde. Dennoch zeigen die verschiedenen Aktionen der Bibelforscher/Zeugen Jehovas, dass sie sich ihrer verfassungsmäßig garantierten Rechte bewusst und willens waren, darum zu kämpfen. Die Bemühungen um Anerkennung in Ungarn lassen auch die Ausrichtung der ungarischen Behörden an der deutschen Rechtslage erkennen, da eine Unbedenklichkeitserklärung aus Deutschland zur Tätigkeit der Gemeinschaft möglicherweise ausgereicht hätte, diese zu legalisieren. In diesem Zusammenhang wird allerdings auch deutlich, wie weithin bekannt der Umstand war, dass in Ungarn der Erhalt des konfessionellen Friedens hohe Priorität hatte, „Überlieferung“ war – wie das Deutsche Auswärtige Amt feststellte – und die Behörden „sehr energisch“ gegen jede Trübung vorgingen. b) Druckerzeugnisse Möglicherweise hatte die besondere Aktivität der Verteilung von Druckschriften der Zeugen Jehovas in Verbindung mit ihrer Namensänderung 1931 zur Folge, dass der Innenminister 1932 mit seiner VO 113.251/1932 auf der Grundlage von GA XIV/1914 ein Verbot aller „antinationalen und ausländischen Presseerzeugnisse im ganzen Lande“ veranlasste und die Behörden anwies, sie „bei jedwedem Auffinden zu konfiszieren“.629 In einem Schreiben vom 23. Juni 1934 an die Staatsanwaltschaft in Sátoraljaújhely bezog sich das Innenministerium auf die Verordnung

628 

MOL, K149-VIII-1934 – 7 – 2075. nach Dirksen, Doppelte europäische Diktaturerfahrung, S. 334. Das Verbot bzw. die Entziehung der Beförderungsrechte wurde im Postverordnungskatalog Nr. 28 von 1932 veröffentlicht, außerdem im Csendőrségi Közlöny [Mitteilungsblatt der Gendarmerie] von 1932. 629  Zitiert

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und erklärte, dass damit alle Druckerzeugnisse der Bibelforscher verboten seien.630 Ganz offensichtlich ließen sich die Glaubensangehörigen nicht davon beeindrucken, wie die nachfolgenden Berichte zeigen. Im Oktober/November 1933 behauptete der Polizeipräsident von Nagykőrös, dass die „ausländische Sekte Jehovas Zeugen, auch unter dem Namen Internationale Bibelstudenten, Bibelforscher Watsch Tower [sic!], Wachtturm usw.“ bekannt, deren im Ausland hergestellte Druckschriften verboten seien, in ihrem Gebiet tätig waren und „staats- und kirchenfeindliche Lehren im religiösen Gewand verbreiten würden“. Der Vizegespan Sátoraljaújhely wurde aufgefordert die Bewegung strengstens zu kontrollieren und die im GA XLIII/1895 § 1 garantierte freie Ausübung nötigenfalls mit GA XI/1922 § 7 zu unterbinden.631 Das Heranziehen des GA XI/1922 ist ungewöhnlich. Dieses Gesetz war dazu vorgesehen, die militärischen Beschränkungen und Verbote des trianonischen Friedensvertrages in Ungarn umzusetzen. Paragraf 7 gehörte zum II. Teil des GA, in dem Maßnahmen zur Verhinderung der Aufbewahrung von Rüstungsmitteln, von Lehranstalten und Vereinen für militärische Zwecke getroffen wurden. Der Paragraf besagte, dass jedwede Vereinigung und jede Art bürgerlicher Organisation unter welchem Namen auch immer nur in Übereinstimmung mit dem Innenminister funktionieren dürfe. Es überrascht sehr, dass hier gesetzliche Bestimmungen zur Umsetzung des trianonischen Vertrages herangezogen wurden, um die verfassungsrechtliche Religionsfreiheit zu unterbinden, wenn in eben diesem Vertrag die Gewährung von Religionsfreiheit gefordert, mehr noch ihr als Verfassungsrecht Vorrang eingeräumt wurde. Außerdem ist die Richtigkeit der Anwendung dieses GA fraglich, da er für rein militärische Angelegenheiten gedacht war, mit denen eine Religionsgemeinschaft nichts zu tun hatte, zumal nicht eine, die die Beteiligung an militärischen Aktionen verweigerte. Insgesamt erscheint der Bericht der Polizei von Nagykőrös im Lichte des einen Monat später erfolgenden Rapports eben dieser Behörde an den Innenminister auch insofern unklar, als dass man darin versicherte, dass bei den Zusammenkünften keinerlei bedenkliche Äußerungen getätigt würden und auch ansonsten keine Gefahr von ihnen ausginge.632 Entweder hat der Polizeipräsident bewusst die Lage gegenüber dem Innenminiester beschönigt, um sich keine Blöße zu geben oder aber er empfand die Lage im Endeffekt nicht als so gravierend und hat sich in seinem Bericht revidiert. Es ist wohl eher nicht davon auszugehen, dass er mit einer Beschönigung die Gemeinschaften schützen wollte. Vielmehr bestätigt es einmal mehr die unterschiedliche Handhabung der Gesetze und Vorgehensweise der einzelnen Behörden. In einem anderen Fall erstattete die Miskolcer Gendarmerie unter anderem gegen János Bernát, einen Zeugen Jehovas aus Ricse, Strafanzeige wegen Übertretung des Pressegesetzes, da er im Besitz von 96 Gesangbüchern aus Magdeburg

630  MJTA,

DOK-302. MOL, K149-VIII-1934 – 7 – 8095, Bl.  16. 632  MJTA, DOK-2862, DOK-2869. 631 

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war.633 Nachdem sich die Staatsanwaltschaft von Sátoraljaújhely am 12. Juni 1934 an das Innenministerium gewandt hatte, Abteilung Presse, mit der Bitte um Klärung, auf Grundlage welcher VO die Verbreitung dieser Bücher verboten und wie die Tat zu bestrafen sei, beschloss man am 31. August 1934, das Verfahren gegen Bernát einzustellen, da ihm eine Verbreitung der Gesangsbücher nicht nachzuweisen war. Die Bücher waren zu vernichten, was im September vollzogen wurde.634 Die Maßnahmen gegen János Bernát haben ihn offensichtlich nicht abgeschreckt, wie einige bei ihm gefundene Briefe an Glaubensbrüder belegen. Sie zeigen auch, wie er vor Gericht reagiert haben mag: „Ihr könnt den Verfolgungen und den gesetzwidrigen Belästigungen so aus dem Wege gehen, wenn ihr beim Zeugnisgeben kein Buch mitnehmt, sondern mündlich und mit der Bibel Zeugnis gebt. Gottesdienstliche Anmeldungen sollt ihr schriftlich einreichen, wie früher. Wenn sie es nicht gewähren wollen, dann verlangt eine schriftliche Ablehnung, damit man dagegen Berufung einlegen kann, die Sache anzeigen kann, oder wenn es nötig wird, ihren ablehnenden Beschluss in englischen Zeitungen veröffentlichen kann, als ein Beweis dafür, dass die freie Religionsausübung nicht gewährt wird, obwohl die Religionsfreiheit durch Gesetze gesichert ist.“635 Eine solche Erklärung wird man ihm nicht haben geben wollen und möglicherweise auch deshalb das Verfahren eingestellt. Bernáts Kenntnis spricht dafür, dass sich die Zeugen mittlerweile über ihre Rechte informiert hatten. Das bestätigt auch der Fund der Broschüre „A ma­g yar vallás és szabadság“ (Die ungarische Religion und Freiheit) durch Gendarmen bei einem Zeugen Jehovas, die man beschlagnahmte, wie aus einem Verfahren gegen weitere Mitglieder der Gemeinschaft aus Ricse hervorgeht.636 Das Beispiel zeigt aber auch, wie Glaubensangehörige nach Mittel und Wegen suchten, ihren Glauben auszuüben, ohne mit den Behörden in Konflikt zu geraden. Interessant auch der Gedanke, die Beeinträchtigung der Religionsfreiheit im Ausland publik zu machen, möglicherweise in der Hoffnung, von dort würde auf Ungarn Druck ausgeübt oder Ungarn wären solche Schlagzeilen politisch unangenehm. Bei einer weiteren weltweiten Aktion vom 24. März bis zum 1. April 1934 wurden erneut Druckschriften verbreitet. Es ist anzunehmen, dass die Anhänger aufgrund der Meldungen über Verfolgungen angespornt wurden, das öffentliche Predigen nicht aufzugeben, sich „weder vor Menschen noch dem Teufel“ zu fürchten.637 Die Verfahren wegen Übertretung des Pressegesetzes rissen nicht ab, wobei sie zumeist eingestellt wurden wegen Mangels an Beweisen dafür, dass die Druckerzeugnisse, die man fand, von den Angeschuldigten verbreitet wurden. Die 633  Ebenda,

DOK-301. DOK-300. Interessanterweise waren, wie aus dem Schriftverkehr der Behörden hervorgeht, dem Amt 29 Bücher von den 96 abhandengekommen und konnten offensichtlich nicht wieder aufgefunden werden. 635  MOL, K149 – 651f.9 1934, Bl. 40. 636  MJTA, DOK-314. Die angeführte Broschüre konnte bisher nicht zugeordnet werden. Möglicherweise ist die Titelangabe durch die Gendarmerie so nicht korrekt oder war eine regionale Sonderausgabe. 637  Ebenda, DOK-318, Schreiben aus Brooklyn vom 7.2.1934. 634  Ebenda,

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Druckschriften wurden jeweils vernichtet.638 In einem Fall geht aus den Unterlagen des Verfahrens, aus der Anklageschrift vom 20. April 1936, hervor, dass Glaubensangehörige verbotene Presseerzeugnisse an andere zum Lesen ausliehen. Dazu gehörte die Publikation „Igazságos Uralkodó“ (Gerechter Herrscher), die mit der VO 113.251/1932 zur Beschlagnahme antinationalistischer und ausländischer Presseerzeugnisse verboten worden war. Wie die teilweise handschriftlichen Unterlagen des Verfahrens zeigen, sah man darin einen Verstoß gegen das Pressegesetz „GA XIV von 1924 § 24 Abs. 3“ und „§ 10 Absatz 3“. Obwohl die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift konsequent auf GA XIV/1924 hinwies, meinte man ganz offensichtlich GA XIV/1914 zur Pressefreiheit, da es in GA XIV/1924 um die Ehrung der verstorbenen Helden des Ersten Weltkriegs ging. Nach GA XIV/1914 § 24 Absatz 3 hingegen machte man sich strafbar, wenn man nicht genehmigte, vorab beschlagnahmte oder verbotene Druckschriften verbreitete, und in § 10 Absatz 3 ging es um eine mögliches Verbot, im Ausland hergestellter Publikationen. Das Ausleihen zum Zweck des Lesens erfülle den Tatbestand der Verbreitung, da der Grund des Verbots gerade darin liege, dass der Inhalt dieser Presseerzeugnisse den Gemeindemitgliedern nicht bekannt werden sollte. Man glaubte, die Betreffenden wollten so auch bewusst das Verbot umgehen. Offensichtlich hatte man sich auch in diesen Fällen mit den obersten Behörden verständigt, da die Staatsanwaltschaft auf ein Schreiben des Innenministers vom 8. April 1936 zum Verbot des Vertriebs hinwies – vielleicht ein Zeichen der verbesserten Kommunikation, allerdings auch ein Zeichen der oberflächlichen Bearbeitung, wenn man die Gesetzesartikel im gesamten Beschluss verwechselte.639 In einem anderen Verfahren hatte sich die Staatsanwaltschaft Sátoraljaújhely zunächst ebenfalls an das Innenministerium gewandt und die Publikationen übersandt, worauf sie von der Abteilung VII am 6. April informiert worden waren, dass „alle Veröffentlichungen des ausländischen Verlages Watch Tower Bible and Society [sic!] mit der VO 113.251/1932 I.M. der Abt. VIII im Land verboten“ worden seien.640 Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft mit Beschluss vom 21. April 1936 das Verfahren ein, da der Angeschuldigte nichts vom Verbot gewusst habe.641

638  Wie zum Beispiel mehrere Ermittlungsverfahren der Miskolcer Gendarmerie von Februar 1935, die allesamt eingestellt wurden: Ebenda, DOK-315 (Einstellung mit Beschluss vom 22.3.35). Ebenda, DOK-316, DOK-317 (Einstellung mit Beschluss vom 2.4.1935). In einem anderen Fall der Ermittlung durch die Miskolcer Gendarmerie liegt eine Anklageschrift vom 23.3.1936 vor. Ebenda, DOK-330. Dem Angeschuldigten wurde vorgeworfen, gegen GA XIV/1914 § 25 3 verstoßen zu haben. Da er u. a. die verbotene Schrift „Harfe Gottes“ anderen zum Lesen gegeben habe. Ebenda, DOK-333, DOK-332, DOK-326: Ermittlungen vom 14.4.1936, bei der im Zusammenhang mit der Aufhebung einer unangemeldeter Zusammenkunft von Zeugen Jehovas in Olaszliszka Presseerzeugnisse beschlagnahmt wurden. 639  Ebenda, DOK-327. Unterlagen der Staatsanwaltschaft Sátoraljaújhely, Az. 150.618/1936. 640  Ebenda, DOK-324 (Balázs Balobás u. a.). 641  Ebenda, DOK-325. Das Gericht von Sátoraljaújhely sprach einen 42-jährigen Winzer in seinem Urteil vom 29.5.1936, angeklagt wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz frei.

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Wie die Beispiele zeigen, gingen die Behörden weiter gegen die Verbreitung religiöser Presseartikel vor und versuchten ihrer Herr zu werden. Die Anweisung zum Vernichten beschlagnahmter Publikationen findet sich immer wieder in den Unterlagen. In Anbetracht des Engagements der Glaubensangehörigen beim Missionieren, ist fraglich, ob mit der VO 113.251/1932 zur Beschlagnahme „antinationaler und ausländischer Presseerzeugnisse im ganzen Lande“ der gewünschte Erfolg erzielt wurde. Offensichtlich wirkten sie wenig abschreckend. Als Lokalstudie ist interessant, dass es vor allem im Nordosten Ungarns zu den Vorfällen kam. Offensichtlich waren Gemeinschaften in diesen Gebieten besonders aktiv bzw. hatten viele Anhänger oder man war vermehrt hier aktiv, da man ihnen hier weniger Probleme machte als andernorts. 4.  Turaner Monotheisten (Turáni Egyistenhivők) Die Turaner Glaubensgemeinschaft unterscheidet sich ganz wesentlich von den anderen gesetzlich anerkannten und nicht anerkannten Religionsorganisationen. Sie basiert nicht auf einem biblischen Hintergrund und hat somit auch keine Beziehung zum Christentum. Die Bezeichnung Turan steht für ein zentralasiatisches Gebiet, was auch als Heimat der Turkvölker angesehen wird.642 Zu den turanischen Völkern zählen auch die Hunnen und die Magyaren. 1910 wurde in Ungarn die Turaner Gesellschaft (Turáni Társaság) gegründet, die unter anderem zur Herkunft der Ungarn, zu ihrer Sprache, den Nachbarvölkern, zur Völkerwanderung forschte und veröffentlichte, aber auch zur Vereinigung der turanischen Völker, und der namhafte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Politik angehörten.643 Die Gesellschaft radikalisierte sich jedoch. Mit der Zeit vertrat man sogar den Standpunkt, selbst die westliche Kultur sei altungarisch-turaner Abstammung.644 Der Jurist Zoltán Bencsi rief die Glaubensgemeinschaft der Turaner MonotheEbenda, DOK-331. Ebenso erfolgte ein Freispruch im Fall von drei Angeklagten. Ebenda, DOK-329. 642  Turkestan. Die Gegend wird auch als Urheimat der Türken bezeichnet. Der Begriff selbst stammt aus der iranischen Mythologie, das Land der Mächtigen. Vgl. Kiszely, István: A magyar ember. A Kárpát-medence embertörténete. [Der Ungar. Geschichte der Menschen im Karpatenbecken.] Budapest 2004. 643  Zu den Mitgliedern der Gemeinschaft zählten zum Beispiel Graf Béla Széchenyi und Graf Pál Teleki. Der Turanismus erfreute sich in Ungarn großer Popularität, auch aufgrund der Einzigartigkeit des Volkes und seiner Sprache. Nicht selten stand Turan für eine anti­ habsburgische Einstellung. Bezeichnender Weise bereiste Horthy 1922 mit einem Sonderzug namens „Turan“ Westungarn, um die Legitimisten, also die Habsburg-Treuen, zu gewinnen. Vgl. Csillag-Szabó, Katalin: Japán és Magyarországi kulturális kapcsolatai. Eltérő módszerek alkalmozása eltérők kultúrákban [Kulturelle Beziehungen zwischen Japan und Ungarn. Unterschiedliche Methoden in unterschiedlichen Kulturen]. Budapest 2009, S. 11. http://elib.kkf.hu/edip/D_14242.pdf (Zugriff am 11.1.2012). 644  Kovács, Ákos: Árpád-ünnep, Szent Istvánkor [Árpád-Fest an Heiligen Stephan]. In: A Mozgó Világ internetes változata [Die bewegte Welt und ihre Veränderung durch das Internet]. Juni 2004. Jg. 30, Nr. 6, S. 3 – 48.

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isten ins Leben, die sich mit mehr als 10 000 Anhängern 1930 von der Turaner Gesellschaft abspaltete.645 Bencsi, der sich selbst als Schamane sah, ging es um Besinnung auf die Wurzeln des Ungarntums der Urväter zur Stärkung des Wertes der ungarischen Rasse. Er vertrat die Meinung, die turanische Rasse sei Gottes auserwähltes Volk.646 1934 baute die Gemeinschaft auf einem Privatgrundstück in Budapest647 einen Turm zum Gedenken an die turaner Rasse, der im Juli 1935 eingeweiht wurde. Bei dieser Veranstaltung griffen Gendarmen ein und schlugen die Teilnehmer mit der flachen Klinge des Säbels.648 Schon Ende 1934 hatte sich die Gemeinschaft, genauer der Rechtsanwalt Zoltán Bencsi und der Schneidermeister József Nedeczky, beim Kultusminister unter Vorlage des Gründungsprotokolls, Katechismus und Statuts um gesetzliche Anerkennung der „Freidenkerischen Unitarier Turaner Monotheisten Kirche“ bemüht. Im Gründungsprotokoll, in dem fünf teilnehmende Personen namentlich genannt wurden, erklärte man, die Kirche zu gründen, „nicht als eine kontra unitarische Kirche, sondern als ein Monotheismus der Ahnen“ deren Namen an einem „historischen Dokument“ festgemacht würde. Offensichtlich schaltete der Kultusminister den Innenminister ein, der sich seinerseits in der Sache an den Justizminister wandte, wie ein internes Schreiben des Justizministeriums vom 5. Januar 1935 belegt, woraufhin sich das Justizministerium mit den eingereichten Unterlagen auseinandersetzte.649 Verschiedentlich hätten die Ansichten der Turaner wie der Nationalismus, die Verbundenheit zur Heimat, aber auch die Überlegenheit von Kultur und Rasse prinzipiell in das antitrianonische Konzept gepasst – allerdings nicht in das christlich-ungarische, also in die römisch-katholische Tradition, und damit verbunden auch nicht zur westlichen Orientierung. Das Konzept der Turaner verfolgte vielmehr östliche Überlieferungen verbunden mit anti-jüdischer Haltung. Wenngleich die Politik eine Stärkung des Ungarntums verfolgte, wäre eine Verknüpfung mit den Turanern zu Lasten des politisch wichtigen Bündnispartners historische Kirchen gegangen. Außerdem hätten diese Wurzeln territorial gesehen zu dieser Zeit zumindest teilweise in der Sowjetunion gelegen (die Hunnen hatten ihren Ursprung bekanntlich im Wolga-Ural-Gebiet) – was ebenfalls kaum ins politische Konzept gepasst hätte, ebenso wenig wie das Ziel der Errichtung eines turanischen 645  Bei dieser Gemeinschaft handelte es sich nicht um die ebenfalls als Turanisten bezeichneten revisionistischen Politiker, die die Größe des altungarischen Reiches wieder herstellen wollten. Vgl. Schulz, Matthias: Europa-Netzwerke und Europagedanke in der Zwischenkriegszeit. In: Europäische Geschichte Online v. 3.12.2010, S. 7. http://ieg-ego. eu/en/threads/european-networks/political-networks/europa-netzwerke-und-europagedanke-in-der-zwischenkriegszeit (Zugriff am 17.8.2012). 646  Bencsi, Zoltán (Hrsg.): A turáni egyistenhivők egyszerű istentiszteletének szertartása [Die einfache Zeremonie des Gottesdienstes der Turaner Monotheistengläubigen]. Budapest 1936, S. 3. Angeblich, so der Herausgeber und Autor, ginge das Gedankengut auf Batu Khan, Sohn Dschingis Khans, zurück. Eben jenen Batu Khan, der die ungarischen Heere unter Béla IV. am 11. April 1241 in der Nähe von Miskolc schlugen. 647  In Obuda auf dem Aranyhegy. 648  www.muemlekem.hu/muemlek?id=12076 (Zugriff am 10.6.2013). 649  MOL, K579 – 1934Bl265 – 278.

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Reiches, eines Verbundes turanischer Völker und Staaten, die östlich und nicht westlich orientiert waren. Dem Religionsphilosophen Robert Horváth zufolge soll die Gemeinschaft (mit möglicherweise bereits ca. 20 000 Anhängern) bereits 1935 verboten worden sein mit der Begründung, durch ihre Äußerungen und Lehren andere Religionsgemeinschaften zu verletzen und ihnen zu schaden.650 Das wäre das zweite Verbot einer religiösen Gemeinschaft in Ungarn. Und auch dieses Mal wäre wieder eine Bewegung betroffen, die wie die Ibrányer in Ungarn selbst ihren Ursprung hatte und von der Gefahr für die historischen Kirchen ausging. Allerdings kann die Richtigkeit dieser Aussage bezüglich eines Verbotes der Gemeinschaft nicht bestätigt werden. Die Begründung klingt zwar plausibel und passt thematisch in das Gesamtbild. Dennoch konnte in den bisher eingesehenen Archiv-Akten der Erlass einer entsprechenden Verordnung nicht gefunden werden. Im Gegenteil, in den Unterlagen des Innenministers vom Folgejahr wird von der Turaner Gemeinschaft nicht als von einer verbotenen Organisation gesprochen und kein Hinweis auf ein Verbot gegeben. Erst 1937 gibt es Hinweise auf ein mögliches Verbot. Eventuell bezog sich das Verbot lediglich auf verschiedene Veröffentlichungen der Turaner, wahrscheinlich aber ihrer Zusammenkünfte oder um ein lokales Verbot ihrer Tätigkeit. Andererseits gibt es Hinweise auf ein späteres Verbot, das nicht veröffentlicht wurde, was aber nicht die Einstellung der Tätigkeit bewirkte, die sich während der Kriegszeit weiter verstärkte.651 In jedem Fall hat die Aktivität der Bewegung und wahrscheinlich auch die Menge der Anhänger die Behörden auf den Plan gerufen, wie sich an den nachfolgenden Maßnahmen zeigt.

II.  Geheime Verordnung 8.300/1936 zur Einhaltung von Verordnungen Mitte der 1930er-Jahre war es den Behörden gelungen, die ohnehin nicht mehr starken, kommunistischen Bewegungen einzudämmen. Was jedoch die kleinen Religionsgemeinschaften anbelangt, die immer wieder in Nähe kommunistischer Ideen gerückt wurden, war man trotz der verschiedenen Verordnungen vor allem in den 1920er-Jahren und des eingeführten Berichtswesens in Sachen Sektenbewegungen noch nicht wirklich erfolgreich gewesen. Noch immer war es nicht gelungen, das Vorgehen der unteren Behörden landesweit zu koordinieren und zu harmonisieren. Noch immer wurde die Tätigkeit der Gemeinschaften lokal unterschiedlich beurteilt und gehandhabt, noch immer scheinbar zu wenig dagegen unternommen. Mancherorts konnten sich Gemeinschaften verhältnismäßig problemlos versammeln, ihren Glauben verbreiten und Druckschriften verteilen, Verfahren wurden nicht eingeleitet oder mangels Beweisen eingestellt. Andernorts ging man hart gegen die Tätigkeit vor, begründete das dann allerdings in Gerichtsverfahren häufig 650  Horváth, Róbert: „A nacionalizmus szellemi korrekciója“ [Korrektur des nationalistischen Geistes]. http://www.tradicio.org/magyar/nackorre.htm (Zugriff am 28.9.2012). 651 Vgl. Fazekas, Kisegyházak, S. 171. Er verweist in diesem Zusammenhang auf Anordnungen des Oberstuhlrichters von Ózd von 1940.

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unrechtmäßig mit den Glaubenslehren, die offiziell – und nach GA XLIII/1895 – keinen Einschränkungsgrund darstellen durften. Man hätte sich daher vielmehr auf die öffentliche Ordnung oder die gute Sitte berufen sollen, um dem Verfahren Legalität zu verleihen. Allerdings zeigen diese Art Begründungen die wahre Motivation hinter den Maßnahmen. Problematisch war auch der Verweis der Richter auf die geheimen Verordnungen der Ministerien, die den Glaubensangehörigen ja gar nicht bekannt waren, ihnen also Verstöße dagegen gemäß dem Grundsatz „nulla poena sine lege“ gar nicht hätten zur Last gelegt werden können. So ergangene Beschlüsse oder Urteile mussten in der Berufung oder Revision regelmäßig aufgehoben werden. Frustrierend für die Behörden war sicher auch der Fakt, dass sich die Gemeinschaften sogar dort, wo hart gegen sie vorgegangen wurde, nicht wirklich einschüchtern ließen, sondern weitermachten, sich heimlich versammelten, heimlich missionierten und Schriften verbreiteten. Auch im Fall des Verbots von Druckschriften, brachte man nach dem Verbot einer Publikation, andere ins Land – ein nicht zu enden scheinender Prozess, der schon fast einem Hase-und-Igel-Spiel glich. Offensichtlich hatte auch die Arbeit des Zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie und der Politischen Ordnungsabteilung der Ungarisch Königlichen Staatspolizei hier bisher nicht wie im Fall der kommunistischen Bewegungen die gewünschten Erfolge gezeitigt, weshalb man sich möglicherweise nunmehr, als Nächstes, vermehrt um die Erledigung des „Sektenproblems“ kümmerte. Die Verfügung des Innenministers fällt aber auch in die Zeit, da Ministerpräsident Gömbös die Beziehungen zu Hitler intensivierte. 1935/1936 war man in Deutschland, wie schon erwähnt, mit Großaktionen gegen die Bibelforscher vorgegangen, hatte sie in Massenprozessen verurteilen und in Haftanstalten und Konzentrationslagern wegsperren lassen. Auch hier wurde nicht selten der Kommunismusvorwurf laut. Diese Umstände dürften eine wesentliche Rolle dabei gespielt haben, dass der nunmehrige Innenminister Miklós Kozma (1884 – 1941), einer der engsten Vertrauten Horthys, sich am 4. Juli 1936 veranlasst fühlte, erneut mit einer streng vertraulichen Verordnung, der VO 8.300/1936, an die Polizeiorgane, die obersten Beamten der Munizipien und nunmehr auch an die zentrale Ermittlungskommandantur der Gendarmerie zu appellieren. Mit den einleitenden Worten zur „Information über die sektiererischen Bewegungen“, die seiner VO beigefügt waren, schlug er die Brücke zu den kommunistischen Bewegungen, zu der von den deutschen Nationalsozialisten verfolgten Hauptzielgruppe Bibelforscher und zu der vom Innenminister Rakovszky 1924 erlassenen VO 14.700: „Nach dem Sturz des Kommunismus [Räterepublik 1919] waren lebhafte und intensive sektiererische Bewegungen überall im Lande zu beobachten. Für die Verbreitung der Sekten haben der Krieg und die darauf folgenden revolutionären Bewegungen günstige Voraussetzungen geschaffen, die das Gleichgewicht der Seelen gestört haben. Begünstigend wirkte aber auch, dass diese Sekten mit ausländischem Geld und mit einer großen Menge im Ausland hergestellter ungarischsprachiger Propaganda-Presseprodukte gearbeitet haben. An einigen Sekten gab es auch aus der Sicht des Staatsschutzes manches auszusetzen. So z. B. ein Zweig der Adventisten, die sogenannten Bibelforscher oder Bibelstudenten, die in ihren massenhaft verbreiteten und in New York, später

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im rumänisch besetzten Klausenburg, hergestellten ungarischsprachigen Propagandaschriften direkt kommunistisch angehauchte Lehren verkündet haben, die den Papst, die Kirchenobersten [und] Staatsoberhäupter angreifen. Mit Blick auf diese Umstände wurde der vertrauliche Runderlass Nr. 14.700/1924 I. M. erlassen.“ Abgesehen davon, dass der Schreiber die Unterstützung aus dem Ausland, namentlich Amerika, betonte, hob auch er erneut auf den Kommunismus-Vorwurf ab, und das nicht nur aus der Situation in Verbindung mit der Räterepublik 1919, sondern auch in Bezug auf Glaubensgemeinschaften, insbesondere die Bibelforscher mit ihren Lehren. Diese zielten auf Staatsoberhäupter und Kirchenobersten ab, womit wieder die politische Bedeutung der historischen Kirchen betont wurde. Ob die Behördenvertreter, der Innenminister eingeschlossen, das tatsächlich glaubten oder es sich hier um eine bewusste politische, ja kirchenpolitische Strategie handelte, muss offen bleiben, ist aber sehr wahrscheinlich. In jedem Fall lassen die Worte des Innenministers noch immer auf eine eklatante Unkenntnis der Lehren und Organisation der Gemeinschaften schließen. Das wird schon daran deutlich, dass in der VO die „Bibelforscher“, nunmehr Jehovas Zeugen, als ein Zweig der Adventisten angesehen wurde, womit er auch die adventistische Gemeinschaft in den Blickpunkt rückte. War Kozmas Aussage bezüglich Rundverordnung 14.700/1924 zutreffend, dann wurde sie ebenfalls wegen des antizipierten kommunistischen Hintergrunds und auch vor allem wegen der Bibelforscher-Tätigkeit erlassen, was einen direkten Zusammenhang mit GA III/1921 herstellen würde, der jedoch in der VO 14.700/1924 keine Erwähnung findet. Tatsächlich hatte auch Rakovszky selbst seine VO nicht in einen solchen direkten Zusammenhang gestellt. Er hatte sie vielmehr mit der Zunahme der „Sektenbewegungen“ begründet, mit der Gefahr für die staatliche Ordnung, die Landesverteidigung und die historischen Kirchen sowie mit der Orientierungslosigkeit der unteren Behörden. Es könnte daher auch sein, dass Kozma in Verbindung mit dem erfolgreichen Vorgehen gegen die kommunistischen Bewegungen und auf seiner Suche nach einer passenden Begründung für den Kampf gegen die kleinen Religionsgemeinschaften, sie zumindest teilweise in einen solchen Kontext setzte. Handelte es sich bei den Gemeinschaften nicht um religiöse, sondern um politische Bewegungen, konnte man gegen diese vorgehen, ohne Gefahr zu laufen, dabei die Verfassungsgesetze zur Religionsfreiheit zu verletzen. Kozma verfügte unter Bezug auf die acht Jahre früher von seinem Vorgänger Scitovszky erlassene VO 6.200/1928 zur Kontrolle der Sektenbewegung, die Tätigkeit der Gemeinschaften „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ zu unterbinden und erhob das sogar zum wichtigen Staatsinteresse. Energischer als alle seine Vorgänger forderte er die Verantwortlichen von Polizei, Gendarmerie und Verwaltung auf, „Ihre untergeordneten Funktionäre zur strengen Einhaltung der in der Verordnung Stehenden nachdrücklich zu ermahnen [Unterstreichung im Original]“. Grund für diese eindringliche Forderung ist wohl in der Feststellung zu finden: „Die eingegangenen Berichte zeigten, dass die in der Sache der Kontrolle der sektiererischen Bewegungen erlassenen Verordnungen 14.700/1924 und die diese ergänzende 3.100/1926 nicht das Ergebnis gebracht haben, das man von ihnen er-

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wartet hatte.“ Schließlich hatte man deswegen die Verordnung 6.200/1928 erlassen, mit der man offensichtlich ebenfalls nicht den gewünschten Erfolg erzielte. Dass der Minister seine neuerliche Verordnung nicht auf die VO 14.700/1924, sondern auf die VO 6.200/1928 gründete, liegt wohl daran, dass der Minister erklärte, mit letzterer wären „die Kontrolle der Sekten erneut geregelt, und die Richtlinien und Rechtsvorschriften zusammengefasst“ worden. Tatsächlich gab es einige wenige Abweichungen. So die Anweisung, gerichtliche Entscheidungen nur mit allgemeinen Regelungen des Versammlungsrechts oder mit Erwägungen die öffentliche Sicherheit betreffend zu begründen. Aber auch die Verpflichtung der Munizipialbehörden vor einer Genehmigung von Druckschriften mit dem Innenministerium Rücksprache zu halten, außer für den Fall eines Verbots. Wie aus seiner weiteren Begründung deutlich wurde, konnte er nicht mit neuen Vorwürfen aufwarten, vielmehr griff er auf die Argumentation der 1920er-Jahre zurück, was auch die Kommunismus-Verbindung erklären könnte und dann für einen bewusst konstruierten Vorwurf sprechen würde, zumal das eine Parallelität zu den Anschuldigungen der deutschen Nationalsozialisten hatte. Kozma erklärte dazu, dass die „Sektenbewegungen“ den „eingehenden Berichten zufolge“ die „religiösen Grenzen überschreiten“ und in ihren Zusammenkünften und Presseerzeugnissen „die Abschaffung des Privateigentums propagieren“, was in diese Linie passte. Darüber hinaus würden sie die Existenzberechtigung der historischen Kirchen und ihre Lehren anzweifeln, wodurch sie „die öffentliche Ordnung und den konfessionellen Frieden“ störten. Kein Wunder, dass die unteren juristischen Behörden in ihren Urteilsbegründungen gern auf die Lehren abhoben, wenn sogar der Minister selbst sich in der Begründung der Einschränkung der Religionsfreiheit darauf berief. Da so begründete Urteile aber jeweils aufgehoben werden mussten, kann es unmöglich richtig sein, dass der Minister damit in seiner Verordnung ein Eingreifen begründete. Das würde bedeuten, dass seine Verordnung zumindest in diesem Punkt unrechtmäßig war. Dennoch sind auch unrechtmäßige Verordnungen so lange verbindlich, bis sie aufgehoben werden. Kozma äußerte auch erneut den Verdacht, ausländische Organisationen würden die „Sektenbewegungen gezielt anstiften und finanziell unterstützen, um so die angestrebte Einheit im Ungarntum zunächst auf religiöser Ebene aufzubrechen“. Diese Annahme sah man bestätigt, „da die das Privateigentum verwerfenden Sektenbewegungen vor allem in Grenzgebieten auf fruchtbaren Boden fallen“ würden. Tatsächlich hatten die Gemeinschaften offenbar im Nordosten und Osten Ungarns den größten Zulauf. Auch die Gemeinde Ibrány befindet sich unweit der Grenze zur Ukraine. Allerdings hatte gerade die Ibrányer Glaubensgemeinschaft keine Kontakte zu ausländischen Organisationen, beschränkte sich doch schon ihr nationaler Wirkungskreis nur auf das Umland der Gemeinde selbst. Und die anderen Gemeinschaften waren mehr am Westen als am Osten angebunden.

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Einen Ansatzpunkt zum Eingreifen durch die Behörden sah Kozma einmal mehr in Verbindung mit den Zusammenkünften.652 Den Zusammenkünften sollte die Genehmigung unter Verweis auf „festgestellte Tatsachen oder mit den örtlichen Verhältnissen der öffentlichen Sicherheit“ verweigert werden, was den Behörden ein breites Gestaltungsfeld bot. Im Fall des Nichteinhaltens war „allerstrengstens“ gegen die Mitglieder vorzugehen,653 und bei religiöser Hetze, umstürzlerischer Handlungen gegen den Staat oder die gesellschaftliche Ordnung usw. im Zusammenhang mit genehmigten Zusammenkünften waren „sofort strafrechtliche Schritte einzuleiten“. Bei Anwesenheit von nicht ortsansässigen Personen sollte gegen sie ein Platzverbot ausgesprochen werden.654 Jede Zusammenkunft sollte von den Verwaltungs- und Polizeibehörden wachsam beobachtet werden – was nur durch Anwesenheit mindestens eines Beamten möglich war. Das bedeutete in der Konsequenz, Gottesdienste konnten nur überwacht durch Polizeibeamte stattfinden. Stand kein Beamter zur Verfügung, konnte die Zusammenkunft nicht stattfinden. Einen weiteren Ansatzpunkt lieferten erneut die Druckschriften. Hier stellte er wieder einen Bezug zum Kommunismus her: Die Presseerzeugnisse – gemeint waren wohl wieder vor allem die von den Zeugen Jehovas – würden „teilweise religiös gefärbtes kommunistisches Gedankengut propagieren“, sie würden „zumeist in ausländischen Druckereien hergestellt“ und wären „größtenteils auf dem Gebiet Ungarns verboten“. Dann ging es dem Innenminister um eine neue Zielgruppe, was wohl auch einer der Gründe für den Erlass der neuen Verordnung war und weshalb es nicht ausreichte, auf die bereits vergangenen Verordnungen zu verweisen: die Turaner Monotheisten. Sie waren die einzige Gruppierung, die er in der VO direkt namentlich benannte – auf alle anderen verwies er in der Anlage zur VO „Information über die sektiererischen Bewegungen“ –, und auf die er Polizeipräsidenten, Vizegespanen und Kommandanten hier „besonders aufmerksam“ machte. Möglicherweise hatte der Antrag der Gemeinschaft zur gesetzlichen Anerkennung diese VO mitausgelöst. Der Innenminister verwies dabei erneut auf die nicht vorhandene Rechtssubjektivität und kam zu einem neuen, ungewöhnlichen Schluss: Seiner Meinung nach konnten zwar „die Mitglieder einer gesetzlich nicht anerkannten religiösen Gemeinschaft aufgrund § 1 GA XLIII/1895 vom dem, dem Einzelnen gebührenden Recht auf freie Religionsausübung Gebrauch machen“, nicht aber als Glaubensgemeinschaft, da sie keine „von der Staatsmacht anerkannte Organisation des öffentlichen Rechts“ war und daher „zum Erreichen der gemeinsamen religiösen Ziele“ keine Rechtsperson des öffentlichen Rechts oder Privatrechts sei, die 652  Kozma hatte wesentlichen Anteil an der Arbeit des Magyar Távirati Iroda (Ungarische Telegramm Büro), der staatlichen Nachrichtenagentur, die die Presse mit neusten Nachrichten versorgt. Buzinkay, Géza: Kis magyar sajtótörténet [Kleine ungarische Pressegeschichte]. http://vmek.oszk.hu/03100/03157/03157.htm#30 (Zugriff am 24.4.2013). 653  Verweis auf VO 4.352/1920 IM, wie 3000/1922 IM und 3320/1929 IM. 654  Verweis auf Schubvorschrift (Toloncszabályzat) und der VO 5112/1914 M.S.

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über dem Einzelnen stehe. Das würde bedeuten, dass nur der Einzelne für sich eine Zusammenkunft abhalten, missionieren oder andere Glaubens-Tätigkeiten verrichten dürfte, nicht aber als Gemeinschaft. Das wiederum würde verhindern, dass sich eine Gemeinschaft bildet, die einen Antrag auf Anerkennung stellen konnte, was gemäß § 7 XLIII/1895 (eine Kirchengemeinde aufzubauen) Vorbedingung war. Kozma beanstandete, dass die Anhänger der Turaner Monotheisten sich gemäß ihrer kirchlichen Verfassung im Grunde genommen auf die Art der organisierten religiösen Gemeinschaften einrichteten, ein zur Vertretung und Legitimierung der Glaubensgemeinschaft befugtes Presbyterium wählten, Missionsklassen organisierten und damit bei den Behörden „den Anschein einer rechtlich organisierten Personengesamtheit, einer Rechtsperson“ weckten. Zu beanstanden sei aber vor allem, dass es sich bei den in den Zusammenkünften geäußerten Lehren „teilweise um nichtreligiöse, sondern politische und gesellschaftliche Lehren“ handele. „Es wird deutlich, dass die Sekte keine rein religiösen Ziele verfolgt, sondern über das Glaubensleben hinaus tätig ist und insofern über die gesetzlich zugelassene Religionsfreiheit hinausgeht“, so der Innenminister, was eigentlich zumindest teilweise auf der politischen Linie hätte liegen müssen, da sie das alte Ungarntum propagierten. Gleich in Anschlusssätzen wird jedoch ein Problem des Innenministers deutlich, wenn er darauf verwies, dass die Turaner Monotheisten den Hauptverbündeten der Politik, den historischen Kirchen schadeten: „Die Religionsfreiheit kann nicht so weit gehen, dass Lehren verbreitet werden, die die Glaubensauffassung der in Ungarn rezipierten oder gesetzlich anerkannten Kirchen und das religiöse Empfinden ihrer Gläubigen verletzen. Die Sekte der ‚Turaner Monotheisten‘ verbreitet schriftlich und mündlich eine solche Auffassung, die andere, insbesondere die katholische und die unitarische Religion, verletzt.“ Sie würden „von den hohen Geistlichen der katholischen Kirche lästerlich reden“655 und „das christliche Gefühl schwer verletzen“ – und das nicht nur in den „von den Behörden nicht zugelassenen Zusammenkünften“, sondern auch durch ihre Druckschriften wie ihr Blatt „Turáni Roham“ (Turaner Sturm), das in Budapest gedruckt würde, und verschiedene populärwissenschaftliche Bücher und Broschüren. Der Innenminister fordert in der VO daraufhin, „die Tätigkeit mit allen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln“ zu unterbinden. Diese Forderung lässt darauf schließen, dass die Turaner Glaubensgemeinschaft bis zu diesem Zeitpunkt nicht verboten war.656 Wie schon erwähnt, wurde der VO erneut ein Informationsblatt mit einer Aufstellung der in Ungarn tätigen Gemeinschaften beigefügt, in dem einzelne Lehren der Gemeinschaften benannt und die von behördlicher Sicht neuralgischen Punkte der Gemeinschaft aufzeigt wurden, wobei auf die Turaner Gemeinschaft nicht mehr eingegangen wurde. Über die Adventisten hieß es in dem Informationsblatt: 655  Sie bezeichneten katholische Priester als solche, „die fast immer treue Mitläufer der Habsburger waren, die immer blutgierig waren und die das ungarische Blut brauchten, wie die Blume die Luft“. 656  MOL, K149 – 1936 – 7 – 5788, Bl.  87 – 89, 90 – 94. Ebenda, K149 – 1937 – 7 – 5788, Bl.  4 – 16.

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„Sie erkennen den Papst nicht an. Die Sabbatarier zelebrieren zudem den Samstag anstelle des Sonntags.“ Dem Schreiber schien nicht klar zu sein, dass diese Aussage, für alle Adventisten galt, nicht nur für die sogenannten Sabbatarien. Zu den Bibelforschern/Zeugen Jehovas gab es keine Äußerung zur Lehre, was darauf schließen lässt, dass es den Behörden an umfassender Kenntnis mangelte. Man erklärte vielmehr allgemein, dass sich „ein großer Teil der Lehren und Druckschriften der Sekte nicht nur gegen die historischen Kirchen richten würde, sondern auch aus strafrechtlichen und staatspolizeilichen Gesichtspunkten stark zu beanstanden sei, weshalb darauf besondere Aufmerksamkeit gerichtet werden“ müsse. Man fügte noch hinzu, ihre Lehren seien „antimilitaristisch und von antinationaler Gesinnung. Sie greifen die Landesgrenzen an, sind gegen den Nationalismus und die Staatsoberhäupter. Im Allgemeinen sind ihre Glaubenssätze mit der marxistischen Ideologie identisch. Den Rechtsgrund für die gesellschaftliche Einrichtung auf kollektiver Grundlage nehmen sie aus der Bibel.“ Sie seien aus Sicht des Staatsschutzes zu beanstanden, da sie in „ihren massenhaft verbreiteten […] ungarischsprachigen Propagandaschriften direkt kommunistisch angehauchte Lehren verkünden“ und Papst, Kirchengrößen und Staatsoberhäupter angreifen würden. Die hier betonte besondere Aufmerksamkeit, die Ausrichtung der Behörden auf die Zeugen Jehovas/Bibelforscher, mag erklären, warum in den Akten der Archive in der Folge nunmehr umfangreich Unterlagen zu der Gemeinschaft zu finden waren. Die Gemeinschaft rückte zunehmend in den Hauptfokus der Behörden. In Verbindung mit den Nazarenern wurde vor allem beanstandet, „dass sie keinen Eid leisten und nicht zu Waffen greifen, selbst im Fall eines Krieges nicht“.657 Insgesamt zeugt diese Aufstellung über die Gemeinschaften von mangelnder Kenntnis der Behörden und Verbreitung von Desinformationen an die Behördenvertreter im Land, von denen insofern auch keine korrekte Einschätzung der Gemeinschaften erwartet werden konnte. Aufgrund der Gelegenheiten, die sich den Ministerien durch die Kommunikation mit den Gemeinschaften boten, unter anderem auch in den Fällen, da sie sich um Anerkennung bemühten und ihre Statuten vorgelegt hatten, könnte man meinen, dass es sich hier um bewusste Fehlinformation der unteren Behörden handelte oder um ein überaus fahrlässiges Vorgehen, das nicht zur Arbeitsweise eines informierten Ministeriums passt. Eine genaue Betrachtung dieses Informationsblattes zeigt auch, dass es den Behörden zu diesem Zeitpunkt noch immer nicht gelang, genau zwischen den einzelnen Gemeinschaften zu differenzieren – so wurden verschiedentlich erneut die Bezeichnungen der Gruppierung und Abspaltungen vermischt. Inhaltlich lag das Hauptaugenmerk des Ministers in der Beilage zur VO wiederum auf den Bibelforschern bzw. Zeugen Jehovas. Er sah dabei durchaus auch den Bündnispartner Kirche in Gefahr, da er immer wieder dessen Schädigung durch die Lehren hervorhob. Möglicherweise war ihm auch bewusst, dass der Einfluss der historischen Kirchen abnahm. Schließlich wurde ihm zugetragen, dass nicht wenige ihre Kirche verließen, wie zum Beispiel aus dem Bericht des Oberstuhlrichters von Pápa hervorgeht, einer 657 

Ebenda, K149 – 1936 – 7 – 5788, Bl.  87 – 89.

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Stadt im Nordwesten Ungarns, wonach zehn Personen aus der katholischen Kirche ausgetreten waren und nicht die Absicht hatten, sich einer gesetzlich anerkannten oder rezipierten Gemeinschaft anzuschließen.658 Die Unkenntnis Kozmas und seiner Mitarbeiter wird erneut daran deutlich, dass man die „Millenisten“ als Dachorganisation nannte, zu der auch „a) Adventisten, Millenisten“, „b) Bibelforscher“, „c) Bibelstudenten“, „d) Bibel- und Traktatgesellschaft“, „e) Jehova Gott Zeugen“, „f) Magdeburger Bibel Traktat Gesellschaft“, „g) Internationale Bibelforscher“, „h) Internationale Bibelstudenten und Studierende“ und „i) Leuchtender Wachtturm“ (was bekanntlich eine ihrer Publikationen in den frühen zwanziger Jahren war) gehören würden. Pikanterweise war der Gärtner von Kozmas ein Zeuge Jehovas, Lajos B., der am 11.5.1940 von der Gendarmerie wegen Wehrdienstverweigerung inhaftiert wurde. Unklar ist, von wann bis wann B. in Kozmas Diensten stand. Wahrscheinlich aber erst später, nachdem er nach Februar 1937 nicht mehr Innenminister bzw. übergangsweise Verteidigungsminister (14.5.1936 – 7.8.36) war. Unklar ist auch, ob Kozma von diesem Umstand Kenntnis hatte, geschweige denn, ob er von B. etwas über seinen Glauben erfahren hat.659 Die Adventisten unterteilte man in „a) Adventistische Missionsgesellschaft“, „b) Siebenten-Tags-Adventisten“, „c) Reformadventisten“ und „d) Sabbatisten“. Mit „Sabbatisten“ wurden oft Reformadventisten bezeichnet, die sich um die Zeit des Ersten Weltkriegs von der STA abgespalten hatten. Als weitere „Sekten“ wurden in dem Anhang zur VO neben den Nazarenern, der Gottesversammlung, der Brüderversammlung und der Ibrányer Gemeinschaft, die hier als „Konfessionslose/ Liebe/Sekte“660 bezeichnet wurde, neue Gemeinschaften wie „Die Versammlung der Neuen Erde“,661 die „Bibelleser und Psalmensänger“,662 die „Christian Science“, die „Reformierte Katholische Kirche“,663 ferner Spiritisten,664 die „Freie Katholi658 

MJTA, DOK-2901. HM, 1940 13 oszt. 3803 cs. 474.270. 660 Durch die Beschreibung kann man sie als Ibrányer Gemeinschaft identifizieren: „Die Mitglieder der Sekte essen aufgrund einer buchstäblichen Erklärung des Textes der Bibel oder dessen Missdeutung ungewürztes Essen, damit ihr Körper nicht in Erregung geriet. Sie rufen keinen Arzt zu ihren Kranken, weil Gott und Jesus Christus ihrer Meinung nach die höchsten Ärzte sind. Beim Treffen begrüßen sie einander mit einem Kuss ungeachtet des Geschlechts und des Alters. Dafür haben sie eine Grundlage in den biblischen Erklärungen gefunden: ‚Grüßt einander mit heiligem Kuss aus Liebe. Sie greifen nicht zu den Waffen. Sie betreiben gemeinsam Landwirtschaft. Ihre Tätigkeit wurde mit der Verordnung 117.943/1932 VIII. I.M. vom 10. Januar 1933 verboten.“ 661  Dazu hieß es: „Diese Sekte erwartet eine neue menschliche Gesellschaft, eine neue Erde.“ 662  Dazu hieß es: „In ihren Versammlungen lesen sie nur die Bibel und mit dem Singen von Psalmen beten sie.“ 663  Dazu hieß es: „Ihre Gläubige erkennen den Papst nicht an. Die Dogmen bezüglich des Abendmahls, der Jungfrau Maria und der Heiligen überlässt sie der Gesinnung von jedem, wie er sie interpretiert.“ 664  Dazu hieß es: „Obwohl sie nicht zu den sektiererischen Bewegungen gehören, gehen ihre Versammlungen in der Regel mit religiösen Akten einher.“ 659 

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sche Kirche“,665 die „Neue Salem Bewegung“666 und die „Hausgemeinschaft des Herrn“667 genannt. Interessant ist auch der Verweis auf die Episkopale Methodistische Kirche als „verbreiteteste halboffizielle Religion“, wobei halboffiziell treffend den Status der Gemeinschaft zwischen gesetzlich anerkannt und nicht anerkannt beschreibt. Mit ihnen würde eine Ausnahme gemacht und „die Richtlinien bezüglich der Sekten“ auf sie nicht angewandt. Auch die Heilsarmee dürfe ohne Aufsehen zu erregen in Budapest und Ballungszentren ihre karitative und soziale Tätigkeit ausführen. In der Anlage zur Verordnung wurde allgemein nochmals auf das Verbot der Teilnahme Minderjähriger an Gottesdiensten der kleinen Religionsgemeinschaften hingewiesen und erneut betont, dass die Gruppierungen sich nicht als Verein organisieren dürften. Hier hatte sich also auch in den dreißiger Jahren keine Änderung der Sichtweise ergeben. In der Verordnung selbst wurde als Grundlage für die Religionsfreiheit nur noch marginal auf GA XLIII/1895, gar nicht mehr aber auf den Artikel 55 GA XXXIII/1921 hingewiesen, an den man sich offensichtlich nicht mehr gebunden fühlte, obwohl sich an dessen Gültigkeit nichts geändert hatte. Möglicherweise ging man mittlerweile mit dieser Vereinbarung vorsichtig auf Distanz, was zu den zielstrebigen Revisionsbemühungen der Gömbös-Politik passt wie auch zu der 1932 illegal eingeführten Wehrpflicht. In der Anlage wurde alibimäßig auf Artikel 55 zusammen mit GA XLIII/1895 hingewiesen, wobei es hieß, dass die darin garantierte Freiheit, obgleich sie durch keine weiteren Gesetze eingeschränkt würde, im Sinne der bestehenden Rechtsordnung, aus Staatsinteresse, sowie dem Interesse der öffentlichen Ordnung und Moral zweifelsfrei an überprüfbare Auflagen gebunden sei, was wiederum den Erlass der Verordnungen rechtfertigte. Wesentlich neu in der VO 8.300/1936 war vor allem die Anweisung in Verbindung mit dem Versammlungsrecht, wonach jede Zusammenkunft von den Verwaltungs- und Polizeibehörden zu überwachen war, wozu entsprechend Beamte abgestellt werden mussten. Die VO an sich verstärkte nicht nur den Kommunismus-Vorwurf, sie stärkte auch weiter die Unantastbarkeit der historischen Kirchen. Dem ungarischen Juristen Andor Csizmadja zufolge unterstützte das Regime die historischen Kirchen, indem es ihnen einen „stets breiteren staatlichen Schutz“ gewährte. Seinen Nachforschungen zufolge hatte das Justizministerium 1935 einen Gesetzentwurf „über den gesteigerten strafrechtlichen Schutz kirchlicher Personen“ vorbereitet, wobei auch gefordert wurde, „den strafrechtlichen Schutz auf jegliche Angriffe gegen die religiösen Ideen“ auszuweiten, „die Verspottung und

665  Dazu hieß es: „Sie erzielt eigentlich die praktische Verwirklichung der Ansichten der Theosophen in kirchlicher Hinsicht.“ 666  Dazu hieß es: „Diese Bewegung kann leicht zur Abneigung oder zum Hass gegenüber den historischen Kirchen führen. Neben der Sympathie für das Gemeineigentum ist festzustellen, dass sie das Privateigentum nicht schätzt.“ 667  Dazu hieß es: „Ihre Gläubige verkünden ausschließlich biblisch bezogene Lehren.“

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Schmähung des Glaubens“ zu verfolgen.668 Diese Vorstellungen, Forderungen und Erklärungen bilden den Hintergrund für die den kleinen Religionsgemeinschaften gemachten Vorwürfe. Gleichzeitig machen sie deutlich, wie weit man sich in der Justiz von den Verfassungsgesetzen mental entfernt hat. Wenngleich diese Schutzforderungen gesetzlich so nicht umgesetzt wurden, in der Realität brachten Behörden eben diese Anschuldigungen gegen die kleinen Religionsgemeinschaften vor, häufig als Hetze oder Störung des interkonfessionellen Friedens deklariert. Fazekas verwies ferner darauf, dass die reformierte Kirche sich immer mehr mit der „Sektenfrage“ auseinandersetzte, was wesentliche Auswirkungen gehabt hätte. So wollte man unter anderem Flugblätter herstellen, die sich gegen die Gemeinschaften richteten, und sich zwecks Unterstützung an die betreffenden Ministerien wenden, da „die Sekten nicht nur destruktiv gegen die Kirchen, sondern auch gegen die Heimat tätig“ seien. In Verbindung mit der Zulassung hatte sich die Gottesversammlung 1933 an den Kultusminister Bálint Hóman gewandt, der seinerseits ein reformiertes Konvent aufsuchte, um sich über die Lehren der Gemeinschaft zu erkundigen, ob an ihnen aus „moralischen Aspekten und dem Gesichtspunkt der Staatssicherheit etwas auszusetzen“ sei. Dem Kultusminister wurde die Meinung eines dazu befragten Bischofs übermittelt, demnach die Gemeinschaft zwar keine „staatsfeindliche Tätigkeit ausführt, aber die Erteilung einer Zulassung halte ich dennoch nicht für wünschenswert“. Fazekas zufolge wurde die Meinung der reformierten Kirche in den dreißiger Jahren maßgeblich, wonach die Ausbreitung der kleinen Religionsgemeinschaften nicht nur eine kirchliche oder religiöse Angelegenheit sei.669

III.  Auswirkungen der VO 8.300/1936 1.  In Verbindung mit Druckschriften Auffällig an der VO war die wiederholte Erwähnung von Druckschriften. In der Reaktion wandte sich der Justizminister Lázár Anton im Konsens mit der VO des Innenministers in einem Schreiben zur verschärften Kontrolle der Presseprodukte der „Sekten“ vom 10. August 1936 an den Oberstaatsanwalt und wies allgemein auf die Sektenbewegungen, aber insbesondere auf das Blatt „Turáni Roham“ der Turaner Monotheisten hin und auf verschiedene populärwissenschaftliche Bücher und Broschüren der Turaner Gemeinschaft. Er forderte, darauf zu achten, dass „deren Inhalt nicht zur Aufwiegelung gegen eine Klasse, eine Glaubensgemeinschaft oder 668  Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 17. Wenngleich Csizmadia sich als Jura-Professor während der sozialistischen Ära sich in seinen Formulierungen teilweise der sozialistischen Diktion anpassen musste, gilt er unter Juristen als unabhängiger Forscher und auch seine Forschungsarbeit macht einen durchaus objektiven Eindruck. Bei seinen Untersuchungen des Verhältnisses Staat – Kirche, wobei bei seinen Untersuchungen die katholische Kirche im Mittelpunt stand, „weil sie achteinhalb Jahrhunderte hindurch die Staatskirche war“, hatte er freien Zugang zu den Landesarchiven und damit einen guten Überblick. 669  Fazekas, Kisegyházak, S. 113 f.

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gegen Eigentum“ diente oder eine „auf den Umsturz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung gerichtete Straftat“ unterstützte.670 Das Schreiben wandte sich jedoch nicht nur gegen die Druckschriften der Turaner Gemeinschaft, sondern gegen alle anderen Veröffentlichungen gesetzlich nicht anerkannter Gemeinschaften, die „über religiöse Lehren hinausgehende, aus der Sicht des Strafrechts und des Staatsschutzes schwer zu beanstandende Ideen verkündeten“. Gemäß der VO Kozmas sollte die Hilfe von Kirchenvertretern miteinbezogen werden.671 In der Folge lassen sich weitere Beschlagnahmen von Presseerzeugnissen im Land nachweisen, besonders in Verbindung mit Zeugen Jehovas.672 Gegen Personen, bei denen Druckschriften gefunden wurden, leitete man Ermittlungsverfahren ein, das konnte im Fall einer Versammlung auch eine größere Anzahl betroffen haben. Im Januar 1937 zum Beispiel erhob die Staatsanwaltschaft in Debrecen Anklage gegen 32 Zeugen Jehovas bzw. sympathisierende Anhänger (darunter Baptisten, reformierte Christen), denen vorgeworfen wurde Publikationen von Zeugen Jehovas verbreitet bzw. gelesen oder anderen vorgelesen und erklärt zu haben.673 2.  In Verbindung mit den Turaner Monotheisten Die Turaner waren erste Zielgruppe der VO 8.300/1936, wohl einer der Hauptgründe für diesen Erlass. Ganz offensichtlich gelang es den Behörden nicht, die Tätigkeit der Gemeinschaft schnell einzustellen. Der Anführer der Turaner Monotheisten Bencsi veröffentlichte 1937 unbeirrt von den Maßnahmen der Behörden sein Buch „Ősi hitünk“ (Der Glaube unserer Vorfahren).674 Als Kommentar hieß es dazu in einer katholischen Zeitschrift: „Auch die dümmsten Sekten treffen auf fruchtbaren Boden bei den ungebildeten Gläubigen, besonders dann wenn diese im ‚patriotischen‘ Gewand auftreten.“ Der Schreiber erklärte, es handele sich hier um einen Versuch Bencsis, den Anachronismus akzeptierbar zu machen.675 Ganz 670 

MOL, K149 – 1937 – 7 – 12259, Bl.  101. Ebenda, K149 – 1937 – 7 – 12259, Bl.  101. 672 MJTA, DOK-322, DOK-323: Am 6.9.1936 Beschlagnahmte Presseerzeugnisse zumeist von Zeugen Jehovas in Kisrozvágy, Ricse, Semjén (als verantwortliche Herausgeber werden u. a. der Gerhard Zennig und János Balázs benannt). Ebenda, DOK-321: Beschluss vom 4.12.1936 wegen Verbreitung von Presseerzeugnissen, Verfahren wurde an Oberstuhlrichter von Bodrogköz übergeben wegen Vertrieb ohne Ausweise, und u.a. von solchen Presseerzeugnissen, die nach § 10 untersagt seien, wovon sie angeblich keine Kenntnis hätten. 673  Ebenda, DOK-105 Verfahren gegen Elek Nemes und Genossen. Ebenda, DOK-231, Miskolcer Gendarmerie berichtete an den Oberstuhlrichter Sátoraljauhely am 26.4.1937 von einem Ehepaar, die „Leute zum Bibellesen in ihre Wohnung locken“. Die Gendarmen stellten fest: „Alle solche religionszerstörende Elemente sollten aus dem Gebiet des Landes entfernt werden.“ 674  Bencsi, Zoltán: Ősi hitünk [Der Glaube unserer Vorfahren]. Debrecen 1937. www. tradicio.org/magyar/nackorre.htm (Zugriff am 15.8.2013). 675 Buchvorstellung von Bencsi, Ősi hitünk. In: A fehér barát [Der weiße Freund], vom 2./3. 9.1939, S. 45 f. Buchvorstellung. http://epa.niif.hu/01800/01890/00004/pdf/FB_ EPA01890_02_03_1939_szeptember_45 – 46.pdf (Zugriff am 15.8.2013). 671 

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offensichtlich blieben die Turaner Monotheisten Gesprächsgegenstand, so wurden sie auch bei einer Sitzung des Repräsentantenhauses im Parlament als „neue Heidnisierung“ erwähnt und diskutiert. Zum Beispiel am 18. Mai 1937, da der Vertreter der Christlichen Wirtschaftlichen und Sozialen Partei (Keresztény Gazdasági és Szociális Párt), Gyula Petrovácsz, berichtete, dass sich anlässlich des Rákóczi-Festes676 an dem von den Monotheisten errichteten Turm eine Versammlung abgehalten wurde, bei der Schamanen auftraten. Diese hätten verkündet, im folgenden Jahr die Statue des Stadtpatrons von Budapest, den Heiligen Gellért,677 ins Museum zu bringen und dort feiern zu wollen und eine eigene Statue, die des alten Gottes Vata, zu errichten. So lächerlich das alles sei, dürfe es doch nicht aus den Augen gelassen werden. Man solle vielmehr, bei der Feier des 900. Todestages678 des Heiligen Stephans diesen damit ehren, dass man so wie er damals heute den „neuen, lächerlichen Heiden“ in Ungarn ein Ende machte.679 Die Turaner Gläubigen machten sogar bis über die Grenzen von sich reden. So erschien im tschechischen Blatt „Novosti“ vom 9. Juni 1937 ein Artikel über „ungarische Sekten“, in dem die Turaner als „Terroristen“ bezeichnet wurden, und der von einer Veranstaltung mit 10 000 Anwesenden berichtete, die die Errichtung eines Denkmals für ihren Gott an der Stelle des heiligen Gellért forderten, da dieser Gott gegen die Einführung des Christentums in Ungarn gekämpft hätte. Darüber hinaus wusste man zu berichten, die Vereinigung verspreche in Flugblättern, sie würde, „sobald sie an die Macht kommt, die Arbeitslosigkeit beseitigen, die Juden verjagen, das Vermögen verteilen und jedem so viel Kredit geben, wie er braucht“ und eine „sofortige Auferstehung von Großungarn“. Von tschechischer Seite zeigte man sich verwundert, dass die ungarischen Behörden nichts dagegen unternahmen.680 Sehr wahrscheinlich aber waren die Turaner Monotheisten in dieser Zeit (zumindest in Budapest) bereits verboten. Das geht aus einem Bericht der Buda­ pester Polizei, Staatspolizei, Hetényi an den Innenminister vom 8. August 1937 hervor, die zu dem tschechischen Zeitungsartikel Stellung nahm. Danach hatte der Oberstadthauptmann rechtfertigend erklärt, dass die Tätigkeit der Turaner Monotheisten verboten und eine andere heidnische Religion in Budapest nicht tätig sei, wobei man hinzufügte, dass die Ermittler die Angaben des Artikels nicht verifizieren konnten.681

676  Gedenken an den ungarischen Nationalhelden Ferenc Rákóczi, der 1703 – 1711 den größten Aufstand gegen die Habsburger anführte. 677  Stadtpatron von Budapest, Benediktinermönch und Erzieher des Sohnes von König Stephan. Er hatte sich bei der Bekehrung der Heiden verdient gemacht und war bei einem Heidenaufstand 1046 in Buda den Märtyrertod gestorben. Seine Statue steht auf dem nach ihm benannten Gellért-Berg (zuvor Kelenberg). 678  Im August 1938. 679 214. Sitzung des Repräsentantenhauses am 18.5.1937. http://www3.arcanum.hu/ onap/pics/a.pdf?v=pdf&a=pdf&p=PDF&id=KN-1935_13/KN-1935_13%20300&no=0 680  MOL, K149 – 1937 – 7 – 9680. 681 Ebenda.

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Wie aus den Zusammenhängen deutlich wird, waren die nationalistisch ausgerichteten Turaner durchaus interessiert, politisch aktiv zu werden und Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Seitens der Politiker empfand man die Vorstellungen der Turaner zwar als lächerlich, wollte sie aber auch nicht einfach abtun. Die fremden und exotischen, teilweise wenig ernst zu nehmenden Vorstellungen der Turaner mag die Politik auch davon abgehalten haben, sie für ihre Zwecke einzuspannen. In ihren Ansprüchen auf Macht erschienen sie sogar gefährlich, vielleicht unkon­ trollierbar, was die Reaktion mit Verbot erklären würde. 3.  Auf den Umgang mit den Nazarenern und deren Reaktion Über die Nazarener hieß es in der VO 8.300/1936, sie seien „eine seit 1840 geduldete Religion“, mit der sich die Behörden wegen bestimmter Punkte beschäftigen mussten. Der Minister fügte hinzu: „Zurzeit werden die Anhänger der Glaubensgemeinschaft so betrachtet wie eine außerhalb der gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaften Stehende, deren Religionsfreiheit mit GA XLIII/1895 und Artikel 55 XXXIII/1921 über den Trianoner Friedensvertrag garantiert wird, wenn die Religionsausübung nicht gegen die bestehenden Gesetze, die Staatsinteressen, die öffentliche Ordnung und öffentliche Moral verstößt.“682 Dass man hier auf GA XXXIII/1921 verwies hat wohl auch damit zu tun, dass man auf den Text der Verordnungen der 1920er-Jahre, insbesondere der VO 14.700/1924 und 6.200/1928, zurückgriff, die sich fast wortwörtlich so äußerten. Die obige Aussage, die nur in Verbindung mit den Nazarenern so gebracht wurde, lässt darauf schließen, dass man in den Nazarenern „zurzeit“ keine akute Gefahr sah. Wahrscheinlich stellten die Nazarener auch aufgrund von Wachstumsstagnation – sie missionierten nicht wie andere und hatten zahlenmäßig Rückgang bzw. seit Mitte der zwanziger Jahre keine Zunahme mehr zu verzeichnen – keine ernste Bedrohung für die historischen Kirchen mehr dar.683 Szigeti stellte fest, dass obwohl die Versammlungen der Nazarener oft mit den Behörden und der bestehenden Ordnung in Konflikt kamen, man aber in ihrer Tätigkeit nicht so eine Gefahr sah wie in der der Zeugen Jehovas oder der anderen kleinen Gemeinschaften. Auch hielten sie sich während der Zwischenkriegszeit auf Rat ihrer Kirchenvorsteher von der Politik fern und auch insgesamt in ihrer Tätigkeit unauffällig, versuchten sogar quasi von der öffentlichen Bildfläche zu verschwinden. Sie waren überdies bereit, sich anzupassen und bei Wahlen ihre Stimme für die Regierungspartei abzugeben.684 Das mag erklären, warum es relative wenige Behördenberichte in Verbindung mit den Nazarenern gab. Im Gegensatz dazu nahmen Zeugen Jehovas prinzipiell aufgrund ihres Standpunktes der christlichen Neutralität nicht am politischen Leben – und damit auch nicht an Wahlen – teil, wenngleich sie sich zu politischen Themen im Licht der Bibel in ihren Publikationen oder beim Missionieren äußerten. 682 

Ebenda, K149 – 1936 – 7 – 5788, Bl.  87  ff., 90 – 94. Tibor Gál, Budapest, Aufstellung vom 5.3.2009. 684  Szigeti, Szabadegyházak, S. 171, 173. 683 Privatarchiv

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Abbildung 5: Mühlenbesitzer Ferenc Tóth, 1939, Privatarchiv Tibor Gál, Budapest

Verschiedentlich kam es bei den Zusammenkünften der Nazarener zu Problemen – so zum Beispiel 1936 in Nyíregyháza und in Nagyecsed. Einige der Probleme konnten auf unterer Ebene durch das Intervenieren und Vermitteln des gesellschaftlich sehr geachteten Mühlenbesitzers Ferenc Tóth, einem der bekanntesten Kirchenvorsteher der Nazarener, gelöst werden.685 Zum Beispiel vermittelte er erfolgreich zwischen dem reformierten Pastor und der Gemeinde der Nazarener. Tóth verstarb Anfang 1939.686 Anlässlich seines Todes erschien am 21. Februar 1939 ein großer Artikel über sein Leben, eine Laudatio auf sein Schaffen als Nazarener in der parteilich unabhängigen Zeitung „Reggeli Újság“ auf der Titelseite direkt neben dem Bericht über ein Treffen von Hitler, Mussolini und Franco.687 An der Beerdigung nahmen auch der Bürgermeister und sein Stellvertreter teil, was die gute Verbindung unterstreicht.688 4.  Auf Adventisten In VO 8.300/1936 waren die Adventisten mehrfach mit Bibelforschern/Zeugen Jehovas verwechselt worden.689 Das scheint sich in der Praxis nur teilweise ausge685 Ebenda.

Kardos/Szigeti, S. 286. „Tóth Ferenc malomtulajdonos [Mühlenbesitzer Ferenc Tóth].“ In: Vásárhelyi Reggeli Újság [Morgennachrichten von Vásárhely] v. 21.2.1939. Privatarchiv Tibor Gál, Budapest. 688  Id. Tóth Ferenc temetése [Beerdigung von Ferenc Tóth sen.]. In: Vásárhelyi Reggeli Újság v. 23.2.1939. 689  MOL, K149 – 1936 – 7 – 5788, Bl.  87  ff., 90 – 94. 686  687 

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wirkt zu haben, wie ein Bericht ländlicher Behörden von Oktober 1936 zeigt: „In den Gemeinden Békes, Mezőberény und Köröstarcsa halten die sog. Siebententags Adventisten Zusammenkünfte ab. Sie halten ihre Zusammenkünfte seit Jahren mit vorheriger Genehmigung der Polizeibehörden ab und jede Zusammenkunft wird überwacht. Die Kontrolle wird so durchgeführt, dass von Beginn der Zusammenkunft bis zum Ende eine Kontrollperson teilnimmt und über die Zusammenkunft monatlich berichtet, insofern [zwischendurch] nichts Meldenswertes passiert. Passiert etwas oder richtet sich die Zusammenkunft gegen den ungarischen Staat oder ist gefährlich für die bestehende Ordnung oder werden solche Lehren verbreitet, die gegen die bestehenden Gesetze und Verordnungen verstoßen, dann würde sofort darüber berichtet.“ Dieser Bericht lässt auf eine reibungslose Umsetzung der VO hinsichtlich der Überwachung der Zusammenkünfte schließen. Hier war tatsächlich, wie in der VO gefordert, ein Beamter die ganze Zeit anwesend. Der Bericht lässt auch darauf schließen, dass die Gemeinschaft in dem Gebiet seit einigen Jahren zusammenkommen konnte, – und das obgleich ein früherer Bericht der Gendarmerie von Békes ihnen vorwarf, ihre Lehren würden „den kommunistischen Lehren ähneln, ja [es könne] sogar gesagt werden kann, dass sie identisch“ seien.690 Die Beurteilung der Zusammenkünfte scheint also von dem jeweiligen Beamten abhängig gewesen zu sein. Möglicherweise war der eine oder andere mit den Lehrinhalten überfordert und sortierte Unbekanntes als gefährlich und eben auch als kommunistisch ein. Diese so unterschiedliche Berichterstattung aus ein und derselben Gegend zeigt, wie wenig die Beamten koordiniert und einheitlich urteilten. Insgesamt aber ließ man der STA vielerorts eine gewisse Freiheit, zum Beispiel in Budapest. Im Zusammenhang mit einem Antrag der STA für eine Landesversammlung im August 1932 im bekannten Vigadó-Theater in Budapest, wozu auch ausländische Gäste geladen waren.691 Der Innenminister hatte sich im Juli an den Kultusminister gewandt, der wiederum den Justizminister um Stellungnahme bat. Das Ziel des Kongresses sei es, Kirchenbeamte zu wählen, Bibelstunden und Gottesdienste abzuhalten. Es gäbe keine Eintrittsgebühr, außer des, nach den Abendvorträgen üblichen „freiwilligen Tellergeldes“. Während der Kongresszeit würde es in dem einen Raum eine Ausstellung geben, die Einnahme aus der Besichtigung und dem Verkauf der ausgestellten Gegenstände würden „ausschließlich zur Unterstützung der zur Glaubensgemeinschaft gehörenden Armen verwendet werden“. Dieser hatte am 25. Juli 1932 noch – abweichend von der VO scheinbar großzügig geantwortet: „Das Prinzip der freien Religionsausübung gemäß § 1 Gesetzartikel XLIII von 1895 vor Augen haltend sollte man die religiösen Zusammenkünfte der Konfessionslosen in der Regel genehmigen; und man kann und muss sie nur aus irgendeinem wichtigen polizeilichen Grund verbieten, so besonders dann, wenn die Organisation, die Glaubensregeln, die Morallehren dieser Glaubensgemeinschaft staats- oder volksfeindlich sind, mit den bestehenden Gesetzen, der öffentlichen 690 

Zitiert nach Fazekas, Kisegyházak, S. 98. Szigeti, Szabadegyházak, S. 175.

691 Vgl.

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Ordnung oder der öffentlichen Moral in Widerspruch stehen oder für irgendeine andere – rezipierte oder gesetzlich anerkannte – Glaubensgemeinschaft verletzend sind.“692 Hinsichtlich des „freiwilliges Tellergeld“ sammeln und gewisse Gegenstände ausstellen und verkaufen wollen machte er jedoch darauf aufmerksam, dass Spenden nur aufgrund einer vorherigen behördlichen Genehmigung gesammelt werden durften. Die Beurteilung dieses Teiles des Antrags liege „im Wirkungsbereich des Bürgermeisters der Haupt- und Residenzstadt Budapest“.693 Der VO 167.800/1936 zufolge durften Spenden nur für Landesinteressen gesammelt werden konnten, ausgenommen waren wohltätige Vereine, zu denen die Gemeinschaft jedoch nicht gehörte. Der Antrag wird daher eher abschlägig beschieden worden sein. Dennoch wird deutlich, dass der Justizminister – vielleicht auch wegen der Teilnahme ausländischer Gäste – gegen die Veranstaltung an sich nichts einzuwenden hatte, zumal sie in der Hauptstadt stattfand. Eine weitere Konferenz fand im Oktober 1936 in Budapest statt. Szigeti zufolge gab es 1935 2 404 Anhänger und 1938 um 2 600.694 5.  Auf Baptisten und Methodisten Obwohl die Baptisten von den Maßnahmen des Innenministers jedes Mal, auch in VO 8.300/1936, ausdrücklich ausgenommen wurden, traf es immer wieder auch sie.695 1934 hatte sich der Leiter der Baptisten Imre Somogyi 1937 aufgrund der Schwierigkeiten an den Innenminister gewandt. Er informierte ihn auch darüber, dass nicht selten protestantische Geistliche beteiligt waren, sich an die Behörden gewandt und deren Eingreifen gefordert hatten oder deren Einsatz sogar koordinierten.696 Anderen Berichten zufolge waren auch katholische Geistliche daran beteiligt.697 Zum Beispiel wurde ihnen im Mai 1935 im Komitat Szatmár vorgeworfen, 692 MOL, K579  – 1932-Juli, Bl. 123, 126, 124 (5548 – 5552). Gemäß VO 6.189 vom 27.7.1923 war für jede Sammlung eine Genehmigung einzuholen. MRT, S. 422 – 427. 693 Ebenda. 694 Vgl. Szigeti, Szabadegyházak, S. 175. 695  MOL, K149 – 1936 – 7 – 5788, Bl. 87 ff., 90 – 94. 1933 wurde eine Landeskonferenz der Baptisten in Hajdúböszörmény am zweiten Tag kurzfristig von der Polizei aufgelöst, dann aber nach Rücksprache mit dem Kultusministerium wieder zugelassen. Wie man meint, war der Polizeikommandant der Stadt dafür verantwortlich, da er jede Gelegenheit zu nutzte, gegen kleine Religionsgemeinschaften vorzugehen und gegen deren Angehörige bereits gewalttätig vorgegangen war. Ein weiteres Problem gab es im August 1934 in Lénárddaróc, wo ein Gebetshaus eröffnet wurde und Gendarmen zusammen mit den Gemeindevorstehern die Zusammenkünfte auflösten. Fazekas, Kisegyházak, S. 94. 696  Ebenda, S. 95. 697  Ebenda, S. 95, 153. Information des baptistischen Geistlichen und Autors Olivér Sze­ beni auf einer Konferenz in Veszprém am 17. Mai 2011 beim Pannon Egyetem Antropológia és Etika Tanszéke [Lehrstuhl für Antropologie und Ethik an der Pannonischen Universität]. Szebeni, Olivér: A baptista hittestvéri közösség élén, 1933 – 1951 [Am Rande der baptistischen brüderlichen Gemeinschaft, 1933 – 1951]. In: Somogyi, Barnabás (Hrsg.): Csontokba

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u. a durch ihre Liederbücher kommunistisches Gedankengut zu verbreiten.698 In Verbindung mit den Baptisten ist zu erwähnen, dass sie in Budapest weitaus bessere Verbindungen zu den Behörden hatten als auf dem Land. Das kann einerseits daran gelegen haben, dass ihre gesetzliche Anerkennung in Budapest außer Frage stand, sie dort weitaus aktiver waren, konnte aber auch damit zusammenhängen, dass sie vielfach betonten, dem Horthy-Regime loyal ergeben, patriotisch und gesetzestreu zu sein. Gömbös hatten sie ihre patriotische Verbundenheit versichert und hatten erklärt, für seine nationsrettende Tätigkeit Gottes Segen zu erbitten. Kultusminister Hóman bezeichneten sie als Apostel der ungarischen Kultur und des geistlichen Lebens.699 Andererseits wird immer wieder deutlich, dass die Religionsgemeinschaften in Budapest im Allgemeinen mehr Freiheit genossen als in der Provinz. Die Schwierigkeiten, die die Glaubensgemeinschaft hatte, führte Imre Somogyi (1894 – 1951), führender baptistischer Geistlicher, Schriftsteller und Autor, auf drei Hauptgründe zurück: die Taufe Minderjähriger, Teilnahme von Nicht-Baptisten an Gottesdiensten und das Nichtanmelden von Zusammenkünften.700 Diese Punkte ähnelten stark den vom Innenministerium gegenüber nicht anerkannten Gemeinschaften vorgebrachten Vorwürfen. Dass die Baptisten häufig wie gesetzlich nicht anerkannte Gemeinschaften behandelt wurden könnte Fazekas zufolge daran liegen, dass sich die Behörden den kirchlicher Standpunkt zu eigen gemacht haben und die Baptisten nicht nach den juristischen, sondern theologischen Gesichtspunkten betrachtet haben. So kam es dazu, dass sie oft unterschiedslos mit den nicht anerkannten Gemeinschaften benannt oder gelistet wurden.701 Auch gegen die Methodisten sollte laut Innenminister nicht vorgegangen werden. Als jedoch 1936 ein Methodist ein Kind mit in eine Zusammenkunft im Komitat Tolna nahm, untersagte der zuständige Oberstuhlrichter die weitere Tätigkeit der Methodisten. Wenngleich die Zusammenkünfte danach schnell wieder erlaubt wurden, hatte der Vorfall internationale Auswirkungen. Der Außenminister wurde von der ungarischen Botschaft in Washington darüber informiert, dass die Sache in den Staaten bereits bekannt war, und empfahl wegen der Beziehungen der Methodisten zu den USA, ihnen in der Region keine weiteren Probleme zu bereiten.702 Diese Fallbeispiele im Zusammenhang mit Baptisten und Methodisten zeugen von der noch immer vorherrschenden Unabgestimmtheit der unteren Behörden. Andererseits lassen sie darauf schließen, dass die Gemeinschaften verschiedenenorts auch verhältnismäßig unproblematisch ihre Tätigkeit ausübten. zárt tűz. Dr. Somogyi Imre (Emericus) élete és munkája [In Knochen eingesperrtes Feuer. Leben und Arbeit von Dr. Imre Somogyi (Emeritus). Budapest 1983, S. 151 – 169, hier S. 156 f. 698  Fazekas, Kisegyházak, S. 97. 699  Ebenda, S. 94 f. 700 Ebenda. 701 Ebenda. 702  Ebenda, S. 98 f.

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6.  Weitere Entwicklungen in Verbindung mit der Heilsarmee In Verbindung mit der VO 6.200 von 1928, was in VO 8.300/1936 wiederholt wurde, hatte der Innenminister festgelegt, dass die Tätigkeit der Heilsarmee in Budapest und anderen industriellen Zentren nicht einzuschränken war, auf dem Land aber nicht zugelassen werden sollte.703 Damit zog sich die Ungleichbehandlung fort, was die Umsetzung kirchenpolitischer Strategien belegt und wenig mit verfassungsrechtlicher Gleichbehandlung zu tun hatte. Die Heilsarmee erfuhr im Verhältnis zu anderen ganz offensichtlich eine nachsichtigere Behandlung, was vor allem ihrem sozialen Engagement geschuldet war, dessen man sich gern bediente. Dennoch scheint sich auch in ihrem Fall die Lage verschlechtert zu haben. Der ungarische Leiter der Gemeinschaft hatte, wie aus einem Schreiben der englischen Zentrale vom Dezember 1936 hervorgeht, ein Gesuch zur Verbesserung der Lage an den Innenminister gesandt, offensichtlich zunächst ohne Erfolg. In dem Schreiben hatte man als erstes die öffentlichen Zusammenkünfte angesprochen und um Versammlungsfreiheit gebeten. Der zweite Punkt galt dem ungehinderten Verkauf der Schrift „Kriegsruf/War Cry“. Ferner bat er darum, für besondere Zwecke „Sammlungen auf der Straße und von Haus zu Haus“ durchführen zu dürfen. Viertens handelte es sich um die Teilnahme von Kindern unter 18 Jahren an Gottesdiensten. Im fünften Punkt des Gesuchs ging es um den Einsatz ausländischer Unteroffiziere in Ungarn, wobei man darauf verwies, dass die Heilsarmee als internationale Organisation, „stattliche Geldsummen aus London zur Deckung der Kosten unseres ungarischen Werks“ erhielt, und um Verständnis dafür bat, dass „ein Teil unserer Offiziere, besonders die, die Verwaltungsarbeiten durchführen, keine ungarischen Staatsbürger“ waren. Zuletzt ging es um die Erlaubnis wie die römisch-katholischen Organisationen in Gefängnissen predigen zu dürfen.704 Am 11. Januar 1937 wandte sich dann der Außenminister im Auftrag eines in Budapest lebenden Geistlichen namens Hankinson an Innenminister Kozma, der auf die rechtliche Lage der Heilsarmee verwies und „um Abhilfe in verschiedenen Verwaltungsschwierigkeiten“ bat. Er bezog sich dabei auf einen Brief der englischen Zentrale der Heilsarmee vom 23. Dezember 1936, in dem darauf hingewiesen wurde, „dass unsere Leute in Ungarn ernsten Schwierigkeiten entgegenstehen, was die Entwicklung unserer Arbeit hindert“. Interessanterweise glaubte man in der Zentrale in London ähnlich wie auch zuvor die Bibelforscher in Deutschland, dass die Schwierigkeiten, die man der Gemeinschaft machte, darauf beruhten, dass die Behörden nicht richtig informiert waren: „Wir denken, wenn die leitenden Kreise wüssten, dass die Heilsarmee (die in 90 Ländern der Welt und in ihren Kolonien tätig ist, und nicht nur geschätzt und als religiöse Weltorganisation anerkannt wird, sondern auch eine Bewegung ist, an die sich die Regierungen der leitenden Staaten in Verbindung mit sozialen und anderen Fragen um Rat und Hilfe wenden) bei der Verrichtung ihrer menschenfreundlichen und evangelischen Tätigkeit in 703 

MOL, K149 – 1936 – 7 – 5788, Bl.  87 – 89, 90 – 94. Ebenda, K149 – 1937 – 7 – 5078. Schreiben der Heilsarmee London an Hankinson, Budapest vom 23.12.1936. 704 

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Ungarn an Schwierigkeiten stößt, würden sie einsehen, dass es die Herstellung der Sympathie und des Interesses gegenüber der ungarischen Nation nicht erleichtert, was so wünschenswert wäre.“ Auf den sozialen Aspekt ihrer Arbeit und die weite Verbreitung der Gemeinschaft hinweisend appellierte man gleichzeitig an den Ruf Ungarns in der westlichen Welt.705 Der Standpunkt der Behörden geht aus einer Stellungnahme des Innenministers vom 21. Januar 1937 hervor, in dem der Eingang des Gesuchs bestätigt wurde. Da es sich aber „zumeist um religiöse und kirchliche Fragen“ handelte, hatte man das Gesuch an den Kultusminister weitergeleitet. Im Weiteren nahm man dazu Stellung: „Unserer Meinung nach kann man der Heilsarmee keine Versammlungsfreiheit gewähren. Gemäß dem früher festgestellten Standpunkt des Herrn Kultusministers ist die Heilsarmee als Sekte zu betrachten, und ihre Versammlungen und Zusammenkünfte sind demgemäß zu beurteilen“, wobei wegen „der sozialen und karitativen Tätigkeit der genannten Sekte im Gegensatz zu anderen Sekten auch schon gewisse Zugeständnisse gemacht“ worden seien. Dabei verwies man auf die VO 6.200/1928, nicht auf die neue VO 8.300/1936, die das ebenfalls zusicherte. Erneut hielt man fest, dass die Tätigkeit „in solchen Industriezentralen [nicht ausgeschlossen war], wo die sozialen Verhältnisse die Tätigkeit der vorliegenden Sekte wünschenswert machen und die Vertreter der historischen Kirchen gegen ihre dortige Tätigkeit keine Einwände“ hätten. Die Genehmigung zur Verbreitung der Publikation müsse der Kultusminister erteilen. Sammlungen seien mit der VO 167.800/1936 vom 2. März 1936 sehr eingeschränkt, wonach Spendensammlungen nur im Landesinteresse durchgeführt werden durften bzw. in Sonderfällen zu genehmigen waren.706 Die VO 167.800/1936 vom 2. März 1936 stellte wie schon erwähnt eine Ergänzung der VO 6.189/1923 dar, die besagte: „Das Sammeln von Spenden ist im ganzen Land nur für Landesinteressen erlaubt.“ Allerdings würde diese Beschränkung nicht für wohltätige oder karitative Vereinigungen gelten.707 Nun stellten die gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften, wozu auch die Heilsarmee noch immer zählte, juristisch gesehen keine Vereinigung dar, durften also streng genommen, keine Spenden sammeln. Im Fall der Heilsarmee wurde jedoch eine Ausnahme gemacht, allerdings musste sie konkret Antrag beim Innenministerium stellen: „Wenn die Heilsarmee für einen genau umschriebenen und bezeichneten Zweck eine Landessammlung organisieren möchte, muss sie ihre diesbezügliche Bitte hierher /Innenministerium V. Abteilung / einreichen.“708 Was den Besuch von Zusammenkünften durch Jugendliche anbelangte, so wurde auch bei der Heilsarmee keine Ausnahme gemacht. Sie durften nicht teilnehmen. „Die leitenden Mitglieder der in Ungarn tätigen Vereinigungen dürfen nur ungarische Staatsbürger sein.“ Ausländische Staatsbürger dürften „keine leitende Tätigkeit in den Vereinigungen ausüben“. Für Tätigkeiten in Gefängnissen wäre 705 Ebenda. 706 

Ebenda, K149 – 1937 – 7 – 5078. MRT, 1936, Teil I, S. 92 f. 708  MOL K149 – 1937 – 7 – 5078. 707 

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der Justizminister zuständig.709 Offenbar wurden zwar für die Heilsarmee noch immer Ausnahmen gemacht – allerdings wurden sie enger gefasst. Interessanter auch der Hinweis, dass eine Tätigkeit, abhängig von der Haltung der historischen Kirchen möglich war. Das Beispiel der Heilsarmee verdeutlicht das Maß an Religionsfreiheit, das einer Gemeinschaft zugestanden wurde, bestimmte sich an ihrem Nutzen für Wirtschaft, Politik und Staat. 7.  Zeugen Jehovas: Kommunismusvorwürfe – Großaktion – Presseprodukte Die VO 8.300/1936 hatte sich ganz speziell – abgesehen von der Turaner Gemeinschaft – gegen die Bibelforscher/Zeugen Jehovas gewandt, als angeblicher Zweig einer kommunistischen Organisation. Der Innenminister hatte in der Anlage der VO selbst die Brücke dazu geschlagen und der Gemeinschaft vorgeworfen, sich mit ihren „direkt kommunistisch angehauchten Lehren“ gegen Kirchenhäupter und Staatsoberhäupter zu richten – sich also schädlich auf das Wohlergehen von Staat, Gesellschaft und Kirche, als Stütze der Nation, auszuwirken.710 Das konnte von den Behörden als Handlungsvorgabe interpretiert werden, auch für einen zielgerichteten Medieneinsatz. Machte man allgemein und öffentlich klar, dass die Zeugen Jehovas einer kommunistischen Organisation angehörten, konnte direkt gegen sie als politische Organisation vorgegangen werden. Hierbei mag sich – abgesehen vom Einfluss der Politik Mussolinis, in der die katholischen Kirche mittlerweile eine wichtige Rolle bei der Wiedererrichtung des „Römischen Imperiums“ spielte – das harte Vorgehen der Nationalsozialisten in den Jahren nach Hitlers „Machtergreifung“ gegen Zeugen Jehovas auch negativ auf den Umgang der ungarischen Behörden mit der Glaubensgemeinschaft und anderen Gemeinschaften ausgewirkt haben. Schließlich orientierte sich Ungarn zunehmend an Deutschland. Dort war es schon 1933 zu Verboten und Inhaftierungen gekommen. Nachdem dann von der Gestapo ein Sonderkommando eingerichtet worden war und man umfangreiches Adressmaterial zusammengestellt hatte, wurde 1936 eine groß angelegte Verhaftungsaktion organisiert, bei der 2 894 Zeugen festgenommen worden sein sollen.711 Im April 1937 erging die Anordnung, jeden „hartnäckigen Bibelforscher“ nach Haftverbüßung in Schutzhaft zu nehmen und damit in KZs zu überstellen.712 709 Ebenda. 710 

Ebenda, K149 – 1936 – 7 – 5788, Bl.  87  ff., 90 – 94. WtBTG (Hrsg.): The Watchtower, 15.6.1936, S. 182. 712  Dem Inhaftierten wurde dabei eine Erklärung vorgelegt, durch die er seinem Glauben abschwören konnte. Kam er dem nicht nach, erfolgte die Inschutzhaftnahme und damit die Überstellung in ein KZ. Diese Erklärung wurde ihm auch während der Inhaftierung im Konzentrationslager in regelmäßigen Abständen immer wieder vorgelegt. Der Text einer solchen Erklärung lautete zum Beispiel: „1. Ich habe erkannt, dass die Internationale Bibelforschervereinigung eine Irrlehre verbreitet und unter dem Deckmantel religiöser Betätigung lediglich staatsfeindliche Ziele verfolgt. 2. Ich habe mich deshalb voll und ganz von dieser Organisation abgewandt, und mich auch innerlich von dieser Sekte freigemacht. 3. Ich versichere hiermit, dass ich mich nie wieder für die Internationale Bibelforscherver711 

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Nicht unwesentlich bei der Verfolgung von Zeugen, die sich nicht für Hitlers Kurs gewinnen ließen, war der Vorwurf, kommunistische Ideen zu unterstützen oder ihnen nahe zu stehen. Diese Argumentation war auch in Deutschland schon in den 1920er-Jahren aufgekommen und propagiert worden.713 So warf ihnen der „Völkische Beobachter“ im April 1937 vor, „Hand in Hand mit Kommunisten“ Deutschland zu verleumden.714 Die Chemnitzer Tageszeitung titelte 1938: „Das sind die ‚Zeugen Jehovas‘. Stalin – ihr künftiger Obermessias.“715 Zudem bezeichnete man sie auch als „Sendboten des Jüdischen Bolschewismus“.716 Hier erfolgte gleichzeitig eine Mischung von jüdisch-kommunistischen Vorwürfen.717 Wenngleich es bei dem längeren Gespräch Horthys mit Hitler im August 1936 wohl weniger um Zeugen Jehovas ging, so doch auch um den Konflikt mit dem „Bolschewismus“.718 Man scheint in Ungarn wie in Deutschland die jeweiligen Entwicklungen verfolgt zu haben. Im Zusammenhang mit einem Strafverfahren gegen Zeugen Jehovas einigung betätigen werde. Personen, die für die Irrlehre der Bibelforscher an mich werbend herantreten oder in anderer Weise ihre Einstellung als Bibelforscher bekunden, werde ich unverzüglich zur Anzeige bringen. Sollten mir Bibelforscherschriften zugesandt werden, so werde ich diese umgehend bei der nächsten Polizeidienststelle abgeben. 4. Ich will künftig die Gesetze des Staates achten, insbesondere im Falle eines Krieges mein Vaterland mit der Waffe in der Hand verteidigen und mich voll und ganz in die Volksgemeinschaft eingliedern. 5. Mir ist eröffnet worden, dass ich mit meiner erneuten Inschutzhaftnahme zu rechnen habe, wenn ich meiner heute abgegebenen Erklärung zuwiderhandle.“ Mit der Unterschrift unter ein solches Dokument kam der Inhaftierte sofort frei. Zitiert nach Hesse, Hans/Harder, Jürgen: „… und wenn ich lebenslang in einem KZ bleiben müßte …“ Die Zeugen Jehovas in den Frauenkonzentrationslagern Moringen, Lichtenburg und Ravensbrück. Essen 2001, S. 66 – 73, 181 f. 713  Zum Beispiel Fetz, August: Weltvernichtung durch Bibelforscher und Juden. München 1925. Darin hieß es: „daß der Bolschewismus die jüdische Bewegung zur Zertrümmerung des Kreuzes ist. Nach eigenem Geständnis stehen die Zionisten mit den Bolschewisten in gleicher Front, haben also dieselbe Aufgabe.“ Hier wurden auch die Bibelforscher eingeordnet: „Die I.V.E.B. [Internationale Vereinigung der Ernsten Bibelforscher] unterstützt mir ihrer Lehre diese nationalistische-völkische Judenpolitik. Damit treibt sie selbst Politik, ist also selbst eine völkisch-politische Vereinigung auf jüdischem Parteiboden. Damit wendet sie sich ganz natürlich gegen alle nationalen und völkischen Rechte und die vor Gott und der Natur zulässigen Forderungen aller Völker.“ Garbe, Widerstand, S. 114 f. 714  Zitiert nach Garbe, Martyrium, S. 244 (Völkischer Beobachter vom 25.4.1937). 715  Dirksen, Keine Gnade, S. 87. 716  Garbe, Detlef: „Sendboten des Jüdischen Bolschewismus“. Antisemitismus als Motiv nationalsozialistischer Verfolgung der Zeugen Jehovas. In: Diner, Dan/Stern, Frank (Hrsg.): Nationalsozialismus aus heutiger Perspektive. Gerlingen 1994, S. 145 – 171. 717  Die Verknüpfung von Juden und Kommunismus war auch in Ungarn immer wieder zu finden. Siehe z. B. MOL, K149 651.f.2/1941 – 7 – 6000 XI November, Bl. 608, 610. Bericht des Beregszászer Polizeipräsidium an den Innenminister vom 9.12.1941: „Eine bedeutende Zahl der Kommunisten stammt von den Juden ab. Von denen Personen, die nach Russland flohen sind die Hälfte Juden. […] 12 Juden haben wir wegen aufwieglerischer und kommunistischer Haltung interniert und zehn wegen ähnlichen Verhaltens.“ Ebenda, K149 – 651-f2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-I./Januar/ 1.2.1942. 718  http://www.ungarn-guide.com/geschichte_17.php (Zugriff am 12.2.2013).

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vor dem Sondergericht Düsseldorf wurde am 27. Dezember 1937 in einer Zeitung darauf verwiesen, dass am Tag der Urteilsverkündung in Budapester Zeitungen über die dortige Verhaftung von „25 Rädelsführern der ‚Bibelforscher‘“ berichtet worden sei, „denen man direkte Beziehungen, darunter einen gut organisierten Kurierdienst nach Moskau, nachweisen konnte“. Der Staatsanwalt habe nachdrücklich „auf diese Enthüllungen des staatsfeindlichen Wirkens der ‚Jünger Jehovas‘“ hingewiesen. Das Blatt bezeichnete sie als „Werkzeuge Moskaus“.719 Auch in anderen Ländern Europas kursierte der Kommunismusvorwurf. So erschien in der „Zoppoter Zeitung“ in Danzig am 29. Mai 1935 ein Artikel über „kommunistische ‚Bibelforscher‘ in Danzig“. Einen Tag später, am 30. Mai 1935, wurde auch in Belgrad im „Deutschen Volksblatt“ mit dem Artikel „Kommunisten als ‚Ernste Bibelforscher‘“ davon berichtet und erklärt Jehovas Zeugen würden „eine maßlose Hetze gegen die NSDAP, gegen die Regierung und gegen den Volkskanzler Adolf Hitler“ betreiben.720 Weil man glaubte, Jehovas Zeugen würden kommunistische Propaganda betreiben und dabei vom Ausland benutzt, erließ am 17. April 1937 der Kultusminister im Nachbarland Rumänien ein Dekret, das die Tätigkeit strengstens untersagte.721 Einem Verbotsantrag durch den Minister bei Gericht wurde jedoch nicht entsprochen, aber viele Glaubensangehörige wurden inhaftiert.722 Die Verknüpfung der Glaubensauffassung der Zeugen Jehovas mit kommunistischen Ansichten muss zu dieser Zeit so bekannt gewesen sein, dass sich selbst der sehr bekannte Schweizer evangelisch-reformierte Theologe Karl Barth 1937 mit dem Thema auseinandersetzte und zu der Auffassung gelangte: „Die Beschuldigung, dass die ‚Zeugen Jehovas‘ mit den Kommunisten zusammenhängen, kann nur auf einem unfreiwilligen oder auch absichtlichen Missverständnis beruhen.“723 Einen Beitrag zur antikommunistischen Haltung im zum großen Teil katholischen Ungarn wird auch – ähnlich wie in Polen, Portugal oder Spanien – der Ein719 

JZAD, DOK 27/12/37. Unbekannte Zeitung v. 27.12.1937, war eine Verhaftungsaktion von 16 Kommunisten in Danzig, bei der im Keller des Anführers auch Veröffentlichungen von Zeugen Jehovas gefunden worden waren. Es handelte sich dabei um Schriften seiner Ehefrau, die sie im Keller aufbewahrt hatte. Ebenda, DOK 15/6/35. Vgl. auch Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 332 f. 721  Ebenda, S. 330: „Die Tätigkeit der Zeugen Jehovas ist im ganzen Land strengstens verboten. Wer ihre Literatur verbreitet oder liest, ist zu bestrafen und die Literatur zu beschlagnahmen.“ Zitiert nach ebenda. 722  Der Verantwortliche der Zeugen Jehovas in Rumänien, Martín Magyarosi, ungarischer Abstammung, klagte gegen dieses Verbot, die gerichtliche Entscheidung wurde jedoch immer wieder verschoben. Im Endeffekt setzte König Carol II. die seit 1923 gültige Verfassung außer Kraft und ließ jegliche politischen Tätigkeiten und Vereinigungen, und in dem Zusammenhang wahrscheinlich auch im August 1938 das Zweigbüro der Zeugen Jehovas in Rumänien schließen. Dirksen, doppelte Diktaturerfahrung, S. 330. Kosiul, Willi: Die Bukowina und ihre Buchenlanddeutschen. Bd. 2. Oberding 2012, S. 118. 723  Geschichtsarchiv der Watchtower Society Schweiz, Schreiben von Karl Barth vom 2.2.1937. Zitiert nach Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 332 f. 720  Vorausgegangen

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fluss des Papstes geleistet haben, hier durch die Enzyklika von Pius XI.724 „Über den atheistischen Kommunismus“ vom 19. März 1937, in der er sich der Meinung seiner Vorgänger Pius IX. und Leo XIII. anschloss. Pius IX. hatte bereits 1846 den Kommunismus als eine „verdammenswerte Lehre“ verworfen, die „im höchsten Grad dem Naturrecht entgegengesetzt“ sei.725 Leo XIII. hatte den Kommunismus 1878 als eine „verheerende Seuche, die das Mark der menschlichen Gesellschaft anfrißt und sie völlig zersetzt“, bezeichnet.726 Für Pius XI. war die kommunistische Lehre „das neue Evangelium, das der bolschewistische und atheistische Kommunismus als Heilsbotschaft und Erlösung der Menschheit biete“, eine „wahrhaft dämonische Propaganda“, „die von einem einzigen Zentrum geleitet und äußerst geschickt den Lebensbedingungen der verschiedenen Völker angepaßt ist“. Er prangerte an: „Der Kommunismus ist seiner Natur nach antireligiös und betrachtet die Religion als ‚Opium für das Volk‘, weil angeblich die religiöse Lehre von einem Leben jenseits des Grabes den Proletarier ablenkt von seinem Einsatz für das Sowjetparadies, das von dieser Erde ist.“ Und sprach sich klar für ein System des Privateigentums aus. Gleichzeitig rief er insbesondere die Priester auf, dafür zu sorgen, dass sich „die Gläubigen nicht täuschen lassen“. Er erklärte: „Der Kommunismus ist in seinem innersten Kern schlecht, und es darf sich auf keinem Gebiet mit ihm auf Zusammenarbeit einlassen, wer immer die christliche Kultur retten will.“ Gerade die Arbeiter, und unter ihnen die Armen, würden „leicht eine Beute der Sendlinge des Kommunismus“. Pius XI. forderte vom Staat, auch weil es sich hier um „ein Übel geistiger Natur“ handle, der Tätigkeit der katholischen Kirche, die „unter den moralischen und religiösen Mächten“ den ersten Rang einnehme, „keine Hindernisse in den Weg“ zu legen.727 Er schürte die Angst vor dem Einfluss des Kommunismus und verlangte mehr Macht für seine Kirche. Seine Definition der Hauptzielgruppe des Kommunismus als die arme arbeitende Bevölkerung deckt sich mit der Vorstellung der Behörden zur Hauptzielgruppe der kleinen Religionsgemeinschaften. Auch durch die Bezeichnung der kommunistischen Lehre als „Heilsbotschaft“, „neues Evangelium“ bzw. „dämonische Propaganda“ bringt er die kommunistische Auffassung auf einen Level mit religiösem Gedankengut. Intensität und Art der Argumentation konnten dazu beigetragen haben, dass religiöse Ansichten mit kommunistischen verwechselt und ihre Vertreter energisch bekämpft wurden. Auch in Ungarn wurde von kirchlicher Seite das Kommunismusargument unterstützt, und das nicht nur von der katholischen Kirche. So 724  Achille Ambrogio Damiano Ratti war von 1922 bis 1939 Papst Pius XI. und hatte am 14. März 1937 seine Enzyklika „Mit brennender Sorge“ wegen der „wachsenden Bedrängnis“ der Kirche im Deutschen Reich verfasst. http://www.vatican.va/holy_father/pius_xi/ encyclicals/documents/hf_p-xi_enc_14031937_mit-brennender-sorge_ge.html (Zugriff am 11.1.2013). 725  Zitiert nach der Übersetzung von International League of Non-Religious and Atheists: Text der Enzyklika „Über den atheistischen Kommunismus“. http://www.ibka.org/artikel/miz80/ath-kommunismus.html#anm1 (Zugriff am 11.1.2013). 726  Zitiert nach ebenda. 727  Zitiert nach ebenda.

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schrieb Lajos Szabó, ein reformierter Geistlicher, in seiner 1935 veröffentlichten Publikation „Antikrisztus a Tiszanál“ (Antichrist an der Theiß): „Es war ein Geniestreich, die Leute im Namen der Religion mit dem Bolschewismus zu füttern … Marx nahm die Gestalt Christi an … Der Antichrist war in seiner roten Robe hier mit Jehovas Zeugen.“728 Hatte man schon in den zwanziger Jahren in Ungarn vor allem die Bibelforscher, die Adventisten und die Nazarener des Öfteren in die Nähe des Kommunismus gebracht, verstärkte sich das in den 1930er-Jahren. Neben dem Vorwurf der militärfeindlichen Haltung, als eine der Hauptgefahren für die militärischen Interessen ausgehend „von den Sektenbewegungen“, wurde die Kommunismus-Argumentation ab 1937 mit noch mehr Vehemenz vorgebracht.729 Im Fall der Bibelforscher kam es Anfang April 1937 zu einer Aktion der Behörden in Nyíregyháza (Ostungarn). Dazu erschien in der nationalistisch ausgerichteten Zeitung „Függetlenség“730 am 4. April 1937 unter der Überschrift „Sie verbreiten kommunistische Lehren anhand gefälschter mit tschechischen Geldern gedruckter Bibel in Tiszántúl“731 ein Artikel, in dem man erklärte, die Debrecener Unterabteilung des Zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie732 habe in den Komitaten Szabolcs-Szatmár und Ung „eine groß angelegte, sogar bis Prag reichende, kommunistische Verschwörung aufgedeckt“. Den Behörden sei zugetragen worden, dass „die Jehovas Zeugen Sekte sich in der Gemeinde Mátyus stark organisierte und eine aus der Tschechoslowakei stammende Schein-Bibel verbreitete“. Die Gendarmerie habe bei einer Zusammenkunft in dem Moment zugegriffen, als die Anwesenden „Erklärungen“ abgaben, die auf „ihrer gefälschten und kommunistische Lehren beinhaltenden Bibel“ basierten. Dabei „geriet der 34-jährige in Budapest wohnende Gerhard Zennig, der Leiter der Sekte in Ungarn, in die Falle“. Zennig soll zugegeben haben, dass „auf seine Veranlassung in der Prager Zentrale die gefälschten Bibeln in ungarischer Sprache und Flugblätter gedruckt“ worden seien. Die bei der Zusammenkunft Anwesenden wurden inhaftiert und Zennig nach Budapest überstellt. Ein zweiter Artikel vom selben Tag, möglicherweise in derselben Zeitschrift, unter der Überschrift „Sektierer“, klagte, linksgerichtete Kreise würden sich mittels „schauriger Märchen“, „mysteriöser ausländischer Gelder“ gegen „den nationalen und christlichen Standpunkt“ wenden und „ausländische Valuta rollten […] über die unbewachbaren Schmuggelpfade der Trianonischen Grenzen, […] damit sich die sogenannte Jehovas Zeugen Sekte unter dem ärmsten Volk organisieren WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 15.7.1993, S. 10. Das geht unter anderem aus einem Bericht der Ermittlungsabteilung der Gendarmerie vom Dezember 1937 hervor, weshalb man forderte, diese Gemeinschaften, die antimilitaristische Propaganda ausüben, auch mit polizeilichen Mitteln zu bekämpfen. Fazekas, Kisegyházak, S. 88. 730  „Függetlenség“ [Unabhängigkeit], herausgegeben in Budapest, 4.4.1937: „Cseh pénzen nyomott hamis bibliával terjesztenek kommunista tanokat a Tiszántúl.“ UaP János Lakó. 731  Tiszántúl bedeutet jenseits der Theiß. 732  Vgl. Kapitel: Stärkung der Rolle der Gendarmerie und Polizeibehörden bei der „Sekten-Bekämpfung“. 728 

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kann“. Die linksgerichteten Kreise konkretisierend sprach man von „kommunistischer Propaganda“, die mit „der Unwissenheit der materiell und geistig Armen rechnet“. Der Vorwurf? „Die ausländischen Agitatoren, die genau wussten, dass das ungarische Volk selbst in der größten Not, in der dunkelsten Hütte der Nacht am ewigen Licht des christlichen Glaubens festhält“, würden „mit Hilfe ausländischen Geldes und einer gefälschten heiligen Schrift die Ordnung und den Frieden des Landes aufwühlen“. Daraufhin hätten die Ermittlungsbehörden die von Prag finanzierte Verschwörung im Keim erstickt. Der Schreiber kam zu dem Schluss, bei den Zeugen Jehovas handele es sich um „eine der am gefestigtsten, technisch entwickeltesten, kaum wahrnehmbaren Kooperationen mit der linken Seite, die mit bisher noch nicht greifbaren, gesetzlich kaum verfolgbaren Werkzeugen gegen das nationale und christliche Denken losschlägt“. Es handle sich um eine „fanatische Gruppe“ hinter „einer bürgerlichen Maske“, deren „bibelerklärende Agitation“ destruktiv sei und die auf eine „Teilung der Kräfte, den Umsturz der Ordnung und die Behinderung der Entfaltung der völkisch-nationalen Politik für ein soziales Ungarn“ abziele. Nachdem die Behörden die Organisation niedergeschlagen hätten, sollte sich nun die ungarische Gesellschaft, „denen entgegenstellen, die nach ihrem Bilde das ungarische Leben formen wollen, das aber nur so bleiben und sein kann, wie wir nationalen und christlichen Ungarn es wollen“.733 Auch die Zeitung „Esti Újság“734 vom 4. April 1937 titelte „Große kommunistische Organisation enttarnt“, und schrieb: „Die Gemeindeverwaltung der Komitate Szabolcs-Szatmár-Bereg und Ung […] und die Führer der christlichen Kirchen beschäftigten sich schon des Öfteren mit der Sekte, die in diesen Bezirken unter dem Namen ‚Jehovas Zeugen‘ bekannt ist. Diese Vereinigung wird von Behörden schon lange als kommunistisch verdächtigt. Sie überschwemmen […] die armen Gegenden mit phantastischen jenseitigen Versprechungen und sie haben ihre Bewegung jetzt schon auf […] das Gebiet jenseits der Theis ausgebreitet.“735 Eine andere Zeitung berichtete: „Die Debrecener Staatsanwaltschaft hat gegen 103 Sektierer Anklage wegen Hetze erhoben.“ Sie hätten in Flugblättern zum Thema „Wo sind die Toten“, die in Prag gedruckt wurden, die christlichen Kirchen als Verbündete Satans bezeichnet. Der Leiter der ungarischen Zentrale Gerhard Zennig sei zu drei Monaten Zuchthaus verurteilt worden. Die „Sekte hat viel Geld, da es sich bei ihren Druckerzeugnissen um luxuriöse Ausgaben auf sehr feinem Papier“ handelt. Davon hätte man in Europa 100 Millionen Exemplare beschlagnahmt.736 Offensichtlich versuchte man durch die Mittel der Presse, Front gegen die Gemeinschaft zu machen. Das sollte bewirken, dass die Missionstätigkeit bei den Menschen auf eine vorgefertigte Meinung stieß und somit erfolglos blieb. Es könnte aber auch auf die Meinung der Behördenmitarbeiter einwirken und sie gegen die Gemeinschaften einstimmen. Wie aus den Berichten hervorgeht, glaubte man die Organisation zerschlagen zu haben, 733 

Wahrscheinlich „Függetlenség“, 4.4.1937, 5. Jg., Nr. 75. UaP János Lakó.

734 Abendnachrichten.

Dirksen, Wechselnde Regimes, S. 109 f. Unbekannte Zeitung: „Jehova tanui“ vádlottak lettek [„Jehovas Zeugen“ wurden zu Angeklagten]. Datum unbekannt. 735 Vgl. 736 

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und müsse nun mit Hilfe der Bürger eine Neuformierung verhindern. Die in den Berichten immer wieder erwähnte Verbindung der Gemeinschaft zur Tschecho­ slowakei ist auch Ausdruck der Rivalität zum Nachbarn, gleichzeitig kursierte aber auch die Vorstellung, die tschechischen Behörden würden in Böhmen zwar die Tätigkeit der Gemeinschaft unterbinden, sie (wie auch die der kommunistischen Bewegungen) hingegen in der Slowakei fördern, da das dem ungarischen Staat schade.737 Ganz offensichtlich hatten die Behörden, möglicherweise in Verbindung mit VO 8.300/1936, eine groß angelegte, konzertierte Aktion gegen die Gemeinschaft vor allem in Ostungarn organisiert, wobei sie gegen die Zusammenkünfte auch mit radikaler Gewalt vorgingen. In einem Artikel der Zeugen Jehovas aus der Schweiz im Wachtturm vom Oktober 1937 wurde zu dem Vorfall berichtet: „Unter Anleitung einer hohen Verwaltungsstelle in Debrezin werden seit Mitte Februar gegen diese friedliebenden und gottesfürchtigen Menschen grausame Unterdrückungsmaßnahmen durchgeführt, in einer Form, die an Inquisitionsmethoden längst vergangener Jahrhunderte erinnert. […] Über 800 Haussuchungen wurden abgehalten. Sämtliche vorgefundene Literatur, darunter auch Bibeln, wurde und wird beschlagnahmt und vernichtet. Überall wiederholen sich bei solchen Anlässen die wildesten Prügelszenen. Aus Porcsalma, Tiszaeszlár, Büdszentmihály, Gáva, Nyíregyháza738 und vielen anderen Orten wurden schwere körperliche Mißhandlungen von Zeugen Jehovas seitens der Polizeiorgane gemeldet. Mit Gewehrkolben wurde auf diese harmlosen Menschen eingeschlagen, um sie zu einem Gesinnungs- und zu formellen Konfessionswechsel zu zwingen. In der Folge der Aktion wurden viele Zeugen unter Polizeiaufsicht gestellt, zu Haftstrafen verurteilt und zwei von ihnen in Internierungslager eingewiesen.“739 Über die Aktion hatte am 5. April 1937 auch die österreichische Zeitung „Der Morgen“ unter der Überschrift „Deutscher Kommunist in Ungarn verhaftet“ berichtet, wobei man von der Festnahme des kommunistischen Agitators „Bernhard Zennig [sic!]“ sprach.740 Daraufhin hatte sich die Gemeinschaft aus Bern an die Redaktion gewandt und erklärt, der Artikel entspreche nicht den Tatsachen. Man verwies darauf, dass Gerhard Zennig Zeuge Jehovas sei und damit unpolitisch und somit auch keiner kommunistischen Organisation angehöre. Zennig sei vielmehr Bevollmächtigter im „Dienste der amerikanischen philanthropischen Gesellschaft der WATCH TOWER; BIBLE AND TRACT SOCIETY“ in Ungarn. Gegen seine unrechtmäßige Inhaftierung seien bereits rechtliche Schritte eingeleitet worden. Diese Bemerkung zeigt, dass die Glaubensgemeinschaft sich ganz offensichtlich für die Freilassung Zennigs einsetzte. Bedeutsamerweise bezeichnet man ihn als einen Vertreter der amerikanischen und nicht der deutschen Organisation, die zu 737  MJTA,

DOK-102. Alles Orte in Ostungarn. 739  WtBTG (Hrsg.): „Goldenes Zeitalter“, herausgegeben in Bern, 15.10.1937, S. 11 f. 740  Dies.: „Goldenes Zeitalter“, 15.5.1937. Zitiert wird „Der Morgen“, herausgegeben in Wien, 5.4.1937, S. 5 – 7. 738 

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dieser Zeit ja nur noch im Untergrund existierte und die meisten der deutschen Glaubensangehörigen bereits inhaftiert waren. Tatsächlich reagierte die österreichische Zeitung „Der Morgen“ auf das Schreiben und korrigierte den Artikel, wobei erklärt wurde, dass Zennig „ein treuer Zeuge des Gottes Jehova ist, welche mit Politik nichts zutun haben“. Man entschuldigte sich damit, die Information einer amtlichen Nachrichtenstelle entnommen zu haben.741 Auch Zennig selbst reagierte auf die Anschuldigungen aus der Haft. Der „Esti Kurír“742 druckte seine Stellungnahme unter der Überschrift „Nem vagyok kommunista“ (Ich bin kein Kommunist) am 8. April 1937 ab. Seine Erklärung gibt Einblick in die Zuverlässigkeit der Presseberichterstattung. Zennig erklärte: „Ich bin in meinem ganzen Leben nicht in der Gemeinde Mátyus gewesen, noch nicht einmal in den Bezirken Szabolcs, Bereg und Szatmár, daher habe ich auch keine Versammlung abgehalten, keine Hetze getrieben oder eine andere Straftat begangen.“ Wie das Jahrbuch der Zeugen Jehovas von 1938 berichtete, wurde der Vertreter der Gemeinschaft in Budapest, also Gerhard Zennig, am 24. März verhaftet und aus Gründen der Gegenüberstellung trotz Krankheit extra nach Kisvarda transportiert.743 Der Bericht bestätigt auch, dass es sich um eine regelrechte groß angelegte Aktion handelte. Ferner wird berichtet, dass im März 1937 eine Pressekampagne einsetzte, wobei auch im Radio und von der Kanzel vor der Gemeinschaft gewarnt wurde. Weiter wurde von einem „Feldzug“ berichtet, der in Porcsalma (Nordostungarn) begann – hier wurden fünf Personen so heftig misshandelt, dass sie viele Tage arbeitsunfähig waren – und sich systematisch über ganz Nordungarn fortsetzte, wobei sich „die Prügelszenen“ überall wiederholten. Die Verhöre erfolgten einzeln, immer wieder mit Misshandlungen. Das betraf auch Zennig, der vom 25. bis 28. März Tag und Nacht vielfach brutalst verhört wurde.744 Nach drei Monaten Untersuchungshaft kam es zur Verhandlung und Verurteilung in Höhe von drei Monaten Haft, die mit der U-Haft abgegolten waren. Zennig wurde des Landes verwiesen.745 Die Religionsgemeinschaft wandte sich in der Sache an den ungarischen Ministerpräsidenten 741 Ebenda.

742 Abendkurier.

WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1938. Bern 1937, S. 216 – 221. Bericht hieß es„ „Obwohl er immer höflich blieb, ließ sich der Detektiv Balázs sehr von seiner Wut schnell fortreißen, schleuderte den Bruder [Gerhard Zennig] an den Haaren im Zimmer umher und riß ihm ganze Büschel Haare heraus. Das geschah mehrmals. […] Die Hände des Bruders wurden ihm auf dem Rücken zusammengebunden und dann über dem Kopf hochgezogen, bis die Füße kaum noch den Boden berührten. Dann wurden die Handgelenke umgedreht, darauf wurde er zu Boden geworfen mit dem Gesicht zur Erde, ein robuster Mann trat auf ihn, was für einen Nierenleidenden kein angenehmes Gefühl ist, zwei andere Männer drehten ihm die Füße nach dem Kopf hin.“ Ebenda. 745  Zennig war schon 1936 bei einer Reise in die Schweiz nach Luzern zu einem Kongress der Glaubensgemeinschaft zusammen mit Adolf Bender und dessen Frau, Gottlieb Dumberth und dessen Frau, Hermann Gädicke und Adolf Voß und dessen Frau, am 2.9.1936 in Schwarzach verhaftet worden. Gegen sie wurde am 22.10.1936 vor dem Gericht in Reichenhall wegen Verstoßes gegen die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat und gegen das Verbot der Bibelforscher verhandelt. Alle wurden mehreren Wochen Haft verurteilt, die 743 

744  Im

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Darány wie auch an Bethlen, erhielt aber keine Antwort.746 Das Vorgehen gegen die Gemeinschaft passt in das Konzept Darányis, der sich im Zuge der innen- und außenpolitischen Stabilisierung mit einer Razzia bereits gegen kommunistische Kräfte gewandt hatte. Mit dieser Aktion war es den Behörden gelungen, Verantwortliche der Gemeinschaft außer Kraft zu setzen. Auch die Zeitung „Függetlenség“ brachte weiter Vorwürfe vor, unterstellte kommunistisches Gedankengut und vermischte dabei die Gemeinschaften. In dem Artikel „Jehovas Zeugen“ vom 21. Juli 1937 wurde erklärt: „In bestimmten Kreisen ist heute viel von fremden Ideen die Rede. Bisher ist es nicht gelungen zu beweisen, daß die nationale rechte Seite versuchen würde, die christlichen Kirchen anzugreifen, zu untergraben, deren Schicksal eins ist mit dem Schicksal der Ungarn, deren Größe eins ist mit der Größe des Volkes. Einmal mehr zeigt sich, daß die marxistische linke Seite und mit ihr die halbroten ‚bürgerlichen‘ Verbündeten den christlichen Glauben bei uns zu erschüttern suchen. Jüngst erneut von Jehovas Zeugen, den Ibrányer Sektierern, kommt ein Bericht in einer kleinen polizeilichen Meldung. Dort, im weitentfernten Szabolcs [Nordosten Ungarns], arbeitet wieder der Moskauer Teufel. Mit gefälschter Bibel, mit aus Moskau nach Prag und von dort über Amerika nach Ungarn eingeschmuggelten Schriften verbreiten sie die wildesten, die extremsten kommunistischen Ideen. Die Ibrányer Ungarn bringen ihre Kinder schon nicht mehr zum Arzt, waschen sich nicht mehr, heiraten nicht mehr, taufen nicht mehr, weil alles das verbietet der rätselhafte, furchteinflößende Moskauer Jehova-Gott. In den strohgedeckten Ibrányer Hütten, in den neuen Gutsherren ergebenen Leibeigenen schlägt ein wahnsinniger, dunkler Aberglaube Wurzeln. Dort kennt man den wahren Gott nicht mehr. In Ibrány verleugnen sie schon jeden christlichen Glaubensgrundsatz, jegliche christliche Konfession. Moskau liefert die feinen fremden Ideen. Die Seuche kommt durch in versiegelten Paketen eingeschmuggelten gebündelten Schriften unter die Ibrányer Ungarn. […] Schwört nicht auch der Arbeiter so auf die Lehre von Marx, wie der Ibrányer Bauer auf die falsche Bibel? Glaubt nicht der Sektierer des Liberalismus genauso fanatisch, daß nur er mit seinen, wahrlich verdrehten Ideen, die Welt verändern könne? Plappern sie nicht unter einem genauso fremden, einschläfernden Einfluss nahöstliche Parolen von einem ‚neuen Heidentum‘, vom Schutz der Verfassung, von Ideen-Import, von humanistischer Demokratie und nationalistischer Barbarei, wie die unter fremdem verseuchten Einfluss schwörenden Jehova-Gott und der roten gefälschten Bibel der Ibrányer Ergebenen […] Gegen die falsche Religion der Armut, das grobe Hundskraut der Bibel des Moskauer Satan gibt es als wirkungsvolles Gegenmittel die nationale und volkssoziale Politik, das Kümmern um das Volk, was alles in letzter Zeit intensiviert wird. Die nationale Gesellschaft der gebildeteren Klasse muss ihrerseits das Gegengift hervorbringen, das endlich die ungarische Seele vor den Giften der falschen Lehren und der fremden Götter schützt, welche uns nichts durch die U-Haft verbüßt waren. Reichenhaller Tageblatt, Nr. 247, vom 23.10.1936. WTA, DOK 31/10/36. 746 Ebenda.

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nehmen und geben können.“747 Der Artikel strotzte nur so von falschen Informationen, vermischten Ansichten und Vorurteilen. Überzogene Darstellungen wie „die waschen sich nicht“ erregen Emotionen, produzieren Abscheu. Deutlich wird auch die möglicherweise bewusste Vermischung von Gemeinschaften und Ansichten: Jehovas Zeugen, Ibrányer, Kommunisten, alles eins – das klang nach explosiver Mischung. Kein Wunder, dass auch die Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehren. Immer wieder dringt die Angst durch, Nation und Tradition könnten durch fremde Ideen zerstört werden oder Schaden erleiden. Liberalismus, humanistische, demokratische Ansätze, die das einfache Volk, hier besonders den Bauern, ansprechen könnten, waren Gift. Für nichtmagyarisch fokussiertes Denken, Gedanken- bzw. Meinungsfreiheit war kein Platz in der Gesellschaft. Da war es nur passend, dass der „Schutz der Verfassung“ in dem Artikel in einem Atemzug genannt mit „neuem Heidentum“, dem „Ideen-Import, humanistischer Demokratie“. Die Erwähnung des Schutzes der Verfassung an dieser Stelle könnte darauf zurückzuführen sein, dass sich die Gläubigen immer wieder auf die Verfassungsgesetze berufen haben. Auffallend ist die große Linie in dem Artikel: Die Kommunisten wollen die historischen Kirchen angreifen, mit denen Ungarn steht und fällt – es ging um das „Schicksal Ungarns“. Wahr oder unwahr, spielte kaum eine Rolle, die Wirkung war wichtig. An den Leser, der aufgerüttelt und abgeschreckt werden sollte, erging die Botschaft: Lasst die Finger von dem neuen Gedankengut, es zerstört die Tradition, die Heimat, unterstütze vielmehr die historischen Kirchen. In der Folge der Aktion wurden mehrere große Verfahren im Nordosten Ungarns geführt. Dazu zählt wohl auch das gegen 13 Einwohner von Hajdúszoboszló, darunter 5 Frauen, eingeleitete Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft Debrecen, wobei wiederum Druckschriften eine wichtige Rolle spielten. In der Anklageschrift vom 6. August 1937 warf man den Angeschuldigten vor, Zeugen Jehovas zu sein und mit Druckschriften bewusst Hetze gegen Religionen und Klassen zu verüben, wobei seitenlang aus den Publikationen der Gemeinschaft zitiert wurde.748 Eine weitere Anklagschrift aus dem Jahr, genaues Datum unbekannt, richtete sich gegen 32 Personen, darunter 14 Frauen, aus Balmazújváros. Zu den Angeschuldigten gehörte auch Elek Nemes, der im Verlauf der weiteren Untersuchungen noch eine Rolle spielen wird. Angeklagt waren Zeugen Jehovas und andere (zum Beispiel Baptisten und reformierte Christen), die sich für die Lehren

747  „Függetlenség“ vom 21.7.1937. Chefredakteur der Zeitung war seit Mai 1937 Mihály Kolosváry-Borcsa, der nach dem Ersten WK der nationalen Armee Horthys beitrat und teilweise direkt für Horthy persönlich tätig war. Kolosváry-Borcsa begeisterte sich für die politischen Ansichten Gömbös’. 1935 war er sogar in dessen Presseabteilung tätig. Ab 1938 leitete er die Presseabteilung unter der Imrédy Regierung. Im Juni 1939 avancierte er zum Chef der Pressekammer (Országos Magyar Sajtókamara). Ab 1939 war er auch wieder Chefredakteur der „Függetlenség“. Unter Sztójay kam er in den Bereich des Staatssekretariats. 1946 wurde er hingerichtet. Magyar életrajzi lexikon [Lexikon ungarischer Lebensläufe]. http://mek.oszk.hu/00300/00355/html/ABC07165/08229.htm (Zugriff am 22.10.2013). 748  MJTA, DOK-2907. Anklageschrift, Az. 1937.B.1970/9.

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interessierten. Erneut setzte man sich in der Anklageschrift mit Inhalten der Publikationen auseinander.749 Wie sich das Vorgehen der Behörden auf den einzelnen Glaubensangehörigen ausgewirkt haben kann, soll der Fall des von der Aktion betroffenen Zeugen Jehovas Imre Andorkó deutlich machen, der in Hajdúböszörményi wohnte, im Komitat Hajdú, angrenzend an die Komitate Szatmár, Szabolcs. Die Polizei vor Ort behauptete, Jehovas Zeugen würden „kommunistische Lehren“ und „Irrlehren gegen christliche Glaubensgemeinschaften“ verbreiten sowie „Presseerzeugnisse, deren Inhalt dem Umsturz des Staates und der Gesellschaft dienen können, die verboten sind“.750 Andorkó war wegen „Verweigerung der Leistung des militärischen Schwurs sowie wegen Abhaltens unerlaubter Zusammenkünfte bereits mehrfach vorbestraft“. In den Akten hieß es, dass er, „als er im April 1937 erfuhr, dass gegen die Sekte ermittelt wird, gemäß seiner Einlassung viele Publikationen vernichtete und durch andere Sektenmitglieder vernichten ließ“. Man warf ihm vor, bei Zusammenkünften, die „ohne behördliche Genehmigung“ stattgefunden hätten, Bibelerklärungen abgegeben zu haben, was man als Hetze auslegte. Durch seine Handlungen habe er „bewiesen, dass er den bestehenden Staat und die gesellschaftliche Ordnung stürzen will und vom Standpunkt der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit eine gefährliche Tätigkeit ausübt, die auch die Verfügung einer Internierung begründet“. Der in Budapest für die Provinz zuständige Polizeipräsident ordnete am 30. Juni 1937 auf der Grundlage der Internierungs-VOen 4.352/1920 und 3.000/1922 eine Internierung Andorkós an und bestätigte damit einen Beschluss der Polizeihauptmannschaft von Hajdúböszörmény vom 22. Juni 1937, gegen den Andorkó appelliert hatte.751 Die Behörden kamen zu dem Schluss, Andorkó habe bewiesen, „den bestehenden Staat und die gesellschaftliche Ordnung“ stürzen zu wollen und er würde „vom Standpunkt der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ eine gefährliche Tätigkeit ausüben, die seine Internierung begründe.752 Schließlich richteten sich die Internierungsverordnungen gegen alle, aus Gründen der Staatssicherheit und der Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung und des Friedens gefährlichen, bedenklichen und verdächtigen, Personen, inklusive kommunistisch orientierter Individuen. Die politische Ordnungsabteilung der Polizei Budapest berichtete auf dieser Argumentationslinie dem Innenminister am 24. Juni 1937, das Polizeikommando Hajdúböszörmény habe „bei Angehörigen der ‚Jehova Gott Zeugen‘-Sekte Presseerzeugnisse gefunden, die kommunistische Lehren beinhalten, Irrlehren gegen christliche Gemeinschaften, ferner Nachrichten, 749 

MJTA, DOK-105, Anklageschrift, Az. 1937.B.2978/1. MOL, K149 – 1937 – 7 – 9580, Bl.  234, 4.6.1937. 751  Ebenda, K150 – 1939-VII-9, Bl. 30 f. In den Gründen, die von Missinterpretation und Unkenntnis zeugen, wurde unter anderem behauptet, Zeugen Jehovas würden die Behörden in ihren Zusammenkünften „als wildes Tier“ bezeichnen, die Geistlichkeit „als im Schafspelz versteckte Wölfe“, das „Militär als eine hurerische Organisation“, „da sie die Menschen belehrten, einander umzubringen“. 752 Ebenda. 750 

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die geeignet sind, den Staat und die Gesellschaft umzukehren, die als Ausgaben des Watsch Tower Büros [sic!] im Land verboten sind. […] Der Verbreiter dieser Irrlehren bzw. der Bibelerklärer war der 32-jährige Schmiedemeister Imre Andirko [sic!], sein Gehilfe der 33-jährige […] Sándor Varga wie auch dessen 28-jährige Frau. Das Polizeikommando hat sie in Untersuchungshaft genommen und […] der Debrecener kgl. Staatsanwaltschaft übergeben. Darüber hinaus werden die übrigen an der Sektenbewegung beteiligten Einwohner polizeilich ermittelt“.753 Am 10. Juli 1937 sandte das Polizeipräsidium die Unterlagen an den Innenminister, der eine Revision des Beschlusses ablehnte, zugleich aber die Internierung aufhob und Polizeiüberwachung anordnete und diese auch mehrfach weiter verlängerte.754 Wie die Berichte zeigen, ließ der Betroffene sich nicht wirklich einschüchtern, sondern setzte seine Tätigkeit fort, wenngleich offensichtlich vorsichtiger und unauffälliger. So unglaubwürdig die in der Presse veröffentlichten Kommunismus-Vorwürfe auch klingen mochten, sie scheinen ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben, wie der Fall von József Majoros und zwei anderen Bürgern aus Hosszuláz (Sátoraljaúj­ hely, Nordungarn) zeigt. Der Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely wandte sich am 27. November 1937 an den Oberarzt und Direktor des dortigen Krankenhauses und teilte ihm mit, dass Majoros und die beiden anderen „wegen antireligiöser Hetze ihre Religion verlassen haben und Anhänger der Kommunisten ‚Jehovas Zeugen‘ wurden“. Er teile die Auffassung, dass solche Personen „vom Staat und den Behörden in keinster Weise unterstützt werden“ sollten. Ihm sei zur Kenntnis gekommen, dass an diese Personen aus dem Krankenhaus geistig Kranke zur Pflege in der Familie überstellt worden wären, was ihnen materielle Vorteile gebracht hätte. Der Oberstuhlrichter fordert auf, das zu unterbinden.755 Dem Oberstuhlrichter war zuvor vom Kreisnotariat zugetragen worden, Majoros würde seinen 16-jährigen Sohn, einen Levente-Jungen zwingen, ein Gläubiger zu werden. Möglicherweise hat der Vater die Teilnahme seines Sohnes in der militaristischen Levente-Organisation, die der Hitler-Jugend glich, nicht gutgeheißen. Aufgrund ihrer Nichtteilnahme an Aktivitäten der Hitler-Jugend kam es für Kinder von Zeugen Jehovas in Deutschland zu heftigen Schwierigkeiten.756 Majoros’ Sohn brachte jedoch vor, regelmäßig zur Levente-Ausbildung und am Sonntag in die historische Kirche zu gehen.757 In 753 

Ebenda, K149 – 1937 – 7 – 9580, Bl.  234. K150 – 1939-VII-9, Bl. 25 – 29. Auf Ersuchen der Polizei vom 4. Dezember 1937, die Überwachung von Andorkó weiter aufrechtzuerhalten, weil er in den Wintermonaten heimlich Zusammenkünfte abgehalten habe, bei denen es zu kommunistischen Agitationen kam, stimmte der Innenminister am 21. Dezember zu. Ebenda, Bl. 23 f. Auch am 30. März 1938 und am 26. Juni 1938 stimmte der Minister einer weiteren Verlängerung zu. Ebenda, Bl. 20 f. Auch am 17. Januar 1939 erklärte die Polizei, Andorkó sei gefährlich für Staat und die gesellschaftliche Ordnung und bat um weitere Verlängerung, ebenso am 28. April und am 7. August 1939. Ebenda, Bl. 14, 16, 18. Offensichtlich hat der Minister jeweils zugestimmt; am 11. August 1939 verfügte er erneut die Verlängerung. Ebenda, Bl. 13. 755  MJTA, DOK-100. 756  Vgl. auch Verfahrensweise mit Eltern bzw. Kindern, die sich nicht in die Volksgemeinschaft einfügten: Dirksen, Children, S. 190 – 198. Garbe, Widerstand, S. 213 – 220. 757  MJTA, DOK-228. 754  Ebenda,

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einem anderen Fall setzten die Behörden von Alsóbereck am 4. Dezember 1937 Vince Fedék unter Druck, mit „dem Bibellesen“ aufzuhören, sonst würde ihn die „Weide-Gemeinschaft“ rauswerfen und des Ortes verweisen.758 Die Wirkung der Vorgehensweise der Behörden und der Presse auf die Bevölkerung war aber offensichtlich unterschiedlich. Kurze Zeit nach diesen Vorgängen und nach der Großaktion gegen Zeugen Jehovas berichtete der Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely am 29. November 1937 der für Sátoraljaújhely, Mikójáza und Vadácska zuständigen Gendarmeriekommandostelle, viele hätten in den Gemeinden ihre Religion aufgegeben und hätten sich extremen Sekten angeschlossen, wobei auch Verbindungen in die Tschechoslowakei bestünden. Zur besseren Kontrolle und zur Unterbindung des grenzüberschreitenden Verkehrs sollten daher die Personen festgestellt und ständig registriert werden. Er bat um Anfertigung einer Aufstellung „der Bibelleser“ mit Namen und Beschäftigung, wahrscheinlich um eine Überwachung zu veranlassen.759 In der Folge übersandten im Verlauf von drei Wochen die einzelnen Gendarmeriestellen Listen vor allem mit Nachweisen über „die Bibelforscher und Jehova Anbeter“, erwähnten dabei aber auch andere Gemeinschaften.760 Unter Bezug auf diese Anordnung 1.740/1937 benannte zum Beispiel die Vajdácskaer Gendarmeriestelle am 4. Dezember 1937 namentlich fünf Zeugen Jehovas und drei Glaubensangehörige der Pfingstgemeinde aus der Gemeinde Karos.761 Das Alsóberecker Kreisnotariat listete am ebenfalls 4. Dezember namentlich 15 „Bibelleser/Zeugen Jehovas“, darunter teilweise die von der Vajdács­kaer Gendarmerie benannten, und fügte den jeweiligen Beruf hinzu.762 Damit schien das Berichtswesen zumindest teilweise in Gang zu kommen. Wie aus späteren Dokumenten hervorgeht, war 1937 – offensichtlich in Verbindung mit der Aktion – das „ungarische Zweigbüro der Bewegung aus verwaltungsrechtlichen Gründen verboten“ worden,763 wobei sich die Gemeinschaft heimlich weiterorganisierte. In einem Bericht der Budapester Oberstadthauptmannschaft, Politische Abteilung, vom 28. August 1940 hieß es, dass sie getarnt als Handelsfirma im ganzen Land tätig war. Die Behörden hätten zwar „die Tätigkeit des ungarischen W. T.-Zweiges nach der Enttarnung am 19.12.1937“ eingestellt, aber im Untergrund wäre man weiter aktiv. Domonkos Gombos habe die Leitung der Organisation übernommen, später György Dzsamonya, der zusammen mit József Klinyecz (aus Nagykőrös) und Sándor Varga (aus Debrecen) die Tätigkeit in Ungarn umorganisiert habe. Man habe Zonendiener eingesetzt und das Land in 8 Zonen aufgeteilt.764 758  MJTA,

DOK-101. MJTA, DOK-278, Az. 1.740/1937. 760  Ebenda, DOK-278, DOK-257, DOK-259, DOK-260, DOK-101, DOK-253, DOK-258, DOK-256, DOK-279. 761 Ebenda. 762  Ebenda. Berufe wie Bauer, Schmied, Schäfer, Hausfrau usw. 763 Ebenda, DOK-102, DOK-1176. Unterlagen zum Verfahren vor dem Generalstabs­ gericht Az. H. 368/42. 764  Ebenda. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  124 – 131. Bericht der politischen Abteilung der Budapester Polizei, Oberstadthauptmann, vom 28.8.1940. 759 

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Nach der umfassenden Aktion gegen die Gemeinschaft erging am 19. Dezember 1937, also genau am Tag der Schließung der Zentrale der Zeugen Jehovas in Budapest, ein schwerwiegender Bericht der Politischen Ermittlungshauptgruppe der Oberstadthauptmannschaft der ung. kngl. Polizei an den Oberstadthauptmann,765 in dem ganz explizit auf die Gefahr der Zeugen Jehovas hingewiesen wurde, und darauf, dass sie „zurzeit durch den Handelsbetrieb Watch Tower Bible and Tract Society Bibelgesellschaft Ungarn mit ihren Presseerzeugnissen“ überschütteten und „nicht nur in Budapest, sondern auch in Prag, Bern, Brooklyn bereitgestellte Druckschriften in den Verkehr“ brächten.766 Auf der Umseite des Dokumentes findet sich der Zweck des Schreibens: „Zur Aufdeckung der in Ungarn erneut auftauchenden Watch Tower“. Darunter stand handschriftlich wahrscheinlich vom Innenministerium, bei dem der Bericht am 22. Dezember 1937 einging, „große Verordnung an die Polizei“, was die Relevanz betont. Es wird darauf verwiesen, dass Dwenger, der eingetragene Vertreter des Firmenbüros Watchtower Society in Budapest, zurück nach Deutschland gegangen sei und dass sich unter Zennig eine „starke Propaganda und organisierte Tätigkeit“ entwickelt habe: „Im Herbst 1936 war plötzlich eine große Aktivität zu verspüren. Die Arbeit von Gerhard Zennig und Kollegen begann aufzugehen, die Presseerzeugnisse wurden in riesigem Ausmaß verbreitet und das wirkliche Ziel beginnt deutlich zu werden.“ Ansatzweise zeigt der Bericht auf, woran man die Gefahr der Gemeinschaft festmachte und was man als Hetze gegen die historischen Kirchen verstand. So würden die Zeugen den Kirchen vorwerfen, ihrer Berufung nicht zu entsprechen, die Christenheit zu kompromittieren und sich zu „Vertretern Satans“ zu machen. Einen Beleg dafür fand der Berichterstatter zum Beispiel in den Veröffentlichungen „Sámson“767 und „Abdias“768, in denen es um die Rolle der katholischen Kirche und ihre politische Einflussnahme ging.769 Zu solchen Reibungen zwischen den Zeugen und den traditionellen Kirchen kam es nicht nur in Ungarn. Detlef Garbe zufolge beruhte die Kontroverse nicht nur „auf der allen konkurrierenden Glaubensgemeinschaften entgegengebrachten kirchlichen Sorge, daß aufgrund der Missionsbemühungen größere Verluste in der eigenen Mitgliederschaft eintreten könnten, sondern stärker noch auf der von den Bibelforschern betriebenen antikirchlichen Polemik“. Wie er erklärte, wurden die Kirchen „an den ‚biblischen Maßstäben‘ gemessen und sodann zu ‚falschen Religionen‘ […] erklärt“. Und die „Religionen, die sich

765 

Ebenda, K149 – 1937 – 7 – 12259. wurden die Titel von 50 verschiedenen Presseerzeugnissen (Faltblätter, Zeitschriften, Broschüren, Bücher). Im Bericht wurde auf die Innenminister-VO 6200/1929 verwiesen, mit deren Hilfe „die Polizeibehörde die bedeutendste Form des Agitationsmittels der Sekten, die Verbreitung von Presseprodukten auf der Straße und hausierend ohne Erlaubnis, mit wachsamer Kontrolle verhindern“ sollte. 767 Simson. 768 Obadja. 769  Bei diesen Veröffentlichungen handelt es sich eigentlich um Ausgaben des „Wachtturms“, die mit neuen Namen ins Land geschmuggelt wurden. 766  Aufgelistet

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den Regierungen bedingungslos verschrieben hätten, bezweckten lediglich, die Menschheit in die Irre zu führen.“770 Doch der Bericht verwies auf ein viel größeres Problem: „Sie haben eine antimilitaristische [also militärfeindliche] und antinationale Gesinnung, da für sie die ganze Welt eine Kirche ist und in ihr sind alle Millenisten Brüder.771 Die Ländergrenzen […] sind für sie nicht gültig. […] Sie zeigen auf, dass im Neuen Testament nirgendwo darauf hingewiesen wird, den Patriotismus zu unterstützen. Alle Staatsgebilde seien ungerecht und unvollkommen, dienten den egoistischen Interessen ihrer Führer. […] Sie lehren, dass die alte Ordnung zu Ende geht und die neue folgt.“ Die Lehre vom jüngsten Gericht Gottes interpretierte man als Angriff auf die Staatsorgane, obgleich sie zur christlichen Lehre im Allgemeinen gehört. Das trifft auch auf das Argument der „Missachtung“ der Landesgrenzen, die Zusammengehörigkeit von Christen unabhängig von der Herkunft, zu – genau wie auf das zu erwartende Paradies, der „neuen Ordnung“, der man „kommunistische Züge“ unterstellte. Dabei wurde ein Prediger zitiert: „Es kommt das Goldene Zeitalter, da alle glücklich sein werden auf der Erde, alle gleich sein werden, sie einen gemeinsamen Backofen haben, an dem jeder gleiche Anteile hat.“ Dem Polizeibericht zufolge lehrte man auch, „die Juden würden die Führer der neuen Welt und Jerusalem die Hauptstadt“. Da dem Verfasser ganz offensichtlich der direkte Beleg für eine Kommunismusverbindung fehlte, erklärte er, dass die Lehren der Gemeinschaft einen Übergang zum kommunistischen Denken leicht machen würden. Doch gleich anschließend behauptete er, russische Kreise verlautbarten, diese neue religiöse Lehre würde den bisherigen Widerstand der antibolschewistischen Kirchen brechen. Und dann wird deutlich, wie schnell aus einer puren Annahme, ein Fakt konstruiert wurde: „Ihre Glaubensansichten stimmen im Allgemeinen mit der marxistischen Ideologie überein, mit dem Unterschied, dass sie den Rechtsgrund für eine soziale Einrichtung auf kollektiver Grundlage aus der Bibel nehmen. Unter diesen Umständen liegt es auf der Hand, dass die Moskauer Komintern die Sekte nutzt, um eine agitative Möglichkeit zu schaffen, wonach die, die wie gemeinhin bekannt einer antireligiösen kommunistischen Partei nicht beitreten wollen, durch die Sekte zu Kommunisten werden oder wenigstens mit der kommunistischen Bewegung sympathisieren. So wird die Millenistensekte zur halblegalen Organisation der kommunistischen Bewegung.“ Mit dieser Argumentation machte der Schreiber aus der religiösen Gemeinschaft eine „halblegalen Organisation“, eine „Deckorganisation“, die als „kombinierter Zeitungsapparat“ begann und mit Presseerzeugnissen „verschleiert arbeite“. Somit war für ihn die Kategorisierung klar und genügend begründet: „Nach dem Stand der Dinge steht es außer Frage, dass das Ziel der Bewegung, die Verbreitung der Ideologie in Wort und Tat staatsund gesellschaftsfeindlich ist.“ Der Innenminister hätte daher bereits im Oktober 1924 mit der VO 208.458/1924 „die Tätigkeit des oben beschriebenen Sektengebildes verboten“. Gleichwohl musste der Schreiber einräumen, dass „die Leute von 770  771 

Garbe, Widerstand, S. 70. Also Zeugen Jehovas.

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der Watch Tower Bible and Tract Society behaupten, keine umstürzlerischen Ziele zu haben“. Ihre religiösen Presseerzeugnisse würden nur „biblische Wahrheiten zum Inhalt haben, die Menschen nur Nächstenliebe lehren, gegen Glaubensgemeinschaften, Priester würden sie nicht hetzen“. Dem hielt der Schreiber entgegen, „die Tätigkeit dieser Sekte [richte sich] gegen staatliche, gesellschaftliche, kirchliche und militärische Einrichtungen. Bei unseren Ermittlungen sind wir in den Besitz von Briefen und Rechnungen gekommen, die das neben den von ihnen herausgegebenen Presseerzeugnissen zweifelsfrei bestätigen.“ Was genau durch die Briefe bzw. Rechnungen belegt werden konnte, verschwieg er. Er verwies jedoch auf Druckschriften der Zeugen, die sich gegen die historischen Kirchen wandten und zitierte: „In jedem Land wollten sie Gottes treue Diener in den Krieg zwingen. Unter dem Mantel der gesetzlichen Wehrpflicht war die Geistlichkeit auf die Vernichtung der treuen Diener Gottes aus, die aus Gewissensgründen nicht am Krieg teilnehmen wollten.“ [Unterstreichung im Original] Oder „Die Geistlichkeit konnte im Weltkrieg jeden vom Wehrdienst befreien, den sie befreien wollte, gleichzeitig war sie auf die Vernichtung der Jehova treuen Dienerschaft aus, die aus echten Gewissensgründen, nicht an dem Massaker beteiligen wollten, weil das eine Übertretung des alten Bundes wäre“ [Unterstreichung im Original]. Dieser Verweis machte zugleich die von den Behörden nicht duldbare Haltung der Zeugen zum Militärdienst deutlich. Der gesamte Polizeibericht bestätigt auch die Annahme, dass den Behörden die große Aktivität und die starke Zunahme suspekt waren, und ein Gewähren ihrer Tätigkeit angesichts der politischen Lage nicht opportun erschien. So kommentierte der Schreiber: „Es wird deutlich, dass ihre Organisation das Land bis jetzt schon reichlich überzogen hat, was sich bis Jugoslawien und Italien auswirkt.“ Und stellte fest: „Nach den vergangen Jahren Tätigkeit erreichte die Bewegung ihren Höhepunkt. Das Ganze hängt damit zusammen, dass in dieser Zeit aus Deutschland, also aus der Magdeburger Zentrale, teilweise hierher gesandte Emigranten, ihre organisatorischen Fähigkeiten für diese Ziele einsetzten.“ Danach listete er ihm bekannte deutsche Zeugen auf.772 Gleichzeitig wurden auch eine ganze Reihe ungarischer Zeugen namentlich benannt, darunter der bereits bekannte Imre Andorkó. Dass für das Eingreifen der Behörden auch die Zeitungsberichte eine Rolle spielten, wird deutlich, wenn es im Bericht heißt: „Im November-Dezember 1936 waren ihre Agitatoren unter religiösem Mäntelchen in der […] Schule von Szeged Királyhalom so stark tätig, dass die Szegeder [Zeitungen] ‚Tanyai Újság‘ und die ‚Esti Újság‘ sich mit der Sache auseinandersetzten. In der Tanyai Újság schrieb man, dass hinter den Zeugen Jehovas bolschewistische Propaganda läuft und sie die Kinder so in die bolschewistische Lehre einführen.“773 Die Emoti772 Darunter Berta und Betti Bender, Karl Bender, Anna und Oskar Hoffmann, Richard Schuricht, Hermann Gädicke, Paul Möbius. 773  Die „Tanyai Újság“ [Gehöft Zeitung] hatte am 6. Dezember 1936 davon berichtet und die Nemzeti Újság [Nationale Zeitung] nahm dann am 4. November 1937 darauf Bezug unter der Überschrift „Die ‚Jehova Gott Zeugen‘ sind Kommunisten – stellt die Szegeder Tafel fest“. Es wurde berichtet: „Kommunisten wiegeln in Form von Bibelerklärungen die Tanya Bevölkerung auf“, wobei es um einen Zeugen Jehovas ging, den Schuhmachergehilfen Fe­

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onalität, ja Verachtung, und damit erklärbare Subjektivität des Berichterstatters zeigt sich in seiner Beschreibung der Publikationen, wonach sich die Lehre gegen Religion, Priester, die gesetzliche Ordnung des Staates, die Gesellschaft und das Militär richtete, und in der Lage sei, „Hass und niedere Leidenschaften auszulösen“ und „sogar implizit kommunistische Lehren“ verbreitete, „indem sie in Aussicht stellen, dass der staatliche und gesellschaftliche Umbruch naher Zukunft eintreten muss und die Zeit der großen Abrechnung kommt“. Er schloss: „Wir könnten große Bände über diese Quatsch-Lehren schreiben, mit denen sie das Volk vom Dorfe traktieren. Es gibt zahllose solche Aufwiegelungen.“ Der Bericht schloss mit der Aufforderung: „Das baldige Eingreifen des Innenministers wird als nötig angesehen, um die ländlichen Polizeibehörden erneut auf diese Bewegung aufmerksam zu machen und sie dahingehend zu beauftragen, gegen die weitere Ausbreitung der Sekte vorzugehen.“774 Dieser einschlägige Bericht der einflussreichen Politischen Ermittlungshauptgruppe der Polizei und deren nachdrückliche Forderung, einzugreifen, dürfte beim Innenministerium nicht ohne Wirkung geblieben sein. Gleichzeitig war der Schreiber sich der Pflicht der Wahrung der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit bewusst, wenn er eingangs im Bericht ausführte: „Die rechtliche Lage der Anhänger der außer dem Kreis der rezipierten und gesetzlich anerkannten Religionen stehenden Glaubensgemeinschaften, Sekten, regeln die prinzipiellen Bestimmungen von § 1 XLIII/1895 über die freie Religionsausübung und mit dem XXXIII/1921 im Gesetz festgesetzten § 55 des Trianoner Friedensvertrags.“ Allerdings dürfte man im „Geist der eben erwähnten Gesetze“ nicht gegen „Rechtsvorschriften verstoßen, keine staats- und gesellschaftsfeindliche Tätigkeit durchführen und nicht gegen die öffentliche Ordnung und Moral“ zu­widerhandeln. Hinsichtlich der Zusammenkünfte wurde gefordert, darauf zu achten, dass „sich keine Kommunisten dorthin eingeschlichen haben“. Der Vorwurf, die Zeugen würden Staatsorgane angreifen und es auf den Umsturz der Ordnung abgesehen haben, war schwerwiegend und kam dem Vorwurf von Aufruhr nach GA III/1921 gleich, der wie folgt definiert wurde: „Aufruhr kommt dadurch zustande, dass die Masse mit Gewalt ihren Willen über die Faktoren der Staatorgane oder über die gesellschaftlichen Klassen erheben will. Der Aufruhr wird also immer nur durch Zusammenrottung ausgeführt, wobei es allerdings nicht nötig ist, dass die aufrührerische Gruppe ihr geplantes Ziel erreicht, da die Tätigkeit der Staatsmacht auch durch solch bedrohende Auftritte gestört werden kann und die unmittelbare Gefahr schon mit der Zusammenrottung besteht.“ Zwei Hauptpunkte wurden hervorgehoben: Zum einen, dass „die Gruppe die Gesetzgebung oder die Regierung, die zwei Hauptorgane der Staatsmacht, angreift“, renc Juhász, der an einer Schule Schriften mit „aufreizender Propaganda“ vertrieben und einen Vortrag gehalten hätte, wobei er gesagt haben soll, dass die Lehre Staatsoberhäupter, Kirchen und Landesgrenzen nicht anerkenne. Juhász hatte den Schreiber des Artikels wegen Rufschädigung verklagt, worauf die Szegeder Tafel (zweite Gerichtsinstanz) in der Beurteilung der Sache zu dem Schluss kam, „dass der Hauptprivatkläger und seine Genossen Kommunisten sind“. 774  MOL, K149 – 1937 – 7 – 12259, Bl.  340 – 353.

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zum anderen „die Zusammenrottung zu einer Organisation oder Gemeinschaft aus Zwecken des Umsturzes“. „Nach §  142 Btk. [StGB] ist Aufruhr die Zusammenrottung, die direkt auf den Sturz der verfassungsrechtlichen Ordnung des Landes abzielen oder die Ausübung der Vorschriften mit gefährlichen Angriffen zu behindern suchen, oder sie zu einer Tätigkeit oder zu einer Entscheidung oder einer Unterlassung zu zwingen.“ „Im Sinne von § 153 Btk. zählt zu Aufruhr auch die Zusammenrottung, die sich gegen irgendeine bürgerliche Klasse, Nationalität oder Glaubensgemeinschaft richtet.“775 Die Vermutung, dass die Groß-Aktion von Gendarmerie und Polizei gegen Zeugen Jehovas ausgelöst wurde, weil der Gemeinschaft aufgrund ihrer starken Aktivität aufgefallen war und Anhänger fand, könnte durch den Bericht Dwengers Bestätigung finden. Er erinnert sich, dass sie, nachdem er 1933 nach Ungarn gesandt worden war, in Budapest Wege fanden, verschiedene Broschüren und die Zeitschrift „Der Wachtturm“ zu drucken. „Die Behörden unternahmen zunächst nichts gegen die Verbreitung der Königreichsbotschaft, und die Brüder in ganz Ungarn beteiligten sich rege an der Verbreitung der Schriften.“ Auf diese Weise hätten sich viele der Gemeinschaft angeschlossen. Etwa zwei Jahre hätten sie „die Königreichsbotschaft in Ungarn ungehindert verbreiten“ können.776 Man muss sich vorstellen, dass sich die meisten der Anhänger am Predigen beteiligten, also nicht nur einige ausgewählte Prediger unterwegs waren. Das muss den Behörden den Eindruck einer riesigen Anhängerschaft vermittelt haben und erklärt, warum die Gemeinschaft so stark in den Fokus geriet. Spätestens nach der VO 8.300/1936 versuchte man, die Tätigkeit in gezielten Aktionen zu paralysieren. Ein Mittel war das Unschädlichmachen ihres Anführers Zennig, aber auch Verfahren gegen viele Anhänger. Auffällig ist immer wieder das Argument der Kommunismus-Nähe der Lehre. Ganz offensichtlich war das die wirkungsvollste Waffe, die Tätigkeit der Gemeinschaft nicht zuletzt mit Unterstützung der Presse einzudämmen und damit ein Feindbild zu schaffen. Mit den brutalen Verhörmethoden und dem gewaltsamen Einsatz gegen religiöse Zusammenkünfte verstieß man auch gegen ungarische Strafgesetze – ganz zu schweigen von den Menschenrechten777 – und man stand im völligen Gegensatz zum Anliegen von GA XLIII/1895, in dem es um ein friedliches multireligiöses Miteinander ging, und von GA XXXIII/1921, wonach allen Staatsbürgern unabhängig von „Religion, Glauben und Bekenntnis“ die gleichen bürgerlichen und 775  Ebenda, K149 651 – 5 – 4, Anlage zur IM VO 600/1922. Mit dem Strafgesetzbuch ist wohl der sogenannte Csemegi-Kodex gemeint, GA V/1878. 776  WtBTG, Der Wachtturm v. 15.9.1980, S. 348 – 351. 777  Wenngleich das die Menschenrechte erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10.12.1948 kodifiziert wurden, war ihr Konzept bereits bekannt und fand auch in die Verträge nach dem Ersten Weltkrieg und die Völkerbundsatzung Eingang. Zum Beispiel verpflichtete sich Ungarn im Vertrag von Trianon, Artikel 55 auch dazu, „allen Einwohnern Ungarns ohne Unterschied der Geburt, Staatsangehörigkeit, Sprache, Rasse oder Religion vollen und ganzen Schutz von Leben und Freiheit zu gewähren“.

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politischen Rechte zu gewähren waren.778 Die Entwicklungen passen allerdings in das Bild der zunehmenden Rechtsorientierung des Landes und Ausrichtung an Hitler bzw. an Mussolinis Strategie. Schließlich galt in Italien „die Existenz anderer Religionen als der katholischen als schädlich“, weshalb die Anhänger kleiner Religionsgemeinschaften verfolgt und ihre Druckschriften verboten wurden. Mussolini hatte 1934 erklärt: „Die religiöse Einheit ist eine der großen Kräfte eines Volkes. Sie zu gefährden oder auch nur infrage zu stellen ist ein Verbrechen gegen das Wohl der Nation.“779 Für die Zeugen Jehovas in Ungarn hatten die Restriktionen zur Folge, sich nach Auflösung ihrer Zentrale in Budapest im Dezember 1937 im Untergrund neu organisieren zu müssen. Im Zuge der Umsetzung von VO 8.300 waren die Behörden von Beobachtungen und Störmaßnahmen zu gewaltsameren Mitteln übergegangen. Die Phase der Ambivalenz der 1920er-Jahre war endgültig vorbei, man bemühte sich um Neutralisierung, sogar Paralysieren der Tätigkeit. Auf die Frage, wie es kommt, dass man kleine Religionsgemeinschaften immer wieder als Kommunisten bezeichnete, obwohl das Verkünden eines Paradieses, in dem alle Menschen gleich sind und es keine Grenzen gibt, und die Ansicht, Güter miteinander zu teilen, noch keine kommunistische Auffassung ausmachen, gibt ein Artikel der „Nemzeti Újság“ (Nationale Zeitung) Antwort. Darin wird ein Gericht in Szeged zitiert, die Szegeder Tafel, das einen Zeugen Jehovas als Kommunisten bezeichnete und bekannte, es seien „nicht Kommunisten von der Art wie die russischen Kommunisten […], sondern solche, die von uns gewöhnlich als Kommunisten bezeichnet werden“. Das Gericht erklärte weiter, die „verkündeten Ideen mit Bezug auf Staat und Gesellschaft haben umstürzlerische Tendenz, und von den Verkündigern dieser Ideen sagt die allgemeine Auffassung, dass sie Kommunisten sind“. Man wusste also sehr wohl, dass es sich bei den religiösen Ansichten nicht um kommunistische Ideen handelte, allerdings subsumierte man bestimmte Ideen und Ansichten unter „umstürzlerisch“ und kommunistisch. Im Übrigen findet sich auch dieser Vorwurf in der deutschen Argumentation gegen die Bibelforscher wider. Detlef Garbe erklärte: „Obwohl sich die Bibelforscher aufgrund ihrer ‚Neutralitätslehre‘ von den parteipolitischen Auseinandersetzungen und revolutionären Wirren der Nachkriegsjahre fernhielten und in der Weimarer Zeit, als die staatliche Obrigkeit nichts verlangte, was ihnen aufgrund ihres Glaubens verboten war, gewissenhaft der Gesetzesordnung Folge leisteten, wurden sie zunehmend als ‚Unruhestifter‘ und ‚Träger der Subversion‘ angegriffen. Dabei wurden nicht nur das rasche Wachstum der IBV und der missionarische Eifer als Bedrohung empfunden, sondern vor allem die Prophezeiung der Vernichtung der irdischen Mächte durch Jehova als ein gefährlicher, von der IBV bewußt betriebener Umsturzplan inter-

778 

Artikel 58 Vertrag von Trianon. nach Piccioli, Paolo/Wörnhard, Max: Jehovas Zeugen – ein Jahrhundert Unterdrückung, Wachstum, Anerkennung. In: Besier/Stokłosa, Europa, S.  299 – 432, hier S. 335 f. 779 Zitiert

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pretiert.“780 Nicht zur Kenntnis genommen wurde, dass „die von ihnen erwartete Veränderung allein durch eine Rettungstat Jehovas herbeigeführt werden sollte“, was wiederum bedeutet, dass sie selbst nichts unternehmen, sich geltende Gesetze halten würden, bis Gott eingreife.781 Die Aussage des ungarischen Gerichts hilft insgesamt zu verstehen, wieso Glaubensauffassungen verschiedentlich als kommunistisch kategorisiert wurden, wodurch zugleich der Handlungsspielraum der Behörden gegen unliebsame Andersdenkende vergrößert wurde.782 Das erkannte auch ein Journalist, der in der Zeitung „Népszava“ unter der Überschrift „‚Gewöhnliche‘ Kommunisten“ zu der Entscheidung des Gerichts Stellung nahm: Seiner Meinung nach konnte sich der Leser unter dieser Bezeichnung üblicherweise gar nichts vorstellen und befand, dass das auch gar nicht zu verstehen sei. Die Szegeder Tafel sei zu der Auffassung gekommen, dass der Gläubige nicht „ein solcher Kommunist ist – sondern ein anderer. Auf alle Fälle Kommunist. Leider gibt die Tafel darüber keinen weiteren Aufschluss.“ Er bemängelt auch, dass man gar nicht erfuhr, was der Zeuge Jehovas denn da verkündet habe. Und den Finger in die Wunde legend erklärte er, dass „Polizei und Staatsanwaltschaften das großzügig ausnutzen“ könnten und sich damit „die Möglichkeiten für Belästigungen, Verfolgung und Inhaftierungen mehren“. Tiefsinnig spann er die Gedanken weiter: „Bei uns ist bekanntlich ein ‚solcher‘ Kommunismus verboten. Derjenige, der im ‚russischen Sinne‘ Kommunist ist, wird mit Gefängnis bestraft. Das heißt, dieser Umstand war bis gerade eben richtig. Jetzt weitet sich das stark aus; die Kommunisten ‚im russischen Sinn‘ stellte man auf eine Stufe mit dem Not leidenden Träumer der Tanya-Welt [der Gehöft-Welt], mit den Gott suchenden Sektierern“. Der „Paragraf, nach dem bisher ‚solche‘ Kommunisten gejagt und belastet wurden, kann jetzt auf die ausgeweitet werden‚ die ‚von uns gewöhnlich als Kommunisten bezeichnet‘ werden.“ Er bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als gefährlich, zumal die Bezeichnung Kommunist bereits als Stigma diene. Das würde dazu führen, dass die freie Meinung, eine ehrliche Aussage oder ein Buch, dass „eine ver­ fassungsrechtliche [Kursiv im Original] Veränderung der bestehenden Ordnung und der derzeitigen Gesetze“ anmahnte, sofort als Kommunist angeklagt würde. Er fragt sich, was zu erwarten sei: „Wird jeder ein ‚gewöhnlicher Kommunist‘ – gejagt und angeklagt – auch wenn er sich innerhalb der Gesetze und der Verfassung bewegt, aber eine Bodenreform fordert, Rechtsveränderungen anmahnt, auf politische und soziale Verbesserungen des ungarischen Volkes abzielt?“ Um solche Entwicklungen zu verhindern, hoffte der Schreiber auf eine Kassation des Urteils.783

780 

Garbe, Widerstand, S. 65.

781 Ebenda.

782  „A ‚Jehova Isten tanui‘ kommunisták – állapotja meg a szegedi Tábla“ [Die „Jehova Gott Zeugen“ sind Kommunisten – stellt die Szegeder Tafel fest]. In: Nemzeti Újság [Nationale Zeitung] vom 4.11.1937. 783  „‚Közkeletű‘ kommunisták“ [„Gewöhnliche“ Kommunisten]. In: Népszava [Volksstimme], ohne Datum, wahrscheinlich November 1937.

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Tatsächlich aber war es bereits so weit gekommen, wie die Aktion gegen die Zeugen belegt. Wahrscheinlich bezog sich auch der oben zitierte deutsche Artikel im Zusammenhang mit dem Urteil des Sondergerichts Düsseldorf vom 27. Dezember 1937 über die Festnahme von 25 Zeugen Jehovas in Ungarn auf diese Aktion, von der offensichtlich auch mehrere Zeitungen in Budapest berichteten. So zum Beispiel titelte die „Esti Újság“ (Abendzeitung) vom 23. Dezember 1937 mit großen Lettern: „Die Polizei hat die bibelerklärenden roten Agenten gefasst“ und erklärte direkt darunter in einer Unterüberschrift, „Die Moskauer Komintern verbreitete durch religiös gefärbte Sekten kommunistische Lehren“. Eine weitere Unterüberschrift lautete „Der Bericht des stellvertretenden Polizeipräsidenten Imre Hetényi über die kommunistische Bewegung“. Allein schon die Verbindung Hetényis, dem Kommunisten-Jäger, zu dieser Aktion brachte die Bibelforscher ganz stark in die Nähe der kommunistischen Bewegungen. Schließlich hieß es im Text, dass die Moskauer Kommunisten immer wieder versucht hätten, Ungarn zu bolschewisieren. Ganze Wagenladungen Druckschriften hätte man geschickt, aber ohne Erfolg: „Die Politische Abteilung unter der Leitung von Dr. Imre Hetényi hat sie immer überall entdeckt. Die roten Agitatoren sind in die Hände der Polizei gefallen, ihre Flugblätter beschlagnahmt worden und die Geldquellen der roten Hilfe unterbrochen worden.“ Die nächste Unterüberschrift lautete: „Watch Tower, das neue kommunistische Propaganda-Werkzeug“. Basierend auf der Religiosität des ungarischen Volkes habe man jetzt ein neues Mittel, ein „Heilmittel“ gefunden: neue bolschewistische Schriften, „der sie einen englischen Namen gegeben haben, Watch Tower“. Dann hieß es widersprüchlicherweise: „Die Watch Tower Bewegung stützt ihre kommunistischen Lehren nicht auf Marx, sondern auf die Bibel. Sie verdrehen die Bibel.“ Wie der Text zeigt, scheinbar eine Vorstufe zur kommunistischen Aufklärung. Wie es weiter hieß, sei eine „ganze Armee von Agitatoren“ in Moskau ausgebildet worden. Doch umsonst, denn „Hetényi hat bei Zeiten Kenntnis über diese neue kommunistische Organisation gewonnen. Nach wochenlanger anstrengender Arbeit seiner Detektive konnte ausfindig gemacht werden, wo diese roten Agitatoren arbeiten, die die Bibel falsch erklären.“ Die Propaganda sei noch im Anfangsstadium, die Agitatoren hätten noch über die Bibel gesprochen, und wären noch nicht zur „roten Überzeugung gekommen“ – eigentlich der beste Beweis, dass es sich nur um Gläubige handelte.784 Ganz ähnlich die Tageszeitung „8 Órai Újság“ (8-Stunden-Zeitung) vom 23. Dezember 1937 mit einen Artikel unter großen Lettern: „Landesweit wurden die kommunistischen Agenten ‚Bibel-Forscher‘ gefasst“. Man behauptete in der Unterüberschrift: „Die bärtigen ‚Propheten‘ standen in Moskaus Sold.“785 Die massive Berichterstattung muss für den Durchschnittsleser überwältigend gewesen sein; kein Zweifel, Zeugen Jehovas waren kommunistische Akteure. Nur um einige Artikel anzuführen: „Die Polizei 784  „Bibliamagyarázó vörös ügynököket fogott a rendőrség“ [Die Polizei hat die bibelerklärenden roten Agenten gefasst]. In: Esti Újság [Abendzeitung], vom 23.12.1937. 785  „Országszerte lefogták a ‚biblia-kutató‘ kommunista ügynököket“ [Landesweit wurden die kommunistischen Agenten „Bibel-Forscher“ gefasst]. In: 8 Órai Újság [8-Stunden-Zeitung] v. 23.12.2013.

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Abbildung 6: „Herunter mit der Maske!“, „Die Polizei hat die sich hinter der Maske der ‚Bibelforscher‘ versteckte kommunistische Bewegung entlarvt.“, „Hetényi: Bis Fasching ist zwar noch weit, aber für diese Maske beginnt jetzt schon die Fastenzeit.“, Függetlenség vom 23. Dezember 1937, MJTA

hat biblische Kommunisten verhaftet“ hieß es am 23. Dezember im „Esti Kurier“ (Abendkurier). Hetényi habe „seit einigen Wochen eine gewisse Organisation verfolgt, die […] im Dienste der Kommunisten steht. […] Sie versuchen den Sozialismus auf der Grundlage der Bibel zu erklären. Sie sind Antimilitaristen und international eingestellt. Sie haben verkündigt, dass die alte Weltordnung vergehen und dann das Goldene Zeitalter eintreffen wird und dann werden alle gleich sein auf Erden und glücklich.“ Hetényi habe „erkannt, dass die Behörden mit Gewalt gegen diese biblischen Kommunisten vorgehen müssten. Aus diesem Grunde wurden die Führer alle verhaftet.“786 Ein weiterer Artikel erschien am selben Tag in „Az Est“ (Der Abend) unter „Moskauer ‚Bibelforscher‘ in Budapest entlarvt“. Darin hieß es auszugsweise, es sei deutlich geworden, dass „die Lehren der Bibelforscher mit der marxistischen Ideologie identisch sind. […] Die Detektive haben erkannt, dass Moskau seine Hand hinter der Organisation der Bibelforscher hat.“787 786  „Bibliás kommunistákat vett őrizetbe a rendőrség“ [Die Polizei hat biblische Kommunisten verhaftet]. In: „Esti Kurier“ [Abendkurier] vom 23.12.1936. 787  „Leleplezték Budapesten Moszkva ‚Bibliakutaóit‘“ [Moskauer ‚Bibelforscher‘ in Budapest entlarvt]. In: Az Est [Der Abend] vom 23.12.1936. Weitere ähnlich Artikel erschienen am selben Tag z. B. in „Magyarország“ [Ungarn]: „‚Bibliakutatók‘ kommunistákat fogott a rendőrség“ [Die Polizei hat Bibelforscher Kommunisten verhaftet]. Eine Karikatur in „Függetlenség“.

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Auch die nächste Maßnahme des Innenministers, der Erlass einer weiteren VO, bestätigt, dass die Befürchtungen des Journalisten zum „gewöhnlichen“ Kommunisten bereits Realität waren.

IV.  Weitere Maßnahmen 1.  Geheime VO 14.485/1937 Schon am 22. Dezember 1937 wandte sich der Innenminister streng vertraulich mit Betreff „Die vermehrte Kontrolle der Sektenbewegungen“ an den Oberstadthauptmann und den Landespolizeipräsidenten, an alle obersten Beamten der Munizipialbehörden und an den Chef des Ermittlungskommandos der Gendarmerie, wobei er sich auf seine Verordnungen 6.200/1928 und 8.300/1936 bezog.788 Gleich als erstes wies er auf die in VO 8.300 angeordnete Anwesenheit eines Behördenvertreters bei den Zusammenkünften der Gemeinschaften hin, was im Klartext bedeutete, „für die Zusammenkünfte [waren] behördliche Inspektoren zu bestimmen“. Danach kam er sofort wieder auf die Hauptzielgruppe zu sprechen: „Die Internationale Bibelforscher Vereinigung“ oder „Zeugen Jehova Gottes“, die „solche Ideen propagiert, welche den Rahmen der Glaubenslehren weit überschreiten“. Offensichtlich verärgert erklärte er, nun erfahren zu müssen, dass, obwohl er Anweisung gegeben habe, „die Tätigkeit dieser Sekte unbedingt zu verhindern und gegen die Verbreiter der Presseprodukte Verfahren einzuleiten“ und er ferner konkrete Verfahrensanordnungen erteilt habe, die Bewegung in letzter Zeit dennoch „große Ausmaße erreicht hat, und sie in fast allen Gebieten des Landes die besagten Sektenlehren propagierenden Presseprodukte“ verbreite. Dann kam auch er zu dem bemerkenswerten Schluss: Aufgrund dieser Druckschriften und der Vorträge „kann zweifelsfrei festgestellt werden, dass die besagte Sekte eigentlich nur eine Tarnorganisation“ sei und ihr Ziel in der „Propagierung kommunistischen Gedankenguts“ und im „Umsturz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung“ bestehe. Nun griff GA III/1921 zum Schutz der staatlichen und der gesellschaftlichen Ordnung. Mit dieser Feststellung, dass es sich bei der Bewegung gar nicht um eine Religionsgemeinschaft handelte, sondern um eine kommunistische Organisation, war er auch nicht mehr gezwungen, auf die Verfassungsgesetze GA XLIII/1895 und Art. 55 GA XXXIII/1921 Rücksicht zu nehmen. Er fordert von den Beamten nachdrücklichst, „die Tätigkeit der besagten Sekte mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln zu verhindern, und gegen die Verbreiter der Lehren auf der in meinen besagten Verordnungen festgelegten Weise vorzugehen, und mir über Ihre Bemerkungen789 Bericht zu erstatten“.790 In dieser VO wurde keine andere Gemeinschaft erwähnt, das heißt, der 788 

Az. 14.485/1937.

790 

MOL, K149 – 1937 – 7 – 12259, Bl.  30.

789 Auffälligkeiten.

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Innenminister hat diese Anordnung nur zur Bekämpfung der Zeugen Jehovas erlassen. Einige Zeit später, am 19. September 1938, erließ der Innenminister die Rundverfügung 13.100/1938 derzufolge alle ausländischen und ungarischen Staatsbürger, die aus militärischen Gesichtspunkten verdächtig erscheinen, erfasst werden sollten.791 Hierunter konnten auch leicht ausländische Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften stehen. 2.  Maßnahmen zu Presseprodukten Immer wieder im Fokus standen auch religiöse Veröffentlichungen. So gab die Königlich-Ungarische Postgeneraldirektion 1938 eine „Liste der, von der Postbeförderung gestrichenen oder gerichtlich beschlagnahmten Presseprodukte“ heraus, in der Bücher, Broschüren und Flugblätter aufgezählt wurden, die aus religiösen, moralischen oder staats- beziehungsweise privatrechtlichen Gründen dem Buchhändlerverkehr verboten wurden. Diese Liste wurde, wie man erklärte, aus literaturhistorischem Interesse zusammengestellt, um sie für zukünftige Forscher in Erinnerung zu halten: „Wir glauben, dass wir keine überflüssige Arbeit verrichtet haben, wenn wir, von diesem streng wissenschaftlichen Interesse veranlasst, in den Spalten der Literaturgeschichte den ungarischen Index librorum prohibitorum bringen.“ Unter diesen Veröffentlichungen vor allem politischer, insbesondere kommunistisch orientierter Art befanden sich auch mindestens zehn Bücher oder Broschüren der Bibelforscher aus den 1920er-Jahren.792 Um den breiten Kontext dieser gezielten Verbote zu sehen, seien hier neben den religiösen Veröffentlichungen der Bibelforscher wie „Können die Lebenden mit den Toten sprechen? Brooklyn 1925.“, „Die Bibel über die Hölle. Brooklyn 1925.“, „Die Harfe Gottes. Kolozsvár 1925.“, „Der göttliche Plan der Zeitalter. Brooklyn 1927.“ einige Titel genannt wie ein Buch zum Ersten Weltkrieg, „Károly Árkossy. Vor unseren Stellungen liegen Tausende von Toten. Budapest 1930.“ oder das Buch des nach dem Fall der Räterepublik emigrierten Sándor Barta, „Eine wunderbare Geschichte oder wie der Zivilreporter William Cookendy die Erde entdeckt hat, auf der er lebt. Kassa 1929.“, ferner die rein politischen Titel „Imre R. Révész. Der im Aufbau begriffene Sozialismus. Moskau 1931.“ von János Balog, „Der Weg der Juden. Wien 1923.“ von Lajos Biró, „Konterrevolution. München 1924“ von Vilmos Böhm, „Von Revolution zu Revolution. Wo? 1924.“ von Balázs Kolozsvári (Béla Kun), „Der Konkurs der amerikanischen Arbeiterbewegung. Brooklyn 1925.“ von W. Z. Foster oder ganz anderen Themen wie „Kindersegen, Fruchtverhütung, Fruchtabtreibung. Kassa 1926.“ von E. Brupacher, „Verdammte Frauen. Wien 1926.“ von Géza 791 

Ebenda, K149 – 651.f. 5/23 Bl. 41. Gulyás, Pál: Az irodalom kitagadottjai [Die Verstoßenen der Literatur]. In: A postai szállitásból kitiltott vagy biróilag lefoglalt sajtótermékek jegyszéke [Liste der, von der Postbeförderung gestrichenen oder gerichtlich beschlagnahmten Presseprodukte]. Herausgegeben von A M. Kir. Posta Vezérigazgatóság (der ung. kngl. Postgeneraldirektion). Buda­ pest 1938, S. 100 – 109. 792 

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Cziffra oder „Die 100-jährige Geschichte des Szegeder Innerstädtischen Kasinos (1829 – 1929). Szeged 1929.“ von „Károly Czimmer oder “‚Bringt wirklich der Storch die Kinder?‘ Budapest 1931.“ von Max Hodann.793 Mit einer weiteren VO, Nr. 115.950, vom 11. Mai 1938 wurde festgelegt, dass man zur Verbreitung von Presseprodukten einen Ausweis benötigte und auch äußerlich erkennbar sein musste. Wer in Zukunft Druckschriften verbreiten wollte, musste nach dieser VO „über einen polizeibehördlichen Ausweis mit Lichtbild und einer Registriernummer verfügen und wurde verpflichtet, eine gelbe Armbinde zusammen mit einem Abzeichen mit der Registriernummer zu tragen. Im Ausweis wurden die Tages- und Wochenzeitungen und die Zeitschriften angeführt sowie die genehmigende Behörde und die Nummer der Genehmigung. Der Ausweis war nicht übertragbar auf eine andere Person. Verstöße und Missbrauch wurden strafrechtlich geahndet.“ Das erschwerte den Vertrieb von Druckschriften. Die periodischen Druckschriften der Zeugen Jehovas wie das „Goldene Zeitalter“ (Arany Korszak), das wegen der schweren Verfolgung durch Hitler-Deutschland unter dem Titel „Trost“ (Vigasz) erschien, nunmehr in der Schweiz gedruckt und von dort in ungarischer Sprache ins Land geschmuggelt, prangerten ganz offen die Verfolgung Andersdenkender in Deutschland an und wiesen mit als erste auf die Existenz der Konzentrationslager hin, teilweise mit genauer Lagerbeschreibung. So zum Beispiel das Goldene Zeitalter vom 15. September 1937 (ungarische Ausgabe vom 15. November 1937) auf dem Titelbild Hitler, Mussolini, Stalin übergroß dargestellt als „Die Riesen Kanaans“ zu deren Füßen kleine Personen, die offensichtlich die unterdrückten Völker repräsentierten, darunter u. a. ein Deutscher, ein Spanier und auch ein Ungar. Auf Seite 10 und 11 dann der Artikel „Terror im Dritten Reich“, in dem auf die Verbreitung des „Offenen Briefes“ (ähnlich der Erklärung in Ungarn im Jahr 1933) in Deutschland am 20. Juni 1937 hingewiesen und daraus zitiert wurde. Darin hieß es: „In amtlichen Blättern (Deutschland) werden Jehovas Zeugen als Staatsfeinde ‚als Verbrecher, ‚als Kommunisten, und die Führer der Bewegung als Juden hingestellt‘.“ Dabei sei allgemein bekannt, dass sie nur „einfache, anständige, gottgläubige Christen“ seien. Im Weiteren wurde von der grausamen Verfolgung in Deutschland, den schweren Misshandlungen von Zeugen Jehovas in der Haft und von Tötungen berichtet. Gleichzeitig berichtete man über die Verfolgung der „Bekenntniskirche“, die „allmählich zu einer Sekte degradiert“ würde, ihr wurde die finanzielle Selbständigkeit genommen, die Missionstätigkeit unterdrückt, ihre Publikationen verboten. Auch die Geistlichen, „die zum Religionsunterricht an staatlichen Schulen zugelassen sind“, ständen unter Druck. „Viele Pfarrer sind verhaftet worden, etwa 50 evangelische Geistliche sitzen im Konzentrationslager. Es liegen Berichte über Mißhandlungen von Pfarrern vor, sie unterscheiden sich nur wenig von den beglaubigten Berichten über Mißhandlungen von Sozialdemokraten und Kommunisten. […] Wer immer diesen neudeutschen Mythos in Zweifel zieht, mag er nun ein historischer Materialist oder ein gläubiger

793 Ebenda.

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Christ sein, ist ‚innerer Feind‘, muß bekämpft werden.“794 Über solche sehr offene und enthüllende Artikel dürften die ungarischen Behörden als Bündnispartner Hitlers nicht erfreut gewesen sein. Interessanterweise wiesen sie auch auf die Verfolgung Andersdenkender hin, darunter Angehörige der traditionellen Kirchen. GA XV vom 29. Mai 1938 über die wirksame Sicherung des Gleichgewichts des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens, auch als das erste Judengesetz bezeichnet, sah die Einrichtung einer Presse- bzw. Medienkammer für Herausgeber und Redakteure von periodisch und nicht periodisch erscheinenden Zeitungen, aber auch leitendes Personal von Theater und Film vor, in der Juden nur in einer sehr beschränkten begrenzten Anzahl zugelassen waren. Zur Aufgabe der Kammer gehörte es, den nationalen Geist und die christliche Moral zu befördern und sicherzustellen, die Herausgeber zu kontrollieren und zu disziplinieren. Damit wurden die Inhalte reglementiert, Schreiber und Veröffentlichungen durch die Kammer überwacht.795 Die Aufstellung der Kammer lag in der Macht einer Kommission, die sich aus leitenden Mitgliedern des Ministerrats, des Außen-, Innen- und Justizministeriums zusammensetzte. In weiteren Verordnungen wurden auch die Disziplinierungsmaßnahmen und Verfahren geregelt.796 Mit dem kurze Zeit später erlassenen GA XVIII/1938 über Presseverordnungen zum Schutz der staatlichen Ordnung, wurde zwar nicht offiziell das Gesetz zur Pressefreiheit GA XIV/1914 aufgehoben, aber weiter eingeschränkt. Unter anderem wurde § 7 GA XIV/1914, wonach mit der Verbreitung der Druckschrift ein Exemplar der Staatsanwaltschaft zu übergeben war, aufgehoben und insofern neu geregelt, dass vor der Verbreitung nichtperiodischer Druckschriften diese bei der Staatsanwaltschaft vorzulegen seien. Erst nach Erhalt der Genehmigung konnte mit der Verbreitung begonnen werden. Wer das nicht beachtete, machte sich strafbar, wie auch derjenige, der ungenehmigte Druckerzeugnisse verbreitete oder die Verbreitung verbotener Schriften unterstützte. Wer neue Periodika herausgeben oder bestehende ändern wollte, 794  WtBTG (Hrsg.): Goldenes Zeitalter vom 15. September 1937, S. 10 f. Veröffentlicht in Ungarisch im „Arany Korszak“ [Goldenes Zeitalter] vom 15.11.1937. 1938 gab die Gemeinschaft durch Franz Zürcher, einen ihrer Glaubensangehörigen, das Buch „Kreuzzug gegen das Christentum“ in der Schweiz heraus, in dem die Verfolgungen in Hitler-Deutschland thematisiert und die Existenz von Konzentrationslagern (samt Skizzen und Berichten) aufgedeckt wurde. Thomas Mann schrieb anerkennend: „Ich habe Ihr so schauerlich dokumentiertes Buch mit größter Ergriffenheit gelesen, und ich kann die Mischung von Verachtung und Abscheu nicht beschreiben, die mich beim Durchblättern dieser Dokumente menschlicher Niedrigkeit und erbärmlicher Grausamkeit erfüllte. … durch Schweigen [wird] der Welt die moralische Apathie … nur allzu bequem gemacht … auf jeden Fall haben Sie Ihre Pflicht getan, indem Sie mit diesem Buch vor die Öffentlichkeit traten.“ Zitiert nach dies.: Erwachet! v. 22.8.1995, S. 9. 795 Tt., GA XV/1938. Lehotay, Veronika: Közjogi korlátozások Magyarországon a Horthy-korszak második felében [Einschränkungen im öffentlichen Recht in Ungarn in der zweiten Hälfte der Horthy-Zeit]. Miskolci Jogi Szemle [Miskolcer Juristisches Blatt], 6. Jg., 2011, Nr. 2, S. 74. http://www.mjsz.uni-miskolc.hu/201103/7_lehotayveronika.pdf 796  MRT, 1938, Teil II, S. 982 – 1015. VO 6.070/1938 und 6.080/1938 des Innenministeriums.

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Abbildung 7: In Ungarisch veröffentlicht im „Arany Korszak“ am 15. November 1937, gedruckt in der Tschechoslowakei, WTA

brauchte dazu die Genehmigung des Ministerpräsidenten – eine Maßnahme, die es so nur zur Zeit der Ausnahmegewalt im Ersten Weltkrieg gegeben hat.797 Mit diesem Gesetzesartikel wurde somit eine vorausgehende Zensur nichtperiodischer Erzeugnisse vorgeschrieben – ein weiterer Einschnitt in die Pressefreiheit. Einem Zeitungsbericht zufolge verhandelte der Fünferrat798 in Pécs (Südwest­ ungarn) am 24. August 1939 gegen 10 Zeugen Jehovas wegen Vergehens gegen das Pressegesetz. Angeklagt waren János Klinyecz aus Nagykőrös, György Farkas aus Jánoshalma, und die Szegeder Vilma Juhász, Rozália Gyürky [oder Györki], Imréné B. Kovács, István László, Lajos Szabó, Pál Barsony, Péter Dobos und Eszter Szendi. Den Männern und Frauen wurde vorgeworfen, seit 1933 Hunderte Veröffentlichungen über „Jehovas Wahrheit“ verbreitet zu haben, „in welchen der unbekannte Herausgeber mit abstrusem Gedankengut die Priester aller Konfessionen angriff, gegen die Bewaffnung hetzte und mit solchem gefährlichen Gedankengut die einfachen Menschen infizierte“. Die Betreffenden wurden, außer einem, 797 

Tt., GA XVIII/1938. Fünferrat soll als Standgericht gegen extrem rechte Bewegungen ins Leben gerufen worden sein. http://www.sulinet.hu/oroksegtar/data/telepulesek_ertekei/szeged/szeged_tortenete_4/pages/015_a_masodik_vilaghaboru.htm (Zugriff am 12.12.2012). 798  Der

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Abbildung 8: Zweiteiliger Artikel über das KZ Esterwegen, in Deutsch in „Trost“ vom 15. Februar und 1. März 1938. In Ungarisch veröffentlicht im „Vigasz“ vom 1. Mai und 15. Mai 1938, WTA

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Abbildung 9: „Die schöne Seifenblase“ Ungarische Ausgabe von „Trost“, 15. Januar 1939, MJTA

der freigesprochen wurde, zu einigen Monaten Zuchthaus verurteilt.799 Ein anderer Zeitungsartikel offenbart weitere Details, so warf man den Angeschuldigten vor, in ganz Südungarn und in der Batschka (Bácska), deren größter Teil zu der Zeit zu Jugoslawien gehörte, zu predigen. Ihre Zentrale hätte die Gruppe in Jánoshalma.800 Ohne es zu bemerken, hatten die Gendarmen hier, zwei in der Organisation der Zeugen Jehovas führend tätige Personen arretiert, die Zonendiener János Klinyecz und György Farkas. Weitergehende Einschränkungen der Pressefreiheit erlaubte GA II/1939 – auf den in der Folge noch näher eingegangen werden soll – mit dem Inkrafttreten der Ausnahmegewalt im September 1939. Mit der VO 8.140 vom 1. September 1939 wurden nunmehr auch die Inhalte der Periodika vor dem Druck auf den Prüfstand gestellt. Demnach war der Druck periodischer und nichtperiodisch erscheinender Druckerzeugnisse nur erlaubt, wenn die Staatsanwaltschaft oder eine durch sie ermächtigte Behörde die Genehmigung erteilt hatte. In Budapest selbst wurde 799  „A ‚Jehova tanúi‘ veszedelmes szekta tagjai a pécsi ötöstanács előtt. A biróság 9 vádlottat fogházra itélt, egyet pedig felmentett“ [Gefährliche Sektenmitglieder der „Zeugen Jehovas“ vor dem Pécser Fünfer-Rat. Das Gericht verurteilte 9 Angeklagte zu Zuchthaus, einer wurde freigesprochen]. In: Dunántúl [Jenseits der Donau], vom 25.8.1939. 800  „Letartóztatták Jánoshalmán ‚Jehova tanúit‘“ [„Zeugen Jehovas“ in Jánoshalma festgenommen]. In: Unbekannte Zeitung, ohne Datum, 1939.

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eine weitere Kommission eingesetzt, die sich wiederum aus Mitarbeitern verschiedener Ministerien, darunter das Außen- und Verteidigungsministerium, und des Generalstabs zusammensetzte, wobei die Letztgenannten auch tonangebend waren. Die Zusammensetzung dieser Kommission wurde vom Ministerpräsidenten bestimmt.801 Auf einem Schreiben des zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie an das Innenministerium vom 11. Oktober 1939, in dem berichtet wurde, dass es der Gendarmerie in Pápa (Nordwestungarn) gelungen war einen Mann zu stellen, der Druckschriften der Wachtturm-Gesellschaft mit „Hetze gegen christliche Religionen und Geistliche“ verbreite, findet sich ein handschriftlicher Vermerk vom 16. Oktober 1939: „Die Verbreitung von Presseerzeugnissen der Watch Tower Bible and Tract Society im Land ist insgesamt untersagt.“802 Am 9. Dezember 1939 erging die VO 10.800 zur Pressekontrolle, mit der die VO 8.140/1939 außer Kraft gesetzt wurde. Danach wurde erneut verfügt, dass periodische und andere Druckerzeugnisse bzw. Meldungen oder Artikel mit Blick auf die militärischen und außenpolitischen Interessen, die innere Ordnung, die öffentliche Ruhe und Sicherheit, die wirtschaftlichen Interessen, aber auch das Glaubensleben betreffend nur dann gedruckt werden durften, wenn die Staatsanwaltschaft oder eine von ihr beauftragte und kontrollierte Behörde (z. B. Polizeibehörde) bzw. die Budapester Pressekommission die Genehmigung dafür erteilt hatte.803 In der Praxis richteten sie sich gegen kommunistisch-orientiertes Gedankengut, dem teilweise bekanntlich auch die Ansichten der kleinen Religionsgemeinschaften zugeordnet wurden. Gegen ihre Veröffentlichungen konnte aber auch nach VO 10.800/1939 mit der Begründung des Schutzes militärischer Interessen oder zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Sicherheit vorgegangen werden. Damit war die Pressefreiheit quasi komplett unterbunden, wenngleich man das nicht immer so streng handhabte. Tatsächlich zeigen die Entwicklungen und Beschränkungen, dass GA XIV/1914 zur Pressefreiheit de facto ausgehebelt wurde. Pressefreiheit, wie in § 1 GA XIV/1914 mit den Worten zugesichert, „Jedermann kann durch die Medien seine Meinung kundtun und verbreiten“, eingeschränkt durch § 10 in Bezug auf Druckerzeugnissen aus dem Ausland, gab es nicht mehr. Veröffentlichungen, ja sogar einzelne Meldungen wurden zensiert. Damit wurde die seit 1848 verfassungsrechtlich proklamierte, wenngleich 1914 mit GA XIV, § 10, eingeschränkte, während der Horthy-Zeit nie wirklich realisierte Pressefreiheit 1938/39 durch Gesetzesartikel und Verordnungen komplett zu Fall gebracht. Mit diesen Gesetzen und Verordnungen wurde im Endeffekt nur das, was man in Verbindung mit der Pressefreiheit bisher praktiziert hatte, also die tatsächliche Verfahrensweise der vergangenen fast 20 Jahre unter dem Horthy-Regime, auch schriftlich fixiert und war damit offiziell 801  MRT, 1939, Teil II, S. 1270f. VO 8.140/1939 des Ministerpräsidenten. Lehotay, S. 75. Murányi, S. 26 f. 802  MOL, K149 – 1939 – 7 – 5602. MJTA, DOK-1790. 803  MRT, 1939, Teil II, S. 2275 f. VO 10.800/1939 des Ministerpräsidenten.

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für die nächsten Jahre verbindlich. Dennoch hat man die Zensur letztendlich nicht so strikt durchgesetzt, sondern eine verhältnismäßig konditionierte Pressefreiheit zugelassen, nur verhältnismäßig wenige Tageszeitungen verboten und die politische Presselandschaft nicht völlig gleichgeschaltet.

V.  Waffen- und Militärdienstverweigerung 1.  Zwangsrekrutierungen und inoffizielle allgemeine Wehrpflicht Vorausschickend zur Untersuchung der militärischen Entwicklungen muss festgestellt werden, dass es bisher keinerlei wissenschaftliche Aufarbeitung der Waffen- und Militärdienstverweigerung in Ungarn gibt.804 Der Einfluss des Militärs auf die Religionspolitik des Staates war allerdings gerade aufgrund der revisionistischen Einstellung des Horthy-Regimes nicht zu unterschätzen und hatte direkte Auswirkungen auf den Umgang mit Religionsfreiheit, die Interpretation der Verfassungsgesetze und kirchenpolitische Entscheidungen. Bereits in den 1920er-Jahren hatten sich die Militärbehörden für die Arbeit der Polizei, Politische Ermittlungsabteilung, interessiert. Ab Anfang der 1930er-Jahre schalteten sie sich immer mehr in die Ermittlungen ein, darunter auch der Generalstab und dort besonders die Abteilung vkf/2, aber auch die juristische Abteilung beim Verteidigungsministerium, Präsidialabteilung 13.805 1930 wurde das erste ungarische Militärstrafgesetzbuch (MStGB) mit GA II bzw. Ergänzungen durch GA III eingeführt. In Verbindung mit Dienstverweigerern kam zumeist § 66 GA MStGB zur Befehlsverweigerung zum Einsatz, wonach jeder, der den Befehl eines Vorgesetzten vorsätzlich oder auch versehentlich – nicht ausführte, eine Straftat beging. Die Strafhöhe bemaß sich an § 73 Absatz 1, wonach jeder, der vorsätzlich einen Befehl nicht ausführte oder verweigerte, mit bis zu 1 Jahr Gefängnis bestraft werden konnte. Handelte es sich um einen wichtigen Befehl oder wurde die Verweigerung auf eine verletzende Art ausgeführt oder verursachte schwere Nachteile, konnte eine Haftstrafe von zwischen 1 und 5 Jahren Gefängnis ausgesprochen werden. In Kriegsjahren erhöhte sich das Strafmaß, nach Absatz 2, auf zwischen 1 bis 5 Jahren Gefängnis und 5 bis 10 Jahren Gefängnis. Nach Absatz 3 konnte in einem Fall, da sich der Befehl auf einen Dienst gegen den Feind richtete und die Verweigerung zu schweren Nachteilen führte, das zur Todesstrafe durch Erschießen führen. Absatz 4 regelte leichte Vergehen in Friedenszeiten ohne schwerwiegende Folgen, was mit 3 bis 6 Monaten Gefängnis bestraft werden konnte. Im Fall von Fahnenflucht, die nach § 93 begangen wurde, wenn sich jemand auf Dauer dem Militärdienst oder der Diensterfüllung entzieht oder fernbleibt, seine 804  Die hier untersuchten Unterlagen wurden durch Einsicht der Akten im Militärarchiv gefunden bzw. stammen aus persönlichem Besitz oder der freundlichen Überlassung des Archivs der Zeugen Jehovas in Ungarn und des Privatarchivs von Herrn Tibor Gál, Budapest, zu den Nazarenern. Weitere Forschung ist nötig, um das umfangreiche Aktenkonvolut im Militärarchiv zu sichten. 805 Vgl. Kovács, Nyilas éra.

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Zuteilung oder Position von sich aus verlässt bzw. nicht antritt, konnte er nach § 94 mit zwischen 1 und 5 Jahren bzw. in Kriegszeiten mit zwischen 3 bis 5 Jahren Gefängnis bestraft werden. War er deswegen jedoch bereits bestraft, konnte die Strafe auf zwischen 3 bis 6 Jahren Gefängnis, in Kriegszeiten Zuchthaus erhöht werden. Bei Fahnenflucht aus einer wichtigen Position konnte in Kriegszeiten auch mit Erschießen bestraft werden. Hatte sich einer dem Dienst bereits drei Mal entzogen, konnte er in Friedenszeiten nach Absatz 3 mit 5 bis 10 Jahren Zuchthaus bestraft werden. Erschwerte Haft konnte nach § 8 durch hartes Lager (hier sollte ein Brett als Bett dienen) Fasten mit Wasser und Brot, Zuchthaus, Einschließung oder Einzelhaft verhängt werden – wobei die Erschwernisse kombiniert, aber nur zeitlich beschränkt bzw. nach Abs. 9 nicht eingesetzt werden durften, wenn die Gesundheit des Betreffenden gefährdet war. Nach § 50 konnte erschwerte Haft zum Beispiel bei Wiederholungstätern oder bei Rückfällen verhängt werden, aber auch bei Anstiftung anderer oder wegen der Schwere des Vergehens, ferner auch bei unmenschlichem Handeln.806 Ein weiterer relevant werdender Tatbestand in Verbindung mit den kleinen Religionsgemeinschaften war Untreue nach § 59 GA III/1930, quasi identisch mit Hochverrat. Gemäß Abs. 1 fielen darunter Taten, durch die in Kriegszeiten vorsätzlich für die Streitkräfte des ungarischen Staates oder die seiner Verbündeten Nachteile verursacht oder bewusst Vorteile für den Feind bewirkt wurden. Nach Abs. 4, wer sich zu einer solchen Tat mit anderen verbündet oder jemand zum Durchführen einer solchen Tat anstiftete. Diese Straftat konnte nach Abs. 1 mit 10 bis 15 Jahren, teilweise auch mit lebenslänglich Zuchthaus bestraft werden. Die Verfahren konnten sowohl von Zivil- als auch Militärgerichten durchgeführt werden.807 Bezüglich der Militär- und Waffendienstverweigerer war die ungarische Honvéd auch nach den Erfahrungen im Ersten Weltkrieg zunächst nicht zu einer Lösung des Problems gekommen, obgleich es ja im Heer der k. u. k.-Zeit vorübergehend eine Regelung neben den Mennoniten und anderen auch für Nazarener gegeben hatte. An diese Freiheit anzuknüpfen, stellte das vom revisionistischen Geist geprägte ungarische Militär vor eine echte Herausforderung. Wie bereits erwähnt, kam es vor der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht unter Gömbös 1932 zu Zwangsrekrutierungen. Gömbös betrieb gemeinsam mit Ernst Rüdiger Starhemberg (1899 – 1956)808 „fieberhaft die geheime Aufrüstung“ der Wehrbestände. Gömbös war es gelungen, durch ein „geschicktes Rekrutierungssystem den inoffiziellen Mannschaftsbestand der ungarischen Armee erheblich“ zu erhöhen.809 Erste Belege dafür, dass auch Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften von Zwangsrekrutierungen, der von den Alliierten nicht genehmigten Einberufung, betroffen waren, liefert ein in Versform verfasster Kassiber des jungen Zeugen 806 

Tt., GA II/1930. Ebenda, GA III/1930. 808 Führer der österreichischen paramilitärischen Heimwehr und Befürworter der faschistischen Politik Italiens. 809  Kriechbaumer, S. 572. 807 

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Jehovas Deák, niedergeschrieben vom 1. bis 6. Januar 1932 in einer Haftanstalt in Budafok.810 Seine Mitteilung lässt darauf schließen, dass er zusammen mit anderen Zeugen Jehovas im Sommer 1931 in Haft kam. Er berichtet davon, dass die Inhaftierten bei den Einzelverhören beschimpft und geschlagen wurden, auf Transport nach Debrecen kamen und vor Gericht gestellt wurden, wobei acht Zeugen Jehovas verurteilt wurden – Verheiratete zu 3 Jahren, Unverheiratete zu 4 Jahren Haft. Nach dem Urteil, am 30. August, überstellte man den Schreiber in eine Haftanstalt in Miskolc, wo er zur Arbeit eingesetzt wurde, während andere seiner Glaubensbrüder exerzieren sollten, was sie jedoch verweigerten. Ihre Strafe: eine Woche Einzelhaft, Essensentzug und „an der Wand stehen“. Nachdem sie danach noch immer nicht bereit zum Exerzieren waren, kam es zunächst zu weiteren Misshandlungen, dann aber ließ man sie auf Zelle.811 Über Hintergründe berichtet der Schreiber nicht. Wie mit den Verweigerern nach Verbüßen der Freiheitsstrafe weiterverfahren wurde, ist unklar. Wahrscheinlich aber wurden sie erneut einberufen, wie das die Berichte über den Umgang mit Verweigerern vor dem Ersten Weltkrieg und die Praxis nachfolgender Beispiele aus den 1930er-Jahren zeigt. Im Militärstrafgesetz waren zwar unter erschwerten Haftbedingungen auch Fasten und Einzelhaft, aber keine Misshandlungen vorgesehen. Die Problematik der Inhaftierung wegen Wehr- und Waffendienstverweigerung dürfte für die Angehörigen der kleinen Gemeinschaften mit der widerrechtlichen Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht 1932 zugenommen haben. Der bisher früheste aus den Unterlagen des Militärarchivs bekannte Fall ist der des Nazareners Imre Mészáros aus Baja, geboren am 11. April 1912, im Dezember 1933 gemustert, wobei er den abzulegenden Eid verweigerte, und am 1. Oktober 1934 eingezogen wurde.812 Wie aus einer Pro domo Notiz der Unterlagen des Kriegsministeriums hervorgeht, war er zu 18 Monaten Dienst verpflichtet. Mészáros, der wie die meisten Nazarener grundsätzlich bereit war, waffenlosen Wehrdienst zu leisten, verweigerte gleich nach Dienstantritt die Waffenannahme, zurzeit der Eidesablegung war er bereits inhaftiert, sodass er diese nicht mehr verweigern musste. Das MG Pécs verurteilte ihn wegen Befehlsverweigerung zu einem Jahr und sechs Monaten Haft, die er vom 10. Oktober 1934 bis 9. April 1936 verbüßte.813 2.  Maßnahmen durch Ministerpräsident Gyula Gömbös Aufgrund der Erfahrung mit den Anhängern der Nazarener und ihrer unbeugsamen Haltung, auch unter den härtesten Strafen nicht zur Waffe zu greifen, suchte man dann doch nach Lösungen. Am 18. August 1934 und 2. August 1935814 beschloss der Kriegsminister und Ministerpräsident Gyula Gömbös persönlich, 810  MJTA,

DOK-431.

811 Ebenda. 812 

HM, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032.

813 Ebenda.

814 Möglicherweise handelt es sich bei diesen Anordnung um die Verfügungen 102.495/1934 und 107.406/1936 der Präsidialabteilung 13 des Verteidigungsministeriums.

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„dass eine gegen die wegen Wehrdienstverweigerung verurteilten Nazarener durch ein oder mehrere Urteile festgelegte Freiheitsstrafe nur insofern zur Durchführung kommt, als sie der der betreffenden Altersgruppe des Verurteilten jeweils festgelegten tatsächlichen Dienstzeit entspricht. Nach Verbüßung dieser Strafzeit wird die eventuell noch ausstehende Strafdurchführung bis zur weiteren Maßnahme durch das Verteidigungsministerium unterbrochen, und wenn der Verurteilte bei den zwischenzeitlichen ärztlichen Untersuchungen und bei der darauf basierenden durchgeführten Überprüfung als für den ‚Frontdienst‘ oder den ‚Hilfsdienst geeignet‘ tauglich eingestuft wurde, kann er eingeteilt werden, die infolge der Strafe versäumte Dienstzeit durch waffenlosen Dienst in medizinischen Einrichtungen nachzuholen. Wurde er infolge der Untersuchung als ‚Invalid, für den waffenlosen Landsturm tauglich‘ oder ‚Invalid, für jede Art Dienst untauglich‘ eingestuft, wird er mit Unterbrechung der Strafverbüßung dauerhaft beurlaubt/entlassen.“815 Man war also tatsächlich geneigt, insofern Konzessionen zu machen, als dass die verweigernden Nazarener nicht unproduktiv ihre Strafe absitzen, sondern zu nützlichen Tätigkeiten herangezogen werden sollten – ein wohl eher pragmatisches wenngleich von Gömbös unerwartetes Vorgehen. Die Anordnung lässt zugleich darauf schließen, dass bis dahin das Strafmaß über die Länge der Dienstpflicht hinausging. Eine ähnliche Verfahrensweise wurde dann am 22. Mai 1936 auch hinsichtlich derer getroffen, „die bei der verkürzten / Reserve / Ausbildung die Waffe verweigern, diejenigen waren allerdings nur dazu verpflichtet, die verkürzte versäumte Ausbildungszeit nachzudienen“.816 Was unter einer „weiteren Maßnahme durch das Verteidigungsministerium“ zu verstehen war, muss offen bleiben. Eine Entlassung der Person wurde nicht angesprochen. Dass dieser Vorschlag ausgerechnet von Gömbös kam, mag überraschen. Sicher war er nicht uneigennützig und aus reiner Menschlichkeit gemacht worden. Vielmehr dürfte sich die Allgemeinpolitik dieser Jahre dahinter verborgen haben, da Gömbös auch mit den Juden gezwungen war, moderat umzugehen. Außerdem war der Vorschlag auch aus wirtschaftlicher Hinsicht praktisch, konnte man doch die Arbeitskraft beim Militär auch ohne Waffe nutzen. Im Licht dieser Regelung ist die weitere Vorgehensweise der Behörde im vorgenannten Fall des Nazareners Mészáros interessant. Mészáros war zu 18 Monaten Dienst verpflichtet und das MG Pécs hatte ihn 1934 zu 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, was seiner Dienstzeit entsprach. Wie eine Pro-domo-Notiz vom 24. Januar 1936 zeigt, sollte er mit dem Tag der Entlassung, insofern er tauglich war, für die Länge seiner Dienstzeit, also 18 Monate, im waffenlosen Dienst eingeteilt werden, wäre er untauglich, würde er vorher entlassen. Ansonsten hätte der Vorschrift nach seine Strafe und das Nachdienen im Oktober 1938 abgegolten sein müssen. Aus der Notiz geht auch hervor, dass man bei seiner Einteilung zum waffenlosen Vgl. Schreiben des Kommandos des IV. Armeekorps Pécs vom 10.12.1938. Ebenda, VKF 1939 1 oszt. eln. 3478, Az. 10.068 ko.I.-1938. 815  Ebenda, VKF 1939 1 oszt. eln. 3478. 816 Ebenda.

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Dienst darauf achten sollte, zu verhindern, dass er bei der erneuten Einberufung wieder in die Situation käme, den Dienst an der Waffe verweigern zu müssen und erneut auf die gleiche Weise straffällig würde.817 Daraufhin wurde am 30. Januar 1936 zunächst eine ärztliche Untersuchung zur Prüfung seiner Tauglichkeit angeordnet. Am 2. April 1936 erging dann eine Anordnung unter Verweis auf ein internes Schreiben des Verteidigungsministeriums vom 3. März 1936. Darin wurde wie von Gömbös vorgesehen und gemäß der Pro-domo-Notiz gefordert verfügt, Mészáros nach Haftverbüßung bis zur „weiteren Entscheidung im waffenlosen Hilfsdienst“ einzusetzen.818 Zu einer solchen „weiteren Entscheidung“ kam es 1938. Mészáros wurde am 20. November 1938 erneut eingezogen. Als Soldat im medizinischen Dienst verweigerte er wiederum den Dienst an der Waffe und wurde wegen Befehlsverweigerung erneut zu einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.819 Laut Verhörsprotokoll vom 2. Dezember 1938 war er zwar nicht bereit, die Waffe zu gebrauchen, einer Waffenreinigung durch ihn würde er sich jedoch nicht entziehen, da er damit keinen Anteil am Kampf oder der damit verbundenen Vorbereitung habe.820 Es ginge ihm lediglich darum, damit nicht durch die Bibel verbotene Tätigkeiten wie das Töten von Menschen durchführen oder trainieren zu müssen. Einer Pro-domo-Notiz des Mitarbeiters der Präsidialabteilung 13 Frigyes Kormann zufolge wurde der Innenminister am 18. Dezember 1938 mit Bezug auf seine Verordnung 5.431 vom 28. Februar 1938 informiert und ihm die Abschrift des Verhörsprotokolls zugestellt mit der Aufforderung, etwas „zum Schutz gegen die Sekten, welche die militärischen Interessen gefährden“ zu unternehmen.821 Ganz offensichtlich hatte sich 1938 die Ansicht zum Umgang mit Befehls- oder Wehrdienstverweigerern nach dem Anschluss Österreichs und der weiteren Annäherung Ungarns an Deutschland einschneidend verändert. Nunmehr wurden die Nazarener auch nach Strafverbüßung erneut zum Dienst an der Waffe herangezogen. Die Gömbös-Lösung, die ja auch nur einen halbherzigen Kompromiss darstellte und die Arbeitskraft der Betreffenden zu nutzen suchte, war spätestens damit obsolet. Vom Innenministerium forderte das Verteidigungsministerium ein entschiedenes Vorgehen gegen die Gemeinschaften ein. Das bestätigt sich auch in dem Fall des bereits erwähnten Nazareners Imre Mészáros, der nach erneuter Verweigerung des Dienstes an der Waffe im Dezember 1938 zu einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden war. Nachdem er im Mai 1940 seine Haftstrafe verbüßt hatte, erhielt er noch im selben Monat eine weitere Einberufung, was nach Erlass des Gesetzes II/1939 zur Landesverteidigung und des mittlerweile eingetretenen Kriegszustandes nicht anders zu erwarten gewesen war. Möglicherweise hatte man nach der 1939 ergangenen Verbotsverfügung des Innenministers angenommen, die Angehörigen der Gemeinschaften würden nun ihre Haltung zum Militärdienst ändern. Das war zumeist nicht der Fall. Auch Mészáros verweigerte am 27. Mai 817 Ebenda. 818 

Ebenda, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032. VM Az. 110.803/eln. 10 1936. Ebenda. Anklagebefehl vom 9.12.1938. 820  Er hätte auch bereits mehrfach die Waffen im Waffenlager gereinigt. 821 Ebenda. 819 

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1940 wiederum den Befehl zur Waffenannahme und zum Exerzieren, was zur sofortigen Festnahme führte.822 Mészáros blieb auch später weiter bei seiner Haltung, keine Waffe in die Hand zu nehmen und wurde, wie aus einer Information des Militärstrafgefängnisses Szeged vom 22. März 1943 an den Verteidigungsminister hervorgeht, vom MG Szeged am 1. August 1942 zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt.823 Auch der am 28.5.1914 geborene Schwager von Imre Mészáros, Ferenc Györffy, ebenfalls Nazarener war bereits am 1. Februar 1937 eingerückt, wurde am 6. Februar wegen Verweigerung der Annahme der Waffe festgenommen und vom MG Pécs zu 2 Jahren Haft verurteilt, kam nach 6 Monaten Haftermäßigung am 5. August 1938 aus der Haft, da er offensichtlich nur für Hilfsdienste tauglich war. Er wurde zum waffenlosen Dienst eingeteilt, und kam nach zwei Wochen Dienst im Pécser Garnisonspital auf freien Fuß. Schon am 20. November 1938 erhielt er dann den nächsten Stellungsbefehl und rückte ins Pécser Militärhospital ein. Wie er berichtete, wurde „am 24. November die Abteilung bewaffnet“ und Györffy festgenommen, da er den Befehl zum Exerzieren mit Gewehr verweigert hatte. Wiederum kam er vor das MG Pécs, das ihn zu 1 Jahr und 6 Monaten verurteilte. Im Mai 1940 hatte er seine Strafe verbüßt, und wurde zusammen mit Imre Mészáros als Sanitätssoldat im Szegeder Garnisonspital eingesetzt. Am Morgen des 27. Mai weigerte er, ein Gewehr zu Übungszwecken anzunehmen.824 Die Prozedur konnte so quasi endlos fortgesetzt werden. 3.  VO 5.431/1938 und weitere Maßnahmen des Innenministers Wenngleich der genaue Wortlaut der VO 5.431/1938 des Innenministers, Abteilung VII (Öffentliche Sicherheit) vom 28. Februar 1938 nicht bekannt ist, finden sich in den Unterlagen des Verteidigungsministeriums zahllose Verweise auf diese VO. Aus den Zusammenhängen kann geschlossen werden, dass die Abteilung VII beim Innenministerium über die Vorfälle von Befehls- und Dienstverweigerung beim Militär unterrichtet werden sollte. Dieser Aufforderung kamen alle Militärbehörden nach. Jeder Verweigerungsfall wurde grundsätzlich mit Bezug auf die Verordnung 5.431/1938 des Innenministers vom 28. Februar 1938 an den Innenminister berichtet, eine Abschrift des Verhörsprotokolls ging an ihn und eine parallel 822  Ähnlicher Fall: Die zwei Nazarener, Sándor Sz. und István Sz. haben gemäß dem Verhörsprotokoll vom 3.11.1938 die Annahme der Waffe verweigert. István Sz. war deswegen 1936 bereits zu 8 Monaten verurteilt worden. Sándor Sz. wurde noch im selben Jahr vom MG Szeged zu 1 Jahr 2 Monate wegen Insubordination verurteilt, die er am 2.1.1940 in Szeged verbüßt hatte. Danach wurde er am 3.1.1940 wieder einberufen, verweigerte am 4.1. die Annahme eines Gewehrs, wurde inhaftiert und am 27.1.1940 nach Debrecen überstellt. Ebenda, 1940 13. oszt. 3812 cs. 427.511. MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 6, 7. Verhörsprotokoll vom 5.2.1940. 823  HM, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032. Az. Hb 554/1942. Mit Schreiben des Justizministeriums an das Verteidigungsministerium vom 21.4.1943 wurde (wegen der Überbelegung des Militärgefängnisses) die Überstellung in das Szegeder kgl. Bezirksgefängnis angeordnet. Mészáros sei in der Landwirtschaft einsetzbar. Ebenda. 824  MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 12 – 14. Verhörsprotokoll vom 2.12.1938.

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an den Verteidigungsminister. Ein Beleg für die enger werdende Zusammenarbeit dieser Ministerien. Auf diese Art und Weise kam das Innenministerium in den Besitz frischer Informationen über religiöse Verweigerer, die auch lokale Rückschlüsse auf die Tätigkeit der kleinen Religionsgemeinschaften zuließen. Diese Verordnung ist somit eine weitere Maßnahme zum Schließen des Netzes um die noch aktiven Anhänger der Gemeinschaften. In diesem Zusammenhang sei auf eine Anordnung der Budapester Gendarmerie vom September 1938 hingewiesen, wonach Personen, die vor allem aus militärischen Interessen nicht erwünscht waren, dringend aufzuschreiben waren. Genannt wurden Personen, auch Frauen, die der Spionage verdächtig waren, alle „eingefleischten Kommunisten“, Personen, die verdächtig waren, bei der Herstellung von Rüstungsmitteln Streik oder Sabotage zu organisieren oder „die einschlägig verdächtig sind, antimilitaristische Propaganda zu verbreiten (darunter einige ordnungswidrige Mitglieder von Sekten)“.825 Wie das Innenministerium mit den resultierenden Informationen zu dieser Zeit umging, ist nicht ganz klar, kann aber teilweise durch die weiteren Geschehnisse in einzelnen Fällen nachvollzogen werden. In den Akten des Innenministeriums findet sich die Sache des Nazareners Bodó Illés aus Kiskundorozsma, der im Oktober des Jahres den Waffenbefehl verweigert hatte, was dem Innenministerium am 11. Dezember mitgeteilt wurde. Bereits zuvor war wahrscheinlich von den Militärbehörden bei den örtlichen Behörden über sein Umfeld nachgefragt worden, woraufhin die Szegeder Gendarmerie am 18. November 1939 dem Staatsanwalt des Armeekorps-Kommandos Székesfehérvár berichtet hatte, dass es in der Gegend von Kiskundorozsma ungefähr 20 bis 30 Mitglieder gäbe und benannte den örtlichen Leiter der Gemeinschaft namentlich.826 Das könnte darauf hinweisen, dass das Verteidigungsministerium zu dieser Zeit versuchte, sich selbst ein Bild von der Aktivität der Gemeinschaften zu machen. Von einem Vorgehen gegen die Mitglieder in der Gegend im Zusammenhang mit diesem Fall ist nichts bekannt. Von weiteren Fällen wurde dem Innenminister unter anderem am 11. November 1939 bezüglich der Zeugen Jehovas János Csiki und Alajos Hócza berichtet,827 am 5. Dezember bezüglich des Nazareners Sándor Márton828, am 7. Dezember des Adventisten István Juhász, am 9. Dezember von dem Zeugen Jehovas Ignác S.,829 jeweils mit Bezug auf die VO 5.431/1938. Möglicherweise musste sich diese Zusammenarbeit erst einspielen. Auf dem Schreiben zu den Zeugen Jehovas Csiki und Hócza vom 11. November 1939, aus dem auch hervorgeht, dass die Militär-Staatsanwaltschaft von Miskolc ein Strafverfahren eingeleitet hat, findet sich der handschriftliche

Fazekas, Kisegyházakzok, S. 167 f. MOL, K150-VII-6 – 1939, Bl. 23 ff. 827  Ebenda, Bl. 28. 828  Ebenda, Bl. 27. 829  Ebenda, Bl. 29. 825 

826 

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Vermerk „Uninteressant, da es keine Kateg. darstellt“.830 Andererseits wurden dem Innenministerium durch die Menge der Meldungen der Militärbehörden die Häufigkeit der Befehlsverweigerungen bewusst, was Handlungsdruck erzeugt haben dürfte. 4.  VO 8.769/1938 des Verteidigungsministers Wie die Unterlagen des Verteidigungsministeriums zeigen, war man von dieser Seite entschlossen, etwas gegen die Gemeinschaften zu unternehmen. So lief, wie aus einer Pro-Domo-Notiz vom Oktober 1938 hervorgeht, im Verteidigungsministerium eine interne Diskussion, wie mit den Verweigerern zukünftig zu verfahren sei. In verschiedenen Akten findet man einen Verweis auf eine nicht veröffentlichte Anordnung der präsidialen Abteilung 13, der Rechtsabteilung, mit Az. 8.769 vom 6. August 1938, deren genauer Inhalt bisher nicht bekannt ist. Diese Anordnung findet sich häufig in Akten in Verbindung mit Angehörigen der Nazarener oder Zeugen Jehovas, wenn es um die Verweigerung des Waffen- oder Militärdienstes bzw. um militärische Interessen ging.831 Mit dieser Verordnung scheint die Befragung der Angeschuldigten beim Verhör geregelt worden zu sein. So wurde in einem Schreiben über das Verhör eines Inhaftierten erklärt, es sei auf der Grundlage der VO 8.769 geführt worden.832 Wie aus einer Veröffentlichung in der Militärzeitschrift „Magyar Katonai Szemle“833 von März 1940 hervorgeht, sollten auf der Grundlage dieser Verordnung Personen, gegen die ein Strafverfahren wegen einer Straftat aus religiösen Gründen eingeleitet wurde, im Verhör „eingehend auf ihre Lehren usw. befragt werden“. Eine Abschrift des Verhörsprotokolls war dann dem Verteidigungsminister, eine andere dem Innenminister zuzustellen, wodurch er über „die antimilitaristschen Sektenbewegungen“ auf den Laufenden gehalten würde, um gezielter handeln zu können.834 Wie die Protokolle zeigen, ging man bei den Verhören möglichst genau auf die Umstände ein, wie der Delinquent zu seiner Überzeugung gekommen war. So erfuhr man zum einen mehr über den Standpunkt der Person und konnte bei Umerziehungsmaßnahmen gezielter ansetzen. Zum anderen erhielt man Informationen darüber, wer oder was (zum Beispiel welche religiöse Publikation) diese Überzeugung ausgelöst hat, wodurch wiederum ein Vorgehen gegen diese Person/en oder das Verbot einer Publikation ver830 

Ebenda, Bl. 28. Z. B. HM, 1940 13 oszt. 454.458 (militärische Interessen), ebenda, 1942 13 oszt. 784 cs. 51.599 (Waffenverweigerung), ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. 13.989.sz. (militärische Interessen), MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230 (militärische Interessen), HM, 1942 13. oszt. 5553 cs. 455.942 (Waffendienst). 832  Vgl. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230. 833  Ungarische Heerschau. 834  Kormann, Frigyes: A honvédelem érdekeit veszélyeztető felekezetek elleni védekezés [Schutz gegen die Sekten, die die militärischen Interessen gefährden]. In: Magyar Katonai Szemle [Ungarische Heerschau], Nr. 3, 1940. S. 773 – 782, hier S. 777. Vgl. auch HM, 1942 eln. 13. 5557 cs. 31.026. 831 

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anlasst werden konnte. Und darüber hinaus versuchte man herauszufinden, mit wem derjenige in Kontakt stand, wer noch diese Glaubensansichten vertrat – und das möglichst genau mit Namen und Adresse. Mittels dieser Informationen konnte dann ein Vorgehen gegen die anderen noch aktiven Glaubensanhänger organisiert werden. Eine Strategie, die in den 1940er-Jahren eine große Rolle spielen sollte. In der oben erwähnten Diskussion mit Az. 8.769 von 1938 hieß es weiter, dass man erwartete, eine „grundlegende und allgemeine Regelung [würde …] längere Zeit in Anspruch nehmen“. Daher wurde von der Präsidialabteilung A empfohlen, wie folgt vorzugehen: „a./ Die zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Nazarener nehmen an einer allgemeinen auf religiöser Grundlage stehenden, Ausbildung im militärischen Geist teil /: Zuchthausgeistlicher :/ und zu der in dem Bericht von dem Kommando der 4. Gemischten Brigade erwähnten Vergünstigung /: Büroarbeit usw. :/ werden sie nur dann eingeteilt, wenn sie Anzeichen der Besserung aufweisen.“ Und „b./ Nach Verbüßen ihrer Strafe sind sie unverzüglich zum Waffendienst einzuziehen und wenn sie den wieder verweigern, ist erneut ein Strafverfahren gegen sie einzuleiten. Das wird so lange abwechselnd durchgeführt, bis sie sich einsichtig zeigen bzw. bis sie den Status oder Zustand erreicht haben, da sie für den Dienst an der Waffe tatsächlich nicht mehr einsetzbar sind.“835 Inwiefern diesem Vorschlag entsprochen wurde, kann der Akte nicht entnommen werden. Wie die nachstehenden Fälle jedoch zeigen, ist das sehr wahrscheinlich. Auch im Fall Mészáros könnte bereits dieser Empfehlung gemäß verfahren worden sein, weshalb er am 20. November 1938 wiederum zum Waffendienst eingezogen und nicht weiter im waffenlosen Hilfsdienst eingesetzt worden war, was wiederum zur erneuten Verurteilung geführt hatte.836 Bálint Elekes aus Orosháza wurde laut Verhörsprotokoll vom 27. Juni 1939 am 1. Februar 1937 eingezogen, und befolgte den Einberufungsbefehl aufgrund der Überzeugungsarbeit seiner Eltern, hatte aber nach dem Besuch einer Zusammenkunft der Nazarener im Mai 1938 beschlossen, im Krieg keine Waffe zu gebrauchen. Daher verweigerte er am 7. Juni 1938 den Waffendienst. Seine vom MG Szeged ausgesprochene Strafe von einem Jahr hatte er am 7. Juni 1939 verbüßt und wurde erneut zum Dienst an der Waffe eingezogen und verweigerte erneut. Ein weiteres Strafverfahren folgte.837 5.  VO 92.518/1939 des Verteidigungsministers In Verbindung mit der Vorbereitung für eine Konferenz des Verteidigungsministeriums am 23. März 1939 und möglicherweise im Zusammenhang mit dem Erlass des neuen Gesetzesartikels zur Landesverteidigung im selben Monat verwies die Abteilung 13 des Ministeriums in einem internen Dokument, Az. 92.518/1938, vom 24. Februar 1939 zunächst auf die früheren Anweisungen von Gyula Gömbös aus den Jahren 1934 und 1935 und unterbreitete dann einen Vorschlag zur 835 

Ebenda, 1938 eln. A 45.938. Ebenda, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032. VM Az. 110.803/eln. 10 1936. 837  Ebenda, 1939 3090 cs. 35.274. 836 

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Behandlung von Mitgliedern „militärische Interessen gefährdender Sekten“, die durch Militärgerichte zu verurteilen waren. Zunächst wurde festgestellt: „Die über viele Jahrzehnte in Verbindung mit der Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen und durch die Militärgerichte verurteilten Nazarener gemachte Erfahrung zeigt, dass die Sektenanhänger selbst durch die schwersten Strafen nicht dazu zu bewegen sind, die Waffe in die Hand zu nehmen.“ Damit wurde auch deutlich, dass es sich hier nicht um Drückeberger handelte, sondern Personen, die aus Überzeugung keinen Dienst an der Waffe verrichteten. Wer sich lediglich um die Wehrpflicht drücken wollte, dürfte kaum wieder und wieder verweigert haben mit der Konsequenz, jedes Mal dafür eine längere Haftstrafe verbüßen zu müssen. So war schon in den Gerichtsunterlagen im Verfahren gegen den bereits bekannten Nazarener Mészáros explizit festgestellt worden, dass er „zweifelsfrei“ aus religiöser Überzeugung die Annahme der Waffe verweigert habe und „nicht deshalb Nazarener wurde, um sich dem Wehrdienst zu entziehen“. Seine Eltern gehörten schon 30 Jahre der Glaubensgemeinschaft an. Mészáros selbst war „vor der Waffenvergabe darauf aufmerksam gemacht worden, dass eine Verweigerung schwere Folgen haben würde und insbesondere eine schwere Freiheitsstrafe zu erwarten sei. Er ist dennoch dabei geblieben, die Waffe auch in der Zukunft nicht anzunehmen.“838 Wie die Erfahrungen vor und während des Ersten Weltkriegs gezeigt hatten, da die Glaubensangehörigen der Nazarener verschiedentlich jahrelang inhaftiert, in der Kriegszeit teilweise hingerichtet oder zu gefährlichstem Front-Sanitätsdienst eingesetzt worden waren, konnten sie nur selten zum Waffengebrauch bewegt werden. Andere militärische Aufgaben hingegen wurden von ihnen gewissenhaft, sogar unter Lebensgefahr durchgeführt. Gemäß dem internen Dokument, Az. 92.518/1938, konnten im Fall der verweigernden „Sektenanhänger“, die „als Ernährer der Familie oder als erblicher Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes die verkürzte Ausbildung erhalten“ würden839, bereits nach Verbüßen der Hälfte der Freiheitsstrafe der für die Altersgruppe festgelegten tatsächlichen Dienstzeit für den waffenlosen Dienst eingeteilt oder wenn invalid entlassen werden. Offensichtlich hatte es bisher auch in der Frage, wie mit den Nazarenern verfahren werden soll, die den Dienst an der Waffe während der Übung verweigerten und verurteilt wurden, noch keine Entscheidung des Ministers gegeben, sondern nur für den Fall, dass die Waffenannahme direkt nach Einberufung verweigert wurde. Solche Vorfälle habe „es erst in der letzten Zeit gegeben und in Bezug auf die einzuschlagende Verfahrensweise waren der Vorschlag der 13. Abteilung und der Standpunkt einiger der beteiligten […] Abteilungen bisher nicht vereinbar“. Bis zu diesem Zeitpunkt waren offensichtlich die Nazarener noch die häufigsten und bekanntesten Verweigerer. Waffen- bzw. wehrdienstverweigernde Angehörige anderer Gemeinschaften rückten jedoch zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. Dies zeigen auch die Ausführungen der Abteilung 13 838 

Ebenda, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032 Hier gab es z. B. gemäß §§ 29, 30, 43 GA II/1939 entsprechende Ausnahmeregelungen, die dann im Fall der Verweigerer jedoch nicht zur Anwendung kommen sollten. 839 

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in dem Dokument, Az. 92.518 vom 24. Februar 1939: „Die Mitglieder der übrigen Sekten betreffend, die die militärischen Interessen gefährden / Adventisten, Millenisten, Jehova Gott Zeugen usw., gibt es bisher noch keine Grundsatzentscheidung des Ministers, es wird vielmehr von Fall zu Fall entschieden, ob auch mit diesen Sektenanhängern im Sinne der Verordnung für die Nazarener entschieden werden kann oder nicht.“ Diese Verfahrensweise wurde in Frage gestellt und eine Veränderung gefordert, „da die Zahl der Anhänger der Sekten steigt, die die militärischen Interessen gefährden; die Wirksamkeit der Mittel der Verteidigung sind daher zu erhöhen“. Man kam zu folgenden Vorschlägen: Erstens: „Die wegen Verweigerung des Waffendienstes oder eines anderen wichtigen Wehrdienstbefehls aus religiösen Gründen sowohl im ordentlichen tatsächliche Dienst, wie auch im Reservedienst verurteilten Sektenangehörigen – also nicht nur die Nazarener, sondern auch die mit ihnen auf eine Stufe zu stellenden anderen Sektenanhänger, kommen erst nach Verbüßen der Freiheitsstrafe, die einer Dopplung der im Militärgesetz festgelegten ordentlichen tatsächlichen Dienstzeit entspricht, zum waffenlosen Dienst in eine medizinische Einrichtung, um dort die durch die Verbüßung der Freiheitsstrafe versäumte Dienstzeit nachzuholen.“ Das würde dazu führen, dass „die ‚Hartnäckigen‘ erst nach Verbüßen von insgesamt 6 Jahren Freiheitsstrafe und ordentlicher tatsächlicher Dienstzeit bzw. Reservedienstzeit wieder freikommen“. Eine lange Freiheitsstrafe, die man sich gut überlegen würde. Was den „Ernährer der Familie oder erblichen Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes oder den 4. Sohn einer mehr Soldaten abgebenden Familie“ anbelangte, schlug man vor, ihn zum Reservenachlass zu zählen, was bedeutete, dass sie „nach Verbüßen von drei Jahren, einer dem ordentlichen tatsächlichen Dienst entsprechenden Freiheitsstrafe, sie in den oben erwähnten waffenlosen Dienst eingeteilt werden“ können. Dieser Vorschlag müsse auch auf die angewandt werden, die während der Übung den Dienst an der Waffe verweigerten. Hatte der Verurteilte seine Strafe fast verbüßt, das heißt zwei bis drei Monate vor Ablauf, war er „dem Arzt vorzustellen“. Kategorisierte der Arzt ihn als „Invalid“, kam es zu einer Nachüberprüfung. Dabei waren wegen der Wichtigkeit der Wahrung der militärischen Interessen „die allerstrengsten Maßstäbe anzulegen“. Erst wenn er auch dann als dienstuntauglich eingestuft, kam es zur Entlassung aus dem Dienst. Diejenigen, die als für den „Frontdienst“ oder den „Hilfsdienst“ tauglich eingestuft wurden, mussten die durch den Freiheitsentzug verlorene Zeit nachholen „und zwar in einem waffenlosen Dienst bei einer medizinischen Einrichtung“. Allerdings mussten sie im Fall der Einberufung zu Wehrübungen ebenfalls eingeteilt werden. Interessanterweise hieß es dann sogar sehr klar, es sei „sicherzustellen, dass die, welche nach Strafverbüßung nicht zum nachträglichen waffenlosen Dienst in einer med. Einrichtung eingeteilt werden, zum Wehrdienst gedrängt werden. Es ist vorgekommen, dass nach Freilassung des Verurteilten, die direkt vorgesetzte Kommandantur aus falsch verstandener Menschlichkeit ihn zum waffenlosen Dienst einsetzte.“ Um ein Umdenken zu erreichen, wäre dafür zu sorgen, „dass die betreffenden Verurteilten während der Zeit ihrer Strafverbüßung einer ständigen Schulung unterzogen werden und sie darauf aufmerksam machen, dass sie, wenn sie ihre Verstocktheit aufgeben

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Kap. 5: Umgang mit Religionsfreiheit in der Zwischenkriegszeit

und überhaupt eine einwandfreie Haltung an den Tag legen, darum bitten können, einen Teil ihrer Freiheitsstrafe von oberster Gnade erlassen zu bekommen“. Mit anderen Worten, es sollte auf den Verweigerer eingewirkt werden, damit er seine Haltung aufgab, wobei die Wortwahl hier noch moderat ist. Allerdings wurde verschärfend hinzugefügt: „Die in ihrem Widerstand verharrenden Verurteilten müssten ihre Freiheitsstrafe mit der größten Strenge verbüßen, besonders zur schweren Arbeit herangezogen werden. Zu den weiteren Auflagen gehörten Einschränkung des Briefverkehrs und des Besuchrechts. Für eine bedingte Freilassung sollten wiederum nur die in Frage kommen, „die zeigen, dass sie bereit sind, die Waffe in die Hand zu nehmen und die bedingte Freilassung ist sofort zurückzuziehen, wenn der Betreffende den Dienst an der Waffe wieder verweigert“.840 Einteilung zum waffenlosen Dienst durfte es prinzipiell nicht mehr geben (außer im Fall von Untauglichkeit). Mittels dieser Verfahrensweise konnte extremer Druck auf die Verweigerer ausgeübt werden, um sie zu veranlassen, ihre Haltung aufzugeben. Freiheit gegen Waffendienst – oder anders gesagt: Freiheit im Tausch gegen die eigene Glaubens- und Gewissensüberzeugung. In der Folge wurde von oberer Stelle geprüft, ob die Militärbehörden der Anweisung nachkamen, was teilweise angemahnt werden musste. Das wird in nachfolgendem Fall deutlich: János Farkas, der noch kein Zeuge Jehovas war, sich aber zu den Lehren bekannte, und der Zeuge Jehovas György Pető, der laut Verhörsprotokoll vom 21. September 1939, den Glauben durch Publikationen der Gemeinschaft angenommen und ihn selbst mittels Publikationen weiterverbreitet hatte, wurden vom MG Miskolc am 30. September 1939 zu 1 Jahr 1 Monat bzw. zu 1 Jahr 6 Monaten verurteilt.841 Die Überprüfung der Unterlagen beim Verteidigungsministerium, juristische Abteilung, von Dr. Frigyes Kormann ergab, dass man sie zunächst zum waffenlosen Dienst hatte einsetzen wollen. Deshalb mahnte er in einer Pro-Domo-Notiz am 7. September 1939 die Generalstabsabteilung in Zukunft mehr darauf zu achten.842 Auffallend ist am Ende dieser Vorlage noch der Verweis auf den Militärrichter Dr. Frigyes Kormann, der sich mit dem Schutz vor Glaubensgemeinschaften beschäftigte, die militärische Interessen gefährdeten.843 Bei Kormann handelte es sich offensichtlich um einen Mitarbeiter der 13. Abteilung, der mit der Angelegenheit der religiösen Verweigerer befasst war, da die Unterschrift „Kormann“ verschiedentlich unter Schreiben des Verteidigungsministeriums, aus den Akten der Abteilung 13, an den Innenminister zu finden ist wie auch in Pro-Domo-Notizen und internen Diskussionen der Abteilungen des Verteidigungsministeriums bezüglich der Verweigerer. Zum Beispiel erscheint seine Unterschrift unter Pro-Domo-Einträgen im Fall des Nazareners Imre Mészáros, der seit 1934 wiederholt den Dienst an der Waffe verweigerte.844 Somit mag der Verweis auf Kormann, der selbst spä840 

Ebenda, VKF 1939 1 oszt. eln. 3478. Ebenda, 1940 eln. 13 3513 cs. 55.436. 842 Ebenda. 843  http://www.zmne.hu/tanszekek/Hadtortenelem/MKSZ/1940.htm (Zugriff am 18.3. 2012). Kormann, S.  773 – 782. 844  HM, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032. 841 

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Abbildung 10: Unterschrift von Dr. Frigyes Kormann, MJTA, W-2193

ter in einem Artikel zur Thematik „Schutz gegen die Sekten“ immer wieder auf die Diskussion unter Aktenzeichen 92.518 der Abteilung 13 einging, ein Hinweis darauf sein, dass er aktiv an der Entwicklung der gleichnamigen VO mitgearbeitet haben könnte. In seinem Artikel zum Schutz gegen die die Verteidigungsinteressen gefährdenden religiösen Gemeinschaften von 1940 zitierte er sie eingehend.845 Am 11. März 1939 erging dann der GA II/1939 zur Landesverteidigung, mit dem nunmehr offiziell die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und die Verteidigung des Vaterlandes zur „allerheiligsten Pflicht“ erhoben wurde, was weitere Auswirkungen auf den Umgang mit den Befehls- und Wehrdienstverweigerern hatte. Wie die nachstehenden Beispiele zeigen, riss die Zahl der Verweigerer nicht ab. Aus einem Schreiben des Militärkommandos Pécs an das Verteidigungsministerium vom 27. Juli 1939 geht hervor, dass der Nazarener Pál Felső vom MG Szeged wegen Befehlsverweigerung zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Er hatte die Waffenannahme wiederholt mit den Worten „Das kann ich nicht tun“ verweigert, was eine die Existenzgrundlage der staatlichen Streitkräfte gefährdende Straftat sei und damit zu den schwersten Militärstraftaten gehöre. Daran änderte auch der Umstand nichts, dass er, wie er erklärte, bereit sei, sein Leben für das Vaterland zu geben aber ohne Waffe in der Hand.846 Interessant ist auch der Fall des Nazareners Lajos Szánto, der vom MG Kassa am 25. Mai 1939 auf der Grundlage von § 66, § 73 1 MStGB zu 4 Jahren Haft verurteilt wurde, da er die Waffe nicht angenommen hatte und auch später nicht dazu bereit war. Begründet wurde das verhältnismäßig hohe Urteil damit, dass er diesen Befehl und den zur Ableistung von Schießübungen abgelehnt, damit auch militärische Ausbildung abgelehnt hat und dass er nicht bereit sei, soldatische Dienste zu leisten, was eine schwere Befehlsverweigerung sei. Erschwerend käme hinzu, dass er den Befehl unter außergewöhnlichen Umständen verweigert habe und er mit seinem Verhalten ein schlechtes Beispiel gäbe. Der dann folgende Vorwurf muss verwundern, nämlich dass er sich erst mit 34 Jahren zu den Nazarenern bekehrt habe, also in einem Alter, in dem er die Notwendigkeit des Schutzes der nationalen Interessen hätte 845 

846 

Kormann, S.  773 – 782. HM, ?? 60.063?

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verstehen müssen. Szánto ging in Revision und sein Fall kam am 30. Juni 1939 vor das Höchste Militärgericht, das zunächst in der Hauptsache der unteren Instanz in Bezug auf die außerordentlichen Umstände der Tat und das schlechte Beispiel für seine Kameraden folgte. Zu dem Vorwurf jedoch, dass der Angeklagte sich noch im Alter von 34 Jahren zu den Nazarenern bekannte und die Notwendigkeit des Schutzes nationaler Interessen hätte sehen müssen, erklärte es, dass das mit seiner Tat nicht in Zusammenhang gebracht werden könne. Das Urteil wurde auf drei Jahre herabgesetzt.847 Was die Adventisten anbelangt, so waren sie, insofern es sich nicht um „Reformadventisten“ handelte, zumeist bereit, den Dienst an der Waffe zu verrichten. Allerdings kam es vor, dass sie Übungen am Samstag, der ihnen heilig ist, nicht verrichteten und dann auch Befehle verweigerten. So verweigerte Gábor Kovács laut Verhörsprotokoll vom 19. Mai 1939 den Dienst am Samstag; später erklärte er sich bereit, auch am Samstag Dienst zu verrichten. Er wurde am 9. Juni vom MG Kassa zu 6 Monaten erschwerter Haft verurteilt. Auch in diesem Fall wurde das Verteidigungsministerium informiert.848 Ähnlich der Fall Mihály Pozsár, der wegen Befehlsverweigerung an einem Samstag zu vier Monaten Zuchthaus verurteilt worden war, und wie aus einer Pro-domo-Notiz hervorgeht, danach bereit war, auch samstags Dienst zu leisten.849 In einem Fall hatte offensichtlich auch ein Adventist den Dienst an der Waffe verweigert. Wie aus dem Protokoll des ung. kgl. Budapester Verteidigungsgerichts über die Hauptverhandlung am 10. Januar 1939 in Sachen des Subordinationsvergehens gemäß § 66 und § 73 Abs. 1 MStGB gegen den Grenzsoldaten József Cs. hervorgeht, hatte dieser unter Berufung auf die zehn Gebote den Dienst an der Waffe verweigert, sei aber nunmehr bereit, „dem Befehl seiner Vorgesetzten in allem Folge zu leisten, und wenn es nötig ist, wird er sein Vaterland trotz seiner religiösen Überzeugung auch mit Waffen verteidigen“.850 Bei einem anderen Fall handelt es sich um einen Totalverweigerer. Im Unterschied zur „bloßen“ Verweigerung des Waffendienstes, lehnt ein Totalverweigerer den Militärdienst wie auch militärischen Ersatzdienst komplett ab, da beides eine Unterstützung militärischer Interessen, eine politische Anteilnahme oder auch Parteinahme ist und damit die Aufgabe der Neutralität zur Folge hat. Der Adventist Mihály L. gab im Verhörsprotokoll vom 20. Oktober 1939 an, den Militärdienst aufgrund seiner adventistischen Glaubensansichten nicht ausführen zu können, sich seine Haltung aber nicht gegen den Staat richte. Der Militärstaatsanwalt machte den Angeklagten darauf aufmerksam, „dass man die ihm aufzuerlegende Freiheitsstrafe mit der größten Strenge durchführen“ müsse, aber man diese Maßnahmen einstel-

847 

Ebenda, 1940 13. oszt. ? cs. 454.458. 1939 3091 cs. 26.541. Ebenda, 1941 eln. 13. 4336 cs. 74.847. Bereits 1930 war im Fall eines Adventisten beim Verteidigungsministerium von der Einheit „um seine Freistellung von den Beschäftigungen am Samstag“ nachgefragt, was abschlägig beantwortet wurde. Ebenda, 8893/Eln. 1930. 849  Ebenda, 1939 3092 cs. 11312. 850  MOL, K150-VII-6 – 1939, Bl. 17. 848  Ebenda,

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len könne, wenn er bereit sei den Militärdienst völlig zu verrichten und er „nur in diesem Fall zur bedingten Freiheit entlassen werden“ könne.851 Auch bei dem Zeugen Jehovas Lajos Újhelyi handelt es sich um einen Totalverweigerer. Er war, wie das Verhörsprotokoll vom 27. April 1939 erkennen lässt, weder bereit, eine Uniform anzuziehen, noch den Waffendienst zu leisten. Bevor er Zeuge Jehovas wurde, gehörte er der reformierten Kirche an. Er hatte früher den Eid abgelegt und als Soldat gedient. Nunmehr fühlte sich der 28-Jährige nicht mehr in der Lage dazu. Ein entsprechender Bericht ging am 16. Mai an den Innenminister. Als Újhelyi am 1. April aufgefordert wurde, sich das Rangabzeichen (einen Stern) eines Gefreiten auf die Uniform zu nähen, verweigerte er auch das. Das MG Kassa verurteilte ihn am 9. Juni 1939 wegen Befehlsverweigerung zu sieben Monaten erschwerter Haft, das heißt wöchentlich einen Fastentag und hartes Lager.852 József Nagy hatte sich mit der Lehre von Jehovas Zeugen beschäftigt, verschiedene Bücher gelesen, und war zu dem Schluss gekommen, keinen Wehrdienst leisten zu können, weshalb ihn das MG Kassa am 18. Juli 1939 zu sechs Monaten erschwerter Haft verurteilte mit wöchentlich zwei Fastentagen und harter Liege.853 Der Nazarener Sándor Némedi wurde wegen Befehlsverweigerung, er hatte die Waffe nicht entgegengenommen, vom MG Kassa am 11. März 1939 (Hb. 26/39 II.10) ebenfalls zu 6 Monaten erschwerter Haft verurteilt. Interessanterweise war er zuvor schon einmal in ähnlicher Sache zu 1 Jahr und 6 Monaten erschwerter Haft verurteilt worden. Nunmehr zu „nur“ sechs Monaten ist auffällig.854 Außer bei den Nazarenern mit Eides- und Waffendienstverweigerung, Zeugen Jehovas mit Total- oder Waffendienstverweigerung und einigen Adventisten mit Verweigerung von Samstagsarbeit bzw. Reformadventisten, die den Dienst an sich verweigerten, gab es kaum andere religiöse Verweigerer, von wenigen Einzelfällen abgesehen. Die Baptisten waren zumeist zum Dienst an der Waffe bereit. Im Zusammenhang mit ihrem Dienst war dem Verteidigungsminister im Juni 1930 durch die Gemeinschaft die Bitte um Stellung eines baptistischen Geistlichen für die baptistischen Wehrdienstleistenden mit dem Verweis vorgetragen worden, eine gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft zu sein. Aufgrund des Antrages wurde geprüft, um welche Anzahl Baptisten es sich handelte. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass es lediglich um 23 Soldaten ging, wurde der Antrag abgewiesen mit dem Verweis, dass besser dafür gesorgt werden solle, dass die Betreffenden an religiösen Vorträgen baptistischer Geistlicher teilnehmen könnten.855 Wohl aufgrund der vielen Verfahren und der klaren Haltung der verweigernden Glaubensangehörigen erließ das Verteidigungsministerium am 7. Juli 1939 die Verordnung 92.518/eln.13.-1938 gleichlautend mit dem Dokument 92.518 der Abteilung 13 des Verteidigungsministeriums vom 24. Februar 1939. Ebendiese 851 

Ebenda, Bl. 35, 37. HM, 1941 eln. 13. 4340 cs. 74842. HM, 1939 3092 cs. 24261. 853  Ebenda, 1940 13. oszt. 3809cs. 464.619. 854  Ebenda, 1939 (3092?) cs. 11988 (?). 855  Ebenda, 1930 10.826 Präsidialabteilung 3429, 1930 12.860 Präsidialabteilung 3978. 852 

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Abteilung schrieb am 29. Mai 1940 an die Präsidialabteilung mit Bezug auf die VO, deren genauer Wortlaut nicht bekannt ist, sich wohl aber stark am Text des Vorgangs, Az. 92.518, vom Februar 1938 anlehnen dürfte: „Die tief greifenden Veränderungen in unserem Verteidigungssystem nach Inkrafttreten des Verteidigungsgesetzes II/1939, insbesondere die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und damit in Verbindung das große nationale Interesse an der größtmöglichen Inanspruchnahme der für die Verteidigung tauglichen ungarischen Staatsbürger, hat es notwendig gemacht, dass wir den Schutz gegen sog. antimilitaristische Sekten /Nazarener, Jehova Gott Zeugen usw./ durch die Militärgerichtsbarkeit und insbesondere beim Vollzug der durch die Militärgerichte verhängten Freiheitsstrafen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln immer entschiedener und erfolgreicher durchführen [Unterstreichung im Original].“ Es sei daher nötig gewesen, die Militärstrafverfahren wegen der „von den Anhängern der erwähnten Sekten aus religiöser Überzeugung verübten Straftaten“ sowie die Vorgehensweise der Militärbehörden beim Vollzug der „verhängten Freiheitsstrafen“ neu zu regeln.856 Daraus ist zu schließen, dass die Bestrafung verschärft und die Dauer der Freiheitsstrafen hochgesetzt wurde, was durch mehrere Verfahren belegt werden kann. Mit dieser Verordnung versuchte das Verteidigungsministerium, die Verweigerer weiter abzuschrecken. Bereits am 13. Juni 1940 meldete die Szegeder Militärstrafvollzugsanstalt dem Verteidigungsminister, dass „die Sektierer in der Strafanstalt hier im Sinne der VO 92.518/eln. 13 1938 vom 7. Juli 1939 besondere Behandlung, Schulung und Erziehung erfahren, sodass sich ihnen für eine Bekehrung mehr Möglichkeiten eröffnen“. In diesem Zusammenhang bat man um Rücküberstellung von „9 verurteilten Sektierern“.857 6.  VO 32.816/1939 des Oberbefehlshabers und weitere Entwicklungen Die unerwartet hohe Anzahl der Verweigerer scheint auch den Oberbefehlshaber der ung. kgl. Armee, Vitéz858 Hugó Sónyi859 (1883 – 1958), persönlich am 7. Juli 1939 auf den Plan gerufen zu haben, der in einer Grundsatz-Verordnung 32.816/1939 das ung. kngl. Generalkommando der Verteidigung zu dem „Verfahren gegen Sektenanhängern“ anwies, mit den zu den Streitkräften eingezogenen 856 

Ebenda, 1940 eln. 13. 32. cs. Az.: 181/1940, Bl. 363. 1940 eln. 13, 3816 cs. 462.352. Bei den 9 in der Anlage wegen Befehlsverweigerung aufgelisteten Personen handelt es sich zumindest teilweise um Nazarener, die 1938 oder 1939 zu Freiheitsstrafen von einem Jahr einen Monat und vier Jahren verurteilt worden waren. 858  Der Titel Vitéz (Held oder Ritter) wurde nach dem Ersten Weltkrieg verdienten Soldaten verliehen, wobei sie durch Ritterschlag in den 1920 von der ungarischen Regierung gegründeten Orden, Vitézi Rend (Stand der Tapferen) aufgenommen wurden. VO 6.650/1920. MRT 1920, S. 393 – 399. Dabei wurden sich verdient gemachte Personen im Namen eines Kriegsgottes zum Helden geschlagen. In diesen Orden waren keine Juden aufgenommen worden. Silagi, Juden, S. 205. 859  Sónyi war von 1936 – 1940 Oberbefehlshaber der ungarischen Armee. Der Ausbau der Streitkräfte war eines seiner Hauptanliegen. Er gehörte ab 1939 zum Oberhaus. 857  Ebenda,

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„Irregeführten der antimilitaristischen Sekten, die für das Militär großen Schaden bringen, ist streng zu verfahren“. Andererseits könne es jedoch auch nicht das Ziel sein, „diese vielleicht gutgläubigen Menschen im Laufe der Strafverbüßung völlig zu verlieren“. Es gäbe verschiedene Beispiele dafür, dass „der gutwillige Rekrut“ nach entsprechender Aufklärung, bereit war, zur Waffe zu greifen. Er verfügte daher, „dass bei Einberufung solcher Personen, von denen bekannt ist, dass sie Anhänger einer solchen Sekte sind, entsprechende Aufklärung vorzunehmen ist. Ihnen ist vor Augen zu führen, wie schädigend für Nation und Rasse sich ihre Haltung auswirkt, dass sich nicht eine einzige zur Nation gehörende Person dieser allerheiligsten Pflicht entziehen kann, weil sie in dieser Nation als Gegenleistung für ihre Verpflichtungen auch Rechte genießt“. Es sei darauf hinzuweisen, dass mit diesen Lehren fremde, feindliche Kräfte von außen versuchten, diejenigen zu unterstützen, die die Nation schwächen wollten, und dass das Gesetz auf diesem Gebiet keine Gnade kenne. Diese Belehrung müsse schon ganz am Anfang vorgenommen werden, „damit die Sektenanhänger sich im Klaren sind, wie mit ihnen verfahren wird“. Erst nach dieser entsprechenden Vorbereitung sollten sie zu Dingen herangezogen werden, die „ihnen ihre Glaubensansichten untersagen“. Und er fügte nachdrücklich hinzu: „Die Kommandanten bemühen sich neben der eindringlichen vorbereitenden Belehrung unter Zuhilfenahme aller zulässigen Mittel [Unterstreichung im Original] zu verhindern, dass der Anhänger der antimilitaristischen Sekte den ihm gegebenen Befehl, zur Waffe zu greifen oder einen anderen militärischen Dienst auszuführen, verweigert.“ Sollte der Befehl dennoch verweigert werden, müsse der Betreffende unverzüglich inhaftiert und das Strafverfahren eingeleitet werden. Er rügte, dass vorgekommen sei, dass wegen Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen inhaftierte Sektierer nach Verbüßen der Strafe zum waffenlosen Dienst eingeteilt worden waren „und damit entgegen dem Gesetz ihren Willen durchsetzen konnten“. Er forderte ausdrücklich: „Das darf nicht passieren. Ich verfüge, dass jeder Sektenanhänger, der wegen Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen verurteilt wurde, nach Verbüßen seiner Strafe immer wieder neu zum Waffendienst herangezogen wird.“860 Diese VO entstand offensichtlich in enger Zusammenarbeit mit der Rechtsabteilung des Ministeriums, der präsidialen Abteilung 13., da im Kopf des Schreibens der Bezug zur Akte 36.440/1939 von Abteilung 13 angegeben wurde. Wenngleich die Einleitung fast gutmütig und verständnisvoll zu klingen scheint, da von „gutwilligen Rekruten“ und „Irregeführten“ gesprochen wird, die man aufklären müsste, nimmt der Ton eine andere Wendung, wenn es darum geht, sie ohne Pardon zum Verrichten des Militärdienstes zu bringen. Damit machte er zwei sehr unmissverständliche Aussagen. Zum einen, dass alle zulässigen Mittel eingesetzt werden sollten, um jemand von der Notwendigkeit des Wehrdienstes zu überzeugen, wobei die damals zulässigen Mittel, wie Beispiele zeigen, nicht an den heutigen Maßstäben gemessen werden dürfen. Und zum anderen, dass Verweigerer nach Strafverbüßung immer wieder zum Waffendienst 860 

HM, 1939 eln. 13 3094 cs. 36.440, Bl. 584 f.

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gezogen werden müssten, also aus dem Kreislauf nicht herauskämen, außer, sie willigten ein, Wehrdienst zu verrichten. Dass der Oberbefehlshaber sich persönlich dieser Angelegenheit annahm, unterstreicht deren Bedeutung. Der Verteidigungsminister wurde am 19. Juli 1939 mit der VO über „die Verfahrensweise der Militärkommandanten mit den Mitgliedern der Sekten, die die militärischen Interessen gefährdenden“ informiert.861 Spätestens jetzt war der Verteidigungsminister Károly Bartha (1884 – 1964)862 mit der Problematik der Wehrdienstverweigerer vertraut, und wird sowohl Innenminister, Justizminister, wie Ministerpräsident Pál Teleki als auch Reichsverweser Miklós Horthy vom Geschehen informiert und weitere Maßnahmen gefordert haben. Mit Schreiben vom 15. Juli 1939 war sichergestellt worden, dass die Verordnung 32.816/1939 des Oberbefehlshabers an alle betreffenden Abteilungen und militärische Justizbehörden weitergegeben wurde.863 Wie in der VO gefordert, gingen die Behörden mit allen – nicht nur zulässigen – Mitteln gegen die Verweigerer vor. Berichten von Zeitzeugen wie aus Archivunterlagen zufolge wurde massiv Druck, nicht nur mental, sondern physisch durch Misshandlung auf die Betreffenden ausgeübt. Es verwundert nicht, dass manche Verweigerer nachgaben, „umkippten“ und, wenngleich manchmal auch nur anfänglich, bereit waren, Waffendienst zu verrichten.864 Deutlich wird das auch im Fall des Zeugen Jehovas Ignác S., gegen den das MG Székesfehérvár am 9. November 1939 auf der Grundlage von § 66 und § 73 1 MStGB wegen Befehlsverweigerung verhandelte und ihn zu 8 Monaten Haft verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen als Angehöriger der „antimilitaristischen Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘“ den wichtigen Befehl, den Eid abzulegen, mit der Erklärung verweigert zu haben, die Befehle seiner Vorgesetzten nur insofern erfüllen zu wollen, wie sie nicht gegen Lehren der Zeugen Jehovas verstießen.865 Ignác S. hatte ausgesagt, der „Kriegsartikel“ (also Gesetzesartikel II) sei zwar bindend, aber den Befehl die Waffe gegen andere einzusetzen, könne er nicht befolgen. Darüber hinaus warf man ihm vor, er habe vor anderen aus der Truppe erklärt, bald würde ein großer Krieg ausbrechen, in dem alle Bösen umkämen, die Guten aber überlebten 861 

Ebenda, VKF, 1939 eln. 10 4353 cs. Bl. 681 f. Verteidigungsminister vom 15.11.1938 – 24.9.1942. 863  Ebenda, 1939 eln. 13 3094 cs. 36.440 Schreiben zur Sicherstellung der Weitergaben vom 15.7.39. 864  Ebenda, 1942, 13. oszt. 5548 cs. 466.568 (gewaltsame Einkleidung eines Zeugen Jehovas). Ebenda, 1943 ált. 13. 6588 cs. 483.474 (Geständnis mit Gewalt erzwungen, Sinneswandlung durch Misshandlung). Ebenda, 1943 13.oszt. 6588cs. 406101 (Anzeige gegen Husaren wegen Misshandlungen). Auch der Zeuge Jehovas József Király wurde mit Gewalt gezwungen, die Uniform anzuziehen, war jedoch dennoch nicht bereit zum Wehrdienst. Ebenda, 1940 13. 3808 cs. 463.227. Interview Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. 865  Bei Verweigerung der Eidablage ging man verschieden vor. Es gab auch Fälle, dass der Betreffende aus dem Arrest geholt wurde, sich in die hinterste Reihe stellen musste, ihm der Eidestext vorgelesen wurde und er seine Verweigerung erneut zum Ausdruck bringen musste, was vor versammelter Mannschaft sicher einigen Mut verlangte. Vgl. János Jancsó im Mai 1940. HM, 1940 eln. 13. 3508 cs. 455.031. 862 

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und man danach Maschinengewehre und Gewehre zu Pflugscharen und Spaten verarbeiten würde. Außerdem hätte er auch schlecht über Geistliche gesprochen, da sie Waffen segneten. Zudem hielt man ihm vor, Publikation der Gemeinschaft, zu verbreiten. Wie aus den Unterlagen hervorgeht, sollten gemäß der Verordnung von oberster Stelle (wohl bezogen auf die VO 32.816/1939) die „von Sekten Fehlgeleiteten“ besonders aufgeklärt werden, woraufhin zwei Offiziere am 25. August ein längeres Gespräch über seine patriotische Pflicht und die „falsche Lehren der Sekte“ geführt hätten. Der Angeklagte habe jedoch immer mit falsch angewandten Bibelversen geantwortet. Als man ihn auf „die antinationale Einstellung der Sekte aufmerksam gemacht und aufgefordert hatte, sofort jeden Kontakt abzubrechen“, hatte er abgelehnt. Auch die Aufforderung, den Eid abzulegen, lehnte er ab. Er wäre zwar bereit zur Waffe zu greifen, würde aber lieber sterben, als sie gegen Mitmenschen einzusetzen. Auch die Androhung von fünf Jahren Haft und dem Todesurteil im Kriegsfall hätten ihn nicht umstimmen können, worauf er zurück in seine Zelle gebracht worden sei. Dann hätte er sich am 5. September 1939 freiwillig gemeldet, darum gebeten, den Eid abzulegen zu dürfen und erklärt, er würde den Kontakt zur Glaubensgemeinschaft abbrechen.866 Auch in S. Fall war die Gendarmerie eingeschaltet worden, die am 7. Oktober 1939 zu berichten wusste, dass der Vater des Angeklagten, der der römisch-katholische Kirche angehörte, den Gemeindepfarrer gebeten hätte, seinem Sohn diese Lehren auszureden.867 Offensichtlich war das jedoch nicht gelungen. Am 4. Januar 1940 ging ein Schreiben an den Innenminister mit drei Publikationen (wahrscheinlich von Zeugen Jehovas), die bei S. gefunden worden waren.868 Interessanterweise geht aus den Unterlagen des Militärarchivs vom 19. November 1942 hervor, dass S. noch immer nicht bereit war, den Militärdienst zu verrichten. Dass lässt darauf schließen, dass er sich, als er sich „freiwillig“ gemeldet hatte, eine Verschnaufpause von dem auf ihn ausgeübten Druck verschaffen wollte. Vielleicht wollte er es auch tatsächlich entgegen seiner Überzeugung versuchen, und hat sich dann korrigiert. In jedem Fall illustriert es die angespannte Situation, in der sich die Verweigerer befanden.869 Wie aus späteren Berichten hervorgeht, kam es auch zu Misshandlungen durch das Militär.870 7.  VO 43.008/1939 des Verteidigungsministers Aufgrund dessen, dass Glaubensangehörige kleiner Religionsgemeinschaften verschiedentlich der Einberufung nicht oder nicht sofort Folge leisteten und offensichtlich die Verfahrensweise zu ihrer Ergreifung nicht klar geregelt war, wurde, 866 

Ebenda, 1942 eln. 13. 5162 cs. 55.670 (?). Az. HB.222/39. sz. 24. Ebenda, 1942 eln. 13 5161 cs. 53.229 (?). 868  Ebenda, 1942 eln. 13 51.61 cs. Az. 64.919. 869  Ebenda, 1942 13. oszt. 5545 cs. 490.951. 870  Z. B. Aus einer Pro-Domo-Notiz zum Fall Károly Tóth geht hervor, dass dieser in der Hauptverhandlung vor dem MG Kassa (Hb 430/40) erklärte, die in seinem VP vom 30.6.1940 gemachte Aussage sei durch Anwendung von Gewalt erzwungen worden. Ebenda, 1943 ált. 13. 6588 cs. 483.474. 867 

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wie gemäß der Pro-Domo-Notiz des Verteidigungsministeriums, Az. 43.008 der Präsidialabteilung 13 vom 25./26. August 1939 eine weitere Anweisung zum „Verfahren mit Personen, die dem Einberufungsbescheid nicht Folge leisten“, erlassen, die sich an alle Befehlshaber des Heeres, der Flotte und der Luftstreitkräfte richtete. Dabei wurde „unter Beachtung der derzeitigen besonderen Umstände“ verfügt, dass im Fall des Ungehorsams gegenüber dem Einberufungsbefehl die direkte vorgesetzte Behörde des Beschuldigten bzw. die Offiziere oder die vorgesetzte Truppe usw. unverzüglich den Tatbericht verfassen und diesen ohne Verzögerung direkt an den für die Strafverfolgung zuständigen Kommandanten weiterleiten müssten. Darüber hinaus müsse ein Namensverzeichnis der unerlaubt Fernbleibenden angefertigt werden und die nötigen Maßnahmen, zur Ergreifung des Betreffenden schnell und entschlossen durchgeführt werden“. Von der Anweisung wurde auch der Innenminister informiert.871 8. Reaktionen Aufgrund der Situation hatte einer der führenden Nazarener, Kálmán Kálmán, am 17. April 1939 ein internes Schreiben an alle Versammlungen der Nazarener gesandt, das sich mit der Situation der Wehrdienstverweigerer auseinandersetzte. Um die Situation etwas zu entschärfen, wurde erklärt, dass der Betreffende die Waffe schon annehmen könne, sie in seiner Obhut behalten, sie pflegen, sie auseinander nehmen und wieder zusammensetzen könne, sie von einem Depot in ein anderes bringen, aber damit nicht trainieren könne, da sie bereits für die Verweigerung einer solchen Handlung mit harten Zuchthausstrafen belegt werden konnten.872 Am 30. September 1939 machten die Nazarener dann eine Eingabe beim Verteidigungsminister. Darin erklärte man den Standpunkt der Gemeinschaft zum Wehrdienst, machte deutlich, dass sie den Dienst an der Waffe und das damit verbundene Training aus Gewissensgründen nicht durchführen könnten. Man bat den Verteidigungsminister darum, einmal bestrafte Nazarener nach Verbüßen zum waffenlosen Dienst einzusetzen. Sie beteuerten darin, keine Angst um ihr Leben zu haben, das Leben anderer aber nicht auslöschen zu können. Man bat auch darum, anstelle des Eids ein Gelübde ablegen zu können. Unterschrieben war die Eingabe von drei verantwortlichen Nazarenern (Kálmán Kálmán, Imre Nagy, Péter Kovácsevics).873 Szigeti zufolge kam die Bitte zu spät, da bereits am 1. September 1939 nach Kriegsbeginn in Ungarn der Ausnahmezustand ausgerufen worden war.874 Es darf jedoch angesichts der Gesamtentwicklungen und der bisherigen Umgangsweise mit den Verweigerern bezweifelt werden, dass auf die Forderungen auch nur ansatzweise eingegangen worden wäre, wenn man sie früher erhalten hätte.

871 

Ebenda, 1939 eln. 13 3094 cs. 43008. Kardos/Szigeti, S. 286 ff. 873  Szigeti, Szabadegyházak, S. 173 f. 874  Ebenda, S. 174. 872 

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Andererseits änderte die harte Verfahrensweise auch nichts an der Einstellung der Glaubensangehörigen. Wie die Akten zeigen, kam es zu weiteren Verurteilungen von Nazarenern. So im Fall Sándor Orcsik, der am 13. Dezember 1939 wegen Befehlsverweigerung verurteilt wurde, da er die Waffe zum Exerzieren nicht in die Hand genommen hatte.875 Aus einer Meldung vom 9. September 1939 an den Innenminister ging hervor, dass der Nazarener Ferenc Varga, der bereits 1913 wegen Befehlsverweigerung verurteilt worden war, erneut Befehlsverweigerung begangen habe. Varga wurde am 20. September deshalb zu 8 Monaten erschwerter Haft verurteilt. Hier haben wir den seltenen Fall, dass ein Verweigerer aus dem Ersten Weltkrieg erneut wegen seiner Haltung vor Gericht kam.876 In einem anderen Fall, war der Zeuge Jehovas Bálint Borbély 1934 mehrfach einberufen worden und hatte die Wehrübungen auch mit der Waffe verrichtet, allerdings, wie er im Verhörsprotokoll vom 6. Oktober 1939 angab, immer im Bewusstsein, keinen Menschen töten zu wollen. Als er den Stellungsbefehl erhielt, hatte er dann auch erklärt, keine Waffe gebrauchen zu wollen. Im Übrigen sei er vorbestraft, da er jemand ein religiöses Buch verkauft hatte.877 Oder die Angelegenheit der namensgleichen Zeugen Jehovas Károly Bolyog, Sohn von Sándor Bolyog, und Károly Bolyog, Sohn von János Bolyog, mit Abschrift des Verhörsprotolls vom 23. Oktober 1939, woraus hervorging, dass sie sich mit Verweis auf seinen Glauben nicht militärisch equipieren ließen und erklärt hatten, auch bis zum Tod keinen Militärdienst verrichten zu wollen. Das Protokoll machte auch deutlich, dass es in ihrer Heimat, in der Gegend von Beregrákos, viele „Konfessionslose“, darunter Zeugen Jehovas gäbe.878 In diesem Fall wurde die örtliche Gendarmerie eingeschaltet, die den Militärbehörden am 28. Oktober 1939 Auskunft zum familiären Umfeld der Betroffenen gab und erklärte, dass die „Verbreitung der staatsfeindlichen Sekte in Beregrákos“ auf das Jahr 1926 zurückginge und ihr 300 Personen angehörten.879 In einem anderen Fall war der Adventist János András, bis 1932 noch Baptist, nicht bereit, Uniform und Waffe anzunehmen.880 Von diesen Fällen wurde immer auch jeweils der Innenministers informiert, was den Vorwurf des Verteidigungsministeriums, die Gemeinschaften würden die militärischen Interessen gefährden, weiter untermauert und den Minister zum harten Eingreifen genötigt haben muss. Betrachtet man die chronologische Entwicklung der Vorgehensweise der Militärbehörden mit Waffen- und Militärdienstverweigerern, so kam es trotz der zunächst überraschenden Verordnung von Gömbös über den Einsatz der Nazarener nach Verbüßen der Strafe im waffenlosen Dienst 875 

HM, 1941 13. oszt. 4671 cs. 530468. Ebenda, 1939 13. oszt. 3092 cs. 44894. 877  MJTA, DOK-1799. 878  György Bolyog sagte in einem Verhör am 28.6.1940 aus, in Beregrákos seien ab 1925/26 40 – 50 Personen zum Studieren der Bibel zusammengekommen waren. Sie hätten von Dobránszky (Zonendiener) und Schiller Publikationen erhalten, später aus Prag. Seine Eltern waren schon seit 1925 Zeugen Jehovas. HM, 1942 5541 cs. ? 879  MOL, K150-VII-6 – 1939. 880  HM, 1939 13. oszt. 3090 cs. 49.263. 876 

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vor allem ab 1938 zu einer systematischen Verschärfung, was im Kontext der innen- und außenpolitischen Entwicklungen nicht verwundert, befanden sich doch gerade beim Militär relativ viele rechtsorientierte Beamte, auch Sympathisanten Szálasi’s. Dadurch gelangten zunehmend hungaristische Auffassungen und pro­ nazistischer Einfluss in die Armee.881 Diese Ansichten harmonierte wenig mit dem freiheitlichen Anliegen der Verfassungsgesetze zur Religionsfreiheit, die in den bisher untersuchten Diskussionen des Verteidigungsministeriums, vor allem der Rechtsabteilung (Präsidialabteilung 13) nicht erwähnt wurden, und auf die auch in den Verordnungen nicht eingegangen worden war, so als würden diese Gesetzesartikel für das Militär keine Rolle spielen. Die Militärbehörden kannten nur ein Ziel, jeden Militärpflichtigen für ihre Zwecke heranzuziehen. Verweigerer passten nicht in das militärische Konzept und waren mit allen Mitteln zum Waffendienst zu bewegen. War das nicht möglich, konnte der Betreffende die Haftanstalt nur als militärisch Untauglicher verlassen, bis dahin würde er wieder und wieder inhaftiert. Um das Verweigerer-Problem an der Wurzel anzugehen, musste man daher die Tätigkeit der Gemeinschaften unterbinden. Dazu übte das Verteidigungsministerium Druck auf den Innenminister auf und hielt ihn mit der Information zu den Vorfällen und damit zur Existenz und Tätigkeit der Gemeinschaften im Lande auf dem Laufenden. Insofern ergänzte die Ermittlungsarbeit der Militärbehörden die der Polizei und Gendarmerie – sie bildeten sozusagen eine dreifache Front gegen die Angehörigen der kleinen Religionsgemeinschaften. Das Verteidigungsministerium hatte großes Interesse daran, die Gemeinschaften nicht nur zu neutralisieren oder paralysieren, sondern zu eliminieren, damit es nicht mehr zu Verweigerungsfällen kam. Das jedoch war nur durch ein entsprechendes Verbot der Gemeinschaften und harte Maßnahmen gegen eine weitere Tätigkeit möglich. Es ist davon auszugehen, dass schon aufgrund der engen Zusammenarbeit der beiden Ministerien, das Verteidigungsministerium in dieser Hinsicht auf den Innenminister eingewirkt hat. Wie die Entwicklungen belegen, war die juristische Abteilung des Verteidigungsministeriums offensichtlich bereit, in ihren Anweisungen so weit wie irgend möglich zu gehen, wie die Aufforderung zur „Bekehrung“ der Verweigerer alle zulässigen Mittel zur Hilfe zu nehmen. In Anbetracht der weiteren Entwicklungen, der immer stärkeren Annäherung Ungarns an das kriegsbereite Deutschland, der fortschreitenden Rückgewinnung ehemals ungarischer Gebiete und schließlich des Kriegsbeginns lassen diese aggressiven Maßnahmen und Forderungen gegenüber den zivilen Behörden nicht verwundern. Auffallend bei der Betrachtung der religiösen Verweigerer ist die Entwicklung von der zunächst hohen Anzahl religiöser Verweigerer aus den Reihen der Nazarener, die nicht bereit waren zur Waffe zu greifen, aber sonst jeden militärischen Dienst mit der größten Bereitwilligkeit verrichteten, zur immer mehr zunehmenden Anzahl der Verweigerer aus der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas, die zumeist nicht nur den Waffendienst, sondern jeden militärischen Dienst aus Glau881  Szöllösi-Janze, S. 198. Vgl. Szita, Szabolcs: A Gestapo Magyarországon [Die Gestapo in Ungarn]. Budapest 2002.

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bensgründen ablehnten. Trotz der Menge der Verordnungen, die ergingen, um das Verweigererproblem zu lösen, erzielte man nicht die gewünschte Reaktion. Wenige der Verweigerer ließen sich von ihrer Glaubens- und Gewissensentscheidung abbringen. Tatsächlich auseinandergesetzt mit den Verweigerern, ihren Überzeugungen und ihrem Gewissen hat man sich militärischerseits nicht. Derartige Auffassungen konnten nicht richtig sein, waren sozusagen von vornherein indiskutabel. Die allerheiligste Pflicht des Dienstes am Vaterland stand über jeder persönlichen Gewissensentscheidung bzw. Glaubensansicht. Die Militärbehörden blickten zumeist auf die „Sektierer“, „Irregeführten“ oder „Fanatiker“, die sich von den militärdienstleistenden historischen Kirchen abgewandt hatten, herab. Das zeigt sich auch an dem in den Verhörsprotokollen und Diskussionen oft verwendeten Begriff „Konfessionsloser“ für die Angehörigen der gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften,882 der aber auch von zivilen Behörden gebraucht wurde.883 Diese Bezeichnung entstand wohl, weil Personen nach dem Austritt aus ihrer angestammten, zumeist historischen Kirche sich zu einer gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaft bekannten, nicht in eine rezipierte oder gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft eintreten konnten, und so als Kategorie gesehen nicht existierten – obwohl sie einer Konfession angehörten, hatten sie keine. Allein schon diese Bezeichnung weist auf die vorherrschende Ungleichbehandlung hin: Diese Personen wurden, obgleich sie einen Glauben hatten und einer Gemeinschaft angehörten, als Personen ohne Glauben abgestempelt. Wer nicht den historischen Kirchen oder gesetzlich anerkannten Gemeinschaften angehörte, hatte keinen Glauben. Das konnte zu dieser Zeit, da man in Ungarn noch relativ stark religiös orientiert war, für den Betreffenden ein Stigma sein.

VI.  Gesetzesartikel II/1939 Nachdem Ungarns Regierung schon im März 1938 im Győrer Programm den weiteren Ausbau der Streitkräfte angekündigt und beim Abkommen in Bled mit den Staaten der kleinen Entente Rüstungsgleichberechtigung vereinbart hatte, ging man an eine Neuorganisation und Mobilisierung der Streitkräfte. Nunmehr, da man 1938 einen Teil der Südslowakei und der Karpato-Ukraine zurückerhalten hatte, ging es um die vollständige Revision des trianonischen Vertrages und 882  Vgl. z.Β. Sándor Kánocz, Jehovas Zeuge (JZ), HM, 1943 eln. 13 6575 cs. 477.383. Ebenda, 1943 eln. 13. 6575 cs. 408.495. János Király, JZ, ebenda, 1942 eln. 13 5091 cs. 23.397. Károly Bolyog, JZ, MOL, K150-VII-6 – 1939, Bl. 19, 20. Ferenc Györffy, Nazarener, ebenda, K150-VII-6 – 1940, Bl. 12, 13. János Pilling jun., JZ, HM, 1941 eln. 13. oszt. 4338 cs. 78025. 883  Justizminister in Verbindung mit der STA und allgemein nicht anerkannten Gemeinschaften. MOL, K579 – 1932 Juli, Bl. 123, 126, 124 (5548 – 5552). In Verbindung mit der Ibrányer Glaubensgemeinschaft durch untere Behörden und den Innenminister, ebenda, K149 – 651-f-2 – 1932 – 6 – 6735, ebenda, K579 – 1931 – 2, Bl.  117, ebenda K579 – 1932 Oktober, Bl. 110, 122 (5520 – 5523).

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die komplette Annexion der Karpato-Ukraine und später von Siebenbürgen, wenn nötig mit Gewalt.884 Im Zusammenhang mit den Entwicklungen dürfte auch der Erlass des Landesverteidigungsgesetzes, GA II, am 11. März 1939 gesehen werden – ein Gesetz, das bis 1960 mit kleinen Änderungen Gültigkeit hatte.885 Dieser Gesetzesartikel bestimmte nunmehr ganz offiziell durch § 19 die allgemeine Wehrpflicht. Die Verteidigung des Vaterlandes gehörte zur allerheiligsten Pflicht eines Staatsbürgers, die jeder mit selbstaufopfernder Hingabe zu erfüllen habe, so die einleitenden Worte des Gesetzes.886 Neben dem Militär räumte das Gesetz auch der Levente-Organisation und -Ausbildung einen hohen Stellenwert ein. Doch GA II/1939 war nicht nur von militärischer, sondern von gesamtrechtlicher Relevanz und bestärkte die außerordentliche Macht der Regierung. Im Fall eines Krieges, aber auch schon bei unmittelbarer Kriegsgefahr wurden der Regierung und der militärischen Führung mehr Rechte zugesprochen. Gemäß § 141 GA II/1939 konnte in Kriegs- oder Gefahrenzeiten der Ausnahmezustand verhängt werden. Dadurch konnten die Behörden alles Nötige im Sinne der militärischen Interessen mittels Verordnungen veranlassen, waren nicht an den Gesetzesweg gebunden und konnten damit sogar die Verfassungsrechte ganz offiziell außer Kraft setzen – es herrschte Ausnahmegewalt. Das Argument, Maßnahmen im Interesse der Landesverteidigung zu treffen, ermöglichte aufgrund der Dehnbarkeit des Begriffs ein weites Spektrum an Aktionen. So ermächtigte es die Regierung, in Freiheitsrechte einzugreifen, wie zum Beispiel durch § 149 das Versammlungsrecht oder § 151 das Presserecht nach Bedarf zu kontrollieren und einzuschränken. § 152 ermöglichte Post-, Fernsprech- und Radio-Kontrolle. Nach § 150 konnte je nach Bedarf Polizeiaufsicht oder Schutzhaft verhängt werden. In Schutzhaft konnten die Betreffenden auch zur Arbeit herangezogen werden. Mit § 178 konnte der Aufenthalt im Ausland untersagt werden. In § 181 wurde der Straftatbestand beim Nichtantritt des Stellungsbefehls oder der Anstiftung dazu definiert. Mit diesem Gesetz konnte auch die Standgerichtsbarkeit wieder eingeführt werden, wozu es dann aber erst in der letzten Kriegsphase kam. Prinzipiell verpflichtete das Gesetz die obersten zivilen Behörden schon zu Friedenszeiten, alles zu tun, um die vom Obersten Rat der Honvéd („Legfelső Honvédelmi Tanács“) festgelegten Richtlinien zur Durchsetzung der militärischen Interessen zu unterstützen. Sie konnten vom Rat diesbezüglich auch um Auskunft 884  Tagesbericht über die Unterredungen zwischen Hitler, dem deutschen Außenminister Ribbentrop, dem italienischen Außenminister Ciano, dem ungarischen Ministerpräsidenten Teleki und dem ungarischen Außenminister Csáky am 10. Juli 1940. http://ungarisches-institut.de/dokumente/pdf/19400710 – 1.pdf (Zugriff am 15.12.2012). 885  Hende, Csaba (Kriegsminister): Magyar Köztársaság Kormánya [Regierung der Ungarischen Republik]. T/3478. számú törvényjavaslat a honvédelemről és a Magyar Honvédségről, valamint a különleges jogrendben bevezethető intézkedésekről [Gesetzesvorschlag Nr. T/3478 über die Landesverteidigung und die Ungarische Honvéd und über die Einführung besonderer rechtlicher Regelungen]. Budapest Juni 2011, S. 41. http://www.parlament. hu/irom39/03478/03478.pdf (Zugriff am 18.3.2012). 886  Tt., GA 1939/II.

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gebeten bzw. entsprechend angewiesen werden. Durch GA II wurde die oberste Militärführung im Kriegsfall mit Sonderrechten ausgerüstet, was ihr politisch Macht und Einfluss verlieh, geeignet, eigene Wege – auch an der Regierung vorbei – zu gehen. Teleki beklagte 1940 in der Folge bei Horthy, Ungarn hätte zwei Regierungen – die Telekis und eine militärische, die sich in innenpolitische wie in außenpolitische Themen einmischte.887 Mit dem Gesetz wurde auch die Grundlage für den Arbeitsdienst gelegt, da mit § 230 ein gemeinnütziger Arbeitsdienst vorgesehen war. Die Festlegungen im GA II/1939 zum gemeinnützigen Arbeitsdienst wurden in der VO 5.070 M.P. vom 12. Mai 1939 unter Bezug auf den GA konkretisiert, dabei wurde bestimmt, militärisch organisierte Arbeitslager einzurichten, wo der Dienst abzuleisten sei. Für den Dienst infrage kamen Personen, die für den Wehrdienst untauglich waren.888 Die Einberufung zum Arbeitsdienst oblag dem Verteidigungsminister. Eine Arbeitsdiensteinheit bestand aus zwischen 200 und 250 Mann. Anstelle einer Waffe erhielten sie einen Spaten.889 Diese Einrichtung bildet die Grundlage für die spätere Zwangsarbeit in Lagern wie Bor in Jugoslawien oder für Kommandos, die an der Front zum Beispiel zum Ausheben von Gräben, Errichtung von Stellungen, Räumen von Minenfeldern usw. eingesetzt wurden. Zwecks Aufstellung von Spezialarbeitseinheiten auf der Grundlage des GA II/1939 Teil 4 Kapitel I und II kam es am 10. Mai 1939 im Justizministerium zu einer Beratung, an der neben den Mitarbeitern des Justizministeriums, auch Beamte des Verteidigungsministeriums teilgenommen haben.890 Der Innenminister hatte dafür zu sorgen, dass entsprechende Listen mit infrage kommenden Personen erstellt würden; der Ministerpräsident kümmerte sich um entsprechende Verordnungen, um diese Dienste zu befördern. Gesetzesartikel II/1939 stellt ohne Frage den Höhepunkt der Maßnahmen dar – er war weitreichender und einschneidender als alle bisherigen Gesetze und Verordnungen. Er rüstete die Regierung quasi mit einer Generalvollmacht aus, wodurch sie weit reichende Maßnahmen ergreifen und sogar die Verfassungsrechte weit Szöllösi-Janze, S. 198. 1941 414.235. Der Fall eines Nazareners, der wehrdienstuntauglich dem Arbeitsdienst zugeteilt wurde, aber nicht bereit war, den Arbeitsdienst-Eid abzulegen. Er wurde daraufhin zu 6 Monaten Haft verurteilt. 889  MRT, I, 1939, S. 796 – 805. Braham, Randolph L.: A Magyarországi Holokauszt Földrajzi Enciklopédijája [Geografische Enzyklopädie des Ungarischen Holokaust]. Budapest 2007, S. 23 ff. http://haver.hu/wp-content/uploads/2012/11/A-H-O-L-O-K-A-U-S-Z-T-M-AG-YA-R-O-R-S-Z-%C3%81-G-O-N-T-%C3%96-RT-%C3%89-N-E-L-M-I-%C3%81-T-T-EK-I-N-T-%C3%89-S.pdf (Zugriff am 9.1.2013). 890  HM, 26.211/1939 eln. 18. Abt, Bl. 3 – 5R. Dabei ging es unter anderem darum, schon vor dem Krieg und im Krieg Personen, die nicht für Wehrdienst tauglich waren für militärische Interessen unterstützende Dienste nach §§ 81 – 86, 87 – 94 einzusetzen, allerdings Männer, die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft benötigt wurden, nicht abzuziehen. Auch über den Einsatz von Frauen wurde diskutiert. Vorschlägen zufolge sollten männliche Personen ab 12, weibliche ab 14 erfasst werden, Frauen für leichte Arbeiten eingesetzt werden. 887 

888  HM,

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einschränken bzw. komplett außer Kraft setzen konnte – und das nicht erst im Krieg, sondern bereits bei Kriegsgefahr. Recht und Rechtsprechung wurde dann durch militärische Interessen diktiert. Sie waren Dreh- und Angelpunkt in jeder Hinsicht, auch im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung oder auch inneren Ordnung. Die Verordnungen der Szálasi-Regierung gründeten sich ebenfalls auf GA II/1939.891 László Révész zufolge waren die durch das Gesetz gewährten außerordentlichen Vollmachten, die die Regierung unter Berufung auf die Interessen der Landesverteidigung ergreifen durfte, „in Wirklichkeit sehr weitgehend, da es lediglich von der Meinung der Regierung abhing, was sie als Interesse der Landesverteidigung erachtete“.892

VII.  Verbotsverfügung des Innenministers Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938, was den rechten Bewegungen Aufschwung gebracht hatte, wurde unter der Regierung Béla Imrédy’s von dem am 13. Mai 1938 neu ernannten Innenminister Dr. Vitéz Ferenc Keresztes-Fischer am 14. Mai 1938 in Verbindung mit einer Verschärfung des Vereinsrecht ein Gesetzesvorschlag eingereicht, dem mit Gesetzesartikel XVII/1938 entsprochen wurde. Horthy hatte von Imrédy erwartet, dem extrem rechten Kurs am Ende der Regierung seines Vorgängers Kálmán Darányis entgegenzuwirken und die innenpolitische Lage zu konsolidieren. Dem war Imrédy zunächst auch nachgekommen und möglicherweise sind die „Gegenmaßnahmen zum Missbrauch der Freiheit der Vereine“ auch in diesem Licht zu sehen und galten wohl vor allem der Einschränkung rechtsradikaler oder linksorientierter Vereinigungen. Bereits 1937 hatte man mit der VO 181.000 die Überwachung und Kontrolle des Vereinsrechts verschärft und die Bildung von Vereinen mit VO 181.001 eingeschränkt.893 Paragraf 1 des GA XVII/1938 sah nunmehr vor, dass „ein Verein oder jedwede andere Organisation nur über den Innenminister oder durch einen gemäß der gesetzlichen Ausrichtung zuständigen Minister aufgrund der vom Innenminister mit Sichtvermerk genehmigten Statuten tätig sein“ konnte (was nicht auf politische Parteien zutraf). Auch dürften die Vereinigungen keine gewissensbindenden Eide fordern. Paragraf 2 des GA verfügte, dass die Tätigkeit von Vereinigung oder Organisationen, die die unter § 1 festgelegten Bedingungen nicht erfüllten, „als verboten anzusehen“ war. Eine solche „verbotene Vereinigung oder Organisation“ konnte nach § 3 vom Innenminister „unverzüglich aufgelöst und das Eigentum für wohltätige Zwecke eingesetzt“ werden. Übertretungen der Vorschrift konnten laut §§ 4, 6, 7 mit Haft von zwischen 6 Monaten und 2 Jahren geahndet werden.894 In der Folge wurden Arbeitervereinigungen und sozialdemokratische Vereinigungen härter kontrolliert, zionistische Vereinigungen verboten oder stärker reglementiert. 1940 Szöllösi-Janze, S. 77 f. Révész, Verfassung, S. 55. 893  MRT, 1938, Teil I, S. 429 – 434. 894  MJTA, DOK-150. Tt., GA XVII/1938. 891 

892 

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wurde dann der Ungarische Verband der Zionisten verboten (Magyar Cionista Szövetség).895 Die Neuregelung der Vereinigungsrechte sollte auch in Verbindung mit den kleinen Religionsgemeinschaften noch eine Rolle spielen. Bei Innenminister Keresztes-Fischer gingen mit Verweis auf das noch unter der Darányi-Regierung von seinem Vorgänger, József Széll (1880 – 1956),896 verfasste Schreiben mit Aktenzeichen 5.431/1938. VII vom 28. Februar 1938 die Informationen von den Militärbehörden zu den religiösen Verweigerern mit Verhörsprotokollen ein, was ihn über die Haltung der Mitglieder der kleinen Religionsgemeinschaften (insbesondere der Nazarener, Zeugen Jehovas und Adventisten) zum Militärdienst und auch ihre Aktivität, teilweise auch Stärke der Anhängerschaft informierte,897 aber zugleich auch jedes Mal aufforderte, etwas „zum Schutz gegen die Sekten, welche die militärischen Interessen gefährden“ zu unternehmen.898 Eine Reaktion darauf konnte die Anordnung der Budapester Gendarmerie vom September 1938 sein, wonach aus vor allem militärischem Interesse nicht erwünschte Personen, Männer wie Frauen, aufzuschreiben waren, einschließlich aller, die der Spionage verdächtig waren, alle „eingefleischten Kommunisten“, diejenigen, „die einschlägig verdächtig sind, antimilitaristische Propaganda zu verbreiten“, inklusive „einige ordnungswidrige Mitglieder von Sekten“. Die direkte Nennung der kleinen Religionsgemeinschaften in diesem Zusammenhang ist auffällig und gleichzeitig ist der Nennungskontext mit Gruppen, die sich gegen die Horthy-Regierung richteten, richtungweisend.899 Durch das Inkrafttreten von GA II/1939 waren alle Ministerien, und damit Keresztes-Fischer angehalten, die Interessen des Militärs bestmöglichst zu unterstützen – insbesondere nach Kriegsausbruch am 1. September 1939, in den Ungarn als Verbündeter Deutschlands involviert war, wenngleich auch noch nicht direkt kriegsbeteiligt. Noch am selben Tag wandte sich der Ministerpräsident Teleki mit einer Rede an das Volk und verhängte mit der VO 8.100/1939 unter Bezug auf § 141 Abs. 7 GA II/1939900 zur Landesverteidigung den Ausnahmezustand.901 Nunmehr hatte die Regierung die Macht, die Verfassungsgesetze zur Religionsfreiheit mit bloßen Verordnungen auszuhebeln. Teleki hatte schon am 11. Mai 1939 gefordert, die Bürger mit Patriotismus bildlich gesprochen zu durchtränken und dabei die

895  Zur Schließung aller unerwünschten Vereine kam es spätestens nach dem 19. März 1944, der Besetzung Ungarns durch deutsche Truppen. Lehotay, S.  68 – 73. 896  Vom 10.4.1937 bis 13.5.1938 im Amt. 897  Stellvertretend seine nachfolgende genannt: der Adventist Mihály Lekrinszky (MOL, K150-VII-6 – 1939, Bl. 35, 37), die Zeugen Jehovas Lajos Ujhelyi (HM, 1941 eln. 13. oszt. 4340 cs. 74842, ebenda, 1939 3092 cs. 24261) und József Nagy (ebenda, 1940 13. oszt. 3809cs. 464.619) und der Nazarener Sándor Némedi (ebenda 1939 3092? cs. 11988 (?)). 898  Vgl. Ebenda, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032. 899  Fazekas, Kisegyházakzok, S. 167 f. 900  Gemäß § 141 GA II/1939 konnte in Kriegs- oder Gefahrenzeiten der Ausnahmezustand verhangen werden. 901  MRT, II, S. 1266 f.

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Rolle der Religion betont.902 Von ihr, namentlich von den historischen Kirchen, wurde erwartet, die Verteidigungspolitik zu unterstützen, religiöse Militärdienstverweigerer waren kontraproduktiv. Am selben Tag der Verhängung der Ausnahmegewalt erließ Ministerpräsident Teleki die VO 8.120/1939, zur Einschränkung des Versammlungsrechts auf der Grundlage von § 149 GA II/1939. § 1 besagte, dass politische Volksversammlungen, Demonstrationen und andere politische Zusammenkünfte bis auf Weiteres untersagt waren, und deren Abhalten wenn nötig durch die Exekutive zu verhindern war. Nach § 2 konnten alle anderen nicht unter § 1 fallenden Versammlungen mit polizeilicher Genehmigung abgehalten werden. Als Ausnahme erklärte § 3, dass darunter nicht die Versammlungen der Verwaltungsbehörden und auch nicht die der rezipierten und gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften fallen (es versteht sich von selbst, dass die nicht anerkannten Gemeinschaften ausgenommen waren). Nach § 4 Abs. 1 konnte ein Verstoß mit einer Strafe von bis zu zwei Monaten belangt werden, in Kriegszeiten mit bis zu sechs Monaten.903 Am 2. September 1939 wurde mit VO 8.110/1939 die Gründung neuer Vereine oder vereinsähnlicher Organisationen untersagt.904 Im Zusammenhang mit der Ausnahmegewalt und den Forderungen der Militärbehörden, abgesehen von den Forderungen anderer Behörden und der historischen Kirchen, erließ Innenminister Keresztes-Fischer am 2. Dezember 1939 durch seine Abteilung VII, Öffentliche Sicherheit, die Verordnung 363.500,905 mit der die „Tätigkeit von Sekten, die die Interessen der Landesverteidigung gefährdenden,“ eingestellt werden sollten. Der Innenminister erklärte: „Gemäß der Erfahrungen der letzten Jahre übertraten die sich im Land vermehrenden verschiedenen Sekten mit ihren Lehren und ihrer Tätigkeit die für das Glaubensleben vorgegebenen Grenzen. In ihren Versammlungen, Zusammenkünften beschäftigen sie sich nicht nur mit religiösen, sondern auch mit politischen und gesellschaftlichen Lehren. Einige Sekten, wie die Nazarener, die Adventisten, die Siebentagsadventisten, die Sabbatarier, die Jehova Gott Zeugen (unter dem Sammelnamen Millenisten), Gottesversammlung, Urchristen und Pfingstler, verkünden solch antimilitärische Lehren, welche im Widerspruch zu den Paragrafen des Gesetzesartikels III des Jahres 1921 und den Bestimmungen des Gesetzesartikels II des Jahres 1939 die Staatsbürger von der Erfüllung der Pflicht der Landesverteidigung, der allerheiligsten staatsbürgerlichen Pflicht, abzubringen versuchen. Die Glaubensgrundsätze und orga902  Stádium Sajtóvállalat Részvénytársaság [Stádium Presseunternehmen Aktiengesellschaft] (Hrsg.): Gróf Teleki beszédek 1939 [Graf Telekis Reden 1939]. http://mek.oszk. hu/10300/10338/10338.htm (Zugriff am 10.1.2013). 903  MRT, 1939, II. Teil, S. 1268. MOL, K579 – 1943, Bl. 282 – 294. 904  MRT, 1939, II. Teil, S. 1267. Im Nachtrag erging durch den Innenminister am 4. Januar 1940 eine weitere VO, Nr. 355.500/1939, zur Einschränkung von Vereinen mit Bezug auf die VO 8.110/1939 vom 2. September 1939 zum Verbot neuer Vereine, worin er erklärte, dass sich die VO 8.110/1939 sich nicht auf Levente Vereinigungen und die Freiwillige Feuerwehr beziehe. MRT, 1940, S.  146  f. Vgl. auch MOL, K149 – 651-f-5 – 22 – 355 – 500 – 1939. 905  Belügyi Közlöny [Anzeiger des Innenministeriums], 1939, Nr. 57, S. 1647. Csendőrségi Lapok [Gendarmerie-Blätter] v. 1.1.1940, 30. Jg., Nr. 1, S. 29.

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nisatorischen Vorschriften verletzen in einigen Teilen gesetzliche Vorschriften: Mit der Ablehnung des Prinzips des Privateigentums gefährden sie den Staat und die gesetzliche Ordnung der Gesellschaft, mit der Ablehnung der Pflicht des Militärdienstes und diesbezüglicher Befehle die Militäreinrichtung, mit dem Angriff der Glaubenslehren der gesetzmäßigen Kirchen und deren Leiter die friedliche Zusammenarbeit der rezipierten und gesetzlich anerkannten Konfessionen, deren Glaubensauffassungen und die religiösen Gefühle der Anhänger und damit direkt oder indirekt die öffentliche Ordnung und Sicherheit.“ Keresztes-Fischer erklärte weiter: „Daher verbiete ich mit sofortiger Wirkung die Tätigkeit der aufgelisteten Sekten wegen militär- und staatsfeindlicher Tätigkeit in Übereinstimmung Herrn Religions- und Bildungsminister und mit dem Herrn Justizminister. Infolge dieser Anordnung verlieren die genannten Sekten mit sofortiger Wirkung im Land ihnen eventuell bisher erteilte Versammlungsgenehmigungen.“ In seiner Begründung bezog sich der Innenminister neben dem GA III/1921 zum „wirksameren Schutz der staatlichen und der gesellschaftlichen Ordnung“ und dem GA II/1939 zur Landesverteidigung auf GA XLIII/1895 zur freien Ausübung der Religion. Demnach wären nur solche Äußerungen und die Ausübung von Glaubensansichten oder Religionen erlaubt, die die Gesetze des Landes, die öffentliche Ordnung, andere rezipierte oder gesetzlich anerkannte Konfessionen sowie die Anforderungen der öffentlichen Sitte nicht verletzten. Der Glaube oder kirchliche Vorschriften würden „niemand von der Erfüllung gesetzlicher Pflichten jeglicher Art“ befreien. Mit dieser Verbotsverfügung, die sich an die ersten Beamten der Munizipien, an die Leiter der Verwaltungsstellen in der Karpaten-Ukraine, an alle Polizeipräsidenten und Gendarmeriebehörden wandte, forderte der Innenminister, dass „die Tätigkeit der aufgelisteten Sekten durch die Polizeibehörden erster Instanz unverzüglich eingestellt wird“ und für den Fall, „dass die aufgelisteten Sekten ihre Tätigkeit trotz Verbots fortsetzen, gegen sie und ihre Mitglieder auf Grund der Bestimmungen gemäß § 2, 4, 6 und 7 Gesetzesartikel XVII von 1938, ferner § 196 und § 197 Gesetzesartikel II von 1939 zu verfahren.“ Damit verwies er auf den kürzlich erlassenen Gesetzesartikel mit Maßnahmen gegen den „Missbrauch der Freiheit der Vereine“, wonach verbotene Vereinigungen oder Organisationen vom Innenminister „unverzüglich aufgelöst“ werden konnten und das in §§ 4, 6 und 7 festgelegte Strafmaß. Paragraf 196 GA II/1939 legte das Strafmaß für Aufwiegelung oder Hetze gegen behördliche Regelungen fest und für Aufruf zum Ungehorsam in Höhe von bis zu 2 Jahren Zuchthaus, in Kriegszeiten bis zu 5 Jahren bzw. bei schwerem Verstoß bis zu 10 Jahren. Gemäß § 197 konnte derjenige der trotz Ausnahmegewalt Versammlungen organisierte, zusammenrief oder leitete, mit bis zu 2 Jahren Haft bestraft werden.906 Und der Innenminister wurde noch nachdrücklicher: „Sollte es bei der Durchsetzung des Verbots nötig sein, die Sektenleitung oder andere Mitglieder unter die Aufsicht der Polizeibehörde zu stellen oder in Verwahrung zu nehmen (Internierung) soll die zuständige Polizeibehörde gemäß den Verord906  Tt., GA II/1939. Paragraf 197 verwies auf § 149 GA II, wonach zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung Zusammenkünfte und Versammlungen verboten werden konnten.

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nungen 8.130/1939. M. P.907 und 760/1939. I. M.908 verfahren.“ Die VO 8.130/1939 des Ministerpräsidenten besagte, dass die Polizei Personen, deren Aufenthalt an bestimmten Orten oder in bestimmen Gebieten des Landes aus dem Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit gefährlich oder wirtschaftlichen Gründen schädlich war, „a) an ihrem Aufenthaltsort unter Polizeiaufsicht stellen oder b) ihres Aufenthaltsortes bzw. eines bestimmten Gebietes im Lande verweisen und an einem anderen Ort des Landes unter Polizeiaufsicht stellen oder in Gewahrsam nehmen“ konnte.909 Mit VO 760/1939 vom 1. September 1939 konkretisierte der Innenminister Keresztes-Fischer die Maßnahmen zur Durchführung von VO 8.130/1939 und regelte die Zuständigkeiten, wobei der Innenminister stets auch direkt tätig werden konnte. Eine unter Polizeiaufsicht gestellte Person durfte zum Beispiel das festgelegte Gebiet ohne polizeiliche Genehmigung nicht verlassen, keine Telegramme aufgeben, keine Ferngespräche führen, die Postsendungen unterstanden der Polizeiüberwachung.910 Der Unterpunkt IV beschäftigte sich mit der Durchführung von Internierungen der Anhänger der verbotenen Gemeinschaften. Gemäß § 12 (1) konnten Internierungen nur an vom Innenminister festgelegten Orten vorgenommen werden. Dazu sollten nur große zumindest in der Nacht abschließbare Gebäude mit entsprechenden Liegeplätzen als „Internierungslager“ verwendet werden. Würden solche nicht zur Verfügung stehen, sollten die Personen in kleineren Gebäuden in Gruppen inhaftiert werden. Die internierten Personen konnten sich die Unterbringung entsprechend ihrer gesellschaftlichen oder finanziellen Stellung auf eigene Kosten aufbessern; insbesondere dürfe man eigene Kleidung und Wäsche gebrauchen. § 14 legte fest, dass dem Internierten Fingerabdrücke zu nehmen und dem Innenminister zu übersenden waren. Nach § 16 konnten die Betreffenden auch zu einer nicht schädigenden Arbeit eingeteilt werden.911 Die umfangreichen Ausführungen des Innenministers lassen darauf schließen, dass umfassende Internierungen und strenge polizeiliche Überwachung der Religionsangehörigen vorgesehen waren. Zur Umsetzung dieser Verordnungen wie auf deren Basis und auf Basis des GA II/1939 ließ der Innenminister im selben Jahr mitten in Kistarcsa, einem kleinen Ort in der Nähe von Budapest, ein Internierungslager errichten.912 Außerdem wird von einem weiteren Lager in Nagykanizsa berichtet. Im Jahrbuch der Zeugen Jehovas von 1996 heißt es: „Im selben Jahr [1939] wurden in Ungarn zwei Straflager eingerichtet, eins davon 30 Kilometer von Budapest entfernt und das andere in MRT, II. Teil, S. 1269. Erlassen am 1. September 1939 von Pál Teleki. Ebenda, S.  1451 – 1453. 909  Ebenda, S. 1269. 910  Vgl. MJTA, DOK-319. Beschluss des Oberstuhlrichter des Komitats Zemplén, Az.: 4943/1941, zur Polizeiaufsicht gegen den Zeugen Jehovas József Dóczi vom 6.5.1941. 911  MRT, II. Teil, 1451 – 1453. 912  Ein Terrain von 18.000 qm mitten im Ort wurde mit Mauer, Drahtzaun und Wachtturm gesichert. Ilkei, Csaba: Internálótáborok Magyarországon – Kistarcsától Recskig (I.) [Internierungslager in Ungarn – von Kistarcsa bis Recsk (I.)]. http://kuruc.info/r/9/97261/ (Zugriff am 27.2.2013). 907  908 

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Abbildung 11: Belügyi Közlöny, Anzeiger des Innenministeriums, 1939, Nr. 57, S. 1647, Verbotsverfügung 363.500/1939

Nagykanizsa in Südwestungarn, 26 Kilometer vor der Grenze nach Jugoslawien. Schon bald waren die Lager voll mit Menschen, die als unzuverlässig bezeichnet wurden – Kriminelle, Kommunisten und Zeugen Jehovas, die man beschuldigte, eine Bedrohung für die Gesellschaft zu sein.“913 Auf die Bezeichnung als „unzuverlässig“ soll noch eingegangen werden. Der Verbotsverfügung zufolge sollten die Polizeibehörden einerseits gegen die in der Verbotsverfügung namentlich benannten Gemeinschaften vorgehen, aber andererseits auch „die Tätigkeit der anderen Sekten im Geist dieser Anordnung zukünftig streng beobachten“. Und „sollte dabei erkannt werden, dass eine Tätigkeit der noch nicht verbotenen Sekten hinsichtlich der mitgeteilten Gesichtspunkte zu bemängeln ist“, war dem Innenminister ein begründeter Vorschlag zum Verbot zu machen.914 Auffällig ist, dass sich die Verbotsverfügung nicht nur gegen die militärdienstverweigernden Anhänger der Nazarener, Zeugen Jehovas und Reformadventisten wandte, sondern unterschiedslos auch gegen militärdienstverrichtende Gemeinschaften, die wohl aus Unkenntnis der Behörden in Sippenhaft genommen wurden. Was die rechtliche Grundlage des Verbots anbelangt bestätigt sie einen sich bereits in den Jahren zuvor mit der beginnenden Gebietsrevision abzeichnenden Trend: der Gesetzesartikel XXXIII/1921 findet keine Erwähnung mehr – was nicht verwundert, da er ja Bestandteil des ungeliebten Vertrags von Trianon war. Damit musste man sich auch nicht mehr an die Anforderungen in Artikel 55 zur Garantie der Religionsfreiheit halten und war auch nicht mehr ver913  914 

WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1996, S. 80. Belügyi Közlöny [Anzeiger des Innenministeriums], 1939, Nr. 57, S. 1647.

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pflichtet, die Bestimmungen als Grundgesetze zu behandeln, mit denen „kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung […] im Widerspruch oder Gegensatz“ stehen durfte und „kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung ihnen gegenüber Geltung haben“ sollte. Als Verbotsgrundlage diente ausgerechnet GA XLIII/1895 zur Religionsfreiheit, womit er selbst ausgehebelt wurde. Nicht überraschend ist das Heranziehen von GA III/1921, der schon mehrfach zur Einschränkung von Freiheiten gebraucht wurde, wie auch der alle Verfassungsrechte aufhebende GA II/1939. Nicht betroffen vom Verbot waren die Methodisten, die Heilsarmee, die Christliche Brüderversammlung, die Altkatholiken und „natürlich“ die Baptisten. Was das Verbot der Adventisten anbelangt, so könnte es eine Folge der Uninformiertheit der Behörden sein, da sie oft genug die Gemeinschaften nicht auseinanderhalten konnten und gerade die Adventisten häufig mit den Bibelforschern/Zeugen Jehovas verwechselten, die Zeugen zumeist als Abspaltung der Adventisten hinstellten. Dabei waren die Adventisten in der Mehrheit bereit, Dienst zu leisten – abgesehen von der kleinen Gruppe der Reformadventisten. Ebenfalls am 2. Dezember 1939 erließ der Innenminister die VO 364.400, mit der er anwies, dass die auf dem Gebiet des wiederangeschlossenen Oberungarns und der Karpato-Ukraine tätigen Vereine gemäß der darin festgelegten Neuregelung ihre Statute binnen sechs Monaten entsprechend anzupassen und einzureichen hätten.915 Mit der Verbotsverfügung kam der Innenminister auch der Forderung der Politischen Ermittlungshauptgruppe der Oberstadthauptmannschaft der ung. kngl. Polizei nach, die am 19. Dezember 1937 ein „baldiges Eingreifen des Innenministers“ gegen die Zeugen Jehovas gefordert hatte, weshalb sich der Budapester Oberstadthauptmanns an das Innenministerium wandte. In dem Bericht war der Gemeinschaft aufgrund ihrer internationalen Verbundenheit eine „antimilitaristische und antinationale Gesinnung“ unterstellt worden und sie wurden als ein Werkzeug der Moskauer Komintern angesehen, weshalb die Verbreitung ihrer Ideologie „staatsund gesellschaftsfeindlich“ sei. Der Bericht, der am 22. Dezember 1937 beim Innenministerium eingegangen war, erhielt am 25. April 1940 den handschriftlichen Vermerk: „Wurde mit Rundverordnung 363.500/VIII-k 1939 erledigt.“ Ein Beleg für die Tragweite dieser Forderung, der Bedeutung der Ermittlungshauptgruppe und des Budapester Oberstadthauptmannes, der man auch mit der Verbotsverfügung des Innenministers nachkam. Ähnlich wie im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen die Zeugen Jehovas, um sie als Kommunisten zu labeln, bediente man sich offensichtlich auch jetzt erneut der Presse, durch die die Verbotsverfügung begrüßt und verbreitet wurde.916 Im Unterschied dazu hatte die Presse im Zusammenhang mit den wirklich ungewöhnlichen Glaubensansichten der Ibrányer noch eine verhältnismäßig tolerante, teilweise sogar wohlwollende Meinung vertreten. Offensichtlich wurden die katholischen Geistlichen von ihren Bischöfen über das Verbot informiert wie im Fall der 915  916 

MRT, II. Teil, 2377 f. Kardos/Szigeti, S. 288.

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Diözese Eger, da ein Rundbrief mit der Verbotsverfügung darüber informierte.917 In ähnlicher Weise werden auch die anderen historischen Kirchen für eine Information ihrer Geistlichen gesorgt haben. Im Großen und Ganzen wurde das Verbot von den historischen Kirchen begrüßt. Nach dem Erlass der Verbotsverfügung 1939 und der Information der zivilen Behörden im Land918 hat das Verteidigungsministerium offensichtlich die Militärbehörden des Landes mit VO 65.825/2ln. 13/1939 vom 30. Dezember 1939 über das Verbot informiert, das sie „solch antimilitärische Lehren verkünden, die im Widerspruch zu den §en des Gesetzesartikels III des Jahres 1921 und den Bestimmungen des Gesetzesartikels II des Jahres 1939 stehen, die die Staatsbürger von der Erfüllung der Pflicht der Landesverteidigung, … abzubringen versuchen. Die Glaubensgrundsätze und organisatorischen Vorschriften verletzen in einigen Teilen … mit der Ablehnung der Pflicht des Militärdienstes und diesbezüglicher Befehle die Militäreinrichtung …“919 1.  Weiterer Aufschluss über die Hintergründe der Verbotsverfügung Wie stark die Entstehung der Verbotsverfügung von militärischen Interessen beeinflusst bzw. sogar direkt initiiert war, macht der Artikel „Schutz gegen die Sekten, die die militärischen Interessen gefährden“ von dem Militärrichter und Mitarbeiter der präsidialen Abteilung 13 beim Verteidigungsministerium Frigyes Kormann deutlich.920 Deutlich wird dabei auch die enge Zusammenarbeit der Ministerien – aber zugleich das besondere Interesse der Militärbehörden und die Stärke ihres Einflusses. Gleich im ersten Satz zieht Kormann die Verbindung zu den „antimilitaristischen Sekten“, wenn er erklärte, dass der Ausbau der „ungarischen Streitkräfte im großen Stil“ und „die tiefgreifenden Änderungen durch GA II/1939“ es nötig machten, die militärischen Interessen effizient gegen sie zu schützen. Proforma erkannte auch er „Religionsfreiheit als einen Bestandteil der ungarischen Verfassung“ an, wobei er direkt einen Teil des Wortlauts von § 1 GA XLIII/1895 zur Religionsfreiheit zitierte, wonach jeder sich zu „jedwedem Glauben oder zu jedweder Religion bekennen, ihr folgen und das auch innerhalb der Gesetze des Staates sowie der Erfordernisse der öffentlichen Moral nach außen hin bekunden und praktizieren“ konnte. Den Passus, der den liberalen Geist dieses Gesetzes widerspiegelte, „Niemand darf an seiner Religionsausübung gehindert werden, solange diese nicht gegen das Gesetz oder die öffentliche Moral verstößt, und niemand 917 

EFL, Egyházmegyei Körlevelek [Rundbriefe der Diözese], 1940, S. 2 f., Nr. 695. Nemzeti Levéltár Borsod-Abaúj-Zemplén Megyei Levéltára (Ungarisches Nationales Archiv, Komitatsarchiv Borsod-Abaúj-Zemplén, MNL Borsod-Abaúj-Zemplén), Miskolc, IV. 1906. 8786/1943. Am 18.12.1939 richtete sich daraufhin z. B. der Miskolcer Bürgermeister, Az. 43873/ki.1939, an die Bezirksinspektoren des Amtsgerichts und forderte sie auf, ihn „von der Tätigkeit solcher Sekten“ zu informieren. 919  HM, eln. 13 1941 438.056. Schreiben des Pécser Militärkommandos an den Verteidigungsminister vom 19.4.1941 in Sachen militärdienstverweigernder Zeugen Jehovas. 920  Kormann, S.  773 – 782. 918  Magyar

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darf zu religiösen Handlungen gezwungen werden, die nicht mit seinem Glauben übereinstimmen“, ließ er weg. Dafür verwies er auf § 3, der besagte, dass die religiösen Anschauungen oder kirchlichen Vorschriften niemand von der Erfüllung irgendeiner gesetzlichen Pflicht enthoben. Er schlussfolgerte, dass demnach zwar Religionsfreiheit gewährt würde, „dieser Freiheit aber auf der anderen Seite zum Schutz der Interessen der Gemeinschaft aber auch Grenzen gesetzt werden müssen und damit wird auch die juristische Grundlage für den Schutz gegen antimilitaristische Sekten geschaffen“. In Verbindung mit dem Schutz gegen die antimilitaristischen Sekten sei auch wichtig, dass im GA XLIII/1895 nur den rezipierten bzw. gesetzl. anerkannten Gemeinschaften „eine besondere und privilegierte rechtliche Situation zugesichert wird, das Bestehen und die Tätigkeit aller anderen religiösen Organisationen und Bewegungen jedoch allgemeinen polizeilichen Bestimmung unterliegen“. „Diese gesetzlich nicht anerkannten Religionsgemeinschaften (Sekten) verfügen über keine Rechtsperson […], ihnen wird auch nicht die Bildung einer Vereinigung zugestanden, da das ein Ausspielen der polizeilichen Kontrolle wäre. Gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaften könnten in Zukunft auch nur solche werden, die sich nicht gegen Staat und Nation richteten, deren Lehren und Glaubensgrundsätze nicht gegen bestehende Gesetze und Moral verstoßen. Den diesen Erfordernissen nicht entsprechenden religiösen Bewegungen ist nicht nur die gesetzliche Anerkennung zu verweigern, deren Tätigkeit kann vom Innenminister sogar gänzlich eingestellt werden.“ GA XXXIII/1921 erwähnte er mit keinem Wort. Danach wurde er konkret. Neben „Sekten, welche weder die allgemeinen staatlichen Interessen noch die speziellen militärischen Interessen berühren (z. B. die methodistische Kirche, die Heilsarmee usw.)“, galten als gefährlich „die Nazarener, die Adventisten, die Siebententagsadventisten, die Sabbatarier, die Jehova Gott Zeugen, die Sekte der Gottesversammlung, die Urchristen und die Pfingstler“, die „ausgesprochen antimilitaristische Lehren und Glaubensansichten“ verbreiteten. Die Nazarener, deren Gesamtzahl er auf 10 000 Anhänger schätzte, würden Waffengebrauch und Eid ablehnen, attestierte ihnen jedoch gleichzeitig, jeden anderen militärischen Dienst „mit größter Bereitwilligkeit anzunehmen und genau und gewissenhaft auszuführen“. Zu den Adventisten, von denen er glaubte, dass es etwa 5 000 gäbe, bemerkte er, dass sie nur das Ablegen des Militäreids verweigerten, Militärdienst selbst, also auch den Dienst an der Waffe, verrichteten. Eine Ausnahme bildeten seiner Meinung nach die Siebenten-Tags-Adventisten, für die anstelle des Sonntags der Samstag heilig war, und die nicht bereit waren, an diesem Tag militärische Dienste zu verrichten, in einigen Fällen es ablehnen würden, die Uniform anzuziehen und insofern eine noch größere Gefahr darstellten als die Nazarener. Dabei verkannte er, dass alle Adventisten den „Sabbat“, den Samstag, heiligten, dass die Siebenten-Tags-Adventisten die Hauptgemeinschaft war, von der sich die Reformadventisten (häufig als Sabbatarier bezeichnet) abgespalten hatten, die den Militärdienst komplett verweigerten.921 921  Über die Reformadventisten direkt gab es relativ wenige Berichte, vielleicht auch, weil man sie allgemein als Adventisten bezeichnete und so über sie berichtete. In einer

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Besonders gefährlich erschienen ihm jedoch Jehovas Zeugen, die, wie er fälschlich meinte, eine Abspaltung der Millenisten seien, da sie sich sowohl gegen „die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung“ als auch gegen „die militärischen Interessen“ richteten und die christlichen Kirchen angriffen. „Die Anhänger der Sekte vertreten das Denken von Marx und verrichten keinerlei Militärdienst. [Kursiv im Original.] Die Anhänger der Sekte sind im ganzen Land verstreut zu finden, über ihre Zahl gibt es keine Angaben, es sei aber sicher, dass ihre Anzahl in letzter Zeit bedeutend angestiegen sei.“ Bezüglich der ebenfalls verbotenen Gottesversammlung, Urchristen und Pfingstler erklärte er, sie würden, was das Ableisten des Militärdienstes betrifft, zurückhaltend sein und über ihre Anzahl gäbe es überhaupt keine Angaben. Interessanterweise gab er zu, dass die „Zahl der Sektenangehörigen bisher noch unbedeutend“ sei, die militärischen Strafverfahren zeigten jedoch zweifelsohne, dass sie in den letzten Jahren stärker geworden wären und sich weiter verbreitet hätten; die Zahl der von den Militärgerichten verurteilten Personen, die aus religiösen Gründen Befehle verweigerten, nehme ständig zu. Aber nicht nur diese Zunahme gebiete es, mit allen verfügbaren Mitteln gegen sie vorzugehen, sondern auch wegen der militärischen Schulung in Verbindung mit der Levente-Ausbildung und wegen der Erweiterung der Altersgrenzen zur Einberufung auf 12 bis 60 Jahre, wodurch noch mehr Sektenanhänger mit der Wehrpflicht in Konflikt kämen. Kormann zufolge musste der Schutz in zweierlei Hinsicht vonstattengehen: Zum einen präventiv durch zivile Behörden, die „die Tätigkeit, die Organisation und die Verbreitung der Sekten, die die militärischen Interessen gefährdeten, aufdecken beziehungsweise sie unterbinden, ferner die einzelnen Sektenangehörigen durch entsprechende Schulungen aufklären und dadurch dem schädlichen Einfluss der Sekten entziehen“. Und zum anderen repressive Maßnahmen durch die Justizbehörden, nämlich das Ahnden von Straftaten, die von „Sektenleitern, Organisatoren und einfachen Anhängern aus religiöser Überzeugung begangenen“ wurden. Ganz offensichtlich waren „vom Gesichtspunkt der Effektivität her“ die Militärbehörden mit „der Vorgehensweise der Zivilbehörden beim Schutz gegen die, die militärischen Interessen gefährdenden Sekten“ nicht zufrieden, weshalb sich „der Verteidigungsminister zur Sicherung der äußerst wichtigen militärischen Interessen an den Herrn Innenminister wandte wegen der vollständigen Einstellung der Tätigkeit der betreffenden Sekten“. Der Innenminister habe darauf mit größtem Verständnis reagiert und mit dem Kultusminister wie auch im Einverständnis mit dem Justizminister die Verbotsverordnung 363.500/1939 erMeldung zu ethnischen, politischen und religiösen Bewegungen von 1934 äußerte man sich auch zu Sabbatariern: „In der Gemeinde Berettyóújfalu gibt es 6 Mitglieder der ‚Sabbatarier‘ Sektenbewegung, ihr Leiter beziehungsweise Prediger ist der dortige Einwohner, J. H. Sie halten jeden Freitag und Sonntag in der Wohnung der dortigen Einwohner, Frau M. J., ihre Versammlung ab. Sie haben Kontakt mit einer ähnlichen Sekte in Karcag und Budapest.“ Ihre Tätigkeit wurde weiter beobachtet. MOL, K149 – 651f.9 1934, Bl. 40.

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lassen und die Tätigkeit der betreffenden Sekten mit sofortiger Wirkung untersagt. Diese Bemerkung bestätigt die Vermutung, dass vor allem die Militärbehörden hinter dem Verbot standen. Mit der VO würde der Innenminister „sehr zum Schutz gegen die antimilitaristischen Sekten beitragen“, gleichzeitig aber dürfe man sich nicht der Illusion hingeben, die Sekten oder ihre Anhänger würden damit in kürzester Zeit verschwinden. Es wäre vielmehr davon auszugehen, dass sie „auch in Zukunft in ihrem Fanatismus nicht davon ablassen“ und „heimlich die Lehren weiter an andere verbreiten“ würden. Daher müssten die Militärbehörden und -organe auch in Zukunft gerüstet sein, sich vor den verblendeten Sektierern erfolgreich zu schützen. Er verwies auf die Aufgabe „der Einheiten der Gendarmerie und der Polizeibehörden, die Tätigkeit und Organisation der Sekten aufzudecken“, und erklärte: „Die bestehenden Gesetze machen es den Verwaltungsbehörden außerdem möglich, stärker einzugreifen.“ Dazu gehöre es, die Leiter und Organisatoren, gegebenenfalls einzelner Nachfolger der antimilitaristischen Sekten (so auf der Grundlage der VO 760/1939 M. P.) ein Aufenthaltsverbot zu erteilen, sie unter Polizeiaufsicht zu stellen oder zu inhaftieren. Er erinnerte daran, dass den zivilen Verwaltungsbehörden „Informationen zu den Lehren, den Zentralen, ihren Organisatoren und Leitern der antimilitaristischen Sekten in der Vergangenheit sehr geholfen“ hätten. In diesem Zusammenhang verwies er auf die VO 8.769 des Verteidigungsministeriums von 1938, nach der Personen, gegen die ein Strafverfahren wegen einer Straftat aus religiösen Gründen eingeleitet wurde, „eingehend auf ihre Lehren usw. verhört werden müssen“, und die offensichtlich schon vor der Verbotsverfügung seitens des Verteidigungsministeriums unterstützend für die Vorgehensweise der zivilen Behörden gedacht war, damit diese zielgerichteter agieren konnten, was aber offensichtlich bis dahin nicht den sich dadurch ergebenden Möglichkeiten gemäß genutzt worden war. Kormanns Artikel bestätigt damit die Vermutung, dass die verschärfte Vorgehensweise gegen die Gemeinschaften in den 1930er-Jahren auch und vor allem dem militärischen Interesse des Staates geschuldet ist. Durch die Aufrüstung des Militärs und die damit verbundene Einberufung von Rekruten wurde die Verweigerungshaltung religiöser Verweigerer offensichtlich, wodurch das Interesse der Militärbehörden zunahm, die Tätigkeit der Gemeinschaften zu unterbinden. Nachdem zunehmend deutlich wurde, dass die Vorgehensweise der zivilen Behörden im Land trotz aufklärender Informationen und Verordnungen des Innenministeriums nicht stark genug griffen, bemühte man sich um weitere Unterstützung militärischerseits durch intensive und konkrete Ermittlungen. So sollte die VO 8.769/1938 Aufschluss über Lehren, Haltung und örtliche Verbreitung der Gemeinschaften bringen, der ein Verweigerer angehörte. Die weitere Zunahme der Verweigerer scheint dann den Verteidigungsminister persönlich zu Gesprächen mit seinen Kollegen vom Innenministerium, Kultusministerium und Justizministerium gebracht zu haben. Ergebnis dieser Abstimmung war die Verbotsverordnung 363.500/1939.

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2. Zuordnungsprobleme Zur Umsetzung der Verbotsverfügung 363.500 des Innenministers vom 2. Dezember 1939 wurden die Gendarmerie- und Polizeibehörden herangezogen. Wie die vorangegangenen zwanzig Jahre zeigen, war es den Behörden bisher schwer gefallen, zwischen den Gemeinschaften zu differenzieren und die Verordnungen des Innenministers einheitlich umzusetzen. Auch in Verbindung mit der Verbotsverfügung der die „Interessen der Landesverteidigung gefährdende Tätigkeit von Sekten“ gab es Verständnisschwierigkeiten. Daher wandte sich die Gendarmerie von Debrecen postwendend am 21. Dezember 1939922 an den Innenminister und beklagte, dass „die Bezeichnungen der Sekten“ in seiner VO 8.300/1936 zur Einhaltung von Verordnungen mit einem Informationsblatt über die Aufstellung der in Ungarn tätigen Gemeinschaften und der Verbotsverfügung 363.500/1939 voneinander abwichen, was wiederum verdeutlicht, dass selbst die oberen Behörden sich nach so langer Zeit noch immer nicht genau auskannten. Weder dem Innenministerium noch den lokalen Behörden gelang es, die Gemeinschaften genau zu benennen und zu klassifizieren. So schlug die Gendarmerie Debrecen vor, die Gottesversammlung, die der Innenminister den Zeugen Jehovas zugeordnet hatte, zu den Adventisten zu zählen, obgleich es sich dabei um eine Pfingstgemeinde handelte. Immerhin bat die Behörde um Aufklärung, die Tätigkeit welcher, der schon oft in den Meldungen durch die Gendarmerie „auftauchenden Sekten“, beendet werden sollte und welche nur zu überwachen waren.923 Das Innenministerium reagierte am 2. April 1940, und machte es sich einfach, wenn es erklärte, das Verbot beziehe sich auf die Tätigkeit „aller unterschiedlichen unter die Sammelnamen Adventisten, Millenisten und Gottesversammlung fallenden Sekten zusammen mit der Sekte der Nazarener“. Es wurde betont, dass die „Siebententags Adventisten, die Sabbatarier, die Jehova Gott Zeugen, die Urchristen und die Pfingstler alle eine Untergruppe der vorgenannten größeren Sektengruppierungen“ seien, ohne wiederum genau zu klassifizieren bzw. zu realisieren, dass auch das falsch war. Weiter wurde betont, dass diese Gruppierungen deswegen besonders hervorgehoben wurden, weil in ihrem Fall die „militär- und staatsfeindliche Tätigkeit konkret bewiesen“ worden sei. Das könnte darauf schließen lassen, dass im Fall der anderen Gemeinschaften kein „Beweis“ vorlag und sie den Behörden lediglich suspekt waren und daher sicherheitshalber mit verboten wurden. Für ein Verbot sollte eine so dünne Beweislage und Unkenntnis der Gemeinschaften nicht ausreichen. Angesichts des obersten Stellenwertes von Verfassungsgesetzen wäre es dringend angezeigt gewesen, sich eingehend und umfassend über die Gemeinschaften zu informieren. Wenn es den Behörden schon nicht gelang, die Gemeinschaften auseinander zu halten und korrekt zu bezeichnen, legt das nahe, dass sie noch viel weniger über ihre Lehre und Tätigkeit wussten, geschweige denn Beweise für militärfeindliche Tätigkeiten hatten. Gegen Regierung oder gesellschaftliche Ordnung hatte sich keine von ihnen gewandt. Vielmehr spielten hier wie schon vor dem 922 

Ebenda, K150-VII-6 – 1939 (1939 – 1940).

923 Ebenda.

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Ersten Weltkrieg das Militär und die allem übergeordneten Revisionsziele hinein. Es klingt schon fast ironisch, wenn der Innenminister erklärte: „Die einfachen Menschen können die verschiedenen Sekten nicht unterscheiden, sie nennen sich einfach Adventisten, Millenisten, Mitglieder der Gottesversammlung, dann wieder Siebententags-Adventisten, Sabbatisten, Jehovisten, Urchristen (Angehörigen der Urchristenversammlung), Pfingstler usw.“ Darum müssten „alle Sektentätigkeiten überwacht werden, und wenn der Verdacht auf militär- und staatsfeindliche Tätigkeit aufkommt, gegen sie auf der Grundlage der Rundverordnung“ vorgegangen werden. Mit dieser Antwort dürfte das Ministerium wenig zur Aufklärung beigetragen, wenn nicht sogar noch größere Verwirrung gestiftet haben. Es erteilte vielmehr Generalvollmacht, mit der Verbotsverordnung gegen alle nicht anerkannten Gemeinschaften vorzugehen, auch wenn sie in der VO nicht benannt waren und ein Vorgehen daher der Rechtsgrundlage entbehrte. Doch nicht nur, dass es weiter die Begrifflichkeiten mischte und selbst große Unkenntnis offenbarte, war die Anweisung nicht eindeutig – sprach man hier von einem völligen Tätigkeitsverbot oder sollten die Gemeinschaften doch nur überwacht werden und war erst bei Gefahr gegen die Tätigkeit einzuschreiten, sie sonst aber tätig sein könnten? Das wäre sicher nicht im Sinne des Verteidigungsministeriums gewesen. Hinzu kommt, dass eine genaue Konkretisierung oder Definition, wann „der Verdacht auf militär- und staatsfeindliche Tätigkeit“ gegeben sei, nicht vorgenommen wurde.924 Letzteres war schlicht anzunehmen. Die erschreckende Unkenntnis über die kleinen Gemeinschaften durch untere wie obere Behörden macht deutlich, wie wenig es ihnen um konkrete Rechte und damit um die Wahrung der verfassungsrechtlichen Freiheit ging. Das Anderssein an sich und eine vermutete, potentielle Gefahr waren ausschlaggebend für ein Rundumschlag-Verbot, ein Ausschalten der Konkurrenten der staatsnahen historischen Kirchen. Die Anordnungen des Innenministers waren nur durch Gesetze wie GA III/1921 und GA II/1939 möglich.

VIII.  Zusammenfassung der 1930er-Jahre Die dreißiger Jahre waren von einem zunehmend radikaleren Vorgehen gegen die Gemeinschaften geprägt, wobei sich Hauptzielgruppen herauszukristallisieren begannen. Stärker ins Visier gerieten dabei neben den Turaner Monotheisten und den Ibrányern wohl vor allem aufgrund ihrer missionarischen Aktivität die Bibelforscher/Zeugen Jehovas und in Verbindung mit dem Militärdienst die Nazarener wie auch die Reformadventisten. Mangels nachweisbarer Vergehen der Anhänger der kleinen Religionsgemeinschaften, wurden immer wieder „Killerphrasen“ wie die Wahrung des konfessionellen Friedens, der öffentlichen Sicherheit und der Schutz der rezipierten Kirchen ins Feld geführt: unartikulierte, diffuse und multivariable Allgemeinbegriffe, 924 Ebenda.

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unter die Vorwürfe nach Belieben subsumiert werden konnten. Bereits bei einer nur antizipierten Gefahr für Kirchen und gesellschaftliche Ordnung begann man ähnlich wie bei politischen Bewegungen, die sich tatsächlich gegen das Regime wandten, gegen die Gemeinschaften vorzugehen, als würden diese den Umsturz der gesellschaftlichen und politischen Ordnung anstreben. Über diese Vorwürfe konnte dann die Brücke zur Störung der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Moral geschlagen werden, durch die wiederum Verfassungsrechte geblockt werden konnten. Die Koordination von Gendarmerie und Polizei und deren einheitliches Vorgehen bei Abwehr und Neutralisierung bzw. zunehmender Eliminierung der Tätigkeit der Gemeinschaften standen weiter im Fokus der oberen Behörden. Eine wesentliche Rolle spielten dabei die neu eingerichteten zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie im Land, die sich zu Spezialeinheiten entwickelten. Im Zusammenhang mit der weiteren Koordination ist auch die vom Innenminister 1936 in Verbindung mit der VO 6.200/1928 erlassene VO 8.300 zu sehen, mit der nochmals betont wurde, dass jede Zusammenkunft der gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften durch Beamte zu überwachen war. Besonderes Augenmerk lag wiederum auf Druckerzeugnissen. Grund für den Erlass der VO dürfte aber die Tätigkeit der Turaner Monotheisten und die weitere Ausbreitung und starke Aktivität der Zeugen Jehovas gewesen sein, die bereits in der Verfügung als kommunistisch bezeichnet wurden. Dieser Verordnung folgt die geheime VO 14.485/1937, die nur darum ging, die Tätigkeit der Zeugen Jehovas zu unterbinden, von denen nunmehr behauptet wurde, es handele sich gar nicht um eine Religionsgemeinschaft, sondern um eine kommunistische Tarnorganisation. Die Frage der Gewährung von Religionsfreiheit wäre damit vom Tisch. In Verbindung mit den Verordnungen kam es in der Folge auch unter Einsatz der Medien zu Aktionen gegen die Zeugen, die in der Öffentlichkeit als Kommunisten identifiziert wurden. Alle Verordnungen ergingen „Geheim“, was ihren wenig verfassungsrechtlichen Charakter und die bewusste Umgehung der Verfassungsgesetze durch die Behörden unterstreicht. In der Absicht, die Tätigkeiten zu be- bzw. verhindern, setzte man zunächst weiter darauf, Zusammenkünfte zu untersagen, zu stören oder aufzuheben, religiöse Publikationen zu verbieten oder auch das Sammeln von Spenden zu beschränken – weniger diskutiert wurden dabei die Verfassungsgesetze; GA XXXIII/1921 kam fast nie ins Spiel. Eben dieses Gesetz hatte aber die Verfassungsartikel als vorrangig festgeschrieben. Damit zeichnet sich eine stärkere Tendenz der Loslösung von den freiheitlichen Verfassungsgesetzen ab. Trotz der wiederholten Verordnungen und der umfangreichen Aktionen gelang es jedoch offensichtlich nicht, die Tätigkeit der gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften zu stoppen. Besonders auffallend ist der nunmehr mit mehr Nachdruck und Vehemenz vorgebrachte Kommunismusvorwurf, insbesondere in Verbindung mit Zeugen Jehovas, wobei bereits die Vorstellung eines Paradieses dieses Klischee bediente. Im Zeitalter kommunistischer Entwicklungen und Umwälzungen klang allein schon

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die Ankündigung der „Schaffung eines Friedensreiches ohne Klassen- und Rassenschranken auf Erden“ und die Rede von der göttlichen „Vernichtung der Mächte dieser Welt“ nach kommunistischer Argumentation.925 Im Übrigen war dabei nie in Betracht gezogen wurden, dass sich die Publikationen der Bibelforscher/Zeugen Jehovas auch kritisch mit dem Kommunismus und der Sowjetunion auseinandersetzten.926 Im Zusammenhang mit der Kommunismusdiskussion ist die Definition des Begriffs durch die Behörden wie durch die Szegeder Tafel elementar, die eine Kategorie des Begriffs festschrieb, die nicht dem russischen Vorbild des Kommunismus entsprach, sondern die man „gewöhnlich als Kommunisten bezeichnete“. Dieser Kategorie war alles zuzuordnen, was nicht dem politischen und gesellschaftlichen Weltbild entsprach und als „umstürzlerisch“ bewertet werden konnte. Parallel zu den politischen Entwicklungen und mit zunehmender Militarisierung rückte die Problematik des Umgangs mit Waffen- und Wehrdienstverweigerung in den Mittelpunkt. Wurde Mitte der 1930er-Jahre durch Gömbös zunächst noch ein Weg gefunden, die Nazarener nicht auf Dauer einzusperren, änderte sich die Einstellung der Militärbehörden kurze Zeit später mit der zunehmenden Anbindung an Deutschland und der bevorstehenden territorialen Revision. Verweigerer wurden fast ohne Unterbrechung wieder und wieder inhaftiert, so sie nicht einlenkten und bereit waren, den Dienst an der Waffe zu leisten, wozu sie mit allen Mitteln gedrängt wurden. Handlungsgrundlage gab das 1930 herausgegebene Militärstrafgesetz und verschiedene Verordnungen des Verteidigungsministeriums, die sich nicht mit den Verfassungsartikeln zur Religionsfreiheit auseinandersetzten, die bewirken sollten, dass die Verweigerer ihre Haltung aufgaben. Doch eine Lösung des Verweigerer-Problems vom Grundsatz her konnte nur durch den Innenminister bewerkstelligt werden. Mit diesem Ziel arbeiteten die Militärbehörden dem Innenminister zu, informierten ihn regelmäßig möglichst genau und umfassend über die Verweigerungsverfahren und forderten mehr Konsequenzen ein. Schließlich nach Erlass des GA II/1939, der den Ausnahmezustand ermöglichte und damit den Behörden die Gelegenheit gab, die Verfassungsartikel legal zu ignorieren, wandte sich das Verteidigungsministerium an den Innen- und den Justizminister mit der Forderung nach einem Verbot der Gemeinschaften, dem der Innenminister am 2. Dezember mit seiner Rundverordnung 363.500/1939 basierend auf GA II/1939 und GA III/1921 nachkam. Damit waren die Verfassungsgesetze GA XLIII/1895 und Artikel 54, 55 GA XXXIII/1921 außer Kraft gesetzt. In dieser Verbotsverordnung gingen dann auch alle zuvor erlassenen Verfügungen wie VO 1.670/1923, VO 14.700/1924, VO 3.100/1926, VO 6.200/1928, VO 8.300/1936 oder die letzte VO 14.485/1937 auf und brauchten von den unteren Behörden nicht mehr herangezogen werden. Auch löste sich die Problematik in Verbindung mit den rechtlichen Begründungen von Entscheidungen. Die VO 363.500/1939 war nicht geheim, sondern durch Medien und Verordnungsblätter veröffentlicht worden. Nunmehr konnten sich die Richter Garbe, Widerstand, S. 65 f. So zum Beispiel „Goldenes Zeitalter“, vom 15.12.1929.

925 Vgl. 926 

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problemlos auf diese Rechtsnorm beziehen, was in Verbindung mit den geheimen Verordnungen nicht möglich war. In den zukünftigen Verfahren dürfte daher nur noch die Verbotsverfügung bzw. GA III/1921 oder GA II/1939 eine Rolle spielen. Insgesamt gesehen schloss sich der Phase der Ambivalenz im Umgang mit den Gemeinschaften in den 1920er-Jahren nunmehr eine Phase des Versuchs der Neutralisierung an, die immer mehr die Richtung Eliminierung einschlug. Einschränkend muss hinzugefügt werden, dass auf forensischer Ebene nicht selten die Maßnahmen von Polizei- und Gendarmeriebehörden konterkariert und Angeklagte freigesprochen oder Urteile nicht vollstreckt wurden, was möglicherweise auch am hohen Niveau der Richterschaft lag, die sich für Rechtsstaatlichkeit stark machte.927 Das verschärfte Vorgehen der Behörden gegen die Gemeinschaften fügten sich in das Konzept der Gesamtpolitik im Umgang mit Juden, wie der Erlass der beiden Judengesetze XV/1938 und IV/1939 belegt, mit Kommunisten und Anders­ denkenden ein. Die Radikalisierung bei der Einschränkung freiheitlicher Gesetze zeichnete sich nicht nur in der Religionsfreiheit, sondern auch in Verbindung mit Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht ab. Immer wieder wird auch deutlich, welche tragende Rolle den historischen Kirchen in Horthys Politik zukam, zu deren Schutz die Freiheiten anderer Religionen regelmäßig eingeschränkt wurden. Nicht zu unterschätzen bei den restriktiven Entscheidungen ist auch der Einfluss Deutschlands, das gegen religiös Andersdenkende brachial vorging und sie in Konzentrationslagern wegschloss. Nicht zuletzt finden sich dort auch Parallelen zum Kommunismusvorwurf, der in Ungarn kennzeichnend für die zweite Hälfte der 1930er-Jahre stand. Ähnlich wie in Ungarn ergingen in Deutschland Verbote gegen Zeugen Jehovas auf der Grundlage einer Ausnahmeverordnung, der Reichstagsbrandverordnung „zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“ – allerdings bereits kurz nach „Machtergreifung“ Hitlers.928 Die 1930er-Jahre waren in Ungarn eine Fortsetzung des nach dem Ersten Weltkrieg und dem Vertrag von Trianon eingeschlagenen revisionistischen, nationalistischen Kurses.

Révész, Verfassung, S. 49. Bei der Anwendung der Verordnung wurde bereits eine mittelbare kommunistische Gefahr als ausreichend angesehen. Vgl. Rüping, Hinrich: Sondergerichte im Dritten Reich. In: Lück, Heiner/Schildt, Bernd (Hrsg.): Recht – Idee – Geschichte: Beiträge zur Rechtsund Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth. Köln 2000, S. 115 – 134, hier S. 123. Die bayerischen Richter hatten mit der Definition kein Problem, das sie die Bibelforscher schon vor 1933 als „verkappte Kommunisten“ angesehen hatten. Garbe, Martyrium, S. 138. 927 

928 

Kapitel 6 6:

Kriegsjahre Kap.  6: Kriegsjahre

Die Revisionspolitik ebnete den totalitaristischen Bestrebungen in Ungarn den Weg, gleichzeitig spielte auch die Kommunismus-Abwehr eine Rolle. Horthys autoritäres Regime leistete dem Rechtsradikalismus Vorschub und damit der Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und der Missachtung der Menschenrechte.1 Die Militärbehörden gewannen zusehends an Einfluss auf das zivile Geschehen, begannen es mehr und mehr zu kontrollieren, was wesentlich zur Radikalisierung beitrug. Während der vier Etappen 2 der Gebietsrevision band Ungarn sich immer enger an das totalitäre System Hitlers. In der ersten Phase hatte man 1938 das frühere Oberungarn zurückerhalten, in der zweiten annektierte Ungarn 1939 die gesamte Karpato-Ukraine und in der dritten Phase ging durch den zweiten Wiener Schiedsspruch vom 30. August 1940 ein Teil Siebenbürgens, Erdély, (43 000 Quadratkilometer und mit etwa 2,5 Millionen Einwohnern, darunter 52 Prozent Magyaren) zurück, zu dessen Rückgabe Rumänien durch Deutschland und Italien gezwungen wurde. Die Rückgewinnung berührte nicht nur die nationalen Emotionen, da das Gebiet in der ungarischen Geschichte eine maßgebliche Rolle spielte und viele Magyaren dort lebten, sondern war auch aufgrund seiner wertvollen Bodenschätze von großem wirtschaftlichen Interesse. In einer vierten Phase nahmen ungarische Truppen im April 1941 bei dem Angriff auf Jugoslawien weiteres Gebiet, die südliche Batschka (11 000 Quadratkilometer mit etwa einer Millionen Einwohnern, darunter 39 Prozent Magyaren). Romsics zufolge umfasste Ungarn damit ein Territorium von 172 000 Quadratkilometern, „53 Prozent des Gebietsstandes des alten Reiches der Stephanskrone“.3 Die Rückgewinnung der Gebiete zwang Ungarn, im Zweiten Weltkrieg an der Seite Deutschlands zu kämpfen. In Verbindung mit der Realisierung der vierten Phase der Gebietsrevision trat das Land im Kampf gegen Jugoslawien am 11. April 1941 in den Krieg ein.4 Außenminister László Bárdossy (1890 – 1946)5 hatte den Einsatz befürwortet, Ministerpräsident Teleki hingegen stand vor einem Dilemma: Einerseits wollte er sich nicht am Krieg beteiligen, andererseits war er einer der größten Befürworter der Revisionspolitik, von der er sich bei einer Nicht-Kooperation mit Hitler hätte verabschieden müsBesier, Europa, S. 129 f. Deutsch-ungarische Beziehungen. Vgl. auch http://www.ungarn-guide.com/ geschichte_17.php (Zugriff am 4.7.2012). 3 Ebenda. Romsics, Magyarország, S. 247. 4  Besier, Europa, S. 138. Szöllösi-Janze, S. 439. 5  Er wurde nach dem Krieg vom Ungarischen Volksgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. 1 

2  Romsics,

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sen. Er wählte am 3. April 1941 den Freitod.6 Am 4. April 1941 übernahm László Bárdossy das Amt des Ministerpräsidenten, der für eine weitere Annäherung an Deutschland sorgte, hatte er sich doch kurz zuvor, am 21. März 1941 noch in Berlin mit Hitler getroffen.7 Zuvor, Ende Mai 1939, war es den Pfeilkreuzlern gelungen, ins Parlament einzuziehen. Ihr Anführer Ferenc Szálasi selbst war erst in Verbindung mit einer Amnestie anlässlich des Zweiten Wiener Schiedsspruches aus der Haft entlassen worden.8 Szálasi, der gern nach deutschem bzw. italienischem Vorbild in Ungarn eine Diktatur eingeführt hätte, versuchte Horthy für seine Ideen zu gewinnen. Horthy hingegen sperrte sich konsequent gegen Szálasi, gewährte ihm noch nicht einmal eine Audienz. Inwiefern ihm Szálasis politisches Konzept vorgelegt wurde, ist nicht bekannt. In jedem Fall hätte es von Horthy verlangt, die Verfassung zu brechen.9 Andererseits wollte Szálasi den Weg nicht ohne den Reichsverweser gehen, weswegen er weiter zu Horthy stand.10 Neben den Pfeilkreuzlern vertrat auch die von Béla Imrédy Anfang 1940 gegründete „Partei der Ungarischen Erneuerung“ (Magyar Megújulás Pártja, MMP) eine sehr deutschorientierte Politik.11 Die Gesamtstimmung im Parlament dürfte zur Fortführung der Revisionspolitik und damit zur Unterstützung Hitlers beigetragen haben. Nachdem Deutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion angegriffen hatte, geriet auch Ungarn unter Druck sich zu beteiligen. Den casus belli lieferten zwei sowjetische Luftangriffe am 26. Juni 1941 auf Kassa (Kosice, Kaschau), das seit 1938 wieder zu Ungarn gehörte, bei denen viele Menschen umkamen oder verletzt wurden. Nun erklärte Ungarn am 27. Juni 1941 der Sowjetunion den Krieg.12 Großbritannien erklärte im Gegenzug Ungarn am 7. Dezember 1941 den Krieg. Zunächst war Ungarn nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligt, aber mit der zweiten Armee fanden sich dann ab April 1942 auch über 200 000 ungarische Soldaten im Krieg.13 Zusätzlich kamen dabei rund 50 000 Juden, die nicht im Militär dienen durften, und mit ihnen auch „politisch Unzuverlässige“ als Zwangsarbeiter zum Einsatz.14 Vorher war unter der Regierung Bárdossys im August 1941 der 6  Romsics, Magyarország, S. 249, 251. Noch am 12.12.1940 hatte Teleki mit Jugoslawien gerade erst einen „ewigen Freundschaftsvertrag“ abgeschlossen. Doch die politischen Verhältnisse in Jugoslawien änderten sich am 27.3.1941 durch einen Staatsstreich. Die neue jugoslawische Regierung war nicht deutschfreundlich. Molnár, Geschichte, S. 390 f. 7  Szöllösi-Janze, S. 439. 8  Besier, Europa, S. 134. 9  Szálasi war im November 1937 angeklagt worden, mit Gewalt die historische Verfassung brechen, die Regierung stürzen und eine totalitäre Ordnung aufbauen zu wollen. Szöllösi-Janze, S. 111. 10  Ebenda, S. 107. 11  Besier, Europa, S. 135. 12  Borsányi, Julián: A magyar tragédia Kassai nyitánya: Az 1941. junius 26-i bombatámadás dokumentációja [Der Auftakt zu Ungarns Schicksalsweg: Die Dokumentation des Bombenangriffs auf Kassa am 26. Juni 1941]. Herausgegeben vom Ungarischen Institut. München 1985. 13  Molnár, Geschichte, S. 392 f. Romsics, Magyarország, S. 253. 14  http://degob.org/index.php?showarticle=2032 (Zugriff am 15.5.2013).

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GA XV/1941 erlassen worden, auch als drittes Judengesetz bezeichnet, der u. a. streng festlegte, wer als Jude galt, und in dem die Eheschließung von Juden und Nicht-Juden untersagt wurde15 – ein Gesetz, das das Verfassungsgesetz XXXI/1894 zur Eheschließung veränderte. Unter Bardossy nahm auch Ungarns wirtschaftliche Abhängigkeit vom Deutschen Reich weiter zu. Auf Betreiben Bethlens und anderer konservativer Kräfte bestimmte Horthy die Ablösung des deutschfreundlichen Bárdossys und setzte im März 1942 Miklós Kállay (1887 – 1967) an seine Stelle. Nachdem Stalingrad gefallen und Ungarns zweite Armee im Januar 1943 am Don fast völlig aufgerieben worden war – die Schlacht wird auch als Stalingrad der Ungarn bezeichnet, da die ungarische Armee dabei die höchsten Verluste in einem Gefecht überhaupt erlitten hatte16 – begann Kállay heimlich Verhandlungen mit den Alliierten aufzunehmen, um aus dem Krieg ausscheiden zu können.17 Doch zu entscheidenden Schritten kam es nicht.18 Um ein Changeover der Ungarn zu vermeiden besetzten deutsche Truppen am 19. März 1944 das Land.19 Horthy betraute am 22. März Döme Sztójay (1883 – 1946)20 mit der Regierung.21 Unter seiner Ägide wurden weitere Truppen in den Krieg entsandt, die wirtschaftlichen Verbindungen mit dem Deutschen Reich weiter intensiviert – und er organisierte gemeinsam mit dem Eichmann-Kommando (Operation Margarethe) die Deportation der Juden. In dieser Zeit wurden über 430 000 ungarische Juden deportiert und vernichtet.22 Szálasi, der unberücksichtigt geblieben war, wandte sich am 21. Juni 1944 mit einem Memorandum an Hitler, der darauf aber nicht reagierte – er dürfte ganz andere Probleme gehabt haben, waren doch 6. Juni 1944 die Alliierten in der Normandie gelandet. Das und die Gesamtsituation des Krieges hätten auch Szálasi zu denken geben müssen. Er hingegen unterbreitete im Juli/August 1944 Sztójay und dem „Bevollmächtigten des Großdeutschen Reiches“ Edmund Veesenmayer (1904 – 1977) Pläne zu einer nationalsozialistischen europäischen Gemeinschaft.23 Nach der Kapitulation Rumäniens am 23. August 1944 und dessen Seitenwechsel suchte Horthy nach neuen Wegen, er entließ Sztójay am 29. August 1944 und er15 

Tt., GA XV/1941. Gosztony, Péter: Das Stalingrad der Ungarn. In: „Die Welt“ vom 8.1.1993. http://www. zeit.de/1993/02/das-stalingrad-der-ungarn Download am 24.1.2013. 17  Romsics, Magyarország, S. 257 f. 18  Besier, Europa, S. 139. 19  Horthy soll auf Druck Hitlers am 17.3.1944 auf dem Obersalzberg sein mündliches Einverständnis dazu erklärt haben. Molnár, Geschichte, S. 395 f. 20 Ehemals Demeter Stojakovits. 21  Besier, Europa, S. 139. 22  Molnár, Judit: The Foundation and Activities of the Hungarian Jewish Council, March 20 – July 7, 1944. http://www.1.yadvashem.org/odot_pdf (Zugriff am 24.1.2013). In ihrem Aufsatz „Csendőrök a népbíróság előtt“ [Die Gendarmen vor dem Volksgericht] verweist Judit Molnár auf die traurige Rolle, die die Gendarmerie bei der Ergreifung der Juden im ganzen Land gespielt hat. In: Molnár, Judit: A Holokauszt Magyarországon európai perspektívában [Der Holocaust in Ungarn aus der europäischen Perspektive]. Budapest 2005, S.  647 – 662. Besier, Europa, S. 139 f. Romsics, Magyarország, S. 262 ff. 23  Besier, Europa, S. 140. Szöllösi-Janze, S. 298. 16 

Kap.  6: Kriegsjahre

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nannte Géza Lakatos zum Ministerpräsidenten. Unter ihm wurden die Deportationen eingestellt, Geheimverhandlungen mit dem Westen und der Sowjetunion aufgenommen. Nachdem am 11. Oktober in Moskau ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet und am 15. Oktober 1944 der Waffenstillstand verkündet wurde,24 kam es zum Putsch der SS und der Pfeilkreuzler.25 Lakatos und Horthy wurden inhaftiert und Szálasi übernahm als „Führer der Nation“ am 16. Oktober 1944 die Regierung.26 Noch immer war Ungarn für Hitler ein wichtiger Vorposten in Südosteuropa, sowohl was die Rohstoffversorgung anbelangt als auch wegen seiner Verkehrslage.27 Unter Szálasis totalitärem Regime kämpfte der größte Teil der ungarischen Armee bis zum Schluss an Hitlers Seite. Je mehr ihre Macht und die ihrer Verbündeten schwandt, umso mehr nahmen Terror und Anarchie in dem noch von ihnen kontrollierten Territorium zu. Eine zweite Deportation begann (über 70 000 Juden waren davon betroffen), Tausende wurden direkt in Budapest hingerichtet.28 Täglich folgten weitere Hinrichtungen im Land – nicht nur von Juden, sondern auch von Dissidenten oder Widerstandskämpfern. Während der Schlacht um Budapest zwischen der Roten Armee und den deutschen und ungarischen Truppen kamen bis zum 13. Februar 150 000 ums Leben, darunter viele Zivilisten.29 Der Kampf um Budapest wird nicht selten auch als „Stalingrad an der Donau“ bezeichnet.30 Am 4. April folgte dann die Plattenseeoffensive (vom 6. bis 14. März 1945) und schließlich die vollständige Eroberung des Landes durch die sowjetische Armee.31 Die am 22. Dezember 1944 von sowjetischer Seite gebildete Gegenregierung unter dem ehemaligen Kommandeur der 1. ungarischen Armee Miklós Béla Dálnoki (1890 – 1948), der sich ergeben und seine Soldaten zur Kapitulation aufgerufen hatte, übernahm die Regierungsgeschäfte als provisorische Regierung in Budapest.32

24  Einige Stunden zuvor hatte die Gestapo Miklós Horthy jun., den Sohn des Reichsverwesers, in einer spektakulären Aktion entführt. Er wurde in das KZ Mauthausen verbracht. Matić, Igor-Philip: Edmund Veesenmayer. Agent und Diplomat der nationalsozialistischen Expansionspolitik. München 2002, S. 276. 25  Der für Ungarn zuständige SS-Führer Otto Winkelmann (1894 – 1977) leitete die sogenannte Operation Panzerfaust. 26  Romsics, Magyarország, S. 266. Mindszenty, S. 31 f. Besier, Europa, S. 141. 27  Szöllösi-Janze, S. 300. 28  Heute erinnern Schuhe am Ufer der Donau an das Blutbad. 29  Die Belagerung von Budapest hatte am 25. Dezember 1944 begonnen. 30  Janssen, Karl-Heinz: Ein zweites Stalingrad. Krisztián Ungváry über die Schlacht um Budapest. In: Zeit-online, Kultur vom 2.12.1999. http://pdf.zeit.de/1999/49/Ein_zweites_Stalingrad.pdf (Zugriff am 24.1.2013). 31  Romsics, Magyarország, S. 266 – 270. 32  Ebenda, S. 277.

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Kap. 6: Kriegsjahre

A.  Umgang mit der israelitischen Religion Auch wenn der Umgang mit der israelitischen Religion und mit den Juden in Ungarn prinzipiell nicht zu dem hier untersuchten Thema gehört und auch nur angerissen werden kann, weist die Vorgehensweise bei der systematischen Einschränkung der Rechte der Juden in groben Zügen Parallelen zur religionspolitischen Umgangsweise mit kleinen Religionsgemeinschaften auf und bestätigt die Methodik des gezielten Unterlaufens von Verfassungsgesetzen durch die obersten Behörden. Hinzu kommt, dass die Verfahrensweise der Behörden mit den Juden auch Auswirkungen auf andere religiöse Gemeinschaften hatte. Während des Freiheitskampfes 1848 waren sich Ungarn und Juden nähergekommen. Durch die liberale Politik wurde den Juden im Ausgleichsgesetz von 1867 Emanzipation zugesichert. GA XVII legte fest; „Die israelitischen Einwohner des Landes werden den christlichen Einwohnern bezüglich der bürgerlichen und politischen Rechtsausübung gleichgestellt.“33 Dieses Gesetz gehörte zu den Verfassungsgesetzen.34 Alle anderslautenden Bestimmungen wurden aufgehoben. Obgleich bereits in den 1880er-Jahren antisemitische Bewegungen aufkamen und der eingebrachte Gesetzentwurf zur Eheschließung zwischen Juden und Christen scheiterte,35 kam es 1894 und 1895 zur Einführung der Zivilehe mit GA XXXI/1894, die interkonfessionelle bzw. interethnische Ehen nicht untersagte,36 und der Anerkennung der israelitischen Religion als rezipierte Gemeinschaft mit GA XLII, was ihnen auch die Unterhaltung von Religionsschulen ermöglichte.37 Bereits zu dieser Zeit im Rahmen des erstarkenden politischen Katholizismus und mit Gründung der „Volkspartei“ 1895 strebte man katholischerseits den Schutz des christlichen Charakters der ungarischen Gesellschaft an. In die Diskussion antijüdischer Kreise um die christlich-jüdische Glaubenskontroverse mischte sich auch rassistisches Gedankengut, in deren Folge die Juden nicht mehr nur als Bürger israelitischer Religion, sondern als Angehörige der jüdischen Rasse gesehen wurden.38 Dennoch betrachtete man die Juden in Ungarn offiziell weiter als „Glaubensjuden“, so wurden von den Behörden nur Angehörige der israelitischen Religion als Juden erfasst.39 Das heißt ethnische Juden, die der christlichen oder einer anderen Religion angehörten bzw. konfessionslos waren, galten nicht als Juden – wobei diese 33  Domján, Thomas: Der Kongreß der ungarischen Israeliten 1868  – 1869. In: Ungarn-Jahrbuch, 1969, S. 139 – 162, hier S. 139. 34  Steinbach, S. 89. 35  Wobei denen, die die Einführung der Zivilehe forderten, der Entwurf nicht weit genug ging. Andere, darunter auch Vertreter der etablierten Kirchen, sahen durch in der jüdischen Moral eine Gefahr für die christliche Moral und die öffentliche Ordnung. Fischer, Entwicklungsstufen, S. 43, 53. 36  Tt., GA XXXI/1894. 37  Ebenda, GA XLII/1895. Steinbach, S. 89. 38  Fischer, Entwicklungsstufen, S. 61 f., 101 f. 39  Der Oberste Ungarische Gerichtshof hatte 1925 entschieden, die Juden würden keine Nationalität darstellen, sondern eine Konfession. Vgl. Gerlach, Aly, Letzte Kapitel, S. 44.

A.  Umgang mit der israelitischen Religion

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Auffassung von der Öffentlichkeit nicht immer geteilt wurde.40 In der Horthy-Zeit fand dann noch das Klischee einer Verbindung von Juden und Kommunisten weite Verbreitung. Insofern richteten sich gesetzliche Regelungen gegen Kommunisten häufig auch indirekt gegen Juden. In der Horthy-Zeit kam es auch zu ersten Repressionen. Wenngleich im GA XXV/1920 über den Numerus Clausus, der Regelung der Zulassung zur Universität, auf Volksrassen und Nationalitäten hingewiesen wurde, gab es in den Verordnungen und Gesetzesartikel bis 1938 keine Hinweise auf Juden oder auf israelitische Abstammung.41 Dennoch waren sie verschiedentlich dazu gedacht, den jüdischen Einfluss einzuschränken, was von den Behörden erkannt und entsprechend umgesetzt wurde.42 GA XXV/1920 spiegelte die Ambiguität des Horthy-Regimes wieder: Zum einen richtete es sich gegen Juden, ohne sie darin zu nennen. Und zum anderen zielte es auf den Rassenaspekt, nicht auf eine Glaubenszugehörigkeit ab. Auch wenn man offiziell nur „Glaubensjuden“ kannte, richtete es sich gegen „Rassenjuden“ und war insofern die erste antijüdische Maßnahme mit rassistischem Hintergrund. Die Horthy-Zeit und ihr „national-christlicher Kurs“ hatte sich mit diesem Gesetzesartikel auch als eine Ära eingeleitet, die sich gegen die liberale Gesetzgebung, eingeschlossen der Emanzipationsgesetze der Juden des 19. Jahrhunderts, wandte.43 Wenngleich die Judenfeindlichkeit mit Hitlers „Machtübernahme“ 1933 starken Auftrieb erhielt, kam es erst 1938, wohl auch in Verbindung mit dem Anschluss Österreichs an Deutschland, zu antijüdischer Gesetzgebung. Im März 1938, auch aufgrund des im Regierungsprogramm von Ministerpräsident Darányi angesprochenen Rassenschutzes, begannen sich die Abgeordneten mit der Judenfrage zu beschäftigen und schon im Mai 1938 wurde vom Parlament der GA XV über die wirksamere Sicherung des Gleichgewichts des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens verabschiedet, indem nunmehr Juden explizit genannt und definiert wurden. Jüdische Kulturschaffende zum Beispiel, aber auch Ärzte, Rechtsanwälte und Ingenieure wurden mit einer bis zu 20 % veranschlagten Quotierung belegt, was ihre Tätigkeit anbelangt. Davon betroffen waren Personen jüdischer Abstammung und deren Nachkommen, die nicht vor August 1919 einer anerkannten Konfession beigetreten und der ohne Unterbrechung angehört haben. Wer der israelitischen Religion angehörte, galt als Jude.44 Offensichtlich wollte man sich aber noch nicht auf die Klärung der Frage festlegen, ob man die Juden als Religionsgemeinschaft oder als Rasse klassifizierte. GA XV/1938 gilt als markanter Wendepunkt im Umgang mit den Juden. Die bereits mit dem Numerus-clausus-Gesetz für die Universitäten, GA XXV/1920, eingeschlagene Linie der Rassen-Kategorisierung der Juden wurde mit GA XV/1938 fortgesetzt und weiterentwickelt. Silagi, Juden, S. 198. Im GA XXV/1920 wurde der Begriff Juden oder Israeliten nicht erwähnt. Das Gesetz erwies sich in der Praxis jedoch als judenfeindlich, bewirkte es doch, dass um 1935 nur noch etwa 8 % Juden immatrikuliert waren im Gegensatz zu 34 % um 1918. Ebenda, S. 201 f. 42 Ebenda. 43  Schlarp, S. 359, 363. 44  Tt., GA XV/1938. 40  41 

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Kap. 6: Kriegsjahre

Das Gesetz war ein weiterer Schlag gegen das Emanzipationsgesetz von 1867 und GA XLIV/1868 über die Gleichbehandlung der Nationalitäten und natürlich gegen die Art. 55, 58 GA XXXIII/1921 und GA XLIII/1895 – und damit gegen die ungarischen Verfassungsgesetze. Die Vorgehensweise zeigt auch, wie Grundgesetze durch neue Gesetzgebung unterlaufen wurden, ganz ähnlich wie im Umgang mit der Religionsfreiheit. Das 1939 folgende zweite Judengesetz, GA IV des Jahres 1939 über die Einschränkung des jüdischen Einflusses im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft vom 5. Mai 1939 gab eine umfassende Definition des Judenbegriffs ab. Erneut wurde die Bezeichnung Jude von der Zugehörigkeit zur israelitischen Religionsgemeinschaft abhängig gemacht. Das Gesetz brachte Juden weitere Einschränkungen in der Teilnahme am politischen Leben: zum Beispiel Einschränkungen im Wahlrecht, der Arbeit im öffentlichen Dienst, außer jüdischen Geistlichen wurde ihnen in dem Gesetz eine Wahl in das Oberhaus des Parlaments verwehrt. Erneut wurde die Anzahl jüdischer Studenten limitiert, aber auch der Anteil Juden in bestimmten Berufszweigen. Nunmehr galt nur noch eine 6-Prozent-Klausel. Weitere umfassende Restriktionen im Bereich Medien, Kunst und Kultur, im Schulwesen, aber vor allem auch im Bereich Finanzen, Gewerbe, Handel und Vertrieb von Waren, dem Erwerb von Immobilien schränkten die Erwerbsmöglichkeiten der jüdischen Bevölkerung noch stärker ein und wirkten sich nachhaltig auf das jüdische Leben in Ungarn aus. Die Regelung, wonach der Kultusminister die Anzahl der israelitischen Religionsschulen, den Unterricht und das Abhalten von Seminaren beschränken und kontrollieren konnte, engte die im Gesetz der Religionsfreiheit von 1895 gegebene Freiheit wesentlich ein.45 Für Juden entstand auch ein konfessioneller Druck, sich einer nicht israelitischen rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft anzuschließen, womit sich allerdings die hypothetische Frage stellt, was wäre, wenn alle Juden in eine solche nichtjüdische Glaubensgemeinschaft konvertiert wären – es also keine Glaubensjuden mehr gegeben hätte. Spätestens mit dem nächsten Judengesetz von 1941 jedoch wird klar, dass es den Gesetzesvätern nicht um eine Konvertierungsfrage ging. Auf der anderen Seite schränkten die Gesetze die Freiheit derjenigen ein, die nicht jüdischer Abstammung waren, sich aber zur israelitischen Religion bekennen wollten oder bekannten, da sie ebenfalls als Juden betrachtet wurden, wenn sie auch nicht jüdischer Abstammung waren. Somit hatten die Gesetze auch Auswirkungen auf die freie Religionsausübung. Kurz nach Inkrafttreten von GA IV/1939 wurde ein Kommissariat geschaffen, dass die Einhaltung der Regelungen durchsetzen und überprüfen sollte.46 Zu einem weiteren Schritt in der Argumentation von Glaubens- und Rassejuden kam es dann im August 1941, da man im Gesetzesartikel XV den Judenbegriff weiter ausdehnte – dabei entstand auch die Kategorie der „Halbjuden“ –, ihn aber immer noch vor allem an der Zugehörigkeit zur israelitischen Religion festmachte.47 45 

Ebenda, GA IV/1939. Lehotay, S. 79. 47  Tt., GA XV/1941. Als Jude galt nach § 9 bereits derjenige, von dessen Großeltern wenigstens zwei in der israelitischen Religion geboren wurden. War jemand durch seine 46 

A.  Umgang mit der israelitischen Religion

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GA XV/1941 regelte zwar die Eheschließung im Allgemeinen, verbot aber unter Absatz IV explizit die Heirat von Juden und Nichtjuden, weshalb es als das dritte Judengesetz bezeichnet wird. Auch wenn hier im Gesetzestext mit der Zugehörigkeit zur israelitischen Religion argumentiert wurde, wird doch deutlich, dass es sich um die Umsetzung von Rassegedanken handelte. Nicht umsonst hatte Ministerpräsident Bárdossy im April 1941 davon gesprochen, dass der Judenbegriff klarer bestimmt werden müsste. Doch schon die Benennung des Gesetzesartikels als „nötige Verordnung zum Rasseschutz“ im Titel macht die Intention deutlich. Mit diesem Gesetz wurden ganz offiziell die liberalen Bestimmungen im GA XXXI/1894 zur Zivilehe verändert.48 Dass sich die Verordnungen direkt auf die Religionsfreiheit auswirkten, wird daran deutlich, dass eine größere Anzahl Juden sich noch im selben Jahr um die Konversion in eine andere Glaubensgemeinschaft bemühte.49 Bereits Ende 1941 wurde von den Abgeordneten der Status der israelitischen Religionsgemeinschaft diskutiert. Im Juli 1942 wurde dann der GA VIII/1942 erlassen, mit dem der israelitischen Religion der Status einer rezipierten Gemeinschaft entzogen wurde. Damit wurden auch hier die alten Verfassungsgesetze zur Religionsfreiheit außer Kraft gesetzt bzw. unterlaufen. GA XLII/1895 zur Rezipierung der israelitischen Religion wurde aufgehoben, sie zu einer gesetzlich anerkannten herabgestuft. Das hatte den Verlust verschiedener Privilegien zur Folge, wie den Wegfall staatlicher Unterstützung für den Religionsunterricht oder anderer finanzieller Leistungen vom Staat. Konnte eine israelitische Gemeinde eventuelle Schulden nicht tilgen, konnte sie zur Zahlung des Betrages gezwungen werden. Weiterhin wurde verfügt, dass der israelitischen Religion niemand beitreten konnte, weder Angehörige einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Gemeinschaft, noch andere – etwas, was in keinem der Religionsgesetze vorgesehen war und sich wiederum auf die Rechte von Nichtjuden auswirkte, indem ihnen die Freiheit genommen wurde, der israelitischen Religion beizutreten. In diesem Zusammenhang muss die Frage gestellt werden, inwiefern die offizielle Kategorisierung der israelitischen Religion als gesetzlich anerkannte Gemeinschaft korrekt ist, da ihre Freiheit, was die Konversionsmöglichkeiten anbelangt, teilweise sogar der Freiheit der gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften unterlegen war.50 Die Maßnahme der Herabstufung unterstreicht auch, welche Bedeutung der Status einer rezipierten Religion hatte und im Gegensatz dazu, in Anbetracht der weiteren Verfahrensweise mit den Juden, wie wenig geachtet eine „nur“ gesetzlich anerkannte Religion in der Realität war. Die Gesetzesvorlage wurde vom Kultusminister Bálint Hóman (1885 – 1951)51 mit einem sehr aufschlussreichen Kommentar versehen. Vorausgeschickt werden soll, dass Hóman gemeinsam Abstammung teilweise Jude, musste er eine Nichtjüdin heiraten, damit seine Kinder nicht als Halbjuden galten. 48  Ebenda. Im Titel des GA hieß es: „zur Ergänzung und Veränderung des Gesetzesartikels XXXI/1894 über das Eheschließungsrecht“. 49  Lehotay, S. 81. 50  Tt., GA VIII/1942. 51  Kultusminister zwischen 1932 und 1938 und von 1939 bis 1942.

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mit Gyula Szekfű das Buch „Magyar Történet“ (Ungarische Geschichte)52 veröffentlicht hatte, was er bei einer Audienz 1935 auch persönlich dem Papst überreichte. In diesem Werk verurteilten die Autoren die liberale Einstellung im 19. Jahrhundert, die eine Trennung von Staat und Kirche forderte, wobei liberale Politiker sich für Nazarener und Baptisten verwandten, die „fanatischsten Sekten in Schutz nahmen“, das Gesetz zur freien Religionsausübung XLIII/1895 einführten und die Juden zur rezipierten Religion erhoben. Der mit der liberalen Religionspolitik einhergehende Machtverlust der katholischen Kirche und die eingeschränkte Zusammenarbeit mit dem Staat wurden angeprangert.53 Mit dieser Stellungnahme zu den Gesetzen zu religiösen Freiheiten machte Hóman auch seine ablehnende Haltung zu Verfassungsgesetzen deutlich. Insofern ist die Verfassungskorrektur erklärbar, die er mit Vorlage von GA VIII/1942 vorschlug. In diese Linie passt auch sein Kommentar in Verbindung mit der Einreichung des GA VIII/1942, wonach er erklärte, dass die rezipierten Kirchen, „als geschichtlich gewachsene Religionsgemeinschaften“, als „Ergebnis geschichtlicher Entwicklung“ in mehrerer Hinsicht „im engen Verhältnis zum Staat“ stünden. Ihre „öffentlich rechtliche Situation“ wurzele in einer „fernen historischen Vergangenheit“, die Grundlage sei der „enge innere Zusammenhalt“, der seit Tausend Jahren „zwischen ungarischem Staat und christlicher Religion besteht“. Seiner Meinung nach war 1895 keine Notwendigkeit, die „noch nicht gleichmäßig organisierte israelitische Religionsgemeinschaft“ mit „Vorrechten auszustatten, die über die Religions- und Gewissensfreiheit der christlichen Kirchen“ hinausgingen. Seiner Meinung nach müsse der „grundsätzliche Unterschied“, der zwischen „der rechtlichen Situation“ der Religionsgemeinschaft und der – durch die Judengesetze eingeengten Situation – ihrer Mitglieder bestünde, ausgeglichen werden.54 Wie die Entwicklungen zeigen wird deutlich, dass die Definition eines Juden über die Zugehörigkeit zur israelitischen Religion in Wahrheit eine rassische und keine religiöse war. Mit der Herabstufung des Religionsstatus ging die israelitische Religion auch ihrer Vertretung im Oberhaus verlustig. Die Deklassierung der israelitischen Religion betraf aber nicht nur die Personen, die unter den Judenbegriff von GA XV/1941 fielen, sondern auch andere Bürger, die ihr angehörten bzw. ihr angehören wollten. GA XV/1941, der keine Begründung für die Degradierung lieferte, verstieß schon deswegen gegen GA XLIII/1895, da er es Nichtjuden unmöglich machte, sich zu diesem Glauben zu bekennen und zu konvertieren. In der weiteren Diskussion der Abgeordneten kam es zu weitergehenden Gesetzesvorschlägen, wie zum Beispiel der Kategorisierung der israelitischen Gemeinschaft als „geduldete Religion“ oder Juden unter Polizeiaufsicht zu stellen, sie in Ghettos zu sperren und zu enteignen.55 Mit der Internierung von Juden, die aufgrund von 52  Hóman, Bálint/Szekfű, Gyula: Magyar Történet [Ungarische Geschichte]. Budapest 1928. http://www.elib.hu/00900/00940/html/ (Zugriff am 16.2.2013). 53  Bálint/Szekfű, Magyar Történet. 54  Zitiert nach Fazekas, Kisegyházak, S. 171 f. 55  Lehotay, S. 83.

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Verordnungen wie VO 8.130 durchgeführt wurden, kam man auch diesem Anliegen nach. Das „vierte Judengesetz“ ließ nicht lange auf sich warten. Zunächst wurden Juden mit GA XIV/1942 vom Dienst an der Waffe im ungarischen Militär wie auch der Gendarmerie ausgeschlossen.56 Nach GA XV57 vom 6. September 1942, durften Juden keine landwirtschaftlichen Immobilien kaufen, noch im Besitz befindliche Felder mussten verkauft werden. In der Folge wurde jüdischer Land- und Bodenbesitz größtenteils ohne Entschädigung enteignet.58 Was die Überwachung anbelangt, stand die jüdische Religion, obgleich theoretisch gesetzlich anerkannt, praktisch auf dem Status einer geduldeten Religion. In den Berichten zur wirtschaftlichen und politischen Lage, dem Antimilitarismus, rechtsradikalen Entwicklungen, dem deutschen Einfluss und den religiösen Bewegungen gab es auch Meldungen über die Juden, über ihre Zusammenkünfte und ihr Glaubensleben, vor allem aber über die Einhaltung der Judengesetze und über politische wie wirtschaftliche Aspekte, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen. Das Marosvásárhelyer Polizeipräsidium berichtete am 6. Juni 1941 dem Innenministerium, Abteilung VII, öffentliche Sicherheit, dass sich im Allgemeinen die Auffassung herausbilde, die ungarischen Behörden gingen mit den Juden sehr freundlich und ritterlich um, da es ihnen trotz der beiden Judengesetze gut gehe.59 Das Békescsabaer Polizeipräsidium berichtete im Dezember, es halte die Tätigkeit der jüdischer Bewegungen „unter ständiger strenger Kontrolle“; zionistische Bewegungen, unerlaubte Sammlungen oder das Verbreiten von Greuelnachrichten konnte nicht festgestellt werden, genauso wenig wie „jüdisches Eindringen“ oder „größere Aktionen gegen das christliche Wirtschaftsleben“. Einige namentlich benannte Juden wurden auf Grundlage von VO 8.130/1939 und VO 769/1939 interniert. Des Weiteren würde in Verbindung mit den Judengesetzen auf Verdacht von

56  Diese an sich antisemitische Verfahrensweise heizte paradoxerweise den Antisemitismus nur weiter an. So berichtet der rechtsorientierte Publizist Mihály Kolosváry-Borcs in seinem 1943 in Budapest herausgegebenen Buch „A zsidókerdés magyarországi irodalma [Die Ungarische Literatur zur Judenfrage]“ davon, dass auffiel, dass sich unter den an der Front kämpfenden Ungarn kaum Juden befanden, umso mehr dagegen bei den Versorgungs- und anderen nicht kämpfenden Einheiten. Dadurch entstand der Eindruck, sie würden sich vor dem Kampf drücken, bewusst dem Einsatz mit Erfolg entziehen. http:// betiltva.com/2006 – 2009/kolosvary-borcsa-mihaly-a-zsidokerdes-magyarorszagi-irodalma-i-resz/ (Zugriff am 10.8.2013). In Verbindung mit der Musterung von Juden wurde 1940 z. B. festgelegt, dass sie nicht u. a. nicht zur Büroarbeit eingeteilt werden sollten. HM, 1940 eln. 16 4.000. 57  Als das vierte Judengesetz bezeichnet. Anders László Karsai, er unterteilt in 22 Gesetze und weitere Verordnungen, die sich gegen die Juden in Ungarn richteten. Karsai, Lá­ szló: A magyarországi zsidótörvények és -rendeletek, 1920 – 1944 [Die Judengesetze und -verordnungen in Ungarn 1920 – 1944]. In: Molnár, Holokauszt, S. 140 – 163, hier S. 141 ff. 58  Csősz, László: Földreform és fajvédelem: a negyedik Zsidótörvény végrehajtása [Bodenreform und Rassenschutz: die Umsetzung des vierten Judengesetzes]. In: Molnár, holokauszt, S. 176 – 192, hier S. 180 f. 59  MOL, K149 – 651.f 2/1941 – 7 – 6000, Bl.  191, 196.

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Strohmanngebrauch gegen mehrere Personen ermittelt.60 Ebenfalls im Dezember 1941 erklärte das Beregszászer Polizeipräsidium: „Eine bedeutende Zahl der Kommunisten stammt von den Juden ab. Von den Personen, die nach Russland flohen, sind die Hälfte Juden.“ Er berichtete weiter: „Zwölf Juden haben wir wegen aufwieglerischer und kommunistischer Haltung interniert und zehn wegen ähnlichen Verhaltens, Missbrauchs öffentlicher Verpflegung, unter Polizeiaufsicht gestellt.“ Gegen über 1 500 Juden würden Ausweisungsverfahren laufen. Aufgrund der dauernden strengen Kontrolle durch die Behörden käme es zu keinen verbotenen Zusammenschlüssen. Juden, denen man den Gewerbeschein entzogen hatte, seien heimlich weiter tätig. Wegen Schwarzarbeit gäbe es mehrere Hundert Anzeigen. Auch seien viele Verfahren wegen Strohmannschaft eingeleitet worden.61 Das Székelyudvárhelyer Polizeipräsidium (rumänisch Odorheiu Secuiesc) berichtete im Januar 1942, dass „der größte Teil der Bevölkerung, besonders in den Kreisen der Intelligenz den Juden gegenüber noch immer Sympathie entgegenbringt“, weshalb jüdische Aktivitäten wie schädliche Flüsterpropaganda nicht aufgedeckt werden könnten.62 Verschiedentlich wurde daher der Gebrauch von Radiogeräten aufgrund von VO 8.820/1941 M. P. untersagt.63 Das Egerer Polizeipräsidium berichtete im Februar 1942: „Unsere Behörde hat die nationalfeindliche Tätigkeit der Juden durch Internieren und teilweises Stellen unter Polizeiaufsicht von Personen, die politisch unsicher sind, Verdacht auf Kommunismus besteht, Ideen der Freimaurer teilen und schädlich für die Wirtschaft sind, auf kleinsten Raum zurückgedrängt. – So stehen sie unter dauernder Beobachtung.“64 Immer wieder kam es zu Razzien.65 Üblicherweise wurde über Leben und Aktivitäten der Juden berichtet, darunter auch über ihr Glaubensleben, also über das der eigentlich rezipierten „Israelitischen Kirche“. Besonderes Augenmerk galt den zionistischen Bewegungen. Das Polizeipräsidium von Dés meldete am 9. Mai 1942 zum Beispiel: „Die orthodoxe Glaubensgemeinschaft hat am 12. des Monats eine Generalversammlung [oder Wahlversammlung] abgehalten. 3 Zionisten sind in die Leitung gekommen, die 60 

Ebenda, Bl. 603, 605. Bl. 608, 610. Ähnliche Meldungen ergingen im Dezember vom Csongráder Polizeipräsidium (ebenda, Bl.  619  ff.), vom Mezőturer Polizeipräsidium (ebenda, Bl. 658 f.), vom Miskolcer Polizeipräsidium (ebenda, Bl. 661, 665), vom Nyíregyházaer Polizeidirektion (ebenda, Bl. 669, 671); im Januar 1942 vom Debrecener Polizeipräsidium (ebenda, Bl. 727 f.), vom Szabadkaer Polizeipräsidium (ebenda, Bl. 806, 809). Weitere Berichte MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-I./Januar. Ferner ebenda, K149 – 651-f2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-III./März. Demnach meldete das Bajaer Polizeipräsidium im April 1942 die Internierung jüdischer Bürger (Bl. 350 f.), das Debrecener Polizeipräsidium berichtete im April 1942 von Ermittlungen wegen „Straftaten wie Rassenschande“, wegen „Verstoßes gegen die Achtung der ungarischen Rasse nach GA III/1921“, wegen „Übertretung der Judengesetze“ (ebenda, Bl. 367, 369). 62  Ebenda, Bl. 817, 819. 63  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-I./Januar/, Bl.  86. Ähnlich das Sátoraljaújhelyer Polizeipräsidium im Februar 1942, Ebenda, Bl. 163, 169. 64  Ebenda, Bl. 92 ff. 65  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-III./März, Bl.  418, 420. 61 Ebenda,

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zuvor im Jüdischen Klub von Dés schon durch Wahl in Ämter gelangten. Zionistische Bewegung war nicht zu verspüren, dennoch ist es auffällig, dass Zionisten in der Vergangenheit sich nicht um Ämter in den jüdischen Vereinen, bei den letzten Wahlen allerdings starke Propaganda entfalteten, um zu einem Amt zu kommen. Die bisherigen Beobachtungen haben zu keinen konkreten Ergebnissen geführt, die Ermittlungen in diese Richtung und die Beobachtungen halte ich am Laufen.“66 Einer Meldung vom Februar 1942 des Sátoraljaújhelyer Polizeipräsidiums zufolge wurden außer in der Synagoge keine Zusammenkünfte abgehalten. Das Székesfehérvárer Polizeipräsidium berichtete, dass in Székesfehérvár ein Israelitischer Jugendverein mit 350 Mitgliedern tätig sei. Sie würden religiöse Feste und Klubversammlungen organisieren und für Mitglieder Fremdsprachenunterricht erteilen.67 In den Unterlagen des Innenministeriums findet sich eine ganze Flut von Meldungen über Juden, die die rege Kontrolle durch Gendarmerie und Polizei belegen. Die Judengesetze hatten teilweise auch Auswirkungen auf Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften. Im Zusammenhang mit der Definition des Judenbegriffs stellte die Beurteilung der Siebenbürger „Sabbatarier“ – nicht zu verwechseln mit den Reformadventisten, die ebenfalls als Sabbatarier bezeichnet wurden – und ihrer Nachkommen ein Problem dar. Die Präsidialabteilung des Verteidigungsministeriums erklärte dazu am 4. Juli 1942: „Die sogenannten Sabbatarier aus Siebenbürgen sind aus Siebenbürgen stammende meist jüdisch gewordene Personen, deren Vorfahren einmal christliche Ungarn waren. Diese religiöse Sekte entstand im 16. Jahrhundert aus der unitarischen Religion, ihre Lehren waren mit den Lehren der jüdischen Religion identisch, und nach jahrhundertelangen Verfolgungen verschmolzen 1867 und 1868 die meisten der Anhänger dieser Sekte auch rechtlich mit der jüdischen Glaubensgemeinschaft.“ Das heißt, sie waren vom Rassegesichtspunkt Ungarn, hinsichtlich der Religion aber Juden, wenngleich sie den Sabbatariern, nicht der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten. Die Abteilung kam zu dem Schluss, dass solche Personen nachweisen müssten, dass sie oder ihre Vorfahren vor ihrer Assimilation mit der jüdischen Glaubensgemeinschaft „Christen (Nichtjuden) waren“. Konnten sie dann noch nachweisen, dass ihre Vorfahren aus Siebenbürgen stammten, dann wurden sie als „Sabbatarier aus Siebenbürgen oder sein Nachkomme“ angesehen. Als solche wären sie „hinsichtlich der Anwendung von GA IV/1939, XV/1941 und sonstigen Gesetze bezüglich der Juden nicht als Juden zu betrachten“, was auch Auswirkungen auf ihren Einsatz in der ungarischen Armee hatte.68 Über die Beurteilung des Einzelnen, also ob er als Jude oder Nichtjude angesehen wurde, entschied der Innenminister.69 Am 23. Mai 1942 verwies der Justizminister auf § 16 GA XV/1941. Danach falle ein Siebenbürger 66 

Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IV./April, Bl.  497, 500. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-I./Januar, Bl.  163, 169, 201, 203. 68  HM, VKF, 1942 hdmcsf. 388, Bl. 759 – 762, Az. 37.725. 69  Internes Schreiben des Verteidigungsministeriums vom 6.8.1942 zur Überprüfung der Abstammung der sogenannten Sabbatarier aus Siebenbürgen und ihrer Nachkommen von Militärbehörden. Ebenda, 1942, eln. 13 29.638. 67 

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Sabbatarier oder Nachkomme, der von seiner Herkunft ein Nichtjude sei und nicht der israelitischen Glaubensgemeinschaft angehöre, nicht unter die Judengesetze. Sie würden, nach jeweiliger Entscheidung des Innenministers, auch in Verbindung mit ihrem Einsatz beim Militär als Nichtjuden behandelt. In der Bescheinigung würde der Innenminister auch festlegen, ob derjenige gegebenenfalls teilweise unter die Judengesetze falle.70 Damit stand die Verfahrensweise mit den Sabbatariern fest, es darf allerdings bezweifelt werden, dass die unteren Behörden das jeweils entsprechend verstanden haben. Die Unkenntnis wird auch am Beispiel der Kategorisierung von „Konfessionslosen“ deutlich. Wie aus einer Pro-Domo-Notiz der Präsidialabteilung des Verteidigungsministeriums vom 2. Dezember 194271 unter Verweis auf VO 68.166/1942 (der Präsidialabteilung) vom 10. November 1942 hervorgeht, gab es zum Beispiel Schwierigkeiten bei der Einordnung der „Ungarischen Bibelnachfolger“, ein neuer Name der Adventisten. Demnach hatte schon im März 1942 die Leitung der „‚Konfession der Ungarischen Bibelnachfolger‘ eine Gedenkschrift [unterschrieben von László Michnay] an den Verteidigungsminister gesandt“, in der sie um Abhilfe bat, „da Konfessionsangehörige aufgrund einer VM-Verordnung von manchen Zertifizierungsgremien als Juden eingestuft wurden“. Darin verwies man darauf, dass der Innenminister die Tätigkeit der Gemeinschaft am 17. Januar 1941 mit der VO 247.704/1941, Abt. VII, auf Grundlage von GA XLIII/1895 erlaubt habe, so lange „sie nicht gegen unsere Gesetze oder unsere gesetzlichen Regelungen verstößt“.72 Dann machte er nochmals deutlich, dass die VO 68.166/1942 verfügt hatte, „dass die Konfessionslosen nicht Juden sind, wenn sie sich zu einer christlichen Glaubensgemeinschaft bekennen, vorausgesetzt, dass die Religionszugehörigkeit ihrer Großeltern von Geburt nicht jüdisch war“. Sie galten nur so lange als Juden, „bis sie sich zu einer christlichen Glaubensgemeinschaft bekennen“. Der Schreiber musste eingestehen, dass diese Verordnung „von einigen die Abstammung zertifizierenden Gremien missverstanden“ wurde. Dann hielt er klärend fest, woraus offensichtlich am 12. Dezember 1942 die verbindliche VO 15.038/194273 wurde: „1./ Die Beurteilung der Konfessionslosen muss auch auf Grundlage der Rasse / Abstammung / getroffen werden. Nur weil jemand konfessionslos ist, kann er noch nicht als Jude eingestuft werden und im Stammbuch mit ‚zs‘ [Abkürzung für „zsido“, Jude] gekennzeichnet werden. Seit 1.  Oktober 1896 wird sowieso jeder, der einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religion angehört, stammbuchmäßig erfasst. Die Konfessionslosen müssen also vom Gesichtspunkt der Zertifizierung ihrer Abstammung als Angehörige einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaft angesehen werden, wie in ihrem Stammbuch angegeben. Wer vor dem 1.10.1896 geboren wurde, ist auf Grundlage der Einträge ins Kirchenregister / Geburtsurkunde / zu beurteilen, zu welcher 70 

Ebenda. HM, 1942 eln. 16 29.638. Schreiben des Justizministers Az. 564/747. Az. 15.038. 72  Ebenda, Elnökség I, 1942, 15.038, B. 4 – 6. Ebenda, 15.038 Elnöki osztály 1942, Bl. 1, 2. 73  Ebenda, 1942 13. oszt. cs. 8263, Bl. 5. 71 

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Konfession er zugehörig anzusehen ist.“ Im Weiteren verwies er auf acht Personen beim IX. Armeekorps, die als Juden eingestuft wurden und deren Status überprüft und wenn nötig entsprechend korrigiert werden sollte.74 Wie dieser Eintrag zeigt, kam es von den Behörden immer noch zu Verwechslungen der Gemeinschaften, was in diesem Fall weitreichende Auswirkungen haben konnte. Gleichzeitig wird deutlich, dass der Eintrag bei der Geburt ins Kirchenregister ausschlaggebend war, welcher Konfession man angehörte, also, auch wenn man nicht mehr Mitglied einer rezipierten Gemeinschaft war und zu den sogenannten Konfessionslosen gehörte, man dennoch offiziell als Teil der Rezipierten angesehen wurde. Das deklassierte Betrachtung und Handhabung des Artikels zur Religionsfreiheit zum äußeren Schein. Im Übrigen konnte es, anderen Aussagen des Verteidigungsministeriums zufolge, durchaus zu Benachteiligung Konfessionsloser gekommen zu sein. So wurde zum Beispiel am 13. Februar 1942 erklärt, dass die Rechte Konfessionsloser mit VO 27.300/1941 des Verteidigungsministeriums eingeschränkt, was aber bei Eintritt in eine anerkannte Gemeinschaft aufgehoben würde.75 Sogar in Verbindung mit den Baptisten gab es 1942 Kategorisierungsprobleme. In dem Zusammenhang machte das Verteidigungsministerium darauf aufmerksam, dass es teilweise auch zu Unsicherheiten gekommen war, ob andere Gemeinschaften wie z. B. die Unitarier eine christliche Glaubensgemeinschaft seien. Daher müsse die Frage, „welche der Gemeinschaften rezipiert, welche gesetzlich anerkannt und welche weder rezipiert noch anerkannt sind“, allgemein geklärt werden. Zwecks Klarstellung wandte man sich am 16. Oktober 1942 an die protestantische Militärdiözese. In einer weiteren Notiz hieß es: „In der Hauptsache geht es nicht darum, ob eine Religionsgemeinschaft / Sekte / als christlich gilt, sondern welche keine Juden sind. Denn so ist die mohammedanische Religion nicht christlich, aber gesetzlich anerkannt. Daher ist die Antwort ganz einfach. Keine der Gemeinschaften / Sekten ist als Jüdisch anzusehen, ob christlich oder nicht, selbst die Siebenbürger sog. ‚Judisierten‘ [‚zsidózó‘] oder Sabbatarier. Das gilt natürlich nur für die Glaubensgemeinschaften bzw. Sekten, nicht für ihre Mitglieder, die jüdischer Herkunft sein können und nach den Judengesetzen Juden oder Nichtjuden sind. Gemäß den derzeitigen Gesetzen und Verordnungen sind folgende Gemeinschaften rezipiert: 1. römisch-katholisch, 2. griechisch-katholisch, 3. armenisch-katholische, 4. reformierte, 5. evangelische, 6. Unitarier, 7. griechisch-östlich. Anerkannte Religionsgemeinschaften: 1. Israelitische (nach GA VIII/1942), davor rezipiert, 2. Baptisten, 3. Mohamedaner. Alle anderen Gemeinschaften gehören in den Bereich der Sekten. Diese können aufgrund des Versammlungsrechts gewisse Tätigkeiten ausführen. Unter ihnen erfährt allerdings die Gemeinschaft der Methodisten eine besondere Behandlung, da sie aus gewissen Gesichtspunkten wie eine anerkannte Glaubensgemeinschaft beurteilt wird. Die Tätigkeit einiger Sekten, wie die im Einlagebogen erwähnten Nazarener- und Adventisten-Sekten, wurde […] eingestellt.“76 Im 74 

Ebenda, 15.038 Elnöki osztály 1942, Bl. 1, 2. Ebenda, 1942 13 oszt. 4890 cs. 8.263, Bl. o. Nr. 76 Ebenda. 75 

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Verteidigungsministerium reklamierte man, die Militärdiözese habe nicht erklärt, ob z. B. die Nazarener oder die Adventisten eine christliche Gemeinschaft wären. Dass der Innenminister ihre Tätigkeit untersagt habe, sei diesbezüglich irrelevant, da die „adventistische Sekte dennoch eine christliche Gemeinschaft sein“ könne, da die Mitglieder nach allgemeinem Wissen auch getauft sein könnten und die Taufe wiederum mit dem christlichen Glauben in Verbindung stünde. „Zu den in Ungarn lebenden Anabaptisten, Oxfordisten, den Jehova Gott Zeugen“ hätte sich die Militärdiözese gar nicht geäußert. Man wolle sich nunmehr an den pensionierten katholischen Feldgeistlichen János Folba77 wenden, der als Sachverständiger auf diesem Gebiet galt und dessen Dienste das Verteidigungsministerium noch immer in Anspruch nehme.78 Diese Diskussion, die die noch immer vorherrschende Unkenntnis der Behörden wie auch der Geistlichen zu den Gemeinschaften unterstreicht, macht nochmals deutlich, dass es bei der Beurteilung der Juden um eine Rassefrage ging. Nichtjuden wurden zum Militärdienst herangezogen, Juden, die nach GA XIV/1942 keinen Dienst an der Waffe im ungarischen Militär mehr verrichten durften, wurden anderweitig in Arbeitskommandos eingesetzt. In der Art, wie im Fall der Juden Verfassungsgesetze systematisch unterlaufen und sogar aufgehoben wurden, und da man im Zuge der immer restriktiver werdenden Vorgehensweise gegen die Juden auch den Status der israelitischen Religionsgemeinschaft von rezipiert auf gesetzlich anerkannt reduziert und sie in verschiedener Hinsicht wie eine geduldete Gemeinschaft behandelt wurden, sind Parallelen zum Umgang mit den gesetzlich nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften und der immer weiter fortschreitenden Einschränkung ihrer Rechte zu sehen.

B.  Ungarische Bibelnachfolger alias Siebenten-Tags-Adventisten Aufgrund der Verbotsverfügung gingen die Behörden nunmehr auch verstärkt gegen die Adventisten vor. Das bestätigt zum Beispiel ein Bericht zur „Sektenbewegung“ vom 20. Dezember 1940 zum Monat November. Darin werden eine ganze Anzahl Frauen (15) aus der Gegend von Mernye (Südwestungarn) namentlich genannt, die als Sabbatisten bezeichnet und im Oktober 1940 strafrechtlich verfolgt wurden, da sie gegen das Verteidigungsgesetz verstoßen hätten und trotz Verbots Zusammenkünfte abgehalten hätten. Auch in Rákoscsaba seien am 9. November 1940 Anhänger der Adventisten trotz Verbots in einer Wohnung zusammengekommen und vom Gendarmen beim Abhalten der Zusammenkunft, beim Singen und Beten überrascht worden. Ferner wurde eine Gruppe Adventisten (2 Männer, 7 Frauen) aus der Gegend von Veszprém und Balatonfüred genannt und eine Gruppe in der Gegend von Gödöllő (in der Nähe von Budapest) (2 Männer, 2 Frauen), 77  78 

http://lexikon.katolikus.hu/N/N%C3%A9meth.html (Zugriff am 20.4.2013). HM, 1942 13 oszt. 4890 cs. 8263, Bl. 2 – 4.

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die im Herbst Zusammenkünfte abgehalten hätten, weshalb Strafverfahren eingeleitet wurden.79 Im Januar 1941 nahmen die Adventisten, wahrscheinlich um das Verbot zu umgehen, den Namen Magyarországi Bibliakövetök Felekezete (Konfession der Bibelnachfolger Ungarns) an. Mit Hilfe des reformierten Bischofs László Ravasz (1882 – 1975)80 gelang ihnen sogar eine Tätigkeitserlaubnis bewirken. Ravasz hatte auf die internationalen Verbindungen der Gemeinschaft der STA hingewiesen, und bemerkt, dass eine harte Vorgehensweise der Gemeinschaft außerhalb Ungarns ein schlechtes Licht auf die Regierung und ihre Kirchenpolitik werfen würde.81 Scheinbar griff auch hier wieder das Argument der Außenwirkung, und das, obwohl man mit dem Westen im Krieg war. Doch möglicherweise wollte man es sich bereits zu diesem Zeitpunkt mit der anglo-amerikanischen Macht nicht völlig verscherzen. Gleichzeitig wurden die Adventisten im Hitler-Deutschland an sich nicht verfolgt. Daraufhin hatte der Innenminister mit VO 247.704/1941 VII. vom 17. Januar 1941 festgelegt: „Für die gesetzlich nicht anerkannte Glaubensgemeinschaft /Sekte/ Ungarische Bibelanhänger Glaubensgemeinschaft gilt der Gesetzartikel XLIII von 1895 solange, bis ihre Tätigkeit gegen unsere Gesetze und gesetzliche Rechtsvorschriften nicht verstößt.“ Das heißt die verfassungsrechtlich garantierte Religionsfreiheit war offiziell noch nicht abgeschafft, wenngleich der Gesetzesartikel vergleichsweise selten zitiert wurde, Art. 55 GA XXXIII/1921 wurde nicht angeführt. Sich auf GA XLIII/1895 berufen zu dürfen, der prinzipiell für „jedweden Glauben“ und „jedwede Religion“ gedacht war, wurde nun zum Privileg. Das Gesetz für Religionsfreiheit galt nur für ausgewählte Gruppierungen und das auch nur mit Auflagen. Der Innenminister schränkte für die Bibelnachfolger weiter ein: „Die Mitglieder der aufgelösten Sekten dürfen zwar gemäß dem oben erwähnten Gesetzartikel irgendeinem Glauben oder irgendeiner Religion innerhalb der Grenzen der Gesetze, gesetzlichen Rechtsvorschriften des Landes und der Erfordernissen der öffentlichen Moral frei folgen, trotzdem darf die Versammlung in ihrem eigenen Interesse die Bewerber nur aufgrund einer gründlichen, vorherigen Prüfung und einzelner Beurteilung aufnehmen. Die Aufnahme von Gruppen erlaube ich nicht.“ Auch diese Bestimmung wurde so vom GA XLIII/1895 nicht gedeckt, war aber für die Gemeinschaft sicher das kleinere Übel. Hinsichtlich der Zusammenkünfte wies der Minister an: „Die Gottesdienste und religiösen Zusammenkünfte jeder gesetzlich nicht anerkannten [und nicht verbotenen] Glaubensgemeinschaft sind an polizeiliche Genehmigung und Kontrolle gebunden. Man muss die Glaubensregeln und die Namenregister der Mitglieder der für die Genehmigung befugten Polizeibehörde (Oberstuhlrichter) vorlegen und über die Veränderungen 79 

MOL, K150 VII-6 1940, Bl. 1 ff. war bekannt durch seine antisemitischen Äußerungen, als Mitglied des Oberhauses hatte er das erste und zweite Judengesetz mitverabschiedet. Gegen den Holocaust verwehrte er sich mit Rundbriefen. 81  Szigeti, magyarországi egyházak, S. 188 – 262. 80  Er

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im Namenregister von Fall zu Fall benachrichtigen.“ Und er fügte noch hinzu: „Die gesetzlich nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften sind gemäß unserer Rechtsvorschriften nicht als Verein, Kirche, Gemeinde oder Kirchengemeinde zu betrachten, sie dürfen kein Immobiliarvermögen kaufen.“82 Csaba Fazekas verweist darauf, dass diese Tätigkeitserlaubnis die Gemeinschaft verpflichtete, dem Horthy-Regime gegenüber Loyalität zu erweisen.83 Daher betonten die ungarischen Bibelnachfolger in der Erklärung über ihre Glaubensgrundsätze auch ihre nationale Verantwortung im öffentlichen Leben: „Wir erkennen an, dass die Staatsmacht in der Ära des Neuen Testaments auch berechtigt ist, das Tragen von Waffen zu fordern […] und sie zum Schutz der ihnen Anvertrauten gegen innere und äußere Feinde auch zu gebrauchen. Jeder Bürger ist verpflichtet, in Friedens- wie in Kriegszeiten dem Stellungsbefehl Folge zu leisten, den Dienst ehrenhaft durchzuführen, wie es sich für einen Bürger des Vaterlands, einen Christen, gehört, und den Befehlen der übergeordneten Militärangehörigen zu gehorchen.“ An Samstagen konnte der Besuch der Gottesdienste vom Vorgesetzten erbeten werden. Im Falle einer Verweigerung des Dienstes wurde festgelegt: „Wenn jemand aus Missverständnis oder Fehlinterpretation der Glaubensgrundsätze die staatlichen Gesetze oder gesetzlichen Verordnungen übertritt oder den Militärdienst unter Bezug auf seine religiöse Überzeugung verweigert, ist der Betreffende für die damit einhergehnden Folgen allein verantwortlich.“ In Bezug auf das Verhältnis zum Regime versicherte man, „Die Konfession der Bibelnachfolger Ungarns ist sich der Wichtigkeit der ungarischen Staatsidee bewusst“, und verwies dann auf die Berufung der Nation durch Gott. Daher dürfe zu ihren Mitgliedern niemand gehörden, der sich an irgendeiner „politischen, geheimen oder anderen Gruppierung beteiligt, deren Ziel der gewaltsame Umsturz der Nation oder der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung ist, oder die antimilitaristische Gedanken verbreitet, die auf die Verweigerung der höchsten staatsbürgerlichen Pflicht gegenüber der Heimat abzielt – wozu der gesetzliche Wehrdienst gehört“. Es hieß weiter: „Jedes Mitglied dient seiner Heimat mit der größten Gewissenhaftigkeit und Bereitwilligkeit im Geist des Evangeliums und neben der Einhaltung der bestehenden Gesetze und gesetzlichen Verordnungen.“ Brach ein Mitglied das Gesetz „weil er die Glaubensgrundsätze falsch versteht oder missinterpretiert“, sei er für seine Tat selbst verantwortlich und habe die Folgen zu tragen. Außerdem gestand man dem Staat zu, „jederzeit die Zusammenkünfte unserer Gemeinschaft daraufhin zu kontrollieren, dass nichts verkündet wird, was den Staat, die Gesellschaft, den Wehrdienst und die moralischen Grundsätze untergräbt“.84 Mit dieser Erklärung distanzierte man sich klar von den Vorwürfen der Verbotsverfügung des Innenministers und von den Glaubensgemeinschaften, die den Dienst an der Waffe oder den Mi82 

MOL, K579 – 1943, Bl. 282 – 294. HM, Elnökiség I, 1942, 15.038. Fazekas, Kisegyházak, S. 174. 84  A Felekezet Elnöki Bizottsága [Das Vorsitzende Komitee der Konfession] (Hrsg.): A Magyarországi Bibliakövetők Felekezetének hitelvei [Die Glaubensprinzipien der Konfession der Bibelnachfolger]. Budapest 1941, S. 14 – 15. HM, Elnökiség I, 1942, 15.038. 83 

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litärdienst an sich verweigerten wie die Nazarener, Zeugen Jehovas oder auch die Reformadventisten, von denen man sich nunmehr klar namentlich unterschied. Aufgrund der Vermischung von adventistischen Glaubensangehörigen mit Juden durch Militärbehörden wandte sich László Michnay von den Bibelnachfolgern am 12. März 1942 an den Verteidigungsminister und übersandte die hier zitierten Glaubensgrundsätze mit der Erklärung: „Die Ungarische Bibelnachfolger Glaubensgemeinschaft ist eine christliche Glaubensgemeinschaft, die in unserem Land in ungefähr 220 Versammlungen 7000 erwachsene Mitglieder, 3000 Jugendliche und Kinder hat, deren beigefügte Glaubenslehren der Herr Exzellenz Innenminister überprüft hat.“ Er habe die Tätigkeit „nach langer Untersuchung und gründlicher Erwägung“ zugelassen, da sie „weder aus militärischer und ungarisch nationaler, noch aus gesellschaftlicher, moralischer und religiöser Sicht bedenklich ist“, man die „Prediger hinsichtlich der Staatstreue“ für zuverlässig hielt. Dabei habe eine wichtige Rolle gespielt, „dass unsere männlichen Mitglieder, als Offiziere, Unteroffiziere und in der Truppe, sowohl im vergangenen Weltkrieg als auch in den seitdem durchgeführten Waffenübungen und Feldzügen – mit Treue, Ehrlichkeit und Liebe den Interessen des Vaterlandes an der Stelle dienten, wo die Pflicht sie hingestellt hat“. Michnay bat im Sinne der Religionsfreiheit und der Bürgerrechte darum, die Verwechslung mit den Juden abzustellen und erklärte weiter: „Die betroffenen Glaubensanhänger können urkundlich belegen, dass keiner von ihren Vorfahren ein Jude war.“ Dann verwies er darauf, dass sie mit „den Sekten nichts zu tun haben, die aufgrund ihres fanatischen und extremen Standpunkts ihrer Heimat und den militärischen Interessen schaden.“ Der Bitte wurde mit VO 15.038/1942 entsprochen.85 Einigen Mitteilungen an den Innenminister zufolge scheint es bei den zivilen Behörden zumindest großenteils nicht zu Problemen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit gekommen zu sein. So berichtete zum Beispiel im Dezember 1941 das Gyulaer Polizeipräsidium, dass die Konfession der Ungarischen Bibelnachfolger Gottesdienste und religiöse Zusammenkünfte abhalte und gegen ihre Tätigkeit aus nationalen und gesellschaftlichen Gesichtspunkten nichts einzuwenden sei.86 85 Ebenda.

86  MOL, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000. V./Mai, Bl. 637 f. Ähnliches berichtete das Miskolcer Polizeipräsidium im Dezember 1941 dem Innenminister, in der Stadt seien „zwei Sekten tätig“, die Ungarischen Bibelnachfolger und die Christliche Brüderversammlung, „deren Tätigkeit bei der Kontrolle aus staats- und gesellschaftlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden ist“. Ebenda, Bl. 661, 663. Das Marosvásárhelyer Polizeipräsidium (Tîrgu Mureş) berichtete am 10.6.1941, die Sekte der Bibelnachfolger stehe unter Beobachtung, Vorschriftswidrigkeiten seien nicht festzustellen. Ebenda Bl. 191, 194. Ferner: Das Csongráder Polizeipräsidium am 9.1.1924, Ebenda, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000. XII./Dezember, Bl. 725. Auch später noch, am 10.1.1942, bezeichnete das Debrecener Polizeipräsidium die Tätigkeit dieser Gemeinschaft und der Heilsarmee als „nicht nennenswert“ und „nicht besorgniserregend“. Ebenda, Bl. 727 f. oder am 7.1.1942 das Diósgyőrer Polizeipräsidium, wonach die „über internationale Verbindungen verfügenden, ggf. antimilitaristischen, Gütergemeinschaft oder die freie Liebe propagierenden, in religiöses Gewand gehüllten, Bewe-

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Verschiedentlich haben die Behörden aber auch nicht erkannt, dass es sich bei der Gemeinschaft der Ungarischen Bibelnachfolger um eine Umbenennung der STA handelte. So das Beregszászer Polizeipräsidium (Berehowe/Ukraine) am 9. Dezember 1941, das dem Innenminister berichtete, dass die Siebenten-Tags-Adventisten als auch Zeugen Jehovas untersagt seien, die STA jedoch noch im Dezember eine Zusammenkunft abgehalten hätten. Und erklärte dann: „Seither sind sie nicht mehr tätig. Zurzeit gibt von den Sekten nur die der Ungarischen Bibelnachfolger und sie halten nach vorher eingeholter Genehmigung Zusammenkünfte ab.“87 Das Csongráder Polizeipräsidium schrieb an den Innenminister: „Nur die Vereinigung der Ungarischen Bibelnachfolger übt Sektentätigkeit aus.“ Sie hätten 18 Mitglieder, die „aus den Reihen der Kleingewerbetreibenden und anderer Kleinexistenzieller“ kämen. Ihre Tätigkeit erstrecke sich lediglich auf die Pflege des Glaubenslebens.88 Das Kaposvárer Polizeipräsidium erklärte am 8. Dezember 1941: „Unter den nichtanerkannten Gemeinschaften ist die Glaubensgemeinschaft der Ungarischen Bibelnachfolger unter der Leitung des Predigers […] Delimotti tätig. Zur Gemeinschaft gehören ungefähr 30 Mitglieder.“ Außerdem forderte der Chef der Polizei die Einstellung der Tätigkeit, da beim „Einsammeln von Gläubigen die Glaubenslehren der historischen Kirchen verletzt“ würden.89 Auch dem April-Bericht 1942 des Debrecener Polizeipräsidiums zufolge waren „nur die ‚Glaubensgemeinschaft der ungarischen Bibelanhänger‘ und die ‚Heilsarmee‘ tätig“, gegen die man „keine Einwände“ hätte.90 Es gab sogar wohlwollende Berichte wie zum Beispiel vom Marosvásárhelyer Polizeipräsidium im Mai 1942: „Die Vereinigung der Ungarischen Bibelanhänger übt statutgemäße Tätigkeit aus, nach der Prüfung der von dem örtlichen Gendarmerieposten erbetenen Ermittlungsangaben fand ich keine solche Angaben, die als Grundlage eines gesetzlichen Verfahrens [gegen sie] dienen könnten; László Csányi Predigergehilfe übte keine staatsfeindliche Tätigkeit aus, er nahm sogar in seinen Predigten einen antisowjetischen Standpunkt an.“91 Mancherorts kam es zu Schwierigkeiten in der Umsetzung. So hatte sich die Gruppe in Medgyesegyháza (slovakisch Medeš) an den Eleker Oberstuhlrichter gegungen“ nicht zu beobachten seien. Lediglich die Ungarischen Bibelnachfolger hielten „mit behördlicher Genehmigung“ religiöse Versammlungen ab. Ebenda, Bl. 730 f. Am gleichen Tag vermerkte das Székelyudvárhelyer Polizeipräsidium (Odorheiu Secuiesc/Rumänien) zu der Gemeinschaft „keine Auffälligkeiten“. Ebenda, Bl. 817, 819. Dem Polizeipräsidium Eger vom 9.1.1942 zufolge seien die Bibelnachfolger „aus den politischen Gesichtspunkten und dem Schutz der Nation nicht besorgniserregend“. Ebenda, Bl. 733. Máramarosszigeter Polizeipräsidium (Sighetu Marmaţiei /Rumänien) berichtete ebenfalls am 9.1.1942, dass die kleinere Gruppe der Bibelnachfolger, keine „staats-, religionsfeindliche oder gegen die öffentliche Sitte verstoßende Lehre verkünden oder derartige Aktivitäten durchführen.“ Ebenda, Bl. 764. 87  Ebenda, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000 XI./November, Bl. 606, 608. An den Zusammenkünften würden nur 2, 3 Familien teilnehmen. 88  Ebenda, Bl. 619 ff. 89  Ebenda, Bl. 646 f. Ebenda, K149 – 651.f.2./1942 – 7 – 6006 II 1942. 90  Ebenda, 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IV./April, Bl.  495. 91  Ebenda, 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-V./Mai, Lagebericht Mai, Az.  28/5 – 1942.

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wandt und einen Antrag auf polizeiliche Genehmigung der Gottesdienste gestellt. Dem Antrag fügte man ein Namensregister von 11 Mitgliedern an. Der Eleker Oberstuhlrichter lehnte jedoch den Antrag am 3. Februar 194192 mit der Begründung ab, „dass die 11 Mitglieder der Sekte der verbotenen adventistischen Sekte angehörten, auch in deren Räumlichkeiten Zusammenkünfte abhalten wollten, die Redner nicht angemeldet wurden, was bedenklich ist, weil die Bibelerklärung der Ungebildeten zur Behandlung von schädlichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen führen kann. Die Genehmigung des Gottesdienstes würde nur das Fortbestehen der verbotenen Sekte unter einem anderen Namen ermöglichen.“ Dagegen legte, wie eine Akte, verfasst im Innenministerium, zeigt – der Landesvorstand der Gemeinschaft beim Vizegespan des Komitats Csanád-Arad-Torontál Rechtsmittel ein. Danach erklärte er, dass man mit den Adventisten nicht gleich sei, „neue Glaubensregeln“ habe und „auf nationaler Grundlage“ stehe. Wenngleich man die Mitglieder von der aufgelösten Religion übernommen habe, sei das „aus moralischer und nationaler Sicht einzeln geprüft“ worden. Bei den Gottesdiensten würden nie politische Fragen aufgeworfen werden. Nachdem der Vizegespan den erstinstanzlichen Beschluss bestätigte, reichte die Gemeinschaft am 20. Dezember 1941 erneut einen Antrag zur Genehmigung der Gottesdienste in Medgyesegyháza beim Eleker Oberstuhlrichter ein. Die Beilage des Antrags führt nunmehr 22 Mitglieder an, allerdings waren „5 von ihnen mit den, in der Beilage des vorherigen Antrags angeführten identisch, 6 sind rausgefallen, und es gibt 17 neue Namen“. Der Oberstuhlrichter von Elek scheint sich daraufhin an den Gemeindevorstand von Medgyesegyháza gewandt zu haben. Dieser erklärte, „dass 11 von den angemeldeten 22 Personen nachgewiesen konfessionslos sind, 8 den Austritt aus einer rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaft nicht nachgewiesen haben, 2 in der Gemeinde unbekannt sind, und 1 von dort weggezogen ist“. Der Oberstuhlrichter lehnte am 21. Januar 1942 den Antrag erneut ab. Er begründete: „Die Verordnung 363.500/1939 I. M. hat die adventistische Sekte verboten. Von den Mitgliedern der Sekte der Bibelanhänger waren 11 Mitglieder der verbotenen Sekte, und 8 haben ihre Konfessionslosigkeit nicht nachgewiesen. Die Redner der Zusammenkunft wurden nicht angemeldet, und die Mitglieder geben aufgrund ihrer geringeren Bildung Gelegenheit, gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen aufzuwerfen, die unter den momentanen Umständen bedenklich sind. Besonders aufgrund der Öffentlichkeit der Gottesdienste. Die Genehmigung der Gottesdienste würde nur die Tätigkeit der verbotenen Sekte unter einem anderen Namen ermöglichen.“93 Ein Hauptgrund für die Ablehnung der Zusammenkünfte war offensichtlich der niedrige Bildungsstand. Damit allerdings würde man das Bildungsniveau zu einer Art Numerus clausus für Religionsfreiheit machen. Das würde umgehend die Frage aufwerfen: Ab wann ist man geeignet, seine Religion zu bestimmen. Im Übrigen bestimmte GA XLIII/1895 nicht, dass jemand zunächst

92  Az.

574/1941.

93  Az. 6241/1941.

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konfessionslos sein müsse, um sich zu einem (anderen) Glauben bekennen zu können.94 Das erkannten auch die Bibelnachfolger und legten gegen den Beschluss des Oberstuhlrichters Rechtsmittel ein. Man berief sich einerseits auf den Innenminister und die von ihm erlassenen Richtlinien. Diese habe man eingehalten, weshalb kein Grund bestehe, die Genehmigung der religiösen Zusammenkünfte zu verweigern, zumal der Gottesdienst keine politische Versammlung sei. Die Rechtsvorschriften bezüglich der politischen Versammlungen könnten also nicht herangezogen werden. Auch habe der Innenminister nicht untersagt, Mitglieder der aufgelösten Gemeinschaft zu übernehmen. Dann berief sich die Gemeinschaft auch auf GA XLIII/1895 und die Aussage, dass „jeder irgendeinem Glauben oder irgendeiner Religion innerhalb der Grenzen der Gesetze und der Erfordernissen der öffentlichen Moral frei folgen, also auch an dem Gottesdienst einer anderen Glaubensgemeinschaft, als von der, deren Mitglied er gemäß dem Gesetz ist, teilnehmen“ kann. Auch die Freiheit des im Gesetzartikel geregelten Austritts schränkt die allgemeinen Prinzipien der Religionsfreiheit nicht ein. Die Verordnung des Innenministers beschränkte die Mitglieder nicht auf Konfessionslose. Der Vizegespan des Komitats Csanád-Arad-Torontál bestätigte jedoch am 9. März 1942 den Beschluss der erstinstanzlichen Behörde.95 Dagegen gingen der Rechtsanwalt und der Vorstand der Gemeinschaft in Revision. Die Sache kam vor den Innenminister.96 In einem weiteren Akt, der auch vor den Innenminister kam, hatte die Gemeinschaft den Elker Oberstuhlrichter am 20. Dezember 1941 um Genehmigung der Gottesdienste in der Gemeinde Nagykamarás (rumänisch Camarasu Mare) gebeten. Dem Antrag war ein Namensregister von Personen angefügt, von denen fünf aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten waren, wofür sie aber keinen schriftlichen Beleg, sondern nur Zeugen vorweisen konnten, „weil der Pfarrer gegen den Austritt Berufung eingelegt“ habe. Erneut wies der Eleker Oberstuhlrichter den Antrag ab,97 mit der Begründung, „dass keiner der im Namenregister angeführten Mitglieder nachweisen kann, dass er konfessionslos ist, sie alle römisch-katholisch sind“ und so „die Versammlung der Sekte keine Mitglieder“ habe. Das klingt nach einem Deal, einer Absprache zwischen kirchlicher und ziviler Behörde. Es erhebt sich auch die Frage, wie ein Pfarrer jemand den Austritt aus der Kirche – außer aus formellen Gründen – verwehren konnte, zumal § 5) GA XLIII/1895 es jedermann erlaubte, innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen aus jedweder Religionsgemeinschaft auszutreten oder in jedwede Religionsgemeinschaft einzutreten. Interessant ist auch die weitere Begründung des Oberstuhlrichters für die Ablehnung: „Außerdem ist es im Allgemeininteresse, dass die Übereinstimmung und Ruhe der Gemeindebevölkerung unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen gesi94 

Ebenda, K579 – 1943, Bl.  282 – 294.

95  Az. 2517/1942. 96 Ebenda. 97 

Am 17. Januar 1942, Az. 6242/1941.

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chert ist. Diese würde aber die Tätigkeit der Sekte gefährden.“ Mit diesen Worten wird noch einmal deutlich, was man immer schon vermuten konnte, allein die Existenz kleiner Religionsgemeinschaften war nicht gewünscht und bildete für die Behörde den Tatbestand der öffentlichen Ruhestörung. Das führt die Behauptung der Existenz von Religionsfreiheit ad absurdum. Erneut ging man in die Revision.98 Zwischenzeitlich hatte der Innenminister die Gemeinschaft im Juli 1942 kurzfristig verboten, nach einigen Tagen das Verbot jedoch zurückgenommen.99 Die Gründe für das Verbot bzw. die Wiederzulassung sind unbekannt. Der Innenminister bat in der Eleker Angelegenheit den Religions- und Kultusminister um Stellungnahme, der am 9. Dezember 1942 mitteilte, „dass er es hinsichtlich der gesetzlich gesicherten Interessen der rezipierten Glaubensgemeinschaften nicht für wünschenswert“ halte, dass „die Sekte auch die Mitglieder rezipierter oder anerkannter Glaubensgemeinschaften aufnimmt, aber dagegen nichts einzuwenden hat, dass die Sekte aufgrund einer gründlichen Erwägung die ehemaligen Mitglieder der aufgelösten Sekten aufnimmt“.100 Wiederum wird deutlich, wo das ureigene Problem lag. Die historischen Kirchen durften nicht an Mitgliedern, und damit an Macht und Einfluss, verlieren. Die Angelegenheit sollte sich jedoch noch hinziehen. In den Unterlagen des Innenministeriums hieß es: „Die Sekte der Bibelanhänger hat am 27. März und am 30. Juni 1943 beim Innenminister direkt Klage eingereicht, in der es neben der Angelegenheit in Nagykamaráser und Medgyesegyházaer auch um Genehmigung von Gottesdiensten in Kevermes ging, die der Battonyaer Oberstuhlrichter nur unter der Voraussetzung zulassen wollte, dass die Mitglieder Leumundszeugnisse vorlegten und einen entsprechenden Saal mieteten.“ Später wurde ihnen jedoch mitgeteilt, dass selbst wenn alle Mitglieder das Leumundszeugnis erhalten, die Genehmigung nicht erteilt würde, weil „die Polizeifunktionäre zu beschäftigt“ seien.101 Anders gesagt, da er keine Polizisten zur Überwachung abstellen konnte, konnten die Zusammenkünfte nicht stattfinden, was sicher auf die früheren Verordnungen des Innenministers zurückzuführen war, wonach kein Gottesdienst ohne Überwachung ablaufen durfte – eine im Religionsgesetz nicht gestellte Bedingung. Interessant ist eine interne Diskussion im Innenministerium: Was die Kevermeser Sache anbelangt, empfahl man, den Fall zunächst an den Battonyaer Oberstuhlrichter zurückzuverweisen, da es offensichtlich kein ordentliches Verfahren gegeben habe, und der Innenminister erst in der dritten Instanz tätig wurde. In der Sache der Genehmigung des Gottesdienstes der Medgyesegyházaer und Nagykamaráser Bibelanhänger Versammlung wurde zunächst auf § 1 GA XLIII/1895 verwiesen, und man kam zu einer Auslegung, die sich schon vor einigen Jahren tendenziell abgezeichnet hatte: „Diese Verordnung erhebt aber nur die vollständige Freiheit der persönlichen Religionsausübung zum Gesetz, innerhalb der Grenzen 98 Ebenda.

Szigeti, Szabadegyházak, S. 199. Az. 63.036/1942 II. 101  MOL, K579 – 1943, Bl.  282 – 294. 99 

100 

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der gesetzlichen Verordnungen und der Erfordernisse der öffentlichen Moral.“ Das heißt Freiheit einzelner Personen, nicht unbedingt Freiheit einer Gruppe von Personen. Als Einzelner dürfe man „nur einen solchen Glauben oder solche Religion nicht ausüben, die gegen Gesetze oder Erfordernisse der öffentlichen Moral verstößt“, wobei auf die Verbotsverordnungen des Innenministers hingewiesen wurde. Dann stelle man fest: „Aber die Sekte der Bibelanhänger gehört gemäß der Verordnung Eurer Exzellenz Nr. 247.704/1941 I.M. VII.a nicht zu den, gegen das Gesetz verstoßenden und deshalb aufgelösten Sekten; die Bibelanhänger dürfen also ihre Religion persönlich völlig frei ausüben.“ Mit der Erklärung einer persönlichen Freiheit der Religion war man auch bezüglich der Gottesdienste aus dem Schneider, denn eine nur „persönliche freie Religionsausübung bedeutet […] nicht das Recht auf öffentliche gemeinsame Gottesdienste“ Die dann folgende Argumentation ist spannend, da man auf einmal Interesse am Geist des GA LXIII/1895 zu bekunden schien: „Der dritte Abschnitt des § 22 des als Grundlage dem Gesetzartikel XLIII von 1895 dienenden Gesetzantrags wollte zwar die Abhaltung des gemeinsamen Gottesdienstes auch für die aus einer gesetzlich anerkannten oder rezipierten Glaubensgemeinschaft Ausgetretenen (Konfessionslosen) mit der Voraussetzung erlauben, dass die Abhaltung des gemeinsamen Gottesdienstes gegen bestehende Gesetze oder die öffentliche Moral nicht verstößt, aber diese Bestimmung wurde bei der Verhandlung des Gesetzantrags im Abgeordnetenhaus auf den Vorschlag des Unterrichtswesen-/Kultusausschusses [közoktatásügyi bizottság] aus dem Text des Gesetzantrags ausgelassen. Die Begründung der Auslassung ist, dass die Konfessionslosen, die sich zu einer anerkannten Religion organisieren können, gemäß § 7 des Gesetzes das Recht des öffentlichen gemeinsamen Gottesdienstes sowieso ausüben können, ansonsten ist die Genehmigung eines solchen Gottesdienstes, um den Unfrieden der Glaubensgemeinschaften zu vermeiden, zu unterlassen.“ Gerade diese Argumentation macht aber klar, wo die liberale Gesetzgebung hinwollte und was unter dem Geist des Gesetzes zu verstehen war: Gleiche religiöse Freiheit für alle. Doch dazu brauchte es nicht eines zusätzlichen Paragrafen, der den Konfessionslosen extra die Möglichkeit des Zusammenkommens einräumte, da das zur freien Religionsausübung prinzipiell dazugehörte. Musste man so etwas extra regeln, gab man mehr Grenzen vor. Abgesehen davon belegt dieses Zitat noch viel mehr den ursprünglichen Geist des Gesetzes, das im Drang des ungarischen „Kulturkampfes“ entstand. Die Behördenmitarbeiter interpertierten es nach ihrem Bedarf: „Das Gesetz erlaubt also den Angehörigen nicht anerkannter Glaubensgemeinschaften den öffentlichen ordentlichen Gottesdienst nicht; § 31 des Gesetzartikels XLIII von 1895 enthält nur eine Ausnahme für die, in unserer Heimat durchreisenden oder sich aufhaltenden Fremden, nach der sie öffentlichen ordentlichen Gottesdienst gemäß ihren eigenen Glaubensregeln abhalten dürfen, insofern dieser gegen die bestehenden Gesetze, die Interessen des Staates und die öffentliche Moral nicht verstößt, und der zuständigen Polizeibehörde im voraus

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angemeldet wurde.“102 Dass man hier in den vorangegangenen Jahren schon erkannt hatte, dass das Recht eines Ausländers in Ungarn nicht umfassender sein kann als das eines ungarischen Staatsbürgers und diesem deshalb dieselben Rechte eingeräumt wurden, die für Ausländer galten. Doch mittlerweile hatten sich die Umstände geändert, für Freiheiten war weniger Raum. Dennoch fügte man hinzu: „Zurzeit steht kein allgemeinverbindliches Versammlungsverbot in Kraft.“ Unter Bezugnahme auf die VO 8.120/1939 zur Einschränkung des Versammlungsrechts hielt man fest, dass „die Sekte der Bibelanhänger gemäß den übereinstimmenden Bestimmungen des § 2 der Verordnung […] nur aufgrund der vorherigen Genehmigung der zuständigen Polizeibehörde Gottesdienst abhalten darf“. Voraussetzung der Genehmigung sei ein „schriftlicher Antrag mit der Angabe des genauen Zeitpunkts und der Tagesordnung und des Namens, der Adresse und des Berufs der für den gesetzmäßigen Ablauf der Versammlung verantwortlichen Mitglieder“. Bei der Beurteilung des Antrags müssten „die örtlichen Verhältnisse der allgemeinen Sicherheit“ berücksichtigt werden, eine Genehmigung sei nur „dann zu erteilen, wenn die Verhältnisse der allgemeinen Sicherheit keinen Grund zu Bedenken geben“ – also wieder breiter Entscheidungsspielraum für die Behörden. Dennoch wurde hier positiv unterstellt, dass die Gemeinschaft keine politischen Fragen erörtere. „Natürlich wäre das eine andere Situation, wenn die erstinstanzliche Polizeibehörde bei der Kontrolle des Ablaufs des genehmigten Gottesdienstes feststellen würde, dass dort tatsächlich gefährliche politische oder gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen behandelt werden. Das ist aber bis jetzt nicht passiert, und es gibt keinen Grund, das anzunehmen.“103 Dann wurde der Sachbearbeiter konkret und gab der ersten Instanz Recht, da die „Bibelanhänger, die Tagesordnung der Gottesdienste nicht angegeben“ hatten. Die Argumentation hinsichtlich der Teilnahme Mindergebildeter an Gottesdiensten hingegen würde in der „gegenwärtigen Zeit nicht erwünschte gesellschaftliche und wirtschaftliche Fragen aufwerfen“. Was den Punkt der Religionszugehörigkeit der Bibelanhänger anbelangte, wurde hingegen vorgeschlagen: Ehemalige Mitglieder, die durch die Verbotsverfügungen aufgelöst wurden, „dürfen auch frei irgendeinem Glauben oder irgendeiner Religion folgen“. Es sei „nicht die Aufgabe der erstinstanzlichen Polizeibehörde, zu prüfen, ob die Mitglieder irgendeiner aufgelösten Sekte unter dem Namen Bibelanhänger zusammenkommen; es ist ausreichend, festzustellen, ob die Bibelanhänger die Erfordernisse der Verordnung des Innenministers bezüglich der Sekte erfüllt haben“.

102  Man erklärte ergänzend: „Der Grund dieser Ausnahmeverfügung ist gemäß der Begründung des Ministers des Gesetzantrags, dass es nicht gerecht und auch nicht nötig wäre, das Recht des öffentlichen Gottesdienstes solchen ausländischen Glaubensgemeinschaften, die im Ausland vorherrschende Religionen, aber bei uns nicht anerkannt sind, zu verweigern, z. B. den Anglikanern, die auch schon in Budapest eine Organisation und einen Geistlichen haben. /Begründung zum § 23 des Gesetzantrags.“ 103  MOL, K579 – 1943, Bl.  282 – 294.

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Bedeutsam ist eine weitere Erklärung des Sachbearbeiters, wonach ursprünglich der konfessionslose Zustand ins Leben gerufen worden war, damit „diejenigen, die einer nicht anerkannten Religion oder Glauben folgen, in der Ausübung ihrer Religion nicht gestört werden können“. Wenn das der Geist des Gesetzes von 1895 war, so hat man diesen, wie die Erfahrungen zeigen, so nicht umgesetzt. Und dann fügte er noch hinzu, auch „die Angehörigen einer rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaft dürfen an den Gottesdiensten anderer Glaubensgemeinschaften teilnehmen“, was sicher dem Geist des Gesetzes entsprach, aber ebenso wenig umgesetzt wurde, zumal hier die Anzahl der Teilnehmer anderer Glaubensgemeinschaften nicht beschränkt wurde. Dann folgte eine sehr subjektive enge Auslegung für den Fall, dass „ausschließlich Mitglieder rezipierter oder anerkannter Glaubensgemeinschaften zu dem Zweck öffentlich zusammenkommen […], um einen Glauben oder eine Religion auszuüben, die mit der Lehre ihrer Glaubensgemeinschaft im Widerspruch steht. Das kann für die betreffende rezipierte oder anerkannte Glaubensgemeinschaft verletzend sein.“ Inwiefern das für die Kirche mehr verletzend sein soll, als wenn ein größerer Prozentsatz der Teilnehmer konfessionslos wäre – außer dass sie Mitglieder verliert –, ist unverständlich. Insgesamt kam der Sachbearbeiter zu dem Schluss, der Innenminister müsse die Klage mangels Tagesordnung und Rednerangabe ablehnen.104 Die interne Untersuchung der Angelegenheit ist in jedem Fall bezüglich des Geistes des Gesetzes zur Religionsfreiheit von 1895 sehr aufschlussreich und belegt, dass die Gründerväter tatsächlich eine Gleichbehandlung religiöser Gemeinschaften zum Ziel hatten. Es wird auch deutlich, dass den obersten Behörden die Intention des GA XLIII/1895 sehr wohl bekannt war und man bewusst dessen Wirkung einengte. Den hausinternen Vorschlag scheint der Innenminister den Akten zufolge mit Andor Sárffy, einem anerkannten Juristen seiner Zeit abgestimmt zu haben und kam zu einigen Änderungen: „Die Revision der Bibelanhänger und die Bitte um Überprüfung weist richtigerweise darauf hin, dass die Polizeibehörden die in GA XLIII/ 1895 zugesicherte Religionsfreiheit nicht auf diejenigen beschränken darf, die nicht zu einer rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaft gehören. Die zu einer rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaft Gehörenden dürfen auch an den Gottesdiensten anderer Glaubensgemeinschaften teilnehmen, dafür gibt es kein gesetzliches Hindernis. Es gibt also auch kein gesetzliches Hindernis dafür, dass die Mitglieder irgendeiner rezipierten oder gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaft zur Ausübung einer solchen Religion zusammenkommen, die nicht gesetzlich anerkannt ist. Nur die allgemeinen Regelungen des Versammlungsrechts müssen eingehalten werden.“ Das bestätigt, dass eine Religion nicht nur als Privatperson, sondern gemeinschaftlich und öffentlich ausgeübt werden durfte. Dann folgt eine sehr bemerkenswerte Aussage: „Es stimmt zwar, dass die erstinstanzliche Polizeibehörde auch die Interessen der rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaften bei ihren Entscheidungen berücksichtigen muss, aber sie hat nur das Recht, die vom Recht geschützten Interessen der 104 Ebenda.

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rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaften auf gesetzliche Weise zu schützen. Dass die Mitglieder irgendeiner rezipierten oder gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaft zur Ausübung ihres gesetzlich nicht anerkannten, aber gegen das Gesetz oder die Erfordernisse der öffentlichen Moral nicht verstoßenden Glaubens zusammenkommen, kann nur eine gefühlsmäßige Verletzung der betreffenden rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaft sein, aber nicht die Verletzung ihres vom Recht geschützten Interesses.“ Damit gab Sárffy der Klägerin Recht. Bezüglich der Kirchenaustritte wurde moniert, dass sich der erstinstanzliche Beschluss nicht mit den Protokollen der fünf am 1. April 1927 aus der römisch-katholischen Glaubensgemeinschaft ausgetretenen Personen beschäftigte, die dem Oberstuhlrichter erklärt hatten, dass sie sich einer anderen anerkannten Glaubensgemeinschaft nicht anschließen wollten. Dem Innenminister wurde em­ pfohlen, die Sache neu zu beurteilen. Diese Passage wurde im Dokument allerdings gestrichen. Dagegen kam man am 20. Januar 1944 zu dem gegensätzlichen Schluss, der wieder in das Konzept des Systems passte, „den zweitinstanzlichen Beschluss zu bestätigen“, so wie der Mitarbeiter des Ministeriums es vorgeschlagen hatte, da die „Bibelanhänger die Tagesordnung und die Redner ihrer Zusammenkunft nicht angegeben haben“. Die Ablehnung wurde also an einer Bagatelle festgemacht, die schwere Verfahrensfehler und Fehlentscheidungen unter den Tisch gekehrt.105 Die Diskussion macht klar, dass man sich wider besseres Wissen – sowohl aufgrund der Erkenntnisse der eigenen Mitarbeiter wie auch der Meinung des externen Juristen – um die Rechte der Anhänger der kleinen Religionsgemeinschaften für eine enge Auslegung des GA XLIII/1895 und sogar zur Übertretung dessen, zur Rechtsbeugung, entschied, was z. B. den Besuch der Zusammenkünfte nicht anerkannter Gemeinschaften durch Angehörige rezipierter und anerkannter Religionsgemeinschaften betraf. Durch die Diskussion wird auch noch einmal ganz offiziell der wahre Geist des Gesetzes zur Religionsfreiheit, die Intention der Gründerväter, bestätigt und verworfen. Im Übrigen ist interessant, dass eine rechtlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaft wie die der Bibelnachfolger, die keine Rechtssubjektivität bekleidete, sich mit ihrer Sache an das Innenministerium wenden konnte und zumindest teilweise wie eine Rechtsperson behandelt wurde. Das zeigt, dass das Vorhandensein der Rechtssubjektivität nicht wirklich notwendig war, sondern häufig lediglich als blockierendes Argument diente, um sich nicht rechtlich mit den Gemeinschaften auseinandersetzen zu müssen. Wenngleich die STA aufgrund ihrer Tätigkeitserlaubnis als Gruppe ingesamt weniger verfolgt wurde, erlebten Einzelpersonen nicht selten Repressionen. Gerade in Verbindung mit den Reformadventisten, die den Militärdienst verweigerten, kam es immer wieder zu Problemen, wie das Beispiel von János Antal aus Oberungarn zeigt. Gemäß dem Verhörsprotokoll vom 27. Juni 1941 soll er erklärt haben, „1925 den Reihen der Sabbatisten beigetreten“ zu sein. Inwiefern sich ein adventistischer Glaubensangehöriger, wohl ein Reformadventist, selbst als „Sabbatist“ 105 Ebenda.

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bezeichnet oder ob das vom Protokollführer vorgenommen wurde, ist unklar, kann auch darauf hindeuten, dass ihm der Wortlaut in den Mund gelegt wurde. Antal soll weiter ausgesagt haben: „Wer dieser Glaubensgemeinschaft noch anhing, kann ich nicht sagen, weil wegen der Verfolgung durch die Behörden die allermeisten ihre Glaubensansichten aufgegeben haben.“ Auch er selbst gab offensichtlich dem Druck nach. Obgleich er zunächst nicht bereit war, den Dienstbefehl seines Vorgesetzten auszuführen, lenkte er später ein: „Als ich jedoch sah, dass andere auch zur Waffe griffen, obwohl sie ebenfalls Gläubige waren, hab auch ich beschlossen, ich werde nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommen und ich komme meiner Pflicht gegenüber meinem Vaterland nach. Daher erkläre ich, dass ich bereit bin, zur Waffe zu greifen und damit wenn nötig zu kämpfen.“106 Inwiefern er dann tatsächlich auch zur Waffe gegriffen hat, ist unklar. In jedem Fall wird an seinem Beispiel deutlich, wie sehr der Druck den Einzelnen zugesetzt hat und wie schwierig es war, unter diesen Umständen zu seiner Überzeugung zu stehen. Dieses Verhör zeigt auch, wie erfolgreich teilweise die Strategie der Behörden war, da wie Antal berichtete, in seiner Heimat viele ihren Glauben aufgegeben hatten. Andererseits hat der äußere Druck die Gemeinschaften auch zusammengeschweißt. Das belegt auch das Beispiel des Predigers und Vorstehers der Adventsgemeinde László Michnay, der sich in einem Offenen Brief gegen die Judenhetze gewandt und in einer Zusammenkunft für den Schutz der Juden durch Angehörige der Gemeinde eingesetzt hatte. Er selbst rettete mutig jüdischen Mitbürgern das Leben, indem er sie im Gemeinschaftshaus versteckte – wobei er, wie es hieß, „keinen Unterschied zwischen Adventisten jüdischer Herkunft und Juden“ machte. Bei seiner Aktion sollen ihm seine Kontakte zu Szálasi, seinem ehemaligen Schulkameraden, hilfreich gewesen sein, dem er vor dessen Machtantritt verschiedentlich „wiederholt kleinere Geldbeträge“ zugesteckt hatte. Er soll auf diese Weise mindestens 50 Juden das Leben gerettet haben.107

C.  Wege der Pfingstgemeinde und Auswirkungen auf die Methodistische Gemeinschaft C.  Wege der Pfingstgemeinde

Anders als die adventistische Gemeinschaft scheint die Pfingstgemeinde, die Gottesversammlung, den Unterlagen des Innenministers zufolge, „Unterschlupf“ bei der methodistischen Gemeinschaft gesucht zu haben, was nicht abwegig war, da ihre Geschichte „um 1900 im Milieu des evangelikalen Methodismus der USA“ begann.108 Tatsächlich hat die Gemeinschaft wohl sowohl bei der methodistischen wie auch der baptistischen Kirche um Anschluss ersucht, was jedoch von beiden 106 

HM, 1941 eln. 13. 4332 cs. 50.395. Heinz, Daniel: Judenretter im Holocaust. Zu wenig „Gerechte“ unter den Adventisten? In: Adventecho, vom November 2003, S. 12 – 14. 108  Graf, Friedrich Wilhelm: Der Protestantismus: Geschichte und Gegenwart. München 2006, S. 54. Die Bewegung geht vor allem auf die Bewegung Azusa Street Revival zurück, die 1906 aus einer Gruppe Methodisten unter William J. Seymour entstand, die in 107 

C.  Wege der Pfingstgemeinde

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abgelehnt wurde. Dennoch wurde einzelnen Versammlungen und Personen vorübergehend Anschluss gewährt. Das traf seitens der methodistischen Kirche zum Beispiel auf Pfingstgemeinden in Miskolc und Tatabánya zu. In Hajdúhadháza, Tápiószentmárton und Csetény waren Baptisten dazu bereit.109 Die Debrecener Ermittlungsabteilung berichtet am 27. September 1940 der Budapester Hauptermittlungsbehörde, „dass die Mitglieder der ‚Pfingst‘-Sekte […] ihre antimilitärische und staatsfeindliche Tätigkeit“ auch nach dem Verbot fortsetzten. Daraufhin ließ der Chef der Ermittlungsbehörde durch die Gendarmerie eine Landesaufklärung durchführen. Und kam am 3. Januar 1941 zu dem Schluss: „Nach dem Beweis der eingegangenen Berichte hat die ‚Pfingst‘-Sekte auch nach dem Verbot ihre das Militär und die Staatssicherheit gefährdende Tätigkeit tatsächlich fortgesetzt. Dort, wo sie in größerer Zahl leben, haben sie ihre Zusammenkünfte ohne Erlaubnis weiterhin abgehalten. Wo sie aber dies wegen der wachsamen Beobachtung der Sicherheitsfunktionäre nicht tun konnten, haben sie versucht, unter dem Deckmantel der noch nicht verbotenen ‚methodistischen‘ Sekte die […] Ministerverordnung zu umgehen und die Kontrolle der Sicherheitsfunktionäre zu täuschen. Um das zu beweisen erhielt ich Bericht von den Székesfehérvárer und Miskolcer Ermittlungsunterabteilungen.“ Demnach hatten z. B. die Methodisten in Felsőgalla (westlich von Budapest) vor dem Verbot keine Mitglieder. Nach dem Verbot sollen „Mitglieder der ehemaligen Pfingstler aufgrund der Erlaubnis des Tataer Oberstuhlrichters unter dem Namen ‚methodistische‘ Sekte ihre Tätigkeit“ aufgenommen haben und „Zusammenkünfte und Zeremonien“ abhalten. Bei ihren Zusammenkünften würden auch Pfingstler der umliegenden Gemeinden anwesend sein. Auch in der Umgebung von Miskolc würde nach dem Verbot die Zahl der Mitglieder der „‚methodistischen‘ Sekte“ zunehmen. Bereits „108 Pfingstler“ seien in die „‚methodistische‘ Sekte“ eingetreten. Im Bericht wurde der nunmehr methodistische Prediger Gyöző Sárkány aus Miskolc zitiert, der erklärte, dass „er in die Methodistische Sekte deshalb eintrat, weil sie nicht verboten ist, und ihre Lehren mit den Lehren der Pfingstler Sekte in allem übereinstimmen“. Die Geldspenden der Gemeinschaft wurden beschlagnahmt. In Felsőgalla stellten die örtlichen Behörden einen Antrag am 9. Dezember 1940 zur Entziehung der Genehmigung des methodistischen Bethauses und zum Verbot der Zusammenkünfte beim Tataer Oberstuhlrichter. Die Budapester Ermittlungsunterabteilung hatte in der Sache mit den Polizeipräsidien von Budapest, Nagykőrös (südöstlich von Budapest), Kecskemét (ebenfalls, Békéscsaba (südöstlich), Miskolc (nordöstlich) und Győr (nordöstlich) zusammengearbeitet. Insgesamt seien 171  Personen bei den zuständigen Staatsanwaltschaften, Bezirksgerichten bzw. Oberstuhlrichtern angezeigt, außerdem diverse Druckschriften beschlagnahmt worden. Die Ermittlungsbehörde der Gendarmerie in Budapest wandte sich am 7. Januar 1941 wegen

Los Angeles, in der Azusa Street zusammenkamen. Vgl. auch Balmer, Randall Herbert: Encyclopedia of Evangelicalism (Eintrag: Azusa Street Revival). Lousville 2002, S. 41. 109 Vgl. Szigeti, Szabadegyházak, S. 203 f.

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„Verbots der ‚methodistischen‘ Sekte an den Innenminister.110 Der Anschluss der Pfingstgemeinden brachte somit verschiedentlich auch der methodistischen Gemeinschaft Schwierigkeiten. Teilweise scheint das Überwechseln von den oberen Behörden toleriert oder moderat damit umgegangen worden zu sein, von manchen lokalen jedoch nicht. Andererseits schränkte ein Rundschreiben des Innenministers vom 2. Dezember 1942111 mit dem eine erneute Tätigkeit „der Pfingstler verhindert“ werden sollte, gleichzeitig ein: „Wenn solche Personen, die früher Mitglieder einer der verbotenen und aufgelösten Sekten waren, in die bis jetzt keinem Einwand unterliegenden Sekten bzw. in deren örtlichen Versammlungen, Gruppen, massenhaft eingetreten sind oder eintreten, dann muss man die mit derer Teilnahme abgehaltenen Zusammenkünfte in vermehrtem Maße kontrollieren lassen. Man muss den Vorstand der örtlichen Versammlungen, Gruppen solcher bis jetzt keinem Einwand unterliegenden Sekten warnen, wenn sie solche aus anderen verbotenen Sekten eingetretenen und aus der Sicht der Landesverteidigung oder sonst wie weiterhin gesetzwidriges Verhalten einnehmenden Mitglieder nicht ausschließen und die zuständige Polizeibehörde nicht benachrichtigen, dann wird die weitere Tätigkeit der betreffenden Gruppe oder Versammlung ebenfalls verboten werden.“112 Auf der anderen Seite erklärte der Innenminister in eben diesem Schreiben – vielleicht mit Blick auf die methodistische Gemeinschaft, dass die Landpolizeibehörden Personen nur „weil sie aus einer rezipierten oder anerkannten Glaubensgemeinschaft ausgetreten sind, und sich einer nicht anerkannten, aber bis jetzt in keiner Hinsicht Einwänden unterliegenden Glaubensgemeinschaft / Sekte / angeschlossen haben,“ nicht einfach unter polizeiliche Aufsicht stellen oder in polizeibehördlichen Gewahrsam nehmen könnten. „Allein der Umstand, dass jemand seinen Austritt aus einer rezipierten oder gesetzlich anerkannten Glaubensgemeinschaft erklärt, aber außerdem keinerlei gegen das Gesetz verstoßendes Verhalten einnimmt, keinen Grund gegenüber dem Betreffenden liefert, ihn unter polizeibehördliche Aufsicht oder polizeibehördliche Gewahrsam zu stellen / internieren /.“ Ganz offensichtlich war es genau dazu gekommen. Er erklärte weiter: „Auch in der Zukunft wünsche ich nicht die Tätigkeit solcher nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften, Sekten zu verhindern, die in den Verordnungen bezüglich der verbotenen Sekten namentlich nicht erwähnt sind, deren Glaubenslehren die Gesetze des Landes, die öffentliche Ordnung, eine andere rezipierte oder gesetzlich anerkannte Glaubensgemeinschaft und die öffentliche Moral nicht verletzen, und die besonders hinsichtlich der Landesverteidigung keinem Einwand unterliegen. Deren zur Abhaltung eines Gottesdienstes beantragte Zusammenkünfte sind zu genehmigen, wenn deren Abhaltung unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse keinem

110 

MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8. Az.  24.042/B.kt. 1940.

111  Az. 539.904/1942.VII.

112  MNL Borsod-Abaúj-Zemplén, Miskolc, IV. 1906. 8786/1943. Eingangsstempel vom 7.12.1942, Az. 47.514/1942.

D.  Schwierigkeiten der Baptisten und weitere Zuordnungsprobleme

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ernsthaften Einwand unterliegen.“113 Das sollte der methodistischen Gemeinschaft freie Bahn gewähren. Die Pfingstgemeinde nahm auch zur evangelischen Kirche Kontakt auf, was zunächst zwar nicht funktionierte. Dann fand man aber doch im Amtsbezirk Bánya eine Lösung, wobei sich die „Anhänger der Pfingstbewegung in allem den Glaubensgrundsätzen und Gebräuchen der evangelischen Kirche unterwerfen müssen“. Sie sollten ferner „für jetzt und später treue Anhänger der evangelischen Kirche werden, sich nicht von ihr trennen und die Einheit nicht aufbrechen“. Die verschiedenen Glaubensauffassungen wurden in der Vereinbarung als „vorübergehend“ qualifiziert. Die evangelische Kirche wollte ferner alles daran setzen, dass sich ihre neuen Anhänger nicht nur namentlich sondern auch geistlich zu ihr bekannten, weshalb man nicht zulassen wollte, dass sie ihre Interessen durchsetzten.114 Die Pfingstgemeinde ihrerseits hoffte auf einen vorübergehenden Zustand, sah aber „keine andere Lösung“.115 Anderenorts kam es nicht zu solchen Vereinbarungen, meist waren die Kirchenvertreter gar nicht erst bereit, mit den Anhängern der Pfingstbewegung zu verhandeln. Interessanterweise konnte die Versammlung der Pfingstgemeinde in Budapest teilweise noch ihre Tätigkeit ausüben und sogar Druckschriften herausgeben.116

D.  Schwierigkeiten der Baptisten und weitere Zuordnungsprobleme Die Baptisten waren zwar eine gesetzlich anerkannte Gemeinschaft und vom Verbot des Innenministers nicht betroffen, doch auch sie waren verschiedentlich von Einschränkungen, Behinderungen, sogar Verfolgungsmaßnahmen nicht gänzlich verschont. Der Geistliche János Barabás aus Egyházasdengeleg (nördlich von Budapest) wurde wegen einer unbegründeten Anzeige eines örtlichen evangelischen Lehrers und Leventelehrers interniert. Er wurde sogar ein zweites Mal interniert, wohl im Sammellager von Kolzsvár, von wo er mit schwer angeschlagener Gesundheit erst nach einigen Monaten entlassen und unter Polizeiaufsicht gestellt wurde. Er soll relativ kurze Zeit nach seiner Entlassung gestorben sein.117 Ein weiterer baptistischer Prediger ist bekannt, der interniert wurde. Dabei handelt es sich um Ferenc Somogyi (Szilágyi), der auf Veranlassung des örtlichen römisch-katholischen Priesters aus politischen Gründen und wegen der öffentlichen Sicherheit inhaftiert wurde. Nach ungefähr einem halben Jahr konnte seine Freilassung bewirkt werden. Danach wurde auch er unter Polizeiaufsicht gestellt, weil er wie ein

113 Ebenda.

Zitiert nach Fazekas, Kisegyházak, S. 200. Zitiert nach Szigeti, Szabadegyházak, S. 202. 116  Ebenda, S.  201 – 203. 117  Fazekas, Kisegyházak, S. 201. 114 

115 

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„gefährlicher Nazarener hetzt“.118 1944 wurde das Erscheinen des Blattes „Kürt“ vom Informationsminister Mihály Kolozsvári-Borcsa verboten.119 Auch in Verbindung mit dem Militärdienst kam es für Baptisten zu Schwierigkeiten. Am 15. Januar 1942 erhob man unter Berufung auf die gesetzliche Anerkennung der Gemeinschaft von 1905 beim Kultusminister Beschwerde, da einige Mitglieder von Militärbehörden wie Juden behandelt wurden.120 In der Beschwerde vermutete Pál Nagy, Vorsteher der Budapester baptistischen Gemeinde, folgende Gründe: „Der Irrtum kann daraus kommen, dass der Innenminister in der jüngsten Vergangenheit viele Sekten verboten hat, oder man hat die Zeitungsartikel falsch verstanden, die vom rechtlichen Status der israelitischen Glaubensgemeinschaft handelten, manche verwechseln die Baptisten mit den Sabbatarier [Reformadventisten] und Nazarenern, andere haben die Nachricht falsch verstanden: ‚Die jüdische Glaubensgemeinschaft ist danach keine rezipierte, sondern anerkannte Glaubensgemeinschaft, wie die baptistische und die muslimische.‘“121 Der Kultusminister reichte die Beschwerde am 7. Februar an das Verteidigungsministerium weiter und erklärte nochmals, dass es sich bei den Baptisten um eine gesetzlich anerkannte Gemeinschaft handle, die christlich orientiert sei und gemäß GA XLIII/1895 den staatlichen Schutz einer anerkannten Glaubensgemeinschaft genieße. „Die Nachfolger der genannten Glaubensgemeinschaft sind hinsichtlich der Anwendung des Rassegesetzes genauso zu beurteilen, wie die Gläubigen der rezipierten christlichen Kirchen.“122 Außer diesen in der Beschwerde genannten Vorfällen scheint es noch zu Weiteren gekommen zu sein. Zum Beispiel geht aus einem Telegramm von Pál Nagy ohne Datum hervor, dass ein Militärkommando in Miskolc, Baptisten aufgefordert hatte, „ihre Ausnahmestellung nachzuweisen, da sie als Baptisten wie Juden behandelt werden“ und „in eine sonstige Kirche eintreten“ sollten.123 In einer neuerlichen Beschwerde der Baptisten vom 7. Februar 1942 verwies man auf weitere Vorfälle, zugleich aber auch darauf, dass in diesem Krieg bereits viele ihrer Zitiert nach Szigeti, Szabadegyházak, S. 208. Ebenda, S. 208. 120  In dem Schreiben der Baptisten hieß es: „Am 30. Oktober vergangenen Jahres stand ein Gläubiger von uns vor der Mezőkövesder Musterungskommission, vor dem ein Militärmitglied der Musterungskommission geäußert hat, dass die Militärbehörden die Baptisten als Juden behandeln. Unser Kirchenmitglied hat sich vergeblich darauf bezogen, dass die Baptisten in Ungarn seit 1905 eine gesetzlich anerkannte christliche Glaubensgemeinschaft bilden, seine Aussage hat man nicht zur Kenntnis genommen. Ein ähnlicher Vorfall kam in den letzten Monaten bei mehreren unserer Kirchenmitglieder vor. Letztens erhob ein Miskolcer Kirchenmitglied (namens György Hubai), dessen Vorfahren auch reine Christen waren, bei uns Beschwerde, dass das Miskolcer 19. Militärzusatz [honvédkiegészítő] Kommando ihn vorgeladen hat, um seine Ausnahmestellung [kivételezettség] gemäß der Verordnung Nr. 27.300/Eln. 8.1941 VM nachzuweisen. Den genannten Kirchenmitglied hat man auch persönlich in Kenntnis gesetzt, dass er als Baptist wie ein Jude behandelt wird, weil man aus höherer Stelle so verfügt hat.“ HM, 1942 13. oszt. 4890 cs. 8.263. 121  Ebenda, 1942 13. oszt. 4890 cs. 8.263, Bl. 6 f. 122  Ebenda, Bl. 6. Az. 58.464/1942. 123  Ebenda, Bl. 18. 118 

119 

D.  Schwierigkeiten der Baptisten und weitere Zuordnungsprobleme

395

Mitglieder den Heldentod gestorben seien.124 Die im Verteidigungsministerium zuständige Abteilung hatte am 13. Februar erklärt, nichts von einer Bestimmung zu wissen, die die Rechte der Mitglieder der baptistischen Glaubensgemeinschaft einschränken würde. Dagegen wurde auf VO 2.870/1941 des Ministerpräsidenten verwiesen, die Juden zu militärischen Hilfsdiensten auch dann zu verpflichten, wenn sie im Offiziersrang gestanden haben, und auf VO 27.300/1941 des Verteidigungsministeriums gemäß der die Einschränkung der Rechte der Konfessionslosen dann aufgehoben würden, wenn ein „Konfessionsloser Mitglied einer anerkannten Glaubensgemeinschaft wird“, da er dann als „jemand mit einer christlichen Abstammung zu betrachten“ war.125 Als Eingeständnis kann wohl die Überlegung dieser Abteilung vom 25. Februar 1942 gewertet werden, die zwar zum einen feststellte, dass die baptistische Glaubensgemeinschaft wie allgemein bekannt nicht unter das Judengesetz GA IV/1939 falle, aber auch empfahl: „eine informative Verordnung zu erlassen, um die in der Beschwerdeschrift erwähnte von den unteren Militärbehörden aller Wahrscheinlichkeit nach aus Irrtum ausgeübte Praxis einzustellen. Die angeführten Fälle sind nämlich dazu geeignet, dass die Militärbehörden einerseits hinsichtlich der gesetzlichen Verordnungen als uninformiert erscheinen, anderseits sie bei den Betreffenden zu schädlichen Reaktionen gegenüber der Verteidigung führen. Diese Möglichkeit ist aber unbedingt zu vermeiden.“126 Die Einschätzung wurde von anderen Abteilungen bestätigt.127 Die Präsidialabteilung forderte als Reaktion am 4. März 1942, die nötigen Schritte zu veranlassen, damit solche Fehler nicht mehr vorkommen.128 Durch die Beschwerden der Baptisten war eine Grundsatzdiskussion ausgelöst worden. Die Präsidialabteilung kam zu der Erkenntnis, aus den Abstammungsnachweisen erfahren zu haben, dass bei den einzelnen Nachweisausschüssen Unsicherheit darüber herrschte, ob z. B. die unitarische Glaubensgemeinschaft eine christliche Glaubensgemeinschaft ist. Deshalb müsste man diese Frage allgemein regeln, und eine klärende Bestimmung herausgeben, welche Glaubensgemeinschaften bei „außer der allbekannten (römisch-katholischen, griechisch-katholischen, griechisch-orthodoxen, reformierten und evangelischen Kirche) christlichen Glaubensgemeinschaften sind“. Konkret wollte man eine Einschätzung der Unitarier, Baptisten, Nazarener, Anglikaner, der adventistischen und der methodistischen Glaubensgemeinschaft und wollte dazu die Meinung der protestantischen Kirche einholen. Dekan János Folba vom 10. November 1942 kam unter Bezug auf GA LIII/1868, der die Gleichheit der rezipierten christlichen Religionen bestimmte, und GA XLIII/1895 über die freie Religionsausübung zu dem Schluss, dass „jede kirchliche Versammlung, die eine bestimmte Organisation und ein niedergeschriebenes Glaubensbekenntnis hat, ungeachtet ihres rechtlichen Status (rezipiert, 124 

Ebenda, Bl. 8. Ebenda, Bl. o. Nr. 126  Ebenda, Bl. 12. Abteilung 15. 127  Ebenda, Bl. 18. Abteilungen 8, 10, 16. 128  Ebenda, Bl. 1. 125 

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Kap. 6: Kriegsjahre

anerkannt, nicht rezipiert, nicht anerkannt) wie auch ihres religiösen Charakters (christlich, nicht christlich)“ eine Glaubensgemeinschaft ist. Eine Versammlung, „die keine bestimmte Kirchenorganisation und beschriebenes Glaubensbekenntnis hat – ob sie sich christlich oder anders nennt, fällt aus dem Begriff der Religionsgemeinschaft heraus“. Als christliche Religionsgemeinschaft benannte er „außer den rezipierten und gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften folgende über eine bestimmte Kirchenorganisation und beschriebenes Glaubensbekenntnis verfügende Versammlungen: 1. Sabbatarier, 2. schottische Presbyterianer, 3. Hussiten (tschechische nationale Kirche), 4. Methodisten, 5. hellenistische Griechisch-Orthodoxen, 6. Jakobiter Griechisch-Orthodoxen, 7. mährische Brüder und 8. High Church (anglikanische Kirche)“. Nicht als christliche Religionsgemeinschaft stufte er folgende „Vereinigungen mit einem sogenannten freien Glaubensbekenntnis und ohne Organisation“ ein: „1. Heilsarmee, 2. Nazarener, 3. Adventisten, 4. die Oxforder Gruppen, 5. Jehovas Zeugen, 6. Gläubige von Jesus von Nazareth, 7. Mitglieder der verschiedenen spiritistischen Kreise: a) die Geisterbeschwörer [necromantok], b)  die Traumdeuter [somnambulisták], c)  die Astrologen“. Angeblich würden die aufgezählten Gruppen nicht erwarten, dass ihre Gläubigen aus ihrer ursprünglichen Kirche austreten – was, wie z. B. die Verhörsprotokolle von Wehrdienstverweigerern belegen, nicht korrekt ist –, weshalb passieren könne, dass ihre Anhänger auch als Mitglieder einer christlichen Glaubensgemeinschaft anerkannt seien. Dann müssten sie „mit einer Urkunde nachweisen, dass sie nicht aufgehört haben ein Mitglied ihrer ursprünglichen Kirche zu sein“.129 Seine Einteilung zeugt wiederum von Unkenntnis, hatten doch nachweislich und bekanntlich auf alle Fälle die Heilsarmee, die Adventisten oder die Zeugen Jehovas eine Organisation, ein Glaubensbekenntnis und sogar Statuten. Offensichtlich war das dem Verteidigungsministerium durchaus bekannt und man reagierte unzufrieden. Schließlich ordnete man an, wie aus einer weiteren Pro-domo-Notiz vom 29. Januar 1943 hervorgeht, „die Abstammungsfrage der Konfessionslosen mit der VO 15.038/1942 der Präsidialabteilung“ vom 12. Dezember 1942 zu regeln.130 Wie die Vorgänge zeigen, blieben auch Baptisten nicht von Schwierigkeiten verschont. Teilweise waren einzelne Glaubensangehörige direkt von Verfolgungsmaßnahmen betroffen, teilweise gab es Schwierigkeiten mit der Einordnung der Gemeinschaft und der Behandlung ihrer Anhänger beim Militär. In der Diskussion um diesen Punkt wurde wieder die Unkenntnis von Behörden wie Geistlichen über die kleineren Religionsgemeinschaften deutlich, aber auch wie schnell es bei den unteren Behörden zu Verständnisproblemen kam.

129  130 

Ebenda, Bl. 5, 6, 11. Ebenda, Bl. 5. Ebenda, 15.038 Elnöki osztály 1942, Bl. 1, 2.

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener In einem Schreiben wandte sich ein offenbar protestantischer Schreiber aus Kispest im Januar 1940 zugunsten der Nazarener an die ungarische Regierung. Neben einem Verweis darauf, dass die Gemeinschaft nicht politisch tätig sei und auch die öffentliche Ordnung nicht stören würde, ging der Schreiber auf die biblischen Hintergründe ein, die die Glaubensangehörigen veranlassten, nicht zur Waffe zu greifen, und schlug vor: „Man kann sie außer zum Dienst an der Waffe für alles nutzen, wenn nötig, im Fall eines Krieges sogar dazu, an der Front Drahthindernisse herzustellen, wie schon im vergangenen Krieg; und als Offiziersdiener sind sie besonders zuverlässig, und was den Eid betrifft, den legen sie deshalb nicht ab, weil Matthäus Kap. 5 Vers 34 und Jakobus Kap. 5 Vers 12 ihnen das verbietet; ein feierliches Treuegelöbnis legen sie dagegen ab.“131 Genau wie die Eingabe der Nazarener an den Verteidigungsminister, in der sich die Gemeinschaft zur Zusammenarbeit ohne Waffendienst und Eidesablegung bereit erklärte, verfehlte auch dieses Schreiben seine Wirkung.132 Nach dem Verbot, in dessen Folge die Bethäuser der Nazarener beschlagnahmt wurden, kamen die Nazarener zumeist heimlich und oft unbemerkt von den Behörden als Familien zusammen und verhielten sich insgesamt ruhig und unauffällig. Bezüglich der Zusammenkunftsstätten der Zeugen Jehovas ist bekannt, dass sie auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei, das Ungarn rückübereignet wurde, mindestens eine besaßen, die 1939 auf der Grundlage der Verbotsverordnung enteignet wurde, woraufhin sie ebenfalls in Privathäusern heimlich zusammenkamen.133 Die enteigneten Gebäude wurden zunächst für Wohlfahrtzwecke verwendet.134

I.  Engere Zusammenarbeit der Behörden – Konzertierte Aktionen Im Kontext der Kriegssituation und des bevorstehenden Kriegseintritts Ungarns wird der Innenminister hinsichtlich des Ausschaltens der kleinen Religionsgemeinschaften weiter unter Druck geraten sein, nachdem ihn Polizei und Militärbehörden zur Verbotsverfügung gedrängt hatten. In Anbetracht der Schwierigkeit der Umsetzung seiner bisherigen Verordnungen durch die unteren Behörden jedoch, bleibt es spannend, inwiefern nun seiner neuerlichen drastischen Verordnung, der Verbotsverfügung, Folge geleistet werden würde. Zu den Maßnahmen gehörte das periodische Meldesystem, in dem die unteren Behörden dem Innenminister monatlich über besondere Vorkommnisse, die allgemeine Lage und die Stimmung

131 

MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 4 f. Szigeti, Szabadegyházak, S. 173 f. 133  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  194. 134  Ebenda, K579 – 1940, Bl. 41. 132 

398

Kap. 6: Kriegsjahre

im Land zu berichten hatten.135 Ein Punkt neben der Berichterstattung über Kommunisten, Juden, und insbesondere Zionisten war die „Tätigkeit der Sekten“. Das gab dem Innenminister die Möglichkeit, die Umsetzung der VO und die Entwicklungen der Tätigkeit der Gemeinschaften im Land zentral zu überwachen. Wie aus dem Artikel des Juristen und Mitarbeiters des Verteidigungsministeriums, Dr. Frigyes Kormann vom März 1940 im Katonai Szemle hervorgeht, war das Verbot in Abstimmung der obersten Behörden – dem Innen-, dem Kultus- und dem Justizministerium –auf Veranlassung des Verteidigungsministeriums entstanden. Auch in der Folge gingen vom Verteidigungsministerium Handlungsimpulse aus, zumal auch weiterhin dafür gesorgt wurde, dass Verhörsprotokolle der Verweigerer dem Innenminister zugestellt wurden, der dann wieder seine zuständigen unteren Behörden drängen und zur Rechenschaft ziehen konnte. Für diesen Zweck wurden vom Verteidigungsministerium eigens Vordrucke (die Formulare variierten teilweise ein wenig) gefertigt, in denen man sich auf die VO 5.431/1938 des Innenministers über die Zusendung der Verhörsprotokolle bezog und das Protokoll zur Vernehmung wegen Befehlsverweigerung zusandte. In dem Vordruck wurde Raum für den Namen des Verweigerers, seine Religionszugehörigkeit und die zuständige Militäreinheit gelassen. Dass man extra Vordrucke dafür einrichtete, lässt darauf schließen, dass sich das mengenmäßig gelohnt haben muss und man diese Berichterstattung verwaltungstechnisch fest etabliert hatte. Der Innenminister seinerseits fragte dann – ebenfalls mittels speziell dafür angefertigten Vordrucks bei den zuständigen Behörden (Oberstuhlrichter/Vizegespan) an, inwieweit man die Tätigkeit der Gemeinschaften in dem Gebiet eingestellt hatte. Das muss man sich ungefähr so vorstellen: Anschrift „Staats-, gesellschafts- und militärfeindliche Sektentätigkeit in der Gemeinde ……“. Vorgedruckt war der Bezug auf die Rundverfügung 363.500/1939. VII. und das „Verhörsprotokoll von ……, wohnhaft in ……, Az. … der ung. kgl. Militärbehörde ……“, ferner die Aufforderung zur Stellungnahme, was „gegen die Tätigkeit der Sekte …… in der Gemeinde ……“ im Sinne der Verbotsverfügung getan wurde und aus welchem Grund es nicht zur „Auflösung der Sekte“ gekommen war. Darunter „Budapest“ und Platz für Datum und Unterschrift, wie auch den Vermerk für die „Wiedervorlage“ mit Datum.136 Wie im Fall des Verteidigungsministeriums hatte man im Innenministerium Routinen erstellt, eine Verwaltungs-Maschinerie zur systematischen Ermittlung noch vorhandener Tätigkeiten unliebsamer Religionsgemeinschaften in Gang gesetzt. Den örtlichen Behörden blieb nichts anderes übrig, als entsprechend tätig zu werden, da das Innenministerium so lange an der Sache dran blieb, bis sie – zumindest scheinbar – erledigt war. 135  Wie man unter anderem dabei vorging, wird aus einer Akte der kommunistischen Staatssicherheit in Sachen Joachim Molnár deutlich. Daraus geht hervor, dass es in jedem Unternehmen einen Militärbeauftragten gab. Molnár berichtete, an seinem Arbeitsplatz als Heizer in einer Csepeler Firma (Mauthner), wurde er von dem dortigen Militärbeauftragten angesprochen und beauftragt, ihn über die Stimmung unter den Arbeitern zu informieren, und worüber sie sich unterhalten. ÁSzTL, V-71056, Bl. 112. 136  Beispiel MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 41.

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

Abbildung 12: Formular des Verteidigungsministeriums zur Information des Innenministeriums, MJTA, W-792

399

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Um dieser Maßnahme noch mehr Schlagkraft zu verleihen, bemühten sich die Ermittler der Militärbehörden, wie von VO 8.769/1938 gefordert, im Verhör um Details. Man versuchte, sehr konkret herauszufinden, seit wann derjenige der Gemeinschaft angehörte, wie er damit in Berührung gekommen war (durch welche Publikation und/oder durch welche Person), wie viele Anhänger es in der Gegend gab und wen er namentlich benennen konnte. Das Verhörsprotokoll ging auch in Kopie an das Verteidigungsministerium, das damit auf die eigenen Behörden und das Innenministerium weiter Druck machen konnte. Kamen Verweigerer aus ein und derselben Gegend, war das ein Zeichen dafür, dass die Arbeit des Innenministeriums nicht erschöpfend genug war. Für das Innenministerium und die unteren Behörden diente das Protokoll als Ermittlungsgrundlage. Es kam durchaus vor, dass die Verhörten in ihrer Stresssituation, vielleicht auch in Unkenntnis der Folgen, die Namen von Glaubensangehörigen nannten. Doch nicht selten waren sie auch schlau genug zu sagen, andere nicht namentlich zu kennen oder sie gaben Namen bereits inhaftierter Personen an.137 So im Fall des Zeugen Jehovas Endre Kádas aus Mezővári (Ukrainisch Vary, Karpato-Ukraine), der zwar einige Namen seiner Glaubensbrüder aus dem Ort nannte, die offensichtlich bereits inhaftiert waren wie Bertalan Molnár. Im Fall eines von ihm namenlos erwähnten 20 – 25-jährigen Mannes war er jedoch auch auf mehrmalige Aufforderung hin nicht bereit, genauere Angaben zu machen.138 In einem anderen Fall machte ein Nazarener am 1. Juni 1940 eine Aussage zur Menge der Glaubensangehörigen, erklärte allerdings klipp und klar: „Ich bin nicht bereit die Mitglieder der Versammlung zu nennen, weil es in Pécs vorgekommen ist, dass der eine Gefangene die Namen der Versammlungsmitglieder mitgeteilt hatte, weswegen man die Genannten zur Rechenschaft gezogen hat, weil sie den Gefangenen überredet hätten, die Annahme des Gewehrs zu verweigern.“139 Oder der Nazarener Imre Makra aus der Gegend von Szeged, der am 15. August 1940 erklärte, den Namen eines der Anführer der Gemeinschaft „nicht verraten zu wollen, weil ich glaube, dass er wegen mir leiden müsste“.140 Der Zeuge Jehovas Lajos Czébely erklärte den Ermittlern des Militärgerichts (MG) Miskolc am 3. September 1941: „Im März 1937 haben mehrere Personen Schriften verteilt, ich weiß aber nicht, woher die kamen und wer sie sind. Es gab auch Zusammenkünfte, ich kann aber nicht sagen, wer sie abgehalten hat.“ Seine Eltern seien Zeugen Jehovas. Er fügte aber hinzu, es sei schwer, ein Zeuge zu sein, da die Gendarmen jeden verfolgten und verschleppten. Aus seinem Ort sei aber noch keiner interniert. Zur Organisation könne er keine weiteren Angaben machen. Allerdings war sicher für die Behörden allein schon interessant zu hören, dass 1937 viele Zeugen Jehovas in dem Ort unterwegs gewesen waren und religiöse Schriften verbreitet hatten. Offensichtlich nach deren Herkunft gefragt, schien er mit der Antwort ablenken wollen, sie kämen aus Zion.141 Seine Erwähnung von Vgl. Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Nemes Elek. HM, 1942 eln. 13.5550 cs. 521.704. 139  MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 12 f. 140  HM, 1941 eln. 13 4336 cs. 495. 141  Ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. ?, Az. 377/1941-IV. 137 

138 

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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Verfolgung und Verschleppung weist schon auf die Auswirkung der intensiven Ermittlungsarbeit der Behörden hin. Aufgrund der sich aus den Verhörsprotokollen ergebenden Erkenntnis, dass es noch viele aktive Anhänger der Gemeinschaften gab, kam er zu dem Schluss: „Wir müssen uns auch dessen bewusst sein, dass im Kampf gegen die Sekten die baldige Entfernung der Leiter und Prediger viel größere Bedeutung hat als die Verurteilung Einzelner.“142 In der Folge kam es auf Grundlage dieser Protokolle zu gezielten Aktionen und Ermittlungen. Das bestätigt zum Beispiel der Vermerk in einer Akte des Verteidigungsministeriums, wonach der Innenminister, der „die militärischen Interessen gefährdende Tätigkeit der Sekten mit der VO 363.500/1939. VII. eingestellt hat, auch diesbezüglich zuständig ist, die nötigen Maßnahmen auf Grundlage der im genannten Verhörsprotokoll gemachten Angaben zur weiteren Tätigkeit der Nazarener-Sekte und Leiter/Prediger […] einzuleiten“.143 Noch 1942 scheint man bei den Verhören gezielt Hintergrundinformationen abgefragt zu haben. Ein Adventist, der den Dienst am Samstag verweigerte, gab zu Protokoll: „Auf die Frage trage ich vor, dass allein ich und meine Frau in Maroshévíz [Siebenbürgen] Adventisten sind. Durch Bibellesen, ohne dass irgendjemand uns überredet hätte Adventisten zu werden, sind wir zu diesem Glauben übertreten.“144 Ihm wurde also direkt eine Frage nach weiteren Glaubensangehörigen gestellt. Bezüglich der Ermittlungen durch die Polizei und die Gendarmerie sind in den Akten des Innenministeriums und Justizministeriums Meldungen aus dem ganzen Land zu verzeichnen, auch in Verbindung mit den monatlichen Lageberichten der Polizeibehörden zur Situation und Stimmung im Land. Die Meldungen zeigen, wie verbreitet die Gemeinschaften waren und dass sie verschiedenenorts auch noch ohne Behinderung tätig sein konnten. Sie zeigen auch, dass nun quasi überall im Land die unteren Behörden gezwungen waren, sich mit den Gemeinschaften auseinanderzusetzen. Zum Beispiel wurde dem Innenminister z. B. am 9. Februar 1940 mit genauer Angabe von Namen über die Tätigkeit der Gottesversammlung (2 Männer, 2 Frauen) in der Gemeinde Majosháza, etwas südlich von Budapest, berichtet, über die Tätigkeit der Pfingstgemeinde (5 Männer, 4 Frauen) in der Nähe von Köröstarcsa, Südostungarn, und über Missionstätigkeit, wahrscheinlich durch Zeugen Jehovas in verschiedenen Gegenden Ungarns (7 Männer) und erklärt, dass gegen alle Betroffenen juristisch vorgegangen würde.145 Ein ähnlicher Bericht erging am 1. März 1940 über die Beschlagnahme von Presseprodukten der Adventisten in der Gegend von Buda, also in der Hauptstadt, (zwei Personen betreffend), über verbotene Zusammenkünfte der Gottesversammlung/Pfingstgemeinde (8 Personen) im Komitat Békés, Südostungarn, bzw. der Sabbatisten, Reformadventisten, (3 Personen) in Törtel, Ostungarn, sowie der Zeugen Jehovas (13 Perso-

142 

Ebenda, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032.

144 

MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 10 f. Ebenda, Bl. 2.

143 Ebenda. 145 

402

Kap. 6: Kriegsjahre

nen) in der Gegend von Győr, Nordungarn, und eine Aufstellung von 53 Zeugen Jehovas aus der Gemeinde Beregszász, Karpato-Ukraine.146

II.  Aktionen gegen die Nazarener Vielerorts wurden nach dem Verbot führende Nazarener unter Polizeiaufsicht gestellt, der Gemeinschaft ihre Bethäuser weggenommen. Zum Beispiel wurde das Bethaus in Hódmezővásárhely an die Stadt übergeben, in Szeged erhielt es der Ungarische Landwehrverein, MOVE, anderenorts ging es an die Levente-Organisation oder wurde schlicht in Lagerhäuser umfunktioniert usw.147 Die Anweisung zur „Beschlagnahme bzw. Inanspruchnahme des Vermögens für das Gemeinwohl“ erging vom Justizministerium mit Schreiben vom 7. Mai 1940 unter Bezugnahme auf die Verbotsverfügung 363.500/1939.148 Im Fall der Schließung eines seit 1905 im Szegeder Grundbuch eingetragenen Bethauses der Nazarener wandte sich das örtliche Polizeipräsidium sicherheitshalber rückfragend an das Innenministerium, da offensichtlich die ganze Zeit seit dem Bau, also rund 35 Jahre, dort Gottesdienste abgehalten worden waren, was eine nunmehrige Schließung jedoch nicht verhinderte.149 Wie aus einem Schreiben des Innenministers an den Justizminister vom 2. Dezember 1940 deutlich wird, waren verschiedentlich Bethäuser „auf den Namen der betreffenden Sekten als ‚Versammlungen‘, ‚Vereine‘ oder ‚Gemeinden‘ ins Grundbuch eingetragen“ worden, teilweise auch auf den Namen eines oder mehrerer Glaubensangehöriger wie im Fall der Nazarener in Sükösd und Dusnok (Südungarn).150 Dabei waren „aus Gemeinsammlungen erworbene Immobilien“ auf den „Namen von 4 bzw. 5 Gläubigen“ eingetragen worden, „obwohl aus den Akten eindeutig hervorgeht, dass diese Gläubige nur nominell die Besitzer der Immobilien sind“. Das würde auch aus der bis jetzt verfolgten „Gewohnheit der Gläubigen offensichtlich, bei der im Todesfall irgendeines Grundstückmitbesitzers von der Versammlung der Gläubigen festgelegt wurde, wer an die Stelle des verstorbenen Mitbesitzers tritt, ferner aus der Bedingung, dass die Gläubigen – als Grundbuchmitbesitzer – die Immobilien nicht veräußern und belasten“ dürften. Die Glaubensanhänger hatten also nach all der Grundbuchdiskussionen, die schon vor dem Ersten Weltkrieg geführt wurden, eine Lösung gefunden, ihre Bethäuser im Grundbuch eintragen lassen zu können, obgleich ihnen als Gemeinschaft keine Rechtssubjektivität zukam und die Behörden Anweisung hatten, eine Eintragung auf die Gemeinschaft der Nazarener nicht vorzunehmen. Im Falle einer Enteignung bedeutete das aber auch, dass die Behörden auf das Privatvermögen der Gläubigen zugriffen.151 146 

Ebenda, Bl. 8, 9. Kardos/Szigeti, S. 288. 148  MOL, K579 – 1940, Bl. 41, Az. 19.533/1940. 149  Ebenda, K579-F-70843/941, Bl. 10. 150  Ebenda, K579 – 1940, Bl. 41, Az. 151.028/1940/VII-a. Im Fall des Todes wurde es einem anderen Glaubensangehörigen überschrieben. 151 Ebenda. 147 

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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Nachdem die Gemeinschaften ihrer Bethäuser verlustig gingen, kamen sie in Privathäusern zusammen. Die Gendarmerie und Polizei versuchten diese Zusammenkünfte ausfindig zu machen, auszuheben und gegen die Betreffenden strafrechtlich vorzugehen. Auch im Fall der Nazarener nutzte man die Aussagen der Verweigerer, um noch aktiven Glaubensanhängern auf die Spur zu kommen und sie auszuschalten. Zum Beispiel forderte das MG Kassa am 6. Juni 1940 aufgrund des Strafverfahrens gegen die Nazarener Mihály Balogh und Lajos Szántó „zum Schutz gegen die die militärischen Interessen verletzende Sekte“ mit Bezug auf die VO 8.769/13/1938 die in der Ortschaft Nagyecsed (im Osten Ungarns) tätigen Prediger Lajos Biró und Peter Biró (die die Angeklagten dazu veranlasst haben könnten, den Waffendienst zu verweigern) durch die zuständigen Polizeibehörden unter dauerhafte Überwachung zu stellen.152 In Baja (Südungarn) kam es wohl vor allem aufgrund der Erkenntnisse aus den Verhörsprotokollen der religiösen Verweigerer zu Ermittlungen, aus denen deutlich geworden war, dass es in der Gegend von Baja eine größere Menge Nazarener gab. Nicht nur Mészáros hatte das Vorhandensein von 60 – 70 Nazarenern in der Gegend erwähnt und zehn Namen von Predigern genannt, auch Ferenc Győrffy aus Dunavecse nannte Namen der Glaubensangehörigen in der Region und bestätigte die Aussage von Mészáros hinsichtlich der Anzahl.153 Allerdings weigerte er sich, Namen zu nennen, weil mittlerweile offensichtlich unter den Glaubensangehörigen klar wurde, dass man den Angaben nachging: „Ich bin nicht bereit die Mitglieder der Versammlung zu nennen, weil es in Pécs vorgekommen ist, dass der eine Gefangene die Namen der Versammlungsmitglieder mitgeteilt hatte, deswegen hat man die Genannten zur Rechenschaft gezogen, dass sie den Gefangenen überredet hatten, die Übernahme des Gewehrs zu verweigern.“154 Wie aus der Akte von Mé­ száros hervorgeht, war man daraufhin sehr darum bemüht, die weiteren Anhänger der Gemeinschaft aufzuspüren. In einer Notiz vom 4. September 1940 wurde betont, dass es nötig sei, diese Personen zu ermitteln und Strafverfahren gegen sie einzuleiten, gegebenenfalls zu internieren oder polizeilicher Überwachung zu unterstellen.155 Eine Abschrift des Verhörsprotokolls von Mészáros war am 10. Juni 1940 an den Innenminister geschickt worden, der nach einer Notiz vom 6. September seinerseits die nötigen Maßnahmen gegen „die weitere Tätigkeit der Nazarener Sekte und Leiter/Prediger“ einleitete.156 Das bestätigt sich auch durch den Bericht von Kardos und Szigeti, wonach es 1940 – 1941 zu Strafverfahren gegen die Nazarener in der Gegend von Baja vor allem wegen unerlaubter Zusammenkünfte kam. Sie zitieren einen jungen Nazarener, der in seinem Tagebuch am 1. Januar 1940 vermerkt hatte: „Wir werden andauernd von Detektiven beobachtet, aber das kann das Wort Gottes nicht stoppen, es muss auf ewig gepredigt werden.“ Etwa 152 

HM, 1940 13 oszt. 454.458. MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 14. 154  Ebenda, Bl. 12, 13. 155  HM, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032. 156 Ebenda. 153 

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Kap. 6: Kriegsjahre

ein halbes Jahr später schrieb er: „Sie wollen uns zerreißen und auseinanderbringen.“157 Trotz der Aktionen gegen die Nazarener mussten im Juli 1942 vom Polizeipräsidium Baja erneut Aktivitäten festgestellt werden: „Die Nazarener hielten verbotene Zusammenkünfte ab, wo antimilitärische Äußerungen gemacht wurden. Aufgrund der bei der Ermittlung gesammelten Angaben habe ich 5 Personen interniert, genauso viel unter polizeibehördliche Aufsicht gestellt, gegen die anderen ist das Strafverfahren eingeleitet.“158 In Orosháza (Südungarn) bemühten sich die Nazarener mit einer Eingabe vom 10. Januar 1940 eine Aufhebung des Verbots zu erwirken, wobei sie sich darauf bezogen, das 1876 die Statuten der Gemeinschaft der Regierung überreicht und von ihr zur Kenntnis genommen wurden. Sie erklärten, dass ihre Glaubensansichten in keinster Weise gegen die Moral verstießen, sich nicht gegen die Nation richteten und niemanden schadeten. Auch dem Militär würden sie nicht schaden, sie würden nur Gott und ihrem Gewissen folgen. Dieser Eingabe zufolge gab es um die 4 000 Nazarener in Ungarn. Eine Antwort erhielten sie nicht.159 Auch in Budapest und im Umland gibt es Belege über zunehmende Schwierigkeiten, sogar in kleinen Dingen. Der Nazarener Sándor Marton wandte sich am 5. Februar 1940 mit einem Telegramm an Innenminister Keresztes-Fischer mit der Bitte, seine Frau am 6. Februar auf dem öffentlichen Friedhof nach dem Brauch der Nazarener, das heißt mit Gesang und Lesung der Bibel, zu beerdigen.160 Dem Gesuch wurde nicht stattgegeben.161 Schon am 9. Februar 1940 wurde dem Innenminister berichtet, dass in der Gemeinde Majosháza am 14. Januar 1940 „verbotene Zusammenkünfte mit biblischen Vorlesungen und Erklärungen abgehalten“ worden waren und gegen die Betreffenden, zwei Männer, darunter Pál Mészáros, und drei Frauen, gerichtlich vorgegangen würde.162 Diese Vorgehensweise der Behörden dürfte sich so fortgesetzt haben, während die Glaubensangehörigen weiter heimlich ihren Glauben ausübten.

III.  Sonderaktion gegen Zeugen Jehovas in Budapest Gegen die Zeugen Jehovas, die wegen ihrer Aktivität immer wieder im Fokus der Ermittlungen standen, zuletzt aber ganz klar mit der VO 14.485/1937 anvisiert wurden, wurde eine Spezial-Aktion veranlasst. Dazu wurde vom „Chef der Polizeidirektion Budapest-Zentrum ein Einsatzkommando“ gebildet, das „die ‚Führung‘ der Zeugen Jehovas aufdecken und die Funktion dieser illegalen Organisation sowie ihre Auslandsverbindungen genau untersuchen“ sollte. Zeitzeugen

Kardos/Szigeti, S. 288 f. MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VII./Juli, Az.  19/2 – 1942. 159  Kardos/Szigeti, S. 291 f. 160 Privatarchiv Tibor Gál, Budapest, x03Level. 161  Ebenda, kerelemelöold. 162  MOL, K150-VII-6 – 1940 Bl. 2. 157  158 

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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erklärten: „Es folgten Verhaftungen, physische und psychologische Mißhandlungen sowie Gefängnisstrafen.“163 Tatsächlich lässt sich eine Verordnung feststellen, die VO 10.612 vom Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit (Abt. VII.) beim Innenministerium, Major der Gendarmerie Vitéz Gyula Király,164 vom 1. Juli 1940, die an das Budapester Polizeipräsidium, Politische Abteilung, erging und in der verfügt wurde: „Mit Bezug auf meine Rundverordnung 363.500/1939 VII.a. und auf das anliegende Verhörsprotokoll des MG Székesfehérvár Hb. 154/40- 3, fordere ich den Herrn Oberstadthauptmann auf, die Tätigkeit der Sekte der “Jehova Gott Zeugen„ in Budapest eiligst aufzudecken, die nötigen Schritte im Sinne meiner Rundverordnung durchzuführen und mich […] detailliert zu informieren.“165 Vorausgegangen war, wie dem Wortlaut zu entnehmen ist, wiederum die Meldung einer Militärbehörde. Das MG Székesfehérvár hatte am 7. Juni 1940 dem Innenminister den Anordnungen gemäß einen Wehrdienstverweigerer gemeldet und ihm das Verhörsprotokoll Hb. 154/40- 3 vom 8. Juni 1940 zugestellt. Dabei ging es um Dániel Varga aus Guta bei Komárom, geboren am 8. April 1906, der wegen seiner Verweigerungshaltung angeklagt werden sollte. Er hatte am 11. Mai 1940 die Annahme des Stellungsbefehls aus religiösen Gründen verweigert (diese Passage des Dokumentes war vom Empfänger mit der Hand unterstrichen worden, in der Folge als Unterstreichung gekennzeichnet), was ihm zunächst als Desertion ausgelegt wurde.166 Er war daraufhin von der Gendarmerie festgenommen und der Einheit übergeben worden. Dort erhielt er den Befehl, die Waffe anzunehmen, was er wiederholt verweigerte (Unterstreichung). Varga hatte in der Zeit von 1926 – 1928 als Mitglied der römisch-katholischen Kirche bei der tschechoslowakischen Armee gedient (Unterstreichung). 1937 wurde er mehrfach von Zeugen Jehovas (Unterstreichung), die von Haus zu Haus predigten, angesprochen und hatte Broschüren erhalten, die sich mit religiösen Inhalten auseinandersetzten. 1938 trat er aus der Kirche aus und wurde „ohne Druck auf eigenen Entschluss“ Zeuge Jehovas. Er erklärte weder jetzt noch in der Zukunft Waffendienst verrichten zu wollen (Unterstreichung). Nach Namen von „Sektenangehörigen“ befragt gab er lediglich den Namen seiner Frau und seines Onkels (Unterstreichung der Namen) an und verwies lediglich auf die „Zentrale in Budapest, Deák-Platz 4“, von wo er eine Bibel erhalten hatte (kräftige Unterstreichung).167 Dieses Verhörsprotokoll wurde mit der VO an die Politische Abteilung weitergeleitet.168 Die Erwähnung der Zentrale der Zeugen Jehovas in Budapest dürfte ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass sich das Innenministerium an die Politische WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 80. (Zitiert nach der ungarischen Ausgabe). Rektor, S. 265, 296. 165  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  193. 166  Dieser Vorwurf wurde später revidiert, da er zu dieser Zeit noch nicht als Militärperson galt. HM, 1941 13. oszt. 528.427. 167  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl 195 – 197. HM, 1942 13. oszt. 5555 cs. 533.827. 168  Ebenda, Bl. 193. 163 

164 

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Kap. 6: Kriegsjahre

Abteilung der Oberstadthauptmannschaft mit der Verfügung zur Aufklärung der Tätigkeit der Gemeinschaft gewandt hatte. Schließlich hatte man die Zentrale im Dezember 1937 gerade geschlossen. Kurze Zeit später ging beim Innenministerium ein weiteres Verhörsprotokoll vom 18. Juli 1940 ein. Es handelte sich um die Meldung des MG Kassa zum Verhör des Zeugen Jehovas Elek Nemes, derzufolge er erklärt hatte, Publikationen aus Budapest, Zsigmond Straße erhalten zu haben und dass sich die Druckerei seines Wissens am Tisza-Kálmán-Platz 26 befinde – wiederum ein Hinweis auf das Zentrum der Tätigkeit der Gemeinschaft in Budapest, dem das Innenministerium nachging.169 Der involvierte Chef der Politischen Abteilung der Polizei Oberstadthauptmannschaft Budapest, Vitéz Gyula Fornády persönlich,170 setzte sich mit dem Verhörsprotokoll von Dániel Varga auseinander und kam in seinem kurzen Bericht vom 10. November 1940 mit Bezug auf die VO 10.612/1940, unter der die Aktion gegen Zeugen Jehovas in Budapest lief, zu dem Schluss, Varga sei „von der Zentrale geschult worden und versucht unter Berufung auf seine religiöse Überzeugung und durch die Angabe falscher Adressen die Behörden irrezuführen“. Er sei ein „ausgebildeter Pionier, der ‚Zeugnis gibt‘.171 In der Gemeinde Guta gibt es eine Sektengruppe. Die von ihm angegebene Adresse ist wie immer auch diesmal falsch […], denn unter der Adresse Deák-Platz 4 gibt es ein zugelassenes britisches Unternehmen zur Verbreitung von Bibeln“, und nicht die „Budapester Zentrale der Jehova Gott Zeugen“.172 Das zeigt, Varga war schlau genug, nicht die richtige Adresse zu benennen – offensichtlich keine Seltenheit, wie die Worte Fornádys belegen. Wahrscheinlich hatten die Glaubensanhänger über die Jahre der Störungen durch die Behörden, sich Strategien erarbeitet und sich damit beschäftigt, wie sie sich im Fall einer Befragung oder Festnahme verhalten sollten. Oft hatten die Betreffenden auch schon ihre einschlägigen persönlichen Erfahrungen mit den Behörden gemacht und waren quasi gewappnet – allerdings wurde durch die Militärbehörden ein ganz neues Kapitel aufgeschlagen, in dem sich sowohl die Verhörmethoden, als auch Strafen unterschieden. Am 28. August 1940 reagierte der Chef der Politischen Abteilung der Budapester Polizei Fornády, dessen Abteilung die Arbeit der Polizei im gesamten Land koordinierte, mit einem sehr ausführlichen Bericht an das Innenministerium, Az. 3.886,173 169 

Ebenda, Bl. 193, Bl. 135 f., Az. Hb. 202/39/13. Fornády war 1925 bei der Ergreifung von Mátyás Rákosi beteiligt und seit 1938 Chef der Ermittlungsgruppe zur Überwachung der Sekten. Nach 1941 war er für Strafsachen zuständig. 1951 wurde er selbst wegen seiner Beteiligung bei der Ergreifung Rákosis interniert. Varga, Krisztián: Az 1945 előtti politikai rendőrség Wayand Tibor detektívfelügyelő önvallomásában [Bekenntnisse des Chefermittlers der politischen Polizei Tibor Wayand vor 1945]. In: Betekintő 1/2009. http://epa.oszk.hu/01200/01268/00009/varga_krisztian. htm#_ednref58 (Zugriff am 2.3.2013). 171  Ein Pionier war ein Zeuge Jehovas, der besonders viel Zeit fürs Predigen einsetzte. 172  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  198. 173  Die Aktion scheint bei der politischen Abteilung unter dem Az. 3.886 geführt worden zu sein, da in mehreren Dokumenten darauf Bezug genommen wird. 170 

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(8 Seiten) über die Tätigkeit von Zeugen Jehovas.174 Dieser von einer Schlüsselbehörde kommende Bericht gibt Aufschluss über die Arbeit der Behörden in der Vergangenheit, ihrer Kenntnisse über die Glaubensgemeinschaft und lässt Schlüsse auf die weitere Vorgehensweise zu. Der Politischen Abteilung zufolge nahm die Gemeinschaft auch trotz Verbots und obwohl die Leiter Lajos Szabó und später Domokos Gombos unter Polizeiüberwachung gestellt wurden, ihre Tätigkeit immer wieder auf und führte sie im Untergrund im ganzen Land fort. Unter Bezugnahme auf die Aktion gegen Zennig und Szabó von 1937, die in der Schließung der als Zentrale fungierenden Firma „Watsch-Tower Bible and Tract Society [sic!], […] nach der Enthüllung am 19.12.1937“ gipfelte  – was im Übrigen zeigt, dass das offensichtlich ebenfalls eine konzertierte Aktion von oberster Ebene war –, und auf das Verbot des Innenministers betonte Fornády nochmals, dass „die Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ sich auch noch bis auf den heutigen Tag im Untergrund organisiert und ganz Ungarn mit einem Netz überzogen“ habe. Dem Chef der politischen Polizei war auch bekannt, dass die Organisation der Tätigkeit der Gemeinschaft von Bern ausging, von wo eine Vielzahl (namentlich aufgeführter) Presseerzeugnisse ins Land kämen (angeblich teilweise in einer Auflage von 10 000 000 Stück).175 Ihm war auch bekannt geworden, dass man das Land in Zonen eingeteilt hatte – er sprach von zehn Bezirken. Tatsächlich gab es zunächst acht, später sieben.176 Dabei kam er zu dem Schluss, dass die drei oberungarischen Bezirke 174 

Ebenda, Bl.  124 – 131. Tatsächlich hielt ein Kurier, Gyuró Dzamonyija, die Verbindung zur Berner Zentrale aufrecht und beförderte organisatorische Informationen wie auch Publikationen. ÁSzTL, V-71056, Bl. 60 f. Verhörsprotokoll vom 17.11.1950. 176  Die Zeugen Jehovas hatten schon vor dem Verbot zur effektiveren Missionsarbeit organisatorische Änderungen vorgenommen und 1937 das Land in acht Zonen oder Kreise eingeteilt. Je Zone wurde ein Verantwortlicher eingesetzt, sogenannte Zonendiener: In der Zone I war das János Konrád, Újpest, in der Zone II József Klinyecz (1899 – 1949), Nagykőrös, in der Zone III Sándor Varga, Debrecen, in der Zone IV György B. Molnár, Beregrákos (Karpato-Ukraine), in der Zone V László I. Papp 1941, Naprágy (Slowakei, Nähe von Besztercebánya, slowakisch Baňská Bystrica), in der Zone VI István Dobránszky, Kistoronya (slowakisch Malá Trňa) nördlich von Sátoraljaújhely, in der Zone  VII József Ko­ vács, Komárom, und in der Zone VIII György Farkas, Jánoshalma (zwischen Mohács und Szeged). Die Zoneneinteilung bestand bis zum Ende des Krieges, obgleich aus 8 Zonen 7 wurden (eine Zone wurde auf zwei andere aufgeteilt) und die Verantwortlichen wegen Inhaftierung oder Internierung mehrfach ausgetauscht wurden. Für die Inhaftierten waren István Bartha, Lajos Hák, István Illés, Jenő Herédi, János Kővágó, András Pál, Géza Pál, Péter Prém, György Pető, Lajos Szombati eingesetzt worden. MJTA, DOK-448, Bericht zu József Klinyecz, 1899 – 1949, Datum unbekannt. Ebenda, DOK-448, Bericht zu József Kli­ nyecz, 1899 – 1949, Datum unbekannt. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  124 – 131. Illés war 1940 in Verbindung mit Militärdienstverweigerung aus Kassa geflohen, später gefasst und in Kistarcsa interniert worden. Er blieb bis Kriegsende in Haft. Bericht der Staatssicherheit über Illés vom 4.7.1953. ÁSzTL, V-111784/2, Bl. 139 f. Unter dem Rákosi-Regime hatten Illés und einige andere Zeugen Jehovas Juden geholfen, das Land zu verlassen. Ebenda, Bl. 94, 158 – 160. Gegen Prém war 1937 zusammen mit 31 anderen Zeugen Jehovas in Debrecen wegen der Verbreitung von Druckerzeugnissen von Zeugen Jehovas verhandelt wor175 

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die stärksten seien, offensichtlich auch, weil „hier die meisten den Militärdienst verweigern und der Pflicht, ihre Heimat zu verteidigen, nicht nachkommen“, was sicher den Meldungen der Militärbehörden zu entnehmen war. Fornády behauptete, Jehovas Zeugen würden den Dienst an der Waffe nicht aus Glaubensgründen verweigern, sondern „nur weil sie sich über die Zeit retten wollen, bis zu dem Punkt da die Umstände für sie günstiger sein werden und dann werden sie gegen die heutige Gesellschaft ein bewaffnetes Auftreten propagieren“. Eine Begründung für diese Behauptung nannte er nicht, wahrscheinlich passte diese Aussage einfach argumentativ ins Konzept. Im gleichen Dokument verwies man dann interessanterweise auf einen Zeugen Jehovas, der zuvor neun Jahr Soldat gewesen war, was nicht dafür spricht, dass er sich nun irgendeiner Pflicht entziehen wollte.177 Fornády erklärte weiter, die Organisation der Zeugen Jehovas würde „eine große Gefahr zur gesetzwidrigen Veränderung der gesetzlichen Rechtsordnung in sich bergen“, sie würden mit ihren Presseerzeugnissen „auch europaweit die bestehenden bürgerlichen, gesellschaftlichen Einrichtungen/ Hitlerismus, Faschismus / Regie­ rungen und Staatsformen“ angreifen. Wie aus den Artikeln des „Goldenen Zeitalters“ oder „Trost“ deutlich wurde, hatte die Gemeinschaft tatsächlich, die Verfolgung Andersdenkender in den nationalsozialistischen und faschistischen Ländern offen angeprangert und detaillierte Berichte geliefert. Allerdings lag es der Gemeinschaft fern, sich direkt in politische Dinge einzumischen, geschweige denn die staatliche Ordnung umstürzen zu wollen. Das hätte nicht zu ihrer Auffassung der christlichen Neutralität und Nächstenliebe gepasst.178 Deutlich wird aus dem Bericht auch die Furcht vor der Einflussnahme durch Glaubensangehörige auf kriegswichtige Industrie, da erwähnt wird, dass bei einer Zusammenkunft der Gemeinschaft „Mitarbeiter des Csepeler Manfred Weiss Werkes anwesend waren, die in den wichtigsten Werken tätig sind“.179 János Fazekas, András Fodor, Joachim Molnár und 17 weitere Glaubensanhänger hätten „beim Verhör bestätigt, dass sie auch zur Verteidigung des Vaterlandes nicht zur Waffe greifen würden“. Mehrere namentlich genannte Männer wie auch Frauen sollten daher unter Polizeiaufsicht gestellt werden. Fornády musste einräumen, die Kuriere der Gemeinschaft namentlich nicht zu kennen, die offenbar den Glaubensangehörigen selbst nicht bekannt seien, da diejenigen „sich mit Losungsworten aus der Bibel zu erkennen“ geben würden. Wie wenig bzw. falsch diese zentrale Behörde noch 1940 informiert war, zeigt sich auch an der Annahme: „Die Watsch-Tower Gesellschaft [sic!] erweist sich als Einrichtung der Freimaurer, die mit dem Geld der Freimaurerlogen unterstützt wird.“ Außerdem würde „die Bewegung mit dem größten Einverständnis des Zionismus“ arbeiten und „in dem neuen Land [dem Paradies], das ihrer Meinung nach kommen wird, wird Kommunismus herrschen“. den. MJTA, DOK-105. Pető war bereits am 30.9.1939 vom MG Miskolc wegen Militärdienstverweigerung zu 1 Jahr 6 Monaten verurteilt worden. HM, 1940 eln. 13 3513 cs. 55.436. 177  Er war erst Ende 1939 zu der Gemeinschaft übergetreten. 178  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  124 – 131. 179  Manfréd Weiss Stahl- und Metallwerke AG Csepel. In der Zwischenkriegszeit wurden u. a. Lkws, Flugzeuge für das Militär gebaut.

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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Die Verbindung zu den Freimaurern, die nicht bestand, spiegelt möglicherweise eine deutsche Ansicht wider.180 Der Kommunismusvorwurf passte in die Linie der 1930er-Jahre, zumal Ferenc Juhász181 erwähnt wurde, der, „seit 1925 von Haus zu Haus in den Dörfern Zeugnis abgelegt“ und „in einer Schule Kindern kommunistisch angehauchte Vorträge gehalten“ habe. Er hätte „genau wie die Kommunisten durch die ‚Rote Hilfe‘“ gemeinsam mit anderen Glaubensbrüdern zehn im Internierungslager Kistarcsa inhaftierte Zeugen Jehovas besucht und sie mit Lebensmitteln und Geld versorgt. Auch er sei nicht bereit, eine Waffe zu gebrauchen. Juhász stünde auch in Kontakt mit Franz Zürcher von der Berner Zentrale und dem Zonendiener182 József Klinyecz. Nun handelte es sich bei Juhász um genau den Zeugen, der sich gerichtlich darüber beschwert hatte, von einem Journalisten als Kommunist bezeichnet worden zu sein. Daraufhin hatte jedoch das Gericht, die Szegeder Tafel, im Herbst 1939 festgestellt, Jehovas Zeugen seien Kommunisten, wenn auch nicht von der Art der russischen Kommunisten, sondern als „gewöhnliche“ Kommunisten.183 Das muss dem Chef der Politischen Polizei bekannt gewesen sein. Indem er den Fall hier anführt und den Kommunismusvorwurf ebenfalls basierend auf unschlüssiger Argumentation wiederholt, bestätigt er die Annahme des Gerichts vom „gewöhnlichen Kommunisten“ im Unterschied zum russischen Kommunisten, obgleich man das letztendlich nicht konsequent trennte. Dieser Linie folgend verdächtigte er auch führende Zeugen Jehovas, darunter Landesdiener János Konrád,184 Lajos Szabó, Domokos Gombos, Albert Bársonyi der kommunistischen Aktivität. Über János Konrád hieß es: „In der Frage des Militärs erklärt er, dass er den von Menschen erlassenen Gesetzen nur soweit nachkommt, wie sie nicht gegen Gottes Gesetze verstoßen. Er erklärte, er wäre dem Stellungsbefehl zwar nachgekommen, eine Waffe nimmt er aber nicht in die Hand, und er würde damit nicht schießen, weil er keine Feinde hat.“ „Konrád und Genossen“, wären am 180  Garbe verweist auf August Fest, der 1924 in „Der große Volks- und Weltbetrug durch die ‚Ernsten Bibelforscher‘“ schrieb: „Der Beweis für diese Auffassung liegt, wie gezeigt wurde, in der völlig harmonischen Übereinstimmung der Bibelforscherlehre mit den Zielen des internationalen Talmudjudentums, der internationalen Freimaurerei, der internationalen Sozialdemokratie samt ihrer jüngsten Tochter, dem russischen Bolschewismus. Ihre gemeinsame Auffassung lautet: Umsturz aller staatlichen, kirchlichen und wirtschaftlichen Ordnungen, völlige Vernichtung aller national, völkisch und christlich gesinnten Gegner und unumschränkte Weltherrschaft des Judentums nach vorausgegangener Weltrevolution, Weltanarchie und Weltversklavung.“ Zitiert nach Garbe, Widerstand, S. 65. 181  Zu ihm hieß es, er sei 1923 Baptist, 1924 Millenist und 1931 „Jehovas Zeuge“ geworden – offenbar ohne zu erkennen, dass es sich bei den sog. Millenisten und Zeugen Jehovas um ein und dieselbe Gemeinschaft handelte. 182  Verantwortlicher für einen Bereich Ungarns, hier für die Gegend von Nagykőrös. 183  Vgl. „A ‚Jehova Isten tanui‘ kommunisták  – állapotja meg a szegedi Tábla“ [Die „Jehova Gott Zeugen“ sind Kommunisten – stellt die Szegeder Tafel fest]. In: Nemzeti Újság [Nationale Zeitung] vom 4.11.1937. 184  1940 war er mit der Aufgabe als Landesdiener betraut worden. Nach der Internierung Konráds im Dezember 1941 übergab dieser das Amt an Klinyecz. Kurz danach wurde offiziell Dénes Faluvégi dazu ernannt.

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Kap. 6: Kriegsjahre

29. Dezember 1939 festgenommen, aber am 21. März 1940 amnestiert worden.185 Seitdem sei Konrád „weiter im Interesse der Sekte tätig“. Auch Albert Bársonyi, der 1930 vom Gericht in Baja wegen Verstoßes gegen Pressegesetze zu 14 Tagen Haft verurteilt worden war und seit 1938 unter Polizeiaufsicht stand, hatte 1939 bei seiner Einberufung erklärt, keine Waffe in die Hand zu nehmen und auch nicht auf Menschen zu schießen. Über ihn hieß es: Dem „politischen Register nach ist er eine kommunismusverdächtige Person“. Nándor Welkei, der ebenfalls „nicht bereit sei, für das Vaterland zur Waffe zu greifen und den Eid auch nicht ablegen“ wollte und wegen Verstoßes gegen das Pressegesetz 1939 zu kurzzeitiger Haft verurteilt worden war und seit 1938 unter Polizeiaufsicht stand, habe im August 1940 eine antimilitaristische Zusammenkunft abgehalten und sei „als Mitglied der Jehova-Sekte kommunismusverdächtig“. Der Bericht führte eine große Anzahl Zeugen und Zeuginnen namentlich an, die inhaftiert bzw. interniert worden waren. Eine unter ihnen war Frau Nándorné Szegény, die als Putzfrau direkt im Reichsverweseramt im Schloss Gödöllő186 tätig war und dort „dem Gesinde des Reichsverwesers Propaganda-Vorträge gehalten“ habe, worauf „sie vom Schloss entfernt wurde“. Der Schreiber ordnete an, die Inhaftierten nach ihrer Freilassung unter Polizeiaufsicht zu stellen. Er schloss seinen Bericht: „Alle Jehovas [sic!] bezeichnen sich als geistige Juden und erklären, dass sie ihre Propaganda auch jetzt nicht aufgeben.“187 Namentlich erwähnt wurden zum Beispiel auch Julia Paskuly, Matild Juhász (Ehefrau von Konrád János), Mária Zsoldos, Lajos Hecht und seine Frau (die der israelitischen Religion angehört hatten), Benedek Rimóczi und seine Frau Matild Busányi, ferner Maté Fábián und Jenő Fábián, der derzeit wegen Wehrdienstverweigerung im Militärgefängnis Szombathely einsaß, und Nándor Szegény verurteilt wegen Wehrdienstverweigerung, 1940 amnestiert. Den Frauen warf man vor, ihre Kinder falsch zu erziehen.188 Dieser Bericht, der sich hauptsächlich um Budapester Zeugen Jehovas dreht, bedient die alten Klischees der Kommunisten und Antimilitaristen. Gleichzeitig wird durch die wiederholte Erklärung zur Verbreitung der Gemeinschaft im Land die Angst der Behörden vor einem wachsenden Einfluss deutlich. Die umfassende dezidierte namentliche Nennung von Zeugen lässt darauf schließen, dass diese Personen weiter unter Beobachtung standen und gegen sie vorgegangen werden sollte. 185  Wahrscheinlich aufgrund der Amnestie in Verbindung mit dem 20-jährigen Jubiläum des Reichsverwesers. 186  Errichtet im 18. Jahrhundert von Graf Grassalkovich I. ging das Schloss als Krönungsgeschenk 1867 an Franz Joseph I, den Kaiser von Österreich und König von Ungarn, und seine Frau Elisabeth (Sisi, 1837 – 1898), die sich für die Rechte der Ungarn stark gemacht hatte. 187  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  124 – 131. Weitere Namenslisten beim Innenminister, ebenda, K149 – 1940 – 7 – 5018. Abgeglichen mit der Opferliste der MJTA lassen sich weit über die Hälfte Anhänger der Zeugen Jehovas nachweisen. Offensichtlich handelte es sich hier um verschiedene Verfahren (Az. angegeben) zur Verbreitung von Veröffentlichungen, verbotener religiöser Tätigkeit und vor allem Militärvergehen. 188  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  124 – 131.

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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In Verbindung mit dem Az. 3.886/1940 und unter Bezug auf die VO 10.612/1940 VII. „zur Aufdeckung der Tätigkeit der Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ in Buda­ pest“ sandte die Politische Abteilung der Budapester Polizei am 22. November 1940 als Ermittlungsergebnis dem Innenministerium zwei Detektivberichte, in denen Publikationen erwähnt wurden. Gyula Király, der Chef von Abteilung VII beim Innenministerium, gab sie am 26. November 1940 zur Überprüfung nach presserechtlichen Gesichtspunkten an eine zuständige Abteilung im Haus. Von dort wurde er am 28. November informiert, dass es sich bei den darin angegebenen Presseerzeugnissen „aller Wahrscheinlichkeit nach um von der Watch Tower Bible und Tract Society herausgegebene im Ausland hergestellte Broschüren, deren Einfuhr ins Land und Verbreitung verboten ist [Unterstreichung im Original]“, handele.189 Diese Prozedur findet sich des Öfteren in den Akten und kann als Prinzip der Vorgehensweise zum Prüfen der Legalität von Presseprodukten durch die Behörden gewertet werden. Das heißt, die Behörden sandten die Publikationen an das Innenministerium, Abteilung Öffentliche Sicherheit, diese ließ die Publikationen von der dafür zuständigen Abteilung prüfen und informierte dann wiederum die Ermittlungsbehörde von dem Ergebnis. So übersandte z. B. das Ermittlungskommando der Gendarmerie Budapest am 22. August 1940 dem Innenministerium, Leiter der öffentlichen Sicherheit, in Sachen „Verbreitung von sektiererischen Presseerzeugnissen“ eine Publikation „der antimilitaristisch ausgerichteten Jehova Gott Zeugen“, die im Postamt in Bély beschlagnahmt worden war, und empfahl ein Verbot der Publikation auf dem Postweg. Nachdem sich Gyula Király bei der zuständigen Abteilung190 rückversichert hatte, dass es sich um eine Publikation der mit VO 363.500/1939 verbotenen Zeugen Jehovas handelte, gab er am 29. August die Bestätigung an die Gendarmerie weiter, dass „der Hersteller die ‚Watch Tower Bible und Tract Society‘ war, deren Veröffentlichungen allesamt verboten waren“.191 Hier hatten sich also über die Jahre Routinen und Fachabteilungen zum Überprüfen von Presseprodukten entwickelt. Als Response auf das Schreiben und die Berichte mit Az. 3.886/1940 forderte Gyula Király am 11. Dezember 1940 mit eiliger Verfügung,192 Az. 15.645, energisch, die „im Detektivbericht aufgelisteten“ und „bei der Verbreitung der staats-, gesellschafts- und militärfeindlichen Sekte eine führende Rolle spielenden Personen“ gemäß VO 363.500/1939 zu internieren, unter Polizeiaufsicht oder strenge 189 

Ebenda, Bl. 194.

190  Handschriftliche

Notizen vom 27.8.1940 (Anfrage von Király) und 29.8.1940 (Antwort von Viktor Pusztai, Polizeirat). 191  MOL K149 – 1940 – 7 – 5018, Az. 15.357. MJTA, DOK-1791. In ähnlicher Weise hatte am 11.10.1939 die Gendarmerie Pápa beim Innenministerium, Politische Abteilung, wegen der Publikation „Gyógyulás“ (Heilung) der Watch Tower Bible und Tract Society angefragt, die sich gegen die christlichen Religionen richten würde. Wiederum wurde innerhalb des Innenministeriums mit der zuständigen Abteilung Rücksprache gehalten, die erklärte, dass „alle Publikationen der Watch Tower Bible und Tract Society im Land verboten“ seien. Ebenda, K149 – 1939 – 7 – 5602, Bl.  18. MJTA, DOK-1790. 192  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  192.

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Kap. 6: Kriegsjahre

Kontrolle zu stellen, damit sie „ihre gefährliche Propaganda“ nicht weiter treiben.193 Am 4. März und am 1. Mai 1941 forderte das Ministerium die Erledigung seiner eiligen Verfügung 15.645/1940 beim Oberstadthauptmann, Politische Abteilung, ein.194 Am 14. Mai 1941 wurde mit Bezug auf die Verfügung 15.645/1940 eine Meldung des Oberstadthauptmanns, Politische Abteilung, verfasst, derzufolge die in dem Bericht vom 28. August 1940, Az. 3.886/1940, genannten Benedek Rimóczi, Matild Busányi, János Konrád und seine Frau Matild, Mária Zsoldos, Nándor Welkei, Frau Lajosné Hecht, Ferenc Juhász entsprechend der Anweisung unter strenger Polizeiüberwachung stehen würden, man aber keine weitere Tätigkeit festgestellt habe, noch nicht einmal Kontakte untereinander. Bei Hausdurchsuchungen seien keine verbotenen Druckschriften gefunden worden.195 Es ist davon auszugehen, dass die Betreffenden unbemerkt Wege fanden, weiter tätig zu sein. Am 14. Dezember 1940 bezog sich die Politische Abteilung des Oberstadthauptmanns auf das schon in Verbindung mit der Budapester Aktion erwähnte Verhörsprotokoll von Elek Nemes aus Balmazújváros des MG Kassa vom 18. Juli 1940.196 Gegen Elek Nemes war schon in der ersten Großaktion in Verbindung mit dem Kommunismusvorwurf 1937 vorgegangen worden.197 Die Abteilung Öffentliche Sicherheit beim Innenminister wandte sich am 19. Dezember 1940 mit Verfügung 16.286/1940 an das Ermittlungskommando der Gendarmerie in Buda­ pest in Sachen „staats-, gesellschafts- und militärfeindliche Sektentätigkeit in Balmazújváros“. Mit Verweis auf die Verbots-Verordnung, das Verhörsprotokoll von Nemes und den Bericht der Oberstadthauptmannschaft, Az. 3.886, die er anfügte, forderte er festzustellen, ob die „‚Jehova Gott Zeugen‘-Sekte entgegen dem Verbot in Balmazújváros tätig ist und wer die Anführer sind“.198 Am 5. März 1941 berichtete daraufhin das Ermittlungskommando der Gendarmerie Budapest dem Innenministerium: „Elek Nemes, Anwohner von Balmazújváros hat seit 1937 für die Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ keine Tätigkeit entfaltet.“ Presseerzeugnisse seien seit dieser Zeit an keine Adresse in Balmazújváros mehr gekommen. Die bei den Ermittlungen der Großaktion 1937 beschlagnahmten Publikationen seien den Behörden zur Verfügung gestellt. „Seit dem Verbot ist die Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ in der Öffentlichkeit in Balmazújváros nicht mehr tätig. Es gibt allerdings Sektenmitglieder, die sich noch zur Lehre der Sekte bekennen und versuchen, verdeckt zur Aufrechterhaltung und Pflege ihrer Interessen tätig zu sein. Der Gendarmerieposten verfolgt ihre Tätigkeit aufmerksam und schreitet wenn nötig dagegen ein. So ergriff er am 23. Januar 1941 Sándor Boruzs und Lajos Dede aus Hajdú­ szoboszló und übergab sie der kgl. Staatsanwaltschaft in Debrecen, da sie mehrere Sektenmitglieder der Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘ aufgesucht und die Lehren der Sekte verkündet hatten.“ Die Betreffenden hätten auch gegen die katholische Pries193 

Ebenda, Bl. 194. Ebenda, Bl. 194, 142. 195  Ebenda, Bl. 190 f. 196  Mit Verweis auf Az. 15.785/1940 und 11.832/1940. 197  MJTA, DOK-105, Datum unbekannt. 198  MOL K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  119  f. 194 

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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terschaft gehetzt. Derzeitiger „geistlicher Leiter der Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ in Balmazújváros“ sei Péter Prém.199 Dessen 20 Jahre alter gleichnamiger Sohn habe sich mit József Bácsi aus Hajduszoboszló in andere Orte begeben, „um die Sekte zu organisieren“. Deshalb habe der Beamte von Balmazújváros Péter Prém Junior und Senior unter Polizeiaufsicht gestellt und während er den zuständigen Behörden bzw. dem Gendarmerieposten von Büdszentmihály vorschlug, „József Bácsi, Sándor Borusz und seine Frau, Lajos Dede aus Hauduszoboszló sowie István Nagy auch unter Polizeiaufsicht zu stellen bzw. den Zutritt zu Balmazújváros zu untersagen“.200 Wenngleich der Bericht zunächst den Eindruck vermittelte, die Tätigkeit der Gemeinschaft sei eingestellt, verkehrt sich das am Ende ins Gegenteil. Offensichtlich agierten bereits unter Polizeiaufsicht stehende Personen vorsichtig und unauffällig; ihre Aufgaben übernahmen andere den Behörden noch nicht aufgefallene Glaubensangehörige. Fielen diese den Behörden auf, sprangen wieder andere ein. In dieser umfassenden Aktion, bei der es um die führenden Köpfe der Zeugen Jehovas in Budapest, aber auch um aktive Anhänger im Land ging, wird die Rolle der von den Militärbehörden an das Innenministerium übersandten Verhörsprotokolle deutlich. Die gesamte Aktion kam durch die dem Innenministerium zugesandten Verhörsprotokolle ins Rollen. Das zwang die Polizeibehörden, akribisch zu ermitteln und tätig zu werden. Es wird deutlich, wie die Verordnungen von Verteidigungs- und Innenministerium sich ergänzten und die Tätigkeit der Polizeiund Gendarmerie-Behörden mit verzahnten. Um Religionsfreiheit wurde wie noch in den 1920er-Jahren nicht mehr diskutiert, die Gesetzesartikel in den Berichten noch nicht einmal erwähnt. Was sich hier in dieser Aktion bewährte, sollte in den nächsten Jahren landesweit greifen. Allerdings dürfte es den Innenminister beunruhigt haben, dass die Berichte über militärdienstverweigernde Zeugen Jehovas nicht abrissen. Bereits am 6. März 1941 wurde ihm von einem weiteren berichtet, József Balogh. Er hatte in seinem Verhörsprotokoll vom 24. Februar angegeben, im Januar 1939 zusammen mit einem Kollegen im Stadtwäldchen, einem beliebten Park in Budapest, von einer unbekannten Dame angesprochen und gefragt worden zu sein, ob sie was lesen möchten. Dabei hätte er die Broschüre „Wer wird über die Erde herrschen?“ erhalten. Im Frühjahr desselben Jahres hätte er dann einen 28 – 30 Jahre alten Mann getroffen, der ihn fragte, ob er an religiösen Fragen interessiert sei; wieder erhielt er diese Broschüre. Keiner der beiden hätte weiter mit ihm gesprochen. Er erklärte, er hätte schon früher aus der reformierten Kirche austreten und direkt nach der Bibel leben wollen. Niemand habe ihn zu seinem neuen Glauben überredet. Wo die Zentrale sei, wisse er nicht, aber er habe gehört, sie sei in Budapest.201 Balogh wurde wegen Militärdienstverweigerung 1940 zu 1 Jahr

199  Man schloss das daraus, „weil er der erste war, den Sándor Boruzs und Lajos Dede aufgesucht und von ihm Informationen zum Besuch von Sektenmitgliedern erhalten haben“. 200  Ebenda, Bl. 145 f. 201  HM, 1941 eln. 13 4332 cs. 13.989. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 92 – 94.

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6 Monaten Haft verurteilt und im April 1943 erneut herangezogen.202 Das dürfte das Innenministerium hinsichtlich der Gefährlichkeit der Presseartikel überzeugt haben. Gleichzeitig wurde eine Vorgehensweise der Prediger deutlich, kurzes Ansprechen an öffentlichen Orten, Übergeben einer Publikation und Verschwinden, so konnte man ihrer schwer habhaft werden. Wenngleich die Informationen durch die Militärbehörden zu gezielten Einsätzen der Gendarmen führten, waren die Beamten auch grundsätzlich wachsam und suchten der Prediger habhaft zu werden. Ádám Szinger, geb. 1922, ein Zeitzeuge aus Paks (südlich von Budapest), damals 18 Jahre alt, schilderte das Vorgehen der Gendarmerie wie folgt: „Schon 1938, 1939, 1940 ging ich von Haus zu Haus predigen. Damals war uns die Gendarmerie schon oft auf den Fersen. Sie haben uns angezeigt, uns inhaftiert und vor Gericht gebracht. Ein Beispiel: 1940 waren wir in Dunapentelee, dem heutigen Dunaújváros, predigen. Die Zonendiener rieten uns damals: ‚Brüder, wenn ihr predigen geht, geht allein, nicht zu zweit, denn wenn die Gendarmen euch erwischen, werdet ihr beide eingesperrt. Aber wenn ihr allein geht, finden sie den anderen vielleicht nicht. […] Wenn die Leute schon auf der Straße stehen, geht in eine andere Straße, denn da habt ihr schon Aufsehen erregt. Es könnte sein, dass euch dann einer bei der Gendarmerie anzeigt.‘ Folgendes geschah: Viele liefen auf die Straße, Männer und Frauen, und schauten auf mich Kind. Ich ging also in eine andere Straße, um zu predigen. Aber da standen die Leute auch schon auf der Straße […]. Also ging ich in die nächste Straße, aber auch da standen Leute auf der Straße. Nun konnte ich nicht mehr in eine andere Straße abbiegen, da ich bereits direkt in die Arme von zwei Gendarmen gelaufen war. Sie hielten mich sofort an und fragten, wohin ich ginge, wer ich sei, und ich sollte mich ausweisen. ‚Gehst du hier von Haus zu Haus in der Straße? Dann komm mit.‘ Sie nahmen mich fest und brachten mich auf die Gendarmerie. Die Ortsgendarmen damals waren sehr freundliche Leute. Die Frau des Offiziers, es gab damals Offiziersränge bei den Gendarmen, machte mir Mittagessen, während ich inhaftiert war. Sie waren natürlich neugierig darauf, wer mich gelehrt hat, welche Zeugen Jehovas ich kannte, mit wem ich predigen gegangen war. […] Sie erreichten nichts. Daraufhin holten sie einen Fahnder aus Budapest, der sich schon oft mit Zeugen Jehovas auseinandergesetzt hatte.“ Über dessen Vorgehen erzählte Szinger: „Er rief alle Leute aus der Straße zusammen, in der ich gepredigt hatte. Der Hof des Rathauses war schon voller Volk, und dann rief er einen nach dem anderen zur Anhörung herein und fragte: ‚Kennen Sie dieses Kind?‘ ‚Ja.‘ ‚War er bei Ihnen?‘ ‚Ja.‘ Wovon hat er gesprochen?‘ Es wurden verschiedene Meinungen geäußert. Einer sagte, er hat sehr schön von der Bibel, von Jesus, vom Reich Gottes gesprochen.‘ Mir wurde vorgeworfen, zwei Lager zu predigen. Damals sprachen wir tatsächlich von zwei Lagern, das eine bezog sich auf Satans Organisation, das andere auf Jehovas Organisation. Wer neben Satan bleibt, würde vernichtet werden. Wer sich auf die Seite Jehovas stellt, überlebt. Das haben sie allerdings verdreht. Sie meinten, es handele sich um die damaligen Mächte. Es hatte viel Bedeutung, sich an die Sei202 

MJTA, DOK-2239. Verhörsprotokoll vom 20.4.1943.

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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te Hitlers oder gegen ihn zu stellen.“203 Szinger bezeichneten sie markanterweise als „kleines rotes Brüderchen“.204 Szinger erklärte noch, dass sich der Fahnder als Zeuge Jehovas ausgab und seine Eltern aufsuchte, die nicht seinen Glauben teilten, um weitere Einzelheiten herauszufinden – jedoch ohne Erfolg. Szinger wurde vom Gericht in Székesfehérvár verurteilt. Nach seiner Freilassung setzte Szinger seine Tätigkeit fort.205

IV.  Aktionen in der Karpato-Ukraine, Oberungarn und Siebenbürgen Nach der Rückgewinnung der Karpato-Ukraine, Oberungarn wie auch großer Teile Siebenbürgens206 ging man dort gegen unerwünschte Bewegungen vor. So wurden Maßnahmen gegen kommunistische Organisationen eingeleitet wie auch gegen die, „die militärischen Interessen gefährdenden Sekten“.207 Gleichzeitig sorgte man für die Umsetzung der Judengesetze.208 Ein internes Schreiben des Verteidigungsministeriums vom 29. Mai 1940 wies auf diesen Umstand hin, wenn es zum einen feststellte, dass „bei der Umsetzung der am 2. November 1938 in Wien gefällten Entscheidung Ungarn am 14. März 1939 neue Gebiete in Besitz nahm [also das durch den ersten Wiener Schiedsspruch zugesicherte frühere Oberungarn bestehend aus Teilen der Slowakei und dem Südteil der Karpato-Ukraine]“, wobei eine Amnestie militärischer Straftaten erlassen wurde. Zu dem Zeitpunkt hatten die ungarischen Truppen bereits die restlichen Gebiete der Karpato-Ukraine annektiert. Gleichzeitig forderten die Mitarbeiter des Innenministeriums ein entschiedeneres und erfolgreicheres Vorgehen gegen „antimilitaristische Sekten / Nazarener, Jehova Gott Zeugen usw.“ mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln.209 Zudem hatte die Politische Abteilung der Budapester Polizei am 28. August 1940 festgestellt, die meisten wehrdienstverweigernden Zeugen Jehovas kämen aus diesen Gebieten und dass die Gemeinschaft in drei oberungarischen Bezirken oder Zonen die stärkste Aktivität entfalteten.210 Anfang 1940 waren bereits Meldungen 203 

Interview vom 14.9.2000 in Paks. Erinnerungsbericht (EB) Ádám Szinger vom 12.12.2001. 205  Interview vom 14.9.2000 in Paks. 206  Das Gebiet der Karpato-Ukraine unterstand zuvor teilweise tschechoslowakischer, teilweise Rumänischer Herrschaft. 207  Varga, Krisztián: Kommunistaellenes nyomozások a második világháború alatt Wayand Tibor önvallomásában [Bekenntnisse von Tibor Wayand zu Ermittlungen gegen Kommunisten während des Zweiten Weltkriegs]. In: Betekintő 2/2011. www.betekinto. hu/2011_2_varga_k (Zugriff am 5.7.2013). 208  Ebenda. Arhivele Naţionale ale României, Cluj-Napoca [ANR], 613/941. Z. B. Maßnahmen zur Entfernung von Juden aus dem Behördenapparat. 209  HM, 1940 eln. 13. 32. cs. Az.: 181/1940. Internes Schreiben vom 29. Mai 1940. 210  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 124 – 131. In der Zeit, da ein Teil der Karpato-Ukraine und Oberungarn zur Tschechoslowakei gehörte, war den Gemeinschaften mehr Freiheit eingeräumt worden als in Ungarn, obwohl es auch dort zu Problemen kam. Der deutsche Zeuge Jehovas George Bähr reiste nach dem Verbot in Deutschland zu Glaubensbrüdern in 204 

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zu Beregszász (ukrainisch Berehowe, Oberungarn) ergangen und 53 Zeugen Jehovas benannt worden.211 Auch in Siebenbürgen wurden Aktionen zur „Einstellung der Sektentätigkeit“ eingeleitet.212 Als im Herbst 1940 ein Teil Siebenbürgens an Ungarn zurückfiel, betraf das ein Gebiet, in dem es viele Zeugen Jehovas gab und wo sich auch ihre Druckerei befand – in Marosvásárhely (rumänisch Tîrgu Mureş).213

die Karpato-Ukraine, um sie zu unterstützen. In einem Dorf wollte er abends gegen 20 Uhr einen Vortrag halten, als sie „plötzlich durch harte Schläge an der Tür aufgeschreckt“ wurden. „Schon flog die Tür auf und herein traten zwei schwer bewaffnete Gendarmen. Beide hatten Pistolen in ihren Händen, die sie auf uns richteten und auf Tschechisch ‚Hände hoch‘ riefen. […] Ich blieb sitzen und fragte ruhig auf Deutsch: Was geht hier vor? Da ich Deutsch sprach, redeten nun auch die Gendarmen deutsch mit mir. Sie sagten, daß sie beauftragt wären, hier eine kommunistische Geheimversammlung aufzuheben. Es wäre eine Anzeige erstattet worden.“ Bähr konnte sich als Prediger der Wachtturm-Gesellschaft, Prag ausweisen, auf dem die Bitte an Behördenvertreter vermerkt war, ihn in seiner Arbeit zu unterstützen. Darauf entschuldigten sich die Gendarmen, setzten sich an den Tisch und erklärten „offen, daß die Anzeige vom dortigen Geistlichen erfolgt war“, der sie mit dem Pferdewagen aus der Kreisstadt abgeholt habe und noch vor der Tür warte. Am nächsten Morgen erschienen die beiden Gendarmen wieder und baten Bähr, ihnen zum Landrat zu folgen, da der Geistliche die Papiere für eine Fälschung hielt. Beim Landrat legte Bähr ein Empfehlungsschreiben des tschechischen Konsulats aus Magdeburg vor, das auch anerkannt wurde. Dennoch musste er, weil er sich nicht angemeldet hatte. Der Familie, wo er untergebracht war, wurde eine sehr hohe Geldstrafe auferlegt und, weil sie die nicht zahlen konnte, „die einzige Kuh weggenommen“. Bähr berichtete von einem ungarischen Dorf „mit etwa knapp 500 Einwohnern, von denen sich etwa 300 zur Wahrheit bekannten“. Kein Wunder, dass die Behörden auf die Gemeinschaft aufmerksam wurden. WTA, LB George Bähr, um 1970. 211  MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 8, 9. 212  ANR, 163/941. Dossier zur „Einstellung der Sektentätigkeit“. 213  Hier hielten sich auch der Landesdiener Rumäniens, der ungarischstämmige Márton Magyarosi, und sein Mitarbeiter Pamfil Albu auf, die von da aus die Tätigkeit in Rumänien organisierten, bis sie 1942 ebenfalls inhaftiert wurden. Magyarosi soll aus dem Gefängnis weiter koordinierend tätig gewesen sein. WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 15.6.1993, S. 25. Magyarosi hatte sein Büro von Bukarest nach Siebenbürgen verlegt, da dort die meisten Glaubensangehörigen lebten. Dies., Jahrbuch 2006, S. 95. Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 330 f. Auch in Rumänien selbst wurde, nachdem es auch wegen der Gebietsabtretungen 1940 zu einem Machtwechsel gekommen war – neben Nordrumäniens, das an Ungarn zurückfiel, verlor man die Nordbukowina und Bessarabien an die Sowjetunion – unter Marschall Ion Antonescu ein faschistisches System eingeführt und die Verfassung außer Kraft gesetzt. Unter ihm wurde am 9. September 1940 alle Religionsgemeinschaften verboten, da „die Sekten einen schlechten Einfluss auf das Staatsleben ausüben“, „unpatriotisch“ und „Kommunistenfreunde“ sein. Zitiert nach Fazekas, kisegyházak, S. 171. Dirksen, doppelte Diktaturerfahrung, S. 331 f. Zugelassen wurden nur einige wenige Kirchen, deren Glaubensansichten und Riten nicht von denen der historischen Kirchen abwichen. Dazu wurden die rumänisch-orthodoxe Kirche, die römisch-katholische Kirche, die reformierte Kirche, die griechisch-katholische Kirche, die evangelische Kirche und die unitarische Kirche gerechnet. Vgl. Porsche-Ludwig, Markus/Bellers, Jürgen (Hrsg.): Handbuch der Religionen der Welt. Bd. 1. Nordhausen 2012. (Zugriff am 16.2.2013).

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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Parallel zu den Ermittlungen gegen Anhänger der verbotenen Gemeinschaften wurden in der Karpato-Ukraine ab Oktober 1939 Fahndungen nach Kommunisten eingeleitet. Als Zentren politisch unerwünschter Bewegungen galten Ungvár, Munkács, Huszt und Beregszász. Binnen zwei Wochen wurden fast 300 Kommunisten festgenommen. Gegen 63 von ihnen wurden Untreue-Verfahren eingeleitet, weitere 131 kamen aus unterschiedlichen Gründen vor das Militärgericht in Kassa. Der Rest wurde interniert.214 In Zusammenarbeit mit der Budapester Polizei wurden im April 1940 in Oberungarn zwischen 100 und 150 und in der Karpato-Ukraine über 400 Kommunisten festgenommen. Der Militärgeneralstab sprach am 28. Juni 1940 von 815 Inhaftierten. Berichten zufolge sollten die Gefangenen vom Fünferrat in Debrecen verurteilt werden, was wegen der großen Anzahl nicht umsetzbar war. Deshalb kam es daneben zu Verurteilungen in Kassa, Ungvár und Munkács. Viele Verurteilte wurden später in Arbeitskommandos eingesetzt.215 Da den Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften, vor allem den Zeugen Jehovas, immer wieder der Vorwurf der Kommunismus-Zugehörigkeit gemacht wurde, ist das Wissen um diese Entwicklungen nicht uninteressant. Auf die Zeugen in dem Gebiet wurden die Behörden wiederum ebenfalls durch Verhörsprotokolle von Militärdienstverweigerern wie das von Mihály Balkó (aus der Gegend von Beregszász) aufmerksam.216 Aus Balkós Aussage ging hervor, dass er, nachdem er der Musterung ferngeblieben war, am 29. Mai 1940 die Papiere bei der Musterung nicht angenommen hatte. Er, Frau und Tochter waren seit 1929 Zeugen Jehovas (vorher griechisch-katholisch). Er war zu dem Schluss gekommen, keine Waffe in die Hand zu nehmen, da er Gottes Gesetzen gehorchen wollte. Auf die Frage, wo die Zentrale der Gemeinschaft sei, erklärte er schlauerweise in New York, USA.217 Die Meldungen häuften sich. Um die Ausbreitung und weitere Tätigkeit der Gemeinschaft, den umfassenden Informationsfluss der Behörden, ihr zielgerichtetes Eingreifen und die Folgen der Aussagen von Verweigerern darzustellen und die Zusammenhänge zu erkennen, sollen nachstehend mehrere solcher Ermittlungsverfahren und Erhebungen detaillierter untersucht werden. Bereits 1939 war der 21-jährige Zeuge Jehovas Károly Bolyog218 wegen Befehlsverweigerung vom MG Kassa zu 6 Monaten erschwerter Haft verurteilt worden. Bei der Wiedereinberufung nach seiner Haftentlassung am 1. März 1940 verweigerte er am selben und dem darauf folgenden Tag erneut die Waffenannahme, wovon das Innenminis214  Pintér, István: A Horthy-rendszer II. Világháború alatti antifasiszta meghurcoltjai és áldozatai [Antifaschistische Verschleppte und Opfer des II. Weltkriegs]. In: Magyar ellenállók [Ungarische Widerständler]. S. 58 – 79, hier S. 61 f. 215  Den beiden Anführern Zoltán Schönherz und Sándor Szekeres mit engen Verbindungen zur Komintern gelang die Flucht in die Sowjetunion. Ebenda, S. 64 ff. 216  HM, 1941 eln. 13. 4333 cs. 457.672. Information an den Innen- und den Verteidigungsminister vom 5.5.1940. 217  Ebenda, 1940 eln. 13. 3517 cs. 53272. Ebenda, 1940 13 oszt. 4660 cs. 457672. 218  Sohn von János Bolyog.

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terium am 23. April 1940 informiert wurde.219 Károly Bolyog hatte bereits beim Verhör im Oktober 1939 erklärt, dass es in der Gegend von Beregrákos sehr viele „Konfessionslose“ gäbe, darunter auch Zeugen Jehovas wie seine Brüder Endre und János.220 Auch der namensgleiche, nicht verwandte, am selben Tag eingezogene „konfessionslose“ Károly Bolyog,221 ebenfalls etwa 20 Jahre alt, beide Eltern verstorben, hatte den Dienst verweigert. Wie er erklärte, würde man die Konfessionslosen im Allgemeinen auch als Zeugen Jehovas bezeichnen, zu denen auch er und sein gesetzlicher Vertreter Dr. M. Sándor gehöre, wobei sie sich nicht gegenseitig beeinflusst hätten. Er erklärte entschieden, bis zu seinem Tod keinen Militärdienst leisten zu wollen.222 Die Verhörsprotokolle der Namensvetter waren am 10. November 1939 an den Innenminister gegangen. Diese Meldungen mögen zwar für die Verbotsentscheidung im Dezember 1939 mitverantwortlich gewesen sein, aber gegen die Glaubensanhänger in dem Gebiet war das Innenministerium daraufhin wohl noch nicht direkt vorgegangen. Am 5. Mai 1940 erfuhr man dann von der Verweigerungshaltung des Zeugen János Balkó ebenfalls aus Transkarpatien,223 am 27. Mai von der des Zeugen János Jancsó aus Bező in Oberungarn (slowakisch Bežovce).224 Die Zeugen Jehovas Péter Gabóda und László Drága, aus Mezőterebes (ukrainisch Strabychowo), hatten in Munkács im April 1940 bei einer Musterung die Annahme des Gestellungsbefehls verweigert, da sie damit verpflichtet wären, Militärdienst zu leisten. Drága erklärte, er habe 1934 von einem unbekannten russischsprachigen Mann eine Bibel und 1935 und 1936 „von Haus zu Haus gehenden ebenfalls unbekannten russischsprachigen Brüdern“ die Broschüren „Wo sind die Toten“ und „Der gerechte Herrscher“ kostenlos erhalten. Daraus habe er Gottes Gesetze kennengelernt, das heißt als „oberstes die Liebe zum Nächsten und die Achtung vor dem Leben des anderen“. Davon sei er so begeistert gewesen, dass er in anderen Orten (in Dávidháza und Gorond) gepredigt und die vorgenannten Broschüren weitergegeben habe. Er erklärte, den „Waffendienst und jeden damit in Verbindung stehenden Befehl auch in der Zukunft zu verweigern“. In seinem Haus hätte es bis zum Herbst 1939 Zusammenkünfte gegeben, woran auch die Mitinhaftierten Mihály Balkó, László Károly und János Balkó teilgenommen hätten.225 Drága wurde im Juli 1940 zu 1 Jahr 6 Monaten Haft verurteilt, das Verteidigungs- und Innenministerium wurden informiert.226 Am 27. Mai verweigerte der Zeuge Jehovas Endre Orosz aus Nagyberg (Slowakisch Brehy, gehört heute zur Ukraine als

219 

Diese Information ging am 23.4.1940 an den Innenminister. K150-VII-6 – 1939. Verhörsprotokoll der Gendarmerie Nagylucska (bei Beregszász) vom 28.10.1939. 221  Sohn von Sándor Bolyog. 222  MJTA, DOK-2577. Verhörsprotokoll der Gendarmerie Nagylucska (bei Beregszász) vom 28.10.1939. 223  HM, 1940 13 oszt. 4660 cs. 457672. 224  Ebenda, 1940 eln. 13. 3508 cs. 455.031. 225  Ebenda, 1940 eln. 13. 3814 cs. 413.226. 226  Ebenda. Ferner ebenda, 1940 eln. 13. 5557 cs. 31.026. 220 MOL,

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Velyki Berehy) den Dienst an der Waffe.227 Orosz gab an, dass er in seiner Heimat neben seiner Frau nur zwei weitere Zeugen Jehovas namentlich kenne, mit denen er gemeinsam in der Bibel lese. Er erklärte, er habe 1932, als Nagybereg noch zur Tschechoslowakei gehörte, die Lehre kennengelernt, da er an der Tür eine „Károli Bibel“228 gekauft hatte. Erst 1939 sei ihm klar geworden, dass er keinen Waffendienst leisten könne, obwohl er ihn früher geleistet habe. Auf die Frage, wer die Bibel hergestellt habe, konnte er nichts erwidern.229 Die Frage nach dem Herausgeber der Bibel lässt vermuten, dass man gewillt war, die Herstellung und Verbreitung von Bibeln zu unterbinden. Auch János Plantis aus Alsóapsa (heute Ukraine: Nyzschnja Apscha) 20 km von Técső im Komitat Máramaros (Maramuresch),230 verweigerte im Juni 1940 den Waffendienst und den Eid.231 Offensichtlich wurden alle Vorgänge dem Innenministerium gemeldet. Lediglich in einem Fall gibt es einen Hinweis, dass das nicht nötig sei. Dabei handelt es sich um den Zeugen Jehovas János Martinovszki der zunächst von Juni bis September 1940 noch Militärdienst geleistet hatte, da er sich der biblischen Lehren nicht klar gewesen sei, dann aber seinem Gestellungsbefehl zum 19. Juni 1941 nicht Folge leistete, daraufhin zwangsvorgeführt wurde, erklärte, keiner politischen Partei oder staatsfeindlichen Organisation anzugehören und auch keinen Dienst ohne Waffe leisten zu wollen. In einer Pro-Domo-Notiz zu dem Fall hieß es, dass die Angaben im Ermittlungsverfahren für den Innenminister nicht interessant seien und ihm nicht zugesandt werden müssten.232 Das ist aber nicht zu verallgemeinern, da noch danach regelmäßig dem Innenminister berichtet wurde. Das Innenministerium, Abteilung VII., Öffentliche Sicherheit, wandte sich am 31. Juli 1940 an den Oberstuhlrichter von Beregszász mit Bezug auf die Verbotsverfügung 363.500/1939 und das Verfahren gegen Endre Orosz und forderte eine Stellungnahme von der Behörde, was bisher gegen die Tätigkeit der Zeugen Jehovas unternommen worden war und „den Grund dafür, dass die Auflösung der Sekte bis jetzt nicht geschehen ist“.233 Bei diesem Schreiben des Innenministeriums verwandte es den allgemeinen Vordruck, in dem nur der Name eingesetzt werden musste. In seiner Responz erklärte der Oberstuhlrichter von Beregszász am 14. August 1940 dem Innenministerium, erfolgreich gegen die Gemeinschaften vorgegangen zu sein, denn er habe „die Tätigkeit der benannten Sekten“ am 27. Dezember 1939 eingestellt. Er habe auch die Notare und Gendarmeriekommandanturen angewiesen, das zu überwachen. Der Aussage des Nagybereger Notars zufolge wurde die Tätigkeit der „Sekte der Jehova Gott Zeugen“, die unter „tschechischer Besetzung tätig waren“, eingestellt und den neueren Ermittlungen der Gendarme227  MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 40. Schreiben an den Innenminister am 18.7.1940 mit Übersendung des Verhörsprotokolls. 228  Eine verbreitete ungarische Bibel. 229  Ebenda, Bl. 18 f., 42 f. 230  Hier lebten vor allem Russinen (od. Ruthenen), Rumänen Deutsche und Ungarn. 231  HM, 1940 13 oszt. 3810 cs. 486.466. 232  Ebenda, 1941 13 oszt. 4669 cs. 546.115. 233  MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 41.

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riekommandantur von Nagybereg zufolge seien dort keine Sekten mehr tätig. Um das auch weiterhin zu gewährleisten, habe er an diesem Tag nochmals alle Notare und Gendarmeriekommandanten zur strengsten Kontrolle aufgerufen.234 Doch er sollte sich getäuscht haben. Keine Woche später, am 23. August 1940, wandte sich das Innenministerium erneut mit einer ebensolchen Anfrage, Az. 12.623, an den Oberstuhlrichter von Beregszász.235 Vorausgegangen war die Wehrdienstverweigerung des Zeugen Jehovas Bertalan Molnár, worüber das Verteidigungsministerium am 6. August 1940 nebst Verhörsprotokoll informiert hatte.236 Und das Innenministerium blieb hartnäckig, hatte den Fall auf Wiedervorlage und fragte am 20. November 1940 beim Oberstuhlrichter von Beregszász an, mit Bezug auf das Schreiben, Az. 12.623, und forderte „eiligst zu berichten“.237 Das Beregszászer Polizeipräsidium berichtete am 9. Dezember 1941 dem Innenminister, dass die Siebentagsadventisten als auch die Zeugen Jehovas untersagt seien.238 Nicht nur, dass der Beamte hier nicht erkannte, dass es sich bei den Ungarischen Bibelnachfolgern um die Nachfolgeorganisation der STA handelte, scheint seinen Untergebenen auch die weitere, heimliche, Tätigkeit der Zeugen Jehovas entgangen zu sein. Parallel erging am 30. September 1940 ein Bericht des Oberstuhlrichters von Szolyva (ukrainisch Szwaljawa, 30 km von Munkács/Munkatschewe) an das Innenministerium, der auf die Problematik verwies, dass mit einem Tätigkeitsverbot nicht gleichzeitig eine Überzeugungsänderung der Glaubensangehörigen einherging. Der Oberstuhlrichter berichtet, bereits 1939 Maßnahmen gegen die „Sekten ergriffen zu haben“, wobei er alle Gendarmeriekommandanturen am 30. Dezember 1939, am 29. Januar 1940, am 10. April, am 15. Juli und am 19. August 1940 angewiesen hatte, „das Zusammenkommen der Nazarener, der Adventisten, der Siebententagsadventisten, der Sabbatarier, der Jehova Gott Zeugen, der Gottesversammlung, der Urchristen, der Pfingstler sofort zu verbieten und ihre Tätigkeit zu unterbinden“. Die daraufhin „eingehenden Berichte wie auch meine eigenen Beobachtungen bestätigen, dass sie im ganzen Gebiet aufgelöst wurden und ich habe alle mir untergebenen Behörden angewiesen, auch eventuell geheime Zusammenkünfte unbedingt aufzudecken und Verfahren einzuleiten“. Dass es dennoch immer noch solche gäbe, die sich „als Sektenmitglieder bezeichnen, ist die Folge der früheren Sektentätigkeit“. Er versicherte, auch in Zukunft alles daran zu setzen, die „Tätigkeit der Sekten nicht nur zu beenden, sondern die Gläubigen zu veranlassen, von sich aus die gefährlichen Irrlehren aufzugeben“. Das sei jedoch in dieser kurzen Zeit unmöglich.239 Am 8. März 1941 berichtete man dann, dass es in der Gemeinde Beregrákos „ungefähr 110 verbotene Mitglieder der Sekte“ gäbe, die 234 

Ebenda, Bl. 20, Bl. 39, Az. 7.110/1939. Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230. 236 Ebenda. 237 Ebenda. 238  Ebenda, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000 XI./November, Bl. 606, 608. 239  MJTA, DOK-1804. 235 

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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sich „heimlich in Privathäusern versammeln“. Die Grenzaußenstelle von Szolyva habe „gegen alle Sektenangehörigen Verfahren eingeleitet“.240 Offensichtlich wurden kurze Zeit später alle Zeugen Jehovas im Lager Nagykanizsa interniert, wie aus dem Verhörsprotokoll von dem Verweigerer Lajos Deák aus Szolyva vom Juni 1941 hervorgeht.241 Schon am 29. August 1940 ging die nächste Meldung über einen Totalverweigerer, den Zeugen Iván T.,242 aus Transkarpatien ein, aus Volóc (Wolowez).243 T. hatte dem Stellungsbefehl nicht Folge geleistet. Namen nannte er keine im Verhör.244 Der Totalverweigerer Mihály P. aus Szentmihálykörtvélyes (Oberungarn, Slowakei)245 war erst im Januar 1939 ein Zeuge Jehovas geworden, und gab an, zuvor im tschechischen Heer gedient zu haben. Am 23. Mai 1940 hatten ihn die Gendarmen abgeholt; er verweigerte die Einkleidung und die Eidesablage und erhielt Arrest. Wahrscheinlich nicht ahnend, welche Folgen seine Aussage haben sollte, nannte er einige Namen wie László Kusztra und Demeter Macola.246 Kurz darauf war auch der im Verhörsprotokoll von P. benannte Demeter Macola (aus der Gegend von Beregszász) betroffen, wohl aber nicht, weil er dort benannt worden war, dazu war der Zeitabstand zu kurz. Nachdem Macola den Dienst nicht angetreten hatte, war er am 28. Mai 1940 von den Gendarmen aus Alsóapsa abgeholt worden, hat dann die Waffenannahme und den Eid verweigert. Er sagte aus, seit 1935 Zeuge Jehovas zu sein (war vorher griechisch-katholisch) und 1936 von „russisch sprechenden ‚Brüdern‘ 2 Broschüren (Wo sind die Toten / Gottes Königreich) erhalten“ zu haben. Nachdem er diese studiert habe, war ihm klar, das die Liebe zum Nächsten nicht zum Militärdienst passe.247 Macola wurde zu 18 Monaten Haft verurteilt. Zu Beginn des Jahres 1942 verweigerte er erneut den Dienst. Im Verhörsprotokoll vom 5. Februar 1942 erklärte er, er würde menschlichen Gesetzen nur so lange gehorchen, wie sie nicht gegen Gottes Gesetze verstießen.248 Über die Zeugen László Kusztra, und András M. aus Szentmihálykörtvélyes (Hrushovo, Transkarpatien in der Nähe von Técső) erging am 9. September 1940 Meldung an den Innenminister, da gegen sie nach § 181 GA II/1939 wegen Nichtantreten des Stellungsbefehls zum Arbeitsdienst ermittelt und vom MG Kassa Anklage erhoben wurde. Ob Kusztra wegen der Nennung seines Namens im Ver-

240  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  152 – 155. Möglicherweise war von dieser Aktion auch der Zonendiener Molnár betroffen und festgenommen worden. 241  Ebenda, Bl. 81 f. 242 Auch Iván Timkovits. 243  Szolyva (30 km entfernt), Bereg (90 km von Beregszász/Bereghove). 244  Ebenda, K149 – 1940 – 7 – 5018, Bl.  47  ff. Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  88  f. 245  Bis 1899 Körtvelyes (erscheint häufig so in den Akten). 246  HM, 1942 ált. 13. 5553 cs. Hb.235/40/7. 247  Ebenda, 1940 eln. 13. 3814 cs. 248  Ebenda, 1942 13 oszt. 5557 cs. (?). Ebenda, 1942 13 oszt. 5555 cs. Hb. 1855/41. (Meldung an den Innenminister). Macola war bereit in der Wirtschaft oder im Forst zu arbeiten.

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hörsprotokoll von P. herangezogen wurde, ist nicht eindeutig, liegt aber nahe.249 Gemäß den Verhörsprotokollen war den Betreffenden nicht klar gewesen, dass es sich um eine Einberufung zum Arbeitsdienst gehandelt hatte, sie waren von Militärdienst ausgegangen. Im Verhör sagte M. aus, er sei vor einem Jahr mit rund 100 aus der Umgegend getauft worden.250 Auch wenn er keine Namen nannte, dürfte diese Auskunft die Behörden in ihren Ermittlungen bestätigt haben. Auf die im September über den Fall ergangene Meldung, hatte sich der Innenminister offensichtlich postwendend an den Oberstuhlrichter von Técső gewandt.251 Dieser erklärte auf die Anfrage 13.428/1940 des Innenministers, Abt. VII, am 12. Oktober 1940, er habe mit Verweis auf die Verbotsverfügung 363.500/1939 „die Tätigkeit der Sekte der Jehova Gott Zeugen in der Gemeinde Szentmihálykörtvélyes verboten, die Sekte aufgelöst und deren kleinen Besitz beschlagnahmt“. Er musste eingestehen: „Dennoch lebt die Sekte heute noch und organisiert sich heimlich, da die fanatischen Anhänger nicht von heute auf morgen auf den rechten Weg zurückgebracht werden können, besonders deswegen, weil das Volk die heimlichen Zusammenkunftsorte nicht verrät und die Gendarmen nach ihnen nur unter schwierigen Umständen ermitteln können.“ Er empfahl, die Leiter zu internieren, da sie auch durch schwerste Repressionen nicht einzuschüchtern waren.252 Tatsächlich lassen sich noch 1941 Anhänger der Gemeinschaft nachweisen. Zum Beispiel trat Bálint Sz. der im März, April zusammen mit seiner Frau, mit István Sz. aus Visk und weiteren Zeuginnen Jehovas vom Oberstuhlrichter Técső zu einem Monat Haft aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit verurteilt worden war, im August 1941 den Gestellungsbefehl nicht an. Offensichtlich wurde er von den Ermittlern mehrfach aufgefordert, Namen zu nennen, weshalb sich im Verhörsprotokoll des MG Kassa vom 23. September 1941 gleich mehrere Passagen finden, in denen er das verneint. So erklärte er: „Namentlich kann ich nicht benennen, wer in Visk [Karpato-Ukraine] die Lehren ‚Jehovas‘ befolgt, Versammlung hatten wir weder in der Vergangenheit noch zurzeit, mir ist auch nichts von irgendeinem Leiter der Gemeinschaft in Visk bekannt.“ Abschließend betonte er nochmals, niemanden benennen zu können, auch hätten keine Zusammenkünfte stattgefunden, bei denen es um religiöse Fragen ging.253 Ein anderes Beispiel liefert der Reservist József Vajda, der am 6. August 1941 seinen Gestellungsbefehl erhielt. Er erklärte im Verhör, von seinem Vater belehrt worden zu sein, durch die Bibel ein besserer Mensch zu werden: „Ich war vorher Alkoholiker und unordentlich. Danach habe ich auch die Bibel gelesen 249  Kusztra war bereit, Arbeitsdienst zu verrichten, der nicht Kriegszwecken diente. Er sei seit etwa 12 Jahren ein Zeuge Jehovas und habe seine Überzeugung aus der Bibel und aus Zeitschriften. Waffendienst wollte keiner von beiden leisten, genau so wenig den Eid ablegen. 250  M. gab an, seit etwa 4 Jahren dem Glauben anzugehören, er habe seinen Glauben aus einer Zeitschrift. Er sei in Verbindung mit der Einberufung zum Arbeitsdienst bereit, Arbeit zu verrichten, allerdings nur, insofern diese „nicht direkt Kriegszwecken dient“. 251  Ebenda, 1940 eln. 13, 3517 486.332. 252  MOL, K149 – 1941 – 9 – 8230 (?), Bl.  165. 253  HM, 1941 eln. 13 oszt. 43339 cs. 67022.

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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und gemerkt, dass ich ein unnützer Mensch bin, und dem Beispiel meines Vaters folgen will. […] In der Gemeinde ist unsere Familie in der Sekte JZ: ich und meine Frau, Erzsébet U., meine Kinder: Miklós (17), Erzsébet (14) und Aladár (5), ferner meine Geschwister: Sz. Jánosné geb. Ilona V., Witwe V. Györgyné geb. Mária V. und János Sz. In der Gemeinde halten wir keine Zusammenkünfte ab, weil das verboten ist. Da wir aber Verwandte sind, kommen wir zusammen, und dann singen wir zur Verherrlichung Gottes. Ich bin kein Mitglied irgendeiner politischen Partei, antinationalen oder staatsfeindlichen Organisation. Ich bin nicht bereit, irgendeinen Militärdienst zu verrichten, noch nicht mal waffenlosen.“254 Wie seine Aussage zeigt, fanden die Glaubensangehörigen noch immer Wege zusammenzukommen. Deutlich wird auch ihre neutrale, nicht staatsfeindliche Haltung. Das MG Kassa meldete Pál V. am 8. Oktober 1940 dem Innenminister mit beigefügten Verhörsprotokoll vom 26. September 1940, aus dem hervorging, dass er nur zum waffenlosen Dienst bereit sei.255 Im Verhörsprotokoll finden sich Namen von Zeugen Jehovas aus Székó und Zahár (im Dokument handschriftlich umrandet). Auch erklärte V., dass es bis zum März 1940 noch Zusammenkünfte in verschiedenen Wohnungen gegeben hätte (die Einlassung zu den Zusammenkünften ist ebenfalls unterstrichen). Der Innenminister wandte sich – wieder mit einem Vordruck – am 24. Oktober 1940 an den Oberstuhlrichter von Szobránc (slowakisch Sobrance) und fragte nach, wieso in Székó und Zahár noch immer Zeugen Jehovas tätig seien, was er dagegen getan habe und „aus welchem Grund die Sekte noch nicht aufgelöst ist“.256 Am 26. Dezember 1940 kamen Aktivitätsmeldungen wie z. B. über Mária M. und Adél M. aus Jolsva (solwakisch Jelšava, deutsch Eltsch), die in der Umgegend „Haus zu Haus gehend die Lehren der Sekte ,Zeugen Jehova Gottes‘ verkündet haben“, weswegen sie angezeigt wurden.257 Der Oberstuhlrichter von Szobránc erklärte am 4. Februar 1941: „Nach dem Verbot ist keine offene Tätigkeit in Székó und Zahar mehr feststellbar“, obwohl es noch Zeugen Jehovas gäbe. Die Gendarmen würden ständig kontrollieren.258 Ob der vielen Meldungen aus der Karpato-Ukraine blieb das Innenministerium an den örtlichen Behörden dran. Nachdem der Vizegespan von Beregvár mit einem der üblichen Vordrucke zum Rapport über die „Tätigkeit staats-, gesellschafts- und militärgefährdender Sekten in der Gemeinde Vári“ aufgefordert worden war, hakte das Ministerium, Az. 12.623/1940, im April 1941 nach: „Ich teile dem Herrn Vizegespan zur Erledigung und Berichterstattung mit, dass ich am 23. August 1940, mit 254 

Ebenda, 1943 eln. 13 oszt. 5689 cs. 465.702. V. war zunächst dem Stellungsbefehl wegen Ernteeinbringung nicht nachgekommen. Danach aber habe er erklärt, keine Uniform anzuziehen, keine Waffe anzunehmen und den Eid nicht abzulegen. Er erklärte, er sei zwar nun bereit, eine Uniform anzuziehen, zur Annahme von Waffen oder anderen Kriegsgeräten, mit denen Menschenleben ausgelöscht werden, sei er nicht bereit, er sei lediglich bereit, waffenlosen Dienst zu verrichten. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 202 – 205. HM, 1941 13 oszt. 4675 cs. 530.495. 256  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 202 – 205. HM, 1941 13 oszt. 4675 cs. 530.495. 257  MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8. 258  Ebenda, 1941 – 8 – 5230, Bl.  200. 255 

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Az. 12.623/1940 an den Obergespan von Beregvár eine Aufforderung ergehen ließ“ bezüglich der nicht anerkannten mit VO 363.500/1939 verbotenen „Jehova Gott Zeugen“.259 Am 20 September 1940, Az. 12.623/1940, hatte das Innenministerium bereits mit Bezug auf sein Schreiben vom 23. August 1940 Antwort angemahnt und die Sache zur Wiedervorlage am 1. April 1941 beordert, offensichtlich aber keine Response erhalten.260 Schließlich meldete sich der Oberstuhlrichter von Beregszász am 1. Mai 1941261 zur „staats-, gesellschafts- und militärfeindlichen Sek­ tentätigkeit in der Gemeinde Vári“ mit Bezug auf Az. 12.623/1940 und erklärte: „In der durch den Vizegespan vorangetriebenen Sache teile ich […] mit, dass die weiteren Unterlagen aus meinem Büro auf unerklärliche Weise abhanden gekommen sind. Ich habe die Leitung am 26. November 1940 übernommen, da jedoch aber auch das gesamte Personal ausgetauscht wurde, konnte der Verbleib der Papiere durch das zuständige Personal nicht aufgedeckt werden.“ Ein peinlicher Fauxpas und der Oberstuhlrichter erklärte entschuldigend, obwohl er die Verfügung nicht kenne, sei er der Sache nachgegangen und gegen die „verbotene Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘“ aktiv geworden. Aus der Gemeinde Vári hätte er fünf Personen, aus der Gemeinde Halábor zwei Personen interniert und sie noch im Februar der Verschubungsabteilung überstellt. Die Internierungsunterlagen wolle er übersenden. Er beteuerte, „dass die Internierung in der Gemeinde Vári bei den weiteren Sektenmitgliedern positive Auswirkungen“ habe, da mehrere bereits ihre Rückkehr in die reformierte Kirche angekündigt hätten und auch bereit seien, Militärdienst zu leisten. Er teilte ferner mit, dass es „in der Gemeinde Nagymuzsaly noch Sektenanhänger“ gäbe, gegen die er Verfahren eingeleitet habe; vier von ihnen würden ebenfalls interniert.262 Am 4. Mai 1942 dann konnte das Beregszászer Polizeipräsidium berichten, dass „sektiererische Bewegungen / besonders die über internationale Verbindungen verfügende, eventuell antimilitärische, die Gütergemeinschaft oder freie Liebe propagierende, in religiösen Deckmantel gehüllte Bewegungen“ nicht mehr beobachtet wurden.263 Abgesehen davon dass dieser Versuch der Klassifizierung durch die Behörden noch immer eklatant falsch war, darf bezweifelt werden, dass damit die Tätigkeit tatsächlich eingestellt wurde. Immerhin aber hatte das Innenministerium ein Vorgehen der örtlichen Behörden erreicht. Dieser Vergleich der Unterlagen des Innenministeriums und des Verteidigungsministeriums, die Gegenüberstellung von Verhörsprotokollen und Aktivitäten der Behörden macht das Prinzip der Vorgehensweise klar und belegt die Effektivität des Zusammenspiels der oberen Behörden. Kam es zu einem Verfahren gegen Wehrdienstverweigerer, wurde vom Verteidigungsministerium dem Innenministerium wie bereits in den Jahren zuvor berichtet. Dieser fragte nunmehr bei den unteren örtlichen Behörden nach, welche Maßnahmen ergriffen wurden, und 259 

Ebenda, Bl. 16 f. Ebenda, Bl 5. 261  Az. 25/1941. 262  Ebenda, Bl. 18. 263  Ebenda, 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IV./April, Bl.  486. 260 

E.  Weiteres Vorgehen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener

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verfolgte die Angelegenheit hartnäckig weiter, bis die Behörden zur Zufriedenheit des Ministeriums tätig wurden. Da in den zurückgewonnenen Territorien wie Oberungarn und der Karpato-Ukraine die Maßnahmen der ungarischen Behörden der 1920er- und 1930er-Jahre nicht hatten greifen können und die tschechoslowakischen Behörden nicht so streng vorgegangen waren, gab es dort blühende Gemeinden mit starker Aktivität. Das schnelle, konkrete und flächendeckende Vorgehen gegen die Gemeinschaften der Zeugen Jehovas und der Nazarener konnte durch die aufgrund der Verordnungen von Innen- und Verteidigungsministerium zusammengestellten und weitergegebenen Informationen wirkungsvoll gesteuert werden. Auch ein Schreiben des Innenministeriums, Abteilung VII, wahrscheinlich von Ende August/Anfang September 1940 in Sachen Aktivitäten kommunistischer Bewegungen in den zurückgewonnenen Gebieten, das sich an die Budapester Oberstadthauptmannschaft, die Polizeikommandanturen auf dem Lande und die Gendarmerie Ermittlungskommandantur in Budapest richtete, belegt die enge Zusammenarbeit der Behörden bei der Ermittlung und Aufdeckung von Fällen in Sachen Untreue – ein später auch gegen Mitglieder kleiner religiöser Gemeinschaften erhobener Vorwurf –, da die in der Untreue ermittelnden „K“-Organe und die die kommunistischen Organisationen verfolgenden sicherheitsdienstlichen Behörden, 264 auf einen Wissensaustausch und enge Zusammenarbeit nicht verzichten könnten. Unterstützt wurde die Effektivität durch die regelmäßige Berichterstattung der lokalen Behörden, die an die Politische Polizei ergingen, dort zusammengefasst und dem Innenministerium vorgelegt wurden.265 In Verbindung mit den Meldungen des Verteidigungsministeriums aus dem Norden wie aus der Gegend von Alsóapsa oder Szentmihálykörtvélyes fiel des Öfteren die Bezeichnung „Pokait“. Z. B. hieß es, der nur rumänisch sprechende János O. aus Alsóapsa, der sich für die Lehren der Zeugen Jehovas interessierte und am 13. November 1940 vom MG Szeged wegen Befehlsverweigerung zu 5 Monaten verschärfter Haft verurteilt wurde, gehöre der „Pokait-Sekte“ an.266 Sein Verhörs­ protokoll vom August 1940 war an den Innenminister gegangen mit dem Hinweis, dass der Angeschuldigte seit 1929 dieser Gemeinschaft angehöre, die ihre Publi-

264  Ebenda, K149 – 651-f-5 – 22 – 11843 – 1940. Zusammenarbeit bei der Ermittlung in Sachen Untreue und kommunistische Organisation. Dieses Schreiben wurde von der Budapester Polizei am 5. September an die unteren Behörden im Land weiterleitet. 265  Ebenda, K150-VII-6 1940, Bl. 1 ff. Zum Beispiel der Bericht zur „Sektenbewegung“ vom 20.12.1940 zum November wonach eine große Anzahl namentlich benannter Zeugen Jehovas (Männer wie Frauen), gegen die wegen Predigens von Haus zu Haus in der Gegend von Szolnok (Südostungarn) (1  Mann, 1  Frau), im Bereich Győr (Nordwestungarn) (1 Mann) und Pápa (Nordwestungarn) bzw. wegen wiederholten Abhaltens von Zusammenkünften und Bibellesens im Bereich Ugod (4 Frauen, 4 Männer), wegen Besitz von verbotenen Presseartikeln und wiederholten Predigens in Pápa und Verbreitung von antimilitaristischer Propaganda in Semjén/Ricse (Nordostungarn) (12 Frauen, 7 Männer). Strafverfahren wurden eingeleitet. 266  HM, 1941 13 oszt. 517.142.

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kationen aus Prag beziehe.267 Im Urteil des MG Szeged vom 11. Oktober 1940 hieß es dann, dass er Bibeln und religiöse Publikationen aus Budapest erhalten habe. Er erklärte ferner, dass in seinem Dorf die Zeugen heute noch zusammenkämen und nannte einige Namen. Nachdem er 19 Tage Arrest verbüßt hatte, hätte er sich freiwillig einkleiden lassen und die Waffe angenommen. Seiner Erklärung nach habe er in der Bibel nicht gelesen, dass Militärdienst nicht erlaubt sei, sondern nur das Töten.268 In jedem Fall zeigte es den Behörden erneut, dass Glaubensangehörige noch immer aktiv waren und auch Presseerzeugnisse mit ihren kursierten.

F.  Folgen für die „Pokait“ Nachdem beim Innenminister immer wieder Meldungen über eine Gemeinschaft namens Pokait (pocăit aus dem Rumänischen „der Bekehrte“ oder „der Reuige“)269 eingegangen waren, was auch Militärdienstverweigerer betraf, musste er Erkundigungen einholen. Offensichtlich wandte er sich am 3. Oktober 1940 mit seiner Verfügung zur Aufklärung der „Pokait“ Nr. 13.885 an die Gendarmerie. Am 22. November 1940 berichtete dann das Ermittlungskommando der Gendarmerie Budapest dem Leiter der Abteilung Öffentliche Sicherheit beim Innenminsterium zum „Aufspüren der Sekte ‚Pokait‘“ und erklärte, dass die „Pokait“ sowohl in Rumänien wie auch in der Karpato-Ukraine tätig wären. Sie stützten sich auf die „Broschüre ‚Vindecare‘ [sic!]“,270 die „in Bukarest und Prag hergestellt“ würde. Ein Exemplar wurde dem Innenministerium übermittelt. „Die Glaubensansichten der Sektenbewegung ‚Pokait‘ stimmen in allem völlig mit denen der Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘ überein. Die Rumänen bezeichneten sie als ‚Pokait‘ Sekte.“271 Die Beschreibung lässt darauf schließen, dass Zeugen Jehovas sich nicht selbst diesen Namen gegeben haben, sondern den „Pokait“ zugeordnet wurden. Wie Recherchen zeigen, wird die Bezeichnung häufiger in negativer Konnotation auf Personen oder Gruppen angewandt, die ihre angestammte Kirche verlassen haben.272 In einem anderen Dokument heißt es, „Pokait“ sei eine „Bezeichnung des Volkes“. 267 

MOL, K149 – 1941 – 8 – 8230, Bl.  163  f. HM, 1941 13 oszt. 517.142. 269  Pocăít: „Anhänger einer christlichen Sekte trat in Ungarn um das Jahr 1825 auf, der die Reue als höchsten Wert ansieht. Allgem. für Anhänger einer religiösen, christlicher Sekte.“ Academia Română. Institutul de Linguistică „Iorgu Iordan“ (Hrsg.): Dex. Diciţionarul Explicativ al Limbii Române. Bukarest 1996, S. 813. 270  Dabei handelte es sich wohl um die Veröffentlichung „Rechtfertigung“, „Vindication“ von 1931, herausgegeben von der WtBTG. 271  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 194. Demzufolge wurden z. B. in Alsóapsa im Januar 1940 zwei Verfahren gegen 37 und 24 Personen, im April eins gegen 22, im Mai eins gegen drei, im Juni eins gegen 31, im Juli eins gegen 11, eins gegen 42 Personen durchgeführt. 272  Lehel, Péter: Transznacionális életformák és szekták. A moldvai csángó falvakban jelentkező új vallási jelenségek interpretációs lehetőségeirő [Transnationale Lebensformen und Sekten. Die Interpretationsmöglichkeiten neuer religiöse Erscheinungen in den moldawischen Csángó-Dörfern]. www.csangomuzeum.ro/tartalom.php?nyelv=hu&oldal=­ 268 

F.  Folgen für die „Pokait“

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Damit würden zumeist die bezeichnet, die keiner anerkannten oder geduldeten Religionsgemeinschaft angehörten.273 In den bisher eingesehenen Unterlagen der Archive bezog man sich mit „Pokait“ zwar auf Zeugen Jehovas, es ist jedoch nicht auszuschließen, dass man aus der noch immer vorherrschenden Unkenntnis unterschiedslos andere einfach unter die Bezeichnung mit einreihte. Dem Bericht des Ermittlungskommandos zufolge gäbe es Anhänger „in großer Zahl“. Dann zählte man auf: „So hat sich die Bewegung später auch nach Közép und Felsőapsa, Szentmihálykörtvélyes, Faluszlatina, Fehéregyháza und Taracköz ausgebreitet. Nach dem Wiederanschluss der Karpato-Ukraine gelang es durch das Eingreifen der Behörden in den Gemeinden Közép und Felsőapsa, Faluszlatina und Taracköz, die Sektenbewegung einzustellen. In Alsóapsa gibt es zurzeit noch ca. 7 – 800 Mitglieder. Bis zum Herbst 1939 hatten sie auch noch ein Bethaus, aber das wurde auf der Grundlage der IM-VO 363.500/1939 von den Behörden verboten. Seitdem halten sie ihre Zusammenkünfte heimlich in Privathäusern ab, zumeist in den Abendstunden, vor allem sonntags. Die Sektenmitglieder haben zuvor der griechisch-katholischen Kirche angehört.“ In Alsóapsa hätten sie sogar einen eigenen Friedhof, an dessen „Schließung die Verwaltungsbehörden“ arbeiteten. Zu ihren Ansichten führte man aus: „Sie glauben in der Bibel stehe, dass Rauchen, Betrinken, Eigentum anderer wegzunehmen, andere zu verletzen und die Waffe in die Hand zu nehmen sei nicht erlaubt. Die Priester und Gläubigen der griechisch-katholischen Kirche halten das nicht ein. Daher sind sie aus der griechisch-katholischen Kirche ausgetreten. Einige unter ihnen erklären auch, egal, was man mit ihnen machen würde, sie würden sich von dem, was in der Bibel steht, nicht abwenden.“ Wie die Gendarmerie ausführte, würden die Behörden alles tun, um die Tätigkeit zu unterbinden: „Wegen verbotenen Versammelns wurden am 21. Januar mit Az. 45/bün. 37 Personen, am 31. Januar mit Az. 61/bün 24 Personen, am 4. April mit Az. 139/bün. 22 Personen, am 22. Mai mit Az. 225/bün. 3 Personen, am 12. Juni mit Az. 290/bün 31 Personen, am 26. Juli mit Az. 303/bün. 11 Personen, am 24. Oktober mit Az. 565/bün 42 Personen beim Oberstuhlrichter von Técső angezeigt, die zur Sekte ‚Pokait‘ gehören. Der Oberstuhlrichter hat die Angezeigten mit einer Geldstrafe zwischen 20 – 500 Pengő verurteilt; die Strafen wurden jedoch bis heute nicht vollzogen. Mit dieser Erfahrung organisieren sich die Sektenmitglieder umso stärker und verlautbaren jetzt sogar, dass ihr Glaube stärker sei als alle anderen, weil selbst die Behörden sich nicht trauen, gegen sie vorzugehen. In der Ortschaft Szentmihálykörtvélyes hat die ‚Pokait‘ Sekte ung. 80 – 100 Mitglieder. Ihr Leiter sind László Lemán und András Maczola, dortige Einwohner. Die Benannten hat der Gendarm von Alsóapsa wegen verbotenen Versammelns mehrfach beim Oberstuhlrichter von Técső angezeigt. Doch auch bei ihnen wurde die ausgesprochene Strafe nicht vollzogen.“ Die Gendarmerie von Aknaszlatina habe sie schon mehrfach wegen verbotenen Versammelns beim Oberstuhlrichter von Rahó angezeigt, der sie dann zu 10 – 15 Pengő Geldstrafe und 1 – 15 Tagen Haft verurteilt hatte, die Urteile aber wiederum 6&id=13 (Zugriff am 2.5.2013). Hier geht es um Personen, die ihren Glauben gewechselt haben. Auch Adventisten werden in dem Zusammenhang als Pokait bezeichnet. 273  MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl. 181 f. „Sektenbericht“, Az. 10.734 vom 30.5.1941.

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nicht vollstreckte. „Diese sagen sogar schon, dass sie keine Kirchensteuer zahlen und keine Waffe in die Hand nehmen würden.“ Sie würden quasi übermütig, da die Strafen nicht vollstreckt würden. Der Schreiber erklärte, die zuständige Gendarmerie und Ermittlungsabteilung würde ihre Beobachtungen und Kontrollen weiter verstärken, um die Tätigkeit völlig zu unterbinden.274 In diesen Zusammenhang muss auch die Meldung des Oberstuhlrichters von Técső vom 28. November 1940 eingeordnet werden, der zwar die Tätigkeit verboten hatte, sie aber dennoch nicht unterbinden konnte und daher dem Innenminister empfahl, die Anhänger zu internieren.275 Diese Berichte dürften dem Innenminister der gerade die Aktion gegen Zeugen Jehovas in Budapest führte, die starke Aktivität der Gemeinschaft in anderen Landesteilen vor Augen geführt, ihm aber auch gezeigt haben, dass die Behörden nicht in seinem Sinne durchgriffen, da sie Strafen nicht vollzogen. Am 2. Januar 1941 verbot dann der Innenminister mit der Rundverordnung 151.997/1940 VII. (was zeigt, dass wiederum die Abteilung VII, Öffentliche Sicherheit, für das Verbot zuständig war) in Ergänzung seiner Verbotsverordnung 363.500/1939 die Heilsarmee, die „den siebten Tag feiernden Christen“ und die Pokait.276 Des Weiteren erklärte er wahrscheinlich wegen möglicher Anfragen der unteren Behörden, dass mit seiner VO 363.500/1939 alle unter dem Sammelnamen „Adventisten“, „Millenisten“ und „Gottesversammlung“ fallenden „gesetzlich nicht anerkannten Glaubensgemeinschaften (Sekten)“ von ihm verboten worden seien. Da er jedoch nicht weiter differenzierte oder erklärte, was und wen genau er meinte, dürfte das nicht wirklich zum besseren Verständnis beigetragen haben. Prinzipiell neu in der Verfügung war nur die Heilsarmee, da die „den siebten Tag feiernden Christen“ den Adventisten zuzuzählen waren und „Pokait“ eine neue Sammelbezeichnung war. Aufgrund der verwirrenden und widersprüchlichen Angaben in den Verbotsverfügungen des Innenministers ist erklärbar, wieso die Behörden in der Folge oft so ziemlich alle Gemeinschaften, die nicht zu den historischen Kirchen gehörten, als gefährlich angesehen haben und sogar den Baptisten Schwierigkeiten machten.

G.  Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940 in Verbindung mit 363.500/1939 G.  Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940

I.  Folgen für die „Pokait“ Die Verbotsverfügung 151.997/1940 findet sich auch in einer Akte des Archivs von Cluj in Siebenbürgen.277 Der Vizegespan wandte sich am 14. Januar 1941, Az. 163/1941, bezüglich der „Einstellung der Tätigkeit der die militärischen Inter274 

Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  194. Ebenda, Bl. 170. 276  MRT, 1941, S. 461. 277  ANR, 163/941. Abschrift der Verbotsverfügung. 275 

G.  Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940

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essen gefährdenden Sekten“ an seine Oberstuhlrichter, informierte sie von dieser Verbotsverfügung und forderte sie auf, gegen noch bestehende Tätigkeiten vorzugehen, die Anhänger gegebenenfalls zu inhaftieren, zu internieren oder unter Polizeiaufsicht zu stellen. Dazu verwies er auf die anzuwendenden Rechtsvorschriften, Gesetze und Verordnungen. Auch die Tätigkeit aller „anderen Sekten“, die nicht vom Verbot betroffen waren, sollte unter strengster Kontrolle durch die Polizei stehen.278 Zu den „anderen Sekten“ zählte man offensichtlich auch die Baptisten, da man auch über sie und ihre Zusammenkünfte berichtete und ein Dossier anlegte. In der Gemeinde Diós (rumänisch Deușu) gab es eine von den „Behörden unterstützte baptistische Organisation“, die in einer Schule Zusammenkünfte abhielt, so ein Bericht des Vizegespans des Komitats Kolozsvár an den Obergespan vom 6. Mai.279 Das Abhalten von Gottesdiensten in einer Schule war einige Tage zuvor als nicht erwünscht bezeichnet worden.280 Es ist davon auszugehen, dass der baptistischen Gemeinde das Zusammenkommen in der Schule zukünftig untersagt wurde. Auch bezüglich der Tätigkeit der „die militärischen Interessen gefährdenden Sekten“ schien dem Vizegespan unter Bezug auf das Az. 163/1941 berichtet worden zu sein.281 Der Oberstuhlrichter aus Kolozsvár meldete am 28. Februar 1941 unter Bezug auf das Aktenzeichen die Tätigkeit von Zeugen Jehovas. Nach außen hätten diese zwar die Tätigkeit eingestellt, heimlich aber Zusammenkünfte abgehalten. Einmal seien 8 Personen dabei ertappt worden, gegen die Verfahren eingeleitet wurden. Ferner gäbe es in seinem Bereich (die konkreten Orte wurden benannt) noch „1. die den siebten Tag feiernden Christen, 2. Adventisten, 3. Gottesversammlung, 4. Pokait“, die aber zurzeit nicht tätig seien; die Behörden hätten ihre Tätigkeit beendet. Entweder war hier aus Unkenntnis die adventistische Gemeinschaft doppelt aufgeführt worden oder mit 1. waren Sabbatarier gemeint.282 Wie ein „Sektenbericht“ vom 20. Mai 1941jedoch zeigt, setzten als „Pokait“ bezeichnete Zeugen Jehovas zumindest teilweise ihre Tätigkeit fort. Demzufolge hatten um die 10 Personen im März und April 1941 in Felsőkálinfalva (rumänisch Călinești) „in verschiedenen Wohnungen sektiererische Zusammenkünfte abgehalten, dort die Bibel gelesen, die Lehren der Sekte besprochen und antimilitärisches Propaganda ausgeübt“ und wurden daraufhin am 27. April 1941 wegen Verstoßes gegen die Verfügung beim Aknasugatager Oberstuhlrichter (rumänisch Ocna Şugatag) angezeigt.283 Im Fall der unter „Pokait“ bekannten Zeugen Jehovas berichtete der Leiter der Grenz-Polizeikommandantur Ungvár am 8. März 1941 geheim mit Bezug auf die Verbotsverfügung 363.500/1939 und die neue Verordnung 151.997/1940 278 

ANR, 163/941. Schreiben, Az. 163/941. Ebenda, 2540/941. Dossier „Baptistische Organisationen“. Schreiben, Az. 2540/941. 280  Ebenda. Schreiben des Oberstuhlrichters v. 3.5.1941. 281  Ebenda. Schreiben des Oberstuhlrichters von Kolozsborsai v. 2.2.1941: „Sekten sind in meinem Bereich nicht tätig.“ 282  Ebenda. Schreiben Az. 310 v. 28.2.1941. 283  MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  181 – 184. 279 

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sehr umfassend in einem siebenseitigen Bericht über die „geheime Tätigkeit“ der „staatsfeindlichen Sekten in der Karpato-Ukraine“ an das Innenministerium, Abt. Öffentliche Sicherheit.284 Seine Erklärungen geben teilweise aufschlussreiche Anknüpfungspunkte. Darin heißt es: „In Folge der Ermittlungen ist festgestellt worden, dass die durch die VO 363.550 von ihrer Exzellenz verbotene Sekte ‚Pokait‘ oder ‚Jehova Gott Zeugen‘ auf dem Gebiet der Karpato-Ukraine heimlich weiter tätig ist.“ Nach allgemeinen Ausführungen über die Entstehung von Sekten und der Feststellung, dass der „größte Teil der Sekten seine Kraft aus den geistig und wirtschaftlich nur so sprühenden Ressourcen aus Amerika“ erhalte, führte er „die Entstehung der staats- und kirchenfeindlichen Sekte ‚Pokait‘ oder ‚Jehova Gott Zeugen‘, die auf dem Gebiet der Karpato-Ukraine, tätig ist, auf die Zeit um 1917 zurück“. Dass die „Pokait“ mit den Zeugen Jehovas identisch sei, könne „durch die Aufschrift an den Wänden der Kirche in Faluszlatina in rumänischer Sprache: Casa de Marturilor lui Jehova grupa Slatina“, übersetzt „Gruppe der Zeugen Jehovas in Slatina“, bestätigt werden. Sprach er von den Pokait, meinte er also immer unreflektiert Zeugen Jehovas. Angeblich hätte ein aus russischer Kriegsgefangenenschaft nach Kabolpatak zurückkehrender Rumäne 1917 den Glauben aus Russland mitgebracht. Nach seiner Heimkehr habe er begonnen, seine Verwandten und Bekannten zu bekehren. Faluszlatina würde nur durch die Theiß von Kabolpatak getrennt und die Bewohner würden untereinander heiraten. So hätte die Lehre in der Kapato-Ukraine Einzug gehalten. Dann stellte er eine schwerwiegende Behauptung auf, die den ungarischen Behörden sehr gut ins Konzept gepasst haben musste: „Die tschechische Macht hat die Tätigkeit gern gesehen und deren Verbreitung maßgeblich unterstützt,285 da einige kommunistische Lehren die nationalen Gegensätze verschärften.“ Die Anhänger würden mit Hilfe von „in verschiedenen Sprachen aufgenommenen Reden auf Schallplatten, mit Propangada-Heften, Büchern und Bibeln“, die sie „kostenlos verteilen“, die „Seelen der zu verschiedenen religiösen Konfessionen gehörenden Gläubigen mit den neuen Lehren anstecken, die sich gegen die Kirchen und den Staat richten“. Wie der Schreiber erklärte, habe sich der Staat mit den rezipierten Religionsgemeinschaften nicht nur auf öffentlich-rechtlichem und verwaltungsmäßigem Gebiet, sondern auch auf dem Gebiet von Bildung und Sittlichkeit eng verknüpft. Die Sekten würden mit den religiösen Lehrsätzen die Konfessionen angreifen und damit den Staat in gleicherweise – damit war seine Argumentationskette: Wer sich gegen die historischen Kirchen richtete, und sei es nur dadurch, dass er eine andere Lehre predigte, richtete sich gegen den Staat und war damit staatsgefährdend. Dann brachte er wieder das übliche „Totschlagargument“: „Der Grund für die Ausbreitung der Sekte der Jehovas Zeugen besteht darin, dass die Sekte kommunistische und antimilitaristische An284 

Ebenda, Bl.  181 – 184, Az.  278/35 – 1941. Von tschechoslowakischer Unterstützung konnte zwar nicht die Rede sein, aber z. B. Zeugen Jehovas konnten bis zum Einmarsch der Deutschen dort relativ frei tätig sein, hatten ein Büro und konnten drucken. Vgl. Müller, Lubomir/Slupina, Wolfgang: Verfolgung und Unterdrückung der Zeugen Jehovas in der Tschechoslowakei. In: Kirchliche Zeitgeschichte, 17. Jg., Heft 1, 2004, S. 171 – 221. 285 

G.  Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940

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sichten verkündet, Lehren, die – insbesondere bei der ungebildeten, armen Bevölkerung – begeisterte Anhänger finden.“286 Sie würden auch die Angehörigen der rezipierten Religionsorganisationen überreden, „ihre Religion zu verlassen, da ihr Priester nicht die Wahrheit sagt, mit religiösen Ritualen nur das Volk verdummt“. Sie würden Flugblätter verbreiten und erklären, „es gäbe kein Land und keine Heimat, nur Gottes Reich [handschriftliche Unterstreichung vom Empfänger]“. Die Heimat hätten nur die Priester und Herren erfunden, damit sie über das arme Volk herrschen könnten. „Nach dem Ende der Welt beginnt für die Sektenmitglieder auf der Erde ein neues Leben. Die Überlebenden teilen ihr Eigentum untereinander auf, alle werden gleich sein; es wird keine Armen und keine Reichen geben. Dann müssen keine Steuern mehr gezahlt werden, man muss nicht der Levente beitreten und Militärdienst leisten. Die Sekte untersagt den Mitgliedern den Waffendienst, weil ihre wahre Waffe die Bibel ist. Sie werden keine Soldaten, weil sie nur Jesu Soldaten sind und nicht Soldaten des Staates [handschriftliche Unterstreichung vom Empfänger].“ Ebenso wenig würden sie ihrer Pflicht in der Levente-Organisation nachkommen. Seine Vorwürfe waren die übliche Vermischung der Vorwürfe von kommunistischen Ideen, Landesverrat und Militärfeindlichkeit. Dann berichtete der Schreiber über ein Geschehnis, das kaum zur Friedfertigkeit und christlichen Überzeugung der kleinen Religionsgemeinschaften passte: „Nach Bericht der Gendarmerie von Rahó haben sie bei ihrer am 19. Januar 1941 abgehaltenen Versammlung das vergrößerte Bild des Herrn Reichsverwesers mit der Bemerkung von der Wand geschlagen, zertreten und ins Feuer geworfen: ‚Wozu brauchen wir einen Reichsverweser, er ist auch nur ein Mensch. Unser Reichsverweser ist Gott.‘“ Gegen die Betreffenden, die sich angeblich als Baptisten bezeichnet hätten, sei im Januar 1941 ein Verfahren wegen Regentenbeleidigung eingeleitet worden. Dieser Vorfall dürfte sich nahtlos in die ohnehin schon falschen Vorstellungen von den kleinen Religionsgemeinschaften eingereiht haben. Weiter beklagte der Schreiber, das „abergläubische, leichtgläubige russinische und oláh Volk“287 würde den „unwahren Lehren glauben“, sie „warten auf das Ende, während sie beten, in der Bibel und den Büchern der Sekte lesen und dabei ihre Arbeit vernachlässigen. Gleichzeitig sind ihre Familienangehörigen gezwungen zu hungern. Unter ihnen gibt es auch solche Sektenangehörigen, die schon ihre Bettwäsche verkauft haben und mit ihren Kindern auf Brettern schlafend das Ende der Welt erwarten.“ Diese sehr emotional gesteuerte Wiedergabe von Gerüchten appellierte wieder an die Emotionen, entsprach aber wohl kaum den Tatsachen, wenngleich es bei jungen aufstrebenden Gemeinschaften oder Neubekehrten schon zu einer Art Extremismus kommen kann, einem Überschwang der Begeisterung für das Neue, was aber nicht der eigentlichen Natur des Glaubenslebens entspricht. Die emotio286  Sie würden zum Beispiel verkünden, dass eine kirchliche Standesregisterführung (Matrikel) unnötig sei. Die Angehörigen der Versammlung melden die Geburten, Heiraten und Todesfälle in der Familie bei den Registrierungsbehörden des Staates, nicht aber bei der Kirche. 287  Die Oláh-Roma (auch Lovara) stellen einen großen Teil der Bevölkerung im Nord­ osten Ungarns.

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nale Komponente des Schreibers spricht auch aus den Worten, die Gläubigen würden sagen, die „menschlichen Richter, die die Sektenanhänger bestrafen, würden nach dem Weltenwechsel aufgehängt“.288 Diesem allgemeinen Berichtsteil liegen scheinbar mehr Meinungen, Beobachtungen, Vorurteile, aber wenig fundierte Fakten zugrunde. Kein Wunder, dass sich bei solcher Berichtspraxis weder die unteren noch die oberen Behörden ein korrektes Bild machen konnten.289 Man hat den Eindruck, der Bericht ist bereits unter dem Eindruck einer vorgegebenen Sektendefinition, der allgemeinen behördlichen Meinung, wie sie aus all den Verordnungen des Innenministeriums hervorging, entstanden. Man brachte möglicherweise nur das vor, was zu hören erwartete wurde, die üblichen Plattitüden, dieselben Parolen, die in die Richtung von kommunistischem Ideengut gingen, ergänzt um Lokalkolorit. Allerdings betonte der Bericht noch einmal die Komponente der historischen Kirchen: Der Staat hatte sich auf öffentlich-rechtlichem, verwaltungsmäßigem und kulturell-sittlichem Gebiet mit den rezipierten Kirchen eng verknüpft, sodass jede Schwächung der Kirchen als Schwächung des Staates verstanden wurde. Mit der Rückkehr der Abgefallenen zur rezipierten Kirche wäre somit das Problem gelöst. Insofern konnte eine Rückbekehrung als Maxime gelten – im Sinne aller Beteiligten behördlicher- und kirchlicherseits, fern von jeder religiösen Freiheit. Nach seinen allgemeinen Ausführungen kam der Chef der Polizeikommandantur Ungvár zu lokalen Einzelerhebungen, nunmehr wurde er zahlenmäßig sehr konkret. Es wird deutlich, wie jedem einzelnen möglichen „Pokait“-Anhänger nachgejagt wurde. Die Fallbeispiele aus 19 Gemeinden Transkarpatiens machen deutlich, wie die Behörden vorgegangen sind, was verschiedentlich für die weiteren Entwicklungen von Interesse ist: Im Bericht hieß es, in der Gemeinde Faluszlatina gäbe es zwar viele eifrige Nachfolger, aber einige würden mittlerweile beginnen, in ihre alte griechisch-katholische Kirche zurückzukehren. Damit hätte man hier zumindest teilweise das Ziel erreicht. Dennoch sprach der Bericht von „25 – 30 verbotenen Mitgliedern der Sekte“, was im Widerspruch zu der Meldung des Zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie Budapest vom 22. November 1940 steht, wonach die Tätigkeit in der Gemeinde eingestellt worden sei.290 Das wiederum zeigt, wie wenig zuverlässig die Meldungen und Berichte waren. Dem Berichterstatter zufolge war „gegen die 8 Leiter ein Verfahren“ anhängig.291 Damit sprach er eine Methode an, die man bereits gegen kommunistische Bewegungen praktiziert hatte. Man schaltete die Anführer aus und hoffte damit, die Tätigkeit der ganzen Bewegung zum Erliegen zu bringen, was teilweise auch gelang. Interessant ist, was er zur Gemeinde Szentmihálykörtvélyes schrieb, von der der Oberstuhlrichter von Técső am 12. Oktober 1940 gemeldet hatte, er habe die „Sekte aufgelöst“, aber die Anhänger ließen sich auch durch die schwersten Repressio-

288 

MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  181 – 184. Ebenda, Bl.  181 – 184. 290  Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  194. 291  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  182  f. 289 

G.  Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940

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nen nicht einschüchtern; er hatte vorgeschlagen, die Leiter zu internieren.292 Im Bericht vom 22. November 1940 war von 80 – 100 Anhängern gesprochen worden.293 Nunmehr hieß es, es gäbe noch „70 – 80 Mitglieder“ und es laufe ein Verfahren zu Internierung von fünf Personen; einen direkten Anführer der Bewegung gäbe es nicht. Zwei von ihnen hätten am 2. Mai 1940 die Annahme des Stellungsbefehls verweigert, seien verurteilt worden, hätten aber ihre Strafe nicht angetreten. Der Bericht aus dem Grenzgebiet vom 8. März 1941 wurde beim Innenministerium mit Eingangsstempel vom 19. März versehen und Gyula Király, Leiter der Abt. Öffentliche Sicherheit, fügte in einer handschriftlichen Pro-Domo-Notiz hinzu, der Leiter des Grenzpolizeikommandos würde die Namen „der militärrechtlich Verurteilten“ aus Szentmihálykörtvélyes und das Gericht, das die Strafe ausgesprochen hatte, feststellen und mitteilen. Hier schien sich das Innenministerium für eine militärische Angelegenheit einsetzen zu wollen.294 Am 21. April berichtete dann das Polizeikommando Ungvár dem Innenminister, es habe sich bei den Verweigerern um Mihály Pleszka und Demeter Macola gehandelt, was wohl eher ein Missverständnis war, denn die beiden waren verurteilt und inhaftiert worden, was er auch sofort einräumte: „Zurzeit verbüßen sie ihre Haftstrafen [handschriftliche Unterstreichung vom Empfänger].“295 Diese ungenaue Berichterstattung spricht ebenfalls für die Unzuverlässigkeit des Berichts. In der Aufstellung ging es mit der Gemeinde Tiszafejéregyháza weiter, wo es ungefähr 100 verbotene Mitglieder gäbe, zumeist kommunistisch orientierte Flößer. Die „Auflösung der Sekte nach der Verbotsverfügung“ hätte sich „als wirkungslos“ erwiesen, da die Zahl der Mitglieder zurzeit weiter wachse. Die Grenzaußenstelle habe „8 der eifrigsten Mitglieder interniert, gegen weitere 8 wurde ein Internierungsverfahren eingeleitet“.296 In der Gemeinde Rahó gäbe es etwa 80 verbotene Mitglieder, die heimlich tätig seien. Die Grenzaußenstelle von Aknaszlatina habe „gegen 7 Mitglieder ein Internierungsverfahren“ in Gang gesetzt. In dieser Gemeinde war es zu dem im Bericht erwähnten aber nicht näher aufgeklärten Vorfall mit dem Bild des Reichsverwesers gekommen.297 In Alsóapsa wachse die Zahl der Anhänger andauernd und „scheint sich […] auf ungefähr 900 zu belaufen“. Schon in dem Bericht vom 22. November 1940 wurde von mehreren Verfahren gegen mindestens 170 Personen berichtet.298 Nunmehr hieß es, die Aknaszlatinaer Außenstelle habe „bisher 9 leitende Personen interniert, gegen weitere 8 Personen wurde ein Internierungsverfahren eingeleitet“.299 Dann kam er zur Gemeinde Nagybocskó, hier „hat der Fabrikarbeiter István Szurduk die Leitung inne, der sich zu der Gemeinschaft der Baptisten bekennt“. Man vermutete, dass „er nach der Ver292 

Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  165. Ebenda, Bl. 194. 294  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  184  R. 295  Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  198. 296  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  182  R. 297 Ebenda. 298  Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  194. 299  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  182R. 293 

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botsverfügung die Tätigkeit fortsetzt“.300 In Felsőapsa sei der Mühlenbesitzer Pál Táfi der Anführer, gegen den Ermittlungen eingeleitet wurden.301 Auch zu Felsőapsa war am 22. November 1940 berichtet worden, dass es den Behörden gelungen sei, „die Sektenbewegung einzustellen“,302 was offensichtlich nicht korrekt war. In der Gemeinde Gánya schätzte man die Anzahl der Anhänger auf 150, unter ihnen befänden sich auch Baptisten – eine Klarstellung, was damit gemeint war, gab der Bericht nicht.303 Ähnliches wurde zur Gemeinde Pelesalja berichtet, da „könnte es ungefähr 40 – 50 verbotene Mitglieder geben, die verbotene Zusammenkünfte abhalten“. Zur Irreführung der Behörden würden sie erklären, „Angehörige der baptistischen Gemeinschaft zu sein“. Es könnte sich allerdings auch um baptistische Zusammenkünfte gehandelt haben, bei denen auch Andersgläubige anwesend waren, doch das wurde so genau nicht hinterfragt.304 Auch die „ungefähr 40 – 50 verbotenen Mitglieder der Sekte“ in Írhóc, deren Anführer József Pántlik im Militärgefängnis Kassa seine Strafe absitze, würden behaupten, „zur baptistischen Gemeinde zu gehören“.305 In Bubuliska dagegen sei „die Sektenbewegung nach der Verbotsverfügung eingestellt“ worden, nur ein einzelnes Mitglied, Ferenc B., sei übrig geblieben, gegen den Polizeiaufsicht verhängt worden war.306 In Szolyva seien wieder „12 Sektenmitglieder heimlich tätig“, Ermittlungen wurden eingeleitet.307 Ferner gäbe es in Hlubina „2 Sektenanhänger“, auch gegen sie seien Verfahren eingeleitet worden. In diesem Zusammenhang wies der Polizeikommandant darauf hin, dass im Gebiet der Grenzaußenstelle Szolyva „im vergangenen Sommer 16 Sektenangehörige nicht dem Stellungsbefehl nachgekommen waren, weswegen sie das Militärgericht Kassa zu 4 – 4 [sic!] Monaten Haft verurteilte“.308 Die Haftstrafen würden verbüßt. Bei den 16 Verweigerern dürfte es sich im Großen und Ganzen um die schon genannten Fälle aus Transkarpatien handeln, die mit dazu geführt haben, dass diese Aktion im sogenannten Grenzgebiet ausgelöst wurde. In Volóc gäbe es „insgesamt 14 Sektenanhänger“, die bei „István Timkovics [sic!]“309 zusammenkamen, wo „Timkovics ihnen die Sektenlehren erklärte“. Timkovics war – wie schon aufgezeigt – allerdings schon seit dem 16. Juli 1940 inhaftiert, da er dem Gestellungsbefehl nicht nachgekommen war und auch ansonsten den Militärdienst verweigerte. Auf Veranlassung der Grenzaußenstelle von Volóc 300 

Ebenda, Bl. 183.

301 Ebenda. 302 

Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  194. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  183. 304 Ebenda. 305 Ebenda. Pántelik war seit 1925 Zeuge Jehovas. Er hatte Mitte August 1940 den Dienst an der Waffe verweigert, was dem Innenminister mitgeteilt worden sein dürfte. HM, 1941 13 oszt. 4671 cs. 460.221. 306 Ebenda. 307  MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  183. 308 Ebenda. 309  Wohl korrekt Iván Timkovics vgl. Verhörsprotokoll mit genauen Angaben, ebenda, K149 – 1940 – 7 – 5018, Bl.  47  ff. 303 

G.  Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940

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habe die ung. kgl. Gendarmerie gegen die Teilnehmer der Versammlung Anzeige bei der kgl. Staatsanwaltschaft von Ungvár erstattet.310 Dann ging es um noch um drei weitere Gemeinden. Zunächst Huszt, wo bereits gegen die Kommunisten gefahndet wurde: Hier hätten sich die Zeugen Jehovas unter dem Bergmann Ferenc Rezera begonnen auszubreiten. Rezera war nach Rücksprache mit dem Innenminister auf dessen VO 147.626/1940 (Abteilung VII/ Öffentliche Sicherheit) interniert worden, danach sei die „Sekte ohne Anleitung und nicht tätig“.311 In Kőrösmező gäbe es 30 – 35 Anhänger. Die Gendarmerie von Kőrösmező hatte gegen „István Seiner und 10 Kollegen“ am 28. August 1940 bei der kgl. Staatsanwaltschaft Debrecen Anzeige wegen religiöser Hetze erstattet. Ein Urteil sei noch immer nicht gefällt worden. Der „Sektenanführer“ von Tisza­ bogdány Simon Kotlán sei vom Militärgericht Kassa wegen Verweigerung des Militärdienstes zu 7 Monaten Zuchthaus verurteilt worden. „Seitdem blieben seine Sektenangehörigen den Zusammenkünften fern.“ In der Gemeinde Toronya gäbe es rund 20 Mitglieder, die die Grenzaußenstelle von Ökörmező (ukrainisch Mezghorye) unter Polizeiaufsicht gestellt habe, so könnten sie keine Zusammenkünfte abhalten, „ihre Glaubensansichten bringen sie nur im engeren Familienkreis zum Ausdruck“. Gegen Demeter Z. und Mihály Z. sei von der Grenzaußenstelle von Ökörmező wegen Verstoß gegen § 6 a GA III/1921 Anzeige erstattet, weil sie im Frühjahr 1939 zur militärischen Musterung nicht erschienen waren. Als Begründung sollen sie angegeben haben, ihre Waffe sei die Bibel. Nicht nachvollziehbar ist hier allerdings die angeführte Gesetzesgrundlage § 6 GA III/1921, wonach derjenige eine Straftat beging, „der zum Hass aufruft gegen militärische Einrichtungen, die ungarischen Streitkräfte, die ung. kgl. Gendarmerie oder die ung. kgl. Staatspolizei, dagegen hetzt oder zu Ungehorsam aufruft, eine Straftat begeht“, was wohl schwer an der Aussage, dass die Bibel ihre Waffe sei, festzumachen war. Der Straftatbestand des Nichtantritts des Stellungsbefehls hingegen wäre mit § 181 GA II/1939 zu begründen. Möglicherweise ist auch das ein Hinweis auf die ungenaue Recherche des Berichterstatters. Ferner wurde erwähnt, dass die Grenzaußenstelle auch gegen János Roskó, Miklós Z. und Frau Györgyné B. Strafanzeige wegen religiöser Hetze gestellt habe. Begründet wurde die Hetze damit, dass „die Genannten die Kinder von der Religionsstunde aus der staatlichen Grundschule nach Hause geholt“ und erklärt hätten, dass der „griechisch-katholische Geistliche mit ihren Kindern nichts zu tun habe“. Er schloss: „Die Tätigkeit der Sekten ist seither in dieser Gegend völlig gelähmt.“312 Wie die Darstellung zeigt, scheint man teilweise mit dem Wegsperren der Anführer zumindest vorübergehend das Einstellen der Tätigkeit erreicht zu haben. Dieser an sich sehr detaillierte wenngleich ungenau recherchierte Bericht zeigt auf, wie sehr es den Behörden darauf ankam, jede einzelne Person zu erfassen, egal ob männlich oder weiblich, die einer verbotenen Gemeinschaft angehörte, was 310 

Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  183  f.

311 Ebenda.

312 Ebenda.

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auf umfassende Observierungsarbeit schließen lässt. Offensichtlich waren hier die örtlichen Polizei- und Gendarmeriebehörden engagiert vorgegangen, wobei sie mit der Budapester Polizei Rücksprache hielten. Es ist davon auszugehen, dass auch die Militärbehörden involviert waren. Wahrscheinlich ist, dass sie gerade aus diesen Gebieten Militärdienstpflichtige zum Dienst heranzogen. Das zeigt auch die Sache des Militärdienstverweigerer Mihály Márics aus Toronya, der laut Verhörsprotokoll vom 27. März 1941 erklärte, mit seinen Glaubensbrüdern einmal in der Woche zum Bibellesen zusammengekommen zu sein – jede Woche in einer anderen Privatwohnung. Dann nannte er mehrere Namen: Elka Sz., Mihály L., Demeter Z., Iván R., Nikolaj Z., Mihály Z., Stefan Z., wobei Mihály und Demeter Z. bereits in Haft waren. Als Grundlage hätte ihnen eine in Berlin hergestellte Bibel gedient. Aus der Nachbarschaft oder aus dem Ausland seien „keine Jehova-Brüder“ gekommen. Die Zeugen in der Nachbarschaft kenne er nicht. Einen Anführer hätten sie nicht.313 Am 6. April 1941 wurde dann von Abteilung 13, des Verteidigungsministeriums dem Innenminister314 von dem militärstrafrechtlichen Verfahren wegen Befehlsverweigerung gegen Márics berichtet. Abteilung VII des Innenministeriums strich im Verhörsprotokoll die Namen der genannten Zeugen Jehovas und den Ort Toronya an und wandte sich am 22. April 1941 wiederum mit einem Vordruck zur „staats-, gesellschafts- und militärfeindlichen Sektentätigkeit in der Gemeinde Toronya“315 an den Oberstuhlrichter von Ökörmező: „Mit Bezug auf meine Rundverordnung 363.500/1939. VII. und auf das Militärgericht [dann handschriftlich] die Staatsanwaltschaft des III. Armeekorps Szombathely, wird das aufgenommene Verhörsprotokoll […] mit Mihály Márics, Toronyaer Einwohner, unter Rückerbittung mit der Aufforderung angehängt, […] mitzuteilen, welche Maßnahmen zur Eliminierung der trotz Verbots in der Gemeinde Toronya tätigen sogenannten Jehova Gott Zeugen Sekte im Sinne der vorgenannten Rundverordnung getätigt wurden und was der Grund dafür ist, dass es bisher noch nicht zur Auflösung der Sekte gekommen ist.“ Die Wiedervorlage wurde auf den 1. Juli 1941 datiert.316 Darauf berichtete die Polizei-Außenstelle im Grenzgebiet Ökörmező am 9. Juni 1941 an den Oberstuhlrichter, dass „auf dem Gebiet der Behörde die ‚Jehova Gott Zeugen‘ Sekte nicht tätig ist, da die bekannten Mitglieder teilweise schon unter Polizeiaufsicht bzw. gegen sie verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Verfahren laufen“. Dann folgte eine Liste der unter Polizeiaufsicht stehenden Personen nebst Aktenzeichen. Verwaltungsrechtliche Verfahren würden gegen drei Personen laufen, Strafverfahren gegen zwei weitere. Die Staatsanwaltschaft von Huszt ermittle gegen drei wegen religiöser Hetze.317 Am 21. Juni 1941 meldete dann der Oberstuhlrichter von Ökörmező dem Innenminister, dass er am 21.  Dezember 313 

Ebenda, K149 – 8 – 5230, Bl.  131  f. Mit Az. 438.843/13. 1941. 315  Mit Az. 8.741/1941./VII. 316  Ebenda, B. 94f, 131. 317  Ebenda, Bl. 117, Az. 518/1941. 314 

G.  Auswirkungen der Verbotsverfügung 151.997/1940

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1939 aufgrund von VO 363.500/1939 die Zeugen Jehovas verboten habe. Schriften, „15 Stück Betbücher / Altes und Neues Testament / wurden beschlagnahmt“, also Bibeln. Die Gemeinschaft wurde aufgelöst und „jedwede Tätigkeit“ würde genauestens überwacht werden, so dass sie „keine Tätigkeit ausüben“ könnten.318 Die Maßnahmen in Transkarpatien belegen einen umfassenden, wenn auch wenig informierten und differenzierten, Einsatz der örtlichen Behörden auch aufgrund nachdrücklichen Begehrens der Regierungsbehörden. Der Chef des Polizeikommandos Ungvár musste in seinem Bericht vom 8. März 1941 dennoch einräumen, dass „trotz starken Eingreifens der Behörden auf dem Gebiet der Karpato-Ukraine die kirchen- und staatsfeindliche Sekte ihre Tätigkeit nicht völlig eingestellt hat, sondern im Geheimen weiter ihre Irrlehren verbreitet“. Die Zahl sei zwar nach dem Vorgehen der Behörden aufgrund der Verbotsverfügung gesunken, aber in vielen Fällen wären sie nur noch kämpferischer geworden, je mehr Strafe sie erleiden mussten. Abschließend mahnte er „große Rückbekehrungsarbeit der griechisch-katholischen Kirche“ ein. Er forderte weiter: Um erfolgreich zu sein, wäre es nötig, „eine zentrale Tätigkeit zu entfalten, bei der die Polizei- und Verwaltungsbehörden Schulter an Schulter mit den Kirchenbehörden kämpfen, um die schädliche religiöse Krankheit auszumerzen“. Eine Abschrift seines umfangreichen Berichts ging auch an den „Kormányzói Biztosá“, den Kommissar des Reichsverwesers.319 Somit war die religiöse Angelegenheit in Transkarpatien auch zur Chefsache geworden. Die handschriftliche Notiz des Innenministeriums auf der Rückseite des Berichts von Gyula Király, Abt. Öffentliche Sicherheit, über die bereitwillige Zusammenarbeit des Leiters des Grenzpolizeikommandos und die Erwähnung „In Verbindung mit den Sekten würde er noch weitere Aufklärungsarbeit leisten und berichten“,320 legen nahe, dass man mit diesem wenig substantiellen Bericht recht zu frieden war, was wiederum Aufschluss über die Gesamtberichtlage und die Qualität der Aufklärungsarbeit gibt. Möglicherweise hatten die örtlichen Polizei- und Gendarmeriebehörden bei ihrem Vorgehen gegen kommunistische Bewegungen sich bereits in die umfassende und akribische Fahndungs- und Ermittlungsarbeit „eingearbeitet“. Auch die Taktik des Vorgehens gegen die Anführer der Gemeinschaften weist Parallelen auf. In jedem Fall hatten die Behörden beim Ausschalten der Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften Schützenhilfe durch die Militärbehörden, das Innenministerium wie die Budapester Polizeizentrale. Wie die Beispiele zeigen, wurden Erkenntnisse der Militärbehörden den örtlichen Organen schnellstmöglich übermittelt, teilweise sogar durch Abschriften der Verhörsprotokolle. Durch das Nachfassen der oberen Behörden wurde die Erledigung sichergestellt. Auch wenn die Verweigerer keine Aussage zu ihrem Umfeld machten, war schon aufgrund ihrer Herkunft klar, dass es in dem jeweiligen Gebiet aktive Anhänger gab. Das trug dazu bei, dass ganze Gebiete aufgerollt wurden, die teilweise zumindest nicht 318 

Ebenda, Bl. 129. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  184. 320 Ebenda. 319 

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unbedingt aufgefallen wären, oder wo man angenommen hatte, dass die Tätigkeit nach Behördenaktionen eingestellt worden war. Die Mitarbeiter des Innenministeriums und der Militärbehörden haben die Verhörsprotokolle genaustens studiert, und Maßnahmen veranlasst. Ohne diese Hilfe, wäre das Eingreifen der Behörden wohl nicht so umfassend und nachhaltig, so treffsicher und erfolgreich ausgefallen. Zu diesem Schluss kam auch der Innenminister. Auf eine Anfrage des Verteidigungsministeriums, Abteilung 13, vom 23. Juni 1941 zur „Beschaffung von Informationen zu Sekte der Jehovas Zeugen“ „in Verbindung mit Strafverfahren vor den Justizbehörden des Militärs wegen Übertretung von § 4 GA XVII/1938 [des Vereinsgesetzes] durch Anhänger der Sekte Jehova Gott Zeugen“, „ob die Sekte nach der durch die von Ihrer Exzellenz herausgegebene VO 363.500/1939 vom 2. Dezember 1939 einsetzende Auflösung als ‚verbotene Organisation‘ noch weiter existiert und tätig ist“,321 erklärte er durch seinen Ministerlichen Abteilungsrat, Dr. Benczur-Ürmössy, am 7. Juli 1941 „dass die gesetzlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaft der ‚Jehova Gott Zeugen‘ /Sekte / nach meiner Auflösung durch die Rundverordnung 363.500/1939 VII. de jure nicht mehr als existent zu betrachten ist. In Bezug darauf, inwiefern irgendwo nach Auflösen der Sekte eine solche verbotene Organisation noch tätig sein würde, gibt es keine Belege, wenngleich es heute noch viele Anhänger gibt.“322 Abgesehen davon, dass hier einmal mehr die enge Zusammenarbeit der beiden Ministerien deutlich wird, in dem Versuch, die Tätigkeit der Gemeinschaften einzustellen, sei es durch zivile Strafmaßnahmen oder die Einberufung zum Militär und bei Verweigerung folgende militärische Strafmaßnahmen, wird auch deutlich, dass man zwar die Tätigkeit der Organisation an sich als nicht mehr als existent betrachtete, dies aber nur einschränkend – de jure – festzustellen sei, da tatsächlich die Anhänger trotz der umfassenden, konzertierten Aktionen noch immer tätig waren. Ausgelöst hatte die Anfrage des Verteidigungsministeriums beim Innenministerium der Fall des Zeugen Jehovas Endre Kádas aus Mezővári (Karpato-Ukraine), der am 17. Oktober 1940 vom MG Kassa zu 1 Jahr und 6 Monaten Haft wegen Militärdienstverweigerung verurteilt worden war, wobei das Gericht den zivilen GA XVII/1938 zum Vereinsrecht heranzog.323 Einer Forderung der Juristischen Abteilung des Verteidigungsministeriums, auf Kassation des Urteils hatte das Oberste Militärgericht jedoch abgewiesen. Der promovierte Jurist Frigyes Kormann erklärte daraufhin, dass „die Aussagen der die Lehren der Sekte der Jehovas Zeugen Verbreitenden zeigen, dass es die Sekte als geheim tätige Sekte überhaupt nicht gibt, es daher keine Möglichkeit gibt, dass die Sektenanhänger austreten“. Nunmehr wollte er sich einen grundsätzlichen Überblick über die Sachlage verschaffen, weshalb er sich am 23. Juni 1941 an den Innenminister wandte und wissen wollte, „ob die Sekte […] noch weiter existiert und tätig ist“. Er erklärte, „dass 321 

HM, 1942 13. oszt. 5550cs. 471 982. Ebenda, Az. 257.932/1941 VII.a. 323  Ebenda. HM, 1942 eln. 13.5550 cs. 521.704. MOL, K149 – 1940 – 7 – 5018. Kádas war schon seit neun Jahren Zeuge Jehovas. HM, 1942 eln. 13.5550 cs. 521.704. 322 

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der Umstand, dass sich einer zu den Lehren der Sekte bekennt, dieses als reine Gewissensache an sich genommen nicht als Übertretung von § 4 GA XVII/1938 angesehen werden kann.“324 Auch wenn die Aussage hinsichtlich des Gewissens nur in Verbindung mit § 4 GA XVII/1938 erwähnt wurde, ist es zum einen interessant, dass es überhaupt eine Rolle spielte, obgleich es bisher eher keine Erwähnung fand, zum anderen stellt sich die Frage, wieso die Gewissensfrage nur in Bezug auf dieses Gesetz und nicht auch auf andere strafausschließend greifen sollte bzw. überhaupt diskutiert wurde. Überhaupt war das Thema Religionsfreiheit fast komplett vom Tisch, war mit der ersten Verbotsverfügung quasi abgehakt. Allerdings sind Glaubens- und Gewissensfreiheit relativ schwer voneinander zu trennen. Der Glauben zieht oft Gewissensentscheidungen nach sich. Gerade mit der Verweigerung des Militärdienstes müsste dieser Punkt ohne Frage diskutiert werden.

II.  Entwicklungen bei der Heilsarmee Die Heilsarmee war von der 1939er-Verbotsverfügung des Innenministers nicht betroffen. Am 1. Juli 1941 traf jedoch auch sie das Verbot – wenn auch nur vorübergehend. Einer ihrer führenden Mitglieder wandte sich daraufhin an den Reformierten Konvent mit der Bitte um Unterstützung, damit die Gemeinschaft ihre Tätigkeit weiter fortsetzen könne. Der Konvent wies jedoch die Bitte zurück.325 Dennoch schützten die Gemeinschaft möglicherweise ihre guten angelsächsischen Verbindungen vor der Auflösung der Vereinigung, was ihnen auch einen gewissen Tätigkeitsspielraum ermöglichte. Im Frühjahr 1943 wurde dann ihre Tätigkeit tatsächlich verboten.326

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren I.  Verwaltungstechnische Entwicklungen Wenngleich die Internierungspraxis der frühen Zwanziger Jahre zunehmend eingestellt worden war, lebte sie, vielleicht auch mit der weiteren Anbindung an das nationalsozialistische Deutschland, den Kriegsentwicklungen, der Rückgewinnung früherer Gebiete und der Bekämpfung vor allem linksorientierter und kommunistischer Bewegungen wieder auf, obwohl deren Anhängerzahl im Stammland überschaubar und bereits Ende der dreißiger Jahre registriert worden war.327 Aus 324 

Ebenda, 1942 13 oszt. 5550 cs. 471 982. Szigeti, Szabadegyházak, S. 206. 326 Ebenda. Balogh, Margit: A kisegyházak (1920 – 1944) [Kleine Kirchen (1920 – 1944). In: Kollega-Tarsoly, István (Hrsg.): Természeti környezet, népesség és társadalom, egyházak és felekezetek, gazdaság [Natürliche Umgebung, Bevölkerung, Kirchen und Bekenntnisse]. http://mek.oszk.hu/02100/02185/html/257.html (Zugriff am 12.9.2013). 327  Kovács, Tamás: Államvédelmi központ 1942 – az első kísérlet az egységes magyar állambiztonsági csúcsszerv kialakítására [Staatssicherheitszentrale 1942 – erster Versuch 325 

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den monatlichen Lageberichten an den Innenminister geht in der Folge immer wieder hervor, dass es kaum kommunistische Aktivitäten gab. Nur ab und an konnten von den örtlichen Behörden Vermutungen auf kommunistische Handlungen gemeldet werden.328 In Verbindung mit den kleinen Religionsgemeinschaften lassen sich erste Internierungen schon 1937 belegen – so im schon analysierten Fall des Zeugen Andorkó.329 Die Internierungsmaßnahmen, die man auch als rechtsstaatliches Armutszeugnis werten muss, da der Staat politische Gegner ohne Gerichtsverfahren, ohne Beachtung verfassungsrechtlicher Freiheiten eine Zeit lang wegsperren konnte, passt in die zunehmend radikalere Ausrichtung des Systems – einer Eliminierungsstrategie mit außerordentlichen Vollmachten bei Kriegsgefahr und in Kriegszeiten durch GA II/1939. Mit § 150 bot sich in der Ingewahrsamnahme durch Polizeiorgane eine entsprechende rechtliche Grundlage für Internierungen. Mit den Verordnungen 8.130/1939 M. P. und 760/1939 konnten Personen, die für die öffentliche Sicherheit gefährlich oder aus wirtschaftlichen Gründen schädlich erschienen, unter Polizeiaufsicht gestellt oder in Gewahrsam genommen werden. Zuständig für die Internierung war der Innenminister.330 Die Internierung, aber auch das Verhängen von Polizeiaufsicht oder die Ausweisung von Personen aus einem Gebiet stellen in jedem Fall starke Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte dar. Internierungsmaßnahmen galten als Eliminierungsstrategie zum Ausschalten von Störfaktoren – auch in Verbindung mit Anhängern kleiner Religionsgemeinschaften, besonders was Zeugen Jehovas und Nazarener anbelangt.331 Man hielt Internierungen aber auch für ein probates Mittel der Einschüchterung und Abschreckung. Belege dafür finden sich u. a in den Aktionen in den Grenzgebieten. So hatte man mehrfach Anführer oder sehr aktive Glaubensanhänger interniert, um die Tätigkeit der Gemeinschaft zum Erliegen zu bringen, weil die führenden Köpfe fehlten, aber des Aufbaus eines einheitlichen ungarischen Staatssicherheits-Spitzenorgans]. In: Gaál, Gyula/Hautzinger, Zoltán (Hrsg.): Pécs Határőr. Tudományos Közlemények [Pécser Grenzposten. Wissenschaftliche Mitteilungen]. Nr.  XI, Pécs 2010, S. 339 – 348, hier 339. http:// www.pecshor.hu/periodika/XI/kovacst.pdf (Zugriff am 12.12.2012). 328  Das Kaposvárer Polizeipräsidium meldete im Februar 1942: „Kommunistische Organisationen sind in unserer Stadt nicht zu verspüren, aber ohne Frage gibt es Personen, die so denken auch hier. Verteilen von Flugblättern, Organisieren und Zusammenkommen gab es jedoch nicht, weil schwere Folgen zu erwarten wären und das Internieren einiger Kommunisten hat Auswirkungen auf andere.“ Das Sátoraljaújhelyer Polizeipräsidium berichtete im ebenfalls im Februar über die „Linken“, wohl mit Bezug auf Juden: „Auch auf der linken Seite gibt es Bewegung, die sich im Moment aber nur in der üblichen schändlichen Propaganda, Verbreitung von Gräuelnachrichten und Destruktion äußert. Seit dem Stillstand der russischen Front schöpft Hoffnung auf Niederschlagung der Achsenmächte und als ob sich unterirdische Schmutzkanal geöffnet hätte, so ergießt sich mit größter Umsicht und Vorsicht aber absurdeste und aufrührerische Nachrichten.“ MOL, K149 – 651-f2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-I./Januar, Bl.  102  f., 163, 167. 329  Ebenda, K150 – 1939-VII-9, Bl. 30 f. 330  MRT, II, S. 1451 – 1453, 1269. 331  Kovács, Internálás, S. 438.

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auch um die anderen einzuschüchtern, was teilweise funktionierte, häufig aber auch nicht.332 In der Verfügung des Innenministers 363.500/1939 zum Verbot der die „Interessen der Landesverteidigung gefährdende Tätigkeit von Sekten“ wurde direkt darauf verwiesen, dass die Polizeibehörden wenn nötig auf der Grundlage der Verordnungen 8.130/1939 und 760/1939 die Glaubensangehörigen unter Polizeiaufsicht stellen oder internieren konnten.333 Diese Verordnungen in Verbindung mit GA II/1939 ermöglichten es den Behörden, sich nicht systemkonformer Individuen oder Gruppierungen ohne großen Aufwand zu entledigen. Zunehmend von Interesse wurde das Thema Internierung in Verbindung mit dem Fall M,334 der Mobilmachungen ungarischer Streitkräfte. Révész zufolge hatte die Regierung von der Internierungsmaßnahme hauptsächlich von 1939 bis 1941 in den „wieder einverleibten Gebieten“ umfassend Gebrauch gemacht.335 Zu dieser Aussage passen die vorgenannten Aktionen von Polizei und Gendarmerie im Fall Angehöriger kleiner Religionsgemeinschaften von Jehovas Zeugen in Transkarpatien und Oberungarn – während derer immer wieder Internierungsvorschläge unterbreitet bzw. Internierungen erwähnt wurden. Allerdings geht die Internierungspraxis wie die nachfolgenden Beispiele zeigen sollen, weit darüber hinaus, sowohl was den Zeitraum als auch das Territorium betrifft.336 Bei den Vorbereitungen zu den Internierungsmaßnahmen waren sich die Behörden über die Höhe der Anzahl zu Internierender nicht im Klaren, teilweise rechnete man mit einigen Tausenden, dann korrigierte man diese Zahlen wieder kräftig nach unten.337 Innen- und Verteidigungsministerien stimmten sich wiederholt über 332  Vgl. MOL, K149 – 1941 – 9 – 8230 (?), Bl.  165. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  18. Ebenda, Bl. 170. 333  Belügyi Közlöny [Anzeiger des Innenministeriums], 1939, Nr. 57, S. 1647. 334 Mozgósítás – Mobilmachung oder auch „Fall RM“, Részleges Mozgósítás – teilweise Mobilmachung. Vgl. Szigeti, Lajos: A hadkiegészítés rendszere [Das System der Heeresergänzung]. In: Hadtudomány, Jg. 10, Nr. 3. www.zmne.hu/kulso/mhtt/hadtudomany/2000/3_5.html (Zugriff am 15.7.2013). M. Kir. Budapesti I. Honvéd Hadtestparancsnokság [I. Ung. Kgl. Generalkommando der Armee]: Az ejtőernyős elháritás (ejel.) szabályozása az I. Hdt. területén [Regelung zur Abwehr von (nächtl.) Fallschirmjägern auf dem Gebiet des I. Genkom.]. Budapest 1942, S. 19. Streng vertrauliche nicht veröffentlichte interne Anweisung. www.vorosmeteor.hu/szakirodalom/01/42_1hdt.pdf 335  Révész, Verfassung, S. 55. 336  Leider gibt es auf dem Gebiet der Internierung bisher nur wenige Forschungsarbeiten – wohl auch wegen der schlechten Quellenlage. Für einige grundlegende Informationen wurde die Veröffentlichung „Az internálás mint rendészeti válasz állambiztonsági és államrendészeti kihívásokra 1919 – 1945 között [Die Internierung als polizeiliche Antwort auf Herausforderunge der Staatssicherheit und Staatsordnung zwischen 1919 und 1945]“ des Historikers und Mitarbeiters der Magyar Országos Levéltár (Ungarisches Staatsarchiv) Tamás Kovács herangezogen. Weiteres soll aus dem eingesehenen Aktenmaterial rekonstruiert werden. 337  Aus einer Pro-domo-Notiz des Verteidigungsministeriums vom 13. Juli 1940 zeigt die geplante Vorgehensweise und gibt einen kleinen zahlenmäßigen Einblick: „Die über die ungarische Staatsbürgerschaft verfügenden unzuverlässigen Männer werden im Fall M in

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Vorgehen und organisatorische Maßnahmen ab. Eine Akte des Verteidigungsministeriums, Präsidialabteilung 1a, vom Juli 1940 belegt diese enge Zusammenarbeit am Beispiel der Unterbringungsproblematik: „Im Interesse der auf dem Gebiet des exekutiven Dienstes verlangten engeren Zusammenarbeit nahm die 1/a-Abteilung mit den zuständigen Fachabteilungen des Innenministeriums Kontakt auf. Bei der gegenseitigen Information kam die Frage der Internierung von staatsfeindlichen Personen auf. […] Der Herr Verteidigungsminister hat für diesen Zweck die Sicherstellung der benötigten Plätze versprochen. Das Innenministerium bittet deshalb die Plätze der Internierungslager mitzuteilen, ferner die Vorsorge für die benötigten Wachen zu treffen. […] Alle unzuverlässigen (staatsfeindlichen) Personen werden in Arbeitskommandos eingeteilt. Eine Ausnahme bilden nur Frauen, Behinderte und Alte.“338 Wie hier deutlich wird, sollte die Internierung auch vor Frauen und älteren Personen nicht haltmachen, wenngleich sie nicht für Arbeitskommandos herangezogen werden sollten.339 Nach weiteren Verhandlungen zwischen Innen- und Verteidigungsminister über Örtlichkeiten erklärte sich letzterer, wie aus einem Schreiben vom 12. Juli 1940 hervorgeht, bereit, Objekte zu Internierungszwecken von rund 6 000 Personen zur Verfügung zu stellen, darunter Nagykanizsa mit 2 100 Personen, und man wies an, sofort mit den entsprechenden Vorbereitungen der Lager zu beginnen. Gleichzeitig diskutierte man die Aufstellung von Sonderarbeitskommandos aus Internierten.340 In einer Konferenz am 31. Juli 1940 kam man dann in Abstimmung mit dem Innenministerium zu dem Ergebnis, dass mit weniger als 6 000 Personen zur Internierung zu rechnen war. Offensichtlich bevorzugte man, so viele wie möglich zur Zwangsarbeit einzusetzen. Außerdem verfügte der Innenminister bereits über Lager in Kistarcsa, Nagykanizsa und Zalaegerszeg mit einem Fassungsvermögen von 1 600 Personen. „Staatsfeindliche, über die ungarische Staatsbürgerschaft verSonderarbeitskompanien eingeteilt. Die Anmeldung der durch die letztens erlassenen Verordnungen zur Internierung empfohlenen Personen aus dem Gebiet der einzelnen Militärbezirkskommandos ist im Gange. Gemäß den bis jetzt eingegangenen Berichten wurden zur Internierung empfohlen: aus dem Gebiet des III. Militärbezirkskommandos 42 Personen (davon 4 Frauen), aus dem Gebiet des IV. Militärbezirkskommandos 20 Personen (davon 10 Frauen), aus dem Gebiet des V. Militärbezirkskommandos 5 Personen (davon 4 Frauen), aus dem Gebiet des VII. Militärbezirkskommandos 38 Personen (davon 8 Frauen).“ Da die Zahl der Internierten bis dahin nicht so hoch war, sollten sie in 2 – 3 Bezirkskommandos zusammengezogen werden, die Frauen waren in einem Lager unterzubringen. Einlegebogen zur Akte HM, 1940 eln. 1a oszt. 1940 37.606/eln.1.a-1940.H.M. 338  Ebenda, Bl. 3, 17. 339  Zur Vermeidung von Schriftverkehr war eine interne Konferenz mit dem Thema „Internierung der hinsichtlich der Staatstreue Unzuverlässigen im gegebenen Fall“ geplant, wobei es neben der Kostenfrage wiederum um die Zahl der zu Internierenden, die Sicherung des Lagers und dessen Bewachung ging. Ebenda. 340  Ebenda, 1940 eln. 11 oszt. 37.658. An der Bereitstellung zusätzlicher Lager würde gearbeitet. Als weitere Internierungsorte sollten Tápiósüly (715 Personen), Érsekújvár (1.430 Personen), Komárom (303 Personen) und Léva (630 Personen) dienen. Auch Ebenda, 1940 eln. 11 oszt. 102.222/1940-VI v. 5.7.1940.

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fügende Männer“ würden im gegebenen Fall „in Sonderarbeitskommandos eingeteilt“ werden.341 Als weitere Maßnahme beschloss man, was auch zur Leerung der Lager führte: „Die staatsfeindlichen, über ungarische Staatsbürgerschaft verfügenden Männer (auch die, die zurzeit in einem Lager interniert sind) werden im gegebenen Fall sofort zum Militärdienst einberufen. Als Folge davon werden die vom Innenministerium unterhaltenen Lager (Kistarcsa, Nagykanizsa, Zalaegerszeg) größtenteils geleert.“342 Infolgedessen sei es nicht nötig, Militärinternierungslager zur Verfügung zu stellen.343 Das war eine interessante Wende: Männer sollten für Kriegszwecke herangezogen werden – eine kosten- und platzsparende Lösung. Tatsächlich lassen sich Fälle von internierten Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften belegen, die aus dem Lager (wie Kistarcsa) zum Militärdienst herangezogen wurden.344 Am 12. April 1941 ging vom Generalstabschef, Abteilung Nachrichtendienst und Spionageabwehr345 ein Schreiben zur „Internierung ausländischer Staatsbürger, Einberufung ungarischer unzuverlässiger Staatsbürger zu einer Zwangsarbeitseinheit und ihre Internierung“ an den Innenminister, in dem er die „erstinstanzlichen Behörden / auch die Gendarmerie,“ anwies,346 „bei der Internierung ausländischer Staatsbürger und der unzuverlässigen ungarischen Staatsbürger“ zu beachten, dass unter den „derzeitigen außenpolitischen Umständen“ fremde Staatsbürger, gefährliche Frauen, Personen gegen die ermittelt würde, ungarische fürs Militär untaugliche männliche Staatsbürger oder Staatsbürger deren Alter über oder unter der

341 Ebenda. Gemäß VO 36.054/1940/eln. 2. Vkf.D. der präsidialen vkf-Abteilung 2 (Nachrichtendienst und Spionageabwehr beim Generalstab) kamen nur fremde Staatsbürger, ferner über ungarische Staatsbürgerschaft verfügende Frauen zur Internierung in Frage. IM an VM wegen Überlassung von Internierungslagern am 5.7.1940, Az. 102.222/1940-VI.a. Vgl. Ebenda, 1940 eln. 1/a 3236 cs. 37606. Diskussion und Information vom 13.7.1940 zu Internierungslagern für unzuverlässige Personen. Ein Ergebnis der Konferenz war auch, „die Internierung der hinsichtlich der Staatstreue unzuverlässigen Personen […] im Zuständigkeitsbereich des Herrn Innenministers zu lassen“. 342 Ebenda. Zunächst wollte man auf Lager des Verteidigungsministers verzichten: „Falls man solche später doch noch brauchen würde, so werden entsprechende Lagern auf Anforderung des Herrn Innenministers, wenn es notwendig wird, mit kompletter Einrichtung und Wachpersonal zur Verfügung gestellt.“ 343  Zumal es offensichtlich finanzielle Engpässe gab: „Die Abt. 13 hat schon 1941 geplant, ein neues 2 000 – 3 000 Insassen fassendes milit. Strafgefängnis bereitzustellen, das konnte jedoch nicht umgesetzt werden, weil dazu […] die nötigen Mittel nicht“ zur Verfügung stünden. Das bedeutete auch, die Militäinhaftierte „in zivilen Gefängnissen zu verwah­ren“. Ebenda, 1942 eln. 13 5167 cs. 344  Zum Beispiel Lajos Deák. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230. 345  István Ujszászy, der spätere Chef der ÁVK, der Staatssicherheitszentrale, war von 1939 – 1942 Chef der Abteilung vkf 2, Nachrichtendienst und Spionageabwehr, beim Verteidigungsministerium. 346  Unter Berufung auf die vom Obersten Militärrat herausgegebene Richtlinie 1.212./ OM. Biz. LHT.-1941.

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Wehrpflichtsgrenze lag „sofort zur Internierung in Betracht kommen“. Weitere Internierungsmaßnahmen in den Kriegsgebieten seien vorbehalten.347 Tatsächlich nahm auch die Kriegssituation Einfluss auf Internierungsmaßnahmen, wie ein Dokument des Innenministeriums über „präventive Maßnahmen in Verbindung mit dem ungarisch-sowjetrussischen Kriegszustand“ vom 27. Juni 1941 zeigt. Demnach waren z. B. Personenverzeichnisse über kommunistische Verurteilte, wegen Spionage oder Sabotage Verurteilte, über Personen, gegen die schon wegen kommunistischer Organisation ermittelt wurde, die einen kommunistischen oder „internationalen Geist des Staatsumsturzes“ offenbaren, über Zionisten und Freimaurer Vereinigungen zu führen, doch allein schon der Verdacht hinsichtlich eines der vorgenannten Punkte war ausreichend. Führer der sozialdemokratischen Partei und der Arbeitervereinigungen waren „geheim durch die Polizei“ zu überwachen, ferner „Führer und Mitglieder international angehauchter Vereinigungen und Gesellschaften“. Insofern sich die Taten der Genannten gegen Ziele der Kriegsindustrie bzw. Kriegswirtschaft richteten, waren sie sofort der territorial zuständigen Militäreinrichtung „zu melden und wenn nötig gemeinsam geheim zu ermitteln oder zu beobachten“. Internierungen konnten veranlasst werden.348 Außer Kistarcsa,349 Nagykanizsa und Zalaegerszeg galten als Internierungslager auch das Zuchthaus und das Verschubhaus in Budapest, Lager in Kolozsvár, Garany, Szabadka und Topolya.350 Daneben werden Alag, Sárvár, Alsódabas-Gyón, Zalaegerszeg erwähnt. Mit Kriegseintritt wurden weitere Lager eingerichtet.351 Wie aus dem bereits zitierten Bericht der Ermittlungskommission der politischen Abteilung der Budapester Oberstadthauptmannschaft vom 28. August 1940, Az. 3.886, in Sachen „Aufdeckung der Tätigkeit der Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ in Budapest“ hervorgegangen war, befanden sich spätestens zu diesem Zeitpunkt bereits zehn Zeugen Jehovas im Internierungslager Kistarcsa. In der Fortführung der Angelegenheit hatte die Abteilung VII des Innenministeriums am 11. Dezember 1940352 unter Verweis auf die Verbotsverfügung von 363.500/1939 gefordert, die „im Detektivbericht aufgelisteten“, „eine führende Rolle spielenden Personen“ zu internieren.353 Auch im Zusammenhang mit den bereits untersuchten Aktionen in Transkarpatien waren immer wieder Internierungen vorgeschlagen worden. Im Folgenden einige Beispiele über die gängige Praxis der Internierung und ihre Auswirkungen.

347 

HM, Vkf 1939 2. oszt. 298, Bl. 230 f., Az. 298 2vkf.-1941. MOL, K149 – 651.f.2/1941 – 1 – 11500. 349  In das auf Basis von GA II/1939 eingerichtete Zentrale Internierungslager Kistarcsa (Kistarcsai Központi Internálótábor) wurden nach der Besetzung Ungarns durch die Deutschen rund 2 000 Juden untergebracht und später nach Auschwitz deportiert. 350  Pintér, S. 70. 351  Ebenda, S. 61. 352  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  192. VO  15.645/1940. 353  Ebenda, Bl. 194. 348 

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II.  Fallbeispiele und Entwicklungen Bei den Aktionen in Budapest, Oberungarn und der Karparto-Ukraine waren vor allem einzelne Anführer interniert worden, so zum Beispiel der Zeuge Jehovas József D. aus Kistoronya. Nach Absprache mit dem Innenminister war er wegen Verbreitung von Publikationen, die sich gegen die Nation richten würden, am 1. Mai 1941 in das Lager Kistarcsa eingeliefert worden. Eine Berufung, die sowieso keine aufschiebende Wirkung hatte, wurde abgelehnt.354 Auch hier scheint dem Innenminister die Tätigkeit der Gemeinschaft durch ein Verhörsprotokoll eines Militärdienstverweigerers bekannt geworden sein. Im August 1940 hatte einer von ihnen erwähnt, dass es in Kistoronya etwa 30 Zeugen Jehovas gab, die sich in einem unbewohntem Haus versammelten, gemeinsam die Bibel und den „Wachtturm“ in ungarischer Sprache gelesen haben, wobei „über die Haltung zum Militärdienst nie gesprochen“ wurde.355 Nicht selten wurden auch von den Munizipialverwaltungen Internierungen verhängt. Im Fall des Zeugen Balázs B. beschloss zum Beispiel der Oberstuhlrichter von Sárospatok am 12. April 1941 die Internierung auf der Grundlage der älteren VO 4.352/1920, aber auch auf VO 8.130/1939 und VO 760/1939 mit der Begründung, dass „das Vorleben des Genannten, sein Verhalten die bestehende staatliche und gesellschaftliche Ordnung und den Frieden gefährde“. Die Gefährlichkeit bestand darin, dass „die Lehren den Ansichten der bestehenden gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften widersprechen“, dass er gegen diese hetzen würde und dass er „jede sich bietende Gelegenheit nutzt, seine Lehren zu verkünden, zu verbreiten“. Er habe auch seine Tochter dazu losgeschickt, um in der Umgegend so viel wie möglich Anhänger zu bekommen. „Ihre Ansichten verstoßen so sehr gegen alle patriotischen Einrichtungen, dass sie [die Zeugen] ihrer Erklärung zufolge noch nicht einmal bereit sind, zur Verteidigung der Heimat zur Waffe zu greifen, da es ihrer Meinung nach egal ist, zu welcher Nation man gehört.“ Es sei davon auszugehen, dass er „seine Umgebung und die mit ihn in Berührung kommenden Seelen mit seinen unpatriotischen, die Nation spaltenden Ansichten ansteckt“. Der Obergespan erklärte, er habe „zur Sicherung der religiösen und patriotischen Erziehung seiner Kinder“ und „zum Schutz der öffentlichen und gesellschaftlichen Ordnung“ so entschieden. Als Internierungsort bestimmte er Kistarcsa.356 Der Beschluss wurde vom Obergespan am 18. April 1941 an den Innenminister gesandt.357 Was mit den Kindern, respektive der Tochter geschah, ist unbekannt. Möglicherweise blieb sie unbehelligt. 354 MJTA, DOK-320. Am 17. Februar 1942 wurde seine Internierung nach weiteren Überprüfungen und in Rücksprache mit dem Innenminister aufgehoben und D. unter Polizeiaufsicht gestellt. Ebenda, DOK-319. Az. des Beschlusses des Vizegespans des Komitats Zemplén 4943/1941. 355  HM, 1941 13 oszt. 4666 cs. 530.594. Verhörsprotokoll des Verweigerers Péter Kac­ sur v. 21.8.1940. 356  MJTA, DOK-282, Az. 1.866/1941. 357  Ebenda, DOK-282.

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In einem weiteren Fall bestimmte der Oberstuhlrichter von Sárospatak am selben Tag, am 12. April 1941 die Internierung des Feldarbeiters, Zeugen Jehovas, József N. S., in Kistarcsa auf derselben rechtlichen Grundlage wie im vorangegangenen Fall. Sein Verhalten gefährde „die bestehende staatliche und gesellschaftliche Ordnung und den Frieden“. Obgleich er leugnete, könne es keine Zweifel daran geben, dass er sich darum bemüht habe, „für die Sekte der Jehovas Zeugen Anhänger zu beschaffen“. Das ginge aus der Befragung von drei Zeugen hervor. Den Vorwurf, „dass seine Ansichten der Erfüllung patriotischer Pflichten widersprechen“, bestätigte er nicht, weshalb man meinte, er wolle „seine unpatriotische Haltung verhehlen“. Der Oberstuhlrichter habe sich zur Internierung entschieden, „damit József S. N., der der Anführer und Leiter der Verkünder dieser die Gesellschaft spaltenden, im Dunkeln verborgenen Ansichten ist, der sich aufgrund seiner Intelligenz auch zur Leitung der Sekte berufen fühlt, seine Umgebung nicht noch mehr infiziert,“ und „zur Sicherung der religiösen und patriotischen Erziehung seiner Kinder, ferner zum Schutz der öffentlichen und gesellschaftlichen Ordnung“.358 Für seine Vorwürfe hatte der Oberstuhlrichter offensichtlich keine Beweise, die er sonst angeführt hätte. Auch ein Geständnis lag nicht vor. Allein die Zeugenaussagen zu seiner Predigttätigkeit, seine Annahme und subjektive Interpretation seiner Ansichten lieferten die Grundlage für die Internierung. In diesem Zusammenhang darf man auch nicht vergessen, das Ungarn am 11. April in den Krieg eingetreten war, was zusätzliche Argumente lieferte, wie auch der nächste Fall zeigt. Am 22. September 1941 entschied der Oberstuhlrichter gegen die Zeugen János K. aus Vámosújfalu und István Z. aus Bodrogolasz (Nordostungarn, Nähe von Miskolc, also Stammland) und begründete: „Ich musste die sofortige Internierung der oben Genannten anordnen, weil sie bei der Musterung vor mehr als 100 Wehrpflichtigen und militärischen wie zivilen Funktionären am 22.9.1941 das Ablegen des militärischen Eides verweigert […], die Nationalhymne nicht mitgesungen und ihre Mützen nur nach strenger nachdrücklicher Aufforderung abgenommen haben […]. Damit haben sie die patriotischen Gefühle der anderen verletzt. Jetzt, da wir im Krieg stehen, die Sowjetrussen drohen, Europa und unsere Nation zu vernichten, und während unsere Helden-Soldaten in der Fremde ihr Blut vergießen für eine besseres und schöneres zukünftiges Ungarn, bedeutet die Haltung der oben Genannten eine außergewöhnlich große Gefahr für die Sicherheit des Staates und die Sicherung des inneren Friedens. Mit ihrer Haltung geben sie ein überaus schlechtes Beispiel für die Heimatlosen und die Hirnrissigen, deren Interesse es ist die Ungarische Heimat in den Schmutz zu ziehen und die gesellschaftliche Ordnung aufzubrechen. Um ein Exempel zu statuieren, musste ich ihre Internierung anordnen, die sofort […] umzusetzen war, weil ihre Anhänger schon seit vielen Jahren die nations- und staatsfeindlichen Irrlehren […] verbreiten.“ Erschwerend käme hinzu, „dass sie ihre unpatriotischen und die Disziplin untergrabenden Taten bei einer militärischen Musterung vollzogen haben. János K. ist wegen seiner 358 

Ebenda, DOK-209, Az. 1833/1941. UaP János Lakó.

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Überzeugung bereits vorbestraft. Sie waren auch beim Verhör nicht bereit, davon zu lassen.“359 Ganz offensichtlich handelte es sich hier um einen emotionalen, äußerst patriotisch eingestellten Richter, dem daran gelegen war, ein Exempel zu statuieren, da die beiden nicht von ihrer Überzeugung abwichen. Tatsächlich hatte die Verfahrensweise der Internierung auch Erfolg, wenngleich solche Meldungen eher spärlich gesät sind. Der sich in Nagykanizsa befindende Lajos D. aus Szolyva stellte Antrag auf Begnadigung in seiner Internierungssache, da „er zur katholischen Kirche zurückkehren will und auch an der heiligen Messe teilnehmen wird“. Obgleich die Rückkehr zur historischen Kirche der maximale Erfolg war, sprach sich die Verschubanstalt von Nagykanizsa am 22. Juli 1941 dagegen aus, da er „als einer der eifrigsten Anhänger der ‚Jehova Gott Zeugen‘ von der Grenzpolizei von Huszt interniert wurde und sein Aufenthalt damit aus staatsrechtlicher Sicht in Szolyva besorgniserregend“ sei.360 D. ist auch ein Beispiel dafür, dass Internierte zum Wehrdienst herangezogen wurden. Weil er zunächst den Dienst verweigert hatte, war er zu 1 Jahr 1 Monat Haft verurteilt worden. Aus seinem Verhörsprotokoll vom 11. Juni 41 geht hervor, dass er „vor 2 Monaten mit den anderen Zeugen Jehovas“ nach Nagykanizsa verbracht worden war „und gehöre auch derzeitig noch dorthin“.361 D. war aber nunmehr, „nachdem er immer wieder aufgefordert worden war, dem Befehl nachzukommen“, dazu bereit, Dienst zu verrichten. Seine Akte ging an den Innenminister.362 Das Gnadengesuch wurde in der Sitzung des Obersten Militärgerichts am 8. August 1941 befürwortet, nicht nur, weil er den Dienst mittlerweile verrichtete, sondern auch weil er bereit war, zur katholischen Kirche zurückzukehren.363 Nachdem ebenfalls der Generalstab zugestimmt hatte, wurde die Sache dem Verteidigungsminister mit derselben Argumentation vorgelegt. Es ist davon auszugehen, dass sie befürwortet wurde.364 359 

Ebenda, DOK-286. Az. des Urteils 1936 B II 1283/3. HM, 1941 eln. 13 4333 cs. 500.584; Bl. 300. 361  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl.  71. 362  Ebenda, Bl. 300. 363  Ebenda, Bl. 299. 364  Ebenda, Bl. 302 – 306. Auch im Zusammenhang mit Polizeiaufsicht wird von einem Beispiel der Rückkehr zur historischen Kirche berichtet. Nachdem in der Wohnung eines Mannes in Szürnyeg Bücher der Zeugen Jehovas gefunden worden waren, wurde er im Juli 1942 unter Polizeiaufsicht gestellt, obwohl ihm von der Gemeinde bescheinigt wurde, dass er seine Verpflichtungen gegenüber Familie, Gesellschaft und Staat jederzeit gewissenhaft erfüllt habe. Er sei ein arbeitsamer, ordentlicher, fleißiger Mann, der seine Wirtschaft musterhaft führt, nicht vorbestraft und die Einwohner der Gemeinde hätten nichts gegen ihn vorzubringen. Der Vizegespan wandte sich an den Oberstuhlrichter mit der Bitte um Milderung der Auflagen, was jedoch abgelehnt wurde, da Jehovas Zeugen „eine religions-, gesellschafts- und militärfeindliche Sekte“ seien. MJTA, DOK-263, DOK-264, DOK-265, DOK-266, DOK-267, DOK-268, DOK-334. Wie aus einem Verhörsprotokoll des Oberstuhlrichters von Sátoraljaújhely vom 3.9.1942 hervorgeht, hatte der Betreffende die Bücher noch aus der Zeit der tschechoslowakischen Regierung. Er erklärte, kein Zeuge Jehovas mehr zu sein, aber auch keiner rezipierten Kirche anzugehören. Noch am 23.10.1942 bestätigte der Oberstuhlrichter die Polizeiaufsicht. Erst als er bereit war, zur reformierten Kirche zu360 

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In den vorgenannten Beispielen wurden die Internierungen vor allem mit dem Schutz der bestehenden staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, des Friedens und der militärischen Interessen wie auch der Interessen der historischen Kirchen begründet. Doch auch der Kommunismus-Aspekt rückte immer wieder in den Mittelpunkt. Die örtlichen Behörden scheinen sich in Internierungsangelegenheiten zwecks Unterstützung auch an die zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie gewandt zu haben, wie in Debrecen, da das Hajduböszörményer Polizeipräsidium bei der „Bekämpfung“ der Zeugen Jehovas um Hilfe bat, weil man sich dort „mit dieser Sektenbewegung gründlich“ auskenne. Am 10. Dezember 1940 wurde dem Innenminister dann berichtet, man habe „die Sektenleiter und die fanatischeren Mitglieder“ interniert und unter Polizeiaufsicht gestellt; die Tätigkeit sei aber dennoch kaum zu stoppen. Die Zahl ihrer Anhänger wurde auf 30 Personen geschätzt.365 Über die zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie lassen sich auch die ersten Planungen für größere, organisiertere Internierungsvorhaben nachweisen. Das Ermittlungskommando der Debrecener Gendarmerie wandte sich am 28. Juni 1941 vertraulich an alle untergebenen Gendarmeriekommandos: „In der Folge der Geschehnisse der letzten Tage könnte es nötig werden, die kommunistischen Leiter zusammen mit den sonstigen Leitern linksorientierter Organisationen zu internieren bzw. zu besonderen Arbeitskommandos einzuberufen.“ Um für diesen Fall „die nötigen Angaben in der Hand zu haben“ wurde angeordnet: „Personen, bei denen begründeter Verdacht besteht, dass sie einer kommunistischen Organisation angehören, deren Angehörige in die Sowjetunion geflohen sind, oder wer in der Sowjetunion Verwandte hat oder dahin freundschaftliche Beziehungen pflegt, ferner diejenigen, deren Internierung der Kommandant zum Schutz militärischer Interessen als nötig und gerechtfertigt ansieht. / Dazu gehören die notorischen Verbreiter von Schreckensnachrichten usw./“ Sie seien in Listen zu erfassen.366 In der Folge ging im Juli 1941 bei der Gendarmerie Debrecen eine Aufstellung aus Balmazújváros vom 30. Juni 1940 über sieben Personen ein. In dieser Aufstellung befanden sich vier kommunismusverdächtige Personen, eine Person, die unwahre Gerüchte verbreiten würde und zwei Zeugen Jehovas, Eles Nemek und István Király, die beide nicht bereit wären, eine Waffe in die Hand zu nehmen.367 Die Ächtung kommunistischer Ideen und ihrer Verfechter ist auch Inhalt eines der wöchentlichen Rapporte in Sachen mit politischer Bedeutung vom 14. Septemrückzukehren, wurde sie am 9.3.1943 aufgehoben. Ebenda, DOK-268, DOK-269, DOK-270, DOK-337. 365  MOL, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000 XI./November, Bl.  641. 366  Ebenda, 1941 – 8 – 5230, Bl. 2, Az. B738. Unabhängig von bereits bestehenden Namenslisten, waren zusätzliche zu erstellen: „Ziel der neuen Namensliste ist […], dass darin nur die aufgenommen werden, die unter den derzeitigen Umständen interniert / oder in ein Arbeitskommando einberufen werden müssen.“ Dabei sollten konkrete Fakten für die Internierungsnotwendigkeit ausgewiesen werden. 367  Ebenda, K149 – 651.f.11/33, Bl. 28 f.

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ber 1941 zu Vorfällen in der Zeit vom 7. bis 14. September 1941 des Budapester Oberstadthauptmann an den Innenminister. Dabei berichtete er über einen Baptisten, der in Untersuchungshaft genommen wurde, „weil er immer wieder den Kommunismus lobte“, erklärt habe, „dass die Proletarier zusammenhalten müssen“ und er zwei kleinen Jungen die Internationale beigebracht hatte. Damit sei er eine „vom Standpunkt der Staatssicherheit besorgniserregende Person“ und sollte interniert werden. Eine weitere Person wurde wegen „kommunistischer Ideen, ferner Hetze“ von der politischen Abteilung inhaftiert. Danach benannte er Sándor Papp jr., István Nagy, Anna O., Erzsébet B., Frau Martonné H. „sind Mitglieder der aufgelösten Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘“. Im Zuge der Ermittlungen sei deutlich geworden, „dass sie überzeugte Anhänger dieser Sekte sind und trotz der Einstellung der Tätigkeit der Sekte im Geheimen weitermachen.“ Sie hätten zugegeben, die „umstürzlerischen Lehren der Sekte verkündet“ zu haben, die „gegen bestimmte gesellschaftliche Einrichtungen und Glaubensgemeinschaften, sowie militärische Einrichtungen hetzten“ und hätten „versucht, Anhänger für die Sekte zu organisieren“. Ihre Tätigkeit sei aus „Gesichtspunkten der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung gefährlich, weil ihre Lehren und organisatorischen Regelungen verschiedentlich gegen gesetzliche Vorschriften verstoßen“. Zum Beispiel weil sie „keine Waffe in die Hand nehmen, auch nicht um ihr Vaterland zu schützen, da sie sich nicht an menschliche Gesetze halten, und sich nur Gottes Geboten unterwerfen. Sie legen keinen Militäreid ab, im Falle einer Einberufung, lehnen sie in jedem Fall den Dienst an der Waffe ab.“ Das Verbleiben der Genannten auf freiem Fuß sei für die „staatliche Ordnung und Sicherheit gefährlich“ und das sei – „insbesondere in der derzeitigen Situation nicht wünschenswert“, weshalb auch sie zur Einleitung eines Internierungsverfahrens der Abteilung Zuchthaus- und Verschubung übergeben wurden. Gleichzeitig wurden Strafverfahren eingeleitet.368 Der Vorwurf, das Vaterland nicht mit der Waffe zu verteidigen, konnte nach der Gesetzeslage prinzipiell ja nur den Männern gemacht werden. Nun handelte es sich aber in der Mehrzahl um Frauen. Es liegt nahe, dass der Schreiber darauf abgehoben hat, dass das Verbreiten der Lehren bereits staatsgefährdend sei – ähnlich wie in Deutschland auch Zeuginnen Jehovas wegen Wehrkraftzersetzung angeklagt wurden, da sie predigten oder Publikationen verbreiteten, was teilweise sogar zur Hinrichtung führte.369 Erneut werden von oberster Stelle Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften in Verbindung mit kommunistischen Fällen genannt. In einem anderen Fall wird wiederum deutlich, dass es der Polizei nicht gelang, die Gemeinschaften auseianderzuhalten und insofern auch ihnen gemachte Vorwürfe vermischt wurden. Die Polizeidirektion Nyíregyháza berichtete am 31. Dezember 1941 dem Innenminister, dass „vor allem die über internationale Verbindungen verfügende, möglicherweise antimilitaristische Gütergemeinschaft oder freie Liebe propagierende in religiöse Kleider gehüllte Bewegung: Die Sekte mit Namen Zeugen von Jehova Gott“ ungefähr 500 Gläubige habe, die in kleine368  369 

Ebenda, K149 – 651.f.2/1941 – 1 – 12198, 69 doboz, Bl. 89, 96, 97. Garbe, Widerstand, S. 339 f.

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ren Gruppen zusammenkämen und sich „mit Bibellesen beschäftigen“. Abgesehen davon, dass die Vorwürfe an sich absurd waren – wahrscheinlich hatte man die Vorwürfe der Gütergemeinschaft und der freien Liebe, die man der Ibrányer Gemeinschaft machte, einmal mehr auf die Zeugen transferiert – und man ihnen buchstäblich offensichtlich nur das Bibellesen vorwerfen konnte, wird es sich zahlenmäßig kaum um eine so große Gruppe von 500 Personen gehandelt haben. In jedem Fall hat man 16 der „leitenden Personen“ im November 1941 interniert und „44 Personen unter Polizeiaufsicht gestellt“.370 Das Szabadkaer Polizeipräsidium berichtete am 9. Januar, zwei Zeugen Jehovas inhaftiert zu haben, die davon gesprochen hätten, dass Gott „die Welt jetzt nicht mehr durch Sintflut, sondern mit Waffen und Feuer vernichten würde“.371 Auch die Witwe Jánosné F. war am 4. September 1941 mit dem Beschluss der Polizeidirektion Nyíregyháza unter Polizeiaufsicht gestellt worden, da sie das Verbot nicht beachtet habe und ihre „Haltung bedenklich für die öffentliche Ordnung“ sei. Sie durfte Nyíregyháza nicht verlassen, musste sich jeden Sonntag um 8 Uhr bei der Polizei melden, durfte von 21 Uhr bis 5 Uhr morgens ihre Wohnung nicht verlassen, kein Restaurant, Kaffeehaus u. ä. besuchen, keine Telegramme aufgeben und keine Ferngespräche führen. Auf der Rückseite des Beschlusses wurden handschriftlich protokolliert, wann sie ihrer Meldepflicht bei der Polizei nachgekommen war.372 Der Oberstadthauptmann von Budapest berichtete erneut neben dem Vorgehen gegen Kommunisten373 über die Maßnahmen gegen die religiösen Gemeinschaften und deren Wirkung: Am 14. September und am 21. Dezember 1941 meldete er einige konfessionslose Personen, darunter mehrere Frauen, die „Mitglieder der aufgelösten Sekte ,Zeugen Jehova Gottes‘“ seien und „die Tätigkeit der Sekte trotz der Auflösung im Geheimen fortgesetzt haben“. Die Betreffenden, denen man nichts vorwerfen konnte außer der allgemeinen nicht belegten Feststellung, dass sie „gemäss ihrem Bekenntnis umstürzlerische, gegen manche gesellschaftlichen Klassen und Glaubensgemeinschaften, ferner gegen die Einrichtung des Militärs aufwiegelnde Lehren der Sekte verkündet“ hätten und die bekannt hätten, „selbst zum Schutz des Vaterlandes nicht zur Waffe zu greifen“, wurden vorgeführt und gegen sie wegen ihrer „Gefährlichkeit hinsichtlich der Ordnung und der Sicherheit des Staates“ ein Internierungsverfahren eingeleitet, da es „mit besonderem Blick auf die momentane Situation nicht erwünscht“ sei, „sie auf freiem Fuß zu lassen“. Gleichzeitig wurden Strafverfahren eingeleitet. Bei der letztgenannten Aktion waren auch die führend tätigen Zeugen Jehovas János Konrád und Joachim Molnár374 370 

MOL, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000 XI./November, Bl.  669  f. Ebenda, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000 XII./Dezember, Bl.  806. 372 MJTA, DOK-103. Az. des Beschlusses der Polizeikommandantur Nyíregyháza 1232/1941. 373  Zum Beispiel wurde laut Bericht vom 9.9.1941 eine Person interniert, die gesagt haben soll: „Wenn doch nur bald der Kommunismus käme, denn in dieser verdammten Ordnung hat nur der liebe Bourgois Brot.“ MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 1 – 12198, Bl. 96. 374  Er habe die anderen dazu angestiftet, „die umstürzlerischen, gegen einige gesellschaftliche Einrichtungen, Glaubensgemeinschaften und Militäreinrichtungen hetzenden 371 

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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inhaftiert worden.375 Wie aus einer Vorladung vom 6. November 1941 hervorgeht, wurde János Konrád zum 21. November 1941 zur Staatspolizei bei der Budapester Oberhauptmannschaft vorgeladen.376 Neben den Polizei- und Gendarmeriebehörden stellten auch die lokalen Militärbehörden Listen verdächtiger zu internierender Personen zusammen, möglicherweise aufgrund ihrer Ermittlungen und der Aussagen in den Verhörsprotokollen. So übersandte das VII. Armeekommando Miskolc eine Liste mit Namen von über 200 Personen, die nach VO 13.100/1938 „aus militärischen Gesichtspunkten verdächtig erscheinen“ an die zuständigen Polizeibehörden zur Einleitung einer sofortigen Internierung.377 Wie aus einem Schreiben der Behörden vom 25. November 1941 hervorgeht, wies der Innenminister allerdings die betreffenden Behörden an, „die aufgelisteten Personen und deren Haltung genauestens zu überprüfen und ausschließlich die zu internieren, gegen die nach bestehender Rechtslage unbedingt vorgegangen werden muss“. Ganz offensichtlich konnte und wollte man wegen des Kriegszustandes nicht zu viele Personen internieren, die man – abgesehen vom Internierungsaufwand – besser anderweitig einsetzen konnte.378 Die Listen der Armeekommandos wurden den zuständigen Oberstuhlrichtern zugesandt, wie im Fall des Miskolcer Armeekommandos, das am 5. Dezember 1941 rausging, um „auf Grundlage der Namensliste jede einzelne Person gründlich überprüfen, dort wo nach bestehender Rechtslage Internierung angezeigt ist, ist sie umgehend umsetzen“. In Zweifelsfällen sei Polizeiaufsicht ausreichend.379 Diese Vorgehensweise belegt die weitere enge Zusammenarbeit zwischen Zivil- und Militärbehörden, wobei das Militär noch stärker auf die Wahrung der eigenen Interessen dringen und gleichzeitig koordinierend auf die Arbeit der zivilen Behörden wirken konnte. Schon am 23. Juni 1941 hatte sich das Verteidigungsministerium beim Innenminister bezüglich Zeugen Jehovas erkundigt, „ob die Sekte nach der durch die von Ihrer Exzellenz herausgegebene VO 363.500/1939 vom 2. Dezember 1939“ als „‚verbotene Organisation‘ noch weiter existiert und tätig ist“.380 Der Innenminister teilte daraufhin am 7. Juli 1941 mit, dass es zwar keine Belege dafür geben würde, Lehren der Sekte“ in Csepel, der Budapester Industrie-Insel in der Donau, von Haus zu Haus zu verbreiteten. Wie aus einem Verhörsprotokoll der kommunistischen Staatssicherheit vom 14.12.1950 hervorgeht, wurde Joachim Molnár nach eigenen Angaben 1941 wegen seiner Religionszugehörigkeit aus dem WM-Werk auf Csepel entlassen. Im Dezember 1941 wurde er inhaftiert und wegen „staatsfeindlicher Tätigkeit“ zu 4 Monaten Zuchthaus verurteilt. Als er vor der Verhandlung vom Gericht auf freien Fuß gesetzt worden war, hatte ihn die Polizei sofort interniert (eine Vorgehensweise, die der Inschutzhaftnahme in Deutschland ähnelte). ÁSzTL, V-71056, Bl. 111. 375  MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 1 – 12198, Bl.  157 – 195. 376  MJTA, DOK-1114. 377 Inwiefern unter den aufgelisteten Personen Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften waren, ist unbekannt, kann aber nicht ausgeschlossen werden. 378  MOL, K149 – 651.f. 5/23, Bl.  41 – 47. 379  Ebenda, Bl.  41 – 47. 380  HM, 1942 13. oszt. 5550 cs. 471 982.

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dass „irgendwo nach Auflösen der Sekte eine solche verbotene Organisation noch tätig“ sei, es aber „heute noch viele Anhänger gibt“.381 Die Strategie der Behörden schien immerhin teilweise zu greifen. Wie die beim Innenministerium eingehenden regelmäßigen Berichte der Polizei und Gendarmerie zeigten, riss allerdings die Tätigkeit der Zeugen nicht wirklich ab. Im „Sektenbericht“ vom 30. Mai 1941 über März und April 1941382 drehten sich alle zehn Meldungen über die Tätigkeit der Zeugen Jehovas in Nord-, Oberungarn bzw. der Karpato-Ukraine (Gergely P. und 10 weitere hatten in Felsőkálinfalva [rumänisch Călinești] Zusammenkünfte abgehalten, Ignác M. und drei Gefährten aus Gát waren wegen Pressezensurvergehen bei dem Munkácser Oberstuhlrichter angezeigt worden, György P. aus Mezőkövesd und Dániel P. aus Naprágy hätten in den Gemeinden Jéne und in Szentsimon von Haus zu Haus „die Lehren der Sekte verkündet und Anhänger geworben“, auch Milka M. und Teréz M. hätten in Ózd von Tür zu Tür gepredigt, „antimilitärische Propaganda“ verbreitet; Sándor K. und 14 Gefährten hätten in Tiszakarád Zusammenkünfte abgehalten; Frau Mihályné O. und 24 andere hätten in Tiszaújlak und Tiszabecs verbotene Zusammenkünfte abgehalten, „die Bibel gelesen, die Lehren der Sekte besprochen und antimilitärische Propaganda ausgeübt“; István K. und 4 Gefährten hätten in Nagytárkány [slowakisch Veľké Trakany] gepredigt, Bibeln wurden beschlagnahmt; József S. N. und 4 Gefährten hätten in Kenézlö und Sárospatak von Haus zu Haus „die Lehren der Sekte verkündet, Anhänger geworben und antimilitärisches Propaganda“ verbreitet, Pál M. hätte „für die Sektenmitglieder in dem Kistarcsaer Internierungslager sektiererische Presseprodukte und Grammofon einschmuggeln [können]; ferner hat er die Mitglieder der Sekte in der Gemeinde Semjén besucht und zum Ausharren ermuntert“).383 Die Gendarmerie des Gendarmeriebezirks Kassa berichtete der Staatsanwaltschaft Kassa am 8. Dezember 1941 über den Fund umfangreicher biblischer Publikationen, „337 verschiedene Bücher, Broschüren und Zeitschriften mit Lehren der Zeugen Jehovas“, in Bodzsáujlak/Oberungarn bei András Tóth und dessen Festnahme, was als Straftat gegen den ungarischen Staat und einen Verstoß gegen das Militärgesetz qualifiziert wurde.384 Wie aus den Akten des Archivs der kommunistischen Staatssicherheit (Állambiztonsági Szolgálatok Történeti Levéltára) hervorgeht, wurde der Zonendiener László I. Papp 1941 in das Lager in Nagykanizsa interniert, auch er verweigerte den Militärdienst.385 Damit war 381 Ebenda.

382 Sie waren in der Gegend von Munkács (Transkarpatien), Rimaszécs (Slowakei), Tiszakarád (Nordostungarn), Tiszaújlak (Transkarpatien), Bély (Slowakei), Ricse (Nordungarn), in der Gemeinde Ózd (Nordungarn), in der Gemeinde Nagytárkány (Slowakei) und in der Gemeinde Kenézlő (Nordungarn). 383  MOL, K149 – 651-f-2 – 1941 – 8, Bl.  4  ff. Az.10.734. Sándor Kazup wurde wegen „antinationaler und antireligiöser Haltung“ auf Beschluss vom 10.10.1941 in Kistarcsa interniert. MJTA, DOK-284. Beschluss des Vizegespans, Az. 11.565/1941. 384  Ebenda, DOK-336, Az. 718/1941. 385  ÁSzTL, V-111784/2, Bl. 18, Bl. 228 – 233, hier 230. Verhörsprotokoll der Staatssicherheit vom 8.5.1953 und 18.8.1953.

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den Behörden ein weiterer Zeuge Jehovas in Führungsposition ins Netz gegangen. Dennoch klang all das nicht nach Einschüchterung oder eingestellter Tätigkeit – Männer wie Frauen waren in mehreren Teilen des Landes aktiv. Anfang 1942 dann glaubte man das Problem durch die „ständige Kontrolle der Detektivgruppen“386 einigermaßen in den Griff bekommen zu haben. Zumindest häufen sich in den monatlichen Meldungen von Polizei und Gendarmerie an die Abteilung öffentliche Sicherheit VII beim Innenministerium die Feststellungen, dass außer von den Bibelanhängern und ab und an von der Heilsarmee keine Aktivitäten mehr festzustellen seien.387 Das Beregszászer Polizeipräsidium berichtete zum Beispiel am 4. Mai 1942, dass „sektiererische Bewegungen / besonders die über internationale Verbindungen verfügende, eventuell antimilitärische, die Gütergemeinschaft oder freie Liebe propagierende, in religiösen Deckmantel gehüllte Bewegungen“ nicht beobachtet wurden.388 Dem Debrecener Polizeipräsidium zufolge waren „nur die ‚Glaubensgemeinschaft der ungarischen Bibelanhänger‘ und die ‚Heilsarmee‘ tätig“, gegen die man „keine Einwände“ hätte.389 Auch das Gyergyószentmiklóser Polizeipräsidium (rumänisch Gheorgheni, Siebenbürgen) meldete: „Sektiererische Bewegungen sind nicht zu beobachten. Die Glaubensgemeinschaft der Ungarischen Bibelanhänger hält monatlich 1 – 2mal religiöse Zusammenkünfte, bei denen 12 – 15 Gläubige erscheinen. Diese Zusammenkünfte genehmige ich aufgrund einer gesetzmäßigen vorherigen Anmeldung und ich kontrolliere sie entsprechend.“390 Die Polizei Kaposvár (Südungarn) meldete im Juni 1942: „Der Prediger der Kaposvárer Sektion der ‚Glaubensgemeinschaft der Ungarischen Bibelanhänger‘ Károly D., ferner zwei andere Predigergehilfen sind zum Militärdienst eingerückt, und seitdem erweisen die Mitglieder gegenüber den Zusammenkünften große Teilnahmslosigkeit.“391 Bis auf einige wenige 386  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IV./April/, Lagebericht des Székesfehérvárer Polizeipräsidium vom April 1942, Az. 11/6 – 1942. Demzufolge war, „eine antimilitärische oder andere staatsfeindliche sektiererische Bewegung trotz deren ständiger Beobachtung nicht zu bemerken“. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VI./Juni, Az.  11/9 – 1942. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VII./Juli, Lagebericht Juli, Az.  11/10 – 1942. 387 Das Polizeipräsidium von Kalocsa erklärte im September 1942: „Seit Dezember 1941 wurden die Sektiererische Bewegungen auf dem Gebiet der Stadt eingestellt.“ Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IX./September, Az.  33/9 – 1942. Ebenda, K149 – 651.f.2/1941 – 7 – 6000 XII./Dezember, Bl.  730  f. (Diósgyőrer Polizeipräsidium 7.1.1942), Bl. 764 f. (Máramarosszigeter Polizeipräsidium, 9.1.1942), Bl. 772 (Mohácser Polizeipräsidium 8.1.1942, Hinweis auf ein „B hálózat“, was wohl „G[eheimes] Netz“ bedeutete), Bl. 799, 801 (Soproner Polizeipräsidium 31.12.1941, Sektenmitglieder nur arme Frauen, die Zusammenkünfte abhielten). Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-I./Januar/. „Sektenbericht“ vom 1.2.1942. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-II./Februar/. „Sektenbericht“ vom 1.3.1942. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-III./März/. 388  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IV./April, Bl.  486. 389  Ebenda, Bl. 495. 390 Ebenda. 391  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VI./Juni, Az.  2/1 – 1942.

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Probleme scheinen, so man den Berichten vertrauen kann, den „Bibelanhängern“ keine Steine in den Weg gelegt worden zu sein. Lediglich in einem Lagebericht des Székelyudvarhelyer Polizeipräsidium (rumänisch Odorheiu Secuiesc, Siebenbürgen) vom Juli 1942 wird berichtet: „Der Prediger der Sekte Bibelanhänger und dessen Stellvertreter ist im Juni d. J. zum Militärdienst eingerückt. Am 1. Juli hat der Hausherr die Sekte aus ihrer Räumlichkeit ausquartiert, weil die Gläubigen die Miete nicht bezahlt haben. Infolgedessen übt die Sekte seit 1. Juli keine Tätigkeit mehr aus.“392 Allerdings scheint dieser Umstand zumindest auf den ersten Blick nicht dem Einschreiten der Behörden geschuldet zu sein. Andererseits gab es doch wieder die eine oder andere Meldung über Zeugen Jehovas. Zum Beispiel bezüglich Internierung wegen Predigens: Der Chef des Hódmezővásárhelyer Polizeipräsidiums (rund 30 km nordöstlich von Szeged) meldete im April 1942: „Anfang April erschien [Frau] Románné V., geb. E. S., wohnhaft in Makó, […] in Hódmezővásárhely und versuchte als […], in der Stadt die leichtgläubigen Menschen für ihre Ansichten zu gewinnen. Sie ist in manche Häuser gegangen, und hat mit den Bewohnern gesprochen. Weil aber das Wesentliche ihrer Rede die Gräuelpropaganda streifte und von antimilitärischer Natur war, habe ich sie einem Verwaltungsverfahren unterzogen, interniert und der Budapester Gefängnis- und Verschubabteilung übergeben.“393 Auch in der Zeitung „Dunántúl“ (Transdanubien394) wurde im April 1942 von neuen Vorfällen berichtet. So am 14. April unter der Unterüberschrift „In Paks, Decs, Dunaszentgyörgy und Dunaföldvár rekrutierte man Gläubige für die behördlich verbotene, umstürzlerische Sekte“. Darin wurde berichtet, dass erneut „zwei Jehova-Agitatoren“ aus dem Komitat Tolna von der Gendarmerie ins Pécser Zuchthaus gebracht wurden. „Die beiden übergeschnappten jungen Leute, die ihren Glauben verlassen haben, als sie Sektenmitglieder und -organisatoren wurden, waren nicht nur in Paks unterwegs, sondern auch in Decs, Dunaszentgyörgy, Dunaföldvár und Dunapentele unterwegs und versuchten Mitglieder zu rekrutieren.“ Sie hätten „große Mengen verwirrendes und hetzerisches Propagandamaterial“ dabei gehabt „und dieses bei ihren, wie sie meinen, ‚religiösen‘ Zusammenkünften verteilt“. Den beiden sei auch gelungen, einige primitive und leichtgläubige Leute für die Sekte zu gewinnen. Diese neuen Mitglieder hätten dann ihre ursprüngliche Religion verlassen, wodurch „die Polizei der nicht erlaubten Organisation auf die Schliche“ gekommen sei. Gegen die Betreffenden seien Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, darunter befand sich Ferenc Gerstnekker, der vor Jahren einer kommunistischen Organisation angehört hätte und auch verurteilt worden sei.395

392 

Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VII./Juli, Az.  9/4 – 1942. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IV./April, Lagebericht, Az. 4/4 – 1942. 394  Die Bezeichnung steht für die südlich und westlich der Donau gelegenen Gebiete. 395  „Ujabb tonamegyei jehovásokat kísértek be a pécsi ügyészség fogházba [Neuerlich wurden Jehovas aus Tolnamegye von ins Zuchthaus der Pécser Staatsanwaltschaft gebracht].“ In: Dunántúl [Transdanubien] vom 14.4.1942. 393 

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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„Dem 20-seitigen Bericht der Gendarmerie“ zufolge hätte die Polizei die 33-jährige Frau Gerstnekker und den 20-jährigen Feldarbeiter Ádám Szinger, die „organisatorisch im Interesse der Popularisierung der aufrührerischen Sekte namens ‚Jehova Gott Zeugen‘“ tätig gewesen wären, „unschädlich gemacht“. In der Folge habe die „wachsame Pécser Polizei eine sich in der Erzsébet Straße wöchentlich zweimal in der Wohnung der Witwe Györgyné B. versammelnde Sekte“ der Zeugen Jehovas gesprengt und den „Kopf der behördlich verbotenen Prediger“, András Gubik, festgenommen. Es hieß weiter: „Sie wollten ihre Organisation breit aufstellen, was jedoch durch das Einschreiten der Polizei scheiterte. Die Witwe Györgyné B. und [Frau] Józsefné P. hätten größeren Anteil an der Organisation der Zusammenkünfte.“ Die Ermittlungen hätten ergeben, dass „die Pécser Sektenorganisation den Umsturz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung zum Ziel“ habe, daher seien die Betroffenen inhaftiert worden. Die „Jehova-Sache“ käme bald vor das Pécser Gericht.396 Ádám Szinger, einer der Betroffenen, damals 20 Jahre, gibt in einem Interview Aufschluss über die vorgenannten Geschehnisse: „Wir wurden in Paks festgenommen, weil die Versammlung zu wachsen begann und immer mehr den Kirchenaustritt beim Pfarrer bekannt machten, sodass der Pfarrer, mit dem ich früher in so engem Verhältnis gestanden habe,397 dem Leiter der Gendarmerie in Pécs angezeigt hatte, dass sich Jehovas Zeugen als eine verbotene Organisation in Paks versammelten. Es wurden zwei Fahnder in Zivil von dort gesandt [wahrscheinlich von der Untergruppe des Zentralen Ermittlungskommandos]398 und die haben uns eingesammelt.“ Dann wurden sie befragt: „Wer hat Sie belehrt? Wo sind die Druckschriften? Wer hat sie gebracht? Wen kennen Sie von den Zeugen Jehovas?‘ Darauf haben wir natürlich nicht geantwortet. […] Sie haben mich so furchtbar geschlagen, meine Fußsohlen, meine Handflächen, in die Seite – zu zweit mit dem Gummistock. Wurde der eine müde, schlug der andere weiter. Das ging über einige Stunden. Zwischendurch fragten sie immer wieder und ich antworte nicht – also ging es weiter. Ich hatte große Angst. Sie sagten, die Donau sei nahe, und wenn ich nicht reden würde, würden sie mich weiterschlagen und in die Donau werfen. […] Ungefähr bis Mitternacht ging dieses harte Verhör. Auf die Einzelheiten will ich nicht weiter eingehen – es war menschenunwürdig. Dann sagten die Fahnder, morgen Abend gehe es weiter. Da hatte ich wirklich große Angst. Ich konnte in der Nacht nicht schlafen. Ich habe gebetet […]. Am Morgen brachte mein Bruder mir Frühstück.“ Dabei konnte er ihm von der Misshandlung erzählen, wonach sein Bruder über einen Verwandten mit einem zuständigen Leiter der Gendarmerie in Pécs Kontakt aufnahm, der eine weitere Misshandlung sofort unterband. Szinger 396  „Jehovás szervezkedést robbantott szét a pécsi rendőrség [Die Pécser Polizei hat die Organisation der Jehovas gesprengt].“ In: Dunántúl vom 16.4.1942. 397  Szinger war ein aktives Mitglied der evangelischen Kirche gewesen, bevor er 1937 mit Zeugen Jehovas in Kontakt gekommen war und mit dem 18. Lebensjahr im September 1940 aus der Kirche austrat, was bis zu diesem Zeitpunkt das Gesetz unterbunden hatte. 398  Vgl. MOL, K14 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-X./Oktober, Az.  4/15 – 1942, ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XI./November, Az.  4/16 – 1942.

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wurde in ein Gefängnis nach Pécs gebracht, wo er mit weiteren Glaubensangehörigen, „Brüder und Schwestern“, zusammentraf, die wie er „grün und blau geschlagen worden waren“. Im Vollzug ging es Szinger, wie er erzählte, verhältnismäßig gut, da er in der Küche eingesetzt wurde. Hätte er sich bereit erklärt, zu seiner früheren Kirche zurückzukehren und einen militärischen Lehrgang zu absolvieren, wäre er sofort freigekommen. Schließlich wurde er jedoch vor eine Musterungskommission gestellt und als für den Militärdienst tauglich eingestuft und in die Kaserne gebracht.399 Wie aus dem Bericht von Szinger deutlich wird, kooperierten Geistliche mit den Behörden und informierten sie von Kirchenaustritten. Das bestätigt auch der Bericht von Éva Bász: „Immer wieder mußten Juliska und ich [beim Predigen] das Gebiet wechseln, und zwar aus folgendem Grund: Wenn ein Geistlicher erfuhr, daß wir ‚seine Schafe‘ besuchten, gab er in der Kirche bekannt, wer von Zeugen Jehovas besucht werde, solle ihn oder die Polizei benachrichtigen. Wenn uns dann Personen, die uns freundlich gesinnt waren, von einer solchen Bekanntmachung erzählten, gingen wir in ein anderes Gebiet.“400 In einem Fall, da ein junger Mann in Bodrogszerdahely aus der katholischen Kirche ausgetreten war, wandte sich der Oberstuhlrichter Sátoraljaújhely am 24. Juni 1942 an das Kreisnotariat von Bodrogszerdahely mit dem Anliegen, die Gründe für den Kirchenaustritt zu ermitteln, und sollte es sich bei ihm um „einen Sektierer handeln, ist festzustellen, wer in der Gemeinde die Lehren verbreitet und ob die zwei unterzeichnenden Zeugen aktive Verbreiter der Lehre sind“.401 Das Notariat meldete am 2. Juli 1942 daraufhin, dass der junge Mann „ein Sektierer werden will“. Auch die beiden unterzeichnenden Zeugen seien „Sektierer“. Insgesamt gäbe es in der Gemeinde „10 Personen, die aus Staatssicherheitsaspekten unzuverlässig“ seien. Er habe diese am 2. Juni 1942 zur Internierung vorgeschlagen.402 Wie das Beispiel zeigt, wurde allen Hinweisen nachgegangen, um Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften ausfindig zu machen. Schon im Juni gab es eine weitere Meldung: „Am Nachmittag des 25. Juni erschien Mária R., geboren in Mezőkövesd, 21  Jahre alt, Tagelöhnerin, konfessionslos, […] in Hódmezővásárhely, die in einer Straße der Vorstadt von Haus zu Haus die Lehren der Sekte Zeugen Jehova Gottes verkündet hat.“ Mit Internierungsendbeschluss Az. 947/1942 wurde Mária R. am 2. Juli der Gefängnis- und Verschubabteilung der Budapester Oberstadthauptmannschaft zur Internierung übergeben.403 Oder vom Nyíregyházaer Polizeipräsidium: „Ferenc D. Landwirt […], der ein verstockter Anhänger der Sekte ‚Zeugen Jehova Gottes‘ ist, hat sein jugendliches Kind von der Teilnahme der militärischen Ausbildung der Jungmann399 

Interview Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. Dies.: Der Wachtturm v. 1.6.1998, S. 28 – 29. Éva Josefsson. 401  MJTA, DOK-705. 402  Ebenda, DOK-706. 403  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VI./Juni, Az.  4/6 – 1942. Gleichzeitig wurde gegen sie bei der Szegeder Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren eingeleitet. 400 

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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beschäftigung wiederholt zurückgehalten, deshalb wurde er zu 30 Tagen Haft auf Ordnungswidrigkeitsweg verurteilt.“404 Auch die Polizei in Kolozsvár (Siebenbürgen) bemerkte in ihrem Lagebericht vom Juni 1942 erneute Aktivitäten: „Während des vergangenen Monats schienen bestimmte Verdachtsgründe die Vermutung zu belegen, dass die Sekte ‚Zeugen Jehovas‘ versucht, in der äußeren Peripherie der Stadt entsprechenden Boden für die Organisation vorzubereiten.“ Ermittlungen seien eingeleitet worden, man wisse auch schon um die Identität der Person, die als Leiter der Organisationsarbeit ausgewählt würde. Nunmehr wollte die Behörde jedoch erst einmal „heimlich weiterbeobachten, ob die Organisierung das Stadium der verbotenen Versammlung erreicht“, dann würde man „alle nötigen Schritte zur radikalen Erledigung der Frage sofort tun“.405 Man beachte den Ausdruck „radikale Erledigung“. Das lässt keinen Zweifel an der Durchgreifwilligkeit der Behörde aufkommen, auch wenn sie zunächst zuzuwarten schien. Auch das Lévaer Polizeipräsidium erklärte im Juni-Bericht: „Im Monat Juni habe ich wegen Aufwiegelung gegen den ungarischen Staat und die bewaffnete Macht István K. wohnhaft in Léva in Untersuchungshaft gesetzt und der Budapester kngl. Staatsanwaltschaft übergeben, der die Lehren der Sekte Zeugen Jehova Gottes verkündet, und unter dem Soldatenvolk Propaganda gegen den Krieg ausgeübt, und es zur Verweigerung des Gehorsams und des Schießens auf den Feind aufgefordert hat.“406 In der Folge war zunächst keine weitere Tätigkeit beobachtet worden: „Seit der Festnahme des Malergehilfen István K. wegen Aufwiegelung gegen den ungarischen Staat und die bewaffnete Macht im Monat Juni, hat die Sekte ‚Zeugen Jehova Gottes‘ keinerlei Tätigkeit ausgeübt und eine diesbezügliche Bewegung war nicht zu beobachten.“407 Die Polizeibehörde Munkács meldete ebenfalls, dass es kein Zeichen der Tätigkeit gebe, obgleich „die Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘ Anhänger in ziemlich großer Zahl bis in nahegelegene Gebiete werben konnte“.408 Auch zu den Nazarenern gab es erneut Meldungen. So hieß es in der Presse im Februar 1942 in dem Artikel „Die Nazarener haben verbotene Zusammenkünfte abgehalten“ unter Bezug auf das Verbot des Innenministers von 1939, wonach die Tätigkeit der Nazarener „im Gegensatz zu den militärischen und anderen Interessen des Landes“ stünde und ihre Bethäuser beschlagnahmt und enteignet wurden: „Die Einhaltung der Verordnung kontrolliert in Hódmezővásárhely die Polizeikommandantur. In der Folge haben vor kurzem die Detektive festgestellt, dass einige der Nazarener aus Vásárhely entgegen dem Verbot Zusammenkünfte abhalten und den Sektenregeln entsprechend tätig sind.“ Gegen alle diejenigen wurden Strafverfahren eingeleitet. Bei der Verhandlung hätten sich die Nazarener damit verteidigt, „nichts getan zu haben, was sich irgendwie gegen die Interessen des Staates richten würde. Bei ihren Zusammenkünften würden sie für den Sieg der ungarischen 404 

Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-V./Mai, Lagebericht Mai. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VI./Juni, Az.  10/6 – 1942. 406  Ebenda, Az.  6 – 1942. 407  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VII./Juli, Lagebericht Juli, Az.63/7 –  1942. 408  Ebenda, Az.  1/8 – 1942. 405 

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Streitkräfte und ihrer verbündeten Streitkräfte beten. Sie seien Feinde des Kommunismus und dankbar gegenüber Hitler, dem Führer und Kanzler, der nach seinem siegreichen Feldzug in Jugoslawien die in Nis inhaftierten Nazarener befreite.“ Ferner erklärten sie, dass seit dem Verbot keine neuen Mitglieder hinzugekommen seien und „es in den Kreisen der Nazarener im Allgemeinen keine Tätigkeit gebe“. Das Gericht verurteilte sie „zu einer geringen Geldstrafe, und machte sie darauf aufmerksam, dass die Ordnungsstörer bei erneuter Übertretung interniert würden“.409 Im Juli 1942 gab es dann weitere Meldungen über verbotene Tätigkeiten der Nazarener.410 Auch im November 1942 verzeichnete das Hódmezővásárhelyer Polizeipräsidium Aktivitäten, allerdings verliefen die Ermittlungen im Sande.411 Ganz offensichtlich versuchten die örtlichen Behörden bei Feststellen einer Tätigkeit eines Angehörigen der verbotenen kleinen Religionsgemeinschaften durch Internieren zu eliminieren. Betrachtet man die zahlenmäßige Ausbeute der Meldungen, stellt sich die Frage nach Aufwand und Nutzen dieses doch sehr arbeits- und manpower-intensiven Beobachtungsaufwandes. Wie die Beispiele zeigen, handelte es sich um einige wenige Glaubensangehörige, oft nur einen oder zwei, maximal eine Gruppe von 10 bis 20 Personen. So hatte zum Beispiel die Glaubensgemeinschaft der ungarischen Bibelanhänger dem Bericht des Lévaer Polizeipräsidium zufolge im September 1942 lediglich fünf Mitglieder.412 Im Bericht des Soproner Polizeipräsidiums wurden zur gleichen Zeit nur etwa zehn Anhänger festgestellt.413 Ausnahme stellt die Meldung des Gyulaer Polizeipräsidiums dar: „Alleine die genehmigte Gruppe der Bibelanhänger ist tätig, mit ungefähr 70 Mitgliedern“ – aber die waren ja wiederum nicht verboten.414 Man muss der Tätigkeit der kleinen Gemeinschaften schon große Relevanz beigemessen haben, sonst würde ein so umfangreiches Berichtssystem und Behördeneingreifen wenig Sinn machen. Der Vorwurf einer militär- bzw. kriegsfeindlichen Haltung mancher scheint sich in einigen der Berichte zu bestätigen. Allerdings darf bezweifelt werden, dass die Prediger beim Verkündigen der Guten Botschaft von Haus zu Haus unisono dazu aufgerufen haben, nicht zu den Waffen zu greifen. Wahrscheinlicher ist, dass man sich aufgrund der Aktualität des Krieges darüber unterhalten hat und dann vielleicht auch der Standpunkt des Einzelnen, selbst nicht zur Waffe zu greifen, zur Sprache kam, was an sich natürlich auch Beispielwirkung haben konnte, aber nicht zwingend einen Aufforderungscharakter beinhalten musste. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass jemand das so geäußert hat. Prinzipiell war die Haltung der Nazarener zu politischen Angelegenheiten eher systemunterstützend und die der Zeugen Jehovas insgesamt eher neutral. Wie die Berichte zeigen, kam es 409  „Tiltott összejöveteleket tartottak a Nazarénusok [Die Nazarener haben verbotene Zusammenkünfte abgehalten].“ In: Volkszeitung [Népújság], vom Februar 1942. Archiv Tibór Gál. 410  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VII./Juli, Az.  19/2 – 1942. 411  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XI./November, Az.  4/12 – 1942. 412  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IX./September, Az.  63/9 – 1942. 413  Ebenda, Az.  24/10 – 1942. 414  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XII./Dezember, Az.  7/1943.

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bei Zuwiderhandlung gegen die Verbotsverfügung sehr schnell zu Internierungen – und zwar von Männern wie auch Frauen. Sicher hat das auch Auswirkungen auf die noch nicht betroffenen Glaubensanhänger gehabt. Man wird noch vorsichtiger geworden sein, vielleicht hat der eine oder andere seine Tätigkeit auch eingestellt. Die Behörden waren sich andererseits auch bewusst, dass Internierungslager Geld kosteten und dringend benötigte Arbeitskräfte wegschlossen. Daher wollte man die Zahl wie aus den vorangegangenen Diskussionen hervorgeht, auch so niedrig wie möglich halten bzw. Internierte nutzbringend einsetzen. Es wundert daher nicht, dass Einberufungen zum Militär wie im Fall Szinger aus Gefängnissen bzw. auch aus Internierungslagern vorgenommen wurden. Das bestätigt neben dem schon zitierten Fall von Lajos D. zum Beispiel das Verhörsprotokoll von Lász­ ló M. N. vom 7. Januar 1942, aus dem hervorgeht, dass er sich im Internierungslager Nagykanizsa befand, als er einberufen wurde, wohin er „als staatsfeindliches Sektenmitglied“ verbracht worden war. N. verweigerte die Annahme des Gestellungsbefehls und wurde verurteilt.415

III.  VO 13.400/1942 des Innenministeriums Wie die zuletzt genannten Fälle belegen, wurden auch Internierte zum Militärdienst herangezogen, und auch unter ihnen gab es Verweigerer. Angesichts der Kriegslage – im April 1942 war es zur Verlegung der 2. ungarischen Armee nach Kursk gekommen, 200 000 Soldaten waren im Krieg und mit ihnen kamen zigtausend Zwangsarbeiter zum Einsatz – zählte jede fronttaugliche Person. Bis September 1942 beliefen sich die Verluste schon auf 30 000 Mann. Vor diesem Hintergrund ist die interne Notiz zur Nutzung der Inhaftierten in Militärgefängnissen des Verteidigungsministeriums, Präsidialabteilung 13, vom 12. Mai 1941 einzuordnen. Hier wurde mit der Verordnung 642/M.13 – 1942 verfügt, dass für die „Schutztruppen bzw. die aufzustellenden besonderen Arbeiterkompanien die Verurteilten und Inhaftierten (Untersuchungsgefangene) in Anspruch“ genommen werden konnten. Es wurde ein Plan ausgearbeitet, der „alle Festgenommenen in einem gewissen Takt zu Fronttruppen“ einteilte. Allerdings gäbe es eine bedeutende Zahl Inhaftierter (die wegen Untreue und wegen Sabotage festgenommen wurden), die nicht zu Fronttruppen einzuteilen waren, „weil diese der Landesverteidigung und der Nation sicherlich trotz wachsamster Aufsicht eher schaden als nutzen“ würden. Die zu Kampfgruppen noch nicht eingeteilten inhaftierten Militärpersonen, auch die Reservisten, sollten in den Haftanstalten, „eine tiefgreifende Militärausbildung erhalten“.416 Am 7. August 1942 wurde von Abteilung 5 des Generalstabs und Abteilung 13 mit Bezug auf die VO 642/1942 die weitere Verwendung unzuverlässiger Personen diskutiert.417 Bisher sollten „die hinsichtlich der Landestreue unzuverlässigen wehrpflichtigen Verurteilten und die unter Strafverfahren 415 

HM, 1942 eln. 13. 5550 cs. Hb 201a/41/II-8. Ebenda, 1942 eln. 13. 5167 cs., 27.953. 417  Az. 27.953/eln.13.-1942. 416 

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stehenden Personen nur im Fall M. [der Mobilmachung] Dienst in den besonderen Arbeitskommandos verrichten“, im Fall „von R M.418 [teilweiser Mobilmachung]“ kamen bisher nur „die hinsichtlich der Landestreue zuverlässigen Personen“ infrage. Gemäß der Verordnung 642/1942 müsse man nunmehr „auch im Fall R M. die hinsichtlich der Landestreue unzuverlässigen Personen in Anspruch nehmen, nicht aber die wegen Untreue Verurteilten“. In der weiteren Diskussion wurde dann hingegen empfohlen, auch die wegen Untreue verurteilten Personen in Anspruch zu nehmen, deren Zahl ansteige. Man überlegte, sie in besondere Arbeitskompanien einzuteilen, „wo sie unter entsprechender Aufsicht nützliche Arbeit verrichten können“. Ihre „Ausbildung bzw. Weiterbildung ist nicht nötig“, und sei wegen des „Mangels an Ausbildern“ auch nicht möglich. Diese Diskussion bestätigt, wie sehr man um jeden Mann verlegen war und der Druck auf Nachschub an Soldaten und Zwangsarbeiter stieg, da man für den Kriegseinsatz auf Personen zurückgreifen wollte, die wegen Untreue zu vergleichen mit Hochverrat aus der Gesellschaft eliminiert wurden. In Anbetracht der engen Zusammenarbeit von Verteidigungs- und Innenministerium ist in diesem Zusammenhang wohl auch die zeitlich fast parallel vom Innenminister herausgegebene VO 13.400/1942 zu sehen. Am 26. Mai 1942 wandte sich Innenminister Keresztes-Fischer mit Bezug auf die Kriegsumstände an die unteren Behörden: „Die derzeitige Kriegssituation, ferner die mit der Mobilmachung einhergehenden Verteidigungs- und Staatssicherheitsinteressen machen es nötig, alle unzuverlässigen Personen unabhängig von Geschlecht und Staatsangehörigkeit, die wegen ihrer bisherigen Haltung aus Gründen der Staatssicherheit, der öffentlichen Sicherheit und der Volkswirtschaft besorgniserregend sind, zusammenzustellen, gegen sie die nötigen vorbeugenden / präventiven / administrativen Maßnahmen / unter Polizeiaufsicht zu stellen oder sie zu internieren / zu ergreifen. In diesem Zusammenhang sind alle Männer, die altersmäßig und körperlich in der Lage dazu sind, speziellen Arbeitskommandos oder Arbeitslagern oder Kampfverbänden zuzuteilen.“ Die Listen sollten bis spätestens 1. Juli 1942 erstellt werden, wobei alle Anwohner des Gebietes zu berücksichtigen waren, „auch wenn sie sich zurzeit nicht dort aufhalten / z. B. Militärdienst verrichten, interniert sind, eine Haftstrafe verbüßen usw.“. In der Beschreibung der unzuverlässigen Personen wurden unter Punkt a Personen mit „kommunistischer Überzeugung, Nationalitätenagitatoren, schädliche Tätigkeiten ausführende Juden, Zionisten, Verbreiter von Schreckensnachrichten, Sektierer, Spionageverdächtige, Kriegshetzer oder gegen die nationale ungarische Idee hetzende“ Personen als Zielgruppe genannt. Unter Punkt b dann vom Gesichtspunkt der öffentlichen Ordnung unzuverlässige Personen wie „eingefleischte Kriminelle, Allgemeingefährliche“ oder „Arbeitsverweigerer“ und unter Punkt c Personen, die aus „Gesichtspunkten des wirtschaftlichen Lebens“ unzuverlässig erschienen. Zu den Arbeitseinheiten sollten „nur arbeitsfähige Personen zwischen 18 und 42 Jahren419 eingeteilt werden, die aus nationaler Hinsicht unzu418 

419 

Részletes mozgósítás. In Ausnahmefällen auch Personen zwischen 43 und 60 Jahren.

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verlässig sind und daher für den Dienst an der Waffe nicht zu gebrauchen sind“. Nicht einzuteilen waren Geistliche der rezipierten Religionsgemeinschaften und ausländische Staatsbürger. Zur Arbeit in Arbeitslagern waren „Juden zwischen 18 und 42 Jahren, die arbeitsdienstfähig sind und aus dem Gesichtspunkt der Loyalität zur Nation zuverlässig sind, egal, ob sie zuvor im Militär waren oder nicht,“ einzuteilen. Für die Kampfverbände kamen nur militärtaugliche und staatstreue Christen infrage. Die Listen sollten lokal von einer „gemischten Kommission“420 zusammengestellt und bis spätestens 5. August 1942 der Abteilung „Zentrale Kommission“ bei Innenministerium, Abteilung VII, Öffentliche Sicherheit, übergeben werden, von der auch Fälle, in denen man sich hinsichtlich des Einsatzes nicht entscheiden konnte, geklärt würden. Insofern durch das Aufstellen Handlungsbedarf bestand, wie bei Internierung oder Verhängen von Polizeiaufsicht, sollte nach VO 8.130/1939 und 760/1939 verfahren werden.421 Mit einer Folge-VO 2.237/1942 vom 1. Juni 1942 wurden im „wichtigen Interesse der Staatsordnung und des Militärs“ alle Bezirkskommandos der Gendarmerie aufgerufen, bei der Erfassung „mit großer Umsicht, Objektivität, mit der größten Gründlichkeit“ vorzugehen und wenn nötig, „besonders bei Personen, die aus Gesichtspunkten der Staatsordnung verdächtig sind, sich Angaben vom Zentralen Ermittlungskommando einzuholen“, das vom Innenminister ebenfalls entsprechend informiert worden war.422 Auch darüber wurde das Verteidigungsministerium in Kenntnis gesetzt.423 Die Nennung der Zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie als koordinierendes und informierendes Fachelement stärkte weiter ihre Rolle bei der Ermittlungsarbeit. Bereits im Mai 1939 hatte das Verteidigungsministerium vom Innenminister die Aufstellung von Listen gefordert über Personen, die aus Gründen der Staatssicherheit unzuverlässig erschienen.424 Mit VO 13.400/1942 wurde das Vorgehen und die Kategorisierung der Bevölkerung maßgeblich weiter vorangetrieben. Dass sich eine Abschrift der VO auch in den Unterlagen des Verteidigungsministeriums befindet, ist nur logisch und bestätigt die weitere enge Zusammenarbeit der Ministerien.425 Infolge der Verordnung gingen beim Innenministerium Aufstellungen über unzuverlässige Personen von den „gemischten Kommissionen“ organisiert nach Komitaten bzw. Militärkorpssitz ein. Offensichtlich hatten die unteren Behörden so viele „unzuverlässige Personen“ erfasst, dass die zuständigen Mitarbeiter im Ministerium überfordert waren. Der Innenminister erklärte im Oktober 1942: „Die Zentrale Kommission der Abteilung VII / Öffentliche Sicherheit / hat unter meiner Leitung schon einen Teil der Listen aufgearbeitet […], die Arbeit wird aber einige 420  Dieser Kommission sollten der Vizegespan als deren Leiter, Mitglieder der Spionageabwehr des Militärkorps, der Oberstuhlrichter und der Chef der Gendarmerie angehören. 421  MOL, K149 – 651 – 5 – 24 – 13.400, Bl. 37 – 45. Ebenda, K149 – 651f. 5/24 1942 – 109. 422  Ebenda, K149 – 651 – 5 – 24 – 13.400, Bl. 37 – 45. HM, 1942 eln. 20 oszt. 113.850. 423 Ebenda. 424  Ebenda, 26.211/1939 eln. 18. Abt, Bl. 3 – 5R. 425  Ebenda, 1942, eln. 20 oszt., 113.850.

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Monate in Anspruch nehmen.“426 Er verwies in seiner weiteren VO 20.000/1942, Abteilung VII., nochmals auf das Ziel der VO 13.400, alle „unzuverlässigen Personen entsprechend vorbeugend / präventive Verwaltungsmaßnahmen / Polizeiaufsicht oder Internierung und in Verbindung damit die Männer in verschiedene Einheiten / Arbeitskommandos oder Lager“ einzuteilen, aber erst zu einem vom Innenministerium bestimmten Zeitpunkt. Der Innenminister erklärte, wie die Zentrale Kommission festgestellt habe, waren von der gemischten Kommission viele Personen zur Internierung vorgesehen worden, „nämlich zwischen 28 – 30 %, teilweise noch viel höher, obwohl aus den Begründungen eine so schwere Vorgehensweise nicht gerechtfertigt“ sei. Er erklärte, Internierung sei nur in dem Fall nötig, „da die Polizeiaufsicht nicht ausreichend erscheint und die Unterbringung der Person in geschlossenen Räumen aus Staatssicherheitsgesichtspunkten nötig ist“. Von der Polizeiaufsicht könne man dann ja jederzeit wenn nötig schnell zur Internierung übergehen. Er gab zu bedenken, dass Internierung viel Geld koste, Lager zur Verfügung gestellt werden müssten, wie Verpflegung, Bewachung. Die gemischten Kommissionen wurden daher zur Nachbearbeitung ihrer Listen aufgefordert.427

IV. Staatssicherheitszentrale Als einer der Hauptgründe für das Einrichten der Staatssicherheitszentrale428 war die unübersichtliche Ermittlungsarbeit der Organe der Polizei, Gendarmerie und dem Militär, deren mehrgleisige Arbeit wie auch teilweise Rivalität. Die Schwierigkeiten der Koordination der verschiedenen Behörden und Unterbehörden in der Vergangenheit sollten unter der Regie der Staatssicherheitszentrale behoben werden, alle zivilen und militärischen Organe zum Schutz der Staatsicherheits- und der Militärinteressen geordnet, harmonisiert und zielgerichtet kooperieren und effizienter arbeiten.429 Die Staatssicherheitszentrale wurde vor allem in Zusammenarbeit von Innenminister Ferenc Keresztes-Fischer, Verteidigungsminister Bartha Károly und Militärgeneralstabschef Ferenc Szombathelyi (1887 – 1946)430 im Juni 1942 beim Innenministerium eingerichtet.431 Sie setzte sich aus Mitarbeitern von 426 

MOL, K149 – 651 – 5 – 24 – 13.400, Bl. 37 – 45. Ebenda, K149 – 651 – 5 – 24 – 13.400, Bl. 37 – 45. 428 Államvédelmi Központ (ÁVK), 1944 umbenannt in Anwaltliche Ermittlungsabteilung der Staatssicherheitszentrale beim Innenministerium (Magyar Királyi Belügyminisztérium Államvédelmi Központ Ügyészi Nyomozó Osztálya). 429  Kovács, Tamás: A nyilas éra politikai rendészetének felépitése [Der Aufbau des politischen Polizeiwesens in der Pfeilkreuzler-Ära]. In: Kutatási füzetek [Forschungs-Hefte], 2005, Nr. 12, S. 239 – 252. http://www.publikon.hu/application/essay/134_1.pdf (Zugriff am 10.5.2013). Varga, Kommunistaellenes nyomozások. 430  Ab 6. September 1941 bis Oktober 1944 Chef des Generalstabsgerichts. Nach seiner Auslieferung an Jugoslawien wurde er dort wegen Kriegsverbrechen bei der Besetzung eines Teil Jugoslawiens durch die Ungarn erschossen. 431  Mit der VO 6.290/1942 des Innenministers bzw. VO 52.161/1942 des Verteidigungsministers. Sie bestand bis zum 12.10.1944. 427 

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Militär, Gendarmerie und Polizei zusammen, darunter Ermittler der Gendarmerie und des Militärs und Polizeidetektive. Zum Aufgabengebiet der Staatssicherheitszentrale gehörte neben der Spionage- und Sabotageabwehr, das Vorgehen gegen Bewegungen, die der inneren Ordnung schaden oder die militärischen Interessen gefährden könnten, aber auch der Rassenschutz.432 Außer den Behörden des Innenministeriums und des Verteidigungsministeriums waren auch die Justizbehörden involviert.433 Unterstützend tätig für die Einrichtung der Staatssicherheitszentrale waren die Abteilung VII, Öffentliche Sicherheit, beim Innenministerium, verschiedene Abteilungen des Generalstabs, die politische Polizei und die Zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie. Das Justizministerium war ebenso eingebunden.434 Die politische Polizei war direkt Innenminister Keresztes-Fischer verpflichtet, der sich persönlich um das Vorgehen gegen extrem linke oder rechte Bewegungen kümmerte. Als Chef der Staatssicherheitszentrale wurde General István Ujszászy435 eingesetzt, der zuvor im Verteidiungsministerium die Abteilung 2, Nachrichtendienst und Spionageabwehr, beim Militärgeneralstab geleitet hatte. Im Fokus dieser Abteilung standen u. a. extrem rechte und linke Bewegungen, wobei man sich auf die linken Bewegungen konzentrierte, zumal ein großer Teil der Mitarbeiter der Abteilung mit Szálasi und seiner Partei sympathisierte.436 Ujszászy hatte sich explizit mit der Zerschlagung von militärfeindlichen Bewegungen auseinandergesetzt. Unter anderem wollte er die Tätigkeit der „Történelmi Emlékbizottság“ (Historische Erinnerungskommission) paralysieren, die im Februar 1942 gebildet wurde und an den Freiheitskampf von 1848 erinnerte. Ujszászy ging auch gegen kommunistische Aktivitäten und kommunistische Sympathisanten vor, ließ Hunderte inhaftieren und brachte sie mit dem Vorwurf von Spionage und Hochverrat vor das Militärgeneralstabsgericht, wo sie wegen Untreue verurteilt wurden.437 Mit dieser Historie war Ujszászy quasi prädestiniert für die Aufgabe. Auch wenn die Staatssicherheitszentrale beim Innenminister angesiedelt war, manifestiert sich hier der Einfluss des Militärgeneralstabs. Einer Aussage von Innenminister Keresztes-Fischer zufolge soll seine Arbeit der Aufsicht des Militärgeneralstabschefs unterstanden haben.438 Diese Konstellationen und Verknüpfungen verdeutlichen eindrucksvoll einmal mehr das Bestreben der obersten Behörden nach enger Zusammenarbeit, gleichzeitig aber auch die Einflussnahme des Militärgeneralstabs. 432 

Szita, Ujszászy, S. 11 f.

433 Ebenda.

434  Kovács, Államvédelmi központ, S. 340. Nánási, László: Különleges nyomozó szerv a második világhaború idején: az Államvédelmi központ ügyésze (1942 – 1944) (Besonderes Ermittlungsorgan in der Zeit des Zweiten Weltkriegs: Der Anwalt der Staatssicherheitszentrale [1942 – 1944]). In: Betekintó, Nr.  2, 2011. http://www.betekinto.hu/sites/default/ files/2011_2_nanasi_0.pdf (Zugriff am 15.2.2013). 435  Sein Stellvertreter war Oberstleutnant Lajos Kudar. 436  Kovács, Államvédelmi központ, S. 339 f. Gleichwohl war den Behörden bekannt, dass kommunistische Bewegungen wenig Substanz hatten. 437  Szita, Ujszászy, S. 10 f. 438  Kovács, Államvédelmi központ, S. 340.

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Später unter der Herrschaft Szálasis und der Errichtung eigener Sicherheitsorgane sollte die Staatssicherheitszentrale kaum noch eine Rolle spielen.439 Eine wissenschaftliche Aufarbeitung der Tätigkeit der Staatssicherheitszentrale gestaltet sich schwierig, da in den Archiven kaum Unterlagen zu finden sind. Verschiedentlich konnte immerhin auf Erinnerungsberichte ehemaliger Mitarbeiter, darunter im Wesentlichen Ujszászy, zurückgegriffen weren, wonach bestimmte Tätigkeiten, Vorgehensweisen und Zielgruppen zumindest teilweise rekonstruiert werden konnten.440 Ujszászy zufolge waren 21 Themen Hauptgegenstand der Ermittlungen der Staatssicherheitszentrale. Dazu gehörten: 1. Sommer 1942 „sowjet-russinische Spionage“ in Transkarpatien. 2. Sommer 1942 eine Ukrainische Bewegung namens Bandura. 3. Sommer 1942 Ermittlungen in Munkács und Sátoraljaújhely (dabei soll es um Lebensmittel/Mehl gegangen sein). 4. Im Sommer 1942 Sicherung der Ernteeinbringung in der Batschka, 5. Winter 1942/1943 durch die Zentrale in Alag unter Leitung von Oberstleutnant der Gendarmerie Czigány die Sache der „‚Bibelerklärenden‘ Sekte“. Ujszászy erklärte fälschlicherweise, die Gemeinschaft käme aus Salt Lake City bzw. Bern, hätte Spionage betrieben und würde mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammenarbeiten. Die Sabotageschriften in ungarischer Sprache kämen aus Bern. Die militärdienstverweigernde Bewegung sei besonders in Nyírség, Nagykálló, Tiszasüly, Kecskemét, Szombathely und im Bakony verbreitet.441 Es ist davon auszugehen, dass mit der „Bibelerklärenden Sekte“ die Bibelforscher oder Zeugen Jehovas gemeint waren. Punkt 6 und 9 betraf Ermittlungen im Winter 1942/1943 zu Partisanenaktivitäten von Kroatien insbesondere in Muraköz (kroatisch Međimurje, deutsch Murinsel). Die unter 7, 8 und 19 genannten Ermittlungen im Winter 1942/1943 richteten sich gegen Aktivitäten der Pfeilkreuzler und Szálasi. Als Punkt 10 nannte 1943 Ujszászy Ermittlungen gegen die „Békepárt“ (Friedenspartei), unter Punkt 11 Waffenverschiebung 1943. Besondere Aufmerksamkeit erhielt immer wieder die Partisanenbewegung in der Batschka, so unter Punkt 12, 17 Sommer 1943 und insbesondere unter Punkt 21 die Aufklärung des „Blutvergießens in Újvidék“. Bei den anderen Punkten handelte es sich um Ermittlungen in wirtschaftlichen Interessen, aber auch die Suche nach sowjetischen Fallschirmspringern in der Karpato-Ukraine.442 Dass die Aufklärung der „‚Bibelerklärenden‘ Sekte“ zu den Top-Themen unter den sonst politisch und militärisch ausgerichteten Aufgabengebieten der Staatssicherheitszentrale gehörte, macht deutlich, welche Relevanz die Tätigkeit der Gemeinschaft für die Behörden hatte, und das obgleich sie ihr Feindbild noch nicht einmal kannten bzw. korrekt definieren konnten. Auch aus der Formulierung Ujszászys, der der Zentrale vorstand, spricht Unkenntnis und Vermischung von

Nánási, Különleges nymozó szerv. Kovács, Államvédelmi központ S. 339 – 348. 441  Ebenda, S. 345. 442  Ebenda, S. 345 ff. 439 

440 Vgl.

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Fakten, wenn er die betreffende/n Gemeinschaft/en nicht beim richtigen Namen nennen konnte.443 In ihrem Vorgehen gegen die Gemeinschaft schaltete man die zentralen Ermittlungskommandos im Land ein, die unter der Leitung der Staatssicherheitszentrale arbeiteten. So zum Beispiel in Szeged. In ihrem Bericht vom 23. November 1942 schrieb das Ermittlungskommando der Gendarmerie Szeged an das Gericht des Generalstabschefs: „Durch die der Staatssicherheitszentrale unterstehende Ermittlungsgruppe in Szeged wurden während der Ermittlungen gegen die Sektenmitglieder der Jehova Gott Zeugen 46 Verdächtige wegen Untreue festgestellt.“ 23 weitere Personen, die sich für „die Jehova Gott Sektenbewegung interessierten“, waren ebenfalls zunächst festgenommen, dann aber nach Beschlagnahme von Bibeln und biblischen Schriften wieder frei gelassen worden.444 Es ist davon auszugehen, dass im Zusammenhang mit der landesweiten Aktion die Ermittlungsunterabteilungen im ganzen Land unter der Leitung der Staatssicherheitszentrale gegen die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas und auch der Nazarener ermittelten.

V.  Landesermittlungen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener Wenngleich der Hauptfokus auf den Zeugen Jehovas lag, waren auch die Nazarener von den Ermittlungen betroffen, wie zum Beispiel aus einem Bericht des Ermittlungskommandos der Gendarmerie Szombathely vom Januar 1943 hervorgeht: „Bei den Ermittlungen wurden auch Sektenmitglieder der Nazarener festgenommen, gegen die die Ermittlung von höherer Stelle ebenfalls verordnet wurde.“445 Auch beim Militärgeneralstab sprach man von der „Landesermittlung gegen die Sekten Jehova Gott Zeugen und Nazarener“.446 Schon am 26. September 1942 informierte die Staatssicherheitszentrale den ungarischen Fürstprimas Serédi in Sachen „Liquidierung der religionsfeindlichen Tätigkeit der Sekte Zeugen Jehova Gottes“, „dass sich die Sekte der Jehova Gott Zeugen trotz ihres Verbots von 1939 in Ungarn erneut in breiterem Umfang gegen den Heiligen Vater, die römisch-katholische Kirche und die Geistlichkeit organisiert und agitiert“.447 Die Staatssicherheitszentrale habe „gegen die Mitglieder der Sekte die Landesermittlung angeordnet“. Zum Stand der bisherigen Ermittlungen wurde zunächst vermerkt, dass „die Weltzentrale der Sekte Zeugen Jehova Gottes in 443  Weder die Nazarener noch die Zeugen Jehovas kamen aus Salt Lake City, wenngleich die Zentrale der Zeugen Jehovas in Amerika liegt. Hier scheint Ujszászy Informationen gemischt zu haben. Salt Lake City waren die Mormonen zuzurechnen. Bern hingegen passte zu Zeugen Jehovas, die ihr europäisches Zentralbüro in die neutrale Schweiz verlegt hatten. Auch der Vorwurf der Spionage und der Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst war neu und findet sich auch so kaum in den Akten. 444  HM, 1942 eln. 13 368/1942, Bl. 308. 445  Ebenda, VKF 1943 eln. 1. oszt. B/250 db., 4636 Bl. 292, 292 R. 446  Ebenda, Bl. 293. 447  MJTA, DOK-575, Az. 220/1942.

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Amerika, und die europäische Zentrale in Bern“ liege – das Argument wog schwer, auch wenn die Schweiz neutral war, hatten die USA Ungarn am 6. Juni 1942 den Krieg erklärt. Ungarn hatte bereits im Dezember 1941 zusammen mit Deutschland und Italien der USA den Krieg erklärt. Damit standen die Zeugen Jehovas sozusagen auf der Seite der Kriegsgegner. In Ungarn habe man bisher „mehrere Landes- und höhere Vorstandspersonen festgenommen, ferner Propagandamaterial in großer Menge beschlagnahmt“. Das Schreiben der Staatssicherheitszentrale erging im Auftrage des Ministers.448 Es bestätigt zugleich die Annahme, dass es sich bei der von Ujszászy bei der Nennung der Zielgruppe der „‚Bibelerklärenden‘ Sekte“ tatsächlich Zeugen Jehovas gemeint haben muss. Im Zusammenhang mit der landesweiten Aktion gibt es Berichte von Zeugen Jehovas, in denen von 10 Sammelplätzen gesprochen wird, wo ab August/September 1942 Hunderte von Personen zusammengebracht wurden.449 „Männer und Frauen, Jung und Alt gleichermaßen“ sollen dort zusammengebracht worden sein.“450 Ein Zeitzeuge berichtete von einer zielgerichteten Aktion der „Gendarmerie und der Ermittlungsbehörde des Militärstabsgerichts“, die „Mitte Oktober 1942“ durchgeführt wurde und bei der die Glaubensangehörigen, die „bis dahin noch nicht eingesperrt oder interniert waren, […] eingesammelt und an spezielle Sammelplätze gebracht [wurden]. Einer davon war die jüdische Schule in Sárospatak. Den unmenschlichen Verhören folgte die Urteilsverkündung. Unsere Brüder wurden zu Haft- bzw. Zuchthausstrafen von 6 Monaten bis zu 15 Jahren verurteilt.“451 Aus den Unterlagen des Verteidigungsministers wird deutlich, dass in Sárospatak 70 Zeugen Jehovas, in Alag 63 (Personen aus Budapest), in Újvidék (Novi Sad, Serbien) 100, in Pétervására 120, in Heves und Tiszanána 80 bis 90 in Lagern festgehalten wurden.452 Des Weiteren wurden Kolozsvár (Siebenbürgen), in Beregszentmiklós (Karpato-Ukraine), in Szamosfalva (Siebenbürgen), Hajdudorog und Komárom benannt, allerdings ohne Zahlenangaben.453 Das dürften die in den Berichten angeführten Sammelplätze gewesen sein, wo man die verdächtigen Personen vor dem folgenden Massenverfahren intensiv verhört hat. An diesen Orten oder in der Nähe (z. B. in Mohács und in Szeged) wurde dann auch gegen die Betreffenden verhandelt.454 In die landesweite Aktion wurden sowohl die zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie wie auch die unteren Polizei- und Gendarmeriebehörden 448 Ebenda.

449  András Hanák berichtete: „Im August 1942 wurde ein bösartiger Angriff auf uns organisiert. Die Behörden hatten zehn Sammelstellen bestimmt, wo die Zeugen – Jung und Alt gleicherweise – zusammengebracht wurden. Selbst diejenigen, die noch nicht getauft, aber mit uns verbunden waren, brachte man dorthin.“ In: WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 2002, S. 19 – 23, hier S. 21. Bericht András Hanák. 450  WtBTG, Jahrbuch 2006, S. 85. 451  MJTA. DOK-235, Bericht zu Márton Bojtos (1885 – 1964) von László Papp. 452  Ebenda. HM, 1942 eln. 13 368/1942, Bl. 308. 453 Ebenda. 454  HM, 1942, eln. 13. 5166 cs. MJTA, DOK-102.

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einbezogen, die auf regionaler Ebene jeder einzelnen Spur akribisch nachgingen. Gleichzeitig spielten auch Verwaltungsbehörden wie Vizegespane, Gemeindevorsteher, Notariate, aber auch Oberstuhlrichter eine Rolle bei den Ermittlungen.455 Der Beszterecer Polizeipräsident aus dem Bereich Bereg-Szátmar meldete im September 1942: „In die Landesermittlung gegen Zeugen Jehova Gottes hat sich auch meine Behörde eingeschaltet in Zusammenarbeit mit der Ermittlungsgruppe der Gendarmerie. In Beszterce ist es zu nur einer Festnahme gekommen.“ Man habe festgestellt, dass sich die Bewegung nur auf den engsten Rahmen beschränkte und sie „in der Stadt keinen Boden“ habe. Nach Ende der Ermittlungen wollte man genau Bericht erstatten.456 Auch die Abteilung des Zentralen Ermittlungskommandos in Debrecen war mit der Sache befasst. Sie war bereits 1940 in Verbindung mit dem Verhörsprotokoll von Elek Nemes und den darauf folgenden vom Innenminister verlangten Ermittlungen in Balmazújváros befasst gewesen.457 Genau da setzte man auch wieder an und führte am 12. Oktober 1942 in Balmazújváros bei Elek Nemes, Frau B. T., Frau P. P. und Frau I. K. Hausdurchsuchungen durch und beschlagnahmte neben „sektiererischen Presseprodukten und Bibeln“ zwei Fahrräder, „mit denen sie unterwegs waren, um Zeugnis zu geben“.458 In den Akten findet sich der interessante Fall von András Sz. aus der Gegend von Debrecen. Auf ihn war ein Informant angesetzt worden. Dieser Informant D. 581 B berichtete über Sz., „dass er sich nicht mit politischen Sachen beschäftigt. Er soll ein Anhänger der Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘ sein. Er hat sich mit deren Lehren auch schon in der Vergangenheit beschäftigt, und er hat in letzter Zeit gehört, dass der Genannte erneut die Lehren der Sekte studiert.“ Damit geriet er ins Fadenkreuz der Ermittlungen. Der Chef der Debrecener Gendarmerie verfügte: „Deshalb halte ich es für erwünscht, bei der Ermittlung gegen die Mitglieder der Balmazújvároser Sekte die Rolle von András Sz. zu klären.“459 Sz. leugnete beim Verhör jedoch Mitglied zu sein, weshalb erneut der Spitzel angesetzt wurde.460 Am 15. Oktober 1942 ging dann die Gendarmerie der Sache selbst nach und machte bei 455 

MJTA, DOK-703, DOK-2315. MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IX./September, Az.  14/10 – 1942. Auch dem Innenminister teilte der Beszterecer Polizeipräsident in den monatlichen Berichtsmeldungen im November 1942 mit: „Die eingeleitete Ermittlung gegen Zeugen Jehova Gottes […] hat bis jetzt noch kein Ende, so kann ich meinen detaillierten Bericht noch nicht erstatten.“ 457  MJTA, DOK-105, Datum unbekannt. 458  MOL, K149 – 651f. 5/26, Bl. 27. 459  Ebenda, Bl. 26. 460  Ebenda, Bl. 27. Am 15. Dezember 1941 war von dem Spitzel der Gendarmerie in Debrecen berichtet worden: Der etwa 60-jährige Landwirt András Sz. war einst Mitglied der sozialdemokratischen Partei, wäre später auch Mitglied der Pfeilkreuzler Partei gewesen und sei außerdem Mitglied der Sekte der Jehovas Zeugen. „Seine politischen Auffassungen basierten auf kommunistischen Ansichten.“ Frik hätte oft die umliegenden Höfe aufgesucht und kommunistische Ansichten verbreitet. Er wisse sicher, dass er Mihály Tóth oft besucht habe. Der Spitzel wurde angewiesen, „die Namen der anderen herauszufinden, wer sonst noch die Höfe besucht, was sie dort tun, worüber sie sprechen, wie oft sie zusammenkom456 

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Sz. eine Hausdurchsuchung. Dabei hatte man „2 sektiererische Presseprodukte gefunden“, alte Schriften vom Januar 1929, die „schmutzig, staubig, in letzten Jahren nicht gelesen“ worden waren. Jetzt kam man zu dem Schluss: „Er oder seine Familie hat sie nie gelesen, er sympathisiert nicht mit den Zielsetzungen der Sekte. Er wusste nicht mehr, dass er sie hat.“ Sein Fall zeigt, wie jedem Verdacht genau nachgegangen wurde, und man die Ermittlungen erst einstellte, als klar wurde, dass der Betroffene nichts mit der Gemeinschaft zu tun hatte. Über den Informanten erhielt man weitere Informationen zu mutmaßlichen Zeugen Jehovas – eine Namensliste, darunter József N. und Bálint T., die bereits auf einer Personenliste der Gendarmerie standen. Die bei der Landesermittlung festgenommenen Personen sollten zu der Namensliste befragt und bei ihnen Hausdurchsuchungen durchgeführt werden, wahrscheinlich um Aufschluss über weitere Anhänger zu erhalten.461 In der Grenzregion im Norden wandte sich am 16. Oktober 1942 die Kassaer Gendarmerie an den Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely mit Bezug auf den Befehl der Unterabteilung des Zentralen Ermittlungskommandos und berichtete über die Festnahme von 51 Personen (darunter 22 Frauen) in der Gemeinde Kistoronya, die der in Sárospatak tätigen Ermittlungsgruppe zugeführt worden.462 Am 21. Oktober 1942 erstellte der Kreisnotar von Csörgő, Komitat Zemplén, eine Liste der in Kistoronya in Schutzhaft genommenen Zeugen Jehovas – 48 Personen, darunter 39 Frauen. Er berichtete sechs Internierungen, davon vier in das Lager Nagykanizsa (Péter K., János A., István D. und eine Frau, Mária A.) und zwei nach Kistarcsa (Imre T. jun., Ferenc V.), vier Personen seien auf der Flucht, vier der Verhafteten habe man wieder freigelassen.463 Bei dieser Aktion hatten die Behörden mit der Inhaftierung mit István D. eines weiteren Zonendieners habhaft werden können. Wie ein Bericht von László Papp bestätigt, war er in Nagykanizsa interniert worden und kam erst nach Kriegsende frei.464 Auch das Kreisnotariat von Bodrogszerdahely meldete auf mündliche Anfrage dem Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely am 19. Oktober 1942 10 Zeugen Jehovas (darunter 7 Frauen) der Gendarmerie in Sárospatak übergeben zu haben.465 In gleicher Weise berichtete das Kreisnotariat von Ladamóc dem Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely am 20. Oktober 1942 die Internierung 10 „Konfessionsloser“ (darunter 7 Frauen).466 Das Karcsaer Kreismen, wer zu Frik geht, ob sie Fremde besuchen, wenn ja wen.“ Ein ähnlicher Bericht erging am 22. Januar 1942. Ebenda, K149 – 651.f.11/26, Bl. 24 f. 461  Ebenda, K149 – 651f. 5/26, Bl. 28. 462  MJTA, DOK-2311, Az. 200/1942, 4350/B.1942. 463 Ebenda, DOK-435. Möglicherweise wurden aufgrund der Verhöre und dadurch erhaltenen Angaben in dem Gebiet weitere Ermittlungen durchgeführt wie z. B. Hausdurchsuchungen am 18.12.1942 bei Mihály B., Mihály J., Bertalan Sz., Miklós J. és Károly T. (Bericht der Gendarmerie von Alsómihályi an den Oberstuhlrichter). Ebenda, DOK-236. 464  Ebenda, DOK-225, Bericht ohne Datum, demzufolge er 4 Jahre in Haft war. 465  Ebenda, DOK-2315. 466  Ebenda, DOK-207. UaP János Lakó. Aus Zemplén: János B., János Sz., Frau András­ né Sz., István D., Frau Jánosné B., Frau Andrásné V., Frau Istvánné B., Frau Andrásné Szabó. Aus Ladamóc: Frau Béláné N., Frau Béláné U.

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notariat erklärte hingegen am 26. Oktober, dass „seit der letzten Überprüfung keine Sektierer mehr inhaftiert“ worden seien.467 Das Sátoraljaújhelyer Polizeipräsidium meldete ebenfalls im Oktober, dass das Zentrale Ermittlungskommando der Gendarmerie weitere Ermittlungen „gegen Sektierer“ durchführe und einige zwecks Verhör nach Sárospatak überstellt wurden, wo eine Untergruppe der zentralen Ermittlungsabteilung tätig war. In der Folge wurden einige der festgenommenen Frauen wieder freigelassen, aber unter Polizeiaufsicht gestellt.468 Bei den vorgenannten Berichten aus der Gegend von Sátoraljaújhely469 dürfte es sich alles um Personen gehandelt haben, die der Sammelstelle in Sárospatak zugeführt wurden. In den nächsten Berichten scheint es sich um Verdächtige zu handeln, die an die Sammelstelle in Szamosfalva überstellt wurden. So meldete die Máramaros­ szigeter Polizei in den monatlichen Berichten von September 1942 über die Aktion: „Bei der sektiererischen Bewegung nahm das Aufrollen seinen Anfang. Die diesbezügliche polizeiliche Arbeit fing am 21. September an, aufgrund deren wurden bis jetzt 6 Personen / 5 Männer, 1 Frau/ nach Szamosfalva geliefert, während 9 Personen zurzeit in Haft sind, alle wegen der Straftat der Untreue. Unser Präsidium hat bis jetzt 10 Personen unter Polizeiaufsicht gestellt. Die Ermittlung ist noch im Gange.“470 Das Székelyudvarhelyer Polizeipräsidium berichtete im September: „Das Aufrollen der Sektenbewegung “Zeugen Jehova Gottes„ fing auf dem ganzen Gebiet von Siebenbürgen und so auch in unserer Stadt an. Dabei hat die Marosvásárhelyer Gendarmerie Ermittlungsunterabteilung János Kelemen wohnhaft in Székelyudvarhely festgenommen, der bei der Organisierung der erwähnten Sektenbewegung in der Gegend tätig war. Auf dem Gebiet von Székelyudvarhely gab es keine Sektentätigkeit.“471 Marosvásárhelyer Polizeipräsidium im Oktober 1942: „Bei der Landesermittlung der gesetzlich nicht anerkannten Glaubensgemeinschaft Zeugen Jehova Gottes habe ich weitere drei Personen unter Polizeiaufsicht gestellt, die noch in die Zeit der rumänischen Herrschaft zurückreichend Mitglieder der Sekte waren, aber ihre Kontrolle schien im Rahmen der polizeibehördlichen Auf467  Ebenda,

DOK-273. MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-X./Oktober, Az.  4/15 – 1942. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XI./November, Az.  4/16 – 1942. Ebenda, K149 – 651-f2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XII./Dezember, Az. 4/1943. Vgl. HM, 1942 eln. 13. 5167 cs. 73.444, Bl.  1 – 4. 469  In Verbindung mit den landesweiten Ermittlungen könnten wiederum Aussagen von Wehrdienstverweigerern interessant gewesen sein. Der Zeuge Jehovas Gábor B. aus Bodrogvécs, Komitat Zemplén, etwa gab im Verhörsprotokoll des MG Kassa vom 5.9.1942 an, dass es in Zemplén viele Bibelforscher gäbe, die auch nach dem Verbot noch heimlich in Privathäusern zusammen kämen. Ebenda, 1943 13. oszt. 6569 cs. 452.023. Auch der Nazarener Kálmán T. aus Nagecsed (Ostungarn), nannte am 5.9.1942 im Verhörsprotokoll des MG Kassa Namen von Glaubensbrüdern. Ebenda, 1942 13. oszt 5555 cs. 525.770. Auch Já­ nos Muntyán hatte im Verhör am 7.9.1942 angegeben, dass Zeugen Jehovas nach dem Verbot in den Häusern heimlich zusammengekommen seien. Namen nannte er aber nicht. Ebenda, 1943 13. oszt. 6581 cs. 503.097. 470  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IX./September, Az.  76/8 – 1942. 471  Ebenda, Az.  9/5 – 1942. 468 

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sicht wünschenswert zu sein.“472 Wie die nächste Meldung zeigt, suchten die Zeugen Jehovas nicht Unterschlupf bei anderen Gemeinschaften, denn das Marosvásárhelyer Polizeipräsidium berichtete im Dezember 1942: „Ich habe auch nicht gehört, dass die Mitglieder der aufgelösten Sekte ‚Zeugen Jehova Gottes‘ als Einzelne oder als Gruppe es versucht hätten, in die Sekte der Bibelanhänger zu gelangen. Die hier wohnenden Mitglieder halten die Maßnahmen der polizeibehördlichen Aufsicht ein, sie üben keine Tätigkeit aus.“473 Bei den Ermittlungen in Siebenbürgen soll der rumänische Landesdiener Magyarosi, und wohl auch sein enger Mitarbeiter Albu Pamfil,474 wie viele Hundert Zeugen Jehovas festgenommen worden sein. Auch hier wird von Misshandlungen berichtet. Viele der Verdächtigen seien aber nach einigen Wochen wieder frei gelassen worden.475 Die anderen dürften im Verfahren in Szamosfalva verurteilt worden sein. Im Zuständigkeitsbereich der Polizei von Nagykőrös war schon im Juni 1942 einer der verantwortlichen Zeugen Jehovas festgenommen worden. Die Meldung an den Innenminister erfolgte erst im September: „Der Landesführer der verbotenen religiösen Sekte Jehova Gott Zeugen war József Klinyecz wohnhaft in Nagykőrös, der auf der Flucht war; er wurde gemäß der Benachrichtigung des Alager Gendarmeriepostens festgenommen.“476 Im Laufe der Ermittlungen war am 29. September 1942 vom Zentralen Ermittlungskommando der Gendarmerie, Ermittlungsgruppe der Sammelstelle Alag, bei Klinyecz eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden, bei der verschiedene Druckschriften, auch mit Schreibmaschine abgetippte Publikationen und ein „sehr gebrauchtes Moped mit 100 Kubikzentimeter Anbaumotor“ beschlagnahmt wurden.477 Mit Klinyecz war den Behörden ein weiterer verantwortlicher Zeuge Jehovas ins Netz gegangen. Klinyecz scheint wohl zwecks Gegenüberstellung an mindestens eine andere Sammelstelle gebracht worden zu sein. Zur Verurteilung kam es in Szeged. Im Monat September 1942 erklärte der Polizeipräsident von Debrecen gegenüber dem Innenminister: „Bei der Landesermittlung gegen die ehemaligen Mitglieder der aufgelösten Sekte Zeugen Jehova Gottes hat die Ermittlungsunterabteilung der ung. kngl. Debrecener VI. Gendarmeriedistrikt Kommandantur Sándor Varga wohnhaft in Debrecen unter polizeilicher Aufsicht stehende Person – dessen Wohnung im Zuständigkeitsbereich der Stadt, im Ermittlungskreis des Debrecener Gendarmeriepostens liegt – festgenommen. Bei der bisherigen Ermittlung gab es keinen Hinweis darauf, dass auch andere von den in Debrecen wohnenden ehemaligen Jehovisten Tätigkeit der Bewegung ausgeübt hätten.“478 Das Debrecener Polizeipräsidium erklärte im Oktober: „Bei der Landesermittlung gegen die ehe472 

Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-X./Oktober, Az.  28/10 – 1942. Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XII./Dezember, Az.  28/15 – 1942. 474  MJTA, DOK-96, Liste der ins Arbeitslager Bor deportierten Zeugen Jehovas. 475  WtBTG, Jahrbuch 2006, S. 95 f. 476  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IX./September, Az.  5/9 – 1942. MJTA, DOK-102. 477  Ebenda, DOK-1181. 478  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-IX./September, Az.  16/10 – 1942. 473 

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maligen Mitglieder der aufgelösten Sekte Zeugen Jehova Gottes – bei der Gelegenheit die Funktionäre des Polizeipräsidiums am 12. Oktober bei zehn jehovistischen Familien Hausdurchsuchung durchführten – wurden ein Mann und zwei Frauen festgenommen und der ung. kngl. Debrecener VI. Gendarmeriedistrikt Ermittlungsunterabteilung übergeben.“479 Mit Sándor Varga musste ein weiterer Zonenaufseher seine Arbeit einstellen. Auch er scheint zwecks Gegenüberstellungen an einen anderen Sammelplatz gebracht worden zu sein, denn er wurde später in Komárom verurteilt. Neben ihm und Klinyecz war bei der Aktion auch András Bartha480 in Alag interniert worden. György Farkas war bereits seit 1940, János Konrád seit 1941 in Haft. Damit war es den Behörden gelungen, einige führende Köpfe wegzusperren. Das Marosvásárhelyer Polizeipräsidium meldete dem Innenminister im November 1942: „In Verbindung mit der Landesermittlung der gesetzlich nicht anerkannten Glaubensgemeinschaft ‚Zeugen Jehova Gottes‘ habe ich eine weitere Person unter Polizeiaufsicht gestellt. Damit wurde das Verwaltungsverfahren gegen alle hier bekannten Mitglieder der erwähnten Sekte beendet.“481 Auch vom Pápaer Polizeipräsidium wurde im November 1942 zum „Landeseinsammeln der Mitglieder der Sekte“ berichtet.482 Die Verhörmethoden der Ermittler der Gendarmerie an den Sammelplätzen waren alles andere als zimperlich. Im Jahrbuch der Zeugen Jehovas wird berichtet: „Etwa 1 000 andere Brüder und Schwestern wurden festgenommen. Viele wurden geschlagen und nach ungefähr sechs Wochen wieder freigelassen. […] Im Schutz der Nacht schleppten Gendarmen sogar Mütter mit Kleinkindern weg. Das Vieh im Stall wurde nicht mehr versorgt und die unbewohnten Häuser waren eine leichte Beute für Plünderer. In den Gefangenenlagern warteten schon ‚Empfangskomitees‘ auf die Brüder: Wachleute banden den Ankömmlingen die Füße zusammen, drückten sie auf den Boden und schlugen mit drahtumwickelten Gummiknüppeln auf die nackten Füße ein. Knochen brachen, Zehennägel gingen ab, die Haut wurde ganz schwarz und sprang manchmal ab wie Baumrinde. Wenn Priester beim Rundgang in den Lagern solche Misshandlungen beobachteten, spöttelten sie oft: ‚Wo ist euer Jehova, dass er euch aus unseren Händen befreie.‘“483 Bezüglich der Ermittlungen zu den Nazarenern ist wenig bekannt. Es gibt eine Meldung des Hódmezővásárhelyer Polizeipräsidiums aus dem November 1942, wonach man Tätigkeiten der Gemeinschaft verzeichnete und dem nachging: „Eine 479 

Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-X./Oktober, Az.  16/11 – 1942. aus Siebenbürgen stammende ehemalige Bankangestellte András Bartha (1899 – 1979), der 1928 nach Magdeburg in die deutsche Zentrale gegangen war, fungierte eine Zeit lang als Landesdiener; er kümmerte sich gleichzeitig um die umfangreichen Übersetzungsarbeiten, da er in Magdeburg Deutsch gelernt hatte. Bartha hatte sich nach seiner Rückkehr aus Deutschland im slowakischen Grenzgebiet zu Ungarn, in Košice (vormals ungarisch Kassa) niedergelassen, das 1938 wieder an Ungarn ging. 481  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XI./November, Az.  28/13 – 1942. 482  Ebenda, Az.  6/12 – 1942. 483  WtBTG, Jahrbuch 2006, S. 97. 480 Der

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Kap. 6: Kriegsjahre

vertrauliche Benachrichtigung kam zwar, dass die Nazarener Sekte im Geheimen bei Privathäusern einige Zusammenkünfte abgehalten hat, aber die in diese Richtung eingeleitete Ermittlung hatte keinen Erfolg.“484 Da die Nazarener nicht wie die Zeugen Jehovas ihrem Glauben einen missionarischen Charakter beimaßen, konnten ihre Aktivitäten eher im Verborgenen bleiben als das öffentliche Auftreten der Zeugen. Dennoch waren Berichten zufolge mehrere ihrer namhaften Anhänger interniert bzw. in Szeged inhaftiert, was allerdings auch auf Subordinationsvergehen zurückzuführen gewesen sein kann.485

VI. Untreue-Verfahren Nun hätte man die bereits eingesammelten Personen ohne weitgehende Ermittlungen und große Verfahren einfach internieren können, wie man es ja bisher schon getan hatte. Wahrscheinlich aber wollte man durch die Ermittlungen aller aktiven Anhänger habhaft werden bzw. durch harte Verurteilungen noch tätige Gläubige abschrecken. Der Vorwurf der Untreue galt als schwere Straftat. Dem Csemegi-Kodex486 von 1878 zufolge wurde unterschieden nach Hochverrat (gegen den König, die Verfassung oder das Staatsgebiet) und Untreue (auf diplomatischem oder militärischem Gebiet).487 Der Straftatbestand der Untreue wurde zum Beispiel nach § 142 erfüllt, wenn ein ungarischer Bürger sich zu einer Tat gegen den ungarischen Staat oder die einstmals österreichisch-ungarische Monarchie oder um, einen Krieg auszulösen, mit einer ausländischen Macht verbündete bzw. mit ihr in Kontakt trat. Oder auch wenn jemand nach § 143 in Kriegszeiten in militärische Dienste des Feindes trat oder nach § 144 auf verschiedene Art und Weise dem Feind Vorteil bzw. der österreichisch-ungarischen Armee Nachteile verschaffte. Mit § 145 waren diese Regelungen auch auf Ausländer anwendbar. §§ 146, 147 stellte die Weitergabe von Papieren oder wichtiger Informationen unter Strafe. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg kam es jedoch kaum zu Verurteilungen wegen Untreue.488 Der Csemegi-Kodex wurde um das Militärstrafgesetz, GA II/1930 und GA III/1930, ergänzt. Mit dessen Inkrafttreten kam es zur Neuregelung der Straftat der Untreue. Nach § 59 GA III/1930 erfüllte derjenige, der in Kriegszeiten vorsätzlich für die Streitkräfte des ungarischen Staates oder die seiner Verbündeten Nachteile verursachte oder bewusst einen Vorteil für den Feind bewirkte, jemand zum Durchführen einer solchen Tat anstiftete oder sich mit anderen zu diesem Zweck verbündete, den Straftatbestand. Diese Straftat konnte mit 10 bis 15 Jahren 484 

MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XI./November, Az.  4/12 – 1942. Szigeti, Szabadegyházak, S. 197. 486  Das ungarische Strafgesetzbuch basierend auf GA V/1878. 487  MTT, GA V/1878 Absatz III. Als schwere Straftaten galten auch Aufruhr, Gewalt gegen staatliche Behörden bzw. Hetze gegen die Verfassung oder die Gesetzgebung. 488  Finkey, Ferenc: A politikai büncselekmények és a büntetőtörvénykönyv [Die politischen Straftaten und das Strafgesetzbuch]. Budapest 1927, S. 1 f. 485 

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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Freiheitsentzug, teilweise auch mit lebenslänglich Zuchthaus bestraft werden. Die Verfahren konnten sowohl vor Zivil- wie auch vor Militärgerichte gebracht werden.489 Dieser sehr allgemein gehaltene Gesetzestext gab wenig oder viel Grundlage – je nach Bedarf – für die Beurteilung einer Tat als Untreue-Vergehen. Unklar ist zum Beispiel, wie sich der Vorsatz einer solchen Tat manifestierte bzw. ab wann von einem tatsächlichen für die Streitkräfte spürbaren Vor- oder Nachteil gesprochen werden konnte. Grundsätzlich wurden hier den Interessen des Militärs oberste Priorität zugeschrieben, der sich persönliche Interessen und Freiheiten unterzuordnen hatten. In Verbindung mit den Mobilmachungsmaßnahmen490 und der Verfolgung kommunistischer Bewegungen491 hatte man bereits mehrfach auf Untreue erkannt. Hinzukommt, dass sich die militärischen Behörden zunehmend in zivile Angelegenheiten einschalteten. Bereits ab Mitte der 1930er-Jahre lassen sich zunehmend Fälle nachweisen, in denen zivile Angelegenheiten militarisiert wurden, um sie vor Militärgerichte bringen zu können – zum Beispiel im Zusammenhang mit Kommunismusvorwürfen. Es wird von Verfahren berichtet, da Zivilpersonen deswegen von einem Militärgericht zu 10 Jahren Zuchthaus oder wie in einem Fall wegen des Vorwurfs der Veröffentlichung geheimer militärischer Angaben in illegalen Presseprodukten kommunistischer Herkunft zu 4 Jahren 3 Monaten verurteilt wurden.492 Mit Ende der 1930er-Jahre übernahmen die Militärbehörden in den zurückgewonnenen Gebieten Ermittlungs- und Gerichtstätigkeiten in Zivilangelegenheiten, wobei häufig GA III/1921, das Ordnungsgesetz, wegen „Schmähung der Nation“ herangezogen und vor allem zielgerichtet gegen die in diesen Gebieten teilweise starken linksorientierten und kommunistischen Bewegungen vorgegangen wurde, die man im Stammland selbst im Großen und Ganzen ausgeschaltet hatte oder kontrollierte, die ihre materielle und politische Unterstützung (auch durch Presseprodukte) aber vor allem aus eben diesen Gebieten erhielten.493 Nach Einführung des Verteidigungsgesetzes II/1939 kam es zu verschiedenen Verordnungen, auf deren Grundlage die Militärbehörden ebenfalls tätig werden konnten. Darunter die VO 2.740/1941 M.P., die es Militärbehörden ermöglichte, strafrechtlich gegen Zivilpersonen vorzugehen,494 oder VO 4.870/1941 M. P., wonach die Standgerichtbarkeit auf Grundlage von GA II/1939 weiter ausgeweitet wurde und auch zivile Straftaten umfasste (genannt wurden z. B. neben der Straftat von oder

489 

MTT, GA III/1930. MOL, K149 – 651 – 5 – 24 – 13.400, Bl. 37 – 45. Ebenda, K149 – 651f. 5/24 1942 – 109. 491  Pintér, S. 61 f. 492  Vargyai, Gyula: A vezérkari főnök bíróságának itélkezési gyakorlata a második világháború időszakában [Die Tätigkeit des Generalstabsgerichts in der Zeit des Zweiten Weltkriegs]. In: Jogtudományi Közlöny [Rechtswissenschaftliches Mitteilungsblatt], Mai 1981, S. 365 – 373, hier S. 365. HM, 1935 eln. 2324 cs. 6.842. Ebenda, 1939 eln. 13. 3093 cs. 37.949. 493  Pintér, S. 61. 494  MRT, VO 24.900/1941 V. M., S. 1540. 490 

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dem Anstiften zu Untreue und Aufruhr, Vergehen gegen GA III/1921, aber auch Totschlag oder Mord).495 Zusätzlich zu den bereits vorhandenen 7 Militärgerichten und dem Obersten Militärgericht wurde am 30. Oktober 1941 von Ministerpräsident László Bárdossy mit VO 7.650/1941 zur „Verfolgung von Untreue durch die Militärstrafgerichtsbarkeit“ das Generalstabsgericht auf Grundlage von § 141 GA II/1939 eingerichtet, gemäß dem in Kriegszeiten oder bei Kriegsgefahr die Ausnahmegewalt verfügt werden konnte und unter diesen Umständen gemäß Absatz 2 auch über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus Maßnahmen getroffen werden konnten, die in den außergewöhnlichen Umständen im militärischen Interesse unumgänglich sind und daher auch von den bestehenden Gesetzen abweichen können.496 Das wurde auch von § 50 GA III/1930 gestützt, auf den sich die Verordnung ebenfalls berief. Einziger Daseinszweck des Gerichts war das Führen von Untreue-Verfahren auf der Grundlage von § 59 GA III/1930). Ungewöhnlicherweise konnte das Gericht in die Ermittlungsverfahren eingreifen; auch die Anklageerhebung gehörte in seinen Zuständigkeitsbereich. Ein Ziel seiner Arbeit war: keine langen Verfahren in staatsfeindlichen Angelegenheiten, schnelle Urteile und deren sofortige Umsetzung. Die Urteile wurden vom Generalstabschef Szombathelyi bestätigt; im Fall von Todesurteilen war er auch für eventuelle Begnadigungen zuständig.497 Die Einrichtung des Generalstabsgerichts stellte ein Novum dar und rüstete die Militärbehörden mit enormer Machtfülle aus. Einer der bekanntesten Richter des Generalstabsgerichts war Vilmos Dominich (1904 – ?), der auch als Ankläger fungierte.498 Wie sehr sich die Militärbehörden nunmehr auch direkt in zivile Belange einbrachten, zeigt die Stellungnahme des Militärkorps Kassa vom 23. Juli 1942 an das Generalstabsgericht, da es einer Weidegesellschaft verwehrte, Grund zu kaufen, weil Meldungen der Gendarmerie zufolge die Ehefrau des Mitglieds der Gesellschaft János Sohajda und das Mitglied Albert Sohajda den Zeugen Jehovas angehörten.499 Auch György Péter aus Belin wurde, wie aus einer Meldung vom 7. August 1942 an das Generalstabsgericht hervorgeht, der Grundstückskauf vom Militärkorps Kassa untersagt, weil seine Frau der „Pokait Sekte angehört und an verbotenen Zusammenkünften der Sekte teilnimmt“. Beide seien daher als „aus Gesichtspunkten des Schutzes der Nation und der Landesverteidigung unzuverlässig“.500 495 

Ebenda, VO 4.870/1941 M. P., S. 1841 ff. Vargyai, S. 365. Ebenda, VO 7.650/1941 M. P., S. 3350 f. 497  Ebenda, 1941, Bl. 3350 f. Markó, György: Csendőr tisztek a Magyar Királyi Honvéd Vezérkar főnökének bírósága előtt (Gendarmen vor dem Ungarisch königlichem Militär­ stabsgericht). http://epa.oszk.hu/02100/02176/00010/pdf/RTF_24_073 – 079.pdf#page=1&zoom=auto,0,842 (Zugriff am 21.5.2013). Vargyai, S. 365. 498 Ebenda. Kovács, Tamás: A Nemzeti Számonkérő Különítmény [Das Nationale Rechenschaftsfordernde Kommando]. In: Múltunk [Unsere Vergangenheit], 2006, Nr.  3, S. 71 – 100, hier S. 84. 499  HM, 1942 18 o. 5654 cs. 516.943. 500  Ebenda, 1942 18 o. 5654 cs. 56.173. 496 

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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Das Generalstabsgericht interessierte sich auch für Entscheidungen anderer Gerichte. So findet sich in den Unterlagen des Verteidigungsministeriums ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Debrecen zum Verfahren gegen die Witwe Gáborné Biró vom 23. Mai 1942, die am 5. Mai 1942 drei Frauen aus Hajdúszoboszló gegenüber den „auf GA II/1939 basierenden Luftschutzdienst als satanischen Dienst bezeichnete, und Äußerungen machte wie der Luftschutzdienst widerspräche dem Willen Gottes und sei auch sinnlos, da Gott die Welt vernichten werde“. Damit sei mit Verweis auf von § 196 Abs. 1 GA II/1939 der Tatbestand der Aufwiegelung oder Hetze erfüllt. „Wer also den Luftschutzdienst als vergeblich und dem Willen Gottes widersprechend bezeichnet, wiegelt gegen das zitierte Gesetz auf“, so die Staatsanwaltschaft.501 In den Unterlagen des Verteidigungsministeriums befindet sich auch eine Anklageschrift502 der Staatsanwaltschaft Ipolyság vom 1. Juli 1942 gegen zwei Frauen, die 50-jährige Istvánné Ledényi und die 59-jährige Ilona Rácz aus Léva, in deren Wohnungen 1941 und 1942 trotz Verbots Zusammenkünfte abgehalten wurden, und gegen den 20-jährigen István Krajcsi, der im Juni wegen Aufwiegelung inhaftiert worden war, er habe zur Verweigerung der Teilnahme am Krieg aufgerufen.503 Alle drei wurden wegen Verstoßes gegen § 196 und § 197 GA II/1939 sowie gegen § 6 GA XVIII/1938 wegen Druckerzeugnissen angeklagt. Sie hätten damit, dass sie „propagierten, die Soldaten sollten nicht zur Waffe greifen, gegen die Wehrpflicht aufgewiegelt“.504 Der herangezogene § 196 richtete sich gegen Hetze und § 197 gegen das Abhalten von Versammlungen trotz Ausnahmegewalt. Möglicherweise haben die Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums diese Verfahren aus Interesse verfolgt, aber nicht eingegriffen, denn in Verbindung mit Frauen religiöser Gemeinschaften war das Gericht bis dahin noch nicht tätig geworden. Aus den Unterlagen wird jedenfalls nicht deutlich, dass die Militärbehörden tätig geworden wären. In jedem Fall herrschte bei der strafrechtlichen Bewertung des Predigens der Lehren der Zeugen Jehovas zu dieser Zeit in der juristischen Abteilung des Verteidigungsministeriums noch Uneinigkeit darüber, ob das den Tatbestand der Untreue erfülle.505 Das zeigt sich an zwei Verfahren gegen Zeugen Jehovas. Das erste wurde am 28. Mai 1942 vom Militärrichter Major Dr. József Klie am Gericht des „ung. kngl. Militärgeneralstabschefs Budapest“ gegen Kálmán V. aus Borota und István F. aus Jánoshalma (beides im Süden Ungarns) eingeleitet. Ihnen wurde ähnlich den vorgenannten Fällen vorgeworfen, am 22. Dezember 1941 in Kalocsa versucht zu haben, „dem Feind in Kriegszeiten bewusst Vorteile zu verschaffen, indem sie die Lehren der Sekte der ‚Zeugen Jehovas‘ von Haus zu Haus verkündend gegen die Wehrpflicht aufwiegelten, da sie behaupteten, dass ‚man keinerlei Blut vergie501 

Ebenda, 1942 18. oszt. 5636 cs.476.476. Az. 876/3 h. 503  Vgl. MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VI./Juni. Ebenda, K149 – 651-f2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-VII./Juli. 504  HM, 1942. 18 oszt. 5650 cs. 493.195. 505 Vgl. Vargyai, S. 366. Vargyai weist ebenfalls auf Unstimmigkeiten hin und benennt verschiedene Fälle. 502 

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Kap. 6: Kriegsjahre

ßen darf, weil die Heilige Schrift lehrt, wer Menschenblut vergießt, dessen Blut wird durch Menschen vergossen werden‘, ferner, dass ‚auf dem Schlachtfeld alle Menschen vernichtet werden, und nur die am Leben bleiben, die sich auf die Seite Jehovas stellen und nicht zur Waffe greifen‘“. Damit hätten sie gegen § 59 Absatz 2 GA III/1930 verstoßen, indem sie zur Straftat der Untreue angestiftet hätten, sie hätten dabei gegen die christliche Religion gehetzt und die Zuhörer zum Hass angestiftet.506 Was die Wiedergabe des Tathergangs anbelangt, wird hier wiederum die Unkenntnis der Lehre deutlich, was zu Missinterpretation führte. Es ist davon auszugehen, dass die Betreffenden hier vom „jüngsten Gericht“, dem Krieg Gottes, gesprochen haben. Inwiefern abgesehen von dieser inhaltlichen Unstimmigkeit das Predigen an sich bereits den Tatbestand der Untreue erfüllte bzw. Anstiftung zu Hetze oder Hass darunter subsumiert werden konnten, darüber scheint im Ministerium noch diskutiert worden zu sein. In den Akten der Präsidialabteilung 13 findet sich eine Verfügung des Chefs des Generalstabsgerichts Szombathelyi persönlich, datierend vom August 1942 (der genaue Tag war noch einzusetzen), wonach das Verfahren an ein ziviles Gericht abzugeben war, da das Vergehen nach der VO 77.299/1942 der Präsidialabteilung 13 nicht den Tatbestand der Untreue erfülle.507 Danach war „zum Zustandekommen dieser Straftat aus objektiver Sicht erforderlich, dass der Nachteil der Tat einen direkt spürbaren Einfluss auf die Streitmacht ausüben muss“. In Anbetracht dessen, dass die Angeschuldigten die Äußerungen „von Haus zu Haus unterschiedslos gegenüber jedem, vorwiegend einigen Frauen und anderen, nicht wehrpflichtigen Personen, gemacht haben,“ würde der objektive Tatbestand nach § 59 GA III/1930 nicht erfüllt. Das Verfahren sollte daher an die Staatsanwaltschaft von Kalocsa verwiesen werden.508 Der Rechtswissenschaftler Gyula Vargyai weist daraufhin, dass sich das Gericht in ähnlich gelagerten Fällen hingegen zur gleichen Zeit als zuständig erklärte und wegen Untreue verurteilte und damit insofern abweichend entschieden hat, was belege, dass man in Sachen Definition von Untreue noch keine klare Linie gefunden habe.509 So auch im Fall des erst 15-jährigen Géza R., aus Szolnok, da das Generalstabsgericht in Budapest am 18. August 1942 auf Untreue § 59 Abs. 1 GA III/1930 erkannte, und R. zu zwei Jahren Zuchthaus und den Verlust aller bürgerlichen Rechte verurteilte. In den Gründen hieß es, er sei am 22. Dezember 1941 „in Kalocsa, in der Váradi Straße, von Haus zu Haus“ gegangen und habe „die dort Wohnenden gegen die christliche Konfession und den Priesterorden aufgewiegelt, ferner versuchte er seine Zuhörerschaft davon zu überzeugen, die Waffe selbst gegen Feinde nicht zu gebrauchen – er hat also in Kriegszeiten bei den Zuhörern Hass gegen obige Einrichtungen geschürt, ferner versucht, die Bevölkerung zur Verweigerung der Erfüllung ihrer heiligsten staatsbürgerlichen Pflichten zu veranlassen, und dadurch vorsätzlich eine solche Tat HM, 1942, eln. 13, 5166 cs., 32.744. Vargyai, S. 367. H.60/42/18. 508  Ebenda, 1942 eln. 13 oszt., 5166 cs. 32.744. 509  Vargyai, S. 367. 506 

507  Az.

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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begangen, die der bewaffneten Macht des ungarischen Staates zum Nachteil bzw. dem Feind zum Vorteil gereicht“. Ergänzend stellte das Generalstabsgericht fest, dass auch die Mutter des Angeklagten ein Mitglied der Zeugen Jehovas sei und dass der Angeklagte „das Naturell eines Landstreichers“ habe, da er es „für seine höchste Berufung hielt, die Lehren Jehovas zu verkünden“, außerdem fühle er sich „nicht schuldig, weil er seiner Meinung nach nur das gelehrt hat, was auch die Bibel lehrt“. Hier verhandelte tatsächlich das Generalstabsgericht gegen einen einzelnen minderjährigen Zeugen Jehovas und kam zu dem Schluss, dass „die Tat des Angeklagten geeignet ist, die Interessen der Landesverteidigung zu verletzen, weil er seine Irrlehren vor so einfachen Menschen verkündete, die für die Aufnahme solcher schädlichen Ideen aufgrund ihrer Bildung und gesellschaftlicher Stellung empfänglich sind“, womit „der Straftatbestand der Untreue nach § 59 Absatz 1 erfüllt“ sei. Wegen der Minderjährigkeit zog das Gericht einen Arzt heran, der bestätigte, dass der 15-Jährige „über die zur Feststellung der Schuld notwendige geistige und moralische Entwicklung [gemäß §§ 43, 44 MStGB] verfügt“, obgleich der Sachverständige eingestehen musste, dass seine geistigen Fähigkeiten noch in der Entwicklung waren, was sich hätte auf seine Zurechnungsfähigkeit auswirken müssen. Das Urteil wurde am 21. August vom Chef des Generalstabsgericht Szombathelyi bestätigt.510 In der Militärstrafsache des Zonendieners János Kővágó aus Isaszeg, östlich von Budapest, erging am 28. August 1942 wiederum Meldung an den Innenminister mit Überstellung des Verhörsprotokolls. Kővágó wurde vorgeworfen, den Stellungsbefehl zum 13. Oktober 1941 nicht angetreten zu haben.511 Der frühere Katholik gab an, durch Bibellesen erkannt zu haben, dass die katholische Kirche nicht das lehre, was in der Bibel stehe und ihm klar geworden war, keinen Militärdienst leisten zu können. Daraufhin hatte er sich nach Erhalt des Gestellungsbefehls für einige Zeit nach Siebenbürgen abgesetzt, um dort zu predigen, war danach aber wieder nach Hause zurückgekehrt, wo er am 8. August 1942 festgenommen wurde. Am 31. Oktober 1942 übergab der Militärstaatsanwalt das Verfahren an das Generalstabsgericht mit der Begründung, dass der wegen Nichtantritt des Gestellungsbefehls nach § 181 GA II/1939 angeklagte Kővágó in der Zeit „seines Fernbleibens für die Bewegung der ‚Jehova Gott Zeugen‘ tätig war, wodurch er nach § 59 III/1939 die Tat der Untreue begangen hat“. Für das Verfolgen dieser Straftat sei das Militärgericht des Generalstabs der Honvéd zuständig. Offensichtlich hob man auch hier auf das Predigen der Lehren der Gemeinschaft ab, deren Inhalt man als geeignet ansah, die militärischen Interessen zu schädigen. Interessanterweise hatte Kővágó in dem Verhörsprotokoll jedoch angegeben, beim Missionieren das Thema nicht angesprochen zu haben. Er habe lediglich bei Fragen geantwortet, dass jeder nach seinem besten Gewissen entscheiden müsse, was er tue.512

510 

HM, 1942 eln. 13. oszt. 5160 cs. 16.130, Az. 114/42. Ebenda, 1942 eln. 13. oszt. 5551 cs. 517.146. 512  Ebenda, 1942 eln. 13. oszt. 5551 cs. 517.146. 511 

Kap. 6: Kriegsjahre

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Gegen Péter Szabó, früher katholisch, dann Baptist, schließlich Zeuge Jehovas, und István Besenyei, früher reformiert, nunmehr ebenfalls Zeuge Jehovas, verhandelte das Generalstabsgericht in Nagykálló am 18. September 1942.513 Beide wurden der Untreue gemäß § 59 Abs. 1 GA III/1930 für schuldig befunden. Verübt hätten sie diese, da sie auf dem Gehöft Baromlak und in der Umgegend am 23. Februar 1942 „unter dem Vorwand des Kaufs von Heu mit der Absicht erschienen, um der ungarischen und der mit ihr verbündeten Streitkraft absichtlich Nachteil und dem Feind absichtlich Vorteil zu verschaffen“. Auch hätten sie Zusammenkünfte abgehalten und „in Anwesenheit von mehreren die Lehren Jehova Gottes verkündetet“. Dabei hätten sie erklärt: „Den Krieg hat nicht Jehova Gott angeordnet, sondern Horthy und Hitler. Der Krieg hat keinen Sinn, weil Jehova sowieso über die Menschen entscheiden wird und nicht Hitler und Horthy, und wer zur Waffe greift, dem vergibt Jehova nicht, er wird durch die Waffe sterben.“ Die Angeschuldigten hätten damit bewusst gegen das Verbot des Innenministers von 1939 verstoßen. Im Widerspruch zu Zeugenaussagen erklärten die Angeschuldigten jedoch, diese Aussagen so nicht getätigt zu haben, auch seien sie nicht zum Predigen auf das Gehöft gegangen, sondern lediglich zum Kauf von Heu und Mais. Dabei wäre Szabó in eine Diskussion verwickelt worden, der Landesverteidigung hätte er nicht schaden wollen. Besenyei war gar nicht anwesend. Auf die Frage des Richters, erklärte Besenyei, dass er sich für einen guten Ungar halte, er würde nie gegen sein Vaterland handeln, sei aber auch nicht bereit, seinen Glauben zu verlassen. Beide gaben an, die Bibel immer bei sich zu tragen. Von einer „zentralen Leitung der Sekte“ wäre ihnen nichts bekannt. Trotz dieser nur geringfügigen Vorwürfe und trotz Mangel an Beweisen verurteilte das Gericht Péter Szabó und István Besenyei zu 5 Jahren Zuchthaus und 8 Jahren Amtsverlust, dem Verlust bürgerlicher Rechte, wegen Untreue nach § 59 GA III/1930.514 Abgesehen davon, dass die Angeschuldigten verleugneten zum Predigen auf die Höfe gegangen zu sein und die Aussagen zu Hitler und Horthy gemacht zu haben, stellte das Kriegsgericht in ihrem Fall fest, dass jede Handlung, die direkt oder indirekt eine deutliche nachteilige Auswirkung auf die Verteidigung habe, „unter Berücksichtigung der heutigen Zeiten und der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen unbedingt den Straftatbestand der Untreue“ erfülle. Die Angeklagten, als Mitglieder einer, „gerade wegen ihrem staatsfeindlichen und antimilitärischen Wesen verbotenen Sekte“, hätten versucht, neue Gläubige „für ihren Irrglauben“, der die „weitere Aufrechterhaltung der priesterlichen Einrichtung für unnötig und den für eine glücklichere, schönere Zukunft der Nation geführten Krieg für zwecklos, ja sogar für Sünde, hält“ zu werben. Das Gericht kam zu dem Schluss, die Handlungen seien nach reifer Überlegung, planmäßig und konsequent durchgeführt worden.515 Neben der Information an den Verteidigungsminister wurde am 17. Oktober 1942 auch der Innenminister mit Verhörsprotokoll und Urteilsauszug – nunmehr wohl auch im Zusammenhang mit der landesweiten Aktion – in Kenntnis gesetzt. Allerdings hatten Szabó und 513  Az. H.153/42. 514 

Ebenda, 1942 eln. 13. oszt. 5166 cs. 57.753.

515 Ebenda.

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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Besenyei keine weiteren Glaubensangehörigen namentlich benannt und auch sonst nichts Verwertbares angegeben.516 In Abstimmung mit dem Justizminister wurden die beiden Verurteilten zusammen mit mindestens 142 anderen sich wegen Untreue in Untersuchungshaft befindlichen Personen, darunter weitere Zeugen Jehovas, in das Zuchthaus von Vác überstellt.517 Unter diesen weiteren Zeugen befand sich auch der Zonendiener Géza Pál, der wahrscheinlich ebenfalls wegen Untreue verurteilt wurde, wie aus dem Überstellungsbericht des Innenministers hervorgeht zu 2 Jahren 6 Monaten. Weitere Hintergründe sind unbekannt.518 War man sich zunächst von oberster Stelle nicht einig, ob das Predigen der Lehren der Zeugen Jehovas den Tatbestand der Untreue erfülle, hatte man sich schließlich – spätestens in Verbindung mit der Landesaktion – dafür entschieden, gleichwohl ein direkter Vor- oder Nachteil für die Streitkräfte oder den Feind nicht belegbar war, sondern nur antizipiert werden konnte. Der Faktor Religionsfreiheit wurde in dem Zusammenhang gar nicht mehr diskutiert. Der Generalstab hatte sich entschieden: „Die Angehörigen der Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ [oder ggf. anderer Gemeinschaften] kommen dann vor das Gericht des Generalstabschefs, wenn sie mit ihren Taten bewusst zum Nachteil der Streitkräfte des ungarischen Staates oder bewusst zum Vorteil der Feinde wirken oder jemand dazu bringen eine solche Tat durchzuführen.“ Das war sozusagen die „Generalformel“ nach § 59 MStG, die bei der Verurteilung der Glaubensangehörigen Anwendung fand. Ganz offensichtlich war man nunmehr gewillt, schwere Geschütze gegen die einfachen ungebildeten Anhänger, wie man ja immer betont hatte, aufzufahren. Nach all den fruchtlosen Versuchen der Eliminierung ihrer Tätigkeit erweckten sie den Eindruck eines gefährlichen schwer besiegbaren Gegners. Mehr noch, „die Verurteilung dieser Personen“, wodurch sie „ihre Tätigkeit gegen die Streitkräfte nicht fortsetzen können“ wurde zu einer „Existenzfrage für die ung. kgl. Streitkräfte“.519 Weil die Umstände dieser Verfahren im Zusammenhang mit den Landesermittlungen so ungewöhnlich sind und Zivilpersonen wegen ihres Glaubens vor ein Militärgericht mit höchster Autorität gebracht wurden, wobei auch die gesamte Vorgehensweise, die Extremmaßnahmen so einzigartig sind, sollen die Vorgänge – soweit die bisher gefundenen Unterlagen es erlauben – ausführlich untersucht und auf Erlebnisberichte Betroffener eingegangen werden. In Hitler-Deutschland gab es insofern eine Parallele, als dass Zivilpersonen wegen ihres Glaubens von Sondergerichten oder dem Volksgerichtshof verurteilt wurden – allerdings nicht wie in Ungarn von Militärgerichten. Auch im Fall der Wehrkraftzersetzung, worunter auch das Verkündigen der Lehren von Zeugen Jehovas fiel, waren für Zivilpersonen Sondergerichte, Oberlandesgerichte oder der VGH zuständig, im Fall von Kriegsdienstverweige-

516 Ebenda. 517 

Ebenda. Schreiben des Justizministeriums, Az. 72.037 vom 12.10.1942.

518 Ebenda.

519  Ebenda, 1942 eln. 13 5167 cs. v. 21.12.1942. Stellungnahme des Generalstabs gegenüber dem Verteidigungsminister vom 2.12.1942.

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rung das Reichskriegsgericht.520 Die Urteile wegen Wehrkraftzersetzung durch den VGH konnten sogar die Todesstrafe nach sich ziehen. So im Fall einiger Zeugen und Zeuginnen Jehovas, die weiter aktiv waren, predigten oder Publikationen weitergaben. Betroffen waren zum Beispiel Helene Gotthold, Mathilde und Wilhelm Hengeveld, Henriette und Ernst Meyer, Luise Pakull, Else Woiecziech, verurteilt durch das VGH am 4. August 1944. Alle wurden durch das Schafott hingerichtet.521 Zu den Verfahren gegen die Zeugen Jehovas und die Nazarener vor dem ungarischen Generalstabsgericht gibt es bisher kaum Forschungen. Viele der Akten konnten noch nicht gefunden werden oder sind in den Kriegswirren vernichtet worden. Das hier untersuchte Material stammt aus dem Staatsarchiv, dem Militärarchiv, aus privaten Quellen und dem Archiv der Zeugen Jehovas in Ungarn. Von juristischer Seite setzte sich Gyula Vargyai in einem Essay mit den Urteilen des Generalstabsgerichts allgemein auseinander. Dabei werden auch die Verfahren gegen Zeugen Jehovas erwähnt. Allerdings scheint auch Vargyai nicht im Besitz vieler Verfahrensunterlagen gewesen zu sein.522 Wie bereits erwähnt ging man gegen „Regimegegner“ in den wiederangeschlossenen Gebieten besonders hart vor. In der Karpató-Ukraine wurden Anfang September 1942 275 durch das Gericht des Generalstabchefs in Ungvár und Munkács wegen Untreue verurteilte Zivilpersonen in Munkács in der Turnhalle und Unterrichtsräumen des jüdischen Gymnasiums mit Bewachung untergebracht, die in die Strafanstalt Sátoraljaújhely verlegt werden sollten.523 Gleichzeitig wurde berichtet, dass durch die Staatsanwaltschaft von Sátoraljaújhely ebenfalls 400 Personen festgenommen worden seien. Ob sich unter den vorgenannten Zahlen Zeugen Jehovas oder vielleicht auch Nazarener befanden, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Prinzipiell wäre das möglich, da sowohl in der Karpato-Ukraine wie auch in Sátoraljaújhely gegen sie ermittelt wurde. Wie der Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely später, am 11. August 1943, berichtete, hatte er „in den letzten Jahren die Anführer der Sekten interniert“.524 Wahrscheinlicher ist aber, dass es sich hier um die Durchführung von Aktion Nr. 3 der Staatssicherheitszentrale im Sommer 1942

520  Kriegsstrafverfahrensordnung (KStVO), 5. Durchführungsverordnung vom 18.5.1940. RGBl. I, S. 787. Kriegssonderstrafrechtsverordnung § 5 Abs. 1 Nr. 3, 4. RGBl. I, S. 76. Gar­ be, Widerstand, S. 356 – 394. Vgl. auch Lahrtz, Jens-Uwe: Nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit in Sachsen. Das Beispiel der Verfolgung der Zeugen Jehovas in den Jahren 1933 bis 1940. Frankfurt/Main 2003. Dazu auch Rezension von Dirksen, Annegret in: Kirchliche Zeitgeschichte, Jg. 20, 2007, Heft 1, S. 188 – 193. 521  Garbe, Widerstand, S. 339 f. 522  Vargyai, S. 367 f. 523  HM, 1942 eln. 13. oszt. 5166, Sammlung. Schreiben vom 2.9.1942. Die 276 verurteilten Zivilpersonen waren „in der Turnhalle des jüdischen Gymnasiums in Munkács und in den Unterrichtsräumen des Gymnasiums am Drugett-Platz mit Bewachung untergebracht“ und wurden in das Zuchthaus von Sátoraljaújhely verlegt. 524  MJTA, DOK-281. Bericht des Oberstuhlrichters, Az. 3473/1943, vom 11.8.1943, über die „Entwicklung der Tätigkeit der Sekten, die die militärischen Interessen gefährden“.

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in Munkács und Sátoraljaújhely handelte, die sich nicht gegen religiöse Gemeinschaften richtete.525 Auch Zeugen Jehovas berichteten über Festnahmen und eine Sammelstelle in Munkács, allerdings ohne Nennen eines konkreten Zeitpunktes. Ján (oder János) Bali erinnert sich daran, dass „eine Anzahl Brüder und Schwestern aus Záhor festgenommen und in eine alte Burg unweit von Mukačevo gebracht“ wurden, das heute in der Ukraine liegt. „Dort stießen wir auf viele weitere Zeugen Jehovas aus transkarpatischen Versammlungen. Nachdem man uns drei bis vier Monate lang verhört und immer wieder geschlagen hatte, kamen wir vor ein Militärgericht [wohl nicht das Generalstabsgericht]. Man stellte jedem nur eine einzige Frage: ‚Sind Sie bereit, für Ungarn gegen die UdSSR zu kämpfen?‘ Da wir uns weigerten, erhielten wir Haftstrafen und wurden schließlich in das Gefängnis am Margaretenring (Margit Körút) 85 in Budapest überstellt.“526 Das Verhörsprotokoll des MG Kassa vom 25. November 1942 zum Militärdienstverweigerer und Zeugen Jehovas Mihály Janó Korpa, ebenfalls aus Záhor, der bereits im Oktober 1941 wegen Hetze gegen die Levente-Organisation zu zwei Monaten Zuchthaus verurteilt worden war, bestätigt die Aussage von Bali, wenn er berichtete, dass seine Mutter, auch Zeugin Jehovas, bereits interniert war wie der größte Teil der Glaubensangehörigen. Er selbst war offensichtlich in der Zeit einberufen worden und hatte erklärt: „Auch in der Zukunft bin ich nicht dazu bereit, die Waffe in die Hand zu nehmen und den Eid abzulegen. Ich bin in Ihrer Hand und auch wenn Sie mich töten, wird sich an meiner Überzeugung nichts ändern.“ Mit seiner unbeugsamen Haltung dürfte er die Behörden in ihrer Vorgehensweise bestätigt haben wird.527 Das wohl bedeutendste und auch umfassendste Verfahren des Generalstabsgerichts und wahrscheinlich das erste der Landesaktion gegen Zeugen Jehovas wurde Ende November, wahrscheinlich am 14. November 1942, mit Az. H.333/42, in Alag geführt.528 Es richtete sich gegen 64 Zeugen Jehovas, darunter so wichtige Personen wie Bartha, Faluvégi und Konrád. Man hatte die Zeugen aus Budapest und Umgebung in einen Pferde-Rennstall untergebracht. Über die Zustände in dem Lager wurde berichtet, dass die Internierten tagsüber gezwungen waren, auf Holzbänken zu sitzen mit dem Gesicht zur Wand, gesprochen werden durfte nicht. „Wachhabende mit aufgepflanzten Bajonett“ gingen auf und ab. Nachts schliefen die Gefangenen auf Stroh. Wer sich umdrehen wollte, „brauchte eine ausdrückliche Genehmigung des Wachhabenden“.529 Die Ermittler István und Antal Juhász Kovács, Államvédelmi központ, S. 345. WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 22.12.2002, S. 19 – 23, Bericht Ján Bali. 527  HM, 1943 eln. 13 6577 cs. 437.717. 528  Aus den Haftunterlagen von Pál Petrovics, Haftanstalt Margaretenring, geht hervor, dass er am 3.  September 1942 in Csővár (nördlich von Budapest) festgenommen wurde. Seine Verhandlung vor dem Generalstabsgericht fand am 14.11.1942, Az. H.333/42, statt. MJTA, DOK-1077, DOK-1088. Haftunterlagen der Haftanstalt Margaretenring. Vgl. HM, 1943, eln. 13, 29.224. (Urteil gegen Albert Bársonyi mit Nennung von Dénes Faluvégi, Az. H.333/42). 529  WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 85. 525 

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führten die Verhöre durch und schreckten dabei auch vor Folter nicht zurück, teilweise soll sogar Strom eingesetzt worden sein.530 Einer Zeugin „stopfte man ihre Strümpfe in den Mund, um ihre Schreie zu ersticken. Dann wurde sie gezwungen, sich mit dem Gesicht nach unten zum Boden zu legen; einer der Kriminalbeamten setzte sich auf sie und hielt ihre Füße hoch, während ein anderer erbarmungslos auf ihre Fußsohlen schlug.“531 Als man die Verhöre Ende November abgeschlossen hatte, kam es zum Verfahren. Im Tanzsaal eines Restaurants, das man in einen Gerichtssaal umfunktioniert hatte, tagte das Generalstabsgericht.532 Im Saal hatte man bei Hausdurchsuchungen beschlagnahmte Schreibmaschinen, Grammophone, Bibeln und Publikationen aufgestellt. Nach einigen Stunden war die Vernehmung beendet, wobei den Angeklagten wenig Chance der Verteidigung eingeräumt worden war. Das Gericht verhängte gegen András Bartha, Dénes Faluvégi und János Konrád die Todesstrafe durch den Strang.533 „Andere wurden zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt und die übrigen zu zwei bis fünfzehn Jahren Gefängnis.“534 Zeitungsartikel erklärten: „Alle Verurteilten sind Mitglieder der durch die Regierungsverordnung 1939 verbotenen Jehova Gott Sekte, deren Mitglieder sich überall im Widerstand gegen die gesetzliche Staatsordnung verschworen haben, Fahnenflüchtige versteckten und die Verweigerung des Militärdienstes propagierten – ferner haben sie ihre ungesetzliche Bewegung aufrechterhalten und sie in Ujpest, Cegléd und an mehreren Orten des Landes verbreitet und die Verbindung zu der im Feindesland gelegenen Zentrale aufrechterhalten.“535 Noch am selben Tag wurden die Verurteilten in das Militärgefängnis Margareten-Ring gebracht, viele später in das Zuchthaus von Vác.536 Einem Zeitungsbericht zufolge hatte man ihnen vorgeworfen, alle Angeklagten hätten der „verbotenen Sekte Jehova Gott Zeugen Fazekas, Kisegyházak, S. 129. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 85. 532  Im Jahrbuch der Zeugen Jehovas sprach man von dem „Gericht des Generalstabs von Heinrich Werth“. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 85. Gemeint war wohl Henrik Werth (1881 – 1952), der vom 19. September 1938 bis 4. September 1941 als Chef des Generalstabs fungierte. Werth, der deutscher Abstammung war, hatte auf die Beteiligung Ungarns am Krieg gedrängt. Zur Zeit der Verhandlung dürfte er bereits in Pension gewesen sein. Vgl. Durucz, Peter: Ungarn in der auswärtigen Politik des Dritten Reiches 1942 – 1945. Göttingen 2006, S. 16. Holokauszt Emlékközpont [Holokaust Erinnerungszentrum]. www.hdke. hu/tudastar/enciklopedia/werth-henrik (Zugriff am 20.6.2013). 533 HM, 1943, eln. 13, 29.224. UaP László Papp. (Erwähnung, dass Dénes Faluvégi durch den Strang zum Tode verurteilt wurde). WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 85. „Életfogytiglani fegyházra itélt jehovások [Jehovas werden zu lebenslang Zuchthaus verurteilt].“ In: Dunántúl [Transdanubien] vom 15.1.1943. 534  WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 85. „Die 52 Mitangeklagten wurden zu von 6 Monaten bis zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt. Der Fall weiterer acht Angeklagter wurde an erste Militärkommandantur übergeben.“ „Életfogytiglani fegyházra itélt jehovások“ [Jehovas zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt]. In: Dunántúl, vom 13.1.1943. 535  Z. B. „Életfogytiglani fegyházra itélt jehovások“ [Jehovas zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt]. In: Dunántúl, vom 13.1.1943. 536  Vgl. ÁSzTL, V-71056, Bl. 58 – 68. Verhörsprotokoll András Bartha durch den kommunistischen Staatssicherheitsdienst vom 17.11.1950. 530  531 

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angehört, deren Angehörige sich mit allen verbunden haben, die im Widerstand zur staatlichen Ordnung standen“. Wie im vorgenannten Artikel wurde dann erklärt, sie hätten Fahnenflüchtige versteckt und die Verweigerung des Dienstes an der Waffe propagiert, hätten „ihre gesetzeswidrige Bewegung“ und „die Verbindung zur Zentrale der Sekte im feindlichen Ausland aufrechterhalten“.537 Die Todesstrafen wurden vom Chef des Generalstabs Szombathelyi, „aufgrund des ihm vom Herrn Reichsverweser übertragenen Begnadigungsrechts“ nach einem Monat in lebenslänglich umgewandelt.538 Die brutalen Verhörmethoden, namentlich auch des Ermittlers István Juhász, bestätigt das Zeugnis von Tibor Wayand, einem leitenden Detektiv der Polizei. Demzufolge gab es in Alag zwei Verhörsplätze. Einen im Keller der Gendarmerie, wo István Juhász zuständig war und einen im Gemeindehaus. An beiden Orten wurden Verhöre unter Schlägen geführt – „im Keller der Wachen […] mit Gummiknüppeln auf die Fußsohlen, teilweise auch auf die Geschlechtsteile“, im Gemeindehaus seien die Verhörten tagsüber nicht ganz so hart geschlagen worden, was nachts passierte, konnte er nicht sagen. Er berichtete auch, dass die Gendarmen dabei keine Zuschauer von der Polizei wollten.539 In Alag waren seit 1940 Ermittlungen teilweise in Zusammenarbeit von Gendarmerie und Polizei gegen kommunistische Bewegungen geführt worden. Am 2. Dezember 1942 informierte das Gericht des Generalstabschefs den Verteidigungsminister, „dass ungefähr 1 000 – 1 500 zur Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘ gehörende Personen in den nächsten Wochen wegen Vergehens der Untreue nach § 59 Gesetzesartikel III von 1930 verurteilt werden“. Untergebracht waren sie an verschiedenen Ort z. B. in Schulen oder Gemeindegebäuden. Das Gericht berichtete, mit den Verhandlungen schon begonnen zu haben, was sich wohl auf das Verfahren in Alag bezog. Erneut gab es Unterbringungsprobleme, weshalb die Verurteilten nach Urteilssprechung sofort in zivile Haftanstalten in der Nähe des Gerichtsortes verlegt werden sollten.540 Am Tag des Verfahrens vor dem Generalstabsgericht in Alag, am 14. November 1942, tagte das Generalstabsgericht auch in Mohács gegen eine Gruppe Zeugen Jehovas (mindestens 35 Personen). Das geht aus einem Schreiben des General­ stabsgerichts zur Verhandlung, Az. H.356/42, an den Verteidigungsminister hervor, der gebeten wurde, die Überstellung der Verurteilten zu veranlassen.541 Der Justizminister, den der Verteidigungsminister offensichtlich eingeschaltet hatte, ver537 

„Életfogytiglani fegyházra itélt jehovások“. In: Dunántúl, vom 13.1.1943. Die Zeitung „Dunántúl“ titelte (wahrscheinlich Ende Dezember 1942, genaues Datum ist unbekannt): „Mehrere Mitglieder der ‚Jehova Gott Zeugen‘-Sekte wurden zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt“ und berichtete ebenfalls von der Begnadigung. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 85. 539  Varga, Wayand. 540  HM, 1942 eln. 13. 5167 cs. Kt.257/42. Zur Unterbringung der Verurteilten sollte der Justizminister konsultiert werden. 541  Ebenda, 1942 eln. 13. 5166 cs. 538  Ebenda.

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anlasste daraufhin am 26. November 1942 die Überstellung von 8 Männern in das Szegeder Bezirksgefängnis bzw. und 27 Frauen nach Márianosztra. Drei der Frauen – Istvánné Végh, Dezsőné Obernik und Mária Kovács – wurden zu 10 Jahren Zuchthaus, eine – Ferencné Gersztnekker – zu 8 Jahren Zuchthaus, zwei – Jánosné Sólya und Györgyné Plék – zu 8 Gefängnis. Die anderen Frauen zu 2 – 5 Jahren Zuchthaus bzw. 5 Jahren Gefängnis und zwei zu 1 Jahr 2 Monaten Gefängnis – insgesamt sehr hohe Strafen für Frauen, die dem Militär nicht wirklich gefährlich wurden. Von den Männern wurden zwei zu 4 Jahren und einer zu 1 Jahr 2 Monaten Gefängnis verurteilt, zwei zu 3 Jahren Zuchthaus, einer zu 6 und György Bujtár und Ádám Szinger zu je 8 Jahren.542 Leider liegen auch über dieses Verfahren bisher keine Unterlagen vor. Hintergrundinformationen ergibt jedoch ein Interview mit dem Zeitzeugen und in dem Prozess Verurteilten Ádám Szinger, der als flüchtiger Wehrdienstverweigerer in Szeged inhaftiert worden war. Er berichtete, zunächst nach Alag verbracht worden zu sein. Über die Verhörmethoden sagt er: „Dort sind solche Dinge passiert, die das Papier nicht ertragen würde. Einige wenige Worte dazu. Im Keller [wohl in dem von Tibor Wayand benannten Keller unter der Aufsicht von István Juhász] waren schon mehr Brüder und Schwestern, die man bei einem Landestreffen festgenommen hatte.“ Wiederum wurde er „schlimm geschlagen“ und dann auf eine Bank zu den anderen gesetzt. „Links und rechts Stroh, das war die Schlafstelle. Auf der Bank saßen wir nebeneinander, ansehen durften wir uns nicht, reden durften wir nicht. […] Dort traf ich genau den Fahnder wieder, der mich in Paks so verprügelt hatte. Er blieb genau hinter meinem Rücken stehen. ‚Schau mal nach hinten.‘ Ich drehte mich um und als ich ihn sah, fror mir das Blut in den Adern.“ Er berichtet weiter: „Dann wurde ich wieder fürchterlich geschlagen. […] Auf alle Fälle wollte man, dass ich mich zum Militärdienst bereit erkläre. Man nahm mich in das Büro mit. Da waren sechs oder sieben Gendarmen und in ihrem Beisein schlug er mich mit seinem Gummistock, wo er mich nur erwischen konnte. Schlug auf das Herz, die Hände, wo er mich erwischte. ‚Wirst du Soldat?‘ ‚Nein.‘ Weitergeschlagen. Mein Mut nahm ab. Ich dachte, was wäre, wenn ich sagen würde, ich würde Soldat und würde [dann] doch keiner [werden]. Dann würde er jetzt aufhören, mich zu schlagen. Wie mach ich das? Das kann ich nicht machen. [Der Vernehmer fragte:] ‚Willst du nicht antworten?‘ Ich antworte nicht. Der eine Gendarm, der das Gespräch und die Prügel verfolgt hatte, sagte zu mir: ‚Adi, warum sagst du nicht, in der Bibel steht geschrieben, man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen, das weißt du doch genau, warum sagst du das nicht?‘ Er sagte an meiner Stelle, was ich hätte sagen müssen. Die Schläge hörten auf. Ich wusste, dass aus dir kein Soldat wird. Geh auf deinen Platz.‘“ Damit waren die Ermittlungen zu 542  Ebenda. Das Pécser Polizeipräsidium meldete im November 1942 dem Innenminister, dass als Ergebnis der „gegen die Anhänger der Sektenbewegung Zeugen Jehova Gottes im Oktober d. J. durchgeführten Ermittlung“ György Bujtár aus Pécs „als Erstangeklagter zu 8 Jahren und die Witwe Henrikné Gerber zu 4 Jahren Gefängnisstrafe verurteilt“ wurden waren, nachdem man sie „der Straftat der Untreue für schuldig gefunden hat“. MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XI./November, Az.  7/1942.

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Ende. Wie Szinger berichtete, wurden viele andere „auch fürchterlich geschlagen“. Dann wurde er von Alag nach Mohács gebracht zu weiteren Ermittlungen. Wie er erklärte, wurden alle aus den Komitaten Tolna, Baranya und Fehér nach Mohács gebracht. Zum Verfahren berichtet er, dass er mit den anderen vor einem Pester Gericht verurteilt wurde: „Hierher kam das höchste Militärgericht. Ferenc Keresztes-Fischer war der Innenminister, auch er war bei der Verhandlung anwesend. Er war zur Verhandlung gekommen. Mit den anderen wurde das Protokoll aufgenommen. Auch dort hab ich noch einige unschöne Dinge bekommen. Eine Strafe war, den ganzen Tag so stehen, dass die Schuhspitze die Wand berührte, und so musste man den ganzen Tag an der Wand stehen, gerade stehen, nur zum Mittag konnte ich mich setzen und das kleine Essen einnehmen. Danach musste ich zurück an die Wand, auch da gab es unangenehme Dinge. Es gab unter den Gendarmen auch einige gutmütige, sie lösten sich stündlich in der Wache ab. Man durfte nicht miteinander reden. Ein Gendarm kommt herein und fragt: ,Adi seit wann stehst du?‘ ‚Seit dem Morgen.‘ ‚Setz dich sofort hin, wenn einer reinkommt, bist du zusammengefallen, nicht ich habe dir erlaubt, dich hinzusetzen, du bist zusammengebrochen. Setz dich und ruh dich aus.‘ Als seine Schicht um war und er abgelöst wurde, gab er mir ein Zeichen aufzustehen. Es gab also auch Gutmütige unter ihnen. Als das Gericht dort tagte, wurden, glaube ich, 37 Brüder verurteilt. Zehn/elf Jahre war die höchste Strafe, 1 Jahr 2 Monate die geringste. Dorthin waren auch diejenigen gebracht worden, die keine Zeugen Jehovas waren, sondern nur gesagt hatten, mit der Familie, die Zeugen Jehovas waren, übereinzustimmen. ‚Meinen Sie das auch?‘ ‚Ja.‘ ‚Sie gehen auch ins Gefängnis.‘ Sie wurden auch vor Gericht gestellt. Dort bekam ich 8 Jahre. 8 Jahre wurden so gerechnet: Anklage wegen Untreue, da ich nicht bereit war, dem Staat die Treue zu schwören und zu bezeugen, so war das die Folge der Verweigerung und der Tätigkeit für die Zeugen Jehovas. Das war die erste Gerichtsverhandlung. Die in Mohács gefällte Gerichtsentscheidung über die 30 Zeugen Jehovas – die Anklage war, Tätigkeit für die verbotene Organisation Zeugen Jehovas und deren Mitglieder zu sein, die der damaligen staatlichen Ordnung gemäß verboten war; in der Tätigkeit, das Predigen, der Versammlungsbesuch. Sie brachten ein Grammophon und spielten die Platten ab, da vor Gericht, und da sie den Inhalt auch als gegen den Staat gerichtet definierten, wurde das als Untreue angeklagt und verurteilt.“ Als von Pécs an das Szegeder Gefängnis, wohin Szinger nach der Verurteilung überstellt worden war, die Information kam, dass er fahnenflüchtig sei, wurde er nach Pécs gebracht und dort vor dem MG Pécs noch einmal zu 5 Jahren verurteilt. Insgesamt also zu 13 Jahren.543 Bereits einige Tage nach Mohács tagte am 19. November 1942544 das Generalstabsgericht in Nagykanizsa, Az.  H.338/42, gegen György Pető und GefährÁdám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. Der Bericht des Szombathelyer III. Gendarmerie Bezirkskommandos nennt als Prozessdatum den 16.11.1942. Allerdings ist davon auszugehen, dass das Schreiben des Generalstabsgerichts selbst vertrauenswürdiger ist. HM, VKF 1943 eln. 1. oszt. B/250 db. 4636, Bl. 292 f. 543 Interview 544 

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ten. Wiederum geben die Überstellungsunterlagen, namentlich das Schreiben des Generalstabsgerichts an den Verteidigungsminister vom 29. November 1942 und Überstellung durch den Justizminister vom 4. Dezember 1942, Aufschluss über 23 Verurteilte, 12 Frauen und 11 Männer. Die Frauen wurden zwischen 2 und 6 Jahren Zuchthaus verurteilt, eine zu 5 Jahren Gefängnis, die Männer 4 bis 10 Jahren Zuchthaus, einer zu 8 Jahren Gefängnis.545 Über das Verfahren am 19. November liegen wiederum keine Gerichtsunterlagen vor. Interessant sind jedoch die Hintergrundinformationen, die aus einem Schreiben des Szombathelyer III. Gendarmerie Bezirkskommandos vom 26. Januar 1943 hervorgehen. Dort wird davon berichtet, dass bei den Landesermittlungen gegen die Zeugen Jehovas durch die „Ermittlungsunterabteilung im Oktober 1942 56 Personen festgenommen“ worden waren, die in einem „Mannschaftsraum einer Kompanie der Nagykanizsaer József Kaserne“ untergebracht wurden, bewacht von 16 Gendarmen.546 Das Kommando der Gendarmerie Szombathely berichtete in seinem Schreiben vom 26. Januar 1943 zu der Landesaktion im Zusammenhang mit den Nazarenern, das 47 von ihnen festgenommen wurden. Davon wurden „27 bei dem Gericht des Generalstabschefs angezeigt “, was bedeutet, das gegen sie vor dem Generalstabsgericht verhandelt werden sollte. Daneben sollten auch die Ermittlungen gegen die „ungefähr 150 – 200 Nazarener in dem Nagykanizsaer Internierungslager“ aufgenommen werden, wozu sie ebenfalls in die „József Kaserne“, wo sich die Zeugen Jehovas befanden, überführt werden sollten. Die Verhandlung gegen die Nazarener erwartete man erst in etwa zwei Monaten.547 Wahrscheinlich aber kam es früher zum Verfahren, denn wie aus einer internen Notiz des Generalstabs vom 18. Februar 1942 in der Sache hervorgeht, wurden 3 Nazarener verurteilt und der Rest freigelassen.548 Das Generalstabsgericht bat am 29. November 1942 den Verteidigungsminister um Überstellung der Verurteilten in das Vácer Zuchthaus (für Männer) oder in das Frauenzuchthaus Márianosztra.549 Einem Bericht des Szatmárnémeter Polizeipräsidiums vom Dezember an den Innenminister zufolge tagte das „Sondergericht des Generalstabschef […] am 21. November 1942“ in Szamosfalva. Wie die Meldungen zur Landesaktion aus Siebenbürgen zeigen, waren viele Zeugen Jehovas festgenommen worden. In diesem Verfahren in Szamosfalva wurde „László Donát wegen der Straftat der Untreue zu 5 Jahren Zuchthaus, Lajos Dallos zu 5 Jahren Zuchthaus, [… unlesbar] zu 3 Jahren Zuchthaus, György Bankovics zu 2 Jahren Zuchthaus, József Fehér zu 3 Jahren Zuchthaus, László Nagy zu 6 Jahren Zuchthaus und [Frau] Mihályné Csécs zu 1 Jahr Gefängnis“ verurteilt. Das Polizeipräsidium erklärte: „Demgemäß wurden 7 von 77 Angeklagten mit rechtskräftigem richterlichen Urteil verurteilt. 545 Ebenda.

546 Ebenda. 547 Ebenda. 548  549 

Ebenda, S. 293. Ebenda, 1942 eln. 13, 5167 cs. 73.444 (?), Bl. 7 – 16.

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Ein Großteil der anderen wurde […] unter polizeiliche Aufsicht gestellt und einige wurden interniert.“ Weiter hieß es: „Seit diesen Ereignissen kam es zu keiner sektiererischen Bewegung auf dem Gebiet der Stadt bzw. hat die Polizeibehörde davon keine Kenntnis erlangt.“550 Zu einem weiteren Verfahren durch das Generalstabsgericht gegen 70 Zeugen Jehovas war es Mitte November 1942 im Nordosten Ungarns, in Sárospatak (rund 15 km von Sátoraljauujhely entfernt), gekommen.551 Aus einem behördlichen Dokument des Zeugen Jehovas András Kecskemeti wird deutlich, dass er vom 1. Oktober bis 1. November in Sárospatak in Untersuchungshaft war.552 Auch der Oberstuhlrichter von Bodrogszerdahelyi berichtete am 19. Oktober 1942 dem Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely, dass die Gendarmerie 10 Zeugen, darunter 7 Frauen, nach Sárospatak verbracht hatte, die dann sicher ebenfalls vor dem Verfahren noch vernommen wurden.553 Genaue Einzelheiten über den Ablauf des Verfahrens liegen nicht vor. Der bereits erwähnte András Hanák aus Pácin wurde ebenfalls nach Sárospatak gebracht. Er erzählte: „Der jüngste Insasse war nur 3 Monate alt. Er war zusammen mit seiner Mutter, einer Zeugin Jehovas, eingeliefert worden.“554 Ebenfalls im Zusammenhang mit den Ermittlungen in Sárospatak stehen wohl die Meldungen des Sátoraljaújhelyer Polizeipräsidiums, das zunächst im Oktober vermerkt hatte: „Gegen Sektierer führt die Kassaer Gendarmerie Ermittlungsabteilung Ermittlung durch. In dieser Sache bat ein ausgesandter Ermittler der Ermittlungsabteilung, Wachtmeister Sándor Pataki, am 12. Oktober um die Festnahme von István Lévai, wohnhaft in Sátoraljaújhely, und 6 Gefährten und um Überführung zu einer in Sárospatak tätigen Untergruppe der Ermittlungsabteilung [der Gendarmerie] zwecks direktem Verhör und direkter Konfrontation im Interesse des Aufrollens der Landesbewegung“.555 Im November erklärte das Sátoraljaújhelyer Polizeipräsidium: „Die von der Kassaer Gendarmerie Ermittlungsabteilung [der Gendarmerie] gegen die Sektierer durchgeführte Ermittlung ist noch im Gange. Von den durch die Sárospataker Unterabteilung auch in Sátoraljaújhely festgenommenen 7 ‚Zeugen Jehova Gottes‘-Sektierer wurden bis jetzt Mária Tóth und [Frau] Pálné Kovács freigelassen, gegen die das Präsidium ein Verfahren zur Polizeiaufsicht eingeleitet hat.“556 In der Fortführung erklärte das Polizeipräsidium von Sátoraljaújhely dann im Dezember: „Aufgrund der gegen die Sektierer vorgebrachten belastenden Beweise hat das Präsidium die für die Staats- und gesellschaftliche Ordnung, ferner aus Verteidigungsinteressen bedenklichen Personen, namentlich die Witwe Lajosné Kruppa geb. Eszter Gazdag, Imréné Kruppa, geb. 550 

MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XII./Dezember, Az.  6/1943. HM, 1942 eln. 13, 5167 cs. 73.444, Bl. 1 – 4, Bl. o. Nr. Pro-Domo-Notiz vom 21.1.1943, Präsidialabt. 13., zu Az. 74.194, handschriftliche Notiz im Anhang. 552 MJTA, DOK-703. Bestätigung des Gemeindevorstands Bodrogzsadany vom 15.2.1946. 553  Ebenda, DOK-2315. 554  WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 22.4.2002, S. 19 – 23, hier S. 21. Bericht András Hanák. 555  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-X./Oktober, Az.  4/15 – 1942. 556  Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XI./November, Az.  4/16 – 1942. 551 

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Erzsébet Novák, Pálné Kovács, geb. Borbála Oláh, und Ferencné Pribiczi, geb. Mária Tóth, wohnhaft in Sátoraljaújhely, unter polizeiliche Aufsicht gestellt.“557 Bei dieser Beschreibung dürfte es sich um Ermittlungen gegen die der Sammelstelle Sárospatak zugeführten Zeugen Jehovas gehandelt haben. Wahrscheinlich waren den Ermittlern beim Verhör weitere Details bekannt geworden. Zur weiteren Erledigung hatte man dann die jeweiligen örtlichen Behörden eingeschaltet und die Zuführung weiterer namentlich benannter Verdächtiger gefordert. Nach Verhör und Verfahren scheint man sich für die Freilassung einiger entschieden zu haben, aber offensichtlich nicht ohne Polizeiaufsicht. Wie aus diesen Berichten hervorgeht, gehörten die Ermittler – zumindest in Sárospatak – dem zentralen Ermittlungskommando an. Wie die Gerichtsverfahren vor dem Generalstabsgericht in Alag, Mohács, ­Nagykanizsa, Szamosfalva und Sárospatak abgelaufen sind, kann man im Großen und Ganzen aus dem 32-seitigen Gerichtsurteil und einigen Ermittlungsunterlagen zu einem weiteren wichtigen Verfahren vor dem Militärstabsgericht am 2., 3. und 4. Dezember 1942 in Szeged, Az. H. 368/42, gegen 46 Zeugen Jehovas schließen.558 Möglicherweise war es das sechste Verfahren in der Landesaktion. Bei den Festgenommenen handelte es sich offensichtlich um eine Gruppe Zeugen Jehovas, die mit dem Zonendiener Klinyecz tätig waren und die, wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht, fast alle in einer konzertierten Aktion im Rahmen der Landesermittlungen am 11., 12., 13. Oktober festgenommen worden waren.559 Ähnlich wie in Alag waren dem Verfahren Verhöre der Angeschuldigten vorausgegangen. Schon am 23. November 1942 hatte die Ermittlungsunterabteilung Szeged dem Generalstabsgericht gemeldet, dass „durch die der Staatssicherheitszentrale unterstehenden Ermittlungsgruppe in Szeged“ während der „Ermittlungen gegen die Sektenmitglieder der Jehova Gott Zeugen 46 Verdächtige wegen Untreue festgestellt“ und in „der Alten Honvéd Kaserne untergebracht“ worden seien.560 Gegen diese 46 wurde nun verhandelt. Unter ihnen befanden sich 30 Frauen (!). Ferner wurden 7 Internierte, darunter 3 Frauen, gemeldet und 2 flüchtige Frauen.561 Dieser Unterscheidung zufolge dürften 7 der Verdächtigen bereits vorher oder im Rahmen der Aktion direkt interniert und nicht der Sammelstelle zugeführt worden sein. Wie die Verhörsprotokolle, Beweismittel – die beschlagnahmten Gegenstände – und eine Aufstellung der Organisation der Zeugen dieser Zone im Szegeder Verfahren zeigen, wusste die Gendarmerie nunmehr bestens über die Verantwort557 

Ebenda, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XII./Dezember, Az.  4/1943. DOK-102, DOK-1176, DOK-1177. 559  Klinyecz war bereits am 18. Juni 1942 festgenommen worden. Ebenda. 560  Mit dem Schreiben wurden Verhörsprotokolle, Beweismaterialien und eine Aufstellung zur Organisation (Name der Mitglieder, Wohnort, ihre Aufgaben in der Organisation [Gruppendiener, Landesdiener, Zonendiener, Pionier, ohne Aufgaben, Mitglied, interessierte Person]) übersandt. 561  HM, 1942 eln. 13 368/1942, Bl. 16 ff. 558  MJTA,

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lichkeiten innerhalb der Gemeinschaft, Aufgaben und Tätigkeit der Einzelnen in der Gemeinschaft Bescheid.562 Ihre Kenntnis hinsichtlich der Lehre darf weiter bezweifelt werden. Diese Dinge waren am 23. November 1942 dem Generalstabsgericht zur Verfügung gestellt worden.563 Verhandelt wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit u. a. gegen den Landes- bzw. Zonendiener für den Bereich Nagykőrös, József Klinyecz,564 und den Zonendiener für den Bereich Jánoshalma, György Farkas, und gegen weitere bei den Aktionen Ende 1940 den Behörden aufgefallene und verurteilte Personen, wie Mária Szendi (23 Jahre)565 oder die Frau von István Marosfalvi.566 Der Hauptangeklagte Klinyecz (43 Jahre alt) wurde wegen Untreue § 59 Punkt 4 GA III/1930 zu lebenslanger Zuchthaushaft verurteilt, Mária Szendi zu 8 Jahren, Istvánné Marosfalvi (38 Jahre) zu 7 Jahren, die 27-jährige Eszter Szendi zu 7 Jahren,567 Mihály Kenyeres (58 Jahre) und János Polyák (50 Jahre) zu 8 Jahren,568 József Dobi (60 Jahre) zu 9 Jahren, die Zeuginnen Imréné B. Kovács (43 Jahre)569 und die 29-jährige Jenőné Herédi (geb. Anna Kiss) gar zu 10 Jahren und Imre Dobó (35 Jahre) zu 12 Jahren Zuchthaus. István Molnár, 38 Jahre, sollte für 7 Jahre in Haft.570 Auch der Gruppendiener Sándor Dobó, 39 Jahre, der bereits 1939 wegen des Vorwurfs der Hetze für 3 Monate in Haft war und unter Polizeiaufsicht gestanden hatte, wurde jetzt zu 7 Jahren Zucht562  Aufstellung zur Organisation enthielt Namen der Mitglieder, Wohnort, ihre Aufgaben in der Organisation bzw. Position (Gruppendiener, Landesdiener, Zonendiener, Pionier, ohne Aufgaben, Mitglied, interessierte Person). 563  MJTA, DOK-1177, DOK-1176, DOK-1178: Auszüge aus den Verhörsprotokollen von Klinyecz. Darin nennt er die Namen von Glaubensangehörigen, offensichtlich die mit ihm internierten Personen. Ferner nahm er zu Inhalten Stellung, die er bei Zusammenkünften gelehrt hatte. Neben theologischen Ansichten, hatte er auch auf aktuelle Geschehnisse Bezug genommen. Zum Beispiel hatte er erklärt, dass sich die totalitären Staaten, insbesondere Hitler, gegen Jehovas Zeugen verschworen hätten und der Teufel das ausnutzen würde, dass die Kirchen sie dabei unterstützen würden. Ebenda, DOK-1182 Beschlagnahme-Protokoll zu Gegenständen von István Molnár, Szeged, 12.10.1942. 564  Klinyecz war bereits 1938 drei Monate in Pécs inhaftiert gewesen. Umstände sind unklar. Ebenda, DOK-1176. 565  Mária Szendi war den obersten Behörden bereits in „Sektenberichten“ gemeldet worden. MOL, K150 VII-6 1940, Bl. 1 ff. 566  Vgl. Ebenda, K150-VII-6 1940, Bl. 1 ff. Sie und ihr Mann waren der Politischen Polizei und dem Innenministerium bereits durch „Sektenberichte“ bekannt. 567  Eszter Szendi war schon am 23.7.1942 interniert und von da dem Gericht vorgeführt worden. MJTA, DOK-1176. 568  Imre Polyák war bereits 1936 10 Tage in Haft. Ebenda, DOK-1178. 569  Vgl.: Dunántúl, vom 25.8.1939: „A ‚Jehova tanúi‘ veszedelmes szekta tagjai a pécsi ötöstanács előtt. A biróság 9 vádlottat fogházra itélt, egyet pedig felmentett“ [Gefährliche Sektenmitglieder der „Zeugen Jehovas“ vor dem Pécser Fünfer-Rat. Das Gericht verurteilte 9 Angeklagte zu Zuchthaus, einer wurde freigesprochen]. Unbekannte Zeitung, 1939 o. D.: „Letartóztatták Jánoshalmán ‚Jehova tanuit‘“ [„Zeugen Jehovas“ in Jánoshalma festgenommen]. 570  Molnár war bereits 1942 wegen religionsfeindlichen Vergehens 2 Monate im Zuchthaus. MJTA, DOK-1178.

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haus verurteilt.571 Die restlichen Urteile beliefen sich auf von 1,5 Jahren Zuchthaus bis zu 6 Jahren.572 Darunter fällt der 21-jährige Károly Gusztos, der 4 Jahre und der 25-jährige Antal László, der 5 Jahre Zuchthaus erhielt.573 Zu 6 Jahren Haft wurde András Szepesi verurteilt, er war vom Innenministerium bereits als Jehovas Zeuge in der Landesregistratur erfasst worden.574 Sogar die erst 14-jährige Erzsébet Balabás wurde zu 1 Jahr 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Aber auch die erst 18-jährige Teréz Szekeres, gegen die bereits vor ihrer Inhaftierung ein Ermittlungsverfahren wegen Predigens der Lehren der Zeugen Jehovas lief, wurde zu 4 Jahren Haft verurteilt.575 10 Personen wurden freigesprochen, zumeist weil ihnen die Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas nicht nachgewiesen werden konnte, eine Person wegen Alters und Demenz, weiterhin Frauen, die in der Kriegsproduktion tätig waren. Die meisten der Angeklagten waren am 12. bzw. 13. Oktober 1942 im Rahmen der Landesermittlungen inhaftiert worden. Klinyecz war bereits am 18. Juni 1942 festgenommen worden. In den Gründen hieß es, die Angeklagten hätten sich „alle an ihrem Wohnort bzw. Aufenthaltsort von Juli 1941 bis zu ihrer Verhaftung, also in Kriegszeit, aber auch schon davor, als Angehörige der gesetzlich nicht anerkannten Sekte ‚Jehova Gott Zeugen‘ […] zum Umsturz der gesetzlichen Ordnung von Staat und Gesellschaft verbündet“. Sie hätten gegen Ungarn und seine Verbündeten gehandelt, indem sie „die Bürger des Landes zu den Lehren der Sekte zu bekehren, sie dazu zu verleiten suchten, die Erfüllung ihrer militärischen Pflichten zu verweigern“. Dadurch hätten sie „Abneigung gegen die Kriegsziele der Nation geweckt“ und so „bewusst im großen Stil (Kursiv v.d.V.) Nachteile für die ungarischen und verbündeten Streitkräfte verschafft, den Feinden hingegen Vorteile“.576 Das Gericht erklärte: „Die Auswirkungen der antimilitaristischen Ausrichtung der Bewegung waren im Weltkrieg 1914 – 1918 zu verspüren. Gegen Ende des Krieges haben immer mehr mit Bezug auf ihre Glaubensansichten verweigert, die Waffe in die Hand zu nehmen und Kriegsdienst zu leisten.“ Nach dem Krieg hätten die Siegermächte und ihre Alliierten eine europäische Gesamtsituation in ihrem Interesse geschaffen. 571 Ebenda.

572  Viktória Horváth, 39 Jahre, zweimal vorbestraft – 1941 3 Monate Zuchthaus wegen religionsfeindlichen Vergehens und 1942 8 Tage Haft wegen Teilnahme an verbotenen Versammlungen – wurde zu 3 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Borbála Koller, 50 Jahre, war 1941 2 Monate und 1942 6 Monate wegen religionsfeindlichen Vergehens in Haft. Jetzt wurde sie zu 5 Jahren Zuchthaus verurteilt. Szilveszter Börcsök, 47 Jahre, war wegen religionsfeindlichem Vorwurfs 1939 1 Monat im Zuchthaus und wurde jetzt zu 4 Jahren Haft verurteilt. Szilveszter Dobó, 42 Jahre, verurteilt zu 4 Jahren, war 1939 zwei mal 3 Monate wegen Hetze in Haft. Frau Rezsőné Hölczl, 58 Jahre, wie auch Frau Sándorné Dobó, 37 Jahre, verurteilt zu 4 Jahren, waren 1937 bzw. 1941 wegen religiöser Übertretung einige Tage inhaftiert. Ebenda , DOK-1178, DOK-102. 573  Gusztos war 1941 zu drei Monaten Zuchthausverurteilt, László war 1938 wegen ungenehmigten Zusammenkommens einige Tage in Haft. Ebenda, DOK-1178. 574 Ebenda. 575 Ebenda. 576  Beschlagnahmt wurden neben Fahrrädern, 99 Bibeln, 89 Broschüren, 294 weitere Drucksachen.

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Daher hätten sie in Artikel 55 des Trianoner Friedensvertrages die Klausel eingebracht, „wonach jeder jedwede religiöse Überzeugung vertreten darf und er dabei nicht behindert werden kann“. Dadurch hätten sie „in Mitteleuropa nacheinander die modernsten Druckereien eingerichtet“. „Die dort produzierten Bücher, Broschüren, Zeitschriften und Flugblätter vertreten alle antimilitaristische Ansichten“, hieß es weiter. Indem sie verkündeten, unter der „kommenden Gottesherrschaft“ gäbe es keine Nationen mehr, da Gott „Menschen und keine Nationen gemacht“ hätte, würden sie versuchen, den Leuten ihre „nationale Gesinnung auszutreiben“ und „unter der kommenden ‚Gottesherrschaft‘ […] wird es keine Nationen geben“. Hier klingt deutlich der Vorwurf und die Abneigung gegen den aufgezwungenen Trianoner Friedensvertrag und dessen verfassungsrechtliche Wirkung heraus, die es im Rahmen der Religionsfreiheit der Gemeinschaft ermöglichte, tätig zu sein, aber auch ein feiner Hinweis auf kommunistische Orientierung. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Verfassungsartikel zur Religionsfreiheit nach GA XXXIII/ 1921 ab den 1930er-Jahren immer weniger herangezogen wurde. Anbetracht der Kriegssituation und der Frontenverteilung, wobei die Siegermächte aus dem Ersten Weltkrieg wieder die Feinde Ungarns waren, scheint das verständlich. Allerdings fällt das Urteil in eine Zeit, da die Regierung bereits Kontakt zur Gegenseite aufgenommen hatte. Diese Formulierung könnte auch dafür sprechen, dass das Generalstabsgericht eben diese Strategie nicht teilte, sondern eher die Position der Rechten, und damit auch des Verbündeten Hitlers einnahm, was zu der Feststellung passt, dass viele Militärangehörige eher rechts orientiert waren. Das Gesetz zur Religionsfreiheit wurde in dem Zusammenhang gar nicht erst genannt. Hinzu kam, dass man gerade in den, den Nachfolgestaaten zugeschlagenen ehemals ungarischen Territorien, die Entwicklung der Bewegung unterstützt habe. So hätten zwar die tschechoslowakischen Behörden die Ausbreitung der Gemeinschaft in Böhmen unterbunden, sie in der Slowakei hingegen gefördert. Man wusste allerdings zu berichten, dass Hitler bereits im ersten Regierungsjahr sofort die Auflösung der Organisation verordnet hatte, „da er ihre antimilitaristische Ausrichtung erkannt hatte“, was wiederum die Ausrichtung nach Deutschland bestätigte. Den Zonendienern Klinyecz und Varga (verantwortlich für den Bereich Debrecen; nicht in diesem Prozess) wurde vorgeworfen, die Bewegung in Ungarn umorganisiert und das Land in acht Zonen aufgeteilt zu haben – auch das hatte man nunmehr richtig erkannt. Den Zonen würden fanatische Gläubige vorstehen. Dass 1939 die Organisation verboten worden und führende Zeugen inhaftiert worden waren, „konnte die Bewegung nicht stoppen“, sie führten „illegal ihre Tätigkeit fort“. Bei der Beschreibung der Tätigkeit der Gemeinschaft ging man auf die Aufgaben der Landes-, Zonen- und Gruppendiener, wie auch der Pioniere ein. Das Predigen würde so ablaufen: „Sie erscheinen in den einzelnen Häusern, verkünden die Botschaft und wenn der Anwohner zuhört, dann nimmt der Gesandte der Bewegung / ein Pionier oder ein Gruppendiener / die Bibel heraus, liest daraus vor, erklärt das Vorgelesene gemäß seinen Lehren.“577 577 

Ebenda, DOK-102, Bl. 26.

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1940 soll der deutsche Zeuge Jehovas Franz Brand eine Publikation zur „Neutralität“ aus Jugoslawien nach Ungarn eingeschmuggelt haben und Bartha habe sie an die Leiter der Bewegung zum Verteilen weitergegeben. In der Broschüre würde behauptet, dass die Mitglieder der Bewegung die Gesetze nicht einhalten müssten, die im Gegensatz zu den von ihnen verkündeten Lehren stünden. Und da die Teilnahme am Krieg dem zuwiderläuft, griffen die Mitglieder der Bewegung nicht zur Waffe, verrichteten keinen Militärdienst und verrichten keine Tätigkeit, die mit dem Kriegsanstrengungen in Verbindung stehen. Diese Aussage war korrekt, da sich die Zeugen an das Beispiel der ersten Christen aus Apostelgeschichte 5, 29 hielten, wo die Apostel erklärten: „Man muß Gott mehr gehorchen denn den Menschen.“578 Die Publikation sei über Bern ins Land gekommen, Bartha habe sie übersetzt und dann sei sie in einer „gigantischen Aktion“ verbreitet worden, wonach es „von Tag zu Tag“ mehr Militärdienstverweigerer gegeben hätte. Die „Sektenmitglieder haben sich reihenweise entschieden dem Stellungsbefehl nicht Folge zu leisten und sind in die Illegalität“ gegangen.579 Diejenigen, die in den Untergrund gegangen waren, und die welche „für Agitationszwecke reisten“, aber auch für Bedürftige und Internierte, wurden durch die „Gute-Hoffnung-Küche [sic!]“ versorgt.580 Aus den Verhörsprotokollen geht auch hervor, dass es den Zeugen gelang, sowohl Lebensmittel, Kleidung und biblische Publikationen in die Internierungslager wie auch Berichte über die Zustände im Lager herauszuschmuggeln.581 578 

Zitiert nach Lutherbibel, 1937. Vgl. Militärdienstsache János Kővágó, HM, 1942 eln. 13. oszt. 5551 cs. 517.146. Szin­ ger erzählt von einer gängigen Praxis, bei Erhalt des Stellungsbefehls unterzutauchen. „In dieser Zeit gingen die, die eine Einberufung bekamen, nicht hin, sondern rissen von zu Hause aus und gingen als Pioniere. Wenn sie diese inhaftierten, dann wurden sie nicht wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt, sondern wegen Zugehörigkeit zu der verbotenen Organisation der Zeugen Jehovas und weil sie trotz Predigtverbots gepredigt haben. Das war die Anklage. Das war eine einfachere Sache als bei der Armee, wo sie halb totgeschlagen worden wären, um sie zu zwingen die Uniform anzuziehen und so weiter. Drum haben sich viele Brüder lieber das ausgesucht.“ Er hatte einige von ihnen in Pécs getroffen. Interview Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. 580  Wahrscheinlich handelte es sich um die Gute-Hoffnung-Kasse. Berichten zufolge gab es zum Beispiel in der Ukraine Behältnisse mit der Aufschrift „Gute Hoffnung“, in dem Gelder für die gesammelt worden, „die im Gefängnis saßen“ oder bedürftig waren. WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 2002. Selters/Ts. 2001, S. 174 (Bericht zur Ukraine und der Deportation von Zeugen Jehovas durch die sowjetischen Behörden). Oder während des Hitler-Regimes in Deutschland: „Die Gute-Hoffnung-Kasse diente […] auch dazu, notleidende Glaubensgeschwister zu unterstützen. Frauen, deren Männer inhaftiert waren, wurden – soweit möglich – mit regelmäßigen Zuwendungen bedacht.“ So kamen „zuweilen beachtliche Beträge zusammen, da die Verzichtsbereitschaft und der Solidaritätswille unter den Zeugen Jehovas allgemeinhin stark ausgeprägt war.“ Garbe, Martyrium, S. 233. 581  Klinyecz hielt noch bis 1942 selbst oder über Glaubensbrüder Kontakt zu den Inhaftierten im Lager Kistarcsa und Nagykanizsa. Er organisierte Lieferungen von Lebensmitteln und Kleidung, aber auch von „geistiger Speise“, also biblischen Publikationen. MJTA, DOK-1176. Offensichtlich wurde auch der Zeitungsartikel einer deutschen in Ungarn erscheinenden Zeitung über militärdienstverweigernde Zeugen Jehovas in England ins Lager 579 

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Dem Angeklagten Klinyecz wurde weiter vorgeworfen, „nations- und religionszersetzende Propaganda“ zu verbreiten. Er habe sich als Zonenaufseher um die bevölkerungsreichsten Gegenden Szegeds gekümmert. Ende 1941 Anfang 1942 habe er begonnen, die Gemeinschaft auf dem Gebiet der 1941 zurückgewonnenen Batschka zu organisieren, wo er bereits in den Jahren davor gepredigt hatte und deshalb inhaftiert worden war.582 Über einen Kontakt zu Franz Brand und Rudolf Kalle,583 die in Jugoslawien tätig waren, erhielten sie Publikationen in Kroatisch, die sie ins Ungarische übersetzten. Klinyecz hätte auch immer wieder dafür gesorgt, dass die Organisation der Gemeinschaft weiter aufrechterhalten wurde. Im Weiteren ging es um die anderen Angeklagten: Besonders aktiv seien Frau Imréné B. Kovács und Frau Jenőné Herédi gewesen. Sie hätten in unzähligen Gemeinden gepredigt und sehr viele Anhänger gewonnen – wohl ein Grund für die extrem hohe Strafe von 10 Jahren. Imre Dobó sei als Kurier tätig gewesen, hätte im Juli 1942 seinem Stellungsbefehl nicht Folge geleistet, sondern sei in Abstimmung mit Klinyecz in den Untergrund gegangen und habe dort weitergepredigt – offensichtlich erhielt er deshalb 12 Jahre.584 Im Urteil hieß es, alle Angeklagten seien geständig gewesen, wobei diese Passage angestrichen und handschriftlich (Quelle unbekannt) hinzugefügt worden war: „Das ist nicht wahr.“ Ferner wurde ein medizinischer Sachverständiger zitiert, der eine Einschränkung der Zurechnungsfähigkeit bei den Angeklagten nicht feststellen konnte und der minderjährigen Erzsébet Balabás „die für eine Verurteilung nötige Einsicht und moralische Reife“ attestierte. István Bakonyi, Hauptmann der Gendarmerie und ab 1942 Leiter des Dezernats, dass bei dem Zentralen Ermittlungskommando der Gendarmerie für die Bekämpfung linksgerichteter Bewegungen zuständig war und aktiv an der Aufdeckung kommunistischer Bewegungen mitgewirkt hatte,585 wurde im Urteil mit geschmuggelt. Unter den Beweisstücken befand sich ein Brief vom 2.2.1942, der aus dem Lager Nagykanizsa geschmuggelt worden war und die Zustände dort beschrieb, aber auch deutlich machte, dass auch dort weiter gepredigt wurde. Ein weiterer Brief wurde zu dem Zonendiener Konrád in das Lager in Kistarcsa geschmuggelt, der über die Tätigkeit der Gemeinschaft im Land berichtete. Auch dieser Brief befand sich bei den Beweisstücken. Ebenda, DOK-1178. 582 Unbekannte Zeitung ohne Datum: „Letártoztattak Jánoshalmán ,Jehova tanuit‘“ [„Zeugen Jehovas“ in Jánoshalma festgenommen]. 583  Die deutschen Zeugen Jehovas Franz Brand und Rudolf Kalle übernahmen 1935 die Leitung der Gemeinschaft der Zeugen Jehovas im Königreich Jugoslawien. Kalle wurde 1947 im kommunistischen Jugoslawien zusammen mit zwei anderen Zeugen Jehovas zum Tode verurteilt, was später in 20 Jahre Haft umgewandelt wurde. WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 2009. Selters/Ts. 2008, S. 159, 170 f. Dies.: Der Wachtturm v. 1.7.2008, S. 27. 584  MJTA, DOK-102, Bl. 27. 585  Bakonyi (1905 – ?) war ab 1944 für das politische Dezernat, Staatspolizei, zuständig. Belügyminiszter [Innenminister]: A m. kir. csendőrség elhelyezése [Belegschaft der ung. kgl. Gendarmerie], Budapest ohne Datum, S. 125. www.csendor.com/konyvtar/konyvek/ Zsebkonyv/Zsebk%F6nyv-1944%20-%20KZ/Zsebk%F6nyv-1944%20pp%20118 – 264.pdf (Zugriff am 4.7.2013). Varga, Kommunistaellenes nyomozások.

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der Aussage zitiert, dass „die Ausbreitung der ‚Jehova Gott Zeugen‘ zum Nachteil der militärischen Schlagkraft des ungarischen Staates sei, weil die Glaubensansichten der Jehovisten den Glaubensangehörigen den Dienst an der Waffe untersagen, sie den Militärdienst verweigern müssen und ihnen nicht erlaubt ist, sich in irgendeiner Weise am Krieg zu beteiligen, und auch im Übrigen sind die Lehren der Jehovisten geeignet, das nationale Gefühl der Menschen auszulöschen.“ Weiter hieß es: „Auch der genannte Sachverständige hat erklärt, dass die Taten der Angeklagten den ungarischen Streitkräften Nachteile verursacht haben; durch die Haltung des Angeklagten […] Klinyecz hat – im Hinblick darauf, dass er großen Anteil an der weiten Verbreitung der Lehren der Jehovisten hatte und als Leiter der Bewegung angehörte – im großen Maße die Interessen der Kriegsführung gefährdet.“ Da es somit außer Zweifel stünde, dass die Angeklagten durch „ihre Taten vorsätzlich den ungarischen Streitkräften Nachteile verursacht, den Feinden hingegen Vorteile verschafft haben, war der Tatbestand der Untreue nach § 59 Absatz 4 GA III des Jahres 1930 erfüllt“.586 Da Klinyecz „die Interessen der Kriegsführung stark gefährdet“ habe, müsse er zum Tode verurteilt werden, was nach Abwägung der mildernden wie auch erschwerenden Umstände jedoch auf lebenslänglich beschränkt wurde. Die minderjährige Erzsébet Balabás wurde zu einer Freiheitstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten Zuchthaus (!) verurteilt, da sie wie in §§ 43, 44 MStGB vorausgesetzt beim Begehen der Tat über die nötige Einsicht und moralische Reife verfügt hätte. Das Urteil wurde am 17. Februar 1943 vom Generalstabschef Szombathelyi bestätigt. Nicht berücksichtigt im Verfahren wurde, dass die Aussagen der Angeklagten aufgrund von Misshandlungen zustande gekommen waren und somit gar nicht hätten verwertet werden dürfen. Die meisten waren am 12. Oktober verhaftet worden, offenbar in einer Aktion im Rahmen der Landesermittlungen. Ein kleines Detail am Rande: Beschlagnahmt wurden bei der Aktion alle Fahrräder (mindestens 15 Stück) der Betroffenen, offenbar um zu verhindern, dass sie weiter für Missionszwecke genutzt würden, sowie 99 Bibeln und einige Hundert biblische Publikationen. Beschlagnahmt wurden unter anderem auch „3 Kinderhemden, 1 Kleid, 1 Damenhose, 1 Herren- und 1 Kinderschlafanzughose, 1 Handtuch, 1  Taschenlampe, 1  Strumpfhose […] 3  Paar reparierte Damenschuhe“, da sie „der Verbreitung der Jehovisten also zur Begehung von Straftaten verwendet wurden“.587 Eine Erklärung dafür blieb man schuldig. Nicht nur in diesen auch in den anderen Verfahren werden auffällig viele Frauen verurteilt, was zum einen daran gelegen haben dürfte, dass ein Großteil der Männer bereits wegen Militärdienstverweigerung inhaftiert war. Andererseits zeigten sich gerade Frauen sehr aktiv im Ausleben ihrer Überzeugung. Das Gericht hat in der Beurteilung der Tat wenig Unterschied im Geschlecht gemacht, dafür aber in den ausgeführten Tätigkeiten. Es war auch keine Frage, dass eine Frau durch Ausübung ihres Glaubens zum Nachteil der Streitkräfte tätig werden konnte, ob586  587 

MJTA, DOK-102, S. 28. Ebenda, DOK-102, Bl. 30 f.

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wohl ihnen selbst keine militärischen Pflichten innerhalb der Armee zukamen. Bei ihnen war es allein die Verkündigung der Lehren und die Unterstützung der Organisation bzw. deren Aufrechterhaltung. Selbst der Fakt der Minderjährigkeit spielte wenig Rolle. Gutachter attestierten uneingeschränkte Straffähigkeit. Die brutalen Verhörmethoden wurden in keinem der Fälle erwähnt. Die Generalformel zum Tatbestand der Untreue, also das Verschaffen von Nachteilen für die ungarischen Streitkräfte bzw. von Vorteilen für den Feind schlug sich u. a. in den Argumenten nieder, andere dazu zu verleiten, „die Erfüllung ihrer militärischen Pflichten zu verweigern“ und „Abneigung gegen die Kriegsziele“ zu wecken. Nicht zu vergessen, dass sie das im großen Stil getan hätten – ein Punkt, der ebenfalls nicht konkretisiert wurde, zumal keiner der Zeugen zur Waffen- oder Dienstverweigerung im großen Stil aufgerufen hatte. Fragt sich, wie man dann echte umfangreiche Sabotageakte einstufte, wenn so verhältnismäßig geringfügige Taten bereits so stark bewertet wurden. Eine Begründung für den Vorsatz, außer dass er außer Zweifel stand, lieferte man nicht. Möglicherweise schloss man aufgrund der bewussten Verweigerung des Militärdienstes darauf, der ja aber – abgesehen, dass das Argument nur für Männer Gültigkeit haben konnte – dem Glauben geschuldet war und sich nicht auf Vor- oder Nachteile militärischer Interessen richtete. Abgesehen davon verweigerten Zeugen Jehovas den Dienst auf beiden Seiten, würden daher ja auch den Feind schwächen. Vorsatz hat man auch im fortgesetzten Verbreiten der Lehre gesehen, was allerdings auch weltweit zutraf und sich grundsätzlich nicht gegen Staat und Gesellschaft richtete, allerdings ungerechtes Handeln anprangerte – eine Kritik, die in einer autoritären Gesellschaft keinen Platz hatte. Am ehesten hätte man hier noch auf das Argument der Unterstützung Fahnenflüchtiger verweisen können, das aber auch nur allgemein in den Raum gestellt worden war. Das im Verfahren angeführte Argument des Umsturzes der gesetzlichen Ordnung von Staat und Gesellschaft war an und für sich kein Untreue-Delikt. Im Vergleich zu den bisherigen Verfahren in den Dreißiger Jahren, da man Strafen von maximal einigen Monaten ausgesprochen (und häufig gar nicht vollstreckt) hatte, z. B. wegen Presseverfahren oder Teilnahme bzw. Abhalten verbotener Zusammenkünfte, war hier von einem ganz anderen Strafmaß die Rede. Selbst für Frauen wurden mit 6 bis zu 8, teilweise sogar 10 Jahre hohe Strafen ausgesprochen. Sogar Minderjährige wurden mit Zuchthausstrafen bedacht. Besonders hohe Strafen wurden zumeist gegen aktive, oft schon wegen ihrer Tätigkeit belangte Personen ausgesprochen. Im Fall der Beurteilung der Zonendiener Klinyecz kam seine Verantwortung in der Organisation zum Tragen, wenngleich unklar war, wofür Klinyecz die Todesstrafe verdient hatte. Aus dem Urteilstext selbst geht nochmals die Abneigung gegen die von den Siegern verordnete religiösen Freiheiten durch GA XXXIII/1921 hervor, und damit wahrscheinlich der Religionsfreiheit an sich. Auch der noch immer geltende GA XLIII/1895 war bei der Beurteilung der Taten nicht herangezogen noch erwähnt worden. Die Kenntnisse des Gerichts über die Aufstellung und Arbeitsweise

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der Organisation der Gemeinschaft lassen darauf schließen, dass es dem Zentralen Ermittlungskommando der Gendarmerie vielleicht auch in Zusammenarbeit mit den Militärbehörden gelungen war, durch Ermittlungsarbeit, Spitzel und Gewalt diese Hintergründe aufzudecken und das Gericht zu informieren. An Kenntnis der Lehre selbst scheint es auch weiterhin gemangelt zu haben. Abgesehen von den Vorwürfen des Predigens in der „sensiblen Batschka“ und den Kontakten zum befeindeten Jugoslawien in diesem Verfahren im Zusammenhang mit der Arbeit von Klinyecz, dürften die anderen vorgebrachten Argumente so oder ähnlich auch in den anderen Verfahren angeführt worden sein. Auch für die nächste Verhandlung des Generalstabsgericht, H.381/42, in Pétervására gegen József Kormos und Gefährten am 18. Dezember liegen keine Gerichtsunterlagen vor.588 Verurteilt wurden hier 53 Personen, darunter 30 Frauen; zwei – die erst 12-jährige Katalin Barta und die erst 15-jährige Sarolta Kiss Papp – kamen wegen Minderjährigkeit auf freien Fuß. Die ebenfalls noch Minderjährigen, die 17 Jahre alten Teréz Magyar, Anna Barta und Piroska Leskó hingegen wurden zu 3 Jahren 6 Monaten, 4 Jahren bzw. 3 Jahren Zuchthaus verurteilt. Den Angeklagten war vorgeworfen worden, in Kriegszeiten für die gesetzlich nicht anerkannte „Sektenbewegung Jehova Gott Zeugen“ tätig gewesen zu sein, ihr als Leiter oder Pionier angehört zu haben bzw. im Fall von János Vasalics589 den Siebenten-Tags-Adventisten und György Moravszki590 den Reform-Adventisten angehört zu haben. Alle hätten bei der Fortführung ihrer Tätigkeit den Umsturz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung herbeiführen wollen, hätten andere davon abgehalten, Ungarn und ihre Verbündeten im Krieg zu unterstützen, indem sie sie aufforderten ihrer Lehre zu folgen, und hätten damit den Kriegszielen entgegengearbeitet und somit dem Feind bewusst in die Hände gespielt. Die Höchststrafe belief sich auf 6 Jahre Zuchthaus.591 Einer weiteren Pro-Domo-Notiz der Präsidial-Abteilung 13 zufolge gab es in Pétervására 120 Verurteilte, was ein Hinweis auf mindestens einen weiteren Prozess ist.592 Unter den Verurteilten in Pétervására befand sich auch Erzsébet Haffner (Ehefrau von Tibor Haffner, der in Alag interniert und verurteilt worden war).593 Sie berichtete: „Zwei Tage nachdem sich Tibor auf den Weg zu diesem Treffen gemacht hatte, war ich schon vor 6 Uhr morgens auf und bügelte die Wäsche, als es plötzlich an der Haustür hämmerte. ‚Sie sind da‘, dachte ich. Sechs Polizisten stürmten herein und teilten mir mit, dass sie einen Haussuchungsbefehl hatten. Alle im Haus wurden verhaftet und zur Polizeiwache gebracht, auch unser dreijähriger Sohn.“ Noch am selben Tag lieferte man sie im Lager in Pétervására ein, wo sie krank 588 

HM, 1943 eln. 13. 6069 cs.? Verurteilt zu 1 Jahr 6 Monaten. 590  Verurteilt zu 2 Jahren. 591 Ebenda. 592  Ebenda, 1942 eln. 13. 5167 cs. 73.444, Bl. 1 – 4, Bl. o. Nr. Pro-Domo-Notiz vom 21.1.1943, Abt. eln. 13., zu Az. 74.194, handschriftliche Notiz im Anhang. 593  Ebenda, 1942 eln. 13. 5167 cs. 73.444, Bl. 1 – 4. 589 

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wurde, weshalb sie von den anderen getrennt wurde.594 Die Verhörmethoden in Pétervására scheinen sich nicht von denen in Alag unterschieden zu haben. Erzsébet Haffner erinnert sich: „Sie befahlen mir, mich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu legen, dann stopften sie mir Socken in den Mund, fesselten mir Hände und Füße und schlugen mich, bis ich blutete. Sie hörten erst auf, als einer der Soldaten sagte, er sei erschöpft. Sie fragten mich, wen mein Mann am Tag seiner Verhaftung treffen sollte. Ich sagte es ihnen nicht, also schlugen sie mich weiter – drei Tage lang. Am vierten Tag wurde mir gestattet, meinen Sohn zu meiner Mutter zu bringen. In der Eiseskälte lief ich, meinen kleinen Jungen huckepack auf meinem geschundenen Rücken, ungefähr 13 Kilometer zum Bahnhof. Von da aus fuhr ich mit dem Zug nach Hause. Aber ich musste noch am selben Tag wieder zurück im Lager sein. Ich wurde zu 6 Jahren Gefängnis in Budapest verurteilt. Als ich dort ankam, erfuhr ich, dass Tibor auch dort einsaß. Wir waren so glücklich, als man uns gewährte, miteinander zu sprechen, auch wenn es nur wenige Minuten durch Eisengitter waren!“595 Umfassendere Angaben zu einem Prozess erhält man aus den Verfahrensakten zu Komárom. Der Prozess fand am 27. Dezember 1942, Az. H.355/42/30 statt und richtete sich gegen den Zonendiener Sándor Varga und weitere 21 Zeugen Jehovas, die Hälfte davon Frauen.596 Ein Vergleich der Urteilsbegründung mit der des Szegeder Urteils lässt Rückschlüsse auf die anderen Verfahren zu. Zunächst wird auch hier den Angeschuldigten unisono vorgeworfen, in Kriegszeiten der „gesetzwidrig tätigen Sekte ‚ Jehova Gott Zeugen‘“, anzugehören, die von feindlichen „Achsenmächten“ gegen Ungarn gebraucht würde. Sie würden gezielt, die Bürger des Staates für die staatsfeindlichen, antinationalen und antimilitärischen Lehren der Sekte gewinnen und „in ihnen Abscheu zur Wehrpflicht wecken und besonders zum Dienst an der Waffe und dadurch die Wehrpflichtigen zur Verweigerung der Verrichtung dieser Pflicht zu verleiten“ und „den Kriegswillen der Nation brechen“, wodurch sie bewusst den ungarischen und den verbündeten Streitkräften Nachteil und dem Feind Vorteil verschafften.597 Die Urteilsbegründung ist, wenn auch nicht so umfangreich der im Szegeder Verfahren von der Struktur ähnlich. Man ging zunächst auf den historischen Hintergrund und die Verbreitung der Glaubensansichten und die Organisation der Gemeinschaft in Ungarn ein und verwies danach auf die „Militärfeindlichkeit der Bewegung“.598 Wie im Sze594  WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 1.8.2004, S. 19 – 23, hier S. 21 f. Über ihre Separation wegen Krankheit berichtete sie: „Als es mir schon wieder etwas besser ging, kamen zwei Soldaten in meine Zelle und stritten sich meinetwegen. ‚Wir müssen sie erschießen! Ich werde sie jetzt erschießen‘, meinte der eine. Aber der andere wollte erst sehen, wie es mir inzwischen ging. Ich flehte sie an, mich am Leben zu lassen. Schließlich verließen sie meine Zelle …“. 595 Ebenda. 596  HM, 1943, eln. 13. 6067 cs. 597 Ebenda. 598  In der Beschreibung der Tätigkeit hieß es, die Prediger „gingen von Dorf zu Dorf und in jedes Haus hinein, und suchten diejenigen, die geneigt waren sich der Bewegung

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geder Verfahren wurden Sachverständige herangezogen, ein Militärexperte und ein medizinischer Gutachter. Der Militärexperte und zuständiger Sachbearbeiter für die Aufklärung der Zeugen Jehovas bei der Staatssicherheitszentrale, Oberstleutnant der Gendarmerie József Czigány,599 erklärte in seinem Gutachten, „dass die Tätigkeit der Angeklagten in der Bewegung – in Anbetracht der Lehren der Sekte – den Streitkräften einen Nachteil verursacht hat“. Wenngleich das Gericht abschließend feststellte, dass „die Lehren der Sektenbewegung staatsfeindlich und antimilitärisch sind, und derjenige, der ein Nachfolger der Lehren wird, den Militärdienst zufolge der Annahme der Lehren zwangsläufig verweigert“, räumte es auch ein, dass „keinem der Angeklagten angelastet werden kann, dass er jemanden zur Verweigerung der Verrichtung des Militärdienstes verleitet hätte“. Das bedeutet im Klartext, der Vorwurf der Untreue, also einen Nachteil für die Streitkräfte verursacht zu haben, konnte nicht belegt werden. Daher sah sich das Gericht wohl genötigt, einen Beleg zu konstruieren. Man erklärte: „Indem sie [die Anhänger] an der Verbreitung der Lehren der Sekte und an der Unterstützung der Bewegung teilnahmen, indem sie sahen und erkannten, dass die Bewegung den Streitkräften Nachteil verursacht, und weil die vorhandene Vorstellung des Ergebnisses sie von ihrer Handlung nicht zurückhielt, sie mit dessen Eintreffen rechneten, also die eventuelle Absicht bei ihrer Handlung, den Streitkräften Nachteil zu verursachen, bei ihnen vorhanden war und weil ihre Handlung den Streitkräften tatsächlich Nachteil verursacht hat [wohl bezogen auf die Militärdienstverweigerer], musste man sie im Sinne des verfügenden Teiles für schuldig erklären“. Im Einzelnen warf man dem Hauptangeklagten Sándor Varga (38 Jahre) vor, trotz seiner Inhaftierung vom 13. Oktober 1941 bis zum 15. März 1942 weiter als Zonendiener tätig gewesen zu sein. Er wurde zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Allen anderen Angeklagten wurde vorgeworfen, sich besonders aktiv für die Gemeinschaft einzusetzen, weshalb die aktivsten zu einer Freiheitsstrafe zwischen 2 und 6 Jahren Zuchthaus, die anderen zu 1 Jahr 6 Monaten bzw. in einem Fall 1 Jahr 2 Monaten und einmal 6 Monaten Gefängnis verurteilt wurden. Zu den Angeklagten gehörte auch Dániel Varga aus Guta, dessen Aussage zur Zentrale der Zeugen Jehovas in Budapest in seinem Verhörsprotokoll600 im Zuanzuschließen. Das nannten sie ‚Zeugnisgeben‘“. Die dabei benutzten Schriften seien „antinational, antimilitärisch und religionsfeindlich“. 599  Czigány (1894 – 1977) spielte später unter der Szálasi-Regierung eine führende Rolle. Im Oktober 1949 wurde er vom Budapester Volksgericht zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Szakály, Sándor: Akiket magyar királyi Csendőrség 1919 és 1945 közötti felső vezetői közül 1945 után elítéltek [Wer von der obersten Führung der ungarisch königlichen Gendarmerie zwischen 1919 und 1945 nach 1945 verurteilt wurde]. In: Rubicon. Történelmi Magazin [Geschichtsmagazin]. Online 2010. http://www.rubicon.hu/magyar/oldalak/akiket_magyar_ kiralyi_csendorseg_1919_es_1945_kozotti_felso_vezetoi_kozul_1945_utan_eliteltek/ (Zugriff am 26.7.2013). Kovács, Zoltán András: Láday Istvánnak, a Szálasi-kormány belügyminisztériumi államtitkárának fogságban írott feljegyzései [Die Haftaufzeichnungen von István Láday, dem Staatssekretär des Innenministers in der Szálasi-Regierung]. http://epa. oszk.hu/01500/01500/00006/pdf/13Kovacs.pdf (Zugriff am 26.7.2013). 600  HM, 1941 13. oszt. 528.427.

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sammenhang mit der Wehrdienstverweigerung ausschlaggebend gewesen war für die Aktion 1940 gegen die Angehörigen der Gemeinschaft in Budapest und der damals selbst wegen Militärdienstverweigerung verurteilt worden war. Nunmehr wurden er und seine Frau für ihre aktive Tätigkeit für die Gemeinschaft und deren finanzielle Unterstützung zu 6 bzw. 5 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dem medizinischen Gutachter zufolge würden die Angeklagten aufgrund ihrer „psychopathischen Beschaffenheit [grundsätzlich] dazu neigen, solche Handlungen durchzuführen“ und seien bis auf einen „in der Lage, die Freiheitsstrafe mit verschärften Haftbedingungen“ zu ertragen. Das kam einem rassischen Merkmal gleich, denn im Umkehrschluss könnte man behaupten, dass sich nur Personen mit einer solchen Schwäche, Kriminalität dieser Art also schon in sich trugen, der Gemeinschaft anschlossen. Wenngleich das Argument wiederholt vorgetragen wurde, hat man wohl keine weiteren relevanten Schlüsse daraus gezogen. In Újvidék (Novi Sad), in der Batschka, dürfte es ebenfalls Ende Dezember 1942 oder in den ersten Januartagen zum Prozess gekommen sein. Wie aus den Akten des Generalstabs, hier konkret aus dem Schreiben an den Justizminister vom 2. Dezember 1942 über die Unterbringungsproblematik der in der Landesaktion inhaftierten Zeugen Jehovas, hervorgeht, waren zu diesem Zeitpunkt etwa 100 von ihnen in Újvidék interniert. Eine Pro-Domo-Notiz der Präsidialabteilung 13 vom 6. Januar 1943 spricht davon, dass 50 Verurteilte im Gerichtshof in Újvidék untergebracht worden waren.601 Einer weiteren handschriftlichen Notiz aus den Unterlagen der Präsidialabteilung 13 zufolge waren 150 Personen betroffen.602 Weitere Angaben liegen nicht vor. Die Tatsache, dass es auch eine Verhandlung in Újvidék in der Batschka gegeben hat, ist im Gesamtkontext der Tätigkeit des Generalstabsgerichts und der Kriegssituation interessant. Seit der Zeit, da die Batschka im April 1941 wieder unter ungarischer Herrschaft stand, war dort die jugoslawische603 kommunistische Partei aktiv und versuchte sich durch Sabotage (Bahngleise sprengen, Nahrungsmittel verbrennen), aber auch durch bewaffneten Widerstand gegen Militär, Polizei und Gendarmerie als Besatzer zu wehren, wobei Soldaten und Beamte getötet wurden. Zu solchen Aktionen hatten sie im Sommer 1941 auch durch Flugblätter aufgerufen. Ermittlungen wurden eingeleitet und schon im August waren 230 Personen festgenommen und am 4. August eine Person zur Abschreckung hingerichtet worden. Ein Teil der Festgenommenen wurde nach Szeged überstellt, und dort vom Fünferrat verurteilt, eine Person zum Tode und am 12. September hingerichtet. Im September wurden wiederum rund 200 Personen an verschiedenen Orten inhaftiert und noch im selben Monat über 30 hingerichtet. Nachdem die Aktion gegen die Kommunisten in Siebenbürgen Ende September beendet war, reiste das Generalstabsgericht, Vilmos Dominich mit seinem Stab, in die Batschka von Haftort zu 601 

Ebenda, 1942 eln. 13 5167 cs. Ebenda, 1942 eln. 13. 5167 cs., Bl. o. Nr. Pro-Domo-Notiz vom 21.1.1943, eln. 13., zu Az. 74.194, handschriftliche Notiz im Anhang. 603  Ab 1929 gab es das Königreich Jugoslawien. 602 

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Haftort und verurteilte die jeweils Festgenommenen; Todesurteile wurden noch am selben Tag an öffentlichen, frequentierten Orten wie dem Marktplatz vollstreckt.604 Dadurch wurde der Widerstand zunächst gebrochen, die Basis dafür brach weg. Dennoch gab es weitere Partisanenbewegungen. Generalstabschef Szombathelyi gab am 5. Januar 1942 „mit Blick auf den Aufruhr der Chetniks und Kommunisten in der Batschka“ Befehl zur militärischen Verstärkung. Die Gendarmerie wurde dem Militär unterstellt und eine Razzia in der ganzen Region verfügt. Am 9. Januar berichtete Szombathelyi der deutschen Heerführung über die Ergebnisse, wobei er die inhaftierten bzw. getöteten Kommunisten auflistete. Berichten zufolge waren 2 367 „organisierte Kommunisten“ festgenommen worden, wodurch eine Neuorganisation zumindest vorübergehend unmöglich wurde. Da die Patisanenbewegung angeblich von der Bevölkerung unterstützt wurde, kam es durch Militär und Gendarmerie zwischen dem 20. und 23. Januar 1942 zu Vergeltungsaktionen in Novi Sad, und in diversen Ortschaften zu Massenmorden.605 Dabei wurden einige Tausend Zivilisten getötet, darunter viele Juden.606 Szombathelyi befahl am 22. Januar via Telegramm das ungesetzliche Vorgehen sofort einzustellen und kündigte an, die Verursacher zur Verantwortung zu ziehen. Im Dezember 1943 eröffnete das Generalstabsgericht dann ein Strafverfahren wegen Untreue gegen die Anführer der Aktion. Gegen vier der Angeklagten sollte die Todesstrafe ausgesprochen werden, diese jedoch flohen im Januar vor Urteilsverkündung nach Deutschland und meldeten sich zur Waffen-SS. Weitere 20 Angeklagte erhielten zwischen 5 und 15 Jahren Gefängnis.607 Teilweise mögen die Beamten noch unter den Eindruck der Ereignisse in der Batschka und dem Widerstand der kommunistischen Bewegungen gestanden und Parallelen gezogen haben. Immerhin arbeiteten Zeugen Jehovas ebenfalls mit Druckschriften, unterstützen das Militär nicht aktiv und waren über die Jahre immer wieder in die Nähe kommunistischer Bewegungen gerückt worden. Dieser Kontext könnte ein wenig die Vehemenz ihrer Verfolgung erklären, wenngleich die Anhänger der Gemeinschaft nie zu Mitteln der Gewalt gegriffen haben und das nicht zu ihrer Glaubensüberzeugung von Nächstenliebe passte. In Zeiten des Krieges kamen andererseits solche scheinbaren Parallelen den Militärbehörden gerade recht. Hatten Objektivität und Fakten bisher kaum eine Rolle gespielt, um so weniger zu dieser Zeit. 604  Dominich soll bei seinen Urteilen zwischen August und November 99 Todesurteile ausgesprochen haben, wovon 71 direkt vollstreckt wurden und vom Dezember 1941 bis Februar 1942 51 weitere, wovon 47 vollstreckt wurden. Pintér, S. 68. 605  Sogenannte „Hideg napok“, kalte Tage. Angeblich hatten sich die Partisanen während der ungewöhnlich kalten Tage im Januar in Novi Sad zurückgezogen, was eine entsprechende Razzia sanktionierte. 606  Kaló, József: Szombathelyi Ferenc a Magyar Királyi Honvéd Vezérkar élén, Debrecen 2010, S. 103 – 110. http://ganymedes.lib.unideb.hu:8080/dea/bitstream/2437/97153/5/ ertekezes.pdf (Zugriff am 15.7.2013). Lappin, Eleonore: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen. Wien 2010, S. 15. 607  Ebenda, S.  127 – 132.

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Im siebenbürgischen Szamosfalva in der Nähe von Kolozsvár verhandelte das Generalstabsgericht offensichtlich ein zweites Mal gegen Zeugen Jehovas vom 1. bis 3. Februar 1943, Az. H.396/42, gegen János Kelemen und 28 weitere Personen, darunter lediglich 2 Frauen, da sie sich „als Zonendiener, Gruppendiener und Gruppenmitglieder der gesetzlich nicht anerkannten sog. ‚Zeugen Jehova Gottes‘-Sekte zum Umsturz der gesetzlichen Ordnung des Staates und der Gesellschaft zusammengeschlossen hätten, wobei sie versuchten, zur Unterstützung und Entlastung der mit Ungarn und seinen Verbündeten im Krieg stehenden Mächte die Bevölkerung des Landes zum Befolgen der Lehren der Sekte, zur Verweigerung der Verrichtung ihrer Wehrpflicht zu verleiten, und so gegenüber der Kriegszielsetzungen der Nation Abscheu weckten“, was wiederum den Straftatbestand der Untreue erfüllt hätte, weil sie damit den ungarischen und verbündeten Streitkräften absichtlich Nachteil und dem Feind absichtlich Vorteil verschafft hätten.608 Auch hier ging das Gericht zunächst kurz auf den geschichtlichen Hintergrund der Gemeinschaft, ihre Organisation in Ungarn ein und dann auf die Verweigerungshaltung gegenüber dem Militär. Teilweise ist der Text fast wortwörtlich identisch mit dem aus den anderen vorhandenen Urteilsauszügen.609 Wiederum wurde ein Militärsachverständiger herangezogen, Dr. László Kun, Mitarbeiter des Zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie. Aufgrund seiner Ausführungen kam man zum wortidentischen Schluss mit dem Komáromer Urteil, „dass die Tätigkeit der Angeklagten in der Bewegung – in Anbetracht der Lehren der Sekte – den Streitkräften einen Nachteil verursacht hat“. Auch die Feststellung des medizinischen Gutachters war wortgleich, wenn es heißt, dass die Angeklagten aufgrund ihrer „psychopathischen Beschaffenheit dazu neigen, solche Handlungen durchzuführen“ und dass sie „in der Lage“ seien, „die Freiheitsstrafe mit verschärften Haftbedingungen“ zu ertragen. Genau wie in Komárom musste das Gericht einräumen, dass „keinem der Angeklagten angelastet werden kann, dass er jemanden zur Verweigerung der Verrichtung des Militärdienstes verleitet hätte“. Und mit genau derselben Beweiskonstruktion, sogar wortwörtlich, wurde dann erklärt, dass die Handlung der Angeschuldigten dennoch zum Nachteil der Streitkräfte gewesen sei. Die Angeklagten wurden zu 2 bis 10 Jahren Zuchthaus bzw. Geldstrafen verurteilt, 2 freigesprochen, da man ihre Tätigkeit für die Gemeinschaft nicht belegen konnte.610 Kelemen erhielt 10 Jahre Haft.611 Im Verhältnis zu den bisherigen Urteilen fiel das Strafmaß hier niedriger aus. Interessanterweise blieben auch die beiden mangels an Beweisen Freigespro-

608 

HM, 1943, eln. 13. 6067 cs. 6069 cs. Ebenda, 1943 eln. 13. oszt. 20.977. Beispiel war der Text über die Missionsarbeit identisch mit dem Komáromer Urteil, wenn es hieß: Die Prediger „gingen von Dorf zu Dorf und in jedes Haus hinein, und suchten diejenigen, die geneigt waren sich der Bewegung anzuschließen. Das nannten sie ‚Zeugnisgeben‘“. 610  Ebenda, 1943, eln. 13. 6067 cs., 6069 cs. Ebenda, 1943 eln. 13. oszt. 20.977. 611 Ebenda. 609  Zum

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chenen (József Sipos und János Jancsó612) zunächst interniert, weshalb sie sich nach 19 Monaten Haft an den Verteidigungsminister wandten.613 Das Urteil des Militärstabsgerichts wurde am 10. Februar vom Generalstabschef Szombathelyi bestätigt. Einem internen Dokument der Präsidial-Abteilung 13 zufolge scheint es auch in Kolozsvár selbst noch zu einem weiteren Prozess gegen Zeugen Jehovas vor dem Generalstabsgericht gekommen zu sein, Zahlenangaben und Prozessunterlagen liegen jedoch nicht vor.614 Wann und wo die 80 – 90 im Bereich Heves-Tiszanána internierten Zeugen Jehovas, die unbekannte Zahl der in Hajdudorog und Beregszentmiklós Internierten in Sammelprozessen vor dem Generalstabsgericht verurteilt wurde, muss mangels Unterlagen offen bleiben.615 Eines dieser Untreue-Verfahren könnte am 18. Februar 1943 stattgefunden haben. Zumindest findet sich in den Unterlagen des Generalstabsgerichts ein Hinweis auf ein solches gegen Zeugen Jehovas an dem Datum, jedoch ohne Orts- und Aktenzeichenangabe.616 Zu Einzelverfahren vor dem Generalstabsgericht kam es auch 1943 noch. So zum Beispiel gegen den Zonendiener József Kovács, geb. 1888, den man erst am 12. Februar 1943 inhaftierte. Sein Fall wurde am 13. März 1943, Az. H.318/42, vor dem Generalstabsgericht verhandelt.617 Ihm wurde in ähnlicher Diktion wie im Komáromer und Szamosfalvaer Urteil Untreue vorgeworfen. Es hieß, er habe „sich in Komárom, wie in den Gemeinden der Komitate Győr, Komárom, Hont, Nyitra-Pozsony, Fejér, Veszprém und Vas, aber auch an anderen Orten des Landes, seit Juli 1941 bis zu seiner Verhaftung am 12. Februar 1943 – also während der Zeit des Krieges – aber auch vorher, als Zonendiener der VII. Zone der durch Gesetz nicht anerkannten Sektenbewegung, den sogenannten ‚Jehova Gott Zeugen‘, […] mit bereits in anderen Angelegenheiten zur Verantwortung gezogenen Mitgliedern der Bewegung zum Umsturz der gesetzlichen Ordnung von Staat und Gesellschaft verbunden, indem sie den mit Ungarn und dessen Verbündeten im Kampf stehenden Mächten geholfen haben, weil sie eifrig die Bewohner des Landes zum Befolgen der Lehren der Sekte und der Verweigerung der Erfüllung der Wehrpflicht veranlassen wollten, und sich so gegen die Kriegsziele der Nation stellen, den ungarischen und verbündeten militärischen Kräften bewusst Nachteile, den Feinden vorsätzlich Vorteile verschaffen“. Die Begründung fiel sehr kurz aus, man verwies lediglich ohne konkrete Beweisführung oder Zitierung auf die Verhörsprotokolle. Kovács wurde zu 12 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Verlust aller politischen Rechte verurteilt. Offensichtlich mangels Beweisen begründete man knapp: „Der 612  Jancsó war schon im Mai 1940 wegen seiner Verweigerungshaltung zum Militärdienst inhaftiert worden. Ebenda, 1940 eln. 13. 3508 cs. 455.031. 613  Ebenda, 1943, eln. 13. 6067 cs., 6069 cs. 614 Ebenda, 1942 eln. 13. 5167 cs. 73.444, Bl. 1 – 4, Bl. o. Nr. Pro-Domo-Notiz vom 21.1.1943, eln. 13., zu Az. 74.194. 615 Ebenda. 616  Ebenda, 1943 eln. 13. 6582. cs. Gnadengesuch von Frau Jánosné Oltyán für ihren Mann. 617  Ebenda, 1943 eln. 13. 74561 cs.

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ungarische Militärgerichtshof stellte die Straftat des Angeklagten auf Grundlage der in der Hauptverhandlung zugegebenen Verbrechen – übereinstimmend mit den im Verlauf der Ermittlungen in den Ermittlungsbericht aufgenommenen Geständnisse –, weiterhin der alles bestätigenden Einlassung des Angeklagten aus der Strafakte fest und wertete den vorliegenden zum Teil niedergeschriebenen Sachverhalt [auch Tatbestand] als Beweis.“618 Zu einem weiteren Einzelverfahren vor dem Generalstabsgericht kam es am 23. März 1943 gegen Albert Bársonyi, Az. H.23/43, dem ebenfalls Untreue vorgeworfen wurde. Neben den bereits bekannten Vorwurfsformulierungen hieß es in seinem Fall, er habe sich mit Dénes Faluvégi, der durch das Generalstabsgericht zunächst zum Tode bzw. zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt worden war, und mit József Klinyecz, der ebenfalls lebenslang Zuchthaus erhalten hatte, und mit Domokos Gombos im Widerstand zur staatlichen gesetzlichen Ordnung verbündet, um die Bürger des Staates für die staatsfeindliche Lehre zu gewinnen. Am Ende wurde er lediglich zu 8 Monaten verschärfter Haft verurteilt. Die Gründe für das recht milde Urteil könnten darin gesehen werden, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht mehr zu den Lehren bekannte und erklärte, ihnen auch in Zukunft nicht mehr anhängen zu wollen.619 Durch die Landesermittlungen und die Urteile des Generalstabsgerichts war es den Behörden gelungen, die verantwortlichen und aktiven Anhänger der Gemeinschaften, insbesondere der Zeugen Jehovas, wegzusperren und damit auszuschalten. Die anderen wurden interniert oder unter Polizeiaufsicht gestellt. Mit Ergreifen der meisten Zonen- und Gruppendiener bzw. ihrer Stellvertreter – wie Konrád, Faluvégi, Bartha, Klinyecz, Farkas, Varga, Kovács, Papp und Dobránszky oder Kővágó und Pető oder auch Géza Pál wurde quasi die ganze Führungsriege außer Gefecht gesetzt.620 Gleichzeitig hatte man auch die besonders aktiven, die Verantwortlichen unterstützenden Frauen weggeschlossen. Prinzipiell war damit der Gemeinschaft die Hauptbasis entzogen worden. Auffallend ist, dass die Betreffenden nicht schnell aufgegeben haben. Viele von ihnen waren bereits in den dreißiger Jahren oder Anfang der vierziger inhaftiert worden, haben aber dennoch weitergemacht. Ziel dieser Aktion war wohl zum einen das Wegsperren der führenden und aktiven Köpfe, aber auch eine abschreckende Wirkung auf noch aktive oder weniger aktive Anhänger, vielleicht auch eine Warnung an die Bevölkerung, dieser Gemeinschaft nicht beizutreten. Zur Abschreckung wurden die Urteile publik gemacht. Offensichtlich wurden gezielt Zeitungsartikel geschaltet, um die Bevölkerung abzuschrecken mit Schlagzeilen wie „Zum Tode verurteilte Jehovisten“, „Jehovas zu lebenlänglich Zuchthaus verurteilt“ oder „Mehrere Mitglieder der ‚Je-

618 Ebenda.

Ebenda, 1943 eln. 13, 29.224. UaP László Papp. Wann und wo der transkarpatische Zonendiener György Molnár inhaftiert wurde, ist unbekannt. Wahrscheinlich aber bei der Aktion in der Karpato-Ukraine. 619 

620 

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hova Gott Zeugen‘-Sekte wurden zu lebenslang Zuchthaus verurteilt“.621 In allen drei Artikeln wird davon berichtet, dass das Generalstabsgericht die führenden Zeugen Jehovas Konrád, Bartha und Faluvégi zum Tode durch den Strang verurteilt hatte und diese Strafe dann vom „Generalstabschef, Generaloberst Vitéz Ferenc Szombathely, als vom Reichsverweser eingesetzter Beauftragter für das Begnadigungsrecht“, in eine lebenslange Zuchthausstrafe umgewandelt wurde.622 Auch der nationalistische Publizist Mihály Kolosváry-Borcsa, der Chefredakteur der rechtsorientierten Zeitung „Függetlenség“ schrieb ebenda am 21. November 1942 zustimmend zu der Aktion gegen die Zeugen Jehovas: „Dieser muffige und kranke Mystizismus ist der ungarischen Seele völlig fremd und unter normalen Umständen wäre er es auch nicht wert, sich sonderlich damit abzugeben, die außergewöhnliche Zeit bringt jedoch diese verschrobenen Ansichten an die Oberfläche und es ist nötig, die Mehrzahl von ihnen mit aller Kraft zu zerschlagen. Die Behörden sind jedoch alle auf der Hut, sie lassen sich von dem frommen Äußeren nicht täuschen. Sie sind sich darüber im Klaren, was die wahren Absichten der fremden, schädlichen geistlichen Wortverkündiger sind.“ 623 Das Besztercer Polizeipräsidium erklärte schon im Dezember 1942: „Das vom Gericht getroffene und auch in den Tagesblättern bekanntgemachte strenge Urteil hatte sicherlich eine abschreckende Wirkung auf diejenigen, die mit dieser Idee im Geheimen sympathisiert haben.“624 Tatsächlich hatte das harte und beharrliche Vorgehen der Behörden bei Einzelnen auch Erfolge gezeitigt, wie der Fall eines Zeugen Jehovas Ferenc Puskás belegt, der unter Polizeiaufsicht gestellt worden war und bei dem nach Überprüfung der Aufrechterhaltung der Überwachung am 27. September 1943 vom Oberstuhlrichter Sátoraljaújhely vorgeschlagen wurde, diese einzustellen, da der Betreffende zusammen mit seiner Familie in die von ihm verlassene historische Kirche zurückgekehrt sei. Am 27. Oktober 1943 stellte der Vizegespan von Zemplén die Überwachung ein.625 Was die Verfahren gegen die Nazarener anbelangt, von denen bisher keine Unterlagen vorliegen, ist davon auszugehen, dass ihnen in der Verhandlung vom Generalstabsgericht der Vorwurf gemacht wurde, dass sich ihre Glaubensansichten und ihr Handeln in Bezug auf die Verweigerung des Dienstes an der Waffe zum Nachteil für die ungarischen Streitkräfte und zum Vorteil für den Feind auswirkten. Allerdings wird ihnen kaum der Vorwurf des Verbreitens der Lehre gemacht worden sein, da nicht wie die Zeugen Jehovas jeder der Nazarener seinen Glauben verkündete, sondern es nur einige Prediger gab, denen man das vorwerfen konnte. 621  Unbekannte Zeitung, ohne Datum: „Halálraitélt Jehovisták“ [Zum Tode verurteilte Jehovisten]. Dunántúl vom 13.1.1943: „Életfogytiglani fegyházra itélt jehovások“ [Jehovas zu lebenslänglich Zuchthaus verurteilt]. Unbekannte Zeitung vom Dezember 1942: „Életfogytiglani itélték ‚Jehova Isten tanui‘-szekta több tagját“ [Mehrere Mitglieder der „Jehova Gott Zeugen“-Sekte wurden zu lebenslang Zuchthaus verurteilt]. 622 Ebenda. 623  Zitiert nach Fazekas, Kisegyházak, S. 184 f. 624  MOL, K149 – 651-f-2 – 1942 – 7 – 6006 – 1633-XII./Dezember, Az.  20/1943. 625  MJTA, DOK-240, DOK-241, DOK-242.

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Andererseits werden sie in den Zusammenkünften auch darüber gesprochen haben, was ihnen nachteilig ausgelegt werden konnte. Hinsichtlich dem Verbreiten von gefährlichen Publikationen dürfte ihnen kein Vorwurf gemacht worden sein. Darüber hinaus waren sie bereit, jeden Dienst ohne Waffe zu verrichten, was sich auf ihre Beurteilung zumindest teilweise vorteilhaft ausgewirkt haben dürfte. Das mag auch die Bemerkung des Generalstabs vom 18. Februar 1943 erklären, wonach nur 3 Nazarener verurteilt wurden und der Rest auf freien Fuß kam.626 Diese Aussage muss allerdings nicht bedeuten, dass in dieser Aktion insgesamt nur drei Nazarener verurteilt wurden, sie kann sich auf ein einzelnes Verfahren beziehen. Dennoch würde auch das im Verhältnis zur Menge der Verurteilten der Zeugen Jehovas in einem Verfahren darauf verweisen, dass man wohlwollender mit ihnen verfuhr. Als im Februar 1943 einer der führenden Nazarener, der etwa 80-jährige Kálmán Kálmán aus Kiskundorozsma (im Süden Ungarns) nach seiner Inhaftierung, möglicherweise in Verbindung mit der Landesaktion, wieder auf freien Fuß kam, wollte das Szegeder Militärgericht von ihm wissen, wie man die Nazarener ins Militär einbinden könnte. Im Februar 1943 sollen daraufhin die oberen Köpfe der Gemeinde die Sache erneut diskutiert haben.627 Am 11. März 1943 wurde ein Schreiben verfasst, das von 22 Nazarenern628 im Namen von 18 Versammlungen mit insgesamt 1 587 Gläubigen629 (vor allem aus dem Süden und Osten Ungarns wie der Batschka und Siebenbürgen, nicht aus Budapest und dem Norden Ungarns) unterzeichnet wurde. Darin erklärten sie unbeirrt unter Bezug auf ihre 1876 bei den Behörden eingereichten Statuten, dass sie wie damals, bereit seien, „jede militärische Pflicht mit der größten Hingabe, mit Eifer, mit der größtmöglichen Treue zu erfüllen, außer mit der Waffe zu dienen“. Sie würden, „egal wo, egal wie, auch unter den schwierigsten Umständen der Sache der Heimat in der Honvéd dienen“. Sie verwiesen als Beweis ihrer Aussage auf den Einsatz von Nazarenern im vergangenen Weltkrieg und darauf, dass „auch in diesem Krieg Nazarener auf dem Schlachtfeld im Einsatz“ waren und schon manch einer von ihnen sein Leben gegeben hatte oder verwundet worden war.630 Wie aus einem Schreiben des Ministerpräsidenten Kállay an den Verteidigungsminister vom 11. April 1942 hervorgeht, hatten sich die Szegeder Militärbehörden schon länger Gedanken um den Einsatz 626 

HM, VKF 1943 eln. 1. oszt. B.250 db. 4636, Bl. 293. Szigeti, szabadegyházak, S. 197. 628  János Katona, Károly Nagy, József Keresztes, Ferenc Z. Nagy, András Boldizsár, Dániel Biró, Ádám Pámer, Henrich Müller, Mihály Vass, Pál Pusztai, András Leginszki, István Nyiri, György Mikovári, Imre Nagy, Ferenc Fülöp, Kálmán Kálmán, János Szabó, Mihály Szabó, K. Huncsinger, János Ördögh, Balázs Farkas und Károly Kovács. 629 Privatarchiv Tibor Gál, Budapest, Beadvány 1943 – 01, Beadvány 1943 – 02. Szigeti nennt 1 797 Glaubensangehörige. Allerdings wurden 2 Versammlungen doppelt aufgezählt (Orosháza mit 140 Personen und Makó mit 70 Personen), was natürlich auch auf jeweils 2 Versammlungen in den Orten hinweisen könnte, aber aufgrund der identischen Anzahl eher nicht der Fall ist. Szigeti, Szabadegyházak, S. 197. 630 Privatarchiv Tibor Gál, Budapest, Beadvány 1943 – 01, Beadvány 1943 – 02. 627 

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der Nazarener gemacht. Dort hatte man vorgeschlagen, die Nazarener als Blessiertenträger und zu technischen Diensten einzusetzen, was das Verteidigungsministerium ablehnte.631 Möglicherweise spielten diese Überlegungen und Verhandlungen in Verbindung mit der Bereitwilligkeit der Nazarener militärische Dienste ohne Waffe zu leisten, eine Rolle im Vorgehen des Generalstabsgerichts gegen die Nazarener. Bezüglich der Rechtssprechung durch das Generalstabsgericht ist festzustellen, dass sich die – wenngleich bisher wenigen – Urteile im groben sehr ähneln, und sich auch das Strafmaß kaum unterscheidet, was auf eine konzertierte Aktion des Gerichts und teilweise vorgefertigte Schriftsätze schließen lässt. Die widersprüchliche Beurteilung des Tatbestandes der Untreue und die unterschiedlichen Urteilsbegründungen, von der Gyula Vargyai spricht, dürften im Vorweg der Großaktion durch das Generalstabsgericht ausgeräumt worden sein.632 Die Rechtsprechung des Generalstabsgerichts in Bezug auf die Strafhöhe dürfte sich Vargyai zufolge auch auf die Urteile unterer Militärgerichte ausgewirkt haben. Dabei verweist er auf Waffen- und Wehrdienstverweigerer und benennt einen Adventisten, der vom Freitagabend bis Samstagabend nicht bereit war, militärische Dienste zu leisten, und deshalb zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.633 Vargyai kommt insbesondere in Verbindung mit den Urteilen zu Zeugen Jehovas in Südungarn und der Karpato-Ukraine zu dem Schluss, dass das Generalstabsgericht grundsätzlich auf der Basis eines deduktiv, abstrakten Tatbestandes urteilte und dabei prinzipiell nicht unmittelbar auf die völlige Aufklärung der Ermittlung angewiesen war, wobei er auf das Urteil in Nagykálló verweist, das noch vor der Großaktion gefällt wurde, aber richtungsweisend war. Eine der üblichsten Stereotypen sei die Formulierung „… die Staatsbürger für die Lehren der Sekte zu Staat, Nation und Militär zu gewinnen und auf diese Weise unter ihren Einfluss zu bringen und damit eine Abneigung gegen militärische Pflichten und insbesondere den Dienst an der Waffe zu entwickeln und damit eine Verweigerung der militärischen Verpflichtungen (kötelezettek) und ihrer Pflicht verursachen und mit dem Brechen des Kriegswillens der Nation …“ den bewaffneten Kräften Nachteile, dem Feind jedoch Vorteile zu verschaffen.634 Wobei ja die Wehrpflichtverweigerung nicht vom Generalstabsgericht, sondern von den üblichen Militärgerichten und auch nicht wegen Untreue nach § 59 MStGB, sondern wegen Befehlsverweigerung § 66 MStGB verurteilt wurde. Vargyai kam allgemein zu dem Schluss, dass Urteile nicht selten politisch motiviert waren, was sicher auch auf die Urteile in Verbindung mit den Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften zutraf. Andererseits wurden Soldaten, die meinten, dass die Deutschen den Krieg nicht gewinnen würden, zu 1 Jahr 2 Monaten verurteilt.635 631 

HM, Elnöki 1942 33.186. Vargyai, S. 365 f. 633  Ebenda, S. 368. 634  Zitiert nach ebenda. 635 Ebenda. 632 

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Vergleicht man das Vorgehen der Behörden mit den Zeugen Jehovas mit dem Vorgehen gegen die Kommunisten waren bereits viele Parallelen festzustellen: Intensive Ermittlungen und Masseninhaftierungen an verschiedenen Orten, schwerste Misshandlungen der Inhaftierten bei Verhören, um Angaben und Geständnisse zu erpressen. Bei beiden Fällen war das Ziel durch Inhaftierung und Verurteilung der führenden Köpfe die Basis zu zerstören, damit die Tätigkeit zum Erliegen kommt. Im Unterschied zu den Anhängern der kleinen Religionsgemeinschaften richteten sich die linksorientierten Bewegungen nicht selten tatsächlich und tätlich gegen die Staatsmacht bzw. gegen die Besatzer. Auch in der territorialen Vorgehensweise gab es Ähnlichkeiten: Zuerst erfolgten Aktionen im Mutterland, dann und mit Macht in den neu hinzu gewonnenen Gebieten. Internierungen wurden vorgenommen, das Generalstabsgericht reiste an den jeweiligen Internierungsoder Sammelort und urteilte dort. In beiden Fällen wurden verhältnismäßig hohe Strafen ausgesprochen, wohl vor allem mit dem Ziel der Abschreckung. Es ist anzunehmen, dass beim Vorgehen gegen die Glaubensanhänger auch der immer schwelende Kommunismusvorwurf eine Rolle spielte. Scheinbar Bestätigung dafür war möglicherweise auch der Umstand, dass die kleinen Religionsgemeinschaften wie die Kommunisten sich in den wieder angeschlossenen Gebieten zuvor hatten gut organisieren können und viele Anhänger hatten und – ebenfalls wie bei den Kommunisten – Druckschriften von dort nach Ungarn geschleust worden waren. Im Gegensatz zu kommunistischen Verurteilten wurden bei den Zeugen Jehovas alle Todesurteile aufgehoben und in lebenslange Haft umgewandelt. Zur Einordnung der Verfahren gegen die Angehörigen der Nazarener und der Zeugen Jehovas ist wiederum die Vorgehensweise gegen linksorientierte und kommunistische Bewegungen interessant – zumal man den Gemeinschaften eine entsprechende Nähe, wenn nicht sogar kommunistische Identität, unterstellte. Aufgrund der Ermittlungen in den dem Land wieder angeschlossenen Gebieten waren Hunderte Kommunismus-Verdächtige festgenommen und interniert worden. Der Militärgeneralstab hatte dem Innenminister am 28. Juni1940 zusammenfassend in Verbindung mit den Ermittlungen gegen die kommunistische Partei bis zum März 1940 815 Festnahmen gemeldet. Auch gegen die Bewegungen in Siebenbürgen wurde 1941 vorgegangen, wobei eine der Verantwortlichen, Júlia Szabó, festgenommen wurde, die unter den schweren Misshandlungen „auspackte“,636 woraufhin es Ende Juni zu umfassenden Ermittlungen in Siebenbürgen kam. Dabei wurden die örtlichen Polizei- und Gendarmeriebehörden miteingebunden – insgesamt sollen 200 Beamte involviert gewesen sein. Die Aktion war erfolgreich, sogar in der Hauptstadt wurden viele Anhänger festgenommen.637 Die bisher in Alag „erfolgreich“ vorgehenden Ermittler wurden nach Szamosfalva, in der Nähe von KoloPintér, S. 67 f. Ebenda. 140 der Festgenommenen kamen im März 1942 vor das Generalstabsgericht (648 vor Zivilgerichte, der Rest wurde interniert). Die Anklage forderte für vier der Anführer (Hillel Kohn, Gyula Rácz, József Fazekas und János Elekes Molnár) die Todesstrafe. Kohn erhielt lebenslänglich, die anderen 15 Jahre. Die restlichen Angeklagten wurden zwischen 1 und 5 Jahren Haft verurteilt. 636  637 

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zsvár, beordert, wobei die Verhöre nicht nur dort, sondern auch in Marosvásárhely, Beszterce, Szatmárnémeti, Nagyvárad, Nagybánya und Dés durchgeführt wurden. Die Verhörmethoden ähnelten denen in Alag. Betroffene berichten auch da von Schlägen mit Gummiknüppeln auf die Fußsohlen oder den Kopf, Anketten, rückwärtiges Aufhängen an den Armen, wobei ihnen wiederum Socken in den Mund gestopft wurden, damit ihre Schreie nicht zu hören waren – Misshandlungen über viele Tage, wobei sich die Ermittler abwechselten.638 Die Strafen variierten von zu 1 bis 12 Jahren Gefängnis oder Zuchthaus, lebenslänglich oder teilweise sogar Todesstrafe. Manch einer wurde nach Deutschland in Konzentrationslager überstellt.639 Solche Fälle gab es bei Angehörigen der kleinen Religionsgemeinschaft auch, wenngleich selten.640 Dennoch konnte man mit dieser Aktion die kommunistische Bewegung nicht völlig ausradieren.641 Die Masseninhaftierungen, -ermittlungen und -verfahren gegen Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften in Ungarn suchen ihresgleichen. Dr. József Klie vom Generalstabsgericht hatte dem Verteidigungsminister am 2. Dezember 1942 berichtet, dass „etwa 1 000 – 1 500 zur Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ gehörende Personen wegen des Verstoßes der Untreue nach § 59 GA III/1930 in den nächsten Wochen verurteilt werden“. Neu, aber ebenfalls bereits im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen kommunistische Bewegungen praktiziert, ist auch die Einrichtung von zentralen Sammelplätzen, wobei Orte wie „Levente-Heime, Schulen, Gemeindegebäude“ oder Kasernen genutzt wurden, in denen von der Gendarmerie Verhöre durchgeführt wurden. Ungewöhnlich ist auch, dass das Gericht zu den jeweiligen Standorten reiste und systematisch nach Fortschreiten der Ermittlungen urteilte. Nach der Hauptverhandlung wurden die Verurteilte zumeist zunächst in zivile Haftanstalten eingewiesen, „weil die Gendarmerie weder für ihre weitere Verwahrung noch Ernährung sorgen kann“.642 Für diese Einweisungen wurde regelmäßig vom Justizministerium gesorgt.643 Prinzipiell aber war es anders angedacht. Die vom Generalstabsgericht Verurteilten sollten grundsätzlich „in milit. Haftanstalten verwahrt werden“. Allerdings waren diese zu dieser Zeit „so überfüllt, dass für eine Aufnahme der einzelnen Verurteilten kein Platz“ war, und daher „ein großer Teil schon seit längerer Zeit in zivile Strafgefängnisse überstellt“ werden musste.644 Die Betreffenden waren aller638 

Ebenda, S. 64 ff.

639 Ebenda.

640  Z. B. MJTA, DOK-31, DOK-32 im Fall von jüdischen Glaubensangehörigen. Ebenda, Aufstellung der Inhaftierten, Stand 2000. Hier werden als Haftorte neben dem KZ Auschwitz unter anderem Bergen-Belsen, Theresienstadt, Dachau, Buchenwald und Ravensbrück erwähnt. JZAD, Aufstellung Inhaftierter und Deportierter aus der Slowakei v. 28.2.2000. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 93. 641  Pintér, S. 67 f. 642  HM, 1942 eln. 13 5167 cs. 27.958 (?), Bl. 5. Az. Kt. 25/42. 643 Ebenda. 644 Ebenda. Pro domo, VM, 21.12.1942. Konkret hatte zum Beispiel das Budapester I. Militärkorpskommando, Strafanstalt Margit körút, am 23. September 1942 den Vertei-

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dings „nur vorübergehend in zivilen Haftanstalten unterzubringen“.645 Aufgrund des Mangels an Wachpersonal, ein großer Teil war an der Front, wurde auch diskutiert, die Verurteilten in Internierungs-, Sammel- oder Kriegsgefangenenlagern unterzubringen, da man diese sowieso bewachte.646 Um dennoch für adäquate Unterbringung zu sorgen, wies der Justizminister die Zivilgefängnisse mit VO 87.844/1942 an: „Hinsichtlich der besonderen Verhältnisse verordne ich, dass man – falls es in dem unter der Aufsicht von Herr Präsident/ kngl. Anwalt stehenden kngl. Gerichtsgefängnis leere Plätze gibt und die Militärbehörde die fehlenden notwendigsten Ausrüstungsgegenstände im Voraus zur Verfügung stellt – eine solche Bitte erfüllen muss, und die Militärhäftlinge von den anderen Häftlingen möglichst getrennt in dem Gefängnis unterbringen muss.“647 Entsprechend erfolgten Überstellungen in verschiedene Zuchthäuser wie Vác für Männer und Márianosztra für Frauen (etwa 70 km von Budapest).648 Offensichtlich war das Unterbringungsproblem zum Ärger des Generalstabs im Januar 1943 noch immer nicht gelöst: „Die betreffenden Sektierer müssten im Prinzip in Strafanstalten untergebracht werden. Ihre Unterbringung in Auffang- oder Gefangenenlagern – in Anbetracht dessen, dass sie hier in Baracken zusammenleben – bedeutet keine Strafe.“ Daher sollten sie innerhalb ziviler Strafanstalten unbedingt Arbeitskompanien zugeteilt werden. Gleichzeitig wird deutlich, dass man digungsminister gebeten, „die Einlieferung der Festgenommenen solange einzustellen, bis erneut Plätze zu vorhanden sind“. Das Fassungsvermögen der Strafanstalt betrug 350 – 400 Mann, bei Übernahme des Gefängnisses waren 989 dort, jetzt 1104. Es fehle nicht nur Bettwäsche, die Küche sei völlig ausgelastet, die Anstalt sei komplett überfüllt. Das Problem wurde durch Überstellung von über 500 Gefangenen in Zivilgefängnisse gelöst. Ebenda, 1942 eln. 13, 5167 cs. 56.500. 645  Ebenda, 1942 eln. 13 5167 cs. Auch die Haftanstalt im Margaretenring meldete im September Überfüllung und bat um keine weiteren Neuzustellungen. „109 Personen wurden ins Nagyvárader Gefängnis, 54 Personen ins Szegeder Gefängnis abgeschoben, 132 Personen wurden Kampfverbänden übergeben, auf Abschub warten 132 Personen in Sonderarbeiterkompanie, ferner sind 150 wegen Untreue festgenommene Personen nach Vác abzuschieben.“ Ebenda, 1942 eln. 13. oszt. 5167 cs., 56.500. Ebenso erging es der Strafanstalt in der Conti Straße (Conti utca). 63 wegen Untreue inhaftierte Frauen sollten daher mit dem Lkw in das Frauenzuchthaus nach Márianosztra überstellt werden. Ebenda, 1942 eln. 13. oszt. 5166, Sammlung. Zunächst hatte man wegen Untreue verurteilte Frauen nicht in das Zuchthaus Márianosztra überstellt, da es „direkt neben der alten tschechoslowakischen Grenze lag“. Wegen Untreue verurteilte Personen hatte man vor allem im Szegeder Csillag-Gefängnis, in dem Vácer kngl. Landeszuchthaus und in dem Gefängnis auf dem Margit-Ring untergebracht. In Márianosztra sollten die Frauen auch zu Arbeiten herangezogen werden wie Unterwäsche herstellen, Strümpfe stricken. Ebenda, 1 311 eln. 13 – 1943 f.1 – 56 6065cs. Ebenda, 1942 eln. 13. o. 5166 gyüjtő. 646  Ebenda, 1942 eln. 13 5167 cs. Ebenda, 1942 eln. 13 5315 cs. 73.444. 647  Ebenda, 1942 eln. 13 5315 cs. 74.194, Schreiben vom 5.12.1942. 648  Ebenda, 1942 eln. 13. 5166 cs. Einweisung durch Justizminister am 4.121.1942 nach Vác, Márianosztra. Zum Beispiel genehmigte der Justizminister am 11. Mai 1943 die Überstellung weiterer 48 verurteilter Zeuginnen Jehovas in das Zuchthaus Márianosztra. Ebenda, 1943 eln. 13. O. 6065 cs. 1311, Bl. 4.

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die Betreffenden von den anderen Häftlingen separieren wollte, wohl auch wegen ihres Einflusses.649 Über die Unterbringung in den Haftanstalten berichtete die Zeugin Jehovas Erzsébet Haffner: „Wir waren ungefähr 80 Schwestern und man pferchte uns alle zusammen in eine Zelle.“ Interessanterweise wären die Zeuginnen frei gekommen, hätten sie mit der Unterschrift unter eine Erklärung, ihrem Glauben abgeschworen. Erzsébet Haffner erinnert sich: „Eines Tages rief mich ein Beamter in sein Büro. Er war außergewöhnlich zuvorkommend. ‚Ich habe gute Nachrichten für Sie, Frau Haffner‘, sagte er. ‚Sie können nach Hause gehen. Vielleicht schon morgen. Wenn ein Zug fährt, sogar schon heute‘ ‚Das wäre wunderbar‘, antwortete ich. ‚Natürlich wäre es das‘, gab er zurück. ‚Sie haben ein Kind, und ich denke, Sie würden sich gern um Ihren Sohn kümmern.‘ Dann meinte er: ‚Sie brauchen hier nur zu unterschreiben.‘ ‚Was ist das?‘, fragte ich. ‚Oh, machen Sie sich keine Gedanken‘, beteuerte er. ‚Unterschreiben Sie einfach, und dann können Sie gehen.‘ Danach sagte er: ‚Sobald Sie daheim sind, können Sie machen, was Sie wollen. Aber jetzt müssen Sie unterschreiben, dass Sie keine Zeugin Jehovas mehr sind.‘ Ich trat zurück und lehnte energisch ab. ‚Dann werden Sie hier eben sterben‘, schrie er ärgerlich und schickte mich weg.“650 Diese Vorgehensweise erinnert an die bereits erwähnte Erklärung, die Zeugen Jehovas in Deutschland in Gefängnissen und Konzentrationslagern vorgelegt wurde, mit deren Unterschrift sie sofortige Freiheit hätten erhalten können. Zum Strafvollzug schrieb Erzsébet Haffner: „Im Mai 1943 wurde ich in ein anderes Gefängnis in Budapest verlegt, und später wurden wir in das Dorf Márianosztra gebracht, wo wir in einem Kloster mit rund 70 Nonnen lebten.“651 Dorthin wurde auch die in dem Verfahren am 14. November in Mohács zu drei Jahren Zuchthaus verurteilte Gáborné Gerencsér (Teréz Gerencsér) verbracht. Wie sie berichtete, wurden sie nicht nur von bewaffneten Nonnen bewacht, sie wurde auch von ihnen bedrängt, ihre „schwere Sünde“ zu bereuen und in den Schoß der Kirche zurückzukehren. Wäre sie dazu bereit gewesen, hätte sie nach Hause gehen können.652 Im Gefängnis konnten bei Ungehorsam zusätzliche Strafen verhängt werden. Z. B. informierte die Gefängnisleitung den Ehemann von Teréz Gerencsér am 22. Februar 1943: „Da Frau Gerencsér sich nicht den Vorschriften der Einrichtung unterwirft, ist ihr nicht erlaubt Briefe zu schreiben und zu erhalten. Auch Besuche kann sich nicht empfangen, bis sie sich an die Regeln hält.“653 Doch schlimmer noch, sie musste über fünf Monate in Einzelhaft und mehr als 20 mal 24 Stunden in einer Dunkelzelle verbringen.654 Noch härter als Márianosztra empfand Erzsé649  Ebenda, 1942 eln. 13. 5167 cs., Bl. o. Nr. Pro-domo-Notiz , Präsidialabteilung 13, vom 21.1.1943, eln. 13., zu Az. 74.194. 650  WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 1.8.2004, S. 19 – 23. 651 Ebenda. 652  Martinkó, Károly: Jehova tanúi, S. 177 – 180. Dirksen, doppelte Diktaturerfahrung, S. 342. 653  Ebenda. UaP Lajos Gerencsér. 654  Martinkó, Jehova tanúi, S. 179.

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bet Haffner das „alte Gefängnis“ in Komárom, wohin sie danach verlegt wurde: „Die Lebensbedingungen dort waren entsetzlich. Ich erkrankte wie viele andere Schwestern an Typhus; ich spuckte Blut und wurde sehr schwach. Es gab keine Arzneimittel und ich dachte, meine letzte Stunde sei gekommen.“655 Das trifft auch auf die Verfahren gegen Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften vor dem Militärgeneralstabsgericht zu. Durch die vorliegende Untersuchung der Ermittlungen und Verfahren können bisher 13 Sammel- bzw. Urteilsplätze belegt werden: Sárospatak, Mohács, Nagykanizsa, Alag, Szeged, Pétervására, Komárom, Újvidék, Szamosfalva, Kolozsvár, Heves/Tiszanána, Hajdudorog und Beregszentmiklós – verstreut über ganz Ungarn und die wiederangeschlossenen Gebiete.656 Möglicherweise hat es noch weitere Verfahren gegeben.657 Wie die Berichte und Dokumente zeigen, muss es sich um eine konzertierte Aktion verschiedener Behörden gehandelt haben. Die Ministerien wie Innen-, Verteidigungs- und Justizministerium, die Polizeibehörden, Polizeidetektive, Zentrale Ermittlungskommandantur der Gendarmerie mit ihren Unterabteilungen, die örtliche Verwaltungsbehörden, die Militärbehörden und der Generalstabchef des Militärs mit seinem Generalstabsgericht, und damit auch indirekt der Reichsverweser, mit dessen Einverständnis der Generalstabschef handeln durfte, waren involviert. Damit ist auch ein Beleg für die Interaktion der Staatssicherheitszentrale mit anderen Behörden, insbesondere mit dem Generalstabsgericht, gegeben. Dass dieser Aktion gegen Zeugen Jehovas und Nazarener die Staatssicherheitszentrale vorstand, wird aus ihrem Schreiben vom 26. September 1942 an Serédi klar, da sie erklärt, die Landesaktion initiiert zu haben.658 Es ist allerdings anzunehmen, dass letztendlich den Militärbehörden, namentlich dem Generalstab, die ja direkten Einfluss auf die Staatssicherheitszentrale hatten, die Oberhoheit in der Aktion zukam. Die ganze Aktion stellt eine Fortführung der bisherigen Anstrengungen der Behörden dar, die kleinen Religionsgemeinschaften zu eliminieren. Es ist sozusagen der Höhepunkt nach all den mehr oder weniger erfolglosen Versuchen wie den verschiedenen Verordnungen zur Einschränkung der Tätigkeit des Innenministeriums hin zur Verbotsverfügung, den Gebrauch der Medien, über die Kooperation der Militärbehörden durch Übermittlung detaillierter Verhörsangaben, die dann zu den konzertierten Aktionen in Budapest, der Karpato-Ukraine und anderen Landesteilen führten, bis hin zu dieser alle und alles vereinenden Aktion der Staatssicherheitszentrale. Möglich gemacht hatten diese Entwicklungen zwei grundlegende Gesetze: 1. GA III/1921, das Ordnungsgesetz, auf dessen Grundlage Verfassungs655  WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 1.8.2004, S. 19 – 23. Auf dem Gebiet der Haft, insbesondere der Inhaftierung von Frauen, gibt es bislang kaum Forschunsarbeiten. 656  HM, 1942 eln. 13. 5167 cs. 73.444, Bl. 1 – 4, Bl. o. Nr. Pro-Domo-Notiz vom 21.1.1943, eln. 13., zu Az. 74.194. 657  Ebenda, 1942, eln. 13. 6065 cs. 1311, Bl. 6. In einer Aufstellung über Verurteilte, die wegen Untreue-Verfahren in das Gefängnis Márianosztra eingeliefert wurden, werden allein Aktenzeichen von 12 Verfahren aufgeführt, darunter wahrscheinlich Verurteilte wegen des Kommunismusvorwurfs. 658  MJTA, DOK-575, Az. 220/1942.

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gesetze im Sinne des Schutzes der gesellschaftlichen und staatlichen Ordnung eingeschränkt werden konnten und 2. GA II/1939, das Verteidigungsgesetz, durch das die Ausnahmegewalt verfügt werden konnte, die alle Gesetze im Interesse des Militärs aushebeln konnte. Wirkten in den 1920er- und 1930er-Jahren auf Grundlage von GA III/1921 die Argumente der Störung der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Moral und des Friedens, aber zunehmend auch der Kommunismusvorwurf kriminalisierend, waren es mit GA II/1939 nunmehr Zuwiderhandlungen gegen militärische Interessen, die so schwer wogen, dass alle anderen Argumente kaum noch Verwendung fanden. Auch die Dimension der Sanktionen der Vergehen weist eine progressive Entwicklung auf von Geldstrafen, kurzzeitigen Inhaftierungen, Polizeiaufsicht, über Internierungen zu langen Zuchthausstrafen bis zu lebenslänglich. Ob und inwiefern die Staatssicherheitszentrale direkt auf die Verfahren und das Strafmaß Einfluss hatte, ist unklar. Hatte man bereits mit den gezielten Aktionen von Verteidigungs- und Innenministerium 1940/41 beachtliche Erfolge beim Aufdecken noch tätiger Anhänger erzielt, konnte aber die Tätigkeit nicht einstellen, sollte nunmehr durch ein Aufrollen der gesamten Organisation der Gemeinschaften die Angelegenheit vollständig erledigt werden. Der Erfolg der Landesaktion, verbunden mit Internierung und Aburteilung von Zeugen Jehovas und Nazarenern durch das Generalstabsgericht zu hohen Freiheitsstrafen, lässt sich an der weiteren Berichterstattung der Behörden ablesen. Um sicher zustellen, dass tatsächlich alle Anhänger der Gemeinschaften ausgeschaltet wurden, hatte sich zum Beispiel der Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely Mitte Dezember 1942 an die Gendarmeriekommandanturen und die Kreisnotare mit einem Aufruf zur Überprüfung der Angelegenheit „Unterbindung der Tätigkeit der die militärischen Interessen gefährdenden Sekten“ gewandt und sie zur weiteren Wachsamkeit und Berichterstattung angewiesen.659 Darauf rapportierte die Gendarmerie von Kassa am 4. Januar 1943: „In den zum oberen Truppenbereich gehörenden Gemeinden, Pácin und Kárcsa, gibt es zurzeit keine nicht anerkannten Sekten (Zeugen Jehova Gottes und Pfingstler).“ Es käme auch „niemand im Sinne des Aufrufs infrage, unter polizeiliche Aufsicht gestellt und interniert zu werden. In der Gemeinde Kárcsa gibt es 25, in der Gemeinde Pácin 3 Personen, die Baptisten sind, aber sie haben bis jetzt keine gegen das Gesetz verstoßende Handlung verübt. Im Sinne des Aufrufs beobachtet der Trupp die Tätigkeit der Sekten und lässt beobachten, im bedeutenden Fall werde ich sofort Bericht erstatten.“660 Am 6. Januar ergänzte die Gendarmerie von Kassa, dass „die Kontrolle der Sekten ununterbrochen durchgeführt“ würde, alle, bei denen die Gefahr bestünde, sich „den Sekten anzuschließen, stünden unter Polizeiaufsicht. Die Beamten würden regelmäßig berichten und im Falle einer Auffälligkeit sich außer der Reihe sofort

659 MJTA, DOK-281, DOK-262, Aufruf vom 17.12.1942, Az. 4.689/1942, DOK-245, DOK-246, DOK-247, DOK-248, DOK-249, DOK-250, DOK-271 zu Az. 4.699/1942, ebenfalls vom 17.12.1943, DOK-251, Az. 4.690. 660  Ebenda, DOK-262.

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melden.661 Bereits 28. Dezember 1942 hatte der Kreisnotar von Karcsa dem Oberstuhlrichter gemeldet, dass solche Sekten in dem Gebiet nicht tätig seien.662 Ähnlich reagierte der Kreisnotar von Nagykövesd am 2. Januar 1943, wenn er feststellte, dass in seinem Gebiet keine Sekten tätig seien, da weder der Gendarmerie noch den Geistlichen etwas zu Ohren gekommen sei.663 Am 6. Januar ergänzte dazu die Gendarmerie, dass es bisher keine Sektentätigkeit in Nagykövesd gäbe und „diejenigen, die zu ihrer Religion zurückgekehrt sind, gehen regelmäßig zur Kirche“.664 In ähnlicher Weise erklärte der Kreisnotar von Bors, es gäbe „keine Sektierer“ in Nagybári és Gyopáros und dass die, „die in den Schoß der Kirche zurückgekehrt sind“ unter „dauernder Beobachtung“ stünden.665 Keine Sekten in Bodzásújlak, so der Kreisnotar am 5.1.1943.666 Ähnliche Meldungen kamen am 8. Januar 1943 aus Alsóbereck,667 am 9. Januar aus Ladamóc668 und aus Bodrogszerdahelyi669 und am 8. März 1943 aus Alsómihályi.670 Auch der Generalstab kam zu dem Schluss, die Aktion könne eingestellt werden. In einer Notiz vom 18. Februar 1943 heißt es daher: „Meiner Feststellung nach ist die landesweite Ermittlung gegen Jehova Gott Zeugen und Nazarener beendet.“ Man erklärt weiter, neue Ermittlungen würden nicht befohlen.671 Möglicherweise ist auch die Aufstellung der Gendarmerie, Zentrales Ermittlungskommando, die sich in den Akten des Generalstabs befindet, vom 30. April 1943 im Zusammenhang mit der Landesaktion zu sehen, aus der hervorgeht, dass seit 7. August 1942 198 Akten in Verbindung mit „Sektentätigkeit“ dem Innenminister übersandt wurden, namentlich 33 Fälle von „Jehova Gott Zeugen“, 30 Nazarener, 3 Pfingstlern, 10 „Sabbatisten“, 18 „Pokait“, 84 Gottesversammlung, 20 der „Vereinigung der ungarischen Bibelnachfolger“ (also Adventisten).672 Es ist durchaus vorstellbar, dass man im Zuge der Ermittlungen gegen Jehovas Zeugen und Nazarener auch andere unliebsame Gegner wie Anhänger der wehrdienstverweigernden Reformadventisten (Sabbatarier) dingfest gemacht hat. Noch am 2. Dezember 1942 hatte der Innenminister mit seinem Rundschreiben 539.904/1942.VII.b die Munizipialbehörden wie auch die Verwaltung in der Karpato-Ukraine und die Grenzbehörden dazu aufgefordert, ihre „untergeordneten Behörden /Kommandanturen/ anzuweisen, den Wiederbeginn der Tätigkeit der 661 

Ebenda, DOK-276. DOK-250. 663  Ebenda, DOK-251. 664  Ebenda, DOK-261. 665  Ebenda, DOK-247. 666  Ebenda, DOK-249. 667  Ebenda, DOK-245. 668  Ebenda, DOK-246. 669  Ebenda, DOK-248. 670  Ebenda, DOK-271. 671  HM, VKF 1943 eln. 1. oszt. 4636. Einlegebogen des Generalstabschefs zur Sache 4636/42 vom 18.2.1943. 672  Ebenda, 1943 eln. I, 5745 cs. 31.572, Bl. 36. 662  Ebenda,

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aufgelösten Sekten […] energisch zu verhindern […] und durch unter polizeibehördliche Aufsichtsstellung bzw. unter polizeibehördliche Ingewahrsamnahme / Internierung / die Tätigkeit der Mitglieder der aufgelösten Sekten unmöglich zu machen.“ Es sei ihm berichtet worden, dass die verbotenen und aufgelösten „Glaubensgemeinschaften, Sekten ihre Organisationen erneut auszubauen beginnen, und durch diese, ferner durch die Agitation in ihren Presseprodukten die bestehende Ordnung des Staates und der Gesellschaft heftig angreifen und ihre männlichen Mitglieder zur Verweigerung des Militärdienstes anspornen. Man muss besonders die erneute Tätigkeit der Sekten Zeugen Jehova Gottes und Pfingstler verhindern, weil die meisten Berichte von derer erneuten Tätigkeit eingegangen sind.“673 Das Bürgermeisteramt von Miskolc wandte sich mit diesem Schreiben am 14. Dezember an die erstinstanzlichen Gerichte.674 Am 11. März 1943 musste er sie zur Stellungnahme darauf mahnen. Möglicherweise hatte es bis dahin keine nennenswerten Vorkommnisse gegeben.675 Am 17. Juni erging eine Meldung des Amtsgerichts Miskolc, wonach „bei der durchgeführten Ermittlung festgestellt wurde, dass die verbotenen Sekten in Miskolc keine Tätigkeit ausüben“.676 Auch Behörden aus anderen Regionen schienen die Tätigkeit der Gemeinschaften im Griff zu haben. Am 11. August 1943 berichtete dann der Oberstuhlrichter von Sátoraljaújhely dem Vizegespan in der Sache, dass in seinem Zuständigkeitsgebiet „die aufgelösten Sekten weder offen noch heimlich tätig“ seien. Er habe die „Sektenanführer interniert, die anderen Mitglieder unter Polizeiaufsicht gestellt, woraufhin viele Sektierer zurückkehrten in ihre frühere rezipierte oder gesetzlich anerkannte Religionsgemeinschaft“. Er würde aber die Haltung der Betroffenen „weiter beobachten und alles dafür tun, dass die Zahl der Sektenanhänger weiter schrumpft“.677 Allerdings zeigen einige Vorgänge, dass das nur scheinbar der Fall war. Davon zeugt der Beschluss des Oberstuhlrichters von Bodrogköz vom 21. Dezember 1942 gegen die Zeugin Jehovas Eszter Kulcsár, über die am 8. Mai 1942 wegen Verbreitung ihrer Glaubenslehren Polizeiaufsicht verhängt worden war. Nach Überprüfung der Sachlage wurde festgestellt, dass die Polizeiaufsicht um weitere 6 Monate verlängert werde, da sich ihre „Haltung nicht gebessert“ habe.678 Das gleiche traf auf eine weitere Zeugin Jehovas, Istvánné Kulcsár, zu.679 Beide Beschlüsse wurden vom Vizegespan von Zemplén am 13. Januar 1943 bestätigt.680

673  MNL Borsod-Abaúj-Zemplén, Miskolc, IV. 1906. 8786/1943. Eingangsstempel vom 7.12.1942, Az. 47.514/1942. 674 Ebenda. 675  Ebenda, Az. 8786/ki.1943. 676  Ebenda, Bezug auf Az. 8786/ki 1943. 677  MJTA, DOK-281. 678  Ebenda, DOK-313. Az. 392/1943. 679  Ebenda, DOK-311. Az. 391/1943. 680  Ebenda, DOK-311, DOK-313.

H.  Internierungen und Untreue-Verfahren

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Am 1. Mai 1943 meldete das Szatmárnémeter Polizeipräsidium dem Innenministerium, Abt. Öffentliche Sicherheit, die Entdeckung eines Rundschreibens von Zeugen Jehovas, das aber ganz offensichtlich nicht verstanden wurde. Dieser Brief vom 25. März 1943, der am 13. April 1943 in Kolozsvár aufgegeben wurde, war getarnt als ein Brief unter Freunden bzw. Bekannten, obwohl die Anrede im Brief unerwartet von „du“ auf „Sie“ wechselt. Darin hieß es auszugsweise: „Meine Lieben. Wie zufrieden bin ich, dass ich von Euch neulich Lebenszeichen mit den Zeilen von Ferenc vom 13.2. erhalten habe. […] Am 19. April wird der Jahrestag des Todes meines älteren Bruders sein, und dass meine Gedanken immer bei ihm sind, das können Sie sich vorstellen. Das Opfer, das er brachte, wird nicht vergeblich für uns alle sein, weil er für die Wahrheit kämpfte. [Wahrscheinlich handelt es sich hier um Jesus, dessen Todes gedacht wurde.] Oh es gäbe genug, was man Ihnen erzählen müsste, was man aber im Brief nicht machen kann. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass wir wach sind und noch viel zu tun haben [also aktiv waren und weitermachten]. Wenn der Himmel will, werde ich mit meinen Angehörigen zu den gewohnten Osterfeiern [Tarnbezeichnung für die Feier zum Gedenken an Jesu Tod, die offensichtlich geheim abgehalten wurde] fahren. Wir freuen uns immer, wenn wir wieder zusammen sein können.“ Dann erging die Aufforderung: „Ich bitte Euch, teilt den lieben Bekannten und Verwandten den Jahrestag des Todes unseres geliebten Bruders mit, damit wir alle mit einem Herz und einer Seele, einander vergebend, an diesem HEILIGEN ABEND [wieder ein Bezug auf den Todestag Jesu, das Abendmahl oder die heilige Nacht] des Gedenkens mit der unzerreißbaren Klammer der Liebe wieder zusammenschweißen.“ Der Schreiber bat in dem Rundbrief die Empfänger offensichtlich, anderen den Abendmahlstermin weiterzugeben, sodass alle gemeinsam, wenngleich örtlich getrennt, feiern konnten. Dass es sich hier um einen Deckbrief handelte, war den Behörden klar. Aber abgesehen davon, dass sie den Inhalt nicht verstanden, konnten sie auch nicht herausfinden, wer ihn aufgegeben hatte. Da der Brief auf dünnem Schreibmaschinenpapier geschrieben war, schloss man auf Vervielfältigungen davon. Die Behörde stellte fest: „Der Text des Briefes ist ähnlich den üblichen symbolischen und mit Deckworten geschriebenen Briefen bzw. Presseprodukten. […] Der Brief ist ein Beweis dafür, dass die Mitglieder der Bewegung immer noch Kontakt zueinander haben und Tätigkeit ausüben.“681 Er war allerdings auch ein Beleg für die Briefkontrolle durch die Behörden. Immer wieder gab es auch Meldungen über das Verhängen von Polizeiaufsicht wie im Komitat Zemplén am 17. Mai 1943 über zwei Frauen, „wegen gefährlicher Sektentätigkeit für die verbotenen Zeugen Jehovas“.682 Oder im Fall von Personen, 681 

MOL, K149 – 1943 – 8 – 8275, Bl.  20  f. DOK-308. Beschluss des Vizegespans, Komitat Zemplen vom 17.5.1943. Ähnlicher Fall ebenda, DOK-310. Beschluss des Vizegespans, Komitat Zemplen vom 31.5.1943, Kun Bertalan unter Polizeiaufsicht zu stellen. Ebenda, DOK-304, Beschluss des Vizegespans, Komitat Zemplen vom 7.6.1943 gegen Frau Józsefné Gombos und Mária Fec­ só. Ebenda, DOK-305. Beschluss des Vizegespans, Komitat Zemplen vom 9.6.1943 gegen József Gombos. Wie diese hohe Anzahl Verwaltungsvorgänge aus einer Gegend zeigen, muss es dort noch zu Aktivitäten gekommen sein. 682 MJTA,

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deren Internierung aufgehoben und sie daraufhin unter Polizeiaufsicht kamen.683 Gleichzeitig gab es auch hin und wieder Wehrdienstverweigerer. In ihrem Fall versuchten die Militärbehörden durch eine genaue Befragung noch tätige Personen aufzuspüren. Wie das Verhörsprotokoll des MG Kassa vom 28. Oktober 1943 von dem Zeugen Jehovas György Visnyai aus Felsőnémeti (Oberungarn, slowakisch Vyšné Nemecké) zeigt, scheint man auch nach noch aktiven Frauen gefragt zu haben, da dieser erklärte, keine Anhänger der Gemeinschaft in seiner Gegend – auch keine Frauen – zu kennen.684 Der Oberstuhlrichter von Máramarossziget erklärte noch am 3. Oktober 1944, dass „die verbotenen Sekten“ nicht mehr zusammenkämen, „und wenn dann nur geheim und an bisher nicht feststellbaren Orten“.685 Den Behörden war es also tatsächlich gelungen, die Tätigkeit der Bewegungen maßgeblich einzuschränken und die der Zeugen Jehovas und Nazarener zumindest in der Öffentlichkeit zum Erliegen zu bringen. Es gab während der letzten Jahre des Krieges 1943 – 1945 keine nennenswerten Aktionen mehr. In der Masse waren die Maßnahmen erfolgreich. Am Ende waren alle Religionsgemeinschaften mehr oder weniger von den staatlichen Einschränkungen betroffen, wenngleich Nazarener und besonders die Zeugen Jehovas im Mittelpunkt standen. So musste die STA auch unter dem neuen Namen Ungarische Bibelnachfolger trotz der verbunden mit der Loyalitätsbekundung 1941 erteilten Tätigkeitserlaubnis neben einem kurzfristigen Verbot 1942 verschiedenenorts auch immer wieder Einschränkungen hinnehmen. Auch die Tätigkeit der Heilsarmee wurde vorübergehend verboten. Die Nähe zu Pfingstgemeinden brachte teilweise auch der methodistischen Kirche Probleme, vor allem dann, wenn sie Pfingstgemeinden Anschluss gewährte. Selbst den gesetzlich anerkannten Baptisten wurden aufgrund von Zuordnungsproblemen Schwierigkeiten gemacht. Auffällig ist, dass von den Turanern oder den Ibrányiern in den Dokumenten namentlich nicht mehr die Rede war.

J.  Militärdienstverweigerung während der Kriegszeit Die 1940er-Jahre knüpfen nahtlos an die Politik der Militärbehörden im Umgang mit Verweigerern des vergangenen Jahrzehnts an. Das zeigt sich auch – wie die vorliegenden Untersuchungen belegen – im gemeinsamen Vorgehen mit den Zivilbehörden gegen die Anhänger „antimilitaristischer Sekten“, denen vorgeworfen wurde, militärische Interessen zu gefährden, deren Relevanz durch GA II/1939 verstärkt wurde. Der Einfluss militärischer Kräfte auf zivile hatte noch im Dezember 1939 zu der Verbotsverfügung des Innenministeriums gegen die, die „Interessen der Landesverteidigung gefährdende Tätigkeit von Sekten“ geführt, wie unter anderem der Artikel des juristischen Mitarbeiters des Verteidigungsminis683 

Ebenda, DOK-307. Beschluss des Vizegespans, Komitat Zemplen vom 3.12.1943. HM, 1943 eln. 13 6064 cs. ?, Az. Hb.1729/43. 685  MOL, K150-VII-6 1944, Bl. 9. 684 

J.  Militärdienstverweigerung während der Kriegszeit

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teriums Frigyes Kormann belegt.686 Für die Umsetzung des Verbots wurde ab 1940 von ziviler wie militärischer Seite gesorgt – und das, obwohl Kormann in seinem Artikel noch 1940 darauf hinwies, dass Religionsfreiheit ein „Bestandteil der ungarischen Verfassung“ sei. Kormann hatte aber eingeschränkt, dass gemäß § 3 GA XLIII/1895 niemand von der Erfüllung gesetzlicher Pflichten enthoben sei und daher der religiösen Freiheit zum Schutz der Interessen der Gemeinschaft Grenzen gesetzt werden müssten. Abgesehen davon, dass bereits GA II/1939 die verfassungsmäßige Religionsfreiheit liquidierte, lieferte die Verbotsverfügung eine „juristische Grundlage für den Schutz gegen antimilitaristische Sekten“. Das unterstreicht einmal mehr den dominanten Einfluss des Militärs auf verfassungsrechtliche Entscheidungen. Die militärischen Interessen bestimmten damit die Religionsfreiheit Angehöriger kleiner Religionsgemeinschaften. Nur den rezipierten bzw. gesetzl. anerkannten Gemeinschaften wurde „eine besondere und privilegierte rechtliche Situation zugesichert“, da sie die militärischen Interessen unterstützten, weshalb man auch sehr bemüht war, die Verweigerer zur Rückkehr in eine dieser Kirchen zu bewegen.687 In diesem Gesamtkontext ist auch der Umgang mit und die Behandlung von Verweigerern durch die Militärbehörden zu sehen. Bezüglich der Gefährlichkeit gab Kormann neben den Nazarenern, Adventisten, der Gottesversammlung, den Urchristen und den Pfingstlern den Zeugen Jehovas den Vorrang, wobei auch er sie mit marxistischen Lehren und damit dem Kommunismus in Verbindung brachte, was die sehr gezielten gemeinsamen Aktionen von Militär- und Zivilbehörden gegen die Anhänger erklärt. Wie die nachfolgenden Beispiele belegen, kamen die meisten Verweigerer aus den Reihen der Zeugen Jehovas; viele weitere waren Nazarener, einige Reform-Adventisten. Verschiedentlich verweigerten Siebenten-Tags-Adventisten Tätigkeiten am Samstag. Nur selten lassen sich andere Verweigerer nachweisen. An der Haltung der Glaubensanhänger zum Militärdienst änderte sich nach der Verschärfung der Situation durch GA II/1939 – auch im Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch – und durch die Verbotsverfügung kaum etwas, was wiederum unterstreicht, dass sie tatsächlicher Glaubens- bzw. Gewissensüberzeugung entsprang. Parallel zu den Maßnahmen der zivilen Behörden und in Verbindung damit lassen sich vor allem 1940 und 1941 viele religiöse Verweigerer nachweisen, was zeigt, dass die zusätzlichen Maßnahmen der Militärbehörden aus den Dreißiger Jahre wenig oder nicht gegriffen hatten. Auch für 1942 lassen sich bisher einige Verurteilungen nachweisen, 1943 dann weniger, 1944 bisher gar keine.688 Das ist wohl vor allem auf die konzertierte Vorgehensweise und die landesweite Aktion der Behörden gegen die Anhänger der Gemeinschaft zurückzuführen, in deren Folge die Aktivitäten mehr oder weniger zum Erliegen kamen bzw. viele Glaubensanhänger bereits inhaftiert worden waren. Das bestätigt auch die Aussage 686 

Kormann, S.  773 – 782.

687 Ebenda.

688 Abgesehen von Dokumenten über Hinrichtungen unter dem Szálasi-Regime aufgrund von Standgerichtsurteilen.

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von Janó Mihály Korpa aus Ungvár vom 25. November 1942 vor dem MG Kassa. Er erklärte dass der größte Teil der Glaubensangehörigen bereits in Lagern interniert war.689 Teilweise wurden aber auch Internierte zum Dienst herangezogen wie József Kapocska, der als Zeuge Jehovas vom 24. Mai 1941 bis 12./13. November 1943 im Internierungslager in Nagykanizsa war, und von dort zu einer Einheit nach Nyíregyháza gebracht wurde. Er verweigerte jede Art Militärdienst und nannte nur Namen derer, die mit ihm bereits interniert waren.690 Hinsichtlich der Anzahl der Verweigerer und der Beurteilung der Einberufungspraktik muss allerdings auch eingeräumt werden, dass kriegsbedingt Unterlagen abhanden gekommen sind. Die umfangreiche Untersuchung der gezielten Aktionen gegen Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften in den politisch und militärisch wichtigen annektierten Gebieten – also vor allem in der Karpato-Ukraine, Oberungarn und Siebenbürgen – belegt die Zusammenarbeit des Militärs mit Zivilbehörden und dessen Interesse an der Einstellung der Tätigkeit der den Waffendienst verweigernden Anhänger. Eine größere Anzahl von Verweigerern Anfang der 1940er-Jahre kam aus diesen Gebieten. Dazu gehören auch die bereits im Zusammenhang mit der Aktion in den annektierten Gebieten genannten Zeugen Jehovas József Czébely aus der Gegend von Máramaros (Karpato-Ukraine),691 Mihály Pleskói692 und János Jancsó693 aus Oberungarn, Péter Gabóda aus Szolyva694 und Endre Orosz aus der Gegend von Nagybereg/Ungvár,695 Karpato-Ukraine, László Drága aus Nagylucska696 und János Plantis aus der Gegend von Máramaros,697 ebenfalls Karpato-Ukraine, die im Mai/Juni 1940 eingezogen wurden, oder Pál Vendély, der im September dem Gestellungsbefehl nicht nachkam und andere.698 Auch aus dem restlichen 689  HM, 1943 eln. 13 6577 cs. 437.717. Er war bereits im Oktober 1941 wegen „Hetze gegen die Levente“-Organisation zu 2 Monaten Zuchthaus verurteilt worden. 690  Ebenda, 1943 eln. 13 6175 cs. 577.105. 691  Ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. 74.849. 692  (Auch Pliszkó oder Pleszkó). Ebenda, 1942 eln. 13. 5553 cs. Hb.235/40/7. 693  Ebenda, 1940 eln. 13 3508 cs. 455.031. 694  Ebenda, 1942 13. oszt. 5545 cs. Er wurde als Totalverweigerer im Juli 1940 vom MG Debrecen zu 1 Jahr 2 Monaten Haft verurteilt. 695  MOL, K150-VII-6 – 1940 (1939 – 1940). 696  HM, 1940 eln. 13. 3814 cs. 413.226. 697  Gemäß Verhörsprotokoll war er dadurch zu der Überzeugung gekommen: „Wer zur Waffe greift, wird durch die Waffe umkommen.“ Daher lehnte er jeden Dienst ab. Offensichtlich hatte er sich schon in der tschechischen Armee so entschieden, denn er war bereits von den tschechischen Behörden zu 30 Tagen Zuchthaus verurteilt worden. Ebenda, 1940 13. oszt. 3810 cs. 486.466. 698  Ebenda, 1941 13. oszt. 4675 cs. 530.495. Darüber hinaus bisher nicht genannte Zeugen Jehovas wie Kálmán Soós aus der Gegend von Ungvár, dessen große Familie sich zur Gemeinschaft bekannte (MOL, K149 – 1940 – 7 – 5018)., István Bartha (HM, 1940 13. oszt. 3803 cs. 491.296. Einberufen zum Juli 1940) und Bálint Gorondi aus Oberungarn, einberufen zu einer 28-tägigen Wehrübung (ebenda, 1942 13. oszt. 5548 cs. 466.568. Einberufen zum 18.5., am 24.5. festgenommen und mit Gewalt eingekleidet), István Jakab aus Mezőkaszon (Ukrainisch Koson) (ebenda, 1940 13. oszt. 3807 485.827), Albert Márton und oder János Korpa-Ondó (auch Ján Korpa-Ondo) aus Oberungarn (ebenda, 1941 eln. 13 4335 cs. 73.557),

J.  Militärdienstverweigerung während der Kriegszeit

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Land lassen sich einige Verweigerer belegen.699 Dass sich in den Unterlagen vor allem einberufene Zeugen Jehovas aus den annektierten Gebieten befinden, mag den Zusammenhang mit den Aktionen belegen. Andererseits waren bereits vor der Annexion viele von ihnen aus dem Mutterland einberufen und inhaftiert worden. Im Fall der Nazarener kamen die Einberufenen vor allem aus den nicht annektierten Gebieten, was auch darauf zurückzuführen ist, dass sich Versammlungen der Nazarener vor allem hier, das heißt insbesondere in Budapest und Südungarn, konzentrierten.700 Es lassen sich auch zwei Reformadventisten nachweisen, die den Dienst an der Waffe verweigerten.701 Mit Kriegseintritt Ungarns am 11. April 1941 kam es zu weiteren Einberufungen und Verweigerungen.702 János Király aus Gát/Bereg (Karpato-Ukraine) (Er gab an, im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient zu haben. Gemeinsam mit seiner Frau war er 1939 aus der reformierten Kirche ausgetreten war, wo er als eine Art Kurator fungiert hatte), ferner János Tatinecz (ebenda, 1940 13. oszt. 3812 cs. 485.327) und László Rubis aus Munkács, die im Juli 1940 den Wehrdienst verweigerten (ebenda, 1942 13. 5553 cs. 455.940. Ebenda, 1942 13. oszt. 5553cs. 45590). 699  Das betraf András Zaffián (ebenda, 1940 eln. 8 3813 cs. 486.978) und János Kis Papp (ebenda, 1940 13. oszt. 6576 cs. 491295) aus dem Nordosten des Landes sowie Imre Lantos (ebenda, 1941 13. oszt. 4669 cs. 444.697. Der Familienvater, der schon seit 1922 den Zeugen Jehovas bzw. Bibelforschern angehörte, seine Frau seit ihrer Kindheit, wurde am 29. Juli 1940 aufgrund von mildernden Umständen zu nur 3 Monaten verschärfter Zuchthaushaft verurteilt. In der Befragung hatte er weitere Personen genannt, die sich schon seit 1912 zu der Gemeinschaft bekannten) und János Mihály (ebenda, 1941 13. oszt.4669 cs. 546.115 o. 546153) aus dem Süden, die 1940 den Dienst verweigerten und verurteilt wurden, im März 1941 István Boros aus Sárospatak, dem Norden Ungarns, der die Waffenannahme trotz mehr­facher Befehle vor versammelter Truppe abgelehnt hatte (MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230. Verhörsprotokoll vom 19. März 1941). 700  Bekannt sind die Verurteilung von János Virág im Juni 1940 (HM, 1940 13. oszt. 3813 cs. 464.618), von Imre Makra aus der Gegend von Szeged im August 1940 (ebenda, 1941 eln. 13 4336 cs. 495), von Péter Borombos aus Battonya, östlich von Szeged, im August 1940 (ebenda, 1941 13.oszt. 4661 cs. 473.573. Das Gericht sah darin einen Rückfall, erschwerend in Verbindung mit der Tat seien auch „die außergewöhnliche Umständen dieses Jahr“, womit wohl der Krieg gemeint war), von András Szakáli, der im August 1940 Eid und Waffendienst ablehnte (ebenda, 1940 13 oszt. 3812 cs. 503.904), und die Inhaftierung von Lajos Ágoston im Juni 1940 (ebenda, 1940 13. 3803 cs. 470234), im Dezember 1940 von Sándor Bujdosó aus Nyíregyháza/Ostungarn (ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. 25.513. Beim Verhör hatte er angegeben, dass es in seiner Heimat 30 weitere Glaubensangehörige gab. Er wurde am 3. Juli 1941 vom MG Kassa zu 1 Jahr 2 Monaten Haft verurteilt) und Mó­ zes Kurucz aus Südungarn, die beide 1941 verurteilt wurden (ebenda, 1941, 13. oszt. 2835 cs. 443.032. MG Szeged zu 1 Jahr 6 Monaten verurteilt. Der Vater hatte um vier Monate Haftunterbrechung gebeten, was am 14.6.1941 abgelehnt wurde – schon aus dem Grund, da Kurucz sich zu den Nazarenern bekannte). 701  Béla Baumann, er wurde im Dezember 1940 zu 1 Jahr 2 Monaten verurteilt (ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. 16.901) und János Szabó, ihn verurteilte das MG Kolozsvár am 28. April 1941 zu 2 Jahren Haft (ebenda, 1941 eln. 13 oszt. 4339 cs. 38.267).. 702  Darunter der aus der Karpato-Ukraine kommende Zeuge Jehovas Lajos Szmolyák, der im Juni 1941 den Dienst verweigerte (MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 55 – 58), der 21-jährige aus Óverbász/Serbien stammende Nazarener Frigyes Judt, der im November

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Unter den Wehrdienstverweigerern befand sich auch ein Baptist, was eher die Ausnahme war, da die Glaubensansichten der Baptisten nicht prinzipiell mit dem Militärdienst kollidierten. Ferenc Ploszkina, der sich erst seit 1940 zur baptistischen Kirche bekannte, hatte verweigert, den Eid abzulehnen, was den Unterlagen zufolge aber auch an Sprachproblemen gelegen haben könnte. Gleichzeitig lehnte er auch den Waffengebrauch mit Bezug auf die baptistische Lehre ab. Inwiefern auf ihn eingewirkt wurde und ob er möglicherweise auch mit baptistischen Glaubensansichten konfrontiert wurde, die es erlauben, Militärdienst zu verrichten, ist unklar, aber naheliegend. Wie aus dem Verhörsprotokoll vom 2. Mai 1941 hervorgeht, wusste er nicht genau, ob er „gemäß der Lehre der Baptisten die Waffe in die Hand nehmen“ dürfe, seiner Kenntnis nach sei das nicht möglich, und er wolle ein guter Mensch sein. Dann aber erklärte er, den Gesetzen des Staates nachkommen zu wollen, und daher bereit zu sein, jeden anderen militärischen Dienst zu verrichten, auch dann, wenn es Menschenleben koste. Er sei auch bereit, jederzeit den Eid abzulegen, und bereue seine Taten.703 Möglicherweise lag die in sich unstimmige 1941 den Dienst an der Waffe verweigerte (HM, 1941 13. oszt. 4666 901.585), der Zeuge Petre Munte (oder Péter Muntye) aus Nagyvárad/Siebenbürgen erklärte im Dezember 1941, keine Waffe in die Hand zu nehmen (ebenda, 1942 13. oszt. 5557cs. 421.708), der 22-jährige Zeuge György Furman aus Szentmihálykörtvelyes/Karpato-Ukraine, der im Januar 1942 verweigerte (ebenda, 1942 13. oszt. 5547, 430.063. Bei seiner Befragung nennt er nur Namen bereits Inhaftierter), ferner der 22-jährige Zeuge István Pankovics aus Bodrogszerdahely/ Oberungarn (ebenda, 1942 13. oszt. 5553 cs. 455.942. Im Verhörsprotokoll vom 5.2.1942 gab er an, wie verschiedene andere, offensichtlich nach seinem Standpunkt zum Staat befragt, er habe keinen Zorn gegen die heutige Gesellschaftsordnung, er mische sich nicht ein. „Wenn Gott will, existieren sie, wenn Gott nicht will, wischt er sie weg.“) und der Zeuge Kálmán Ur aus Kisdobrony/Karpato-Ukraine (ebenda, 1942 eln. 13 5550 cs. Er erklärte im Verhörsprotokoll vom 10.2.1942 nicht deshalb Zeuge Jehovas geworden zu sein, weil er Angst vor dem Militärdienst habe. Er sei bereit egal wo zum Wohle der Menschen zu arbeiten. Als Mitgläubige verriet er nur die Namen schon Inhaftierter (Kálmán Soós, János Ujvári)), die im Februar 1942 verweigerten, im März dann die Zeugen Márton Bojtos aus Pétérvására (ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. 73.368) und Péter Balogh aus Pap im Norden Ungarns (ebenda, 1942 13. oszt, 5545 cs., 490.951. Auf dem Deckblatt der Akte im Verteidigungsministerium war in Großbuchstaben „SZEKTA“ [Sekte] vermerkt worden). Im Mai 1942 verweigerten die Nazarener János Laczkó (ebenda, 1942 5551 cs. 489.269) und József Farkas den Dienst an der Waffe (Herkunft unbekannt. Ebenda, 1942 13.oszt. ?? cs. 476.307), im Juni Ádám Litvai aus Újvidék/Batschka (ebenda, 1943 eln. 13 6579 cs. 488.469. Er wurde zu 1 Jahr 6 Monaten Haft verurteilt), im August János Katona (ebenda, 1941 eln. 13 4335 cs. 62.083. Er verweigerte neben dem Eid und den Dienst an der Waffe, Übungen mit Tellerminen), im September Bálint Biró aus Nagyecsed/Ostungarn (ebenda, 1941 eln. 13. 4337 cs. 16.091, Az. H.57./41. Auch er hatte angegeben, dass es in Nagecsed zahlreiche Glaubensanhänger gab. Er hatte verweigert, den Eid abzulegen und an Wehrübungen teilzunehmen. Entgegen den Anordnungen wurde er nicht gleich inhaftiert, und kam, obgleich ihn das Feldgericht der Karpateneinheit am 1.9.1941 zu 1 Jahr 1 Monat Haft verurteilt hatte, bei Hilfsdiensten zum Einsatz, die er anstandslos versah) und im November András Márjás (Herkunft unbekannt. Ebenda, 1941 13. oszt. 4669 cs. 546.115 oder 546153. Er wurde im November 1941 vom MG Szeged verurteilt).. 703  Ebenda, 1941 13. oszt.4671 cs.??

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Aussage tatsächlich an einem Verständnisproblem. Interessanterweise schien er bei der Ablehnung des Gebrauchs von Waffen geblieben zu sein und stellt damit eine Ausnahme unter den Baptisten dar.

I. Verfahrensweise An der Verfahrensweise mit den Verweigerern Ende der 1930er-Jahre hatte sich Anfang der 1940er-Jahre nichts Wesentliches verändert. Sie wurden verurteilt und nach Verbüßen der Haftstrafe prinzipiell erneut einberufen. Wie mit VO 92.518/1939 festgelegt kam es nur dann zur bedingten Freilassung, wenn ein Verweigerer bereit war, zur Waffe zu greifen. Waffenloser Dienst sollte prinzipiell nicht infrage kommen. Stellvertretend sei hier József Czébely genannt, der von Juni und bis Oktober 1940 mit vielen weiteren Zeugen zusammen auf Zelle war, danach wegen Diabetes bis zum 17. Dezember 1940 ins Militärkrankenhaus in Kassa kam und von dort wahrscheinlich wegen Untauglichkeit nach Hause entlassen worden war. Er wurde zu Beginn des Jahres 1941 erneut herangezogen. Wie das Verhörsprotokoll vom 18. Februar 1941 zeigt, wohl wegen der „alten“ Sache, neue Vorwürfe wurden nicht erhoben.704 László Drága, der im Juli 1940 verurteilt und im Januar vorzeitig entlassen worden war, war zum 12. April 1941 erneut zum Militärdienst einberufen worden und hatte den Dienst wiederum verweigert, wovon wie üblich Verteidigungs- und den Innenminister informiert wurden.705 Bei Bereitschaft, den Dienst an der Waffe zu leisten, gab es mildere Strafen oder gar Entlassung aus der Haft. Das zeigt sich auch an den nachfolgenden Beispielen. Der Zeuge Jehovas Kálmán Soós wurde wegen seiner Verweigerung im Juni 1940 vom MG Szeged zu nur 1 Jahr 6 Monaten verurteilt, da er angab, bereit zu sein, Dienst zu leisten.706 Allerdings verweigerte er nach Verbüßen der Strafe am 1. Dezember 1941 den Dienst erneut und war auch nicht bereit, waffenlosen Dienst zu leisten, weshalb er erneut inhaftiert wurde.707 Der Zeuge Bálint Gorondi, der nur zu einer kurzzeitigen Wehrübung eingezogen und wegen deren Verweigerung zu 1 Jahr 8 Monaten verurteilt worden war, wurde im März 1942 erneut zum Militärdienst herangezogen, was er wieder verweigerte.708 Andererseits der Zeuge István Jakab, der sich bereit erklärte, waffenlosen Dienste zu leisten und, wie die Unterlagen vom Juni 1940 zeigen, versehentlich auch dort eingeteilt wurde, was vom Vertei-

704  Ebenda, 1941 eln. 13. 4332 cs. 74.849. Ebenda 1941 eln. 13. 4332 cs. 22.391. Verteidigungs- und Innenminister wurden routinegemäß informiert. 705  Ebenda, 1942 eln. 13. 5557 cs. 31.026. Ebenda, 1942 eln. 13. 5557 cs. 31.026. Drága hatte angegeben, nur die mit ihm inhaftierten Zeugen Jehovas zu kennen, eine Organisation gäbe es zurzeit in Ungarn nicht, die Zentrale sei in Amerika [im Original angestrichen]. 706  MOL, K149 – 1940 – 7 – 5018. Az.  Hb.432/40. 707  HM, 1942 13. oszt. 5554 cs. 426.305. Das MG Kassa informierte das Verteidigungsministerium im Februar 1942 und dieses den Innenminister. 708  Ebenda, 1942 13. oszt. 5548 cs. 466.568. Er erklärte, auch in Zukunft keinen Militärdienst leisten zu wollen.

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digungsministerium sofort korrigiert und ein Strafverfahren veranlasst wurde.709 Auch der Totalverweigerer János Mihály, Zeuge Jehovas, gab nach und war seiner Aussage vom 5. Oktober 1941 zufolge bereit, waffenlosen Dienst zu leisten. Allerdings dürfte dieser Kompromiss dem Verweigerer nur wenige Vorteile gebracht haben.710 Károly Bolyog,711 der 1939 ebenfalls den Dienst an der Waffe verweigert, dann aber eingelenkt hatte, war vom MG Kassa zu 6 Monaten erschwerter Haft verurteilt worden. Nach seiner Haftentlassung am 1. März 1940 und Wiedereinberufung verweigerte er am selben Tag erneut die Waffenannahme.712 Das MG Kassa hatte ihn daraufhin am 5. Juli 1940 zu 2 Jahren Haft verurteilt, die er am 23.5.42 abgesessen hatte. Bei seiner erneuten Einberufung verweigerte er am 26. Mai 1942 den Befehl der Waffenannahme.713 Der Zeuge Jehovas József Balogh, der bereits 1940 MG Kassa zu 1 Jahr 6 Monaten Haft wegen Militärdienstverweigerung verurteilt worden war, wurde im Frühjahr 1943 erneut herangezogen und verweigerte erneut, wie das Verhörsprotokoll des MG Kassa vom 20. April 1943 belegt.714 Nicht nur mit der Dauerinhaftierung sollte Druck auf die Verweigerer ausgeübt werden, sondern auch durch die Anwendung aller erlaubten Mittel, wie VO 32.816/1939 verfügte, wobei es häufig zu Misshandlungen kam. Der ein oder andere Verweigerer knickte ein oder gab zumindest vorübergehend nach. Manch einer erklärte sich bereit zum Dienst an der Waffe, verweigerte später aber wieder. Das Einlenken brachte eine „Verschnaufpause“ und wurde beim Strafmaß berücksichtigt. Der Zeuge Lajos B., Gärtner des ehemaligen Innenministers Kozma, z. B. wurde am 22. Juni 1940 vom MG Székesfehérvár wegen Befehlsverweigerung und Nichtbefolgung des Stellungsbefehls zu nur 4 Monaten erschwerter Haft verurteilt, da er nunmehr bereit war, Dienst an der Waffe zu leisten.715 Der Nazarener Lajos Ágoston erklärte bei der Verhandlung, den Dienst völlig verrichten zu wollen.716 Weil der sich zu den Zeugen Jehovas bekennende Péter Meska den Dienst anstandslos verrichtete, wurde er auf freien Fuß gesetzt.717 Es zeugt von Mut, dass die Verweigerer trotz Wissens um die Dauerinhaftierung zumeist zu ihrer Haltung standen. Der Nazarener Imre Makra erklärte im August 1940: „Ich bin mir darüber im Klaren, nach Verbüßen meiner Strafe erneut zum Waffendienst eingeteilt zu werden, den ich verweigere und erneut verurteilt werde.“718 Der Zeuge Jehovas Janó Mihály Korpa sagte im November 1942: „Ich bin in Ihrer Hand und auch

709 

Ebenda, 1940 13. oszt. 3807 485.827. Ebenda, 1941 13. oszt. 4669 cs. 546.115 o. 546153. 711 Vater: Sándor Bolyog. 712  Diese Information ging am 23.4.1940 an den Innenminister. 713  Ebenda, 1940 eln. 13 2301 cs. 438.777. 714  Ebenda, 1941 eln. 13. 4332 cs. 13.989. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 92 – 94. 715  HM, 1940 13. oszt. 3803 cs. 474.270, Az. Hb 148/40/12. 716  Ebenda, 1940 13. 3803 470234. 717  Ebenda, 1941 eln. 13 4336 cs. 248. Verhörsprotokoll vom 31.12.1940. 718  Ebenda, 1941 eln. 13 4336 cs. 495. 710 

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wenn Sie mich töten, wird sich an meiner Überzeugung nichts ändern.“ 719 Erinnert sei in dem Zusammenhang auch an den bereits in den 1930er-Jahren einberufenen, mehrfach verurteilten und in der Aktion gegen die Nazarener in Baja erwähnten Imre Mészáros. Nachdem er im Mai 1940 wiederum eine Haftstrafe verbüßt hatte, war er erneut zum Militärdienst herangezogen worden, verweigerte und wurde er am 27. Mai 1940 arretiert.720 Zu einem weiteren Urteil kam es am 1. August 1942 vor dem MG Szeged, das ihn zu 7 Jahren Gefängnis verurteilte.721 Mészáros wurde damit mindestens viermal wegen seiner Verweigerungshaltung verurteilt. Wie die Aktenlage von Mészáros zeigt, hatten sich die obersten Behörden, also Verteidigungs-, Innen- und Justizministerium, über die Jahre umfassend mit seinem Fall beschäftigt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass seine konsequente Haltung, gleichzeitig aber auch seine Bereitschaft, waffenlosen Militärdienst zu leisten, auch Einfluss auf die Verbotsverfügung oder auf die landesweite Aktion gegen die Gemeinschaft gehabt hat, möglicherweise aber auch auf eine erneute Diskussion der Nazarener-Angelegenheit durch die obersten Behörden 1942/43. Ähnlich, wenn auch nicht so lange wie Mészáros, war auch Miklós Marozsán mehrfach einberufen worden. Das erste Mal verweigerte er als Nazarener im März 1939 den Dienst und war vom MG Miskolc zu 1 Jahr 6 Monaten Haft verurteilt worden. Im Gefängnis in Miskolc kam er in Kontakt zu Zeugen Jehovas und schloss sich ihren Glaubensansichten an. Nach Verbüßen der Strafe wurde er entlassen, erneut einberufen und zu 1 Jahr und 9 Monaten verurteilt. Wie das Verhörsprotokoll der Ermittler des MG Kassa vom 17. September 1942 zeigt, war er nach Verbüßen der Strafe erneut einberufen worden und hatte wiederum verweigert.722 Es ist davon auszugehen, dass auch er zu einer höheren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Dem Adventisten Gábor R. Sz., der zwar zunächst den Eid widerspruchslos ablegte, dann im Januar 1941 aber die Übernahme der Waffe verweigert hatte und daraufhin am 13. März 1941 vom MG Kolozsvár zu 6 Monaten Gefängnis, mit wöchentlich einem Tag Fasten und harter Liege verurteilt worden war,723 sich dann jedoch bereit erklärte den Teil seines Glaubens, die Waffe nicht in die Hand zu nehmen, aufzugeben, und seit dem 20. Juni 1941 Dienst leistete, wurde die Strafe erlassen. Seine Bitte um Straferlass wurde vom zuständigen Kommandanten unterstützt. Am 22. Januar 1943 sprach sich auch das Oberste Militärgericht dafür aus, da der Verurteilte, nach Aussage seiner Vorgesetzten, seinen Dienst mit 719  Ebenda, 1943 eln. 13 6577 cs. 437.717. Er war bereits im Oktober 1941 wegen „Hetze gegen die Levente“-Organisation zu 2 Monaten Zuchthaus verurteilt worden. 720  Ebenda, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032. 721  Ebenda, 1943 eln. 13 6580 cs. 448.032, Az. Hb 554/1942. Wegen der Überbelegung der Militärhaftanstelt wurde er in das Szegeder Bezirksgefängnis überstellt, wo man ihn möglicherweise in der Landwirtschaft einsetzte. 722  Ebenda, 1942, 13. oszt. 5551 cs. 530.549. Er nannte zwar einige wenige Namen von Nazarenern, aber fast nur aus der eigenen Familie. 723  In der Begründung hatte das Gericht auf § 3 GA XLIII/1895 verwiesen, der besage, dass religiöse Ansichten oder kirchliche Regeln nicht davon befreiten, der Erfüllung von gesetzlichen Pflichten nachzukommen.

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überdurchschnittlichem Eifer erfülle, die Waffe entsprechend gebrauche und seine Strafe bereits mehr als zur Hälfte abgesessen habe. Nach Zustimmung des Generalstabschefs informierte der Verteidigungsminister am 5. Februar 1943 Reichsverweser Horthy in der Gnadensache; Sz. wurde die Reststrafe erlassen.724 Der Fall belegt auch, dass die höchsten Regierungsstellen von der Verweigererproblematik wussten. Der sich zu den Reformadventisten bekennende György Róth, der offiziell noch der evangelischen Kirche angehörte, gab am 10. Februar 1941 in Székesfehérvár zu Protokoll, aufgrund der Anweisungen im Alten Testament samstags keine Arbeit verrichten zu können. Später habe er festgestellt, dass er mit seiner Pflicht, Gott zu dienen, auch seiner Heimat verpflichtet sei; er sei nunmehr bereit, jeden Befehl auszuführen – auch samstags. Dennoch bat er darum, samstags möglichst verschont zu werden. Als das nicht geschah, verrichtete er seinen Dienst.725 Ganz offensichtlich war es den Militärbehörden im Großen und Ganzen gelungen, ihr Vorgehen mit den Verweigerern zu harmonisieren – abgesehen von dem ausgesprochenen Strafmaß. Nur selten hielten sich einzelne Behörden nicht an die Vorschriften. Wenn doch, wurde das von den obersten Behörden registriert und korrigiert. Als ein solcher Fall ist László D. zu nennen, der sich nach anfänglicher Verweigerungshaltung doch bereit erklärte, den Eid zu leisten und die Waffe in die Hand zu nehmen, weshalb er nicht inhaftiert wurde. Das jedoch verstieß gegen VO 32.816/1939 des Oberbefehlshabers. Daher mahnte die Präsidialabteilung 13 am 25. Oktober 1940 an, „die Sektierer, die nicht zur Waffe greifen, sofort festzunehmen“, nicht nur, „weil das Gesetz Befehlsverweigerung feststellt, sondern auch aus Gründen der allgemeinen Disziplinierung und Erziehung“.726 Gleichzeitig wurde festgestellt, dass es nur vereinzelt zu solchen Verstößen kam und wenn, dann „auch nicht im Zusammenhang mit Friedensorganisationen“, also Friedensbewegungen.727 Diese Bemerkung zeigt auf, dass man mittlerweile zwischen Friedensbewegungen und Religionsgemeinschaften zu unterscheiden vermochte. Man fügte auch hinzu, dass bei der „Inhaftierung von Sektierern die katholische Priesterschaft nicht extra erneut darauf aufmerksam gemacht werden“ müsse, was zeigt, dass sie bis dahin offensichtlich jeweils informiert und involviert wurde.728 Mit Blick auf die Einstellung der historischen Kirchen zum Militärdienst, der auch in einer Verhandlung vor dem MG Kassa am 3. Juli 1941 deutlich wurde, wenn das Gericht formulierte, dass „die militärischen Pflichten nicht gegen biblische Grundsätze verstoßen, da alle rezipierten und gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften das mit ihren Glaubensgrundsätzen vereinbaren können“ und sie ihre Glaubensangehörigen „lehren, die militärischen Pflichten mit allergrößter Hinga-

724 

Ebenda, Elnöki 1942 33.187, Az. 11362/1943. Ebenda, 1941 13. oszt. 4338 cs. 16.510. 726  Ebenda, 1939 eln. 13 – 3094cs. 36.440, Bl. 584 f. Ebenda, 1940 13. oszt. 3804 cs. 484.257. Der Schreiber forderte die Beachtung der bereits bestehenden Verordnung; er sah wenig Sinn, neue Verordnung herauszugeben. 727  Also im Sinne der Friedensbewegungen. Ebenda, 1940 13. oszt. 3804 cs. 484.257. 728  Ebenda, 1940 13. oszt. 3804 cs. 484.257. 725 

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be zu erfüllen“,729 wird nachvollziehbar, dass auch die Militärbehörden Interesse daran hatten, Verweigerer zur Rückkehr in den Schoß der historischen Kirchen zu bewegen. Im Fall des Nazareners András Orcsik scheint das gelungen zu sein, da es heißt, er sei zur Auffassung der katholischen Kirche zurückgekehrt. Er hatte in Szeged den Eid abgelehnt, war aber nach drei Tagen bereit ihn zu leisen. Er erklärte am 23. August 1940, er sehe seinen Fehler ein, sei jederzeit bereit, den Eid abzulegen, er habe erkannt, seiner ungarischen Heimat nur dann wirklich dienen zu können, wenn er Soldat würde. Er gehöre der römisch-katholischen Kirche an, sei von Eltern erst später als Kind im Glauben der Nazarener erzogen worden. Er sehe seinen Fehler ein und erkenne an, dass die Religion der Nazarener nicht gesetzlich anerkannt ist und er sich schon daher nicht der Ableistung des Eides verweigern könne. Er war in der Zwischenzeit schon als „Versehrtenträger“ kategorisiert und eingesetzt worden, wollte aber nun als Soldat dienen.730 Bei der Befragung der Verweigerer ging man weiter nach dem bereits erwähnten Prinzip vor, wie die Verhörsprotokolle belegen, und legte eine Grundlage für die Ermittlungsarbeit der zivilen Behörden, da die Protokolle in Kopie an den Innenminister weitergeleitet und von dessen Unterbehörden verwendet wurden. Beim Verhör erkundigte man sich, wie jemand zu seiner Glaubensüberzeugung gekommen war, ob religiöse Publikationen eine Rolle gespielt haben, woher man diese erhalten hatte und wer die Lehren wann verbreitet hatte. Interessant waren auch Glaubensinhalte, wie lange jemand der Gemeinschaft angehörte und ob man den Glauben noch aktiv ausübte, ob die Familienangehörigen den Glauben teilten bzw. inwiefern es noch weitere Anhänger gab und wenn ja konkret wer. Damit lieferte man konkrete Ermittlungshinweise für Gendarmerie und Polizei. Immer wieder erklärten Verweigerer zu ihrer Haltung durch das Lesen der Bibel gekommen zu sein. Das betrifft zum Beispiel die Zeugen Endre Orosz731 oder István Jakab.732 Sie gaben an, eine Gáspár-Károlyi-Bibel733 gekauft und gelesen zu haben. Ähnlich János Plantis, der bis 1939 in der tschechischen Armee gedient, sich dann aber eine Bibel gekauft hatte und nunmehr nicht mehr bereit war, Militärdienst zu leisten, und sich dann zu den Zeugen Jehovas bekannte.734 729  Ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. 25.513. Der Zeuge Jehovas János Kis Papp z. B. hatte noch 1937 als Angehöriger der katholischen Kirche Militärdienst geleistet. Im August 1940 wurde er vom MG Miskolc als Totalverweigerer verurteilt. Ebenda, 13. oszt. 6576 cs. 491295. 730  Ebenda, 1941 13. oszt. 4337 cs. 16.510; 4671 cs. 530.468. 731  MOL, K150-VII-6 – 1940 (1939 – 1940). 732  HM, 1940 13. oszt. 3807 485.827. 733 Eine sehr verbreitete protestantische Bibelübersetzung von Gáspár Károlyi (1529 – 1591). 734  Gemäß Verhörsprotokoll war er dadurch zu der Überzeugung gekommen: „Wer zur Waffe greift, wird durch die Waffe umkommen.“ Daher lehnte er jeden Dienst ab. Offensichtlich hatte er sich schon in der tschechischen Armee so entschieden, denn er war bereits von den tschechischen Behörden zu 30 Tagen Zuchthaus verurteilt worden. Ebenda, 1940 13. oszt. 3810 cs. 486.466.

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Auch der Zeuge Jehovas Sándor Kanócz erklärte, dass er, als in seinem Ort Bibeln angeboten wurden, eine gekauft, sie studiert und festgestellt hatte, „dass die Glaubensansichten der reformierten Religion nicht in allen Punkten mit der Bibel übereinstimmen“ und die Heilige Schrift verbiete, zur Waffe zu greifen.735 Diese Aussagen belegen die religiöse Grundlage für die Verweigerungshaltung. Da sich so viele Verweigerer auf die Bibel beriefen,736 scheint man in den Verhören explizit nach deren Herkunft gefragt zu haben. Das zeigte sich im Verhör des Zeugen Jehovas Demeter Gyivinecz. Dieser erklärte im Verhörsprotokoll vom 25. Januar 1941, es gäbe „in quasi jedem Haus eine Bibel, aber welche Ausgabe“, wisse er nicht. Er habe seine aus Amerika erhalten.737 Wie die bereits untersuchten Aktionen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener zeigen, hofften die Ermittler Hinweise auf noch aktive Parzellen oder Kuriere der Gemeinschaften zu erhalten, möglicherweise auch auf kleine organisatorische Zentren. Dass allerdings auch Bibellesen an sich, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, zur Verweigerungshaltung führen konnte, zeigt das Beispiel des rumänisch sprechenden János Bindiu aus Óradna. Nach seiner Einberufung am 9. April 1943 verweigerte er den Dienst an der Waffe wie auch den Eid, weil er zusammen mit seiner Frau in der Bibel gelesen hatte und zu dem Schluss gekommen war, dass Gott ihm das verbiete. Zu einer Glaubensgemeinschaft bekannte er sich nicht.738 Aufgrund der überwiegenden Mehrheit der religiösen Verweigerer seitens der Nazarener und Zeugen Jehovas schienen die Militärbehörden auch mehr oder weniger in diesen beiden Kategorien gedacht zu haben: Verweigerer waren entweder Zeugen Jehovas oder Nazarener. Das wird auch daran deutlich, dass man Personen, die diesen Gemeinschaften nicht angehörten, ihnen zuordnete. Wie im Fall Sándor Fekete. Man hielt ihn für einen Zeugen Jehovas und führte ihn auch in den Unterlagen als solchen, da er aus der römisch-katholischen Kirche ausgetreten und dem Stellungsbefehl nicht nachgekommen war. Wie aus dem Verhörsprotokoll vom 21. Juli hervorgeht, vertrat er jedoch seine ganz persönlichen Ansichten, ohne einer der Gemeinschaften anzugehören.739 Auch der 34-jährige György Simán aus Alsóapsa wurde dem Innenminister als Zeuge Jehovas gemeldet, obgleich er im Verhörsprotokoll vom 5. Juli 1941 angab, zwar pro forma noch der römisch katholischen Kirche anzugehören, er aber gleichzeitig auch „nicht den Jehovas angehörte

735 

Ebenda, 1943 eln. 13 6575 cs. 477.383. Beispiel gab der Zeuge Jehovas János Pilling jun. aus Ungvár im Verhörsprotokoll vom 30.10.1941 in Kassa an, seine Mutter habe sich von der Bibelgesellschaft in Budapest eine Bibel geholt, gemeinsam hätten sie sich zu den Zeugen bekehrt. Weitere 5 – 6 Zeugen (Männer und Frauen) aus dem Ort seien im Frühjahr 1941 alle interniert wurden. Er und sein Bruder seien wegen Bibellesens angezeigt worden und mussten je 10 Tage Strafe absitzen. Im Herbst verweigerte er den Militärdienst. Ebenda, 1941 eln. 13. oszt. 4338 cs. 78.025. 737  Ebenda, 1941 13. oszt. 4663 cs. 426.027. 738  Ebenda, 1943 eln. 13. 6568 cs. 501.782. 739  Ebenda, 1940 3805 480305. 736  Zum

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wie auch nicht den anderen Sekten“. Er erklärte, mit anderen nicht organisiert zusammenzukommen und zu beten. Seinen Glauben habe er aus der Bibel.740

II.  Unterschied im Umgang mit Nazarenern und Zeugen Jehovas Zu weiteren Überlegungen den Umgang mit Nazarenern und Zeugen Jehovas betreffend dürften auch die Kriegsentwicklungen und die hohen Verluste der ungarischen Streitkräfte Anlass gegeben haben, die jede Hand zur Unterstützung an der Front nötig zu machen schienen. In einer Akte des Verteidigungsministeriums mit Informationen zur öffentlichen Stimmung findet sich ein Schreiben des Ministerpräsidenten Kállay, mit Stempel des Ministers für Nationsschutz und Propaganda,741 an den Verteidigungsminister vom 11. April 1942 mit einem Verweis auf einen Vorschlag aus Szeged: „Aufgrund der Erfahrungen aus dem vergangenen Weltkrieg wäre es richtig, die Soldaten mit der ‚Nazarener‘-Religion, nicht als Soldaten-Sklaven zu behandeln, sondern sie als Blessiertenträger und zu technischen Diensten hinter der vordersten Front einzuteilen, da sie Dienste dieser Art in der Vergangenheit mit der größten Gewissenhaftigkeit ausgeführt haben. Im Weltkrieg waren die Nazarener die vertraunenswürdigsten Blessiertenträger, weil sie aus ihrer religiösen Überzeugung heraus auch in den schwersten Kämpfen ihrer Verantwortung seelenruhig nachkamen.“ Es wurde ferner darauf hingewiesen, dass dieser Lösung wohl auch die Nazarener zustimmen könnten und den Dienst mit größter Hingabe und Disziplin durchführen würden.742 Als Beispiel für die Einstellung der Nazarener kann die Aussage des Waffendienstverweigerers Béla Bauman dienen: „Ich möchte meiner ungarische Heimat mit aller meiner Kraft und meiner 740  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 62 ff. HM, 1941 eln. 13 oszt. 4338 cs. 46.630. Das MG Miskolc verurteilte ihn am 31.5.1941 wegen Befehlsverweigerung zu 1 Jahr 6 Monaten. 741 Offensichtlich kam es von István Antal (1896 – 1975), dem Ministers für Nationsschutz und Propaganda, der kein Ministerium hatte, über den Ministerpräsidenten. Wie ein Schreiben des Ministers für Nationsschutz und Propaganda an den Verteidigungsminister Károly Bartha vom 1.6.1942 zeigt, wurden ab da die Beobachtungsberichte, „die bisher vom Ministerpräsidenten aufgearbeitet wurden“, nunmehr (nachdem der nationalpolitische Dienst dem „Nemzetvédelmi-Propaganda Miniszterium“ unterstellt wurde) von ihm dem Verteidigungsministerium direkt zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig räumte der Minister ein, dass er den Wahrheitsgehalt dieser Berichte nicht immer prüfen könnte, die Erfahrung jedoch zeigten, dass sie den Tatsachen entsprächen und „gleichzeitig wertvolle Informationen darüber geben, welche Fragen in den einzelnen Regionen des Landes aufkommen“. Er bat nach Prüfung der Informationen von den Ergebnissen informiert zu werden, damit er das in seiner Arbeit entsprechend verwenden könne. Dafür wurde im Verteidigungsministerium postwendend mit einer Pro-Domo-Anweisung vom 8.6.1942 gesorgt. Dieser Vorgang belegt einmal mehr die enge Zusammenarbeit der oberen Behörden. Ebenda, Elnöki 1942 33.185. Antal, der sich für den Kriegseinsatz Ungarns an der Seite Hitlers stark machte, fungierte später unter der Sztójay-Regierung, aber nicht mehr unter dem Szálasi-Regime, als Justiz- bzw. Kultusminister. 742  Ebenda, Elnöki 1942 33.186.

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Fähigkeit und meinem Wissen dienen. Wenn nötig, bin ich auch bereit, mein Leben dafür zu opfern. Ich habe das Gefühl und weiß, ich kann ein ehrenhafter und nützlicher Soldat für meine Nation sein, wenn ich anstelle des Eides auf Grundlage meines Glaubens – mit ebenso bindender Kraft – ein Gelübde ablege und an eine solche Stelle zum Dienst eingeteilt werde, wo ich nicht zur Waffe greifen müsste.“743 Aber auch die Bereitschaft des Nazareners Pál Zima aus Oberungarn zu militärischen Diensten könnte den Behörden zu denken gegeben haben. Wenngleich er am 14. Mai 1942 den Eid ablegen aus religiösen Gründen verweigerte, erklärte er gegenüber dem Szegeder Militärrichter Dr. László Nyiri gemäß Verhörsprotokoll vom 22. Mai 1942: „Später übergab er mir ein Gewehr, was ich auch in die Hand nahm und erklärte, dass ich bereit bin, damit zu exerzieren, aber auf niemanden schießen werde, da meine Religion mir gebietet, keine Feinde zu haben und jeder Mensch mein Nächster ist.“ Er habe in der serbischen Armee Wehrdienst als Hilfskraft bei der Artillerie geleistet, habe auch die Haubitze gefüllt, sie aber nicht abgefeuert.744 Wenngleich seine Haltung nicht verallgemeinert werden kann, weist sie doch auf die Bandbreite von Gewissensentscheidungen hin und zeigt entsprechende Einsatzmöglichkeiten Einzelner auf. Wie bereits angeführt, wurde von der Präsidialabteilung 13 beim Verteidigungsminister im Mai 1942 parallel eine Diskussion über den Einsatz von Militärhäftlingen geführt. Wie aus einer Notiz vom 12. Mai 1942 hervorgeht, diskutierte man den Einsatz von Verurteilten und Untersuchungshäftlingen in Schutztruppen und besonderen Arbeiterkompanien. Es gab auch bereits Pläne über den Einsatz Inhaftierter bei Fronttruppen, wobei die wegen Untreue oder Sabotage Verurteilten wegen möglichen Schadens für die Truppen ausgenommen waren. Grund für diese Überlegungen waren nicht zuletzt auch die überfüllten Militärhaftanstalten. Die Abteilung empfahl daher eine umfassende militärische Ausbildung der Gefangenen.745 In ihrer Stellungnahme auf dieses Schreiben wies die Abteilung 13 dann am 23. Juni 1942 jedoch darauf hin, dass obgleich die geschilderten Umstände zum Verhalten der Nazarener im Ersten Weltkrieg richtig seien, „man nicht mehr nur in Bezug auf die Nazarener eine Ausnahme machen [könne]. Seit dem ersten Weltkrieg sind zahlreiche weitere Sekten aufgetreten bzw. haben sich verbreitet, die den militärischen Interessen entgegenstehen. Gegenüber diesen Organisationen vertritt die Regierung einen einheitlichen Standpunkt und hat ihre Tätigkeit verboten.“ Dann verwies die Abteilung „im Interesse einer wirkungsvolleren Vergeltung der Straftaten, die mit Bezug auf die Lehren einiger Sekten beziehungsweise auf die religiöse Überzeugung begangen werden“, auf die VO 92.518/1939, wonach die „wegen Verweigerung des Waffendienstes oder eines anderen wichtigen Wehrdienstbefehls aus religiösen Gründen […] verurteilten Sektenangehörigen“ 743 

Ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. 16.901. Ebenda, 1942 13. oszt. 5552 cs. 489.296. Interessant für den Innenminister war auch die Aussage, dass es in seinem Heimatort Kölpény viele Nazarener gäbe. 745  Ebenda, 1942 eln. 13 5167 cs., 27.953. 744 

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mit hohen Freiheitsstrafen zu belegen waren.746 Diese Verordnung sei in völliger Übereinstimmung aller betroffenen Abteilungen des Verteidigungsministeriums und der Generalstabsabteilungen herausgegeben worden. Eine Änderung der darin enthaltenen Grundsätze halte man zurzeit nicht für nötig. Abgesehen davon, würde die vorgeschlagene Vorgehensweise der Verbotsverfügung widersprechen bzw. deren Änderung nötig machen, da „das eine gewisse Anerkennung der verbotenen Sekte der Nazarener darstelle“. Mit diesem Hinweis wurde erneut die Verknüpfung der Verbotsverfügung mit den militärischen Interessen betont. Gleichzeitig unterstreicht die Formulierung, wie fern es den Militärbehörden lag, wehrdienstverweigernden Gemeinschaften irgendeine, und sei es nur symbolische Anerkennung zukommen zu lassen. Der Abteilung 13 war auch daran gelegen, eine scheinbare Bevorzugung von Gruppen zu verhindern, die die im Militärgesetz verankerte und als „allerheiligste staatsbürgerliche Pflicht“ gekennzeichnete Wehrpflicht für den Staatsbürger als nichtig betrachten, da es sie von dem „in erster Linie mit Blut­ opfern verbundenen Waffendienst“ befreie, „was vom allgemeinen Wehrgesichtspunkt nachteilige Folgen hätte“.747 Abgesehen davon, dass Wehrdienstverweigerer wie die Nazarener mit ihrem waffenlosen Dienst an vorderster Front schon im Ersten Weltkrieg große Blutopfer brachten und nun auch wieder bringen würden, nahm man durch diese Aussage eine Kategorisierung auch innerhalb der gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften vor – in Gruppen, die die „allerheiligste staatsbürgerliche Pflicht“ erfüllten und die, welche das nicht taten. Wie schon im Ersten Weltkrieg wurde damit die Einstellung der Angehörigen einer Gemeinschaft zum Militärdienst mit der Waffe zum Lackmustest. Dieser Hintergrund mag auch erklären, warum mit kleinen Religionsgemeinschaften, die den Dienst verrichteten, toleranter umgegangen wurde. Am 18. Februar 1943 dann schrieb der Verteidigungsminister Nagy an Minister­ präsidenten Kállay in der Sache und wiederholte im Großen und Ganzen den Standpunkt der Abteilung 13 mit der vorgenannten Begründung, warum dieser Vorschlag nicht umgesetzt werden könne. Als ein wesentlicher neuer Gesichtspunkt wurde hinzugefügt, dass die „die Waffenannahme verweigernden Nazarener neben dem gegen sie eingeleiteten Strafverfahrens, ohne Waffe, mit voller Montur den ausrückenden Truppen zuzuteilen und für den Frontdienst einzuteilen sind“.748 Am Ende war das doch ein, wenngleich eigennütziger Kompromiss, den man möglicherweise erzwungenermaßen aufgrund der Umstände einging, da zu dieser Zeit an der Front auf keinen verzichtet werden konnte und ein im waffenlosen Dienst stehender, den Einsatz unterstützender Nazarener nützlicher war als ein inhaftierter Nazarener, der im Gefängnis Arbeit verrichtete. Und wie das Beispiel des Szegeder Nazareners zeigt, ging die Bereitschaft Einzelner, fürs Militär tätig zu sein, relativ weit, wenn er bereit war, Munition heranzuschaffen und Geschütze 746 

Ebenda, VKF 1939 1. oszt. Eln. 3478. Ebenda, Elnöki 1942 33.186. Einlegebogen zu 33.186/elnöki oszt. 1942. 748 Ebenda, Az. 38.484. Schreiben des Verteidigungsministers an den Ministerpräsidenten. 747 

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zu laden.749 Andererseits glich die Einteilung der Nazarener zum Frontdienst einer Art Himmelfahrtskommando – unbewaffnet an der Front bzw. zwischen den Fronten war überaus lebensgefährlich. Mit dieser Unterscheidung von Totalverweigerern und Verweigerern des Waffendienstes, die man aber dennoch im Krieg einsetzen konnte, kam man zu einer weiteren Kategorisierung. Die Nazarener, die zu diesem Dienst bereit waren, konnten mit einer besseren Behandlung rechnen als die Zeugen Jehovas, die alles ablehnten. Das erklärt auch, warum die Zeugen Jehovas, zumeist Totalverweigerer, zur Hauptzielscheibe der Militärbehörden und in der Folge auch der Zivilbehörden wurden. Es könnte auch eine Erklärung dafür sein, warum Nazarener in der landesweiten Aktion weniger belangt wurden und warum gegen die Anhänger der Zeugen Jehovas so gnadenlos vorgegangen wurde. Wie die Forschung zeigt, finden sich in diesem Zusammenhang weit mehr Berichte über die Internierung, Inhaftierung und Verurteilung (zu hohen Haftstrafen) von Zeugen Jehovas als von Nazarener. Dort scheint sich die Aktion auf einige wenige beschränkt zu haben. Gerade die hohen Urteile und die harte Vorgehensweise gegen Zeugen Jehovas sollten ja auch abschreckende Wirkung entfalten. Mit den Nazarenern hingegen war man spätestens 1942 offensichtlich in Verhandlungen getreten, wenngleich die auf ihrem Standpunkt des Dienstes ohne Waffen – aber mit völliger Hingabe – beharrten. In der Realität scheinen die Einheiten im Falle eines Verweigerers im Feld unterschiedlich entschieden zu haben. Bekannt ist der Fall eines Nazareners, Bálint Biró, der vom Feldgericht der Karpaten-Einheit am 1. September 1941 zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde, aber ganz offensichtlich zum waffenlosen Dienst bei der Truppe eingesetzt wurde, da ihm das Zeugnis ausgestellt wurde, seinen Dienst gewissenhaft zu verrichten.750 In jedem Fall wird deutlich, dass über den Umgang mit und die Verwendung von Wehrdienstverweigerern auf oberster Ebene diskutiert wurde. Man kann davon ausgehen, dass neben den involvierten Ministerien auch der Ministerpräsident und wahrscheinlich auch Horthy informiert waren. In diese Diskussion reiht sich auch die bereits zitierte Stellungnahme des Nazareners Kálmán Kálmán ein, der vom MG Szeged um eine Stellungnahme der Gemeinschaft gebeten worden war und diese nach Diskussion mit 21 namhaften Vertretern der Gemeinschaft am 11. März 1943 vorgelegt hatte. Darin hatte man erklärt, dass die Anhänger der Gemeinschaft wie schon im Ersten Weltkrieg bereit seien, „der Sache der Heimat in der Honvéd“ zu dienen, „jede militärische Pflicht [ohne Waffe] mit der größten Hingabe, mit Eifer, mit der größtmöglichen Treue 749  Vgl. Ebenda, 1942 13. oszt. 5552 cs. 489.296. In den Akten zur mit Informationen zur Allgemeinen Stimmungslage befindet sich auch ein Bericht vom 9.5.1942 aus dem Komitat Tolna. Darin macht man darauf aufmerksam, dass über den Nazarener Somos Szieb, der jetzt wieder Antal Szieb heiße, der 1941 wegen Schmähung der Nation und mangelnder Achtung vom MG Pécs zu 4 Monaten Zuchthaus verurteilt worden war (was von der königl. Kuria auf 8 Monate erhöht wurde), der vor Antritt der Strafe nach Deutschland geflohen war, jetzt im Honvédségi közlöny (Militärblatt), Nr. 14 v. 3.4.1942, von dessen Beförderung zum Oberleutnant berichtet wurde, was man für merkwürdig hielt. Ebenda, Elnöki 1942 33.185. 750  Ebenda, 1941 13. oszt. 4661 cs. 62.086, Az. H.57./41.

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zu erfüllen“ – und das „auch unter den schwierigsten Umständen“. Sie erinnerten daran, dass es bereits jetzt Nazarener gab, die ohne Waffe im Kriegsgebiet eingesetzt wurden, einige bereits ihr Leben gelassen hatten und andere schwer verletzt worden waren.751 Man kann sich vorstellen, dass die Militärbehörden angesichts der sich zuspitzenden Kriegszustände – die 2. ungarische Armee war im Januar am Don geradezu aufgerieben worden – vermehrt auf den Einsatz der Nazarener zurückkam. Immerhin konnten sie an der Front auch ohne Waffe mehr bewirken als in Haft in der Heimat. Lajos Papp, damals Nazarener, wurde ebenfalls in dieser Zeit herangezogen. Er hatte den Stellungsbefehl zum 5. Oktober 1942 nach Tokaj erhalten. Seine Familie hat ihn zum Bahnhof gebracht, „gewunken und geweint“. Im Interview erzählt er: „Ich war dort zwei Wochen zur Ausbildung, Training, zum Exerzieren, links, rechts. […] Ich erklärte dann meinen Glaubensstandpunkt, dass es mir nicht erlaubt ist, Menschen zu töten, ich aber auch sonst nicht schießen mag. Der Hauptmann sagte: ‚Ich kann nichts anders machen, als dich in die Zelle zu packen.‘ Kein Gefängnis, sondern eine Zelle. […] Dann kam ein Major in die Zelle und sagte: ‚Schau mein Junge, ich glaube auch an Gott, bin ein religiöser Mensch, aber ich kann nichts für dich machen.‘“ Nach zwei Wochen wurde Papp geholt und zum Kommandanten gebracht, der ihn aufforderte, zum Gewehr zu greifen: „‚Hier! Hier ist es. Nimm es an.‘ ‚Ich kann das Gewehr nicht annehmen.‘ Dann hat ein Wachtmeister es mir auf den Kopf geschlagen. Der wurde allerdings zurechtgewiesen dafür.“ Später wurde er von einem Soldaten mit dem Zug nach Miskolc zum Militärgericht gebracht. Dort erklärte er, warum er die Annahme der Waffe verweigert hatte. Der Beamte schrie: „‚Bist du so ein Gläubiger? Schon wieder diese Gläubigen.‘ Er hat mich heftig geschlagen; mein Kopf war total geschwollen. Dann wurde ich in eine Einzelzelle gebracht. Drei Tage lang. Dann wurde der Kopf langsam besser. Dann wurde ich abgeholt vor das Gericht. Da waren fünf. Ich erzählte meine Geschichte dem Militärrichter, dass ich keine Menschen töten kann. Er fragte, ob ich weiß, dass ich vor dem Militärgericht stehe, ob ich weiß, dass das Statarium gilt? Ob ich weiß, dass ich vor einem Standgericht stehe? Dann fragt er, ob ich denn jetzt die Waffe in die Hand nehmen würde. Ich sagte Nein.“ Der Richter fasste der Gerichtssekretärin den Fall zusammen und Papp sollte unterschreiben. „Ein Militärangehöriger sagte zum Richter: ‚Geben Sie ihm 5 Jahre Gefängnis, dann wird er schon zum Nachdenken kommen.‘ Der Richter überlegte und sagte: ‚Gut. Sie kriegen 5 Jahre Gefängnis. Nehmen Sie das an? Unterschreiben Sie?!‘ Ich kam in eine 20er-Zelle, wo 30 waren. Da waren 2 bis 3 Gendarmen. Die fragten: ‚Warum bist du hier?‘ Ich erklärte warum. Na du wirst die Waffe schon annehmen, du wirst sehen. Die haben aber nix gemacht, waren ja selbst inhaftiert. Dann sollte ich in eine 18-er Zelle.“ Nach 5 Monaten wurde er nach Ungvár gebracht, wo er einen Glaubensbruder, Bálint Papp kennenlernte. Das Gefängnis war sehr sauber; es gab dort mehrere Nazarener. Danach kamen sie nach Kassa, wo sieben oder 8 Nazarener waren. „Ein Oberleutnant […] erklärte, ‚Jungs ich komme grad von der russischen Front. Dort 751 Privatarchiv

Tibor Gál, Budapest, Beadvány 1943 – 01, Beadvány 1943 – 02.

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hab ich 50 Leute umgebracht, deshalb hab ich Urlaub gekriegt. Euch werd ich auch abknallen.‘ Er sagte zu einem Soldat, ‚Bring sie darüber, 100 Meter weiter und erschieß sie.‘ Der Soldat bringt uns weg und sagte: ‚Meine lieben Brüder, ich bin auch ein Gläubiger, ein Baptist. Ich erschieße euch nicht.‘“ Von Kassa wurde er in die Militärhaftanstalt in Budapest verlegt und später in das Arbeitslager Bor verbracht.752 Diese Erfahrung illustriert ein wenig die Abläufe und Geschehnisse, das Leid der Verweigerer hinter den trockenen Fakten der Verhörsprotokolle und Urteile. Es macht auch verständlich, dass solchem Druck und Gewalt nicht jeder gewachsen war. Der Zeuge Jehovas János Korpa-Ondó, der am 11. Juli 1940 wegen Befehlsverweigerung zu 1 Jahr und 2 Monaten Haft verurteilt und nach Verbüßen der Strafe im Militärgefängnis Pécs am 20. Juli 1941 erneut zum Dienst herangezogen worden war, was er wiederum verweigert hatte,753 weshalb er zu 10 weiteren Jahren Haft verurteilt worden war, spricht in seinem Erinnerungsbericht eindrucksvoll von der schweren Situation der Verweigerer, beschreibt aber auch die Vorgehensweise des Militärs, Verweigerer zum Dienst zu bewegen. Gleichzeitig wird auch die Haltung einzelner Verweigerer im Ernstfall und die Schwere ihrer Glaubensund Gewissensüberzeugung deutlich. Korpa-Ondó erklärte: „Das Gericht bot mir an, mich zu begnadigen, wenn ich nur 2 Monate in der Armee dienen würde.“ Wie er weiter berichtete, wurde 1942 eine Gruppe politischer Gefangener, Juden und 26 Zeugen Jehovas nach Kursk gebracht, wo sie dem deutschen Militär übergeben wurden, die sie dazu einsetzten Lebensmittel, Waffen und Kleidung zu den Soldaten an die Front zu bringen. Korpa-Ondó erklärte: „Wir Zeugen weigerten uns zu arbeiten, weil diese Arbeit unsere christliche Neutralität verletzt hätte. Infolgedessen wurden wir wieder den Ungarn übergeben.“ Danach brachte man sie ins Gefängnis nach Kursk. „Mehrere Tage lang wurden wir dreimal täglich mit Gummiknüppeln geschlagen. Ein Hieb traf mich an der Schläfe, und ich ging zu Boden. Als ich geschlagen wurde, dachte ich: ‚Sterben ist gar nicht so schwer.‘ Mein ganzer Körper wurde taub, und ich fühlte nichts mehr. Drei Tage lang bekamen wir absolut nichts zu essen. Dann wurden wir vor Gericht gestellt, und 6 von uns wurden zum Tod verurteilt. Nachdem das Urteil vollstreckt worden war, waren wir nur noch 20. […] Wir 20 wurden hinausgebracht und mußten unser Massengrab schaufeln, bewacht von 18 ungarischen Soldaten. Als wir mit dem Graben fertig waren, wurde uns 10 Minuten Bedenkzeit gegeben, ein Dokument zu unterschreiben, in dem es auszugsweise hieß: ‚Die Lehre der Zeugen Jehovas ist falsch. Ich glaube nicht mehr daran und werde sie auch nicht mehr unterstützen. Ich werde für die ungarische Heimat kämpfen … Mit meiner Unterschrift bestätige ich, daß ich der römisch-katholischen Kirche beitrete.‘ Nach 10 Minuten kam der Befehl: ‚Rechts um! Marsch zum Grab!‘ Dann das Kommando: ‚Der erste und der dritte Gefangene in das Loch!‘ Den beiden wurden noch einmal 10 Minuten eingeräumt, um das Dokument zu unterschreiben. Ein Soldat bat flehentlich: ‚Gebt euren Glau752  753 

Interview mit Lajos Papp am 30.1.2010 in Budapest. HM, 1941 eln. 13 4335 cs. 73.557.

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ben auf, und kommt aus dem Grab heraus!‘ Niemand sagte ein Wort.“ Die beiden wurden schließlich erschossen, die anderen gefesselt und misshandelt. Die Tortur erinnert an das in den deutschen Lagern übliche Baumhängen: „Uns wurden die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Dann hängten sie uns an den Händen auf. Wenn wir bewußtlos wurden, schütteten sie Wasser über uns. Die Schmerzen waren schrecklich, weil die Schultern durch das Körpergewicht ausgerenkt wurden. So wurden wir etwa drei Stunden lang gequält. Plötzlich kam dann ein Befehl, keine Zeugen Jehovas mehr zu erschießen.“ Einige Wochen danach mussten sie zum Don marschieren, wo man sie zwang, Gräben auszuheben und wieder zuzuschütten. „Die Verantwortlichen sagten uns, wir würden nicht lebend zurückkehren.“ Drei von ihnen, darunter Korpa-Ondó flohen am 12. Dezember 1942 über den zugefrorenen Don zur russischen Front, wo sie „sofort in ein Gefangenenlager mit 35 000 Insassen gebracht“ wurden. Wie Korpa-Ondó berichtete lebten im Frühjahr 1943 nur noch 2 300 der Insassen, die anderen waren verhungert.754 Auch von Nazarenern wird berichtet, dass einige an der Front hingerichtet wurden. So sollen im Zuge der Vernichtung der 2. Ungarischen Armee am Don mindestens vier Nazarener von einem Feldgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet worden sein.755 Die Häufung der Verweigerungsfälle ließ die Behörden gegen die Verweigerer hart durchgreifen, härter als in den 1930er-Jahren, wenngleich keine neuen Verordnungen ergingen. Man drängte auf die Einhaltung der alten, spielte sich besser ein und setzte sie mit Nachdruck um, wobei es auch zu schweren Misshandlungen und im Felde zu Hinrichtungen kam. Währenddessen schien das Konzept der Zusammenarbeit ziviler und militärischer Behörden, schon gegen Zivilpersonen vorzugehen, aufzugehen. Auch der Einsatz des Generalstabsgerichts hatte Wirkung gezeigt. Die meisten der Glaubensangehörigen wurden in der Folge inhaftiert, die Tätigkeit musste im Untergrund weitergeführt werden und hatte bei Weitem nicht die Wirkung wie zuvor. Dennoch blieben die Verweigerer zumeist bei ihrer Haltung oder knickten vorübergehend ein, obwohl der Druck auf den Einzelnen vor der Inhaftierungen bzw. Verurteilung und während der Haft psychisch wie physisch hoch war. Der Kriegseintritt Ungarns hatte den Druck auf die Verweigerer weiter erhöht. Wie aus den Berichten der Zeitzeugen hervorgeht, verdienen es die einzelnen Schicksale der Wehrdienstverweigerer im Zweiten Weltkrieg, genau untersucht zu werden. Spiegelt sich doch darin in besonderer Weise die Alltagspraxis im Umgang mit deviantem Verhalten aus Glaubensgründen wieder. Wie nicht anders zu erwarten, waren es vor allem Nazarener und Zeugen Jehovas, die den Militärdienst verweigerten. Letztere zumeist total. Außer einigen wenigen Reform­adventisten, die zumeist auch zu Totalverweigerern zählten, gab es noch Adventisten, die Dienste am Samstag verweigerten. Gegen jegliche Dienstverweigerung wurde hart vorgegangen, wenngleich man in Verbindung mit den Nazarenern nach Lösungen suchte, 754  WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 1.9.1998, S. 24 – 28. Bericht von Ján Korpa-Ondo. Vgl. JZAD, Aufstellung Inhaftierter und Deportierter aus der Slowakei v. 28.2.2000. Hier werden drei in Kursk hingerichtete namentlich genannt. 755  Kardos/Szigeti, S. 291.

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zumal man während der für Ungarn ungünstigen Entwicklung des Krieges um jeden Mann an der Front verlegen war.756

III. Urteilsauswertungen und Strafvollzug Im Folgenden sollen stellvertretend ausgewählte Urteile auf einige Schwerpunkte untersucht werden. Die Verurteilung der Verweigerer spielte in der Vorgehensweise der Militärbehörden und der Umsetzung der Politik gegen unliebsame Gemeinschaften eine wichtige Rolle. Zunächst die unteren Instanzen. Vorweg sei noch an den internen Bericht der Abteilung 13 an die militärstrafrechtliche Präsidialabteilung vom 29. Mai 1940 in Sachen Berichterstattung gegenüber dem Ministerpräsidenten über die Tätigkeit des Verteidigungsministeriums im Jahr 1939 erinnert, in dem auf die VO 92.518/1939 vom 7. Juli 1939 hingewiesen und betont wurde, dass die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und das nationale Interesse an der „größtmöglichen Inanspruchnahme“ der Bürger für die Verteidigung den „Schutz gegen sog. antimilitaristische Sekten /Nazarener, Jehova Gott Zeugen usw./ durch die Militärgerichtsbarkeit“ notwendig machten und besonders im Strafvollzug alle „zur Verfügung stehenden Mittel“ entschieden und erfolgreich dafür genutzt werden sollten.757 Anliegen der VO 92.518/1939 war unter anderem, die Verweigerer lange wegzuschließen, durch diese hohen Freiheitsstrafen Druck auf sie auszuüben und sie durch harten Strafvollzug zum Einlenken zu bewegen. Nur wer bereit war, zur Waffe zu greifen, wurde bedingt freigelassen.758 Diese Regelung scheint den Verweigerern auch vermittelt worden zu sein, wie das Beispiel des Nazareners Ferenc Győrffy zeigt, der gemäß Verhörsprotokoll vom 1. Juni 1940 gesagt haben soll: „Ich nehme es zur Kenntnis, dass, insofern ich umdenken und wahllos jeden Dienstbefehl ausführen würde, ich mit dem Einstellen des Verfahrens, mit der Milderung meiner Strafe bzw. mit deren Erlassung auf dem Gnadenwege rechnen kann.“759 Győrffy wurde mindestens drei Mal wegen seiner Verweigerungshaltung verurteilt. Er wurde später als Versehrtenträger an der russischen Front eingesetzt, wobei er am 9. September 1942 umkam.760 Wie die Beispiele deutlich machen, blieben die meisten Verweigerer jedoch bei ihrer Überzeugung. Neben der Thematik der Strafhöhe und der Umsetzung der Haftstrafen soll auch auf einige spezielle Verfahrensprobleme eingegangen werden. 756  Mit der vorliegenden Untersuchung zur Militärdienstverweigerung wurde im Großen und Ganzen, abgesehen von einigen Erwähnungen bei Kardos und Szigeti wie auch bei Fazekas, Neuland betreten. Vergleichsuntersuchungen liegen bisher nicht vor Erste Forschungsergebnisse zu dem Thema wurden veröffentlicht in dem Aufsatz: Dirksen, Katonai szolgálat, S.  72 – 81. 757  HM, 1940 eln. 13. 32. cs. Az.: 181/1940. 758  Ebenda, VKF 1939 1. oszt. Eln. 3478. 759  MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 12 f. 760  Kardos/Szigeti, S. 290.

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1.  Ausgewählte erstinstanzliche Urteile Ein wichtiger Punkt im Verfahren wegen Subordination Angeklagter, der sich auf die Strafhöhe maßgeblich auswirkte, war die Frage, ob es sich um die Verweigerung eines „wichtigen Dienstbefehls“ gehandelt hat. Nach § 73 MStGB konnte jemand wegen Befehlsverweigerung zu einem Jahr Strafe verurteilt werden, handelte es sich um die Verweigerung eines wichtigen Befehls, war die Art und Weise der Verweigerung verletzend oder brachte sie schwere Nachteile mit sich, dann zwischen ein und fünf Jahren. In Kriegszeiten konnte eine Freiheitsstrafe den vorgenannten Kriterien zufolge von ein bis fünf Jahren bzw. von fünf bis 10 Jahren verhängt werden.761 Der Befehl der Annahme der Waffe wurde grundsätzlich als „wichtiger Dienstbefehl“ qualifiziert. Diese Vorgehensweise passt in die Strategie des Militärs, den Druck auf die Verweigerer durch lange Haftstrafen zu erhöhen und sie zum Einlenken zu bewegen. Im Verfahren unter Dr. László Nyiri gegen den Nazarener Péter Borombos aus Battonya (östlich von Szeged), der eine Waffe angenommen hatte, einige Wochen zum waffenlosen Dienst eingesetzt wurde, das Training mit der Waffe verweigerte, und zu 2 Jahren 2 Monaten Haft verurteilt wurde, hieß es, dass der Befehl zum Training mit der Waffe zu den wichtigsten Dienstbefehlen zählte.762 Inwiefern allerdings auch die Eidesablage dazugehörte, scheint fraglich gewesen zu sein. Das Kommando der 1. Armee in der Karpato-Ukraine hat in der Strafsache gegen den Zeugen Jehovas László Drága darauf entschieden, dass es sich um einen wichtigen Befehl handelte. Frigyes Kormann von der Rechtsabteilung des Verteidigungsministeriums, der eine andere Auffassung vertrat, stellte am 5. Juni 1941 Rechtsmittel gegen das Urteil zur Diskussion, wobei er sich unklar darüber war, ob das Aussicht auf Erfolg hatte.763 Dieser Umstand zeigt, dass man aufgrund der Unklarheit im Gesetz noch zu keiner auslegenden Rechtsprechung durch Präzedenzfälle oder Kommentierungen des Gesetzes gekommen war. Die Betonung der Insubordination eines „wichtigen Befehls“ findet sich in den Urteilen unisono. In einem Urteil verband das Gericht dieses Argument sogar mit der Religionszugehörigkeit, wenn es im Zusammenhang mit der Verweigerung eines wichtigen Befehls erklärte: „Die Lehren der Sekte der ‚Jehova Gott Zeugen‘ greifen nämlich die Militäreinrichtungen existenziell an, welche die Grundlage der Sicherheit des ungarischen Staates bilden.“764 Hatte man zum einen im Sinn, die Verweigerer durch lange Haftstrafen zum Umdenken zu bewegen, ging es andererseits auch darum, ihren Einfluss auf andere Militärpflichtige zu unterbinden. Eine ehrliche Erklärung der Glaubens- und Gewissensansichten gegenüber anderen konnte bereits als Hetze oder Schüren von Hass gegen militärische Einrichtungen eingestuft werden. Allerdings scheinen da 761 

Magyar Törvénytár, GA II/1930. HM, 1941 13. oszt. 4661 cs. 473.573. Das Gericht sah darin einen Rückfall, erschwerend in Verbindung mit der Tat seien auch „die außergewöhnliche Umständen dieses Jahr“, womit wohl der Krieg gemeint war. 763  Ebenda, 1941 eln. 13. ? cs. 461.832. 764  Ebenda, 1942 eln. 13. 5162 cs.? 762 

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die Gerichte nicht unbedingt einheitlich vorgegangen zu sein. Zum Beispiel wurden die beiden Zeugen Jehovas János Deák und János Körmöndi von der Militärstaatsanwaltschaft beim MG Kassa am 29. April 1940 laut Anklageschrift wegen Hetze angeklagt. Begründet wurde das von der Staatsanwaltschaft damit, dass sie am 6. März 1940 in Ricse bei der Übergabe der Militärausweise, „auf die Frage, ob sie wenn nötig die ungarische Heimat mit der Waffe verteidigen würden, […] vor 50 – 60 potentiellen Armeeangehörigen antworteten, dass sie nicht bereit seien, die Heimat mit der Waffe zu verteidigen, weil das ihre Religion verbiete“. Daraufhin hätten sie 10 Minuten lang ihre Einstellung biblisch begründet. Durch diese „verdrehten Ansichten“ würde „Hass gegen die militärischen Einrichtungen geschürt“ werden, vor allem bei weniger Gebildeten, da „die verdrehten Lehren in Verbindung mit Gott eine gewisse Angst hervorrufen“ könnten. Deshalb wurde „die Tat als Hetze gegen militärische Einrichtungen“ und Anstiftung gewertet.765 Wie aus einem Schreiben des MG Kassa an den Verteidigungsminister in der Sache hervorgeht, wurden die beiden Angeklagten jedoch freigesprochen, da die beiden Angeklagten lediglich auf die Frage, ob sie bereit seien zur Waffe zu greifen mit „Nein“ geantwortete und das mit ihrer religiösen Überzeugung begründet hätten. Die Zeugenaussage des verantwortlichen Majors würde bestätigen, dass sie mit ihren Worten nicht gegen das Militär gehetzt hätten, zumal es sich bei Hetze um eine vorsätzliche Handlung handele.766 Dieser Freispruch bedeutete nicht, dass die Angeklagten keinen Militärdienst leisten mussten. Wahrscheinlich sind sie sogar kurze Zeit nach der Musterung einberufen worden. Zu bemerken sei, dass es sich hier wiederum um ein Urteil eines Militärgerichts gegen Zivilpersonen handelte. Am 13. September 1940 sprach das MG Kassa ein weiteres Urteil in einem ähnlich gelagerten Fall. Es richtete sich gegen die Militärangehörigen Géza Balla, Gyula Hete und Péter Volosin wegen Insubordination und Kriegshetze. Bezüglich des ersten Anklagepunktes befand das Gericht die beiden angeschuldigten Zeugen Jehovas der Befehlsverweigerung nach § 66 und § 73 MStGB für schuldig, da sie die Eidesablage und Waffenannahme verweigerten. Balla wurde zu 4 Jahren und Hete und Volosin zu jeweils 3 Jahren 6 Monaten verurteilt. Aufschlussreich ist die Begründung des Gerichts: Nachdem es die „Verteidigung [der Angeklagten] nicht für befreiend“ hielt, erklärte es, „dass die Erfüllung der Militärpflicht nicht gegen biblische Grundsätze verstößt und dass die gesetzlich irgendwie angenommenen und anerkannten Konfessionen sie [die Wehrpflicht] als mit ihren Glaubensgrundsätzen und Lehren vereinbar ansehen, da die bis zur Selbstaufopferung gehende Erfüllung der allerheiligsten staatsbürgerlichen Pflicht im GA II von 1939 für jeden ungarischen Staatsbürger als Befehl vorgeschrieben ist und es aus nationalen Interessen nicht erlaubt ist, jemand von der Erfüllung der militärischen Pflicht unter Berufung auf eine Überzeugung, basierend auf einer falschen Auslegung der Lehren, zu befreien“. Im Fall von Balla habe man auf 4 Jahre Freiheitsentzug erkannt, da er bereits zum dritten Mal den Militärdienst 765 

766 

Ebenda, 1943 kbt. 13. 6591 cs.552.059. Ebenda, 1941 eln. 13 4333 cs. 552.059. Az. Ü.937/41.

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verweigerte. Vom zweiten Vorwurf, dem der Hetze, wurden sie jedoch freigesprochen. Zum Sachverhalt hieß es: „Nach ihrem Einrücken hielten sie sich mit den anderen equipierten Truppen gemeinsam im Hof der Kaserne auf, als der die Ausrüstung kontrollierende Leutnant der Reserve János Böhm auf sie zutrat und sie fragte, ob sie bereit wären sich equipieren zu lassen, den Fahneneid [genau Militäreid] abzulegen und die Waffe anzunehmen. Die Angeklagten antworteten auf die vor der Truppe aufgeworfene Frage einmütig, dass ihnen aus religiösen Gründen bzw. Glaubensgründen das Töten untersagt sei, und sie daher auch keine Waffe nehmen würden, und auch den damit verbundenen Eid nicht ablegen könnten.“ Der Leutnant der Reserve János Böhm hätte dann die drei Angeklagten in sein Büro zitiert, dessen Fenster zum Hof „sperrangelweit offen“ waren, und sich bemüht, ihre falsche Auffassung zu korrigieren. Wegen ihrer „verstockten Weigerung“ wäre seine Stimme immer gereizter und lauter geworden, „sodass die Belehrung von der auf dem Hof herumstehenden und gerüsteten Reservemannschaft durch die geöffneten Fenster zu hören“ gewesen war. Als die Angeklagten aus dem Büro herauskamen, seien sie von den auf dem Hof Stehenden befragt worden, warum sie dem Befehl des Leutnants nicht nachkommen würden. „Die Angeklagten antworteten auf die Befragung, dass jeder Gottes Lehren so verstehen kann, wie er will, sie verstehen sie so […] und ließen sich daher nicht equipieren.“ Das Gericht sah keine Grundlage für einen „Vorsatz der Angeklagten in ihrer Handlung, da sie der sie umgebenden Truppe mit einigen Worten den Grund der durch Leutnant der Reserve János Böhm in seinem Büro erfolgten Zurechtweisung erklärten – was in Anbetracht dessen, dass die sich auf dem Hof befindlichen Männer die Zurechtweisung durch die geöffneten Fenster hören konnten, ein natürlicher Prozess war“. Außerdem hätten „die Angeklagten die Männer nicht um sich geschart, sondern diese stellten sich neugierig um die Angeklagten herum, auch hielten sie ihnen keinen Vortrag über ihre ‚Glaubensgrundsätze‘, sondern berichteten nur über den Grund der Zurechtweisung bzw. warum sie nicht die Waffe in die Hand nehmen wollten. Der Vorgang war ausschließlich der Natur eines menschlich neugierigen ‚Gesprächs‘“. Da also der nach § 85 MStGB zur Verwirklichung der Straftat zwingend nötige Vorsatz fehle, waren die Angeklagten vom Vorwurf der Hetze freizusprechen.767 Bezüglich der Verurteilung des Subordinationsvergehens verwies das Gericht bei der Strafzumessung als erschwerend auf die „verstockte Haltung und die falschen Prinzipien“ der Angeklagten hin. Als mildernde Umstände galt ihre „vernachlässigte geistige Erziehung“ und „deren niedrige verstandesmäßige Entwicklung“.768 In beiden Fällen schloss sich das Militärgericht nicht dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft an und erkannte bei Erklärung oder Darstellung der Glaubensgrundsätze, die den Dienst an der Waffe untersagen, nicht auf Hetze gegen militärische 767  Ebenda, 1942 13. oszt. 5557 cs. 57.174. Vgl. auch Der Nazarener András Szakáli hatte im August 1940 als einziger der Truppe den Eid nicht abgelegt – allerdings unbemerkt. Als er die Waffe ablehnte, wurde er festgenommen und erneut dazu gedrängt, die Waffe zu nehmen.Schließlich verweigerte er vor der gesamten Truppe den Dienst an der Waffe. Ebenda, 1940 13. oszt. 3812 cs. 503.904. 768 Ebenda.

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Einrichtungen oder auf Anstiftung zu einer Straftat. Die Rechtsprechung des MG Kassa in diesen Fällen unterscheidet sich hier somit von der des General­ stabsgerichts in den Fällen der Untreue, da bereits das Verkündigen der biblischen Botschaft von Zivilpersonen als vorsätzlicher Akt gegen die militärischen Streitkräfte eingestuft und mit höchsten Strafen belegt wurde. Zum anderen wird auch deutlich, dass der Maßstab aller Dinge in Verbindung mit Glaubensgrundsätzen die Einstellung der historischen Kirchen war – vor allem aus dem Grund, weil ihre Glaubensansichten den Militärdienst erlaubten. Mit der Aussage, davon abweichende Ansichten und Bibelauslegungen seien falsch, und mit dem als erschwerend vorgebrachten Vorwurf der „falschen Prinzipien“ begab sich das Gericht auf das Gebiet der biblischen Exegese, was wohl kaum als verfahrensrelevant gewertet werden konnte. Auf das Gerichtsverfahren gegen Balla-Hete-Volosin wird in einer späteren Angelegenheit, nämlich der des Zeugen Jehovas Sándor Kiss aus Szernye, Komitat Bereg, im Februar 1942 ebenfalls vor dem MG Kassa, verwiesen. Möglicherweise aus dem Grund, weil es sich bei Kiss wie bei Balla um einen „Wiederholungstäter“ handelte und er vom selben Gericht bereits 1940 zu 1 Jahr 6 Monaten verurteilt worden war. Überraschend ist der Vermerk auf dem Deckblatt seiner Akte im Verteidigungsministerium „Die 3. Seite des Verhörsprotokolls ist großartig.“769 Eine Untersuchung von Seite 3 des Verhörsprotokolls vom 27. Februar 1942 macht leider nicht deutlich, worauf sich dieser Vermerk bezieht. Kiss hatte dort erklärt, dass er dem Gesetz Gottes unterstehe, das besage: „Liebe deinen Herrn und Gott aus ganzem Herzen und diene nur ihm!“ Und weiter: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Kiss schlussfolgerte„ „Wenn ich jetzt dem militärischen Befehl nachkomme, muss ich das Gesetz Gottes übertreten. Jetzt ist Krieg und so muss man sich auch am Vergießen menschlichen Blutes beteiligen, was eine Übertretung des Gebots bedeutet. Das werde ich nicht tun, denn wer Menschenblut vergießt, dessen Blut wird ebenfalls vergossen werden. Gott hat aber den Menschen in seinem Bilde […] gemacht. Der Mensch ist Sein größter Schatz.“ Er könne Gottes Gesetze nicht übertreten, weshalb er Eid und Waffe verweigerte. Er erklärte nach dem Bibellesen aus der reformierten Kirche ausgetreten zu sein, da deren Lehren nicht mit der Bibel übereinstimmten. Auf die Frage, ob es in seiner Heimat noch Jehovas Zeugen gäbe, könne er nicht sagen, da er seit 27. Mai 1940 in Haft sei. Dennoch benannte er neben seinen Verwandten einige Namen von Zeugen aus früherer Zeit, offensichtlich aber auch Verwandte, wie der Name der Betreffenden belegt.770 Was genau der Bearbeiter der Akte an der Aussage „großartig“ fand, ist unklar. Die Aussagen waren nicht außergewöhnlich, auch die Nennung der wenigen Namen kommt nicht infrage, höchstens die sehr logische Argumentationskette des Verweigerers. Interessant in der Bewertung von Hass bzw. Hetze ist der Fall von Károly Bolyog771 und Sándor Boros. Boros war am 13. Mai 1940 zu einer Übung einge769 

Ebenda, 1942 13. oszt. 5550 cs. 433.677 (Hb. 278/42./VII.).

770 Ebenda. 771 Vater:

János Bolyog.

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zogen worden, dabei hatte er den Stellungsbefehl angenommen, zwei Tage später aber, am 15. Mai 1940, einen Brief geschrieben, dass er als Zeuge Jehovas keinen Militärdienst leisten könne, und bat um Freistellung. Bolyog war vom MG Kassa wegen Befehlsverweigerung verurteilt worden und am 11. Februar 1940 nach 6 Monaten Haft frei gekommen und sollte bei den Gebirgsjägern der 3. Armee dienen, wo er jedoch nicht erschien. Der 21-Jährige war vielmehr nach Hause in die Karpato-Ukraine gegangen, hatte eine Arbeit angenommen und dort im Herbst Boros getroffen. Beide hatten beschlossen, nach Pécs zu fahren, um dort inhaftierte Glaubensbrüder (Mihály Balla und Bertalan Molnár) zu besuchen. In der Gegend von Pécs hatten sie in den umliegenden Dörfern mit Bibel und religiösen Schriften gepredigt, wobei sie am 11. Dezember 1940 von der Gendarmerie aufgegriffen wurden, die die Ermittlungen offensichtlich den Militärbehörden übergaben.772 Der Militärstaatsanwalt der Pécser Militärbehörde berichtete dem Verteidigungsminister am 19. April 1941 von dem Vorgang, wobei deutlich wird, dass er sich über die juristische Beurteilung der Sachlage nicht im Klaren war, z. B. ob Boros als Wehrpflichtiger und damit als Zivilperson, als noch nicht der Armee angehörend, zu betrachten war oder nicht. Auch erklärte er, „Hassreden gegen die Streifkräfte“ könnten nicht nachgewiesen werden. Allerdings würden die bei ihnen „gefundenen Druckschriften, Bücher, mit den Lehren der Sekte“ sie verdächtig machen, denn die Glaubensgrundsätze und organisatorischen Vorschriften würden sich auch gegen die Pflicht des Militärdienstes und diesbezüglicher Befehle richten. Waren nun „die betreffenden Handlungen – die antimilitaristische Propaganda – an sich schon als solche zu betrachten, die geeignet sind, Hass gegen militärische Einrichtungen zu schüren und so den Tatbestand“ erfüllen. Der Militärstaatsanwalt erklärte, dass er „für den Fall, dass sich Hassreden gegen die Streitkräfte aufgrund der Ermittlungen nicht ergeben, auf Übertretung nach § 4 GA XVII/1938“ erkennen würde, die Betreffenden also wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer verbotenen Organisation oder Partei verurteilen würde.773 Auffallend ist, dass die Staatsanwaltschaft zuerst den Vorwurf des Hasses benannte und erst in zweiter Linie auf die Unterstützung einer verbotenen Organisation abstellte, was darauf hinweisen könnte, dass der Vorwurf des Hasses der bevorzugte Anklagepunkt war. Nachdem im Verfahren vor dem Pécser Militärgericht beide Angeklagten erklärten, „die Waffe nicht in die Hand zu nehmen“ entschied das Gericht am 30. Mai 1941 im Fall von Bolyog auf Fahnenflucht nach § 93 MStGB auf 2 Jahre 6 Monate Haft und den Verlust politischer Rechte für fünf Jahre und im Fall von Boros auf Ungehorsam gegenüber dem Stellungsbefehl nach § 181 1 GA II/1939 auf 2 Jahre Haft und den Verlust politischer Rechte für vier Jahre.774 Inwiefern es, wie von den Militärbehörden zunächst gefordert, noch zu einem Verfahren vor einem Zivilgericht wegen „Angehörigkeit zu einer verbotenen Sekte“ gekommen ist, muss offen bleiben.775 772 

Ebenda, 1942 eln. 13 6590 cs. 50.358. Ebenda, 1941 eln. 13 438.056. 774  Ebenda, 1943 13. oszt. 6590 cs. 402538, Az. H.192/41. Ebenda eln. 13 1942 6590 cs. 50.358. 775 Ebenda. 773 

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Bezüglich des Strafmaßes fällt auf, dass vor dem Kriegseintritt Ungarns das Strafmaß zumeist unter zwei Jahre betrug, häufig belief es sich auf 1 Jahr und 6 Monate.776 Mit Kriegseintritt änderte sich das, da gemäß § 73 MStGB in Kriegszeiten eine Gefängnisstrafe von „ein bis fünf Jahren bzw. fünf bis zehn Jahren“ ausgesprochen werden konnte. Der Kriegseintritt Ungarns selbst im April 1941 dürfte zusätzlich strafverschärfend gewirkt haben. Eine einheitliche Linie der Urteile findet sich allerdings nicht, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen: Lajos Czébely, der dem Gestellungsbefehl zum 1. August 1941 nicht nachkam und zum 10. August zwangsvorgeführt wurde, verurteilte das MG Miskolc wegen Verstoß gegen § 181 GA II/1939 und §§ 66 MStGB unter Heranziehung von § 73 MStGB mit Verweis auf die Kriegszeit zu 3 Jahren zuzüglich Verlust der politischen Rechte nach § 213 GA II/1939.777 Der Zeuge Jehovas András Orkuti hingegen erhielt vom MG Kassa am 10. Mai 1941 wegen Befehlsverweigerung „nur“ 2 Jahre Haft.778 Gleichzeitig meldete die Kassaer Haftanstalt, dass zu diesem Zeitpunkt „9 verurteilte Sektenmitglieder“ inhaftiert seien.779 Am 18. August 1941 kam der 21-jährige János Kádas nach 1 Jahr und 6 Monaten780 aus der Haft in Miskolc, die er wegen Nichtbefolgen des Gestellungsbefehls verbüßt hatte, obwohl er im Verhörsprotokoll vom 4. März 1940 erklärt hatte, bei der nächsten Einberufung bereit zu sein, Dienst zu leisten.781 Nach seiner Entlassung sollte er Militärdienst leisten, was er jedoch erneut verweigerte, weshalb er sofort wieder festgenommen wurde.782 Kádas wurde am 17. September 1941 vom MG Miskolc zu 7 Jahren 6 Monaten Haft verurteilt.783 János Ujvári wurde zu Beginn 1942 vom MG Kassa zu 2 Jahren Haft verurteilt.784 Im Gegensatz dazu wurde der Nazarener Mihály Simó, der seit 15. Januar 1942 wegen Befehlsverweigerung in U-Haft war, vom MG Miskolc am 19. Februar 1942 zu nur 1 Jahr und 2 Monaten verurteilt. Simó hatte an Schießübungen teilgenommen, wollte aber nur waffenlosen Dienst leisten.785 Gegen den Zeugen Jehovas János Király aus Gát/Bereg (Karpato-Ukraine), der 1940 wegen Nichtantritt des Gestellungsbefehls vom MG Kassa zu 1 Jahr 6 Monaten Haft verurteilt worden war,786 776 Vgl. Ebenda, 1943 eln. 13 6579 cs. 488.469. MOL, K149 – 1940 – 7 – 5018. MJTA, DOK-2239. HM, 1940 eln. 13. 3814 cs. 413.226. Ebenda, 1940 eln. 13. 5557 cs. 31.026. Ebenda, 1941, 13. oszt. 2835 cs. 443.032. MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230, Bl. 62 ff. HM, 1941 eln. 13 oszt. 4338 cs. 46.630. Ebenda, 1940 eln. 13 3513 cs. 55.436. 777  Ebenda, 1941 eln. 13 4332 cs. ? Az. Hb.377/41. 778  Ebenda, 1941 13. oszt. 473.664. 779 Ebenda. 780  Verurteilt am 27.3.1940. 781  Ebenda, 1940 eln. 13 3508 cs. 425.531. 782  Ebenda, 1942 eln. 13 5550 cs. 500.150. Verhörsprotokoll vom 16.9.1941. 783  Ebenda, Az. Hb394/41. Schreiben an den Justizminister zwecks Überstellung vom 23.7.1942. 784  Ebenda, 1942 13. oszt. 5553 cs. Hb. 1813/41. 785  Ebenda, 1942 13. oszt. 5554 cs. 444.030. 786  Er gab an, im Ersten Weltkrieg als Soldat gedient zu haben. Gemeinsam mit seiner Frau war er 1939 aus der reformierten Kirche ausgetreten war, wo er als eine Art Kurator fungiert hatte.

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verhandelte das MG Kassa am 17. April 1942 erneut und verurteilte ihn nunmehr zu 6 Jahren Haft wegen Befehlsverweigerung. Der Verurteilte ging in Revision, wodurch das Urteil dem Obersten Militärgericht vorgelegt wurde. Der Ausgang ist unklar.787 Parallel zur Landesaktion der zivilen und militärischen Behörden gegen Nazarener und Zeugen Jehovas, die ihre Eliminierung zum Ziel hatte und an deren Ende jeweils Verfahren vor dem Generalstabsgericht standen, lassen sich eine Reihe weiterer Verweigerungsfälle nachweisen. Mit Sicherheit wurden die Aussagen der Betreffenden wie schon zuvor bei den Aktionen der Behörden zu den Ermittlungen herangezogen, wenngleich viele keine Angaben machten. Wenig Erfolg hatten sie damit zum Beispiel bei dem Reservisten János Mihály, Angehöriger der Zeugen Jehovas. Der Leiter des Militärgerichts musste in seinem Bericht vom 27. März 1943 an den Verteidigungsminister feststellen, dass er „die Antwort auf sämtliche an ihn gerichteten Fragen in Verbindung mit der antimilitärischen Sekte verweigerte“; „er war nicht bereit, irgendetwas zu sagen“, weshalb mit dem Verhörsprotokoll gemäß der VO 8.769/1938 nichts anzufangen war.788 Auch Sándor Nagy machte in dem Verhörsprotokoll vom 13. Oktober 1943 keine Angaben zur Organisation oder zu Glaubensangehörigen, er erklärte, lediglich die Bibel gelesen zu haben.789 In die Phase der Landesermittlungen fiel auch die Einberufung des Landarbeiters Tivadar Mán, Zeuge Jehovas aus der Gegend von Kolozsvár, der den Waffendienst verweigerte, der am 2. Oktober 1942 vom MG Kassa zu 5 Jahren 6 Monaten Haft verurteilt wurde. Als mildernde Umstände gab man „geringe Entwicklung von Verstand und Moral“ an.790 Doch dieser Mann war durchaus in der Lage, mit anderen über seinen Glauben zu sprechen, wie sich durch den Fall des rumänisch sprechenden János Muntyán zeigte, der ebenfalls den Dienst an der Waffe verweigerte und erklärte, dass er zwar selbst nicht lesen könne, aber Tivadar Mán ihm vorlese und er Teile der Bibel auswendig gelernt habe. Er gab im Verhörsprotokoll vom 7. September 1942 an, nach dem Verbot in den Häusern heimlich zusammengekommen zu sein. Namen nannte er aber nicht.791 Im Fall des Nazereners Imre Furtai aus Dévaványa (im Südosten Ungarns), der am 19. Oktober 1942 den Schießbefehl mehrfach verweigerte, erkannte das MG Debrecen am 15. Dezember 1942 auf 5 Jahre 6 Monate, womit das Gericht – wie es erklärte – an der unteren Grenze des Strafrahmens in Kriegszeiten geblieben sei.792 Der Adventist László Mészáros aus Kiskunfélegyháza erzählte in seinem Verhörsprotokoll vom 24. Oktober 1943, dass noch 1940, also nach dem Verbot der Gemeinschaften, Adventisten im Ort unterwegs gewesen seien und Bücher

787  Ebenda, 1942 eln. 13 5091 cs. 23.397. Innen- und Verteidigungsministerium waren informiert. 788  Ebenda, 1943 eln. 13. 6586 cs. 473.498. 789  Ebenda, 1943 13. oszt. 6581 cs. 447.824. 790  Ebenda, 1943 13. oszt. 6580 452.022. 791  Ebenda, 1943 13. oszt. 6581 cs. 503.097. 792  Ebenda, 1943 eln. 13 402.985(?), Az. Hb. 552/42. IV/10.

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verbreitet hätten.793 Auch die Zeugen Jehovas György Visnyai794 und József Hósvári795 machten in den Verhörsprotokollen im Oktober bzw. Dezember 1943 keine Angaben zu Anhängern. Wenngleich in dieser Zeit auch einige Zeugen Jehovas unter den Verweigerern waren, handelte es sich nun überwiegend um Nazarener.796 Wahrscheinlich waren die meisten der Zeugen entweder bereits interniert oder bei den Landesermittlungen festgenommen worden. Die unterschiedliche Bewertung und Kategorisierung der Straftaten durch die erstinstanzlichen Gerichte brachte auch immer wieder das Oberste Militärgericht ins Spiel. 2.  Ausgewählte Urteile des Obersten Militärgerichts Die Urteile der unteren Instanzen der Militärgerichtsbarkeit wurden regelmäßig von der Rechtsabteilung des Verteidigungsministeriums, Abteilung 13, überprüft und verschiedentlich wegen gravierender Fehler vor das Oberste Militärgericht gebracht und von dort korrigiert. Zum Beispiel neigten die unteren Militärgerichte in Fällen religiöser Verweigerer nicht selten dazu, auch über deren Zugehörigkeit zu einer verbotenen Glaubensgemeinschaft nach GA XVII/1938797 zu urteilen. Wenngleich Militärgerichte seit den 1930er-Jahren zunehmend auch in Zivilangelegenheiten richteten, schien die juristische Abteilung des Verteidigungsministeriums dafür zu plädieren, sich aus diesem Bereich herauszuhalten, wie die Überprüfung der Urteile belegt, da sie in solchen Fällen die Zuständigkeit infrage stellte und das Oberste Militärgericht einschaltete. Interessanterweise war man sich aber selbst dort über die Beurteilung des 793  Ebenda, 1943 13. oszt. 6580 cs. 549.748. Wegen des Verbots sei er der Gemeinschaft jedoch nicht beigetreten. Er hatte zunächst verweigert, am Samstag eingekleidet zu werden, später dann erklärte er, keine Uniform anziehen zu wollen und die Waffe nicht anzunehmen. 794  Ebenda, 1943 eln. 13 6064 cs. ?, Az. Hb.1729/43. 795  Ebenda, 1943 eln. 13 6574 cs. 528.824. 796  Weitere Verfahren neben dem Zeugen Jehovas Gábor Bordás, Verhörsprotokoll des MG Kassa v. 5.9.1942, Ebenda, 1943 13. oszt. 6569 cs. 452.023. Die Nazarener Lajos Toth, Verhörsprotokoll (VP) v. 7.9.1942. Ebenda, 1943 13. oszt. ?? 431.299; Kálmán Tóth VP des MG Kassa v. 5.9.1942, ebenda, 1942 13. oszt 5555 cs. 525.770; József Bodnár aus Debrecen hatte laut VP v. 25.9.1942 den Waffendienst verweigert, verhandelt wurde am 8.1.1943, ebenda, 1943 13. oszt. ?? 402.985. János Soós (am 5.10.1942 eingezogen) VP v. 3.11.1942, ebenda, 1943 13. oszt. 6061 cs. 1828. István Gumbér, VP v. 14.11.1942. Ebenda, 1942 13. oszt. 5548 cs. 71030. János Hevesi verweigerte laut VP v. 16.11.1942 die Waffenannahme, Verfahren am 30.11.1942, ebenda, 1942 13. oszt. ??? 71.735. György Mirkov verweigerte laut VP v. 29.12.1942 im November die Waffenannahme, Verfahren am 21.1.1943, ebenda, 1943 13. oszt. ?? 409.505. Mihály Márics, (Reform-?)Adventist, verweigerte gemäß Verfahren v. 7.11.1942 den Waffendienst. Ebenda, 1942 13. oszt. ?? 66.389. 797  Gemäß Paragraf 2 galt „jedes Bestehen oder Tätigkeit von Vereinigung oder Organisationen, die die unter § 1) festgelegten Bedingungen nicht erfüllt“ als verboten. § 1 besagte, dass jedweder Verein oder Organisation nur mit Zulassung des Innenministers tätig sein konnte. § 4 bestimmte die Strafhöhe bei Zuwiderhandlung.

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Tatbestandes und die Zuständigkeitsfrage nicht im Klaren, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen. Gleichzeitig förderte die Diskussion um die Bewertung des Verhaltens der religiösen Verweigerer zusätzliche juristische Überlegungen zu Tage. Schon 1940 war das Thema der Verurteilung von Zeugen Jehovas wegen Verstoßes gegen § 4 GA XVII/1938 auf oberster Ebene diskutiert worden. Dabei handelte es sich ebenfalls um ein Urteil des MG Kassa vom 16. Juli 1940 gegen den Zeugen Jehovas Mihály Balkó, Hb. 444/40,798 und Urteile gegen die Zeugen Jehovas László Koroly, Hb. 445/40, Péter Gabóda, Hb. 443/40, und László Drága, Hb. 447/40.799 Das ungarische Verteidigungsministerium – unterschrieben wurde der Vorgang unter anderem wieder von Kormann – ordnete am 28. August 1940 an, gegen die rechtskräftigen Urteile Kassationsbeschwerde einzulegen und die Aufhebung der Urteile zu fordern. Balkó und Koroly, die zur Musterung nicht erschienen waren und sich bei der Nachmusterung als Zeugen Jehovas bekannt hatten, waren wegen Verstoßes gegen § 177 1 GA II/1939 zur militärischen Meldepflicht und gegen § 4a XVII/1938 verurteilt worden. Das Verteidigungsministerium erklärte jedoch, dass zum einen das Nichterscheinen zur Musterung nicht den Tatbestand von § 177 1 GA II/1939 erfülle, sondern nach § 224 2b GA II/1939 nur ein Disziplinarverfahren nach sich zieht. Für die Verurteilung der beiden aufgrund des Bekenntnisses zu einer verbotenen Gemeinschaft erklärte Kormann das Militärgericht für nicht zuständig, da es sich bei den beiden nicht um Militärpersonen handelte – schließlich handelte es sich lediglich um eine Musterung und noch nicht um eine Einberufung. Ähnlich lag, so das Ministerium, der Fall von Gabóda und Drága.800 Der Oberste Militärgerichtshof gab am 22. November 1940 in der Sache László Koroly, Hb. 445/40, der Kassationsbeschwerde statt. Es stufte das Versäumen des Musterungstermins als Disziplinarverfahren ein, die Verweigerung der Annahme des Militärausweises hingegen als Subordinationsvergehen. Koroly wurde zu 6 Monaten Gefängnisstrafe verurteilt, erschwert mit monatlich 2 Tagen Fasten und harter Liege an diesen Tagen. Die Beurteilung eines Verstoßes gegen § 4a GA XVII/1938 gab das Gericht an das Polizeipräsidium in Munkács zwecks Einleitung eines Strafverfahrens weiter, da sich diese Straftat der Zugehörigkeit zu „der betreffenden Sekte“ auch auf die Zeit vor und nach der Musterung beziehe und Koroly nicht im Militärdienst stand.801 Im Fall von Péter Gabóda entschied das Oberste Militärgericht am 20. Dezember 1940 ebenfalls auf Kassation des Urteils des MG Kassa, die Überstellung der Sache der Zugehörigkeit zu einer verbotenen Organisation an die Munkácser Zivilbehörden und verurteilte Gabóda wegen Subordinationsvergehens wie im Fall Koroly zu 6 Monaten Gefängnisstrafe mit monatlich 2 Tagen Fasten und harter Liege an den Fasttagen.802 Über die anderen beiden Fälle liegen die Urteile des Obersten Militärgerichts nicht vor. 798 

HM, 1940 13. oszt. 5557 cs. 527.995. Ebenda, 1942 13. oszt. 5557 cs. 482.589. Datum der Urteile unbekannt. 800 Ebenda. 801  Ebenda, 1940 13. oszt. 5557 cs. 527.995. 802  MJTA, DOK-1083. Urteil des OGM Az.: P. I. 413/40.

799 

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In einem anderem Fall – dabei ging es um den noch der reformierten Kirche angehörenden Miklós Csepei, der sich für die Lehren der Zeugen Jehovas interessierte – hatte das Oberste Militärgericht am 16. Mai 1941 entschieden, der Verurteilte habe nicht als Soldat, sondern als Zivilperson gegen § 4 XVII/1938 verstoßen, wofür das Militärgericht nicht zuständig sei.803 Im Übrigen verurteilte es den Betreffenden, der dem Stellungsbefehl nicht Folge geleistet hatte, gemäß § 181 1 GA II/1939 zu 1 Jahr und 2 Monaten Zuchthaus, alle zwei Wochen je einen Tag Fasten und harter Liege.804 Wie die Dokumente zeigen, scheint er durch entsprechende Unterweisung oder Aufklärung, wahrscheinlich auch unter Druck, seine Meinung geändert und sich wieder zur reformierten Kirche bekannt zu haben, und war bereit, den Eid abzulegen und mit der Waffe zu kämpfen.805 Csepei war schon im Juli 1940 aus der Haft entlassen worden und verrichtete seinen Militärdienst anstandslos.806 Offensichtlich hat das Oberste Gericht die Sache wegen Zugehörigkeit zu einer verbotenen Vereinigung nicht an ein ziviles Gericht verwiesen, da der Verurteilte, zur historischen Kirche zurückgekehrt war. In der schon erwähnten Angelegenheit von Endre Kádas entschied das Oberste Militärgericht anders. Der Totalverweigerer Kádas war am 17. Oktober 1940 vom MG Kassa wegen Ungehorsams gegenüber dem Stellungsbefehl nach § 181 1 GA II/1939 und wegen Übertretung von § 4a GA XVII/1938 zu 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt worden.807 Die Juristische Abteilung des Verteidigungsministeriums, Präsidialabteilung 13, der Generalstaatsanwalt, hatte die Kassation des Urteils gefordert, was das Oberste Militärgericht am 30. Mai 1941 jedoch abwies. Der Staatsanwalt hat seinen Antrag auf Kassation damit begründet, dass § 4a GA XVII/1938 auf Personen anzuwenden war, die in eine verbotene Organisation / politische Partei / eintraten oder ihr angehörten. Der Verurteilte würde aber einer Gemeinschaft angehören, auf welche die Formulierung im Gesetz nicht zuträfe, den Tatbestand also nicht erfülle. (Tatsächlich sollten die Gemeinschaften ja auch nie als Vereine behandelt werden, da man darin das Unterlaufen des Gesetzes sah. Andererseits hat man die Gemeinschaften häufig als Vereine behandelt. Möglicherweise war dem Schreiber aber auch klar, dass es sich um keine politische Organisation handelte. In der Verbotsverfügung von 1939 wurden die Gemeinschaften lediglich als „Sekte“ bezeichnet). Das Gericht entschied anders. Der Verurteilte habe selbst erklärt, „der betreffenden Sekte anzugehören“, und das schon neun Jahre lang, was an sich bereits ausreichend wäre. Darüber hinaus ginge aber aus Unterlagen der Gendarmerie hervor, dass er sogar „einer der Leiter der Sekte“ sei, der „durch seine Bekehrungstätigkeit die Bewohner der betreffenden Gemeinde wirklich schädlich beeinflusst [habe]. Das Gericht hat diese Tätig803 Az. P.I.103/41. Das MG Kassa hatte ihn am 8.8.1940 wegen Verstoß gegen § 4 XVII/1938 zu 2 Monaten erschwerter Zuchthaushaft verurteilt. 804  HM, 1941 eln. 13. 4332 cs. 249. 805  MOL, K149 – 8 – 8230, Pag.: 25733 bzw. 6332. HM, 1941 eln. 13 4332 cs. 249. 806 Ebenda. 807  HM, 1942 eln. 13 5550 cs. 471.982. Ebenda, 1942 eln. 13 5550 cs. 521.704. MOL, K149 – 1940 – 7 – 5018. Az.  Hb.  719/40.

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keit des Verurteilten in der Urteilsbegründung entsprechend hervorgehoben und ihn wegen Gefahr für Nation und Militär des betreffenden Ort verwiesen.“ Damit sei hinlänglich bewiesen, dass der Verurteilte der betreffenden Sekte tatsächlich angehörte und das überaus eifrig und aktiv bzw. dass der Betreffende nach seiner Einberufung weiter Mitglied dieser verbotenen Vereinigung blieb. Man kam daher zu dem Schluss, die Sache stünde außer Frage.808 Die Zuständigkeitsfrage des Militärgerichts blieb unberührt. Das Verteidigungsministerium, Abteilung 13, zeigte sich mit der Entscheidung des Obersten Gerichts in der Sache unzufrieden. Frigyes Kormann erklärte, dass „die Aussagen der Verkündiger der Lehren der Sekte Jehovas Zeugen zeigen, dass es die Sekte als geheim tätige Sekte überhaupt nicht gibt [und] es daher keine Austrittsmöglichkeit für Sektenanhänger gibt“. Nunmehr wollte er sich einen grundsätzlichen Überblick über die Sachlage verschaffen und wandte sich„in Verbindung mit Strafverfahren vor den Justizbehörden des Militärs wegen Übertretung von § 4 GA XVII/1938 durch Anhänger der Sekte Jehova Gott Zeugen“ am 23. Juni 1941 an den Innenminister. Er bat um Feststellung, „ob die Sekte nach ihrer Auflösung durch die von Ihrer Exzellenz herausgegebene VO 363.500/1939 vom 2. Dezember 1939 als ‚verbotene Organisation‘ zurzeit noch weiter existiert und tätig ist“. Man wollte auch wissen, „inwiefern die einzelnen die Sektenlehren verbreitenden Angehörigen aus der Sekte als verbotene Organisation formal austreten können“. Paragraf 4 GA XVII/1938 stellte unter Strafe, wenn jemand nach Absatz a) Mitglied einer verbotenen Organisation oder eine verbotene Tätigkeit ausübende Partei bleibt oder wird und nach Absatz b) wer andere dazu drängte, Mitglied zu werden, zu bleiben oder die Tätigkeit weiter auszuüben. Der Ministerliche Abteilungsrat beim Innenministerium, Abteilung VII, Dr. Benczur-Ürmössy, reagierte im Namen des Innenministers am 7. Juli 1941 mit der Auskunft, „dass die gesetzlich nicht anerkannte Religionsgemeinschaft der ‚Jehova Gott Zeugen‘ / Sekte / nach meiner Auflösung durch die Rundverordnung 363.500/1939 VII de jure nicht mehr als existent zu betrachten ist. In Bezug darauf, inwiefern irgendwo nach Auflösen der Sekte eine solche verbotene Organisation noch tätig sein würde, gibt es keine Belege, wenngleich es heute noch viele Anhänger gibt“.809 Das würde also bedeuten, man könne den Betreffenden den Vorwurf nach GA XVII/1938 nicht machen, da sie aus einer Gemeinschaft, die de jure gar nicht existent war, auch nicht austreten konnten. In seinem Schreiben vom 23. Juni 1941 an den Innenminister verwies Kormann auf einen anderen wesentlichen, bisher überhaupt nicht diskutierten Aspekt: „Ich erinnere auch daran, dass der Umstand, dass sich einer zu den Lehren der Sekte bekennt, dieses als reine Gewissensache an sich genommen nicht als Übertretung von § 4 GA XVII/1938 angesehen werden kann.“810 Auch wenn hier die Gewissens­entscheidung nur in Verbindung mit § 4 GA XVII/1938 zum Ver808 

HM, 1942 eln. 13 5550 cs. 471.982. Ebenda, 1942 13. oszt. 5550 cs. 471 982. Az. 257932/1941. 810 Ebenda. 809 

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einsrecht erwähnt wurde, ist der Fakt ihrer Erwähnung – noch dazu von einem Verantwortlichen der juristischen Abteilung – schon bemerkenswert und weist darauf hin, dass man sich der Gewissensproblematik bewusst war. Wenn hier die Frage nach der Wertung des Gewissens in Verbindung mit Glaubensfragen bei Verstößen gegen Verbotsgesetze eine Rolle spielte, wieso dann nicht bei Pflichtgesetzen wie dem der Militärpflicht. Tatsächlich fand dieser Umstand in keiner der bisher bekannten Akten Berücksichtigung – abgesehen davon, dass sie teilweise in den Verfahren bei der Strafzumessung als mildernde Umstände berücksichtigt wurden.811 Und es kam auch vor, dass Glaubensansichten als strafverschärfend angeführt wurden.812 Dabei verwiesen die Verweigerer unisono bei den Verhören auf ihre Glaubensansichten, ihre religiöse und teilweise ihre ethische Pflicht. Hier nur einige Beispiele: Mihály Béres soll bei seiner Musterung am 9. März 1940 gesagt haben: „Ich bekenne mich zu den Lehren Jehovas und im Fall eines eventuell kommenden Krieges werde ich die Waffe nicht gegen meinen Nächsten erheben, weil das meiner religiösen Überzeugung widerspricht.“813 Wegen dieser Äußerung bei der Musterung, also nicht wegen Verweigerung des Militärdienstes an sich, verurteilte ihn das MG Kassa am 2. Oktober 1940 zu 1 Monat Zuchthaus.814 Der Zeuge Jehovas Sándor Kiss verwies auf das Gebot: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Kiss hatte erklärt, kein Blut vergießen zu wollen: „Jetzt ist Krieg und man muss sich am Vergießen menschlichen Blutes beteiligen.“ Das könne er nicht. Er hatte auch erklärt, dass der Mensch Gottes größter Schatz sei und er die Gebote Gottes nicht übertreten wolle.815 Für László Drága galt als „oberstes die Liebe zum Nächsten und die Achtung vor dem Leben des anderen“.816 Borbély hatte mehrfach den Militärdienst verweigert in dem Bewusstsein, keinen Menschen töten zu wollen.817 Ignác S. wollte lieber sterben, als die Waffe gegen Mitmenschen zu richten.818 Auch der damalige Nazarener Lajos Papp hatte erklärte, dass es ihm nicht erlaubt sei, Menschen zu töten und er „auch sonst nicht schießen mag“. Dem Militärrichter 811  Z. B. führte das MG Székesfehérvár im Fall Ignács S. strafmildernd an, dass er „die Tat aus religiöser Überzeugung begangen hat“. Ebenda, 1942 eln. 13. 5162 cs. 55.670 (?). Das MG brachte im Fall Jancsó strafmildernd vor, dass der Angeklagte „ein einwandfreies Vorleben hatte und von einer gewissenlosen Person zu der Tat verführt wurde“. MJTA, 2266. In einem anderen Zusammenhang, in Verbindung mit Untreue-Verfahren, wies das Generalstabsgericht in seinem Urteil gegen Kovács darauf hin, dass „ihn die von ihm falsch verstandene religiöse Überzeugung zum Vollbringen der Tat veranlasste“. HM, 1943, eln. 13. 74561 cs. Ähnlich erklärte man im Untreue-Verfahren gegen Radics, er habe „die religiösen Irrtümer seit seiner Geburt fortgesetzt aufgenommen“. Ebenda, 1942 eln. 13 oszt. 5160 cs. 16.130. 812  Vgl. Ebenda, 1942 13. oszt. 5557 cs. 57.174. 813  Ebenda, 1940 23. oszt. 3978 cs. 509.778. Az. 1940. Kü. 1915/1. VP vom 21.6.1940. 814  Ebenda, Az.: B.6493/1940. 815  Ebenda, 1942 13. oszt. 5550 cs. 433.677 (Hb.278/42./VII.). 816  Ebenda, 1940 eln. 13. 3814 cs. 413.226. 817  MJTA, DOK-1799. 818  HM, 1942 eln. 13. 5162 cs. 55.670 (?) Az.: HB.222/39. sz. 24.

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hatte er erklärt, er könne keine Menschen töten. Der Zeuge Jehovas Kálmán Soós erklärte, dass seiner „Meinung nach jeder militärische Dienst nichts anderes ist als Vorbereitung auf den Krieg und dessen Durchführung zum Auslöschen von Menschleben führt“.819 Die Zeugen György Farkas820 und Mihály Garai waren am 11. November 1940 beim Training stehengeblieben und hatten erklärt, nichts tun zu wollen, was auch nur im Ansatz mit dem Militär zusammenhängt, wobei sich diese Haltung nicht gegen die bestehende gesellschaftliche Ordnung richte, man wolle nichts tun, was Gottes Gesetzen zuwiderlaufe.821 Der Zeuge Jehovas Sándor K. der am 12. Mai 1942 zum Arbeitsdienst eingezogen worden war, hatte im Verhörsprotokoll vom 23. Mai 1942 erklärt, den Eid nicht zu leisten und auch keinen Dienst an der Waffe verrichten zu wollen, da „Gott uns zu Liebe und nicht zum Hass erschaffen hat“ und nicht er den Krieg verordnet habe, sondern Satan.822 Der Adventist László C. aus Gödemesterháza, Komitat Maros Torda (Siebenbürgen), hatte im Mai 1942 mehrfach verweigert, am Samstag eine Waffe in die Hand zu nehmen bzw. zu exerzieren. Er erklärte beim Verhör am 21. Mai 1942: „Ich fühle mich nicht schuldig, weil ich als Adventist ein Anhänger der Lehre Jesus Christi bin, und wenn ich zur Waffe greifen bzw. den Samstag nicht feiern würde, eine meiner religiösen Überzeugung gemäß Gott nicht wohlgefällige Sache tun würde.“823 Diese Beispiele zeigen deutlich den Glaubens- und Gewissenskonflikt, in dem die Männer standen.824 Die Äußerung der juristischen Abteilung 13 des Verteidigungsministeriums hinsichtlich der Einschätzung der Gewissensfrage könnte ein Hinweis darauf sein, dass einige die Meinung vertraten, dass ein ungarischer Staatsbürger als Einzelner seine Gewissens- und, wie von Kormann erklärte, damit seine Glaubensüberzeugung besitzen und im privaten Rahmen ausleben könnte – in einer Art „Privatexercitium“. Das wiederum würde bedeuten, dass man die Verbotsverfügung des Innenministers von 1939 in Verbindung mit dem Gesetz zur Religionsfreiheit so auslegte, dass nur die Gemeinschaft bzw. Organisation als solche und die Tätigkeit ihrer Anhänger in der Öffentlichkeit verboten wurde. Insofern hätte man GA XLIII/ 1895 auf den privaten Bereich beschränkt, was das Gesetz selbst nicht vorsah. Das allerdings widerspricht ganz offensichtlich der allgemeinen Auslegung. Wurde doch gerade Wert darauf gelegt, jeden einzelnen Zeugen Jehovas und Nazarener, also nicht nur die Organisation, dingfest zu machen, ihnen auch das private Lehren 819  Ebenda, 1942 13. oszt. 5554 cs. 426.305. Auch der Zeuge Jehovas Pál V. war nicht bereit zur Annahme von Waffen oder anderen Kriegsgeräten, mit denen Menschenleben ausgelöscht werden, würde lediglich, waffenlosen Dienst verrichten. Ebenda, 1941 13. oszt. 4675 cs. 530.495. 820  Er war bereits 1936 vom MG Pécs wegen Befehlsverweigerung zu 6 Monaten Haft und 1939 von einem Zivilgericht zu 8 Monaten Haft verurteilt worden, und verweigerte im November 1940 erneut den Dienst, wurde vom MG Szegend zu 2 Jahren Haft verurteilt. 821  MOL, K149 – 1941 – 8 – 5230. 822  HM, 1943 eln. 13 6575 cs. 477.383. Ebenda, 1943 eln. 13 6575 cs. 408.495. 823  MOL, K150-VII-6 – 1940, Bl. 10 f. 824  Interview mit Lajos Papp am 30.1.2010 in Budapest.

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zu untersagen, ihnen ihre religiösen Ansichten „auszutreiben“ und wenn möglich sie zur Kirche zurückzuführen. Andererseits hatte man es besonders auf die Leiter und aktiven Anhänger abgesehen, passive hat man verschiedenerorts geduldet. Allerdings gab es im Falle der Zeugen Jehovas relativ wenige passive Anhänger, da wohl die meisten von ihnen auch predigten und damit öffentlich wirksam wurden, was auch die hohen Verfolgtenzahlen erklärt. Dennoch scheint die Rechtsauffassung Kormanns zur Interpretation von GA XVII/1938 Auswirkungen auf die Rechtssprechung des Obersten Gerichts gehabt zu haben, wie sich in der Sache des für den Militärdienst untauglichen Nazareners Mihály Győrfy (23  Jahre) zeigt, der zum Arbeitsdienst herangezogen wurde und dort die Eidesablage aus religiösen Gründen verweigerte. Das MG Kassa hatte darauf am 19. September 1940 entschieden, ihn wegen Verstoßes gegen § 66 und § 73 1 II MStGB, der Befehlsverweigerung, und wegen Übertretung von § 4 GA XVII/1938 zu 8 Monaten Haft mit wöchentlich einem Fastentag und hartem Lager zu verurteilen. Das Gericht hatte hinsichtlich der Eidesverweigerung argumentiert, der zum Arbeitsdienst im Gemeininteresse herangezogene Dienstleistende müsse keinen Militärdienst (aber einen Diensteid) leisten und würde nicht als Soldat betrachtet. Zuständig für den Arbeitsdienst sei allerdings die Militärgerichtsbarkeit. Außerdem gehöre Győrfy „der verbotenen Sekte der Nazarener an“, weshalb er eine Straftat nach § 4 GA XVII/1938 begangen hätte. Am 13. Juni 1941 gab das Oberste Militärgericht auf Anregung von Frigyes Kormann von der juristischen Abteilung des Verteidigungsministers der Nichtigkeitsbeschwerde (querela nullitatis) vom Februar 1941 gegen das rechtskräftige Urteil statt. In der Begründung hieß es, dass der Verurteilte als Arbeitsdienstleistender nicht als Militärperson angesehen werden und daher keine militärische Straftat, also Befehlsverweigerung, begehen könne, und daher nicht wegen Verstoßes gegen § 66 und § 73 1 II MStGB verurteilt werden könne. Das Oberste Militärgericht verurteilte ihn daher wegen Verstoß gegen § 205 1 GA II/1939 zu 6 Monaten Haft (die letzten 2 Wochen Einzelhaft), ferner zum Verlust politischer Rechte. Gemäß § 205, Absatz 1 GA II/1939 beging eine Zivilperson eine Straftat, wenn sie eine Anordnung in einem unter militärischer Leitung stehenden Dienst nicht befolgte, was mit bis zu einem Jahr Zuchthaus bestraft werden konnte. „Bei der Bestimmung der Strafhöhe hat das ung. kgl. Oberste Militärgericht entgegen der ersten Instanz als erschwerend bewertet, dass der Verurteilte gegenüber dem militärischen Vorgesetzten in so außergewöhnlicher Zeit, ungehorsam ist, da im Hinblick auf die Situation, in welcher das Land sich zurzeit gerade befindet, noch größere Verpflichtung angezeigt wäre; ferner auch der Umstand, dass der Verurteilte die Anordnung im Beisein anderer Kameraden verweigerte, wodurch er ihnen ein schlechtes Beispiel gab.“ Die dann folgende Einschätzung bezüglich des Urteils über die Zugehörigkeit Győrfys zu einer verbotenen Vereinigung ist sehr interessant, insbesondere im Vergleich zu der bereits zitierten Entscheidung des Obersten Militärgerichts vom 30. Mai 1941 in der Sache Kádas.825 Anders als 825 

HM, 1942 eln. 13 5550 cs. 471.982.

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im Fall Kádas folgte das Oberste Militärgericht nunmehr der Rechtsauffassung und Einschätzung Kormanns vom Verteidigungsministerium bzw. übernahm sie, wenn es erklärte, dass sich die Übertretung von § 4 GA XVII/1938 auf verbotene Organisationen und politische Parteien beziehe, der Verurteilte jedoch nur Mitglied einer Organisation sei, deren Haltung keine diesbezügliche Übertretung darstelle.826 Eine ähnliche Diskussion gab es hinsichtlich der Zuständigkeit in dem Fall, da eine Person die Annahme des Einberufungsbefehl verweigerte: War derjenige als Militär- oder Zivilperson zu betrachten? Der Staatsanwalt der Krone begründete am 17. Februar 1942 seinen Standpunkt, wonach die Person als Militärangehöriger zu betrachten sei mit der Einführung von GA II/1939, der alte Ansichten des „trianonischen Militärgesetzes“ GA XLIX/1921 – das die einschränkenden Bedingungen und Auflagen des ungarischen Heeres regelte – ablöste und „den Ungehorsam gegenüber dem Einberufungsbefehl neu geregelt hat“. Er betonte zugleich, dass der Umstand, dass zivile Strafgerichte niemand für eine militärische Straftat zur Verantwortung ziehen könnten, im Umkehrschluss nicht bedeute, „dass nicht tatsächliche Militärangehörige [also Zivilpersonen] in Ausnahmefällen der Militärgerichtsbarkeit unterstehen“.827 In dieser Stellungnahme wird einmal mehr deutlich, dass der trianonische Vertrag der Vergangenheit angehörte. Die Diskussion der Frage der Zuständigkeit war durchaus von Bedeutung. So wie das Militär seit GA II/1939 – insbesondere seit Kriegsbeginn – auf gesamtpolitische Fragen immer mehr Einfluss nahm, war es durchaus in dessen Interesse, dem juristischen Sektor der Militärgerichtsbarkeit mehr Relevanz zu verleihen und damit auch die zivile Rechtsprechung zu beeinflussen. Bestes Beispiel ist das Generalstabsgericht, das über Zivil- wie Militärpersonen gleichermaßen im Militärinteresse hart urteilte. In diesem Zusammenhang verwundert allerdings die hier doch moderat wirkende Haltung der juristischen Abteilung beim Verteidigungsministerium. Gleichzeitig wird auch deutlich, dass die Urteile vom Verteidigungsministerium samt und sonders geprüft und bei Bedarf angefochten wurden. Urteilte das Oberste Gericht, konnte sich das nachträglich auch strafverschärfend auswirken. Interessant sind die Diskussionen und unterschiedlichen Auffassungen der Beurteilung der Tatbestände, besonders hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer verbotenen Organisation, aber auch zur Frage der Gewissensentscheidung. 3.  Strafvollzug und Haftbedingungen Wie bereits deutlich wurde, ging es nicht nur um das Wegschließen der Verweigerer, sie sollten gleichzeitig umerzogen werden. Mit der Grundsatz-Verordnung 32.816/1939 hatte der Oberbefehlshaber der Armee angewiesen, sie „unter Zuhilfe­

826 

Ebenda, 1941 13. oszt. 4665 cs. 414.235. Ebenda, 1943. 13 oszt. 5555 cs. 528.427. Im Zusammenhang mit der Sache von Dáni­ el Varga. 827 

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nahme aller zulässigen Mittel“ zum Dienst an der Waffe zu drängen.828 Dieser Anordnung versuchte man sowohl im Vorfeld, während der Untersuchungshaft wie auch während des Strafvollzugs nachzukommen. Insofern spielte der Strafvollzug eine nicht unwesentliche Rolle im Vorgehen gegen die religiösen Verweigerer. Hier sollten sie dazu gebracht werden, ihre Glaubens- und Gewissensüberzeugung aufzugeben. Aufgrund der großen Verweigererzahl gab es immer wieder Unterbringungsprobleme und man musste Militärstrafverurteilte auch an Zivilgefängnisse überstellen. Der juristischen Abteilung beim Verteidigungsministerium war jedoch deren Unterbringung in Militärgefängnissen wichtig. Daher wies man am 28. Januar 1941 im Zusammenhang mit einer größeren Überstellung von verurteilten Zeugen Jehovas829 aus Kassa in das Militärgefängnis in Pécs das Justizministerium und die Verantwortlichen des Militärs nochmals daraufhin: „Ich halte noch fest, dass die ‚Sekten‘-Verurteilten nicht in Zivilgefängnissen zu inhaftieren sind.“830 Außerdem mussten sie extra ausgewiesen werden.831 Sicher war dem Verteidigungsministerium die Unterbringung in Militärgefängnissen deswegen so wichtig, weil man dort auf Anweisung VO 32.816/1939 des Oberbefehlshabers der Armee gezielt darauf hinarbeitete, die Betreffenden zur Durchführung des Militärdienstes zu bringen. Dass das nicht immer nur verbal ablief, belegen Berichte Einzelner und verschiedene Dokumente. Abgesehen davon wurden die Inhaftierten auch zu Arbeiten herangezogen, darunter nicht selten zu kriegsunterstützenden Tätigkeiten, die für religiöse Verweigerer aus Glaubens- und Gewissensgründen zumeist ein Problem darstellten. Das belegt die Meldung vom 25. Januar 1941 aus dem Strafvollzug an den Innenminister, wonach Mihály Garai832 und György Farkas in der Haft den Befehl verweigert hatten. Sie hatten während ihrer Haft in der Haftanstalt des V. Militärkorps in Szeged nicht mittrainiert. Garai hatte erklärt: „Ich bin nicht bereit, eine Übung oder Tätigkeit auszuführen, die im Zusammenhang mit dem Militär steht.“ Offensichtlich wurde deswegen ein weiteres Strafverfahren gegen sie eingeleitet.833 Misshandlungen scheinen sowohl beim Militär selbst, in der Untersuchungshaft wie auch später im Strafvollzug keine Seltenheit dargestellt zu haben. Im Zusammenhang mit der Untersuchungshaft sei an den schon erwähnten Zeugen Jehovas Károly Tóth erinnert, der in der Hauptverhandlung vor dem MG Kassa am 828 

Ebenda, 1939 eln. 13 3094 cs. 36.440, Bl. 584 f. betraf Bálint Görög, Károly B., Mihály C., György B., Endre Kádas, József Király, Sándor Kiss, József Pántelik, Károly Toth, Iván Timkovics, Demeter Macola, Endre Orosz, István Jakab, Bálint Gorondi, József Balogh und János Király. 830  Tatsächlich konnten nach § 10 MStGB von Militärgerichten ausgesprochene Haftstrafen wenn nötig auch in Zivilhaftanstalten verbüßt werden. 831  Ebenda, 1941 eln. 13. 4676 cs. 404.711. 832  Garai war bereits 1939 wegen Befehlsverweigerung zu 10 Monaten Haft worden, am 15.3.1940 von einem Gericht in Debrecen wegen Hetze gegen religiöse Gemeinschaften zu 1 Jahr Haft, im Juli 1940 vom MG Szeged zu 1 Jahr 3 Monaten Haft wegen Befehlsverweigerung. MOL, K149 – 1941 – 8 – 8230, Bl. 74 f. VP vom 17.11.1940. 833  Ebenda, K149 – 1941 – 8 – 8230, Bl.  74  ff. 829 Das

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7. August 1940 erklärt hatte, dass die in seinem Verhörsprotokoll festgehaltenen Aussagen unter Anwendung von Gewalt entstanden seien.834 Er hätte sich durch die Misshandlungen bereit erklärt, zur Waffe zu greifen. Das Gericht hatte ihn zu 2 Jahren Haft wegen Befehlsverweigerung verurteilt. Dieser Vorwurf war der juristischen Abteilung beim Verteidigungsministerium bei der Durchsicht der Akten am 26. August 1940 aufgefallen und man forderte am 7. September 1940 Aufklärung der Angelegenheit.835 Am 3. Oktober 1940 berichtete dann das MG Kassa dem Verteidigungsministerium, Abteilung 13, in Sachen Infantrist Tóth man sei zu der Überzeugung gekommen, dass der Verurteilte und alle U-Häftlinge nur von Mitgefangenen wegen „ihrer einfältigen religiösen Überzeugung zum Vaterland“ misshandelt worden seien. Dass diese Aussage den Tatsachen entspricht, darf bezweifelt werden und wurde wohl auch vom Sachbearbeiter der juristischen Abteilung bezweifelt, da diese Passage im Dokument am Rand mit einem handschriftlichen Fragezeichen versehen ist. Auch hinter der folgenden Feststellung des Gerichts, der Verurteilte habe davon den Strafbeamten nichts erzählt, weshalb die Sache nicht bekannt geworden sei, befindet sich ein handschriftliches Fragezeichen und der Vermerk „kaum zu glauben, aber forcieren ist auch aussichtslos“.836 Entweder hatte das Ministerium doch nicht locker gelassen oder es war erneut zu Misshandlungen gekommen, da gegen die Militärangehörigen Sándor Balaton und József Csobán Strafanzeige wegen Ehrenbeleidigung gestellt wurde, die vom MG Kassa am 17. März 1941 jedoch fallen gelassen wurde, da das Strafgericht „nicht genügend Anlass zur Strafverfolgung“ sah. Dabei hatten die Betreffenden zugegeben, die Inhaftierten Károly Tóth, Mihály Cimbolinecz und József Király im Juni 1940 „mit Schlägen und durch Fesseln misshandelt zu haben, damit die Genannten als Jehova-Anhänger die Waffe in die Hand nehmen“. Zu ihrer Verteidigung hatten sie vorgebracht, die zur Frage stehende Misshandlung im Beisein des Schließers Béla Stappel und mit dessen Wissen vollzogen zu haben, was dieser jedoch leugnete. Da man die Taten nicht belegen könne und die Misshandelten nicht um Bestrafung der Angeschuldigten gebeten hätten, wurde die Sache eingestellt.837 Auch in diesem Fall konnte durch die Misshandlungen kein Umdenken bewirkt werden. Nachdem Tóth am 18. Mai 1942 aus der Haftanstalt in Pécs entlassen wurde, verweigerte er erneut den Militärdienst und wurde am 14. Juli 1942 zu 8 Jahren Haft verurteilt, da er die Straftat in Kriegszeiten begangen habe, was für andere ein schlechtes Beispiel abgebe, ferner weil er auch nach weiterer Aufklärung an seinen Glaubensansichten festhalte und er bereits vorbestraft war.838

834 

Az. Hb. 430/40. HM, 1943 ált. 13. 6588 cs. 483.474. 836  Az. Hb.430/40. Ebenda, 1943 ált. 13. 6588 cs. 483.474. Ebenda, 1943 13. oszt. 6588 cs. 406.101. Ebenda, 1943 13. oszt. 6117 cs. 500346. 837  Ebenda, 1943 13. oszt. 6588 cs. 406.101. Ebenda, 1940 13. oszt. 3804 cs. 484.306. Ebenda, 1943 eln. 13. oszt. 510.991. 838  Ebenda, 1943 13. oszt. 6588 cs. 406.101. HM, 1940 13. oszt. 3804 cs. 484.306. 835 

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Auf die Beschwerde der Ehefrau des Inhaftierten József Pántlik839 beim Reichsverweser wegen Misshandlungen erklärte die Haftanstalt Pécs am 10. Mai 1941 dem Militärgericht Pécs: „Das entspricht nicht der Wahrheit.“ Es handele sich wohl vielmehr um „ganztätige Arretierungen und Besserungsmaßnahmen“. Frau Pántlik habe ihren Mann besucht und habe, obwohl nur erlaubt sei, über familiäre Angelegenheiten zu sprechen, ununterbrochen über religiöse Ansichten gesprochen, damit ihr Mann durchhalte. Offensichtlich habe sie sich aus Verärgerung darüber, dass ihr Gespräch daraufhin unterbrochen wurde, beschwert. In der Folge des Berichts wird dann jedoch klar, welche Behandlung der Inhaftierten offensichtlich erlaubt war und nicht unter Misshandlung fiel, obgleich sie das ohne Zweifel darstellte. Man erklärte, dass aus verschiedenen Haftanstalten Ungarns Verurteilte, „ganz überwiegend von der Sekte der Zeugen Jehovas“, in die Haftanstalt überstellt worden waren. Aufgrund des Mangels an Häftlingskleidung hatte man auch Militärkleidung ausgegeben. Die aus der Debrecener Haftanstalt überstellten „Jehova Gott Zeugen“ waren jedoch nicht bereit, die Militäruniform anzuziehen, weshalb sie einer Besserungsmaßnahme durch zweimal zwei Stunden langes Anketten unterzogen wurden. Dass diese Maßnahmen in dem Fall auch erfolgreich waren, zeigt, dass von den 12 aus der Debrecener Haftanstalt überstellten Personen „eine den Glauben der Sekte aufgegeben“ hatte. Er wurde nach Absitzen von 2/3 der Strafe am 20. April 1941 auf freien Fuß gesetzt, das heißt musste Militärdienst leisten. Sechs Personen waren bereit, jeden waffenlosen Dienst zu verrichten. Fünf Personen verweigerten „religiös fanatisch hartnäckig“ irgendeine Art militärischen Dienst zu verrichten. Sie würden sich vielmehr bemühen, auch die anderen „Sektenmitglieder“ dafür zu gewinnen. „Deswegen erhielten sie 6-Stunden Knebelung und wurden gleichzeitig zwei Stunden in Ketten gelegt als Besserungsmaßnahme.“ Zu József Pántlik wurde berichtet, er gehöre zu 16 aus Kassa überstellten Zeugen Jehovas und wurde mit anderen zur Arbeit im Materiallager eingesetzt, wo sie sich an einem Tag weigerten eine Waffenvorrichtung zu transportieren. Als Besserungsmaßnahme wurde ihnen „6 Stunden dauernde Knebelung“ auferlegt.840 Das MG Pécs berichtete dem Verteidigunsministerium seinerseits am 14. Mai 1941, dass in Sachen der Haftbeschwerde nichts zu veranlassen sei. Im Rahmen der regelmäßigen Überprüfungen seien keine Misshandlungen vorgekommen bzw. Beschwerden erhoben worden, auch nicht bei einer überraschenden Kontrolle.841 Das zeigt auch, wie weit die erlaubten Mittel zur Disziplinierung bereits gingen. Beim Reichsverweser Horthy gingen weitere Beschwerden wegen Misshandlungen ein wie die von Julia Balogh aus Bűdszéntmihály vom 2. März 1942. Sie hatte aus Pécs einen an die Familie Mihály Balogh, Komitat Szabolcs, gerichteten anonymen Brief vom 17. Februar 1942 erhalten. Darin stand: „Meine lieben Brü839  Laut Verhörsprotokoll vom 25.9.1940, József Pántlik war Vater von fünf Kindern, war dem Gestellungsbefehl zum 12.8.1940 nicht nachgekommen, nahm auch keine Waffe entgegen und wurde daraufhin inhaftiert. Ebenda, 1941 13. oszt.4671 cs. 460.221. 840  Ebenda, 1941 13. oszt.4671 cs. 460.221, Az. 338/B. int.-1941. 841 Ebenda.

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der, ich teile euch mit, dass man euren Vater nach Pécs verbracht hat, wo man ihn einen Tag hungern lässt und den nächsten Tag ankettet. So geht man mit ihm um, seit er in Pécs ist und quält ihn Tag für Tag. Wenn ihr meine Zeilen erhalten habt, wendet euch umgehend an den Justizminister oder eine andere zuständige Stelle, und informiert sie, wie man mit den Menschen des Herrn umgeht. Jetzt macht man es nicht mehr wie früher, sondern im Geheimen, da wo es keiner sieht. Einen Bruder hat man schon dreizehnmal angekettet, seine Hände sind schon ganz gelähmt. Lasst sie nicht ungerechtfertigt leiden, versucht ihnen irgendwie zu helfen.“842 Die ermittelnde Staatsanwaltschaft hatte sich daraufhin an die Gemeindevorsteher von Bűdszéntmihály gewandt, um Julia Balogh anzuhören, die sich jedoch selbst bereits – wie aus dem Antwortschreiben vom 1. Mai 1942 der Behörde hervorgeht – im Internierungslager Nagykanizsa befand. Dort wurde sie dann befragt, wobei sie erklärte, dass ihr Vater Imre Balogh nach dem Stellungsbefehl vom 27. Mai 1940 den Militärdienst verweigert hatte und nunmehr in der Frigyes-Kaserne der Militärhaftanstalt Pécs seine Strafe verbüßte.843 Am 5. Juni 1942 veranlasste der Justizminister eine Untersuchung der Angelegenheit.844 Schon zuvor, am 23. April 1942, hatte die Pécser Haftanstalt der zuständigen Armeekomandantur in Pécs auf den Vorwurf Bericht erstattet, die Inhaftierten Mihály Balla, Sándor Boros, László Szmerega, Károly Bolyog, József Pántlik, Mihály Andó, János Korpa-Ondó würden misshandelt, „da sie aus Glaubensgründen Militärdienst oder militärische Arbeiten verweigert“ haben. Demnach waren sie mehrfach misshandelt worden, „teilweise mit der Hand, teilweise mit Gummiknüppel geschlagen, mit Füßen getreten“ worden. Sie wären auch so aufgehängt worden, „dass die Füße den Boden nicht berührten“. Auch seien Mihály Balla, János Korpa-Ondó und Károly Tóth „ohne jeden Grund über längere Zeit in Ketten gehalten“ und beim Rundgang im Hof gezwungen worden, sich an jeder Kehre niederzuhocken, wo sie misshandelt wurden. Es wurde dann berichtet, dass die Beschuldigten beim Verhör alles vehement abgestritten hätten; sie hätten sie nicht misshandelt und auch niemand damit beauftragt, hätten auch nichts dergleichen gehört. Sie gaben lediglich zu, dass sich die Gefangenen beim Rundgang niederhocken mussten und sie eine zeitlang gefesselt worden waren, was aber keinerlei Misshandlung sei. Das sei vielmehr zu ihrer Disziplinierung nötig gewesen, da ihr Verhalten sonst auf andere abfärben würde. Das zeige sich auch daran, dass „im vergangenen Herbst alle Zeugen Jehovas jedwede militärischen Übungen, jede Arbeit für militärische Zwecke und jeden diesbezüglichen Befehl entschlossen und gemeinsam verweigert haben, was auch eine Fesselung der Betreffenden als Disziplinierungsmaßnahme notwendig machte“. Unter Bezug auf die Verordnungen 32.816/1939 und 92.518/1939, deren zufolge „die in ihrem Widerstand verharren842  Ebenda, 1942 13. oszt. 5559 cs. 482.542. MJTA, DOK-2327. Durch die Ermittlungen kamen die Behörden offensichtlich in Besitz des Briefes, da er in den Akten des Verteidigungsministeriums zu finden ist. 843  HM, 1942 13. oszt. 5559 cs. 482.542. 844  Ebenda., Az. 41.598.

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den Verurteilten […] ihre Freiheitsstrafe mit der größten Strenge verbüßen“ und „besonders zur schweren Arbeit herangezogen werden“ müssten, erklärte die Beschuldigten, dass demgemäß gegen die „durch fremde feindliche Mächte gestützte rassenfeindliche Tätigkeit von Sekten neben der […] Belehrung jedes zur Verfügung stehende Mittel erlaubt“ sei. Sie hätten „lediglich alle rechtlich zur Verfügung stehenden Mittel angewandt“, um die Betreffenden davon zu überzeugen, dass „ihre gesellschaftsfeindlichen und antinationalen Lehren falsch sind“, dass sie „zersetzende und demoralisierende Auswirkungen auf das Militär haben“ und sie zum Aufgeben bewegen wollten, „um sie wieder zu nützlichen Staatsbürgern zu machen“. Mit rein vernünftigem Erklären der Bibel und geistlichem Einwirken käme man nicht zum Ziel, zumal sie eine herausfordernde, unhöfliche, ja sogar freche Haltung hätten. Die Beschuldigten meinten, dass die Anzeige einzig und allein darauf abzielen könnte, dadurch von oberster Stelle Mitleid und Verständnis für die Situation der „Zeugen Jehovas“ zu erzwingen und einen milderen Umgang in der Haft zu erreichen. Der Schreiber stellte fest, die Sektierer seien „die offenen Feinde jedes Staates und jeder gesellschaftlichen Ordnung“, „deren Grundsätze sich an kommunistischen Lehren bedienen“ und deren Ziel es sei, „die jetzige Weltordnung umzustürzen und zu zerstören“, ihre passive Haltung gegenüber dem Heer wiederum „gleicht der Sabotage kommunistischer Agitatoren“. Darum würden die Priester sie auch immer als „‚Hurenkinder‘ / als Teufel /“ bezeichnen. „Am Ende sind die ‚Jehovas Zeugen‘-Sektierer nichts anderes als religiös gefärbte […] Kommunisten, ohne dass sie es in ihrer religiösen Verblendung merken würden.“ Als Beleg brachten die Angeschuldigten vor, „dass die betreffenden Sektierer, bevor sie Sektenmitglieder wurden, alle in ihrer vorherigen Religion gottesfürchtige Menschen waren, und als die kommunistischen Agitatoren sahen, dass sie aus ihnen auf direktem Wege keine Kommunisten machen konnten, weil sie dieses Wort ‚Kommunist‘ verabscheuen, haben sie sie zu ‚Jehovas Zeugen‘ gemacht, sodass sie nach ihrer Neutralisierung durch ihre passive Haltung zu den militärischen Kräften ohne ihr Wissen und Willen, den kommunistischen Zielen dienen“. Außerdem brachten die Angeschuldigten zu ihrer Verteidigung vor, dass die Verurteilten sich über ihre Behandlung bei niemand beschwert hätten. Dann behaupteten sie, am schlimmsten sei Balla, da er angegeben habe, dass sie sogar nachts hätten stehen müssen, dass er ausgesagt hätte, beim Verhör so sehr geschlagen worden zu sein, dass man ihn hatte in ein Budapester Krankenhaus einliefern müssen. Dabei hätte er nur eine Mittelohrentzündung, Bluthochdruck und Nervenerkrankung simuliert und sei deshalb zu Behandlung ins Krankenhaus gebracht worden. Trotz der deutlichen Hinweise und Indizien wie auch der verwirrenden Stellungnahme der Beschuldigten stellte die Militärkommandantur die Sache Mangels Beweisen ein und benachrichtigte am selben Tag das Verteidigungsministerium.845 Bereits am 15. April 1942 hatte der zuständige Militärstaatsanwalt, auf eine Eingabe des Justizministers hin, einen Strafbefehl gegen den leitenden Gefängnisaufseher Stabsfeldwebel István Bíró, gegen die Schließer Stabsfeldwebel István Nagy und Stabs845  MJTA,

DOK-1094.

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feldwebel János Kertész wegen Übertretung von § 126 MStGB erlassen. Diesem hatte jedoch sein vorgesetzter Kommandant nicht zugestimmt und eigenhändig folgende Verfügung in den Sachbearbeiterbogen geschrieben: „Ich stimme nicht zu, und nachdem die belastenden Zeugenaussagen nicht befriedigend sind, ordne ich an, die Anzeige aus Mangel an Beweisen einzustellen.“ Daher erklärte der Staatsanwalt: „Ich nahm diese Entscheidung meines zuständigen Kommandanten zur Kenntnis, wurde aufgrund meines im Punkt 6/§2/D-10 gesicherten Rechts dagegen nicht vorstellig, weil ich die Aufgabe der Anzeige aufgrund der Erwägung der Beweise als begründet fand.“846 Einem weiteren internen Vermerk vom 23. Juni 1942 in der Akte zufolge war ein „weiteres Vorgehen in der Sache nicht nötig“. Die Akte „ist in die Ablage zu geben“.847 Damit verlief auch die oben erwähnte, am 5. Juni 1942 veranlasste Untersuchung ins Leere. Dieses Beispiel veranschaulicht gut, wie wenig man tatsächlich gewillt war, Missstände im Militärstrafvollzug abzustellen. Vielmehr drückte man bei Misshandlungen im Sinne des Ziels der „Bekehrung“ zum Militärdienst alle Augen zu. Andererseits zeigt es auch, wie weit die Interpretation der Verordnungen hinsichtlich des Einsatzes aller erlaubten Mittel ging. Ähnlich wie in anderen Zusammenhängen wahrte man nur äußerlich die Rechtsstaatlichkeit. Man ging scheinbar der Sache nach, aber schützte in Wahrheit die Täter. Die Vorwürfe gegen die Strafvollzugsbeamten in diesem konkreten Fall werden durch den Erinnerungsbericht des von der Sache betroffenen János Korpa-Ondó nachträglich bestätigt, der zunächst über seine Haft 1940 in Pecs berichtete: „Ich wurde zu 14 Monaten Gefängnis verurteilt und saß die Strafe in Fünfkirchen (Ungarn) ab. Im gleichen Gefängnis waren 5 weitere Zeugen, und wir freuten uns, daß wir zusammensein konnten. Eine Zeitlang befand ich mich allerdings in Einzelhaft und war an den Füßen gefesselt. Als wir uns weigerten, Arbeiten zu verrichten, die etwas mit dem Krieg zu tun hatten, wurden wir geschlagen. Außerdem mußten wir bis auf eine zweistündige Mittagspause den ganzen Tag strammstehen. Dieses Martyrium hielt Monate an. Doch wir waren glücklich, weil wir vor Gott ein gutes Gewissen hatten. […] Eines Tages kamen 15 katholische Priester, die uns davon überzeugen wollten, wie wichtig es wäre, daß wir den Krieg durch den Eintritt in die Armee unterstützten.“ Nachdem er nach Verbüßen der Haft erneut verurteilt wurde, dieses Mal zu 10 Jahren, kam er wiederum nach Pecs, wo es zu der nicht nachweisbaren Behandlung kam: „Ich wurde wieder ins Gefängnis nach Fünfkirchen gebracht. Dieses Mal wurde ich noch mehr gequält. Die Hände wurden mir auf dem Rücken zusammengebunden, und ich wurde zwei Stunden lang daran aufgehängt. Als Folge davon waren beide Schultern ausgerenkt. Diese Tortur mußte ich in einem Zeitraum von zirka 6 Monaten wiederholt erleiden.“848 Der bereits mehrfach zitierte Ádám Szinger berichtete, dass er (ebenfalls) 1942 während seiner Haft in Pécs wegen seiner Tätigkeit für Zeugen Jehovas vor ein 846 

HM, 1942 13. oszt. 5559 cs. 482.542. WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 1.9.1998, S. 24 – 28. 848 Ebenda. 847 

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Musterungskomitee gerufen worden und als tauglich eingestuft worden war. Nach seiner Zuführung zum Militär verweigerte er die Einkleidung und erklärte, nicht bereit zu sein, den Militärdienst durchzuführen. Dennoch versuchte man zunächst, ihn ins Training einzubeziehen. Er schildert das Geschehen: „Wir zogen aus zum Übungsplatz und ich am Ende der Reihe mit einem Maschinengewehr auf den Rücken gebunden und ein Soldat mit höherem Rang prüfte das Ausführen der Übungen auf dem Übungsplatz, wo einige Hundert Soldaten die Ausbildungsübungen ausführten. Er sah mich und kam mit einem weißen Pferd zu mir. ‚Was machst du Kind denn hier?‘ Ich war ja nicht bereit, die Übungen zu machen und das Gewehr anzufassen. Zur Strafe war mir das Gewehr auf den Rücken gebunden worden, und ich stand da, während die anderen trainierten. ‚Nimm das Gewehr ab!‘ Auf einmal schauten alle Soldaten, ich weiß nicht mehr genau wie viele, aber mehrere Hundert, in einem U aufgestellt. Der hochrangige Soldat auf dem weißen Pferd stellte sich in die Mitte und zitierte mich heran. ‚Sag laut vor allen, was du für ein Problem hast.‘ Ich sagte, dass ich Zeuge Jehovas sei und den Wehrdienst verweigert habe. […] ‚Worauf berufen Sie sich?‘ Ich berief mich auf die Bibel und erklärte, dass Jesus gesagt hat, wer zur Waffe greift, wird durch die Waffe umkommen. ‚Ich bin nicht bereit, kämpfen zu lernen.‘ […] Ich konnte wieder zurück ins Gefängnis, was ich schon als Zufluchtsort ansah.“ Abends wurde ihm gesagt, dass er die Truppe so lange zu begleiten habe, „bis du bereit bist, den Wehrdienst durchzuführen“. Die weiteren Misshandlungen beschreibt er: „Sie brachten mich in einen Raum und hängten mich mit nach hinten gebundenen Händen oben an. Oh das war fürchterlich. ‚Wenn du bereit bist, Wehrdienst zu machen, bekommst du zwei Tage Freiheit. Also sagte ich ja und wollte sofort die zwei Tage Urlaub.“ Auch Szinger gab offensichtlich dem physischen und psychischen Druck vorübergehend nach und erklärte sich bereit, Militärdienst zu leisten, allerdings mit dem Ziel, sich durch den versprochenen Urlaub dauerhaft dem Dienst zu entziehen. Doch er musste zunächst einen Monat in der Kaserne bleiben, bevor er nach Hause gehen konnte. „Ich verließ die Kaserne, in der Absicht, nicht wieder dorthin zurückzukehren. Mir war mitgeteilt worden, dass auf Flucht und Fluchtversuch die sofortige Todesstrafe stand.“ Tatsächlich ging er nicht zurück, wurde aber bei seiner weiteren Tätigkeit in Szeged geschnappt.849 Dass die Vorgehensweise bei der Umerziehung der Häftlinge in der Haft auch Erfolg hatte zeigt der Fall von Miklós Kovács. Er war am 12. Januar 1942 vom MG Kassa zu 2 Jahren Haft wegen Verweigerung des Militärdienstes verurteilt wurden. Seine Frau stellte am 25. August 1943 ein Gnadengesuch auf Erlass der Strafe, da er zur reformierten Kirche zurückgekehrt sei.850 Darüber urteilte das Oberste Militärgericht am 30. September 1943. Es unterstützte das Gnadengesuch und legte die Akten dem Verteidigungsminister vor. Das Gericht stellte fest, die Ehefrau habe angeführt, ihr Mann sei „Opfer der Verkündiger der Irrlehren der Jehova Sekte geworden“, habe aber nach erhaltener Aufklärung seinen Irrtum eingeÁdám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. HM, 1943 13. oszt. 6577 cs. 518.228, Az. Hb. 1198/41.

849 Interview 850 

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sehen und sei zu seiner ursprünglichen Konfession zurückgekehrt, als solcher hätte er früher längere Zeit Kriegsdienst verrichtet, woher er krank zurückkam, ferner, führte sie an, dass ihr kleiner Bauernhof kaputt ginge und dass „ihr Mann ein lebendiger Beweis für die traurigen Folgen der Arbeit der das Dorf besuchenden Sektenagenten“ wäre. Das Gesuch wurde sowohl vom Militärgericht als auch vom zuständigen Befehlshaber unterstützt. Interessant ist, dass das Generalstabsgericht ein Verfahren wegen Untreue gegen ihn eingeleitet hatte, weil er als Arbeitsdienstleistender nach seiner Verurteilung im Kampfgebiet am 24. Juni 1942 mit mehreren die Arbeit unter Verweis auf seine religiöse Überzeugung verweigert und dadurch der ungarischen Streitkraft einen Nachteil verursacht habe. Gemäß den Unterlagen verrichte der Verurteilte seit dem 22. Oktober 1942 jedoch gewissenhaft seinen Dienst und führe jeden Dienstbefehl bereitwillig aus. Das Oberste Militärgericht gab dem Antrag statt, obwohl der Verurteilte nach seiner Verurteilung „mit Bezugnahme auf seine religiöse Überzeugung eine erneute Straftat verübte“. Begründet wurde das damit, dass er fast 2/3 seiner Strafe schon verbüßt hatte, dass er dem Bericht des Aufsichtsbeamten der Strafanstalt zufolge seine falsche religiöse Überzeugung aufgegeben, den Fahneneid abgelegt und sich an einer Schießübung beteiligt hätte, ferner weil er als Arbeitsdienstleistender den Dienst im Kampfgebiet verrichtete und weil seine auf eine ehrliche Reue und grundsätzliche Verbesserung zeigende Umwandlung als ein überzeugendes Beispiel für andere dienen könne.851 Insgesamt stellten die vielen Inhaftierten, darunter die wegen Untreue Verurteilten und die große Menge Verweigerer, die Haftanstalten vor nicht geringe Probleme. Das Militärgefängnis Szeged musste sich zunächst seiner 30 wegen Untreue Inhaftierten entledigen, um so am 30. Juli 1940 um die Rücküberstellung von „9 Sektierer“ bitten zu können.852 Am 5. August 1940 berichtete es dem Verteidigungsministerium in Verbindung mit wegen Untreue Inhaftierter, dass die Bedingungen zur Unterbringung politischer Gefangener in der Haftanstalt hinsichtlich deren Besserung unzureichend wären. Die Kommunisten würden den anderen ihre Ansichten vermitteln. Den Dokumenten zufolge verständigten sich die Gefangenen untereinander auch durch Morsezeichen. Man bat um Veränderung der Haftsituation.853 Ähnliches war den Zeugen Jehovas auch immer wieder vorgeworfen worden. So in der Militärhaftanstalt in Debrecen, die am 11. September 1940 um die Verlegung von Albert Márton bat, einen Zeugen Jehovas und Totalverweigerer, weil das Gefängnis überfüllt sei und weil die religiöse Überzeugung des Gefangenen sich auf andere Militärgefangene schädlich auswirken könnte.854 Márton war im Juli 1940 von MG Debrecen zu 1 Jahr 2 Monaten verurteilt 851  Ebenda, 1943 13. oszt. 6577 cs. 518.228. Das Gnadengesuch war an den Reichsverweser gerichtet. MJTA, DOK-2195, Verteidigungsminister an Reichsverweser, Az. 70.126/ eln. 13 1943. 852  HM, 1940 eln. 13 3513 cs. 33.578. 853 Ebenda. 854  Ebenda, 1942 ált. 13. 5545 cs. 473.303. Laut Verhörsprotokoll vom 10.7.1940 bekannte sich der 1900 geborene Rutene seit 1936 zu den Zeugen, davor hatte er im tschechischen Heer gedient.

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worden.855 Auch das Militärgefängnis in Kassa erklärte, Platzprobleme zu haben, und bat am 28. Mai 1941 um Überstellung von László Drága und weiteren „8 Sektenangehörigen“, die auf die „anderen Inhaftierten einen moralisch zersetzenden Einfluss ausüben und die hiesige moralische Erziehung nachteilig beeinflussen“. Alle seien zu über einem Jahr Haft verurteilt.856 Das Debrecener Gefängnis bat ebenfalls aus Platzgründen und wegen des „schlechten Einflusses aufgrund seiner religiösen Überzeugung“ im Fall von Mihály Pliszkó am 11. September 1940 um Überstellung.857 Der wegen Untreue verurteilte und inhaftierte András Hanák bestätigt die Überbelegung und berichtet über seine Haft: „Das Gericht verurteilte mich zu einer zweijährigen Haftstrafe und überführte mich in das Budapester Gefängnis in der Margit Körút 85. Die Zellen waren etwa 4 mal 6 Meter groß und mit 50 bis 60 Menschen völlig überfüllt. Acht Monate verbrachten wir dort ohne irgendwelche sanitären Einrichtungen. Wir konnten weder baden noch duschen noch unsere Kleidung waschen. Wir waren voller Läuse, und nachts krabbelten Wanzen über unsere verschmutzen Körper. Morgens mussten wir um 4 Uhr aufstehen. Zum Frühstück gab es nur eine kleine Tasse Kaffee. Mittags bekamen wir etwas Suppe und zirka 150 Gramm Brot mit ein wenig Brei. Abends gab es nichts. Obwohl ich erst 20 und kerngesund war, wurde ich schließlich so schwach, dass ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Einige Häftlinge verhungerten, andere starben an Infektionen.“858 Wie die zuvor genannten Beispiele belegen, herrschten in den Militärhaftanstalten katastrophale Haftbedingungen, Misshandlungen der Inhaftierten mit Duldung der obersten Behörden. Selbst unter Strafvollzugsbeamten galten Zeugen Jehovas als Kommunisten, die man wegen ihrer Einstellung schlecht behandeln musste, was auch Rückschlüsse auf die Umgangsweise mit inhaftierten Kommunisten zulässt. Die Darstellungen belegen, was es bedeutete, alle erlaubten Mittel zur Belehrung der Häftlinge einzusetzen. Dennoch scheinen eher wenige ihren Standpunkt aufgegeben zu haben. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Militärbehörden die konsequente Vorgehensweise gegen Militärdienstverweigerer jeder Art von den 1930er-Jahren fortsetzten und ihre Zusammenarbeit mit den Zivilbehörden weiter ausbauten, sich sogar selbst auf ziviles Terrain begaben. Dennoch versuchten die juristische Abteilung des Verteidigungsministeriums und das oberste Militärge855  Ebenda. Wie das Verhörsprotokoll vom 31.1.1942 belegt, wurde er zu dieser Zeit erneut herangezogen. 856  Ebenda, 1941 eln. 13. 3996 cs. 461.832. 857  Ebenda, 1942 13. oszt. 5553 cs. 447.235. Ebenda, 1942 13. oszt. 5553 cs. 447.236. Laut Verhörsprotokoll vom 5.7.1940 war er seit Januar 1939 Zeuge Jehovas, 1938 bei der tschechischen Armee gedient, wurde am 23.5.1940 von Gendarmen abgeholt, verweigerte die Einkleidung, die Waffe, den Eid. Er wurde verurteilt und im Frühjahr 1942 erneut herangezogen. 858  WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 22.4.2002, S. 19 – 23, hier S. 21. Bericht András Hanák.

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richt immer wieder ein solches Übergreifen zu verhindern, indem man auf die Rechtsprechung der erstinstanzlichen Militärberichte einwirkte. Offensichtlich wurden von ihnen gefällte Urteile von der juristischen Abteilung des Ministeriums überprüft und gegebenenfalls beim Obersten Gericht Revision eingelegt. Wie die Verfahren zeigen, waren sich die Militärbehörden bezüglich der Definition von Hetze gegen militärische Einrichtungen durch das Erklären oder Darstellen von Glaubensgrundsätzen nicht einig. Auch was die Rechtmäßigkeit von Verurteilung nach GA XVII/1938 wegen Zugehörigkeit zu einer verbotenen Organisation anbelangt, was wiederum ziviles Gebiet war, wurde diskutiert, wobei Mitarbeiter der juristischen Abteilung des Ministeriums den Standpunkt vertraten, dass aufgrund des Verbots und der laufenden Maßnahmen der Behörden zu Einstellung der verbotenen Tätigkeit solche Organisationen gar nicht mehr existierten, vielmehr Einzelpersonen privat ihren Glauben ausübten. Nicht diskutiert wurde die Angelegenheit der nicht vorhandenen Rechtssubjektivität der Gemeinschaften, weshalb sie gar nicht unter GA XVII/1938 fallen konnten. Darüberhinaus wurde tatsächlich die Frage nach dem Gewissensstandpunkt der Betreffenden aufgeworfen, was zeigt, dass man sich durchaus der Gewissensproblematik bewusst war, wenngleich verfassungsrechtliche Angelegenheiten, also konkret die Frage der Religionsfreiheit, überhaupt nicht auf den Tisch kamen.

K.  Arbeitslager Bor Anfang 1943 wurden von Deutschland immer mehr Zwangsarbeiter, vor allem jüdische, für kriegswichtige Arbeiten angefordert. Bis dahin waren bereits 50 000 Personen zum Arbeitsdienst abkommandiert worden. Eine Auslieferung der Juden hatte Kállay zunächst mit den Worten abgelehnt, „solange die Grundbedingungen der Lösung, nämlich die Beantwortung der Frage, wohin die Juden auszusiedeln sind, nicht gegeben ist“. Er erklärte weiter, Ungarn werde „nie vom Weg seiner Humanität abweichen, die es im Laufe seiner Geschichte auf rassischem und konfessionellem Gebiete stets geübt“ habe.859 Mit dieser Aussage scheint er sich geschichtsbewusst zu geben und an historische Werte wie Toleranz, weltoffene Politik und Rechtsgleichheit anzuknüpfen. Doch der Schein trügt. So verschloss man sich zum Beispiel einem Einsatz der Juden als Zwangsarbeiter nicht. In der Folge wurden zunächst 3 000 jüdische Zwangsarbeiter,860 später bis zu 6 000 zur Arbeit unter unmenschlichen Bedingungen in den Kupferminen in der Nähe von Bor/Serbien eingesetzt.861 Zitiert nach Lappin, S. 17 f. Am 23.6.1943 wurde ein entsprechendes Abkommen abgeschlossen. 861 Kupferminenkomplex in Serbien, wo durch Siemens und die Organisation Todt kriegswichtige Rohstoffe gewonnen wurden. Umfassende Forschungsarbeit dazu betreibt der ungarische Historiker Tamás Csapody. Siehe zum Beispiel seine Abhandlung: Bori Munkásszolgálatosok [Arbeitsdienstleistende von Bor]. Budapest 2011. Lappin, S. 18 f. Neben Juden kamen Militärinternierte und inhaftierte Partisanen zum Einsatz. 859 

860 

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Wegen Untreue verurteilte Personen waren bis 1942 nicht in Arbeitskommandos eingesetzt worden. Nach interner Absprache im Verteidigungsministerium, wie eine Notiz in der Akte der Präsidialabteilung 13 vom 7. August 1942 belegt, sollte sich das ändern, zumal wie aus den vorausgehenden Untersuchungen deutlich wurde, die Kapazität der Strafvollzugsanstalten mehr als ausgelastet war. „Aufgrund der Kriegsverhältnisse stieg gerade die Zahl der wegen der Straftat der Untreue Verurteilten, deshalb empfiehlt die Abteilung, dass auch die wegen der Straftat der Untreue Verurteilten der Bitte der 11. Abteilung entsprechend in besondere Arbeiterkompanien eingeteilt werden sollen, wo sie unter entsprechender Aufsicht nützliche Arbeit verrichten können.“862 Ende März 1942 wurde angeordnet, dass alle die „in Militärgefängnissen Einsitzenden, … die mit ihrer destruktiven Haltung die Kriegswirtschaft behinderten“, im Kriegsgebiet der 2. Ungarischen Armee eingesetzt werden sollten, was dazu führte, dass drei Einheiten an die Front geschickt wurden.863 Generalstabschef Szombathelyi meldete am 24. März 1942, dass 14 269 unzuverlässige Personen Arbeitseinheiten – und meinte damit vor allem Personen aus Internierungslagern – zugeteilt werden könnten. Auch Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften wurden als Arbeitsdienstleistende eingesetzt. Es sei an die Verordnung 13.400/1942 erinnert, mit der Innenminister Keresztes-Fischer am 26. Mai 1942 wegen der Kriegslage eine Aufstellung aller unzuverlässigen Personen, darunter auch „Sektierer“ gefordert hatte.864 Im Verteidigungsministerium, Abteilung 13 wurde ebenfalls im Mai 1942 der Einsatz von Militärhäftlingen in besonderen Arbeitskompanien diskutiert.865 1943 dann im Anschluss an die Landesermittlungen gegen Nazarener und Zeugen Jehovas und die großen Untreue-Verfahren vor dem Militärstabsgericht wurde die „Magyar Királyi 801. Különleges Büntető Munkásszázad 801“ (Ungarisch Königliche Besondere Strafarbeitskompanie 801) eingerichtet.866 Dieser Einheit gehörten mindestens 160 Zeugen Jehovas an, 18 Reformadventisten und 8 Nazarener.867 Unter den Betreffenden befanden sich sowohl Militärdienstverweigerer wie auch bei den Landesermittlungen wegen Untreue Verurteilte.868 Der schon mehrfach zi862 

HM, 1942, eln. 13, 5167 cs. 27.953, Az. 27.953. Pintér, S. 70. 864  MOL, K149 651f. 5/24 1942 – 109. 865  HM, 1942, eln. 13, 5167 cs. 27.953. 866  Csapody, Bor, S. 15 f., 594. 867  Diese Einheit wurde auch als „Einheit der Gläubigen“ (hívők), „Einheit der Jehovás“, als „Jehova-Einheit“ oder als „Sekten Häftlinge“ bezeichnet. Ders.: Bori munkaszolgálatosok Szombathelyen és környékén. Bori kisegyház-tagok története 1944 végén és 1945 elején. [Arbeitsdienstleistende von Bor in Szombathely und Umgebung. Die Geschichte der Borer Angehörigen kleiner Religionsgemeinschaften Ende 1944 bis Anfang 1945.] http://www.vasiszemle.t-online.hu/2013/01/csapody.htm (Zugriff am 10.9.2013). 868  MJTA, DOK-96, unvollständige Aufstellung nach Bor deportierter Zeugen Jehovas. Zum Beispiel der wegen Wehrdienstverweigerung und später wegen Untreue verurteilte Dániel Varga. Ferner der ebenfalls wegen Wehrdienstverweigerung, wegen Predigens und wegen Untreue verurteilte Ádám Szinger. Aber auch die Zonen- bzw. Landesdiener Konrád, József Klinyecz, András Bartha, György Farkas, György Molnár und Sándor Varga. 863 

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Abbildung 13: Gruppe von Nazarenern, Frühjahr 1944, in einem Fotoatelier in Bor, UaP Bálint Papp

tierte Ádám Szinger erinnert sich, dass während seiner Haft in Szeged ein Rekrutierungskomitee erschien und „arbeitsfähige Leute, die religiös Verurteilte waren, Zeugen Jehovas, Nazarener, Adventisten, bis zu 50 Jahre alt“ zusammenstellte und nach Jászberény brachte.869 Gulyás Gyula, der zunächst wegen Nichtantreten des Gestellungsbefehls am 9. April 1943 vom MG Pécs zu 8 Monaten, dann am 25. Mai 1943 vom Militärstabsgericht zu 7 Jahren wegen Untreue verurteilte Zeuge Jehovas, wurde, obwohl er von der ersten Strafe erst 5 Monate abgesessen und die zweite noch überhaupt nicht angetreten hatte, dieser Kompanie zugeteilt.870 Ambrus Vági871 war vom Generalstabsgericht am 19. November 1942 in Nagykanizsa zu 6 Jahren Zuchthaus verurteilt worden und saß im Zuchthaus Vác ein. Auch er war der Kompanie zugeteilt worden. Sein Ausweis, der offensichtlich Interview mit Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. MJTA, DOK-407. 871  Ambrus war der Politischen Polizei und dem Innenministerium schon 1940 als aktiver Zeuge gemeldet worden. MOL, K150-VII-6 1940, Bl. 1 ff. 869  870 

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immer mitgeführt und periodisch abgestempelt werden musste, bescheinigt ihm gute Führung.872 Der zum Arbeitsdienst in Bor eingeteilte Zeuge Jehovas András Hanák erinnert sich über den Ablauf der Deportation: „Im Juni 1943 brachte man etwa 160 junge Zeugen Jehovas aus ganz Ungarn in die Stadt Jászberény unweit von Budapest. Als wir uns weigerten, Militärkappen aufzusetzen und Armbinden mit den Nationalfarben zu tragen, wurden wir in Güterwagen verfrachtet und zum Bahnhof Budapest-Kőbánya gebracht. Dort riefen uns Uniformierte namentlich aus dem Güterwagen heraus – einen nach dem anderen –, und wir wurden aufgefordert, uns als Soldaten zu melden.“ Wenngleich für ungarische Arbeitsdienstleistende ungarische Soldaten zuständig waren, die dem Verteidigungsministerium unterstanden, müssen Hanáks Bericht zufolge an der Deportation der Angehörigen der Strafkompanie 801 in das Arbeitslager Bor auch Deutsche beteiligt gewesen sein, was nicht verwundert, da das Lager in Serbien von der deutschen Organisation Todt geleitet wurde.873 Hanák berichtet: „Wir sollten ‚Heil Hitler‘ sagen. Da kein Zeuge dem Befehl nachkam, wurden alle brutal geschlagen. Als die Peiniger schließlich müde wurden, sagte einer: ‚Einen nehmen wir uns noch vor, aber der überlebt es nicht.‘ Tibor Haffner, ein älterer langjähriger Zeuge, […] flüsterte mir zu: ‚Du bist der Nächste. Sei mutig! Vertrau auf Jehova!‘ Danach wurde ich aufgerufen. Als ich in der Öffnung des Güterwagens erschien, forderte man mich auf, herunterzukommen. ‚An dem ist nichts mehr dran, worauf man schlagen könnte‘, sagte einer der Soldaten. Zu mir gewandt fuhr er fort: ‚Wenn du das tust, wozu man dich aufgefordert hat, werden wir dafür sorgen, dass du in der Küche bei der Zubereitung des Essens hilfst. Andernfalls wirst du sterben.‘ ‚Zum Militärdienst bin ich nicht bereit‘, erwiderte ich. ‚Ich möchte wieder zu meinen Brüdern in den Güterwagen.‘ Ein Soldat hatte Erbarmen, packte mich und beförderte mich wieder in den Güterwagen. Da ich weniger als 45 Kilo wog, war das eine Kleinigkeit für ihn.“874 Beeindruckt von der Standhaftigtkeit soll ein Offizier in Jászberény gesagt haben: „Ich bin mit eurer Handlungsweise nicht einverstanden, aber ich bewundere euren festen Glauben.“875 Die Häftlinge wurden einen großen Teil der Strecke per Schiff transportiert. Ádám Szinger zufolge brachte man sie zunächst mit dem Zug nach Ercsi, verfrachtete sie dort auf Schleppkähne und dann ginge es auf der Donau Richtung Serbien. In Baja hätten sich ihnen dann „jüdische Schleppkähne angeschlossen“. Noch an Bord wurden sie Bali zufolge wiederholt misshandelt, um sie von ihrem Glauben abzubringen. Sie wurden „auf Befehl des Kommandanten“ von den Soldaten mit

872  MJTA, DOK-2881. So durch Stempel mit Datum vom 30.8.1943, 30.9.1943, 3.10.1943, 30.11.1943, 30.12.1943, 31.1.1944, 29.2.1944, 31.3.1944, 30.4.1944. 31.5.1944, 30.6.1944 und zwei weiteren Stempeln ohne Datum. 873 Vgl. Csapody, Bor, S. 15 f., 594. 874  WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 22.4.2002, S. 19 – 24. Bericht von Andrej Hanák. 875  Dies.: Erwachet! v. 22.12.2002, S. 19 – 23. Bericht von Ján Bali.

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Gewehren verprügelte, mit Stiefeln getreten oder anders gequält.876 Das bestätigt auch der ebenfalls bereits zitierte damalige Nazarener Lajos Papp. Er berichtet über die Vorgänge: „Dort haben sie leider die Zeugen ganz fürchterlich misshandelt. Da haben sie zwei Zonenaufseher angekettet. Die Armen hingen da in der heißen Sonne […] ganz furchtbar […]. Das war weil die Zeugen Jehovas kein Gewehr angenommen und die Uniform nicht angezogen haben.“ Auf dem Schiff „waren die Zeugen im Unterdeck, wir oben. Wir waren schon ein ganzes Stück gefahren. […] Irgendwann haben wir dann Schreie und laute Geräusche von unten gehört. Diese ungarischen Soldaten waren harte Kerle, die haben sie geschlagen da unten. Einige, ein paar von ihnen, kamen raufgelaufen, konnten abhauen. Das geschah aber nur einmal auf der Fahrt. Dann hat man sie nicht mehr geschlagen.“877 Ádám Szinger zufolge war es zu dem Zwischenfall gekommen, weil man ihnen eine „rotweiß-grüne Armbinde“ umlegen und ein Soldatenkäppi mit einer „rot-weiß-grünen Rose“ aufsetzen wollte, um sie „von den Juden zu unterscheiden, da die Juden einen gelben Stern hatten und eine gelbe Armbinde“. „Wir waren nicht bereit, die Sachen anzunehmen.“ Einer von ihnen, Mihály Garai, hatten „sie so zusammengeschlagen, dass er drei Tage ohne Bewusstsein an Deck gelegen hatte. […] Das geschah vor den anderen, um sie zu warnen. Es wurde damals gesagt, Ungarn sollte für immer und ewig von diesen Schmutzflecken gereinigt werden. ‚Sie werden nie mehr nach Ungarn zurückkehren, Sie gehen nach Serbien und sehen Ungarn nie wieder.‘“ Über Garai berichtete er weiter: „Als wir nach Prahova in Serbien kamen, wurde er zum Arzt gebracht, da er noch immer ohne Bewusstsein war. Da sagte der Arzt, dass er in seinem ganzen Leben noch keinen Menschen gesehen hatte, der so zusammengeschlagen worden war. Die Folge war, er kam [zwar 1945] zurück nach Ungarn, aber er starb kurz darauf.“878 Von Prahova ging es weiter mit dem Zug nach Bor. Im Juli 1943 erreichten sie das Lager, wohin bereits viele Tausend Juden verbracht worden waren.879 Die Ankunft in Bor ist dem zu der Gruppe der Nazarener gehörenden Lajos Papp wie folgt in Erinnerung: „In Bor wurden wir so empfangen: ‚Jungs diesen Berg müsst ihr in 5 Jahren abgetragen haben.‘ Dort gab es massenhaft Silber und Kupfer.“880 Bali zufolge wurden sie dem Kommandanten des Arbeitslagers, Oberstleutnant András Balogh, übergeben. Dieser soll den Neuankömmlingen gesagt haben: „Wenn das stimmt, was man mir über euch erzählt hat, dann habt ihr nicht mehr lange zu leben.“ Allerdings habe er sie wider Erwarten, nachdem er „die versiegelte Mitteilung der Regierung gelesen hatte“, so Bali, respektvoll behandelt. „Er ließ uns verhältnismäßig viel Bewegungsfreiheit, und wir durften uns sogar eine eigene Baracke bauen. Die Nahrungsmittel waren zwar knapp, doch besaßen 876 Ebenda.

Interview mit Lajos Papp am 30.1.2010 in Budapest. Interview mit Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. 879  Csapody; Tamás: Orvosok és orvoslás Borban [Ärzte und Heilung in Bor]., 1943 – 1944. In: História, Jg. 19, 2009, Nr. 12, S. 816 – 819, hier S. 816. http://www.orvostortenet.hu/tankonyvek/tk-05/pdf/3.6.3.3/csapody_orvosok_es_orvoslas.pdf (Zugriff am 2.1.2014). 880  Interview mit Lajos Papp am 30.1.2010 in Budapest. 877  878 

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wir eine Küche für uns, und so wurde das Essen gerecht verteilt.“881 Der Nazarener Bálint Papp erinnerte sich, dass die verschiedenen Glaubensangehörigen sich untereinander gut verstanden: „Wir hatten ein sehr gutes Verhältnis, waren nur anderer [religiöser] Auffassung.“ Wie er erzählte, diskutierten sie gern miteinander.882 Hanák berichtete über die Verbindung zu den jüdischen Mithäftlingen: „Wir bemühten uns auch um ein gutes Verhältnis zu Mitinsassen, was sich als vorteilhaft erwies. Einer unserer Brüder litt einmal unter starken Bauchschmerzen, aber die Wachen waren zu keiner Hilfe bereit. Als sich sein Zustand verschlimmerte, erklärte sich ein Arzt – ein jüdischer Häftling – bereit, ihn zu operieren. Er betäubte den Bruder mit primitiven Mitteln und operierte ihn mit einem gespitzten Löffelgriff. Der Bruder wurde wieder gesund und kehrte nach Kriegsende nach Hause zurück.“883 An die Stelle von Kommandant Balogh trat später Ende 1943 „der deutschfreundliche Kommandant Ede Marányi. Bei ihm herrschte strengste Disziplin, fast wie in den Konzentrationslagern.“884 Eingesetzt wurden die Männer zu verschiedenen Arbeiten: in den Minen, beim Gleisbau, in Tischlerei, Schmiede, Küche oder Schneiderei wie auch Schuhmacherei. Die Stunden-Karte,885 Nr. 21108, des Zeugen Jehovas Gyula Török zum Beispiel weist auf, dass er in der Kolonne „Handschacht T eingesetzt war.886 Der Nazarener Bálint Papp, der am Berg arbeitete, erzählte: „Durch die Sprengungen kam es zu vielen Unfällen. Ein Zeuge Jehovas ist auch dabei gestorben, Imre Dobó. Iván Czimbolinez hatte einen Unfall.“887 Auch Bali berichtet, dass zwei Zeugen Jehovas durch Arbeitsunfälle ums Leben kamen, Szinger zufolge drei – ein weiterer soll an Schwäche gestorben sein.888 Im Großen und Ganzen unterschied sich die Behandlung der Zeugen Jehovas, Nazarener und Adventisten durchaus von der der Juden und Kommunisten. Obgleich auch sie harte Strafen hinnehmen mussten, wenn sie aus Glaubens- oder Gewissensgründen verschiedentlich eine Verweigerungshaltung einnahmen und zu extrem harter Arbeit eingeteilt wurden, scheinen sie insgesamt freundlicher behandelt worden zu sein.889 Bálint Papp berichtete, dass WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 22.12.2002. S. 19 – 23. Interview mit Bálint Papp am 29.1.2010 in Budapest. 883 Ebenda. WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. S. 19 – 24. 884  Dies.: Erwachet! v. 22.12.2002. S. 19 – 23. Csapody, Tamás: Átváltozások. Marányi Ede – vagy is „Fehér Antal“ – bori táborparancsnok élete [Verwandlungen. Ede Marányi – oder auch „Antal Fehér“ – Leben des Kommandanten von Bor]. In: Népszabadság [Volksfreiheit] online, v. 8.6.2008. http://nol.hu/archivum/archiv-494685 (Zugriff am 12.12.2012). 885  Hier trug das Aufsichtspersonal bzw. der Stundenkontrolleur die Leistung ein. Der Vordruck war bezeichnenderweise in Deutsch. 886  MJTA, DOK-2429. 887  Interview mit Bálint Papp am 29.1.2010 in Budapest. 888  WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 22.12.2002, S. 19 – 23. Interview mit Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. 889  Szinger erinnert sich: „Dem Arbeitsgruppenführer musste man die Anzahl melden, der dem Wächter am Tor sagte, wie viele Leute er mit hinausnahm. Wenn er wieder zurückkam von der Arbeit, musste er wieder abrechnen, wie viele er dabei hatte. Wir als Zeugen Jehovas gingen allein raus. Dreißig waren wir in der Schienen-Baubrigade. Wenn wir Drei881 

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sogar zwei Nazarener aus Belgrad sie besuchen und ihnen Sachen, Lebensmittel, Geld und Bibeln zurücklassen konnten.890 Im Fall der Reformadventisten kam es in einem Fall, wie Bálint Papp berichtet, allerdings auch zu Misshandlungen, da sie die Arbeit am Samstag verweigerten, weswegen sie angebunden und an den Armen hochgezogen wurden.891 Über die Behandlung der Juden berichtet Szinger: „Man ist hässlich mit ihnen umgegangen. Ich sah, wie man Juden geschlagen hat, wirklich hässlich.“ Bei dem Interview berichtet er über ein Ereignis, das er am Berg auf einer oberen Arbeitsebene beobachtet hatte: „Es ging um die in Serbien eingesammelten Kommunisten“, die „Ölfässer den Berg hinaufrollen“ mussten. „Der Deutsche stellte sich hinter sie und schlug sie mit dem Stock auf ihre Hinterteile, während sie die Fässer nach oben rollten. Wenn sie umstürzten, […] hat er so geschrien, dass ich es gehört hatte. Daher schlich ich mich ran und schaute, was passierte. Da sah ich, was der Deutsche mit den Menschen machte. Er nahm einen von ihnen heraus und schleppte ihn in meine Nähe an den Rand, legte ihn hin. […] Er schlug diesen Menschen und der Mann schrie: ‚Ja san Kommunista‘, was so viel heißt wie ‚Ich bin Kommunist‘. Da schlug er ihn weiter und fragte ihn: ‚Bist du noch Kommunist?‘ ‚Ja san Kommunista.‘ Er schlug den Mann halb tot. Das hab ich gesehen.“892 Beim Heranrücken der russischen Front, etwa einen Monat vor der „Evakuierung“ des Lagers im September 1944, wurden die Arbeiten eingestellt. Inhaftierten, die keine Juden waren, wurde erlaubt, das Lager kurzzeitig zu verlassen. Die Zeugen gingen in nahe liegende Orte, predigten und erhielten Lebensmittel.893 Am 17. September verließen sie Bor. Szinger berichtet: „Ungefähr 1 500 Juden gingen mit uns los. […] Wir mussten uns so aufstellen, dass 100 Zeugen am Rand gingen. Vor uns ging ein bewaffneter deutscher Soldat, am Rand gingen die deutschen Soldaten, dann die Ungarischen, dann wir Zeugen Jehovas, dann die Juden.“894 Eine Woche waren die Gefangenen zu Fuß nach Belgrad unterwegs. Den Reformadventisten war es mithilfe von Glaubensbrüdern gelungen zu fliehen.895 Einige Zeit später kam es auf dem Weg nach Norden in dem Dorf Cservenka zu einem Massaker an den Juden. Zuvor hatte man wohl auch einige der Zeugen umbringen wollen. Garai gelang es, die ungarischen Soldaten zu informieren. „15 oder 16 Personen hatte man in den Wald gebracht und sie gruben schon ihr Grab. Dort wollte man sie umbringen. Nach größerem Wortwechsel brachten die Ungarn die Brüder zurück zu uns.“ Die Zeugen und Nazarener wurden auf den Dachboden eines Hauses gebracht. Dann forderte man sie auf: „Leute, was ihr auch immer diese Nacht hört, ßig das Tor verließen, sagte der Wächter: ‚Guten Tag! Ach gehen Sie ruhig, Sie Jehovisten, gehen Sie nur.‘ Keine Zählung, sie wussten, dass wir nicht flohen.“ Interview mit Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. 890  Interview mit Bálint Papp am 29.1.2010 in Budapest. 891 Ebenda. 892  Interview mit Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. 893 Ebenda. 894 Ebenda. 895  Csapody, Bori munkaszolgálatosok.

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Abbildung 14: Teil des Lagerkomplexes, Zeichnung von László I. Papp nach seiner Entlassung; „JT“ bedeutet Jehovas Zeugen, „Zsidó barakok“ Baracken der Juden und „Őrség“ Wache, UaP László Papp

bewegt euch nicht, die Deutschen dürfen nicht wissen, wo ihr seid, sonst gibt es ein Problem.“896 Hanák zufolge sagte ein Deutscher „Bleibt hier und verhaltet euch still. Das wird eine entsetzliche Nacht.“ Sie hörten wie jüdische Häftlinge mit Maschinengewehren niedergemäht wurden. Hanák berichtete: „Durch das Dach konnten wir sehen, was vor sich ging. Die Soldaten holten dutzendweise jüdische Häftlinge, stellten sie an den Rand einer Grube897 und erschossen sie. Danach warfen die Soldaten Handgranaten auf die Leichenberge.“ Erschüttert sagt er: „Wir waren seelisch und körperlich am Ende.“898 In dieser Nacht waren 800 – 1 000 Juden ermordet worden. Die Überlebenden marschierten mit den Zeugen und Nazarenern weiter bis Zombor,899 wo sie in verschiedene Gruppen aufgeteilt wurden.900 Ein Teil kam mit dem Zug 896 Ebenda. 897 

Es handelte sich wohl um Gruben einer Ziegelbrennerei. WtBTG (Hrsg.): Erwachet! v. 22.4.2002, S. 19 – 24. 899  Szinger berichtet, dass die Juden in einem abgesonderten Waggon untergebracht waren. Es gelang ihm mehrfach, Lebensmittel für sie zu kaufen und ihnen zu bringen. Interview mit Ádám Szinger vom 14.9.2000 in Paks. 900  Vgl. auch Bericht von Bálint Papp in: Lőrincz, Dorothy: A remény bajnoka [Sieg der Hoffnung]. In: hetek, vom 9.10.2009, Jg. 13, Nr. 41, S. 26 f. 898 

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Abbildung 15: Nach Bor deportierte Zeugen Jehovas, MJTA FO-0018 – 0241

nach Szentkirályszabdja.901 Der Erklärung von Zeitzeugen zufolge sollte ein großer Teil von ihnen nach Deutschland verbracht werden.902 Auf dem Marsch wurden die Zeugen wiederholt aufgefordert, sich militärisch zu betätigen. Bali berichtet über eine Situation: „An der österreichisch-ungarischen Grenze angekommen, hieß man uns Geschützstände für Maschinengewehre ausheben. Wir erklärten, wir seien ja gerade deshalb inhaftiert, weil wir mit Kriegshandlungen nichts zu tun haben wollten. Da ich in der Gruppe ganz vorn stand, packte mich ein ungarischer Offizier und schlug auf mich ein. ,Ich schlag dich tot!‘, brüllte er. ,Wenn du jetzt nicht arbeitest, nehmen sich die anderen nur ein schlechtes Beispiel an dir!‘ András Bartha, ein älterer Zeuge Jehovas, der früher unseren Predigtdienst geleitet hatte, griff beherzt ein und rettete mir das Leben.“903 Aus einem anderen Bericht geht hervor, dass im Januar 1945 alle arbeitsfähigen Männer in der Gegend von Jánosháza, auch in der Nähe der österreichischen Grenze, ebenfalls Schützengräben ausheben sollten. Als sich die ersten sechs von ihnen weigerten, ordnete ein deutscher Offizier ihre Erschießung an. Ein ungarischer Soldat soll die übrigen 76 Zeugen aufgefordert haben: „Geht rüber, und werft euer Werkzeug auch hin, sonst erschießen sie sie.“ Als der deutsche Offizier Csapody, Bori munkaszolgálatosok. WtBTG, Jahrbuch 2006, S. 98. Bericht von Teodor Miron. 903  Dies.: Erwachet! v. 22.12.2002, S. 19 – 23. 901 

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sich verwundert erkundigte, ob diejenigen auch nicht arbeiten wollten, soll wiederum Bartha, diesmal auf Deutsch, geantwortet haben: „O ja, wir wollen arbeiten, aber wir können keine Arbeiten verrichten, die wir mit unserem Glauben nicht vereinbaren können.“904 Offensichtlich wurden sie von der Erschießung verschont. Nachdem sie im April 1945 bei Szombathely zwischen die Fronten der deutschen und ungarischen Truppen geraten waren, kamen sie nach einem Luftangriff frei. Einige von ihnen wurden von den sowjetischen Truppen erneut zum Waffendienst herangezogen. So acht Zeugen, als sie in Budapest eintrafen. Zu ihrem Glück war der Verantwortliche jener jüdische Arzt, den sie aus dem Arbeitslager Bor kannten. Er bewirkte ihre Freilassung.905

L.  Besetzung Ungarns und das Szálasi-Regime Nach heimlichen Verhandlungen mit den Alliierten hatten die Deutschen Ungarn im März 1944 besetzt. Unter Ministerpräsident Döme Sztójay kam es zu weiteren Verflechtungen mit dem deutschen Reich und über 400 000 ungarische Juden wurden deportiert und vernichtet. Aus dieser Zeit bis zum Kriegsende finden sich kaum Unterlagen zu den kleinen Religionsgemeinschaften in den Archiven. Hier muss mehrheitlich auf persönliche Erinnerungen und Unterlagen aus Privatbesitz zurückgegriffen werden. Éva Josefsson, geb. Bász, eine zu den Zeugen Jehovas konvertierte Jüdin erinnert sich daran: „Die Nationalsozialisten hatten in Ungarn die Macht übernommen, und der Betrieb, in dem ich arbeitete, wurde nun von Deutschen geleitet. Eines Tages mußten alle Arbeiter vor den Vorgesetzten erscheinen, um einen Treueid auf die Nationalsozialisten zu leisten. Im Falle einer Weigerung, so sagte man uns, müßten wir mit ernsten Konsequenzen rechnen. Während der Zeremonie sollten wir ‚Heil Hitler!‘ sagen; ich stand zwar respektvoll da, aber kam nicht dieser Aufforderung nach. Noch am selben Tag bestellte man mich ins Büro und gab mir meinen Lohn; damit war ich entlassen.“906 Éva Bász wurde beim Predigen verhaftet. Sie hatte jemand versprochen, etwas zum Lesen zu bringen: „Aber als wir wieder hingingen, war die Polizei da. Wir wurden festgenommen und auf die Polizeiwache nach Dunavecse gebracht. Der junge Mann hatte als Köder gedient.“ An der Beschreibung des Verhörs zeigt sich, wie erniedrigend man auch mit Frauen umgegangen ist: „Auf der Polizeiwache wurden mir die Haare abrasiert, und ich mußte mich unbekleidet vor etwa einem Dutzend Polizisten hinstellen. Dann begannen sie mit dem Verhör und wollten wissen, wer unser Führer in Ungarn sei. Ich erklärte, daß wir außer Jesus Christus keinen anderen Führer haben. Daraufhin schlugen sie mich unbarmherzig mit ihren Schlagstöcken, aber ich verriet meine Glaubensbrüder nicht. Als nächstes banden sie meine Füße zusammen, dann nahmen sie meine Dies.: Jahrbuch 1996, S. 91. Dies.: Erwachet! v. 22.4.2002, S. 19 – 24. 906  Dies.: Der Wachtturm v. 1.6.1998, S. 28 – 29. Éva Josefsson. 904  905 

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Hände und banden sie über dem Kopf zusammen. Danach vergewaltigte mich ein Polizist nach dem anderen – bis auf einen. Man hatte mich dermaßen stramm gefesselt, daß ich drei Jahre danach noch Spuren davon an den Handgelenken hatte. Ich war so übel zugerichtet, daß sie mich zwei Wochen im Keller versteckt hielten, bis die schlimmsten Verletzungen etwas abgeheilt waren.“ Nach dieser Tortur kam sie in das Lager nach Nagykanizsa. Dort lernte sie Olga Slézinger kennen, ebenfalls eine zu Jehovas Zeugen konvertierte Jüdin. Die Maßnahmen Sztójays gegen die Juden traf auch die beiden: „Eines Tages holten sie Olga und mich ab.“ In einen Viehwaggon gepfercht ging es nach Auschwitz. Über die Selektion nach ihrer Ankunft dort schreibt sie: „Als wir an die Reihe kamen, fragte Dr. Mengele Olga: ,Wie alt sind Sie?‘ Mutig und mit einem lustigen Augenzwinkern antwortete sie: ,Zwanzig.‘ Tatsächlich war sie doppelt so alt. Doch Dr. Mengele lachte und ließ sie auf die rechte Seite treten.“ Sie blieben am Leben und sollten sich den Davidstern auf die Häftlingskleidung nähen. Doch als Zeugen Jehovas wollten sie den lila Winkel, den sie sich auch erkämpften. Bei der „Evakuierung“ des Lagers bei Näherrücken der sowjetischen Front, verbrachte man sie in das Konzentrationslager Bergen-Belsen. Krank und schwach, auch von Misshandlungen, waren sie kaum noch arbeitsfähig. Nur mit der Hilfe ihrer Glaubensschwestern konnte Éva Bász das Lager zu überleben. Nach ihrer Befreiung 1945 und einem längeren Krankenhausaufenthalt reiste sie nach Schweden aus.907 Éva Bász und Olga Slézinger waren nicht die einzigen Zeugen Jehovas jüdischer Abstammung, die in deutsche Konzentrationslager verbracht wurden. Dazu gehörten zum Beispiel auch Józsefné Bárdos, geb. Magdolna Fischer, die nach Theresienstadt und Bergen-Belsen, ferner Ádámné Fuchs, geb. Julianna Slézinger, die nach Auschwitz überstellt wurde, oder Jánosné Rabenstein, geb. Katalin Zsidi. Der Grund der Verbringung von Miksáné Erdős, geb. Paula Alter, in das KZ Dachau, von Juliana Ötvös, Gáborné Szakál, geb. Zsófia Nagy, und Gáborné Szécsi (Mädchenname unbekannt) ins KZ Ravensbrück ist bisher unbekannt, genauso wie die Verbringung von Antalné Tauber, geb. Anna Tauber, und Gáborné Nagy, geb. Zsófia Udvári, nach Deutschland unklar ist.908 Auch der Landesdiener Dénes Faluvégi, der bereits im November 1942 zusammen mit András Bartha und János Konrád vom Generalstabsgericht in Alag wegen Untreue zum Tode durch den Strang verurteilt worden war (umgewandelt in lebenslange Freiheitsstrafe), war während seiner Inhaftierung nach Deutschland in das KZ Buchenwald überstellt worden. Von dort sollte er in das KZ Dachau, starb aber auf dem Transport dahin.909 Das Regime wandte sich in dieser Phase mit Erreichen des Höhepunktes der Faschisierung und damit der Radikalisierung zunehmend auch gegen wieder zugelassene kleine Religionsgemeinschaften. Aufschluss über die Haltung der rechten Politiker gibt ein Zeitungsbericht des Publizisten Mihály Kolosváry-Borcsa, der Dies.: Der Wachtturm v. 1.6.1998, S. 28 – 29. Olga Slézinger starb im Lager. Aufstellung der Inhaftierten, Stand 2000. JZAD, Aufstellung Inhaftierter und Deportierter aus der Slowakei v. 28.2.2000. 909  Ebenda, DOK-31, DOK-32. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 93. 907 

908  MJTA,

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schon radikale Pressemeldungen gegen Zeugen Jehovas geschrieben hatte, unter Sztójay ins Staatssekretariat berufen wurde. Kolosváry-Borcsa richtete sich nun gegen die Ungarischen Bibelnachfolger und stellte fest, sie würden in letzter Zeit häufiger auftauchen. Wahrscheinlich gerieten sie nunmehr, da die sonst so aktiven Zeugen Jehovas und Nazarener kaum noch offen tätig waren, zunehmend in den Fokus der Behörden. Außerdem soll László Michnay, ein Vorsteher der adventistischen Kirche in Vorträgen auch zur politischen und gesellschaftlichen Situation im Land Stellung genommen haben, was den Behörden sicher wenig gefiel.910 Kolosváry-Borcsa erklärte dann, es gäbe nicht nur „einfältige Fanatiker“, sondern auch „Unruhe stiftende Übergeschnappte, an ihrer Sensationssehnsucht leidende Hysteriker, wie auch bewusste Agitatoren“, wobei die letzten „ihre politischen Ziele in religiöse Gewänder“ kleiden würden. Er behauptete: „Es ist Fakt, dass ein großer Teil der Sektierer nicht ganz richtig ist im Kopf, bzw. ernsthafte Probleme mit ihrem Nervenkostüm haben. In der heutigen Zeit sind solche Bewegungen besonders gefährlich, da jeder mit klarem Kopf und mutig der Realität entgegensehen muss. Die Sekten sind also, egal unter welchem Namen sie auftreten, schädlich und daher wendet sich die Macht des Gesetzes zu recht gegen sie.“911 Kolosváry-Borcsa, unter Szálasi zuständig für Presseangelegenheiten, verbot zunächst das baptistische Blatt „Kürt“ (Trompete) und dann am 16. Dezember 1944 die Zeitschrift „Békehírnök“ (Friedensverkündiger).912 1944 wurden auch die Altkatholiken verboten. Bereits 1942 war eine ihrer Gemeinden in Budapest verboten wurden und ihr Leiter Fehérváry inhaftiert, zwei Monate später kam er wieder frei und übernahm eine Gemeinde in Újvidék. Kurze Zeit später wurde er jedoch eingezogen und kehrte erst mit Kriegsende von der Front zurück. Auch die Christliche Brüderversammlung, die zunächst nicht vom Verbot 1939 betroffen war, 1940 dann vorübergehend verboten, im Januar 1941 aber wieder zugelassen wurde, wurde Anfang 1944 erneut verboten, konnte aber im Juni 1944 ihre Tätigkeit wieder aufnehmen.913 In Verbindung mit der Pfingstbewegung kam es auch zu Verfolgungsmaßnahmen, so wurde 1944 Győző Sárkány interniert.914 Nachdem Ungarn Geheimverhandlungen mit dem Westen und der Sowjetunion aufgenommen hatte, übernahm Szálasi im Oktober 1944 als „Führer der Nation“ die Macht. Mit ihm kamen weitere radikale Kräfte an die Macht, die an der Seite Hitlers bis zum bitteren Ende kämpften. In der Bevölkerung allerdings wurde von vielen das Durchhalten bis zum Ende nicht begrüßt. Dennoch konnte Szálasi größtenteils auf die Unterstützung des Militärs setzen, nicht nur, weil er dort Anhänger hatte, sondern auch, weil man sich mit allen Mitteln gegen die Sowjetunion und damit einhergehend gegen den Kommunismus wehren wollte. Auch mit der Gendarmerie war zu rechnen, mit den Polizeiorganen dagegen nur eingeschränkt, waSzigeti, Szabadegyházak, S. 199 f. Zitiert nach Fazekas, Kisegyházak, S. 185. 912  Szigeti, Szabadegyházak, S. 208. 913  Ebenda, S. 206 f. 914  Ebenda, S. 205. 910  911 

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ren sie doch unter Horthy gegen Rechtsradikale vorgegangen.915 In der innenpolitisch angespannten Lage diskutierte man die Einrichtung eines Organs zum Schutz des hungaristischen Staates und zur Eliminierung aller seiner Feinde. Bereits vor der Machtübernahme durch Szálasi war am 9. Juni 1944 im Innenministerium, Abteilung VII, öffentliche Sicherheit, die Unterabteilung VII/d eingerichtet worden, um die Ermittlungsarbeit und Überwachung politischer Organisationen und Bewegungen im ganzen Land noch besser zu koordinieren, die allerdings schon im September wieder geschlossen wurde.916 Anfang November 1944 hat Szálasi die Einrichtung der „Nemzeti Számonkérő Szervezet“, der Nationalen Rechenschaftsfordernden Organisation, als Unterabteilung VII/b beim Innenministerium verfügt. Am 20. Oktober November wurde mit VO 30.782./1944 die „Nemzeti Számonkérő Különítmény“, die Nationale Rechenschaftsfordernde Einheit (NRE), eingerichtet.917 Die rechtliche Grundlage sollte wiederum GA II/1939, § 141 zur Ausnahmegewalt bilden. Aufgabe der Einheit war, die Gefährdung der Ziele des Hungarismus zu verhindern und staats- und gesellschaftsfeindliche Straftaten aufzudecken.918 Parallel gab es auch noch das „Nemzeti Számonkérő Szék“, das Nationale Rechenschaftsfordernde Gericht, mit dem die Pfeilkreuzler unter anderem die Politiker des Vorgänger-Regimes zur Verantwortung zogen.919 Die Aktivität der Einheit richtete sich gegen alle, die nicht an den Endsieg glaubten, besonders auch gegen Juden, Fahnenflüchtige und Kommunisten. Erschien der NRE jemand verdächtig, galt er auch als schuldig, weshalb Verdächtige nicht selten standrechtlich erschossen wurden – nicht selten öffentlich zur allgemeinen Abschreckung. Diese Praxis des NRE betraf wohl auch drei Zeugen Jehovas in Körmend: János Zsondor (22 Jahre), Bertalan Szabó (23 Jahre) und Antal Hőnisch (34 Jahre), sie hatten aus Glaubensgründen den Militärdienst verweigert. Am 2. März 1945 wurde Bertalan Szabó um 11.15 Uhr erschossen.920 Er war vom MG in Szombathely zum Tode verurteilt worden.921 János Zsondor starb am 7. März 1945 um 11 Uhr

Kovács, Számonkérő, S. 71 f. Varga, Kommunistaellenes nymozások. Kovács, nyilas éra. 917  Kovács, Nemzeti, S. 74 ff. Malkovics, Tibor: „Jó szomszédi (v)iszonyok“. A jobboldali (nemzeti) radikalizmus és hazai „gárdák“ kapcsolathálózati elemzése [Gut nachbarliche (Beziehungen) Gräuel. Analyse des Verbindungsgeflechts des rechten (nationale) Radikalismus und der einheimischen „Garden“]. Budapest 2010, S. 173. Als Innenminister fungierte Gábor Vajna (1891 – 1946), ein Vertrauter Szálasis. Vajna war mitverantwortlich für die Deportation von über 70 000 Juden. 1946 wurde er in Budapest hingerichtet. 918  Kovács, Nemzeti, S. 74 ff. Kovács, Tamás: A Belügyminisztérium rendészeti és karhatalmi feladatai 1920 és 1944 között [Die Polizei- und Ordnungsaufgaben des Innenministeriums zwischen 1920 und 1944]. In: A Pécsi Határőr Tudományos Periodika, 2009, S. 151 – 162, hier S. 155. http://www.pecshor.hu/periodika/2009/kovacs.pdf (Zugriff am 15.5.2013). 919  Kovács, Nemzeti, S. 74 – 78. 920  WtBTG, Jahrbuch 1996, S 93. Kovács, Nemzeti, S. 95. MJTA DOK-411. Todesurkunde: Wohnort Lácza, Komitat Zemplén, Todesort Körmend, „Hinrichtung durch die Kugel“. 921  Ebenda, DOK-188, DOK-554, Az. H. 1076/45. 915  916 

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Kap. 6: Kriegsjahre

ebenfalls durch die Kugel922 und eine viertel Stunde später, um 11.15 Uhr Antal Hőnisch.923 Es liegen drei bewegende Abschiedsbriefe vor, die die starke Glaubensüberzeugung der jungen Männer belegen, die selbst durch das Todesurteil nicht erschüttert werden konnte. Bertalan Szabó schrieb am 2. März an seine Schwester Marika, damit sie den Eltern über seinen Tod berichte: „Ich wünsche ihnen den gleichen inneren Frieden, den ich in diesen letzten Augenblicken in dieser unheilvollen Welt empfinde. Es ist jetzt zehn Uhr, und um halb zwölf werde ich hingerichtet werden; doch ich bin ziemlich ruhig. […] Sie sollen sich um mich keine Sorgen machen; wir alle werden uns bald wiedersehen. Meine Hand ist jetzt ruhig, und ich werde ruhen, bis mich Jehova wieder ruft. Sogar jetzt werde ich das Gelübde halten, das ich für ihn abgelegt habe.“924 Sein Gelübde Gott gegenüber, seine Gebote zu halten, wog für Szabó schwerer als der Abschied vom Leben. Auch der Abschiedsbrief, den János Zsondor am 5. März 1945 schrieb, bezeugt die starke innere Haltung. Er verabschiedete sich von seinen Lieben mit ergreifenden Worten: „Seid nicht traurig […]. Ich weiß, dass es auch nur von Gott zugelassen ist, dass ich jetzt schlafen gehe. Ich weiß es sicher, und ich hoffe es auch, dass Jehova in der nahen Zukunft diejenigen zum Leben weckt, die in den Gräbern schlafen. Nämlich diejenigen, die ihm treu und gehorsam sind bis zum Schluss. Es ist halb elf. Noch 15 Minuten, und ich gehe weg. […] Mir gehen die zwei Jungs durch den Sinn, denen es auch so ergangen ist.“ Offensichtlich dachte er dabei an Bertalan Szabó und Antal Hőnisch. Er fuhr fort: „Seid beruhigt. […] Wenn ihr irgendwann dazu kommt, informiert alle zu Hause, damit sie nicht traurig sind, weil ich für die Wahrheit starb und nicht als Verbrecher.“925 Weder Szabó noch Zsondor ging es darum, das politische System zu stürzen oder das Militär zu schwächen. Sie wollten lediglich ihrer Glaubens- und Gewissensüberzeugung gerecht werden und sich nicht am Krieg beteiligen. Das verbanden sie damit, den Namen Gottes zu ehren und sich in ihrem Glauben an seinen Willen zu halten, der Töten von Menschen untersagte. Für diese Überzeugung gab es jedoch im faschistischen Regime Szálasis keinen Raum. Auch Lajos Déli verweigerte den Militärdienst, weshalb er in Sárvár, einem Ort in Nordostungarn, hingerichtet wurde. Man ließ ihn einen Tag lang zur Abschreckung auf dem Marktplatz am Galgen hängen, bevor man ihn beerdigte.926 In seinem Abschiedsbrief vom 12. März 1945, den er eilig verfassen musste, schrieb er: „Meine lieben Brüder, jetzt verabschiede ich mich von euch aus der Gnade Jehova Gottes. Ich bin hier in Sárvár, am 12. bin ich hier angekommen, Józsi blieb dort in 922  Ebenda, DOK-211. Sterbeurkunde: Wohnort Tasolya, Gegend von Ungvár, Todesort Körmend, „Hinrichtung durch die Kugel“. 923 Ebenda, DOK-211. Sterbeurkunde: Wohnort Ráhó, Gegend von Korjatovics, Todesort Körmend, „Hinrichtung durch die Kugel“. 924  WtBTG, Verkündiger, S. 662. 925  MJTA, DOK-93. 926  WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 94. Kovács, Nemzeti, S. 95 f.

L.  Besetzung Ungarns und das Szálasi-Regime

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Sopronköhida, nur ich wurde zum Tod durch Erhängen verurteilt, weil ich volljährig bin. […] Jetzt sage ich euch, meine liebe Eltern und Brüder, seid um mich nicht besorgt, weil ich auf dem richtigen Platz bin, Jehova Gott sei Dank.“ Seine Sorge galt József, wahrscheinlich sein jüngerer Bruder: „Es wäre gut, wenn ihr euch um ihn kümmert […]. Der Arme hat 15 Jahre Zuchthaus bekommen; es war wirklich schlimm, von dem Armen Abschied zu nehmen. Aber wir treffen uns in der Gnade Jehova Gottes. Damit schließe ich meine Zeilen, ich werde nicht mehr schreiben. Ich verbleibe mit Liebe: Lali.“927 Die öffentliche Hinrichtung beschreibt 1954 ein Offizier: „Ich floh mit vielen Zivilisten und Soldaten nach Westen. Als wir durch Sárvár kamen, sahen wir den Galgen, der auf dem Marktplatz aufgerichtet worden war. Unter dem Galgen stand ein junger Mann, dessen Gesichtsausdruck sehr freundlich und friedlich war. Als ich einen Dabeistehenden fragte, was der junge Mann getan habe, wurde mir gesagt, er wolle weder zur Waffe noch zum Spaten greifen. Es waren mehrere Rekruten der Pfeilkreuzlerpartei da, die Maschinengewehre trugen. Einer von ihnen sagte zu dem jungen Mann, so daß jeder es hören konnte: ‚Das ist deine letzte Chance, entweder du nimmst die Waffe, oder wir hängen dich.‘ Der junge Mann reagierte nicht; er war nicht im geringsten beeindruckt. Dann sagte er mit fester Stimme: ‚Sie können mich ruhig hängen, aber ich gehorche lieber meinem Gott, Jehova, als Menschen.‘ Er wurde dann gehängt.“928 Der Eindruck auf Außenstehende war hier sicher nicht nur Abschreckung, sondern auch Bewunderung. Den drei Abschiedsbriefen kann eine gegnerische Haltung zum Staat nicht entnommen werden. Sie mögen allerdings teilweise erklären, warum es den Behörden so schwer fiel, die Tätigkeit der Gemeinschaften einzustellen oder deren Anhänger zu den historischen Kirchen zurückzugewinnen – ihr Glaube basierte auf einer festen Überzeugung, der sie sich sogar mit ihrem Leben verpflichtet fühlten. In den vorliegenden Fällen dürfte der psychische und physische Druck auf diese jungen Männer, der durch das Militär im Kampf um Ungarn so kurz vor Kriegsende ausgeübt wurde, sehr hoch gewesen sein. Rechtsstaatliche bzw. verfassungsrechtliche Überlegungen werden hier kaum eine Rolle gespielt haben. In den Kriegswirren kam es auch vor, dass Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften von der sowjetischen Armee rekrutiert werden sollten und verschleppt wurden.929 So erging es auch Bálint Papp, der vom Todesmarsch aus Bor kommend in Szombathely befreit worden, aber in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten und nach Stalingrad gebracht worden war, wo er, offensichtlich mit zwei anderen Nazarenern aus Bor, zwei Jahre zu Aufbauarbeiten eingesetzt wurde.930 Diese unruhige Zeit verbunden mit den mehrfachen Verboten und Behinderungen der kleinen Religionsgemeinschaften hat einige von ihnen enger zusammenge927 

MJTA, DOK-23. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 94. 929  MJTA, Aufstellung der Inhaftierten, Stand 2000. 930  Lőrincz, S. 26 f. Lebensbericht von Bálint Papp: Fogságom története [Geschichte meiner Haft], 1999. UaP Bálint Papp. 928 

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Kap. 6: Kriegsjahre

bracht. Angehörige der Vereinigung der Ungarischen Bibelnachfolger, der Christlichen Brüderversammlung, der Baptisten und Heilsarmee kamen auf Anraten des Adventisten László Michnay am 5. Oktober 1944 überein, sich gemeinsam mit dem Ziel „Gewissens- und Religionsfreiheit“ zu erreichen und zu schützen. Diese Verbindung wurde Zoltán Rajki zufolge später, wohl im März 1945, als Bund der Freikirchen Ungarns (Magyarországi Szabadegyházak Szövetsége, MSZSZ, kurz Freikirchenbund) bezeichnet. Ebenfalls im März schlossen sich dem Bund die Methodisten und die Altkatholiken an.931

M.  Zusammenfassung der Kriegsjahre Die Reaktionen der verbotenen Gemeinschaften auf die Untersagung ihrer Tätigkeit fielen unterschiedlich aus. Alle aber waren darauf bedacht, auf irgendeine Weise fortzufahren. Am interessantesten ist wohl der Umgang der Adventisten mit dem Verbot: Sie traten unter einem neuen Namen auf, stellten sich in ihren Statuten und Erklärungen hinter die ungarische Staatsidee und versicherten explizit, die höchste staatsbürgerliche Pflicht mit der größten Gewissenhaftigkeit und Bereitwilligkeit zu erfüllen – dem Staat im Krieg mit der Waffe zur Verfügung zu stehen. Mit dieser Vorgehensweise distanzierten sie sich klar von den Verbotsvorwürfen der antimilitärischen Haltung. Durch die neue Namensnennung war auch eine Wiederzulassung oder ein Rückgängigmachen des Verbots für die Gemeinschaft unnötig. Der Staat brauchte lediglich die Konfession der Bibelnachfolger Ungarns zu dulden. Mit den Statuten und dem neuen Namen unterschied man sich auch von den anderen verbotenen Gemeinschaften, vor allem den Zeugen Jehovas, mit denen man des Öfteren verwechselt wurde, und grenzte sich gleichzeitig von der eigenen Abspaltung, den Reformadventisten oder Sabbatisten, ab. Einen anderen Weg wählten die Pfingstgemeinden, die sich der noch immer bevorrechtigt behandelten gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaft der Methodisten anschlossen – eine Notlösung, die zwar teilweise zu Problemen auf religiöser wie auch auf behördlicher Ebene führte, aber scheinbar dennoch verschiedentlich funktionierte. Die Nazarener versuchten ihrerseits immer wieder durch Eingaben wie im Januar 1940 oder im März 1943 bei den Behörden zu zeigen, wie ungefährlich sie für den Staat waren und wie nützlich sie im Krieg auch ohne Dienst an der Waffe sein konnten, da sie versicherten „jede militärische Pflicht mit der größten Hingabe, mit Eifer, mit der größtmöglichen Treue zu erfüllen“ und „auch unter den schwierigsten Umständen der Sache der Heimat in der Honvéd dienen“ würden. Anders die Zeugen Jehovas: Sie gingen mit ihrer Tätigkeit in den Untergrund, kamen heimlich zusammen und predigten weiter. Eine Erklärung an die Behörden verfassten sie nicht. Das hätte auch nicht viel gebracht, da sie zwar bereit waren, die Gesetze des Staates einzuhalten, in Zweifelsfragen aber den Gesetzen Gottes 931  Rajki, Zoltán: Szabadegyházak története Magyarországon 1945 – 1989 [Geschichte der Freikirchen in Ungarn 1945 – 1989]. In: Ders./Szigeti, Jenő (Hrsg.): Szabadegyházak, S. 213 – 385, hier S. 216 f.

M.  Zusammenfassung der Kriegsjahre

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den Vorrang gaben, was konkret bedeutete, im Krieg neutral zu bleiben, sich also nicht militärisch zu beteiligen. Insgesamt gesehen haben die kleinen Religionsgemeinschaften trotz des Verbots versucht, ihre Tätigkeit aufrechtzuerhalten. Csizmadia kommt bezüglich der Verbotsverfügung zu dem Schluss: „Die Verordnung blieb jedoch wirkungslos. Ein Jahr später klagte der Bischof von Veszprém, Gyula Csapik, beim Primas darüber, daß die Sekten trotz Verbot auch weiter tätig blieben. Ein ähnlicher Standpunkt wurde auch von der reformierten Kirche eingenommen.932 Auffallend in dieser letzten Periode der Horthy-Zeit ist erneut die Unkenntnis der Behörden, die die Religionsgemeinschaften oft vereinfacht in historische Kirchen und nicht historische Kirchen trennten, also „Sekten“. Sprich wer nicht rezipiert war, galt als „Sekte“, unabhängig davon, ob gesetzlich anerkannt wie die Baptisten bzw. später die israelitische Religion oder bevorrechtigt geduldet wie die Methodisten. So wurden die Baptisten weiter mit den anderen kleinen Religionsgemeinschaften vermischt, die geduldeten Methodisten wie auch die Bibelnachfolger mit den verbotenen Gemeinschaften verwechselt – ganz abgesehen von der Zuordnung ihrer Mitglieder zu den Juden. Durch die Degradierung der israelitischen Religion und deren gesetzlicher Gleichstellung mit den Baptisten erwuchsen den Glaubensanhängern nicht anerkannter Gemeinschaften auch letzteren Probleme, z. B. beim Militär. Die Wirkung von GA II/1939 und der auf dessen Grundlage in Kraft getretenen Ausnahmegewalt, die sich bereits in der Verbotsverfügung offenbarte, wird am weiteren radikalen Vorgehen gegen die Gemeinschaften deutlich, die nicht bereit waren, die Kriegsinteressen des Militärs völlig zu unterstützen. Die Verfassungsgesetze zur Religionsfreiheit wurden mit wenigen Ausnahmen nicht mehr thematisiert. Die Diskussion um Religionsfreiheit war prinzipiell vom Tisch, zumal man durch den Kriegseintritt den Vertrag von Trianon offen gebrochen hatte und daher auch nach Außen die Wahrung des Vertrages nicht mehr demonstrieren musste. Andererseits offenbarte die Diskussion um die Zulassung der Konfession der Bibelnachfolger Ungarns, wobei tatsächlich GA XLIII/1895 nochmals herangezogen wurde, die Kenntnis des Innenministeriums um den Geist des Gesetzes. Dabei wurden die Behörden durch außenstehende Juristen einmal mehr auf den Verfassungsbruch aufmerksam gemacht, was sie jedoch nicht zu einer Korrektur veranlasste – ein Beleg für die bewusste Rechtsbeugung und Gesetzesübertretung durch die Behörden, die auch rückwirkend für die 1920er- und 1930er-Jahre galt. Denn alles was man hier anführte, war auch in den Jahren davor schon bekannt. In Verbindung mit der Diskussion um die Behandlung baptistischer Glaubensangehöriger kam man auf Grundsätzliches zu sprechen. Zum Beispiel auf die Thematik, dass jede kirchliche Versammlung, die eine bestimmte Organisation und ein niedergeschriebenes Glaubensbekenntnis hat, ungeachtet ihres rechtlichen Status – also ob rezipiert, gesetzlich anerkannt bzw. nicht rezipiert oder nicht ge932 

Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 38.

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Kap. 6: Kriegsjahre

setzlich anerkannt – und ungeachtet ihres religiösen Charakters – also christlich oder nicht christlich – eine Glaubensgemeinschaft darstellt. Das wiederum würde bedeuten, dass damit der Forderung von GA XLIII/1895 zur Gründung einer gesetzlich anerkannten Gemeinschaft „mindestens eine Kirchengemeinde aufzubauen und aufrechtzuerhalten“ und Statute vorlegen zu können, Genüge getan worden wäre. Im Zusammenhang mit dem Kriegsgeschehen gerieten die waffen- oder militärdienstverweigernden Anhäger der kleinen Religionsgemeinschaften zunehmend in den Fokus. Die Militärbehörden bekundeten ein wachsendes Interesse an ihrer Eliminierung. Dazu bediente man sich einer interessanten Methodik: Man bildete ein Netz basierend auf Zusammenarbeit der Behörden des Innen- und Verteidigungsministeriums. Die Militärbehörden versuchten ihrerseits so viele Informationen wie möglich von den Verweigerern zu erfahren und übermittelten diese dann dem Innenministerium, von dem man erwartete, dass es auf Grundlage dieser sehr konkreten Daten handelte. Allein schon das Wissen um die Herkunft eines Verweigerers konnte das Räderwerk der Ermittlungsbehörden in Gang setzen, hatte man doch einen lokalen Hinweis. Diesen Informationen sind verschiedene Aktionen geschuldet, in deren Zusammenhang man gegen eine größere Anzahl Glaubensanhänger ermittelte und viele inhaftiert wurden. Ein Beispiel ist die Budapester Aktion, ausgelöst durch einen Wehrdienstverweigerer, dessen Verhörsprotokoll dem Innenministerium übersandt wurde. Dessen Abteilung VII, Öffentliche Sicherheit, wandte sich dann an die Oberstadthauptmannschaft, Abteilung Politische Abteilung, die der Sache akribisch nachging. Bei der Suche nach der Zentrale der Gemeinschaft wurde gegen leitende und aktive Anhänger ermittelt. Interessant ist in dem Zusammenhang der interne Check-up von Publikationen: Dem Ministerium von den unteren Behörden übersandte Presseartikel wurden im Innenministerium auf Herkunft und Inhalt geprüft, was die Arbeitsroutine auf diesem Gebiet aufzeigt. Im Zusammenhang mit der Rückgewinnung der ehemaligen Gebiete wie der Karpato-Ukraine oder Siebenbürgen kam es, ähnlich wie bei den linksorientierten oder kommunistischen Bewegungen, zu umfassenden Ermittlungsaktionen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener. Beim Aufrollen der Glaubensgemeinschaften spielten erneut die Verhörsprotokolle der Militärbehörden eine wichtige Rolle. Bei der Aktion wurden viele Anhänger interniert oder unter Polizeiaufsicht gestellt. Die Ermittlungen machten gleichzeitig auf die Tätigkeit der „Pokait“ aufmerksam, wobei es sich um keine neue Gemeinschaft handelte, sondern schon bekannte gesetzlich nicht anerkannte Gemeinschaften, die theoretisch mit der Verbotsverfügung von 1939 betroffen waren. Offensichtlich der Vollständigkeit halber oder aus Unwissenheit erließ das Innenministerium am 2. Januar 1941 ein weiteres Verbot, das sich gegen die Pokait, aber gleichzeitig auch gegen die Heilsarmee richtete. Das Verbot der Heilsarmee wurde nach kurzer Zeit wieder aufgehoben. Diese Aktionen zeigen, wie nach Ausschalten der Verfassungsartikel hemmungslos gegen Gemeinschaften und Glaubensanhänger vorgegangen wurde, mit dem Ziel sie zu eliminieren. Mit der Zuspitzung der Kriegsverhältnisse wurden vermehrt Glaubensangehörige, vor allem der Zeugen Jehovas, interniert. Ziel der obersten Behör-

M.  Zusammenfassung der Kriegsjahre

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den war es, unzuverlässige Personen, zu denen sie die Anhänger der kleinen Religionsgemeinschaften zählten, die nicht bereit waren, mit der Waffe zu kämpfen, durch Wegsperren auszuschalten und ihren Einfluss auf andere zu minimieren. Zu diesem Zweck wurden viele in den Lagern in Kistarcsa, Nagykanizsa und Zalaegerszeg interniert. Später wurde eine Anzahl von ihnen an die Front verlegt, zum Militärdienst eingezogen oder Arbeitskompanien zugeteilt. Doch trotz dieser umfassenden Aktionen war es den Behörden nicht gelungen, die Aktivität der Gemeinschaften, vor allem der Zeugen Jehovas und der Nazarener, zum Stillstand zu bringen. Ihre Tätigkeit flammte zum Ärger der Behörden immer wieder neu auf. Selbst das Inhaftieren ihrer „Anführer“, wie der Zonendiener im Fall der Zeugen Jehovas, war nicht zielführend, da bereits kurze Zeit später jeweils ein anderer deren Arbeit übernahm. Das Innenministerium erfuhr zum einen durch die Verhörsprotokolle von der Aktivität der Gemeinschaften, aber auch Meldungen der unteren Behörden zeigten, dass viele Anhänger noch aktiv waren. Durch ihre Regie und Kontrolle erzwangen die Militärbehörden im Endeffekt die Koordination der unteren und oberen zivilen Behörden und das interdiziplinär, zwischen den verschiedenen Ministerien – etwas, worauf das Innenministerium über viele Jahre hingearbeitet hatte. Und doch zeigte sich, dass selbst dieser umfassende Behördenauftritt letztendlich nicht allumfassend griff, sondern immer wieder einzelne, weitere Anhänger tätig waren und wurden. Im Juli 1942 wurde dann die Staatssicherheitszentrale eingerichtet, die sich unter anderem gegen die „bibelerklärende Sekte“ richtete. Landesermittlungen gegen Zeugen Jehovas und Nazarener wurden eingeleitet, zivile Gläubige an Sammelstellen zusammengebracht, brutal verhört und vor Generalstabsgerichte gestellt und wegen Untreue abgeurteilt. Selbst Minderjährige waren zu Haftstrafen verurteilt worden. Dabei wurden auch zur Abschreckung hohe Strafen ausgesprochen. Tatsächlich hatte es sogar Todesurteile gegeben, die jedoch nicht vollstreckt, sondern in lebenslängliche Haft umgewandelt wurden. Nach erfolgreichem Abschluss der Aktion im Laufe des Frühjahres 1943 meldeten dann die unteren Behörden, dass es nunmehr gelungen war, die Tätigkeit der Gemeinschaften einzustellen. Tatsächlich kamen nur noch einige wenige unbemerkt von den Behörden zusammen. Man hatte das Ziel erreicht. Parallel zu den Aktionen im zivilen Bereich suchte man durch hartes Vorgehen der religiösen Wehr- oder Waffendienstverweigerer Herr zu werden. Wie die Interviews belegen, schreckte man auch vor schweren Misshandlungen nicht zurück, um die Delinquenten zum Einlenken zu bewegen. Beschwerden von Außenstehenden dagegen wurde wenn überhaupt nur halbherzig nachgegangen. Dennoch riss die Kette der Verweigerer kaum ab. Etwa 200 Anhänger kleiner Religionsgemeinschaften, vor allem Zeugen Jehovas, aber auch 18 Reformadventisten und 8 Nazarener wurden in das Zwangsarbeitslager Bor nach Serbien zur Arbeit im Kupferbergwerk gebracht. Die Schilderungen durch Zeitzeugen zeichnen ein recht deutliches Bild von den Umständen und vom brutalen Vorgehen der Wachmannschaften vor Ort, beim Transport ins

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Kap. 6: Kriegsjahre

Lager wie auch bei der Evakuierung des Lagers, die mit dem Mord an vielen Juden einherging. In der Zeit der Besetzung Ungarns durch die Deutschen kam es zur Deportation von Juden. Auch jüdische Zeugen Jehovas waren davon betroffen. Erschreckend ist der Bericht von Éva Bász, vor allem auch über das Verhör durch die ungarischen Behörden. Unter dem Szálasi-Regime kam es dann auch zu Hinrichtungen von Wehrdienstverweigerern, vor allem Zeugen Jehovas, was belegt, dass es selbst zu diesem späten Zeitpunkt noch aktive Anhänger gab. In diesen wechselhaften Zeiten, da Terror und Anarchie herrschten, und in der desolaten wirtschaftlichen und politischen Situation stand die Einhaltung von Verfassungsgesetzen nicht zur Debatte – ganz abgesehen davon, dass sie durch die Ausnahmeverfügung kaum Relevanz hatten. Die trianonischen Vertragsgesetze spielten ebenfalls keine Rolle mehr, zumal der Vertrag durch die Okkupationspolitik und durch die Annexion der Gebiete, die Ungarn laut Vertrag hatte abtreten müssen, bereits gebrochen worden war.

Kapitel 7 7:

Weitere Entwicklungen

A.  In der Kommunismuszeit Nach dem Krieg gab es eine kurze demokratische Übergangsphase. In dieser Zeit reorganisierten sich die Gemeinschaften. Grundlage bot die sogenannte kleine Verfassung (kis alkotmány), formuliert in Gesetzesartikel I/1946, mit dem Bürgern wieder Freiheitsrechte zugesichert wurden. Darunter „persönliche Freiheit“, die „Freiheit, seine Gedanken und seine Meinung öffentlich kundzutun, die Religion frei auszüben, das Recht sich zu vereinen und zu versammeln, Sicherheit von Person und Eigentum“. Diese Rechte waren jedem ungarischen Staatsbürger im Rahmen der demokratischen Ordnung unterschiedslos zuzugestehen.1 Mit diesem Gesetz wurde die Religionsfreiheit von 1895 bestätigt und fortgesetzt – und zu dieser Zeit wohl das erste Mal im Geist des Gesetzes umgesetzt. Auf Anweisung der provisorischen Regierung vom Dezember 1945 hob Innenminister László Rajk (1909 – 1949) am 5. Juni 1946 auf der Grundlage dieses Gesetzes das Verbot der kleinen Religionsgemeinschaften durch die VO 363.500 von 1939 auf. In der Begründung hieß es: „Diese Anordnung, die den, auch im Gesetz I von 1946 gesicherten Grundsatz der freien Religionsausübung verletzt, setze ich im Einverständnis mit dem Religions- und Bildungsminister und mit dem Justizminister außer Kraft.“ Zusätzlich wurde alles, was bei der Umsetzung des Verbots Rechtserwerb erhielt, ungültig und der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt, wobei die geltenden Persönlichkeitsrechte als Richtlinie dienten.2 Dieser Verordnung war am 31. Mai die VO 6.270/1946 des Ministerrats vorausgegangen, die alle Entscheidungen die religiösen Versammlungen betreffend außer Kraft setzte, „die von den rezipierten und gesetzlich anerkannten Kirchen abweichende Glaubensansichten“ vertraten und „von den früheren Behörden als Sekten bezeichnet wurden“, die als „verbotene Organisationen auf Basis von § 3 GA XVII/1938 aufgelöst bzw. deren Tätigkeit verboten worden war“. Enteignungen wurden rückgängig gemacht, Grundbucheintragungen entsprechend korrigiert.3 Damit war die Religionsfreiheit wiederhergestellt und durch die neue Verfassung weiter befestigt, zumal nicht eingeschränkt. Wie die Formulierungen zeigen, distanzierte man sich deutlich von der Handhabung der Horthy-Behörden, sogar was die Bezeichnung „Sekten“ anbelangt – so wie im GA XLIII/1895. Somit war die Basis für eine ungehinderte Tä1 

MTT, GA I/1946. VO 70.095/1946. MOL, XIX-b-I-c-254.162/IV/14 – 1945. 3  Magyar Közlöny [Ungarisches Mitteilungsblatt], Nr. 125, v. 4.6.1946. 2 

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Kap. 7: Weitere Entwicklungen

tigkeit der Gemeinschaften geschaffen. Religiöse Zusammenkünfte sollten sowohl von gesetzlich anerkannten wie nicht anerkannten Gemeinschaften ohne vorherige Anmeldung abgehalten werden können.4 Das wurde auch so gehandhabt. Kam es örtlich zu Schwierigkeiten – oft durch Vertreter historischer Kirchen – klärten die Behörden zumeist das Problem. Die Nazarener hatten sich bereits am 10. Mai 1946 an den Innenminister bzw. über ihn an den Ministerrat gewandt und ihrer Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die neue Gesetzgebung Religionsfreiheit vorsah und bereit war, die Glaubensansichten der Nazarener zu berücksichtigen. Sie baten darum, ihre Glaubensanhänger zu einem waffenlosen Dienst oder einem Arbeitsdienst einzusetzen.5 Die Frage der Militärpflicht stand allerdings zu dieser Zeit nicht zur Debatte, da Ungarn noch über keine Streitkräfte verfügte. In dieser Übergangsphase verzeichneten die Nazarener einen starken Zuwachs.6 Der Freikirchenbund hatte bereits am 30. Juli 1945 durch Innenminister Imre Nagy (1896 – 1956) seine Zulassung erhalten.7 1950 wurde dieser Bund in den Rat der Ungarischen Freikirchen umgewandelt (Ma­ gyarországi Szabadegyházak Tanácsa). Nicht angeschlossen hatten sich z. B. die Nazarener und Jehovas Zeugen.8 Im Fall der Nazarener hatte der Bund sich um Aufnahme der Gemeinschaft bemüht und war in Verhandlungen getreten, worauf man am 23. März 1946 mit Vertretern der Nazarener und des Kultusministeriums zusammenkam. Jenő Szigeti, damals selbst Mitglied des Lehrkörpers des „Instituts zur Geistlichenausbildung des Rates der Ungarischen Freikirchen“,9 und Mitautor László Kardos, verstorben am 3. März 1980, erklären in ihrem 1988 erschienenen Buch „Boldog emberek közössége. A magyarországi nazarénusok. [Die Gemeinschaft der fröhlichen Menschen. Die Nazarener in Ungarn.]“, der Freikirchenrat habe den Nazarenern als Bedingung zur Aufnahme ein Umdenken in ihrer negativen Haltung zum Militärdienst gemacht. Die Nazarener haben das auf ihre Glaubensansichten verweisend abgelehnt, weshalb es zunächst zu keinen weiteren Verhandlungen kam.10 Am 28. Juli 1946 trafen sich 322 Zeugen Jehovas zu einer Hauptversammlung, bei der die Statuten verlesen und ein Verein gegründet wurde.11 Die Unterlagen wurden den Börden mit der Bitte um Genehmigung vorgelegt und erklärt, dass man keine finanzielle Unterstützung vom Staat erwarte. Das Innenministerium versah die Akten mit einem Sichtvermerk und führte sie unter dem Aktenzeichen 491.228, das Kultusministerium war involviert.12 In der Stellungnahme des Rajki, Szabadegyházak, S. 227 f. Kardos/Szigeti, S. 306 f. 6  Ebenda, S. 304. 7  Balogh/Gergely, Egyházak, S. 205 – 209. 8 Ebenda. 9  Magyarországi Szabadegyházak Tanácsának Lelkészképző Intézete. 10  Kardos/Szigeti, S. 309. 11  Sitzungsprotokoll. MOL, XIX-B-1-e 491228/46. 12  MJTA, Statuten der „Magyarországi Jehova Tanúi Egyesülete [Vereinigung von Jehovas Zeugen in Ungarn]“ vom 28.7.1946 nebst Anschreiben. MOL, XIX-B-1-e 491228/46. 4 

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A.  In der Kommunismuszeit

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Abbildung 16: Gruppe Glaubensangehöriger der Nazarener, 1946, Privatarchiv Tibor Gál, Budapest

Bürgermeisters von Budapest vom 18. September 1946 wird deutlich, dass nichts gegen die Gemeinschaft vorlag, gegen die Statuten nichts einzuwenden war, und man daher einer Genehmigung zustimmte.13 Der Innenminister nahm das zur Kenntnis und erklärte am 7. November 1946, dass somit nichts gegen den Antrag sprach und dem Antrag entsprochen werden sollte. Allerdings machte er die Genehmigung noch von der Stellungnahme des Freikirchenbundes abhängig.14 Zu einer Genehmigung kam es nicht. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Hinweis auf ein Sitzungsprotokoll vom 22. April 1947, wonach der Freikirchenbund die Behörden bat, die dem Bund angehörenden Gemeinschaften und die 13  Az. 370.486/1946, IV. Im Allgemeinen scheinen auch kommunistische Behördenvertreter positiv gegenüber den Zeugen eingestellt gewesen zu sein, wie ein Artikel in der Zeitschrift „Haladás [Fortschritt]“ vom 8. August 1946 von Egyed Pétzeli, mit dem Titel „Das Ende der Welt ist nahe“, belegt: „Wenn wir […] in Betracht ziehen, dass die Zeugen Jehovas, sich streng an die Bibel haltend, es während des Krieges ablehnten, die Mordwaffen in die Hände zu nehmen, können wir begreifen, was diese heldenhaften, sanftmütigen Menschen an ungerechter und böser Behandlung erdulden mussten in der Zeit, da die Totale Hasswelle das verführte Land in den Krieg stieß. […] Jehovas Zeugen nahmen also an der Widerstandsbewegung passiv teil und haben auch von den Deutschen und den Pfeilkreuzlern um ihrer Überzeugung willen viel gelitten. Diese unbewaffneten Revolutionäre wollen nicht selbst die Welt verändern.“ Zitiert nach WtBTG, Jahrbuch 1947, S. 272 f. 14  MOL, XIX-B-1-e 491228/46.

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Kap. 7: Weitere Entwicklungen

Abbildung 17: „Verkündigerausweis“ von Julia Ötvös, ausgestellt am 10. November 1947, MJTA DOK-498

unter Aufsicht des Bundes tätigen Gemeinschaften nicht mit den großen Konfessionen „unter einen Hut“ zu stecken und, wie aus dem Protokoll vom 7. Juni 1947 hervorgeht, sie nicht mit Jehovas Zeugen und „anderen schädlichen Sekten“ zu vermischen.15 Diese Äußerung lässt darauf schließen, dass der Freikirchenrat der Anfrage des Innenministeriums nicht positiv gegenüberstand. Die Gemeinschaft der Zeugen Jehovas ließ sich in der Folge am 7. Februar 1947 wieder als Firma mit Sitz in Budapest eintragen.16 Berichten zufolge konnte die Gemeinschaft ihre Tätigkeit aber zunächst mehr oder weniger ohne Behinderung durch die Behörden durchführen.17 Wie aus dem Rundbrief der Gemeinschaft vom 23. Juni 1947 an die Versammlungen im Land hervorgeht, hatte das Innenministerium die Verbreitung der Publikationen der Zeugen Jehovas, den „Wachtturm“ eingeschlossen, mit VO 500.527/1947, 500.533/1947 und 500.554/1947 erlaubt. Den Predigern wurden daraufhin von der Watch Tower Bible and Tract Society, Budapester Zweig, „Verkündigerausweise“ ausgestellt.18 Der Ausweis besagte, dass der Inhaber berechtigt Zitiert nach Rajki, Szabadegyházak, S. 225 f. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 96. Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 349. 17  Zu Störungen soll es immer wieder von religiöser/kirchlicher Seite gekommen sein. Die Behörden scheinen aber jeweils die Interessen der Religionsfreiheit vertreten zu haben. Vgl. WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1948. Bern 1947, S. 242 f. 18  MJTA, DOK-196. Vgl. Verkündigerausweise, ebenda, DOK-54, DOK-62, DOK-221, DOK-202, DOK-498, DOK-2880. Weitere Genehmigungen wurden vom Innenministerium 15  16 

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sei, die vom Ungarischen Ministerium für Informationsangelegenheiten (Magyar Tájékoztatásügyi Minisztérium) und vom Innenministerium genehmigten Veröffentlichungen der gesetzlich eingetragenen Gesellschaft zu verbreiten. Ferner hieß es, die Publikationen würden kostenlos bzw. gegen einen freiwilligen Beitrag für die profitlose Gesellschaft abgegeben.19 Im August 1947 hielt die Gemeinschaft auch einen Kongress in Budapest ab, an dem 1 200 Personen teilnahmen.20 Die gesetzliche Verankerung der Religionsfreiheit wurde auch in den Verhandlungen der Pariser Friedenskonferenz 1946 und dem daraus resultierenden Vertrag vom Februar 1947 , den Ungarn unterschrieb, unterstützt. In der Folge kam es zum Erlass des GA XVIII/1947, in dem sich Ungarn verpflichtete, alles dafür zu tun, jedem Bürger des Landes die Menschenrechte zu garantieren. Insbesondere wurde auf die Gewährung von Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, der Freiheit, politische Meinungen öffentlich äußern zu können und der öffentlichen Versammlungsfreiheit abgehoben.21 Mit dem kurz darauf folgenden GA XXXIII/1947 wurden die Unterschiede der privilegierten „rezipierten“ und der „gesetzlich anerkannten“ Kirchen aufgehoben. Ausgenommen waren allerdings weiterhin die gesetzlich nicht anerkannten also geduldeten Religionsgemeinschaften. Es gab also vom Gesetz her nunmehr nur noch zwei Kategorien: die Gruppe der rezipierten und gesetzlich anerkannten Gemeinschaften und die der nicht anerkannten Gemeinschaften.22 Am 31. Oktober 1947 wurde auch die methodistische Kirche durch das Kultusministerium mit VO 120.000/1947 gesetzlich anerkannt, abgesehen von den Muslimen, die zweite Gemeinschaft, die auf der Grundlage von GA XLIII/1895 anerkannt wurde – über 50 Jahre nach Gesetzeserlass.23 Zwischen den beiden Anerkennungen waren mehr als 40 Jahre vergangen. Im Vorwege der Anerkennung hatten sich Kultus-, Innen- und Justizministerium abgestimmt. Der Justizminister hatte am 25. Juli 1947 darauf aufmerksam gemacht, dass die Bestimmungen im Statut zwar mit den Bestimmungen von GA XLIII/1895 nicht im Widerspruch stünden, bat aber um Abklärung, ob „die dargelegten Glaubensregeln nicht mit den Glaubensregeln irgendeiner ungarischen protestantischen Kirche in am 14.7.1947 unter anderem zu den Publikationen „A Világ újjászületése [Die Neugeburt der Welt]“ „A szelidek öröklik a földet [Die Sanftmütigen erben die Erde]“ erteilt (ebenda, DOK-65, DOK-66, DOK-480, DOK-481, DOK-482), oder am 7.8.1947 zur Verbreitung der Bibel und der Veröffentlichung „Vígadjatok ti nemzetek [Jubelt ihr Nationen]“ (ebenda, DOK-483, DOK-63, 7.8.1947, DOK-484). Auch den Mitgliedern des Freikirchenbundes wurden für ihre Tätigkeit Ausweise ausgestellt. Vgl. Rajki, szabadegyházak, S. 225 f. 19  MJTA, DOK-498 Ausweis von Júlia Ötvös, Nr.265 v. 10.11.1947, ebenda, DOK-2880, Ausweis von József Vági, Nr. 1520 v. 24.4.1948. 20  Dirksen, Wechselnde Regimes, S. 113. 21  MTT, GA XVIII/1947. Vgl. Dirksen, Hungarian Experience, S. 296. 22  Ebenda. MTT, GA XXXIII/1947. 23  Khaled, László A.: A Magyarországi Metodista Egyház megjelenésének vallástörténeti kontextusa [Die Methodistische Kirche Ungarns im religionsgeschichtlichen Kontext]. http://www.kisegyhazkutato.hu/dokumentumok/Egyhaztortenelmi_konyvek/Khaled_A._ Laszlo_A_Magyarorszagi_Metodista_Egyhaz_megjelenesenek_vallastorteneti_kontext usa.pdf (Zugriff am 9.12.2013).

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allem übereinstimmen“, also ob sie sich von denen anderer Kirchen unterschieden. Da das der Fall war, galt der Antrag als begründet.24 Was den Antrag der Siebententagsadventisten auf Anerkennung anbelangt, wurde dieser von den Ministerien abgelehnt. Der Justizminister hatte auf Anfrage des Kultusministers in seinem Schreiben vom 6. August 1948 unter anderem bemängelt, dass die Statute „keine Bestimmungen bezüglich des Gottesdienstes und anderer religiöser Zeremonien“ enthielten. Er forderte zu klären, ob die Zusammenkünfte „mit den bestehenden Gesetzen oder der öffentlichen Moral im Widerspruch stehen“. Ferner störte sich der Minister an der Formulierung in den Statuten, wonach „jeder Gläubige den Geboten der staatlichen Organe /Behörden/ und Obrigkeiten zu gehorchen hat – insofern sie nicht gegen das Gesetz Gottes verstoßen [Unterstreichung im Original]“. Er erklärte: „Gemäß der zitierten gesetzlichen Bestimmung darf man die Anweisungen keines staatlichen Organs und keiner Behörde aus dem Grund verweigern, weil sie gegen religiöse Regel / nach dem Sprachgebrauch der Glaubensgemeinschaft: ‚gegen das Gesetz Gottes‘/ verstoßen. Man muss die gesetzlichen Verordnungen der Behörden ohne Rücksicht auf die religiöse Überzeugung erfüllen.“25 Trotz dieser Umstände konnte die Gemeinschaft als Mitglied des Kirchenbundes ihre Tätigkeit relativ frei ausüben.26 Auch der Antrag der Altkatholiken, ebenfalls dem Kirchenbund angehörig, stieß bei den Behörden auf Schwierigkeiten. Das Kultusministerium hatte sich am 14. April 1949 an den Justizminister gewandt, der am 27. April 1949 unter anderem wiederum forderte, dass zu klären sei, ob die Zusammenkünfte im Widerspruch zu den bestehenden Gesetzen oder der öffentlichen Moral stünden.27 Diese ablehnende Einstellung und Argumentation passte zu der bereits kippenden politischen Stimmung, nachdem die kommunistische Partei am 31. August 1947 die Wahlen durch Änderung des Wahlrechts und mittels Wahlbetrugs für sich entschieden hatte.28 Im Juni 1948 wurde aus der kommunistischen Partei und der sozialdemokratischen Partei die Ungarische Arbeiter Partei (Magyar Dolgozók Pártja, MDP) gegründet, die unter Einfluss von Mátyás Rákosi, Mitglied der ehemaligen Räteregierung und „bester Schüler Stalins“, den stalinistischen Kurs einschlug.29 Rákosis Kampf galt den reaktionären“ Kräften, worunter alle divergierenden Ideologien fielen. Seiner Säuberungswelle fielen auch die eigenen Genossen zum Opfer. Selbst dem ehemaligen Innenminister László Rajk wurde der Pro24 

MOL, K579 – 1947, Bl.  295 – 296. MOL, K579 – 1948, Bl.  297 – 303. 26  Rajki, Szabadegyházak, S. 229. 27  MOL, K579 – 1949, Bl.  304 – 306. 28  Romsics, Magyarország, S. 292. Es handelt sich hier um die sogenannte Blauzettel-Wahl, bei der mittels 200 000 blauer Zettel außerhalb des Wohnsitzes mehrfach gewählt werden konnte. 29  Rákosi war nach Zerschlagung der Räterepublik in die Sowjetunion gegangen und 1940 Chef der Komintern geworden. Gergely, Jenő: Christdemokratie in Ungarn 1944 – 1949. In: Gehler, Michal/Kaiser, Wolfram/Wohnout, Helmut (Hrsg.): Christdemokratie in Europa im 20. Jahrhundert. Wien 2001, S. 464 – 482, hier S. 482. Romsics, Magyarország, S. 228. 25 

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zess gemacht. Bekannt sind auch die Ermittlungen gegen den Kommunisten und NGO-Gründer Noel Field (1904 – 1970), der der Spionage bezichtigt wurde.30 Als besonderes Feindbild galt die katholische Kirche, was sich auch in dem bekannten Prozess gegen Kardinal Mindszenty Anfang 1949 manifestierte.31 Parallel versuchte man in der Kirche sogenannte Friedenspriester zu installieren, also Geistliche, die mit dem Staat konform gingen.32 Schon 1948 hatte Rákosi erklärt: „És most majd jön az egyház! [Und jetzt ist die Kirche dran!]“33 Wenngleich er damit wohl direkt auf die katholische Kirche abzielte, richteten sich seine Aktionen auch gegen kleine Religionsgemeinschaften. Im Kontext dieser Entwicklungen war im August 1949 die neue ungarische Verfassung mit Gesetz XX/1949 erlassen worden, die erneut Religionsfreiheit zusicherte. Nach § 49 wurde allen Bürgern unabhängig von Herkunft und Religionszugehörigkeit Gleichheit vor dem Recht garantiert. Und § 54 sicherte jedem Bürger das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit zu. Außerdem würden Kirche und Staat getrennt.34 Interessanterweise waren ähnlich der „kis Alkotmány“ im Text keinerlei Einschränkungen vorgesehen. Wie viel diese „Garantien“ wert waren, sollte sich in den Folgejahren zeigen. Eine wichtige Rolle im Verhältnis Staat und Religionsgemeinschaften spielte das 1951 eingerichtete Staatsamt für Kirchenangelegenheiten (Állami Egyházügyi Hivatal, ÁEH), das direkt dem Ministerrat unterstellt wurde.35 Damit gingen auch die Religionsangelegenheiten vom Religions- und Bildungsministerium an das ÁEH über. Mit GA 110/1951 wurde der Aufgabenbereich der Behörde definiert. Paragraph 1 g) forderte die reibungslose Umsetzung der Gewissensfreiheit und der Religionsfreiheit.36 Theoretisch hätte man damit sogar ein Instrument geschaffen, das aktiv für die Durchsetzung der Religionsfreiheit sorgte. Praktisch aber setzte das Organ die vom Staat definierte Religionsfreiheit um. Dabei bediente sich diese Behörde besonders des Freikirchenrates. Wie die Dokumente zeigen, war man bemüht, die kleinen Gemeinschaften wegen der Kontrollmöglichkeiten und Einflussnahme im Freikirchenrat zu konzentrieren. Bereits 1949 war es dann schon wieder zu Störungen von religiösen Zusammenkünften gekommen.37 In diesem Zusammenhang hatte zum Beispiel die Debrecener Polizei im Februar 1949 dem Innenminister über Zeugen Jehovas gemeldet: 30 Vgl. Barth, Bernd-Rainer/Schweizer, Werner (Hrsg.): Der Fall Noel Field. Schlüsselfigur der Schauprozesse in Osteuropa. Gefängnisjahre 1949 – 1954. Berlin 2005. 31  Balogh, Mindszenty, S. 170 ff. 32  Orbán, József Gyula: Friedensbewegung katholischer Priester in Ungarn, 1950 – 1956. Budapest 1996, S. 137 – 215. 33  Pünkösti, Árpád: Rákosi a csúcson [Rákosi am Zenith]. 1948 – 1953. Budapest 1996, S. 73. 34  MTT, GA XX/1949. Vgl. Balogh/Gergely, Állam, S. 888 f. 35  Auch in anderen sozialistischen Ländern wurde dem Vorbild der Sowjetunion folgend ein solches Amt eingerichtet. In der DDR war es das Staatssekretariat für Kirchenfragen. 36  MTT, GA I/1951. 37  Rajki, Adventista egyház, S. 48 f. Interview Szinger 14.9.2000.

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„Ich halte die religiösen Führer der Versammlungen nicht für vertrauenswürdig, da sie sich politisch neutral verhalten.“38 Politische Neutralität wurde im stalinistischen System nicht toleriert und als systemfeindlich interpretiert. Zeugen Jehovas hatten sich am 1. Februar 1949 wegen der Behinderungen mit einem Schreiben nebst Memorandum mit einem Bekenntnis zu Staat und Demokratie an die obersten Behörden gewandt.39 Dennoch hieß es in einem Bericht von einer Sitzung der MDP vom Juni 1950: „Es ist nötig, den Kampf gegen verschiedene Sekten zu intensivieren. Die meisten der Anführer der Adventisten, der Jehovisten, der Baptisten und der anderen Sekten sind Spione im Dienst der amerikanischen Imperialisten. Die Sekten sind nichts anderes als Organe imperialistischer Propaganda.“40 Ähnlich wie die Horthy-Behörden wurden hier nicht anerkannte Gemeinschaften mit anerkannten in einem Atemzug genannt. Wahrscheinlich hatte man wiederum keine genaue Kenntnis der Glaubensinhalte und Lebensgewohnheiten der einzelnen Gemeinschaften. Ähnlichkeiten finden sich auch in der Art des Vorwurfs: Hatte man die Gemeinschaften in der Horthy-Zeit noch als Handlanger des Kommunismus gesehen, wurden sie unter den Kommunisten als „Organe imperialistischer Propaganda“ bezeichnet – bewusste Falschanklagen, immer das jeweilige Feindbild verkörpernd. Wie sich im Nachfolgenden zeigen soll, gerieten in den besonderen Fokus wiederum die Zeugen Jehovas, die „schädlichste Sekte“.41 Bereits im Februar 1948 war in einer ungarischen Zeitschrift ein Artikel veröffentlicht worden, in dem es über sie hieß: „Die amerikanischen Agentenagenturen überfluten Rumänien mit in religiöses Gewand gekleideten geistigen Müll.“ Man forderte, die Regierung solle mit „den volksverdummenden amerikanischen Agenturen“ und ihrem Müll abrechnen.42 Und tatsächlich begann die Regierung gegen kleine Religionsgemeinschaften vorzugehen. Um eine Vorstellung zu haben, von welcher Menge hier gesprochen wurde, einige Zahlen aus den Unterlagen der Staatssicherheitsbehörde von Ende 1950 und des Innenministeriums von 1951. Man gab an: Methodisten mit 2 500 Anhängern, Adventisten mit 9 195, Zeugen Jehovas mit 8 bis 9 000, Nazarener mit 3 027.43 Was die Anzahl der Zeugen Jehovas betrifft, täuschte man sich. Tat38  MOL, XIX-B-1-h 5650 – 18. Vgl. Dirksen, Wechselnde Regimes, S. 114. Bereits 1948 war die Zeitschrift „Der Wachtturm“ vom Innenministerium verboten worden. ÁSzTL, V-149948/4, Bl. 4 ff. 39  MOL, MDP, M-KS-276 – 65/368.öe. 40  Zitiert nach Rajki, Zoltán: A H. N. Adventista Egyház története 1945 és 1989 között Magyarországon [Die Geschichte der S. T. Adventisten in Ungarn zwischen 1945 und 1989]. Budapest 2003, S. 48 f. 41  MOL, XIX-B-1-h 342.d. Staatskirchenamt an den Beauftragten für Kirchenangelegenheiten. 42  Korda, István: „Ez is amerikai ‚segitség‘. Vallásos köntösbe öltöztetett szellemi szeméttet árasztják el az amerikai ügynökök Romániát. [Auch das ist ,amerikanische Hilfe‘. Die amerikanischen Agentenagenturen überfluten Rumänien mit in religiöses Gewand gekleideten geistigen Müll.]“ In: Unbekannte Zeitung vom 13.2.1948. UaP János Lakó. 43 MOL, M-KS-276 – 65/368.öe. 1950, Bl. 30 – 33. „Innenministerium und Staatsamt für Kirchenangelegenheiten zur Regelung der Sektentätigkeit“, 1951 o. Datum. ÁSzTL, V 71056, Bl. 20 – 23. Bericht zur „Jehovas Zeugen Sekte“, Budapest, 15.11.1950.

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sächlich belief sie sich wohl auf etwa 3 000.44 Möglicherweise handelt es sich um die „gefühlte“ Zahl, da die Mitglieder sehr aktiv tätig waren. Andererseits gehörten sie dem Freikirchenbund nicht an, weshalb sie den Behörden keine Mitgliederzahlen mitteilten. Die hohe Zahl angenommener Mitglieder mag die Behörden überrascht haben, erklärt aber keinesfalls die folgenden harten Maßnahmen. Schon im November 1950 durchsuchte die Staatspolizei die Büros der Zeugen Jehovas und nahm die Anführer fest, darunter viele, die bereits in der Horthy-Zeit wegen ihres Glaubens verfolgt wurden. Vorausgegangen war ein Bericht der Staatssicherheitsbehörde (Államvédelmi Hatóság, ÁVH).45 Darin wurde behauptet, Jehovas Zeugen würden gegen die Wahlen agitieren, den Wehrdienst verweigern und den Staat bekämpfen, da sie dem Imperialismus dienten und Berichte nach Amerika sandten; sie würden in Agitations-Kampagnen große Mengen neuer Gläubiger zu sich ziehen, darunter Parteimitglieder. Letzteres war wohl das eigentliche Problem, der zahlenmäßig große Zuwachs. Um die Aktivitäten der Gemeinschaft einzuschränken, schlug die ÁVH vor, die führenden Mitglieder zu verhaften.46 Schon im Juli 1950 hatte ein Oberleutnant Jehovas Zeugen bei einem Vortrag als „imperialistische Spione aus Amerika bezeichnet“.47Am 2. Februar 1951 sprach das Bezirksgericht in Budapest unter Vorsitz des berüchtigten Richters Dr. Béla Jónás (1905 – 1956)48 das WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1951. Bern 1951, S. 26 f. Staatssicherheitsbehörde wurde bereits nach Ende des Krieges eingerichtet. Zunächst als Abteilung Politische Polizei (Politikai Rendészeti Osztály, PRO) bei der Budapester Polizei, 1946 dann als Staatsschutzabteilung der Ungarischen Staatspolizei (Magyar Államrendőrség Államvédelmi Osztálya, ÁVO), September 1948 als Staatsschutzbehörde des Innenministeriums (Belügyminisztérium Államvédelmi Hatósága), die 1949 zur eigeneständigen Instituion der Staatsschutzbehörde (Államvédelmi Hatóság, ÁVH) wurde und direkt dem Ministerrat unterstand. Die Fäden der Behörde hatte Rákosi im Großen und Ganzen zunächst selbst in der Hand und leitete die Behörde aus dem Hintergrund. Eine führende Rolle spielten Mihály Farkas alias Hermann Lőwi (1904 – 1965) und Gábor Péter (1906 – 1993). Romsics, Magyarország, S. 343. Vgl. Auch Cseh, Gergő Bendegúz: A magyarországi állambiztonsági szervek intézménytörténeti vázlata, 1945 – 1990 [Historisches Manuskript der Einrichtung der ungarischen Staatssicherheitsorgane]. In: Történeti Hivatal [Amt für Geschichte] (Hrsg.): A Történeti Hivatal évkönyve 1999 [Das Jahrbuch des Amtes für Geschichte 1999]. Budapest 1999, S. 73 – 91, hier S. 73 – 78. Boreczky, Beatrix: Az Államvédelmi Hatóság szervezete, 1950 – 1953 [Die Organisation der Staatsschutzbehörde]. In: Történeti Hivatal, Jahrbuch 1999, S. 91 – 114. Standeisky, Éva/Kozák, Gyula/Pataki, Gábor/ Rainer, János M. (Hrsg.): A fordulat évei 1947 – 1949 [Die Jahre des Wandels 1947 – 1949]. Politika, képművézet, építészet [Politik, Bildende Kunst, Architektur]. Budapest 1989. 46  Bericht der ÁVH vom 9.11.1950. ÁSzTL, V-71506, S. 2 ff. 47  MOL, MDP, M-KS-276 – 65/368.öe., Bl. 11. Schreiben der adventistischen Gemeinschaft an die Landeszentrale der MDP vom 6.9.1950, da der Oberleutnant Jehovas Zeugen in einem Atemzug mit dem Leiter des ungarischen Freikirchenbundes genannt wurde. 48  Der Jurist Tibor Zinner, der u. a. zur Aufarbeitung von Prozessen im Kommunismus-Regime forscht, bezeichnet Béla Jónas und Vilmos Olti als die „berüchtigsten Budapester Blutrichter“ dieser Zeit. „Amnesztia a kommunisták stilusában. [Amnestie im kommunistischen Stil.]“ In: Magyar Hírlap [Ungarische Tageszeitung], v. 12.9.2013. http://www. tte.hu/tallozo/43-szemle/7741-amnesztia-a-kommunistak-stilusaban (Zugriff 10.11.2013). 44 

45  Die

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Urteil über sieben Zeugen Jehovas.49 Darunter János Konrád und András Bartha, die beide im Lager in Bor gewesen waren, wie auch Joachim Molnár, ebenfalls unter Horthy inhaftiert, und verurteilte sie zu zehn, neun bzw. sechs Jahren Haft. Die anderen Angeklagten János Lakó, János Török, Ferenc Szabó und László Tóth zu 8, 6, 5 und 5 Jahren Gefängnis. Zu den angewandten Gesetzesvorschriften gehörte neben § 1, Abs. 1 über die Strafbarkeit der Leitung bzw. Teilnahme an einer zum Umsturz des demokratischen Staates tätigen Organisation GA VII/1946, das Gesetz III/1930, und hier der Vorwurf der Untreue! Nicht nur, dass hier ein Gesetz des Horthy-Regimes herangezogen wurde, sogar der Vorwurf war mit dem identisch, mit dem Glaubensangehörige wie János Konrád und András Bartha vom Generalstabsgericht 1942/43 zunächst zum Tode und dann zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Das Gericht verwies auf § 60 Abs. 3 und § 61, Abs. 1 GA III/1930, wonach jemand den Straftatbestand der Untreue erfüllte, wenn er durch Geheimnisverrat die Interessen des Staates gefährdete und Informationen an ausländische Organisationen weitergab. Deshalb wurde den Angeklagten Spionage vorgeworfen. In der Urteilsbegründung hieß es auch: „Die als Jehovas Zeugen bezeichnete Sekte ist amerikanischen Ursprungs. Ihre Zentrale ist in Amerika in Brooklyn. Die Leitung der europäischen Zentrale ist wiederum in der Schweiz. Die Glaubensangehörigen der Sekte verkünden neben arglistig verdrehten Bibelworten antidemokratische Lehren. […] Die Agitation der Sekte ‚Jehovas Zeugen‘ richtet sich hauptsächlich auf die Verweigerung des Kriegsdienstes durch die Bibelworte ‚Du sollst nicht töten‘ […] Sie verbreiteten bei ihren Agitationen in Amerika verfasste, faschistische Presseprodukte.“50 Wieder waren es internationale Kontakte, die ins Gewicht fielen. Wieder war es die Verweigerung des Militärdienstes, die nicht toleriert werden konnte. Und wieder waren es Presseprodukte, angeblich sogar faschistischen Ursprungs, was angesichts der gemeinsamen Verfolgungsgeschichte mit Kommunisten befremden musste. Nur kam jetzt noch der Vorwurf der Spionage hinzu – ein neues Argument, das allerdings wie auch die anderen Vorwürfe zur Argumentationsschiene aller sozialistischen Staaten gegen Zeugen Jehovas gehörte. Die wahren Gründe für das Vorgehen finden sich in den Ermittlungsakten: „Die Aktivität der Sekte ‚Jehovas Zeugen‘ ist in den Jahren nach der Befreiung, und besonders in der jüngsten Vergangenheit, erhöht worden.“ In dieser Aktivität sah der junge stalinistisch orientierte Staat eine Gefahr: „Sie [die Gemeinschaft] übte eine agitative und destruktive Tätigkeit gegen die Volksdemokratie aus. Ihre destruktive Agitation hatte starken Einfluss besonders in Arbeiterbezirken von Budapest, außerdem machten sich die Auswirkungen auch in anderen Gebieten des Landes bei Sinkovics, Ferenc: „Kádár igent mondott a közkegyelemre, ám sok politikai elítélt előtt még hosszú-hosszú évekig zárva tartotta a börtönajtót“ [Kádár sagte Ja zurAmnestie, aber für viele politisch Verurteilte blieben die Gefängnistüren lange, lange Zeit verschlossen]. In: Ebenda v. 9.9.2013. http://www.magyarhirlap.hu/amnesztia-a-kommunistak-stilusaban (Zugriff am 20.1.2014). 49  Az.: B.III.001181/1950/3. 50  ÁSzTL, V-149948/4, Bl. 4 ff. Die Verurteilten wurden in das Zuchthaus Vác eingeliefert. Dirksen, Wechselnde Regimes, S. 115 f.

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der Unterzeichnung der Friedensanleihe, bei der Ratswahl und bei den letzten militärischen Einberufungen sehr bemerkbar. Um die weitere destruktive Tätigkeit zu verhindern, nahmen wir drei Leiter fest.“ Das Urteil war also eine politische Entscheidung. Das Oberste Gericht wies am 12. März 1952 die Berufungsanträge zurück.51 Mit dem Schauprozess gegen Konrád und Genossen zogen ungarische Gerichte mit Gerichten anderer sozialistischer Länder gleich, wo nach 1949 Zeugen Jehovas wegen Spionage zu hohen Haftstrafen verurteilt wurden. Diese Vorgehensweise lässt auf eine zentrale Anordnung sowjetischerseits schließen, die aber bisher nie belegt werden konnte.52 Weitere Prozesse gegen Zeugen Jehovas gleicher Manier folgten und das obwohl noch 1952 festgestellt werden musste: „Obwohl die antidemokratische oder staatsfeindliche Tätigkeit der in dieser Gemeinde tätigen Mitglieder der Zeugen Jehovas bis jetzt nicht festzustellen war, haben sie nichtsdestotrotz, da die Mitglieder dieser Sekte den Dienst an der Waffe verweigern, nicht bereit sind Militärdienst zu verrichten, mit ihrer Tätigkeit und ihrem Verhalten eine schädliche Wirkung auf die Bevölkerung, deshalb wäre die Funktion dieser Sekte im ganzen Gebiet des Landes zu verbieten.“53 Ziel der Maßnahmen mag in der Aussage eines Vernehmers deutlich werden, der bei einer Vernehmung gesagt haben soll: „Wir werden dich für zehn Jahre einsperren, und wenn die zehn Jahre vorbei sind, wird unsere Volksrepublik stärker sein als heute, und die Leute werden ideologisch geschult sein und immun gegen eure Versuche, sie mit der Bibel zu beeinflussen. Dann werden wir euch freilassen können“.54 Konrád erinnert sich an die Verhörmethoden in der berüchtigten Zentrale der Staatssicherheit in der Andrássy út (Andrássy Straße), : Bei den Vernehmungen dort setzten sie uns nicht so oft und nicht so schmerzhaften physischen Qualen aus wie bei den Polizeiverhören, aber die Gehirnwäsche und die seelischen Qualen mitten in der Nacht waren manchmal schlimmer als die physische Folter gewesen war.“55 Beweise für die Spionage fand man ganz offensichtlich dennoch keine. Die vorgebrachten Argumente sind fast identisch mit den Argumenten, die gegen Zeugen Jehovas vom Obersten Gericht in der DDR im Schauprozess am 3. und 4. Oktober 1950 vorgebracht wurden. Auch hier hatte man das Versenden von Berichten über die Tätigkeit der Gemeinschaft an die Zentrale in Amerika als Spionage gewertet. Dass man in Ungarn weiter um Argumente verlegen war, zeigt das Protokoll einer Sitzung beim Ministerrat vom 4. Juli 1951. Darin wird gefordert, der Freikirchenrat, solle zur „hilfreichen Hand“ werden, „um die staatsfeindliche Tätigkeit hinter den Organisationen zu verhindern“. Weiter hieß es: „Die zum Bund der Freikirchen gehörenden 5 Sekten sollen aussagen, dass die anderen 29 Sekten vom amerikanischen Dollar leben.“56 Ganz offensichtlich hatte man also nichts in der Hand und war bewusst um Falschaus­ sagen bemüht. In der Sitzung forderte man weiter: „Das Innenministerium soll mit 51 

ÁSzTL, V-71056, Bl. 229 f. Dirksen, Keine Gnade, S. 322 – 354. 53  MOL, XIX-B-1-h 342.d. Protokoll v. 11.1.1952, Bereich Ibrány. Z. B. ÁSzTL, V-111784/2. 54 Vgl. WtBTG, Jahrbuch 1996, S. 99. 55 Ebenda. 56  MOL, MT-1951 – 07 – 04, Ministerrat, Protokoll der am 4.7.1951 abgehaltenen Sitzung. 52 

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dem Staatsamt für Kirchenangelegenheiten weitere Regelungen zur Einschränkung und Kontrolle der Sekten ausarbeiten.“57 Das Staatskirchenamt betrachtete das Vorgehen gegen die Zeugen Jehovas als von höchster Priorität: „Die zur Schwächung des Einflusses der Sekte nötigen politischen und aufklärenden Aufgaben müssen mit dem Parteikomitee besprochen werden.“58 Im Übrigen kam es fast zeitgleich in den sozialistischen Staaten zu Prozessen gegen Anhänger der Zeugen Jehovas: In Rumänien gab es im Juli 1950 einen Schauprozess vor dem Militärtribunal.59 In der Tschechoslowakei fanden 1953 nicht öffentliche Prozesse statt; es kam zur Verurteilung wegen Spionage und Hochverrat.60 In ähnlicher Weise ging man 1951 gegen Zeugen Jehovas in Polen vor.61 Neben dem offensichtlich großen Mitgliederzuwachs und der Neutralität in politischen Angelegenheiten fand sich einer der Hauptgründe für das Vorgehen der ungarischen Behörden erneut in der Haltung zum Wehrdienst, wie teilweise schon deutlich wurde. Das bestätigt auch der Bericht von Ádám Szinger, der zu den nach Bor Verbrachten gehört. Er erklärt: „Bis 1950, sagen wir 1949, war unsere Tätigkeit frei. Schon 1949 begannen, eigentlich schon 1948, in kleineren Orten Schwierigkeiten. […] Das Problem begann, als Jehovas Zeugen in Ungarn durch die vielen Vorträge öffentlich zu wirken begannen und Massen zu den Vorträgen kamen. Viele schlossen sich Zeugen Jehovas an und verweigerten dann auch den Wehrdienst.“62 Auf der Grundlage der Friedensverträge von 1947, die Ungarn nur eine Armee von 70 000 Mann zuließen, begann man Ende 1948 mit deren Aufbau. Szinger erinnert sich, dass 1951 wieder neu Musterungen durchgeführt und Wehrpässe ausgegeben wurden. Das betraf auch ihn. Obwohl der ihn untersuchende jüdische Arzt, mit dem er im Arbeitslager Bor war, dafür sorgen wollte, dass Szinger nicht einberufen wurde, ließ sich das nicht verhindern. Szinger wurde wegen der Verweigerung des Militärdienstes am 3. September 1952 vom Pécser Militärgericht zu 8 Jahren Haft verurteilt – auf Grundlage des Verteidigungsgesetzes II von 1939, gemäß dem er schon unter Horthy wegen seines Glaubens und, weil er nicht im Zweiten Weltkrieg kämpfen wollte, verurteilt worden war.63 Szinger hatte vor Gericht erklärt: „Nehmen Sie zur Kenntnis, daß ich nicht erst jetzt den Wehrdienst verweigere. Ich saß deswegen bereits im Gefängnis und wurde deswegen verurteilt und nach Serbien verschleppt. Ich verweigere den Wehrdienst nicht der Kommu57 

MOL, MT-1951 – 07 – 04, Ministerrat, Protokoll der am 4.7.1951 abgehaltenen Sitzung. MOL, XIX-B-1-h 342.d. 19. Oktober 1952. 59  Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 346 ff. 60  Přibyl, Stanislav: Tschechisches Staatskirchenrecht und die Zeugen Jehovas. In: Religion–Staat–Gesellschaft [RSG] Heft 1, 8. Jg., 2007, S. 93 – 103, hier 95 f. 61  Slupina, Wolfram/Boczek, Aleksandra: Religiöse Verfolgung und staatliche Repression der Zeugen Jehovas in Polen 1936 – 1945 sowie 1950 – 1989. In: RSG, 2007, S. 53 – 76, hier S. 70 f. 62  Interview Ádám Szinger vom 14.9.2000. 63 UaP Ádám Szinger. Schreiben von Szinger an das Militärgericht vom 31.5.1992. Eine Kassation des Urteils und damit einhergehend eine Rehabilitierung wurde am 26.8.1992 vom Militärgericht Kaposvár abgelehnt. 58 

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nisten wegen, sondern weil das für mich eine Gewissensfrage darstellt.“64 Diese Aussage ließ das Gericht jedoch unbeeindruckt. Szinger verbüßte den größten Teil seiner Strafe mit anderen Zeugen Jehovas im Kohlebergbau Tólapa.65 Ähnlich wie unter Horthy waren militärische Interessen von höchster Signifikanz und ähnlich wie unter Horty ging man hart gegen Verweigerer vor. Das Vorgehen der Behörden gegen Zeugen Jehovas und besonders die Problematik der Wehrdienstverweigerung wurde auch durch die Presse bekanntgemacht. So hieß es in einem Artikel des Blattes des Budapester Komitees der MDP vom 3. Oktober 1952 über den ersten Schauprozess, Jehovas Zeugen würden als „scheinheilige feindliche Elemente gegen den Frieden hetzen und treu die Anweisungen ihrer Auftraggeber, der amerikanischen Imperialisten, ausführen“. Gleichzeitig stellte man fest: „Sie verkündigen: Nicht zur Waffe zu greifen […] Wie János Tóth sagte, würde er nicht zur Waffe greifen, auch dann nicht, wenn die Feinde über unsere teure Heimat hereinbrächen, eher würde er zulassen, dass unser wunderschönes, sich entwickelndes Land erneut zerstört würde. […] Mit dem Märchen von der ‚Schlacht von Harmagedon‘ verhüllen sie die eifrigen Bemühungen der amerikanischen Imperialisten um den Ausbruch eines dritten Weltkrieges.“66 Interessant ist der Argumentationsbogen, der aus Bürgern, die nicht zur Waffe greifen, Kriegshetzer machte. Andererseits wird durch die Vorwürfe deutlich, wie wenig Fakten man in der Hand hatte, wenn man behaupten musste, dass die Zeugen Jehovas die Amerikaner unterstützen würden, indem sie deren Kriegsvorbereitungen als das jüngste Gericht propagierten. Von der Militärdienstproblematik waren auch die Nazarener betroffen. Kardos und Szigeti berichten von einem 21-jährigen Mann, der im November 1950 den Wehrdienst verweigerte, schwer drangsaliert und dann zu 2 Jahren Haft verurteilt wurde. In seinem Haftbericht erwähnte er einen Zeugen Jehovas, der ihm beistand, was zeigt, dass sie in der Zeit ebenfalls betroffen waren. Aufgrund der immer weiter wachsenden Zahl inhaftierter Nazarener hatten sich zunächst einige Vertreter der Gemeinschaft am 4. Juli 1951 an das ÁEH gewandt – offensichtlich in der Sache erfolglos. Allerdings konnten die Nazarener durch Vermittlung des Freikirchenrates ihre Statute einreichen und ihre Prediger konnten sich Verkündiger-Ausweise ausstellen lassen. Später, am 20. August 1952 beriet man, inwiefern an den Glaubenslehren etwas verändert werden sollte. Einer der Verantwortlichen erklärte: „Die Versammlung muss also beim Standpunkt des Wortes Gottes blei64  Szinger erklärte weiter, er könne keinen Wehrdienst leisten, da er neutral sei und „das Leben anderer Leute nicht in Gefahr bringen“ wollte. Szinger erinnert sich, in der Anklageschrift wurde ihm vorgeworfen, ein Spion der CIA zu sein und mit Geldern aus Amerika finanziert zu werden. Er erinnerte das Gericht daran, dass man in der Horthy-Zeit behauptete, Jehovas Zeugen würden mit kommunistischen Geldern aus Prag finanziert werden. Er sagte: „So wie das nicht stimmte, genauso wenig stimmt es daß ich mit dem Geld der amerikanischen CIA finanziert werde.“ Er erklärte: „Ich habe noch nicht einmal einen Dollar gesehen. Die CIA kenne ich auch nicht.“ Interview Ádám Szinger vom 14.9.2000. 65  Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 354 f. 66  Esti Budapest [Budapest am Abend] vom 3.12.1952.

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ben … was Gottes Wort in der Vergangenheit nicht zugelassen hat, lässt es auch heute nicht zu.“67 Eine andere religionspolitische Strategie traf die Gemeinschaften, die sich zum Freikirchenbund bzw. Freikirchenrat zusammengeschlossen hatten. Ihre Aktivitäten sollten kleingehalten, kontrolliert und instrumentalisiert werden. Sie erhielten einerseits durch ihre Zugehörigkeit zum Bund verschiedene Privilegien, mussten aber auch erleben, wie der Staat durch diese Einrichtung in innere Angelegenheiten der Denominationen eingriff. Dazu einige Beispiele: Bereits in der Zeit von 1948 – 50 musste die adventistische Gemeinschaft verschiedentlich Störungen ihrer Tätigkeit im Land hinnehmen, verschiedentlich wurden Prediger vorübergehend inhaftiert. Ende 1949 kam es zur Verstaatlichung ihrer Druckerei und im Februar 1950 wurde das Verlagshaus geschlossen. Die Behörden entschieden über Ort und Anzahl von Zusammenkunftstätten und schränkten die Zahl ein. Zusammenkünfte in Privathäusern wurden untersagt. Zu erwähnen ist, dass die Gemeinschaft 1948, „als Baptisten und Methodisten mit dem Staat Vereinbarungen abschlossen“, vorübergehend den Freikirchenrat verlassen hatte, „weil sie keine Vereinbarung mit dem Staat treffen wollte, weil sie annahm, dass sich die Situation 1948 ändern würde“.68 Geistliche brauchten eine Zulassung vom Staat, was das Abhalten von Gottesdiensten erschwerte, das Missionswerk behinderte. Die Gemeinschaft versuchte, Schlimmeres zu verhindern und wies ihre Glaubensbrüder im März 1950 an, Gespräche über ihren Glauben mit Kollegen zu unterlassen – besser nicht in der Öffentlichkeit zu predigen, da der Staat das Sprechen über religiöse Themen in der Öffentlichkeit immer weniger tolerierte.69 Am 21. Mai 1952 wandte sich die Führung der adventistischen Kirche mit einer Eingabe direkt an Rákosi. Sie beschwerten sich, als religiöser Verein eingestuft und behandelt zu werden und baten, auf die schwere Zeit unter dem faschistischen Regime verweisend, da sie nur beschränkt tätig sein konnten, um Gleichbehandlung mit den Baptisten und Methodisten. Das zum Standpunkt befragte Staatskirchenamt schlug daraufhin am 21. Juni 1952 vor, am Status der Adventisten nichts zu verändern, sie wollten sich nur der Kontrolle entziehen. Sie würden in dem selben Maße durch die Behörden kontrolliert wie Baptisten und Methodisten – und diese staatliche Kontrolle sei nötig.70 Von der Pfingstgemeinschaft wurde im Juli 1949 das Waisenhaus geschlossen. Verschiedene soziale Einrichtungen der Heilsarmee wurden ebenfalls 1949 geschlossen, die Gemeinschaft selbst auf Anregung des Verteidigungsministeriums wegen ihrer pazifistischen Anschauungen verboten. Die Heilsarmee stellte 1950 ihre Tätigkeit in Ungarn ein und nahm sie erst 1990 wieder auf.71 Zitiert nach Kardos/Szigeti, S. 325, ebenda, S. 322 – 325. Rajki soll sie erst 1950 ausgetreten sein. Rajki, Adventista egyház, S. 48 f. MOL, MDP, M-KS-276 – 65/368.öe., Bl. 19. Schreiben des Staatsamtes für Kirchenfragen an Rákosi vom 21.6.1952. 69  Rajki, Adventista egyház, S. 48 f. Rundbrief vom 16.3.1950. 70  MOL, MDP, M-KS-276 – 65/368.öe., Bl.  12 – 19. 67 

68 Gemäß

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Für die Mitglieder des Freikirchenrats und die Tätigkeit der Adventisten waren zur besseren Kontrolle und Beschränkung Maßnahmen wie die Folgenden vorgesehen: Eine Beschränkung der Orte für religiöse Zusammenkünfte. Die Tätigkeit von Geistlichen sollte ab dem 1. Januar 1952 von Zulassungen abhängig sein, wobei maximal zwischen 250 – 300 Geistliche einen entsprechenden Ausweis erhalten sollten, der vom ÁEH und Innenministerium gemeinsam erteilt wurde. Das Abhalten von Gottesdiensten in Privatwohnungen wurde untersagt. Die Errichtung neuer Gotteshäuser war mit einem aufwändigen bürokratischen Weg verbunden. Jede Veröffentlichung, und dazu gehörten auch Rundbriefe und Vervielfältigungen, musste vor Erscheinen dem ÁEH vorgelegt werden. Unterstützungen vom Ausland mussten über das ÁEH laufen. Die legale Tätigkeit der Mitglieder beschränkte sich auf den Rahmen des Freikirchenrates. Alle anderen Gemeinschaften, die dem Rat nicht angehörten, sollten liquidiert werden. Vom Freikirchenrat wurde erwartet, dass man sich klar von diesen Gemeinschaften abgrenzte.72 In diesem Zusammenhang hatte der Bund der Ungarischen Freikirchen in einem Schreiben vom 6. Juli 1950 an die Landeszentrale der MDP darum gebeten, zwischen dem „zum Staat bisher loyalen Bund der Freikirchen“ und den „für die Demokratie und die Staatsmacht gefährlichen religiösen Bewegungen“ deutlich zu unterscheiden. Man wies darauf hin, dass der Bund sich bereits am 19. Mai 1948 in einem Brief an Rákosis Stellvertreter dagegen verwahrt hatte, mit den „für den Staat gefährlichen kleinen oder großen religiösen Bewegungen verwechselt zu werden“.73 71

Zum weiteren Umgang mit den Zeugen Jehovas hatte noch 1953 Ernő Gerő (1898 – 1980), die rechte Hand von Rákosi zu László Piros (1917 – 2006), Chef der Staatssicherheit erklärt, dass sie inhaftiert und „szabályszerűen“ also „vorschriftsgemäß“ verurteilt werden sollten – nunmehr allerdings ohne davon die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen.74 Im Rahmen der Entstalinisierung wurde Mátyás Rákosi am 13. Juni 1953 von Imre Nagy (R13.6.1953 – 14.4.1955, 24.10.1956 – 4.11.1956)75 als Ministerpräsident abgelöst – Rákosi blieb allerdings MDP-Chef. Auch unter der moderateren Politik Nagys kam es zunächst nicht zu einer Änderung der Haltung 71 Ebenda. Török, Péter: Magyarországi vallási kalauz 2004 [Ungarns Religionsführer 2004]. Budapest 2004, S.  246f  . zdr: „A tarsadalom felsőbb rétegeitől megvetést és gúnyt kaptak. Kersztény harcosok klubja. [Aus den obersten gesellschaftlichen Schichten erhielten sie Verachtung und Spott. Klub der christlichen Kämpfer.]“ In: Mindennapi [Alltägliches], v. 12.10.2011. http://mindennapi.hu/cikk/egyhaz/kereszteny-harcosok-klubja/2011 – 10 – 12/8410 (Zugriff am 10.10.2013). 72  MOL, MT-1951 – 07 – 04, ebenda MT-1951 – 08 – 08, Ministerrat, Protokolle der am 4.7. und am 8.8.1951 abgehaltenen Sitzungen. Rajki, Adventista Egyház, S. 49 f. 73  Ebenda. MOL, M-KS-276 – 65/368.öe., Bl. 11. 74  Pünkösti, Árpád: Rákosi bukása, száműzetése és halála 1953 – 1971. [Rakosis Sturz, Exil und Tod 1953 – 1971] Budapest 2001, S. 15 (Online-Version: mek.niif.hu/05300/05385/ 05385.doc). (Zugriff am 10.10.2009). 75 Auch Nagy war kurzzeitig in Béla Kuns Räterepublik aktiv und nach deren Scheitern in der sowjetischen Komintern in der Sowjetunion tätig gewesen. Zu seinem Schicksal siehe: Rainer, János M.: Imre Nagy. Vom Parteisoldaten zum Märtyrer des ungarischen Volksaufstandes. Eine politische Biographie 1896 – 1958. Paderborn 2006.

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in Verbindung mit der Tätigkeit der Zeugen Jehovas. Wie aus einem Bericht der Staatssicherheitspolizei vom 10. Juli 1953 hervorging, bewertete man die Veröffentlichungen der Gemeinschaft als „Propagandamaterialien der Sekte“, zur Hetze gegen „das System und die Regierung“ und „destruktiv im Friedenskampf“.76 Die von der Gemeinschaft nach Inhaftierung der alten Leitung eingesetzten neuen Leitungsmitglieder, Elke Nemes, László Bussigny, László Papp und fünf andere, wurden vom Budapester Bezirksgericht am 4. Dezember 1953 zu Haftstrafen bis zu zehn Jahren verurteilt.77 Die von den Verurteilten eingelegte Berufung wurde vom Obersten Gericht der Ungarischen Volksrepublik zurückgewiesen.78 Weitere Verhaftungen, insbesondere von aktiven Glaubensangehörigen bzw. solchen in verantwortlicher Position folgten im selben Jahr. Bis 1953 sollen mehr als 500 Zeugen Jehovas in Zuchthäusern und Arbeitslagern inhaftiert gewesen sein.79 Zoltán Hubicsak, der anschließend die Leitung des Untergrundwerkes übernommen hatte, wurde zusammen mit fünf weiteren Mitarbeitern, darunter György Podlovics, am 9. November 1955 der Prozess gemacht. Dabei wurden Haftstrafen von bis zu neun Jahren ausgesprochen.80 Auch gegen Wehrdienstverweigerer ging man nach der Entstalinisierung weiter hart vor, wie der Fall von Lajos Gerencsér zeigt, dessen Mutter Terézia Gerencsér im Horthy-Regime vom Generalstabsgericht wegen Untreue zu 3 Jahren Haft verurteilt worden war und in Márianosztra eingesessen hatte.81 Lajos Gerencsér war zunächst am 27. Oktober 1953 vom Militärgericht Pécs zu 8 Jahren Haft wegen der Verweigerung des Wehrdienstes und schwerer Verletzung militärischer Interessen verurteilt worden, da er am 6. Oktober 1953 vor anderen Dienstpflichtigen aus Glaubens- und Gewissensgründen den Dienst verweigert hatte.82 Am 2. April 1955 wurde er zwar begnadigt,83 am 10. Juni 1955 vom Budapester Garnisonsgericht jedoch bereits erneut wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt, diesmal zu 6 Jahren. Interessanterweise war ihm in der Begründung vorgeworfen worden, dass „er zur Sekte der ‚Jehovas Zeugen‘ gehört, weswegen auch bereits seine Mutter bestraft worden war“.84 Im Gegensatz zu den in der Horthy-Zeit verfolgten Kommunisten, die als Antifaschisten gewürdigt wurden, schien man die Verfolgung aus religiösen Gründen, hier konkret der Zeugen Jehovas, auch nachträglich zu billigen. Das Oberste Gericht bestätigte nach Revisionsantrag Gerencsérs das Urteil am 24. August 1955. Es erklärte, „solche ungarischen Staatsbürger, die die in 76 

ÁSzTL, V-111784/2, Bl. 305. Strafverfahren gegen Élek Nemes u. a, ÁSzTL, V-111784/4, S. 37 ff. 78  Budapest Főváros Levéltára (Archiv der Hauptstadt Budapest), BIV 001038/1954/12 szám., Bl. 141. 79  WtBTG (Hrsg.): Der Wachtturm v. 15.7.1993, S. 12. 80  ÁSzTL, V-194874/1 Bl. 74 – 81, Anklageschrift. V-149948/4, Bl. 22 – 36, Urteil. 81  HM, 1942, eln. 13. 5166 cs. 82  Pécser Militärgericht, Hb. I.182/1953/17. UaP Lajos Gerencsér. 83 Ebenda. 84  Budapesti Helyőrség Katonai Birósága (Militärgericht der Budapester Garnison), Az. Kb.V. 519/1955. 77 

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der Verfassung begründete allerheiligste Pflicht, die Erfüllung des Wehrdienstes, ablehnen, sind am härtesten zu verurteilen“ – wobei die religiöse Diktion des atheistischen Gerichts überrascht.85 Gerencsérs zweites Urteil fiel in die Phase der Restalinisierung und war möglicherweise vom wiedererstarkten Rákosi-Geist beeinflusst. Nachdem András Hegedüs (1922 – 1999) Imre Nagy als Ministerpräsident nach dessen Herzinfarkt und zunehmenden innerparteilichen Streitigkeiten abgelöst hatte,86 ging er daran, dessen Reformen rückgängig zu machen, was nicht unwesentlich zum Volksaufstand im Oktober 1956 beitrug, bei dem vor allem Studenten an die 1848er Ideen anknüpfend demokratische Reformen forderten.87 Während des Volksaufstandes kamen viele Zeugen Jehovas kurzzeitig frei. Man bemühte sich nach der Niederschlagung, sie wieder einzusperren. Manch einem war es auch gelungen, in den Westen zu fliehen. So auch Lajos Gerencsér, er kam durch den Aufstand am 28. Oktober frei, verließ Ungarn und ging nach Österreich.88 Die meisten der Wiederinhaftierten kamen erst 1960 frei.89 Nach dem Volksaufstand 195690 änderten sich auch die Bedingungen für die kleinen Religionsgemeinschaften. Der harten Phase folgte eine Art Konsolidierungsphase. Unter János Kádár (1912 – 1989) wurde eine „allgemein verbindliche Übereinkunft“ (ein public consensus) getroffen: Das Regime mischte sich nicht in die Privatsphäre der Bürger ein, erwartete im Gegenzug aber die Akzeptanz der Institutionen und der Maßnahmen des Regimes.91 Dieses Prinzip machten sich auch Religionsgemeinschaften zu nutze. Nachdem während des Aufstandes 1956 das Staatsamt für Kirchenangelegenheiten geschlossen worden war, hatte das Bildungsministerium wieder die Aufgabenbereiche übernommen. Ab Dezember 1956 gab es daher ein Amt für Kirchenangelegenheiten beim Bildungsministerium, das direkt dem Bildungsminister unterstand. Während des Aufstandes war auch die bisherige Staatspartei MDP aufgelöst worden. Die Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei (Magyar Szoci85  A Magyar Népköztársaság Legfelsőbb Bírósága (Oberstes Gericht der Ungarischen Volksrepublik), Az. III.1110/1955. 86  Nagy wurde sogar aus der Partei ausgeschlossen. 87  Rainer, S.  104 – 108. Romsics, Magyarország, S. 382 ff., 387 – 397. 88 UaP Lajos Gerencsér. 89  Dirksen, Wechselnde Regimes, S. 118. 90  Er begann am 23. Oktober und endete am 4. November 1956, wobei aufständische Truppen noch bis Mitte November der sowjetischen Armee Widerstand leisteten. Romsics, Magyarország, S.  387 – 397. 91  Ebenda, S. 401. Romsics verweist auf den Pragmatismus als stabilisierendes Element des „Kadarismus“. Huszár, Tibor: Kádár János. Politikai életrajza 1912 – 1956 [János Kádár. Sein Politischer Lebenslauf 1912 – 1956]. Bd. I. Budapest 2003. Ders.: Kádár János. Politikai életrajza 1956 – 1989 [János Kádár. Sein Politischer Lebenslauf 1956 – 1989]. Bd.  II. Budapest 2003. Békés, Csaba/Kalmár, Melinda (Hrsg.): The Political Transition in Hungary, 1989 – 9. In: Cold War International History Project Bulletin, Nr. 12, 2013. http://www.coldwar.hu/html/en/publications/pol_trans.pdf (Zugriff am 2.1.2014).

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alista Munkáspart, MSZMP) entstand, die mit Unterstützung von sowjetischer Seite als neue Staatspartei bis 1989 fungierte. Unter Kádárs Regierung arbeiteten die Führer der Partei 1958/59 an ihrer Strategie zum Verhältnis Kirche-Staat und im Kampf gegen unliebsame religiöse Weltanschauungen. In diesem Zusammenhang entstand mit VO 25/1959, die Gesetzeskraft hatte, wieder ein eigenständiges Staatsamt für Kirchenangelegenheiten, das erneut dem Ministerrat untergeordnet wurde. Zu dessen Aufgabe gehörte wiederum das Zurückdrängen reaktionärer religiöser Tätigkeit, wobei man sich fortschrittlicher kirchlicher Kräfte bedienen durfte. Die VO 36/1959 legte den Verantwortungsbereich des Amtes fest. Dazu gehörte unter anderem: „Die Erledigung von Fragen im Zusammenhang mit der Sicherung der Gewissens- und Religionsfreiheit.“92 Das Etikett Religionsfreiheit blieb also erhalten. Bei der Methodik der Einschränkung der Religionsfreiheit bediente man sich der Zentralisierung. Im Bericht heißt es darüber: „Ein Teil der Sekten ist auch zur Zeit noch stark dezentralisiert tätig. Unsere Erfahrungen beweisen, dass es nach der Zentralisierung in den meisten Fällen gelungen ist, die Leitung in die Hand von Personen zu geben, die für eine realistische Zusammenarbeit viel mehr bereit sind als der Durchschnitt. Die Zentralisierung löst auch innerhalb der Sekten einen zersetzenden Prozess aus; dabei fängt nämlich in den meisten Fällen unter den Predigern ein Kampf um die Macht an. Gegensätze kommen zum Vorschein, und unsere Behörde wird auch mehr informiert. Bei den baptistischen Kirchen ist z. B. die Stagnation bei der Zahl der Gläubigen in den vergangenen Jahren das Ergebnis einer partikulären Zentralisierung.“ Dieses Beispiel zeigt, wie sehr sich der Freikirchenrat durch seine enge Zusammenarbeit mit dem Amt selbst schadete. Der Bericht erklärt weiter: „Ähnlich vorteilhaft wird es sein, im Folgenden einige kleinere Sekten zu vereinen, natürlich nur in dem Fall, wenn wir die Leitung in zuverlässige Hände geben können. Der Freikirchenrat experimentiert zurzeit auch mit kleineren-größeren Zusammenlegungen, aber der Prozess ist schwierig. Dafür ist es auf jeden Fall gut, dass eine innere Spannung erzeugt wird, und die Aufmerksamkeit von einer Intensivierung des Glaubenslebens ablenkt. Das verursacht eine Störung in ihren eigenen Reihen.“ 93 Das Amt versuchte zahlenmäßig kleine Gruppierungen einer größeren Gemeinschaft anzuschließen, um sie in ihrer Aktivität zu bremsen. Die ganze Tätigkeit der Zentralisierung, die zwar auch der besseren bzw. einfacheren Kontrolle diente, hatte vor allem den Zweck destruktiv auf die Gemeinschaften zu wirken, ihnen den Schwung zu nehmen, sie zu zerrütten und wenn möglich den Zerfall einzuleiten. Ein Lagebericht vom 23. Februar 1963 des Amtes gibt auch zahlenmäßig Aufschluss. Darin heißt es: „In unserem Land gehört die Mehrheit der kleineren Kirchen, Glaubensgemeinschaften und Sekten organisatorisch in den Rahmen des Freikirchenrats /insgesamt 10 Glaubensgemeinschaften und Sekten/.“ Mit Ausnah92  MOL (Hrsg.): Az Állami Egyházügyi Hivatal iratanyagának jegyzékei [Aufstellung der Dokumente des Staatsamtes für Kirchenangelegenheiten]. Budapest 2005, S.8 f. 93  MOL, XIX-A-21-d-0028 – 3/1963.

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me der Nazarener seien die außerhalb des Freikirchenrates tätigen Gruppierungen nicht erlaubt. „Die Sekte Zeugen Jehovas ist völlig illegal tätig.“ Die Zahl der registrierten Mitglieder „der gesamten kleineren Glaubensgemeinschaften“ wurde auf „ungefähr 40 000“94 geschätzt. Allerdings erstrecke sich ihr Einfluss „auf 100 000 oder noch mehr Menschen“ – wohl auch einer der Gründe für Kontrolle und Steuerung, zumal die Diktatur jeden Einzelnen gewinnen wollte. Zu der Rolle des Freikirchenrates wird gesagt: „Sein politisches Wesen, seine Bedeutung: das Zusammenhalten der bis jetzt völlig selbstständig, dezentralisiert tätigen kleineren Glaubensgemeinschaften, Sekten und die Sicherung der Vorteile der einheitlichen Führung, damit die einzelnen Gruppen kontrollierbar sind, die politischen und kirchenpolitischen Konzeptionen auch auf diesem Gebiet verwirklicht werden können. Seiner Aufgabe kommt er zurzeit im Großen und Ganzen nach. Er hilft den Leitern der hierher gehörenden Glaubensgemeinschaften in einer positiven Richtung, er tritt für die Zentralisierung ein, für die Ausbildung verantwortlicher Führer […] Er hat auf diesem früher unübersichtlichen Gebiet ein System geschaffen. […] Ein großes Ergebnis der Arbeit der vergangenen Jahre ist, dass die im 94  Ebenda. Angaben zu den Gemeinschaften des Freikirchenrats: Baptisten: „19 526 getaufte erwachsene Mitglieder, die Zahl der Prediger: 89. Sie haben 450 Versammlungen.“ STA: „Die Zahl der Gläubigen ist 5 927, nimmt aber ständig ab. Seit 1957 haben sich ungefähr 600 ihrer Gläubigen abgebröckelt. Sie haben 153 Versammlungen, 2 Sozialheime und 1 Ferienheim. Die Zahl der Prediger ist 37.“ Methodistische Kirche: „Ihre Mitgliedzahl ist ungefähr 2 000, seit 1957 zeigt sich keine Steigerung. Sie haben insgesamt 10 Versammlungen und ein Sozialheim.“ „Evangelisch christliche und Pfingstversammlung“: „Ihre Mitgliedzahl ist 5 000. Diese Zahl ist von 3 315 in 1957 gestiegen und wächst Jahr für Jahr ständig. Sie haben 181 Versammlungen […] Ihre Zusammenkunft geht in eine spektakuläre Zirkusnummer. Eine außergewöhnlich fanatische, bigotte Gesellschaft. Sie sind schwer zu behandeln.“ Christliche Brüderversammlung: „Ihre Mitgliedzahl ist 1 420. Seit 1957 steigt sie im kleinen Maß, sie haben 48 Versammlungen.“ Zu ihrem Leiter hieß es, er sei „eine fanatische, bigotte Person“, wurde aber „vom Freikirchenrat verdrängt“. Urchristliche Glaubensgemeinschaft: „Ihre Mitgliedzahl ist 2 515. In den vergangenen Jahren ist der Stand mit ungefähr 700 Personen gestiegen.“ Freichristliche Versammlung: „Sie sind insgesamt 300 mit 3 Laienpredigern.“ Kirche Gottes: „Die Gesamtzahl ist 164.“ Versammlung des lebendigen Gottes: „Ihre Mitgliedzahl ist 312.“ Altkatholiken: „Sie haben 456 Gläubige.“ Ihr Führer sei „eine positive Person; er beeinflusst mehrere kleinere Glaubensgemeinschaften vorteilhaft. Die Gruppen, mit denen er sich beschäftigt, fallen meistens auseinander, entwickeln sich nicht.“ Man wollte ihm größeren Handlungsspielraum einräumen. Angaben zu den Gemeinschaften außerhalb des Rates: Nazarener: „Ihre gegenwärtige Mitgliedzahl ist 3 640, zeigt eine allmähliche, langsame Abnahme. /Seit 1957 ist ihre Zahl mit ungefähr 500 Personen geringer geworden./ Sie sind eine sehr schwer zu behandelnde Gruppe, sie tendieren zur Annäherung zur Sekte der Zeugen Jehovas. Ihre Glaubenssätze sind außerordentlich reaktionär. Militärdienst /Eidleistung/ Gewehrannahme verweigern sie.“ Ein Teil von ihnen sei jedoch bereit, „die steifen Glaubensgrundsätze zu ändern“. Jehovas Zeugen: Ihre Zahl wird „auf 3 – 6 000 Personen“ geschätzt. „Das IM beschäftigt sich viel mit dieser Sekte und jedes Jahr werden von den Leitern der Gruppe verhaftet. Sie sind in Budapest, Miskolc, Debrecen und Nyíregyháza in größerer Zahl, aber sie kommen auch in Transdanubien vor. Ihr Glaubensleben ist staats- und gesellschaftsfeindlich.“

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Grunde genommen reaktionäre Führung völlig ausgetauscht, umgestaltet wurde.“95 Das Kirchenamt griff also über den Rat organisatorisch und personell in die inneren Belange der Mitgliedergemeinschaften ein, ließ „loyale“, dem Staat ergebene Geistliche in Führungsebenen platzieren. Damit konnte auf das innere Leben der Gemeinschaften Einfluss genommen und sichergestellt werden, dass die sozialistischen Ziele verwirklicht wurden. Dem Kirchenrat selbst war auch daran gelegen, außenstehende. Gemeinschaften zu integrieren, wie der Arbeitsplan von 1977 belegt, wonach ein Hauptziel war, die völlig unabhängig und dezentralisiert tätigen kleinen Religionsgemeinschaften zu koordinieren, aber auch die Umsetzung der religionspolitischen Pläne zu befördern.96 Damit war der Freikirchenrat in seiner Funktion als Schutzeinrichtung zum Staatswerkzeug mutiert. Im Fall der adventistischen Kirche, die am 21. Mai 1957 staatlich anerkannt wurde,97 dafür aber wieder dem Rat beitreten musste, waren nicht alle mit der Arbeitsweise des Freikirchenrates einverstanden: „Auf die Zentralisierung bei den Adventisten reagierten manche Versammlungen so, dass sie von den Adventisten ausgetreten sind, und für die Gründung einer neuen Sekte um Erlaubnis baten. Nachdem sie diese nicht erhalten hatten, haben sie sich allmählich isoliert und sie bröckeln langsam ab“, berichtete das Staatskirchenamt 1963.98 Tatsächlich kam es in der Folge immer wieder zu Abspaltungen, insbesondere aber Mitte der 1970er-Jahre, im Zusammenhang mit der Diskussion um die Mitgliedschaft im Ökumenischen Rat der Kirchen Ungarns (Magyarországi Egyházak Ökumenikus Tanácsa), einem weiteren Instrument des Staatskirchenamtes, das zusätzliche politische Einflussnahme auf das Glaubensleben bot.99 Dem Ökumenischen Rat hatten sich neben verschiedenen protestantischen und orthodoxen Kirchen bereits die Baptisten und die Methodisten sowie der Freikirchenrat angeschlossen.100 Im Fall der Divergenten wandten sich die loyalen Leitungsmitglieder der adventistischen Gemeinschaft wegen Zerschlagung der Gruppe an das Staatskirchenamt, das gern bereit war, bei der Entfernung der Anführer der Non-Konformisten zu helfen. Auch bei der methodistischen Kirche kam es zu Abspaltungen, gegen die in ähnlicher Weise vorgegangen wurde. Die so neu entstandenen Gruppierungen wurden als illegal tätige Gemeinschaften betrachtet und behandelt.101 95 

MOL, XIX-A-21-d-0028 – 3/1963. Ebenda, XIX-A-21-d-0012 – 1/1977. Ebenda, XIX-A-21 – 4 – 0010 – 2/1963. Dossier 23. Siehe auch Rajki, Adventista Egyház, S. 70 f. 97  Die Anerkennung erfolgte durch das Amt für Kirchenangelegenheiten beim Bildungsministerium, Entscheidung 166 – 1/1957 am 21.5.1957. Balogh/Gergely, állam, S. 984 f. 98  MOL, XIX-A-21-d-0028 – 3/1963. 99  Ebenda, XIX-A-21-d-002a-3/a/1979. 100  http://mek.oszk.hu/02100/html7262.html (Zugriff am 15.11.2013). Von 1947 bis 1954 Magyar Ökumenikus Bizottság (Ökumenische Kommission Ungarns). 101  Köbel, Szilvia: Vallásfelekezetek törvényes elismerése a Kádár-korszakban [Anerkennung von Religionsgemeinschaften in der Kádár-Ära]. In: Jogtudományi Közlöny [Rechtswissenschaftliches Mitteilungsblatt], Juni 2001, S.  287 – 297, hier S.  294. Dirksen, developments, S. 457 f. 96 

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Der Freikirchenrat kam seiner Aufgabe der Zentralisierung auch insofern nach, als er versuchte, Kontakte zu den Gemeinschaften außerhalb des Rates aufzunehmen. Wer nicht bereit war zu kooperieren, lief Gefahr diffamiert zu werden. So erging es mehrfach den Zeugen Jehovas. Es wurden sogar umfangreiche Schriften gegen sie ausgearbeitet, zum Beispiel durch den Chef des Freikirchenrats Sándor Palotay 1969 in sozialistischer Diktion, inhaltlich von Fakten zu Annahmen und Falschaussagen springend. Auszugweise erklärt er: „Sie vertreten romantische antikapitalistische Ansichten, sie verurteilen den Reichtum, verurteilen die Anbetung des Geldes durch die Massen, wofür manche engstirnige Behörden sie des Kommunismus beschuldigten. In der Zeit des Faschismus […] haben sie ihre Verfolgung gut benutzt. Dieser Märtyrerkomplex ist in ihrer Lehre und in ihrem Verhalten auch heute zu erkennen. […] Auf jeden Fall verdienen ihre typisch anarchistischen Vorstellungen, mit denen manche westlichen Kreise sie offensichtlich als Werkzeug der ideologischen Aufwiegelung nutzen, größere Aufmerksamkeit.“ Er gipfelte: „Jehovas Zeugen haben ein diktatorisches Spitzenorgan.“ Schließlich beklagte er, „die derzeitige ungarische Lage ist undurchschaubar“. Zur Verweigerung des Wehrdienstes erklärte er, sie würden nicht wie die Nazarener das Töten ablehnen, sondern den Staat: „Sie sind nicht gegen den Militärdienst, sondern gegen die Staatmacht.“102 1977 gab Palotay gemeinsam mit einem weiteren führenden Mitglied des Freikirchenrates, Jenő Szigeti, ein Buch gegen Zeugen Jehovas heraus, wo er auf diesen Überlegungen aufbaute.103 Auch der baptistische Geistliche Kálmán Mészáros verfasste 1974 eine 26-seitige Abhandlung über Zeugen Jehovas, in der er die angebliche Staatsfeindlichkeit bestätigte,104 und eine weitere kurze im Mai 1975, da er selbst von einem jungen Mann aufgesucht worden war.105 Darüber hinaus scheinen Berichte über Glaubensangehörige von Abspaltungen gesammelt worden zu sein, gleichzeitig aber auch über Zeugen Jehovas. So berichtete die adventistische Kirche dem Staatskirchenamt am 6. März 1975 genau und umfangreich mehrere Seiten lang über Anzahl und Namen von Reformadventisten in den verschiedenen Komitaten und erwähnte dabei auch Zeugen Jehovas. Der Schreiber erklärte, zurzeit noch wenig Angaben machen zu können, konnte aber dennoch einige Zahlen und Namen nennen. Er versicherte, in Zukunft besser zu liefern.106 Um die zur Kooperation bereiten Nazarener blieb der Freikirchenrat weiter bemüht und trat vermittelnd zwischen der Gemeinschaft und den staatlichen Organen auf. Die Nazarener, den Vorteil der Zusammenarbeit mit dem Freikirchenrat und die daraus resultierende Besserbehandlung durch staatliche Organe erkennend, waren zur weiteren Annäherung bereit. In der Folge erkannten die Nazarener schriftlich das Recht des Staates an, das Leben seiner Bürger zu kontrollieren, 102  MOL, XIX-A-21-c-760 – 9 – 1969. Bereits 1969 hatte Palotay unterstützt von Szi­ geti eine rund 50-seitige Beschreibung der Zeugen Jehovas abgegeben: Ebenda, XIX-A21-c-760/9/1969, 164d. 103  Palota/Szigeti, Tévedések útján. 104  MOL, XIX-A-21-c-760/10/1974, 164d. 105  Ebenda, XIX-A-21-c-760/10/1975, 164d. 106 Ebenda.

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Kap. 7: Weitere Entwicklungen

die sozialistische Staatsordnung zu installieren und den Dienst an der Waffe zu fordern. Die Angehörigen der Nazarener erklärten innerhalb ihres Gewissensspielraums dieser Pflicht nachkommen zu wollen. Gleichzeitig distanzierte man sich in dem Scheiben von den „anarchistischen“ und „destruktiven Aktivitäten“ der Zeugen Jehovas.107 Innerhalb der Gemeinschaft der Nazarener konnte auch eine dem Staat ergebene Leitung installiert werden. Ende der 1960er-Jahre wurde bei Verhandlungen vom Staatskirchenamt umfangreich geprüft, inwiefern anstelle der Eidesablage ein Gelübde abgelegt werden konnte, da das für die Nazarener kein Hindernis darstellte. Allerdings ließ sich hier keine einfache Lösung finden. Im August 1976 führte dann der ungarische Staat, als einziger neben der DDR einen waffenlosen Wehrdienst ein, bei dem in Baueinheiten und im Sanitätswesen militärische Ausbildung ohne Waffen vermittelt wurde und die Betreffenden nur ein Gelübde ablegen mussten. Viele der Nazarener waren bereit, diesen Dienst durchzuführen. Die Gemeinschaft wurde noch im selben Jahr gesetzlich anerkannt und Mitglied des Freikirchenrates.108 Wenngleich man hoffte, mit der für die Nazarener getroffenen Regelung würde man auch die Zeugen Jehovas überzeugen können, ging der Plan nicht auf. Die Anhänger der Gemeinschaft lehnten aus Gewissengründen auch den waffenlosen Militärdienst ab, da er dem Militär unterstand und wurden weiter inhaftiert. Die Entwicklungen um die Anerkennung der Nazarener und die Einrichtung eines waffenlosen Dienstes werden auch außenpolitische Gründe gehabt haben. Ungarn bekannte sich 1976 offiziell zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte. Bereits mit Unterzeichnung des ­KSZE-Abschlussdokumentes am 1. August 1975 hatte man sich erneut zur Wahrung der Menschenrechte, der Garantie von Gedanken-, Gewissens-, Religionsund Überzeugungsfreiheit, verpflichtet. Abgesehen davon war Ungarn schon im Dezember 1955 Mitglied der UNO geworden. Insofern war für das Land auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 bindend, in deren Artikel 18 ebenfalls das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit eingefordert wurde. 109 In der Kádár-Zeit kam es für Zeugen Jehovas zwar nicht mehr zu so harter Verfolgung wie unter Rákosi, dennoch wurden Zeugen wegen ihrer Tätigkeit weiter inhaftiert. Das traf auch den schon wegen Wehrdienstverweigerung inhaftierten Ádám Szinger. 1964 hatte man bei ihm Publikationen entdeckt, er wurde zu 2 Jahren Haft „wegen Hetze mit religiöser Tätigkeit“ verurteilt.110 Obgleich die Zeugen Jehovas, wie auch aus einem Bericht des Innenministers von 1969 hervorgeht, ihre Kardos/Szigeti, S. 342 f. XIX-A-21-a-11 – 1/1976. Ebenda, XIX-A-21-a-11 – 3/a/1985, ebenda, XIX-A21-c-67, S. 160, ebenda, M-KS-288 – 5 – 625, ebenda, XIX-A-21-d-0028 – 1/1977, ebenda, XIX-A-21-d-0012 – 3/a/1977. Einzelne verweigerten auch weiterhin den Dienst und wurden inhaftiert. Balogh/Gergely, állam, S. 1164 – 1172. Decree of the State Office for Church Affairs 1/1977 (III.18).. 109  http://www.un.org/depts/german/grunddok/ar217a3.html (Zugriff am 13.12.2013). 110 UaP Ádám Szinger. Szekszárder Arbeitsgericht zur Feststellung der Dienstzeit, Az. 2.M.184/1982/7, v.13.10.1982. Interview Ádám Szinger vom 14.9.2000. 107 

108 MOL,

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Statuten beim Staatssekretariat für Kirchenfragen eingereicht hatten – wohl auf eine Aufforderung seitens des Innenministeriums –, kam von staatlicher Seite keine Response.111 Die beim Staatskirchenamt eingegangenen Satzungen tragen das Datum des 1. April 1965. In der Einleitung bat die Gemeinschaft auch mit Verweis auf § 54 der Verfassung ihren „Gottesdienst unter legalen Umständen frei ausüben zu dürfen“ und betonte, „keine Feinde der Ungarischen Volksrepublik“ zu sein und dass „die oft geäußerte Bezeichnung: ‚gesellschaftlich gefährlich‘ auf sie nicht zutrifft“. Auch hätten sie bewiesen, „gesetzestreue Bürger und zuverlässige, fleißige Arbeiter“ zu sein. Zum Wehrdienst wurde erklärt: „Weltweit, also auch vor den ungarischen Behörden ist der Standpunkt von Zeugen Jehovas allgemein bekannt, dass sie in den Kriegen der Nationen neutral sind. Dies ist eine historische Tatsache, da Zeugen Jehovas sich in allen Nationen weder an dem ersten noch an dem zweiten Weltkrieg beteiligt haben. Ihr durch die Bibel geschultes Gewissen hat sie von den unmenschlichen Gemetzeln und von allem, womit sie ihren Mitmenschen Schaden verursachen würden, ferngehalten […]. Jehovas Zeugen haben schon lange in ihren Reihen die oft erwähnte Prophezeiung des Propheten Jesaja verwirklicht: ‚Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden müssen und ihre Speere zu Winzermessern. Nation wird nicht gegen Nation [das] Schwert erheben, auch werden sie den Krieg nicht mehr lernen‘.“112 Da Zeugen Jehovas nicht dem Freikirchenrat angehörten, waren sie nicht so einfach zu kontrollieren. Die Observierung oblag den Organen der Staatssicherheit, die eng mit dem Staatskirchenamt zusammenarbeiteten. Unzählige Beobachtungsberichte wurden zentral verwaltet und ausgewertet. Hier ein Beispiel aus der Region Szabolcs Szatmár vom 20. Mai 1969: „Wie unsere operativen Informationen zeigen, organisiert die Leitung der ‚Jehova Zeugen‘ weitere Aktivitäten in unserem Komitat. […]. Die Sekte der ‚Jehova Zeugen‘ ist illegal tätig, da ihre Mitglieder nicht mit den Rechten unserer Volksrepublik konform gehen. Ihre Tätigkeit in Verbindung mit der fortwährenden Verbreitung ihres Glaubens stellt eine große Gefahr für das System dar.“ Maßnahmen sollten ergriffen werden, mit denen ihre Aktivitäten gestoppt werden könnten.113 Teilweise wurden die Häuser von Glaubensangehörigen ausgespäht, ihr Leben auf Schritt und Tritt überwacht – ganz wie die Staatssicherheit in der DDR – und das über die ganze Zeit des Bestehens der sozialistischen Republik. Noch 1986 wurde in einem Bericht behauptet. „Alle Lehren der Jehova Zeugen richten sich gegen das System.“114 Zur Schulung an der Polizeihochschule diente zum Beispiel die 1972 herausgegebene Broschüre „Studium des Feindes“. Darin hieß es: „In Ungarn sind zur Zeit etwa 15 – 20 unterschiedliche kleinere-größere religiöse Gruppen illegal tätig. Die bedeutendste unter ihnen ist die Sekte ‚Jehovas Zeugen‘.“ Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass weiter mit 111  MOL, XIX-A-21 – 4 – 0010 – 2/1963. Dossier 23. S. 35 ff. Bericht des Innenministeriums, Abt. III/III, 15.9.1969. 112  Ebenda, XIX-A-21-c-760 – 5 – 1965. 113  ÁSzTL, 870/15, O-13807, 3.1.5., S. 8, 16 – 18. 114  Ebenda, 1.12.4. 45 – 49/13/1986, S. 3, 6 f.

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Kap. 7: Weitere Entwicklungen

administrativen Mitteln gegen die Tätigkeit einzuschreiten ist, gleichzeitig aber auch langfristige „Erziehungsarbeit“ geleistet werden müsse.115 Da die Zeugen in der DDR ebenfalls eins der Hauptobjekte der Staatssicherheit darstellten, tauschten beide Geheimdienste ihre Erfahrungen aus.116 Ähnlich wie in der DDR kam es auch zum Einsatz inoffizieller Mitarbeiter.117 Die ungarische Staatssicherheit kümmerte sich bis kurz vor Ende des Regimes um genaue Überwachung der Aktivitäten der Glaubensgemeinschaft. In der Zwischenzeit war 1988 die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, oder Mormonen, nach Verhandlungen mit dem Kultus- und Innenministerium 1987 gesetzlich anerkannt worden, wohl auch weil sich staatliche Vertreter eine Belebung der ungarisch-amerikanischen Beziehungen in wirtschaftlicher Hinsicht erhofften.118 Aufgrund der Krisenerscheinungen in der Wirtschaft kam es in den 1980er-Jahren zu ökonomischen Reformen, aber nicht zu politischen. Dennoch wurden 1987 Verhandlungen vom Staatsamt für Kirchenangelegenheiten mit Jehovas Zeugen aufgenommen. Als dann Kádár-Nachfolger Károly Grósz (1930 – 1996) 1988 marktwirtschaftliche Impulse gesetzt hatte und Pluralisierungsprozesse in Gang gekommen waren, schlossen sich im März 1989 die zahlreichen Oppositionsbewegungen zum „Oppositionellen Runden Tisch“ zusammen und läuteten die Wen-

115 

Ebenda, ÁB 368, S. 29 – 32. Berlin, MfS, HA XX/4 933, Bl. 232 – 236. „Information der Sicherheitsorgane der UVR über die Situation und die Tätigkeit der religiösen Sekte ‚Zeugen Jehovas‘ in der UVR und Erfahrungen der operativen Arbeit unserer Organe“, vom 19.8.1976. Ebenda, HA XX/4 81, Bl. 1 – 8, „Die ungarische religiöse Organisation der Zeugen Jehovas“, o. D., 1980er-Jahre. Ebenda, Bl. 48 – 50, v. 1987. 117  Es gibt auch Belege dafür, dass die Staatssicherheitsdienste der DDR und von Ungarn sich in untereinander austauschten und kooperierten. Vgl. z. B. Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), HA XX/4 933, Bl. 232 – 236. „Information der Sicherheitsorgane der UVR über die Situation und die Tätigkeit der religiösen Sekte ‚Zeugen Jehovas‘ in der UVR und Erfahrungen der operativen Arbeit unserer Organe.“ v. 19.8.1976. Ebenda, HA XX/4 81, Bl. 1 – 8. „Die ungarische religiöse Organisation der Zeugen Jehovas“, „Das Organisationsstatut der religiösen Organisation der Zeugen Jehovas in Ungarn“ („Übersetzung aus dem Ungarischen“), Datum unbekannt, wahrscheinlich 1980er-Jahre. 118  Auf Empfehlung der ungarischen Botschaft in Washington wurde 1987 ein Vertreter der Mormonen vom Staatssekretariat für Kirchenfragen empfangen. Infolge der Besprechungen kam es am 1.6.1988 zur Anerkennung. Balogh/Gergely, Állam, S. 1213 f. Siehe auch: http://www.jezuskrisztusegyhaza.hu/hirek/cikk-nezet/archive/2010/october/article/ magyarok-segitenek-az-egyhaz-felviragzasaban-a-kommunizmus-utan.html (Zugriff am 5.2.2014). Vgl. auch MOL, XIX-A-21-a-11-h-1987, Bl. 1 – 17, XIX-A-21-a-11 – 4-j-1987, Bl. 4 f. Auch in der DDR erhielten die Mormonen mehr Freiheiten. Bereits 1985 war in Freiberg, Sachsen, der erste Tempel in einem sozialistischen Land eingeweiht worden. Vgl. Dirksen, Keine Gnade, S. 862. Der ungarische Staatssicherheitsdienst hat sich vor der Anerkennung noch im September 1987 mit dem Staatssekretariat für Kirchenfragen in der DDR über die mit der Tätigkeit der Mormonen gemachten Erfahrungen informiert. MOL, XIX-A-21a.11.h.i.1987, Bl.  1 – 8. 116  Bundesarchiv,

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de ein.119 Als einen der letzten Akte des Staatskirchenamtes wurde im Juni 1989 die gesetzliche Registrierung der Zeugen Jehovas, der Neuapostolischen Kirche, der Hit-Gyülekezet (Glaubens-Versammlung) und der Krishna-Gemeinschaft auf der Basis des GA XLIII/1895 zur Religionsfreiheit und XXXIII/1947, mit dem die Unterschiede der „rezipierten“ und „gesetzlich anerkannten“ Kirchen aufgehoben worden waren, vorgenommen.120 Das Staatsamt für Kirchenfragen wurde mit Verordnung XIV des Ministerpräsidenten am 30. Juni 1989 aufgelöst.121 Noch vor der gesetzlichen Anerkennung der Zeugen Jehovas hatte der Justizminister zum 1. März 1989 alle 70, sich noch „aus Gewissens- bzw. Glaubensgründen“ in Haft befindlichen Militärdienstverweigerer, „davon die überwiegende Mehrheit Zeugen Jehovas“ zu begnadigen und aus der Haft zu entlassen. Grund dafür waren geplante Änderungen der Verfassung und des Militärgesetzes.122

B.  Nach dem Systemwechsel Mit dem Systemwechsel wurde eine Totalrevision der Verfassung von 1949 vorgenommen.123 Der neue Wortlaut vom 23. Oktober 1989 in Verbindung mit Religionsfreiheit liest sich wie folgt: „Artikel 60 (1) In der Ungarischen Republik hat jeder das Recht auf die Freiheit des Gedankens, des Gewissens und der Religion. (2) Dieses Recht beinhaltet die freie Wahl oder Bekenntnis zu einer Religion oder einer anderen Gewissensüberzeugung und die Freiheit, die eigene Religion oder Überzeugung im Wege religiöser Handlungen, Liturgien oder auf eine andere Weise sowohl individuell als auch gemeinschaftlich öffentlich oder in einem privaten Kreis zu offenbaren oder nicht zu offenbaren, diese auszuüben oder zu lehren. (3) In der Ungarischen Republik sind Kirche und Staat voneinander getrennt.“ Ge119  Alternative Gewerkschaften, kleine Oppositionsgruppen, politische Organisationen mit bürgerlichen Zielsetzungen. 120 MJTA, Beschluss des Staatsamtes für Kirchenfragen IV/1989, 21.6.1989. Balogh/ Gergely, Állam, S. 1222 f. Dem Staatsamt zufolge stand man seit 1985 mit verwantwortlichen ungarischen Zeugen Jehovas in Verhandlung. Auch deutsche und amerikanische Vertreter der Gemeinschaft wurden herangezogen. Vgl. MOL, XIX-A-21-a-Sz-11 – 16/1986, Bl. 1 ff. Hier über Gespräche mit „Villi Pool [Willi Pohl]“ im November 1986. Ferner Ebenda, XIX-A-21a-9 – 1/1989, Bl. 1 – 23. Zu Verhandlungen bezüglich der Hit-Gyülekezet vgl. Ebenda, XIX-A-21-a-9 – 13/1988, Bl. 2,4, 5 f., 14 – 19, 22, 55. 121 Ebenda. Béládi, László: Kitekintő magyar kronológia 1944 – 2000 [Ausgewähltes der ungarischen Chronologie 1944 – 2000]. http://magyarkronologia.terrorhaza.hu/1989/junius. html (Zugriff am 13.12.2013). 122  Varjú, Grigyes: Alternatívok és alternatívák a seregben [Alternative und Alternativen beim Heer]. In Ország  – Világ [Land  – Welt]. v. 29.3.1989, S.  35  f. 2004 wurde in Ungarn eine Berufsarmee eingeführt. Vgl. Jakus, János: A Magyar Honvédség a rendszerváltástól napjainkig [Die Ungarische Honvéd vom Systemwechsel bis heute]. In: Hadtudomány [Militärwissenschaft], v. 5.1.2005. http://www.zmne.hu/kulso/mhtt/hadtudomany/2005/1/2005_1_5.html (Zugriff am 25.2.2014). 123  Bos, Ellen: Verfassungsgebung und Systemwechsel. Die Institutionalisierung von Demokratie im postsozialistischen Osteuropa. Wiesbaden 2004, S. 211 – 278, hier S. 259.

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Kap. 7: Weitere Entwicklungen

mäß der Verfassung waren alle Kirchen gleich zu behandeln, der Staat traf keine institutionellen Übereinkünfte mit einzelnen Kirchen.124 Zur Umsetzung der verfassungsrechtlich geregelten Religionsfreiheit erging schon am 12. Februar 1990 das Gesetz IV/1990 „zur Gewissens- und Religionsfreiheit, sowie zu Kirchen“. In der Einleitung des Gesetzes heißt es kennzeichnend zur neuen Sichtweise und der Rolle religiöser Einrichtungen: „Die ungarischen Kirchen, Konfessionen, religiösen Gemeinschaften sind in der Gesellschaft von überragender Wichtigkeit, sind Wertträger und gemeinschaftsbildende Faktoren.“ Paragraf 1 des Gesetzes erhebt die Gewissens- und Glaubensfreiheit zu einem grundlegenden Menschenrecht, dessen ungestörtes Funktionieren die ungarische Republik zusichert – und das nicht nur ungarischen Staatsbürgern, sondern allen, die unter der Jurisdiktion der ungarischen Republik standen. § 2 „Das Recht auf Gewissens- und Religionsfreiheit beinhaltet die freie Wahl und Annahme einer Religion bzw. Gewissensüberzeugung und die Freiheit, seine Religion oder Überzeugung durch religiöse Tätigkeiten, Verrichten von Zeremonien oder auf andere Weise – ob persönlich oder gemeinsam mit anderen – öffentlich oder privat zu manifestieren oder es zu unterlassen, auszuüben und zu lehren.“ In Übereinstimmung mit der Verfassung § 60, Art. 2. Abs. 2 konnte die Verbreitung der Religion oder der Gewissensüberzeugung auch über Massenmedien vorgenommen werden. Nach § 3 durfte niemand wegen seiner Religion, Überzeugung und seiner diesbezüglichen Tätigkeit benachteiligt oder auf irgendeine Weise bevorzugt werden. Paragraf 4 besagte, dass bei der Ausübung seiner Religion niemand gehindert werden darf, allerdings müsste er seinen staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen. Nach GA XXI/1997 durfte die „allgemeine Wehrpflicht“ auch durch Zivildienst abgegolten werden. Nach Paragraf 8 (1) durfte, wer die gleichen Glaubensgrundsätze verfolgte, zum Ziel der Religionsausübung eine autonome (selbstverwaltende) religiöse Gemeinschaft, Religionsgemeinschaft bzw. Kirche ins Leben rufen. Einschränkungen regelte Absatz (2): Es durfte nicht gegen Verfassung und Gesetze verstoßen werden. Zur Registrierung als Kirche schrieb Teil II des Gesetzes, § 9 vor, der Kirche müssten wenigstens 100 natürliche Personen angehören – was allgemein eine verhältnismäßig kleine Hürde darstellte. (2) In den Statuten bzw. inneren Gesetzen müssten grundlegende Angaben wie Name, Sitz, organisatorischer Aufbau der Kirche enthalten sein. Das Gesetz stellte nur minimale Anforderungen an die religiösen Gemeinschaften.125 Zur Trennung von Staat und Kirche gemäß § 60 Absatz 3 Verfassung legte das Gesetz in § 15 (2) fest, dass der Staat keinen Einfluss auf die inneren Gesetze und Vorschriften einer Kirche hat und nach (3) die Kirchen gleiche Rechte und gleiche Pflichten hatten. Paragraf 16 fügte hinzu, der Staat habe nicht das Recht, Organe zur Führung und Überwachung einzurichten. Diese rechtlichen Grundlagen sicherten den Kirchen völlige Autonomie zu. Bezüglich des Vermögens führte § 18 aus: Das Vermögen der Rechtsperson Kirche setzt sich vor allem aus Spenden und Zuwendungen der natürlichen Personen, 124  125 

http://www.verfassungen.eu/hu/verf49 – 89-i.htm (Zugriff am 12.12.2013). Gergely/Balogh, Állam, S. 1234 ff.

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der Rechtspersonen, der Organisationen, die keine Rechtsperson darstellen bzw. kommt aus den bezahlten Leistungen der Kirche. Man durfte auch Spenden sammeln. Nach (2) konnte eine Kirche zur Erreichung ihrer Ziele wirtschaftliche Unternehmungen ausführen, Unternehmen gründen, Gesellschaften ins Leben rufen bzw. sich daran beteiligen. Paragraf 22 sieht vor, dass die gesetzlich anerkannten Religionsgemeinschaften als Organisationen eingetragen werden. Wer widerrechtlich in die Religionsfreiheit eingriff, konnte gemäß § 23 belangt werden. Zum Beispiel waren Geldstrafen für das Stören von Gottesdiensten vorgesehen, Haftstrafen bei Einschränkung der Gewissensfreiheit oder der Ausübung der Religionsfreiheit mittels Gewalt und durch Bedrohung. Mit § 24 (4) wurden dann auch die Gesetze XLIII/1895 außer Kraft und XXXIII/1947 gesetzt. Auf der Basis dieses Gesetzes konnten sich Gemeinschaften gesetzlich registrieren lassen. Dieses umfassende Gesetz kann man als modernes Pendant zu GA XLIII/1895 sehen. Darin wurden wohl all die Visionen Wirklichkeit, die die Gründerväter des Gesetzes der Religionsfreiheit des 19. Jahrhunderts hatten – und das nicht nur theoretisch, sondern praktisch. Damit war Ungarn ein Musterbeispiel in den ehemaligen sozialistischen Ländern für die Umsetzung verfassungsrechtlich garantierter Gewissens- und Religionsfreiheit.126 Schon im Jahr 1991 wurde dann die neu etablierte Religionsfreiheit auf die Probe gestellt. Zusammen mit dem evangelischen Geistlichen János Szeverényi und dem Baptisten Győző Dobner gründete der reformierte Geistliche Géza Németh die Organisation „Segitő Barát Munkaközösség“ (Arbeitsgemeinschaft Helfender Freund), mit der sie die Gesellschaft von „dämonischen Gruppen“ reinigen wollten. Die Aktivitäten von Németh liefen ungefähr wie folgt ab: Er äußerte sich auf Pressekonferenzen, Foren, die sich mit Kirchenfragen beschäftigen, pseudowissenschaftlichen Veranstaltungen über angebliche schädliche Tätigkeiten bestimmter religiöser Gemeinschaften. Dann wandte er sich an Journalisten, mit der Bitte, einen Aufruf zu publizieren, wonach sich alle Bürger, Eltern, die Probleme haben, bei der Gemeinschaft melden sollten. Im Zusammenhang damit hielt er Beschwerdetage ab. Einige Beschwerden gingen ein, die er als Beweis für die „Destruktivität“ kleiner Religionsgemeinschaften an die Presse und Politiker weitergab. Er verlangte eine Antisekten-Pressekampagne und die Einschaltung der Straforgane.127 Stereotype Vorwürfe wie die Zerstörung von Familien, die finanzielle 126 Ebenda. Schanda, Balázs: Ungarisches Staatskirchenrecht 15 Jahre nach der Wende. In: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht. Bd. 52, Heft 3, September 2007, S. 560 – 570, hier S. 562 ff. 127  Magyar Hírlap [Ungarische Zeitung] v. 2.2.1994: „Németh Zsolt a ‚desztruktív szektákról‘. Az egyházaknak nem jár alanyi jogon költségvetési támogatás“ [Zsolt Németh über die „destruktiven Sekten“. Die Kirchen haben kein Recht auf finanzielle Unterstützung]. In dem Artikel wird erwähnt, dass die Fidesz-Partei die Ansicht Némeths bezüglich der finanziellen Unterstützung teilt. In einem Leserbrief äußerte sich Géza Németh persönlich unter der Überschrift „Különös házsasság [Sonderbare Eheverbindung]“ in Magyar Hírlap v. 11.8.1993. Darin betonte er nochmals, dass die Einstellung und die Lebensweise der Krishna-Anhänger „nicht mit der europäisch-ungarischen Kultur harmonisierbar ist“.

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Ausbeutung der Mitglieder oder Verdacht auf Straftaten durch die sogenannten Sekten erinnern an Vorwürfe der 1980-er Jahre gegenüber kleinen Religionsgemeinschaften durch das Staatssekretariat für Kirchenfragen – auch in der Diktion, wie der Label „destruktive Sekten“ zeigt.128 Nach einiger Zeit trennte sich der baptistische Geistliche Dobner, der andauernden Aktivitäten auch in Verbindung mit der Polizei überdrüssig von der Arbeitsgemeinschaft und distanzierte sich öffentlich von der Tätigkeit. Gegenüber dem Magyar Hírlap (Ungarische Zeitung) erklärte er im Mai 1993, keinen einzigen Fall zu kennen, in dem die Organisation „Segitő Barát Munkaközösség“ konstruktive Hilfestellung hätte bieten können.129 Mit der Pressekampagne zielte Németh darauf ab, einen Gesetzesvorschlag zur Einschränkung der Religionsfreiheit durchzusetzen. Tatsächlich schaffte der Gesetzesvorschlag 1992 die Hürde über das Parlament nicht. Das Parlament tat sich insgesamt schwer mit einer Entscheidung aufgrund der Offenheit des Religionsgesetzes. Allerdings bemängelten einige Abgeordnete, dass aufgrund des Gesetzes bereits 50 kleine Religionsgemeinschaften in Ungarn registriert seien, darunter islamische und buddhistische Gemeinschaften, deren Anhänger schwer feststellbar wären. Es gehe darum, „in erster Linie die traditionellen Kirchen zu unterstützen“.130 Némeths Kampagne verzeichnete einen Erfolg: Im Februar 1993 kam es im Parlament zu einem „Destruktive-Sekten-Streit“, in dessen Folge das Parlament am 19. März 1993 die Entscheidung 14/1993.III/19./Ogy. verkündete, mit der die als „destruktiv“ eingestuften kleinen Religionsgemeinschaften nicht mehr finanziell zu unterstützen waren – eine Entscheidung zum Nachteil der kleinen Religionsgemeinschaften, die von verschiedenen Kirchen begrüßt wurde.131 Den Abgeordneten wurden zwei Entscheidungsvarianten vorgelegt. Die Variante A besagte, dass alle eingetragenen Kirchen finanziell unterstützt werden müssten. Sie besagte auch, dass der Staat nicht das Recht habe, über den WahrMit seinem Titel „Sonderbare Eheverbindung“ spielte er auf die Journalisten an, die sich auf die Seite des „intolerantesten religiösen Fanatismus“ stellten, sich gegen die Haltung Némeths äußerten. 128  Szabó, Sándor: „Destruktívak“ [Destruktive]. In: 168 Óra [168 Stunden], v. 17.8.1993. Der Schreiber erinnert an die Verfolgungsgeschichte kleiner Religionsgemeinschaften. 129  Magyar Hírlap v. 18.5.1993: „Német Gézát senki sem állíthatja meg [Géza Német ist nicht zu bremsen].“ 130  Köztársaság [Republik], Nr. 8, 1993 berichtet unter der Rubrik „Parlament“ und der Überschrift „Az ige ára [Preis des Wortes]“. 131  Az Országgyülés 1993 évi tavaszi ülésszaka február 22 – 23i ülésének jegyzőkönyve (7.  ülésnap) [Sitzungsprotokoll des Parlaments vom 22.-23. Februar, Frühjahrssitzungsperiode 1993 (7. Sitzungstag)]: Spalte 24374 – 24413. „A szociológus szemével: Szekta vagy egy ősi vallás? [Mit den Augen des Soziologen: Sekte oder alte Religion?]“ www.krisna.hu/ szociologus/szekta_vagy_osi_vallas.htm Eingereicht wurde der Vorschlag von einem Vertreter des Magyar Demokrata Fórum (Ungarisches Demokratisches Forum). Magyar Hírlap v. 12.7.1993: „Időkerdés [Zeitfrage]“ erklärte: „Die Großkirchen begrüßen […] die Gesetzesänderung.“ Der Schreiber verwies gleichzeitig auf die Resonanz im Land: „Die Gesellschaft glaubt nicht, dass die größte Gefahr von den als destruktive Sekten abgestempelten kleinen Religionsgemeinschaften kommt.“

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heitsgehalt einer Glaubens- bzw. Gewissensentscheidung zu befinden. Er kann lediglich prüfen, ob die Gesetze eingehalten werden. Bei der Variante B „wird zwischen den Kirchen unterschieden“. Gemäß diesem Vorschlag war die gesellschaftliche Tätigkeit der Kirchen zu berücksichtigen und im Fall von „destruktiven Sekten“ konnte die Unterstützung verweigert werden.132 Zu den betroffenen als „destruktiv“ gekennzeichneten Religionsgemeinschaften gehörten neben der Gemeinschaft für Krishna-Bewusstsein,133 die Scientology-Kirche,134 Moon-Anhänger135 und Jehovas Zeugen. Sie wurden als destruktiv bezeichnet, da „ihre Tätigkeit nicht als direkt nützlich für die Gesellschaft angesehen wird“, wegen „zahllosen Vorwürfen“, „die wir allerdings nur in den Pressenachrichten lesen können“, wonach sich „Eltern und andere darüber beschweren, dass bestimmte Kirchen Jugendliche und andere in eine solche Verbindung oder Abhängigkeit zur Sekte bringen, die man nicht als gesund und richtig ansieht“. Da das Komitee in dieser Frage nicht entscheiden wollte, wurde die Sache dem Parlament vorgelegt.136 Der Abgeordnete und Vorsitzende des Komitees für Menschenrechte, Minderheits- und Religionsangelegenheiten Gábor Fodor, Abgeordneter des Fidesz (Fiatal Demokraták Szövetsége [Bund Junger Demokraten]) erklärte: „Ich glaube unserer aller Auffassung wurde darin bestärkt, […] dass diese Unterstützung und das System der Verteilung […] auf jeden Fall zu ändern ist“.137 Presseberichten zufolge belief sich die „ihnen [also den als destruktiv bezeichnenden Gemeinschaften] zustehende lächerlich geringe Summe von 1,4 Millionen Forint“138, die „man auf die übrigen 31 Gemeinschaften aufteilen“ wolle. Der geringe Betrag legt nahe, dass es den Behörden gar nicht um die finanzielle Seite ging. Vielmehr war man auf dem besten Weg, wieder Kategorien einzuführen, indem man einteilte in Kirchen, denen man vertraute, die mit den allgemeinen Vorstellungen harmonierten, man als nützlich für die Gesellschaft betrachtete und solchen, die nicht darunter fielen, die man daher als destruktiv bezeichnete. Ungewöhnlicher Weise basierte die Entscheidung des Parlaments lediglich auf Presseberichten, wie man selbst feststellte. Die Diskussion um die Ungleichbehandlung wurde in der Presse

132  Ebenda. Parlamentsabstimmung, siehe: Az Országgyülés 1993 évi tavaszi ülésszaka március 8 – 9i ülésének jegyzőkönyve (12. ülésnap) [Sitzungsprotokoll des Parlaments vom 8.-9. März, Frühjahrssitzungsperiode 1993 (12. Sitzungstag)]: Spalte 24958 f. Dirksen, Hungarian Experience, S. 303 f. 133 Die Krishna-Gemeinde wurde noch 1989 vom Staatskirchenamt gesetzlich anerkannt. Zu dieser Zeit hatten sie 50 Anhänger. Kamarás, István: Krisnások Magyarországon. Budapest 1998, S. 52. http://mek.oszk.hu/09100/09127/09127.pdf (Zugriff am 22.2.2014). 134  1991 war die Gemeinschaft als Kirche eingetragen worden. http://mia.szcientologia. org/html/part12/chp37/pg0683-b.html (Zugriff am 22.2.2014). 135 Im Juni 1992 wurde eine Gemeinde in Ungarn eingetragen. http://mek.oszk. hu/02100/02185/html/290.html (Zugriff am 22.2.2014). 136  Sitzungsprotokoll des Parlaments vom 22.-23. Februar 1993, Spalte 24374 – 24377. 137  Sitzungsprotokoll des Parlaments vom 8.-9. März 1993, Spalte 24957 f. 138  Das entsprach ungefähr 8 700 DM.

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umfangreich kommentiert, wobei sich Presse, Öffentlichkeit, Behördenmitarbeiter und auch Kirchen für Religionsfreiheit aussprachen.139 Die diskriminierten Kirchen wandten sich an das Verfassungsgericht mit Verweis auf Artikel 70a der Verfassung, der lautet: „Die Ungarische Republik gewährt allen Personen, die sich auf ihrem Staatsgebiet aufhalten, die Menschen- beziehungsweise Bürgerrechte ohne Rücksicht auf ihre Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politische oder sonstige Überzeugung, nationale oder soziale Zugehörigkeit, Vermögensverhältnisse, Abstammung oder sonstigen Verhältnisse.“140 Dabei ging es den betreffenden Gemeinschaften schon Anbetracht des geringen Betrages wohl weniger um die pekuniäre Unterstützung, als vielmehr um die Ungleichbehandlung und um die herabwürdigende Bezeichnung als Sekte. Dieser Ungleichbehandlung würden weitere folgen, es war nur eine Frage der Zeit, bis weitere Religionsgemeinschaften betroffen wären. Am 14. Dezember 1993 wies das Verfassungsgericht den Antrag wegen Unzuständigkeit zurück. Das Gericht erklärte, nur für die Endkontrolle staatlicher juristischer Mittel in Bezug auf ihre Verfassungsrechtlichkeit zuständig zu sein, hier aber handele es sich nicht um eine normative Entscheidung.141 Allerdings erklärte das Gericht in einem weiteren Urteil vom 4. September 1996, es handle sich bei der Bezeichnung „destruktive Sekte“ zwar lediglich um eine Meinungsäußerung, die gemäß Verfassung zur Meinungsfreiheit des Parlamentes gehöre, machte aber gleichzeitig darauf aufmerksam, dass die Persönlichkeitsrechte Dritter durch Entscheidungen des Parlaments oder seiner Institutionen nicht verletzt werden dürften. Dagegen könnte von Religionsgemeinschaften rechtlich vorgegangen werden.142 Die aufgrund der Sektenkampagne noch unter der Regierung József Antalls (1932 – 1993)143 durchgeführten Untersuchungen konnten keinerlei Verdacht auf Straftaten bestätigen. Den Behörden waren keine Gesetzesübertretungen bekannt. Es wurde deutlich, dass die Tätigkeit der betreffenden Religionsgemeinschaften nicht gegen Gesetze verstieß und in ihren Kreisen nicht mehr 139  Z. B. Magyar Hírlap v. 3.5.1993: Szakmai szimpózium a szektákról. „Ember és isten közé ne álljon az állam“ [Fachsymposion zu Sekten. „Zwischen Mensch und Gott hat der Staat nichts zu suchen“]. Magyar Hírlap v. 8.5.1993: Evangélikusok az egyházi törvény módosításról [Evangelen zur Änderung des Kirchengesetzes], wobei sich die evangelische Kirche für Religionsfreiheit und gegen eine Diskriminierung durch den Begriff „destruktiv“ aussprach. Kurír v. 6.7.1993: Nyilvánosság a vallásszabadságért [Die Öffentlichkeit ist für Religionsfreiheit]. Magyar Hírlap v. 3.2.1994: Kilényi Géza alkotmánybíró: nem lehet alaptalanul diszkriminálni egyházakat [Verfasssungsricher Géza Kilényi: Es ist nicht erlaubt Kirchen grundlos zu diskriminieren]. 140 Verfassungstexte Ungarns. http://www.verfassungen.eu/hu/verf49  –  90-i.htm (Zugriff am 22.12.2013). 141  Urteil des Ungarischen Verfassungsgerichts, Az. 439/B/1993. UaP Karlheinz Hart­ kopf. 142  Urteil des Ungarischen Verfassungsgerichts, Az. Pfv. IV.22.499/1995/4. Ebenda. 143  József Antall wurde Ministerpräsident der ersten frei gewählten Regierung nach der Wende.

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„destruktive“ Kriterien nachzuweisen waren wie in der Gesellschaft im Allgemeinen bzw. den historischen Kirchen. Damit war die Thematik nach rund einem Jahr wieder vom Tisch. In der Zeit der sozialistischen-freien Demokraten konnten die Religionsgemeinschaften verhältnismäßig ruhig tätig sein, wenngleich Gyula Horn (1932 – 2013) Antalls Kirchenpolitik weiterführte, in deren Mittelpunkt die Privilegierung der historischen Kirchen stand.144 Im Jahr 2001 wurde dann ein Vorschlag zur Gesetzesänderung eingebracht, der die Registrierung als Kirche betraf: Wenigstens 10 000 Mitglieder sollten nötig sein bzw. die Gemeinschaft sollte mindestens 100 Jahre in Ungarn („történelmi“/historisch) tätig sein, bevor sie eine Rechtsperson werden könne. Dieser Gesetzesvorschlag gelangte auch auf die Tagesordnung des Parlaments, wurde aber ohne große Verhandlung abgelehnt.145 Dieser Anspruch stellte zwar für viele der Gemeinschaften kein Problem dar. Mittlerweile verfügten die STA über mehr als 11 000, Jehovas Zeugen fast 13 000 Anhänger, für viele kleinere Gemeinschaften wie die Hit-Gyülekezet146 mit über 8 000 Mitgliedern, die erst seit kurzer Zeit bestand, die buddhistische Kirche mit über 2 000, die Pfingstgemeinden mit etwa 1 000 Anhängern und für viele andere Gemeinschaften allerdings schon.147 Die rechtskonservative Regierung148 des Fidesz-Magyar Polgári Szövetség (Fidesz-Ungarischer Bürgerbund, Fidesz-MPSZ), kurz Fidesz,149 brachte die Frage wieder auf den Tisch, wobei sie forderte die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Kirche und Zulassung ihrer Tätigkeit an „ihre tatsächliche gesellschaftliche Unterstützung und ihr historisches Heimatrecht zu knüpfen“.150 Weitere Diskussionen folgten, inwiefern nicht tatsächlich Einschränkungen auferlegt werden müssten, da sonst zu viele Gemeinschaften gebildet würden. Verschiedenerseits wurde wieder die Einrichtung von Kontrollinstanzen gefordert, die Einrichtung eines ungarischen Kirchenrats, oder die Heranziehung des Weltkirchenrats zur qualitativen (z. B. das Vorhandensein einer traditionellen Lehre be-

144  Noszlopy-Gyömrői, Gergely: Ki áll az őrület határán [Wer an der Grenze des Wahnsinns steht]. In: Hetek, 3. Jg., Nr. 21. V. 29.5.1999. www.epa.osyk.hu (Zugriff am 10.10.2005). 145  [origo] itthon [Zuhause]: Újabb javaslat az egyháztörvény szigorítására [Neuer Vorschlag zur Einschränkung des Kirchengesetzes]. Vom 20.11.2001. http://www.origo.hu/itthon/20011120mdfes.html. (Zugriff 10.10.2005). 146  HIT Gyülekezet [Glaubensgemeinde]. 147  Tömöry, Ákos: „Desztruktív“ Egyházak. Nem jogerős végítélet. [„Destrukive“ Kirchen. Das Endurteil ist nicht rechtskräftig]. EgyHázi átok [Fluch der Kirche]. In: Heti Világgazdaság [Wöchentliche Weltwirtschaft] v. 20.3.1993, S.  70  f. WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1993. Selters/Ts. 1992, S. 41 f. 148  Seit 2010 Regierungspartei. 149 1988 gegründet und ursprünglich Oppositionspartei intellektueller Liberaler. Seit 2003 Umbenennung Fidesz-MPSZ. 150  Baranyi, Tibor Imre: Néhány szempont a magyarországi egyházak minőségi megítéléséhez [Einige Gesichtspunkte zur qualitativen Beurteilung der ungarischen Kirchen]. www.tradicio.org/baranyi/egyhazmin.htm (Zugriff am 15.10.2010).

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treffend) und quantitativen Kategorisierung der religiösen Gruppierungen, die als Kirche anerkannt werden wollen.151 Der Fidesz stellte in Koalition mit der Kereszténydemokrata Néppárt (Christlich Demokratischen Volkspartei) seit April 2010 eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, einseitig sogar Verfassungsänderungen im Parlament zu beschließen, da dafür diese Quote Voraussetzung war. Prinzipiell sollte durch diese Regelung ein Minderheitenschutz gewährleistet werden. Schon am 25. April 2011 wurde eine neue Verfassung, als Ungarns Grundgesetz (Alaptörvény) bezeichnet, erlassen. Allein die Bezeichnung „Grundgesetz“ soll die Verbundenheit der Gesetzgeber mit der historischen ungeschriebenen Verfassung der Heiligen Krone widerspiegeln – Kontinuität alter Traditionen, Bruch mit nicht-traditionellen Rechtsauffassungen.152 Darüber hinaus wurde in der Präambel dem Christentum eine nationserhaltende Rolle zugeschrieben. Ferner hieß es: „Wir bekennen uns dazu, dass der wichtigste Rahmen unseres Zusammenlebens Familie und Nation, die grundlegenden Werte unserer Zusammengehörigkeit Treue, Glaube und Liebe sind.“153 Diese Vorgaben, Rahmenbedingungen und –bestimmungen geben dem Grundgesetz einen national-christlichen Anstrich und sind Vorzeichen einer entsprechenden Interpretation und möglichen Einschränkung von Grundrechten. Artikel VII garantierte zwar Religionsfreiheit, wenn es in Absatz (1) heißt: „Jede Person hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die freie Wahl oder Änderung der Religion oder anderer Weltanschauung und die Freiheit, seine Religion oder andere Weltanschauung durch die Ausübung von religiösen Handlungen, Zeremonien oder auf sonstige Art und Weise einzeln oder gemeinsam mit anderen, öffentlich oder privat zu offenbaren oder von deren Offenbarung abzusehen, diese auszuüben oder zu lehren.“154 Allerdings bestimmte Absatz (3), dass „detaillierten Regeln, die sich auf die Kirchen beziehen, […] durch ein Schwerpunktgesetz festgelegt“ werden sollen, was Raum für Interpretation und Einschränkung gibt, zumal ein solches Gesetz mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann. Im Juli 2011 wurde dann ein neues Gesetz über das „Recht zur Religions- und Gewissensfreiheit sowie Rechtsstellung der Kirchen, Religionskonfessionen und Religionsgemeinschaften“, Kirchengesetz genannt, durch das ungarische Parla151 Ebenda.

152  Meinte man hier einen Bruch der kommunistischen Verfassung, würde man auch mit den aus dieser Zeit noch existierenden Zivil- und Strafgesetzen brechen müssen. Andererseits würde eine Fortsetzung der historischen Verfassung die Frage aufwerfen, wie mit den alten Ständeregeln in einer modernen Staatsform zu verfahren war. Vgl. Jakab, András/ Sonnevend, Pál: Kontinuität mit Mängeln: Das neue ungarische Grundgesetz. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV), Bd. 72, 2012, S. 79 – 102, hier S. 85. 153  Ebenda. „Wir erkennen die Rolle des Christentums bei der Erhaltung der Nation an. Wir achten die unterschiedlichen religiösen Traditionen unseres Landes.“ 154 Grundgesetz Ungarns. www.kormany.hu/download/7/81/40000/Grundgesetz%20 Ungarns%202011.pdf. (Zugriff am 20.12.2013).

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ment verabschiedet. Mit dessen Inkrafttreten sollten 14 Kirchen und Gemeinschaften gesetzlich anerkannt werden. Über die anderen kleinen Gemeinschaften sollte später das Parlament entscheiden. Dafür mussten die Gemeinschaften u. a. in erster Linie einer religiösen Tätigkeit nachgehen. Sie brauchten ein Glaubensbekenntnis und Rituale, Statute und mussten mindestens zwanzig Jahre in Ungarn tätig und als Verein eingetragen sein. Das Verfassungsgericht kippte das Gesetz im Dezember 2011 als verfassungswidrig. Einige Tage später passierte es erneut das Parlament als GA CCVI155 und die gesetzlich anerkannten Gemeinschaften wurden wie geplant auf 14 reduziert.156 Erst mit der Ergänzung durch GA VII/2012 fügte das Parlament weitere 13 hinzu.157 Mit dem „Zweidrittelhammer“158 setzte Orbáns Regierung im März 2013 eine ganz wesentliche Verfassungsänderung durch: Sie beschloss die Einschränkung der Befugnisse des Verfassungsgerichts, das demzufolge Änderungen der und Zusätze zur Verfassung nur noch verfahrensrechtlich, aber nicht mehr inhaltlich prüfen darf. Das Verfassungsgericht hatte zuvor zum Beispiel das 2011 ebenfalls durch eine Zweidrittelmehrheit durchgesetzte umstrittene Mediengesetz, das die Pressefreiheit weitgehend einschränkt, als verfassungswidrig eingestuft und Orbán zu Nachbesserungen gezwungen.159 Mit der Beschneidung der Macht des Verfassungsgerichts ließ Orbáns Regierung auch als verfassungswidrig eingestufte Gesetze rechtskräftig werden, indem es sie kurzerhand in die Verfassung aufnahm. Verwiesen sei hier auch auf das Gesetz, das Sperrzonen für Obdachlose vorsieht.160 155 GA CCVI/2012.

http://net.jogtar.hu/jr/gen/hjegy_doc.cgi?docid=A1100206.TV (Zugriff am 10.12.2013). 156  Dazu gehörten neben den seit langem rezipierten historischen Kirchen und der baptistischen Kirche die HIT-Gyülekezet. 157  Das betraf die methodistische Kirche, die Pfingstgemeinde, die anglikanisch-episkopale Kirche, die Erdélyi Gyülekezet [Siebenbürgener Versammlung], die STA, die koptisch-orthodoxe Kirche, die islamische Gemeinschaft, die Nazarener, die Krishna-Gemeinschaft, die Heilsarmee, die Mormonen, die Zeugen Jehovas und die Buddhisten. Baer, H. David: Continuing Problems with Hungary’s Law on Religion. http:// uk.upf.org/index.php?option=com_content&view=article&id=625:continuing-problems-with-hungarys-law-on-religion&catid=73:elc&Itemid=195, http://www.parlament.hu/ irom39/05839/05839.pdf, Jogi Fórum [Rechtsforum] http://www.jogiforum.hu/torvenytar/ tv/2012/VII (Zugriff am 20.1.2014). Die 1993 als „destruktive Sekte“ angegriffene Scientologische Gemeinschaft befindet sich nicht unter den anerkannten Gemeinschaften und wird demgemäß nicht als Kirche angesehen. 158  Löwenstein, Stephan: Victor Orbán in Berlin: Der Mann mit den Zweidrittelhammer. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.net, 11.10.2012. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/victor-orban-in-berlin-der-mann-mit-dem-zweidrittelhammer-11921204.html (Zugriff am 15.1.2014). 159  Salzen, Claudia von: Ungarn: Noch eine gelenkte Demokratie. In: Der Tagesspiegel. E-Paper, 13.3.3013. http://www.tagesspiegel.de/meinung/ungarn-noch-eine-gelenkte-demokratie/7917164.html (Zugriff am 20.2.2014). 160  Mappes-Niediek, Norbert: Obdachlose in Ungarn: Weg von der Straße. In: Frankfurter Rundschau, fr-online, 23.3.2013. http://www.fr-online.de/politik/obdachlos-in-ungarnweg-von-der-strasse,1472596,22241408.html (Zugriff am 20.2.2014). Bognár, Peter: Un-

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Kap. 7: Weitere Entwicklungen

Auf diese Weise hatte das Verfassungsgericht, das die Gesetze 2012 noch als verfassungswidrig gekippt hatte, keine Chance mehr, dagegen vorzugehen.161 Interessant ist, dass die neue Verfassung von Orbán zwar die „stalinistische“ von 1949 ablöste, die in völlig überarbeiteter Form nach dem Systemwechsel noch gültig war. Gleichzeitig stellte sie jedoch selbst, wie der Verfassungsrechtler Herbert Küpper erklärte, „eine gewisse inhaltliche Rückkehr zu Positionen des Kádárismus“ dar, und damit zu „einer verbindlichen Staatsideologie, gekennzeichnet durch einen der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und privaten Freiheit Schranken setzenden paternalistischen ‚Überstaat‘ sowie abgeschwächte checks and balances“. Damit vertritt die neue Positionen, die die alte Verfassung bereits überwunden hatte.162

garn: Victor Orbán hebelt das Verfassungsgericht aus. In: DiePresse.com, 12.3.2013. http:// diepresse.com/home/politik/aussenpolitik/1354888/Ungarn_Viktor-Orban-hebelt-das-Verfassungsgericht-aus (Zugriff am 15.1.2014). 161  Zum Beispiel: dpa: Verfassungsgericht kippt Orbáns Wahlrechtsreform. In Frankfurter Allgemeine Zeitung, FAZ.net, vom 4.1.2013. http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/ ungarn-verfassungsgericht-kippt-orbans-wahlrechtsreform-12014321.html (Zugriff am 9.12. 2013) fdi/dpa: Ungarn: Regierungschef Orbán will Verfassungsgericht entmachten. In: Spiegel-online, vom 10.2.2013. http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-regierungschef-orban-will-verfassungsgericht-entmachten-a-882486.html 162  Bruchmann, Mathias: Vom Musterknaben zum Sorgenkind – Wo steht Ungarn heute? In: beck-blog. Die Experten, v. 5.11.2011. http://blog.beck.de/2011/08/05/vom-musterknaben-zum-sorgenkind-wo-steht-ungarn-heute (Zugriff am 10.12.2013).

Kapitel 8 8:

Resümee – Thesen – Entwicklungen Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

Die Freiheit, seine Glaubensüberzeugung jederzeit selbst zu bestimmen und auszuüben, gilt als kostbares, schwer erkämpftes Gut, an dessen Garantie und Gewährung sich ein Staat messen lassen muss. Religionsfreiheit gleicht anerkanntermaßen einem Prüfstein für die Garantie von Menschenrechten in einem Land. Heiner Bielefeldt, Sonderberichterstatter des UN-Menschenrechtsrats, konstatierte: „Bei der Religionsfreiheit – mit vollem Namen ‚Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Weltanschauungsfreiheit‘ – geht es darum, den Menschen als Träger von grundlegenden Überzeugungen zu respektieren und damit eingehend von individuellen und gemeinschaftlichen Praktiken. Hier geht es um Respekt vor der Vielfalt der identitätsstiftenden Überzeugungen von Menschen. Insofern ist die Religionsfreiheit tatsächlich ein Prüfstein für das Klima einer Gesellschaft, für Offenheit, für den Umgang miteinander, für die Menschenrechtskultur in einem Land. Ohne Religionsfreiheit sind Menschenrechte nicht zu haben.“1 Wo Religionsfreiheit herrscht, wo man Religionsgemeinschaften, einschließlich religiöser Minderheiten, paritätisch behandelt, werden im Allgemeinen auch die Meinungs-, Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wie auch Persönlichkeitsrechte hochgehalten – und umgekehrt: Wird die Religionsfreiheit eingeschränkt, werden Minoritäten diskriminiert, ist das häufig auch ein Zeichen für insuffizienten Umgang mit Menschenrechten. Auch das Verbot von Folter bzw. Misshandlungen oder schlicht die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz kohärieren unmittelbar mit der Anerkennung und Gewährung freiheitlicher Rechte.2 Obgleich Religionsfreiheit und Menschenrechte in der Verfassung der meisten Länder fest verankert sind, 1  Interview von Radio Vatikan mit Heiner Bielefeldt vom 25.11.2012. http://www.vaticanhistory.de/wordpress/?cat=402&paged=3 (Zugriff am 24.11.2013). 2  Besier, Gerhard: „The First of our Liberties … a lustre to our County.“ Zum Verständnis der Religionsfreiheit in den Vereinigten Staaten von Amerika. In: Ders. (Hrsg.): Religionsfreiheit und Konformismus: über Minderheiten und die Macht der Mehrheit. Münster 2004, S. 27 – 48, hier S. 31. Dirksen, Hans-Hermann: All over the World Jehovah’s Witnesses are the Touchstone for the Existence of True Democracy. Persecution of a Religious Minority in the German Democratic Republic. In: Religion, State & Society, 2006, Jg. 34, Nr. 2, S. 127 – 143. Huber, Wolfgang: Religionsfreiheit und offene Gesellschaft – ein Prüfstein aktueller Dialoge in Europa. In: epd-Dokumentation 30/2004, S. 20 – 26. Höver, Gerhard: „Das Recht der Person und der Gemeinschaften auf gesellschaftliche und bürgerliche Freiheit in religiösen Dingen“. Zur Grundlegung und Konkretisierung der Religionsfreiheit im Verständnis der katholischen Kirche. In: Kress, Hartmut (Hrsg.): Religionsfreiheit als Leitbild: Staatskirchenrecht in Deutschland und Europa im Prozess der Reform. In der Reihe: Ethik Interdisziplinär, Bd 5. Münster 2004, S. 59 – 79, hier S. 73.

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

wird die Verfassungswirklichkeit oft von anderen Faktoren gestaltet. Dieser Umstand zeigt sich auch in der vorliegenden Untersuchung. Historiker verweisen immer wieder auf die frühe Geschichte Ungarns als prägend für die weiteren Entwicklungen.3 Das Land konnte auf die verhältnismäßig weltoffene Herrschaft seiner Könige und eine bemerkenswerte Religionstoleranz in Siebenbürgen zurückblicken. Die Gesetzgebung von 1848 knüpfte an diesen Geist an. Grundsätzlich reihen sich auch die Religionsgesetze in eine Reihe fortschrittlicher Gesetze in Ungarn ein, wie die zur Gleichheit der rezipierten Religionen, zur Versammlungs- und Pressefreiheit, das Nationalitätengesetz. Auch vor dem historischen Hintergrund muss GA XLIII/1895 international als eines der fortschrittlichsten Verfassungsgesetze seiner Zeit angesehen werden. Im Vergleich dazu war, abgesehen von der Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte 1789 in Frankreich, die Religionsfreiheit in den Niederlanden bereits 1848 und in Dänemark 1849 verfassungsmäßig verankert. Wenngleich Belgien 1831 im Allgemeinen wohl über die liberalste Verfassung Europas verfügte, enthielt sie keine Menschenrechte. In Österreich wurde im Staatsgrundgesetz von 1867 Glaubensfreiheit garantiert, bei nicht anerkannten Gemeinschaften aber auf „häusliche Religionsausübung“ reduziert. Im Vergleich dazu erhielt die Deutsche Reichsverfassung von 1871 gar keine Grundrechte, insofern auch keine Religionsgrundrechte. In der italienischen (eigentlich sardinischen) Verfassung von 1848 und den spanischen von 1845 und 1869 war die katholische Kirche sogar Staatsreligion; in Bulgarien und Rumänien war es bis 1947 die orthodoxe Kirche – eine Regelung, die die Gleichbehandlung anderer Religionen beeinträchtigte. In Norwegen wurde die Religionsfreiheit erst 1964, in Schweden 1974 Bestandteil der Verfassung.4 In Anbetracht der Entwicklungen kommt man allerdings zu dem Schluss, dass es trotz freiheitlicher Gesetze wie der Versammlungs- und Pressefreiheit, des Nationalitätengesetzes, des Gesetzes zur Religionsfreiheit von 1895 im realen Geschehen des ausgehenden 19.  und im 20. Jahrhundert nicht gelang, diese umzusetzen und an der weltoffenen Einstellung der frühen Könige oder dem liberalen Geist der siebenbürgischen Fürsten des 16. Jahrhunderts oder dem der Reformer um 1848 anzuknüpfen. Zu erkennen sind mehr Brüche als Kontinuitäten, nicht zuletzt bedingt durch die konservativ-traditionalistische Herrschaft der Habsburger, an deren Politik durch Reichsverweser Horthy angeknüpft wurde. Dennoch spiegeln die Gesetze des sog. Reformzeitalters den liberalen Geist im 19. Jahrhundert wider. Brachten sie doch die Trennung von Kirche und Staat, die Einrichtung der Vgl. stellvertretend Tomka, Religiöser Wandel, S. 26 – 37. erhielt 1919 seine erste Verfassung, Estland 1920 (Grundgesetz), Lettland und Litauen 1922. Hartung, Fritz/Commichau, Gerhard/Murphy, Ralf (Hrsg.): Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart. 6Zürich 1998, S. 24, 70 – 75, 84 – 87, 107 ff., 112 ff. Rémond, René: Religion und Gesellschaft in Europa. Von 1789 bis zur Gegenwart. München 2000, S. 170 – 188. Brandt, Peter/Daum, Werner/Kirsch, Martin/Schlegelmilch, Arthur (Hrsg.): Quellen zur europäischen Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Teil 2: 1815 – 1847. Bonn 2010, S. 99 – 111, 142 – 147, 485 – 542. http://www. verfassungen.de 3 

4  Finnland

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Zivilehe und die Rezeption der israelitischen Religion. Die verfassungsrechtliche Regelung der Religionsfreiheit von 1895 muss zumindest rechtstheoretisch als ein Meilenstein betrachtet werden. In Deutschland wurde sie erst mit der Weimarer Verfassung garantiert. Mit fortschreitender Rückgewandtheit jedoch, mit zunehmendem Absentieren vom Liberalismus, aber auch unter Einfluss des politischen Katholizismus wurden diese Gesetze mit Verfassungscharakter restringiert, uminterpretiert und konterkariert, wie sich im Fall des Nationalitätengesetzes von 1868 zeigt, aber auch an der Art der Realisierung des Gesetzes zur Religionsfreiheit. Spätestens aber der Erste Weltkrieg und der Vertrag von Trianon und in dessen Folge der Revisionismus besiegelten das Ende des liberalen Geistes des 19. Jahrhunderts. Unter Horthy kam es zum Bruch mit dem Liberalismus. In dieser Zeit galten bei den ungarischen Rechten Begriffe wie Räterepublik, Judentum, Freimaurerei als Synonyme für Liberalismus – und waren damit negativ belegt. Mit zunehmender Radikalisierung wurde Religionsfreiheit im autoritären Regime Horthys nicht nur eingeschränkt, sondern gesetzlich unterbunden und pervertiert. Ganz offensichtlich trugen die nationalistische Ausrichtung, die Pflege des Ungarntums mit Blick auf Großungarn, dem alten Königreich, und in Verbindung damit die Verflechtung von Staat und historischen Kirchen ganz wesentlich zur Einschränkung der religiösen Freiheiten bei. In der Tradition des heiligen Stephan zu bleiben hätte in Wahrheit bedeutet, anderen Nationen, Kulturen und Denkrichtungen Raum zu geben. Hatte er doch um 1000 seinem Sohn und Nachfolger eingeprägt, dass „ein Land, das nur einerlei Sprache und einerlei Sitten hat“, „schwach und gebrechlich“ sei. Genauso wenig entspricht das horthysche Ungarntum dem Geist der siebenbürger Religionsfreiheit bzw. religiösen Toleranz, die Bereitschaft zur multireligiösen Koexistenz. Eigentlich verkörperte das ursprüngliche Ungarntum eben jenen den freiheitlichen Geist, gegen den das revisionistisch definierte „Ungarntum“ ankämpfte. Horthys Religionspolitik knüpft eher an die absolutistische Politik der Habsburger im 18. Jahrhundert an, die durch das „ius reformandi“ nach dem Grundsatz „cuius regio, eius religio“ und der absolutistischen Formel „ein König, ein Gesetz, ein Glaube“ für Glaubenseinheit sorgen und den protestantischen Adel ausschalten wollten. Wobei unter Horthy, der sich als König verstand, die Zugehörigkeit zu einer der historischen Kirchen als „eius religio“ galt, mit dem Ziel, alle anderen mehr oder weniger auszuschalten. Man könnte auch gewisse Anknüpfungspunkte an die habsburgische Religionspolitik im 17. Jahrhundert wie zum Beispiel der „Explanatio Leopoldina“ sehen, die erstmals zwischen öffentlicher und privater Religionsausübung unterschied und die Religionsausübung der Protestanten einschränkte, oder auch am Privatexercitium, der privaten Religionsausübung unter Joseph II oder gar der strengen Zensur „des einheimischen Schrifttums“ bzw. des Verbots der Einfuhr ausländischer Bücher unter Maria Theresia, die den damals unliebsamen Protestantismus geräuschlos bestatten wollte. Sogar „Bethaus“, die an sich diskriminierende Bezeichnung der Habsburger für protestantische Kirchen, die von den ungarischen Behörden bereits in der k. u. k.-Zeit für Zusammenkunfts-

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stätten und Kirchengebäude kleiner Religionsgemeinschaften gebraucht wurde, wurde auch von Horthys Behörden übernommen. Im europäischen Vergleich stand die Horthy-Zeit mit ihrer Koalition mit den historischen Kirchen, besonders der katholischen Kirche, als nationalen Traditionsträger und politischen Bündnispartner, nicht allein da. Auch in Portugals Salazar-Regime, in Piłsudskis Polen oder Francos Spanien spielte die katholische Kirche eine elementare Rolle. Eine Schwächung dieses Bündnispartners wurde von den jeweiligen Systemen nicht toleriert.5 In Spanien z. B. hatte zwar 1931 die Republik mit einer an die Weimarer Verfassung angelehnten Konstitution Religionsfreiheit gebracht, wodurch die katholische Kirche ihre Privilegien verlor – allerdings nur bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges 1936, der wegen der Bedeutung der katholischen Kirche auch als Religionskrieg bezeichnet wird. Über kleine religiöse Gemeinschaften brach eine Welle der Repressionen herein, auch in Verbindung mit der Wehrdienstverweigerung.6 Einen elementaren Faktor im „Ungarntum“ Horthys bildete insbesondere die Militarisierung. Sie bzw. die militärischen Interessen waren Hauptgrund für Beschränkung und schließlich Eliminierung von Menschenrechten. Militärische Interessen führten mit Beginn des Zweiten Weltkriegs zum direkten Terror gegen religiöse Gemeinschaften. Persönlichkeitsrechte wurden ignoriert wie z. B. die Foltermethoden an Zivilisten zeigen, ganz abgesehen von der Verfolgung der Juden. Auch Meinungs- und Pressefreiheit oder Versammlungsfreiheit waren betroffen. In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, der kurzen demokratischen Phase, flammte dann der liberale Geist wieder auf, was sich auch daran zeigte, dass Menschenrechte – und damit auch Religionsfreiheit – verhältnismäßig uneingeschränkt ausgeübt werden konnten. Mit der Einführung der Diktatur Rákosis nach sowjetischem Vorbild wird dann erneut deutlich, wie offiziell verbriefte Rechte zur Makulatur wurden. Freiheitsrechte wurden durch den Terror des Regimes, besonders das Instrument des Staatsschutzes, erstickt. Der liberale Geist scheint aber unter dem Deckel der Diktatur erhalten geblieben zu sein und kam nach der Entstalinisierung mit dem 1956er-Aufstand kurzzeitig zum Ausbruch, wurde dann aber mithilfe der sowjetischen Armee angeführt von János Kádár, niedergedrückt. Auch das Kádár-Regime ließ keine Religionsfreiheit zu, wenngleich die Restriktionen gelockert wurden und Ungarn im Großen und Ganzen mehr Freiheiten einräumte als die anderen sozialistischen Staaten. Doch auch hier zeigt sich einmal mehr die Angst autoritärer Regime vor Freiheiten, die Andersdenkenden Raum geben. Im untersuchten Fall spiegelt sich das in der totalen Kontrolle der Religionsgemeinschaften durch die Staatssicherheitsbehörde wider, aber auch durch 5  Besier, Diktaturen, S. 15 ff., 220 f., 234 ff. Ders./Lübbe, Hermann (Hrsg.): Politische Religion und Religionspolitik: zwischen Totalitarismus und Bürgerfreiheit. Göttingen 2005, S. 95 f. 6  Es ist bekannt, dass z. B. Zeugen Jehovas aus diesem Grund hingerichtet wurden. Be­ sier, Diktaturen, S. 217 – 244. Stokłosa, Franco-Diktatur, S. 629. Pinto, Pedro: Jehovas Zeugen in Portugal während der Diktatur (1926 – 1974). In: Besier/Stokłosa, Europa, S. 513 – 626.

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das Staatsamt für Kirchenangelegenheiten. In den 1980er-Jahren dann begann sich ein liberaler Geist seinen Weg zu bahnen, Reformen wurden eingeleitet. Mit der Öffnung der Grenzen begann Ungarn den Eisernen Vorhang zu demontieren. Und doch war es wiederum erst die Demokratisierung nach dem Mauerfall und die damit einhergehende Gesetzgebung mit der die Freiheiten garantiert und nunmehr tatsächlich realisiert wurden. Ungarn wurde teilweise zunächst zum Musterknaben, zum Vorzeigestaat im Ostblock. Mit der neuerlichen Rechtsorientierung der ungarischen Regierung scheinen jedoch Traditionalisten wieder an Einfluss zu gewinnen. Im Licht des widererstehenden Ungarnkults und der Renaissance des Horthy-Regimes, der Mystifizierung des Reichsverwesers, der auch als „größter ungarischer Staatsmann des zwanzigsten Jahrhunderts“7 bezeichnet wird, erscheinen historische Aufarbeitungen, die den Geist, die Ziele, den Umgang des Regimes mit verfassungsrechtlich garantierten Freiheiten untersuchen, von herausragender Wichtigkeit, um Geschichtsklitterung entgegenwirken und verfassungswidrige Maßnahmen zu verhindern. Erneut wird Religionsfreiheit, der Umgang mit Minderheiten, zum Prüfstein des Systems. Krisztián Ungváry zufolge gestaltet sich die Aufarbeitung der Geschichte in Ungarn selbst als schwierig. Er verweist dabei zum einen auf die „Diktatur des Einparteienstaates, die eine normale Aufarbeitung unmöglich machte“, und zum anderen auf die subjektive Herangehensweise des linken wie auch des rechten Lagers. Beide Seiten würden sich darum bemühen, „nur die für sie ‚günstigen‘ Aspekte der Horthy-Narrative abzuleiten: Die Rechte will die Verbrechen der Linken thematisieren, die Linke anders herum“.8 Ungváry selbst trägt mit seinem Buch zur Aufarbeitung der Geschichte des Horthy-Regimes richtungsweisend bei. Wenngleich es darin vor allem um den Antisemitismus in Ungarn geht, verweist er allgemein auch auf eine radikale Ablehnung des Liberalismus während der Horthy-Zeit. Ungváry macht in seinem Werk ungewöhnlicherweise auch auf Ungarns Verantwortung in der Juden-Frage aufmerksam unabhängig vom Einfluss Deutschlands.9 Insofern stellt die vorliegende Arbeit ein ergänzendes Element, eine eminente Facette der Geschichtsaufarbeitung, dar.

7  Kahlweit, Cathrin: Geschichtsrevisionismus in Ungarn. Verbürgerlichung faschistischer Ideologie. In: Süddeutsche Zeitung, v. 16.7.2012. www.sueddeutsche.de/kultur/ geschichtsrevisionismus-in-ungarn-angst-vor-einer-neuen-mode-1.1392381 (Zugriff am 9.12.2013). Hier wird darauf verwiesen, dass die Zahl derer wächst, die sich zu dieser Aussage bekennen, und konkret Gábor Vona, Jobbik-Parteichef im Parlament, benannt. 8 Interview des Hungarian Voice mit Christian Ungváry vom 5.1.2013: Krisztián Ungváry zum Horthy-Kult: Mystifizierung vs. Hysterie. In: Hungarian Voice. http://hungarianvoice.wordpress.com/2013/01/05/krisztian-ungvary-zum-horthy-kult-mystifizierung-vs-hysterie/ (Zugriff am 9.12.2013). 9  Ungváry, Krisztián: A Horthy-Rendszer Mérlege. Diszkrimináció, Szociálpolitika és Antiszemitizmus Magyarországon. [Die Bilanz des Horthy-Regimes. Diskriminierung, Sozialpolitik und Antisemitismus in Ungarn]. Pécs 2012, S. 187 f., 195, 503.

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A.  Auswirkungen des Vertrages von Trianon Es ist ein Ereignis, das heute noch von sich reden macht und als Politikum genutzt wird:10 Die Zerstückelung Ungarns nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg durch den Vertrag von Trianon – die wohl stärkste Zäsur in der Geschichte Ungarns – abgesehen von der Niederlage gegen die Osmanen bei Mohács 1526. Dieses dramatische Ereignis, die Demütigung durch die Siegermächte, die Existenz „Rumpfungarns“ zerstörte jede Hoffnung auf Anknüpfung an die liberale Politik des vergangenen Jahrhunderts und gab nationalistischen, militärisch ausgerichteten, autoritären Kräften mit dem übermächtigen Ziel einer Revision Trianons immens Vorschub und teilweise starken Rückhalt in breiten Teilen der Bevölkerung. Wenngleich die liberale Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts weiter gültig war, trug das politische Klima zur Rückläufigkeit in der Umsetzung bei, zu einer Abkehr von der liberalen Politik und dem Erbe der 1848er-Idee. Man fühlte sich weit mehr dem Stephanskult als Ausdruck konservativer Monarchie verbunden.11 Nachdem Horthy die Republik zu Fall gebracht hatte, stand sein Regime für Kontinuität der konservativen kaiserlich und königlichen Monarchie. Die liberalen Verfassungsgesetze galten als unangenehme Last, ungewolltes Erbe liberaler Politik. Diese Freiheitsgesetze, wozu auch Presse- und Versammlungsfreiheit gehörte, wurden durch Gegengesetze und –verordnungen zunehmend eingeschränkt und neutralisiert. Die Folgen Trianons könnten in einigen groben Punkten zusammengefasst werden: 1. Autoritäre nationalistische Kräfte kamen an die Macht. Mit der Chance auf Rückgewinnung der Gebiete orientierte man sich zunehmend weiter rechts. Gegenüber dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts (der auch mit Judentum, Freimaurerei gleichgesetzt wurde) manifestierte sich Abneigung. Die Freiheitsrechte blieben in Kraft, schon weil von den Siegermächten per Dekret verordnet. Wahrscheinlich aber hätte man sie auch aufgrund der unvorteilhaften Außenwirkung nicht offiziell außer Kraft gesetzt, sondern lieber unterlaufen. 2. Die Rolle des Militärs wurde gestärkt – wenngleich zunächst wegen des trianonischen Vertrags heimlich oder auf Umwegen. Das Militär entwickelte sich bereits in den 1920er-Jahren immer mehr zu einer Einrichtung, die politisch unzuverlässige Elemente erfasste und überwachte. Darunter fielen u. a. Kommunisten und „Sekten“. Mit den 1930er-Jahren, unter der Gömbös-Regierung und mit der Ausrichtung an Italien und Deutschland, rückten militärische Interessen zunehmend in den Mittelpunkt. 3. Der Erhalt des 10  Vgl. z. B. Thanei, Christoph: 90 Jahre nach Trianon: Träume von „Großungarn“. In: Die Presse.com v. 3.6.2010. http://diepresse.com/home/politik/zeitgeschichte/570922/90-Jahre-nach-Trianon_Traeume-von-Grossungarn (Zugriff am 30.12.2013). Der 4. Juni wurde zum Gedenken an die Unterzeichnung des Vertrages von Trianon an diesem Tag im Jahr 1920 von Orbán gesetzlich zum „Tag des nationalen Zusammenhalts“ der Ungarn in aller Welt erklärt. Verseck, Keno: Viktor Orbán: Die rechten Ideengeber des ungarischen Premiers. In: Spiegel online v. 30.1.2013. http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-orban-und-fidesz-bedienen-sich-bei-der-rechtsextremen-jobbik-a-880084.html (Zugriff am 30.12.2013). 11 Vgl. Klimó, Nation, Konfession, Geschichte, S. 245 – 251, 289 – 315.

A.  Auswirkungen des Vertrages von Trianon

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traditionellen Ungarntums fungierte als vereinender Gedanke den Patriotismus stärkend. Hier kamen die rezipierten christlichen Kirchen als nationale Traditionsträger ins Spiel. Sie bildeten einen verlässlichen Bündnispartner, eine Symbiose, die beiden Seiten nutzte, gleichzeitig aber eine Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften unmöglich machte. Schon früh kam es auch zur Diskriminierung der Juden. Bereits die Ungleichbehandlung durch die Bevorrechtigung der rezipierten christlichen Kirchen stellte einen Bruch zur Religionspolitik des 19. Jahrhunderts dar, von welcher sich sogar der verhältnismäßig liberale Klebelsberg distanzierte, wenn er sagte: „Damals war die Auffassung in Mode, daß eine Mitwirkung der Kirchen in älterer Zeit notwendig gewesen sei, doch sei dies infolge der Entwicklung der Kultur überflüssig geworden. Der Staat sei einerseits mittels Strafrechts imstande, die in seinem Rahmen vereinten Völker zusammenzuhalten. Diese Doktrin wurde jedoch von den Revolutionen, die auf den Weltkrieg folgten, nicht bestätigt, deshalb kann die ungarische nationalistische Kulturpolitik auf die Mitwirkung unserer historischen Kirchen nicht verzichten und unterstützt sie.“12 Die historischen Kirchen nahmen zunehmend eine Schlüsselstellung im Staat ein, nicht zuletzt, weil kirchliche Vertreter in politische Spitzenpositionen eingesetzt wurden. Wie die Untersuchungen zeigen, wurde es Praxis, Kirchenvertreter bei politischen Entscheidungen einzubinden und mit ihnen Rücksprache zu halten. Das Wohl der historischen Kirchen stand für die Behörden im Vordergrund und wirkte sich auf Maßnahmen und Bestimmungen aus. Von einer Trennung von Kirche und Staat konnte keine Rede mehr sein. Im Gegenteil, das Horthy-System stellte die Rechtskontinuität von Staat und Kirche nach dem Fall der Räterepublik wieder her, was auch zu einer katholischen Renaissance führte. 4. Anders als die frühen ungarischen Könige hielt man nach Trianon ausländische, nichtmagyarische Einflüsse für suspekt und störend. Die internationale Ausrichtung der meisten der kleinen Gemeinschaften passte nicht ins Konzept. Gleichzeitig musste das Bild Ungarns, auch aufgrund des Vertrages von Trianon, nach außen gewahrt werden. Man suchte internationalen Anschluss und Integration. Die Orientierung nach und der Einfluss von Deutschland auf Ungarn war wegen der engen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen schon immer verhältnismäßig stark, nicht zuletzt durch die Siebenbürger Sachsen, aber auch durch verwandtschaftliche Beziehungen. Viele ungarische Akademiker, darunter Juristen, hatten in Deutschland studiert und brachten ihr Wissen mit. 5. Aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage nach dem Krieg und wegen der Reparationszahlungen traten wirtschaftliche Interessen in den Vordergrund. Das Gewähren von Freiheiten wurde auch daran bemessen, von welchem Nutzen diese für das Land waren. Das galt auch für die Behandlung kleiner Religionsgemeinschaften. Wirtschaftlich interessanten Gemeinschaften, also Gemeinschaften, die dem Staat Geld brachten oder sich sozial engagierten, wurde ein größerer Tätigkeitsspielraum eingeräumt als anderen. Zur Revision der in Trianon festgelegten Grenzen Ungarns vertrat in der Folge das autoritäre Horthy-Regime, das von seiner Entstehung her schon militärisch geprägt war, die 12 

Zitiert nach Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 17. Klebelsberg, S. 110 f.

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Interessen des Militärs und kirchenpolitisch gesehen die Interessen der rezipierten Kirchen, bemühte sich um außenpolitische Anerkennung, gab sich den Anschein von Rechtsstaatlichkeit und schlug einen extrem nationalistischen Kurs ein. Abgesehen von den Auswirkungen des Vertrages von Trianon auf die Politik des Regimes hatten auch die Räterepublik und ihr „Roter Terror“ Spuren hinterlassen. Horthy und seine Nationalarmee hatten die Republik gestürzt, ihre Anhänger verfolgt und das Land mit „Weißem Terror“ überzogen. In der Folge wurde während der ganzen Zeit des Horthy-Regimes hart gegen Kommunisten vorgegangen. Die Angst vor linksorientierten Bewegungen und kommunistischen Ideen war allgegenwärtig und richtete sich auch gegen Juden und die kleinen Religionsgemeinschaften.

B. Verfassungswirklichkeit oder der Umgang mit Verfassungsgesetzen Religionsfreiheit sowie Gleichheit der Religionen und der Glaubensangehörigen vor dem Gesetz – das war das Ziel liberaler Politiker in Ungarn im 19. Jahrhundert und das kommt auch in der Aussage der Regierung vom 30. März 1867 zum Ausdruck: „Die Absicht der Regierung ist, mit einer Nostrifikationsgesetzesvorlage für die Religionsgleichheit und für die gleiche politische Rechtspraxis von allen Konfessionen noch während dieser Gesetzgebungsperiode eine Vorlage dem Haus einzubringen.“13 Auch die Worte Eötvös’s spiegeln den Geist der Gesetze zur Religionsfreiheit wider: „Jede Unterdrückung, jede Vergewaltigung des Gewissens, zeitigt letztendlich seine schädlichen Früchte, ganz gleich bei wem dies auch geschieht. Wie überall, so ist auch bei der Religion die Freiheit der einzig sichere Grundstein für die Zufriedenheit.“14 Wenngleich die liberalen Politiker nicht die gleiche politische Rechtspraxis aller Religionen erkämpfen konnten, so gelang es ihnen doch gegen den harten Widertand konservativer Kräfte, nicht zuletzt der katholischen Kirche und des Königs, unter der Regierung Wekerle 1894 und 1895, die Gesetze zur Religionsfreiheit mit Verfassungsrang zu erlassen. Mit der Demission der Wekerle-Regierung und der weiteren Erstarkung der konservativen Kräfte gestaltete sich die Umsetzung von GA XLIII/1895 schon mit Inkrafttreten als schwierig gegen den erstarkenden Nationalismus und den Einfluss des Militärs. Das zeigt sich am Beispiel der Nazarener um die Jahrhundertwende, denen aufgrund der Verweigerungshaltung in Verbindung mit dem Militär der Besitz von Bethäusern untersagt wurde, während man Ende des 19. Jahrhunderts vor Erlass von GA XLIII/ 1895 noch lockerer damit umgegangen war und solche Projekte als Bauvorhaben von Privatpersonen oder Vereinen behandelt hatte. Auch in der Einschränkung der gesetzlichen Anerkennung der Baptisten auf das Gebiet von Budapest lässt die schon frühe enge Auslegung des Gesetzes erkennen. Der Geist des Gesetzes 13 

14 

MOL (elektronisch) MT-1867 – 03 – 30. Zitiert nach Csáky, Katholische Kirche, S. 121.

B.  Verfassungswirklichkeit oder der Umgang mit Verfassungsgesetzen

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XLIII/1895, die fortschreitende Entwicklung zu einer relativen Gleichbehandlung aller Religionsgemeinschaften – denn speziell dafür war im Gesetz durch Anerkennungsmodalitäten Raum geschaffen worden – wurde tatsächlich nie ausgelebt, auch kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht. Seitens der Gemeinschaften kann immer wieder Bemühen um gesetzliche Anerkennung festgestellt werden. Doch selbst die zunächst 1898 vom Justizminister vorgeschlagene Behandlung von Vereinen, wozu die Statuten dem Innenminister vorgelegt werden sollten, ist unter Horthy nie umgesetzt worden. Auch das Verständnis von Versammlungsfreiheit des 19. Jahrhunderts wurde ins Gegenteil verkehrt, wonach Zusammenkünfte nur bei schweren Folgen für die öffentliche Ordnung nicht zu gestatten waren, was dem Gesetz zur Religionsfreiheit zugrunde lag. Unter Horthy schlug Ungarn wie Spanien, Italien, Griechenland und Albanien den Weg einer konstitutionellen Diktatur ein.15 Interessanterweise waren sich Behörden der Horthy-Regierung des Geistes des Gesetzes durchaus bewusst, wie die Diskussion um das Abhalten von Gottesdiensten durch Ausländer zeigt. Hier wurde klar, dass dieses Recht nicht auf eine anerkannte Konfession beschränkt war, sondern die Gründerväter dem Angehörigen irgendeiner Konfession Gleichbehandlung zusichern wollten. Wenn sie das schon für den Ausländer vorsahen, wie viel mehr dann für Ungarn.16 Das Beispiel zeigt, dass die Behörden durchaus wissentlich das Gesetz zur Religionsfreiheit entgegen seiner ursprünglichen Intention anwandten. Zu einer im Gesetz vorgesehenen Neuzulassung von Gemeinschaften kam es während der gesamten Horthy-Zeit nicht. Wären die Baptisten nicht vor dem Ersten Weltkrieg anerkannt worden, unter Horthy wäre es wohl kaum dazu gekommen. Die Anerkennung des Islams andererseits, der die Bedingungen von GA XLIII/1895 gar nicht erfüllte, zeigt, dass man durchaus Mittel und Wege fand, dass Spielraum vorhanden war, eine Gemeinschaft anzuerkennen, so man denn wollte. Inhaltlich stellte GA XLIII/1895 ein durchaus fortschrittliches Gesetz dar, ähnelt doch der Text heute aktuellen Formulierungen in Verfassungstexten. Als nachteilig erwies sich jedoch die Kategorisierung in rezipierte und gesetzlich anerkannte, sowie indirekt in nicht anerkannte Religionsgemeinschaften. Damit war Diskriminierung und Ungleichbehandlung vorprogrammiert. Auffallend ist, dass die Gesetzesväter an keiner Stelle im Text den Begriff Sekte verwandten, sondern durchweg von Religionsgemeinschaften sprachen. Einziger Vorbehalt für die Gewährung der Religionsfreiheit waren Verstöße „gegen Gesetz und öffentliche Moral“,17 die Gemeinschaft durfte sich nicht als staats- und volksfeindlich erweisen, ihre Lehren nicht „im Widerspruch zu den bestehenden Gesetzen oder zu den öffentlichen Sitten stehen“. Damit haben die liberalen Politiker des 19. Jahrhunderts wohl eher unbewusst für ein Einfallstor zur engen Auslegung des Gesetzes gesorgt. Prinzipiell ist es verständlich, dass eine Gemeinschaft, deren Statute Besier, Diktaturen, S. 24. MOL, K579 1923, Bl. 55 – 57. 17  Diese Formulierung und Bedingung ist durchaus heute noch gebräuchlich und üblich. 15  16 

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zu kriminellen Handlungen auffordern oder solche beinhalten, nicht gesetzlich anerkannt werden kann. Das war bei den hier diskutierten Gemeinschaften aber eben nicht der Fall. Unter der revisionistisch nationalistischen Politik waren schon Fehler Einzelner, geringfügige Gründe oder eine antizipierte kriminelle Handlung ausreichend, die Tätigkeit einer Gemeinschaft zu untersagen. Korrekterweise hätte man die vorgeworfenen Straftaten zunächst konkret beweisen müssen und nicht auf Verdacht Einschränkungen vornehmen. Bei Beleg einer kriminellen Handlung hätte man überlegen können, ob es tatsächlich nötig war, die Tätigkeit der Gemeinschaft komplett zu unterbinden, oder man vielmehr bestimmte Tätigkeitsbereiche einschränkte. Oder inwiefern bei Zuwiderhandlung eines Glaubensangehörigen die ganze Gemeinde in „Sippenhaft“ genommen werden musste. So konnten bei Teilnahme eines einzigen Minderjährigen an einem Gottesdienst die Zusammenkünfte der ganzen Gemeinde komplett untersagt werden. Da stellt sich die Frage der Verhältnismäßigkeit und der grundsätzlichen Einstellung der Behörden zur Gewährung von Freiheitsrechten. Die Einstellung der Behörden in der HorthyZeit zu den kleinen Gemeinschaften wird schon an der Diktion offenbar, da man grundsätzlich despektierlich von „Sekten“ oder von Konfessionslosen sprach, was in einem Land, wo Religion eine so wichtige Rolle spielte, einer Stigmatisierung gleichkam. Die bewusst negative Herangehensweise der Behörden an die Tätigkeit der kleinen Religionsgemeinschaften wird in einer Aussage des Justizministers Pál Pesthy 1926 deutlich, der erklärt: „Ich räume ein, dass auch andere, sehr wichtige Gesichtspunkte von allgemeinem Interesse bestehen können, die gegen die erwähnten Versammlungen sprechen, obwohl diese gar nicht gegen das Gesetz, die Moral verstoßen, und auch die Interessen der Staatssicherheit nicht verletzen. So z. B. macht schon der Umstand alleine solche Versammlungen bedenklich, dass der Missionseifer in den Versammlungen, die Gläubigen von anderen Kirchen planmäßig und massenhaft wegzuziehen, dieses planmäßige, öffentliche und massenhafte Missionieren zur Störung des friedlichen Verhältnisses zwischen den Glaubensgemeinschaften, zum Streit zwischen den Einwohnern der einen oder anderen Gemeinde und zum Sinken der religiösen Gefühle führen kann. Die freie Religionsausübung darf sich nicht so ausdehnen, dass dadurch das friedliche Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften gefährdet ist.“18 Damit brachte er auf den Punkt, was offensichtlich tatsächlich hinter den Einschränkungen stand: die Angst vor der Freiheit – zu viel Freiheit, die nicht mehr zu kontrollieren war, Angst vor der Dynamik, die sich entwickeln konnte, wenn jeder zu glauben wagte, was er wollte, die Angst vor einer Schwächung des Bündnispartners Kirche. Dass von den kleinen Gemeinschaften kein Konfessionskrieg zu erwarten war, muss den Behörden besonders angesichts der vielen Militärdienstverweigerer motiviert von dem Gebot der Nächstenliebe klar gewesen sein. Dass es tatsächlich einmal zwischen Baptisten und Katholiken zu Handgreiflichkeiten gekommen war, ist die Ausnahme, zumal auch unklar ist, von wem der Streit ausging. Die strittigen interkonfessionellen Angelegenheiten wären sicher auch verhältnismäßig leicht zu schlich18 

MOL, K579 – 1926, Bl. 206, 216, 215.

B.  Verfassungswirklichkeit oder der Umgang mit Verfassungsgesetzen

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ten gewesen. Die Behörden haben es jedoch nicht darauf ankommen lassen und vorbeugend wegen möglicher Probleme Zusammenkünfte und andere Tätigkeiten be- bzw. verhindert. Auf diese Weise schützte man auch vorausschauend die historischen Kirchen vor Mitgliederverlust und sorgte für den Erhalt des katholischen oder evangelischen Ungarntums. Dazu passt auch die Feststellung der deutschen Behörden in Verbindung mit der Anerkennungssache der Bibelforscher 1930 nach Rücksprache mit der Deutschen Gesandtschaft in Budapest, dass der Erhalt des konfessionellen Friedens in Ungarn sehr hoch angesiedelt war, da dessen „strenge Wahrung“ „Überlieferung ist und die ungarischen Behörden jedem Versuch einer Trübung stets sehr energisch begegnen“.19 Der Vertrag von Trianon, namentlich Artikel 55 GA XXXIII/1921 sah noch weniger Einschränkungen als GA XLIII/1895 vor. Er besagte schlicht, dass jedem Ungarn unterschiedslos freie Ausübung des Glaubens zu gewähren war. Religionsfreiheit wurde nicht kategorisiert oder reglementiert; einzige Einschränkung war die Wahrung der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten – weniger Regeln bedeutet mehr Freiheit – und das durch den Primat der Verfassung. Wenngleich Ungarn selbst seine Religionsgesetze wie GA XLIII/1895 zu Verfassungsgesetzen deklariert hatte, wodurch deutlich wird, dass man sie höherrangig einstufte als normale Gesetze – sonst hätte man nicht unterscheiden müssen –, fand sich doch in den Gesetzen keine solche Klausel, die den Verfassungsvorrang festschrieb. Artikel 54 GA XXXIII/1921 hingegen schrieb klar vor: „Ungarn verpflichtet sich, daß die im gegenwärtigen Abschnitt enthaltenen Bestimmungen als Grundgesetze anerkannt werden, daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung mit diesen Bestimmungen im Widerspruch oder Gegensatz stehe und daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung ihnen gegenüber Geltung haben solle.“ Dieser Formulierung zufolge musste Artikel 55 zu Religionsfreiheit sogar Vorrang vor GA XLIII/1895 zukommen und darin gemachte Einschränkungen aufheben, wie auch andere einschränkende Gesetze und Verordnungen nichtig machen. Dieser Primat per Dekret dürfte den Horthy-Behörden nicht zugesagt haben, da Artikel 55 breiter angelegt war und weniger Einschränkungen vorsah als GA XLIII/1895, und noch dazu von den Siegermächten im aufgezwungenen Vertrag von Trianon vorgeschrieben wurde. Allein schon ein festgeschriebenes Primat jeglicher Verfassungsgesetze wird nicht gern gesehen worden sein, da es verbindlicher war, als ungeschriebenes. Interessanterweise wurden zwar GA XLIII/1895 und Artikel 55 von den obersten Behörden umfangreich diskutiert, auf Artikel 54, der den Grundgesetzcharakter festlegte, wurde in den untersuchten Unterlagen jedoch nicht explizit höchstens indirekt hingewiesen. Im Umgang mit unliebsamen Gesetzen kristallisiert sich nicht nur in der Horthy-Zeit, da aber verstärkt, ein Prinzip heraus: Man gewährt Freiheitsrechte zum äußeren Schein und sorgt gleichzeitig für Verordnungen, mit denen man diese nach Bedarf und Geschmack einschränken konnte. Das zeigt sich auch am Umgang mit dem Friedensvertrag von Trianon, der zwar unterschrieben, aber von den 19 

Ebenda, Bl. 167, 167 R.

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

Siegermächten oktroyiert, verhasst und abgelehnt worden war. Nach außen wahrte Ungarn scheinbar die Bestimmungen, und unterlief sie dann heimlich wie im Fall des Militärs. Diese Taktik zeichnet sich auch in der Umsetzung von GA XLIII/ 1895 und anderen Freiheitsrechten ab. Solange sie ins Konzept passten, gewährte man sie, wurden sie unbequem, interpretierte man sie um, schränkte sie ein oder machte sie durch andere Verordnungen und Gesetze wirkungslos. Das hatte sich schon im 19. Jahrhundert im Umgang mit dem Nationalitätengesetz manifestiert. Mit Beginn des XX. Jahrhunderts finden sich Einschränkungen in Verbindung mit der Anerkennung der Baptisten, die man auf Budapest beschränken wollte, aber auch in Bezug auf die Genehmigung von Zusammenkünften wegen Vorträgen der STA mit angeblich politischen Äußerungen und in Verbindung mit Grundbucheintragungen von Bethäusern der Nazarener wegen ihrer ablehnenden Haltung zum Waffendienst. Parallel kam es auch zu Einschränkungen des Presserechts wie im Fall der Bibelforscher 1916. Unter Horthy manifestierte sich schon 1920 die Einstellung des Regimes zu freiheitlichen Rechten in der judenfeindlichen Gesetzgebung in Form des Numerus Clausus. Es gab allerdings bei Nützlichkeit für den Staat auch Ausnahmen wie im Fall der Methodisten, die vor allem wegen ihrer Bedeutung in den USA bevorzugt behandelt wurden. Sogar der ungarische Außenminister hat sich eingeschaltet. 1936 wurden die Methodisten in der VO 8.300 als „verbreitetste halboffizielle Religion“ bezeichnet. Es zeigt sich aber auch daran, dass in der Hauptstadt, die mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit stand, mehr erlaubt war als auf dem Land. Auch Gesetze zur Pressefreiheit wurden auf ähnliche Weise unterlaufen. Es sei nur auf GA XIV/1914 verwiesen, der Pressefreiheit ermöglichen sollte, nach § 10 aber auch die Verbreitung im Ausland hergestellter Druckschriften untersagt werden konnte. Diese Klausel erfuhr mehr Relevanz als die Pressefreiheit an sich. Durch verschiedene Verordnungen in den 1920er- und 1930er-Jahren wurden immer wieder Druckschriften untersagt.20 Nicht zuletzt führten in den 1930er-Jahren auch Enthüllungsartikel der Zeugen Jehovas über die Methoden der Nationalsozialisten zu Verboten. Bei der Presse setzte ebenfalls GA XV an, das erste Judengesetz von 1938. GA XVIII/1938 schränkte die Pressefreiheit weiter ein, in deren Folge bereits vor der Ausnahmegewalt 1939 eine (vorausgehende) Zensur wie im Ersten Weltkrieg einsetzte. Mit der Ausnahmegewalt wurde die Zensur verschärft, GA XIV/1914 war nicht länger relevant. Die Horthy-Zeit lässt sich, was die Einschränkung der Religionsfreiheit anbelangt, mehr oder weniger in drei Phasen einteilen. Eine Phase der Ambivalenz in dem 1920er-Jahren, die mit den 1930er-Jahren in eine Phase des Versuchs der Neutralisierung der Gemeinschaften überging, während die dritte Phase ab dem letzten Drittel der dreißiger Jahre und den folgenden Kriegsjahren von Eliminierung gekennzeichnet war. 20  Das Verbot bzw. die Entziehung der Beförderungsrechte wurde im Postverordnungskatalog Nr. 28 von 1932 veröffentlicht, außerdem im „Csendőrségi közlöny“ [Mitteilungsblatt der Gendarmerie] von 1932.

B.  Verfassungswirklichkeit oder der Umgang mit Verfassungsgesetzen

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In der Phase der Ambivalenz bestimmte der gemäßigte Bethlen, der noch stark von der liberalen Politik des 19. Jahrhunderts beeinflusst war, weitestgehend die Politik. In dieser Zeit wurden die Gesetze zur Religionsfreiheit – sowohl GA XLIII/ 1895 wie auch Artikel 55 GA XXXIII/1921 von den Behörden immer wieder angeführt und in den frühen Jahren teilweise sogar positiv diskutiert, wobei es um Artikel 55 gegen Ende der 1920er-Jahre schon stiller wurde. In dem ausgehenden Jahrzehnt hatte man auch bereits Verhandlungen mit dem faschistischen Italien aufgenommen und begann sich von Trianon zu entfernen. Während dieser ersten 10 Jahre des Horthy-Regimes, der sogenannten Konsolidierung, gingen die Behörden noch unkoordiniert mit den Gemeinschaften um. Verschiedenenorts hatten die Gemeinschaften mehr Freiheiten als anderenorts. In dieser Zeit mussten sich die Ministerien noch selbst einig werden, wie mit den Gesetzen umzugehen war, was zu umfangreichen Diskussionen führte, an deren Ende erste Maßnahmen mittels Verordnungen des Innenministeriums gegen die Gemeinschaften standen, zunächst die Observierung, dann folgten Störungen und das Aufheben von Gottesdiensten. Die Ambivalenz des Regimes spiegelt sich auch allgemein in der Politik der Konsolidierung wie auch konkret im Umgang mit den Juden wider – es sei nur an Erlass und Aufhebung des Numerus-Clausus-Gesetzes erinnert. Das Stören und Aufheben der Gottesdienste ging in der Phase der Neutralisierung in Untersagung der Zusammenkünfte über. Mit Gömbös und anderen Persönlichkeiten aus der Zeit des „Weißen Terrors“ kam es zu einem Rechtsruck in der Politik und zur weiteren Anbindung an Deutschland, zugleich gewann das Militär an Einfluss. Die Diskussionen um die Anwendung der Gesetzesartikel nahmen ab. Artikel 54 und 55 GA XXXIII/1921 wie der gesamte trianonische Vertrag wurden „ausgeschlichen“. So ließ im Fall der Ibrányer der Justizminister 1932 „die Bezugnahme auf die Verordnung von dem in Gesetzartikel XXXIII/1921 inartikulierten Titel  VI. [Schutz von Minderheiten], Teil  III, des Trianoner Vertrags“21 explizit streichen; es kam zum Verbot der Gemeinschaft. Das Vorgehen gegen Gottesdienste, Presseprodukte und andere Tätigkeiten wurden intensiviert. Nunmehr kam es zu Inhaftierungen und Verurteilungen, teilweise zu Internierungen. Als das die Tätigkeit nicht bremste, gab es 1937 eine erste Aktion gegen Zeugen Jehovas, bei der es auch zu Misshandlungen kam. Die von den Zivilgerichten in den 1930er-Jahren ausgesprochenen Strafen fielen im Allgemeinen nicht übermäßig hoch aus, wurden teilweise auch gar nicht vollstreckt. Die ersten beiden Phasen der Horthy-Zeit, also die 20er- und 30er-Jahre waren gekennzeichnet von Verordnungen und Gesetzesartikeln zur Einschränkung der Tätigkeit der kleinen Religionsgemeinschaften aber auch zur Koordinierung des Vorgehens der zivilen Organe. Mit dem Verbot vieler Gemeinschaften im Dezember 1939 begann die Phase der Eliminierung religiöser Gegner. In dieser Phase, den 40er-Jahren, kam es kaum zu neuen Verfügungen. In dieser Phase, ging man vor allem gegen Nazarener und Zeugen Jehovas radikal vor. Das blockierende Element des Trianonischen Vertrags mit Artikel 55 zur 21 

MOL, K579 – 1932-Okt-Bl. 110, 122 (5520 – 5523).

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

Religionsfreiheit war mit Kriegsbeginn völlig vom Tisch. Beginnend mit Großaktionen von Gendarmerie, Polizei und Militär in den zurückgewonnenen Gebieten und in Budapest suchte man die gesamte Organisation landesweit aufzurollen und jeden einzelnen Glaubensangehörigen ausfindig zu machen. Aktive Anhänger wurden weggesperrt – interniert oder vom Militärgeneralstabsgericht zu langen Haftstrafen verurteilt –, unter Polizeiaufsicht gestellt oder aus dem Gebiet ausgewiesen. Brachte man die Betreffenden dazu, ihre Tätigkeit einzustellen oder gar zu einer historischen Kirche zurückzukehren, war die Mission erfüllt. Anwendung von Gewalt gehörte zum Programm. Besonders hart vorgegangen wurde gegen Militärdienstverweigerer, die mit allen Mitteln zur Aufgabe ihres Standpunktes bewegt werden sollten. Wer nicht dazu bereit war, wurde für lange Jahre inhaftiert oder in das Arbeitslager Bor verbracht. Teilweise kam es auch zu Erschießungen an der Front. Vor allem in der Endphase des Systems unter Szálasi wurden Militärdienstverweigerer zur Abschreckung öffentlich hingerichtet. Verschiedentlich wurden Glaubensanhänger auch nach Deutschland in Konzentrationslager überstellt, aber das war nicht die Regel. Verweise auf das Gesetz zur Religionsfreiheit XLIII/1895 sind spärlich, auf den trianonischen Vertrag verwiesen lediglich die Militärbehörden, wobei man die Bedingungen als nicht mehr geltend betrachtete. Religionsfreiheit stand in dieser Phase des Regimes nicht mehr zur Debatte. Beim Umgang mit den Verfassungsgesetzen in der Horthy-Zeit bediente man sich zunächst folgender Methodik: Da man die freiheitlichen Verfassungsgesetze nicht außer Kraft setzen oder ändern konnte, bemühten die Behörden sich, die Wirkung der Gesetze einzuschränken oder sie inhaltlich zu verkehren. Wie schon erwähnt war die Herangehensweise minimalisierend: die kleinstmögliche Gewährung von Freiheitsrechten – nur das unbedingt nötige. Die Technik zur Beschränkung dieser Gesetze waren Gesetze und Verordnungen, die teilweise direkt dafür erlassen wurden, Freiheiten zu beschränken. Im Folgenden werden einige solcher Gesetze und Verordnungen, die in Verbindung mit den kleinen Religionsgemeinschaften erlassen und verwandt wurden, chronologisch angeführt: 1. der GA III/1921 zum Schutz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, der vor allem gegen kommunistische Bewegungen eingesetzt wurde. 2. Die VO 14.700/1924 vom Innenminister zur Überwachung der nicht anerkannten Religionsgemeinschaften und zur Koordinierung der unteren Behörden erlassen wurde, wohl auch in der Hoffnung, Verstöße oder Ansatzmöglichkeiten zur Kriminalisierung und in Verbindung mit Druckschriften zu finden. Bereits in dieser VO wurde die Vermutung geäußert, die Gemeinschaften würden häufig über das Glaubensleben hinausgehende Weltanschauungen verbreiten, die die staatliche Ordnung gefährdeten, sie würden antimilitaristisches Gedankengut propagieren und den interkonfessionellen Frieden stören. 3. Die VO 3.100/1926 vom Innenminister, die zur Umsetzung von VO 14.700/1924 mahnte, da Behörden nicht entsprechend kooperierten, und die Zusammenarbeit mit den historischen Kirchen verordnete. 4. Die VO 6.200/1928 des Innenministers als Ergänzung der beiden vorgenannten VO’s erging mit weiteren Konkretisierungen, wie in Verbindung mit der Formulierung von Urteilsbegründungen, der Bezeichnung der Gemeinschaften und der Verbreitung von Presseprodukten nur

B.  Verfassungswirklichkeit oder der Umgang mit Verfassungsgesetzen

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mit Genehmigung. 5. Mit VO 8.300/1936 bezog sich der Innenminister nicht mehr auf VO 14.700/1924, sondern auf VO 6.200/1928, ergänzt um das Vorgehen gegen Turaner Monotheisten und dem „Antimilitarismus-Vorwurf“ gegen Zeugen Jehovas. 6. Die VO  5.431/1938 des Innenministers in Verbindung mit Militärstraftätern, wonach die Militärbehörden die Verhörsprotokolle von Verweigerern dem Innenministerium zur Auswertung zusandten. 7. Im Anschluss an VO 8.300/1936, die sich noch gegen die meisten der kleinen Religionsgemeinschaften, aber mit besonderem Fokus auf Zeugen Jehovas und Turaner Monotheisten richtete, wurde im Dezember 1937 die VO 14.485 erlassen, die sich direkt und ausschließlich gegen Zeugen Jehovas wandte. Hier kam es dann zur Kriminalisierung und Transformation, aus der Religionsgemeinschaft wurde „eine Tarnorganisation“ mit dem Ziel der „Propagierung kommunistischen Gedankenguts“ und dem „Umsturz der staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung“. Der Begriff „Zeugen Jehovas“ wurde teilweise quasi synonym zu Kommunismus verwandt. Damit wurde die Gemeinschaft quasi als verbotene kommunistische Bewegung klassifiziert, die nicht den Schutz der Verfassungsgesetze zur Religionsfreiheit genoss. 8. GA XVII/1938 zur Einschränkung des Vereinsrechts, der auch gegen kleine Religionsgemeinschaften angewandt wurde, obgleich diese nicht als Vereine anerkannt wurden. 9. Mit der VO 8.769/1938 des Verteidigungsministers zur konkreteren Befragung in Verhören, wodurch dem Innenminister noch mehr Informationen zur Lokalisierung und Verfolgung der Gemeinschaften zur Verfügung gestellt werden konnten. 10. Erlass des Verteidigungsgesetz GA II/1939, mit dem alle, auch Verfassungsgesetze komplett ausgehebelt werden konnten und auf dessen Grundlage am 1. September 1939 der Ausnahmezustand verhängt wurde. 11. Die VO 8.120/1939 zur Einschränkung des Versammlungsrechts. 12. Einen Gipfel der Maßnahmen des Innenministers bildete die Verbotsverfügung 363.500/1939 auf der Grundlage von GA XLIII/1895 zur Religionsfreiheit, GA III/1921 und GA II/1939. Artikel 55 GA XXXIII/1921 wurde nicht mehr erwähnt. Das Verbot basierte auf rein militärischen Interessen. In der Folge kam es zu konzertierten Aktionen wie mit VO 10.612/1940 durch das Innenministerium gegen Zeugen Jehovas in Budapest. 13. Die VO 151.997/1940 mit dem Verbot weiterer Gemeinschaften ergänzte die VO 363.500/1939. Die aufeinanderfolgenden großen Verordnungen des Innenministers waren zumeist nicht von Erfolg gekrönt, was immer neue Verordnungen nötig machte und eine gewisse Hilflosigkeit offenbarte. Erst das Einschalten der Militärbehörden brachte den Durchbruch. Die Militärbehörden selbst, die besonders gegen die Anhänger kleiner Religionsgemeinschaften aktiv wurden, die eine Verweigerungshaltung zum Wehrdienst einnahmen, entwickelten in Zusammenarbeit mit dem Innenministerium effektive Methoden zum Aufspüren noch aktiver Mitglieder. Dazu gehörten die Verhörspraxis mit dezidierter Erkundung von Einzelheiten und die Weitergabe der Informationen an zivile Behörden. Die Militärbehörden ihrerseits bemühten sich, die Delinquenten zum Einlenken zu veranlassen. Hier lässt sich VO 92.518/1939 einordnen, wonach Verweigerer nicht zum waffenlosen Dienst eingesetzt werden durften, schwer bestraft und umerzogen werden sollten. Nur wer bereit war zum

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

Dienst an der Waffe kam frei. Nach VO 32.816/1939 des Oberbefehlshabers konnten zur „Bekehrung“ der Verweigerer alle zulässigen Mittel eingesetzt werden. Wie weit man dabei ging, machen die Berichte der Zeitzeugen deutlich. Schwere Misshandlungen waren sowohl in der Untersuchungshaft wie auch im Strafvollzug an der Tagesordnung. Mit Kriegsbeginn wurden auch die Interessen des Militärs an der Verfolgung der Gemeinschaften stärker. Man band sich direkter in das Vorgehen der zivilen Behörden ein. Das Verbot von 1939 ist ein Resultat dessen. Das Innenministerium und darüber auch die unteren Behörden wurden zu Maßnahmen gedrängt. Die Militärbehörden übernahmen gar eine Kontrollfunktion, wenn sie im Fall neuer Verweigerer beim Innenministerium anfragten, was in diesem Fall, die Gegend betreffend, aus der der Verweigerer stammte, getan worden war. Das landesweite Aufrollen der Gemeinschaften ging damit auch mit auf das Konto der Militärbehörden. Genauso war die Einrichtung der Staatssicherheitszentrale militärischerseits mitinitiiert und mitkontrolliert, zu deren Topthema „Sekten“, konkret die Aufklärung der „bibelerklärenden Sekte“, gehörte. Zuletzt sei auf die Tätigkeit des Generalstabsgerichts hingewiesen, dass als Abschreckungsmaßnahme aktive Glaubensangehörige mit hohen Strafen belegte. Unter dem Szálasi-Regime schreckte man auch vor öffentlichen Hinrichtungen zur Abschreckung nicht zurück. Tatsächlich konnte durch die enge Zusammenarbeit vor allem der oberen Behörden, die Tätigkeit der Gemeinschaften weitestgehend eingestellt werden. Allerdings erwiesen sich die großen Verordnungen der 1920er- und 1930er-Jahre, durch die landesweit Behörden koordiniert gegen die Gemeinschaften vorgehen sollten, als weniger wirksam als die vielen kleinen direkten gezielten Aktionen von Militärbehörden, Gendarmerie und Polizei. Damit wurde schließlich ein umfassendes Aufrollen unliebsamer Religionsgemeinschaften im ganzen Land erfolgreich veranlasst. In diesen Entwicklungen zeigt sich einmal mehr die enge Zusammenarbeit der Ministerien. Auch die Einführung des Ausnahmegesetzes GA II/1939, das mit der „Entmachtung“ der Verfassung einherging, stand im Endeffekt im engen Zusammenhang mit den Militärbehörden und den Kriegsinteressen. Auch in anderen europäischen Ländern wurden durch Ermächtigungsgesetze Verfassungen aufgehoben: Nachdem in Polen z. B. unter Piłsudski Versammlungs- und Vereinsrechte stark eingeschränkt wurden, erließ das Parlament am 23. März 1933 ein Ermächtigungsgesetz, einen Tag später erging durch den deutschen Reichstag das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich.22 In Ungarn führte dieses Ausnahmegesetz ähnlich wie in Polen und Deutschland zu einer Welle harter Verfolgung.23

Besier, Diktaturen, S. 155 ff. Morsey, Rudolf: Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933. Göttingen 1976. Slupina, Wolfram/Boczek, Aleksandra: Religiöse Verfolgung und staatliche Repression der Zeugen Jehovas in Polen 1936 – 1945 sowie 1950 – 1989. In: RSG, 2007, S. 53 – 76. 22 

23 Vgl.

C.  Techniken im Vorgehen gegen die Gemeinschaften

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C.  Techniken im Vorgehen gegen die Gemeinschaften Die Behörden bedienten sich unterschiedlicher Mittel, um gegen die Gemeinschaften vorgehen bzw. ihre Tätigkeit stören zu können. Dazu gehörten folgende Techniken: 1. Die Zuordnung der Gemeinschaften: Religiöse Gemeinschaften wurden in politisch orientierte oder kriminelle Vereinigungen „transformiert“. Man behauptete schlicht, es handele sich nicht um eine Religionsgemeinschaft, die Religion würde vielmehr nur als Deckmantel benutzt. Somit war die Vereinigung quasi nicht mehr religiös; Religionsfreiheit musste nicht gewährt werden. Besonders deutlich wird das mit der VO 14.485/1937, in der Zeugen Jehovas als „Tarnorganisation“ bezeichnet wurden. 2. Man versuchte Belege dafür zu finden oder zu konstruieren, dass die Gemeinschaften gegen Gesetze, Ordnung oder Moral verstießen. Dazu gehörte auch das Kriminalisieren der Gemeinschaften, womit eine Handhabe zum Einschreiten geschaffen wurde. Allerdings wurde dieses Vorgehen mit Artikel 54 GA XXXIII/1921 insofern eingeschränkt, da dort der Grundgesetzcharakter festgelegt und bestimmt wurde, dass „ kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung mit diesen Bestimmungen im Widerspruch oder Gegensatz stehe und daß kein Gesetz, keine Verordnung und keine Amtshandlung ihnen gegenüber Geltung haben solle“. War hingegen der Glauben wie Artikel 55 vorgab, nicht mit der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten vereinbar, konnte eingegriffen werden. Gesetze und Verordnungen mussten somit an dieser Stelle ansetzen. Da öffentliche Ordnung und gute Sitten breite Begriffe waren, ließ sich viel darunter subsumieren. Beide Wege wurden beschritten. Obgleich Kritik an den Kirchen oder das „Abziehen“ von Gläubigen, aber auch der Vorwurf des Antimilitarismus in dem Artikel nicht benannt wurden und prinzipiell auch wenige mit der öffentlichen Ordnung und den guten Sitten zu tun hatten, wurden sie dennoch als Grund benutzt, die Religionsfreiheit einzuschränken. Man führte das Argument der Störung des interkonfessionellen Friedens und damit der Ordnung ins Feld. In Sachen Antimilitarismus bot sich weder in Artikel 55 GA XXXIII/1921 eine Handhabe noch in GA XLIII/1895. Lediglich § 8 legte in Verbindung mit der Anerkennung neuer Gemeinschaften fest, dass ihre Glaubensgrundsätze nicht staatsfeindlich sein durften, wobei keine der Gemeinschaften tatsächlich staatsfeindlich war. Im Zusammenhang mit der Kriminalisierung untersagte man Zusammenkünfte bei „Hetze“ gegen die historischen Kirchen oder den Staat, oder aufgrund Anwesenheit Minderjähriger, untersagte Druckschriften wegen „antimilitaristischer Propaganda“. Für ein Verbot der gesamten Tätigkeit reichte die Argumentation scheinbar jedoch nicht aus. Entweder fühlte man sich den Verfassungsgesetzen doch stärker verbunden oder fürchtete einmal mehr die Außenwirkung. Beim Verbot mehrerer Gemeinschaften 1939 bezog man sich erneut auf den „Antimilitarismus“, allerdings mit Verweis auf GA II/1939, den Verteidigungsartikel, der über die Verfassung gestellt wurde. Ein weiteres gutes Beispiel der Kriminalisierung ist die Ibrányer Glaubensgemeinschaft. Da man scheinbar nichts in der Hand hatte, wurde das „Obstess-Verbot“ und das damit angeblich einhergehende Vernichten von Obstbäumen zu einem Verbotsgrund konstruiert, zur Schädigung wirtschaftlicher

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

Interessen. Bei dieser kleinen rein ungarischen Gemeinschaft, die außerhalb Ungarns kaum bekannt gewesen sein dürfte, brauchte man keinen Protest vom Westen zu fürchten. 3. Eine weitere Methode war, die Gemeinschaften ihrer juristischen Möglichkeiten zu berauben, indem man ihnen keine Rechtssubjektivität zuerkannte. Damit waren sie vor dem Gesetz nicht existent. Nur Privatpersonen konnten Rechte einklagen. Hier könnte sich auch die Diskussion um die Vereine einreihen – eine Rechtsform zu der man 1898 und Anfang der zwanziger Jahre noch gewillt war, die aber später mehrfach vehement abgelehnt wurde. 4. Ohne echte Gesetzesgrundlage wurde ein Verbot der Anwesenheit von Minderjährigen bei den Zusammenkünften konstruiert. War ein einziger Minderjähriger anwesend, konnten die Zusammenkünfte untersagt werden. 5. Element war der Kommunismusvorwurf. Grundsätzlich fand dieser Vorwurf sehr undifferenzierte Anwendung. So gerieten auch der „Arbeiterverband gegen Alkohol“ (Alkoholellenes Munkásszövetség), die „Vereinigung der Arbeiter Esperantisten Ungarns“ (Magyarországi Eszperantista Munkások Egyesülete), oder die „Touristische Vereinigung der Naturfreunde“ (Természetbarátok Turista Egyesülete) ins Visier.24 Bei der ersten großen Aktion 1937 gegen Zeugen Jehovas wurde der Vorwurf vorgebracht, sie würden „Hand in Hand mit Kommunisten“ arbeiten, was auch medial bekannt gemacht wurde. Zu dieser undifferenzierten Einordnung trug auch die Definition des Kommunismus-Verständnisses der Zeit bei. Alles, was anders war, tendierte nach links. Wie das Szegeder Gericht erklärte, handelte es sich um eine Richtung, die man „gewöhnlich als Kommunisten bezeichnete“, wobei hier alles eingeordnet wurde, was nicht in das politische Konzept passte und als „umstürzlerisch“ angesehen wurde. 6. Hinzu kam der Antimilitarismus-Vorwurf: Mit zunehmender Militarisierung, aber wohl auch durch die steigende Zahl der Verweigerer in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre wurde dieser Vorwurf immer vehementer vorgebracht. Im Endeffekt fand er in der Verbotserklärung Niederschlag. Wie widersinnig manche Konstruktionen waren, macht das Beispiel des Vorwurfs der Verbreitung „antimilitaristischer Propaganda“ deutlich, der in den 1920er-Jahren mit der Gefährdung der bestehenden Ordnung verknüpft wurde. Damit verstieße man angeblich gegen den Trianon-Artikel, obwohl doch gerade Trianon die Entmilitarisierung forderte. 7. Parallel zum Religionsfreiheit schränkte man auch die Pressefreiheit allgemein ein. Bezüglich der Publikationen der kleinen Religionsgemeinschaften folgte einem erster Vorwurf der „antimilitaristischen“ Agitation 1923, die VO 60.002/1923 gegen Presseprodukte (Schundliteratur, Schriften „nicht anerkannter Sekten, die die Seele und das nationale Gefühl der Bevölkerung schädlich beeinflussen) – ein herber Schlag gegen die Meinungsfreiheit. Der Innenminister erließ 1932 VO 113.251 auf der Grundlage von GA XIV/1914, ein Verbot aller „antinationalen und ausländischen Presseerzeugnisse im ganzen Lande“ und wies an, sie „bei jedwedem Auffinden zu konfiszieren“.25 8. Bei der Durchführung der Varga, Politikai rendőrség. nach Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 334. Hier gibt es auch Parallelen zum Vorgehen Maria Theresias gegen religiöse Presseartikel, wo es zum Verbot der 24 

25  Zitiert

C.  Techniken im Vorgehen gegen die Gemeinschaften

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Strategie gegen die kleinen Religionsgemeinschaften bediente man sich der Kirchen, denen man religionspolitisch als Bündnispartner eine bevorzugte Stellung zusicherte. Entscheidungen, Vorgehen und Strategien der Behörden wurden nicht selten mit Kirchenvertretern abgestimmt, Informationen und Meinungen eingeholt wie auch an sie weitergegeben. Was dem Bündnispartner schadete, wurde untersagt. Im Gegenzug unterstützten die historischen Kirchen die Behörden, denunzierten Gläubige, verhinderten Kirchenaustritte oder bemühten sich ihrerseits um Behinderung der Tätigkeit der Gemeinschaften. Im Gegensatz zu den historischen Kirchen gingen die Behörden mit den Baptisten oft wie mit einer nicht anerkannten Gemeinschaft um. Interessant sind die religionspolitischen Entwicklungen in Verbindung mit den Methodisten vom außenpolitischen Standpunkt her. Doch bei all der Bevorzugung wurden auch sie nicht gesetzlich anerkannt. Wenngleich diese Anerkennung im Horthy-Regime in den 1920er- und 1930er-Jahren ernsthaft diskutiert wurde und kurz vor der Verwirklichung stand, scheint die außenpolitische Notwendigkeit der Anerkennung durch die Kriegsumstände – die Vereinigten Staaten standen auf der Gegenseite – gegenstandslos geworden zu sein. Als ein neunter Punkt können die Versuche der Koordinierung und Zentralisierung der Behörden im Vorgehen gegen die Gemeinschaften betrachtet werden. Bereits in den 1920er-Jahren arbeiteten die Ministerien (vor allem von Innen-, Justiz- und Kultusminister, aber auch Außenministerium) eng zusammen. Die gute Abstimmung auf oberster Ebene zeigt sich in Verbindung mit der Diskussion in den 1920er-Jahren um den ständigen Geistlichen, um die Rechtssubjektivität, um die Teilnahme Minderjähriger an Gottesdiensten wie auch immer wieder in Verbindung mit der Privilegierung der methodistischen Kirche. Im Fall einer internationalen Konferenz der Zeugen Jehovas 1933 wird auch die enge Zusammenarbeit des Innenministers Keresztes-Fischer und des Polizeipräsidenten Hetényi deutlich. Diese enge Zusammenarbeit auf oberster Ebene setzte sich jedoch unten nicht fort. Zur besseren Koordination und Information der unteren Behörden wurden vom Innenministerium immer wieder Verordnungen erlassen, die aber nicht den gewünschten Erfolg brachten. Erst als sich das Verteidigungsministerium einschaltete änderte sich etwas. Gleichzeitig versuchte man die interne Organisation zu verbessern z. B. durch die Einrichtung einer Zentralen Ermittlungsbehörde für die Polizei und des Zentralen Ermittlungskommandos der Gendarmerie nebst Unterabteilungen in den Großstädten. Zusammenführen der mehrgleisigen Ermittlungsarbeiten. Damit versprach man sich ein konsequenteres und einheitlicheres Vorgehen der Behörden, gleichzeitig aber auch eine direktere und qualitativ wie auch schnellere Einflussnahme der obersten Behörden auf die Vorgehensweise der regionalen Organe. Dabei entstanden quasi Spezialeinheiten, die zwar besondere Kenntnisse im Umgehen und Verfolgen von Gegnern hatten, aber was die Glaubensinhalte und Auffassungen der Religionsgemeinschaften anbelangt wenig Kenntnisse hatten bzw. falsch informiert waren. Zu den Zielgruppen dieEinfuhr ausländischer Bücher kam und einer strengen Zensur „des einheimischen Schrifttums“.

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

ser Spezialeinheiten gehörten auf der Ebene linksorientierter Gruppierungen die „Sekten“ Die zunehmende Koordinierung der Behörden, insbesondere die enge Zusammenarbeit von Militär- und Zivilbehörden führt zu größeren konzertierten Aktionen, aber auch zu zielgerichteten Einzelaktionen. Unliebsame Gemeinschaften wurden flächendeckend aufgerollt, was – zumindest was die Rolle und die Tätigkeit der Gendarmerie anbelangt – gewisse Gemeinsamkeiten zum flächendeckenden Auffinden der Juden aufwies. Hatten zunächst örtliche Behörden, Gerichte noch relativ unabhängig entschieden, änderte sich das besonders ab dem Krieg, ihre Tätigkeit wurde direkter instruiert und kontrolliert. Auch die Einrichtung der Staatssicherheitszentrale beim Innenministerium sollte unter anderem der weiteren Harmonisierung der Behörden dienen. Dabei mischten sich Militärbehörden zunehmend in zivile Angelegenheiten ein. Der Höhepunkt war erreicht als das Generalstabsgerichts massenhaft gegen zivile Personen vorging und sie zu Höchststrafen verurteilte. In jedem Fall machen die Entwicklungen deutlich, dass die Diskussion der Problematik der Gewährung von Religionsfreiheit für kleine Religionsgemeinschaften auf oberster Ebene stattfand. Neben den obersten Kirchenbeamten waren die höchsten Regierungsbeamten wie Minister, Oberbefehlshaber, der Generalstabschef, der oberste Rat der Armee, die Staatschefs, ja Horthy selbst in die Sache involviert – und alle waren, wie die Berichte zeigen – schlecht bzw. falsch über die Gemeinschaften informiert. Dieser Fakt bleibt unerklärlich, stellt aber ein Phänomen dar, das sich in der Geschichte immer wieder wiederholt. Viele Missverständnisse hätten sich aufgrund genauer Kenntnisse der Auffassungen und Lehren der Gemeinschaften verhindern lassen. Möglicherweise war man aber auch gar nicht gewillt, alles genau zu verstehen, denn dann hätte man keine kriminellen Handlungen unterstellen können, sondern Religionsfreiheit einräumen müssen. Eine weitere Methode bei der Bekämpfung stellte das strafrechtliche Vorgehen gegen religiöse Gegner dar. Zunächst wurden Geldstrafen und sehr kurze Haftstrafen (von einigen Tagen bis zu mehreren Monaten) verhängt, später unliebsame Gegner interniert oder unter Polizeiaufsicht gestellt. Das hat eine Parallele zum Umgang mit Kommunisten und knüpfte am frühen Vorgehen des Horthy-Regimes mit Gegnern nach dem Fall der Räterepublik an. Ende der 1930er-Jahre erlebte diese Methode eine Neuauflage. In erster Linie richtete man sich gegen politische Feinde, konkret politisch unzuverlässige Personen, wie kommunistisch orientierte Organisationen und vor allem in den zurück gewonnenen Gebieten, aber auch gegen die kleinen Religionsgemeinschaften, derer man nicht Herr wurde – und das in ganz Ungarn. Vorstellbar wäre, dass man im Krieg versuchte eine interne Front zu vermeiden, indem man „unzuverlässige Personen“ wegsperrte. Allerdings befanden sich unter diesen auch Frauen, außerdem wurde die Internierung bereits Jahre vor dem Krieg forciert. Mit der fortschreitenden Kontrolle der eigenen Bevölkerung über eine allgemeine Erfassung „unzuverlässiger Personen“, wobei auch dieser Begriff weitreichend von dem einzelnen Beamten interpretierbar war, und mit der Einrichtung von Internierungslagern wies das System zunehmend diktatorische Züge auf. Nicht nur Ausländer, sondern Bürger des Landes, die nicht in das

C.  Techniken im Vorgehen gegen die Gemeinschaften

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Konzept des Systems passten, wurden auf Verdacht ohne grundlegende Ermittlungs- oder Strafverfahren, nur durch Beschlüsse von Polizei- oder Munizipialbehörden weggeschlossen. Zwar mussten die Beschlüsse dem Innenminister zur Bestätigung vorgelegt werden, was aber mehr formellen Charakter gehabt zu haben scheint. Das Recht wurde bewusst außer Kraft gesetzt. Grundlage lieferte neben GA III/1921 Internierungsverordnungen und GA II/1939. Das Internierungskonzept der Behörden erfuhr während der Kriegsjahre eine Alteration: Von beabsichtigten umfassenden Masseninternierungen ging man dazu über, gezielt unliebsame Bürger wegzuschließen. Mit der VO 13.400/1942, die präventive Maßnahmen vorsah, wurde den Behörden zugestanden, ohne konkrete Fakten, lediglich aufgrund von Verdachtsmomenten gegen Personen vorzugehen. Für die zunehmend diktatorischen Züge des Regimes spricht auch die Existenz der Staatssicherheitszentrale, die sich neben Kommunisten und Juden auch direkt gegen Zeugen Jehovas richtete. Die Einrichtung dieser Institution stellt ein Novum in der Behördenlandschaft dar und markiert einen Höhepunkt in der Zusammenarbeit ziviler und militärischer Behörden. Die Tätigkeit der Staatssicherheitszentrale, die eng mit dem Generalstabschef des Militärs verbunden war, diente auch und vor allem der Umsetzung militärischer Interessen. Dazu passt, dass der Leiter der Staatssicherheitszentrale Ujszázy sich zuvor beim Militärgeneralstab mit der Zerschlagung von militärfeindlichen Bewegungen befasst hatte. Die Auseinandersetzung der Behörde mit der „Sektenfrage“ hebt den Stellenwert der Verfolgung von Nazarenern und Zeugen Jehovas zugleich auf die Ebene der Staatsfeinde neben Kommunisten, Spionen und Saboteuren. Das wird auch in der weiteren Vorgehensweise, der Einleitung von Landesermittlungen gegen Nazarener und Zeugen Jehovas deutlich. Dabei zeigt sich auch die verstärkte Zusammenarbeit der Behörden, nunmehr quasi unter militärischer Regie. In die Ermittlungen involviert waren vor allem die Gendarmerie- und Polizeibehörden. Die Verfahren gegen die Zivilpersonen führte hingegen das Militärgeneralstabsgericht durch. Damit war die Strafverfolgung sowohl von Militärpersonen im Fall der Verweigerung wie auch von Zivilpersonen als Angehörige einer verbotenen Glaubensgemeinschaft in der Hand militärischer Behörden. Auch diese Vorgehensweise stellt ein Novum dar, hat aber Parallelen in der Verfolgung kommunistischer Bewegungen zu dieser Zeit. Die Vorgehensweisen scheinen identisch gewesen zu sein: Polizeidetektive und Gendarmerie ermittelten, brachten die Verdächtigen in verschiedenen Lagern im Land zusammen. Nach Ende der Ermittlungen reiste das Generalstabsgericht an, führte die Verfahren durch und verurteilte die Betreffenden wegen Untreue zu hohen Strafen, sogar zu Todesstrafen. Im Gegensatz zu vielen Urteilen gegen Kommunisten wurden sie an den Glaubensangehörigen der Zeugen Jehovas nicht vollstreckt. Beachtenswert ist auch, dass der Strafvollzug im Fall wegen Untreue Verurteilter nicht dem üblichen zivilen Strafvollzug gleichen sollte. Offensichtlich waren strengere Maßnahmen vorgesehen. Überraschend ist, wie viele Frauen betroffen waren, die selbst mit militärischen Interessen nichts zu tun hatten. Allein das Predigen der Glaubensansichten der Zeugen Jehovas galt als Akt der Untreue. Damit hatte man sich weit von den ursprünglichen Ideen zur Religionsfreiheit ent-

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

fernt. Als maximaler Erfolg der Behörden galt die „Rückgewinnung“ der Glaubensanhänger zu den historischen Kirchen. In der Folge der Aktion wurde tatsächlich die Tätigkeit der beiden Gemeinschaften mehr oder weniger eingestellt. War es bisher nur gelungen, die Anzahl der Angehörigen durch Wegsperren zu dezimieren und die Tätigkeit stark einzuschränken, kam sie nunmehr fast zum Erliegen, wenngleich sie immer noch vereinzelt aufflammte.

D. Militärdienstverweigerung Eine wesentliche Rolle bei der Gewährung von Religionsfreiheit spielten folglich die Interessen des Militärs. Diese Komponente war bisher wenig erforscht, trotz der Signifikanz des Militärs in der damaligen Gesellschaft. Das Ableisten des Wehrdienstes wurde zum Lackmustest für die Eignung als Religionsgemeinschaft. Zugelassen oder geduldet werden konnte nur, wer wie die historischen Kirchen bereit war, ohne Abstriche Militärdienst zu leisten. Hatte das Militär bereits im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts einen eminenten Stellenwert, erhielt es mit der Revisionspolitik nach Trianon noch mehr Relevanz. Als sich mit der Entstehung der Nationalstaaten in Europa die Wehrpflicht, etablierte, entstanden gleichzeitig auch Bewegungen, die das Recht auf Kriegsdienstverweigerung forderten.26 Die ersten Friedensgesellschaften – zumeist mit Bezug auf das christliche Gewissen oder die Ideale der französischen Revolution – hatten sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts in Nordamerika, Großbritannien und der Schweiz gebildet. Nach verschiedenen Friedenskongressen ab Mitte des 19. Jahrhunderts kam es dann gegen Ende auf Druck der Friedensbewegungen zur ersten Haager Friedenskonferenz.27 Zum Pazifismus werden auch antimilitaristische Bewegungen gerechnet, die zumeist der Arbeiterbewegung zugeordnet wurden.28 Ungarn, das sich immer sehr am Westen, besonders auch an Deutschland orientierte, war von diesen Entwicklungen ebenso betroffen. Gerade auch im Ersten Weltkrieg waren illegale pazifistische und antimilitaristische Bewegungen aktiv. Mit dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg und ihren Wehrdienstverweigerern wurde das Thema der Wehrdienstverweigerungen international neu diskutiert. Vor diesem Hintergrund richteten im Laufe der Zeit immer mehr Staaten Alternativen zum Wehrdienst ein. Hatte bereits Joseph II 1873 eine Art Ersatzdienst für die Lipowaner (Mennoniten) durch Einteilung in ein Garnisonsspital eingerichtet, 26  „Wehrpflicht im europäischen Vergleich.“ In: CSS Analysen zur Sicherheitspolitik. Nr. 75, Juni 2010. http://www.css.ethz.ch/publications/pdfs/CSS-Analysen-75.pdf (Zugriff am 10.10.2013). 27  Friedenskongresse fanden in London, Brüssel, Paris und Frankfurt/Main statt. http:// www.politischebildung.ch/themenfelder/menschenrechte/friedensgesellschaften-voelkerbund/?details=1&cHash=0937929282 (Zugriff am 10.10.2013). 28  Zum Beispiel durch Liebknechts „Militarismus und Antimilitarismus“. Heiss/Lutz, Friedensbewegungen.

D. Militärdienstverweigerung

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suchten auch die liberalen Politiker Ungarns nach Lösungen und hatten wohl vor, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Letztendlich blieb die Thematik jedoch – wohl auch aufgrund der rückläufigen Entwicklungen und dem stärker werdenden Einfluss der katholischen Kirche – im Gesetz der Religionsfreiheit wie auch in Militärgesetzen unberücksichtigt. Im Ersten Weltkrieg wurde die Angelegenheit zur Nagelprobe zwischen Glaubensgemeinschaften und Militärbehörden, aber auch zu einer internen Angelegenheit der Gemeinschaften selbst, wobei es sogar zu Abspaltungen wie im Fall der Reformadventisten kam. Der Umfang des Krieges und seine ungeahnte Grausamkeit ließen Religionsgemeinschaften und die einzelnen Anhänger ihren christlichen Standpunkt überdenken. Glaubensgrundsätze wurden neu festgelegt oder konkretisiert, Gewissensentscheidungen von Einzelnen getroffen. Unter den Verweigerern befanden sich nunmehr neben den Nazarenern immer mehr Zeugen Jehovas und Reformadventisten. Die häufige Einstufung von Verweigerern als geisteskrank zeigt, wie wenig Verständnis man hatte und wie irrsinnig die Haltung der Verweigerer den Behördenvertretern erschien. Andererseits war man auch bereit, Nazarener als Sanitäter oder gnadenlos zu gefährlichen Frontarbeiten, gleich den Todeskommandos, einzusetzen. Eine Linie im Vorgehen behördlicherseits war noch nicht gefunden. Dennoch wirkte der Erste Weltkrieg auf Behörden wie Gemeinschaften wie ein Katalysator. Wenngleich schon in den 1920er-Jahren das Militär und seine Interessen eine Rolle spielten, begann sich das Problem der Verweigerer in Ungarn zunächst besonders während der 1930er-Jahre zu manifestieren und trug wesentlich zur Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Gemeinschaften und Behörden bei. Nicht zu unterschätzen war dabei der Einfluss Deutschlands und Italiens. Wenngleich man sich zunächst noch bemühte, die Tätigkeit der Gemeinschaften zu neutralisieren, also auf die Verweigerer einzuwirken, um sie zum Dienst zu bekehren, ging man mit Zunahme der Verweigererzahl vehementer vor und suchte zunehmend, die Problematik zu eliminieren, indem man gegen die Gemeinschaften mittels ziviler Behörden vorging. Ein erster Meilenstein war die Verbotsverfügung 1939. Bis dahin war man seitens der Militärbehörden – angewiesen von oberster militärischer Stelle – bemüht, alles daran zu setzen, um die verweigernden Glaubensangehörigen zum Dienst zu „bekehren“ und einzuschüchtern, und das unter Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden Mittel– auch Misshandlungen bzw. jahrelanges Wegschließen. Einmal einberufene Verweigerer hatten wenig Aussicht wieder frei zu kommen, es sei denn sie lenkten ein und waren zum Dienst an der Waffe bereit. Es ist nicht verwunderlich, dass einige ihren Standpunkt, teilweise vorübergehend, aufgaben. Es überrascht hingegen, wie viele trotz der harten Vorgehensweise zu ihrer Überzeugung standen und sich auch die Reihen zukünftiger Verweigerer nicht lichteten. Diesen Umstand erkennend waren die Militärbehörden in 1940er-Jahren in Verbindung mit dem Verbot bemüht, alle „Nester“ der Gemeinschaften ausfindig zu machen und durch die Behörden des Innenministeriums ausheben zu lassen – die Organisationen sozusagen aufzurollen, wobei sich die Aktionen nicht nur gegen Glaubensanhänger im wehrpflichtigen Alter richteten. Alle waren betroffen,

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

denn schon einzelne Glaubensanhänger sorgten für die Weiterexistenz der Lehre und damit für potentielle neue Verweigerer. Mit der zielgerichteten Befragung der Verweigerer im Untersuchungsverfahren, wobei Namen und Adressen von Glaubensangehörigen herausgefunden, die Herkunft von Publikationen wie auch die organisatorischen Verbindungen einschließlich der Tätigkeit einer Zentrale geklärt werden sollten, und der Übersendung der Verhörsprotokolle an das Innenministerium war eine Arbeitsgrundlage für die Zivilbehörden bei der Verfolgung der Gemeinschaften intendiert. Diese konnten auch die Grundlage zur Anmahnung weiterer Maßnahmen bilden. Kamen wiederholt Verweigerer aus einem bestimmten Gebiet, ließ das auf zu wenig Abwehrtätigkeit der Behörden schließen. Durch diese organisatorischen Maßnahmen hatten die Militärbehörden bei der Verfolgung der Gemeinschaften und ihrer Anhänger immer mehr die Fäden in der Hand. Maßgeblich verantwortlich für die Maßnahmen zeichnete Abteilung 13, die juristische Abteilung, und hier fällt häufig der Name des Militärrichters Dr. Frigyes Kormann, über dessen Tisch zumindest eine Zeit lang jeder einzelne Fall von Verweigerung gegangen zu sein scheint. Doch auch der Oberbefehlshaber mischte sich direkt in die Diskussion und Vorgehensweise ein. Verschärft wurde die Situation für die Militärdienstverweigerer mit Erlass des Verteidigungsgesetzes II/1939, wobei die Richtlinien der 1930er-Jahre auch in der Kriegszeit relevant blieben und nur noch konsequenter verfolgt wurden. Hier reihte sich auch die Durchführung des Strafvollzugs ein, bei der nichts unversucht gelassen wurde, die Inhaftierten zum Dienst an der Waffe zu zwingen. Ähnlich wie im Ersten Weltkrieg handelt es sich bei den Verweigerern vor allem um Nazarener und nunmehr Zeugen Jehovas, aber auch einige Reformadventisten. Dabei ist zu beachten, dass die Zeugen Jehovas und Reformadventisten im Gegensatz zu den Nazarenern zumeist Totalverweigerer waren, also zu keinem Dienst – auch nicht ohne Waffe – bereit waren. An Ersatzdienste, die nicht dem Militär unterstanden wie der heutige Zivildienst, war damals nicht zu denken. Die Nazarener hingegen waren bereit, waffenlose Dienste zu verrichten. Diese Bereitschaft schlug sich in der weiteren Verfahrensweise nieder. Mit den Totalverweigerern wurde härter umgegangen. Szigeti erklärt rückblickend: „Was Jehovas Zeugen betrifft ist es wirklich völlig richtig, dass sie die Interessen des Militärs gefährdeten. Sie haben auch nicht einmal versucht, ihre Tätigkeit legalisieren zu lassen.“29 Offensichtlich sind Szigeti die Anerkennungsbemühungen unbekannt, wie allein schon die Unterlagen aus dem Auswärtigen Amt in Berlin bezüglich der Anerkennungsbemühungen in Ungarn belegen. Was die Gefährdung der Interessen des Militärs anbelangt, war man sich von forensischer Seite hinsichtlich der Definition nicht wirklich im Klaren, wie Gerichtsurteile und Akten belegen: Traf das auf Glaubensgrundsätze zu, wurde der Tatbestand bereits durch Predigen oder gemeinsames Bibellesen erfüllt, inwiefern konnte man auch Frauen den Vorwurf machen? Interessant ist auch, dass die juristische Abteilung 13 des Verteidigungsministeriums die Rechtsprechung der Mili29 

Szigeti/Rajki, S. 207.

D. Militärdienstverweigerung

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tärgerichte kontrollierte und teilweise regulierend eingriff, beispielsweise bei Urteilen im zivilen Bereich. Andererseits scheinen sich die Mitarbeiter der Abteilung selbst nicht im Klaren über die Bewertung der Taten gewesen zu sein, da die Frage nach der Bewertung des Gewissens und der privaten Ausübung der Glaubensüberzeugung aufgebracht wurde. Doch selbst eine Beschränkung von GA XLIII/1895, einer Art „Privatexercitium“, hätte den obersten Militärbehörden sicher nicht zugesagt, wenn sich dabei eine Verweigerungshaltung zum Militärdienst herausbildete. Allerdings könnte das ein Grund dafür sein, warum man mit den Nazarenern im Allgemeinen nachsichtiger verfuhr, abgesehen davon, dass sie nicht wie die meisten Zeugen Jehovas Totalverweigerer waren. Schließlich hatten die Nazarener ihre Missionstätigkeit mehr oder weniger eingestellt. In jedem Fall aber war den Militärbehörden daran gelegen, die Verweigerer zur Rückkehr in eine der historischen Kirchen zu bewegen, da diese zumeist ohne Vorbehalt das Militär unterstützten. Unter dem Szálasi-Regime und mit Einrichtung der „Nemzeti Számonkérő Különítmény“, die Nationale Rechenschaftsfordernde Einheit, wurden Verweigerer auch öffentlich hingerichtet. Die Hinrichtungspraxis gegenüber militärdienstverweigernden Zeugen Jehovas gab es im Gegensatz zu Ungarn im Deutschen Reich bereits ab 1939.30 Hitler ließ über 270 Zeugen Jehovas hinrichten,31 während in Ungarn erst gegen Ende des Krieges unter Szálasi einige hingerichtet wurden. Vier Zeugen Jehovas sind bisher bekannt. Allerdings dürften im Feld viel mehr davon betroffen gewesen sein, die von einem Standgericht abgeurteilt und hingerichtet wurden, wie aus Zeitzeugenberichten hervorgeht. (Das trifft allerdings auch auf die deutschen Verweigerer zu, deren Dunkelziffer wahrscheinlich um einiges höher liegt). Eine Akzeptanz der Wehrdienstverweigerer kam für die Behörden im Horthywie auch im Szálasi-Regime nicht in Frage. Die Kriegssituation machte in Ungarn die Mobilisierung aller Kräfte nötig. Arbeitskommandos wurden gebildet, die teilweise zur Unterstützung der Truppen an die Front geschickt wurden und unter denen sich neben Juden auch Glaubensangehörige kleiner Religionsgemeinschaften befanden. Mit dem Sonderkommando, der Strafarbeitskompanie 801, der über 160 Zeugen Jehovas, 18 Reformadventisten und 8 Nazarener angehörten, wurden Angehörige kleiner Religionsgemeinschaften ins Zwangsarbeitslager Bor in Serbien verbracht, wo sie zur Kupfergewinnung eingesetzt wurden – ein in dieser Form ebenfalls einmaliger Vorgang in der Horthy-Zeit. Parallel kam es auch in anderen im Krieg involvierten Ländern zu Problemen mit Verweigerern, wenngleich man verschieden damit umging.32 Das Vorgehen 30 Am 15.9.1939 wurde der erste Zeuge Jehovas, August Dickmann, wegen Militärdienstverweigerung im KZ Sachsenhausen vor versammeltem Lager erschossen. Hader/ Hesse, Zeittafel, S.  430. 31  Herrberger, S. 235. 32  Borowski, Glaubens- und Gewissensfreiheit, S. 358. WtBTG (Hrsg.): Jahrbuch 1975. Wiesbaden 1975, S. 205 ff. Im Bericht über die Vereinigten Staaten heißt es, dass Tausende wegen ihrer Verweigerungshaltung in Haft kamen. Ferner Bericht zu den Vereinigten Staaten von 1940. Dies.: Yearbook of Jehovah’s Witnesses 1941. New York 1940, S. 170. Ken­

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gegen Militärdienstverweigerer in Ungarn findet z. B. Parallelen im Franquismus in Spanien während des Bürgerkrieges.33 Tatsächlich schenkte man nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik der Sache der Wehrdienstverweigerer – eben auch aufgrund der Haltung der Zeugen Jehovas und ihrer Opfer durch Hinrichtung – größere Aufmerksamkeit, setzte sich intensiver und objektiv damit auseinander. Der deutsche SPD-Abgeordnete Hans Wunderlich (1899 – 1977) erklärte im Oktober 1948, „Ich persönlich bin Anhänger der individuellen Kriegsdienstverweigerung, das will ich ganz offen sagen“, und fügte hinzu „Ich habe miterlebt, wie man die ernsten Bibelforscher im Dritten Reich behandelt hat, wie man die Leute reihenweise [in Deutschland] erschossen hat und mit welcher Tapferkeit die Leute für ihre Glaubensüberzeugung gestorben sind.“34 Artikel 4 Abs. 3 GG, wonach niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden kann, wurde dann damit begründet, dass „Menschen – wir haben dabei an Mennoniten, die Zeugen Jehovas und an Mitglieder anderer Sekten gedacht – aufgrund ihrer religiösen Überzeugung und ihres Gewissens keinen Kriegsdienst mit der Waffe machen wollen.“35 Insofern führte hier die konsequente Glaubensüberzeugung in militärischen Fragen nachträglich zur gesetzlich gewährleisteten Wehrdienstverweigerung aus Glaubens- und Gewissensgründen. In Ungarn hingegen kam es wie in Ostdeutschland unter dem sozialistischen Regime weiterhin zur Inhaftierung und Verurteilung von Militärdienstverweigerern – und das sogar ähnlich wie im Horthy-Regime mehrfach. nedy, David M. (Hrsg.): The Library of CongressWorld War II Companion. New York 2007, S. 101. Hier werden in der „Time Line“ für April 1941 inhaftierte 6 000 Wehrdienstverweigerer genannt, davon 75 % Jehovas Zeugen. Anders Schinkel, Anders: Conscience and Conscientious Objection. Amsterdam 2007, S. 537. Schinkel nennt 5 000 inhaftierte Wehrdienstverweigerer, darunter etwa 3 000 Zeugen Jehovas, in den USA während des Zweiten Weltkriegs. Sogar in der neutralen Schweiz kam es zu Problemen wegen Wehrdienstverweigerung. Vgl. Wörnhard, Max: Legal Challenges for Jehovah’s Witnesses as a Religious Minority in a Well Established Democracy Like Switzerland. In: Religion-Staat-Gesellschaft, Jg. 10/2009, Heft 2, S. 381 – 390. Für Australien siehe Welch, Steven R.: Die strafrechtliche Verfolgung von Zeugen Jehovas im Zweiten Weltkrieg. In: Müller/Walter, Ich dien’ nicht, S. 85 – 96. Zu Großbritannien z. B. Powers, Roger S./Vogele, William B./Kruegler, Christopher/McCarthy, Ronald M. (Hrsg.): Protest, Power, and Change: An Encyclopedia of Nonviolent Action from ACT-UP to Women’s Suffrage. New York 1997, S. 127 (Beitrag von L. William Yolton, S. 126 ff.). Erklärt, dass man in Großbritannien nach den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges sehr viel toleranter umging. Es wird von über 60 000 männlichen wie weiblichen Wehrdienstverweigerern gesprochen. Nur 1 050 seien von Militärgerichten verurteilt worden. Bales, Mitzi: They said „No“ to War: British Women Conscientious Objectors in World War II. In: War Resisters’ International, v. 22.12.2010. http://wir-irg.org/de/ node/11902 (Zugriff am 21.12.2013.) 33 Vgl. Stokłosa, Katarzyna: Die Franco-Diktatur und die Zeugen Jehovas. In: Besier/ Stokłosa, Europa, S. 627 – 658. 34  Zitiert nach Dirksen, Wehrdienstverweigerung, S. 120 f. Vgl. http://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/grundgesetz-und-parlamentarischer-rat/39166/hans-wunderlich-spd 35  Zitiert nach ebenda.

E. Schlussfolgerungen in Verbindung mit der Haltung der Gemeinschaften

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E. Schlussfolgerungen in Verbindung mit der Haltung der Gemeinschaften Bei den meisten hier untersuchten Gemeinschaften handelt es sich um christliche, eine Ausnahme bilden die Turaner Monotheisten. Fast alle Gemeinschaften hatten ihre Wurzeln im Ausland und waren, abgesehen von den Nazarenern, mit den Religionsorganisationen im Ausland verbunden. Neben den Turanern bildeten Ibrányer Glaubensanhänger eine mehr oder weniger rein ungarische Gemeinschaft. Die meisten der Gemeinschaften waren durch ihr Verkündigen aktiv, teilweise aber auch durch ihren karitativen Einsatz. Besondere Aktivitäten entwickelten die Zeugen Jehovas, die ihre Lehre im Land systematisch verkündeten und dabei eine Vielzahl von Veröffentlichungen einsetzten. Probleme verursachten die Gemeinschaften selbst offensichtlich kaum. Wie die Berichte vor dem Ersten Weltkrieg, ja sogar noch bis in den 1930er-Jahren zeigen, galten die Glaubensangehörigen oft als fleißig, freundlich und als Personen, die ein moralisch einwandfreies Leben führten, weshalb sie schon vom Grundsatz her nicht gegen die öffentliche Ordnung bzw. Moral und Sitte verstoßen haben. In den negativen Behördenberichten spiegelt sich wenig Faktisches, Substantielles, sondern viel mehr subjektives, emotionales Gedankengut wider. Selbst aus den frühen Berichten der Ministerien wird deutlich, dass die Gemeinschaften kein Problem darstellten. Sie waren lediglich ungewohnt, brachen alte Traditionen auf oder stellten alte Glaubenslehren und -überlieferungen in Frage. Die Kirchen verloren durch sie zwar Anhänger, aber die Masse blieb. Zum Erhalt alter Traditionen und kirchlicher Macht wurden die unbequemen Gemeinschaften zu einem Problem stilisiert. In dem Zusammenhang sei auf den Bericht des Nagykőröser Polizeipräsidenten von 1933 hingewiesen, der über Jehovas Zeugen und die Gottesversammlung erklärte, beide würden die Versammlungen ordnungsgemäß anmelden und bei den Zusammenkünften sei es zu keinen Äußerungen gegen andere Religionsgemeinschaften, gegen den Staat oder die Gesellschaft und zu keinen politischen in religiöse Gewänder gehüllten Aussagen gekommen. Es habe zu keiner Zeit besorgniserregende Meldungen gegeben. Eine Gefahr für die staatliche oder gesellschaftliche Ordnung bestünde nicht.36 Auch die Weitergabe der Angelegenheit der Bibelforscher zwecks Zulassungsbeurteilung an die deutschen Behörden 1930 belegt, dass die ungarischen Behörden die ganze Zeit über nichts Greifbares gegen sie in der Hand hatten und lediglich Vorurteile bestanden. Sonst hätten sie im Ausland nicht um Rückversicherung bitten müssen. Prinzipiell suchten die Gemeinschaften auch nicht, die Behörden zu provozieren oder irgendwie herauszufordern. Vielmehr waren sie zur Zusammenarbeit bereit, wie die untersuchten Fälle in Verbindung mit der Genehmigung eines ständigen adventistischen Geistlichen oder bezüglich des alkoholfreien Restaurants der Methodisten zeigen. Offensichtlich hielt man sich im Allgemeinen zumindest pro forma auch an die Forderung, Kinder im Glauben einer der historischen Kirchen zu erziehen. Ein Argument, das zum Beispiel den 36 MJTA.

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Nazarenern schon vor dem Ersten Weltkrieg entgegen gebracht und ab dann auch gegen die Reformadventisten und Zeugen Jehovas verwandt wurde, war wiederum die Problematik der Wehrdienstverweigerung, was schon früh zu Einschränkungen in der Religionsfreiheit führte – wie zum Beispiel beim Bau von Bethäusern und deren Eintragung ins Grundbuch, was nichts mit militärischen Interessen zu tun hatte, aber aus diesen Gründen verweigert wurde. Der Staat sah in den Gemeinschaften auch durchaus einen Nutzen wie im Fall der Adventisten, der Methodisten und der Heilsarmee, da man sich gern ihrer wirtschaftlichen Mittel bzw. karitativen Dienste bediente, und nicht zu vergessen die außenpolitischen Verbindungen im Fall der methodistischen Kirche. Am Ende bestimmt sich das Maß der Religionsfreiheit nicht an der gesetzlichen Grundlage, sondern am Nutzen der jeweiligen Religionsgemeinschaft für Wirtschaft, Politik und Staat (und damit verbunden historische Kirchen). Relativ früh rückten die Bibelforscher/Jehovas Zeugen bereits in den Blickpunkt der Behörden. Folgende Gründe seien in dem Zusammenhang genannt: 1. Ihre Aktivität: Fast jeder der Glaubensanhänger predigte und verteilte umfangreich Druckschriften. 2. In ihren Predigten und Publikationen wandten sie sich auch gegen Geistliche der historischen Kirchen und gegen deren Umgang mit biblischen Lehren und mit ihren Glaubensanhängern, wogegen sich die Kirchen über die Behörden wehrten. Sie sprachen aber auch Missstände in der weltweiten Politik an, hielten sich aber aus politischen Aktionen heraus. Gerade die Druckschriften waren ein Dorn im Auge der Behörden, was sich in den Verboten von Druckerzeugnissen zeigte – wie der VO 113.251/1932 zum Verbot aller antinationalen und ausländischen Presseerzeugnisse, die zu konfiszieren waren. 3. Im Sog der deutschen Nationalsozialisten, die Jehovas Zeugen von Anfang an hart verfolgten, zog auch Ungarn nach. Auch das faschistische Italien war gegen Zeugen Jehovas vorgegangen. 4. Die große Anzahl von Wehrdienstverweigerern, und dabei zumeist Totalverweigerern. Insofern könnte man sagen, dass bei einer Art Kategorisierung nach angenommenem Gefährlichkeitsgrad Jehovas Zeugen an erster Stelle kamen, wahrscheinlich gefolgt von Reformadventisten, die ebenfalls teilweise als Totalverweigerer auffielen, wobei man sie verschiedentlich mit Anhängern der STA verwechselte oder auf eine Stufe mit Zeugen Jehovas stellte. Wegen der relativ geringen Zahl der Anhänger waren die Reformadventisten jedoch seltener im Gespräch als Jehovas Zeugen oder Nazarener. Ihnen folgten im Rang der Gefährlichkeit die Nazarener, die aber dadurch, dass sie in Verfolgungszeiten weniger öffentlich tätig waren, auch weniger auffielen. Allerdings waren sie aufgrund der Verweigerung des Waffengebrauchs immer wieder Diskussionsthema. Alle anderen Gemeinschaften galten als bei weitem weniger gefährlich. Die Ungarischen Bibelnachfolger erhielten sogar eine Tätigkeitserlaubnis, rangierten damit also im unteren Bereich der Gefährlichkeitsstufe. Zu einer ersten Großaktion gegen Zeugen Jehovas kam es 1937 unter dem Vorwand der Kommunismusausrichtung, die möglicherweise aber ebenfalls schon mit den Verweigerern im Zusammenhang gestanden haben kann. Dabei kam auch der

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„Antimilitarismus-Vorwurf“ und Beleidigung der historischen Kirchen zum Tragen. Die folgende VO 14.485 des Innenministers vom Dezember 1937 richtet sich im Unterschied zu den vorausgegangenen VO’s direkt und ausschließlich gegen Zeugen Jehovas als „Tarnorganisation zur Propagierung kommunistischen Gedankenguts“. Auch wenn sich die Verbotsverfügung von 1939 gegen die meisten der kleinen Religionsgemeinschaften richtete, waren, wie sich in den 1940er-Jahren herausstellte, die drei genannten Gruppierungen, die Zeugen Jehovas, die Reformadventisten und die Nazarener, wohl die Hauptzielgruppen der Verordnung. Mit den anderen Gemeinschaften ging man in den Folgejahren nachsichtiger um. In der Folge des Verbots bemühte man sich in Groß- und Einzelaktionen um eine systematische Eliminierung der Angehörigen der Zeugen Jehovas und teilweise auch der Nazarener. Höhepunkt stellten die Landesermittlungen dar. Nach dem Verbot suchten die Gemeinschaften natürlich nach Möglichkeiten, ihre Tätigkeit trotz Verbots aufrechtzuerhalten. Dabei beschritten sie verschiedene Wege: Die STA, offensichtlich aufgrund der häufigen Verwechslung mit Zeugen Jehovas und ihrer Abspaltung der Reformadventisten, benannte sich in „Konfession der Bibelnachfolger Ungarns“ um. Indem man dem Regime gegenüber Loyalität zum Ausdruck brachte und auf die Bereitschaft der Anhänger verwies, das Land zu verteidigen, wurde die Gemeinschaft mehr oder weniger geduldet. Beachtlich ist, dass im Gegensatz zur Bevölkerung im Allgemeinen einzelne Glaubensangehörige bereit waren, sich für jüdische Mitbürger einzusetzen. Auch die Nazarener versuchten immer wieder, dem Staat ihre Loyalität zu versichern, erklärten sich sogar bereit, zur Wahl zu gehen, zogen sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück und lebten unauffällig, machten aber bezüglich ihrer Glaubensansichten in Bezug auf den Waffendienst und die Eidesablage keine Abstriche. Die Pfingstgemeinde „fraternisierte“ mit der methodistischen Gemeinschaft, was allerdings verschiedentlich auch zu Problemen für letztere führte. Die Zeugen Jehovas bemühten sich zwar, die Behörden nicht zu provozieren, wie die internen Briefe der Gemeinschaft zeigen. Allerdings waren sie nicht bereit, Abstriche an ihrer Überzeugung und ihrer Tätigkeit zu machen oder ihre Lehren anzupassen. Gerade das öffentliche Predigen und die Verbreitung von Schriften rückte sie jedoch immer wieder in den Fokus der Behörden. Auch in Deutschland, an dem man sich immer wieder ausrichtete, standen Zeugen Jehovas als religiöse Gruppe im Fokus der Behörden und galten als „besonderes Haßobjekt der SS“.37 Damit standen im Verfolgungsspektrum die Methodisten an dem einen Ende und die Bibelforscher/Zeugen Jehovas am anderen. Zu dieser Ansicht kommt auch der Jurist Csizmadia, wenn er schreibt, „Mit besonderer Aufmerksamkeit sollte die Sekte, die unter dem Namen ‚Verein der internationalen Bibellernenden‘, ‚Verein der Bibelforscher‘, ‚Leuchtender Wachtturm‘, ‚Bibeltraktats-Gesellschaft‘ tätig ist, verfolgt werden“, und dann auf die Begründung der Behörden verweist, „da sie ‚die Vorgesetzten der Kirchen und die Staatsoberhäupter angreift, und bisweilen mit 37 

Garbe, Widerstand, S. 399.

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geradezu kommunistisch gefärbten Propaganda-Heften das Land überschwemmt‘. Anders war die Bischöfliche Methodistische Kirche zu beurteilen, da diese nichtanerkannte Religion Schritte für eine Anerkennung vorgenommen hat und über erhebliche amerikanische Beziehungen verfügte. Ihre Versammlungen sollten daher an keine Erlaubnis gebunden sein.“38 Dass die Bevorzugung nicht, wie Csizmadia postulierte, auf die Anträge der Methodisten auf Anerkennung zurückzuführen war, wird aus den Untersuchungen der Akten deutlich. Csizmadia scheint auch nicht über die Anerkennungsbemühungen der Zeugen Jehovas informiert gewesen zu sein. Abgesehen davon hätte er sich zu der Zeit, da er seine Erkenntnisse veröffentlichte, nämlich 196639 bzw. 1971, also mitten im Kalten Krieg auch nicht positiv über Zeugen Jehovas äußern können, die von der sozialistischen Staatsmacht erneut hart verfolgt wurden. Abgesehen davon waren auch die Anstrengungen der Nazarener ins Leere gelaufen. An diesem Punkt kann es nicht gelegen haben. Allerdings ist das zweite Argument ausschlaggebend, die besonderen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten. Wie die umfangreichen Aktionen der Behörden belegen, wurde ein irrational umfangreicher Aufwand betrieben, um die wenigen Anhänger zu eliminieren. Wie die Bezeichnung schon sagt, handelt es sich um sogenannte „kleine Religionsgemeinschaften“. Da diese kleinen Religionsgemeinschaften zumeist keine Mitgliederverzeichnisse führen, gibt es verhältnismäßig wenige Informationen zu Zahlen aus dem frühen 20. Jahrhundert in Ungarn. 1920 sind ca. 1 770 Nazarener bekannt, 1922 weiß man von ca. 160 Bibelforschern, 1930 von 410 Adventisten und 67 Methodisten. Gemäß Unterlagen des Innenministeriums kam man Anfang 1950 auf 2 500 Methodisten, 9 195 Adventisten und 3 027 Nazarener. Zeugen Jehovas wurden auf 10 000 geschätzt. Also alles in allem eine kleine Zahl, dem gegenüber der erhebliche Aufwand der Behörden steht. Frigyes Kormann hatte in seinem Essay von 1940 betont, dass die „Zahl der Sektenangehörigen bisher noch unbedeutend“ sei, auch wenn die militärischen Strafverfahren zeigten, dass sie zugenommen hatten.40 Ganz offensichtlich hatte man Angst vor dem Domino-Effekt. Hinzu kamen außerdem die militärischen Schulungen in Verbindung mit der Levente-Ausbildung wie auch die Erweiterung der Altersgrenzen zur Einberufung auf 12 und bis zu 60 Jahren, wodurch noch mehr Glaubensanhänger mit der Wehrpflicht in Konflikt kämen. Interessanterweise ähnelt die Strategie der meisten Gemeinschaften in der kommunistischen Ära der in der Zeit Horthys. Man versuchte, sich so weit wie möglich anzupassen, um tätig bleiben zu können. Der Zusammenschluss im Freikirchenrat brachte ihnen in Zusammenarbeit mit dem Staatskirchenamt durchaus Vorteile, allerdings nicht nur. Durch die politischen Anpassungen und Kontrollen kam es Csizmadia, Rechtliche Beziehungen, S. 37. Die ungarische umfangreichere Ausgabe seines Buches. 40  Kormann, Frigyes: A honvédelem érdekeit veszélyeztető felekezetek elleni védekezés (Schutz gegen die Sekten, die die militärischen Interessen gefährden). In: Magyar Katonai Szemle (Ungarische Heerschau), Nr. 3, 1940. S. 773 – 782. 38  39 

F.  Erfolg der Maßnahmen im Horthy-Regime

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immer wieder zu Abspaltungen innerhalb der Gemeinschaften wie im Fall der Methodisten und Adventisten. Im Fall der Nazarener gelang es sogar einen Kompromiss zur Anerkennung auszuhandeln, zum Preis des Beitritts zum Freikirchenrat und einer Loyalitätserklärung gegenüber dem Staat. Zeugen Jehovas traten dem Bund nicht bei. Sie wurden daher aufwendig durch die Staatssicherheit überwacht. Die Haltung zu den Religionsgemeinschaften der Umgang mit Menschenrechten wird auch in Verbindung mit der israelitischen Religion deutlich. Auch hier wurden Verfassungsgesetze unterlaufen und schließlich direkte gekippt, so zum Beispiel das Nationalitätengesetz, das Emanzipationsgesetz, das Gesetz zur Zivil­ ehe und das Gesetz zur Religionsfreiheit als auch das Gesetz von Trianon, Artikel 54 und 55 GA XXXIII/1921, über die Gleichbehandlung von Minderheiten und den Grundgesetzcharakter. Im Unterschied zu den anderen Gemeinschaften waren die Juden als ethnische Minderheit wie als Religionsgemeinschaft betroffen. Abgesehen davon, dass viele Behörden die „Konfessionslosen“, aber teilweise sogar die anerkannten Baptisten, mit Juden verwechselten, traf sowohl die Herabstufung der israelitischen Religion von einer rezipierten zur gesetzlich anerkannten wie teilweise auch die Judengesetze ebenso Nichtisraeliten und ihre religiöse Freiheit, insofern sie sich z. B. zu der israelitischen Religion bekannten oder bekennen wollten bzw. mit einem Juden oder einer Jüdin eine Ehe eingehen wollten oder bei Verwaltungsangelegenheiten bzw. dem Militär. Gleichzeitig macht diese Herabsetzung und der Umgang mit den Israeliten die Minderwertigkeit des Status „gesetzlich anerkannt“ gegenüber dem der „rezipierten“ deutlich. Damit erklärt sich auch, wieso die Baptisten häufig nicht anders als die gesetzlich nicht anerkannten Gemeinschaften behandelt wurden. Für die Behörden schienen die Unterschiede fließend zu sein. Hinzu kommt, dass die israelitische Religion als gesetzlich anerkannte Gemeinschaft verschiedentlich schlechter behandelt wurde als manch andere nicht anerkannte Gemeinschaft, zum Beispiel die Methodisten oder die Ungarischen Bibelnachfolger. Dieses Prinzip der Vorgehensweise gegen die Juden, dieses systematische Unterlaufen der Gesetze und schließlich, gedeckt von GA II/1939 offen Vorgehen ist symptomatisch für die Umgangsweise mit unliebsamen Gegnern, im Fall der kleinen Religionsgemeinschaften insbesondere der Nazarener und der Zeugen Jehovas. Auch die Vermischung von Rassen- und Religionszugehörigkeit in der Judenfrage zeigt die Verschleierungstechnik. Es war von außen nicht sofort und eindeutig erkennbar, dass es sich hier um Rassenpolitik handelte.

F.  Erfolg der Maßnahmen im Horthy-Regime Wenngleich die Verordnungen der 1920er- und 1930er-Jahre nur partiell griffen und die Tätigkeit der Gemeinschaften nicht wirklich eindämmen konnten, zeichneten sich Ende der 1930er-Jahre vor allem durch die Abstimmung von Militär- und Zivilbehörden, konkret durch die Weitergabe von Informationen durch das Verteidigungsministerium an das Innenministerium, erste Erfolge ab. Daraufhin gelang der „Durchbruch“ mittels konzertierter Aktionen basierend auf diesen Informati-

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

onen. Die Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahmen wurde nicht mehr diskutiert, vielmehr als Begründung für die Vorgehensweise herangezogen wie im Fall der Verbotsverfügung. Andererseits veranlassten die Maßnahmen der Behörden die Gemeinschaften, nach neuen Mitteln und Wegen Ausschau zu halten, um ihre Tätigkeit fortzusetzen. Ein Weg war, sich dem System so weit wie möglich anzupassen und so mehr oder weniger geduldet zu werden, ein anderer, die Tätigkeit unter zugelassenen religiösen Gemeinschaften fortzusetzten. Beide Wege waren mit Kompromissen und Abstrichen hinsichtlich des Glaubenslebens, teilweise auch der Glaubensinhalte verbunden. Wer an Glaubensinhalten keine Abstriche hinnehmen wollte, dem blieb nur der Weg in den Untergrund, was jedoch den Bewegungsspielraum im Glaubensleben sehr einschränkte. Völlig ersticken konnten die Behörden die Tätigkeit allerdings nicht, wenngleich sie das immer wieder meinten. Dennoch gelang es den Behörden durch gezielte, dezidierte Vorgehensweise die Gemeinschaften stark unter Druck zu setzen, deren aktive Mitglieder wegzuschließen und so die Tätigkeit weitgehend zu lähmen bzw. sie fast zum Erliegen zu bringen. Auffallend ist die konstante Unkenntnis der Behörden hinsichtlich der Religionsgemeinschaften, ihrer Glaubensinhalte, der Lebenseinstellung und des Verhaltens ihrer Anhänger. Die Bemühungen, die Gemeinschaften über Dritte, noch dazu die „Konkurrenz“, kennenzulernen, liefen ins Leere bzw. führten zu Falschinformationen. Faire Verfahren und nicht zuletzt ein verfassungskonformes Handeln der Behörden hätten allerdings eine eingehende Auseinandersetzung mit jeder einzelnen Gemeinschaft vorausgesetzt. Die diesbezüglich geringe Aktivität seitens der Behörden legt nahe, dass faire Verfahren gar nicht geplant waren und ein Rechtsbewusstsein hinsichtlich der Verfassungsrechtlichkeit nur unzureichend wenn überhaupt ausgebildet war. Das führte auch dazu, dass zwar nach Außen in den ersten Jahren der Horthy-Zeit Religionsfreiheit durch die oberen Behörden scheinbar aufrechterhalten wurde, nach Innen aber Prozesse eingeleitet wurden, die Verfassung zu unterminieren. Hinzu kommt, dass man innenpolitisch für Feindbilder dankbar war, die vor allem mit dem Kommunismus und damit auch mit der Sowjetunion oder mit den Juden in Verbindung gebracht werden konnten und denen man neben dem Vertrag von Trianon die Schuld an der schweren wirtschaftlichen und sozialen Lage geben konnte. Nach außen blieb zunächst der Schein im Großen und Ganzen gewahrt, man erfülle die im Vertrag von Trianon geforderte Religionsfreiheit. Das Unterlaufen dessen durch die Verweigerung der Rechtssubjektivität, die Untersagung des Besuches der Zusammenkünfte durch Minderjährige, das Verbot von Presseartikeln usw. blieb zunächst unbemerkt. Diese Vorgehensweise findet sich auch im Umgang mit anderen Forderungen des trianonischen Vertrages wie den militärischen Einschränkungen, die systematisch, großenteils unbemerkt unterlaufen wurden. Darin war das Regime durchaus erfolgreich. Die Ursache für das Verhalten des ungarischen Staates gegenüber kleinen Religionsgemeinschaften sehen Historiker im Vertrag von Trianon. So erklärte Fazekas, dass erst die Niederlage im Ersten Weltkrieg und der demütigende Vertrag von

F.  Erfolg der Maßnahmen im Horthy-Regime

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Trianon das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer nationalen spirituellen Einheit hervorbrachte, die alle konfessionellen Grenzen auflösen sollte. Wer daher wie die kleinen Religionsgemeinschaften die traditionellen Glaubensansichten anzweifelte, sei automatisch als „Staatsfeind“ betrachtet worden.41 Tatsächlich zeigt sich in der Verfassungswirklichkeit Ungarns der Einfluss des stark nationalistischen und insbesondere militärischen Bewusstseins schon lange vor dem Ersten Weltkrieg und Trianon. Wenngleich der Vertrag von Trianon durch die Zerstückelung Ungarns ein nationales Trauma verursachte und die nationalistischen, antiliberalen revisionistischen Kräfte stärkte, war er dennoch nicht ursächlich für die restriktive Religionspolitik in der Horthy-Zeit. Man war im Gegenteil durch das Gesetz XXXIII/1921, Artikel 55, von Verfassungsrang zumindest nach außen verpflichtet, Religionsfreiheit als Verfassungsrecht zu gewähren, was die noch ambivalenten Maßnahmen der Behörden in den ersten Jahren erklärt. Horthys Politik war vielmehr eine Fortsetzung der nationalen Politik der Vorkriegszeit, da militärische Interessen bereits über das Maß von zu gewährender Religionsfreiheit bestimmten, wie 1903 im Fall der Nazarener, als sich der Verteidigungsminister persönlich in die Frage der zu gewährenden Religionsfreiheit an den Ministerpräsidenten wandte und er sich gegen die weitere „Ausbreitung der Sekte der Nazarener“ aussprach.42 Trianon gab allerdings dem nationalistischen Kurs enormen Schub und intensivierte die Bedeutung der militärischen Interessen enorm. Das Gesamtbild betrachtend bestimmten somit bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem die nationalen, und hier besonders die militärischen Interessen den Umgang staatlicher Behörden mit Religionsgemeinschaften – und damit den Umfang der Gewährung verfassungsrechtlicher Freiheiten. Gemeinschaften, die wie die historischen Kirchen oder die Baptisten das Militär rückhaltlos unterstützten, konnten mit mehr Tätigkeitsspielraum rechnen als die, die zumindest teilweise aus Glaubens- und Gewissengründen militärische Pflichten verweigerten. Gegen Gemeinschaften, deren Anhänger Totalverweigerer waren, wurde dagegen rigoros vorgegangen. Auch der Umgang mit der israelitischen Religion wurde von nationalistischen Interessen bestimmt, einerseits durch den ungarischen Antisemitismus, aber auch durch die wirtschaftliche und politische Anbindung an Deutschland mit dem Ziel der Rückgewinnung früherer Gebiete. Auch der Kommunismus-Verdacht passt in das Bild der Wahrung militärischer Interessen, da die Vorwürfe von „antimilitaristischer Propaganda“ und Internationalismus mit Kommunismusideen amalgamiert wurden. Damit standen nationalistische, insbesondere militärische Interessen über der Verfassung und definierten die Verfassungswirklichkeit. Wie die Geschichte zeigt, waren sie bereits in Verbindung mit der Verfassungspolitik des 19. Jahrhunderts, bei der Gestaltung von GA XLIII/1895, von Belang wie auch später bei der Umsetzung, also in der Verfassungswirklichkeit. Ein Höhepunkt stellt sicher die PerFazekas, Kisegyházak, S. 259 f., 26, 53 f. Khaled, Métodizmus, S. 236. Auch 1898 gab es Probleme mit der Zulassung der STA in Verbindung mit Vorträgen, die aus nationalem Interesse untersagt wurden. 41 

42 

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vertierung der Verfassung, ihre antonyme Verwendung in der Horthy-Zeit dar, da man Verfassungsgesetze, Instrumente zur Garantie von Grundfreiheiten der Bürger eines Landes, in Werkzeuge zur Beschränkung eben derer verkehrte – wie im Fall der Verbotsverfügung 1939 begründet mit dem Verfassungsgesetz XLIII/1895. Ähnliche Verfahrensweisen finden nicht nur in der Zeit Horthys Anwendung. Auch die Rákosi-Verfassung garantierte Religionsfreiheit, die in der Praxis jedoch ad absurdum geführt wurde. Und auch hier hatten neben den gesellschaftspolitischen Aspekten erneut militärische Interessen wesentlichen Einfluss auf den Umgang mit Religionsgemeinschaften, wie wiederum im Fall der Nazarener und Zeugen Jehovas deutlich wird. Am Ende wurde von den nationalistischen Kräften Ungarns der Vertrag von Trianon sogar als Entschuldigung gebraucht, um ihre autoritäre, revisionistische Politik durchzusetzen. Unter dem Vorwand, Ungarn sei unverschuldet in diese Zwangssituation gebracht worden, ließ sich die Notwendigkeit der Pflege des „Ungarntums“ und des Kampfes gegen nichtnationales Gedankengut wie auch gegen Minderheiten oder religiöse Minoritäten erklären und die Masse mit patriotischem Gedankengut durchsetzen, um die Vorstellung der Revision wach zu halten. Sogar die Beteiligung am Zweiten Weltkrieg ließ sich mit der Katastrophe Trianon begründen – und ließ Ungarn als Opfer erscheinen. Dass der Frieden von Trianon als ungerecht empfunden wird, ist verständlich.43 In ähnlicher Weise wird ja auch über Sinn und Legitimität des Versailler Vertrages diskutiert. Dennoch darf in keinen der beiden Fälle vergessen werden, was (abgesehen von Österreich) Ungarn und Deutschland im Vorwege selbst dazu beigetragen haben, welche Schuld am Ersten Weltkrieg und seinen Folgen auf ihnen lastet. Angesichts dieser Untersuchung und Erkenntnisse stimmen die neuerlichen Entwicklungen in Verbindung mit der Wiederbelebung des Horthy-Kults und alter nationalistischer Ideale des Ungarntums nachdenklich.

G.  Einordnung der Horthy-Zeit in das europäische Gesamtgeschehen In ganz Europa kam es nach dem ersten Weltkrieg zur Destabilisierung des Liberalismus und zur Zunahme autoritärer staatlicher Macht, was auch mit der Beschneidung von Bürgerrechten einherging, Verfassungen wurden entsprechend angepasst, umgangen oder außer Kraft gesetzt. Während verschiedene Staaten sich neu ordnen mussten, wurden schon schwelende Konflikte auch durch die Friedensverträge weiter befeuert, Nationalismus und Militarismus erhielten Vorschub, was zum Verschwinden parlamentarischer Staaten führte. 43  Koenen, Krisztina: Nachbeben von Trianon. Die Grenzziehung von 1919 verärgert die Ungarn noch immer, vor allem da die Ungerechtigkeit dieser einstigen Regelung allen Beteiligten bewusst ist. In: Die Welt v. 31.8.2009. http://www.welt.de/debatte/kommentare/ article6075234/Nachbeben-von-Trianon.html (Zugriff am 1.1.2014).

G.  Einordnung der Horthy-Zeit in das europäische Gesamtgeschehen

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Ähnlich wie Ungarn waren auch Weltkriegsverlierer Deutschland und Österreich durch die Friedensverträge von Versaille, St. Germain und Trianon, insbesondere durch Gebietsverluste, hart betroffen, was auch hier Einfluss auf die weiteren Entwicklungen nahm. Österreich, dem untersagt worden war, sich dem Deutschen Reich anzuschließen, schlug unter Ignaz Seipel nach dem Zerfall der Monarchie einen antikommunistischen Kurs ein und arbeitete auf einen katholischen Einparteienstaat hin, er unterstützte die paramilitärische Heimwehr – die auch von Mussolini Geld und Waffen erhielt und sich zu einer politischen Kraft entwickelte. Mit Beginn des Austrofaschismus 1933 regierte Dollfuß auf der Basis des „kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes“. Das Ermächtigungsgesetz seinerseits war die Grundlage für die neue Verfassung im Mai 1934, die sich aus päpstlichen Enzykliken ableitete. Nach dem Willen des Papstes sollte Österreich ein Ausgangspunkt zur Rekatholisierung Europas werden. Unter Schuschnigg geriet Österreich bis zum Anschluss 1938 zunehmend unter nationalsozialistischen Einfluss des Deutschen Reichs. Ähnlich wie in Ungarn gelangte die katholische Kirche in eine Vormachtstellung und es wurden Verfassungsgesetze durch Ermächtigungsgesetze korrumpiert.44 Anders Deutschland, hier konnten sich während der Weimarer Republik und unter der Weimarer Verfassung, die Religionsfreiheit gewährte, Religionsgemeinschaften verhältnismäßig frei entfalten, wenngleich sie mit dem Widerstand der großen Kirchen zu kämpfen hatten. Erst unter den Nationalsozialisten, die durch den Notstandsartikel 48 der Verfassung selbige aushebelten, kam es zu Verboten und Verfolgung – insbesondere der Zeugen Jehovas schon ab 1933.45 Auch im von Ungarn viel beachteten Italien Mussolinis finden sich Parallelen: Der zunächst eigentlich areligiöse, antikleral eingestellte, sogar sozialistisch orientierte Mussolini vollzog eine Wende zum nationalistischen „Duce“. Er begründete nach dem Ersten Weltkrieg die Fasci Italiani die Combatimento, eine nationale antisozialistische Bewegung, und etablierte nach 1925 eine faschistische Diktatur mit religiösen Zügen. Zur Wiederherstellung des römischen Imperiums, die er anstrebte, gehörte auch die katholische Kirche. Mit den 1929 abgeschlossenen Lateranverträgen wurde sie die einzige anerkannte Religion Italiens. Protestanten und kleinen Gemeinschaften wurde in der Folge das Leben schwer gemacht. Ab Herbst 1938 ergingen in Italien wie in Ungarn und Rumänien Judengesetze.46 Die Länder der kleinen Entente, Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien hatten sich zunächst gegen die österreichisch-ungarischen Gebietsansprüche verbündet. Ungarn stand mit dem parlamentarischen System der Tschechoslowakei, dem neu gegründeten Vielvölkerstaat mit konfessioneller Vielfalt, in dem auch 44  Vocelka, Karl: Österreichische Geschichte. München 2011, S. 100  – 106. Dörner, Christian/Dörner-Fazeny, Barbara: Theodor von Hornbostel 1889 – 1973. Wien 2006, S.  41 – 84. Besier, Diktaturen, S. 205 – 215. 45 Vgl. Lewy, Guenter: Mit festem Schritt ins Neue Reich. Die Katholische Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz. In: Der Spiegel, 9/1965, S. 75 – 93. Garbe, Widerstand, S. 79, 94 – 101. 46  Piccioli, Wörnhard: Jahrhundert, S. 299 – 432. Piombo, Francesca: Die Zeugen Jehovas unter Mussolini, RSG 2007, S. 121 – 141. Besier, Diktaturen, S. 99 – 121.

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viele Ungarn lebten, quasi auf Kriegsfuß. Das tschechoslowakische System unterstützte kleine Religionsgemeinschaften zwar nicht, räumte aber immerhin eine gewisse Freiheit ein. Z. B. waren Zeugen Jehovas dort gesetzlich registriert, hatten ein Zweigbüro und konnten drucken – allerdings nur bis 1938/1939 – was auch die Vorwürfe in Prag gedruckter „kommunistischer“ Veröffentlichungen erklärt.47 Im Königreich Jugoslawien, das 1941 durch Deutschland und Italien aufgelöst wurde, hatte sich bereits 1929 die Ustascha gebildet, deren Regime auch als Klerikalfaschismus bezeichnet wird, und das sich gegen orthodoxe Serben, Roma, Juden, aber auch Kommunisten richtete. Im rumänischen Königreich mit der Orthodoxie als Staatskirche etablierte sich die Eiserne Garde – eine faschistische Bewegung, die ebenfalls dem Klerikalfaschismus zugerechnet wird und die auf dem tausendjährigen Kult der orthodoxen Christenheit um Erzengel Michael fußte. Wenngleich in Rumänien ähnlich wie in der Tschechoslowakei zunächst religiöse Kulte länger geduldet wurden, kam es später auch hier zu Verboten und Behinderungen wie am 17. April 1937 das Verbot gegen Zeugen Jehovas.48 Demgegenüber entstand mit der jungen sozialistischen Sowjetunion, eine neue unkalkulierbare totalitäre Macht, die Rote Gefahr, deren Ausbreitung man fürchtete. Mit der Zunahme an diktatorischen Regimen verlor der Liberalismus weiter an Macht. Ethnische und religiöse Minderheiten standen einer homogenen Kultur und damit einer homogenen Nation oder Volksgemeinschaft im Weg. Die Entwicklungen in Ungarn passen insofern in das Gesamtbild, finden Parallelen bzw. waren hier teilweise ausgeprägter, auch bedingt durch den Vertrag von Trianon.

H. Schlussgedanken Es ist jetzt etwas mehr als zwanzig Jahre her, da Ungarn eine freiheitliche Verfassung erhielt. Der Geist des Gesetzesartikels XLIII/1895 wurde schließlich 1990 nach seiner Abschaffung durch das Gesetz IV/1990 – und rund hundert Jahre nach Inkrafttreten – tatsächlich realisiert und Verfassungswirklichkeit! Ungarn wurde durch seine fortschrittlichen Gesetze und deren Umsetzung sogar zum Vorreiter für Religionsfreiheit im Ostblock, während es in Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken noch zu schweren Verstößen gegen die in Europa durch die Menschenrechtskonvention garantierte Religionsfreiheit kam – und das teilweise bis heute. Mittlerweile garantieren die meisten ehemaligen Ostblockstaaten Religionsfreiheit, und haben auch für einen Ersatzdienst unabhängig vom Militärdienst gesorgt, der die Gewissenproblematik löst, bzw. eine Berufsarmee eingeführt. Das trifft auch auf Ungarn zu. Allerdings sind die anfangs so positiven Entwicklungen ins Stocken geraten und beginnen sich nun wieder ins Gegenteil zu verkehren, werden Minderheiten wie teilweise jüdische Bürger oder Sinti und Roma diskriminiert und Freiheitsrechte erneut eingeschränkt wie im Fall der Obdachlosen, die 47 

48 

Müller/Slupina, S.  171 – 221. Dirksen, Doppelte Diktaturerfahrung, S. 329. Besier, Diktaturen, S. 255 – 282.

H. Schlussgedanken

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Pressefreiheit wurde eingeschränkt und auch die Religionsfreiheit ist gefährdet. In seinem Tun beruft man sich auf das traditionelle Ungarntum wobei zusätzlich gern auf die „Phantomschmerzen“ Trianons verwiesen wird.49 Die sich hier entwickelnde Werteideologie steht einer pluralistischen Gesellschaft entgegen, die Menschen und Gruppen mit unterschiedlicher Überzeugung Gleichberechtigung und Toleranz zusichert. Wenngleich Verfassungen in gewisser Hinsicht auch als Werteordnungen verstanden werden, dürfen sie doch nicht das Entstehen von Wertediktaturen unterstützen, die die erkämpfte Wertefreiheit beschränken, und damit zurückkehren zu Wertegemeinschaften wie die in der Horthy-Zeit, die sich über Nationalität, Tradition und Religion definierte oder die im Kommunismus, die auf der kommunistischen Weltanschauung und den Vorgaben Moskaus basierte. Wenngleich ein Staat aufgrund seiner Geschichte politisch und kulturell geprägt bzw. geformt wurde, sollte das Grundgesetz ihn zur weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichten. Das bedeutet kein Verleugnen von Kultur und Überzeugung – zumal Denktraditionen und kulturbedingte Verhaltensmuster nicht einfach abgeschaltet werden können –, sondern erfordert Toleranz in Gesetzgebung und Durchführung. Und das umso mehr, da ein weltweiter Wertekonsens nicht zu erwarten ist.50 Von welcher grundlegenden Wichtigkeit die Wahrung von Religionsfreiheit ist, wird in der Horthy-Zeit auch daran deutlich, dass von den Einschränkungen nicht nur die nicht anerkannten kleinen Religionsgemeinschaften betroffen waren, sondern im Endeffekt alle Kirchen. In Ungarn wurden z. B. gesetzlich anerkannte Gemeinschaften wie nicht anerkannte behandelt; auch die rezipierten Kirchen genossen weniger Freiheit, mussten sich dem Horthy-Regime „verkaufen“ mit dem Recht, sie zu kontrollieren, sich ihrer zu bedienen und in ihre innere Angelegenheiten einzugreifen. In ähnlicher Weise wurden auch im Kommunismus die anerkannten Gemeinschaften, die sich zum Freikirchenrat zusammengeschlossen hatten, und die rezipierten Kirchen kontrolliert und manipuliert. Der Bund, der als Schutz vor Unfreiheit gedacht war, wurde selbst zum Käfig, zum Werkzeug gegen Glaubensund Gewissensfreiheit – sowohl der Mitgliedsgemeinschaften wie auch Außenste49  Verseck, Keno: Neuer Horthy-Kult in Ungarn: Renaissance des Reichsverwesers. In: Spiegel-online v. 1.6.2012. http://www.spiegel.de/politik/ausland/ungarn-rechtsradikale-aus-orban-regierung-pflegen-horthy-kult-a-835958.html (Zugriff am 20.2.2014). Es reicht! – Demo gegen Horthy-Kult, Rassismus und Antisemitismus in Ungarn. In: Pester Lloyd, Nr. 24, v. 17.6.2012. http://www.pesterlloyd.net/html/1224antihorthydemo.html (Zugriff am 20.2.2012). Swartz, Richard: Ungarn: Premierminister Viktor Orbán – Phantomschmerz. In: Süddeutsche.de v. 20.5.2010. http://www.sueddeutsche.de/politik/ungarn-premierminister-viktor-orban-phantomschmerz-1.937380 ( Zugriff am 20.2.2012). 50 Werteidentifikation und Wertediktatur gelten als Emanationen der Verfassungsinterpretation, die leicht totalitäre Formen annehmen können. Vgl. Schwarz, Kyrill-A.: Das christlich-abendländische Fundament des Grundgesetzes als Topos der Verfassungsinterpretation. In: Grote, Rainer (Hrsg.): Die Ordnung der Freiheit. Festschrift für Christian Starck zum siebzigsten Geburtstag. Tübingen 2007, S. 419 – 434, 433 f. Link, Werner: Die Neuordnung der Weltpolitik. Grundprobleme globaler Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. München 2001, S. 34 f.

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Kap. 8: Resümee – Thesen – Entwicklungen

hender. Die vorliegende Untersuchung zeigt: Wird gegen einzelne Gemeinschaften vorgegangen und wird ihre Freiheit eingeschränkt, ist die Freiheit aller in Gefahr. Das bestätigen auch Parallelentwicklungen wie der Umgang mit Juden oder Kommunisten. Insofern ist die Überprüfung der Gewährung von Religionsfreiheit am Beispiel kleiner Religionsgemeinschaften ohne Lobby als echter Prüfstein für Religionsfreiheit auch in Demokratien zu werten, die einen religiösen Pluralismus der Religionsgemeinschaften ermöglichen, und Religionsmonopole verhindern. Die Untersuchung hat auch gezeigt, dass ein garantiertes Recht nur so gut ist wie das jeweilige politische System, welches sich in der Auslegung der Verfassungsgesetze manifestiert – vorliegend unter der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie, unter dem Horthy-Regime, dem Rákosi-Regime, in der Kádár-Zeit als auch nach der Wende. Freiheit und Konfessionspluralität wurden hier nicht zuletzt vom Grad der nationalistischen oder gesellschaftspolitischen Ausrichtung einer Regierung bestimmt. Auffällig ist, dass insbesondere dem Militär Mitspracherecht an der Interpretation der Freiheitsrechte zukam, dem ebendiese doch eher fremd waren. Wenngleich die Einschränkung der Glaubens- und Gewissensfreiheit durch Verfassung und Gesetz, insofern es dabei um den Schutz und die Wahrung von Rechten Dritter geht, verständlich und nachvollziehbar ist, wurde eben diese Klausel in Ungarn immer wieder dazu benutzt, um Menschenrechte einzuschränken, auch wenn es nicht um die Verletzung von Rechten Dritter ging. Mehr noch, es wurden sogar extra Gesetze und Verordnungen erlassen, um Grundfreiheiten einzuschränken bzw. um erklären zu können, dass gegen eben diese verstoßen wurde. In Anbetracht des breiten Auslegungsspielraums von Verfassungsgesetzen stellt sich die Frage, ist Religionsfreiheit überhaupt realisierbar? Wie gut Verfassungsgesetze auch immer abgefasst sind, sie sind immer nur so gut, wie eine Regierung sie zu handhaben bereit ist. Schließlich können selbst in einer Demokratie Rechte wie die Grundrechte, die zum Schutz der Bürger und ihrer Rechte gedacht sind, zur Beschneidung von Menschenrechten verwandt werden – also ihr ursprünglicher Sinn oder Geist konterkariert wird. Dennoch sind die Verfassung und die dadurch garantierten Menschenrechte eine gute Grundlage. Für ihre Implementierung und Kontrolle in der Umsetzung muss entsprechend Vorsorge getroffen werden. Abgesehen davon, dass auch der Bestand der Verfassung selbst gesichert werden muss – wobei die neusten Entwicklungen zeigen, dass eine an eine Zwei-Drittel-Mehrheit gebundene Verfassungsänderung keine echte Absicherung ist. Grundsätzlich ist festzuhalten und wird durch die vorliegende Untersuchung bestätigt, Religionsfreiheit ist ein Prüfstein für die Garantie von Menschenrechten in einem Land und wird auch mit Blick auf die zunehmende Globalisierung ein grundlegender Marker bleiben für ein funktionierendes Miteinander von Kulturen und Völkern in einer wachsend pluralistischen Gesellschaft.

Anhang Anhang

Kurzer stichpunktartiger Überblick zu den betreffenden kleinen Religionsgemeinschaften Baptisten Anfänge und Herkunft Entstehung: 16. Jh. in England innerhalb kongregationalistischer, reformiert puritanischer Strömungen. John Smith, zuvor anglikanischer Geistlicher, gründete mit englischen Auswanderern 1609 die erste Gemeinde in Amsterdam. Weltweite Ausbreitung im 19. Jahrhundert durch Missionsarbeit. Theologie/Besonderheiten Protestantische Gemeinschaft mit Ablehnung der Kindertaufe, Taufe von Personen im entscheidungsfähigen Alter in Form völligen Untertauchens. Es gibt keine gemeinsamen, einheitlichen Glaubensansichten. Grundsätzliche Richtschnur ist die Bibel. Basierend darauf kommen Personen durch Verkündigung des Evangeliums zum Glauben an Jesus Christus, den Herrn und Erlöser. Gottesdienste werden frei gestaltet, keine Liturgie. Stellung zum Militärdienst Ableistung des Militärdienstes. Organisation Kongregationalistisch organisiert, aber häufig national und international verbunden.1 Heilsarmee Anfänge und Herkunft Entstammt der methodistischen Tradition. 1865 gründete der Methodistenprediger William Booth die „Ostlondoner Christliche Erweckungsgesellschaft“, die 1878 in „Die Heilsarmee“ umbenannt wurde. Theologie/Besonderheiten Taufe und Abendmahl werden nicht durchgeführt. Evangelisation und Sozialarbeit sind eng verknüpft; man engagiert sich besonders für gesellschaftliche Randgruppen. Geistliche tragen eine Art Uniform mit Rangabzeichen, Lebenswandel gleicht dem der Methodisten. Frauen können dieselben Positionen bekleiden wie Männer. Stellung zum Militärdienst Ableistung des Militärdienstes. Organisation Das Headquarter der Salvation Army ist in London, die Gemeinschaft ist international ausgerichtet.2 1  Harenberg Lexikon der Religionen. Dortmund 2002, S. 100 f. Hughey, John David: Die Baptisten: Einführung in Lehre, Praxis und Geschichte. Kassel 1959. Der Brockhaus (elektronisch). Gütersloh 2007. http://www.baptisten.de 2  Harenberg Lexikon der Religionen, S. 154. Heimowski, Uwe: Die Heilsarmee. Prectical Religion – gelebter Glaube. Schwarzenfeld 2006. https://www.heilsarmee.de/, https:www. salvationarmy.org/

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Ibrányer Anfänge und Herkunft Christliche Glaubensgemeinschaft, die sich wohl in den 1920er-Jahren in der Gemeinde Ibrány formierte. Theologie/Besonderheiten Biblisch ausgerichtet. Es wurde besonders viel Wert auf Nächstenliebe gelegt; die Anhänger besaßen kein Privateigentum. Obstbäume wurden offensichtlich wegen des Sündenfalls nicht gehalten. Medizinische Behandlung wurde abgelehnt. Stellung zum Militärdienst Haltung zum Militärdienst ist unbekannt. Organisation Örtlich beschränkt auf den Bereich von Ibrányi in kleinen Versammlungen organisiert. Kaum international orientiert.3 Jehovas Zeugen Anfänge und Herkunft Seit Ende des 19. Jahrhunderts als Bibelforscher tätig, ab 1931 in Jehovas Zeugen umbenannt. Theologie/Besonderheiten Nichttrinitarischer Glauben (Jehova ist Gott, Jesus sein Sohn, der heilige Geist eine Kraft). Sie praktizieren keine Kindertaufe, glauben nicht an ein Weiterleben nach dem Tod, aber an eine spätere Auferstehung überwiegend auf der Erde. Einige wenige sollen im Himmel auferstehen und mit Christus über die Erde regieren. Sie glauben, dass seit 1914 die letzten Tage angebrochen sind und Gott eingreift, um die Erde zu säubern und das ursprüngliche Paradies wieder herzustellen. Sie haben hohe moralische, ethische Ansprüche und lehnen den Verzehr/Aufnahme von Blut ab. Sie sind stark evangelisierend tätig. Stellung zum Militärdienst Zumeist Totalverweigerer. Organisation Headquarter in Brooklyn (New York), international ausgerichtet.4 Methodistische Kirche Anfänge und Herkunft Erweckungsbewegung des 18. Jahrhunderts innerhalb der anglikanischen Kirche. Sie geht auf die Brüder John (1703 – 1791) und Charles (1707 – 1788) Wesley zurück. Stärkste Verbreitung finden die Methodisten in den Vereinigten Staaten. Theologie/Besonderheiten Es wird wenig Wert auf kirchliche Rituale gelegt. Zugehörigkeit erfolgt aufgrund einer bewussten inneren Entscheidung. Glaubensansichten variieren. Nach J. Wesley kann anders als im Calvinismus jeder Mensch erlöst werden, der Einzelne entscheidet selbst. Auslegung der Bibel sollte seiner Auffassung nach aufgrund der Bibel, der Tradition, der Vernunft und von Erfahrung erfolgen. Kindertaufe wird durchgeführt. 3 

4 

MOL, Bestand K579. Pesti Napló [Pester Journal] v. 14.6.1928, S. 8. Harenberg Lexikon der Religionen, S. 266, Jehovas Zeugen Portal: jw.org

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Allerdings Differenzierung in der Lebensführung: kein Alkohol, Nikotin und weltliche Vergnügungen, was aber ebenfalls unterschiedlich gehandhabt wird und sich grundsätzlich gelockert hat. Stellung zum Militärdienst Militärdienst wird zumeist geleistet, Totalverweigerung abgelehnt. Organisation Die meisten Kirchen sind im Weltrat methodistischer Kirchen organisiert (Sitz der Zentrale in North Carolina), international ausgerichtet.5 Nazarener Anfänge und Herkunft Im 19. Jahrhundert von Samuel Heinrich Fröhlich (1803 – 1857) in der Schweiz gegründet, auch als Fröhlichianer bezeichnet. Sie haben eine besonders starke Ausprägung in Ungarn. Theologie/Besonderheiten Glauben ist evangelisch ausgerichtet, teilweise sehr ähnlich mit täuferischen Ansichten, aber keine Beziehung zu Baptisten. Kindtaufe wird abgelehnt. Sie haben hohe moralische, ethische Ansprüche. Gelübde wird geleistet, Eid bzw. Schwur nicht. Stellung zum Militärdienst Bekennen sich zur Wehrlosigkeit, sind aber zumeist bereit, als Sanitäter Militärdienst zu leisten. Organisation Gemeinden sind independistisch organisiert. Kaum international ausgerichtet.6 Pfingstbewegung Anfänge und Herkunft Anfang des 20. Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten gebildet, brachte charismatische Bewegungen hervor. Theologie/Besonderheiten Lehrmeinung steht in evangelikaler Tradition mit Fokus auf die Wirkung des heiligen Geistes und damit auf Geistgaben wie Prophetie, Heilung und Zungenreden. Manche Pfingstgemeinden vertreten eine nicht-trinitarische Lehre. Die Bibel wird als Verbalinspiration verstanden. Die Kindertaufe wird abgelehnt. Stellung zum Militärdienst Militärdienst wird zumeist geleistet. Organisation Zumeist kongregationalistisch ausgerichtet, international orientiert.7 5 Harenberg Lexikon der Religionen, S. 195. https://www.emk.de, http://worldmethodistcouncil.org/ 6  Galling, Kurt (Hrsg.): Die Religionen in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Tübingen 31958, Bd. I, S. 101 – 104. Privat-Archiv Tibor Gál, Budapest, 01Hitvallás-1876, 03Hitvallás-1970. 7  Harenberg Lexikon der Religionen, S. 216 f. Rössler, Andreas: Positionen, Konfessionen, Denominationen. Eine kleine Kirchenkunde. Stuttgart 1988, S. 70 – 74. http://www. bfp.de/

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Siebenten-Tags-Adventisten (STA) Anfänge und Herkunft Größte adventistische im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten gegründete Gemeinschaft. Sie gehört zu den protestantischen Freikirchen und geht auf eine Erweckungsbewegung unter dem baptistischen Prediger William Miller zurück, die den Advent (Adventus Domini), also die Rückkehr des Herrn, erwartet. Theologie/Besonderheiten Heilslehre entspricht den evangelischen Glaubensansichten. Allerdings erwartet man die Wiederkunft Christi im Leibe und der Schaffung einer neuen Erde. Sie bestehen auch auf die Heiligung des Sabbats (symbolisch als Anerkennung der 10 Gebote) und verrichten daher am Samstag keine Arbeit. Sie glauben nicht an ein Weiterleben nach dem Tod, aber eine Auferstehung nach der Wiederkunft Christi. Teilweise wurden auch alttestamentliche Speisegebote (z. B. kein Verzehr von Schweinefleisch) übernommen. Sie enthalten sich des Nikotins und des Alkohols. Die Kindstaufe wird abgelehnt. Stellung zum Militärdienst Ableistung des Militärdienstes. Organisation Über die Generalkonferenz, Sitz in Maryland (Vereinigte Staaten), international ausgerichtet.8 Siebententags-Adventisten Reformationsbewegung, ungarisch oft als Szombatisten (Sabbatarier) bezeichnet9 Anfänge und Herkunft Mit dem Ersten Weltkrieg löste sich eine Reformbewegung aus der STA. Theologie/Besonderheiten Lehre zumeist identisch mit STA. Teilweise trotz Abspaltung verschiedentlich weitere Zusammenarbeit mit Hauptkirche; Lehren werden teilweise strenger ausgelegt. Deutlichster Unterschied besteht in der Betrachtung der Militärfrage. Stellung zum Militärdienst Verweigerung des Militärdienstes. Organisation Zentrale befindet sich in Virginia (Vereinigte Staaten), international ausgerichtet.10 8  Harenberg Lexikon der Religionen, S. 83 f. Interview Daniel Heinz, Leiter des Historischen Archivs der Theologischen Hochschule Friedensau, am 20.12.2010. 9  Nicht zu verwechseln mit den Szombatosok (Sabbatianer, Sabatarier) in Siebenbürgen: ehemalige Unitarier, die im 16. Jahrhundert die Einhaltung des Sabbats, der übrigen jüdischen Gesetze und christliche Speisevorschriften forderten (keine Beschneidung); 1638 Unitarier trennen sich von Sabbatianern, einige wenige (rund 30 Familien) traten 1868 zum Judentum über (Gläubige wurden auch als Seelenjuden oder Szekler bezeichnet), im 20. Jhd. mit den Juden ins Ghetto gebracht. 10  Ruttmann, Hermann: Die adventistische Reformationsbewegung 1914 – 2001. Die Internationale Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Reformationsbewegung in Deutschland. Köln 2002. Hetednap Adventista Reformmozgalom [Siebententags-Adventisten Reformationsbewegung]: Egyházunk kialakulásának története [Geschichtliche Entwicklungen unserer Kirche]. http://www.hnarm.hu/egyhazunk_kialakulasanak_tortenete.htm

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Turáni Egyistenhivők (Turaner Monotheisten) Anfänge und Herkunft Gemeinschaft, die sich in Ungarn um 1930 unter der Leitung des Juristen Zoltán Bencsi bildete. Theologie/Besonderheiten Altungarischer Kult und Schamanismus, wobei die Glaubensansichten auf Batu Khan, Sohn Dschingis Khans, zurückgehen sollten mit Fokus auf die Überlegenheit der Turaner Rasse. Stellung zum Militärdienst Haltung zum Militärdienst ist unbekannt. Organisation Kaum internationale Ausrichtung.11

11  Bencsi, Zoltán (Hrsg.): A turáni egyistenhivők egyszerű istentiszteletének szertartása [Die einfache Zeremonie des Gottesdienstes der Turaner Monotheistengläubigen]. Budapest 1936. MOL, Bestand K579.

Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

I.  Unveröffentlichte Quellen 1. Archive und Bestände Állambiztonsági Szolgálatok Történeti Levéltára, ÁSzTL (Historischen Archivs der Staatssicherheit: ÁB-368, AB-1033/52, AB-1033/53, AB-1033/54, O-9215, O-13367, O-13807, O-14916, O-19856, V-71056, V-111784, V-128933, V-139674, V-140014, V-141266, V-146.708, V-149948, V-150861, V-194874, M-40413 (Personenbezogene Unterlagen) Privatarchiv von Tibor Gál, Budapest. Arhivele Naţionale ale României (ANR, Rumänisches Nationalarchiv), Cluj-Napoca [ANR] Gendarmerie: 208, 209 Budapest Főváros Levéltára (Hauptstadtarchiv Budapest): BIV 001038 Bundesarchiv, Berlin: Innenministerium, Polizei, HVDVP Bundesarchiv, Berlin, Auswärtiges Amt: A/459 Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU), MfS HA XX/4 Egri Főegyházmegyei Levéltár (EFL, Archiv der Erzdiözese Eger): Egyházmegyei Körlevelek Hadtörténeti Intézet és Muzeum (HM, Kriegsgeschichtliches Institut und Museum): 13. oszt., 1938, 1939, 1940, 1941, 1942, 1943. Hfp., 239 1891, 539 1911, 62 1879 lnöki, Eln. A, Eln. 13., Eln. 16, Eln. 15, Eln. 18, Elnökség I VKF Magyarországi Jehova Tanúi Egyház Archívumá (Kirchenarchiv von Jehovas Zeugen in Ungarn, MJTA). Dokumentensammlung Zeitzeugenberichte Magyar Nemzeti Levéltár Szabolcs-Szatmár-Bereg Megyei Levéltára (Ungarisches Nationalarchiv, Komitatsarchiv Szabolcs-Szatmár-Bereg, MNLSz-Sz-B), Nyíregyháza: IV.B.411.; 8330 Magyar Nemzeti Levéltár Borsod-Abaúj-Zemplén Megyei Levéltára (MNL, Ungarisches Nationales Archiv, Komitatsarchiv Borsod-Abaúj-Zemplén), Miskolc IV.B, VII

Quellen- und Literaturverzeichnis

657

Magyar Országos Levéltár (Ungarisches Nationalarchiv): Digit-Archiv, MT. Ministerrat, Miniszter tanács K27, Külügyminisztérium, Politikai Osztaly, K63 Belügyminisztérium, BM, K149, Belügyminisztérium, Általános iratok, K150, Miniszterelnök, Bethlen István iratai K 468 Igazságügyi Miniszterium, Általános iratok, K579 MDP, M-KS-276, MT-1951 Államegyházügyi hivatal XIX-A Magyar Miniszterelnökség 1944 – 1950 iratai, Vallás- és Közoktatásügyi Minisztérium. 1945 – 1951. Belügyminisztérium 1945 – 1956. M-KS 276. f., XIX-B M-KS 288. f. MDP-MSZMP iratok. Magyarországi Református Egyház Zsinati Levéltára (MREZSL, Archiv der Synode der ungarischen reformierten Kirche): Közigazgatási iratok Wachtturm-Gesellschaft, Geschichtsarchiv, Deutschland, Selters/Ts. (WTA) Dokumentensammlung Zeitzeugenberichte

2. Unterlagen aus Privatbesitz Lajos Gerencsér Karlheinz Hartkopf János Lakó Bálint Papp László Papp Ádám Szinger

3. Interviews Ádám Szinger am 14.9.2000 in Paks. Lajos Papp am 30.1.2010 in Budapest Bálint Papp am 29.1.2010 in Budapest Lakó, János im Juni 2007 in Budapest

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2. Periodika A fehér barát [Der weiße Freund] Arany Korszak [Goldenes Zeitalter] Az Est [Der Abend] Az Örtorony [Der Wachtturm] Belügyi Közlöny [Anzeiger des Innenministeriums] Ébredjetek bzw. Erwachet! Csendőrségi Közlöny [Mitteilungsblatt der Gendarmerie] Csendőrségi Lapok [Gendarmerie-Blätter] Der Wachtturm Die Stimme Dunántúl [Jenseits der Donau] Esti Budapest [Budapest am Abend] Esti Kurír [Abendkurier] Esti Újság [Abendzeitung] Függetlenség [Unabhängigkeit] Goldenes Zeitalter Haladás [Fortschritt] Magyarország [Ungarn] Magyar Hírlap [Ungarische Zeitung] Magyar Közlöny [Ungarisches Mitteilungsblatt] Nemzeti Újság [Nationale Zeitung] Népszava [Volksstimme] Volkszeitung [Népújság] Pesti Napló [Pester Tageblatt] Kálvinista Szemle Pester Lloyd Pesti Napló [Pester Journal] Reichenhaller Tageblatt The WatchTower Trost Vásárhelyi Reggeli Újság [Morgennachrichten von Vásárhely] Vigaz [Trost]

3. Zusätzliche Websites www.herder-institut.de/startseite/dokumente-und-materialien/moduluebersicht/ungarn-inder-zwischen/textquellen.html?tx_himmat_pi1%5BshowUid%5D= 414&cHash=c709b7aaa 0e772f91c15c808bffb93ec http://www3.arcanum.hu/

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Sachwortregister Sachwortregister Sachwortregister

AEH  siehe Staatskirchenamt Albu, Pamfil  416 András (Andreas) II., König  24 Andrássy, Gyula  38 Antall, József  608 f. Antimilitarismus-Vorwurf  80 f., 124, 127 f., 155, 159, 161 – 163, 195, 209, 214, 223, 231 f., 297, 307 f., 329, 338 – 340, 349 f., 354 – 356, 358, 380 f., 410, 415, 449, 452 f., 490 f., 516 f., 534, 539, 630, 634 Arbeitsdienst  347, 421 f., 547 f., 559, 580 Arbeitslager Bor  19, 347, 470, 532, 559 f., 562 – 565, 568, 573, 577, 588, 590, 626, 637 – Balogh, András  563 – Jehovas Zeugen  560, 562, 564 f., 567, 577 – Juden  562 – 565 – Kommunisten  564 f. – Marányi, Ede  564 – Massaker  565 f. – Nazarener  560, 563 f., 577 – Reformadventisten  560, 564 f., 577 – Strafarbeitskompanie 801  560 Ausgleich siehe Verfassung, Verfassungs­ gesetze 38 Sachwortregiste

Baky, László  248 Bali, Ján  481, 562 – 564, 567 Bánffy, Dezső  49, 59 Bárdossy, László  364, 365 f., 371, 474 Bartha, András  195, 407, 462, 471, 481 f., 492, 503 f., 560, 568 f., 588 Bász, Éva  456, 568 f., 578 Báthory, István  28 Batthyány, Lajos  35 Bencsi, Zoltán  272 f., 284

Beöthy, Ödön  35 Berec, Sándor  251 Bethlen, István  31, 97 f., 103 – 107, 113, 134, 137, 203, 217, 222, 229, 231, 234, 236 – 238, 244, 301, 625 Blum, Léon  239 Bocskai, István  28, 30 Bund der Freikirchen Ungarns  siehe Freikirchenbund Csáky, Albin  48 Csáky, Károly  137 Csernoch, János  96, 98, 121, 135 Dálnoki, Miklós Béla  367 Darányi, Kálmán  238, 239, 242 f., 349, 369 Deák, Ferenc  35, 40 Déli, Lajos  572 Destruktivismus-Vorwurf  126, 196, 283, 298, 560, 588 f., 594, 596, 600, 605 – 608, 611 Dwenger, Heinrich  264, 306 Eötvös, József  35, 40, 42 f., 46, 49, 51, 62, 68 f., 620 Esterházy, Móric  60, 88 Faluvégi, Dénes  194, 409, 481 f., 503, 569 Farkas, György  471 Ferdinand III., Kaiser  28 Field, Noel  19, 585 Franz Joseph I., Kaiser, König  46, 48 Frauengefängnis Márianosztra  484, 486, 509 – 511, 594 Freikirchenbund  574, 580 f., 587, 589, 592 Freikirchenrat  580, 582, 585, 589, 592 f., 596 – 599, 601, 642, 650 Freimaurer  108, 260, 409, 615, 618

692

Sachwortregister

Friedrich, István  95 f. Funk, Martin  110 f., 170 f., 219 Garbai, Sándor  92 Gegenreformation  29 f., 34, 239 Gendarmerie  102 f., 115, 190, 192, 198, 213, 248, 252, 259, 269 f., 273, 310, 329, 359, 411, 427, 435, 452, 455, 462, 468, 470 f., 486 f., 493, 511 – Zentrales Ermittlungskommando  103, 245 – 247, 275, 297, 322, 361, 432, 448, 455, 461, 463, 465 – 470, 488, 493, 496, 501, 513, 631 Generalstabsgericht  305, 474 – 478, 480 – 483, 485 – 489, 491, 496, 500 – 504, 506 – 508, 511 f., 541, 546, 549, 557, 561, 569, 588, 594, 632 f. – Alag  466, 470, 481, 483 f., 488, 511 – Beregszentmiklós  466, 502, 511 – Hajdudorog  466, 502, 511 – Heves/Tiszanána  466, 502, 511 – Kolozsvár  466, 502, 511 – Komárom  466 f., 511 – Mohács  466, 483, 485, 511 – Munkács  480 f. – Nagykanizsa  485, 488, 511 – Pétervására  466, 496, 511 – Sárospatak  466, 487 f., 511 – Szamosfalva  469, 486, 488, 501, 511 – Szeged  466, 488, 493, 511 – Újvidék  466, 499, 511 – Ungvár 480 Gerencsér, Lajos  594 f. Gerő, Ernő  593 Gesetze – GA 110/1951  585 – GA CCVI/2012  611 – GA I/1946  579 – GA II/1930  83, 323, 325, 335 f., 340, 472, 477, 494, 506, 535 – 537, 539 f., 548, 555 – GA II/1939  104, 120, 321, 335, 338, 346 – 352, 354 f., 360, 362 f., 421, 435,

– –

– – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – –

440 f., 444, 473 – 475, 477, 512, 516 f., 539 f., 543 f., 548 f., 571, 575, 627 – 629, 633, 643 GA III/1919  90, 117 GA III/1921  114 – 116, 118, 120, 125, 161, 178, 196, 231, 245, 248, 276, 309, 315, 350 f., 354, 360, 362 f., 374, 435, 473 f., 511 f., 626 f., 633 GA  III/1930  323 f., 472 – 474, 476, 478, 508, 588 GA IV/1939  243, 363, 370, 375, 395 GA IV/1990  604, 648 GA LIII/1868  40, 55, 148, 150 f., 395 GA LIII/1921  102 GA V/1878  37 GA VI/1920  117, 119 GA VII/1946  588 GA VII/2012  611 GA VIII/1942  371 f., 377 GA XI/1922  102, 269 GA XIV/1876  262 GA XIV/1914  78, 116, 196, 232, 268, 271, 318, 322, 624 GA XIV/1942  373, 378 GA XLII/1895  49, 113, 368 GA XLIII/1895  49, 51 – 56, 62, 64, 72, 75, 112 f., 121, 124, 130, 137, 139, 141 – 143, 145, 147, 153 f., 156, 162, 164 f., 167, 169 f., 176, 182, 211, 220, 225, 230 f., 247, 256, 269, 278, 282, 286, 288, 309, 351, 354 f., 379, 388, 496, 575, 583, 605, 620 f., 623 – 626, 629, 637, 645 GA XLIV/1868  38, 50, 101, 614, 624, 643 GA XLIX/1921  102 GA XV/1938  243, 318, 363, 369, 624 GA XV/1941  366, 370 – 372, 375 GA XV/1942  373 GA XVII/1867  40, 49 GA XVII/1916  53 GA XVII/1922  119 GA XVII/1938  348, 351, 438 f., 539,

Sachwortregister 542 – 546, 548 f., 559, 579, 627 GA XVIII/1848  37 GA XVIII/1938  318 f., 475, 624 GA XVIII/1947  583 GA XX/1848  36 GA XX/1949  585 GA XXIII/1912  117 GA XXV/1920  106, 369 GA XXXI/1894  49, 366, 368, 371 GA XXXII/1894  49, 54, 56, 147, 149, 151 – GA XXXIII/1894  49 – Ga XXXIII/1921  182 – GA XXXIII/1921  101, 113, 121, 137, 149, 162, 169, 177, 182, 229 – 231, 233, 258 f., 286, 310, 356, 361 f., 370, 379, 491, 495, 623, 625, 629, 643, 645  siehe Vertrag von Trianon – GA XXXIII/1947  583, 603, 605 – MStGB  siehe GA II/1930 Gömbös, Gyula  91, 97 f., 102, 104, 107, 235 – 239, 242, 248, 250, 275, 282, 290, 302, 324 – 327, 331, 343, 362, 618, 625 – – – – – – – – –

Habsburger  25, 28, 30 – 32, 34 f., 44, 61, 91, 96, 100 f., 279, 285, 614 f. Hadik, János  88 Haffner, Erzsébet  496 f., 510 f. Haffner, Tibor  496, 562 Hanák, András  22, 25, 466, 487, 558, 562, 564, 566 Hegedüs, András  595 Hetényi, Imre  246 f., 285, 313 f., 631 Hitler, Adolf  102, 104, 106, 114, 237 – 239, 241 f., 244, 248, 265 f., 275, 287, 294 f., 304, 311, 317 f., 346, 364 – 367, 379, 458, 478 f., 489, 491 f., 562, 568, 637 Hivessy, Jenő Mátyás  114 Hohe Pforte  28 Hóman, Bálint  371 Hőnisch, Antal  571 Honvéd  siehe Militär

693

Horn, Gyula  609 Horthy, Miklós  95 – 98, 101 f., 108, 115 f., 178, 235 – 239, 241 – 243, 247, 253, 272, 290, 302, 340, 347 – 349, 365 – 367, 431, 478, 483, 504, 511, 524, 530, 552, 557, 571, 588, 590 f., 614 f., 618, 620 f., 624, 632 Horvát, Boldizsár  40 Huszár, Károly  110 Imrédy, Béla  242 f., 302, 348, 365 Internierungslager  122, 253, 299, 352, 409, 442, 444, 452, 459, 486, 492, 518, 553 – Kistarcsa  352, 407, 409, 442 – 446, 452, 468, 492 f., 577 – Nagykanizsa  352 f., 421 – 444, 447, 452, 459, 468, 492 f., 518, 553, 561, 569, 577 Irányi, Dániel  43, 45 István (Stephan), König  21, 23, 37 Joseph II., Kaiser  33 f. Józsefs, Attila  100 Kádár, János  595, 616 Kállay, Miklós  366, 505, 527, 529, 559 Kálmán, Kálmán  342, 505, 530 Karl VI., Kaiser  32 Károlyi, Gyula  95, 234, 235 Károlyi, Mihály  59, 89 – 92 Keresztes-Fischer, Ferenc  239, 247, 249, 348 – 352, 404, 460, 462 f., 560, 631 Khuen-Héderváry, Sándor  68, 237 Kirche, Zusammenkunftsstätte, Bethaus  34, 47, 53, 66, 68, 70, 72, 121, 593 Kiss, György  77, 160, 180, 204 Klebelsberg, Kunó  63, 106, 108, 110, 118, 124, 129 f., 135, 153, 164, 166, 205, 214, 222, 619 Klinyecz, József  305, 319, 321, 407, 409, 470, 471, 488 – 496, 503, 560 Kolosváry-Borcsa, Mihály  569 f. Kommunismus-Vorwurf  41, 90, 114 f., 122, 124, 136, 160 f., 178, 181, 186,

694

Sachwortregister

195, 199 f., 204, 206 – 209, 214, 217, 226, 228, 231, 245, 250 f., 253, 258, 262, 275 f., 278, 280, 282, 293 – 296, 298, 301, 308, 312 f., 315, 351, 354, 357, 361 – 363, 369, 374, 409, 412, 417, 430, 507, 512, 517, 630 Kommunistische Bewegungen  41, 90, 95, 98, 103, 114, 116, 122, 126, 161, 179, 190, 207, 229, 231, 235, 239, 245, 248 f., 275, 293 – 295, 299, 302, 304, 307 – 309, 311 – 314, 317, 329, 349, 353 f., 361 – 363, 369, 374, 398, 409 f., 415, 417, 425, 432, 435, 437, 439 f., 448, 450, 454, 463, 473, 483, 493, 500, 507 f., 554, 557 f., 571, 584 – 586, 588, 591, 594, 618, 620, 626, 630, 632 f., 648, 650 Konrád, János  407, 409 f., 412, 450 f., 471, 481 f., 493, 503 f., 560, 569, 588 f. Kormann, Frigyes  327, 330, 334 f., 355, 357, 398, 438, 517, 535, 543, 545, 547 f., 636, 642 Korpa, Mihály Janó  481 Korpa-Ondó, János  518, 532 f., 553, 555 Kossuth, Lajos  35, 36, 48, 109 Kővágó, János  477 Kozma, Miklós  275 – 279, 281, 291, 522 Kun, Béla  90, 92, 94 Lakó, János  19, 297 f., 446, 468, 586, 588 Leo XIII., Papst  296 Leopold I., Kaiser  29, 31 f. Levente  102, 106, 481 Locke, John  33 Magyarosi, Martín  295, 416, 470 Maria Theresia, Erzherzogin, Königin  32, 615 Michnay, László  376, 381, 390, 570, 574 Militär  17, 39, 43 f., 60 f., 71, 74, 95, 101 – 104, 120, 137 f., 161, 237, 242, 276, 322 – 324, 326 – 338, 343 – 351, 355 – 359, 362, 364, 375, 377 f., 381, 391 f., 394,– 398, 400, 406, 408 f., 413 f., 420, 424 f., 436 – 438, 441, 443, 450 f., 459, 461, 463, 473 – 475, 477 f., 488,

496, 500 f., 505 f., 511 – 513, 516 – 518, 520 – 522, 524 – 527, 529 – 532, 534 f., 538 f., 541, 543, 545, 549 – 551, 554, 557 – 560, 562, 570, 574 – 577, 580, 590, 603, 616, 618, 620, 624, 626 – 628, 631 – 637, 643 – Befehlsverweigerung  323, 325, 327, 335 – 338, 340, 343, 398, 417, 425, 436, 506, 522, 524, 527, 532, 535 f., 539 – 541, 547 f., 550 f. – Generalstabsgericht  463, 626, 633 – Militärgeneralstab  417, 463, 465, 507, 633 – Mobilmachung 441 – Wehrpflicht 39 Militärdienstverweigerung  15, 18, 34, 41, 43 – 45, 51, 63, 66 – 68, 70 f., 74, 78, 80 – 85, 87, 124, 132, 138, 152, 206, 214, 265, 281, 308, 323 – 327, 329 f., 332, 333 – 345, 350, 356 – 358, 362, 396 – 398, 400, 403, 405, 407, 410, 413, 417, 419 – 421, 424, 426, 431, 435 – 438, 445, 446, 448 f., 459, 464, 469, 481 f., 484, 492, 494, 498 f., 505 f., 516 – 522, 525 – 527, 529 f., 532 – 535, 542 f., 546, 549 f., 557 f., 560, 562, 567, 571, 576 – 578, 591, 594, 600, 603, 616, 622, 626 – 628, 630, 634 – 640, 645 Mindszenty, József  91, 585 MOVE  104, 239, 402 Mussolini, Benito  238, 287, 311, 317, 647 Nagy, Emil  134, 139, 153 Nagy, Imre  19, 342, 505, 580, 593, 595 Nagy, Pál  394 Nemes, Elek  284, 302, 406, 412, 467 Nikolaus I., Zar  36 Nuelsen, John Louis  110 f., 170, 221 Nyisztor, Zoltán  16, 199 – 202, 209 Ökumenischer Rat der Kirchen Ungarns 598 Organisation Todt  559, 562 Papp, Bálint  19 f., 564 f., 573 Papp, Lajos  19 f., 531 f., 547, 563 Papp, László  77, 466, 468, 482, 503, 594

Sachwortregister Pázmány, Péter, Erzbischof  30 Peidl, Gyula  95 Pesthy, Pál  165 f., 182, 188, 622 Pfeilkreuzler  103, 127, 240, 242, 245, 367, 462, 464, 467, 571, 573 Piros, László  593 Pius IX., Papst  296 Pius XI., Papst  296 Polner, Ödön  114 Pötzinger, Martin  266 Presse  29, 37, 44, 48, 73, 90 – 92, 95, 115 f., 135 f., 152, 174, 178 f., 192 – 194, 199, 230, 235 f., 240, 243, 248, 250, 252 f., 259 f., 265, 270, 278, 285, 287, 294 f., 297 – 302, 304 f., 308, 310 – 314, 317 f., 321 f., 335, 353 – 355, 358, 398, 409, 454, 457, 483, 489, 493, 504, 516 f., 570, 581, 586, 591, 603, 605 – 607, 611 – 613, 617 f., 624, 629 f. Pressefreiheit  37, 39, 50, 78, 90, 115 f., 120, 128 f., 194, 196, 204, 231 f., 236, 271, 318 f., 321 – 323, 346, 363, 583, 611, 614, 616, 624, 630, 649 Privatexercitium  33 f. Prohászka, Ottokár  96, 98, 107, 109, 202 Pufendorf, Samuel von  33 Rajk, László  579, 584 Rajner, Pál  43 Rákóczi, Ferenz II.  31 Rákóczi, György I.  28, 31 Rákosi, Mátyás  114, 247, 406 f., 584 f., 587, 592 f., 595, 600, 616, 646 Rakovszky, Iván  122, 161 – 164, 166, 210, 213, 275 f. Rat der Ungarischen Freikirchen  siehe Freikirchenrat Ravasz, László  379 Reformation  25 – 27, 41, 87, 107, 137, 143 Reformzeitalter  35, 109 Regierungsverordnungen 232 Religion – Altkatholiken  354, 570, 574, 584, 597 – Baptisten  16, 40 f., 47, 53, 72, 75 f.,

695

79, 109, 120, 130, 132 – 134, 145, 165, 173 – 176, 178, 199, 201, 214, 216 – 219, 227, 284, 289 f., 302, 337, 354, 372, 377, 391, 393 – 396, 428 f., 431, 433 f., 449, 512, 516, 520 f., 574 f., 586, 592, 597 f., 605, 620 – 622, 624, 631, 643, 645, 686 – Bibelforscher  siehe Jehovas Zeugen – Bibelstudenten  siehe Jehovas Zeugen – Brüderversammlung  187 f., 192, 281, 354, 381, 570, 574, 597 – Buddhisten  606, 609 – Freie Israeliten  62 – gesetzlich anerkannte  51, 53, 55, 139, 141, 152, 191, 309, 385, 621 – gesetzlich nicht anerkannte  52, 54, 142 – Gottesversammlung  247, 281, 283, 350, 356 f., 359 f., 390, 401, 420, 428 f., 513, 517, 639  siehe auch Pfingstler – Heilsarmee  16, 199 – 202, 223, 225 – 229, 233, 282, 291 – 293, 354, 356, 381, 396, 428, 439, 453, 516, 574, 576, 592 f., 611, 640 – historische Kirchen  19, 41, 63, 76, 79, 106, 108, 111, 121, 125 f., 129 f., 132, 135, 143, 145, 147, 160 – 162, 166, 176 f., 182, 198, 200 – 202, 204 – 206, 210, 213 – 215, 223 f., 226 – 229, 231 – 233, 251, 259, 273 f., 276 f., 279 f., 282, 286, 292 f., 302, 306, 345, 350, 355, 360, 363, 382, 385, 416, 428, 432, 447 f., 524 f., 538, 544, 573, 575, 609, 611, 615 f., 619, 623, 626, 629, 631, 634, 637, 639 – 641, 645 – Hit-Gyülekezet  603, 609 – Ibrányer  250 – 256, 258 f., 274, 277, 281, 301 f., 345, 354, 360, 450, 589, 625, 629, 639 – Islam  53, 55, 377, 606 – Israeliten  48, 105, 113, 235, 368 – 374, 376, 378, 394, 410, 575, 615, 643, 645 – Jehovas Zeugen  54, 77 f., 82 f., 123 f., 129, 135, 138, 152 f., 157, 159 f., 188 f., 193, 195, 197 – 201, 206 f., 209, 214,

696

Sachwortregister

223, 225, 228, 232 f., 246 f., 260 – 269, 276, 280 f., 284, 297, 305, 310 f., 313, 315 f., 322, 325, 329 f., 337 f., 340, 343 f., 350, 353 f., 356 f., 359 f., 378, 396 f., 400 f., 405, 407 f., 412, 416 f., 423, 426, 428 – 430, 435, 438, 440, 444 f., 447, 452, 454 f., 457, 464 – 467, 470 f., 475, 478 f., 481, 485, 488, 494, 504, 506, 512 – 518, 522 f., 526 f., 530, 532, 562, 568, 574, 576 f., 580, 582, 586, 588, 590, 594, 597, 599 – 601, 609, 623, 625, 627, 630, 633, 635, 638, 640 – 642, 648 – Katholiken  32 f., 36, 105, 107, 121, 129, 136 – 138, 152, 169, 183, 186, 199, 201 f., 217, 219, 223, 226, 243, 248, 281, 296, 372, 384, 427, 447, 585, 616, 622 – Konfession der Bibelnachfolger Ungarns  siehe Siebenten-Tags-Adventisten – Konfessionslose  54, 136, 259, 288, 345, 376, 384, 418, 468 – Krishna 603 – Lipowaner  34, 44, 74, 87, 634 – Mennoniten  44, 74, 87, 324, 634, 638 – Methodisten  54, 110 f., 114, 120, 131 f., 134, 136, 139 f., 144 – 146, 150, 168, 170 – 172, 184, 212, 219 – 223, 226 – 229, 233, 248, 260, 282, 290, 354, 390 – 392, 395, 516, 586, 592, 597, 624, 640 – 642 – Millenisten  siehe Jehovas Zeugen – Moon 607 – Mormonen  465, 602, 611 – Nazarener  40, 42, 44 – 47, 54, 66 – 68, 70 f., 73 f., 84 f., 120, 124, 131, 134, 153 f., 192, 199, 204, 223, 227 f., 233, 280, 286, 324 – 327, 329 – 332, 334 – 338, 342 – 344, 350, 356, 394 f., 397, 400 – 404, 420, 440, 457 f., 465, 471 f., 480, 486, 504 – 506, 512 f., 517, 519, 523, 525 – 531, 574, 576 f., 580, 586, 591, 597, 599, 625, 633, 635, 642 – Neuapostolen 603 – Orthodoxie  29, 31, 105

– Pfingstler  192, 233, 248, 350, 356 f., 359 f., 390 – 393, 401, 420, 512, 514, 517, 609, 641 – Pokait  425 – 430, 432, 474, 513, 576 – Protestanten  27, 30 – 35, 40, 97, 105, 107 f., 129, 137, 171, 183, 188, 198 f., 226, 255, 283, 377, 393, 395, 397, 583, 598, 615 – Reformadventisten  81 f., 87, 281, 329, 336 f., 350, 353 f., 356, 360, 375, 381, 389, 394, 401, 420, 428 f., 513, 519, 524, 533, 565, 574, 599, 635 – 637, 640 f. – rezipierte  27, 29, 34, 36, 39, 49, 51 f., 55, 121, 130, 137, 139, 141, 150, 152, 191, 205, 309, 374, 385, 432, 621 – Scientology 607 – Siebenbürger Sabbatarier  375 – 377, 689 – Siebenten-Tags-Adventisten 54, 63 – 65, 69, 81 f., 87, 120, 131 f., 134, 136, 147, 153, 155 – 157, 159, 178, 180 f., 183, 186 – 188, 202, 206, 209, 212, 223, 232 f., 260, 279, 281, 287 f., 336 f., 343, 345, 350, 354, 356, 359 f., 378 – 380, 382, 385 – 387, 389, 395, 401, 420, 428 f., 496, 513, 516 f., 523, 574, 586, 592 f., 597 – 599, 609, 611, 624, 640 – 642, 645 – Turaner  272 – 274, 278 f., 283 – 286, 293, 360 f., 627, 639 – Unitarier  27, 36, 52, 273, 279, 377, 395, 416, 689 – Urchristen  262, 350, 356, 357, 359, 360, 420, 517 Religionsfreiheit  13, 16, 19, 28, 31 f., 35 f., 43, 45, 47 f., 50 f., 59, 62, 69, 73, 94, 112, 115, 121 f., 124, 128 – 130, 134, 138 f., 141 f., 149, 151 f., 154, 158, 161 f., 169, 173, 176 f., 179, 182, 185, 189, 192 f., 204, 210, 215, 226 – 228, 230 f., 233 f., 236, 253, 262, 269 f., 276 f., 279, 282, 286, 293, 309, 323, 344, 349, 353, 355, 361 – 363, 370 f., 377, 379, 381, 383 – 385, 388 f., 413, 439, 479, 491, 495, 517, 547, 559, 574 f., 579 f., 582 f.,

Sachwortregister 585, 596, 600, 603 – 605, 608, 610, 613 – 616, 620 f., 623 – 627, 629 f., 632 – 635, 640, 643 – 650 – Druckerzeugnisse  16, 18, 20, 30, 34, 77 f., 80, 111, 115 f., 128 f., 136, 160, 164, 178, 194 – 199, 201 – 204, 206 – 208, 211, 214, 225 – 227, 232, 261, 263 – 272, 274 f., 281, 283 f., 286, 291, 295, 302 f., 306, 309, 315 – 319, 322, 334, 341, 361 f., 394, 406 f., 410 – 412, 426, 445, 449, 452, 468, 470, 473, 480, 482, 491 – 494, 505, 525, 576, 582 f., 588, 594, 600, 625, 630, 636, 639 f., 648 – Evangelisieren  77, 123, 136, 158, 161, 194, 196, 203, 225, 228, 261, 310, 622 – Gottesdienste, Zusammenkünfte, Versammlung  34, 37, 42, 53, 55 f., 64 – 66, 68 – 71, 73, 81, 118, 123, 131, 139, 141, 148 – 151, 153 – 157, 160, 163, 166 f., 169 – 181, 183 – 192, 195, 206 f., 211 f., 214 – 219, 221, 247, 252, 262, 269, 277 – 279, 287 f., 290, 292, 303, 315, 350, 379 – 384, 386 f., 391, 397, 402 f., 423, 425, 427, 435, 453 f., 457, 474, 489, 505, 585, 615, 621 f., 624 f., 630, 639 – Minderjährige  33 f., 40 – 43, 45 f., 49, 52, 54 – 56, 75, 102, 147 – 154, 158, 164, 180, 205, 217, 220, 224, 237, 253 – 255, 259, 265, 301, 304, 308, 317, 371, 381, 410, 423, 435, 445 f., 495 f., 577, 622, 630, 639, 644 – Rechtsfähigkeit  139 – 141, 143 – 145, 158, 212, 233, 389, 559 – Sabbat  63, 81, 209, 356, 689 – ständiger Geistlicher  131, 142, 153, 156 f., 158, 163, 260, 631 Religionstoleranz  25 – 29 Repressionen – Arbeitslager 559 – Geldstrafe  37, 45, 53, 150, 173, 180, 187, 416, 427, 458 – Hinrichtung  42, 84 f., 332, 462, 533, 571, 637 f.

697

– Inhaftierung  24, 41 f., 83, 115, 133, 180, 235, 248, 253, 265, 281, 293, 295, 297, 299 f., 312 f., 321, 325, 328, 332, 339, 344, 352, 362, 367, 393, 400, 405 f., 410, 414, 416 f., 421, 433 f., 449 – 452, 455, 457, 459, 465 – 472, 475, 477, 480 f., 484, 486 – 494, 499 f., 502 f., 507, 512, 517 – 521, 524, 531, 533, 537, 540, 542, 552, 568, 570, 576, 588, 592 – 594, 600, 625 f. – Internierung  18, 122 f., 126, 128, 294, 352, 373 f., 392 f., 400, 403 f., 406 f., 410 f., 417, 421 f., 424, 428 f., 433, 435, 439 – 441, 443 – 445, 447 – 452, 454, 458 – 460, 466, 468, 471 f., 480 f., 487 – 489, 496, 499, 502 f., 507, 512, 514, 518, 526, 542, 570, 576 f., 625 f., 632 – Misshandlung  300, 310, 325, 406, 466, 471, 482 – 484, 495, 497, 508, 533, 551, 553, 562 f., 568, 589 – Polizeiaufsicht  43, 122, 144, 176, 179, 186, 191, 218, 239, 299, 346, 352, 358, 372, 374, 392 f., 402, 408, 410 f., 413, 429, 434 – 436, 440 f., 445, 447 f., 450 f., 460 – 462, 469, 471, 487 – 489, 503 f., 512, 514 – 516, 576, 626, 632 – Schutzhaft  293, 346, 468 – Tätigkeitsverbot  160, 194, 250, 256, 258, 274, 327, 350 f., 353 – 355, 358 f., 363, 378, 380, 397 f., 402, 419, 422, 428 f., 433 f., 437, 439, 444, 459, 511, 516 f., 523, 529, 544, 547, 575 f., 627, 635, 641, 644, 646 – Todesstrafe  323, 480, 482 f., 493, 495, 500, 507 f., 556, 633 – Zwangsarbeit  347, 365, 378, 417, 442, 448, 459 f., 462, 500, 559 – 561, 637 Révész, László  115 Scitovszky, Béla  213, 222 – 226, 276 Serédi, Jusztinián György  105, 242 f., 465, 511 Siebenbürgen  25, 27 f. Simonyi-Semadan, Sándor  97 Slézinger, Olga  569

698

Sachwortregister

Somogyi, Imre  16, 18, 289 f. Spionage-Vorwurf  178, 181, 329, 349, 444, 463 – 465, 585 – 590 Staatsamt für Kirchenangelegenheiten  sie­ he Staatskirchenamt Staatskirchenamt  585 f., 590 – 593, 598 – 603, 607, 642 Staatssicherheitsbehörde  18, 99, 114, 122 f., 126 f., 176 f., 187, 192, 214, 264, 283, 303, 391, 398, 407, 441, 449, 451 f., 460 f., 587, 589, 593, 601 f., 617, 622, 643 Staatssicherheitszentrale  18, 439, 443, 462 – 466, 480, 488, 498, 511, 577, 628, 632 f. Stalin, Josef  294, 317 Szabó, Bertalan  571 Szabó, Lajos  264 Szálasi, Ferenc  239 f., 344, 348, 365 – 367, 390, 463 f., 498, 517, 527, 570 f., 578, 626, 628, 637 Szebeni, Oliver  289 Szekfű, Gyula  22, 24, 29, 59, 109, 372 Széll, Kálmán  66 Szilágyi, Dezső  48 Szinger, Ádám  19 f., 340, 414 f., 455 f., 459, 484 f., 492, 555 f., 560 – 566, 585, 590 f., 600 f. Szombathelyi, Ferenc  462, 474, 476 f., 483, 494, 500, 502 Sztójay, Döme  302, 366, 527, 568 – 570 Teleki, Pál  96 – 98, 106, 243 f., 272, 340, 346 f., 349, 350, 352, 364 f. Thököly, Imre  31 Tisza, István  59 f., 89 Tisza, Kálmán  39, 43, 47, 51 Toleranzpatent 34 Totalverweigerer  siehe Militärdienstverweigerung Trefort, Ágoston  42, 47 Ujszászy, István  250, 443, 463 – 466 Ungarntum  21, 23, 26, 85, 99, 105, 107 f., 126, 128, 136 f., 152, 161, 202, 208,

215, 229, 239, 273, 277, 279, 301, 364, 615 f., 649 Untreue-Vorwurf  133, 324, 417, 425, 459 f., 463, 465, 469, 472 – 480, 483 – 486, 488 f., 494 f., 498, 500 – 503, 506, 508 f., 511, 528, 538, 546, 557 f., 560 f., 569, 577, 588, 594, 633 Varga, Dániel  405 f., 498, 549, 560 Varga, Sándor  471, 497 f. Vass, József  120 Verein  siehe Religionsfreiheit, Rechtsfähigkeit Verfassung, Verfassungsgesetze  13, 28, 30 f., 36 – 40, 50 f., 93 f., 97, 112, 114 f., 120, 124 f., 130, 165 – 168, 170 – 172, 182, 184 f., 194, 210, 215, 226, 230 – 234, 258 – 260, 268, 276, 279, 295, 301 f., 312, 315, 323, 344, 348 f., 354 f., 361 – 363, 365 f., 368, 370 f., 378, 416, 441, 472, 512, 517, 575, 579, 585, 595, 601, 603 f., 608, 610 – 616, 618, 623, 626 – 629, 643 – 648, 650 – Ausnahmegewalt  78, 117, 119 f., 164, 319, 321, 346, 350 f., 474 f., 512, 571, 575, 624 – Goldene Bulle  24, 31, 38 Verfassung, Verfassungsrechte – GA XLIII/1895  siehe Gesetze – GA XXXIII/1921 siehe Gesetze Verordnungen – VO 1.347/1907  76 – VO 1.508/1875  65 – VO 1.670/1932  127 f., 163, 231, 362 – VO 3.000/1922  126, 128 – VO 3.006/1908  247 – VO 3.100/1926  210, 213 f., 220, 223, 231, 276, 362, 626 – VO 4.352/1920  122, 126 – VO 4.400/1928  220, 226 – VO 4.800/1923  152 – VO 5.070/1939  347 – VO 5.084/1919  117 – VO 5.431/1938  328 f., 349, 398, 627

Sachwortregister – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – –

– – – – –

VO 5.481/1914  117 – 119, 163, 187 VO 5.735/1914  117 VO 5.5010/1920  117, 123 VO 6.000/1922  118, 163 f., 187, 224, 252 VO 6.050/1932  120 VO 6.200/1928  222, 229, 231, 245, 276 f., 286, 291 f., 315, 361 f., 626 f. VO 6.270/1946  579 VO 6.310/1922  119 VO 6.335/1919  99 VO 7.470/1924  119 VO 8.110/1939  350 VO 8.120/1939  120, 350, 387, 627 VO 8.130/1939  352, 373, 440 f., 445, 461 VO 8.140/1939  322 VO 8.300/1936  275, 282, 284, 286 f., 289, 291 – 293, 299, 310, 315, 359, 362, 627 VO 8.769/1938  330 f., 358, 400, 403, 541, 627 VO 8.820/1941  374 VO 9.200/1922  127 VO 10.612/1940  405 f., 411, 627 VO 10.800/1939  322 VO 11.004/1921  118 f., 123 f., 163 f. VO 12.548/1868  42 VO 13.100/1938  316 VO 13.400/1942  460 – 462, 560, 633 VO 13.885/1940  426 VO 13.920/1920  122 VO 14.485/1937  315, 361, 404, 627, 629, 641 VO 14.700/1924  161, 166, 168, 170 f., 173, 186, 193, 209 – 215, 220, 223 – 225, 229, 231, 275 – 277, 286, 362, 626 f. VO 15.038/1942  376, 381, 396 VO 15.645/1940  412, 444 VO 23.806/1916  77 VO 25/1959  596 VO 27.300/1941  377

699

– VO 32.816/1939  338, 340 f., 522, 524, 549 f., 553, 628 – VO 36/1959  596 – VO 43.008/1939  342 – VO 57.891/1906  76, 262 – VO 60.002/1923  128 f., 164, 193, 203, 630 – VO 65.825/1939  355 – VO 68.166/1942  376 – VO 71.464/1930  245 – VO 72.092/1905  165 – VO 77.092/1905  53, 76, 174 f. – VO 77.299/1942  476 – VO 91.383/1919  98, 122 – VO 92.518/1939  331 – 333, 335, 337 f., 521, 528, 534, 553, 627 – VO 99.205/1906  76 – VO 113.251/1932  271 f., 640 – VO 115.950/1938  317 – VO 117.943/1932  250 – VO 120.000/1947  583 – VO 124.037/1924  127 – VO 125.400/1924  203 – VO 151.997/1940  428 f., 627 – VO 167.800/1936  292 – VO 167.800/1936  289 – VO 181.000/1937  348 – VO 193.611/1924  211 – VO 196.359/1925  197, 211 – VO 208.458/1924  159, 205, 231, 250 – VO 216/1848  37, 65 f., 118, 151, 164 – VO 247.704/1941  376, 379, 386 – VO 363.500/1939  350, 353 f., 357 – 359, 362, 383, 398, 401 f., 411, 419, 422, 424, 427 – 429, 436 – 438, 441, 444, 451, 545, 579, 627 – VO 500.527/1947  582 – VO 500.533/1947  582 – VO 500.554/1947  582 – VO 563/1875  49 – VO 642/1942  459

700

Sachwortregister

– VO 666/1925  159 – VO 760/1939  352, 358, 440 f., 445, 461 – VO 769/1939  373 Versammlungsfreiheit  37, 50, 66, 89 f., 117 – 120, 154, 163 f., 166, 171, 177, 187, 192, 211, 291 f., 583, 616, 618, 621 Vertrag von Trianon  99, 101, 104, 112 f., 130, 138, 222, 229, 237, 258, 269, 345, 618 – 620, 625, 645 – Artikel 54  112, 125, 232 f., 362, 623, 625, 629, 643 – Artikel 55  112 f., 121, 125, 134, 147, 149, 157, 162 f., 165, 167, 169, 177, 182, 230 – 233, 282, 286, 310, 353, 491, 623, 625, 627, 629, 645 – Artikel 58  112, 311

Völker und Ethnien (Nationalitäten)  36, 38, 59 f., 88, 92, 99, 101, 112 f., 151 f., 230 f., 613 f., 617, 646 Vorwurf der Kriegshetze  460, 536, 591 Wallrabenstein, Jakob  184 Wekerle, Sándor  40, 48 f., 59 f., 88, 95, 620 Wesselényi, Franz, Palatin  30 Zápolya, János Zsigmond (Johann Sigismund), König  25, 28 Zennig, Gerhard  264, 284, 297 – 300, 306, 310, 407 Zentrale Ermittlungsbehörde  127, 631 Zsondor, János  571 Zuchthaus Vác  486