Parteien und Gesellschaft im Ersten Weltkrieg: Das Beispiel Österreich-Ungarn 9783205793687, 9783205796206


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Parteien und Gesellschaft im Ersten Weltkrieg: Das Beispiel Österreich-Ungarn
 9783205793687, 9783205796206

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Herausgegeben im Auftrag der Plattform zeithistorischer politischer Archive  : Karl von Vogelsang-Institut zur Erforschung der Geschichte der christlichen ­Demokratie in Österreich Kreisky-Archiv Verein für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung Forschungsinstitut für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek

Maria Mesner · Robert Kriechbaumer · Michaela Maier Helmut Wohnout (Hg.)

PARTEIEN UND GESELLSCHAFT IM ERSTEN WELTKRIEG Das Beispiel Österreich-Ungarn

2014 böhl au verl ag w ien . köln . weimar

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildungen (vorne v. l. n. r.): Abmarsch des Landwehr-Ulanenregimentes Nr. 6 am Bahnhof von Wels unter stürmischen Kundgebungen der Bevölkerung, 1914 (Kreisky-Archiv) Das Reichsratsgebäude am Wiener Ring als Militärrekonvaleszentenhaus, 1914 (Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung) Kriegsbegeisterung in Innsbruck, 1914 (Kreisky-Archiv) Kriegsbegeisterung: Soldaten schwenken ihre Säbel, 1914 (Kreisky-Archiv) Ausrufung der Republik in Wien, 1918 (Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung) © 2014 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat: Sabine Schweitzer Übersetzungen aus dem Englischen: Maria Mesner Redaktion: Remigio Gazzari Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Druck und Bindung  : FINIDR s.r.o., Cesky Tesín Gedruckt auf chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-79620-6

Inhalt

Vorwort.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Maureen Healy

Ein Donnerstag vor dem Krieg. Der 28. Mai 1914. . . . . . . . . . . . . . . . .

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Johannes Schönner

Die Geschichte einer Flucht nach vorne. Die Christlichsozialen im Spannungsfeld zwischen Kaisertreue und Pragmatismus. . . . . . . . . . . . . .

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Lutz Musner

Waren alle nur Schlafwandler? Die österreichische Sozialdemokratie und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Gernot Stimmer

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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András Gerő

Die politische Elite Ungarns und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Politische Haltungen und kulturelle Motivationen. . . . . . . . . . . . . . . . .

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Maddalena Guiotto

Die italienischen politischen Parteien Österreich-Ungarns und ihre Stellung zum Ersten Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Regina Wonisch

Tschechische Parteien in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Maria Mesner

Am Anfang war die Niederlage. Die Friedensbewegten vor dem Ersten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Michaela Sohn-Kronthaler

Der katholische Episkopat und der Erste Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Erwin A. Schmidl

Geteilte Loyalitäten ? Zur Lage von Juden und Muslimen im Ersten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Wolfgang Maderthaner

Der moderne Massenkrieg.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Lorenz Mikoletzky

Wortmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Manfried Rauchensteiner

Gedankensplitter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 AutorInnen und HerausgeberInnen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Vorwort

Der Erste Weltkrieg ist in der deutschsprachigen Historiographie und in der öffentlichen Aufmerksamkeit bisher häufig hinter dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust zurückgeblieben – mit gutem Grund, vor allem, was Österreich und Deutschland betrifft. Der 100. Jahrestag des Kriegsausbruches bietet nun die Gelegenheit, einen genaueren Blick auf diesen ersten »totalen Krieg« zu werfen  : ein Ereignis, das für viele Gesellschaften, unter anderem die österreichische, den Bruch markiert zwischen Monarchie und Republik. Die Zeit der Kaiserreiche schien abgelaufen, der Kriegsbeginn markiert das Ende des langen 19. Jahrhunderts. In Russland kam es zu einer Revolution, die bei den einen Angst und Schrecken, bei Anderen zukunftsfreudigen Optimismus evozierte, jedenfalls aber tiefen Eindruck hinterließ. Viele Länder führten das allgemeine Wahlrecht ein. Auch wenn damit die Auf- und Umbrüche des späten 19.  Jahrhunderts ausgeblendet wurden  : Die Zeitvor dem Ersten Weltkrieg würde danach für viele die gute alte werden, mit – wenn auch nur scheinbar – gesicherten Autoritäten und Wahrheiten, eine Zeit, von der man glauben wollte, dass es eine Welt gegeben hätte, die noch »in Ordnung« war, eine Zeit, die, manchmal bis heute, Anknüpfungspunkt für viele rückwärts gewandte Sentimentalitäten war, die in der Vergangenheit mitunter zu politischen Zukunftsvisionen wurden. Zweifellos birgt die Geschichte des Ersten Weltkriegs vieles, was für das kurze 20. Jahrhundert, das ihm folgen sollte, also unsere unmittelbare Vergangenheit, aufschlussreich ist, auch außerhalb des Militärischen. Die 2011 gegründete Plattform der zeithistorischen politischen Archive, die aus der Wilfried Haslauer-Bibliothek, dem Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, dem Karl von Vogelsang-Institut und dem Kreisky-Archiv besteht, hat daher beschlossen, sich in einer Konferenz im November 2013 zur besseren Ausleuchtung der Geschichte des Ersten Weltkriegs – passend zu ihrem Arbeitsgebiet – vor allem mit den politischen Parteien zu beschäftigen, mit ihren Haltungen, Dilemmata und Entscheidungen kurz vor, bei und nach Kriegsausbruch. Aus den überarbeiteten Vorträgen dieser Konferenz ist nun der vorliegende Sammelband entstanden. Den (deutschsprachigen) politischen Parteien sind dann auch die Beiträge im ersten Abschnitt des Buches gewidmet. Dem vorangestellt ist ein Artikel, der die Alltagswelt vor Kriegsausbruch beleuchtet und damit jenes Feld beschreibt, das der Krieg kurz danach so grundlegend verändern sollte. Die Knappheit der Ressourcen verhinderte, dass sich Autoren oder Autorinnen für diesen Band mit sämtlichen Positionen der Monarchie in ihrer ethnisch aufgefächer-

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ten Vielfalt beschäftigten. Dies mit dem Anspruch auf Vollständigkeit zu tun, um auf alle regionalen und ethnischen Aspekte hinzuweisen, muss anderen Forschungs- und Publikationsunternehmungen vorbehalten bleiben. Um auf die diesbezüglichen Problemstellungen zumindest hinzuweisen, haben wir stellvertretend Beiträge über ungarische, italienische und tschechische Entwicklungen aufgenommen, die den zweiten Abschnitt des Bandes bilden. Die Parteien sind wesentliche politische Verbindungsstränge zwischen der »alten« und der »neuen« Welt. Sie formierten sich, zumindest was das christlichsoziale und das sozialdemokratische Lager betraf, schon vor dem Ersten Weltkrieg zu Massenparteien, um dann in der Ersten Republik – ja bis heute – zur dominanten politischen Struktur zu werden. Schon Ernst Hanisch hat in seinem Standardwerk »Der lange Schatten des Staates« Mitte der 1990er Jahre darauf hingewiesen, dass die beiden Massenparteien, Christlichsoziale wie Sozialdemokraten, im Zuge des Zerbrechens der Monarchie neben den regionalen Einheiten zu jenen Kräften zählten, die für Kontinuität standen. Für uns war es wesentlich, die Parteien und ihre Rolle in einem größeren gesellschaftlichen Umfeld zu kontextualisieren. Daher haben wir uns entschlossen, auch andere politisch wirksame Akteure und Akteursgruppen zu thematisieren  : Artikel über die Haltung von Glaubensgemeinschaften und der Friedensbewegung bilden den dritten Abschnitt dieses Buches. Im letzten Teil des vorliegenden Sammelbandes finden sich Einschätzungen zu den langfristigen Veränderungen der Gesellschaft durch den Krieg, die über die hier eigentlich thematisierte Zeit hinausreichen. Die Herausgeberinnen und Herausgeber möchten all jenen danken, die das Zustandekommen dieses Bandes unterstützt haben  : den Autoren und Autorinnen für die Manuskripte, die dieses Buch ausmachen  ; dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft, der Wissenschafts- und Kulturförderung der Gemeinde Wien sowie dem Bundesministerium für auswärtige und internationale Angelegenheiten für die finanzielle Unterstützung  ; dem Böhlau-Verlag, besonders Dr. Ursula Huber, für die gute Kooperation, Dr. Sabine Schweitzer für das umsichtige Lektorat und Remigio Gazzari für die organisatorische Betreuung des Bandes. Der vorliegende Band möge zum Nachdenken und Nachforschen anregen und damit auch die eine oder andere weitere Publikation anstoßen. Robert Kriechbaumer · Michaela Maier · Maria Mesner · Helmut Wohnout für die Plattform der zeithistorischen politischen Archive Wien, im Februar 2014

Maureen Healy

Ein Donnerstag vor dem Krieg Der 28. Mai 1914

Am 28. Mai 2014 berichtete die Wiener Presse, dass ein junger Mann aus dem 16.  Wiener Gemeindebezirk einen Selbstmordversuch unternommen habe.1 Der 21-jährige Arbeiter Karl P. habe sich auf einer Parkbank mit einem Revolver in den Kopf geschossen. Eine Zeitung wusste  : »Das Motiv soll unerwiderte Liebe gewesen sein.«2 Zufällig sollte sich auf derselben Parkbank später am selben Tag noch ein anderes Ereignis zutragen  : Die 23-jährige Arbeiterin Marie B. war auf dem Weg in die Gebärabteilung des Krankenhauses, als die Wehen einsetzten. Auf dem »Selbstmörderbankerl«, wie es die Zeitung nun nannte, schenkte sie mit der Hilfe von zwei Wachtmeistern einem Mädchen das Leben. Das außergewöhnliche Zusammentreffen zweier Ereignisse an einem sonst ganz unauffälligen Tag in der Stadt führte zur Schlagzeile »Tod und Leben auf einer Bank«.3 Der 28. Mai 1914 war sehr unauffällig. Es war ein Donnerstag. Das Wetter war angenehm, wenn auch ein bisschen schwül. Die Tagespresse berichtete über die alltäglichen Ereignisse in der lebendigen Stadt mit zwei Millionen Einwohnern. Nichts Besonderes passierte, nichts von offensichtlichem Interesse für einen Historiker oder eine Historikerin 100 Jahre später. Der Tag war durchschnittlich, ohne besondere Ereignisse. Der 28. Mai war farblos im Vergleich zu seinem zukünftigen Cousin, dem 28. Juni, jenem Tag, an dem Thronfolger Franz Ferdinand ermordet wurde und die diplomatische Maschinerie in Gang kam. Was passiert aber, wenn wir diesen zufällig gewählten Tag aus dem historischen Dunkel holen und als Linse verwenden, um zu verstehen, was am »Vorabend« des Ersten Weltkrieges normal und erwartbar war  ? Die Wendung »Vorabend«, in der Geschichtsschreibung über den Krieg immer wieder verwendet, meint mehr als ein schlichtes »vor dem Krieg«.4 Sie deutet auf eine gewisse Bedrohung, auf etwas, das bald geschehen wird. Dieser Beitrag entwickelt eine Momentaufnahme des 28. Mai 1914 anhand von acht deutschsprachigen Wiener Tageszeitungen und drei Wochenblättern, die jeweils am Donnerstag erschienen.5 Was die Wiener und Wienerinnen lasen, kauften, aßen, sahen, sich vorstellten, fürchteten und wünschten, kann mittels einer genauen Lektüre der ungeheuer vielfältigen Presse der Hauptstadt erschlossen werden. Dieser alltagsgeschichtliche Zugang führt zu einer Reihe von Ergebnissen  : Erstens sehen wir, dass sich die Berichterstattung der Presse, entgegen aller Erwartung, oft über die Scheide-

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linien politischer Lager, die typisch für Österreich im 20. Jahrhundert sind, hinwegsetzte. Zweitens zeigt sich, dass viele der Themen, die wir mit dem Ersten Weltkrieg assoziieren, schon vorher sichtbar sind, sei es explizit oder als Subtext  : tote Körper, Zerstörung, die zentrale Stellung des Militärs, die Verwirrung im Zentrum des Habsburgerreiches über die politischen Konturen auf dem Balkan, sogar die Ersatzstoffe. Und schließlich verwischt die Konzentration der Aufmerksamkeit darauf, was zu einem bestimmten Zeitpunkt vor dem Krieg normal war, die dicke und bestimmte Linie, die die Historiker in der Rückschau durch den Sommer des Jahres 1914 gezogen haben, in erhellender Weise. Bevor ich aber diesen gewöhnlichen Tag skizziere, möchte ich methodische Einwände, die es gegen einen solchen Zugang offensichtlich geben muss, ansprechen. Als jemand, die »Alltagsgeschichte« schreibt, habe ich an anderer Stelle dargelegt, dass nur eine breite Quellenbasis es ermöglicht, die Tiefen des Politischen jenseits von Parteien und deren gedruckten Quellen historiographisch auszuloten.6 Zeitungen sind eine nützliche Quelle, haben aber beschränkte Aussagekraft. Der Historiker Robin Okey kritisierte jene Zugangsweise als veraltet, in der führende Wiener Zeitungen herangezogen wurden, um die Sichtweise der Wiener Presse auf bestimmte historische Episoden in der letzten Phase der Monarchie darzustellen.7 Eine solche Vorgangsweise führt zu einer Reihe von Interpretationsproblemen  : Die Wiener Zeitungen bilden das Leben in der Monarchie nicht vollständig ab  ; nicht alle Wiener und Wienerinnen lasen deutschsprachige Zeitungen  ; nicht alle Wiener und Wienerinnen konnten lesen  ; von denen, die des Lesens mächtig waren, nahmen wahrscheinlich manche am 28. Mai 1914 keine Zeitung zur Hand  ; Zeitungen erzählen uns viel über ihre Herausgeber, aber wenig über ihre Leser und Leserinnen  ; wie alle öffentlichen Dokumente sagen auch Zeitungen wenig über die intimen und privaten Bereiche historischer Erfahrungen. Und die Liste ließe sich fortsetzen. Ich möchte daher eine Anleihe aus einer anderen Disziplin machen, die freier mit Texten umgeht. Einen Tag als eigene Zeiteinheit zu nehmen, als einen klar abgrenzbaren Rahmen, innerhalb dessen die zeitlichen und räumlichen Muster der Stadt erkundet werden können, geht nach einer anerkannten Methode der literarischen Moderne vor. In der Literatur wurde diese Methode sinnvoll eingesetzt  : James Joyce stellte das Leben in Dublin anhand eines einzigen Tages, des 16. Juni 1904, dar. »Der Tag war im Großen und Ganzen wie jeder andere«, schreibt Stuart Gilbert, »ohne wichtiges Ereignis und sogar für die Dubliner, die in ›Ulysses‹ vorkommen, ohne persönliche Katastrophe oder besonderen Erfolg.«8 Auch Virginia Woolf wendete die Methode in ihrem Roman »Mrs. Dalloway« an. Der Tag schreibt einen »bestimmten Zeitrahmen und eine bestimmte Struktur« in den Fluss des Bewusstseins der Protagonistin ein. Der Literaturwissenschafter James Schiff stellte fest, dass durch diese Technik »das Besondere (ein einziger Tag) das Ganze (ein ganzes Leben) enthüllen« könne.9 Im

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Unterschied zum Literaten, für den das Ganze so tiefgründig oder so seicht ist wie die Imagination, ist es dem Historiker oder der Historikerin nicht möglich, Vollständigkeit vorzugeben. Wenn es ein Ganzes gibt, dann kann die Lektüre von Zeitungen bestenfalls einige Pixel davon in den Blick nehmen. Für meinen Zweck habe ich Zeitungen nicht als Parteiorgane, als Stimmen der aus der österreichischen Politik vertrauten Lager gelesen, sondern mit dem Blick auf Themen, die über das Lager-Modell der österreichischen Gesellschaft hinausweisen. Obwohl anzunehmen ist, dass die meisten Zeitungen die Ansichten eines bestimmten Lagers wiedergaben, zeigt eine genauere Lektüre, dass viele der täglichen Meldungen über das politische Spektrum hinweg ähnlich waren, oft sogar mit gleichem Wortlaut. Das liegt daran, dass alle Zeitungen in ihrer Berichterstattung auf dieselbe Quelle zurückgriffen   : das »K. k. Telegraphen-Korrespondenz-Bureau«, eine Nachrichtenagentur.10 Ein kurzes Bespiel zeigt, wie ähnlich die Nachrichten über Lagergrenzen hinweg klangen. Betrachten wir den Tod eines Österreichers in Albanien, einem der Brennpunkte der Ereignisse am 28. Mai. Die Leser der katholischen »Reichspost« lasen  : »Unter den Toten befindet sich ein gewisser Rudolf Berger, angeblich aus Schlesien, der als Tourist in Albanien geweilt hätte. Er wurde bereits bestattet.« Wörtlich dieselbe Geschichte, mit dem »angeblich«, dem »Weilen« und der Bestattung, erschien in der »Arbeiter-Zeitung«, der »Neuen Freien Presse« und dem »Deutschen Volksblatt«.11 Sicher kreuzten Zeitungen mitunter zu bestimmten Themen auch die Klingen. So waren sich an jenem Tag die »Arbeiter-Zeitung« und die »Reichspost« in Bezug auf jüngste Aussagen des Papstes zum Modernismus uneinig. Die »Reichspost« nannte die »Neue Freie Presse« ein liberales jüdisches Schmierenblatt und bezichtigte die »Arbeiter-Zeitung« der Verbreitung von »Hebräerwitzen«.12 Die dem zu Grunde liegende Lager-Parteilichkeit ist bekannt. Es sollte aber auch in Betracht gezogen werden, dass die Tageszeitungen trotzdem Teil einer Medienlandschaft waren, dass sie miteinander zu tun hatten und ihre Inhalte aus einer Quelle bezogen, dem »K. k. Telegraphen-Korrespondenz-Bureau«. Es folgen die Ergebnisse der Zeitungslektüre für diesen einen gewöhnlichen Tag. Ein Abschnitt entspricht im Großen und Ganzen einem Abschnitt, der auch in den Zeitungen zu finden ist  : Wetter, Titelseite, Schlagzeilen, Auslands- und Inlandsnachrichten, Sport, Technik, Kultur, Inserate und Nachrufe. Der Wetterbericht Historiker und Historikerinnen greifen, wenn sie Europa im Sommer 1914 beschreiben, oft auf Metaphern zurück, die vom Wetter oder von Naturkatastrophen handeln. Michael Neiberg beschreibt den Mord von Sarajewo als »a first clap of thunder«, die

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Sorgen hätten sich aber rasch zerstreut, als der Himmel nach dem ersten Donner­ grollen nicht dunkler wurde.13 David Fromkin sieht ein Europa, das plötzlich stürzt, zusammenbricht und explodiert und fragt angesichts dessen  : »Welcher Tornado vernichtete das alte Europa und die Welt, die es beherrschte  ?«14 Europa sei von Winden hin und hergeworfen worden, die Europäer seien von einem Blitz getroffen worden, der – wie man fälschlicherweise angenommen hatte – aus einem wolkenlosen Himmel gekommen sei.15 Mustafa Aksakal entdeckt Wolken, die am europäischen Horizont aufgestiegen seien.16 Eine Publikation verglich den Ersten Weltkrieg mit einer Bewegung der Erdkruste  : »Er war wie ein Erdbeben, das sich über Jahrhunderte hinweg aufgebaut hatte.«17 Wetter und Naturkatastrophen kamen in den Zeitungen jenes Tages auf andere Weise vor. In der Vorkriegszeit veränderte sich die Wahrnehmung von Wetter. Aus einem lokal wahrgenommenen Umstand wurde ein wissenschaftliches Phänomen, das über Raum und Zeit hinweg aufgezeichnet und berichtet werden konnte.18 Die verschiedenen Wetterberichte für den 28. Mai waren uneinheitlich. Der Tag würde freundlich sein, der Himmel »trüb« und »schwül«. Oder  ? Das »Volksblatt« sagte eine Höchsttemperatur von 21 Grad voraus, das »Neuigkeits-Welt-Blatt« gab 30 Grad an.19 Obwohl alle Zeitungen ihre Angaben von der »Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik« (ZAMG) bezogen, berichteten einige Zeitungen über das Wetter der vergangenen Tage, während andere dies für die kommenden vorhersagten. Wir können daraus schließen, dass die gedruckten Resultate der modernen Wissenschaft der Meteorologie (noch) nicht notwendigerweise mit der täglichen Erfahrung von Hitze, Niederschlag, Wind und der Wahrnehmung, im Freien zu sein, korrespondierten. Die Wetterberichte des 28. Mai bieten einen Weg, die geographische Wahrnehmung des Kaiserreichs abzuschätzen. Die Leserschaft in Wien konnte das Wetter in Galizien und der Bukowina (dort war es sonnig), an der Adria (wo der Scirocco blies) und in den Alpen verfolgen, wo heftige Regenfälle zu beträchtlichen Überschwemmungen geführt und Teile des Gasteiner Tales überflutet hatten.20 Überraschenderweise wurde über das ungarische Wetter in der Wiener Presse weniger berichtet. Die Wetterberichte vermittelten der Wiener Leserschaft aber die Vorstellung der Verbundenheit mit einem größeren Europa. An diesem Tag waren sie mit anderen Teilen Europas durch eine »sehr schmale Rinne niedrigen Druckes« verbunden, die sich von Italien über Deutschland nach Finnland erstreckte.21 Unterirdische tektonische Erschütterungen verbanden Leser und Leserinnen auch mit Europa und der Welt. Am 28. Mai bewegte sich die Erde. Ungewöhnlicherweise verursachte eine geologische Erschütterung irgendwo auf der Welt kleinere Erdbeben in der Habsburger Monarchie. Der Ursprung des entfernten Bebens war unklar  ; man nahm an, das Zentrum läge mindestens 11.000 Kilometer entfernt. Die »ArbeiterZeitung« spekulierte, dass die Erschütterung aus dem Himalaya kommen könnte, dass

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es aber wahrscheinlicher sei, dass sie im Golf von Mexiko entstanden sei.22 Wo immer ihr Ursprung war, die »Reichspost« mutmaßte, dass sie anderswo »von katastrophaler Wirkung gewesen sein« mußte.23 Eine solche Berichterstattung war nur durch den Einsatz eines Seismographen möglich geworden, der in Wien erstmals 1904 installiert wurde.24 Die Zeitungen berichteten über das Ereignis und belehrten ihre Leserschaft gleichzeitig über die neue Wissenschaft der Seismographie  : »Die Bebenwellen gingen vom Ort des Entstehens außen an der Erdrinde weiter.«25 Die Bevölkerung von ­L emberg und Przemyśl spürte die Erdbewegung zwei Sekunden lang. In der ungarischen Stadt Homonna (in der heutigen Slowakei) flohen erschrockene Bewohner aus ihren Häusern und verbrachten die Nacht im Freien.26 Die Erde unter Wien bewegte sich um 11 Millimeter.27 Bewegungsmuster über der Erde und Erschütterungen darunter verbanden Wien mit der weiten Welt. Sozialdemokratische, katholische und nationalistische Leser und Leserinnen waren mit derselben (und immer gleich ungenauen) Berichterstattung über Erde und Luft konfrontiert. Es gab einfach kein »Lager«-Wetter. Schlagzeilen Obwohl die Militarisierung Wiens, wie sie während des Weltkriegs erfolgen sollte, noch nicht eingesetzt hatte, fanden sich am »Vorabend« militärische Themen überall in der Tagespresse. Überall in den internationalen Schlagzeilen wurde das militärische Engagement auf dem Balkan erwähnt. Alle Augen waren auf Albanien gerichtet. Dort nahm ein Flächenbrand Gestalt an. Die Wiener Leserschaft war aber offensichtlich nicht mit den Details der albanischen Politik vertraut und musste über die Grundlagen informiert werden, wer wann und wo in der Geschichte vorkam. Zwei Zeitungen verpackten diese Information in Graphiken. Unter der Schlagzeile »Der albanische Bürgerkrieg« brachte das »Interessante Blatt« eine ganzseitige Zeichnung, die zeigte, wie die »albanische« Königsfamilie vor den rebellierenden Jungtürken floh. Die »Albaner« waren eigentlich der deutsche Prinz Wilhelm und seine Familie  ; Wilhelm war erst kurz zuvor von den europäischen Mächten als Herrscher in Albanien eingesetzt worden. Die »Neue Zeitung« brachte eine ganzseitige Zeichnung mit verwirrten Flüchtlingen, die in alle Richtungen rannten und ihre Habseligkeiten in Kisten und Säcken herumschlep­ pten. Die visuelle Botschaft war eindeutig  : Chaos herrschte in einer Ecke des Balkans.28 Außerdem versuchten die Zeitungen, ihrer Leserschaft die wesentlichen Akteure im albanischen Drama zu erklären, einer Abfolge von Ereignissen, die der Historiker Fredric Morton eine »official, political, real-life costume party« nannte.29 Da waren Prinz Wilhelms Kriegsminister, der kurz zuvor entlassene und ausgewiesene Essad Pascha, der möglicherweise ein Komplott gegen seinen neuen Herrn spann  ; die auf-

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geregten Mitglieder seins Clans  ; Tausende von landlosen muslimischen Bauern  ; serbische Intriganten und darüber hinaus die Jungtürken. Einige Zeitungen berichteten, dass unter den Aufständischen auch 15 Männer in türkischer Kleidung festgenommen worden waren.30 Wie wir bereits wissen, war der glücklose Rudolf Berger, »angeblich aus Schlesien«, gerade in albanischer Erde begraben worden. In einigen Berichten wurde Italien als Übeltäter in den »albanischen Wirren« identifiziert.31 Sowohl Österreich-Ungarn als auch Italien waren die beiden wichtigsten Förderer eines unabhängigen Albanien gewesen  ; beide waren entschlossen zu verhindern, dass Serbien einen Zugang zur Adria bekäme.32 Obwohl das »Neuigkeits-Welt-Blatt« behauptete, dass die beiden Mächte in Bezug auf Albanien »fest und einig« seien, sah die »Neue Zeitung« »gegenseitige[s] Mißtrauen« in den Ereignissen.33 Die »Neue Freie Presse« hielt sich in den Details des Augenblicks etwas zurück und gab sich kolonialistischer Zukunftsschwärmerei hin  : Trotz der »primitivsten Bedingungen« dort gäbe es nun die Möglichkeit, »Albanien der Kultur zuzuführen. Am schnellsten ginge es gewiß durch kräftige Besitzergreifung seitens einer Großmacht. Als Kolonie würden sich schon erhebliche Schwierigkeiten, besonders wenn man nur an eine Pénétration pacifique denkt, ergeben.«34 Aber auch eine friedliche Inbesitznahme könnte nur mit Waffeneinsatz erfolgen. Daher hatte, wie das »Deutsche Volksblatt« wusste, Prinz Wilhelm ein großes Waffenlager bei Skoda in Pilsen bestellt. Eine Abordnung österreichischer Offiziere war entsandt worden, um die albanischen Gendarmen im Gebrauch dieser Waffen zu unterweisen.35 Was für das deutsch-nationale Blatt ein Geschäft war, betrachtete die »Arbeiter-Zeitung« als Ausfluss von Militarismus und kapitalistischer Ausbeutung. Die »Arbeiter-Zeitung« prangerte den Einsatz von Habsburger Offizieren im Dienst einer privaten Waffenfabrik an und stellte das unerträgliche Leiden der albanischen Bauern ins Zentrum ihrer Berichterstattung. Der Artikel warnte  : »Die albanischen Bauern werden Europa noch viel zu schaffen machen  !«36 Berichte über die zukünftigen Feinde Obwohl sie noch nicht wussten, dass sie sich am »Vorabend« des großen Krieges befanden, verfolgten die Zeitungen Ende Mai die militärischen Manöver der Feinde Österreich-Ungarns. Die meisten Zeitungen brachten auch eine kleine Spalte darüber, dass das serbische Parlament einen Kriegskredit beschlossen hatte.37 Auch aus Russland wurde Säbelrasseln berichtet. Der Zar hatte für eine Million russischer Soldaten »Uebungen« (die »Arbeiter-Zeitung« misstraute dieser Bezeichnung) angesetzt.38 Die »Neue Freie Presse« rechnete aufgeregt vor, dass bis September eine bisher nie dagewesene Zahl an Russen in Uniform sein würden, die »Neue Zeitung« zog den Schluss, dass die Maßnahme bedeutete, dass Russland Vorbereitung für »einen großen Krieg« traf.39

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In ihrer Berichterstattung über Kultur, Sport und Wirtschaft bewunderte die Wiener Presse aber nach wie vor die Erfolge von Österreichs zukünfigen Feinden. Am 28. Mai war die Vorstellung der russischen Ballerina Anna Pawlowa die Sensation in der Stadt. Bei ihrer zweiten Gastvorstellung des Ballets »Giselle« im Theater an der Wien feierte die Primadonna aus St. Petersburg einen »großen Erfolg«. Das »Deutsche Volksblatt« nannte sie »glänzend«.40 Die »Arbeiter-Zeitung« schrieb  : »[D]ie schlanken Linien ihres geschmeidigen Körpers, die unübertreffliche Technik der Fußspitzen, die Anmut ihrer Bewegungen und die dramatische Darstellungskunst müsse allüberall die Zuschauer in ihren Bann ziehen.« Die Künstlerin wurde »mit Ovationen überschüttet«.41 Die »Reichspost« wollte dem nicht nachstehen  : »[D]ie reiche Skala unserer sprachlichen Ausdrucksmittel [reicht] kaum zu[…], alle die unendlichen Möglichkeiten dieser ganz eigenartigen Darstellungskunst zu characterisieren.«42 Die Anmut der Pawlowa auf der Bühne war dem britischen Können am Fußballfeld ebenbürtig. Die Zeitungen berichteten, dass der Wiener Athletiksport Club zu Hause gegen Celtic, den Gästen aus Schottland, gespielt und 6  : 2 verloren hätte. Die Bewunderung für die Mannschaft, die als »unsere englischen Gäste« bezeichnet wurde, war groß. Das »Illustrierte Österreichische Sportblatt« merkte an, dass Celtic gespielt hätte, »wie wir es fast noch nie […] in Wien gesehen haben.« »[U]nd was die Schotten an Können, sowohl in technischer als auch taktischer Hinsicht, gezeigt haben, stellt wohl die Vollendung der Fussballkunst dar.« 43 Insgesamt schien in Hinblick auf die Ausrüstung England die Welt des Sports zu beherrschen. Anzeigen für englische Fußbälle, Tennisschläger, Fahrradteile und Schuhe – »Original englisches Fabrikat« – zeugen von der hohen Wertschätzung, die Wien für den zukünftigen Feind hegte. Zwei verschiedene Tennissschläger, den »Conquerer« und den »Defender«, gab es im Mai im Sonderangebot. 44 Auch in der Wirtschaft wurden Besucher aus dem Westen ungeduldig erwartet. Wien bereitete sich darauf vor, eine große Delegation französischer Gäste am »International Businessmen’s Day«, der für Juni geplant war, zu begrüßen. Das Echo auf dessen Ankündigung war in Frankreich so groß gewesen, dass ein Sonderzug geführt werden sollte. Über einen zweiten dachte man noch nach.45 Das war nur eine von vielen Verbindungen in Wirtschaft, Sport und im Kulturbereich, die durch den Kriegsausbruch getrennt werden sollte. Innenpolitik Während österreichische Offiziere in Albanien mit Skoda-Waffen hausieren gingen, trafen einander österreichische und ungarische Delegationen in Budapest.46 Da die Sitzungen des österreichischen Reichsrats im März wegen einer nationalistischen Blo-

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ckade auf unbegrenzte Zeit ausgesetzt worden waren, war das Treffen der 60 Delegierten ein Ort, wo sich formelle Parteipolitik zeigte. Militärangelegenheiten beherrschten das Programm der österreichischen Delegation. Am ausführlichsten behandelte die offizielle »Wiener Zeitung« die Ereignisse des Tages. Die schlechte Behandlung von Slawen in der Armee, die Verschickung von slawischen Truppen an unbeliebte Destinationen and Proteste gegen die Sprachgewohnheiten im Heer kamen zur Sprache, ebenso wie eine Reform der Besoldung im Heer und die angebliche Unausgewogenheit bei der Bestellung von Offizieren.47 Außerdem musste sich die Delegation mit dem Verhalten von Offizieren beschäftigen. Aufmerksamkeit erregte eine Geschichte aus Budapest, die sich in vielen Zeitungsberichten wiederfand. Es ging um die Beschwerde des christlichsozialen Delegierten Josef Schlegel über eine alte militärische Tradition  : das Duell. Schlegel wurde dabei sogar von politischen Gegnern unterstützt. Trotz der entschiedenen Gegnerschaft der katholischen Kirche, der Sozialdemokraten und den bürgerlichen Liberalen kam es in der Zeit vor dem Krieg immer wieder zu Duellen.48 Jüngste Berichte über ein Duell zwischen ungarischen Offizieren hatten Schlegels Zorn erregt. Seine Haltung war aber gespalten  : Er und andere Christlich­ soziale verabscheuten das Duell, wollten aber nicht als Kritiker des Militärs dastehen. Er began daher seine Eingabe mit den Worten der Kaiserhymne  : »Was des Bürgers Fleiß geschaffen, schütze treu des Kriegers Kraft.« Dann stellte Schlegel klar  : »Wenn es zu einem Krieg kommt, was Gott verhüten wolle, dann wollen wir nicht diejenigen sein, die die Verantwortung dafür tragen müßten, daß wir der Wehrmacht etwas nicht bewilligt hätten.« 49 Auch Leser und Leserinnen, die sich nicht für die Schlagzeilen zu Albanien oder zu den Verhandlungen in Budapest interessierten, werden wohl die Präsenz des Heeres in der Stadt gespürt haben. Drei Themen erinnerten am 28. Mai an die militärische Vergangenheit der Habsburger. In düsterem Ton erinnerte die »Reichspost« ihre Leserschaft an Verpflichtungen aus früheren militärischen Heldentaten der Monarchie. Eine Reihe von alten »Radetzky-Veteranen« würden in schlechten Verhältnissen leben und Unterstützung brauchen.50 Fröhlicher waren einige Inserate gehalten, die die Leserschaft auf eine Feier im Prater aufmerksam machten, die aus Anlass eines früheren militärischen Sieges stattfand. Das »Festspiel« »Anno 1814«, das die Niederlage Napoleons und den 100. Jahrestag des Wiener Kongresses feierte, zog ein großes Publikum an, darunter Dutzende Prominente aus Wiens Theatern. Die Anwesenden verkleideten sich, tanzten und aßen wie in »Alt-Wien 1814«.51 In Hinblick auf die zukünftigen Ereignisse war der Bericht über eine Fahnenweihe des 99. Infanterie-Regiments, die in Wien in der Woche zuvor stattgefunden hatte, der hervorstechendste Bericht jenes 28. Mai 1914. Einige Zeitungen berichteten, dass Passanten »ein glanzvolles militärisches Fest« hatten beobachten können, als das Infanterie-Regiment 99 vor der Votivkirche aufmarschierte. Die alte Flagge, die über dem Schlachtfeld von

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Solferino geweht hatte, war ins Militärmuseum gebracht worden. Mit gezogenen Säbeln schworen die Offiziere nun, die neue Fahne zu ehren und sie zu verteidigen.52 Das Infanterie-Regiment 99 sollte während des Ersten Weltkriegs große Verluste erleiden.53 Schon Ende August 1914 flatterte die Regimentsfahne über Stary-Zamość in Russisch-Polen, wo viele Anhörige des 99. fielen. Den Eltern eines von ihnen, R ­ ichard Freschl, Leutnant des 99. Infantrie-Regiments aus der Nähe von Wien, wurde in einem Kondolenzschreiben versichert, dass ihr Sohn seine Pflicht erfüllt und dazu beigetragen habe, »an unsere Fahne Lorbeeren zu binden«.54 Der Krieg sollte dazu führen, dass entfernte Orte wie Stary-Zamość ins Bewusstsein der Wiener und Wienerinnen traten, wenn sie auf den Karten verfolgten, wo sich ihre Lieben gerade aufhielten. Der Erste Weltkrieg brachte das Kaiserreich nach Hause  ; für die Bewohner und Bewohnerinnen der Hauptstadt änderte er die geographische Wahrnehmung der habsburgischen Länder und der Nachbarstaaten.55 Was entfernt gewesen war, rückte nun näher. Außer in den schon erwähnten Wetterberichten bemerkte die Wiener Leserschaft das Kaiserreich in der Form von politischen Skandalen, Stellenangeboten, Arbeitskonflikten und vor allem Sportereignissen. In zwei Geschichten wurden Nachrichten aus dem Inland außerhalb Wiens zum unterhaltsamen politischen Spektakel. Die »Reichspost« beschrieb den Niedergang eines in Ungnade gefallenen sozialdemokratischen Reichsratsabgeordneten aus Galizien. Nachdem er viele Schulden angesammelt und hohe Summen von seinen Parteifreunden geborgt hatte, war der Abgeordnete Semen Wityk nach Amerika geflohen. Die Genossen der Ruthenischen Sozialdemokratischen Partei hatten versucht, ihn aus der Partei auszuschließen, aber er war weder in Lemberg noch in seinem Heimatbezirk aufzufinden. Wityk wurde als »vermisst« gemeldet und entkam so seinen Schulden, indem er eine Amerikareise unternahm.56 Gleichzeitig wurde, etwas näher bei Wien, nämlich in Prag, Karel Šviha, einem gestrauchelten Mitglied der Tschechischen Nationalsozialistischen Partei, der Prozess gemacht. Im März hatte die Prager Zeitung »Národní listy« Šviha als bezahlten Polizeispitzel bloßgestellt. Dieser verklagte die Zeitung wegen Verleumdung. In seiner Ausgabe vom 28. Mai veröffentlichte »Das interessante Blatt« Fotos von Zeugen auf dem Weg zum Prager Gericht und versprach der Leserschaft dadurch »einen tiefen Einblick in das Getriebe der inneren böhmischen Politik«.57 Auch die »Arbeiter-Zeitung« beschäftigten am 28. Mai böhmische Angelegenheiten. Hier zeigt sich, wie Arbeitskämpfe quer durch Österreich-Ungarn verliefen. Die Arbeiter einer Papierfabrik in Holaubkau, einem böhmischen Dorf in der Nähe von Pilsen, waren im Konflikt mit der Betriebsleitung. Die österreichische Sozialdemokratische Partei fürchtete, dass der Betrieb Arbeiter aus anderen Teilen der Monarchie anwerben würde und ermahnte die Leser der »Arbeiter-Zeitung«, dass der »Zuzug chemischer Arbeiter nach Holaubkau streng fernzuhalten ist.«58 Ähnliche Warnun-

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gen gegen die Heranziehung von auswärtigen Arbeitern ergingen im Fall der Aussperrung von Arbeitern in einer ungarischen Waggonfabriksgesellschaft, eines Streiks von Friseurgehilfen in Slowenien und von Schneidern in Mähren.59 Diese Warnungen – »Reise nicht in Streikgebiete« – sollte Schaden durch die Mobilität von Arbeitern über die Streikpostenketten der Monarchie hinweg vermeiden. Hier waren es Arbeitskämpfe, die das geographische Bewusstsein schärften  : Entfernungen, Mobilität und die Folgen von Grenzüberschreitungen, sowohl räumlich als auch ökonomisch, wurden so thematisiert. Sport Das Kaiserreich als Ganzes wurde am besten in den Sportnachrichten der Zeitungen sichtbar. Hier war es üblich, Grenzen zu überschreiten. Mannschaften trafen einander, Spieler wurden ver- und gekauft. Das »Illustrierte Österreichische Sportblatt« vom 28.  Mai berichtete über die Ergebnisse von Fußballspielen in Galizien, Ungarn, ­Böhmen und der Steiermark. Vienna Rapid hatte gerade gegen DFC Prag bespielt und die Gäste 6  : 1 geschlagen. Der Prager Torjäger Robert Merz wurde als »ein echtes Wiener Kind«60 beschrieben. Das »Sportblatt« förderte die geographischen Kenntnisse der Monarchie mit einem Wettbewerb  : Unter dem Titel »Kennen Sie Oesterreich  ?« wurden die Wettbewerbsteilnehmer aufgefordert, auf einer blinden Karte die Namen von 30 größeren und kleineren Städten einzutragen. Das Preisgeld betrug 1.000 Kronen.61 Auch Autorennen erlaubten es der Leserschaft, Ereignisse im gesamten Gebiet der Monarchie zu verfolgen. Ende Mai lief ein großes Autorennen mit mehreren Etappen – die Karpatenfahrt 1914.62 Das vom Ungarischen Automobil Club organisierte 7-Tage-Rennen führte über 2.500 Kilometer. Am 28. Mai hielt ein Bericht aus Czernowitz fest, dass ein Pulk von Autos durch den Kurort Dorna-Watra (im heutigen Rumänien) gerast war. Nach dem Abendessen hatte die lokale Bevölkerung und die Rennfahrer – zu Beginn des Rennens waren das 33 gewesen – einen Toast auf den Kaiser ausgebracht.63 Das »Deutsche Volksblatt« fügte hinzu, dass die ausgezeichnete Leistung von drei Austro-Daimlern »ein neuerlicher Beweis für die Güte dieser vortrefflichen heimischen Marke«64 sei. Technik Die Automobilkultur in Österreich steckte noch in den Kinderschuhen, und die Rennfahrer auf der Karpatenfahrt waren eine kleine Elite. Aber es gibt auch Hinweise darauf, dass die Erfahrung des Autoreisens weitere Kreise erfasste. Goldman &

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­Salatsch inserierte in der »Neuen Freien Presse« eine »komplette Garnitur« für Ausflüge im Auto (»Staubmantel, Kappe, Brille«).65 Im »Interessanten Blatt« war ein richtiges Auto im Sonderangebot, der »kleine Wanderer«, der als »das ideale Auto für Aerzte, Kauf- und Sportleute«66 angepriesen wurde. In Berichten über spektakuläre Autounfälle ist eine Faszination für Geschwindigkeit zu spüren.67 Am 28. Mai wurde die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf Triest gelenkt, wo Baron Edmund Cnobloch und sein junger Fahrer kopfüber in einen Kanal gefahren und ertrunken waren.68 Der Chauffeur, so das »Neuigkeits-Welt-Blatt«, sei vom »Schnellfahrtsteufel« besessen gewesen. Die Wiener Leser und Leserinnen wurden sozusagen an den Schauplatz des Unfalls gebracht und über Details aus erster Hand informiert, die es ihnen ermöglichen sollten, sich das Ereignis vorzustellen. Die beiden Männer seien in der Falle gesessen, weil es ihnen nicht möglich gewesen war, die Wagentüren zu öffnen, als sich das Auto mit Wasser füllte. »Die Uhr des Barons war um 11 Uhr 15 Minuten, dem Zeitpunkt der Katastrophe, stehen geblieben.« Und die Zeitung gab auch eine Moral aus der Geschichte zum Besten  : Auf unbekannten Straßen solle man langsam fahren.69 Die Faszination für mechanische Geschwindigkeit und Beschleunigung zeigte sich sogar in einem Bericht über die Wiener Pferderennbahn. Im »Maidenrennen« der Zweijährigen hatte das Siegerpferd einen passenden Namen  : Motor.70 Neben Autos nahmen Flugzeuge einen wichtigen Platz in den Nachrichten des Tages ein. In allen Zeitungen finden sich Geschichten, die das Interesse am Fliegen und der Aufregung und den Gefahren, die es mit sich brachte, zeigen. Die 3. Internationale Flugwoche, die Ende Juni in Wien stattfinden sollte, versprach, ein hervorragendes Ereignis zu werden. In- und ausländische Teilnehmer sollten um eine ganze Reihe von Preisen kämpfen, für die höchste Geschwindigkeit, den schnellsten Aufstieg und die schnellste Landung.71 Für den September war eine Reihe von Flügen in ganz Österreich-Ungarn geplant, die als »Zuverlässigkeitsflüge« bezeichnet wurden.72 Dabei flogen Piloten von Wien über Bratislava, Wiener Neustadt, Linz und ­Gmunden und zurück.73 Die Leserschaft wurde aber immer wieder an die grauenhaften Gefahren des Fliegens erinnert. Das »Interessante Blatt« brachte eine Fotoreportage der Enthüllung eines großen »Pilotendenkmals« in der Herzegowina. Das Monument war zu Ehren von Hauptmann Deotatus Andric, des Befehlshabers des Flughorstes in Mostar, der ein Jahr zuvor bei einem Absturz ums Leben gekommen war, errichtet worden. Das Denkmal selbst ähnelte dem Schauplatz eines Flugzeugabsturzes  : Am Fuß eines hoch aufragenden, kantiger Steins waren Felsen und Trümmer verstreut, eine düstere Landschaft von steilen Höhen und tiefem Fall.74 Einer, der hoffte, es Andric’ in seiner steilen Karriere gleichzutun, dessen Leben aber auf ganz andere Weise endete, war der Kadett Artur Stampach. Der junge Mann beging im Mai 1914 Selbstmord. Einige Zeitungen berichteten davon. Stampach war in seinem Quartier tot aufgefunden worden. Neben ihm lagen ein Revolver und eine

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Nachricht. Stampach schrieb, dass er Pilot hatte werden wollen, sein Traum sei aber zerstört worden, als ihn der Arzt wegen eines Herzfehlers dafür untauglich erklärte. In seinem Abschiedsbrief erklärte Stampach, dass er »mit Leib und Seele an der Aviatik hänge« und dass ihn ohne sie das Leben »nicht freue«.75 Der Literaturwissenschafter Paul Fussell würde Stampachs Tod wohl für ein Beispiel der kulturellen Trope halten, mit der er den Ersten Weltkrieg charakterisierte  : Ironie. Kurz bevor im Ersten Weltkrieg Massen von österreichisch-ungarischen Fliegern in der Schlacht getötet wurden, tötete sich ein junger Pilot selbst aus Liebe zum Fliegen.76 Das »Interessante Blatt« machte sich Sorgen darüber, dass die Faszination mit den neuen Technologien der Geschwindigkeit – Autos und Flugzeuge – die »vergessenen« Juwele der Moderne in den Schatten stellen würde, nämlich Züge und Eisenbahnbrücken. Berichtet wurde über die letzten Sicherheitsüberprüfungen an einer neuen Eisenbahnbrücke der Westkrainer Bahn in Slowenien. Die Zeitung feierte – neben einer Zeichnung von drei massigen Lokomotiven, die das neue Bauwerk gerade überquerten  – die riesigen Brücken, »die noch vor wenigen Jahrzehnten überhaupt für unausführbar gehalten worden waren«, die nun aber jedermann völlig unbedeutend erschienen.77 Die »Reichspost« pries das geopolitische Wunder, die Westkrainer Bahn  : »Ein Schritt unserer Reichshälfte gegen Süden und Osten bedeutet eine stille Eroberung«, schrieb die Zeitung und replizierte damit auf den ungarischen Widerstand gegen eine Eisenbahnverbindung von Österreich nach Kroatien und die dalmatinische Küste. Durch die neue Brücke würden nun »zwei Länder, die, unter einem Zepter stehend« durch politische Distanz getrennt seien, einer gemeinsamen rosigen Zukunft entgegen gehen.78 Anzeigen Am direktesten auf das Verbrauchsverhalten der Wiener Leserschaft in den Monaten vor dem Krieg kann aus den Inseratenseiten geschlossen werden, bei einigen Zeitungen waren das ein Dutzend oder mehr pro Ausgabe. Geschäfts- und »Kleine Anzeigen« stellten einen erheblichen Anteil dessen dar, was täglich gedruckt wurde. Im Wien des 28. Mai 1914 konnte man anscheinend alles und jedes kaufen. Die meisten Inserate warben für Kleidung, Schuhe und Stoffe. Im »Neuigkeits-Welt-Blatt« wurden Gartenschläuche, Würste und automatische Rattenfallen (»40 Stück in einer Nacht«) angeboten  ; in der »Reichspost« Pölster und Klaviere  ; im »Interessanten Blatt« Regenmäntel, Harmonikas und »amerikanische« Koffer  ; in der »Arbeiter-Zeitung« ein Grabstein (»in gutem Zustand«) und 45.000 Schallplatten aus einer Geschäftsauflösung. Und überall gab es Möbel, Möbel, Möbel. Nur die offizielle »Wiener Zeitung« erschien völlig ohne Inserate. Moderne Anzeigentricks waren im Vorkriegswien weit

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verbreitet. »Sie staunen über diese billigen Preise  ?« fragte ein Textilhändler.79 Es gab Produkte zum unverbindlichen Ausprobieren für fünf Tage, kostenlose Reiseführer für treue Leser und Leserinnen, Gratis-Kataloge, Service-Garantien und selbstverständlich Preisnachlässe. Bei den verschiedenen Angeboten gab es allerdings Klassenunterschiede. Mehr als in jedem anderen Blatt warben die Inserate in der »ArbeiterZeitung« damit, dass das Beworbene auch leistbar sei, durch Bezahlung »auf Raten« und »Teilzahlung«. Die vielen Produkte und Themen, die in den Anzeigen auftauchen, sind nicht leicht zu kategorisieren. Aber einige Schlüsse können daraus gezogen werden. Erstens, die Wiener und Wienerinnen legten großen Wert auf Äußeres  – ihr eigenes und dasjenige der Anderen. Die Leserschaft der Tagespresse wurde geradezu bombardiert mit Inseraten, die eine Verbesserung der äußeren Erscheinung versprachen. Folgende Produkte wurden zum Beispiel angepriesen  : Haarverdickungscreme, Anti-SchuppenSeife, Gesichtshaar-Entfernungspaste, Haarfärbeprodukte für Sie und Ihn, Mundwasser, Cremes zur Aufhellung der Haut oder zur Bekämpfung von Sonnensprossen und Altersflecken, und sogar eine Lotion, die die Nase formen würde. Eine ganze Reihe von Produkten gab es für die Brüste  : Wundermittel, um sie zu vergrößern, Büstenhalter, die sie heben und formen sollten. Eine unvorteilhafte äußere Erscheinung konnte den Untergang des oder der Unglücklichen bedeuten. Die »Reichspost« brachte eine bezahlte Anzeige, in der um Spenden für einen »arme[n] katholische[n] Mann« gebeten wurde, der »an chronische[m] Gesichtslupus« litt. Er könne seinen Unterhalt nicht selbst verdienen, weil sein Gesicht »überall Anstoß erregt«.80 Die Anzeigen für Rosa Schaffers Kosmetika und Schönheitsbehandlungen, die über eine lange Zeit hinweg immer wieder geschaltet wurden, fassen den Geist der Zeit gut zusammen. Schaffer, zur Jahrhundertwende eine Wiener Kosmetikmagnatin, die für sich den ehrenhaften Titel der offiziellen Kosmetiklieferantin des serbischen Königshauses in Anspruch nahm, ermahnte die Leserschaft am 28. Mai 1914  : »Schönheit ist Reichtum. Schönheit ist Macht.«81 Vielleicht waren diese Produkte zur Verbesserung der physischen Erscheinung Luxusartikel der Mittel- und Oberschichten. In der »Arbeiter-Zeitung« sind relativ wenig Inserate für Schönheitsmittel zu finden, dafür aber mehr Anzeigen für Kondome als in anderen Zeitungen  : »Pariser Spezialitäten«, Präservative der Marken »Carneval« und »Herkules«, »Dauerschutz für Herren«, eine kostenlose Preisliste, alles würde »diskret« per Post zugeschickt.82 Zweitens zeigen die Inserate des 28. Mai, dass die »Ersatzmittel« für Nahrung, an die sich die Wiener Bevölkerung während des Krieges würde gewöhnen müssen, bereits vorhanden waren, wenn auch aus ganz anderen Gründen als bloßem Mangel. »Ersatzmittel« wurden ständig angeboten. Margarine wurde in mehreren Zeitungen als Ersatz für Butter angepriesen. Nachdem es von einer Seifenfirma in Liesing auf den Wiener Markt gebracht worden war, hatte die Stadtregierung der Firma »Sarg« erlaubt, das neue

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Fett aus Ochsentalg unter dem Namen »Prima Wiener Sparbutter« zu vertreiben.83 Das Versprechen, dabei etwas zu sparen, zielte nicht nur auf die Arbeiterklasse. »Unikum«, eine Margarinemarke, deren Inserate in mehreren Zeitungen erschienen, sollte sowohl an Arme als auch an Reiche verkauft werden.84 Den Hausfrauen wurde versprochen, sie würden 50 Prozent der Kosten sparen, wenn sie von Butter auf »Unikum« wechselten. Aber auch bei anderen Produkten gab es Veränderungen, wenn auch nicht explizite Ersatzmittel. Kaffee gab es beispielsweise in vielerlei Mischformen. »König« in Schwechat bewarb zum Beispiel Sparkaffee Moretti aus gemahlenem Gemüse, angeblich der »beste Kaffee-Ersatz«. Kaffee Hag wiederum bezeichnete in seinen Inseraten normalen Kaffee als »schädliches Genußmittel« und versprach Sportlern, dass sein koffeinfreier Ersatz gut für Herz und starke Nerven sei.85 Das Unternehmen lud Skeptiker und solche, die das Produkt noch nicht kannten, zu seinem Probier-Kiosk am Kohlmarkt ein, um sich mit dem koffeinfreien Aroma vertraut zu machen.86 Schließlich vermitteln die Inserate des 28. Mai den untrüglichen Eindruck, dass der Sommer in der Luft gelegen hatte. An diesem Tag eröffnete eine neue Filiale der Foto-Kette Kodak in der Wiener Mariahilfer Straße. Eine Anzeige für das Ereignis verknüpfte den jüngst populär gewordenen Gebrauch von Fotoapparaten mit den bevorstehenden Sommerferien. »Ferien ohne Kodak sind vergeudete Ferien«, teilte die neue Filiale mit  : »Vergeudet dieses Jahr Eure Ferien nicht. Nehmet einen Kodak mit  !«87 Kunden, die mit der neuen Technologie noch nicht vertraut waren, wurde versichert, dass es weniger als eine halbe Stunde dauert würde, bis man deren Bedienung erlernt hatte. Die Instruktion im Geschäft sei kostenlos, und sogar Frauen könnten lernen, wie man das Gerät bediene. Die Kosten wären sogar für Ärmere tragbar. Das Einstiegsmodell »Brownie« wurde für nur 8,50 Kronen verkauft.88 Auch an anderen Stellen fühlt man den Sommer in der Luft. Pfingsten nahte. Es gab Anzeigen für Badeanzüge, Liegestühle sowie unzählige Hotels und Pensionen. Vorkehrungen für Haushalt und Kinderbetreuung wurden getroffen. In einem Inserat in der »Arbeiter-Zeitung« wurde Kinderbetreuung während des Sommers angeboten  : »Nehme über die Ferien größeres Kind mit nach Steiermark«.89 Gleichzeitig wurde in der »Neuen Freien Presse« eine befristete Beschäftigung für eine offenbar geschätzte Bedienstete gesucht  : »Suche für mein Stubenmädchen, das vier Jahre in meinem Hause ist, Posten bei feiner Familie vom 1. Juli bis Ende August.«90 Aber nicht alles war rosig an der Urlaubsfront  : Für diejenigen, die eine Reise in die Alpen planten, schien eine bevorstehende Privatisierung des Großglockners bedrohlich. Ein Herr Willer aus Bochum hatte angekündigt, bestimmte Pfade und Wanderwege im Gletschergebiet während der Sommermonate zu schließen. Die »Neue Freie Presse«, die sich auf frühere Präzedenzfälle berief, nahm sich die Mühe zu argumentieren  : »Das herrliche Gletschergebiet des Großglockners kann daher, weil es durch das geltende Recht der privaten Verfügungsmacht entzogen ist, niemals durch einen Privaten

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abgesperrt werden.«91 Zu dem Zeitpunkt, an dem Herrn Willers Plan in die Tat umgesetzt werden sollte – am 1. August – sollte Urlaub keine dringliche Sorge mehr sein, weder für die Zeitung noch für ihre Leserschaft. Nachrufe und Todesanzeigen Eines der überraschensten Phänemene in den Zeitungen des 28. Mai ist die unheimliche Präsenz des Todes in vielen Berichten. Ein paar würdevolle Nachrufe erschienen da und dort, aber die Leserschaft traf normalerweise in Geschichten von grauslichen Sterbefällen auf den Tod  : die schon erwähnten Ertrunkenen in Triest, die Gerichtsverhandlung wegen einer vergifteten Stieftochter, die junge Dekorateurin, die von ihrem betrunkenen Liebhaber erstochen worden war.92 Einige Todesfälle waren Unfälle  : Der 13-jährige Andreas Hlusty war in einem Stiegenhaus zu Tode gestürzt.93 Andere Tote wurden zufällig entdeckt  : Am 27. Mai hatten Arbeiter bei der Reparatur der Wiener Aspernbrücke zwei menschliche Skelette entdeckt. Sie waren mit in einander verschlungenen Beinen fünf Meter tief begraben gewesen. Es lief aber kein gefährlicher Mörder frei herum  ; die Polizei stellte fest, dass die Toten wahrscheinlich Opfer eines früheren Hochwassers der Donau waren.94 Da waren andere Leichen schon mehr Nachrichten wert. Unter Schlagzeilen wie »Ein Leichenschacher  ?« oder »Versendung von Leichenteilen« berichteten mehrere Zeitungen, dass Leichenteile von Triest nach Wien ins Allgemeine Krankenhaus geschickt worden waren.95 Man konnte aber beruhigen  : An der Universität Wien »herrscht seit längerer Zeit Leichenmangel«  ; aufgrund der steigenden Zahl von Medizinstudenten »lang[t]en« die sogenannten »Armenleichen«, also solche, die in den Leichenhallen der Stadt lagen und die niemand zu begraben verlangte, nicht mehr »aus«.96 Die »Arbeiter-Zeitung« berichtete schließlich von Unruhe am Friedhof  : Die Spannungen zwischen Sozialdemokraten und Katholiken machten sich auch zwischen den Grabstätten bemerkbar. Die Zeitung prügelte auf einen ihrer Meinung nach faulen Pfarrer hin, der zum Begräbnis des Genossen Ernst Planner nicht erschienen war. Die aufgebrachte Gemeinde, die sich zur Trauer um Planner und zwei weitere unbegrabene Verschiedene versammelt hatte, brach in »Rufe, die [für den Priester] nicht gerade schmeichelhaft waren«, aus.97 Die Angehörigen der Toten hätten erwogen, die Begräbnisse ohne den Segen der Kirche stattfinden zu lassen. Abgesehen von Morden und Unfällen standen Selbstmorde im Zentrum der meisten Wiener Zeitungsgeschichten über den Tod. Wir haben schon vom Zusammentreffen von Leben und Sterben auf dem »Selbstmörderbankerl« gehört und vom Freitod des jungen Piloten Stampach. Zwar sollte man die Warnung des Historikers William Bowman beherzigen und das Klischee von der Habsburgerhauptstadt als morbidem Zentrum Mitteleuropas vermeiden.98 Allerdings wäre ein solcher Schluss

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angesichts des Lesestoffs vom 28. Mai durchaus entschuldbar. Nicht alle Berichte von Selbstmorden99 waren aber sensationslüstern. Die offizielle »Wiener Zeitung« berichtete von Selbstmorden in der Manier eines Buchhalters neben anderen Ereignissen, die gezählt werden müssen wie Fälle von Tollwut, Tuberkulose oder Herpes. Manche Aspekte ihrer nüchternen Berichterstattung wurden in anderen Blättern aufgegriffen  : »Der 64jährige Schriftsteller Moritz T., der sich vorgestern nachmittag in seiner Wohnung […] aus einer Browning-Pistole eine Kugel in den Kopf gejagt und sich gefährliche Verletzungen zugezogen hat, erlag gestern abend der Wunde. Er verübte die Tat wegen eines Leidens. – Heute früh tötete sich der Schlossergehilfe Adolf W. im Hofraume seines Wohnhauses […] durch einen gegen die linke Schläfe abgegebenen Schuß. Er benützte dazu eine Stockflinte. W. erlitt vor einigen Jahren eine schwere Gehirnerschütterung und äußerte wiederholt Selbstmordabsichten.«100 Die Berichterstattung folgt dem Muster Name, Beruf, Waffe oder Selbstmordmethode, Motiv. In anderen Zeitungen lesen wir  : Am Abend des Dienstags habe sich ein Mann im Stadtpark mit einem Revolver in den Kopf geschossen. Es handelte sich um den 25-jährigen Musiker Franz N. Das Motiv  : Er war »lebensmüde«.101 »Gestern« habe sich in Mariazell ein elegant gekleideter Mann selbst mit einer Pistole in den Kopf geschossen. Es habe sich um Herrn Mandl, den Geschäftsführer eines großen Wiener Blumengeschäftes, gehandelt. Sein Motiv  : finanzielle Schwierigkeiten. Die Wiener Leserschaft war an Selbstmordgeschichten gewöhnt, vor allem zu dieser Jahreszeit – der Frühling war die Hauptsaison für österreichische Selbstmorde.102 Viele Berichte über Selbstmorde am 28. Mai haben eines gemeinsam  : Es wurde eine Schusswaffe benutzt. Es ist nicht nur für ein US-amerikanisches Publikum etwas ungewöhnlich, sich Österreich als eine Gesellschaft voller Schusswaffen vorzustellen. Trotzdem war das eindeutig so. Schusswaffen waren bei vielen Selbstmorden das Mittel der Wahl. Es lässt sich schwer abschätzen, wieviele Schusswaffen im Vorkriegswien im Umlauf waren. Als sich der Ausbruch des Krieges abzeichnete, versuchte die Regierung aber, alle Waffen, die sich in Privatbesitz befanden, einzuziehen. Das kaiserliche Dekret 160 vom 25. Juli 1914 befahl die Beschlagnahme aller privaten Feuerwaffen.103 Statistiken über den privaten Schusswaffenbesitz sind zwar schwer zu finden, nicht aber Inserate für Schusswaffen. Die Kärntner Waffenfabrik »Melichor« bot Jagdgewehre mit den neuesten technischen Spielereien und »unübertroffene[r] Schußleistung« an.104 Der automatische Taschenrevolver »Steyr« wurde in einer Armeezeitung als »Unbedingt zuverlässig  ! Bei allen Büchsenmachern u. Waffenhändlern erhältlich« angepriesen. 105 Am 28. Mai wurde berichtet, dass es in der Rotenturmstraße zu einer Schießerei gekommen sei  : »Wie bekannt, hat ein halb irrsinniger Mann vom Dache eines Omnibusses mit einem Revolver geschossen.«106 Die Männer, die gerade zufällig in der Nähe waren, waren offensichtlich lieber geflohen, anstatt den Angreifer zu entwaffnen. Die Zeitung, die von diesem Ereignis berichtete, »Danzer’s Armee-Zeitung«,

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kommentierte verächtlich den Schusswaffengebrauch in der Öffentlichkeit und den Mangel an männlicher Ehre, der in dieser hedonistischen Stadt, die von »Pazifisten, Monisten, Sozialisten, Esperantisten u.s.w.«107 regiert werde, offenbar geworden sei. Zusammenfassend kann also festgestellt werden, dass Wien an diesem durchschnittlichen Donnerstag vor dem großen Krieg eine Stadt von Paraden und Schießereien, von Schönheitscremes und Leichen, Fußballspielen und Selbstmorden war. Ich will es vermeiden darüber zu mutmaßen, ob die Leserschaft gewusst hatte – oder wissen hätte können –, dass der Rhythmus des Alltags einen Monat später anfangen würde, sich grundsätzlich zu verändern. Darüber zu spekulieren, würde uns ins Reich der Wahrsagerei und des Okkulten bringen. Zufällig wurde auch das an jenem 28. Mai angeboten. Ein geheimnisvoller »Professor Roxroy« bot in einem prominent platzierten Viertel-Seiten-Inserat im »Interessanten Blatt« seine Dienste an  : Die Kunden könnten etwas über ihr Schicksal erfahren. »Lassen Sie sich von diesem Manne Ihr Lebensschicksal voraussagen  !« verkündete seine Anzeige.108 Wahrsagerei wurde in der Presse oft als das finstere Geschäft von Zigeunern beschrieben. Mit dem ganzseitigen Bild einer exotischen Zigeunerin, die in Berlin mit Kartenlegen und Zaubertränken leichtgläubige Seelen verführte, warnte das »Neuigkeits-Welt-Blatt« seine Leser und Leserinnen, dass sogar »Großstadt-Leute« sich von den falschen Versprechungen der Zigeunerinnen, sie würden die Zukunft kennen, umgarnen ließen.109 Neben »Roxroy« und anderen Wahrsagern bot die Wiener Bühne einen dritten Ort, an dem die Zukunft vorhergesagt wurde. Ende Mai 1914 war Johann Nestroys Komödie Lumpazivagabundus im Volksprater mit großem Erfolg aufgeführt worden. Die Inszenierung wurde als »Sensation« bezeichnet, eine übermütige Darstellung in einer Stadt, die gutes Theater gewohnt ist.110 Im Stück wird ein Schuster als einer von drei Vagabunden vom Feenkönig und Schutzpatron der Vagabunden auf die Probe gestellt.111 Der Schuster ist auch Amateur-Astrologe und sagt voraus, dass bald ein Komet kommen und die Erde zerstören werde. In seinem »Kometenlied« singt er vom bevorstehenden Niedergang der Menschheit und der Zerstörung der Welt. Der Refrain des Lieds lautet  : »Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang«  – im Mai 1914 durchaus ahnungsvoll. Die »Welt«, oder genauer Europa, war nach der Ansicht einiger Konservativer ohnehin schon »beim Teufel«. Der Komet hatte schon eingeschlagen. »Danzer’s ArmeeZeitung« vom 28. Mai verurteilte in einem Überblick über die europäische Politik und Staatskunst bitter die »Heuchelei, Verstellung, Schamlosigkeit, Lüge, Vorspiegelung falscher Tatsachen«. Resigniert kommentierte der Herausgeber die Entwicklung der Ereignisse am Balkan und endete – fast hört man ihn gähnen  : »Es ist ein Glück, daß die Hundstage nahen. Da braucht man wenigstens keine Zeitungen lesen […]«.112 Übersetzung  : Maria Mesner

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Anmerkungen   1 Mein Dank gilt Dana Bronson und Musa Jamal, die mit Hilfe eines Lewis & Clark College Mellon Student-Faculty Collaboration Grant wesentliche Forschungarbeiten zu diesem Aufsatz beigetragen haben.   2 Alle Zeitungen, die in diesem Artikel zitiert werden, erschienen am 28. Mai 1914, hier Deutsches Volksblatt, 9.   3 Ebd.  4 Eine Schnellsuche ergab 32 Artikel, die in Fachzeitschriften erschienen sind und »on the eve«, also »am Vorabend«, im Titel haben. Siehe Historical Abstracts, URL  : http://web.ebscohost.com.watzekpx. lclark.edu (abgerufen am 14.9.2013). Das Oxford English Dictionary definiert »on the eve« als »the time immediately preceding some event, action«, also als die Zeit, die einem Ereignis oder einer Handlung unmittelbar vorangeht. Siehe Oxford English Dictionary, URL  : http://www.oed.com.watzekpx. lclark.edu, (abgerufen am 23.8.2013). Der deutsche Begriff »am Vorabend« wird weniger häufig verwendet.  5 Die acht Tageszeitungen sind Neue Freie Presse, Reichspost, Arbeiter-Zeitung, Deutsches Volksblatt, Neues Wiener Journal, Neuigkeits-Welt-Blatt, Wiener Zeitung und Neue Zeitung. Die drei Wochenzeitungen sind llustriertes Österreichisches Sportblatt, Das Interessante Blatt und Danzer’s Armee-Zeitung. Ein Auswahlkriterium war die Zugänglichkeit der Zeitungen und Zeitschriften auf Austrian Newspapers Online (ANNO) an der Österreichischen Nationalbibliothek, wo außer der Arbeiter-Zeitung alle Zeitungen zu finden sind. Ich bedanke mich bei Alfred Pfoser von der Wien-Bibliothek für die Zur-Verfügung-Stellung von digitalen Kopien der Arbeiter-Zeitung. Zur Geschichte der österreichischen Presse siehe Kurt Paupié, Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848–1959, Bd. 1, Wien 1960. Siehe auch J­ oseph Desput, Die politischen Parteien der Doppelmonarchie und ihre Presse, in  : Österreich in Geschichte und Literatur mit Geographie 20 (1976) 5, 316–331 und Andrea Orzoff, The Empire Without Qualities. Austro-Hungarian Newspapers and the Outbreak of War in 1914, in  : Troy Paddock (Hg.), A Call to Arms. Propaganda, Public Opinion, and Newspapers in the Great War, Westport (Conneticut) 2004.   6 Maureen Healy, Vienna and the Fall of the Habsburg Empire. Total War and Everyday Life in World War I, Cambridge 2004.   7 Robin Okey, The Neue Freie Presse and the South Slavs of the Habsburg Monarchy, 1867–1914, in  : Slavonic and East European Review 85 (2007) 1, 79–104, 81.   8 Stuart Gilbert, James Joyce’s Ulysses. A Study, London 1952, 3.   9 James Schiff, Rewriting Woolf ’s Mrs. Dalloway. Homage, Sexual Identity, and the Single-Day Novel by Cunningham, Lippincott, and Lanchester, in  : Critique 45 (2004) 4, 363–382, 363. 10 Heinrich Scheuer, 75 Jahre Amtliche Nachrichtenstelle, vormals K.k. Telegraphen-Korrespondenz-Bureau, Wien 1934. Das »K.k. Telegraphen-Korrespondenz-Bureau« hatte das alleinige Verbreitungsrecht in Österreich-Ungarn. Siehe News Agencies. Their Structure and Operation, Paris 1953, 141. 11 Reichspost, 4  ; Arbeiter-Zeitung, 3  ; Neue Freie Presse, 4  ; Deutsches Volskblatt, 3. 12 Deutsches Volksblatt, 2. Zu den Beispielen, wo sich Zeitungen direkt auf einander bezogen siehe Reichspost (Abend), 2  ; Arbeiter-Zeitung, 6. 13 Michael S. Neiberg, Dance of the Furies. Europe and the Outbreak of World War I, Cambridge (Massachusetts) 2011, 10–11. 14 David Fromkin, Europe’s Last Summer. Who Started the Great War in 1914  ? New York 2004, 4. 15 Ebd., 14. 16 Mustafa Aksakal, The Ottoman Road to War in 1914. The Ottoman Empire and the First World War, New York 2008, 11.

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17 Atlantic Monthly (1918) Januar, zit. nach Ross F. Collins, World War I Primary Documents on Events from 1914 to 1919, Westport 2008, 26. 18 Siehe Deborah R. Coen, The Storm Lab. Meteorology in the Austrian Alps, in  : Science in Context 22 (2009), 463–486. 19 Deutsches Volksblatt, 7  ; Neuigkeits-Welt-Blatt, 6. 20 Reichspost , 9. 21 Deutsches Volksblatt, 7. 22 Arbeiter-Zeitung, 8. 23 Reichspost, 8. 24 William Hung Kan Lee, International Handbook of Earthquake and Engineering Seismology, Amsterdam 2002, 1299. 25 Arbeiter-Zeitung, 8. 26 Neue Freie Presse, 13. 27 Arbeiter-Zeitung, 8. 28 Das Interessante Blatt, 1  ; Neue Zeitung, 1. 29 Frederic Morton, Thunder at Twilight. Vienna 1913/1914, New York 1989, 160. Zur Errichtung eines »unabhängigen« Albanien unter der Kontrolle einer Sechs-Länder-Kommission durch die Großmächte 1913 siehe Owen Pearson, Albania and King Zog. Independence, Republic and Monarchy 1908–1939, London 2004, 44–45. 30 Neuigkeits-Welt-Blatt, 3. 31 Reichspost, 4. 32 Barbara Jelavich, History of the Balkans, Cambridge 1983, 99. 33 Neuigkeits-Welt-Blatt, 2  ; Neue Zeitung, 1–2. 34 Neue Freie Presse, 26. 35 Deutsches Volksblatt, 3. 36 Arbeiter-Zeitung, 2. 37 Neue Freie Presse, 2. 38 Arbeiter-Zeitung, 5. 39 Arbeiter-Zeitung, 5  ; Neue Freie Presse, 2  ; Neue Zeitung, 3. 40 Deutsches Volksblatt, 10. 41 Neue Zeitung, 4. 42 Reichspost, 10. 43 Illustriertes österreichisches Sportblatt, 11. 44 Illustriertes österreichisches Sportblatt, 14 und 2. 45 Deutsches Volksblatt, 9. 46 Die Delegationen trafen einander jährlich abwechselnd in Wien und Budapest. Jede Delegation führte ihre Beratungen für sich durch und kommunizierte mit der jeweils anderen nur schriftlich. Für einen Überblick über die Arbeit der Delegationen siehe Lothar Höbelt, The Delegations. Preliminary Sketch of a Semi-Parliamentary Institution, in  : Parliaments, Estates & Representation 16 (1996) 2, 149–154. 47 Wiener Zeitung, 4, 5 und 9. 48 István Deák, Beyond Nationalism. A Social and Political History of the Habsburg Officer Corps, 1848– 1918, New York 1990, 132. 49 Wiener Zeitung, 8. 50 Reichspost, 5. 51 Das Interessante Blatt, 11  ; Neue Zeitung, 7. 52 Das Interessante Blatt, 9.

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Maureen Healy

53 Josef Mayrhofer (Hg.), Das Infanterie-Regiment Nr. 99 im Weltkrieg 1914–1918, Wien–Znaim 1929. 54 Auf dem Felde der Ehre. 1914–1915, Bd. 2, Wien 1915, 27. 55 Siehe Healy, Vienna and the Fall of the Habsburg Empire, Kap. 5. 56 Reichspost, 8. 57 Das Interessante Blatt, 7. 58 Arbeiter-Zeitung, 10. 59 Ebd. 60 Illustriertes Österreichisches Sportblatt, 25. 61 Illustriertes Österreichisches Sportblatt, 26. 62 Zur Route der Karpatenfahrt siehe Horseless Age, in  : The Automobile Trade Magazine 33 (1914), 972. 63 Reichspost, 12  ; siehe auch Wiener Zeitung, 16. 64 Deutsches Volksblatt, 13. 65 Neue Freie Presse (Abend), 6. 66 Das Interessante Blatt, 26. 67 Zur Berichterstattung über tödliche Autounfälle vor dem Ersten Weltkrieg siehe Wolfgang Sachs, Die Liebe zum Automobil. Ein Rückblick in die Geschichte unserer Wünsche, Reinbek bei Hamburg 1984. 68 Neues Wiener Journal, 10. 69 Neuigkeits-Welt-Blatt, 7. 70 Neues Wiener Journal, 9. 71 Neuigkeits-Welt-Blatt, 4. 72 Nach dem Vorbild der Wettkämpfe, die von Prinz Heinrich von Preußen ins Leben gerufen worden waren, sollten diese Flüge dazu dienen, die neuesten Flugzeuge zu testen und den Piloten Gelegenheit geben, ihr Können zu zeigen. Siehe Christian Kehrt, »Das Fliegen ist immer noch ein gefährliches Spiel.« Risiko und Kontrolle der Flugzeugtechnik von 1908 bis 1914, in  : Gunter Gebauer/Stefan ­Poser/Robert Schmidt/Martin Stern (Hg.), Kalkuliertes Risiko. Technik, Spiel und Sport an der Grenze, Frankfurt am Main–New York 2006, 199–224. 73 Deutsches Volksblatt, 7. 74 Das Interessante Blatt, 2 und 7. 75 Deutsches Volksblatt (Mittag), 3. 76 Schätzungsweise 20 Prozent der Marine- und 36 Prozent der Heeres-Piloten starben während des Krieges. Siehe Martin D. O’Connor, Air Aces of the Austro-Hungarian Empire. 1914–1918, Mesa (Arizona) 1986, 8. Zu den bemerkenswerten fotographischen Aufnahmen, die von österreichischen Piloten gemacht wurden siehe Fritz Baur/Joseph Brunner, Wir Flieger. 1914–1918. Der Krieg im Fliegerlichtbild, Wien 1930. 77 Das Interessante Blatt, 6. 78 Reichspost, 8. 79 Neue Zeitung, 7. 80 Reichspost, 24. 81 Das Interessante Blatt, 21. 82 Arbeiter-Zeitung, 13. 83 Wilhelm Fleischmann, The Book of the Dairy. A Manual of the Science and Practice of Dairy Work, London 1896, 321. 84 Arbeiter-Zeitung, 12. 85 Arbeiter-Zeitung, 13  ; Illustriertes Österreichisches Sportblatt, 8. Zu den Ursprüngen von koffeinfreiem Kaffee siehe Mark Pendergrast, Uncommon Grounds. The History of Coffee and How it Transformed Our World, New York 1999.

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 86 Neue Freie Presse, 29.  87 Neue Freie Presse, 23.   88 Ebd.  89 Arbeiter-Zeitung, 14.  90 Neue Freie Presse, 34.  91 Neue Freie Presse, 12. Zur weiteren Geschichte der Schließung des Gletschers siehe Die Wegfreiheit in den Bergen, in  : Mitteilungen des deutschen und österreichischen Alpenvereins 7–8 (1919), URL  : http:// www.literature.at/ (abgerufen am 8.8.2013).  92 Neues Wiener Journal, 10  ; Wiener Zeitung, 7  ; Arbeiter-Zeitung, 6.  93 Neue Zeitung, 5.  94 Neue Zeitung, 3 und Reichspost, 6.  95 Deutsches Volksblatt, 9  ; Neue Freie Presse, 13.  96 Neue Freie Presse, 13.  97 Arbeiter-Zeitung, 6.   98 William Bowman, Despair Unto Death  ? Attempted Suicide in Early 1930s Vienna, in  : Austrian History Yearbook 39 (2008), 138–156, 141.   99 Über die Erklärungen für Selbstmorde in den zeitgenössischen Diskursen siehe Susanne Hoffmann, Suizidalität im Alltagsdiskurs. Populare Deutungen des »Selbstmords« im 20. Jahrhundert, in  : Historical Social Research 34 (2009) 4, 188–203. 100 Wiener Zeitung, 7. 101 Arbeiter-Zeitung 7. 102 Norbert Ortmayr, Selbstmord in Österreich. 1819–1988, in  : Zeitgeschichte 17 (1990) 5, 209–225, 216. Zwischen 1907 und 1913 wurde in Österreich die höchste Zahl an Selbstmorden verzeichnet. Die Selbstmordrate sank ab 1914 während der Kriegsjahre. Siehe ebd., 222. Eine Anomalie des 28. Mai stellt die Tatsache dar, dass mit der Ausnahme des flugbegeisterten Stampach alle Selbstmörder anscheinend Zivilisten waren. Tatsächlich waren Selbstmorde unter Militärangehörigen häufiger als unter Zivilisten. 103 Verordnung des Gesamtministeriums vom 25. Juli 1914 über den Besitz von Waffen, Munitionsgegenständen und Sprengstoffe und den Verkehr mit denselben, R.G.Bl. 160, 25.7.1914. 104 Neuigkeits-Welt-Blatt, 30. 105 Danzer’s Armee-Zeitung, 11. Diese Zeitschrift erschien jeden Donnerstag, daher am 28.5.1914. Sie wurde von Carl Danzer »unter Mitwirkung eines Kreises höherer Offiziere« herausgegeben. 106 Danzer’s Armee-Zeitung, 2. 107 Ebd. 108 Das Interessante Blatt, 17. »Roxroy« war ein beliebtes Beispiel für die allgemein in Wiener Philosophenund Gelehrtenkreisen zu der Zeit herrschende Besessenheit mit Spiritualismus und Seelenforschung. Siehe Nicholas Goodrick-Clarke, The Modern Occult Revival in Vienna, 1880–1910, in  : Durham University Journal 80 (1980), 63–68, hier 63. 109 Neuigkeits-Welt-Blatt, 25. 110 Das Interessante Blatt, 11. 111 Johann Nestroy, Three Comedies, Übersetzung durch Max Knight and Joseph Fabry, New York 1967, 23. 112 Danzer’s Armee-Zeitung, 1.

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Die Geschichte einer Flucht nach vorne Die Christlichsozialen im Spannungsfeld zwischen Kaisertreue und Pragmatismus

Einer der besten Kenner der österreichischen Parteiengeschichte vor und während des Ersten Weltkrieges, der US-amerikanische Historiker John Boyer schreibt in seinem Buch »Culture und Political Crisis in Vienna« über den Einfluss des Jahres 1914 und den Kriegsbeginn  : »[…] the war was no more a Christian Social war than it was a Social Democratic war, but both parties paid a heavy price for their entrapment in its moral and economic degradation. […]«1 Die Christlichsoziale Partei war seit dem Tode Karl Luegers 1910 in eine Phase der Schwäche geraten. Interne Machtkämpfe um die Führung und um das ideologische Vermächtnis Luegers kosteten der Partei Kraft und Energie. Die Erwartungen, die in die Reichsratswahl 1911 gelegt wurden, konnten nicht erfüllt werden. Hinzu kam die föderalistische Ausrichtung der Partei, die ein einheitliches Auftreten gegenüber den politischen Gegnern schwer bis unmöglich machte und die die Geschlossenheit zusätzlich hemmte. Wie sah in dieser Situation die soziale Struktur der Christlichsozialen Partei aus  ? Der Umstand, dass der Klub während des Krieges mehr als vorher den Charakter einer Standesvertretung hatte, half sicherlich mit, die Christlichsozialen vor schweren Erschütterungen oder gar Spaltungen zu bewahren. Gleichsam musste die Opposition innerhalb des Parteigefüges bleiben, und von dort aus die Parteiführung, die während des Krieges die Linie der Partei vertrat, schrittweise aus ihren Positionen verdrängen, bis sie durch die Wahl Ignaz Seipels zum Obmann im Jahre 1920 auch die Führung in ihre Hände bekam. Die Frage ist müßig, aber auch zulässig, was geschehen wäre, wenn die ­W iener Christlichsozialen nicht die Wahlniederlage vom Juni 1911 hätten hinnehmen müs­ sen. Hätte Seipel unter diesen Umständen bei den Wiener Abgeordneten Unter­ stützung für sein großösterreichisches Programm gefunden oder wären gar die Föde­rationspläne des Christlichsozialen Arbeiterflügels günstig aufgenommen worden  ? Jedenfalls ist es notwendig, auf die nationalistischen Traditionen innerhalb der Wiener Partei hinzuweisen, die durch die Zuwanderung tschechischer Arbeiter und Gewerbetreibender in die Reichshauptstadt eine permanente Agitationsmöglichkeit erhalten hatte.2

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Die Schwäche der christlichsozialen Politik während des Weltkriegs war aber auch durch die Organisationsstruktur begründet. Die christlichsoziale Vertretung, die im Juni 1911 ins Abgeordnetenhaus entsandt wurde, war sowohl ihrer sozialen als auch ihrer regionalen Herkunft nach von einheitlicherem Gepräge als die Vertretung nach der Wahl 1907. Die Zusammensetzung der christlichsozialen Wählerschaft widersprach diesem Bild, waren doch beispielsweise die Wiener und vor allem die sudetendeutschen christlichsozialen Parteigänger kaum vertreten. Es ist wohl nicht unrichtig, dieses Versäumnis für den Wiener Bereich Karl Lueger anzulasten, der erst in seinen letzten Jahren Verständnis für eine schlagkräftige Parteiarbeit gewann. Die ungeordneten internen Verhältnisse der Christlichsozialen Partei sind zusätzlich aus dem damaligen Wahlrecht zu verstehen. Das Wahlrecht in der cisleithanischen Reichshälfte entbehrte der Einheitlichkeit – nicht jede Stimme hatte das gleiche Gewicht – im Prinzip und in der Anwendung. Wohl wählte man seit 1907 den Reichstag nach dem gleichen, geheimen, allgemeinen und direkten Männerwahlrecht, doch selbst hier wirkte der Zensus- und Kuriengedanke weiter fort. Weniger die Abgrenzung der einzelnen Wahlbezirke, als die Absonderung der bäuerlichen Wählerschaft in sogenannte »Landgemeinden-Wahlbezirke«, prägte die christlichsoziale Organisationsform maßgeblich. Somit wurden ständische Interessen permanent über die Ziele der Gesamtpartei gestellt. Außerdem blieb das Kurienwahlrecht in Kronländern und Gemeinden bis 1918 in Kraft. Dieses Wahlrecht – sieht man einmal von seiner nationalpolitischen Besonderheit ab – war gegen die Sozialdemokratie gerichtet und forderte diese auch zwangsläufig heraus. Schließlich stärkte dieses Wahlrecht – nämlich als Feindbild – nur die einheitliche Organisation der Sozialdemokratie. Alle bürgerlichen, deutschen Parteien wollten ihrer Struktur nach Bürger, Bauern und Arbeiter vertreten wissen. Die Vielfalt alleine der deutschnationalen Parteien beweist diesen Zusammenhang zur Genüge, gab es unter ihnen doch so verschiedenartige Gruppierungen, wie die Deutsche Arbeiterpartei, die Deutschen Agrarier und den verfassungstreuen Großgrundbesitz. Um das durch das Kurienwahlrecht in der Landtagswahlordnung verursachte Nebeneinander von Christlichsozialen Parteien, Vereinen und Vereinigungen zu illustrieren, kann man exemplarisch auf die Steiermark verweisen. Hier hatte die christlichsoziale Geschäftsstelle in Graz die Aufgabe der Koordination der verschiedenen christlichsozialen Standesorganisationen  ; dazu zählte der »katholisch-konservative Bauernverein für Mittel- und Obersteier«, der sich aber wiederum in zahlreiche regionale Vereine splitterte. Das christlichsoziale Bürgertum war in Graz in sechs strukturverschiedenen Bezirksorganisationen gesammelt, die neben den zehn Vertretern des sehr schwachen »Christlichsozialen Arbeitervereins in Graz« je zehn Delegierte in die christlichsoziale »Vertrauensmännerversammlung« in Graz entsandten. In den anderen steirischen Städten, Märkten oder Industrieorten organisierte man sich wiederum in einem »Christlichsozialen Verein

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für die Steiermark«. Ein verbindliches Parteistatut, das Kandidatenauslese und Wahltaktik festgelegt hätte, fehlte bis 1918 fast überall. In den anderen Kronländern sah es nicht anders aus. Die Ereignisse des Sommers 1914 rissen selbst jene politischen Kreise leidenschaftlich mit, die im Grunde einem Krieg ablehnend und skeptisch gegenüberstanden. Sogar Mitglieder des »Belvedere-Kreises« – jenes Schattenkabinetts, das sich um Erzherzog Franz Ferdinand gesammelt hatte und das die grundsätzliche Meinung des Thronfolgers teilte, dass ein europäischer Krieg zwangsläufig mit dem Ende der Monarchie und des Hauses Habsburg enden würde – wurden von einer durchdringenden Kriegspsychologie erfasst. Friedrich Funder, einer dieser Männer, die dem Thronfolger nahe standen und als Herausgeber der Reichspost eine der führenden Persönlichkeiten der Christlichsozialen war, wandelte sich innerhalb von Wochen von einem Kriegsskeptiker zu einem Kriegsbefürworter. Das Spektrum der im Reichsrat im Jahre 1914 vertretenen Parteien bot eine paradoxe Situation. Die Christlichsoziale Partei stellte vor dem Ersten Weltkrieg zwar einzelne Ressorts, nicht aber den Ministerpräsidenten. Einzig der christlichsoziale Ministerpräsident Max Hussarek von Heinlein stellte von Juli 1918 bis Oktober 1918  – also in der Spätphase des Weltkriegs  – eine Ausnahme dar. Hussarek war von 1911 bis 1917 Unterrichtsminister unter Karl Stürgkh, Ernest von Koerber und Heinrich Clam-Matinic. Folglich ist es schon – abseits des Kriegsgeschehens und der kriegsbedingten Ausnahmesituation – ein lohnendes Unterfangen, sich mit der Parteienlandschaft des cisleithanischen Österreich auseinanderzusetzten. Der Krieg stellte für alle Parteien eine Krisen- und Schwächeperiode dar. Die Gründe dafür lagen einerseits im Defizit der politischen Organisation und im Fehlen eines verbindlich kodifizierten Parteiprogramms, reichen also in die Zeit vor dem Weltkrieg zurück. Andererseits waren der Krieg selbst und die drei parlamentslosen Jahre der Ära Stürgkh eine schwere Belastung für jedes Parteileben. Viele der Funktionäre waren an der Front, die Zahl der Organisierten, etwa bei den christlichen Gewerkschaften, ging zurück, die Behörden legten durch Verbote und Überwachung der Versammlungstätigkeit zusätzliche Fesseln an und die Information der Öffentlichkeit durch die Presse wurde durch Innenministerium und Kriegsüberwachungsamt erschwert.3 Der Erste Weltkrieg bedeutete für die österreichische Politik keineswegs eine jähe Zäsur. Die führenden Politiker waren weder untätig, noch glaubten sie, dass der Krieg eine radikale Kursänderung notwendig machen würde. Vielmehr waren sie der Meinung, dass der Krieg und die anfängliche Begeisterung in allen Gesellschaftsschichten die langersehnte Gelegenheit bieten würde, jene Reformen im Staate durchzuführen, die das freie Kräftespiel der politischen Parteien in den Jahren vor dem Kriegsausbruch unmöglich gemacht hatte. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde der Kriegsbeginn innenpolitisch heftig begrüßt.

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Auch die Christlichsoziale Partei erhoffte, Ballast früherer Jahre durch ein kurzes militärisches Intermezzo überwinden zu können. Der Krieg wurde zu Beginn als ein »Gesundbrunnen« für die Monarchie empfunden. So werden auch die Sätze Ernst Karl Winters verständlich, der noch vor Ausbruch des Krieges in der Zeitschrift »GrossÖsterreich«, die dem Thronfolger Franz Ferdinand nahegestanden war, schrieb  : »Weil wir wissen, dass erst aus einem Krieg das neue und große Österreich, das glückliche, seine Völker befriedigende Gross-Österreich geboren werden kann, wollen wir den Krieg.«4 An die Stelle des Versammlungslokales und des Sitzungssaales des Parlaments trat seit Frühling 1914 der politische Salon, jedoch war die Teilnehmerzahl an diesem »Gedanken- und Meinungsaustausch« zwangsläufig klein. Die Funktionäre in den Lokalorganisationen der Parteien, selbst die Mehrzahl der Abgeordneten, blieben davon ausgeschlossen. Der deutschnationale Abgeordnete Joseph Maria Baernreither, ein ausgezeichneter Chronist der damaligen Parteienlandschaft, schrieb in seinem Tagebuch  : »Hier gibt es kein Ventil, kein Parlament, keine Presse […] und die Regierung spricht nicht, ist mit niemanden [sic  !] in Verbindung, sondern sitzt hinter dem Busch, d. h. der Zensur und glaubt sich sicher.«5 Die Exklusivität, mit der man in den ersten zwei Kriegsjahren Politik betrieb, hatte freilich eine Reaktion zur Folge, die den politischen Parteien gegen Ende des Krieges schadete und ihre grundsätzliche Existenzberechtigung in Frage stellen sollte. Die vernachlässigte Wählerschaft, die ins Abseits geschobenen Politiker, wie auch kriegsund wirtschaftsbedingte Mängel erforderten die Suche nach neuen Kanälen und Organisationsformen. Als regierende Partei in fünf Kronländern wurde die Christlichsoziale Partei von den Schritten der Regierung in mancher Hinsicht mehr betroffen und durch diese bei ihrer Wählerschaft stärker desavouiert als etwa die Sozialdemokratie. Ministerpräsident Stürgkh hatte in einem vertraulichen Schreiben im Sommer 1914 den Landes­ chefs ihre veränderten Aufgaben klar umrissen  : »[…] Erwägungen administrativer Opportunität, Rücksichten auf Stimmungen der Parteien, Bedachtnahme auf gegenwärtige oder künftige Verhältnisse der inneren Politik, all das hat aufgehört. Es gibt nur noch eines  : Orientierung aller Kräfte im Staate auf die sichere, rasche und vollkommene Erreichung des Kriegszwecks […].«6 Die acht bloß vertagten Landtage von Dalmatien, Krain, Görz, Mähren, Ober- und Niederösterreich, Schlesien und der Steiermark wurden gleichfalls geschlossen, sodass es bis zum Umbruch 1918 nicht mehr zu einer verfassungsmäßigen Tätigkeit der Landtage kam. Schon sehr bald kam es zu ernsten Differenzen zwischen Ministerpräsident Stürgkh und den Leitern der Landespolitik. Bei den Auseinandersetzungen mit der Regierung Stürgkh ging es vor allem um die Frage der Ernährung, der sogenannten »Approvisierung«. Die Organisation der

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Ernährung bildete auch das Hauptthema in den internen Beratungen der Partei, so etwa in der Sitzung der christlichsozialen Parlamentariervereinigung vom 27. Jänner 1915.7 Die Vertreter der Partei sprachen im Anschluss daran bei der Regierung vor, doch konnte die Partei durch diese und andere Interventionen nicht die Linie der Ernährungspolitik in ihrem Sinne beeinflussen. Spätestens ab 1915 war für die Christlichsoziale Partei klar, wer an der misslichen Ernährungslage schuld war. Die Hauptverantwortung sah man im geringen Eifer, mit dem die ungarischen Behörden die Zusammenarbeit mit den österreichischen Stellen betrieben. Der Wiener Bürgermeister Richard Weiskirchner, einer der führenden Männer der Partei, griff ab März 1915 regelmäßig die ungarischen Stellen massiv an. Wegen dieser Angriffe wandte sich sogar der ungarische Ministerpräsident István Tisza in mehreren Stellungnahmen an den Ministerpräsidenten in Wien. Stürgkh versuchte zu intervenieren, was zu dem ungewünschten Ergebnis führte, dass die Spannungen zwischen Weiskirchner, der Christlichsozialen Partei und der Regierung anwuchsen. Bedenkt man die antiungarischen Ressentiments der Christlichsozialen Partei unter Karl Lueger, erkennt man in dieser Entwicklung eine parteiideologische Konsequenz. Weiskirchner wiederholte seine Angriffe gegen die Regierung und gegen die Ungarn das ganze Frühjahr 1915, was sogar den k. u. k. Außenminister Stephan Burián dazu bewog, sich mit Stürgkh zu besprechen und dabei die Frage zu stellen, warum der österreichische Ministerpräsident »mit der christlichsozialen Wirtschaft im Wiener Gemeindehaus nicht endlich aufräume«.8 Doch auch die in ihrer überwiegenden Mehrheit von der christlichsozialen Partei vertretene Bauernschaft der Alpenländer war mit der zentralistischen Organisation des Ernährungswesens unzufrieden. Der Fall des christlichsozialen Reichsratsabgeordneten Karl Niedrist aus Tirol kann hier als Beispiel dienen. Niedrist, der auch Gemeindevorsteher in Tirol war, hatte nach Angaben des k. u. k. Kommandos der Südwestfront die Mitglieder seiner Gemeinde öffentlich überredet, die Requirierung von Vieh zu erschweren, um später höhere Preise zu erzielen. Auch die Finanzpolitik der Regierung, insbesondere die Deckung der Kriegsausgaben und die damit zusammenhängende Kreditpolitik, fand nicht die Billigung der Christlichsozialen. Auf diesem Sektor war trotz des Kriegsabsolutismus ein letzter Rest an parlamentarischer Kontrolle in der »Staatsschuldenkontrollkommission« bestehen geblieben, deren christlichsoziales Mitglied Viktor Freiherr von Fuchs war.9 Die Kommission forderte im August 1914 ihre Auflösung, was aber von Ministerpräsident Stürgkh und Finanzminister Baron August Engel abgelehnt wurde, mit der Begründung, man wolle nicht vollkommen vom konstitutionellen Weg abgehen.10 Auf einer Konferenz der christlichsozialen Reichspartei wurde von Friedrich ­Funder eine Resolution beantragt  – und in der Folge auch beschlossen  –, die die

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Anlage einer amtlichen Vermögensstatistik und die Vorbereitung einer Kriegsgewinnsteuer durch die Regierung forderte. Diese Steuer sollte den Handel mehr belasten und die Produzenten entlasten. Die Auseinandersetzungen mit der Regierung Stürgkh hatten weitere Gründe. Nicht zuletzt warfen ihm die Christlichsozialen permanent vor, gegen die tschechische Opposition zu wenig energisch vorzugehen. Jedenfalls forderte Weiskirchner, der innerhalb der Christlichsozialen Partei der Exponent einer nationalbetonten Politik war, bereits am 28. Jänner 1915 in einer Rede in Wien-Alsergrund einen neuen Kurs in der österreichischen Innenpolitik und führte dabei aus  : »[…] Getreu unserem Glauben, getreu zu Kaiser und Reich, ohne irgendeine Gehässigkeit gegen die anderen Nationen bin ich aber der Meinung, dass dasjenige, was die Deutschen in diesem Krieg geleistet haben, nach dem Krieg deutlich zum Ausdruck kommen muss. Wir sind Deutsche unter Österreichs Banner. Wir haben nicht nur die innenpolitischen Angelegenheiten zu ordnen, wie es der Stellung des deutschen Volkes in Österreich geziemt, wir haben auch unsere wirtschaftlichen Angelegenheiten zu ordnen. […]«.11 Auch Leopold Kunschak erklärte in einer Rede am 7. Oktober 1915, dass Österreich in Zukunft nur unter deutscher Führung gedacht werden könne und sprach die Hoffnung aus, dass der Krieg mit einem »herrlichen Sieg der Zentralmächte enden möge«.12 Am 23. Mai 1915 erklärte Italien Österreich-Ungarn den Krieg. Bei den Verhandlungen, die in den Monaten zuvor geführt worden waren, um den Kriegseintritt des südlichen Nachbarn zu verhindern, versuchten reichsdeutsche katholische Kreise Kontakte zu den Christlichsozialen zu nützen, um von der österreichischen Regierung die Zustimmung zur Abtretung der mehrheitlich italienischsprachigen Gebiete Tirols zu erlangen. So trat Viktor Naumann Ende Jänner 1915 über Friedrich Funder an die christlichsozialen Führer heran und fand sie im Grunde gewillt »in den sehr sauren, wenn auch Südtiroler Apfel zu beißen«.13 Auch Albert Gessmann und Prinz Alois Liechtenstein waren im März 1915 zur Abtrennung der mehrheitlich italienisch­ sprachigen Gebiete Tirols bereit, wie auch Kardinal Friedrich Gustav Piffl, die innerparteilichen »Falken« Weiskirchner und Jodok Fink, sowie die Tiroler Christlich­ sozialen.14 Schließlich beendete der Kriegseintritt Italiens all diese Überlegungen und Bemühungen. Die ständige Verschlechterung der Lebensumstände spätestens ab Herbst 1915 führte die Christlichsoziale Partei in noch größerer Opposition zur Regierung. Hintergrund war die spätestens ab diesem Zeitpunkt bemerkbare Ernüchterung in der Bevölkerung aufgrund erster wirtschaftlicher Engpässe und erschreckender Verlustmeldungen von den Fronten. Die verständliche Kritik der Bevölkerung wandte sich in erster Linie gegen die Massenparteien, die aber nicht den geringsten Einfluss auf die Politik der Regierung nehmen konnten. Am 12. und 13. Dezember 1915 traten die

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führenden Personen der Reichspartei und der Länder zusammen, um einen allgemeinen Parteitag abzuhalten. Alois Liechtenstein eröffnete als Obmann der Reichspartei die Beratungen, in deren Verlauf Gessmann heftige Angriffe gegen die Regierung Stürgkh richtete und schloss sein Referat mit der bemerkenswerten Feststellung, dass »in den anderthalb Jahren parlamentsloser Zeit sich deutlich gezeigt hat, dass der schlechteste Parlamentarismus besser sei als gar keiner.«15 Auf dem Wiener Parteitag vom 18. bis 20. Februar 1916 wurden diese Vorwürfe an die Regierung noch gesteigert. Man war unzufrieden, ohne aber konkret dagegen aufzutreten. Es zeigte sich hier eine gewisse Halbherzigkeit, die auch in anderen Bereichen während des Weltkrieges die Politik der Christlichsozialen charakterisierte. Weiskirchner erklärte, dass »Durchhalten« der erste und wichtigste Programmpunkt der Partei sein müsse und die Partei deswegen die Regierung unterstützen müsse, da die Christlichsozialen schließlich nicht nur eine kritisierende, sondern auch eine verwaltende Partei sein müsse. In seinem Referat formulierte Heinrich Mateja eine auffallende Kritik an der Parteileitung, der er entscheidende Fehler bei der Führung der Kompromissverhandlungen mit dem Deutschen Nationalverband – darüber wird an späterer Stelle ausführlich die Rede sein – vorwarf.16 Im außenpolitischen Referat des Parteitages erklärte der Vorsitzende der Reichspartei Prinz Alois Liechtenstein, dass der Friedensschluss voraussichtlich auf Kosten Russlands erfolgen werde. Er drückte damit nur aus, was die Christlichsoziale Partei in ihrem Programm vom 8. September 1915 bereits formuliert hatte.17 Die Haltung der Christlichsozialen zur Frage der Wiedereinberufung des Reichsrates unter Ministerpräsident Stürgkh, der selbst von der Unmöglichkeit des Parlamentarismus während des Krieges überzeugt war, schwankte im Verlauf der ersten drei Kriegsjahre. Im Herbst 1914 dachten wohl die wenigsten Abgeordneten und Mandatare daran, dass eine Kriegssitzung stattfinden könne. So schrieb etwa die Reichspost am 5. Dezember 1914  : »[…] Schön wäre es ja, wenn auch in Österreich zur Tatsache werden könnte, was anderswo so prächtig gelungen ist. Könnte aber zu den vielen Enttäuschungen, die das Parlament der Bevölkerung schon bereitet hat, nicht eine neue kommen, schlimmer als alle vorausgegangenen  ? Die sich durch nahezu zwei Jahrzehnte immer wiederholenden Versager unseres Parlaments waren ja ein Hauptreiz für die – wie sich zeigt – falschen Spekulationen unserer Feinde, Österreich bei der nächsten Gelegenheit niederwerfen zu können. Wenn das Parlament aber auch jetzt ein falsches Bild von Österreich lieferte, geschähe es auf unsere Kosten.«18 Nach der Wiedereröffnung des Reichsrates im Mai 1917 behauptete der christlichsoziale Abgeordnete Richard Wollek, ein Vertrauter Gessmanns, allerdings, die Partei hätte bereits Ende 1915 Stürgkh die Wiedereinberufung vorgeschlagen, nachdem eine neue Geschäftsordnung erlassen worden wäre. Das könnte bedeuten, dass die Rede Gessmanns auf dem Parteitag, wonach ein schlechter Parlamentarismus bes-

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ser als keiner sei,19 den Kurs der Partei in dieser Frage zumindest für einige Wochen ändern konnte. Außerdem waren namhafte Personen der Parteiführung um Gessmann der Meinung, dass die Partei auf dem Boden des Parlaments im Bündnis mit dem Deutschen Nationalverband eine stärkere Wirkung entfalten könne. Im Natio­ nalverband trat am 20. Jänner 1916, zwei Tage vor dem vorläufigen Abschluss des Bündnisses der beiden großen deutschbürgerlichen Parteien, eine Mehrheit dafür ein, mit Ministerpräsident Stürgkh Verhandlungen über die Einberufung des Reichsrates zu führen.20 Auf christlichsozialer Seite hatte wenige Tage zuvor der führende Wiener Christlichsoziale Josef Baechle die Einberufung des Reichsrates noch als »untunlich« abgetan.21 Gessmann äußerte sich zu Josef Redlich – einem gemäßigten Deutschnationalen und führenden Verfassungsjuristen an der Technischen Universität in Wien – am 9. Februar 1916 sehr besorgt über den künftigen Parlamentarismus. Demnach würden die Reichsratsabgeordneten, verbittert über die Verwaltung und das Kriegsgeschehen, zurückkommen und eine radikale Politik betreiben.22 Auch Alois Liechtenstein formulierte im April und Mai 1916 in mehreren Artikeln in der neu gegründeten Zeitschrift »Das Neue Österreich« eine eindeutige Absage an den Parlamentarismus.23 Im Übrigen verteidigte Liechtenstein darin die »nationale Linie« der Partei, die notwendig und für den Staat von großem Nutzen sei  : »[…] ohne die festen Schranken, welche die Nationalitäten gegeneinander aufrichten, würde die Zivilisation gar bald an erschlaffender Langeweile sterben. Aus unserem Geschlechte würde ein gleichförmiger Kulturbrei, der überall zuhause und nirgends heimisch, in materieller Genussucht ruhmlos ersticken würde.«24 Am 20. Juli 1916 fand wieder eine Tagung des christlichsozialen Reichsratsklubs unter dem Vorsitz Baechles statt, die die Entsendung einer Delegation an Stürgkh beschloss, um über das österreichisch-ungarische Verhältnis zu verhandeln. Während dieses Treffens fiel auch, wie aus einem Brief des Herausgebers der »DeutschBöhmischen Korrespondenz« Julius Benesch an Baron Max Wladimir von Beck zu entnehmen ist, die Entscheidung zugunsten der Einberufung des Reichsrates.25 Die Christlichsozialen wären demnach auch bereit, die Aktion des Polenklubs, der in der Frage der Einberufung des Reichsrates die Initiative ergriffen hatte, zu unterstützen, sofern sich auch der Deutsche Nationalverband anschließen würde.26 Die entschiedensten Versuche, die vor der Herrenhausaktion im Herbst 1916 unternommen wurden, waren die Abgeordnetenkonferenzen. So fand etwa am 26. Juli 1916 eine Tagung von Abgeordneten des Herren- und Abgeordnetenhauses statt, an der auch Politiker, vor allem Wiener und Tiroler, aber auch Joseph Redlich, teilnahmen. Die christlichsoziale Delegation bestand aus Gessmann, dem Tiroler Abgeordneten Josef Schraffl und Prinz Liechtenstein. Seitens des Nationalverbandes sprachen sich zwei Abgeordnete gegen und zwei für die Einberufung des Reichsrates aus.

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Schraffl meinte in seiner Wortmeldung dazu, »dass die Versammlung ein getreues Bild einer Sitzung des Abgeordnetenhauses biete und beweise, dass die Einberufung unmöglich sei. Bei uns in Österreich würde im Kriege der Parlamentarismus noch mehr schaden, als er in Italien, Deutschland und Frankreich geschadet hat. Ein Haus ohne Geschäftsordnung, wo drei Abgeordnete wochenlang Obstruktion durchführen können, dürfe nicht einberufen werden. […]«.27 Schraffl polemisierte ferner gegen Karl Seitz und die Sozialdemokraten, denen er vorwarf, eine praktikable Geschäftsordnung nicht zuzulassen. Auf dem Deutschen Städtetag am 28. September 1916, an dem von christlichsozialer Seite Kunschak und Weiskirchner teilnahmen, sprachen sich Vertreter aller Parteien grundsätzlich für die Einberufung des Reichsrates aus, die aber nicht realisierbar sei, solange die alte Geschäftsordnung noch in Kraft sei.28 Anfang Oktober 1916 setzte sich aber auch bei den Christlichsozialen die Ansicht durch, dass die Wiederbelebung des Parlamentarismus nicht weiter aufschiebbar sei  : Am 6. Oktober waren die Exekutivkomitees der drei Herrenhausparteien in einer Resolution nachdrücklich dafür eingetreten.29 Und am 8. Oktober 1916 erklärte Albert Gessmann in einer Rede  : »Ich gestehe ganz offen, dass ich kein unbedingter Anhänger des Parlamentarismus und der Selbstverwaltung bin, wie wir sie bisher in Österreich gehabt haben«.30 Trotzdem war er für die Wiedereinberufung, doch auch er nur unter der Bedingung einer neuen Wahlordnung und einer anderen Geschäftsordnung. Infolgedessen fasste am 10. Oktober 1916 der Vorstand der Christlichsozialen Vereinigung den Entschluss, sich offiziell auf die Seite der sogenannten »Parlamentsfreunde« zu stellen.31 Ebenfalls im Oktober 1916 steckten Friedrich Funder und die Reichspost dem geplanten neuen Parlament das Arbeitsfeld ab  : Es müsse in erster Linie die Korruption und die großkapitalistischen Auswüchse bekämpfen. An einem solchen Arbeitsprogramm »könnte der österreichische Parlamentarismus, wenn man den Glauben an seine Auferstehung zu neuem Leben behalten will, allenfalls noch genesen.«32 Die von der Regierung Stürgkh schließlich verhinderte Versammlung im ­W iener Konzerthaus, die für den 22. Oktober 1916 von liberalen und sozialdemokratischen Kreisen, aber auch von Hochschulprofessoren konservativerer Gesinnung, wie ­Heinrich Lammasch, einberufen wurde, sollte der unmittelbare Anlass für die Ermordung von Ministerpräsident Stürgkh durch Friedrich Adler am 21. Oktober und für die weitere Verzögerung der Einberufung des Reichsrates werden. Die christlichsoziale Politik ist spätestens ab diesem Zeitpunkt nur vor dem Hintergrund der Entstehung des deutschbürgerlichen Bündnisses zu verstehen. In der Selbstwahrnehmung der österreichischen Parteien hatte der Krieg die österreichische Innenpolitik grundlegend verändert. Resignation war die eine Alternative, Politikern wie dem deutschnationalem Gustav Gross oder dem Christlichsozialen Fuchs zufolge die einzig mögliche. Die Zusammenarbeit aller deutschen Parteien zu abgestimmten

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Aktionen, d. h. zur allgemeinen Erfüllung des vorgegebenen Kriegszwecks, war die zweite Alternative. Selbst die österreichische Sozialdemokratie zog mit in einen Krieg, der ihrer Meinung nach dem panslawistischen Zarismus reaktionärer Prägung galt. Und so verwundert es nicht, dass auch unter den Christlichsozialen das nationale Argument erstarkte. Der Deutsche Nationalverband war im Grunde eine mehr oder minder lose Gemein­schaftsorganisation der deutschnationalen Parteien und Gruppierungen in Öster­reich, deren Ziele – verkürzt gesagt – in der Schaffung eines mitteleuropäischen Zollbündnisses mit Deutschland, der Durchsetzung der deutschen Staatssprache in ganz Cisleithanien und dem de-facto Ausschluss Galiziens aus der politischen Mitwirkung der Monarchie bestanden. Repräsentativ für die sich entwickelnde Zusammenarbeit zwischen Nationalverband und Christlichsozialen bereits am Beginn des Weltkrieges ist Oberösterreich. Karl ­Beurle, früheres Mitglied des Abgeordnetenhauses und Führer der Deutschen Volkspartei in Oberösterreich, hielt schon im Herbst 1914 Unterredungen mit Prälat Johann Nepomuk Hauser ab. So plante Beurle die Schaffung einer Deutschen Arbeitspartei, die einen starken sozialen Akzent besitzen, aber auch die nationalpolitischen Anliegen der Deutschen vertreten sollte, in der auch die Mitarbeit der Christlichsozialen gewünscht war. In diese frühen Verhandlungen waren seitens des Nationalverbandes Beurle und der Führer des Nationalverbandes Gross, auf der Seite der Christlichsozialen Weiskirchner und Hauser führend. Die Verhandlungen zwischen Nationalverband und Christlich­sozialer Partei scheiterten aber fürs Erste an formellen Widerständen, da sich die Parteibasis auf beiden Seiten gegen eine vertiefende Zusammenarbeit aussprach. Dennoch – und das ist bemerkenswert – gelang es Weiskirchner, die vorbehaltlose Bereitschaft der Wiener Partei für Verhandlungen zu gewinnen.33 Die erwartete Neuordnung des Staates forderte einen ausgeprägten Zentralismus. Besonders die Vertreter der Sudetendeutschen – sowohl christlichsoziale als auch Vertreter des Nationalverbandes  –, die aufgrund des böhmischen Staatsrechts die Forderungen der Tschechen nach Föderalismus bekämpften, wandten sich entschieden gegen das föderalistische Prinzip, da nur dieses den tschechischen Forderungen Einhalt gebieten konnte. Andererseits hielt genau dieser Föderalismus die Machtstellung der Christlichsozialen in den alpenländischen Kronländern aufrecht. Die aus diesen Kronländern kommenden Politiker  – beispielsweise aus der Steiermark oder Kärnten – waren folglich unbedingte Anhänger des Föderalismus. In Böhmen waren andererseits alle Politiker, sowohl christlichsoziale als auch jene des Nationalverbandes, Anhänger des Wiener Zentralismus. Denn nur dieser konnte ihrer Meinung nach den tschechischen Forderungen Einhalt gebieten.34 Unter dem Eindruck des Kriegseintritts Italiens wurden die Verhandlungen zwischen Christlichsozialen und Nationalverband vorangetrieben. So fanden schon am

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15. bzw. 30. Juli 1915 tiefgreifende Gespräche zwischen den Gruppierungen statt, doch die Differenzen waren nicht wegzudiskutieren. Vor allem das Mitteleuropakonzept, dem der Nationalverband stets Rechnung tragen wollte, erschien manchen Christlichsozialen als bedenklich. Als Vertreter der Bauernschaft traten sie einer Erweiterung des im Grunde auch von ihnen gutgeheißenen Wirtschaftsbündnisses mit anderen Staaten entgegen, weil sie hier vor allem die Konkurrenz der Balkanstaaten fürchteten. Andererseits wollten sie nicht  – anders als der Nationalverband  – den ­status quo mit Ungarn. Was die Reform der Verfassung der cisleithanischen Reichshälfte anbelangte, widersetzten sich die Christlichsozialen einer Beschränkung der Länderautonomie unter der Ausgliederung Galiziens.35 Wiederum zeigt sich hier die »Reichspost« unter Friedrich Funder als entscheidender Dreh- und Angelpunkt innerhalb der Christlichsozialen Partei. Nach der Durchbruchschlacht bei Gorlice-Tarnów fanden im Mai 1915 Gespräche zwischen südslawischen Politikern und dem Chefredakteur der Reichspost statt, in denen sich der Slowenenführer Anton Korošek bereit erklärte, die deutsche Amtssprache zu akzeptieren, wenn den Slowenen in ihrem geschlossenen Sprachgebiet die nationale Schulautonomie zugestanden würde.36 Damit wurde eher den Vorstellungen des Nationalverbandes entsprochen als jenen der Christlichsozialen, die in der Frage der Schulautonomie grundsätzlich eine restriktive Haltung einnahmen. In den folgenden Wochen betrieb die Reichspost konsequent eine offensive Propaganda in dieser Angelegenheit. Wenn man so sagen will, waren die Verhandlungen mit dem Nationalverband – zumindest festgemacht an der Frage der Schulautonomie – dafür verantwortlich, dass die Christlichsozialen innenpolitisch klarer hervortraten und energischer agierten. Schließlich wurde am 7. September 1915 zwischen den Vertretern der Christlichsozialen Partei und dem Deutschen Nationalverband eine einstweilige Übereinstimmung der Standpunkte erreicht und ein gemeinsames Programm aufgestellt, das von Baron Fuchs und Weiskirchner bzw. von Gustav Gross unterzeichnet wurde. Aber es dauerte noch beinahe eineinhalb Jahre bis die sogenannten »Politischen Richtlinien der deutschbürgerlichen Parteien Österreichs« am 30. Jänner 1917 endgültig in eine für beide Parteien verbindliche Form gebracht wurden. Im Februar 1917 wurden sie in der Reichspost abgedruckt  : »1. Alle Kräfte der politischen Parteien sind zusammenzufassen zur Heilung der sozia­len und wirtschaftlichen Folgen des Krieges. 2. An dem Bündnis mit dem Deutschen Reich, das sich in der gegenwärtigen so schweren Zeit so sehr bewährt hat, ist festzuhalten. 3. Demgemäß ist ein innigerer Zusammenschluss zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich […] sicherzustellen.

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4. Änderungen der Verfassung, soweit sie sich als notwendig erwiesen haben, erwirken auch eine Änderung der Geschäftsordnung des Reichsrates. 5. Den Deutschen in Österreich ist jene Stellung zu sichern, die das Staatsinteresse erfordert. 6. Die Reform der staatlichen Verwaltung ist weiter durchzuführen, die Selbstverwaltung der Gemeinden und Länder aufrechtzuerhalten und entsprechend den in den einzelnen Ländern bestehenden besonderen Verhältnissen und den Bedürfnissen der Bevölkerung zu gestalten […] in Böhmen die Kreiseinteilung einzuführen und die deutschen Minderheiten in anderen Kronländern unter entsprechenden gesetzlichen Schutz zu stellen. 7. Bei der Durchführung der Sonderstellung Galiziens ist darüber zu wachen, dass die erweiterte Autonomie dieses größten österreichischen Kronlandes nicht zu einer Lockerung des staatlichen Gefüges führe und dass dabei insbesondere die militärischen, finanziellen, verkehrspolitischen und sonstigen Staatsinteressen nach jeder Richtung gewahrt und gesichert werden. 8. Die Einführung der deutschen Staatssprache ist in einem den Bedürfnissen des Staates und einer geordneten Verwaltung vollauf entsprechenden Masse festzulegen. 9. Ferner ist die Sicherstellung des deutschen Charakters der deutschen Länder und Landesteile, insbesondere der k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien zu erwirken. 10. Bei der Regelung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn sind die Interessen Österreichs nachdrücklich zu wahren.« 37 Freilich muss man an dieser Stelle anmerken, dass eine Zusammenarbeit zwischen den beiden bürgerlichen Lagern bereits seit dem gemeinsamen Kampf gegen die ­Badenischen Sprachenverordnungen 1899 politische Realität war  – wenngleich oftmals konfliktbehaftet. Gleichzeitig mit der Aufstellung der »Richtlinien« versuchten die Christlichsozialen ihren Standpunkt auch dem Kaiserhaus gegenüber klarzustellen und ihr Bündnis mit den Deutschnationalen zu rechtfertigen. So wurde am Charakter der zweifachen Reichshälften nicht im Geringsten gerüttelt. Außenpolitisch wurde bei der endgültigen Abfassung der Richtlinien im Jänner 1917 immer noch mit einem siegreichen Ausgang des Krieges gerechnet. Als eine direkte Folge der Kooperation mit dem Deutschen Nationalverband intensivierten sich ab Sommer 1915 die Kontakte der Christlichsozialen zu reichsdeutschen Parteienvertretern. Im Sinne des angestrebten Mitteleuropakonzepts verhandelten Gessmann und Fuchs mehrmals in München und Berlin mit Vertretern des deutschen Zentrums.38 Ein berufener Zeuge dieser Zeit, Josef Redlich, beschrieb in seinen Tagebüchern und Erinnerungen sehr eindringlich die Vorbehalte führender Christlichsozialer gegenüber dem Mitteleuropakonzept. Redlich erinnerte an die Meinung Albert

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­ essmanns im Rahmen eines privaten Gesprächs  : »[…] die Mitteleuropaideen wäG ren, so schön sie auch seien, undurchführbar. Die Treibereien des Nationalverbandes, der jetzt die Zustimmung der Christlichsozialen zu seinem Programm sucht, wären aussichtslos«.39 Und Redlich weiter  : »[…] der Kaiser ist, wie Gessmann meint, sehr erfüllt von dem Gedanken, doch als Mehrer des Reiches dazustehen […] ›Sagen sie ihren Herren, dass ich nicht nur der Kaiser der Deutschen in Österreich, sondern aller Völker bin‹. [Gessmann zitiert Kaiser Franz Joseph, Anm. des Verf.] Dem Kaiser sind diese Dinge zugesteckt worden und verstimmen ihn sehr. Die Vorschläge des Deutschen Nationalverbandes würden Österreich noch unter Bayern stellen, das ja seine Reservatrechte hat. Die ganze Agitation der Deutschnationalen schade den Deutschen Österreichs gewaltig.«40 Dem Historiker bietet sich hier jedenfalls das Bild einer uneinigen und widersprüchlichen Partei. Führende Christlichsoziale hielten die »Richtlinien« für nicht bindend, als rein taktische Andeutung zur Mobilisierung der eigenen deutschnational fühlenden Basis, sowie als der Verbreiterung der Angriffsmöglichkeiten gegen die Regierung Stürgkh dienend. Zumindest in der Ablehnung der Person Graf Stürgkhs waren sich beide Parteienverbände einig. Es waren die beiden Todesfälle von Ministerpräsident Stürgkh und einen Monat später von Kaiser Franz Joseph im Winter 1916, die alle taktischen Überlegungen für einige Wochen beiseiteschoben. Nach der Ermordung Stürgkhs im Oktober 1916 versuchte dessen Handelsminister Alexander Spitzmüller eine Regierung zu bilden. Spitzmüller war sogar in der Frage der Geschäftsordnung des Reichsrates zu Kompromissen bereit. Dennoch verweigerten die Christlichsozialen einer neuen Regierung ihre Unterstützung. Paradoxerweise stand diese Ablehnung eher mit dem Abschluss eines neuen Ausgleichs mit Ungarn und mit wirtschaftspolitischen Forderungen in Zusammenhang als mit Fragen des österreichischen Parlamentarismus.41 Die Frage einer neuen Geschäftsordnung war somit eine oftmals vorgeschobene Begründung, die andere Motive überlagerte. Erst als am 21. Dezember 1916 der zum neuen Ministerpräsidenten designierte Graf Heinrich Clam-Matinic Zugeständnisse in der föderalistischen Kronländerautonomie machte sowie den Christlichsozialen bei ihrer wirtschaftspolitischen Standespolitik entgegen kam, entkrampfte sich das Verhältnis zur Regierung. In der Folge nahm die Reichspost wieder eine freundlichere Haltung gegenüber der Regierung ein. Chefredakteur Funder hielt die Einberufung des Reichrates und den Ausgleich mit Ungarn und Galizien für die dringendsten Aufgaben. Er argumentierte allerdings auch, dass eine Wiederbelebung des Parlamentarismus erst durch eine neue Geschäftsordnung möglich und eine Lösung des Sprachenstreits in Böhmen nur durch ein Oktroi des Ministerpräsidenten zu erreichen sei und resümierte  : »[…] das bedeutet nicht Absolutismus, das bedeutet das Ende eines greulichen Absolutismus.«42

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Großen Wert legte die Reichspost auf die parlamentarische Behandlung der Ausgleichsmaterie. Hier übte Funder massive Kritik an der Auffassung des Kabinetts Clam-Matinic, welches diese Angelegenheit nur in Abstimmung mit einem wirtschaftlichen Arrangement mit dem Deutschen Reich vorlegen wollte.43 Am 28. Dezember 1916 beschloss der Christlichsoziale Parlamentsklub, sich der Regierung gegenüber vollkommen freie Hand zu bewahren. Heinrich Mataja erklärte in einer Rede am 30. Dezember 1916, in der er seiner Zuhörerschaft das Bündnis mit dem Nationalverband  – ungeachtet aller neuerlichen Unstimmigkeiten  – erklärte, dass jeder politisch neue Weg nur über eine Neueinberufung des Parlaments erfolgen könne.44 So standen die Christlichsozialen zu Beginn der Amtszeit ClamMatinic mehr oder minder auf dem Boden des Regierungsprogramms. Allerdings mit einer großen Ausnahme, der Frage der Zentralisierung der Verwaltung. Diese lehnten die föderalistisch ausgerichteten Mandatare und Abgeordnete vor allem aus den Alpenkronländern entschieden ab. Der Ministerpräsident zog zur Mitarbeit der wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung, zu der nach dem neuen Regierungsprogramm auch das Schulwesen beitragen sollte, neben den Deutschnationalen auch die Christlichsozialen heran. In einem Artikel »Böhmische Bemerkungen« stellte sich die Reichspost hinter den Plan der Regierung, in Böhmen durch Einführung nationaler Kreise (Wahlkreise) einen Ausweg aus der dort permanenten Krise zu schaffen.45 Am 19. Februar 1917, einen Tag vor der Vorstandssitzung der Christlichsozialen Partei, die die Einberufung des Reichsrates forderte, betonte Weiskirchner die Notwendigkeit einer Schulreform, jedoch auf der Basis einer größtmöglichen Autonomie  : »[…] mit dem Eingriff in die [Schul-]Autonomie verliert die Regierung ihre Stützen im Parlament.«46 Auch Leopold Kunschak sprach sich gegen einen Eingriff in die Schulautonomie aus, weil die Verstaatlichung der Schule es den Sozialdemokraten möglich machen würde, über das Parlament Einfluss auf die Schule zu nehmen, verstaatlichte Volks- und Bürgerschulen eine Verschlechterung des Bildungsgrades der Bevölkerung bedeuten würden und zudem slawische Lehrer in deutsche Länder bringen würden.47 Als aber ein christlichsozialer Vorschlag zu einem neuen Proportionalwahlrecht von der Regierung Clam-Matinic recht harsch abgelehnt wurde  – es ging wieder einmal um die Etablierung von kleineren Wahlkreisen –, machte sich in den Reihen der Partei eine immer größer werdende Enttäuschung über die Regierung breit.48 Am 7. März 1917 billigte der christlichsoziale Reichsratsklub die Entschließung seines Vorstandes vom 20. Februar 1917, in der – nach langer interner Diskussion – die Einberufung des Reichsrates und »die Schaffung einer den ruhigen parlamentarischen Betrieb sichernden Geschäftsordnung« gefordert wurde.49 Die Sozialdemokraten hatten bereits am 18. Februar 1917 die Nennung eines Einberufungstermins gefordert.50

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Diese Initiative bedeutete freilich wiederum eine Belastung für das Bündnis mit dem Nationalverband, obwohl zum damaligen Zeitpunkt grundsätzlich beide Parteien die Einberufung des Parlaments forderten. Doch seit dem Ausbruch der Revolution in Russland hatten sich die Bedingungen verändert. Die Christlichsozialen  – allen voran Gessman, Weiskirchner und Funder – hielten eine weitere Verzögerung für grob fahrlässig, während der Nationalverband immer noch mit der Regierung um die Bedingungen feilschte. Im Ministerrat am 16. April 1917 kam die schwelende Krise schließlich zum Ausbruch. Außenminister Ottokar Czernin sprach sich gegen einen Oktroi aus und wies darauf hin, dass seit dem Ausbruch der Revolution in Russland die österreichische Sozialdemokratie noch vehementer eine Anwendung des §14 zur Neuordnung der Verfassung in Österreich ablehnte.51 Die Reichspost stellte sich massiv hinter Czernin, indem sie den Vorrang der Außenpolitik vor der Innenpolitik anerkannte. Als dann eine christlichsoziale Delegation auch noch bei Kaiser Karl in der Sache vorsprach – Josef Redlich zufolge hätte der Kaiser gesagt »er hätte sich nur schwer zum neuen Kurs [Parlamentseinberufung, Anm. d. Verf.] entschließen können«  –, standen alle Zeichen auf Einberufung des Reichsrates.52 Damit war die Phase der Kriegsregierung, die Josef Redlich die »absolutistische« nannte,53 endgültig abgeschlossen und die beiden verbündeten deutschbürgerlichen Parteien konnten nicht mehr hoffen, ihre staatspolitischen Vorstellungen unter Umgehung der slawischen und romanischen Politiker durchzusetzen. Die Aussicht, das parlamentarische Forum wieder zu gewinnen, machte auch Änderungen personeller Natur notwendig. In der Christlichsozialen Partei hatten bis zum Mai 1917 Persönlichkeiten die Politik entscheidend gestaltet, von denen viele 1911 ihr Mandat für den Reichsrat verloren hatten. Darunter waren Gessmann, Weiskirchner, Heinrich von Wittek, Prinz Liechtenstein und Baron Fuchs. Nun wuchs auch der Einfluss des Christlichsozialen Parlamentsklubs wieder, und die Führung der Politik ging in die Hand seines Obmanns über. Dieser Posten, der bisher jeden Monat von dem Vertreter eines anderen Kronlandes gestellt worden war, wurde Mitte Mai 1917 einstimmig mit dem oberösterreichischen Landeshauptmann Prälat Johann Nepomuk Hauser besetzt.54 Als dann am 30. Mai 1917 der Reichsrat wieder zusammentrat, waren die wirtschaftlichen Probleme im Land und die zentrifugalen nationalen Kräfte bereits derart angewachsen, dass mit Fragen der Geschäftsordnung des Parlaments alleine keine Politik mehr zu machen war. Das war kein Widerspruch zu der Tatsache, dass die Frage der Verfassungsreform bei allen Vorstandssitzungen oder Präsidiumssitzungen auf der Tagesordnung stand. Vielmehr forderten die Christlichsozialen eine weitere Ausgestaltung des Föderalismus.55 »Selbstverwaltung« war bestimmt kein Zaubermittel, doch die katastrophale Ernährungslage und die nationalen Spannungen waren

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dadurch eher zu beherrschen als durch einen lokalfremden und wirklichkeitsfernen Zentralismus. Dieser Erkenntnis musste auch die Christlichsoziale Partei Rechnung tragen. Ab diesem Zeitpunkt trat auch Ignaz Seipel immer stärker als verfassungsrechtlicher Experte der Christlichsozialen Partei in Erscheinung. Allerdings drang Seipel erst im September 1918 ins Zentrum der österreichischen Politik vor  – zu einem Zeitpunkt, als die Regierung im Grunde genommen keinen Einfluss mehr auf die Bevölkerung nehmen konnte. Bereits einen Tag nach der Konstituierung des neuen Reichsrates, am 31. Mai 1917, hielt Kaiser Karl in der Hofburg die Thronrede, zu der alle Christlichsozialen Abgeordneten erschienen. Seitens der Sozialdemokraten war nur Engelbert Pernerstorfer gekommen. Die Regierung Clam-Matinic konnte trotz der Unterstützung durch die Christlichsozialen ihr Budgetprovisorium im Abgeordnetenhaus nicht durchbringen, da ihr der einflussreiche Polenklub, in dem sich radikale Strömungen durchgesetzt hatten, am 15. Juni 1917 das Misstrauen aussprach. Am 22. Juni 1917 demissionierte das Kabinett Clam-Matinic und Ernst von Seidler wurde beauftragt, eine Übergangsregierung zu bilden.56 Niemand konnte damals ahnen, dass dieses Provisorium länger als ein Jahr dauern würde  ; ebenso wenig, dass die Christlichsozialen Ministerpräsident Seidler im Sommer 1918 genauso leidenschaftlich verteidigen würden, wie sie ihn im Juni 1917 kritisiert hatten. Das Parlament war unmittelbar nach seiner Einberufung mit nationalen Separa­ tionswünschen konfrontiert. Das musste Clam-Matinic zur Kenntnis nehmen, ebenso nach ihm Seidler. Seidler lehnte in einer ziemlich schroffen Erklärung namens der öster­reichischen Regierung das Selbstbestimmungsrecht der Völker ab. Er erklärte, dass es ein Vetorecht des Kaisers sei, Frieden zu schließen und dieser müsse ein ehrenvoller sein.57 In diesem Punkt deckte sich Seidlers Position mit jener der Christlichsozialen. Klubobmann Hauser bezweifelte überhaupt den Friedenswillen der Entente und hob stattdessen den Friedenswillen der Deutschen in Österreich hervor. Gleichzeitig betonte er, dass Österreich nicht um Frieden winseln und betteln werde und die Christlichsozialen einen Frieden wollen, der »den Hass beende, der aber auch die Ehre Österreichs nicht schmälere und Größe, Bestand und gedeihliche Entwicklung des Vaterlandes gewährleiste«.58 Mataja plädierte für eine Friedensinitiative Österreichs, um zu beweisen, dass jetzt, wo die militärische Lage für sie (relativ) günstig sei, Österreich nicht zu einem Eroberungskrieg übergehen wolle. Die sogenannte »Sixtus-Affäre« Kaiser Karls im Jahre 1917  – also die geheimen Verhandlungen mit den Ententemächten, die in ihrer öffentlichkeitswirksamen Bedeutung erst Monate später bekannt wurden  – war in den Gremien der Christlich­ sozialen am ehesten darin zu spüren, dass Sorge um die Bündnistreue zu Deutschland

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bestand und dass die Kontakte zum deutschen Zentrum schlagartig zurückgingen. Entscheidender als dieser außenpolitische Effekt war aber die Enttäuschung der Christlichsozialen über das Verhalten des Kaisers. Sowohl Inhalt als auch Wortwahl der Briefe wurden als Illoyalität und Verrat am deutschen Bündnisgenossen angesehen. Dass Kaiser Karl leugnete und offensichtlich log, erschütterte die Autorität des Monarchen in der Partei. Spätestens mit dem zeitversetzten Bekanntwerden der »Sixtus-Briefe« wurde ein erstes entscheidendes Entfremden der Partei vom monarchistischen Gedanken ausgelöst. In die ersten Tage der Amtszeit von Ministerpräsident Seidler fiel ein innenpolitisches Ereignis, das – sieht man von der katastrophalen Ernährungslage ab – das wichtigste des Jahres 1917 war. Es handelt sich um die am 2. Juli 1917 überraschend erteilte Amnestie für 552 wegen politischer Vergehen Verurteilte, darunter auch den Führer der Jungtschechen Karel Kramář. Innenpolitisch wurde diese Amnestie als Schwäche interpretiert. Einzig Tomáš G. Masaryk war in seinem Exil in Sorge über den Propagandawert dieser Amnestie. Die einzigen, die diese Amnestie im Parlament begrüßten, waren übrigens die Sozialdemokraten, die Tschechen und die Südslawen. Trotz aller Divergenzen waren die Monate nach der Einberufung des Reichsrates getragen von einer den Umständen entsprechenden optimistischen politischen Grundhaltung. So war es der Christlichsozialen Partei gelungen, eine regionale Zusammenarbeit in Kärnten, der Steiermark, aber auch in Slowenien zu initiieren, die auf eine Stärkung in wirtschaftlichen und nationalpolitischen Fragen abzielte. Ab der Jahreswende 1917/1918 ist die Politik der Christlichsozialen Partei nur nachvollziehbar, wenn die sogenannte »Volkstagsbewegung« in ihrer politischen und ideologischen Mehrschichtigkeit erkennbar wird. Die Streikbewegung des Jahres 1918, der eine Friedenskampagne sozialdemokratischer Pazifisten in den Wintermonaten des Jahres 1917 vorangegangen war und die den Boden für politische Veränderungen bereitete, traf in Wien auf eine Welle von »Siegfrieden-Veranstaltungen«, die im Vergleich zu den Arbeitsausständen der Arbeiter von zweitrangiger Bedeutung war.59 Die im Grunde kompromissbereite Reaktion von Ministerpräsident Seidler darauf traf im Lager der Christlichsozialen auf scharfe Missbilligung. Seidler wurde beschuldigt, der Sozialdemokratie über Gebühr Zugeständnisse zu machen. Ebenso glaubten nationale Kreise, dass die Regierung in dieser Situation die Verfassungsreform nicht im erforderlichen Maße vorantreiben würde. Was folgte, war eine regelrechte Agitations- und Versammlungswelle, die durch alle deutschen Kronländer ging und die Regierung unter Druck setzen sollte. Die Haltung der Christlichsozialen Partei war nicht zuletzt von der gemeinsamen Vorgehensweise mit den Deutschnationalen abhängig  – wenngleich man feststellen muss, dass das oftmalige gemeinsame Vorgehen im Parlament keine tiefere Verankerung in der Bevölkerung bewirkte.

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Der »Allgemeine Tiroler Anzeiger«, die führende Christlichsoziale Zeitung Tirols unter dem Sprachrohr Aemilian Schöpfers, schrieb in einem Artikel Anfang März 1918, der den bezeichnenden Titel »Des Mittelstands Erwachen« trug, der Mittelstand sei bisher in geduldiger Beschaulichkeit verharrt, jetzt aber wolle er dem Beispiel der Slawen und der Arbeiter folgen.60 Volksräte hatte es schon vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges gegeben, zumeist in Teilen des Reiches, in denen zwei Völker nebeneinander lebten, nämlich in Böhmen, Krain, dem Küstenland, der Untersteiermark, aber seit 1907 auch in Niederösterreich. Sie waren ein Ergebnis des verschärften Nationalitätenkonflikts seit dem Erlass der Badenischen Sprachenverordnung. So entstand auch der erste Volksrat in Böhmen im Mai 1903. In der Folge kam es dort zu einer Zusammenarbeit zwischen den Deutschnationalen und Christlichsozialen, die ihren Ausdruck im sogenannten Pfingstprogramm von 1899 fand. Christlichsoziale Vertreter fanden aber auch im Deutschen Volksrat für Böhmen Aufnahme, worauf die Alldeutschen aus diesem austraten.61 Die Leitung der Volksräte lag meist in den Händen extremistischer Politiker. Der Schwerpunkt der Volkstagsbewegung, zumindest an der Häufigkeit der Veranstaltungen gemessen, lag in der Steiermark mit ihrem beträchtlichen deutschnationalen Anteil an der Wählerschaft. Die nationalslowenischen Abgeordneten forderten gleich in der ersten Reichsratssitzung am 30. Mai 1917 einen südslawischen Staat innerhalb der Monarchie, was auf deutschsprachiger Seite Empörung auslöste. Zahlreiche Volkstage folgten in der Steiermark noch bis Ende 1917 und steigerten sich zahlenmäßig in der ersten Jahreshälfte 1918. Christlichsoziale Vertreter waren in beinahe allen Stadtund Ortsverbänden der Volkstagsbewegung vertreten. Der c­ hristlichsoziale Vertreter in Graz, Stadtpfarrer Monsignore Karl Grossauer sagte bei der Konstituierung des Stadtverbandes  : »[…] Die religiösen Grundsätze berechtigen nicht zu einer nationalen Betätigung, sondern verpflichten auch dazu.«62 Am 6. Mai 1918 stellte sich auch das Landeskomitee der Christlichsozialen Partei der Städte, Märkte und Industrieorte der deutschsprachigen Steiermark in einem gemeinsamen Beschluss hinter den Eintritt ihrer Vertrauensmänner in die Volksrätebewegung in der Steiermark und auf Reichs­ ebene. In der Steiermark, wie auch in Kärnten  – in beiden bedingt wohl durch die Grenzlandlage zum slowenischen Sprachgebiet – sollten bis zum Zusammenbruch der Monarchie im November 1918 noch beinahe 100 Volkstage unter Beteiligung christlichsozialer Funktionäre und kirchlicher Würdenträger abgehalten werden.63 Den eigentlichen Höhepunkt der Volkstagsbewegung stellte aber zweifellos die große Kundgebung in der Volkshalle und im Arkadenhof des Wiener Rathauses am 16. Juni 1918 mit über 2.000 Teilnehmern dar. Eine Teilnahme war auf christlichsozialer Seite keineswegs unumstritten. Weiskirchner war sich bewusst, dass ihm ein Großteil der Wiener Partei hierfür die Gefolgschaft verweigern würde. Zu sehr drängten extreme Positionen in den Vordergrund. Immerhin fand am Vorabend des

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Volkstages in der Reichshauptstadt ein gemeinsamer Bummel deutschkatholischer und nationaler Studenten statt. Radikale Politik auf nationalem und sozialem Gebiet war im Grunde nie ein wirkliches Anliegen der Christlichsozialen Partei, die ihrem Wesen nach doch eine konservative Partei geblieben war. Dennoch erforderte die öffentliche Meinung unter dem Eindruck der Kriegsereignisse und der verheerenden Versorgungssituation, dass diesen Postulaten in irgendeiner Weise entsprochen werden musste. Eine dieser Formen war das Bündnis mit dem Deutschen Nationalverband. Es war ein zögerliches Nachfolgen auf einem von den anderen bürgerlichen Parteien schon zuvor eingeschlagenen Weg. Wie bei allen anderen bürgerlichen Parteien galt die Formel »Volksnotwendigkeit« vor »Staatsnotwendigkeit«. Ob die christlichsoziale Parteiführung durch dieses Bündnis die generell radikale Tendenz dieser Bewegungen abschwächen wollte oder bloß dabei sein wollte, um nach dem nicht mehr unwahrscheinlichen Zusammenbruch der Monarchie nicht abseits stehen zu müssen, zeigt sich nicht deutlich. Vielleicht hatte man beides im Auge. Aber immerhin waren die Christlichsozialen die letzte deutsche Partei Cisleithaniens, die sich vom übernationalen Reich abwandte. Bei zahlreichen Aspekten der Parteiengeschichte der Jahre 1914 bis 1918 gewinnt man den Eindruck, dass innerhalb des bürgerlichen Lagers der Deutsche Nationalverband oftmals der treibende Partner war, während die Christlichsozialen eher die Rolle der Getriebenen einnahmen. Zu sehr dominierten Passivität und Unterlassungen auf Seite der Christlichsozialen das politische Geschehen. Diese Feststellung alleine genügt aber nicht, um der Politik der Christlichsozialen Partei im zerfallenden Habsburgerstaat gerecht zu werden. Es waren Schlagworte wie »Siegfrieden«, »Gefahr einer slawischen Vorherrschaft«, »hochverräterisches tschechisches Volk«, die von Agitatoren des deutschnationalen Lagers aufgeworfen, aber von Christlichsozialen bei Versammlungen und Volkstagen aufgenommen wurden. Die sogenannten »Volksräte« waren der organisatorische Ausdruck dieser Stimmung. Es soll hier aber nicht verschwiegen werden, dass ein ähnliches Phänomen  – wenngleich mit völlig anderer Zielsetzung – sich im sozialdemokratischen Lager durchsetzte und sich in einer Radikalität in der Ermordung von Ministerpräsidenten Stürgkh im Oktober 1916 durch Friedrich Adler manifestierte. Später bildeten sich hier die Gruppen der Linken und der Linksradikalen und schließlich wurden nach dem Jännerstreik 1918 die »Arbeiterräte« aufgestellt, die wie die »Volksräte« im deutschnationalen Lager eine Organisationsform neben den politischen Parteien darstellten. Die radikale Haltung ging also quer durch alle Parteien und stellte eine Herausforderung an diese dar, da sie doch die Möglichkeit, Politik im alten Stil zu betreiben, klar in Frage stellte. Daran waren bereits die ersten Merkmale einer Politik zu erkennen, die später in der Ersten Republik den Boden der parlamentarischen Demokratie verlassen sollte. Es war für die Parteien, für die Christlichsozialen und die Deutschnationalen auf

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der einen Seite wie für auch die Sozialdemokraten auf der anderen, unmöglich, diese Stimmung in ihrer Wählerschaft zu ignorieren, und sie versuchten, einen Teil der Forderungen der außerparlamentarischen Gruppen zu ihren eigenen zu machen. Um die Jahreswende 1917/18 fiel die Bekanntgabe des 14-Punkte-Programms des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, das von der christlichsozialen Partei auf das Entschiedenste abgelehnt wurde. »Diese Erklärungen kennzeichnen so recht das perfide Albion, wie es leibt und lebt«64 aus dem Linzer Volksblatt war noch eine milde Formulierung. Funder schrieb in der Reichspost  : »[…] der Ton der Botschaft Wilsons ist britischer Kant im trustamerikanischen Dialekt.«65 In dieser Zeit, bedingt durch die sozialdemokratische Streikwelle des Jänners 1918, der Ausrufung der russischen Räteregierung, des zunehmenden militärischen Drucks und der empfundenen Abhängigkeit von der deutschbürgerlichen Volkstagebewegung, suchten die Christlichsozialen nach Alternativen. Hinzu kamen die Impulse, die christlichsoziale Politiker der Verfassungsreform gaben sowie Reformvorschläge Ignaz Seipels. Was nun entstand, war der erste Versuch, alle deutschen Parteien, auch die Sozialdemokraten, für eine nationale Politik zu gewinnen. Die Zeit war in den ersten Monaten des Jahres 1918 allerdings noch nicht reif, eine Konzentration der deutschsprachigen Parteien herbeizuführen, die in der Endphase der Monarchie den neuen Staat vorbereiten sollte. Ab Spätsommer 1918 wurden in der Partei die ersten Stimmen laut, die die Monarchie in Frage stellten und die begannen, über eine Republik nachzudenken. Die Anhänger der republikanischen Staatsform stellten nur eine »kleine Minderheit«66 dar, die in mehreren Sitzungen, besonders in der Parlamentsklubsitzung vom 19. Oktober 1918, der monarchistischen Mehrheit unterlagen. Hervorzuheben sind Schöpfer und Wilhelm Miklas, die sich am vehementesten für ein Festhalten an der monarchistischen Verfassung aussprachen. Noch hielt die Partei im Parlament an der Monarchie fest, wenngleich eher Einzelinitiativen, wie jene des Katholischen Volksbundes unter Richard Schmitz, sich öffentlich noch zur Monarchie bekannten.67 Kurz zuvor hatte Kaiser Karl ein Manifest zur Föderalisierung Österreichs  – exklusive Ungarns  – erlassen, das aber keinen realpolitischen Einfluss mehr erreichen konnte. Als am 21. Oktober 1918 der Christlichsoziale Klub zusammen trat, zeigte sich, dass die republikanischen Stimmen entschieden angewachsen waren. Am selben Tag konstituierte sich um 84 deutschnationale, 67 christlichsoziale und 41 sozialdemokratische Abgeordnete der Deutsche Nationalrat, dessen Leitung fortan in den Händen des Staatsrates lag. Spätestens ab Sommer 1918 war eine Entfremdung zwischen christlichsozialer Parteiführung und Basis nicht mehr zu übersehen. Sowohl die Forderungen nach abstrakten Verfassungsreformen als auch der kompromisslose Wille, am übernationalen Dualismus der Monarchie festzuhalten, wurden von der Bevölkerung in ihrer

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Mehrheit nicht mehr geteilt, denn diese wollte keine Reform von etwas, das man seinem Wesen nach zunehmend ablehnte. Als der christlichsoziale Ministerpräsident Hussarek von Heinlein am 27. Oktober 1918 demissionierte, folgte nur noch die zwei Wochen dauernde Liquidierung des alten Staates unter Heinrich Lammasch. Im Oktober 1918 überschlugen sich die Ereignisse  : Der Kollaps an den Fronten, die Abspaltungen nichtdeutschsprachiger Kronländer, italienische und serbische Soldaten auf österreichischem Gebiet, das zunehmend selbstbewusste Auftreten der westlichen und südlichen Bundesländer sowie Forderungen nach einem »Anschluss« an das Deutsche Reich führten die Christsozialen an den Rand der Spaltung. Während Liechtenstein als Obmann der Reichspartei zurücktrat – nicht zuletzt wegen der innerparteilichen Begeisterung, mit der sich vor allem die Alpenländer für einen »Anschluss« aussprachen –, forderte Ignaz Seipel die Partei auf, sich gegen die Dimission der Regierung Lammasch zu stemmen.68 Immerhin sprach sich der Staatsrat, dem zu dieser Zeit alle drei großen Lager an­­gehörten, für eine Teilnahme des nunmehrigen Deutsch-Österreich an den Wahlen zur deutschen Nationalversammlung aus. Schlussendlich aber wurden alle diese Vorstellungen vom Fortgang der Geschichte überrollt. Die provisorische Nationalversammlung sprach sich schließlich für die Republik aus. Die entscheidende Wende bei den Christlichsozialen erfolgte erst ganz zum Schluss. Erst als am Sonntag, 10. November 1918 die deutschnationalen Abgeordneten beschlossen, für die Republik zu stimmen, war die Stimmung auch bei den Christlichsozialen endgültig Pro-Republik. Eine Beachtung verdient noch die christlichsoziale Stellungnahme zum 12. November 1918. Wilhelm Mikas, der als Letzter im Klub für die Monarchie eintrat, wurde von seiner Partei als Sprecher bei der ersten Nationalratssitzung bestimmt, um die Linie der Christlichsozialen zum neuen Staat vorzustellen. »[…] Wir hätten es uns als wahrhaft demokratische Partei gewünscht, dass die Frage der Staatsform nicht von der provisorischen Nationalversammlung entschieden worden wäre, sondern dass die endgültige Entscheidung über die Regierungsform einer ehestens vorzunehmenden allgemeinen Volksabstimmung vorbehalten wird. Doch wollen wir, um die Einigkeit der deutschösterreichischen Volksvertretung in diesem geschichtlichen Augenblicke nicht zu stören, von der Stellung eines solchen Antrages absehen. […]«.69 So drohte die Partei sich Mitte November 1918 in eine monarchistische Partei und in eine republikanische Partei zu spalten. Die reaktionäre Gruppe, angeführt von Franz Spalowsky, vertrat den Standpunkt, dass die Christlichsoziale Partei auch nach der Ausrufung der Republik eine monarchistische Partei bleiben müsse, während die Progressiven unter Viktor Kienböck forderten, den veränderten Verhältnissen sofort und ohne Vorbehalt zu entsprechen. Am 19. November 1918 erschien der erste von insgesamt vier Aufsätzen von Ignaz Seipel in der Reichspost, in denen er sich programmatisch zu aktuellen Verfassungsfragen hinsichtlich einer Transformation äu-

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ßerte.70 Das »Recht des Volkes zur Selbstbestimmung« wurde darin zum ersten Mal von einem Vertreter der Parteiführung zum Postulat erhoben, ebenso die Bedingungen formuliert, unter denen sich die Christlichsoziale Partei im demokratischen Verständnis des neugeschaffenen Staates Deutsch-Österreichs entwickeln könnte. Diese programmatischen Wegweisungen Seipels halfen entscheidend mit, die fatale und irreversible Spaltung der Partei zu verhindern. Trieb bei Sozialdemokraten und Deutschnationalen Überzeugungsstärke und Enthusiasmus zu einer neuen Politik, so war bei den Konservativen viel eher ein abwägender Realismus für die Einsicht entscheidend, dass man sich vom alten Staate trennen musste. Wenn auch schweren Herzens. Dass dem Hang zu Experimenten im Großen und Ganzen nicht nachgegeben wurde und das Geschehen der Oktober- und Novemberwochen 1918 in gesetzlichen Bahnen verlief, war der wichtigste Beitrag der christlichsozialen Führer zur Entstehung der Republik. Anders als in Deutschland oder in anderen Nachfolgestaaten der Monarchie ließen sich die Parlamentarier weder von den Arbeiter- und Soldatenräten noch von den Volksräten von der Macht verdrängen. Das Zusammengehen der deutschsprachigen Christlichsozialen und Deutschnationalen mit der Sozialdemokratie im Spätherbst 1918 beruhte weder auf einer organisatorischen Untermauerung noch auf gemeinsamen sozialpolitischen Zielen oder einer gemeinsamen Tradition. Dass die Koalition mit der Sozialdemokratie so lose geknüpft wurde, sollte aber für die Geschichte der Ersten Republik noch größere Bedeutung gewinnen als die Dauerhaftigkeit des deutschbürgerlichen Bündnisses. Die Aktionsgemeinschaft mit den Deutschnationalen schloss aber in den letzten beiden Jahren der Monarchie ein Nachgeben gegenüber dem deutschen Nationalismus mit ein. Um den Bestand der Habsburgermonarchie zu sichern, wäre aber gerade das Gegenteil notwendig gewesen, wenngleich die endgültige Entscheidung über den Fortbestand des Staates nicht mehr in den Händen österreichischer Politiker lag.

Anmerkungen 1 John Boyer, Culture and Political Crisis in Vienna. Christian Socialism in Power 1897–1918, Chicago 1995, 369. Zu den verdienstvollen wissenschaftlichen Arbeiten zum Thema politische Parteiengeschichte vor und während des Ersten Weltkrieges zählen im Besonderen Anton Staudinger, Aspekte christlichsozialer Politik 1917 bis 1920, phil. Habil., Wien 1979 sowie Heinz Meier, Die österreichischen Christlichsozialen während des Ersten Weltkrieges, phil. Diss., Wien 1966. 2 Vgl. Richard Schmitz, Die Wiener Märzwahlen, in  : Volkswohl, 3–4, 18.3.1914, 80. 3 Boyer, Culture and Political Crisis in Vienna, 369–380. 4 Gross-Österreich, 19.7.1914, 1–2. 5 ÖStA, Nachlass Joseph Maria Baernreither, Karton 6, Tagebücher 15, Eintragung zum 29.10.1915.

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  6 ÖStA, AVA, Ministerratsprotokolle, Nr. 32, 27.7.1914.  7 Reichspost, 28.1.1915, 5.   8 ÖStA, HHStA, Kabinettsakten 28–29.   9 Es mutet beinahe österreichisch-paradox an, dass diese vom Abgeordneten- und vom Herrenhaus beschickte Institution das Parlament überdauern sollte. 10 Reichspost, 15.1.1916, 4. 11 Reichspost, 31.1.1915, 6. 12 ÖStA, AVA M.d.I., Präs. Z 21682 ex 1915. 13 Matthias Erzberger, Erlebnisse im Weltkrieg, Berlin 1920, 27  ; Viktor Naumann, Dokumente und Argumente, Berlin 1928, 56. 14 Vgl. dazu Erzberger, Erlebnisse, 27  ; Herman Deuring (Hg.), Jodok Fink, Wien 1932, 189. 15 ÖStA, AVA, M.d.I., Präs. 2762 ex 1915. 16 Reichspost, 24.2.1916, 8. 17 Ebd. 18 Reichspost, 5.12.1914, 6. 19 Vgl. Markus Benesch, Die Geschichte der Wiener Christlichsozialen Partei zwischen dem Ende der Monarchie und dem Beginn des Ständestaates, phil. Diss., Wien 2010, 37–41  ; Markus Benesch, Die Wiener Christlichsoziale Partei 1910-1934. Eine Geschichte der Zerrissenheit in Zeiten des Umbruchs, Wien–Köln–Weimar 2014. 20 Fritz Fellner/Doris Corradini (Hg.), Schicksalsjahre Österreichs, Die Erinnerungen und Tagebücher Josef Redlichs 1869–1936, Bd. 1  : 1869–1914, Bd. 2.: 1915–1936, hier Bd. 2, 95. 21 Reichspost, 20.1.1916, 5–6. 22 Fellner/Corradini, Schicksalsjahre Österreichs, Bd. 2, 98. 23 Alois Liechtenstein, Österreichs Zukunft, in  : Das Neue Österreich, 3.4.1916, 19–21 und 10.5.1916, 2–6. 24 Liechtenstein, Österreichs Zukunft, in  : Das Neue Österreich, 3.4.1916, 19. 25 Schreiben Benesch an Beck vom 24.7.1916, ÖStA, Nachlass Beck, Karton 33, Briefe B. 26 Dem 1867 gegründeten »Polenklub« gehörten praktisch alle polnischen Abgeordneten unterschiedlicher Parteigruppierungen an. Zumeist loyal zur Regierung stehend, trat der Polenklub konsequent für die Autonomie der von ihren Abgeordneten vertretenen Regionen ein. Vgl. Lothar Höbelt, Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs, Wien–München 1993, 106–108. 27 Fellner/Corradini, Schicksalsjahre Österreich, Bd. 2, 131–133, Eintragung vom 27.7.1916. 28 NÖLA, Statthaltereiakten, Präs. Z. 5941 ex 1916. 29 Alois Czedik, Zur Geschichte der k. k. Ministerien 1861–1916, Teschen 1917/1920, Bd. 4, 461. 30 Reichspost, 9.10.1916, 4–5. 31 Ebd. 32 Reichspost, 13.10.1916, 5. 33 Korrespondenz Beuerle an Gross vom 16.9.1914, ÖStA, Nachlass Gustav Gross, Karton 4. 34 Vgl. Christian Mertens, Zwischen Krise und Konsolidierung. Die Christlichsoziale Partei Wiens vom Tod Luegers bis in die Frühzeit der Republik, in  : Helmut Wohnout (Hg.), Demokratie und Geschichte ( Jahrbuch des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich) 7–8 (2003/2004), 155–182, 168. Mertens schreibt  : »Weiskirchners Germanophilie und Kooperationswilligkeit mit den Deutschnationalen zur Sicherung des ›deutschen‹ Charakters des Reiches wurde mit Fortdauer des Krieges von der Partei zunehmend missbilligt.« 35 ÖStA, Nachlass Gustav Gross, Karton 4, Korrespondenz Weiskirchner an Gross, 27.10.1914. 36 Friedrich Funder, Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik, Wien 1952, 525. 37 Reichspost, 17.2.1917, 1–2.

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38 Fellner/Corradini, Schicksalsjahre Österreichs, Bd. 2, 54–84  ; vgl. ebenso ÖStA, Nachlass Joseph Maria Baernreither, Karton 6, Tagebücher 14. 39 Fellner/Corradini, Schicksalsjahre Österreichs, Bd. 2, 91. 40 Ebd., 90–91. 41 Vgl. Briefe Spitzmüller an Friedrich Funder, in  : ÖStA, AVA, Nachlass Friedrich Funder, E/1781, Karton 10, Mappe 158. 42 Reichspost, 22.1.1916, 1–2. 43 Reichspost, 24.12.1916, 1. 44 Archiv des Karl von Vogelsang-Instituts Wien, Christlichsoziales Parteiarchiv/Parlamentsklub, Karton 19/67. 45 Reichspost, 9.1.1917, 1–2. 46 Handschriftensammlung der Stadt Wien, Nr. 30053. 47 Leopold Kunschak, Staatsschule, in  : Volkswohl (9), 1917, 55–62. 48 Brief Baron Fuchs an Gross vom 9.3.1917, ÖStA, Nachlass Gustav Gross, Karton 2, Politische Korrespondenz. 49 Reichspost, 8.3.1917, 4. 50 Felix Höglinger, Ministerpräsident Heinrich Graf Clam-Matinic (Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 2), Graz 1964, 175. 51 Gemäß Staatsgrundgesetz vom 21.12.1867 wurde durch den Paragraphen 14 der Regierung erlaubt, in Zeiten, in denen der Reichsrat nicht versammelt war, mittels kaiserlicher Verordnungen, die provisorische Rechtskraft hatten, Maßnahmen zu erlassen, wenn die dringende Notwendigkeit für solche Anordnungen vorlagen und diese keine Änderung im Staatsgrundgesetz beabsichtigten. 52 Reichspost, 18.4.1917, 1–2. 53 Fellner/Corradini, Schicksalsjahre Österreichs, Bd. 2, 201, Eintragung vom 24.4.1917. 54 Reichspost, 16.5.1917, 6. 55 ÖStA, AVA, M.d.I, Präs. Z 6682, 8797 ex 1917. 56 Vgl. Höglinger, Clam-Matinic, 194. 57 Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, XX. Session, 26.6.1917, 520. 58 Ebd., 526. 59 Vgl. Deutsches Volksblatt, 5.1.1918, 1–2. Siehe auch NÖLA, Statthaltereiakte, Präs. Z. 160 ex 1918. 60 Allgemeiner Tiroler Anzeiger, 8.3.1918, 2–4. 61 Vgl. Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 294–313. 62 Grazer Volksblatt, 29.4.1918, 2–3. 63 Grazer Volksblatt, 7.5.1918, 2. 64 Linzer Volksblatt, 8.1.1918, 1–2. 65 Reichspost, 10.1.1918, 2. 66 Funder, Vom Gestern ins Heute, 581. 67 Vgl. John Boyer, Karl Lueger (1844–1910). Christlichsoziale Politik als Beruf. Eine Biographie, Wien– Köln–Weimar 2010. Hier besonders das Kapitel »Der Weltkrieg und die Revolution«, 408–415. 68 Vgl. Klemens Klemperer, Ignaz Seipel. Staatsmann einer Krisenzeit, Wien–Graz–Köln 1976, 71–82. 69 Stenographisches Protokoll der provisorischen Nationalversammlung, 12.11.1918, 67–78. 70 Ignaz Seipel, Der Kampf um die österreichische Verfassung, Wien–Leipzig 1930, 49. Darin auch die Abdrucke der Aufsätze »Das Recht des Volkes«, »Das Wesen des demokratischen Staates«, »Die demokratische Verfassung« und »Das Volk und die künftige Staatsform«. Vgl. dazu auch Klemperer, Seipel, 88. Hier besonders das Verhältnis Seipels zu Funder.

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Waren alle nur Schlafwandler? Die österreichische Sozialdemokratie und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Der Historiker Christopher Clark hat jüngst in seinem Buch über die Ursachen für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges die These aufgestellt, dass eine genauere Analyse der europäischen Politiker, Diplomaten und wirtschaftlichen Schlüsselakteure angesichts der multiplen Krisen und Kriege im Vorfeld von 1914 zeige, dass sich diese wie Schlafwandler verhalten hätten. »[T]he protagonists of 1914 were sleepwalkers, watchful but unseeing, haunted by dreams, yet blind to the reality of the horror they were about to bring into the world.«1 Allerdings untersucht Clark weder die Rolle der Zweiten Sozialistischen Internationale noch jene der österreichischen Sozialdemokratie am Vorabend des Weltkrieges. Gilt seine These auch für die Partei Victor Adlers  ? Gilt auch für die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) die Vermutung, dass ihre Führungspersönlichkeiten sich wie Schlafwandler in den Waffengang begeben haben  ? Es bedürfte eigentlich der Sprachmächtigkeit Robert Musils oder Otto Bauers, um jene vielfältigen und widersprüchlich ineinander greifenden (geo)politischen sowie rasanten ökonomischen Entwicklungen darzustellen, die die Jahre von 1890 bis 1914 mit sich brachten. Die neuen Formen industrieller Produktion und moderner Kommunikation hatten die Grundlagen für einen globalen Markt für Güter, Menschen, Informationen und Kapital geschaffen. Aber nicht nur die Güterproduktion und das Finanzkapital hatten gewaltige Werte akkumuliert, es entstand auch ein Millionenheer von ArbeiterInnen, ein europäisches und ein amerikanisches Proletariat, das um die Durchsetzung sozialer und politischer Rechte kämpfte und dabei stets von politischer Unterdrückung und militärisch-polizeilichen Repressionen bedroht war. Zwar gab es vereinzelt politische Konzessionen, wenn sich die Sozialdemokraten als besonders stark erwiesen, wie dies beispielsweise im Fall der Bismarckschen Sozialgesetzgebung im Deutschen Reich der Fall war. Doch diese weitgehende Schutzmaßnahme für ArbeiterInnen blieb eine Ausnahme. Höchstens die Facharbeiter in den spezialisierten Industriebetrieben West- und Mitteleuropas konnten einen bescheidenen Lebensstandard erreichen, aber in Summe war das Leben des Proletariats miserabel und stand stets unter dem Menetekel von Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Hunger und Krankheit. Auf den Grundlagen von Karl Marx und Friedrich Engels und deren

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Theorien über die zyklischen Krisen des Kapitalismus und die Ausbeutung des Proletariats durch die herrschenden Eigentumsverhältnisse waren überall in den entwickelten europäischen Staaten und den industrialisierten Imperien Arbeiterbewegungen entstanden. Diese gründeten 1889 in Paris die Zweite Sozialistische Internationale, um gemeinsame Strategien zur Überwindung von Klassenherrschaft, dynastischen Machtstrukturen sowie des Militarismus und Imperialismus der Großmächte zu entwickeln. Um die Jahrhundertwende waren in England, Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich-Ungarn und sogar im zaristischen Russland gut organisierte Arbeiterparteien etabliert, die parlamentarisch  – soweit sie per Gesetz überhaupt als Parteien zugelassen waren – und außerparlamentarisch vehement für Arbeitsschutzgesetze, Sozialgesetze, Altersfürsorge und für Wahlrechtsreformen eintraten. Nachdem die reichsdeutsche sozialdemokratische Partei 1875 als Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) gegründet worden war, folgte um die Jahreswende 1888/1889 im niederösterreichischen Hainfeld der Beschluss über das Gründungsprogramm der SDAP. Der Armenarzt und führende Kopf der sozialdemokratischen Bewegung, Dr.  Victor Adler, hatte im Einvernehmen mit Karl Kautsky einen Entwurf ausgearbeitet, welcher nach eingehender Debatte mit nur drei Gegenstimmen angenommen wurde. Delegierte aus fast allen Kronländern Cisleithaniens waren bei der Beschlussfassung zugegen. In der »Prinzipien-Erklärung« hielt man fest, dass dem wissenschaftlichen Sozialismus die wesentliche Rolle im Klassenkampf und bei der Befreiung des Proletariats zukommen müsse  : »Die sozialdemokratische Arbeiterpartei erstrebt für das gesamte Volk ohne Unterschied der Nation, der Rasse und des Geschlechts die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit, die Beseitigung der politischen Rechtlosigkeit und die Erhebung aus der geistigen Verkümmerung. […] Der Träger dieser Entwicklung kann nur das klassenbewußte und als politische Partei organisierte Proletariat sein. Das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewußtsein seiner Lage und seiner Aufgabe zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten, ist daher das eigentliche Programm der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich, zu dessen Durchführung sie sich aller zweckdienlichen und dem natürlichen Rechtsbewußtsein des Volkes entsprechenden Mitteln bedienen wird.«2 In der Erklärung wurde aber nicht nur der internationalistische Charakter der Partei, die Rolle der Propaganda für die Verbreitung der sozialistischen Ideen, die aktive Teilnahme am Parlament und an verschiedenen Körperschaften als wesentliche Mittel der Politik sowie eine umfassende Bildungsund Kulturarbeit und der Kampf für eine umfassende Sozialreform betont. In Punkt 6 wurde auch die Umwandlung des Heeres in ein Milizsystem gefordert  : »Die Ursache der beständigen Kriegsgefahr ist das stehende Heer, dessen stets wachsende Last das Volk seinen Kulturaufgaben entfremdet. Es ist daher für den Ersatz des stehenden Heeres durch die allgemeine Volksbewaffnung einzutreten.«3

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Anlässlich der Internationalen Konferenz der Sozialisten in Brüssel am 12. Oktober 1908, die infolge der Annexionskrise von Bosnien-Herzegowina und der daraus erwachsenen Kriegsgefahr zwischen Österreich-Ungarn und Russland einberufen worden war, betonte Victor Adler im Namen der österreichischen Sozialdemokratie die entschiedene Ablehnung der Annexion und das Recht auf die Eigenständigkeit aller Balkanvölker  : »Es ist schwer, eine Formel für all die vielen Völkerstämme am Balkan zu finden. Wir können nur jeder in seinem Staate dafür eintreten, daß die wirtschaftliche und nationale Entwicklung jener Völker vor sich geht, ohne daß der Frieden darunter leidet.«4 Und wenige Monate später bekräftigte Adler am 26. März 1909 im Namen der Partei seine Haltung in einer Friedenskundgebung im Abgeordnetenhaus, indem er energisch unterstrich, dass die Sozialdemokraten keinen Krieg wollten, denn »wir wollen Frieden, wir wollen weder einen großen Krieg, einen Weltkrieg, einen Krieg mit drei Fronten, wir wollen aber auch keinen kleinen Krieg [lebhafter Beifall und Händeklatschen], wir wollen aber auch keinen lokalisierten Krieg  !«5 Und in Hinblick auf die drohende Haltung Russland stellte Adler fest, dass die Sozialdemokraten sich in keinen Krieg gegen Russlands locken lassen würden, der zwar keinen Weltkrieg entfachen, Österreich-Ungarn aber sehr wohl große Verluste beibringen könne  : »Wir wollen diesen Aderlaß nicht, weil das Blut, das dabei vergossen wird, das edelste Blut der Jugend ist, das Blut des Proletariats, des industriellen Proletariats, des landwirtschaftlichen Proletariats, des Bauern, des Bürgers, das Blut aller unserer Völker.«6 Victor Adler bekräftige damit die Beschlüsse, die zuvor gefasst wurden. Denn schon am Stuttgarter Kongress der Zweiten Sozialistischen Internationale im Jahr 1907 stand die Frage des Militarismus und der internationalen Konflikte als erster Punkt auf der Tagesordnung. Nach heftigen Debatten, vor allem zwischen der deutschen und französischen Delegation, hatte man sich einstimmig dazu bekannt, im Kriegsfall die arbeitenden Klassen und ihre parlamentarischen Vertreter in den betroffenen Ländern zu verpflichten, alles zu tun, um durch die ihnen am wirksam­ sten erscheinenden Mittel einen Kriegsausbruch zu verhindern, wobei sich die Mittel je nach Lage des Klassenkampfes und der politischen Lage ändern konnten.7 Dieser Beschluss war ein Kompromiss, denn die französische Delegation mit Jean Jaurès und Edouard Vaillant hatte auf eine wesentlich schärfere Resolution gedrängt und gefordert, einen Krieg mit allen Mitteln  – von der parlamentarischen Intervention, öffentlichen Agitation bis hin zum Massenstreik und Aufstand – zu verhindern. Diese Formulierung wurde jedoch von August Bebel abgelehnt, da sie die deutsche Sozialdemokratie innenpolitisch in größte Gefahr hätte bringen könne. Der damit offen zutage getretene deutsch-französische Zwist sollte später weit reichende Folgen haben. Die abgeschwächte Resolution, die 1912 beim Kongress der Internationale in Basel abermals bekräftigt werden sollte, hinterließ bei manchen führenden europäischen Politikern und Diplomaten nämlich den Eindruck, dass die Sozialistische Internatio-

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nale wohl mehr eine propagandistische, eine sich vor allem rhetorischer Mittel bedienende, als eine die Massen tatsächlich mobilisierende Institution sei. Als einer von wenigen erkannte der herausragende Intellektuelle der österreichischen Sozialdemokratie, Otto Bauer, schon im Verlauf des Ersten Balkankrieges 1912, durch den das Osmanische Reich seiner europäischen Gebiete großteils verlustig ging, das immense Gefahrenpotential, das die Krisenregion in sich barg. In seiner umfassenden Analyse der politischen Umwälzungen in der Türkei, ihren inneren ethnischen Konflikten  – etwa die Armenier-Frage  –, ihren außenpolitischen Spannungen mit Russland und dem Britischen Empire an seinen Ostgrenzen und in Mesopotamien, erblickte Bauer die Gefahr weiterer gewaltsamer Auseinandersetzungen. Aber auch in den deutschen Wirtschaftsinteressen sowohl am Balkan wie auch im Vorderen ­Orient  – etwa hinsichtlich der Bagdad-Bahn  –, den französischen Investitionen in der Türkei und in Serbien sowie im britisch-russischen Konflikt über den Zugang der zaristischen Schwarzmeerflotte zum Mittelmeer sah er einen durch den Balkankrieg befeuerten, kontinentalen Imperialismus der europäischen Großmächte mit unkalkulierbaren Folgen. Otto Bauer schrieb, dass nur eine Verständigung Deutschlands, Frankreichs und Englands über eine Ausbalancierung der Interessenssphären den schwelenden Brandherd löschen könne  : »Sind Deutschland, Frankreich und England einig, dann diktieren sie den Frieden. Sind sie es nicht, dann droht die Gefahr, daß der Zusammenbruch der Türkei nach kurzem Zwischenspiel zum Weltkrieg führt. Dann war der Balkankrieg nur das kleine Vorspiel furchtbarster Kriegsgreuel, dann naht der ganzen kapitalistischen Welt die gewaltigste Erschütterung.«8 Ebenso wurde in einem Aufruf der »Arbeiter-Zeitung« an das arbeitende Volk aller Nationen in Österreich vom 13. Oktober 1912 die Gefahr einer Eskalation benannt, denn – so das Organ der Sozialdemokratie  – die Wirren im Südosten hätte die Kriegsgier in Europa wieder erweckt und die Staatsmänner der Großmächte würden mit dem Feuer spielen. Wenn es den Völkern nicht gelänge, diese zum Frieden zu zwingen, dann drohe allerhöchste Gefahr, dann könne der Balkankrieg in einem Krieg der Großmächte enden, der die Millionenheere Österreich-Ungarns, Deutschlands, Italiens, Russlands, Frankreichs und Englands in Bewegung setzen und »die europäische Zivilisation in einem Weltbrand vernichten würde.«9 Und weiter im Aufruf »Die Kriegshetzer  – die Wiener Christlichsoziale Presse an ihrer Spitze – wollen uns einreden, Oesterreich müsse in den Sandschak einmarschieren, wenn Serbien dort Eroberungen machen wolle. […] Und das kleine Serbien, das nicht mehr Einwohner zählt als die Stadt Wien allein, wird der stolzen Großmacht wohl auch dann keine Gefahr sein, wenn es um ein paar armselige Dörfer vergrößert wird  ! Der ganze Sandschak ist nicht die Knochen eines österreichischen Arbeiters wert.«10 Diesem klaren Manifest der deutschösterreichischen Parteiführung folgten am 10. November 1912 Massendemonstrationen in Wien, Graz, Innsbruck, Sankt Pölten und anderen Städten.11

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Die Zweite Sozialistische Internationale hatte sich bereits auf den Kongressen in Stuttgart 1907 und in Kopenhagen 1910 intensiv mit Fragen des Militarismus und der Aufrüstung beschäftigt. Auf beiden Zusammenkünften wurden jedoch auch die unterschiedlichen Auffassungen der französischen Sozialisten und der deutschen Sozialdemokraten offensichtlich. Während die Franzosen auf konkrete Maßnahmen drängten, um »dem Krieg den Krieg« zu erklären (Edmond Potonié-Pierre), wollten die Deutschen einen eher passiven Standpunkt durchsetzen. Nicht ein Generalstreik sei für den Kriegsfall vorzusehen, sondern die Verpflichtung, sich für eine rasche Beendigung eines eventuellen Krieges einzusetzen. Vor allem in Kopenhagen kam der grundsätzliche Unterschied der französischen und deutschen Sozialisten zum Ausdruck. Die Franzosen stellten den so genannten Keir Hardie-Vaillant-Antrag zur Diskussion, der folgend abgefasst war  : »Unter allen Maßnahmen, die zur Vorbeugung und Verhütung des Krieges anzuwenden sind, betrachtet der Kongreß den allgemeinen Streik der Arbeiter als besonders zweckmäßig, insbesondere in den Industrien, die für den Krieg die Materialien liefern (Waffen, Munition, Transport und dergleichen), sowie die Agitation und das Eingreifen der Bevölkerung, und zwar mit den stärksten Mitteln«.12 Diese Formulierung wurde von den deutschen Sozialisten entschieden abgelehnt und man konnte sich nur auf eine sehr allgemeine Forderung einigen, die von Karl Renner entworfen worden war und die Abgeordneten bloß dazu verpflichtete, die Rüstungspolitik und die Rüstungsausgaben ihrer Staaten zu bekämpfen. Auch der anlässlich des ersten Balkankrieges am 24. und 25. November 1912 organisierte Basler Kongress, der wesentlich von Victor Adler initiiert wurde, brachte keine grundsätzliche Änderung dieser Position. Jedoch drängte Adler mit seinen Genossen darauf, dass ein Passus aufgenommen wurde, der die Sozialdemokratien in der Habsburger Monarchie zum entschlossenen Kampf gegen die Bestrebungen Österreich-Ungarns, einen Krieg gegen Serbien zu führen, aufforderte. In der dort beschlossenen Resolution hieß es u. a.: »Die Internationale hat auf ihren Kongressen von Stuttgart und Kopenhagen für das Proletariat aller Länder als leitende Grundsätze für den Kampf gegen den Krieg festgestellt  : Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Bureaus, alles aufzubieten, um den Ausbruch des Krieges durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel zu verhindern, die sich je nach Verschärfung des Klassenkampfes und der Verschärfung der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern. Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, sind sie verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunützen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen. […] Die Balkankrise, die bereits bis heute so schreckliche Greuel herbeigeführt hat,

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würde, wenn sie weitergreift, die furchtbarste Gefahr für die Zivilisation und das Proletariat sein. Es wäre zugleich die größte Schandtat der Weltgeschichte durch den schreienden Gegensatz zwischen der Größe der Katastrophe und der Geringfügigkeit der ins Spiel kommenden Interessen.«13 Und an die Adresse der Sozialdemokratie im Habsburger Reich hieß es weiter  : »Die Sozialdemokratischen Parteien OesterreichUngarns, Kroatiens und Slawoniens, Bosniens und der Herzegowina haben die Pflicht, ihre wirkungsvolle Aktion gegen den Angriff der Donaumonarchie auf Serbien mit aller Kraft fortzusetzen. Es ist ihre Aufgabe, sich wie bisher fürderhin dem Plane zu widersetzen, Serbien mit Waffengewalt der Ergebnisse des Krieges zu berauben, es in eine Kolonie Oesterreichs zu verwandeln und um dynastischer Interessen willen die Völker Oesterreich-Ungarns selbst und mit ihnen alle Nationen Europas in die größten Gefahren zu verstricken.«14 Die Resolution schloss in Rückblick auf die Kriege zwischen Frankreich und Deutschland 1870/71 und zwischen Russland und Japan 1904/1905 mit der ausdrücklichen Warnung  : »Es wäre Wahnwitz, wenn die Regierungen nicht begreifen würden, daß schon der bloße Gedanke der Ungeheuerlichkeit eines Weltkrieges die Entrüstung und Empörung der Arbeiterschaft hervorrufen muß.«15 Als historisches Resümee des Basler Kongresses muss aber entgegen der häufig vorgebrachten Kritik am Versagen der Internationale im Jahr 1914 festgestellt werden, dass sie trotz der abgeschwächten Resolutionen bei den Kongressen von 1907, 1910 und 1912 eine mächtige, europaweite Antikriegsbewegung befördert und dazu beigetragen hatte, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung auf eine gemeinsame, organisatorische Basis zu stellen und auf eine länderübergreifende Friedenspolitik einzuschwören. Dies muss umso mehr gewürdigt werden, da nicht alle Parteien in ihren Ländern einen legalen Status hatten. Die SDAP und die Sozialistische Partei in Frankreich waren legal. Die SPD in Deutschland hingegen hatte keinen rechtlichen Status, obwohl sie im Reichstag vertreten war. Die Kongresse hatten nicht nur vor einem Weltkrieg, sondern auch vor einem dadurch ausgelösten Umsturz aller Verhältnisse, also vor einer umfassenden sozialen Revolution in Europa gewarnt. Die verzerrte Sichtweise auf die Internationale vor 1914 ist nicht nur den späteren Debatten innerhalb der Linken, also dem Konflikt zwischen Kommunisten und Sozial­ demokraten geschuldet, sondern auch einem Blickwinkel, der die Leistungen der Internationale vor allem posthum durch die Linse des Großen Krieges und seiner schwerwiegenden Folgen beurteilt. »The pre-World War I era often nostalgically and erroneously has been described as Belle Époque, a powerful image of a peaceful and prosperous Europe in contradiction to the turbulent 1920s and 1930s marked by economic turmoil and political radicalism. […] Challenges to the bourgeois status quo are relegated to the margins or are misconstrued as they are judged through the prism of the Great War. International socialism’s campaign for peace to avert a European bloodletting is a case in point in this general phenomenon.«16

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Das Unheil nahm schließlich mit der Ermordung des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinands und seiner Frau Sophie Chotek, Herzogin Hohenberg, am 28. Juni 1914 durch Gavrilo Princip seinen Anfang. Der österreichische Sozialdemokrat Julius Braunthal, der damals im nordböhmischen Warnsdorf politisch aktiv war, in einer Stadt, die von der Textilindustrie lebte, schilderte die damalige Stimmungslage seiner Parteigenossen angesichts des Attentats.17 Zwar habe die Nachricht wie ein Blitz aus heiterem Himmel eingeschlagen, aber großes Bedauern wäre nicht zu spüren gewesen. Zu sehr habe der Thronfolger das reaktionäre Element in der Innenpolitik und einen aggressiven Kriegswillen in der Außenpolitik verkörpert. Aber sollte man angesichts der Kriegspartei am Wiener Hof, insbesondere im österreichisch-ungarischen Generalstab, erleichtert sein  ? Würde dieser radikale Flügel den Fürstenmord zum Anlass für einen Krieg gegen Serbien nehmen und sollte sich wirklich der Schrecken des Krieges über die Doppelmonarchie entladen  ? »Es schien uns unvorstellbar, daß Millionen sterben sollten, um den Tod eines Mannes zu sühnen, der stets bereit war, Millionen in den Tod zu schicken. Sollten wirklich Millionen in Bewegung gesetzt werden, um sich gegenseitig hinzuschlachten  ? Eine absurde Vorstellung. Und doch fühlten wir dunkel, daß es so kommen würde.«18 Die Verachtung, die der amtierende k. u. k. Ministerpräsident Karl Graf Stürgkh nicht nur der Sozialdemokratie im speziellen, sondern dem Parlamentarismus insgesamt entgegen brachte, veranlasste ihn schon im Vorfeld von Sarajewo, nämlich am 16. März 1914, den berüchtigten § 1419 auf unbestimmte Zeit in Kraft zu setzen. Damit wurde jegliche parlamentarische Befassung der Frage, inwieweit Serbien als Staat und seine Regierung in das Attentat verwickelt sein könnten, verunmöglicht. Und schon am 7. Juli war man im »Ministerrat für gemeinsame Angelegenheiten«, allen voran der Minister des Äußeren, Graf Leopold Berchtold, davon überzeugt, dass – selbst im Falle einer nahe liegenden Kriegserklärung des Zarenreichs – eine schnelle Abrechnung mit Serbien unbedingt notwendig sei. Ein Krieg sei nicht zuletzt auch deswegen notwendig, weil ein untätiges Gewähren-lassen von Rumänien und den Südslawen als weitere Schwäche der Monarchie auslegt werden würde. Zudem habe er sich, erklärte Graf Berchtold, für den Fall kriegerischer Komplikationen der vollen Unterstützung Deutschlands versichert. Nur der Einspruch des ungarischen Ministerpräsidenten Graf István Tisza verzögerte die Sanktion des Beschlusses durch den Kaiser.20 In den sozialistischen Parteien weltweit dachte niemand ernstlich daran, dass der Bündnispartner Deutschland wegen Österreichs Lokalkonflikt mit Serbien einen Krieg gegen Russland und damit auch gegen Frankreich und England, riskieren würde. Man hielt das Attentat eher für eine weitere Episode in der langen Reihe blutigbizarrer Vorfälle auf dem Balkan. In Österreich hingegen schätzten viele Sozialisten die Lage pessimistischer ein. Der anhaltende Nationalitätenkonflikt, der das morsche Gefüge der Monarchie von innen heraus bedrohte und der nur oberflächlich kalmierte

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Balkan ließen, so Braunthal, das Gefühl aufkommen, dass sich die schlummernden Spannungen »in einer katastrophalen Explosion lösen« könnten.21 Allzu frisch waren für die Sozialdemokratie noch die Erinnerungen an die Gefahren, die im Zuge der Annexionskrise 1908/1909 und der Balkankriege 1912/1913 am Horizont aufgezogen waren und allzu offensichtlich war, dass Russland einen Krieg Österreich-Ungarns gegen Serbien nicht tatenlos hinnehmen würde. So lagen die »Arbeiter-Zeitung« und ihr Chefredakteur, Friedrich Austerlitz, richtig in ihrer pessimistischen Einschätzung, dass die politische Lage geradewegs zur Eskalation hin drängen würde. »Was will es werden  ? Wie eine drohende Wolke lastet die Kriegsgefahr über Oesterreich und die dumpfe beklemmende Unsicherheit will nicht weichen, verstärkt sich von Stunde zu Stunde. Die Gefahr liegt auch diesmal in den dunklen Unterströmungen, die sich an die amtliche Politik herandrängen und sie zum Werkzeug ihrer zweideutigen Pläne zu machen versucht  ; sie kommt von der immer verwegener auftretenden Kriegspartei, die den Bluttag in der bosnischen Hauptstadt zu dem so lange herbei gewünschten Kriege ausnützen will […] Die besondere Gefahr des Augenblicks, die über Krieg und Frieden entscheiden kann, liegt darin, daß die Völker durch die Sistierung der Verfassung des Ausdrucks ihres Willens beraubt, schweigen müssen, während die verantwortungslose Kriegspartei alle Minen springen läßt, um den Entschluß der entscheidenden Faktoren zu beeinflussen und ihn sich untertänig zu machen. Immer gellender wird das Kriegsgeschrei, immer klarer tritt die Absicht hervor, die den Krieg um jeden Preis verlangt, die den Krieg unter allen Umständen will, die den Krieg um seiner selbst willen begehrt, die nach dem Blutvergießen gierig lechzt.«22 Am 28. Juli 1914 trat nun tatsächlich ein, was sich keiner so recht hatte vorstellen wollen  : Österreich-Ungarn erklärte sich im Kriegszustand mit Serbien und Kaiser Franz Joseph vertraute in seinem Manifest darauf, dass seine Völker für die Ehre, die Größe und die Macht des Vaterlandes zu schwersten Opfern bereit sein werden. Die Parteivertretung der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei richtete insbesondere an ihre Vertrauensmänner den Appell  : »Arbeiter und Arbeiterinnen  ! Lasst euch nicht entmutigen  ! Bleibt treu eurer Sache, treu der Sache des arbeitenden Volkes  ! Dann werden wir nach dem Krieg stark genug sein dafür zu sorgen, daß das neue Oesterreich, das aus den weltgeschichtlichen Ereignissen erwachsen soll, werde was es sein soll  : eine Heimstätte freier Völker, ein fruchtbarer Boden für die befreiende Arbeit des Proletariats.«23 Trotz dieses Aufrufes zur Besinnung in der »Arbeiter-­Zeitung« kam es vor allem in den größeren Städten der Monarchie zu einer wahrhaften Kriegseuphorie. Stefan Zweig, gerade von einer Reise aus Belgien zurückgekehrt, erlebte die Fahrt durch Österreich als einen Taumel fröhlicher Mobilmachung, Fahnen wehten, Züge füllten sich mit Soldaten und »in Wien fand ich die ganze Stadt in einem Taumel. […] Aufzüge formten sich in den Straßen, plötzlich loderten überall Fahnen, Bänder und Musik, die jungen Rekruten marschierten im Triumph dahin, und ihre

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Gesichter waren hell, weil man ihnen zujubelte, ihnen den kleinen Menschen des Alltags, die sonst niemand beachtet und feiert. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich bekennen, daß in diesem ersten Aufbruch der Massen etwas Großartiges, Hinreißendes und sogar Verführerisches lag, dem man sich schwer entziehen konnte.«24 Doch entgegen den Schilderungen in seiner Autobiographie, wo er seine sofort einsetzende »Immunisierung« gegen die Kriegseuphorie betonte, meldete er sich sogar freiwillig für den Kriegsdienst – so wie viele andere österreichische Intellektuelle auch. Auch brach er jeglichen Kontakt mit den Freunden im Ausland ab, die für ihn zuvor wichtige Diskussionspartner nicht nur in Fragen der Künste, sondern auch des Antimilitarismus gewesen waren. Zweig hatte nur das Glück, für untauglich befunden und zum Dienst ins Kriegsarchiv abgeordnet zu werden. Dort war er ein Mitverfasser von Schriften, die den Krieg nicht nur rechtfertigten, sondern in schwülstigen Heldennarrativen rühmten. Erst eine Dienstreise an die Nordostfront im Jahr 1915 ließ ihn das Grauen des Krieges und die Leiden der Zivilbevölkerung in einer Weise verstehen, sodass er sich langsam von der k. u. k. Kriegspropaganda distanzierte. Der Berufsrevolutionär Leo Trotzki erlebte den Kriegsbeginn ebenfalls in Wien, stand dem Waffengang und den patriotischen Kundgebungen der Massen aber deutlich kritischer und pragmatischer gegenüber. Der Krieg, so Trotzki, erfasse unterschiedslos alle, die Unterdrückten ebenso wie die Reichen und Mächtigen.25 Darin sah er allerdings kein Paradoxon, denn diese Begeisterung erinnerte ihn an die Sankt Petersburger Oktobertage von 1905, als die Folgen des Russisch-Japanischen Krieges den revolutionären Geist der Massen hervorgerufen hatten. Und ähnliches sei wohl jetzt zu beobachten, schrieb er im September 1914  : »Mobilisierung und Kriegserklärung haben alle nationalen und sozialen Gegensätze im Lande gleichsam ausgewischt. Aber das ist nur eine historische Vertagung, sozusagen ein politisches Moratorium. Die Wechsel sind auf eine neue Frist umgeschrieben, aber man wird sie einlösen müssen.«26 Mit diesen Zeilen, die natürlich der Zensur unterlagen, habe er gleichermaßen Österreich-Ungarn, vor allem aber Russland gemeint. Der so genannte »Enthusiasmus der Massen von 1914« ist jedoch als historischer Topos deutlich zu relativieren. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich protestierten in den letzten Juli-Tagen Hunderttausende ArbeiterInnen gegen die dräuende Kriegsgefahr, und dies war nicht nur das Ergebnis der Agitation der nationalen Arbeiterbewegungen und der Gewerkschaften, sondern ebenso der konsequenten Friedenspolitik der Zweiten Internationale in den letzten Jahren vor dem großen Krieg zu verdanken. Auch in Wien und anderen Städten der Monarchie gab es neben den durch die Propaganda angeheizten anti-serbischen Kundgebungen nicht nur stillschweigende Vorbehalte gegen den Krieg, sondern auch eine in der Öffentlichkeit sichtbare Ablehnung des Krieges – die freilich nicht als Demonstrationsritual, sondern als stummer, aber wahrnehmbarer Protest vor allem durch Frauen, Verwandte und Freunde der einberufenen Soldaten

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offenkundig wurde.27 Man muss also zwischen der Wahrnehmung der Intellektuellen und jenen kaum sichtbaren und decodierbaren Widerstandsformen der ländlichen Bevölkerung und der proletarischen Schichten unterscheiden. Bauern wie ArbeiterInnen wussten aus ihren, über lange Zeit tradierten Gedächtniskulturen sehr wohl, dass Kriege jeglicher Art für den so genannten kleinen Mann, die kleine Frau, die Kinder und die Familien zumeist ein Verhängnis waren und sind und bloß große Not und große Opfer nach sich zogen. Aber nicht nur in Deutsch-Österreich und im Deutschen Reich unterstützten die sozialdemokratischen Parteien anfangs den Krieg ihrer Regierungen. Alle Sozialisten, mit Ausnahme der Linksparteien in Russland und Serbien, stimmten für die Bewilligung von Kriegskrediten. Die SDAP konnte keine Zustimmung zu Kriegsanleihen geben, da ja der Reichsrat seit März auf unbestimmte Zeit vertagt worden war, was ihre moralische Mitverantwortung am Krieg schmälerte. Aber durch ihre Zustimmung zu den Kriegsanleihen, dem »Burgfrieden« in Deutschland und der »Union Sacrée« in Frankreich, beraubten sich die größten sozialistischen Parteien Westeuropas ihrer politischen Instrumente, der rasch einsetzenden Radikalisierung eines industrialisierten Kriegsgeschehens wirksam entgegen zu treten. Dies bedeutete jedoch nicht, dass all ihre Führer und all ihre Mitglieder vom Furor des Krieges erfasst worden wären  : »[I]t must be highlighted here that these actions [Kriegskredite, Anm. d. Verf.] were not hypocritical to the International, nor were socialists overwhelmed by a wave of nationalism engulfing their rank-and-file members. […] Close to one million antiwar activists took the streets in the waning days of July in France and Germany alone, and the vast majority of workers met the fate of war with resignation, not jubilation.«28 Allerdings gelang es den Eliten der kriegsführenden Staaten sehr bald, den allgemeinen Diskurs über den Krieg so zu beeinflussen, sodass sich militärische Operationen als reine »Verteidigungskriege« darstellen ließen. Frankreich und England verteidigten sich so gegen den Aggressor Deutschland, der, die Neutralität Belgiens missachtend und Kriegsverbrechen begehend, auf französische Erde vorgedrungen war. Deutschland und Österreich-Ungarn wiederum präsentierten sich als Defensivbündnis gegen die Übermacht der Triple Entente zu Land und zur See und propagierten einen Überlebenskampf gegen das im Osten vorrückende Millionenheer des Zaren. Letztere Position entsprach durchaus auch der Haltung von Victor Adler, der schon auf dem internationalen Kongress im Jahr 1893 in der Militarismusfrage seine Gegnerschaft zum Zarismus damit begründet hatte, dass man »ihm nicht das halbe sozialistische Europa ausliefern« wolle.29 In einer Diskussion der Wiener Vertrauensmänner am 8. August 1914 erinnerte Victor Adler an den Verlauf der Sitzung des Internationalen Büros der Zweiten Inter­ nationale (I.S.B.) in Brüssel am 29. und 30. Juli, wo man noch hoffte, auf Deutschland und auf Frankreich Druck ausüben zu können, um einen Krieg hintanzuhalten.30

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Mit der Ermordung des führenden französischen Sozialisten Jean Jaurès am 31. Juli 1914 schwand aber für Victor Adler die letzte Hoffnung, dass sich Frankreich aus dem Krieg heraushalten würde. Auf der genannten Diskussion sprach er über den furchtbaren Konflikt, der den deutschen und österreichischen Proletariern auferlegt sei, denn man könne den Millionen Proletariern im Feld jene Mittel nicht verweigern, um sich selbst zu wehren und zu verhindern, dass der Krieg auf eigenem Boden geführt werde. Ein absolutistisch regiertes Österreich sei schon schlimm genug, aber gegen ein despotisches Russland wolle man es nicht eintauschen. Der Krieg gegen Russland müsse deshalb geführt werden, weil die Sozialdemokraten einen Sieg über Österreich-Ungarn als große Gefahr für die wirtschaftliche und kulturelle Existenz empfänden. Man müsse zwar den Krieg verfluchen und vor allem jene, die ihnen verursacht haben, aber da er nun einmal da sei, müsse man ihn durchfechten. Man müsse nicht zuletzt deshalb durchhalten, weil es bei diesem Krieg nicht nur um ­Österreich gehe, sondern um das Schicksal des gesamten deutschen Volkes. Seine schlimm­sten Verwüstungen seien jedoch jene in den Gehirnen der Menschen  : »Was wir, was bedeutende, denkende, gute Menschen in Jahrzehnten angehäuft an gegenseitigem Verständnis, Gefühlen der Solidarität, an Einheitsgefühl der Menschheit, alles das wird besudelt, vernichtet. Abgründe werden aufgerissen, die längst schon zugedeckt waren und die bedeutendsten Menschen sind von einer Art Krankheit ergriffen und beteiligen sich daran. […] Dieser pathologische Drang, dieser Zustand der Gehirne ist das Schlimmste.«31 Schon in diesem Vortrag sprach er, den Überlegungen Karl Kautskys folgend, das Problem an, vor dem die Zweite Internationale im Krieg stehen sollte. Denn was ist die Internationale  ? Sie sei, so Adler, eine Sammelbewegung aller im Klassenkampf stehenden proletarischen Bewegungen in den einzelnen Ländern. Und was passiert im Kriegsfall  ? »Nicht die Klassengegensätze treten zurück – die sind da, werden vielleicht durch den Krieg verschärft, aber während des Krieges kann sich dieser Gegensatz nicht in den Kämpfen auf breiter Basis äußern  ; darum steht er auch nicht im Vordergrund unseres Bewusstseins. Der Klassenkampf, der in Friedenszeiten das tägliche Brot ist, ist jetzt naturgemäß ausgeschaltet.«32 Noch hoffte Adler, dass die Internationale nach dem Krieg wieder in alter Kraft wiedererstehen würde, so wie er auch hoffte, dass nach einer Zeit härtester Prüfung die österreichische Sozialdemokratie nicht schwächer, sondern stärker dastehen würde. Julius Braunthal, der im August als Angehöriger einer Haubitzen-Batterie an die Nordostfront abkommandiert wurde und nach einer Scharlachinfektion in den Karpaten ins Lazarett nach Budapest und von dort zwecks Genesung in die Heimatgarnison Wien verlegt wurde, erinnerte sich an eine denkwürdige Begegnung mit Victor Adler gegen Ende 1914. Bei einem Besuch der Redaktion der »Arbeiter-Zeitung« begegnete er dem Parteiführer und fragte ihn, warum die deutschen und österreichischen Sozialdemokraten plötzlich vom Antimilitarismus und Pazifismus auf die Seite der Armeeführungen und damit

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der Reaktion umgeschwenkt seien. Adler ging darauf gar nicht ein, sondern fragte Braunthal, was denn seine Arbeit am 30,5 cm Skoda-Mörser genau sei. Braunthal war darüber mehr als erstaunt und nachdem er mit seinen militärischen Auskünften am Ende war, antwortete ihm Adler recht lapidar  : »Sie scheinen ihren Dienst recht gut zu verstehen. […] Na dann tun Sie nur weiter ihre Arbeit an der Front und lassen Sie mich die meine zu Hause tun.«33 Haben sich also gemäß der anfangs gestellten Frage die Führungspersönlichkeiten der österreichischen Sozialdemokratie, allen voran Victor Adler, wie Schlafwandler in den Waffengang begeben  ? Kann man seiner Partei jenen politischen »Somnambulismus« vorwerfen, der in den liberalen Demokratien des Westens und in den drei Imperien Mittel- und Osteuropas vor 1914 vorgeherrscht haben soll  ? Nein, Victor Adler und seine führenden Parteigenossen, wie Otto Bauer, waren gewiss keine umher irrenden Schlafwandler, denn sie hatten seit 1908 immer wieder die Gefahr eines Krieges, ja sogar eines Weltkrieges, aufgezeigt. Sie hatten, in der Tradition Friedrich Engels, auf nationaler und internationaler Ebene immer vehement gegen die Aufrüstung der Land- und Seestreitkräfte Stellung bezogen. Aber als der Krieg ausgebrochen war, kippte die Stimmung in der Partei. Resignation und die Sorge um die Erhaltung der Parteiorgane und der Parteizeitungen dominierten. Es rächte sich, dass man 1912 so leichtfertig dem Kriegsleistungsgesetz zugestimmt und damit dem Proletariat die Fesseln der Militärgerichtsbarkeit umgelegt hatte. Die SDAP hatte ihre Möglichkeiten für einen aktiven Widerstand gegen den Krieg verspielt und war durch das Ausnahmegesetz und die Notverordnungen vom 25. Juli34 in ihrer Medienberichterstattung zensuriert, in ihrer Agitation weitgehend aus dem öffentlichen Leben verbannt und somit politisch gelähmt. In einem indirekten Sinne kann man die Partei Victor Adlers im Juli 1914 aber sehr wohl als politisch somnambul bezeichnen. Denn sie hatte allzu große Hoffnungen in den internationalen Zusammenhalt der größten sozialistischen Parteien Europas gesetzt und mit deren Unterstützung von außen für das gerechnet, was man selbst innenpolitisch unter dem Diktat des § 14 und des Ausnahmegesetzes nicht durchsetzen konnte. Diese Hoffnungen schienen auf einen ersten Blick durchaus berechtigt, denn bis 1914 hatte die Zweite Internationale einen deutlichen Aufschwung erfahren. In diesem Jahr zählten die sozialistischen Parteien weltweit rund 4,2 Millionen Mitglieder, also doppelt so viele wie zur Zeit des Kopenhagener Kongresses 1910. Die Wahlerfolge der deutschen und französischen Sozialisten 1913 und 1914 verhießen Optimismus ebenso der Umstand, dass am Vorabend des Weltkrieges weltweit rund 700 sozialistische Abgeordnete in den Parlamenten vertreten waren.35 Auf Grund dieser Umstände konnte Karl Kautsky behaupten, dass »das Gefüge unserer internationalen Organisation […] nie so eng und solid wie jetzt« sei.36 Man glaubte, dass der Kapitalismus nicht nur wirtschaftlich geschwächt sei, sondern auch das Gespenst

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einer drohenden Revolution die Kriegslüste der Großmächte einzudämmen vermöge. Auch waren die großen Krisen in Nordafrika und am Balkan beigelegt worden und kein weiterer ernsthafter Konflikt war am Horizont sichtbar. Zuversichtlich begann man im Dezember 1913 mit den Vorbreitungen des nächsten Kongresses der Internationale, der Ende August 1914 in Wien stattfinden sollte. So gingen die führenden Sozialisten Europas am 30. Juli in Brüssel auseinander, ohne ernsthaft die Gefahr eines europäischen Krieges in Erwägung zu ziehen. Keine der Delegationen der großen Länder  – mit Ausnahme Russlands  – glaubte, dass ihre Regierungen einen Krieg ernsthaft wollten. Man war davon überzeugt, dass die Entente nur genügend Druck auf Russland ausüben müsse, um dessen Bellizismus zu bremsen. Auch glaubte niemand an ein geheimes Zusammenspiel zwischen der deutschen Regierung und dem Wiener Ballhausplatz, und schon gar niemand glaubte, dass Österreich eine »Carte blanche« für einen Krieg bekommen hatte, der absehbar Russland und Frankreich mit einbeziehen würde. Aber kaum waren die Delegierten in ihre Länder zurückgekehrt, überschlugen sich die Ereignisse  : am 31. Juli wurde Jaurès ermordet, am 1. August erließen Deutschland und Frankreich die Befehle zur allgemeinen Mobilmachung. Die russische Teilmobilisierung war bereits am 29. Juli anbefohlen worden, so wie dies als Gerücht in der Brüsseler Sitzung die Runde gemacht hatte. Was die meisten Beteiligten nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hatten, war die ungeheure Geschwindigkeit der Ereignisse und der Umstand, dass der Kriegsausbruch ihrem mittlerweile nach Paris verlegten Kongress so schnell zuvor kommen konnte. In einem letzten Rundschreiben unterrichtete das I.S.B. die jeweiligen sozialistischen Parteien, dass der Pariser Kongress auf unbestimmte Zeit verschoben werden müsse. Waren die Debatten der Internationale Ende Juli 1914 Ausdruck von Optimismus oder Blindheit  ? »Beides spielte eine Rolle. In Wirklichkeit ist eine derartige Prognose aus der Denkweise einer Generation von Sozialisten zu erklären, deren Pazifismus nur der Ausdruck eines Humanismus war. Trotz der Prophezeiung, daß der Menschheit eine Katastrophe drohe, glaubten sie nicht an die tatsächliche Möglichkeit eines europäischen Krieges oder konnten vielmehr nicht glauben, daß, wie es Jaurès ausdrückte, die menschlichen Menschen aller Länder sich in eine Katastrophe hineinreißen und Männer, die sich der Verantwortung der Regierungen ihrer Länder bewußt waren, sich an den Rand des Abgrunds drängen lassen würden.«37 Trotz der zeitlichen Fehleinschätzung der eminenten Kriegsgefahr durch das I.S.B. stellt sich jedoch im nach hinein die Bilanz weit besser dar als oft dargelegt wird. Die Zweite Sozialistische Internationale war nicht nur eine erfolgreiche Antikriegsbewegung, vor allem während der Balkankriege, sondern hatte immer wieder sehr deutlich die immensen menschlichen und materiellen Kosten eines möglichen Weltkrieges aufgezeigt. Und nicht zuletzt stellen ihre politischen Leistungen vor 1914 jenes Narrativ infrage, wonach die Belle Époque gleichsam blind in die Katastrophe gestolpert wäre

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und die Diplomaten, die Regierungsverantwortlichen und große Teile der Bourgeoisie keinerlei Wissen und Vorstellung davon gehabt hätten, welche schrecklichen Folgen ein Weltkrieg zeitigen würde. Und so verlief die Juli-Krise in einer zutiefst Musilschen Ironie als ein »Gefilz« von Zuversicht und Verzagtheit, politischen Kalkülen und Fehleinschätzungen, euphorischer Friedensillusion und tiefem Pessimismus. Dieses Gefilz bestimmte die hohe Politik ebenso wie die Sozialistische Internationale. Victor Adlers innigste, wenn auch über die Jahre geringer werdende Hoffnung, einen Krieg vermeiden zu können, war endgültig an der »Realpolitik« der Monarchie und der Großmächte gescheitert. Ihm und seiner Partei waren zwei wesentliche Instrumente aus der Hand geschlagen worden  : erstens der Reichsrat als Plattform für Debatten über Krieg oder Frieden, und falls unumgänglich, als Bühne für die Kritik an der Form der Kriegsführung und am rechtlosen Dasein der ArbeiterInnen in den kriegswichtigen Wirtschaftsbereichen, und zweitens die Zweite Sozialistische Internationale als kontinentale Brücke für die Organisation von nationalen Massenprotesten gegen das industrielle Hinschlachten des Proletariats an den Fronten.

Anmerkungen   1 Christopher Clark, The Sleepwalkers. How Europe went to War in 1914, London 2012, 562.   2 Prinzipien-Erklärung der sozialdemokratischen Partei Österreichs, beschlossen am Parteitage zu Hainfeld [N.-Oe.] am 30. Dezember 1888, in  : Gleichheit. Sozial-demokratisches Wochenblatt, 5.1.1889, 3.   3 Ebd.   4 Victor Adler, Die Annexionskrise. Das Verbrechen der Annexion, in  : Victor Adler, Der Parteimann. Reden und Aufsätze, Heft 9, Wien 1929, 21–23, 22.   5 Victor Adler, Friedenskundgebung im Abgeordnetenhaus. Der Friedensantrag vom 26. März 1909, in  : Adler, Der Parteimann, 23–29, 24–25.   6 Ebd., 25.   7 Vgl. dazu und zum Folgenden  : Julius Braunthal, Geschichte der Internationale, Bd. 1, Hannover 1961, 341–344.   8 Otto Bauer, Der Balkankrieg und die deutsche Weltpolitik, in  : Otto Bauer, Werkausgabe, Bd. 1, Wien 1975, 831–885, 884.  9 Arbeiter-Zeitung, 13.10.1912, 1. 10 Ebd. 11 Arbeiter-Zeitung, 11.11.1912, 1–3. 12 Protokoll des Internationalen Sozialisten-Kongresses in Kopenhagen vom 28. August bis 3. September 1910, zit. nach George Haupt, Der Kongreß findet nicht statt. Die Sozialistische Internationale 1914, Wien 1967, 30. 13 Resolution der Zweiten Sozialistischen Internationale vom 24./25.11.1912 in Basel, abgedruckt in  : Manifest der Internationale, in  : Arbeiter-Zeitung, 26.11.1912, 1–2. 14 Ebd.

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15 Ebd. 16 Kevin J. Callahan, The International Socialist Peace Movement on the Eve of World War I revisited. The Campaign of »War against War  !« and the Basle International Socialist Congress in 1912, in  : Peace & Change 29 (2004) 2, 147–176, 148. 17 Julius Braunthal, Auf der Suche nach dem Millennium, Bd. 1, Nürnberg 1948. 18 Ebd., 233–234. 19 Der wesentliche Gesetzespassus lautete  : »Wenn sich die dringliche Notwendigkeit solcher Anordnungen, zu welchen verfassungsmäßig die Zustimmung des Reichsrats erforderlich ist, zu einer Zeit herausstellt, wo dieser nicht versammelt ist, so können dieselben unter Verantwortung des Gesamtministeriums durch kaiserliche Verordnung erlassen werden, insofern solche keine Abänderung des Staatsgrundgesetzes bezwecken, keine dauernde Belastung des Staatsschatzes und keine Veränderung von Staatsgut betreffen.« R.G.Bl. 141, 21.12.1867. 20 Protokoll des Ministerrats vom 7.7.1914, zit. nach Ludwig Brügel, Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie, Bd. 5, Wien 1925, 154–161. Das Protokoll wurde 1919 auf Weisung von Staatssekretär Otto Bauer veröffentlicht. 21 Braunthal, Millennium, Bd. 1, 235. 22 Arbeiter-Zeitung, 22.7.1914, 1. 23 Arbeiter-Zeitung, 28.7.1914, 1. 24 Stefan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt am Main 1970, 255–256. 25 Leo Trotzki, Mein Leben. Versuch einer Autobiographie, Berlin 1930, 224. 26 Ebd. 27 Braunthal, Millenium, Bd. 1, 262. 28 Callahan, The International Socialist Peace Movement, 170. 29 Victor Adler, Militarismus und Krieg. Stellung der Sozialdemokratie im Kriegsfall, in  : Adler, Der Partei­mann, Heft 9, 9–11, 10. 30 Victor Adler, Der Weltkrieg. Um den 4. August, in  : Adler, Der Parteimann, Heft 9, 104–121. 31 Ebd., 108–109. 32 Ebd., 130. 33 Braunthal, Millennium, Bd. 1, 302. 34 Wiener Zeitung, 26.7.1914, 1–9. 35 Haupt, Der Kongreß, 105–106. 36 Karl Kautsky, Die alte und die neue Internationale, in  : X. Internationaler Sozialistenkongreß, Festschrift, Wien 1914, 4. 37 Haupt, Der Kongreß, 164. Der Ausspruch Jaurès fiel bei der Sitzung des I.S.B. Ende Juli in Brüssel.

Gernot Stimmer

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption I. Vorbemerkungen Der Beitrag thematisiert die Positionen der deutschnationalen Parteien der Monarchie bei Ausbruch und während des Ersten Weltkrieges in Bezug auf ihre durch einen erwarteten siegreichen Krieg zu erreichenden territorialen Ziele, sowie die nach dem Krieg umzusetzenden außenpolitischen Veränderungen und innenpolitischen Reformen. Aus diesen Forschungsfragen ergibt sich nachfolgende Struktur  : Einem kurzen Abriss der Entstehung und des Selbstverständnisses der deutschnationalen Parteien in Abgrenzung zu den deutschliberalen und anderen Parteigruppierungen folgt eine quantitative Darstellung des Wählerpotentials und der Fraktionsstärke der deutschnationalen Parteien. In Anschluss daran erfolgt eine messbare und illustrative Gegenüberstellung ihrer Kriegs- und Friedensziele und -erwartungen, differenziert nach den durch einen erwarteten siegreichen Krieg zu erreichenden geopolitischen Veränderungen, den nach dem angenommenen »Siegfrieden« zu erwartenden bzw. anzustrebenden außenpolitischen Zielen sowie den für die Doppelmonarchie nach dem Krieg anzustrebenden innerstaatlichen Reformen. Abgeschlossen wird der Beitrag durch ein Resümee über den innenpolitischen Stellenwert des deutschnationalen Parteienspektrums vor und während der Kriegsjahre. II. Entwicklung und Selbstverständnis der deutschnationalen Parteien Das sich als deutschnational-deutschfreiheitlich, alldeutsch etc. bezeichnende Parteienspektrum entwickelt sich durch Abspaltung und Fraktionierung vom linken, d. h. progressiven Flügel der zwischen 1867–1879 das politische System der Monarchie dominierenden liberalen Sammelparteien und parlamentarischen Klubs. Dieser Prozess der »Entliberalisierung« bzw. »Nationalisierung« des liberalen Parteienlagers vollzieht sich innerhalb von etwa 25 Jahren und endet mit dem fast völligen Verschwinden des politischen Liberalismus in Cisleithanien (Abb. 1), der zwar als geistig kulturelle liberale »Mentalité« weiterhin speziell die »Zweite Gesellschaft« der Monarchie und auch noch der nachfolgenden Ersten Republik bis 1938 prägen sollte, jedoch ohne sich längerfristig wieder auf parlamentarischer Ebene zu manifestieren.1

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Gernot Stimmer

Transformation vom deutsch-liberalen zum deutsch-nationalen Lager 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 1861

1867

1873

1879

1885

deutsch-liberal

1891

1897

1901

1907

1911

deutsch-national

Abb. 1. Quelle: Eigendarstellung Quelle: Eigendarstellung

Der Prozess2 beginnt nach dem Zerfall der Vereinigten Linken mit der Konstituierung des Deutschen Clubs 1885–1887 und setzt sich mit der sich davon abspaltenden Deutsch-nationalen Vereinigung unter Otto Steinwender sowie der schon vorher erfolgten Gründung des Deutschnationalen Verbands unter Georg von Schönerer 1885–1888 und der Konstituierung der Deutschen Nationalpartei 1891, aus der sich die Deutsche Volkspartei entwickelte, fort. Die nach den Reichsratswahlen von 1897 noch bestehende Majorität der deutschliberalen Fraktionen (Deutsche Fortschrittspartei, Verfassungstreuer Großgrundbesitz, Freie deutsche Vereinigung) gegenüber den deutschnationalen Parteien (Deutsche Volkspartei, Alldeutsche) wird bereits 1901 zu Gunsten der letzteren verschoben. Mit der Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1907 verschwinden die deutschliberalen Gruppierungen endgültig (0,4 %) bzw. gehen ins deutschnationale Lager über (Deutsche Fortschrittspartei), das zwar insgesamt auf 16 % der Mandate zurückgeht, jedoch bei der letzten Wahl des Reichsrates 1911 die Mehrheit im Reichsrat erlangt. Eine Restgröße stellen die liberalen (Wiener) Demokraten dar (1907  : 2, 1911  : 4 Mandatare), deren minoritäre Fraktionen sich 1917 als Freiheitliche Partei konstituieren und 1920 als Demokratische Partei kurzfristig auf parlamentarischer Ebene in Erscheinung treten.

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

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III. Die quantitative Größe des deutschnationalen Lagers Die bereits in den ersten Jahren des Aufstiegs evidente Differenzierung des deutschnationalen Parteienlagers potenziert sich nach Einführung des allgemeinen Wahlrechts in den Wahlen zum Reichsrat von 1907 bzw. 1911 mit 13 bzw. elf Klein- und mittleren Parteien (darunter 1907 allein vier Alldeutsche Minigruppierungen), die insgesamt ein Elektorat zwischen 10 % (1907) und 12 % (1911) erreichen und damit jeweils im Gesamten 16 % bzw. 21 % der Mandate des Reichsrates gewinnen, wie Abb. 2 und 3 illustrieren.3

Stimmenanteile der deutschnationalen Parteien bei den Reichsratswahlen 1907 und 1911

R

ad ik al A e Se lld eu lb st t sc .A he lld e ut Fr sc ei al he ld eu D ts eu ch ts e ch D ra N d Ar ik al be e i te D eu rp t a sc D rte eu hn i ts at ch io na e D Vo le t. lk Fo sp rts ar ch te i rit ts pa rte D D t. i eu A ts gr ch ar ie fre D r eu ih e D t sc itl t. ic he H he au Ar er b ei -+ te Ba rp ue . rn bu nd G es am t

12 10 8 6 4 2 0

1907 (%)

1911 (%)

Quelle: Eigendarstellung

Abb. 2. Quelle: Eigendarstellung

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Gernot Stimmer

Mandatsstärke der deutschnationalen Fraktionen 1901 1907 1911 1917 Alldeutsche

23

Freialldeutsche / Deutschradikale

2

5

3

15

22

24

Deutsche Nationalpartei zu Deutsche Volkspartei (ab 1895)

51

29

21

Deutsche Agrarier

3

19

21

29

3

2

Deutsche Arbeiterpartei Deutsche Fortschrittspartei

35

Verfassungstreuer Großgrundbesitz

27

Demokraten zu Deutsche Freiheitspartei (ab 1917)

19

14

2

4

7

Deutsches Zentrum

5

Deutsche Nationalpartei

19

Deutschnationale Vereinigung

16 n= N=

Deutschnationaler Verband (1907) zu Deutscher Nationalverband (ab 1911)

139

86

110

100

425

516

516

516

33%

17%

21%

19%

n=

82

100

16%

19%

Quelle: Eigendarstellung

Abb. 3. Quelle: Eigendarstellung

IV. Die ideologischen Kohäsionsfaktoren Der in den Abbildungen manifestierten organisatorischen und programmatischen Differenzierung der auch in ihrer – vom Großgrundbesitzer bis zum Mittelschulprofessor und Gewerbetreibenden reichenden  – Herkunfts- und Berufsstruktur4 heterogenen deutschnationalen Parteigruppen wird durch drei Kohäsionsfaktoren entgegengewirkt. 4.1 Gemeinsames Ideologieprofil

Die Entwicklung eines gemeinsames »Weltanschauungsprofils« (Abb. 4) erfolgt entlang nachfolgender ideologischer Prinzipien einer deutschnationalen Gesinnungsgemeinschaft  :5

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

75

–– eines bereits rassebiologisch definierten Deutschnationalismus, –– eines daraus abgeleiteten, ebenfalls bereits partiell rassebiologisch begründeten Antisemitismus, –– der Konstruktion von zu bekämpfenden Feindbildern des »Judenliberalismus« bzw. »Austroslawismus«, –– eines vom liberalen Antiklerikalismus abgeleiteten radikalen Antikatholizismus (Ultramontanismus), der allerdings aus wahltaktischen Gründen bei den größeren deutschnationalen Parteigruppen in den Hintergrund tritt, –– einer emotional übersteigerten Affinität zum bismärckischen Deutschen Reich, –– einer daraus entspringenden kritischen Distanz zur österreichischen Doppelmo­ narchie und ihrer Dynastie, sowie –– einer partiell manifesten antiparlamentarisch-antidemokratischen Grundhaltung zu Gunsten originär »deutscher« politischer Repräsentationsformen, verbunden mit einem ausgeprägten autoritären Führerkult in bestimmten nationalen Parteigruppierungen.

Ideologische Positionen der Deutschnationalen Parteien (rassenbiologischer) Deutschnationalismus

Alldeutsche Partei

rassenbiologischer Antisemitismus

Freialldeutsche Partei / Deutschradikale P.

Kampf gegen JudenLiberalismus

Deutsche Arbeiterpartei

Kampf gegen PanSlawismus

Deutsche Volkspartei

Affinität zum deutschen Reich

Deutsche Fortschrittspartei

Distanz zur Doppelmonarchie

Deutsche Agrarier Quelle: Eigendarstellung

Abb. 4. Quelle: Eigendarstellung

Ablehnung der parlament. Demokratie

76

Gernot Stimmer

Dieser Wertekodex ist indes noch kein geschlossener, sondern weist parteispezifisch sehr deutliche Differenzierungen auf, wie sich an Hand einer Links-Rechts-Achse zeigt (Abb. 5).

Arbe iterp Freia artei lldeu t Deut schra sche / dikale Allde Parte utsch i e Pa rtei

artei Volk sp

Deut sche

Deut sche

Agra rier Deut sche

Deut sche s Ze ntrum Deut sche Forts chritt spar

Verfa s Groß sungstre grun u dbes er itz

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Deutsch-liberale und deutsch-nationale Parteien nach der Links-Rechts-Achse

Abb. 5. Quelle: Eigendarstellung

Danach ergibt sich eine klare Schwerpunktverlagerung nach rechts, manifestiert durch die radikalen Parteigruppierungen Quelle: Eigendarstellung –– der Alldeutschen (Schönerer), –– der Freialldeutschen oder Deutschradikalen (um Karl Hermann Wolf ), und –– der Deutschen Arbeiterpartei gegenüber der Mittelposition der Deutschen Volkspartei bzw. der Deutschen Agra­ rierpartei und der sich noch liberal definierenden und das Prinzip des radikalen Anti­ semitismus ablehnenden Deutschen Fortschrittspartei. Die linke, liberale Seite wird nur mehr vom verfassungstreuen Großgrundbesitz bzw. der Minderheitspartei der Demokraten besetzt. 4.2 Parteiübergreifende Verbände

Die Vielfalt von Fraktionen und die permanente Veränderung ihrer Parteinamen und Mandatsstärken wird weiters kompensiert durch die für die deutschnationalen Parteien spezifische Neigung, sich zu parteiübergreifenden »Weltanschauungsverbänden« zusammenzuschließen, wie etwa6

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

77

–– 1899 der Deutschen Gemeinbürgschaft zwischen deutschliberal-deutschnationalen Parteien und der Christlichsozialen Partei auf der Basis des gemeinsamen »Pfingstprogramms«, –– 1907 dem Deutschnationalen Verband zwischen Deutscher Volkspartei, Deutscher Agrarpartei und Deutschradikaler Vereinigung, –– 1908 dem Nationalverband der Deutschfreiheitlichen Abgeordneten des Österreichischen Reichstages, und schließlich –– 1910 dem Deutschen Nationalverband, der zwischen 1911 und 1917 die stärkste Fraktion des Reichsrates mit einem gemeinsamen Präsidium bildet und einerseits die fraktionslos in den Nationalverband übergegangene Deutsche Volkspartei und Deutschfortschrittliche Partei, andererseits die Deutschen Agrarier, die Deutschradikalen sowie die Deutsche Arbeiterpartei umfasst. Im Zuge dieses Vereinheitlichungsprozesses kommt es indes durchaus noch zu ideologischen Differenzen, wie etwa zwischen der Deutschen Fortschrittspartei und den Deutschradikalen in der Frage der Mitgliedschaft jüdischer Abgeordneter, dem soge­nannten »Judenpunkt«, die allerdings zugunsten des strategischen Vorteils einer deutschnationalen Gesamtvertretung eher pragmatisch gelöst wird.7 4.3 Die Korporationen

Eine dritte Kohäsionsklammer stellt die gemeinsame Rekrutierung der Abgeordneten und Parteiführer aus dem Potential der deutschnationalen Korporationen dar, die mit Fraktionsanteilen zwischen 25 % und 70 % als ideologische Klammer zwischen den rivalisierenden Fraktionen fungieren.8 V. Die Kriegs und Friedensziele der deutschnationalen Parteien Einer trennscharfen und messbaren Darlegung und Abgrenzung der Kriegs- und Friedenspositionen des deutschnationalen Parteienspektrums stehen arbeitstechnisch-methodische Probleme gegenüber. 5.1 Mangel an Fakten

Der Mangel an offiziellen Äußerungen und Manifestationen der Parteien über ihre Kriegs- und Friedensoptionen wird verursacht durch die bereits ab März 1914 erfolgte Sistierung des Reichsrates, den Burgfrieden zwischen den Parteien nach Kriegsbeginn sowie die stringente Zensur der Behörden in Cisleithanien bezüglich jeder Form von

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Gernot Stimmer

Kriegszieldebatte, die erst 1917 mit der Wiedereinberufung des Reichsrates gelockert wird. Die folgenden Ausführungen stützen sich daher auf ausgewählte publizierte Quellen.9 5.1.1 Presseäußerungen und persönliche Denkschriften

Darunter fallen Äußerungen einzelner führender Abgeordneter und anerkannter Wortführer der einzelnen Parteigruppen in der parteiaffinen Presse – wie etwa des Abgeordneten der Deutschen Volkspartei, Josef Dobernig, des Herausgeber der »Freien Stimmen«  – sowie in persönlichen Denkschriften  – wie die von Rudolf Lodgman Ritter von Auen als Abgeordneter der Deutschen Volkspartei im Mai 1915 verfassten »Gedanken über die zukünftige Politik der Deutschen in Österreich«. Ergänzt wird dieses sich zwischen 1914 und 1917 artikulierende Meinungsspektrum nach Wiedereröffnung des Reichsrates durch die Wortmeldungen der offiziellen Parteisprecher in den Debatten des Abgeordneten und des Herrenhauses zwischen Juni 1917 und Oktober 1918 sowie die quellenmäßig überlieferten Äußerungen deutschnationaler Wortführer in den gegen Ende des Krieges entfachten Protestversammlungen der Wählerbasis, insbesondere der deutschradikalen (auf der »neutral-zivilen« Ebene des »Deutsch­nationalen-Vereins«) und der alldeutschen Parteigruppe.10 Der Kreis der davon erfassten Personen reicht indes kaum über ein Dutzend Wortführer hinaus, die von uns als Repräsentanten der verschiedenen deutschnationalen Fraktionen interpretiert werden, obwohl sie nicht immer die Gesamtposition ihrer Partei bzw. Fraktion zum Ausdruck bringen und vielfach in ihren Äußerungen von der eigenen Parteibasis kritisiert werden. Die folgende Abbildung (Abb. 6) zeigt die in die vorliegende Studie aufgenommenen Persönlichkeiten der deutschnationalen Fraktionen im Abgeordnetenhaus, wobei Fraktionswechsel einzelner Abgeordneter nicht berücksichtigt werden konnten.11 5.1.2 Resolutionen und Denkschriften deutschnationaler Parteien

Darunter fallen etwa die »Denkschrift der Deutschen Arbeiterpartei Österreichs über das Verhältnis der Deutschen Österreichs zum Staate« der Deutschen Arbeiterpartei vom 12. Dezember 1915 sowie Denkschriften des Deutschen Nationalverbandes, der bis zur Auflösung 1917 die Gesamtmeinung der fünf deutschnationalen Parteien vertritt. Als wichtigste Gesamtartikulationen des Deutschen Nationalverbandes wurden herangezogen  :12 –– Der vom Deutschen Nationalverband im März 1916 herausgegebene »Standpunkt zur Neuordnung der Dinge in Österreich«. An dieser seit 1914 erarbeiteten

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Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

Gesamtposition der fünf im Nationalverband zusammengeschlossenen deutschnationalen Parteien nehmen durch den Vorsitzenden Univ. Prof. Gustav Gross rekrutierte Spitzenvertreter der einzelnen Fraktionen teil, die teils mit den oben zitierten älteren Parteiführern identisch sind, teils bereits einen neuen Typus deutschnationaler Parteipolitiker repräsentieren. –– Die vom Deutschen Nationalverband und der Christlichsozialen Partei am 7. September 1915 vorgestellten und zwischen 1915–1917 weiterverhandelten »Richtlinien« über gemeinsame Kriegs- und Friedensziele. –– Die von Vertretern des Deutschen Nationalverbandes und reichsdeutschen ParlaDeutschnationale Abgeordnete mentariern Erfasste erstellten »Salzburger Forderungen« vom 13. November 1915. Abgeordnetenhaus Dt. Volkspartei

Dt. Fortschrittspartei

Deutschradikale Partei

Arbeiterpartei

Herrenhaus D. Agrarierpartei

Beurle Karl

Gross Gustav

Mühlwerth Adalbert Rit. von

Fahrner Adam

Damm Hans

Dobernig Josef Wolfgang

d’Elvert Heinrich Frh. von

Pacher Rafael

Jung Rudolf

Steinwender Otto

Freißler Ernst Wolfgang

Waber Leopold

Teufel Helmut

Knirsch Hans

Wolf Karl Hermann

Riehl Walter

Jesser Franz

Alldeutsche Partei Iro Karl

Verfassungspartei Pattai Robert Frh. von Fürst Karl Auersperg Braß Hermann

Lodgman von Auen Rudolf

Abb. 6. Erfasste deutschnationale Abgeordete. Quelle: Eigendarstellung

Quelle: Eigendarstellung 5.1.3 Stellungnahmen von politisch relevanten zivilgesellschaftlichen Gruppierungen bzw. Interessenvertretungen

Dazu zählen zum einen Stellungnahmen des Deutschen Klubs als Plattform und Sprachrohr der deutschnationalen Korporationen (Stand März 1919  : 867 Personen),13 der über die Mitgliedschaft korporierter Abgeordneter und Funktionäre der deutschnationalen Parteien auf diese maßgeblichen Einfluss ausübte. Neben den 1916 veröffentlichten radikalen »Forderungen der Deutschen in Österreich« (Osterbegehrschrift) und dem vom Klubmitglied Hermann Kandl ebenfalls 1916 erstellten Programm über Kriegs- und Friedensziele polemisierte der Deutsche Klub auch in Flugschriften und Kundgebungen ab 1917 gegen jede Form von »Verständigungsfrieden«.14

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Gernot Stimmer

Daneben sind offizielle Äußerungen der industriellen Interessenvertretungen, organisiert im »Centralverband der Industrie Österreichs« bzw. ab 1918 im »Reichsverband der Österreichischen Industriellen«,15 berücksichtigt. In ihren offiziellen Äußerungen, wie der Resolution der Gesamtindustrie vom 21. November 1914, dem Beschluss des Industriellen Clubs vom 11. Mai 1915 oder den Leitsätzen der Delegiertenversammlung der mitteleuropäischen Wirtschaftsvereine in Deutschland, Österreich und Ungarn vom 20. November 1915 optieren die Wirtschaftverbände zwar pflichtgemäß im Sinne der Siegfriedensstimmung, allerdings in sehr moderater und die ökonomischen Probleme der österreichischen Industrie berücksichtigender Weise. 5.1.4 Private Komitees und Gruppen

Nach Kriegsausbruch etablierten sich verschiedene private Komitees und Arbeitskreise von Parteipolitikern, Spitzenbeamten und Wirtschaftsvertretern, die sich bis zur Wiedereinberufung des Reichsrates substitutiv für die Parteien sehr intensiv mit Zielen und Forderungen einer nach dem Krieg erwarteten neuen gesamteuropäischen Ordnung sowie notwendigen Reformen in der Doppelmonarchie beschäftigten und deren private Protokolle und Aufzeichnungen heute zugänglich sind.16 Wir ziehen hier nur die Gesprächsforen heran, an denen auch Vertreter des deutschnationalen Lagers repräsentativ beteiligt waren, konkret  : –– den »Steinacker Kreis«, begründet vom ehemaligen deutschsprachigen Minderheitenvertreter im ungarischen Abgeordnetenhaus Edmund Steinacker, der sowohl mit dem Alldeutschen Verband Österreichs als auch den deutschnationalen Parteien engen Kontakt hatte, sowie –– den von dem früheren deutschliberalen Abgeordneten und Universitätsprofessor Gustav Marchet initiierten »Marchet-Kreis«, zu dem von der Gründung an mehrere Abgeordnete der DeutschenVolkspartei bzw. der Deutschen Agrarier gehörten.17 5.2 Die Messbarkeit politischer Positionen

Das zweite Problem liegt in der Messbarkeit und quantitativen Gewichtung der Positionen der einzelnen Fraktionen bzw. Akteure, bezogen auf die jeweiligen Feinziele des von uns erstellten allgemeinen Zielkatalogs. Hier versuchen wir in Form einer graphischen Darstellung der Beziehungen der einzelnen Parteien zu den aufgezählten Grob- bzw. Feinzielen die Bündelung auf bestimmte parteienübergreifend geforderte Kriegs- und Friedensziele gegenüber der weiterhin bestehenden Differenzierung und Polarisierung der einzelnen Parteigruppen zu illustrieren. Wir erfassen dabei die schon vor 1914 bestehenden Parteigruppen wie die Deutsche Volkspartei, die D ­ eutsche Fort-

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

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schrittspartei, die Deutschradikale Partei (Freialldeutsche), die Deutsche Agrarierpartei und die Deutsche Arbeiterpartei, die auch die Linie des Deutschen Nationalverbandes bestimmten, sowie die außerhalb desselben stehende Alldeutsche Partei (Schönerer), nicht jedoch kurzfristig entstandene neue Fraktionen wie die Jung­deutsche (später  : Deutschvölkische) Vereinigung oder das Deutsche Zentrum.18 VI. Die Kriegs- und Friedensziele der deutschnationalen Parteien im Vergleich 6.1 Geopolitische Ziele nach dem »Siegfrieden«

Darunter subsumieren wir folgende Grobziele  : –– die Schaffung eines selbständigen, um russische Gebiete erweiterten, aber von der Monarchie politisch abhängigen Polen, –– die Konstituierung einer selbständigen, um annektierte Gebiete erweiterten Ukraine, –– die Forderung nach einer deutschen Adria mit einem deutschen Triest zur Verstärkung des deutschen Einflusses in der Levante und im Mittelmeer, sowie –– die Gründung eines eigenständigen südslawischen Staates mit Bosnien, der Herzegowina, Dalmatien und weiteren von Serbien annektierten Gebieten im Rahmen der Gesamtmonarchie. Diese von allen deutschnationalen Parteien ausschließlich unter dem Aspekt der Ausgrenzung der slawischen Bevölkerungsgruppen aus einem damit deutsch dominierten Cisleithanien begründete Neuordnung der Ost- und Südostgrenze der Monarchie weist jedoch sowohl innerparteilich wie auch zwischenparteilich eine starke Differenzierung bei den zur Realisierung der Grobziele geforderten Umsetzungsoptionen auf, bei denen oft Mehrfachnennungen erfolgten (Abb. 7).19 Der Graphik ist zu entnehmen, dass die Pläne sowohl der Deutschen Volkspartei, der Deutschen Fortschrittspartei als auch der Deutschradikalen Partei zwischen einem selbständigen Königreich Polen, einem erweiterten Königreich Galizien und einer erweiterten Autonomie eines territorial vergrößerten Galiziens, das jedoch grundsätzlich nicht mehr direkt im Reichsrat Cisleithaniens vertreten sein sollte, variieren. Ähnlich unklar bleiben die Pläne eines selbständigen Königreichs Ukraine, das in jedem Fall weiterhin von den Mittelmächten abhängig bleiben müsste. Sehr stark gebündelt erscheint hingegen die Position hinsichtlich einer deutschen Adria bzw. eines deutschen Triest  – entweder durch Militärverwaltung, über einen Korridor durch Slowenien oder als Reichsfreihafen.

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Gernot Stimmer

Kriegsziele Alldeutsche Partei

Siegfriede (+ Annexionen) Polen

Königreich Polen Königreich Galizien Autonomie f. Galizien

Freialldeutsche Partei / Deutschradikale P. Deutsche Arbeiterpartei

Königreich Ukraine

Deutsche Volkspartei

Dt. Triest/Adria

Militärverwaltung Korridor Reichshafenstadt

Deutsche Fortschrittspartei

Bosnien-Herzegovina/ Dalmatien

Deutsche Agrarier Quelle: Eigendarstellung

Selbständigkeit Militärgrenzstaat Reichsland

Abb. 7. Quelle: Eigendarstellung

Die Abtrennung eines erweiterten Bosnien-Herzegowina und Dalmatien wird generell gefordert – schon um den Anteil der Südslawen in Cisleithanien zu senken. Die Umsetzung schwankt jedoch wiederum zwischen Militärgrenzstaat und Reichsland, wobei Serbien entweder gänzlich aufgelöst oder nur als abhängiger Reststaat erhalten werden sollte. Von der primär berufsständische Interessen vertretenden Deutschen Agrarierpartei und der Deutschen Arbeiterpartei kann keine dezidierten Positionen zu diesen Feinzielen ausgemacht bzw. nur indirekt über ihre Mitgliedschaft im Deutschen Nationalverband angenommen werden. 6.2 Friedensziele

Darunter subsumieren wir die drei wesentlichsten außenpolitischen Konzeptionen der Neuordnung Europas nach dem gewonnenen Krieg  : –– ein dauerhaftes Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und der Österreichischen Monarchie,

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

83

–– die weitere Unabhängigkeit der Doppelmonarchie als souveräner Staat, sowie –– die Schaffung eins mitteleuropäischen Staatenbundes im Sinne von Friedrich Naumanns »Mitteleuropa«-Konzeption. Ebenso einheitlich wie die geopolitischen Grobziele nach einem allfälligen Siegfrieden werden die drei außenpolitischen Friedensziele postuliert, deren Umsetzung jedoch wiederum die Heterogenität der deutschnationalen Parteien manifestiert (Abb. 8).

Außenpolitische Friedensziele Alldeutsche Partei

Bündnis D-Ö

Verfassungsvertrag Militärkonvention Gemeinsame Außen- und Wirtschaftspolitik Zollunion Zollgemeinschaft Wirtschaftsbündnis

Freialldeutsche Partei / Deutschradikale P. Deutsche Arbeiterpartei

Unabhängige Monarchie Dualismus Kaisertum Cisleithanien Irredenta

Deutsche Volkspartei

Mitteleuropäischer Staatenverbund (Naumann)

Deutsche Fortschrittspartei Deutsche Agrarier Quelle: Eigendarstellung

Europ. Wirtschaftsverbund Europ. Militärbündnis Germanischer Wirtschaftsblock

Abb. 8. Quelle: Eigendarstellung

Wie diese Graphik zeigt, weist das geradezu als gemeinsames deutschnationales Glaubensbekenntnis proklamierte Prinzip eines dauerhaften und engen Bündnisses mit dem Deutschen Reich eine beträchtliche Bandbreite des Vertiefungsgrades auf. Dieser reicht von engster politisch-militärischer Bindung über Schaffung eines Verfassungsvertrags, gemeinsame Außen-, Verkehrs- und Wirtschaftspolitik über eine primär wirtschaftliche Vereinigung mittels Zollunion bzw. Zollgemeinschaft bis zu bloßen Wirtschafts- und Handelsvereinbarungen.

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Gernot Stimmer

Ebenso einheitlich wird andererseits die Unabhängigkeit der Habsburgermonarchie im Rahmen des zu konstituierenden Dauerbündnisses mit dem Deutschen Reich bekräftigt, entweder in der bisherigen Form der Doppelmonarchie oder einer – nur als Minderheitsforderung postulierten – verfassungsrechtlich schwer vorstellbaren exklusiven Bündniskooperation eines »Kaisertum Cisleithaniens« bei Aufrechterhaltung des Dualismus der Gesamtmonarchie. Die von Schönerers Anhängern seit Jahrzehnten entfachte Irredenta-Rhetorik lässt sich hingegen in den Parteioptionen nicht nachweisen und wird erst nach dem Zusammenbruch der Monarchie wirksam. Auf europäischer Ebene steht die Mitteleuropa-Konzeption von Naumann in verschiedenster Ausprägungen zur Diskussion  : in extremer Form als »germanischer Block«  – von der Nordsee bis Triest bzw. zum Schwarzen Meer  –, in modifizierter Gestalt als um die beiden verbündeten Mittelmächte sich entwickelnder wirtschaftspolitischer bzw. teils auch militärischer Zusammenschluss der nord- und mitteleuropäischen Staaten (teils einschließlich der Türkei), oder aber als bloßes Wirtschaftsbündnis mitteleuropäischer Staaten. 6.3 Innenpolitische Reformen nach dem Krieg

Als Hauptziele der innerstaatlichen Reformforderungen lassen sich festmachen  : –– die Verfassungsreform der seit 1867 bestehenden Doppelmonarchie, –– eine Demokratisierung im Sinne der Ausgestaltung des Rechtsstaates, sowie –– eine national-völkische Bestandswahrung im Sinne der Erhaltung der deutschen Hegemonie in Cisleithanien. Selbst bei den Grobzielen für die zukünftige innere Gestaltung der Monarchie gehen hier bereits die Optionen deutlich auseinander, indem die Verfassungsreform und, damit verknüpft, die nationale Bestandswahrung vehement von allen Parteien, hingegen die innerstaatliche Demokratisierung nur von einigen Parteigruppen eingefordert werden. Die Umsetzungsoptionen dieser drei Hauptziele weisen wiederum das schon gewohnte Bild schärfster Differenzierung und Polarisierung auf (Abb. 9, Abb. 10). Die generell vehement geforderte Verfassungsreform weist eine Bandbreite verfassungsrechtlicher Konzeptionen von der Beibehaltung des bisherigen Dualismus über einen Subdualismus zu Lasten Ungarns bis zur Aufhebung der Doppelmonarchie zugunsten eines deutsch dominierten Kaisertum Cisleithanien auf. Daraus leitet sich auch die Option eines exkludierenden Trialismus ab, der durch eine verfassungsrechtliche Abtrennung Galiziens (Königreich Polen, Königreich Ukraine) bzw. der

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

Interne Friedensziele

Verfassungsreform

Alldeutsche Partei

Dualismus bisheriger Dualismus Subdualismus Personalunion Trialismus ohne Polen-Südslawen kein böhm. Staatsrecht Deutschböhmen Autonomie der Kronländer Nat. Selbstverwaltung

Freialldeutsche Partei / Deutschradikale P. Deutsche Arbeiterpartei Deutsche Volkspartei

Demokratisierung

Parlamentarisierung Ausbau des Rechtsstaates

Deutsche Fortschrittspartei

Nationaler Bestand

Deutsche Agrarier Quelle: Eigendarstellung

Deutsche Staatssprache Sprach- und Nationalitätenregelung Schulreform deutscher Parteienblock

Interne Friedensziele

Verfassungsreform

Alldeutsche Partei

Dualismus bisheriger Dualismus Subdualismus Personalunion Trialismus ohne Polen-Südslawen kein böhm. Staatsrecht Deutschböhmen Autonomie der Kronländer Nat. Selbstverwaltung

Freialldeutsche Partei / Deutschradikale P. Deutsche Arbeiterpartei Deutsche Volkspartei

Demokratisierung

Parlamentarisierung Ausbau des Rechtsstaates

Deutsche Fortschrittspartei

Nationaler Bestand

Deutsche Agrarier Quelle: Eigendarstellung

Abb. 9, 10. Quelle: Eigendarstellung

Deutsche Staatssprache Sprach- und Nationalitätenregelung Schulreform deutscher Parteienblock

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Balkangebiete (Bosnien-Herzegowina, Dalmatien) den Anteil der Slawen in Cislei­ thanien reduziert. Andererseits wird, etwa durch die Deutsche Arbeiterpartei, rigide die Anerkennung des böhmischen Staatsrechts verworfen und in letzter Konsequenz die Abtrennung Deutschböhmens mit einer eigenen Legislative gefordert. Ein auf diese Weise deutschsprachig dominiertes Cisleithanien sollte eine nach deutschem Vorbild zentralisierte Verwaltung auf der Basis von letztlich die Kronländer ersetzenden nationalen Selbstverwaltungseinheiten erhalten. Vor diesem staatsrechtlichen Hintergrund optieren die deutschnationalen Parteien einheitlich für die Sicherung des »nationalen Besitzstandes«  – eine Forderung, die übrigens auch von der Christlichsozialen Partei unterstützt wird –, die konkret von der Einführung der deutschen Staatssprache über die gesetzliche Regelungen der Sprach- und Nationalitätenkonflikte und einer damit verbundenen national-sprachlich basierenden Schulreform reicht. Zur Durchsetzung dieser Ziele wird in weiterer Konsequenz von den Alldeutschen, der Deutschen Arbeiterpartei und der Deutschen Fortschrittspartei ein zukünftiger Pakt aller deutschen Parteien (Alldeutsche, Deutsche Arbeiterpartei, Deutsche Fortschrittspartei) einschließlich der deutschen Sozialdemokratischen Partei gefordert, der sich allerdings in der politischen Praxis nur mit der Christlichsozialen Partei realisiert. Gegenüber der Priorität der »Nationalen Frage« bleibt der Forderungskatalog nach einer innerstaatlichen Demokratisierung der Monarchie von sekundärer Bedeutung und wird nur von der DeutschenVolkspartei und der Deutschen Fortschrittspartei (in Hinblick auf eine Verwaltungsreform, die Frage der Ministerverantwortlichkeit, einer Wahlrechtsreform und die Reform des Herrenhauses), sowie der Deutschen Arbeiterpartei (hinsichtlich des Ausbaus der sozialen Schutzrechte im Sinne eines »Staatssozialismus«) vertreten. VII. Die Kriegs- und Friedenszieldebatte zwischen Radikaloption und pragmatischem Kompromiss Die offensichtlich in den Grobzielen zwar einheitlichen, in den Einzeloptionen aber völlig heterogenen und widersprüchlichen Zielformulierungen der einzelnen deutschnationalen Parteien werden von uns abschließend durch zwei gegensätzliche Zielartikulationen gebündelt und damit transparenter gemacht. 7.1 Die Maximaloptionen

Diese finden ihren deutlichsten Ausdruck in den Forderungen des »Deutschen Klubs« als Manifestation der die radikal deutschnationale »Zivilgesellschaft« vertretenden

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

Kriegsziele Siegfriede (+ Annexionen)

Außenpolitische Friedensziele Bündnis D-Ö

Verfassungsvertrag Militärkonvention Gemeinsame Außen- und Wirtschaftspolitik Zollunion Zollgemeinschaft Wirtschaftsbündnis

Polen

Königreich Polen Königreich Galizien Auton. f. Galizien

Königreich Ukraine

Deutscher Klub 1911-1918

Dt. Triest/Adria

Militärverwaltung Korridor Reichshafenstadt

Europ. Wirtschaftsverbund Europ. Militärbündnis Germanischer Wirtschaftsblock

Quelle: Eigendarstellung

Interne Friedensziele

Externe Akteure

Verfassungsreform

Alldeutscher Verband Deutschland Alldeutscher Verband Österreich Deutschnationale Korporationen

Dualismus Kaisertum Cisleithanien Irredenta

Mitteleuropäischer Staatenverbund (Naumann)

Bosnien-Herzegovina/ Dalmatien Selbständigkeit Militärgrenzstaat Reichsland

Unabhängige Monarchie

Deutscher Klub 1911-1918

Dualismus bisheriger Dualismus Subdualismus Personalunion Trialismus ohne Polen-Südslawen kein böhm. Staatsrecht Deutschböhmen Autonomie der Kronländer Nat. Selbstverwaltung

Demokratisierung

Parlamentarisierung Ausbau des Rechtsstaates

Programme

Nationaler Bestand

Osterbegehrschrift 18916 Programm Kandl 1916

Abb. 11, 12. Quelle: Eigendarstellung

Quelle: Eigendarstellung

Deutsche Staatssprache Sprach- und Nationalitätenregelung Schulreform deutscher Parteienblock

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Korporationselite. Für diesen gelten für die drei genannten Zielebenen die jeweils extremsten Forderungen (Abb. 11, Abb. 12)  : –– eine trennscharfe staatsrechtlichen Exklusion der Slawen, einerseits in Form selbstständiger, personell jeweils von der Hohenzoller- und Habsburgerdynastie besetzter Königreiche Polen und Ukraine, andererseits in Form gewaltsamer Unterdrückung tschechischer und südslawischer Autonomiebestrebungen und militärischer Sicherung eines deutschen Triests, –– ein von einer »deutschen« Habsburgerdynastie zentralistisch-autoritär regiertes deutsches Cisleithanien mit deutscher Staats- und Armeesprache, das mit Ungarn nur über eine Personalunion verbunden, dafür verfassungsrechtlich, militärisch und wirtschaftpolitisch im Deutschen Reich integriert ist, sowie –– die Schaffung eines Blocks der »germanischen Völker« vom Nordkap bis Triest und eines um den Zweibund errichteten Wirtschaftsbündnisses der mitteleuropäischen Staaten. 7.2 Der deutschnationale Kompromiss

Dieser schlägt sich in den modifizierten Forderungen des Deutschen Nationalverbandes als zwischen 1911 und 1917 geltendes Sprachrohr von fünf deutschnationalen Parlamentsfraktionen nieder. Vergleichen wir den Optionsrahmen des Deutschen Nationalverbandes, ergibt sich das Bild eines um Mindestforderungen und gemäßigte Ansprüche bemühten Kompromissforums, das neben der internen Kritik der fünf Subfraktionen auch den Einflüssen externer Akteure ausgesetzt ist. Als solche treten in Erscheinung  : –– der Deutsche Klub und über diesen der Alldeutsche Verband in Österreich und im Deutschen Reich, –– die Christlichsoziale Partei im Rahmen der seit 1915 verhandelten Richtlinien über gemeinsame Kriegs- und Friedensziele, –– die industriellen Interessenverbände, deren Führungspersonen sich stark aus den deutschnationalen Korporationen rekrutieren (im Präsidium stellt der Industrielle Club 1910 23 %, 1918 29 % der Mitglieder) und damit enge Kontakte mit den korporierten Vertretern des Deutschen Nationalverbandes haben.20 Vor diesem Hintergrund erklären sich auch die relativ weichen bzw. allgemeinen Zielformulierungen im Rahmen des im März 1916 vorgestellten »Standpunkt[es] zur Neuordnung der Dinge in Österreich«, die teilweise mit dem schon 1899 beschlossenen »Pfingstprogramm« identisch sind.21

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

Kriegsziele Siegfriede (+ Annexionen)

Außenpolitische Friedensziele Bündnis D-Ö

Verfassungsvertrag Militärkonvention Gemeinsame Außen- und Wirtschaftspolitik Zollunion Zollgemeinschaft Wirtschaftsbündnis

Polen

Königreich Polen Königreich Galizien Auton. f. Galizien

Königreich Ukraine Dt. Triest/Adria

Deutscher Nationalverband 1910-1917

Militärverwaltung Korridor Reichshafenstadt

Unabhängige Monarchie Dualismus Kaisertum Cisleithanien Irredenta

Mitteleuropäischer Staatenverbund (Naumann)

Europ. Wirtschaftsverbund Europ. Militärbündnis Germanischer Wirtschaftsblock

Bosnien-Herzegovina/ Dalmatien Selbständigkeit Militärgrenzstaat Reichsland

Quelle: Eigendarstellung

Interne Friedensziele

Externe Akteure

Verfassungsreform Alldeutscher Verband (Class) Deutscher Klub Christlichsoziale Partei

Deutscher Nationalverband 1910-1917

Demokratisierung

Parlamentarisierung Ausbau des Rechtsstaates

Industriellenverbände

Nationaler Bestand

Quelle: Eigendarstellung

Abb. 13, 14. Quelle: Eigendarstellung

Dualismus bisheriger Dualismus Subdualismus Personalunion Trialismus ohne Polen-Südslawen kein böhm. Staatsrecht Deutschböhmen Autonomie der Kronländer Nat. Selbstverwaltung

Deutsche Staatssprache Sprach- und Nationalitätenregelung Schulreform deutscher Parteienblock

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Die Schwerpunkte des genannten »Standpunktes« liegen auf der innerstaatlichen Ebene  : Die Kontinuität des Dualismus, nur verstärkt durch eine legistische Absicherung der gemeinsamen Agenden beider Reichshälften und eine Verlängerung des Zoll- und Handelsvertrags, entspricht der vorsichtigen Ausweitung des grundsätzlich befürworteten Bündnisses mit dem Deutschen Reich, vor allem auf wirtschaftlicher Ebene, da sowohl das Wirtschaftsbündnis mit Deutschland, als auch der Euro­päische Wirtschaftsverbund die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie berücksichtigen müssten. Kompromisslos bleibt das Programm nur in der Frage des Kampfes gegen den Panslawismus, in dem die Ablehnung eines böhmischen Staatsrechts und die Sonderstellung eines nicht mehr im Reichsrat vertretenen ­Galiziens den Stellenwert eines deutschen Kaisertums Cisleithanien garantieren sollten. Deutliche Zugeständnisse gegenüber der auf der Basis der »Richtlinien« verbundenen Christlichsozialen Partei sind etwa im Verzicht auf die deutsche Staatsprache zu Gunsten einer bloßen »Verkehrssprache« bzw. die Übernahme der Forderung nach Autonomie der Kronländer zu sehen, eine Position, die von allen deutschnationalen Einzelparteien und der Wählerbasis schärfstens verurteilt wird.22 VIII. Fazit Die hier aus den graphischen Darstellungen gewonnen Erkenntnisse lassen, bei aller Vorsicht vor mit dieser Methode verbundenen Simplifizierungen, doch ein allgemeines Resümee über die Stellung der deutschnationalen Parteien in der öffentlichen Debatte über die Kriegs- und Friedensziele der Monarchie zu. Die deutschnationalen Parteien bilden die Speerspitze einer kriegsbegeisterten und bis zum Schluss auf e­ inen Siegfrieden setzenden Wählerschaft, negieren damit jedoch die Friedenswünsche breiter Bevölkerungsgruppen, die ab 1917 auf einen Verständigungsfrieden hoffen. Innerhalb der deutschnationalen Parteigruppen und Fraktionen gibt es zwar in Bezug auf die Grobziele grundsätzlich Konsens, bezüglich deren Umsetzung jedoch sehr differenzierte und teils gegensätzliche Optionen, die das gängige Bild der Heterogenität des deutschnationalen Parteienspektrums in der Monarchie bestätigen. Mit seiner Strategie der Aufgreifung möglichst vieler Einzelforderungen, bei gleichzeitiger Entschärfung von Extremforderungen, entwickelt sich der Deutsche Nationalverband potentiell zur neuen politisch-parlamentarischen Stützungsmacht der semikonstitutionellen Doppelmonarchie und ihrer Regierung. Diese unter der Annahme der siegreichen Beendigung des Krieges erstellte politische Perspektive einer zukünftigen (nur durch den Kriegsausgang verhinderten) deutschnationalen »Staatspartei« erfährt ihre Bestätigung auch in dem nachweisbaren langfristigen Auf-

Deutschnationale Parteien 1914 zwischen Irredenta und Mitteleuropakonzeption

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stieg der deutschnationalen Elitekader in die zivilen und militärischen Spitzenpositionen der Exekutive Cisleithaniens.23 Anmerkungen   1 Zum Begriff der »Zweiten Gesellschaft« vgl. Peter Urbanitsch, Die Deutschen in Österreich. Statistisch-deskriptiver Überblick, in  : Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 3/1  : Die Völker des Reiches, Wien 1980, 33–153, 149–153.  2 Vgl. dazu Lothar Höbelt, Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882–1918, Wien–München 1993, 30–190  ; Lothar Höbelt, Parteien und Fraktionen im Cisleithanischen Reichsrat, in  : Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 7/1  : Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, 895–1006, hier insb. 995–1006. Siehe auch Robert Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, Wien–Köln, 2001, 424–438  ; Adam Wandruszka, Österreichs politische Struktur. Die Entwicklung der Parteien und politischen Bewegungen, Bd. 2, Wien 1954, 374–382  ; Gernot Stimmer, Eliten in Österreich 1848–1970 (Studien zu Politik und Verwaltung 57/1, 2), Wien–Köln 1997, Bd. 57/1, 256–278 und 314.   3 Berthold Sutter, Die politische und rechtliche Stellung der Deutschen in Österreich 1848 bis 1918, in  : Wandruszka/ Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 3/1, 154–339, hier Tabelle 17  ; Stimmer, Eliten in Österreich, Bd. 57/1, 321  ; Oswald Knauer, Das österreichische Parlament von 1848–1966, Wien 1969, 19–20  ; Fritz Freund, Das österreichische Abgeordnetenhaus. Ein biographisch-statistisches Handbuch  : XI. Legislaturperiode (XVIII. Session), Wien 1907, 624–627  ; Fritz Freund, Das österreichische Abgeordnetenhaus. Ein biographisch-statistisches Handbuch  : Klubs des Abgeordnetenhauses 1899–1917, XXI. Session, Wien 1912, 21–23.   4 Stimmer, Eliten in Österreich, Bd. 57/1, 321.   5 Ebd., Bd. 57/1, 176–190  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, 33–48.   6 Stimmer, Eliten in Österreich, Bd. 57/1, 317  ; Kriechbaumer, Die großen Erzählungen der Politik, 433.   7 Lothar Höbelt, Kornblume und Kaiseradler. Die deutschfreiheitlichen Parteien Altösterreichs 1882– 1918, phil. Habil., Wien 1990, 274.   8 Stimmer, Eliten in Österreich, Bd. 57/1, 323–325.   9 Vgl. insbesondere Petronella Ehrenpreis, Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkrieges, Innsbruck–Wien, 2005, hier insbesondere 299–323. Die Studie erarbeitete in umfassender und detaillierter Weise die Kriegsund Friedensziele der politischen Parteien sowie der Interessenverbände einschließlich der Kirchen, sowie der privaten Komitees und Gruppen. 10 Ebd., 229–231, 301, 312–313 und 314–316  ; Deutscher Volksbund in Oberösterreich (Hg.), Deutsche Reden in der Kriegstagung des österreichischen Reichsrates Frühjahr 1917, Linz 1917, 13–97 und 201– 209. 11 Ehrenpreis, Kriegs- und Friedensziele, 299–323  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, 312–314. 12 Ehrenpreis, Kriegs- und Friedensziele, 299–312 und 319–321  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, 312–314. 13 Deutscher Klub, Mitgliederverzeichnis, Wien 1919, 1–33. 14 Ehrenpreis, Kriegs-und Friedensziele, 116–118, 229 und 231 sowie 418–419  : Fußnote 587  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, 313.

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15 Ehrenpreis, Kriegs-und Friedensziele, 324–344. 16 Ehrenpreis, Kriegs-und Friedensziele, 130–277. 17 Ehrenpreis, Kriegs-und Friedensziele, 144–147 und 158–162. 18 Freund, Klubs des Abgeordnetenhauses, 21–23  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, 286  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1990, 460–461. 19 Alle folgenden Angaben in Ehrenpreis, Kriegs- und Friedensziele, 299–323. 20 Stimmer, Eliten in Österreich, Bd. 57/1, 366–367. 21 Ehrenpreis, Kriegs-und Friedensziele, 309–311  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, 313–314. 22 Ehrenpreis, Kriegs- und Friedensziele, 319–321. 23 Stimmer, Eliten in Österreich, Bd. 57/1, 407–413  ; Höbelt, Kornblume und Kaiseradler, 1993, 321–323.

András Gerő

Die politische Elite Ungarns und der Ausbruch des Ersten Weltkriegs Politische Haltungen und kulturelle Motivationen

Die politische Geschichte Ungarns zur Zeit des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ist gut erforscht.1 Auf dem Gebiet sind daher keine großen Überraschungen mehr zu erwarten. Es gibt keine Geheimnisse mehr, die entdeckt werden könnten. Und es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass bisher unbekanntes, aber wesentliches Wissen auftaucht. Die Antwort auf die Frage, wie die politische Elite dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegenüberstand, ist leicht und einfach  : Die politische Elite trat ungeteilt und eindeutig für die Teilnahme am Krieg ein. Damit könnte dieser Text auch schon wieder enden. Gleichwohl war diese Zustimmung zum Kriegseintritt zweifellos das Resultat einer Entwicklung und es gab innerhalb der Eliten Unterschiede in der Intensität der Befürwortung des Krieges. Wichtiger und interessanter aber ist es, die Paradigmata zu beschreiben, die den Rahmen für die politische Haltung definierten. Diese Paradigmata hatten kulturelle Wurzeln, die zunehmend politisch bedeutsam wurden und die eigentlich keine andere Haltung zuließen als jene, die die politischen Eliten schließlich einnahmen. Der Zeitrahmen, mit dem wir ins hier beschäftigen wollen, ist leicht zu definieren  : Am 28. Juni 1914 ermordete der serbische Student Gavrilo Princip den Thronfolger des Kaisers, Franz Ferdinand, und seine Frau Sophie Chotek in Sarajewo, der Hauptstadt Bosniens, das die Monarchie annektiert hatte. Auf dieses Ereignis musste die Monarchie reagieren. Diese Notwendigkeit trug in sich das Potenzial für einen gesamteuropäischen Krieg. Zweifellos war diese Option vorhanden. Aber historische Prozesse haben nicht nur eine spezifische Dynamik, sie haben auch eine bestimmte Dramaturgie. Die Ermordung des Thronfolgers war ein dramaturgischer Wendepunkt in einem langfristigen Prozess. Daher ist der 28. Juni 1914 der Ausgangspunkt meiner Untersuchung – obwohl die Konstellation der europäischen Großmächte und der Kampf um Einfluß auf dem Balkan schon eine wesentlich längere Geschichte haben.2 Der Endpunkt meiner Betrachtungen ist ebenfalls leicht zu bestimmen, da die Monarchie nur einen Monat später, am 28. Juli, Serbien den Krieg erklärte und – auch als Ergebnis einer bestimmten Konstellation von Großmächten – die Reihe von Er-

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eignissen, die die Zeitgenossen den »großen Krieg« oder »Weltkrieg« nannten, ihren Lauf nehmen sollten. Aus einer chronologischen Perspektive wähle ich den Zeitabschnitt also mit Absicht. Ich werde weder die Vorgeschichte der Herrschaft über den Balkan noch die langfristigen Auswirkungen der Kriegserklärung diskutieren. Noch eine weitere Einschränkung sei angesprochen  : Ich werde europäische Phänomene und Entwicklungen nur aus der Perspektive beschreiben, wie sie die politische Elite Ungarns betrafen. Daher werde ich einige Erscheinungen, die zwar Resultate eines Prozesses waren, aber innerhalb des hier zur Diskussion stehenden Monats als bestimmende Faktoren wirkten, als Tatsachen betrachten. I. Der ungarische Ministerpräsident Im Sommer 1914 war der 53-jährige Graf István Tisza ungarischer Ministerpräsident.3 Als erfahren geltender Politiker hatte er dieses Amt nicht zum ersten Mal inne. Schon zwischen 1903 und 1905 war er Hausherr im Sándor-Palais, dem Sitz der ungarischen Ministerpräsidenten. Darüber hinaus war Tisza 1912 und 1913 Vorsitzender des Abgeordnetenhauses. Er war als konsequente, durchsetzungsfähige Person mit einem starken Charakter bekannt und hatte sowohl eine ergebene Gefolgschaft als auch erbitterte Gegner. Kurz, er war eine polarisierende Persönlichkeit, die die ungarische Politik dieser Zeit bestimmte. Tisza war auf seinem Gut in Geszt auf Urlaub, als er von der Ermordung des Thronfolgers erfuhr. Er hatte wohl gemischte Gefühle, weil er wusste, dass die Monarchie gezwungen war zu reagieren. Und er wusste auch, dass Franz Ferdinand aufgrund seiner politischen Ideen nicht gerade die populärste Person in Ungarn war. Am 1. Juli sandte Tisza ein Memorandum an Kaiser Franz Joseph, in dem er feststelle, dass es ein fataler Fehler wäre, das Attentat als Vorwand für eine Strafaktion gegen Serbien zu nutzen.4 Tiszas Meinung nach gab es keinen eindeutigen Beweis für die Komplizenschaft Serbiens. Die Monarchie würde also in Folge einer übereilten Militäraktion als Friedensbrecher dastehen. Das wäre aus diplomatischer Sicht eine sehr ungünstige Position. Weiters stellte Tisza im Memorandum fest, dass das Nachbarland Rumänien für den Dreibund verloren wäre und Bulgarien, als Ausgleich für Rumänien, noch nicht im Stande sei, als aktiver Bündnispartner der Monarchie zu agieren. Die Monarchie könne immer noch einen Kriegsanlass finden, den man aus vielerlei Gründen beginnen könne, aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Tisza war also nicht grundsätzlich gegen einen Krieg. Er vertrat jedoch die Meinung, dass, mit entsprechender diplomatischer Vorbereitung, ein günstigerer Zeitpunkt gewählt werden könnte. Er war auch bereit, einen Vorwand für diesen günstigeren Zeitpunkt zu finden.

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Am 6. Juli wurde Tisza davon informiert, dass Kaiser Wilhelm II. eine Botschaft an Franz Joseph gesandt hatte, in der er den österreichisch-ungarischen Kaiser der Unterstützung des Deutschen Reiches für den Fall eines militärischen Konfliktes versicherte und darauf verwies, dass der Zeitpunkt für die Monarchie günstig wäre, weil das mit Serbien verbündete Russland nicht vorbereitet sei.5 Während des gemeinsamen Ministerrats am 7. Juli nahm Tisza im Gegensatz zu allen anderen Teilnehmern die Position ein, dass er einem Angriff auf Serbien nicht zustimmen könne, weil ein solcher diplomatisch nicht ausreichend vorbereitet sei.6 Seiner Meinung nach sollte die Monarchie harte Forderungen an Serbien stellen, die für diese jedoch noch erfüllbar sein sollten. In der gegebenen Situation würde Serbien derartige Forderungen wahrscheinlich erfüllen. In Folge dessen würde das Prestige der Monarchie auf dem Balkan steigen. Tisza meinte auch, dass sich die Möglichkeiten für die Monarchie auf dem Balkan langfristig günstig entwickeln würden, weil das Deutsche Reich einem Eintritt Bulgariens in das Bündnis bereits zugestimmt hatte. Wenn die Türkei dem Bündnis auch beiträte, wäre Serbien in einem Zangengriff gefangen und die Rumänen wären de facto gezwungen, in ein Bündnissystem zurückzukehren, dem auch die Monarchie angehörte. Dem Sitzungsprotokoll des Ministerrates zu schließen, dachten alle Teilnehmer – außer Tisza –, dass ein Ultimatum an Serbien gerichtet werden sollte, dass dieses ablehnen würde. Das wiederum würde den Weg für eine militärische Lösung ebnen. Tisza hielt fest, dass er für den Fall, dass Serbien sich einem Ultimatum mit vernünftigen Forderungen verschließen würde, auch eine kriegerische Lösung bevorzugen würde.7 Am 8. Juli schickte Tisza wiederum ein Memorandum an Franz Joseph. Darin wiederholte er nicht nur seine früheren Forderungen, sondern fügte auch hinzu, dass Serbien besetzt werden sollte, wenn sich das Land legitimen Forderungen verweigere. In diesem Falle sollte das serbische Territorium zwischen Bulgarien, Griechenland und Albanien aufgeteilt werden, die Monarchie nur kleinere Grenzänderungen fordern. Es gab einige Versuche von unterschiedlichen Seiten, Tisza zu einer unbedingten Unterstützung des Krieges zu bewegen. Das Hauptargument lautete, dass dem Deutschen Reich eine passive österreichische Haltung missfallen würde. Das wiederum hätte schädliche Auswirkungen auf die Allianz mit Deutschland, die Österreich-Ungarns Status als Großmacht absicherte. Tisza war klar, dass das Bündnis mit Deutschland sehr wichtig war und dass jede Verschlechterung der Beziehungen mit dem Deutschen Reich auch Auswirkungen auf die ungarische Position haben würde. Tisza stand auch unter dem Eindruck der Tatsache, dass Deutschland Bulgarien den Beitritt zum Dreibund erlaubt hatte und war der Meinung, dass Bulgarien ein Gegengewicht zu Rumänien darstelle. Außerdem wäre ein starkes deutsches Engagement geeignet, Rumänien von einem Angriff auf die Monarchie abzuhalten, der wiederum

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zur Besetzung Transsylvaniens hätte führen können, also eine Gefahr für die territoriale Integrität Ungarns dargestellt hätte. Nachdem er sich mit verschiedenen Personen beraten hatte, änderte Tisza seine Haltung und trat für den Krieg ein. Seiner nunmehrigen Meinung nach wäre eine kriegerische Lösung vorzuzuziehen, wenn die Neutralität Rumäniens sichergestellt werden könnte. (Man beachte, dass sich Rumänien am 3. August tatsächlich als neutral erklärte. Tiszas Annahme erwies sich also zumindest fürs erste als richtig.) An einer Überzeugung hielt Tisza aber fest  : Die Monarchie solle sich in einem Krieg nicht die Annektion Serbiens zum Ziel setzen, da nur einige kleinere Grenzkorrekturen möglich seien. Offensichtlich hatte Tisza Bedenken vor allem aus zwei Gründen. Erstens fürchtete er im Fall eines militärischen Eingreifens Rumäniens Gebietsverluste für Ungarn, vor allem den Verlust Transsylvaniens. Zweitens würde der Anteil der slawischen Bevölkerung in der Monarchie größer werden, wenn Serbien ein Teil Österreich-Ungarns würde. Das würde dazu führen, dass der Dualismus nicht mehr aufrecht zu erhalten wäre und damit zu einer Verringerung des ungarischen Einflusses. Mitte Juli war aber Tisza bereits einer der Befürworter einer kriegerischen Lösung, obwohl er sich persönlich im Klaren darüber war, welches Ausmaß von Schrecken und menschlichem Leid ein Krieg zur Folge haben konnte. Beim gemeinsamen Ministerrat am 19. Juli konnte sich Tisza durchsetzen  : Die Annektion Serbiens wurde nicht Kriegsziel.8 Gleichzeitig kamen die Sitzungsteil­ nehmer darin überein, ein Ultimatum an Serbien zu richten, das in der Diktion unnachgiebig war und einige Bedingungen enthielt, die Serbien als unabhängiger Staat nicht erfüllen konnte. Ich meine damit vor allem die Forderung, dass Behörden der Monarchie gestattet werden sollte, das Attentat und seine Hintergründe zu untersuchen. Das hätte bedeutet, dass Serbien den Behörden eines anderen Staates erlaubt hätte, sich über die unabhängige Staatlichkeit Serbiens, also die serbische Souveränität, hinwegzusetzen. Das Ultimatum wurde am 23. Juli übermittelt, am 25. akzeptierte Serbien alle Forderung außer der zuletzt genannten. Das bedeutete aber, dass Serbien das Ultimatum als solches zurückwies. Am selben Tag begann Serbien mit der Mobilisierung seiner Streitkräfte, auch die Monarchie ordnete eine teilweise Mobilisierung an. Die Kriegserklärung erfolgte am 28. Juli. Am selben Tag hielt Tisza im Parlament seine erste Kriegsrede. Am 29. Juli wurde in Russland die teilweise, am 30. die allgemeine Mobilmachung angeordnet. Am 31. Juli erfolgte die Generalmobilmachung in der Monarchie, am 1. August im Deutschen Reich. Die Kriegsmaschine war gestartet worden.

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II. Die politische Opposition Zum damaligen Zeitpunkt gab es in Ungarn einerseits eine parlamentarische Opposition und andererseits, weil das Wahlrecht stark eingeschränkt war, eine gut organisierte, starke außerparlamentarische Opposition der Sozialdemokraten. Außerdem gab es noch eine zahlenmäßig begrenzte, aber intellektuell starke radikal-bürgerliche Gruppe außerhalb des Parlaments.9 Ein Blick auf die parlamentarische Opposition zeigt ein relativ buntes Bild. Am stärksten war die Unabhängigkeitspartei, die aus einem rechten und einem linken Flügel bestand, also einen für das beginnende 20. Jahrhundert typischen parlamentarischen Klub darstellte. Nach Auseinandersetzungen über den Status der katholischen Kirche in den 1890er Jahren war die Katholische Volkspartei gegründet worden, die gegen die Trennung von Kirche und Staat eintrat. Ihre Organisation basierte nicht auf dem Modell eines parlamentarischen Klubs, sondern war dem sozialdemokratischen ähnlicher, auch wenn die Politik der Volkspartei von äußerst konservativen Positionen geprägt war. Darüber hinaus gab es Gruppierungen, die die Interessen der kleinen Landwirte vertraten, während andere wiederum das Kleinbürgertum Budapests repräsentierten. Als die Kriegserklärung erfolgte, hielt der 68-jährige Albert Apponyi eine Rede im Namen der gesamten parlamentarischen Opposition.10 Er war nicht nur auf Grund seines Alters, sondern auch auf Grund seiner langen politischen Erfahrung ein Veteran des Parlaments. Zwischen 1901 und 1903 war er Präsident des Abgeordnetenhauses gewesen, zwischen 1906 und 1910 Minister für Religion und Bildung. Sein hohes persönliches Prestige erlaubte es ihm, für die gesamte parlamentarische Opposition zu sprechen. Zur Kriegserklärung stellte er fest  : »Wir können zum Beginn dieser Abrechnung nur kurz sagen  : endlich  !«11 Diese Stellungnahme zeigt eindeutig, dass die parlamentarische Opposition ­Ungarns den Krieg einstimmig begrüßte und der Ansicht war, dass sich Ungarn ohnehin früher oder später Serbiens entledigen müsse, das für Ungarn schon 1848 und 1849 eine große Belastung gewesen war. Diese Haltung war auch darin begründet, dass Russland in der politischen Kultur Ungarns als der Unterdrücker des ungarischen Freiheitskampfes von 1849 galt – das anti-russische Sentiment war von großer emotionaler Bedeutung. Um es einfach zu sagen  : Alle gingen davon aus, dass ein Krieg gegen Serbien auch ein Krieg gegen Russland war. Obwohl Apponyi seine Stellungnahme im Namen der gesamten Opposition abgab, gab es feine Unterschiede in der Tonlage der verschiedenen Richtungen. Mihály Károlyi von der linksgerichteten Unabhängigkeitspartei, der sich zum Zeitpunkt der Stellungnahme von Apponyi im Ausland aufhielt, hatte sich immer wieder gegen die einseitige Orientierung am Deutschen Reich ausgesprochen und oft einer pazifis-

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tischen Haltung Ausdruck verliehen. Als er allerdings am 1. Oktober nach Ungarn zurückkehrte, erhob er seine Stimme nicht gegen den Krieg. Er war es auch, der im ungarischen Parlament die Stellungnahme der Unabhängigkeitspartei für den Krieg verlas.12 Die bürgerlich-radikale Gruppe repräsentierte, von einem intellektuellen Standpunkt betrachtet, eine sehr explizite Form außerparlamentarischer Opposition. Die Mitglieder dieser Gruppe waren der Meinung, dass die ökonomische Integration wichtiger sei als der Militarismus und dass Teile der Arbeiterschaft und der Bürgerlichen einen Bedeutungszuwachs des Imperialismus verhindern würden können. Vor Kriegsausbruch nahm diese politische Gruppierung klar gegen einen Krieg Stellung und war der Ansicht, dass nur feudale Interessen und jene des Bankensektors für eine militärische Aktion gegen Serbien sprächen, während die öffentliche Meinung als pazifistisch eingeschätzt wurde. Als der Krieg aber ausbrach, änderte sich die Rhetorik der Bürgerlich-Radikalen grundlegend, als ob sie auch zuvor ihren eigenen Worten nicht geglaubt hätten. Die bürgerlich-radikale Presse sprach sich nun deutlich für den Krieg aus. Das ist offensichtlich vor allem darauf zurückzuführen, dass auch die Bürgerlich-Radikalen Teil des kulturellen Paradigmensystems waren, das nun politisch wirksam wurde. Die politische Elite Ungarns war eindeutig in diesem System gefangen. Noch interessanter aber sind die Veränderungen der Haltung der Sozialdemokratischen Partei Ungarns.13 Selten war eine politische Kehrtwende so spektakulär. (Selbstverständlich handelt es sich dabei um kein singuläres Phänomen. Ähnliche Entwicklungen sind fast überall in Europa zu beobachten.) Nach der Ermordung des Thronfolgers gaben die Sozialdemokraten dem österreichisch-ungarischen Imperialismus, dessen Repräsentant unter anderem Franz Ferdinand gewesen wäre, die Schuld daran. Der österreichisch-ungarische Imperialismus würde die Serben in der Monarchie unterdrücken. Zwar sei individueller Terror eine inadäquate Strategie, doch hätte Gavrilo Princip mit seiner Tat gegen diese Unterdrückung protestiert. Das Ultimatum an Serbien wäre nicht von »uns«, sondern von »denen« gestellt worden, es wären also die imperialistischen Kreise Österreich-Ungarns, die einen Krieg provozieren wollten. Noch am 26. Juli hieß es in einem Artikel in »Népszava«, der sozialdemokratischen Tageszeitung  : »Heute ist die Stimme der Sozialdemokratie die einzige in diesem Land, die bis zum letzten Tag laut gegen den Krieg protestieren wird.«14 Als sich herausstellte, dass Russland einer der Hauptfeinde der Monarchie war, folgten die ungarischen Sozialdemokraten ihren deutschen Genossen und begannen, den Krieg zu unterstützen. Einer der Gründe dafür war, dass sie die Auflösung der Partei nicht riskieren wollten, was nach ungarischem Gesetz durchaus möglich gewesen wäre. Und wie schon einmal festgestellt  : Die Kehrtwende der ungarischen Sozialdemokratie war in Europa nicht einzigartig.

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Zusammenfassend ist festzuhalten, dass es Ende Juli, Anfang August in Ungarn keine politische Kraft mehr gab, die inner- oder außerhalb des Parlaments gegen eine Kriegsteilnahme auftrat. Es gab zwar kleine Unterschiede zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen, etwa in Bezug auf den Zeitpunkt, zu dem sie in den Chor einstimmten oder welche Stimme sie dort übernahmen. Schließlich wurden sie aber alle Teil einer Kriegssymphonie. Das gesamte legale politische Feld Ungarns war schließlich der Meinung, dass es an der Zeit sei, Serbien endlich los zu werden – auch um den Preis eines Krieges. Der Elitenkonsens reichte so weit, dass auch im künstlerischen Bereich ab August 1914 immer öfter Stellung für den Krieg bezogen wurde. Die Theater gaben nationalistische Brand-Stücke in Auftrag und brachten sie auf die Bühne.15 Ein weit verbreiteter dreiteiliger Slogan schien Ungarn politisch zu einen  : »Lang lebe der König, lang lebe die Heimat, und lang lebe der Krieg  !« Es wundert nicht, dass die Einheit im Lauf des Krieges zerbrach – aber das ist eine andere Geschichte. III. Das nationale Interesse Ungarns: Augenscheinlichkeiten und Realitäten Dass eine kriegsbefürwortende Haltung die öffentliche Meinung dominierte, war ein Phänomen, das in allen kriegführenden Staaten zu beobachten war. Es scheint so, als ob die politische Elite Ungarns, ebenso wie die Mehrheit der europäischen Eliten, für einen Krieg war. Das enthebt uns aber aus einer methodologischen Perspektive nicht der Notwendigkeit zu klären, warum gerade die politische Elite ­Ungarns diesen Standpunkt einnahm. Eine solche Klärung scheint umso notwendiger, als es von einem engeren national-ungarischen Standpunkt aus kein offensichtliches Interesse an einem Krieg gab. Das damalige Ungarn, das manchmal das »historische Ungarn«, »Groß-Ungarn« oder mit Bezug auf den ersten ungarischen König das »Ungarn des heiligen Stefan« genannt wird, umfasste – mit Ausnahme der ­Tschangos, einer kleinen Bevölkerungsgruppe in der Moldau – alle Gebiete, die von der ethnischen Gruppe der Ungarn bewohnt waren. Das Land hatte keine Expansionsabsichten, weil jede Eroberung den Anteil von nicht-ungarischen Gruppen an der Gesamt­ bevölkerung erhöht hätte. Aus einer rein logischen Perspektive wäre es also im nationalen Interesse Ungarns gelegen, den Status quo aufrecht zu erhalten. Der Krieg würde im Fall eines Sieges zu Grenzänderungen führen, an denen Ungarn nicht interessiert war. Im Fall der Niederlage würde das zum selben Resultat führen. Das konnte ebenfalls nicht im ungarischen Interesse liegen, weil in diesem Fall das Land kleiner als vorher sein würde. Es war nicht absehbar, wie groß der Gebietsverlust sein würde. Jeglicher Verlust konnte aber nicht im Interesse der politischen Elite Ungarns liegen.

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Der beste Kriegsausgang für Ungarn wäre also ein Unentschieden gewesen, das nichts am Status quo verändert hätte. Gewöhnlich werden aber keine Kriege geführt, damit sie in einem Unentschieden enden und sich nichts ändert. Daher muss unsere Frage also lauten  : Warum unterstützte die politische Elite Ungarns die Kriegstreiberei  ? Meiner Ansicht nach ist der Grund für die Kriegsbejahung weder in der damaligen politischen Situation zu finden noch im Status Ungarns innerhalb der Monarchie. Ungarn war kein tatsächlich souveräner Staat, sondern Teil der Monarchie und hatte sich daher Entscheidungen, die anderswo getroffen wurde, zu fügen. Das spielte wohl, wenn es um die Haltung der politischen Elite geht, eine Rolle, meiner Ansicht nach aber keine entscheidende. Das entscheidende Moment liegt im Charakter des ungarischen Nationalismus, in dessen Zentrum einige unhinterfragbare Axiome stehen. IV. Die Axiome des ungarischen Nationalismus In Übereinstimmung mit europäischen Trends, wenn auch mit einer leichten Verspätung gegenüber Westeuropa, nahm nationalistisches Gedankengut und Empfinden in Ungarn in der zweiten und dritten Dekade des 19. Jahrhunderts Gestalt an. Eine weit verbreitete emotionale Realität wurde der Nationalismus 1848/49.16 Der Verlauf des Prozesses folgte bereits existierenden Vorlagen  : Nach einer ersten kulturellen Phase (Sprachreform, nationale Kultur) kam eine politische Phase (nationale Souveränität). Die zwei Phasen überschnitten sich über weite Strecken, da auch kulturelle Aspekte zu erkennen waren, als bereits politische Forderungen dominierten. Außerdem war die Schaffung einer nationalen Kultur auch von unmittelbarer politischer Bedeutung. Im Zuge der Herausbildung des Nationalismus entwickelte sich in Ungarn auch das Konzept der Territorialität. Es sei an dieser Stelle nur auf die »Zwölf Punkte« der ungarischen Revolution im März 1848 verwiesen  : Einer davon betraf die Union mit Transsylvanien. Dieser Punkt war zwar der letzte auf der Liste der Revolutionäre, zeigt aber, dass die Idee eines geeinten Landes entstanden war. Bekanntermaßen bestand die »ungarische Nation« zu dieser Zeit aus einer Vielzahl verschiedener Kulturen und Ethnizitäten. Vor 1848 hatten die Habsburger das Land administrativ aufgeteilt. Transsylvanien hatte eine eigene Ständeversammlung, die südlichen Teile des Landes waren einer Militärverwaltung unterstellt. In administrativer Hinsicht war Ungarn also kein geeinter Staat. Die Forderung nach einem »National-Ungarn« schien unrealistisch, weil zu viele Nationen und ethnische Gruppen im Land lebten. Aber ein administrativ geeintes Ungarn schien möglich. Es ist hier nicht der Ort, um im Detail auf die historischen Ereignisse einzugehen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die ungarische Regierung, die 1848 an die Macht kam und dem Parlament verantwortlich war, die tatsächliche Herrschaft über das

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gesamte Gebiet des mittelalterlichen Feudalstaates nie ausübte. Als die Habsburger 1849 die Macht zurück eroberten, führten sie eine Verwaltungsreform durch, die dazu führte, dass das wieder eingesetzte ungarische Königtum administrativ uneinheitlich wurde. Erst der Ausgleich von 1867 hatte zur Folge, dass die ungarische Regierung über das gesamte Gebiet des mittelalterlichen Ungarn herrschte. Das sollte bis zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918 so bleiben. Bis zu diesem Zeitpunkt war es selbstverständlich geworden, dass die Idee der territorialen Integrität Ungarns verbunden war mit einem Konzept von »Groß-Ungarn«. Der ungarische Nationalismus befand sich damit in einer spezifischen Falle  : Einerseits war er für die Errichtung eines unabhängigen Staates. Andererseits war die territoriale Integrität des Landes aber ein Resultat des Ausgleichs mit den ­Habsburgern. Der Preis für die Staatswerdung war gewesen, dass dieser Teil des Habsburger Reiches wurde und im Inneren, nicht aber nach Außen, souverän war. Es gab also eine ungarische Staatlichkeit, aber die Souveränität dieses Staats war nicht vollständig. Die territoriale Integrität Ungarns war dem ungarischen Nationalismus ein so wichtiges Ziel, dass er die Integration ins Reich der Habsburger hinnahm, auch wenn einige ungarische Nationalisten davon überzeugt waren, dass das Land – in den damals existierenden Grenzen und der entsprechenden ethnischen Zusammensetzung – auch als selbstständiger Staat der Ungarn wachsen und gedeihen würde. Es wurde zum Axiom, dass das multi-ethnische historische Ungarn das Land der Ungarn wäre, in dem es daher – auch wenn viele ethnische Gruppen auf demselben Gebiet lebten – nur eine politische Nation, nämlich die ungarische gäbe. Daraus folgte, ebenso axiomatisch, dass im Land der Ungarn die Ungarn die dominante Position inne hätten und ihnen daher die Vorherrschaft gebühre. Auf der Ebene der Gefühle wurde auch zum Axiom, dass es wünschenswert wäre, wenn »Groß-Ungarn« unter der Vorherrschaft der Ungarn unabhängig würde. Die Herrschaft der Habsburger wurde daher zur nicht zu vermeidenden Einschränkung, die die ungarische nationale Erfüllung behinderte. Auf dem Territorium des ungarischen Staates, wie er zwischen 1867 und 1918 existierte, waren ethnische Ungarn bis 1900 in der Minderheit. Erst nach 1900 stellten die Ungarn in statistischer Hinsicht die Mehrheit. In mancherlei Hinsicht war diese Mehrheit tatsächlich real, in anderer wiederum nur virtuell. Die statistischen Daten wiesen unerbittlich darauf hin, dass nur knapp mehr als die Hälfte der Bevölkerung des Landes ungarisch war. Das bedeutete aber nicht, dass die Ungarn überall, in allen administrativen Einheiten in der Mehrheit waren (Dörfer, Stadtteile, Städte, Großstädte etc.). In einigen Regionen überwogen Slowaken, Serben oder Rumänien deutlich – mit Sicherheit war Transsylvanien schon seit dem 18. Jahrhundert mehrheitlich rumänisch. Darüber hinaus hatten einige nationale Minderheiten Ungarns ein »Mutterland« in einem an Ungarn angrenzenden Gebiet. Die Rumänen wurden vom erst jüngst gegründeten Rumänien unterstützt. Und Serbien entstand gerade als Staat, das

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den Serben in Ungarn den Rücken stärkte. Währenddessen standen andere ethnische Gruppen in Ungarn am Anfang eines Nationsbildungsprozesses, der zu einem eigenen Nationalismus und entsprechenden territorialen Zielen führen sollte. Nach der Wende zum 20. Jahrhundert, als also die Ungarn die Mehrheit im Land stellten, wurde die Forderung nach einer Umordnung des Staates immer öfter und lauter erhoben. Vor seiner Ermordung 1914 entwickelte Thronfolger Franz Ferdinand Pläne zur Reorganisierung der Monarchie nach nationalen Prinzipien. Andere, wie Graf István Tisza, setzten sich für die Erhaltung des Status quo ein und waren zu keinen Kompromissen hinsichtlich der territorialen Integrität des Landes bereit. Es regte sich also schon vor dem Ersten Weltkrieg erheblicher Zweifel daran, ob Ungarn, wie es zu der damaligen Zeit existierte, tatsächlich »das Land der Ungarn« wäre. Trotzdem war die politische und kulturelle Elite genau dieser Ansicht, dass nämlich Ungarn, so wie es war, »das Land der Ungarn« sei. (Die 1000-Jahr-Feiern von 1896 hatten diese Haltung bestärkt und sie zur Überzeugung der Massen gemacht.) Es soll aber noch ein weiteres Element der Axiome, die die Natur des ungarischen Nationalismus prägen, thematisiert werden. Weil das historische Ungarn bedeutend größer gewesen war als das Verbreitungsgebiet der ungarischen Ethnie, entstand im ungarischen Nationalbewusstsein die tief verwurzelte Angst, dass die Ungarn in einem Meer von slawischen und deutschen Völkern verschwinden würden. Dieser Angst haben Mihály Vörösmarty (1800–1855), der Autor eines der wichtigsten Nationalepen »Szózat« (Aufruf ), und Graf István Széchenyi (1791–1860), eine der wichtigsten Personen des ungarischen »Reformzeitalters« (1825–1848), wortgewandt Ausdruck verliehen. Beiden graute vor dem »Tod der Nation«. Diese Angst und ein ungarischer Nationalismus voller Illusionen gingen eine enge Verbindung ein. Umso mehr Illusionen den ungarischen Nationalismus nährten, desto ängstlicher wurden seine Vertreter, die versuchten, einen Ausgleich für ihre Angst zu finden. Es ist daher kein Zufall, dass István Tisza zögerte, gleich einen Krieg zu beginnen und dass er die Annektion serbischer Territorien ablehnte. Er hatte Angst vor dem Verlust Transsylvaniens und fürchtete weitere slawische Massen innerhalb der Monarchie. Auch andere politische Kräfte waren nicht bereit, die territoriale Integrität des Landes preiszugeben, oder hatten ebenfalls davor Angst, große Bevölkerungsgruppen nicht-ungarischer Nationalität aufzunehmen. Unabhängig von der jeweiligen Parteizugehörigkeit entfalteten die Axiome des Nationalismus ihre Wirkung. Der Großteil der Eliten war davon überzeugt, dass der Krieg grundsätzlich geführt wurde, um Gefahren für die ungarische Vorherrschaft abzuwehren und daher aus ungarischer Sicht eher einen Akt der Selbstverteidigung als eine Aggression darstellte. Man hielt es für notwendig, Serbien und Rumänien die ungarische Macht zu demonstrieren, indem man sich auf die Stärke der Österreichisch-Ungarischen Monarchie stützte –

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obwohl man die Monarchie als Zwangsgemeinschaft empfand. Dadurch wollte man die territoriale Integrität Ungarns und die ungarische Vorherrschaft – als die beiden Eckpunkte des ungarischen Nationalismus – zu unumstößlichen Realitäten machen. Die politische Elite Ungarns hielt ihre eigenen Illusionen für Realität und handelte in Übereinstimmung mit dieser imaginierten Wirklichkeit. Durch den Vertrag von Trianon, der den Ersten Weltkrieg 1920 beendete, wurde Ungarn geteilt. Große Gebiete mit ungarischer Bevölkerung kamen unter die Herrschaft anderer Staaten. Der ethnische Charakter dieser Staaten wurde von ethnischen Gruppen geprägt, die zuvor in Ungarn gelebt hatten. Die Beschlüsse des Vertrages waren, weil sie aus einem ethnischen Standpunkt ungerecht erschienen, für die öffentliche Meinung in Ungarn inakzeptabel. Aus dieser Ablehnung entstand Verweigerung und der Wunsch nach einer Revision des Vertrages. Das verhinderte eine notwendige Revision des Nationalismus. Nach dem Vertrag von Trianon waren die Ungarn – wiederum unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit  – der Ansicht, dass »Trianon« beseitigt werden müsse. Ein verbreiteter Slogan lautete  : »Das verstümmelte Ungarn ist kein Land, Groß-Ungarn ist der Himmel  !« Ein Großteil der Menschen in ­Ungarn wollte »an einen Gott, eine Heimat, eine ewige göttliche Gerechtigkeit und die Wiederauferstehung Ungarns« glauben.17 Sie glaubten, dass das Land, das auf Grund des Ausgleichs mit den Habsburgern entstanden war, ihnen gehörte, und wollten, dass das so bliebe. Dieses Land galt ihnen als »Land der Ungarn« und daher als Heimat, während das Land tatsächlich nicht ausschließlich »ihres«, sondern auch für andere natio­nale Gruppen »Heimat« war. Die Niederlage des Ersten Weltkriegs führte nicht zur Korrektur des territorial orientierten Nationalismus, sondern bewirkte das Gegenteil  : Die tatsächliche Situation wurde als politisch und emotional inakzeptabel betrachtet. Die verlorene Vergangenheit wurde dabei zur unumstößlichen Wahrheit. Die Niederlage und der daraus folgende Gebiets- und Bevölkerungsverlust bestätigten und verstärkten die Angst und die Frustration, die von Anfang an Teil des ungarischen Nationalismus und im Gegenzug Anlass für kompensatorisches Verhalten gewesen waren. Das Konzept eines »Groß-Ungarn« ist seither bis zu einem gewissen Grad ein Charakteristikum der emotionalen Kultur Ungarns. Noch heute sieht man in der Öffentlichkeit Leute, die an ihren Autos Aufkleber mit »Groß-Ungarn« haben oder entsprechende T-Shirts tragen, sowie Landkarten, die die Grenzen des historischen Königreiches zeigen. Das ist, als führe in Österreich einige Autos mit rot-weiß-rot gestreiften Aufklebern, auf denen die Umrisse der Monarchie zu sehen sind. Obwohl die ungarische Historiographie rational zur Kenntnis nimmt, dass der Revisionismus keinen Erfolg hatte, findet man in historiographischen Texten oft Wendungen, die implizit auf »Groß-Ungarn« Bezug nehmen. In der Auseinandersetzung mit dem Revisionismus der Zwischenkriegszeit wird zum Beispiel manchmal über die

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»Rückgewinnung« von Gebieten gesprochen, auch wenn die ethnischen Grundlagen dafür zumindest äußerst fragwürdig waren – etwa wenn die Besetzung des Karpatenvorlandes im Jahre 1939 beschrieben wurde, in dem der Anteil der ethnischen Ungarn nur 5 Prozent der Gesamtbevölkerung betrug. »Groß-Ungarn« oder das »Ungarn des heiligen Stefan« hatte als territoriale Einheit seit 1541, als das Land in drei Teile aufteilt wurde, nicht mehr existiert. Es entstand erst wieder nach 1867 im Zeitalter des modernen Nationalismus. Es endete eigentlich schon 1918, als gesetzliche Einheit hörte es dann auch 1920 auf zu existieren. Dieser Staat war durch den Ausgleich mit den Habsburgern geschaffen worden und löste sich mit dem Ende des Kaiserreichs auf. Dieselben Ungarn, die in »Groß-Ungarn«, das im Habsburger Reich erschaffen und erhalten wurde, ihre natürliche gottgegebene Heimat sahen, betrachteten die Herrscherdynastie mit Empörung und Missbilligung. Und das ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr das ungarische Nationalbewusstsein auf Illusionen beruhte und nicht im Stande war, sich den historischen Realitäten anzupassen. »Groß-Ungarn« war in den nationalistischen Vorstellungs-, Gedanken- und Gefühlswelten allgegenwärtig. Viele Ungarn betrachteten etwas als ihre Heimat, das nicht mehr existierte. Viele von ihnen begeisterten sich für etwas, das es nicht mehr gab. Und viele von ihnen fühlen sich von etwas emotional berührt, das lange tot war. Man könnte dies als einen Fall von »nationaler Nekrophilie« bezeichnen. Zusammenfassend sei festgehalten  : Die Haltung der politischen Elite Ungarns beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges war vom ungarischen Nationalismus tief geprägt. Was in diesem Zusammenhang als nationales Interesse wahrgenommen wurde, war vor allem kulturell bestimmt. Der ungarische Nationalismus bestand aus einer spezifischen Mischung aus Illusionen und Frustrationen. Aus einer ungarischen Perspektive gab es kein eigentliches politisches Interesse daran, einen Krieg zu beginnen oder in einen solchen einzutreten. Die kulturelle Prägung des ungarischen Nationalismus war aber stärker als jedes tatsächliche politische Interesse. Daher trat Ungarn am 28. Juli 1914 voller Begeisterung in den Krieg ein. Übersetzung  : Maria Mesner Anmerkungen 1 Das Thema wurde umfassend diskutiert von József Galántai, der eine Monographie über die Geschichte des Ersten Weltkriegs verfasste. Siehe József Galántai, Szarajevótól a háborúig. 1914. július [Von Sara­ jewo in den Krieg. Juli 1914], Budapest 1975  ; József Galántai, Tisza és a világháború [Tisza und der Weltkrieg], Budapest 1964. Am umfassendsten  : József Galántai, Magyarország az első világháborúban. 1914–1918 [Ungarn im Ersten Weltkrieg. 1914–1918), Budapest 2001. Siehe auch István Diószegi, Tisza István és az első világháború [István Tisza und der Erste Weltkrieg], in  : István Diószegi, A magyar külpolitikai útjai. Tanulmányok [Wege der ungarischen Außenpolitik. Gesammelte Schriften],

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Buda­pest 1984, 75–87. Der bisher letzte Sammelband zum Thema erschien 2010  : Ignác Romsics (Hg.), Magyarország az első világháborúban [Ungarn im Ersten Weltkrieg], Budapest 2010.   2 Zu den langfristigen internationalen Aspekten der Balkanfrage siehe Emil Palotás, A Balkán-kérdés az osztrák-magyar és az orosz diplomáciában a XIX. század végén [Die Balkan-Frage in der Österreichisch-Ungarischen und in der Russischen Diplomatie am Ende des 19. Jahrhunderts], Budapest 1972.   3 In Bezug auf István Tiszas Biographie sind unverzichtbar  : Ferenc Pölöskei, Tisza István, Budapest 1985  ; Gábor Vermes, Tisza István, Budapest 1994.   4 Memorandum von I. Tisza vom 1.7.1914, zit. nach Ludwig Bittner/Hans Übersberger (Hg.), Österreich-Ungarns Außenpolitik. Von der bosnischen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914. Diplomatische Aktenstücke des österreichisch-ungarischen Ministeriums des Äußeren, Bd. 8, Wien–Leipzig 1930, 248–249.   5 Schreiben Kaiser Wilhelm an Kaiser Franz Joseph vom 6.7.1914, zit. nach Bittner/Übersberger, Österreich-Ungarns Außenpolitik, 329. Die Haltungsänderung Tiszas wird in Vermes, Tisza, 234–259 ausführlich diskutiert. Die Interpretation Vermes’ bildet die Grundlage meiner Ausführungen.  6 Miklós Komjáthy (Hg.), Protokolle des gemeinsamen Ministerrates der österreichisch-ungarischen Monarchie (1914–1918), Budapest 1966, 141–150.   7 Ebd.   8 Ebd., 150–154.   9 Zur Haltung der parlamentarischen und außerparlamentarischen Opposition siehe Péter Hanák/Ferenc Mucsi (Hg.), Magyarország története. 1890–1918 [Die Geschichte Ungarns. 1890–1918], Bd. 7/2, Budapest 1978, 1099–1102. 10 Képviselőházi Napló 1910–1915 [Die Protokolle des Abgeordnetenhauses. 1910–1915), Bd. 36, Budapest 1917, 192. 11 Ebd. 12 Mihály Károlyi, Hit, illúziók nélkül [Glaube ohne Illusionen], Budapest 1977, 66–75. Nach Károlyis Aussage habe er Apponyi nur angekreidet, dass dieser die Herrscherdynastie nicht »erpresst« und eine Gegenleistung für seine Pro-Kriegs-Erklärung verlangt habe. 13 Die Kehrtwende der sozialdemokratischen Parteien wird in der Forschungsliteratur meist als Zusammenbruch der Zweiten Internationale bezeichnet, da die Vereinigung der sozialdemokratischen Parteien zuvor gegen den Krieg aufgetreten war. Bei Kriegsausbruch wechselten aber nahezu alle prominenten europäischen Sozialdemokraten ins Lager der Kriegsbefürworter. Siehe dazu János Jemnitz, A szocialista pártok és a háború [Sozialistische Parteien und der Krieg], Budapest 1969. Siehe dazu auch den Beitrag von Lutz Musner in diesem Band. 14 Kitört a háború [»Der Krieg ist ausgebrochen  !«], in  : Népszava, 26.7.1914, 1. 15 In relativ kurzer Zeit wurden mehr als ein Dutzend Progagandastücke geschrieben. Zum Beispiel hatte »Mindnyájunknak el kell menni« [»Wir alle müssen gehen«] von Gyula Hegedűs und Jenő Faragó am 2. September 1914 im Vígszínház [Komödientheater] in Budapest Premiere  ; »Ferenc József azt üzente …« [»Franz Joseph sandte einen Aufruf …«] von Árpád Pásztor wurde erstmals am 25. August 1914 im Király Színház [Königstheater] in Budapest aufgeführt. Diese Stücke sind besonders bemerkenswert, weil sie sich im Titel auf das »Kossuth-Lied« bezogen, ein populäres Lied aus dem Unabhängigkeitskrieg von 1848/49, das einer der emotionalen Grundpfeiler einer folkolisierten nationalen Identität wurde. 16 Meine Perspektive auf den ungarischen Nationalismus lege ich im Detail dar in  : András Gerő, Imagined History. Chapters from Nineteenth and Twentieth Century Hungarian Symbolic Politics, New York 2006  ; András Gerő, Hungarian Illusionism, New York 2008, 21–48. 17 Dies waren die beliebtesten offiziellen Parolen der Zwischenkriegszeit in Ungarn.

Maddalena Guiotto

Die italienischen politischen Parteien ÖsterreichUngarns und ihre Stellung zum Ersten Weltkrieg I. Das Trentino und das Litorale und ihre politische Vertretung am Vorabend des Krieges Parallel zum Prozess der politischen Einigung Italiens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts musste Österreich sein ausgedehntes Herrschaftsgebiet südlich der Alpen abtreten. Das geschah innerhalb kurzer Zeit  : Bis 1859 bildete die italienischsprachige Bevölkerung die drittgrößte nationale Gruppe der Monarchie, bereits ab 1866 war sie die kleinste. Am Vorabend des Ersten Weltkriegs gab es nur noch etwa 800.000 österreichische Italiener, die sich auf zwei geographische Gebiete verteilten  : den fast geschlossenen italienischsprachigen südlichen Landesteil Tirols, offiziell »Welschtirol«, von den Italienern ab der Jahrhundertmitte zunehmend »Trentino« genannt, und das gemischtsprachige Küstenland, das »Litorale«. Letzeres war politischadministrativ geteilt in das seit 1382 habsburgische Triest – Österreichs Verbindung zum Meer –, das östliche Friaul mit Görz und Gradiska, Istrien, die italienischen Enklaven in Dalmatien und schließlich Fiume/Rijeka als »corpus adnexum« der Länder der Stephanskrone.1 Mit Ausnahme des altvenezianischen Teils Istriens und von Dalmatien, die erst 1797 zum ersten Mal zum Haus Habsburg gekommen waren, unterstanden alle anderen Territorien bereits seit mehreren Jahrhunderten mehr oder weniger direkt dem habsburgischen Einflussbereich und die Habsburger bildeten für sie keine Fremdherrschaft. Sie waren jahrhundertelang in ein plurinationales mitteleuropäisches System eingebettet und hatten Erfahrungen mit politischen Einrichtungen gemacht, die sich von jenen der Gebiete, die das Königreich Italien bis 1918 bildeten, wesentlich unterschieden. Das bedeutete aber nicht, dass keine Auseinandersetzungen mit Österreich stattfanden. Diese entstanden vorwiegend auf der Ebene der Verwaltung und der Politik. Im Trentino, das nach dem Wiener Kongress dem Kronland Tirol bzw. dem Innsbrucker Landtag politisch unterstellt wurde, legten die italienischen Abgeordneten bis zum Vorabend des Kriegs mehrere Autonomieprojekte für den italienischen Teil Tirols vor. Keines davon konnte aber verwirklicht werden.2 Besonders nach der Abtretung Vene­tiens mit Mantua und Peschiera 1866 war die Lösung der Frage der Autonomie schwieriger geworden, weil das Trentino nun als südliche Grenze der Monarchie an

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strategischer und militärischer Bedeutung gewann. Für Österreich war es daher äußerst wichtig, eine italienische Bevölkerungsgruppe, die gerade an der Grenze des 1861 gegründeten italienischen Nationalstaates lebte, innerhalb eines mehrheitlich deutschsprachigen Kronlandes zu behalten. Außerdem hätte die Trentiner Autonomie einen Präzedenzfall bilden können, der eine Kette ähnlicher Forderungen bei weiteren Bevölkerungsgruppen innerhalb der Monarchie hätte auslösen können – nicht zuletzt, weil sie dem Prinzip der Unantastbarkeit der Ländergrenzen zuwider gelaufen wäre.3 Dagegen erlangten die Stadt und die Provinz Triest wie auch Görz in den 1850er Jahren weitreichende Autonomierechte. Die breite Zustimmung der Bevölkerung drückte sich darin aus, dass sich die Triestiner gegen die Wahlrechtsreform für den Reichsrat von 1873 stellten und sich weiter mehr auf die politische Tätigkeit im Landtag stützten – ganz im Gegensatz zu Trient, wo man in der Hoffnung, sich dem Zugriff durch die konservative Landesregierung in Innsbruck entziehen zu können, auf die Zentralregierung in Wien setzte.4 Beträchtliche Unterschiede zwischen dem Trentino und dem Küstenland gab es nicht nur im Verwaltungsaufbau, sondern auch in der sozioökonomischen und ethnischen Struktur. Im Kronland Tirol gab es eine klare Sprachgrenze – das Trentino war fast zur Gänze ein italienischsprachiges Territorium. Zu regelrechten nationalen Konflikten kam es hier vor allem entlang der Sprachgrenze, wo um die Jahrhundertwende eine Reihe von deutsch-nationalen, pangermanischen und Tiroler Vereinen und analogen Gruppen auf italienischer Seite entstanden.5 Im Trentino lebte die Bevölkerung in erster Linie von der Landwirtschaft – meist auf kleinen Parzellen – und vom Weinbau. Die saisonale Migration, vor allem in andere Teile Österreichs, war weit verbreitet. Am Ende des 19. Jahrhunderts erlebte die Region einen fast ausschließlich die Landwirtschaft betreffenden Aufschwung, der nicht nur die Folge der Bemühungen der Zentralregierungen und des Inns­brucker Landtags, sondern auch der Entwicklung einer lokalen und mächtigen genossenschaftlichen Organisation katholischer Ausrichtung war. Neben Genossenschaften zur Lagerung, Verarbeitung und zum Vertrieb von hauptsächlich Obst und Wein entwickelten sich auch ländliche Kreditgenossenschaften.6 Mit seinen Agrarprodukten belieferte das Trentino vorwiegend die österreichischen Binnenmärkte. Eine wirkliche Unternehmenstradition war im Trentino so gut wie unbekannt. Der Bereich, der vor dem Krieg die meisten positiven Ansätze gezeigt hatte, war der Tourismus.7 Das Küstenland dagegen war eine der am dynamischsten wachsenden Regionen Österreich-Ungarns. Sein Zentrum war Triest, die drittgrößte Stadt Österreichs, eine blühende Hafenstadt und einer der wirtschaftlichen Knotenpunkte Europas. Die Stadt mit einer doppelten Identität war zwischen Österreich und Italien hin- und hergerissen und fühlte sich kulturell Italien zugehörig, gehörte wirtschaftlich aber zu Österreich bzw. zu Mitteleuropa.8 Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte

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sich auch eine neue selbstbewusste slowenische Mittelschicht in Triest herausgebildet, die einerseits zur Lebendigkeit der Stadt beitrug, andererseits aber die italienischen bürgerlich-liberalen Kreise der Stadt sehr beunruhigte, weil sie auch auf kultureller und politischer Ebene aktiv wurde.9 In Triest lebten auch Tausende von Arbeitern, die vornehmlich aus den slowenischen Agrargebieten des Hinterlandes in die Stadt zugewandert und hier in den Werften und im Bausektor beschäftigt waren.10 Trotz dieses hohen Zuzugs an Slowenen überwogen in Triest und in den anderen größeren Städten des Küstenlandes am Vorabend des Krieges die Italiener, die das Bürgertum bildeten. Außerhalb der größeren Städte und auf dem Land wurden aber die Italiener von den Slowenen, in Istrien und Dalmatien von den Kroaten majorisiert, die ihren eigenen Nationalismus auszubilden und die bisherige italienische Vorherrschaft zu gefährden begannen. So war im Küstenland, wo Italiener und Südslawen in ein- und demselben Gebiet nebeneinander lebten, die Frontstellung der Italiener, die sich in ihrem »nationalen Besitzstand« bedroht fühlten, gegen die Südslawen gerichtet. Hier wurden die Deutschen – anders als in Tirol – weniger als nationale Gegner angesehen.11 Im Trentino und im Litorale hatten sich am Ausgang der Monarchie die drei üblichen politischen Lager herausgebildet, in denen sich neben den ideologischen die oben geschilderten regionalen Trennlinien wiederfanden. So bildete im Trentino die Frage der Autonomie von Innsbruck für den italienischen Teil Tirols den roten Faden der Parteiprogramme. Die dominierende Partei der Region war die katholische »Unione Politica Popolare«, auf Vorschlag des damals an der Universität Wien gerade promovierten Germanistikstudenten Alcide De Gasperi auch »Partito Popolare Trentino« genannt.12 Nach der Einführung des allgemeinen Wahlrechts 1907 entfielen sieben der neun Mandate aus dem Trentino im Wiener Reichsrat auf sie.13 Zum Sprachrohr der Partei wurde immer mehr der junge De Gasperi, der nach seinem Studienabschluss die Leitung ihres Organs »La voce cattolica« übernahm, das er in »Il Trentino« umbenannte und bis zum Kriegseintritt Italiens gegen Österreich-Ungarn Ende Mai 1915 herausgab.14 »Wir wollen keine kirchliche, sondern eine soziale und besonders wirtschaftliche Politik«, schrieb De Gasperi in seinen Privatnotizen während der Wahlkampagne für den Reichsrat 1911, für den er gemeinsam mit sechs anderen Politikern der Volkspartei aus dem Trentino zum Abgeordneten gewählt wurde.15 Mit De Gasperi betrat auch der bedeutendste Vertreter des Sozialismus in Trient, der Geograf Cesare Battisti, zum ersten Mal das Wiener Parlament, während der Bürgermeister von Rovereto, Valeriano Malfatti, der bereits seit mehr als einem Vierteljahrhundert dem Abgeordnetenhaus angehörte und der letzte verbliebene Liberale aus dem Trentino war, in seiner Funktion bestätigt wurde.16 Die Beziehungen zwischen Sozialisten und Liberalen, die das gemeinsame Ziel verfolgten, die Überlegenheit der Volkspartei zu durchbrechen, waren im Trentino weniger konfliktbeladen

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als im Küstenland. In der Alpenregion gab es kein modernes Industrieproletariat, und die sozialistische Partei war deshalb als Arbeiterpartei nur schwach ausgeprägt. Dazu waren die Trentiner Sozialisten der nationalen Frage gegenüber sehr aufgeschlossen und wurden mehr vom italienischen Sozialismus als von den Gedanken des Austromarxismus beeinflusst.17 Die Nationalliberalen identifizierten sich dagegen mit den gemäßigten Positionen, die im Reichsrat von Valeriano Malfatti vertreten wurden. Auch diejenigen unter ihnen, die nationalistische Gedanken ausdrückten, bezogen zur Abspaltung des Trentino von Österreich keine Stellung. In Triest sah die politische Lage ganz anders aus. Hier teilte sich der italienische Konsens zwischen der nationalliberalen und der sozialistischen Partei, also zwischen einer italienisch-nationalen und einer internationalistischen Partei. An den Reichsratswahlen 1907 wurde erstere durch zweitere besiegt, und die vier italienischen Mandate aus Triest entfielen zur Gänze auf die Sozialisten. Bei den letzten Parlamentswahlen der Monarchie 1911 teilten sich die Mandate auf zwei Sozialisten und zwei Liberale auf. Aber im Triestiner Landtag, der aufgrund der Sonderstellung der Stadt identisch mit dem Stadtrat war und wo weiter nach dem alten Kurienwahlrecht gestimmt wurde, blieben die italienischen Nationalliberalen auch 1913 die stärkste Fraktion.18 Ihr politisches Programm beruhte auf der einfachen Formel der Verteidigung des »nationalen Besitzstandes« und der Erhaltung des alten politischen, sprachlichen und wirtschaftlichen Gleichgewichts im Territorium. Durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes wurden die Nationalliberalen in zweifacher Hinsicht alarmiert  : Nicht nur ihre nationale Position schien durch die Slowenen gefährdet, sondern auch der Aufstieg der modernen Massenparteien, insbesondere der sozialistischen Partei, war ihnen ein Dorn im Auge.19 Im Gegensatz zu den Nationalliberalen, die auf der Verteidigung des italienischen Charakters der Stadt Triest beharrten, plädierten die Sozialisten für das Prinzip der Anerkennung der gleichen Rechte aller in Triest lebenden Nationalitäten. Sie akzeptierten den politisch-institutionellen Rahmen, in den Triest eingebunden war und werteten ihn als positive Realität. Sie orientierten sich an den Reformvorstellungen der cisleithanischen Reichshälfte, die 1899 auf dem Brünner Parteitag vorgetragen worden waren und die Umwandlung Österreichs in einen »demokratischen Nationalitätenbundesstaat« vorsahen. Im Unterschied zu den Sozialisten im Trentino standen sie in enger Verbindung zur österreichischen Sozialdemokratie und besonders zur Parteizentrale in Wien. Ihr Parteisekretär Valentino Pittoni, die repräsentativste Figur des Triestiner Sozialismus, war einer der einflussreichsten italienischen Abgeordneten im Wiener Parlament, in das er 1907 gewählt und 1911 in seiner Funktion bestätigt wurde.20 In der säkularisierten Hafenstadt war die katholische Partei eine kaum ins Gewicht fallende Kraft, ganz im Gegenteil zum östlichen Friaul, wo die 1906 gegründete »Unione cattolica popolare del Friuli« die dominierende Partei war, gefolgt von den

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Nationalliberalen, die in der Gemeinde Görz die Mehrheit hatten, und von den Sozialisten.21 Die Ursprünge und Entwicklungen der katholischen Volkspartei im Friaul waren denjenigen der Volkspartei im Trentino in vieler Hinsicht ähnlich. Die prominenteste Figur in der Partei war der Priester Luigi Faidutti, der gleichzeitig auch Organisator und graue Eminenz der Genossenschaften und der Raiffeisenbanken in der Isonzo-Region war.22 Faidutti, der 1913 vom Kaiser zum Landeshauptmann von Görz und Gradiska ernannt wurde, saß seit 1907 im Wiener Reichsrat. Mit ihm wurden ein zweiter Vertreter der katholischen Partei und ein Liberaler gewählt. Dieses Wahlergebnis wurde 1911 bestätigt. Der zweite katholische Abgeordnete war der in Zara/ Zadar geborene Giuseppe Bugatto, der in Graz Jura studiert hatte und als Beamter im Ministerium für Kultus und Unterricht in Wien tätig war. Wie De Gasperi setzte sich Bugatto im Reichsrat für die Errichtung einer italienischen juridischen Fakultät in Wien ein.23 Er war auch ein überzeugter Vertreter der italienischen Minderheit in Dalmatien, die keinen eigenen Abgeordneten im Parlament stellte. Weniger stark war dagegen die politische Präsenz der italienischen Katholiken in Istrien, wo die Nationalliberalen sowohl in Pola/Pula, der zweiten Hafenstadt der Monarchie, als auch in Parenzo/Poreč überwogen. Im Wiener Parlament entfielen die drei italienischen Mandate aus Istrien auf die Nationalliberalen Lodovico Rizzi und Vittorio Candussi-Giardo und auf den Vertreter der Volkspartei Pietro Spadaro.24 II. Die österreichischen Italiener und der Irredentismus Jahrhundertelang standen das Trentino und ein großer Teil des Küstenlandes in einem politisch-wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem deutschsprachigen Raum – zuerst innerhalb des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und nach dem Wiener Kongress innerhalb des Habsburgerreiches. Die plurinationale Staatsstruktur beider Reiche stützte sich auf den traditionellen mittel- und osteuropäischen Nationenbegriff – jenen der Sprach- und Kulturnation, also den einer durch gemeinsame Sprache und kulturelle Tradition verbundenen Gruppe von Menschen. Erst infolge der napoleonischen Kriege fasste der westeuropäische bzw. französische Begriff einer Staatsnation in weiteren Teilen Europas Fuß und gefährdete immer mehr die Existenz der plurinationalen Habsburgermonarchie. Das erst 1861 entstandene Königreich Italien war eine Staatsnation, für ihre irredentistischen Staatsbürger eine »un­fertige« Nation, für deren politische Einheit die »unerlösten Gebiete«, d. h. das Trentino und Triest, noch fehlten. Diese Tatsache hätte sich für die Zukunft der Donaumonarchie schicksalhaft erwiesen, denn der Irredentismus – jene politische Bewegung, die nach der Einverleibung der noch nicht »erlösten Gebiete« strebte – beeinflusste die politischen Beziehungen zwischen Italien und Österreich-Ungarn und betraf auch

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die Innen­politik der Habsburgermonarchie, indem er das Nationalitätenproblem in beiden Gebieten verschärfte.25 Man sollte jedoch das Gewicht des italienischen Irredentismus für die innenpolitischen Entwicklungen in beiden Gebieten am Vorabend des Krieges nicht überschätzen. Im politischen Leben der österreichischen Italiener, die hauptsächlich mit den Begriffen der Sprach- und Kulturnation vertraut waren, spielte die sich verschärfende nationale bzw. nationalistische Konfrontation mit den benachbarten österreichischen Nationalitäten – im Trentino mit den Deutschen (Tirolern) und im Küstenland mit den Slowenen und Kroaten  – eine viel wichtigere Rolle als die Entstehung des italienischen Nationalstaates, obwohl dieser ihre eigene Nationalität vertrat und eine gewisse Faszination auf sie ausübte. Gerade die zugespitzte Konfrontation verstärkte das Zugehörigkeitsgefühl zur italienischen Kulturnation und ließ beide Regionen zu ständigen, wenn auch nur latent schwelenden Konfliktgebieten werden. Gleichzeitig waren das Trentino und das Küstenland aber auch Gebiete, in denen sich die verschiedenen Nationalitäten aus der Nähe kannten.26 Die Zugehörigkeit zur Habsburgermonarchie wurde nicht in Frage gestellt  ; nur kleine minderheitliche politische Gruppierungen von »italianissimi«, zu denen Intellektuelle und Politiker wie Cesare Battisti im Trentino oder Ruggero Timeus in Triest zählten, sprachen sich auf irredentistische Art für die Abspaltung von der Monarchie aus, um sich an Italien anzuschließen. Erst allmählich und am Ende des Weltkonfliktes erfolgte die »Bekehrung« der meisten Trentiner und Triestiner in diesem Sinne. Loyal zur österreichischen Regierung und prononciert autonomistisch im Sinne der Behauptung der »italianità« der Trentiner war die katholische Volkspartei, zu deren führenden Persönlichkeiten Alcide De Gasperi gehörte. De Gasperi war zutiefst davon überzeugt, dass die italienische Sprache, Kultur und Tradition auch innerhalb des institutionellen Rahmens der Monarchie geschützt und aufgewertet werden könne.27 Gerade seine Position gegenüber der langwierigen italienischen Universitätsfrage hilft zu verstehen, wie sich De Gasperi mit der nationalen Frage und dem Irredentismus auseinandersetzte.28 In seiner zweiten Rede im Reichsrat sprach er sich entschieden für die Errichtung einer italienischen juridischen Fakultät in Wien aus  : »Man hat gesagt, die Fakultät wird der Heranbildung der irredentistischen Intelligenz dienen. Im Gegenteil, meine Herren, nicht die Fakultät, sondern die Fakultätsfrage schafft und verschärft die Erbitterung in unserer Jugend. […] Will man aber damit vielleicht sagen, dass die Fakultät nur die Kadettenschule unserer Bourgeoisie sein wird, so liegt auch dieser Behauptung eine krasse Unkenntnis unserer Verhältnisse zugrunde. Gerade das Gegenteil ist wahr. Die Söhne unserer Bourgeoisie besitzen auch jetzt die Mittel, sich anderen Studien zu widmen, entweder in Rom, Florenz, Leipzig oder Berlin zu studieren. Die Fakultät dagegen soll auch den Bauernsöhnen die Möglichkeit bieten, billig und bequem in der eigenen Heimat zu studieren. Wer also gegen die Fakultät ist,

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ist nicht gegen die sogenannte Irredenta, sondern sündigt an den Söhnen eines Volkes, welches nach der bekannten Aussprache unseres Kaisers selbst […] österreichischer gesinnt ist als man glauben könnte.«29 In derselben Rede erklärte De Gasperi den Unterschied zwischen dem » allgemeine[n] und geschichtlich begründete[n] Irredentismusbegriff«, der »nichts Anderes als ein Korrollarium des nationalistischen Prinzips, welches nur einheitlich nationalgebildete Staaten annimmt« sei, und dem ganz unterschiedlichen, für ihn positiven »Gefühl der geistigen Kulturgemeinschaft mit unserer italienischen Nation, [der] Begeisterung für unsere Geschichte und für unser Volkstum«, das sich auch innerhalb eines multinationalen Staatensystems hätte weiter entwickeln können  : »Ein solches Gefühl und ein solches Bewusstsein ist es, das uns die Kraft einflößt, uns unguibus et rostris zu wehren gegen jeden Versuch, unseren nationalen Besitzstand und unser Recht zur nationalen Entwicklung anzutasten.«30 Als De Gasperi von »produktiver Nationalpolitik« und von »positivem Nationalbewusstsein« – beide Begriffe hatten für ihn mit dem Irredentismus gar nichts zu tun – in seiner Zeitung schrieb, meinte er, dass die italienische Nationalität im Trentino vor der Vermehrung und der Verschärfung der Germanisierungsversuche seitens des Tiroler Volksbundes in »einer autonomen und von Tirol abgespalteten Regierungsform«, aber innerhalb der Monarchie hätte geschützt werden können.31 »Die Volksbundrichtung schafft den Irredentismus, um den Anschein einer Existenzberechtigung zu gewinnen […], um unseren nationalen Widerstand zu erschweren.«32 Im Gegensatz zu De Gasperi, der in seiner Rede die Vorteile einer italienischen Universität nicht nur für die österreichischen Italiener, sondern auch für Österreich beweisen wollte, wandte sich der Trentiner Sozialist Cesare Battisti entschieden gegen den Vorschlag, eine italienische Universität in Wien einzurichten. Dazu äußerte er sich einen Tag vor De Gasperi im Parlament  : »Der Glaube, daß man für die Kultur der italienischen Studenten auch in einem deutschen Gebiet ernstlich sorgen kann, ist so trügerisch wie der Glaube, daß man die Palme auf den Alpen oder die Tanne in der Wüste anbauen könnte. Die Wissenschaft hat ohne Zweifel einen universalen Charakter  ; aber der nationale Geist ist der besondere Faktor, welcher die Methode und Grenzen bestimmt, in welchen das Studium der wissenschaftlichen Probleme möglich ist. Und unser Genius, unsere Geschichte, unsere Überlieferung sind total verschieden von denen der nördlichen Völker. […] Der einzige annehmbare Sitz für eine italienische Universität ist, da die deutschen Städte nicht in Frage kommen, nur Triest. Ebenso wenig maßgebend sind die kleinen italienischen Städte, in welchen es an jedem Kulturvermögen fehlt.«33 Battistis politische Ideenwelt, zu deren wichtigsten Komponenten der Sozialismus und der Irredentismus zählten, hatte sich vornehmlich in Italien geformt, wo er studiert hatte.34 Schon vor Kriegsausbruch hatte er sich entschieden gegen das Weiterbestehen des österreichischen Vielvölkerstaates ausgesprochen, ohne jedoch klare Vorstellungen für eine politische Neuordnung der

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österreichisch-ungarischen Territorien zu äußern.35 So sprach er im Juni 1914 im Innsbrucker Landtag, zu dem er zusammen mit De Gasperi gerade gewählt worden war  : »La patria in Austria non esiste. L’Austria è una bolgia infernale, nella quale le patrie si accavallano l’una sopra l’altra  : la più forte contende il terreno alla più piccola e non solo il suolo si contendono, ma anche la libertà che è pei popoli l’aria da respirare.«36 Auf einer Linie mit Battistis Rede lag eine frühere Rede des Trentiner Sozialisten Antonio Pischel auf dem Sozialistenkongress 1905 in Triest, wo er die Forderung aufstellte, dass das Trentino, wenn auch ohne kriegerische Gewalt, von Österreich getrennt werde.37 Die Positionen der Sozialisten aus dem Trentino und der italienischen Sozialisten aus dem Küstenland liefen stetig weiter auseinander, auch im Hinblick auf die Frage nach einer zukünftigen staatlichen und nationalen Ordnung in den betreffenden Gebieten. Auf demselben sozialistischen Kongress hatte sich der Triestiner Sozialistenführer Valentino Pittoni mehrfach gegen den Irredentismus geäußert. Er forderte die Distanzierung davon und betonte, dass der Hafen von Triest sich nur in Zusammenhang mit dem österreichischen Staats- und Wirtschaftsgefüge entwickeln könne. Auch ein weiterer Triestiner Sozialist, Edmondo Puecher, sah die Lösung des Nationalitätenproblems in Triest im Verzicht auf jeglichen Irredentismus sowohl von italienischer als auch von slawischer Seite.38 Das höchste Ziel der meisten Trentiner Sozialisten war der Anschluss an Italien. Die Triestiner Sozialisten planten hingegen eine föderalistische Umgestaltung der Habsburgermonarchie nach dem Parteiprogramm von Brünn. Für die Triestiner war jegliche Lösung im nationalstaatlichen Sinne undenkbar, weil sie in erster Linie davon ausgingen, die wirtschaftliche Bedeutung des Adriahafens zu erhalten und damit auch die Sicherheit der Arbeiterklasse in der Region.39 In seinem 1912 erschienenen Werk »Irredentismo adriatico« argumentierte auch der bekannte sozialistische Triestiner Journalist Angelo Vivante gegen einen Anschluss des Küstenlandes an das italienische Königreich,40 da er die Überzeugung vertrat, dass die wirtschaftliche Prosperität der Stadt nur durch das Verbleiben Triests innerhalb der Habsburgermonarchie gesichert werden könne. Triest könne seine wirtschaftliche Bedeutung nur dann behalten, wenn die Stadt weiterhin die Rolle eines Handelsknotenpunktes zwischen Mitteleuropa und dem östlichen Mittelmeer spielen würde. Würde Triest einmal an Italien fallen, so müsse es diese Rolle aufgeben, denn Italien hätte weder das Interesse noch die Kapazität, Triest im Rahmen seiner nationalen Wirtschaft in gleichem Maße als Handelsknotenpunkt zu nutzen.41 Außerdem analysierte Vivante den bizarren Dualismus von ökonomischem »austriacantismo« und politisch-kultureller »italianità« beim Triestiner Bürgertum, der auch die Ideen und das politische Programm der nationalliberalen Partei prägte. Auch hier waren zwei Seelen vereint  : die irredentistischen Mythen anhängende nationale Seele und die national weitgehend indifferente kommerzielle Seele.42 Auf der einen Seite war

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das Bewusstsein der vom Status einer geförderten Stadt abhängigen wirtschaftlichen Blüte Triests, auf der anderen entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders als Folge der sogenannten »slowenischen Bedrohung«, das italienische Nationalbewusstsein.43 III. Im Krieg Bereits lange vor Kriegsausbruch hatte De Gasperi die immer bedrohlicher werdenden Vorboten der europäischen Krise und die gleichzeitige Unzulänglichkeit des damaligen internationalen Systems zwischenstaatlicher Beziehungen wahrgenommen. Ohne genaue theoretische Entwürfe zu fixieren, erwähnte er die Notwendigkeit, ein übernationales Bündnissystem für eine konkrete Zusammenarbeit zwischen den Staaten zu gestalten. Dabei berief er sich auf eine oberste supranationale politische Behörde, die, wie im Mittelalter, die Schiedsfunktion des Papsttums hätte ersetzen können. In der Tat – schrieb er im Juli 1913 – könnten das »europäische Konzert« und die »Botschafterversammlung« als neue diplomatische Organisation die Funktion des Römischen germanischen Reiches übernehmen, als allerhöchste und oberste zivile Behörde, die den Nationen auch die höchste Autonomie gewähren könnte.44 Dieses Vorbild eines übernationalen Systems hätte in De Gasperis politischer Anschauung über den Ersten und den Zweiten Weltkrieg hinaus fortbestanden. Nachdem sich De Gasperis Erwartung eines Kriegseintritts Italiens an der Seite der Dreibundpartner nicht erfüllt hatte, hoffte er zumindest auf die Beibehaltung der italienischen Neutralität, die drei Tage nach Österreichs Kriegserklärung an Serbien von der Regierung Antonio Salandra erklärt worden war. In den ersten Kriegsmonaten unternahm De Gasperi einige Informationsreisen in das Königreich Italien und gab Empfehlungen, wie man die italienische öffentliche Meinung zugunsten Österreich-Ungarns beeinflussen könnte. Dabei hatte er feststellen können, dass man in den an der Trentiner Grenze gelegenen Gebieten viel von einem österreichischen Angriff »phantasierte«, und dass die italienische Presse von der französischen Propaganda beherrscht war.45 Das entsprach auch der damaligen imperialistischen Ausrichtung der italienischen Außenpolitik, die in erster Linie, vor allem mit Blick auf ihre Interessen in Nordafrika, bessere Beziehungen zu Frankreich geknüpft hatte, zumal Frankreich seinerseits Interesse für den italienischen Binnenmarkt gezeigt hatte. Während sich einige österreichische Italiener wie De Gasperi, Bugatto, Faidutti und Pittoni weiter für die Interessen ihrer Wähler auf österreichischer Seite engagierten, trafen andere eine unterschiedliche Entscheidung und flohen nach Italien, wo sie ihre politische Tätigkeit fortsetzten. Untern diesen befand sich auch Cesare Battisti, der als demokratischer Interventionist auf der Seite der Entente eine lebhafte Kam-

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pagne für den Kriegseintritt Italiens gegen Österreich führte und nach dem Kriegseintritt Italiens in italienischer Uniform kämpfte. In den Monaten der italienischen Neutralität vom August 1914 bis Mai 1915 blieb die Haltung der Bevölkerung im Trentino und im Litorale ruhig, auch wenn sich die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse schnell verschlechterten. Vor der Einberufung verhielten sich die österreichischen Italiener patriotisch  ; ihre Soldaten wurden meistens an der Ostfront in Galizien eingesetzt. Rund 60.000 Trentiner kämpften in österreichischer Uniform, während knapp 1.000 nach Italien flohen.46 In der italienischen Neutralität sah De Gasperi die einzige verbliebene Möglichkeit, die Kriegsfront vom Trentino und vom östlichen Friaul fernzuhalten, was nicht mehr möglich gewesen wäre, wenn Italien auf der Seite der Entente in den Krieg eingetreten wäre – wie es dann im Mai 1915 erfolgen sollte. Seit Kriegsbeginn wurden das Trentino und das Litorale zu Zielen der Verhandlungen zwischen dem neutralen Italien und seinen verbündeten Mittelmächten auf der einen Seite und Italien und den Entente-Mächten auf der anderen. Die italienische Regierung dachte schon damals nicht daran, die im Bündnis zugesagte wohlwollende Neutralität auszuüben. Bereits im August 1914 hatte der italienische Außen­minister Antonio di San Giuliano den Kriegseintritt gegen Österreich ernsthaft erwogen.47 Einerseits hielt es nämlich die Regierung Salandra für unmöglich, in einen Krieg gegen England einzutreten, das Italiens lange Küsten kontrollieren und seine Energieversorgung blockieren konnte. 1913 kamen 87 Prozent der italienischen Kohleimporte aus England, zum größten Teil auf dem Seeweg. Außerdem untersagte Großbritannien einige Tage vor der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn im Mai 1915 durch ein Dekret die Ausfuhr von Kohle an neutrale Staaten, weil es als kriegführendes Land selbst einen gesteigerten Bedarf an Kohle hatte und deshalb nur bereit war, ein im Krieg alliiertes Italien zu beliefern.48 Andererseits war Salandra unter dem Druck der italienischen Nationalisten entschlossen, die durch den Weltkrieg eröffneten Möglichkeiten außen- wie innenpolitisch auszuschöpfen, damit auch Italien eine Großmachtstellung im Konzert der europäischen Mächte erlangen könne. Um das zu erreichen, war nicht nur das Trentino, sondern auch das Litorale nötig, und das Litorale hätte man nur auf der Seite einer siegreichen Entente erhalten können.49 Wenn Salandra vor dem Kriegseintritt zur »Befreiung der unerlösten Gebiete« behauptete, dass sein Herz vor allem für Triest schlage, meinte er in Wirklichkeit nicht sein Herz, sondern die wirtschaftlichen Interessen Italiens und den Expansionsdrang in die Adria.50 Er war sich wohl auch dessen bewusst, dass die Trentiner »wenig Lust hatten, erlöst zu werden«.51 Die unsichere Zukunft des Trentino und des Litorale in der Zeit der italienischen Neutralität wurde in den politischen Kreisen der österreichischen Italiener wohl wahrgenommen. Im März 1915 besuchte der italienische Reichsratsabgeordnete De

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Gasperi den langjährigen Herausgeber der »Reichspost« Friedrich Funder, um ihn nach dem Wahrheitsgehalt der Gerüchte zu befragen, wonach die österreichische Regierung bereit sei, das Trentino nach Kriegsende an das Königreich Italien abzutreten. Und um deutlich zu machen, dass für ihn eine solche Absicht schwer vorstellbar sei, führte De Gasperi Funder gegenüber aus  : »Die Lage ist doch so  : 95 Prozent der italienischen Bevölkerung Südtirols neigt zufolge ihrer natürlichen Interessen zu Österreich, zu dem sie durch Jahrhunderte gehört hat. Sehen sie doch  : Unsere Lehrer, die unserem Volke ja doch viel zu sagen haben  ; sie, die aus österreichischen Schulen kommen, wissen, sie werden an ihren Schulen nicht bleiben, wenn Italien Südtirol erhält, sondern werden durch Reichsitaliener ersetzt werden. Unsere Bürgermeister haben keine Lust, die Gemeindeautonomie, die sie in Österreich besitzen, gegen die Rolle zu vertauschen, die ein Gemeindeoberhaupt in Italien hat. Und von unseren Pfarrern werden Sie nicht annehmen wollen, dass sie bisher nach Italien strebende Irredentisten waren, nach Italien, das immer noch im Konflikt mit dem Vatikan ist. Und die große Masse unseres Volkes, unsere Wein- und Obstbauern, die in Italien für ihren Markt wenig Hoffnungen haben und mit all ihren wirtschaftlichen Interessen an Österreich gebunden sind  ? Was habt ihr mit diesen Menschen vor  ?«52 Das Zitat zeigt deutlich, worin De Gasperi die Interessen und die Haltung der Mehrheit der Bevölkerung im Trentino gegenüber einer möglichen Abtretung an Italien sah. Funder offenbarte seinem Gesprächspartner die ihm aufgrund seiner engen Kontakte zu Regierungskreisen bekannte Wahrheit  – wozu die Regierung den Parlamentariern gegenüber nicht bereit war –, dass nämlich mit Italien und dem Druck ausübenden deutschen Bündnispartner tatsächlich Verhandlungen geführt wurden, in deren Verlauf der Ballhausplatz der italienischen Interpretation des in Artikel VII des Dreibundvertrages verankerten Kompensationsrechts immer mehr entgegen kam, um schließlich am 27. März 1915 formell die Bereitschaft zur Abtretung des Trentino als Gegenleistung für die Beibehaltung einer wohlwollenden Neutralität Italiens bis zum Kriegsende zu erklären. Aus Funders Erinnerungen wird die Enttäuschung De Gasperis über die ihm gemachte Eröffnung spürbar.53 Auch in Triest war man gegenüber einer eventuellen Übergabe an Italien skeptisch. Anfang April wurde aus Triest berichtet, dass »italien[ische] liberale Kreise, deren Sympathien für I[talien] früher keine Grenzen kannten, nunmehr der Möglichkeit einer Okkupation der Stadt seitens I[talien]mit sehr gemischten Gefühlen entgegensehen. Geschäftsleute befürchten geradezu ihren Ruin.«54 Das zeigt, wie sehr sich damals die Meinung der österreichischen Italiener von derjenigen der italienischen Regierung bezüglich des zukünftigen Status des Trentino und des Litorale noch unterschied. Die bedeutendste Wende in diesen von Italienern bewohnten Gebieten der Monarchie erfolgte Ende Mai 1915, als Italien Österreich-Ungarn den Krieg erklärte – ge-

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gen das Deutsche Reich sollte Italien erst ein Jahr später in den Krieg eintreten. Die österreichischen Italiener befanden sich nun im Krieg gegen Italien, gegen das Land, das ihre eigene Nationalität vertrat. Ihr Territorium wurde zur vordersten Kriegsfront, mit all ihren dramatischen Folgen. Der Argwohn und das Misstrauen der österreichischen Behörden gegenüber der italienischen Bevölkerung verschärften sich nicht nur aufgrund der militärisch-strategischen Lage, sondern auch weil man eine Zuspitzung der irredentistischen Tendenzen befürchtete. Nach der Einberufung des Reichsrates am 30. Mai 1917 legte De Gasperi eine Interpellation an den österreichischen Ministerpräsidenten vor, in der er berichtete  : »Es war schon vor Kriegsausbruch bekannt, daß in den von Italienern bewohnten Gebieten Proskriptionslisten angelegt waren, nämlich Verzeichnisse von Personen, gegen welche als angeblich ›politisch Verdächtige‹ im Falle von kriegerischen Verwicklungen mit Italien Ausnahmeverfügungen getroffen werden sollen. Es wurde in der Tat unmittelbar vor dem Kriegsausbruche und nach demselben zu einer ganzen Reihe von Konfinierungen und Internierungen geschritten. Geistliche, Ärzte, Advokaten, Lehrpersonen, Grundbesitzer, Bauern und Gewerbetreibende, Männer und Frauen in jeder Klasse und jeden Alters wurden plötzlich ihren Familien und ihren Geschäften entrissen und ohne alle Rücksicht auf die ihnen oder der Bevölkerung hierdurch verursachten Nachteile sehr weit von ihrer Heimat verschleppt. […] Und doch lag gegen die Internierten in den allermeisten Fällen nichts Bestimmtes, keinerlei Gesetzwidrigkeit vor  ; […] es genügte, jemanden als verdächtig nationaler Gesinnung hinzustellen und gleich war die Wirkung da. […] Man schuf die berüchtigten Internierungslager, deren Geschichte zu den traurigsten Kapiteln dieses Krieges gehören wird.«55 Ein Fall erregte besonders Aufsehen  : der Hausarrest des Fürstbischofs von ­Trient Celestino Endrici im März 1916 und seine spätere Konfinierung nach Heiligenkreuz bei Wien. »Die Verfolgung des populären und um die Diözese hochverdienten Mannes, dem nicht einmal die Berufung auf seine kirchliche Stellung und auf das dies­bezüglich zwischen Staat und Kirche bestehende Verhältnis half, und welchem trotz der nachträglichen eifrigsten Nachforschungen über seine Amtstätigkeit und sein Privat­leben nichts Konkretes vorgeworfen werden konnte, hat in der ganzen Bevölkerung den denkbar schlechtesten Eindruck gemacht und verlangt gebieterisch sofortige Genugtuung.«56 Gerade aufgrund seiner engen Freundschaft mit Endrici und wegen seiner Reisen nach Italien in der Phase der italienischen Neutralität galt auch De Gasperi »als politisch unzuverlässig« und wurde im Auftrag des Kriegsüberwachungsamtes laufend beobachtet.57 1916 ordnete das Armeekommando Südwestfront an, ihn in Wien zu konfinieren und seine Korrespondenz mit Endrici und seinem Abgeordnetenkollegen Guido De Gentili zu unterbinden.58 De Gasperi befand sich aber seit Ende Juni 1915 bereits in Wien, wo er sich an der Tätigkeit des von der Großherzogin Maria Josepha

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und von Max Wladimir von Beck präsidierten Hilfskomitees für die Flüchtlinge aus dem Süden mit Inspektionsreisen in die Flüchtlings- und Internierungslager beteiligte.59 Im Herbst 1916 zeichneten sich auf internationaler Ebene zwei diplomatische Initiativen ab, die kurzfristige Friedensperspektiven eröffneten  : das Friedensangebot der Mittelmächte und das Gesuch des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson an die kriegführenden Mächte, ihre »war aims« bekannt zu geben und auf diese Weise den Beginn eines Dialogs über die Friedensperspektiven zu ermöglichen. Die Antwort der Entente auf Wilson traf im Jänner 1917 ein und enthielt verschiedene radikale Forderungen, die praktisch die Auflösung der Habsburgermonarchie bedeutet hätten  ; dadurch wollte die Entente einen für sie damals ungünstigen Kompromissfrieden verhindern.60 Gleich nach der Veröffentlichung der Note der Entente adressierte Faidutti in seiner Funktion als stellvertretender Präsident des Klubs der italienischen Volkspartei im Parlament und als Präsident der italienischen Volkspartei im Friaul ein Protestschreiben an den österreichisch-ungarischen Außenminister Ottokar Czernin, aus dem hervorgeht, dass sich die italienischen Katholiken, und besonders die aus dem Litorale, damals noch vollkommen mit der Habsburgermonarchie identifizierten  : »Eccellenza  ! La dichiarazione degli Stati nemici, che una delle premesse per la cessazione della guerra mondiale sia la liberazione degli italiani austriaci da una dominazione straniera, ha provocato nella popolazione italiana dell’Austria la più penosa sorpresa, unanime riprovazione. Gli italiani dell’Austria vivono da secoli sotto lo scettro degli Asburgo, e i loro legittimi rappresentanti non hanno mai in questo lungo tempo inscenato né tentato movimenti di separazione  ; una dominazione straniera non è dunque né storicamente data, né moralmente affermata. Straniera sarebbe per essi la dominazione d’uno Stato che sussiste da poco più che una generazione, il cui regime finora ha creato nei suoi propri paesi condizioni punto invidiabili. […] A Vostra eccellenza è noto con quanto disgusto, con quanta amarezza il nostro popolo nella sua totalità aveva appreso la notizia che per evitare una nuova guerra era stata trattata la cessioni di parti della nostra patria. […] Come allora un sospiro di liberazione passò nelle file del nostro popolo, quando l’imperatore afferrò la spada per recidere il laccio che ci minacciava, così anche oggi attendiamo una parola redentrice per poter respirare di nuovo liberamente, nella certezza che terra e genti di nostra razza […] saranno ripristinate […] entro il nesso dello Stato austriaco, uniti agli altri popoli dell’Europa centrale, che, nel loro centro d’unione, nell’Austria-Ungheria, sono predestinati dalla provvidenza divina a fondare il focolare domestico per la famiglia dei popoli uniti d’Europa. Lungi da noi il suggerimento di un distacco statale delle nostre terre, lungi da noi la parola mendace d’una redenzione di popoli.«61 Nur kurze Zeit danach, im Februar 1917, fand in Zürich eine Parlamentarierkonferenz statt, an der katholische Politiker aus der Schweiz, Deutschland, Österreich-

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Ungarn und Polen teilnahmen. Zweck der Versammlung war der Versuch, eine Art internationale katholische Union zu gründen, die am Ende des Krieges zum europäischen Wiederaufbau auf der Basis einer christlichen Weltanschauung hätte beitragen können. Die Initiative wurde »von einem prominenten Abgeordneten und italienischen katholischen Politiker« ergriffen  ;62 höchstwahrscheinlich handelte es sich dabei um Alcide De Gasperi. Die Initiative konnte damals nicht weiter entwickelt werden, wurde aber in der Zwischenkriegszeit wieder aufgenommen, jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg, auch dank des Beitrags De Gasperis, verwirklicht. Die Flüchtlingsfürsorge spielte bis zum Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der politischen Tätigkeit der meisten italienischen Abgeordneten in Wien. Nach der Einberufung des Reichsrates Ende Mai 1917 wurde De Gasperi zusammen mit ­Bugatto, Pittoni und Albino Tonelli zum Mitglied des parlamentarischen Flüchtlingsausschusses.63 In ihren Reden im Reichsrat tadelten die italienischen Abgeordneten immer wieder die Art und Weise, wie der österreichische Staat mit seinen italienischsprachigen Bürgern umging, sie unter Kollaborations- und Spionageverdacht stellte, zu Tausenden deportierte und in Lagern zusammenpferchte. »Der zweite Hauptfehler«, bemerkte De Gasperi am 12. Juli 1917 im Parlament, »der viel mehr als ein Fehler, der eigentlich ein Verbrechen war, ist aus demselben Geiste entsprungen, aus welchem die Evakuierung hervorgegangen ist  : das ist der Verfolgungsgeist. Man weiß ganz genau, zum Beispiel vom Trentino, daß mindestens 70 Prozent der evakuierten Bevölkerung nicht aus wirtschaftlichen Gründen und nicht aus rein militärischen Gründen, sondern aus gemischt-wirtschaftlichen Gründen, das heißt aus politischen Gründen [und] aus polizeilichen Gründen evakuiert wurde und sie wurde eigentlich nicht evakuiert – das ist ein euphemistisches Wort –, sondern verbannt.«64 Es verstärkte sich auch die Polemik der italienischen Abgeordneten gegen die autoritär-repressiven Methoden der Militärkommandos und sie wandten sich auch gegen die Regierung, die diese Methoden duldete. Wenn schon die Zeitungen und auch die private Korrespondenz den strengen Kontrollen der Zensur unterstanden, so dürften sich wenigstens die Abgeordneten in ihren Reden im Reichsrat frei ausdrücken. »Diese Tribüne ist die letzte freie Stätte«, bemerkte De Gasperi am Anfang einer weiteren Rede am 28. September 1917, »die uns nach der Unterdrückung jeder bürgerlichen Freiheit zu Hause geblieben ist, und andererseits wäre es schade, der Regierung den Vergleich zwischen den schönen Leitsätzen ihres Programms und der Praxis ihrer Lokal-, Militär- und Verwaltungsbehörden vorzuenthalten.«65 Die neue Einstellung der Trentiner Katholiken zur Habsburgermonarchie zeigte sich zum ersten Mal ganz offen im Mai 1918. Anlässlich des 50. Jahrestages der Eröffnung des Nationaltheaters in Prag waren feierliche Kundgebungen angekündigt worden. Es wurden auch Vertreter der nichtdeutschen und nichtmagyarischen Nationalitäten des Reiches eingeladen, darunter auch Vertreter der italienischen Min-

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derheit. Der Abgeordnete Enrico Conci nahm im Einverständnis mit den anderen Trentiner Abgeordneten an der Versammlung teil. Das Neue an dieser Versammlung, bei der eine eindeutig gegen die Habsburgermonarchie gerichtete separatistische Entschließung angenommen wurde, war die Präsenz der Trentiner Katholiken und der bis wenige Wochen zuvor noch regierungstreuen polnischen Parteien.66 In Prag war aber kein italienischer Abgeordneter aus dem Litorale anwesend  : Valentino Pittoni hatte die Einladung dazu ausdrücklich abgelehnt. Er beanspruchte das Verdienst um die Behauptung der italienisch-slawischen Solidarität für die adriatischen Sozialisten, bekundete aber gleichzeitig den Willen der italienischen und deutschen Sozialisten, sich nicht von den südslawischen und tschechischen Nationalismen leiten zu lassen, die auch nach nicht-slawischen Territorien strebten.67 Schon damals zeichneten sich die unterschiedlichen Positionen der Trentiner und der adriatischen Abgeordneten hinsichtlich der nationalen Frage und der davon abhängigen Zukunft ihres Landes ab. Noch kurz vor Kriegsende, Anfang Oktober 1918, war De Gasperi die Zukunft seines Landes nicht klar, obwohl er den Anschluss an Italien an und für sich nicht ablehnte  : »Ob das Trentino zu einem oder dem andern Staate gehören wird, das entscheiden nun einmal die Waffen. Wir ›Nichtkombattanten‹ können darauf keinen Einfluss nehmen […]. Warum erschöpfen nun die Regierungsorgane ihre kurzgemessenen Talente und ihre Zeit in der genauesten Vivisektion der Trentiner Psyche, warum fahnden sie überall nach unverlässlichen und verräterischen Gesinnungen […]  ? Wenn wir bald Frieden bekommen, so wird es sich entscheiden, wem dieses Land zukommt. Wenn es an Italien abgetreten wird, dann fürchten vielleicht die Herren Verfolger, daß sie auf diesem Gebiet noch nicht genug geleistet haben, um eine eherne Erinnerungstafel zu verdienen  ? Wenn aber alles beim alten bleibt, glauben Sie, später nicht die Kraft zu haben, mit dem eisernen Besen alles hinwegzufegen, was ihnen nicht passt  ?«68 Als die militärische Niederlage absehbar war, rief Kaiser Karl in seinem »Völkermanifest« vom 16. Oktober 1918 zur Bildung von Nationalräten auf, die am Umbau Österreichs in einen Bundesstaat mitwirken sollten. Für die »Stadt Triest samt ihrem Siedlungsgebiet … [wurde] den Wünschen ihrer Bevölkerung entsprechend« eine Sonderstellung vorgesehen.69 Die Friulaner Katholiken versammelten sich am 20. Oktober in Görz, begrüßten das von Ministerpräsident Max Hussarek von Heinlein unterschriebene Manifest mit Beifall und forderten die Bildung eines Nationalrates der Italiener in Österreich, in dem die Autonomie vom österreichischen Friaul hätte vertreten werden sollen sowie die Bildung eines engeren wirtschaftlichen Bündnisses zwischen Friaul und Triest.70 Die Triestiner Sozialisten, in erster Linie Valentino Pittoni, forderten hingegen für Triest und das Litorale das Selbstbestimmungsrecht mit dem Ziel, die Unabhängigkeit Triests auch gegen-

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über Italien beizubehalten. Triest hätte demzufolge unter den Schutz des Völkerbundes gestellt werden sollen.71 Als Rechtfertigung für diese Forderung nannten die Triesti­ner Sozia­listen die für Görz und Gradisca charakteristische Vermischung verschiedener Nationalitäten und die wirtschaftlichen Interessen Triests. Im Gegensatz dazu bildeten die Trentiner und Istrianer Katholiken sowie die Liberalen aus dem Trentino, aus Görz, Triest und aus Istrien unter dem Vorsitz von Enrico Conci zwar einen »Fascio Nazionale Italiano«, der sich jedoch nicht als Nationalrat im Sinne des Manifests verstand. Vielmehr sah er seine Aufgabe darin, den Anschluss der italienischen Gebiete der Monarchie an das Königreich Italien vorzubereiten. Am 25. Oktober 1918 verlas der Abgeordnete Conci vor dem Reichsrat eine Erklärung, in der er die Abspaltung der italienischen Gebiete von Österreich-Ungarn forderte  : »Namens des gestern errichteten Fascio Nazionale beehre ich mich, folgende Erklä­rung abzugeben. Wir erklären, es seien auf Grund der vom Präsidenten ­W ilson aufgestellten und von den Zentralmächten anerkannten und angenommenen Forderungen alle bisher der österreichisch-ungarischen Monarchie unterworfenen italienischen Gebiete, keines ausgenommen, als schon aus der territorialen Zugehörigkeit zu derselben virtuell ausgeschieden anzusehen, weshalb den italienischen Abgeordneten keineswegs die Aufgabe zufallen kann, mit der Regierung oder mit den Vertretern der gegenwärtig unter österreichischer Herrschaft befindlichen Nationalitäten zum Zwecke einer Neugestaltung des Staates in Verhandlung zu treten. Da die innerhalb der jetzigen Grenzen der Monarchie befindlichen italienischen Gebiete nunmehr als virtuell zum italienischen Staate gehörig anzusehen sind, legen wir insbesondere gegen die Ausnahmestellung Verwahrung ein, die nach den Intentionen der Regierung für die Stadt Triest geschaffen werden soll.«72 Von dieser Position distanzierten sich Pittoni und Bugatto in ihren gleich danach folgenden Wortmeldungen mit Entschiedenheit.73 De Gasperi, der als jüngster italienischer Abgeordneter zum Sekretär dieses »Fascio nazionale« berufen worden war, reiste gemeinsam mit Conci, Malfatti, Rizzi und Edoardo Gasser nach der Reichsratssitzung am 25. Oktober 1918 über die Schweiz nach Rom, wo sie die Verhandlungen über die zukünftigen Integrationsprobleme der »neuen Provinzen« mit der italienischen Regierung einleiteten. Bugatto und Faidutti blieben hingegen in Wien, wo sie sich weiter mit der Flüchtlingsfrage beschäftigten. Als sie Ende 1918 nach Görz zurück wollten, warf ihnen die italienische Behörde ihre Loyalität dem alten Regime gegenüber vor und verweigerte ihnen den weiteren Wohnsitz in ihrer Stadt. Pittoni verbrachte die ersten Jahre nach Kriegsende in Triest, um Mitte der 1920er Jahre wieder nach Wien zurückzukehren, wo er für die »Arbeiter-Zeitung« tätig wurde.

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Anmerkungen 1 Zur Zahl der italienischen Bevölkerung und ihrer sprachlich-ethnischen Zusammensetzung im Tren­ tino und im Küstenland siehe Umberto Corsini, Die Italiener, in  : Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 3/2  : Die Völker des Reiches, Wien 1980, 839–879, 847 und 850–853. Zahlenmäßig geringer als die Italiener waren nur Gruppen der Serbokroaten islamischer Religion in Bosnien-Herzegowina und der sprachlich nicht absorbierten Juden. Zu den Italienern in der Monarchie siehe auch Angelo Ara, Gli italiani nella monarchia asburgica, 1850–1918, in  : Rassegna storica del Risorgimento 85 (1998) 4, 435–450, jetzt auch in  : Angelo Ara, Fra nazione e impero. Trieste, gli Asburgo, la Mitteleuropa, Mailand 2009, 251–267  ; Angelo Ara, Gli austro-italiani e la Grande Guerra  : appunti per una ricerca, in  : Andreas Gottsmann (Hg.), Karl I. (IV.), der Erste Weltkrieg und das Ende der Donaumonarchie, Wien 2007, 119–145, 119–122. 2 Siehe dazu insbesondere Mauro Nequirito, La questione dell’autonomia trentina entro la Monarchia asburgica. Aspirazioni inattuabili e occasione mancate, in  : Maria Garbari/Andrea Leonardi (Hg.), Storia del Trentino, Bd. 5  : L’età contemporanea 1803–1918, Bologna 2003, 165–192  ; Siehe auch ­Richard Schober, Il Trentino durante il periodo di unione al Tirolo, 1815–1918, in  : Franco Valsecchi/ Adam ­Wandruszka (Hg.), Austria e province italiane. Potere centrale e amministrazioni locali (Annali dell’Istituto storico italo-germanico 6), Bologna 1981, 177–212  ; Umberto Corsini, Problemi politicoamministrativi del Trentino nel nesso provinciale tirolese, 1815–1918, in  : Valsecchi/Wandruskzka, ­Austria e province italiane, 213–257  ; Richard Schober, L’idea del federalismo e dell’autodeterminazione nella storia del Tirolo, in  : Maria Garbari/Davide Zaffi (Hg.), Autonomia e federalismo nella tradizione storica italiana e austriaca, Trient 1996, 117–129, 123–124. 3 Ara, Gli italiani nella monarchia, 257–258  ; Ernesto Sestan, Centralismo, federalismo e diritti storici nell’ultimo mezzo secolo (1868–1918) della Monarchia asburgica, in  : Valsecchi/Wandruszka (Hg.), Austria e province italiane, 301–330, 319. 4 Maria Garbari, Der Irredentismus in der italienischen Historiographie, in  : Angelo Ara/Eberhard Kolb (Hg.), Grenzregionen im Zeitalter der Nationalismen. Elsaß-Lothringen/Trient-Triest, 1870–1914 (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 12), Berlin 1998, 25–53, 45 (italienische Ausgabe  : Regioni di frontiera nell’epoca dei nazionalismi. Alsazia e Lorena/ Trento e Trieste 1870–1914  – Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento 41, Bologna 1995). Zur politischen Tätigkeit der Abgeordneten aus dem Trentino im Wiener Reichsrat siehe Ilaria Ganz, La rappresentanza del Tirolo italiano alla Camera dei deputati di Vienna. 1861–1914, Trient 2001. 5 Siehe dazu Davide Zaffi, Die deutschen nationalen Schutzvereine in Tirol und im Küstenland, in  : Ara/ Kolb, Grenzregionen, 257–284  ; Davide Zaffi, L’associazionismo nazionale in Trentino (1849–1914), in  : Garbari/Leonardi, Storia del Trentino, 225–263  ; Diego Redivo, Le trincee della nazione  : cultura e politica della Lega nazionale (1891–1915), in  : Diego Redivo, Lo sviluppo della coscienza nazionale nella Venezia Giulia (Civiltà del Risorgimento 91), Udine 2011, 219–281. 6 Corsini, Die Italiener, 876–877. Zu den Genossenschaften siehe Andrea Leonardi, La cooperazione. Da un esordio difficile a uno sviluppo prorompente, in  : Garbari/Leonardi, Storia del Trentino, 779–815  ; Andrea Leonardi, Risparmio e credito in una regione di frontiera. La cassa di risparmio nella realtà economica trentina tra XIX e XX secolo, Rom–Bari 2000. 7 Andrea Leonardi, Dal declino della manifattura al lento e contrastato affermarsi dell’industria, in  : Garbari/Leonardi, Storia del Trentino, 597–653  ; Andrea Leonardi, Un settore in lenta ma radicale evoluzione. Il terziario, in  : Garbari/Leonardi, Storia del Trentino, 665–744. Zum Tourismus vornehmlich der Kurorte im Trentino siehe auch Paolo Prodi/Adam Wandruszka (Hg.), Il luogo di cura nel tramonto

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della monarchia d’Asburgo. Arco alla fine dell’Ottocento (Annali dell’Istituto storico italo-germanico 43), Bologna 1996.  8 Angelo Ara/Claudio Magris, Triest. Eine literarische Hauptstadt in Mitteleuropa, München–Wien 1987, 136–150 (italienische Ausgabe  : Trieste. Un’identità di frontiera, Turin 1982)  ; Renate Lunzer, Triest. Eine italienisch-österreichische Dialektik, Klagenfurt 2002, 28 (italienische Ausgabe  : Irredenti redenti. Intellettuali giuliani del ’900, Triest 2009).   9 Stefan Wedrac, »Das Wohl des Staates ist oberstes Gesetz«. Die Nationalitätenpolitik der staatlichen Verwaltung in Triest zu Beginn des Ersten Weltkrieges, in  : Heeresgeschichtliches Museum Wien (Hg.), Der Erste Weltkrieg und der Vielvölkerstaat (Symposium 4. November 2011), Wien 2012, 69–82, 70– 72. 10 Siehe dazu Marina Cattaruzza, Die Migration nach Triest von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg, in  : Ferenz Glatz/Ralph Melville (Hg.), Gesellschaft, Politik und Verwaltung in der Habsburgermonarchie 1830–1918, Stuttgart 1987, 273–304, 274–275. 11 Vgl. Angelo Ara, Italiani e sloveni nel Litorale austriaco 1880–1918, in  : Rivista Storica italiana 113 (2001) 2, 397–412  ; jetzt auch in  : Ara, Fra nazione e impero, 303–316  ; Angelo Ara, Einleitung, in  : Ara/ Kolb, Grenzregionen, 7–11. Zur Geschichte der italienischen Minderheit in Dalmatien am Ausgang der Monarchie siehe Luciano Monzali, Italiani di Dalmazia. Dal Risorgimento alla Grande Guerra, Florenz 2004, 275–313  ; Johannes Kalwoda, Dalmatien – die vernachlässigte Provinz zwischen den Fronten, in  : Heeresgeschichtliches Museum Wien, Der Erste Weltkrieg, 83–140. Zur Markgrafschaft Istrien unter besonderer Berücksichtigung des Zentralkriegshafens Pola/Pula, wo sich der anhebende italienischslawische Nationalitätenkonflikt mit den Machtinteressen der K. u K. Kriegsmarine verquickte, siehe Frank Wiggermann, K. u. K. Kriegsmarine und Politik. Ein Beitrag zur Geschichte der italienischen Nationalbewegung in Istrien (Studien zur Geschichte der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 28), Wien 2004. Zur multiethnischen Stadt Fiume/Rijeka unter ungarischer Regierung mit einer mehrheitlich italienischen Bevölkerung siehe Ilona Fried, Fiume città della memoria 1868–1945 (Civiltà del Risorgimento 74), Udine 2005, 27–211. 12 L’assemblea dell’ »Unione Politica«, La Voce Cattolica, 13.12.1905, 1  ; veröffentlicht auch in  : Alcide De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/1  : Elena Tonezzer/Mariapia Bigaran/Maddalena Guiotto (Hg.), Alcide De Gasperi nel Trentino asburgico, Bologna 2006, 392–393. Siehe auch Giorgio Vecchio, De Gasperi e l’Unione Politica Popolare nel Trentino (1904–1914), in  : Alfredo Canavero/Angelo Moioli (Hg.), De Gasperi e il Trentino tra la fine dell’800 e il primo dopoguerra, Trient 1985, 509–592, 516–523. Zur politischen Tätigkeit De Gasperis im Trentino und in Österreich siehe Maddalena Guiotto, Un giovane leader politico fra Trento e Vienna, in  : Eckart Conze/Gustavo Corni/Paolo Pombeni (Hg.), Alcide De Gasperi. Un percorso europeo, Bologna 2005, 93–140  ; Maddalena Guiotto, Drei Protagonisten des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Alcide De Gasperi und seine Beziehungen zu Leopold Figl und Konrad Adenauer, in  : Michael Gehler/Maddalena Guiotto (Hg.), Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa. Ein Dreiecksverhältnis in seinen wechselseitigen Beziehungen und Wahrnehmungen von 1945/49 bis zur Gegenwart, Wien–Köln–Weimar 2012, 131–150, 132–134. 13 Zur Wahlreform und zu ihren politischen Folgen siehe Lothar Höbelt, Parteien und Fraktionen im cisleithanischen Reichsrat, in  : Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 7/2  : Verfassung und Parlamentarismus, Wien 2000, 895–1006, 970–979. 14 De Gasperi präsentierte die Zeitung als »Sprachrohr der Mehrheit seines Landes und als Organ der Volkspartei«. Il Trentino, Il Trentino, 17.3.1906, 1  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/1, 426. 15 De Gasperis Privatnotizen 1911, Austria II, Privatarchiv De Gasperi, Rom. Siehe auch Quello che ­vogliamo [Was wir wollen], Il Trentino, 15.5.1906, 2  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici,

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Bd. 1/1, 455–460. Für die Trentiner Volkspartei wurden außerdem Enrico Conci, Germano De Carli, Baldassare Delugan, Guido De Gentili, Rodolfo Grandi e Albino Tonelli gewählt bzw. bestätigt. Vgl. Guiotto, Un giovane leader politico, 132. 16 Zu Cesare Battisti im Reichsrat siehe Angelo Ara, Governo e Parlamento in Austria nel periodo del mandato parlamentare di Cesare Battisti, in  : Atti del convegno di studi su Cesare Battisti, Trient 1979, 153–163. Zur politisch-parlamentarischen Tätigkeit Valeriano Malfattis siehe Ganz, La rappresentanza del Tirolo italiano, 105–194. 17 Marina Cattaruzza, Italienische Sozialisten in Österreich, in  : Ara/Kolb, Grenzregionen, 227–255, 228– 231. Zur Geschichte der sozialistischen Bewegung im Trentino während der Zeit der Zugehörigkeit zu Österreich siehe Renato Monteleone, Il Movimento socialista del Trentino 1894–1914, Rom 1971. 18 Ugo Cova, Der Landtag der reichsunmittelbaren Stadt Triest und ihres Gebietes, in  : Rumpler/­ Urbanitsch, Die Habsburgermonarchie, Bd. 7/2, 1919–1949, 1945. 19 Wedrac, »Das Wohl des Staates ist oberstes Gesetz«, 73–74. 20 Siehe dazu Marina Cattaruzza, Sozialisten an der Adria. Plurinazionale Arbeiterbewegung in der Habsburgermonarchie, Berlin 2011 (italienische Ausgabe  : Socialismo adriatico. La socialdemocrazia di lingua italiana nei territori costieri della Monarchia 1888–1915, Manduria 1998)  ; Cattaruzza, Italienische Sozialisten, 231 und 237  ; Elio Apih, Valentino Pittoni tra Austria e Italia, in  : Elio Apih, Il socialismo italiano in Austria (Civiltà del Risorgimento 34), Udine 1991, 35–80  ; Arduino Agnelli, Socialismo triestino, Austria e Italia, in  : Leo Valiani/Adam Wandruszka (Hg.), Il movimento operaio e socialista in Italia e in Germania dal 1870 al 1920 (Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento 2), Bologna 1978, 221–280. 21 Vgl. Camillo Medeot, Panorama politico, in  : I cattolici isontini nel XX secolo, Bd. 1, Görz 1981, 29–40  ; Italo Santeusanio, Introduzione, in  : Italo Santeusanio (Hg.), L’attività del Partito cattolico popolare friulano negli ultimi venticinque anni (1894–1918), Görz 1990, XIII-LXI. 22 Paolo Caucig, Attività sociale politica di Luigi Faidutti (1861–1931), Udine 1977  ; Nino Agostinetti, L’attività dei cattolici isontini nel primo ventennio del Novecento (1900–1919), in  : I cattolici isontini, Bd. 1, 41–55  ; Santeusanio, L’attività del Partito cattolico popolare friulano, 9–28. 23 Santeusanio, L’attività del Partito cattolico popolare friulano, 51 und 64–65  ; Italo Santeusanio, ­Giuseppe Bugatto il deputato delle »Basse« (1873–1948), Udine–Görz 1985. 1907 war Francesco Marani der liberale Abgeordnete, 1911 Dionisio Ussai. 24 Siehe dazu Wiggermann, K. u. K. Kriegsmarine und Politik, 212 und 275–276. 25 Silvio Furlani/Adam Wandruszka, Österreich und Italien. Ein bilaterales Geschichtsbuch, hrsg. von Maddalena Guiotto/Stefan Malfèr, 2. überarbeitete Auflage, Wien 2002, 169. 26 Angelo Ara, Einleitung, in  : Ara/Kolb, Grenzregionen, 7–11. 27 Gabriele De Rosa, Prefazione, in  : Alcide De Gasperi, I cattolici trentini sotto l’Austria (Politica e Storia delle Edizioni di Storia e Letteratura 9), Rom 1964, Bd. 1, VII-XXXI. Zum Begriff der »Italianità« siehe Gualtiero Boaglio, Italianità. Eine Begriffsgeschichte, Wien 2008. 28 Zur italienischen Universitätsfrage siehe Adalbert Schusser, Zur Entwicklung der italienischen Universitätsfrage in Österreich (1861–1918). Untersuchungen über das Verhalten von Regierung und Parlament zur Schaffung einer italienischen Rechtsfakultät, phil. Diss., Wien 1972  ; Angelo Ara, La que­ stione dell’università italiana in Austria, in  : Angelo Ara, Ricerche sugli austro-italiani e l’ultima Austria, Rom 1974, 9–140. 29 Rede De Gasperis am 25.10.1911 im Haus der Abgeordneten, Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates (StPAH), 21. Session, 20. Sitzung, Wien 1861–1918, 1171–1173  ; auch in  : Alcide De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2  : Elena Tonezzer/Mariapia Bigaran/Maddalena Guiotto (Hg.), Alcide De Gasperi nel Trentino asbur-

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gico, Bologna 2006, 1895–1899, 1896. Nach vier Jahren hätte die Fakultät in eine italienische Stadt der Monarchie (Triest, Trient oder Rovereto) übersiedeln sollen  : Ara, La questione dell’università italiana, 105–121. 30 Rede De Gasperis am 25.10.1911, in  : StPAH, 21. Session, 20. Sitzung, 1171–1173, Hervorhebung im Original. 31 La coscienza nazionale positiva, Il Trentino, 17.3.1908, 2  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/1, 735–736. Siehe auch Umberto Corsini, La questione nazionale nel dibattito trentino, in  : Umberto Corsini, Problemi di un territorio di confine. Trentino e Alto Adige dalla sovranità austriaca all’accordo Degasperi-Gruber, Trient 1994, 91–144, 138  ; Guiotto, Un giovane leader politico, 115–121. 32 Rede De Gasperis am 8.10.1912 in der Delegation des Reichsrates in Budapest, Stenographische Sitzungsprotokolle der Delegation des Reichsrates, 46. Session, 9. Sitzung, 334–337  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2, 1910–1914, 1913–1914. 33 Rede Battistis vom 24.10.1911, in  : StPAH, 21. Session, 19. Sitzung, 1123–1127, 1125–1126  ; auch in  : Cesare Battisti, Scritti politici e sociali, hrsg. von Renato Monteleone, Florenz 1966, 337–347. 34 Vgl. Cattaruzza, Italienische Sozialisten, 233–241  ; Stefano Biguzzi, Cesare Battisti, Turin 2008, 11– 284  ; Ernesto Sestan, Cesare Battisti tra socialismo e irredentismo, in  : Atti del Convegno di Studi su Cesare Battisti, 13–56. 35 Cattaruzza, Italienische Sozialisten, 238. 36 »Die Heimat in Österreich existiert nicht. Österreich ist ein höllisches Durcheinander, in dem die Heimatländer sich übereinander türmen  : das Stärkste kämpft um den Boden des Kleinsten und sie kämpfen nicht nur um den Boden, sondern auch um die Freiheit, die für die Völker die Luft zum Atmen ist.« Rede Battistis vom 12. Juni 1914, Stenographische Berichte des Landtages für die gefürstete Grafschaft Tirol, 1. Session, 7. Sitzung, 64. 37 Cattaruzza, Italienische Sozialisten, 245. 38 Angelo Ara, Triest  – eine mitteleuropäische Stadt im Rahmen der Krise Mitteleuropas, in  : Andreas Moritsch (Hg.), Alpen–Adria. Zur Geschichte einer Region, Klagenfurt–Ljubljana–Wien 2001, 471– 484, 474. 39 Cattaruzza, Italienische Sozialisten, 245–246. 40 Angelo Vivante, Irredentismo adriatico. Contributo alla discussione sui rapporti austro-italiani, Florenz 1912, Neuauflage mit einer Einführung von Elio Apih, Triest 1984. 41 Ebd., 251–252. Siehe auch Elio Apih, La genesi di »Irredentismo adriatico«, in  : Apih, Il socialismo italiano, 101–144. 42 Lunzer, Triest, 28–31. 43 Ara, Triest – eine mitteleuropäische Stadt, 473. 44 Il turco ride [Der Türke lacht], Il Trentino, 9.7.1913, 1  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2, 1574–1575. 45 Bericht des Abg. Degasperi, Redakteur des »Trentino« an den Statthalter in Innsbruck über seine Informationsreise in Italien, 20.8.1914, Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Kriegsarchiv (KA), Kriegsüberwachungsamt (KÜA) 1914, Karton 5, 3180. Eine weitere Reise De Gasperis nach Rom fand im Oktober statt. Siehe dazu  : Resumé der vertraulichen Nachrichten aus Italien vom 14.10.1914, ÖStA, KA, Feldakten (FA), Armeeoberkommando (AOK), Evidenzbüro (Evb), Neue Akten (NA), Karton 3506. 46 Resumé der vertraulichen Nachrichten aus Italien vom 11.12.1914, vom 23.12.1914 und vom 26.12.1914, ÖStA, KA, FA, AOK, Evb, NA, Karton 3506. Zu den österreichischen Italienern an der Ostfront siehe Gianluigi Fait (Hg.), Sui campi di Galizia (1914–1917). Gli Italiani d’Austria e il fronte orientale  : uomini popoli culture nella guerra europea, Rovereto 1997, 237–392. Zum Krieg im Trentino und im Litorale siehe Sergio Benvenuti, Il Trentino durante la guerra 1914–1915, in  : Garbari/Leonardi, Storia

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del Trentino, 193–223  ; Lucio Fabi, Trieste 1914–1918. Una città in guerra, Triest 1996  ; Wiggermann, K.u.K. Kriegsmarine und Politik, 315–395. 47 Brunello Vigezzi, L’Italia di fronte alla Prima guerra mondiale, Bd. 1  : L’italia neutrale, Mailand 1966, 81–85. Siehe auch Maddalena Guiotto, L’Italia e la prima guerra mondiale. Dalla Triplice Alleanza al Patto di Londra, in  : Tirol vor und im 1.Weltkrieg. Der Erste Weltkrieg 1914–1918. Die Tiroler Front 1915–1918, Bozen 2005, 108–115, 114. 48 Presseresumé vom 1.6.1915, vom 10.6.1915 und vom 15.6.1915, ÖStA, KA, FA, AOK, Evb, NA, Karton 3521  ; Josef Muhr, Die deutsch-italienischen Beziehungen in der Ära des Ersten Weltkrieges (1914– 1922), Frankfurt am Main–Zürich 1977, 37–38. 49 Vgl. Sergio Romano, Der Irredentismus in der italienischen Außenpolitik, in  : Ara/Kolb, Grenzregionen, 13–24, 23–24. 50 Corsini, La questione nazionale nel dibattito trentino, 94. 51 Umberto Corsini, Il Trentino e l’Alto Adige nel periodo 3-11-1918 – 31-12-1922, in  : Corsini, Problemi di un territorio di confine, 145–257, 165. 52 Friedrich Funder, Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik, Wien 1952, 527. Siehe auch Friedrich Funders Brief an Giulio Andreotti, der sich mit der Bitte um nähere Informationen über das Gespräch für seine Biographie von De Gasperi an Funder gewandt hatte. ÖStA, Allgemeine Verwaltungsarchiv (AVA), Nachlass Friedrich Funder, E/1781/50–72, 293–294  ; Maddalena Guiotto, Alcide De Gasperi nella storiografia e pubblicistica austriaca, in  : Studi Trentini di Scienze Storiche LXXXIV Sezione I (2005) 2 Supplemento, 365–372, 371–372. Im damaligen Sprachgebrauch bezeichnete »Südtirol« das Gebiet des heutigen Trentino. 53 Funder, Vom Gestern ins Heute, 528. 54 Resumé der vertraulichen Nachrichten aus Italien vom 9.4.1914, ÖStA, KA, FA, AOK, Evb, NA, Karton 3521. Hervorhebung im Original. 55 Interpellation des Abgeordneten Dr. A. Degasperi und Genossen an Seine Exzellenz den Herrn Ministerpräsidenten bezüglich Verfolgung von als »politisch Verdächtige« bezeichneten Personen, vorgelegt am 6.6.1917 und erläutert am 12.6.1917, in  : StPAH, 22. Session, 4. Sitzung, 12.6.1917, 393–396  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2, 1928–1934. Die Interpellation wurde u. a. von Delugan, Conci, Pittoni, Giovanni Oliva, Malfatti, De Gentili, De Carli und Grandi unterschrieben. 56 Ebd., 1933. 57 Berichte über Alcide De Gasperi an das Kriegsüberwachungsamt vom 12.3.1916, vom 25.3.1916 und vom 31.3.1916, ÖStA, KA, KÜA 1916, Karton 120, 65205. 58 Beauftragung des Kriegsüberwachungsamtes bezüglich Konfinierung De Gasperis und De Gentilis im Juni 1916, ÖStA, KA, KÜA 1916, Karton 138, 75012. 59 Flüchtlingsfürsorge, in  : Neue Illustrierte Zeitung, Sondernummer, 15.12.1917. Einige der von De ­Gasperi verfassten Berichte über seine Inspektionsreisen in die Flüchtlingslager in Oberösterreich, Salzburg und Böhmen sind im Privatarchiv De Gasperis in Rom sowie im ÖStA, AVA, Ministerium des Innern, Präsidium erhalten und veröffentlicht in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2, 2022–2051. Siehe auch Alcide De Gasperi, I profughi in Austria, in  : Gino Marzani (Hg.), Il martirio del Trentino, Mailand 1919, 91–96  ; auch in  : Alcide De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 2/1  : Mariapia Bigaran/Maurizio Cau (Hg.), Alcide De Gasperi dal Partito popolare italiano all’esilio interno 1919–1942, ­Bologna 2007, 214–222. Zur Behandlung von Flüchtlingen siehe auch Hermann J. W. Kuprian, Flüchtlinge und Vertriebene aus den österreichisch-italienischen Grenzgebieten während des ersten Weltkrieges, in  : Brigitte Mazohl-Wallnig/Marco Meriggi (Hg.), Österreichisches Italien – Italie­ nisches Österreich  ? Interkulturelle Gemeinsamkeiten und nationale Differenzen vom 18. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Wien 1999, 737–751.

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60 Angelo Ara, L’Austria-Ungheria nella politica americana durante la prima guerra mondiale, Rom 1973, 13–17. 61 »Eure Exzellenz  ! Die Erklärung der Feindesstaaten, dass eine der Voraussetzungen für die Beendigung des Weltkrieges die Befreiung der österreichischen Italiener von der Fremdherrschaft sei, hat die schmerzlichste Überraschung bei der italienischen Bevölkerung und einstimmige Missbilligung hervorgerufen. Die österreichischen Italiener leben seit Jahrhunderten unter dem Habsburger Szepter und ihre legitimen Vertreter haben in dieser langen Zeit Bewegungen zur Abtrennung weder inszeniert noch versucht  ; eine Fremdherrschaft ist deshalb weder historisch gegeben noch moralisch vertretbar. Fremd wäre die Herrschaft eines Staates, der etwas mehr als eine Generation existiert, dessen Regime in den eigenen Landen keine beneidenswerten Zustände geschaffen hat. […] Eurer Exzellenz ist bekannt, mit wie viel Abscheu, mit wie viel Bitterkeit unser gesamtes Volk die Nachricht erhalten hatte, dass die Abtretung von Teilen unserer Heimat verhandelt wurde, um einen neuen Krieg zu vermeiden. […] Damals ging ein Seufzer der Befreiung durch die Reihen unseres Volkes, als der Kaiser das Schwert nahm um die Fesseln, die uns bedrohten, zu durchschneiden  ; so warten wir auch heute auf ein erlösendes Wort, um wieder frei atmen zu können, in der Sicherheit, dass das Land und die Leute unserer Sippe innerhalb des österreichischen Staates bleiben können […] geeint mit den anderen Völkern Mitteleuropas, die in ihrem Zentrum, in Österreich-Ungarn, von der göttlichen Vorsehung vorherbestimmt sind, den häuslichen Herd für die Familie der vereinten Völker Europas zu gründen. Weit entfernt von der Empfehlung der staatlichen Abtrennung unserer Gebiete, weit entfernt vom trügerischen Wort einer Erlösung der Völker.« Schreiben Faidutti an Czernin vom 25.1.1917, zit. nach Santeusanio, L’attività del Partito cattolico popolare friulano, XLIV–XLV. Zur Haltung der Trentiner Katholiken zu diesem Dokument siehe ebd., XLV und 131. 62 Guiotto, Un giovane leader politico, 140. 63 Protokolle des Flüchtlingsausschusses im Abgeordnetenhaus vom 6.7.1917, vom 28.7.1917, vom 5.10.1917, vom 9.10.1917, vom 12.11.1917, vom 19.11.1917, vom 2.10.1918 und vom 3.10.1918, 22. Session, Parlamentsarchiv Wien. 64 Rede De Gasperis am 12.7.1917 im Haus der Abgeordneten, in  : StPAH, 22. Session, 18. Sitzung, 915– 919  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2, 1944–1949, 1945. 65 Rede De Gasperis am 28.9.1917 im Haus der Abgeordneten, in  : StPAH, 22. Session, 25. Sitzung, 1325– 1329  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2, 1957–1962, 1957. 66 Corsini, Die Italiener, 877–878  ; Corsini, La questione nazionale nel dibattito trentino, 143  ; Ara, Gli austro-italiani e la Grande Guerra, 131–134  ; Leo Valiani, La dissoluzione dell’Austria-Ungheria, ­Mailand 1966, 405–407  ; Santeusanio, L’attività del Partito cattolico popolare friulano, XLIX. 67 Ara, Gli austro-italiani e la Grande Guerra, 133–134. 68 Rede De Gasperis am 4.10.1918 im Haus der Abgeordneten, in  : StPAH, 22. Session, 87. Sitzung, 4427– 4431  ; auch in  : De Gasperi, Scritti e discorsi politici, Bd. 1/2, 1985–1990, 1988. 69 Das Völkermanifest vom 16.10.1918, in  : Helmut Rumpler, Das Völkermanifest Kaiser Karls vom 16. Oktober 1918, Wien 1966, 90. 70 Santeusanio, L’attività del Partito cattolico popolare friulano, 132–133. 71 Ara, Gli austro-italiani e la Grande Guerra, 136–137. 72 Rede Concis am 25.10.1918 im Haus der Abgeordneten, in  : StPAH, 22. Session, 93. Sitzung, 4680. 73 Rede Pittonis am 25.10.1918 im Haus der Abgeordneten, in  : StPAH, 22. Session, 93. Sitzung, 4687– 4691  ; Rede Bugattos am 25.10.1918 im Haus der Abgeordneten, in  : StPAH, 22. Session, 93. Sitzung, 4691–4692.

Regina Wonisch

Tschechische Parteien in Wien

Die spezifische politische Situation der Wiener TschechInnen ist nur vor dem Hintergrund der Situation der böhmischen Länder in der Habsburgermonarchie zu begreifen. Die Niederlage der evangelischen böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg 1620 gegen die katholische Liga unter Ferdinand II. und die darauf folgende Entmachtung der böhmischen Stände, die Rekatholisierung des Landes sowie die Etablierung einer deutschsprachigen Elite wurden rückblickend als die nationale Katastrophe betrachtet. Die politische Auseinandersetzung war daher von drei Szenarien geprägt  : die zentralistische Herrschaft der Deutschen, eine Trennung zwischen Deutschen und Tschechen und die Vorherrschaft der Tschechen auf Grund alter ständischer Rechte und Privilegien, dem sogenannten »Böhmischen Staatsrecht«.1 Insbesondere auf letzteres beriefen sich konservative und nationale politische Gruppierungen in unterschiedlicher Auslegung im Ringen mit der habsburgischen Zentralmacht um mehr Autonomie. Das »nationale Erwachen« der Tschechen erfolgte im Gefolge jener bürgerlichen Bewegung, die 1848 zur Revolution führte.2 In dieser Zeit erlebte die tschechische Sprache, Literatur und Geschichtsschreibung einen enormen Aufschwung. Dabei war das wissenschaftliche Erkenntnisinteresse meist untrennbar mit politischen Forderungen verbunden.3 Aus dieser Nationalbewegung ging die Partei der Alttschechen (Staročeši) hervor, die in der habsburgischen Monarchie den einzigen Ausweg für die Entwicklung der tschechischen Nation im Rahmen der historischen Grenzen der böhmischen Länder sah. Der Adel unterstützte die konservative Partei, die für das »Böhmische Staatsrecht« eintrat, da er sich davon die Wiedererlangung seiner politischen und wirtschaftlichen Macht erhoffte. Als Ungarn als Belohnung für die Unterstützung im Krieg gegen Preußen durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich 1867 die Unabhängigkeit erlangt hatte,4 fühlten sich die Tschechen benachteiligt und forderten die Umwandlung der Doppelmonarchie in einen trialistischen Staat. Ministerpräsident Karl Siegmund von ­Hohenwart versuchte 1871 mit den sogenannten Fundamentalartikeln einen Ausgleich zwischen den böhmischen Ländern und der Regierung herzustellen. Der Kaiser verweigerte jedoch die Unterschrift, da insbesondere der ungarische Ministerpräsident Gyula Andrassy und deutschnationale Kräfte dagegen opponierten.5 Ministerpräsident Eduard Taaffe war ebenfalls um einen Ausgleich bemüht und arbeitete 1890 gemeinsam mit den Alttschechen ein Abkommen aus, das eine Teilung der meisten

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Einrichtungen wie Schulen und Gerichte nach Nationalität vorsah. Die Tatsache, dass Taaffe die mittlerweile erstarkte Partei der Jungtschechen (Mladočeši)6 von vornherein von den Verhandlungen ausgeschlossen hatte, provozierte jedoch deren ablehnende Haltung und führte letztlich zum Scheitern des Abkommens. Die Partei der Alttschechen wurde von jener der radikaleren Jungtschechen, die sich zwar ebenso auf das »Böhmische Staatsrecht« beriefen, aber eine weitergehende Föderalisierung und Demokratisierung der Habsburgermonarchie forderten, im Reichsrat abgelöst.7 Einen Höhepunkt fand die Auseinandersetzung im Streit um die Badenische Sprachverordnung von 1897, mit der Ministerpräsident Kasimir Badeni den deutschtschechischen Konflikt zu entschärfen suchte. Nach dieser Verordnung sollte auch in den mehrheitlich deutschsprachigen Gebieten in Böhmen und Mähren eine doppelsprachige Amtsführung eingeführt werden. Dies hätte jedoch für viele deutschsprachige Beamte bedeutet, dass sie durch zweisprachige tschechische Beamte ersetzt worden wären. Insbesondere Deutschnationale und Liberale sahen die Vormachtstellung der deutschsprachigen Bevölkerung in der cisleithanischen Reichshälfte bedroht und reagierten daher mit heftigem Widerstand. Nach Demonstrationen, Ausschreitungen und Obstruktionen von Parlamentssitzungen wurde der Erlass schließlich am 14. Oktober 1899 zurückgenommen.8 Folgt man der Einschätzung des Historikers Robert A. Kann, so hätte keine der Sprachverordnungen zur tatsächlichen Lösung des tschechisch-deutschen Konflikts beitragen können. Denn bei dieser Auseinandersetzung handelte es sich nur um ein Symptom und nicht um das eigentliche Problem. Selbst das vorbildlichste Sprachengesetz wäre ohne die politische Emanzipation der Tschechen im Rahmen der Habsburgermonarchie völlig bedeutungslos gewesen. Umgekehrt hätte die Aussöhnung zwischen den Tschechen und der Zentralmacht die Lösung der Sprachenfrage zu einem nachgeordneten Problem gemacht.9 So wenig man die massenpsychologischen Faktoren der Nationalitätenkonflikte leugnen kann, sie reichen keineswegs aus, um die zerstörerische Kraft des Nationalismus zu erklären. Die Auseinandersetzungen können nur vor dem Hintergrund der sozioökonomischen Strukturen des Reiches verstanden werden. Abgesehen von den Industriezentren in Böhmen, Mähren und Niederösterreich war und blieb die Habsburgermonarchie bis zum Ersten Weltkrieg ein Agrarland.10 Insbesondere die östlichen Gebiete der Monarchie waren von einer ständischen Agrargesellschaft mit kleinen Beamtenstädten geprägt, in der sich keine breite bürgerliche Schicht entwickeln konnte. Im Unterschied dazu entfaltete sich in Wien und Prag, den beiden politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Zentren der cisleithanischen Reichshälfte, eine ausgeprägte großstädtische und kapitalistische Kultur.11 Das Ungleichgewicht zwischen dem kleinen und mittleren Unternehmertum einerseits und dem Großkapital andererseits, das für die Übergangsphase zum Hoch-

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kapitalismus bezeichnend ist, konnte vor dem Ersten Weltkrieg nicht durch eine moderne industrielle Arbeitsteilung überbrückt werden. Dieses Spannungsverhältnis kam insbesondere innerhalb der böhmischen Länder zum Tragen, wo es zu einem Konkurrenzkampf zwischen den tschechischen Klein- und Mittelbetrieben und den von der deutschsprachigen Minderheit dominierten kapitalstarken Großunternehmen kam. Dass die Abhängigkeit vom »deutschen Kapital« nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter nationalen Gesichtspunkten als Problem empfunden wurde, führte zu jenen nationalistischen Ressentiments, die letztlich zum Zerfall der Monarchie beitrugen. Umgekehrt förderten tschechische Unternehmer die nationalen Bewegungen, um die Autarkiebestrebungen der tschechischen Wirtschaft zu stärken. Es gelang zwar nicht, die dominierende wirtschaftliche Position des deutschsprachigen Bürgertums zu unterlaufen, aber in der staatlichen Bürokratie gewannen die Tschechen zunehmend an Einfluss, da sich der akademische Nachwuchs insbesondere durch die Kenntnis beider Landessprachen auszeichnete. Ungeachtet der Bemühungen um Unabhängigkeit profitierte die tschechische Wirtschaft jedoch vom größeren Wirtschaftsraum der Monarchie, sodass selbst ausgesprochen nationalistisch gesinnte tschechische Politiker noch kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als sich die Nationalitätenkonflikte drastisch zuspitzten, für die Bewahrung des österreichischen Gesamtstaates eintraten.12 Diese disparate Wirtschaftsentwicklung in der Habsburgermonarchie spiegelte sich auch in der heterogenen Parteienlandschaft wider, in der sich neben den ständischen Klubs auch moderne Massenparteien entwickelten.13 I. Die politischen Organisationen der Wiener TschechInnen Der Fokus der konservativen und nationalen tschechischen Parteien auf das Gebiet innerhalb der historischen Grenzen der böhmischen Länder ließ nicht nur die SlowakInnen in der ungarischen Reichshälfte, sondern auch die nach Wien zugewanderten TschechInnen ins politische Abseits geraten.14 Dabei handelte es sich um eine nicht unbeträchtliche Zahl an ZuwanderInnen, stammten doch um 1900 von den zwei Millionen WienerInnen rund 500.000 aus Böhmen und Mähren. Im Zuge der Industrialisierung war es ab Mitte des 19. Jahrhunderts zu einer Massenmigration aus den verarmten ländlichen Gebieten in die industriellen und urbanen Zentren gekommen. Dabei handelte es sich anfangs vielfach um SaisonarbeiterInnen – »böhmische Schwalben« wurden sie genannt. Die meisten der ZuwanderInnen passten sich rasch an das großstädtische Milieu an, wenngleich der Assimilationsdruck seitens der Stadtregierung nicht unwesentlich dazu beitrug. Die Arbeiterschaft, die als größte Zuwanderungsgruppe in den städtischen Randlagen mehrheitlich unter sich blieb, konnte dem Anpassungsdruck am ehesten standhalten. Die geringere Durchmischung mit

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der ansässigen Bevölkerung und der anhaltende Zuzug an tschechischen ArbeiterInnen brachte es mit sich, dass insbesondere die sozialdemokratischen Organisationen vor der Herausforderung standen, die unterschiedlichen Sprachgruppen integrieren zu müssen. So machten sich Vertreter der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei auch für das Personalitätsprinzip – im Unterschied zum Territorialprinzip, wie es sich im »Böhmischen Staatsrecht« manifestierte – stark. Danach sollten alle EinwohnerInnen in nationale Kataster aufgenommen werden und unabhängig davon, wo sie innerhalb der Habsburgermonarchie lebten, ihre Gruppenrechte in Anspruch nehmen können. So formulierte der slowenische Sozialdemokrat Etbin Kristan 1898 in seinem Programm zur Föderalisierung der Habsburgermonarchie  : »Die Autonomie einer Nation ist keine, wenn sie nicht die gesamte Nation umfasst  ; die Gleichberechtigung des Čechen ist eine sehr zweifelhafte, wenn sie in Prag und Pilsen anerkannt wird, in Wien aber nicht.«15 Dass die Assimilationsbereitschaft der Wiener TschechInnen grundsätzlich hoch war, manifestierte sich in ihren Organisationsstrukturen. Es war die kulturelle Elite, die die ersten Vereine in den 1860er Jahren gründete. Mit der Slovanská Beseda (Slawisches Gespräch) sollte ein unpolitisches und gesamt-slawisches Zentrum geschaffen werden, an dem sich Vertreter des böhmischen Adels, Mitglieder des Reichsrats und der Böhmischen Akademie der Wissenschaften sowie Angehörige des Klerus treffen konnten.16 Auch die meisten Gewerbetreibenden engagierten sich kaum in nationalen Angelegenheiten, da sie, auf deutschsprachige KundInnen angewiesen, eine Beeinträchtigung ihrer geschäftlichen Aktivitäten infolge politischer Aktivitäten befürchteten. Ebenso suchte die Mehrzahl der tschechischen ArbeiterInnen in den tschechischen Vereinen vorrangig Geselligkeit und Unterhaltung. In der vielfältigen Vereinslandschaft gründete das Zusammengehörigkeitsgefühl der Wiener TschechInnen. Aber die Vereinigungen waren vor allem ein Strukturprinzip des gesellschaftlichen Lebens, das erst unter den Vorzeichen sozialer Bruchstellen in das nationale Spannungsfeld geriet.17 Dass den Wiener TschechInnen bis in die 1880er Jahre der kämpferische Nationalismus fehlte, zeigte sich an dem 1881 gegründeten Österreichischen Nationalitätenklub (Klub rakouských národností), der ersten überparteilichen politischen Organisation. Selbst der Gründer Jan Skrejšovský vertrat anfangs den Standpunkt, dass sich der Nationalitätenclub nicht als tschechischer, sondern als österreichischer Verein auf supranationaler Ebene konstituieren sollte. Das Ziel des Klubs war jedoch sehr unspezifisch  : es galt, breite Bevölkerungsschichten für nationale Angelegenheiten zu motivieren. Die überparteiliche Organisation fand nicht den gewünschten Zulauf, auch nicht als sie sich entgegen der ursprünglichen Intention zu einer tschechischen Organisation entwickelte.18 Als Sammelbecken der Kleingewerbetreibenden, Kleinhändler und Handwerker wechselte der Klub schließlich in den 1890er Jahren ins

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Lager der Jungtschechen über. Der Einfluss der Jungtschechen, die in wirtschaftlichen Fragen die Interessen des Handels und der Industrie vertraten, war bei den Wiener TschechInnen allerdings gering  : Obwohl der Aufstieg der Jungtschechen-Partei parallel zur Zuwanderung der TschechInnen nach Wien verlief, gab es nur eine einzige Niederlassung in Wien. Der Politische Verein der freisinnigen Wähler (Politický spolek svobodomyslných voličů) wurde 1899 gegründet – also zehn Jahre nachdem die Partei in Böhmen entstanden war – und ist 1910 letztmalig vermerkt.19 Die tschechischen Gewerbetreibenden organisierten sich auch in der 1904 gegründeten tschechischen Christlichsozialen Partei. Im Unterschied allerdings zu den Kronländern, wo die tschechischen Christlichsozialen keine Verbindung zu den deutschen Parteiangehörigen suchten, lehnten sich die tschechischen Christlichsozialen Niederösterreichs eng an die sogenannte Lueger-Partei an und wählten stets auch die deutschsprachigen Kandidaten.20 Das Nahverhältnis erklärt sich nicht zuletzt daraus, dass sich Parteiführer Karl Lueger von Anfang an mit Erfolg um die wirtschaftlichen Interessen des kleinen städtischen Mittelstandes kümmerte. Schließlich zählten 36 Prozent der Wiener Geschäftsleute und Gewerbetreibenden nicht zur deutschsprachigen Mehrheitsgesellschaft. Diese wirtschaftlichen Interessen ließen die offensichtlich tschechenfeindliche Politik von Bürgermeister Karl Lueger in den Hintergrund treten. Denn auf ihn ging der Erlass aus dem Jahr 1900 zurück, wonach TschechInnen einen Eid leisten mussten, den deutschen Charakter der Stadt Wien aufrechtzuerhalten, wollten sie nach zehnjähriger Aufenthaltsdauer das Bürgerrecht in Wien beantragen. Dies schloss jedoch nicht nur die Gründung tschechischer Vereine, sondern bereits die Mitgliedschaft in einem tschechischen Verein aus.21 Die Katholische Volkspartei (Katolicko-národní strana), die – abgesehen von den beiden Arbeiterparteien – als einzige Partei der böhmischen Länder in Wien bemerkenswerte Wahlergebnisse aufweisen konnte, punktete  – so Monika Glettler  – mit ähnlichen Werbemethoden wie die tschechischen Christlichsozialen  : mit Stellenvermittlung, beruflicher Förderung und Wohlfahrtsaktionen.22 Um 1900 wurde erneut eine überparteiliche Organisation ins Leben gerufen  : der Nationalrat der Tschechen in Niederösterreich (Narodní rada dolnorakouská). Als Dachorganisation unterschiedlicher politischer Vereinigungen und Organisationen23 sollte dieser die Interessen der Wiener TschechInnen auf einer breiten Ebene vertreten. Wie der Österreichische Nationalitätenklub beteiligte sich der Tschechische Nationalrat am Wahlkampf, ohne sich jedoch für eine bestimmte politische Partei zu positionieren. Auch diese überparteiliche Organisation fand keinen besonderen Anklang bei der tschechischen Minderheit in Wien. Es waren vor allem die bürgerlichen Vertreter der tschechischen Minderheit, die für überparteiliche Organisationsformen eintraten, da sie eine allzu große parteipolitische Zersplitterung verhindern wollten, waren sie doch zahlenmäßig den Arbeiterorganisationen deutlich unterlegen.24

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Die weitaus stärkste und am besten organisierte Gruppe innerhalb der Wiener TschechInnen war die Arbeiterschaft, wobei die Grenze zwischen ArbeiterInnen und Gewerbetreibenden oft fließend war. Dass sich die tschechische Arbeiterbewegung auch in Wien in zwei Lager teilte, ist wohl nicht zuletzt auf diese Zusammensetzung zurückzuführen. Die Spaltung der Arbeiterbewegung zwischen den sozialdemokratischen und nationalsozialen Organisationen erfolgte fast zeitgleich mit jener in Prag. Die National­ soziale Partei wurde 1897 von Václav Klofáč, dem Redakteur der jungtschechischen Zeitschrift »Národní listy« (Volksblätter), in Prag gegründet. Noch im selben Jahr rief der Schlosser Václav Frühbauer die erste nationalsoziale Vereinigung im ­W iener Gemein­debezirk Favoriten ins Leben. Als Grund für ihren relativen Erfolg wurde ihr Radikalismus angeführt  : Sie übertraf in staatsrechtlichen Fragen die Jung­tschechen, in sozialen die Sozialdemokraten und in Hinblick auf die Obstruktionspolitik alles bislang Dagewesene.25 Die nationalsoziale Partei war die konsequente Fortsetzung der jung­ tschechischen Politik des kleinbürgerlich-chauvinistischen Nationalismus. In Wien wurden ihre AnhängerInnen auch »jungtschechische Lümmel« genannt, obwohl sie gegen die Politik der Jungtschechen auftraten.26 Letztlich konnte die nationalsoziale Partei jedoch die dominierende Stellung der Sozialdemokratie nicht gefährden. Am Gründungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie 1874 in N ­ eudörfl wurde dem Umstand, dass die Arbeiterbewegung vor allem von deutschen und tschechischen ArbeiterInnen dominiert war, Rechnung getragen. So wurden neben der »Gleichheit« auch die »Dělnické listy« (Arbeiterblätter) zum offiziellen Parteiorgan bestimmt und ein Programm verabschiedet, in dem der Nationalitätenfrage eine zentrale Bedeutung zukam. Gleich nach der Präambel war von der Selbstbestimmung der Nationen die Rede, wobei betont wurde, dass die unterschiedliche Herkunft kein Hindernis für den gemeinsamen Kampf für soziale Rechte sei. In der »Gleichheit« hieß es anlässlich des Parteitages  : »Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage, die Gedanken der internationalen Arbeitervereinigung innerhalb der politischen Reichsgrenzen zum tatsächlichen Ausdruck bringen zu können.«27 Bei der Gründung der Tschechoslawischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Českoslovanská sociálně demokratická strana dělnická) 1878 in Břevnov wurde bewusst die Bezeichnung »česká« vermieden, da sich diese im tschechischen Sprachgebrauch oftmals auf das Territorialgebiet Böhmens beschränkte und damit auch der Vertretungsanspruch für die große tschechische Minderheit in Wien gewahrt blieb. Ziel der Parteigründung war es, die tschechischen ArbeiterInnen im Rahmen der gesamtösterreichischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei zu organisieren, da der Kampf um gemeinsame Anliegen, wie die Durchsetzung des Koalitionsrechtes oder die Versammlungsfreiheit, im Vordergrund standen. Es war vielmehr die Unternehmerseite, die die Gegensätze zwischen den Sprachgruppen schürte, um die sozialen Gegensätze zu verdecken. Mit dem Anwachsen der tschechoslawischen Arbeiterbe-

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wegung verstärkte sich allerdings der Loslösungsprozess von der gesamtösterreichischen Sozialdemokratie. Die nicht deutschsprachigen Gruppen verbanden mit der Anerkennung des internationalen Gedankens zunehmend den Anspruch auf soziale und politische Gleichberechtigung und erzwangen die Aufgliederung der Partei in eigenständige Organisationen innerhalb der Gesamtpartei. Der Budweiser Parteitag von 1893 bedeutete den ersten Schritt der tschechoslawischen Sozialdemokratie in die Unabhängigkeit. Der Beschluss, eine eigene zentralistische Organisation zu bilden, die auch die tschechischen Vereine in Wien und Niederösterreich umfassen sollte, war von großer Tragweite, da die Parallelorganisationen in den gemischtsprachigen Gebieten die gesamtstaatliche Zusammenarbeit auf lokaler Ebene beträchtlich erschwerte.28 Die Position, dass der Nationalismus nur eine bürgerliche Erscheinungsform sei, wurde aber auch von der deutschsprachigen Sozialdemokratie bald verworfen. Der Internationalismus konnte nur bei einer grundsätzlichen Anerkennung der realen nationalkulturellen Interessen eine integrierende Wirkung entfalten. Das internationale Pathos der deutschösterreichischen Sozialdemokraten überdeckte allerdings häufig die dahinter stehenden deutschnationalen Interessen.29 Das auf dem Parteitag 1899 entworfene Brünner Nationalitätenprogramm war ein Versuch, einen innerparteilichen Beitrag zur Beilegung des Nationalitätenkonflikts zu leisten.30 Darin wurde die Umbildung Österreichs in einen demokratischen Nationalitätenbundesstaat, die Errichtung von national abgegrenzten Selbstverwaltungskörpern mit völliger Autonomie in nationalen Angelegenheiten und die gesetzliche Regelung der Minderheitenfrage gefordert. Durch die implizite Anerkennung des Habsburgerreiches als Nationalitätenbundesstaat avancierte die Sozialdemokratie zu einem staatserhaltenden Faktor – eine Tatsache, die aus den eigenen Reihen vielfach heftig kritisiert wurde. Seitens der Staatsmacht wurde die stabilisierende Funktion der Sozialdemokratie allerdings zunächst nicht honoriert. Als man dann im Ersten Weltkrieg diesen Weg beschritt, war es zu spät.31 Die tschechischen SozialdemokratInnen in Wien waren nicht zuletzt deshalb weniger empfänglich für nationalistische Ideen, weil sie aufgrund ihrer Minderheitenposition mehr noch als ihre Landsleute in Böhmen und Mähren im Kampf um soziale und politische Rechte auf die Unterstützung durch die deutsche Sozialdemokratie angewiesen waren, insbesondere als sie sich vom »Mutterland« oftmals nicht ausreichend unterstützt fühlten. Im Sprachorgan der tschechischen Sozialdemokratie »Dělnickè listy« hieß es dazu im April 1907  : »Die niederösterreichische tschechische Minderheit hat es oft genug zu fühlen bekommen, wie gleichgültig die bürgerlichen Kreise in Böhmen und Mähren ihrem Sein oder Nichtsein gegenüberstehen. Wir gehören nicht in den Bereich der heiligen Wenzelskrone […]. Was für einen Ausweg gibt es nun hier  ? Die Verwirklichung des Nationalitätenprogrammes der Sozialdemokratie in Österreich, die nationale Autonomie. Niemand soll mehr seiner Menschen-

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würde beraubt werden, deswegen, weil ihn die wirtschaftlichen Verhältnisse aus seiner Heimat herausgetrieben haben in eine andere Gegend dieses Staatengebildes, in der seine Nation keine historische Ansässigkeit besitzt.«32 Daher verhielten sich die tschechischen SozialdemokratInnen weitgehend loyal gegenüber Victor Adler, wenngleich er an der Führungsrolle der deutschsprachigen Arbeiterbewegung festhielt und ihnen seine Positionen meist zu gemäßigt erschienen. Aufgrund ihrer kooperativen Haltung waren die tschechischen SozialdemokratInnen der scharfen Kritik insbesondere der bürgerlichen Presse ausgesetzt. Die pragmatische Haltung der sozialdemokratischen Wiener TschechInnen zeigte sich etwa bei einer Wählerversammlung 1907  : »Wir behaupten doch nicht, dass die deutschen Genossen ein Muster an nationaler Gerechtigkeit sind, wir sagen ihnen dies bei jeder Gelegenheit ins Gesicht, aber bei den Wahlen geht es doch nicht ausschließlich um nationale Angelegenheiten, sondern […] auch um kulturelle und wirtschaftliche Interessen. Deswegen wollen wir unsere Kräfte nicht spalten.«33 Ähnlich war die Situation auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung, die in enger Verbindung zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei stand. Das Prinzip der supra­na­ tio­nalen Organisation war insbesondere in den gemischtsprachigen Industriezentren in Böhmen, Mähren und Wien von großer Bedeutung. Denn nur im gemeinsamen Kampf war dem Lohndruck, der von den Unternehmern nicht zuletzt durch die Heranziehung von marginalisierten ZuwanderInnen ausgeübt wurde, wirksam zu begegnen.34 So war die Bildung tschechischsprachiger Gewerkschaftsgruppen im Interesse der Gesamtorganisation, weil andernfalls die tschechischen ArbeiterInnen den Versammlungen meist fernblieben. Die deutsch-tschechische Zusammenarbeit auf gewerkschaftlicher Ebene war überall dort erfolgreich, wo es um die Durchsetzung konkreter Interessen ging. Die Nationalitätenkonflikte fanden weniger in den Betrieben oder Lokalorganisationen, sondern in den Führungsgremien der bürokratischen Apparate statt.35 Die politische Landschaft der Wiener TschechInnen spiegelt also nicht die Parteienlandschaft in den böhmischen Ländern wider. Hanuš Sýkora umreißt die politische Organisation der Wiener TschechInnen ziemlich treffend, wenn er resümiert  : »Wo ist die Wurzel des Übels, daß wir kein Nationalbewußtsein haben  ? Die Intelligenz hat kein Interesse, die Gewerbetreibenden sind Lueger-Anhänger und die Arbeiter bei der deutschen Sozialdemokratie«.36 II. Die tschechisch-deutschen Konflikte in der gesamtösterreichischen Sozialdemokratie Wirtschaftliche und soziale Umwälzungen am Ende des 19. Jahrhunderts schufen die Voraussetzung für das Vordringen nationaler Ideologien in allen Bevölkerungs-

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schichten. Zudem verstärkte die russische Revolution von 1905 die Emanzipationsbestrebungen der slawischen Völker, indem soziale und nationale Anliegen miteinander verbunden wurden. Obwohl die Wiener TschechInnen aufgrund ihrer Minderheitenposition weniger empfänglich für nationale Ideologien waren, verschärften sich auch in der Reichshauptstadt die Nationalitätenkonflikte. Um 1900 trafen in Wien zwei Entwicklungen aufeinander. Bei Teilen der tschechischen ZuwanderInnen hatte sich ein gewisser wirtschaftlicher Erfolg eingestellt, wodurch das nationale Selbstbewusstsein stieg. Zur selben Zeit begann allerdings die wirtschaftliche Entwicklung in Wien zu stagnieren, sodass die ZuwanderInnen insbesondere als Konkurrenz für den vom sozialen Abstieg bedrohten Mittelstand empfunden wurden. Seit 1900 mehrten sich jene Anträge im Wiener Gemeinderat, die darauf abzielten, die tschechischen ZuwanderInnen – wobei nahezu alle sozialen Schichten und Berufszweige betroffen waren – vom Arbeitsmarkt fernzuhalten beziehungsweise überhaupt von der Zuwanderung abzuhalten. Der dehnbare Begriff »deutschfeindliche Gesinnung« genügte als Entlassungsgrund.37 Dieses politische Klima bereitete den Boden für deutschnationale Anfeindungen gegenüber der tschechischen Minderheit, die unterschiedliche Formen  – von Verbalattacken über Protestkundgebungen bis hin zu Gewaltakten  – annehmen konnten. Der sozialdemokratische Theoretiker Otto Bauer formulierte treffend  : »Solange die Massen der einwandernden Arbeiter noch bedürfnis- und anspruchslos waren, ein elendes Leben führten, das keine Abwechslung kannte als die schwere Arbeit und den Schlaf in den elenden Wohnungen im äußersten Umkreis der Stadt […] solange der tschechische Arbeiter hübsch demütig und bescheiden den Herren aus der Stadt aus dem Weg ging […] solange ließ sich die Gemeindeclique die tschechische Einwanderung wohl gefallen. Aber seither sind die breiten Massen […] zu unerhörtem Selbstbewusstsein erwacht […]. Sie fordern die Befriedigung ihrer kulturellen Bedürfnisse, vor allem Schulen für ihre Kinder.«38 Aber auch der Sozialdemokratische Verband im Reichsrat, der aus einem deutschen, einem tschechischen, einem polnischen, einem italienischen und einem ukrainischen Klub bestand, konnte kaum noch als einheitlicher Parlamentskörper auftreten, denn sowohl bei den deutschen als auch bei den tschechischen sozialdemokratischen Abgeordneten setzte sich immer stärker die Tendenz durch, in Fragen der Sprache, der Schulen und der Minderheiten den Standpunkt der bürgerlichen Abgeordneten der jeweiligen Nationalität einzunehmen. So bezeichneten die deutschsprachigen SozialdemokratInnen die Unterstützung von Forderungen der Wiener tschechischen Minderheit durch die tschechischen Parteiangehörigen als Unterstützung der tschechischen Expansion  ; die tschechischen SozialdemokratInnen hingegen machten den deutschsprachigen SozialdemokratInnen die Unterdrückung der Wiener tschechischen Minderheit zum Vorwurf.39 In Wien entzündeten sich die Kontroversen vor

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allem an der Forderung nach tschechischen Schulen, der die deutschsprachige Sozialdemokratie vielfach mit Skepsis gegenüberstand, da sie darin vor allem eine nationale Prestigefrage sah und den offensichtlichen Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsstand des Schulwesens und der Entfaltung der Industriegesellschaft ausblendete. Ein weiterer Streitpunkt war die Forderung der tschechischen Minderheit, für die Reichsratswahlen 1907 einen tschechischen Kandidaten für den 10. Wiener Gemeindebezirk aufzustellen, da dort viele der tschechischen ZuwanderInnen lebten. Victor Adler reagierte darauf mit strikter Ablehnung und kam der tschechischen Organisation nur dahingehend entgegen, dass er selbst in diesem Wahlkreis kandidierte.40 Umgekehrt muss festgestellt werden, dass die tschechischsprachigen Kandidaten auch nur in geringem Ausmaß von den Wiener TschechInnen unterstützt wurden. Letztlich waren es jedoch die Spaltungstendenzen in der Gewerkschaftsbewegung, die zum endgültigen Bruch zwischen der deutschen und tschechischen Arbeiterbewegung führten. Als die tschechoslawische Sozialdemokratie ihre Position stärken wollte, indem sie die tschechischen Gewerkschaften in ihre Organisation zu integrieren trachtete, war der Bruch mit der zentralen Gewerkschaftskommission vorprogrammiert. Auf dem Kongress der Sozialistischen Internationale in Kopenhagen im August 1910 wurden die Spaltungsbestrebungen der tschechoslawischen Gewerkschaftsbewegung zwar verurteilt – allerdings ohne Erfolg. Im Gegenteil. Die unklare Haltung der Zweiten Internationale in der Nationalitätenfrage verstärkte das Streben nach Selbständigkeit der tschechischen Organisationen. Victor Adler brachte die Problematik auf den Punkt  : »Fühlen sich die tschechischen Sozialdemokraten heute als die tschechische Gruppe der Internationale oder sind sie die sozialdemokratische Gruppe innerhalb der tschechischen Parteien  ?«41 Es war im Grunde dieselbe Entscheidung, die dann die Zweite Internationale 1914 zu treffen hatte, und die letztlich zu ihrem Zerfall führte. 1911 spalteten sich die tschechischen Gewerkschaften schließlich in eine von der deutschen Gewerkschaftsbewegung autonome und eine zentralistische Organisation, die an der Beibehaltung der gesamtösterreichischen Organisationsstruktur festhielt und im selben Jahr auch eine eigene zentralistische Partei gründete. In Wien vertrat die Mehrheit der tschechischen Gewerkschaftsfunktionäre die zentralistische Richtung, doch in den böhmischen Ländern blieben die Zentralisten von ihrer Mitgliederzahl immer weit hinter den autonomen tschechischen Gewerkschaften zurück. Bei den Reichsratswahlen 1911 erreichten die Zentralisten 14.000 Stimmen im Vergleich zu den 350.000 Stimmen der Tschechoslawischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei.42 Es ist allerdings kein Zufall, dass die Zentralisten in den gemischtsprachigen (Grenz)Gebieten den größten Erfolg hatten. In Schlesien wurden die Zentralisten von den polnischen ZuwandererInnen unterstützt, die sich in einer ähnlichen Situation wie die Wiener TschechInnen befanden. Zumeist aus verarmten ländlichen

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Gebieten zugewandert, erhofften sie sich in ihrem neuen Umfeld vor allem eine Verbesserung ihrer Lebenssituation und waren daher viel eher bereit mit der ansässigen Bevölkerung zu kooperieren und sich zu assimilieren.43 Ungeachtet des enormen Reformbedarfs, den die Tschechoslawische Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Habsburgermonarchie ortete, verhielt sie sich auch beim letzten Vorkriegsparteitag 1913 loyal zur Zentralmacht. In der nach dem Tagungsort benannten Žofín-Resolution bekannten sich die Delegierten zum Gesamtstaat, da sie den größeren Wirtschaftsraum nicht nur im Sinne des Friedens und des internationalen Gleichgewichts, sondern auch für die Entwicklung der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen befürworteten. Indem die Partei den Vielvölkerstaat gegenüber einem Nationalstaat favorisierte, behielt sie im Grunde ihre politische Linie bei, da die Errichtung eines tschechischen Staates inner- oder außerhalb der Monarchie nie das Ziel war.44 Letztlich traten auch bürgerliche tschechische Gruppierungen in den letzten Vorkriegsjahren für die Beibehaltung des Gesamtstaates ein. Die Rückwendung zum österreichischen Staatspatriotismus sollte allerdings nicht zu hoch eingeschätzt werden, da diese Gruppierungen gleichzeitig vehement einer Reformpolitik entgegentraten.45 In der letzten Sitzung des Reichsrats 1917 setzte sich das aus 464 Abgeordneten bestehende Plenum aus 21 parlamentarischen Klubs zusammen. Diese ungeheure Zersplitterung des Parteiensystems spiegelt allerdings nur einen Pluralismus in nationaler, nicht in sozialer oder ideologischer Hinsicht wider. Leo Thun, Minister für Cultus und Unterricht, hatte bereits im Jahre 1849 darauf hingewiesen, dass die Lösung der österreichischen Nationalitätenfrage von der Aufspaltung der nationalen Blöcke zugunsten einer Gliederung nach den gemeinsamen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Interessen abhing. Reichsweit organisierte Großparteien hatten in der Monarchie jedoch keinen Boden gefunden, insbesondere als auch die Sozialdemokratie im letzten Vorkriegsjahrzehnt dem Zerfall der gesamtösterreichischen Partei entlang national definierter Trennlinien nichts entgegenzusetzen hatte.46 III. Der Erste Weltkrieg als Weg in die Nationalstaatlichkeit Doch selbst Tomáš G. Masaryk, der letztlich den Weg für einen unabhängigen tschechoslowakischen Staat bereitete, hatte nicht von Anfang an zielgerichtet auf die Auflösung der Habsburgermonarchie hingearbeitet. Im Gegenteil. Auch er trat – gerade aus nationalen Gründen – für die Erhaltung des Gesamtstaats ein, da er den größeren Wirtschaftsraum für die tschechische Industrie für vorteilhaft hielt. Dennoch haftete Masaryk bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges das Image der Austro- und Germanophilie an. So wurde er nicht zuletzt deshalb als Verräter an den nationalen

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Interessen diffamiert, weil er sich im Streit um die Echtheit der Königinhofer und Grünberger Handschriften auf die Seite jener Kritiker stellte, die sie als Fälschungen des 19. Jahrhunderts entlarvten. Diese vermeintlichen tschechischen Heldenepen wurden allerdings für die Konstruktion eines tschechischen Nationalbewusstseins bis weit ins 20. Jahrhundert herangezogen. Der Philosoph Tomáš G. Masaryk engagierte sich zunächst in führender Rolle bei der Partei der Jungtschechen, trennte sich jedoch bald aufgrund von Meinungsverschiedenheiten und gründete schließlich im Jahre 1900 eine eigene Partei, die sogenannten Realisten (Česká strana lidová). Masaryk blieb in Prag und in Wien ein Außenseiter, obwohl die Verankerung von Humanität und Demokratie in dem von ihm entworfenen tschechischen nationalen Programm weit über die Grenzen seines parteipolitischen Einflusses hinaus geachtet wurde. In der Öffentlichkeit überwog jedoch das Bild des weltfremden Idealisten, der die von ihm gegründete Partei in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg als EinmannFraktion im Reichsrat vertrat.47 Die politischen und weltanschaulichen Positionen Masaryks sprachen in Wien vor allem die in sich abgeschlossenen Akademikerkreise an. Daher spielte die Realistenpartei in Wien auf kommunalpolitischer Ebene keine Rolle, obwohl die Abkehr vom böhmischen Staatsrechtsgedanken für die tschechische Minderheit in Wien von Interesse hätte sein können.48 Masaryks parlamentarische Tätigkeit zwischen 1900 und 1913 zeichnete sich in erster Linie durch ihre undoktrinäre Einstellung zur nationalen Frage aus, die er nicht nur als eine Sprachenfrage, sondern auch als eine wirtschaftliche und soziale Frage verstand. Er vertrat die Ansicht, dass die tschechische Frage nicht durch die Berufung auf die historischen Privilegien des »Böhmischen Staatsrechtes« gelöst werden könne, sondern durch die gleichberechtigte Stellung des tschechischen Volkes unter allen anderen gleichberechtigten österreichischen Nationalitäten. Es könnte nur dann eine autonome tschechische Volksgruppe innerhalb der österreichischen Grenzen geben, wenn auch die anderen Nationalitäten genau dasselbe Maß an Autonomie besäßen.49 Doch in die festgefahrenen Positionen der tschechischen Politik konnten letztlich nur die machtpolitischen Veränderungen infolge des Ersten Weltkriegs Bewegung bringen. Der rechte Flügel der tschechischen Parteien war an den politisch und sozial überkommenen Begriff des »Böhmischen Staatsrechts« gebunden, der linke sozialistische Flügel aufgrund der grundsätzlich internationalen und übernationalen Ausrichtung nicht daran interessiert, eine tschechische nationale Politik zu betreiben. Und Teile der nationalen Kräfte, wie etwa der Führer der Jungtschechen Karel Kramář, liebäugelten mit der Idee eines tschechischen Satellitenstaats unter russischer Führung.50 So entschied sich Masaryk dafür, zu emigrieren und vom Ausland aus mit einer Gruppe von Exiltschechen und -slowaken – dem späteren Tschechoslowakischen Nationalrat – tschechische Politik zu betreiben. Dies erforderte zunächst umfangreiche

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Sondierungsgespräche im In- und Ausland, da er für seine Auslandsaktion eine Ermächtigung, zumindest aber die stillschweigende Zustimmung aller einflussreichen tschechischen Politiker benötigte. Denn sein politischer Einfluss war eigentlich gering. Internationale Anerkennung genoss er vor allem als Wissenschaftler und Philosoph. Dass Masaryk kurz nach Beginn des Ersten Weltkrieges die Pläne für eine Umwandlung Österreichs in eine demokratische Vereinigung von Nationen aufgab und stattdessen eine unabhängige tschechische Republik anstrebte, lag nicht zuletzt daran, dass sich die nationale Politik ins Ausland verlagert hatte. Die Kriegssituation stellte sich für die TschechInnen allerdings ganz anders dar als für die DeutschösterreicherInnen. Der Erste Weltkrieg wurde durch einen Konflikt mit Serbien, also einem slawischen Staat, ausgelöst. Der im Bündnis mit Deutschland geführte Krieg richtete sich aber nicht nur gegen Russland, die »Mutter aller Slawen«, sondern auch gegen die westlichen Demokratien der Entente. Damit trat die österreichische Staatsführung in Gegensatz zu der von Tomáš G. Masaryk unterstützten Idee der westlichen Demokratien ebenso wie dem von Karel Kramář verfolgten prorussischen konservativen Panslawismus. Nur diese doppelte Gegnerschaft konnte das tschechische Volk in seiner Mehrheit gegen das Habsburgerreich einen. Die tschechische Identifizierung mit der Entente führte letztlich dazu, dass nicht die heimischen Patrioten, sondern die politische Emigration im Ausland die Führungsrolle in der nationalen Politik übernehmen konnte, nachdem die meisten der tschechischen Politiker auf eine opportunistische Linie gegenüber der Habsburgermonarchie setzten.51 Zum einen war das politische Leben vom Kriegsausbruch bis zur Wiedereinsetzung des Parlaments Ende Mai 1917 gelähmt, zum anderen wirkte die politische Verfolgung während der Ära des Kriegsabsolutismus dem tschechischen Aktivismus entgegen. Das Programm, mit dem sich Tomáš G. Masaryk 1914 ins Ausland begab, stieß in den ersten Kriegsjahren allerdings auf Widerstand. Beide kriegführenden Blöcke zielten zunächst auf einen militärischen Sieg ab. Erst als sich am Ende des Jahres 1916 zeigte, dass weder die eine noch die andere Koalition imstande war, den Krieg ausschließlich mit militärischen Mitteln zu entscheiden, kam die Diplomatie ins Spiel. In der Folge versuchten beide Kriegsparteien im Laufe des Jahres 1917 jeweils einen schwächeren Verbündeten aus der gegnerischen Koalition loszulösen  : Deutschland bemühte sich, Russland von der Entente zu trennen, die westlichen Ententemächte wollten Österreich-Ungarn von Deutschland abspalten.52 Die tschechoslowakische Frage war für das Kriegsziel der Entente dabei zunächst völlig nebensächlich. Die Situation änderte sich erst, als die zunehmende antiösterreichische Bewegung insbesondere der slawischen Völker als Instrument zur inneren Schwächung der Zentralmächte erkannt wurde. Als US-Präsidenten Woodrow Wilson 1917 die tschechoslowakische Frage erstmals vor das internationale Forum brachte und von der Befreiung der Tschechen und Slowaken sprach, sollte diplomati-

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scher Druck auf die österreichisch-ungarische Regierung ausgeübt werden. Aber erst als alle Versuche erschöpft waren, Österreich-Ungarn von Deutschland zu trennen, distanzierte sich die Entente von der Habsburgermonarchie. Dazu kam, dass sich die kleineren Verbündeten der Entente gegen die Bestrebungen zur Beibehaltung der Einheit der Habsburgermonarchie empörten, da sie nicht zuletzt darin den Sinn ihres Kampfes gegen die Zentralmächte sahen. Demnach gab die Entente im eigenen Interesse nach und nach das Ziel auf, die Existenz Österreich-Ungarns aufrechtzuerhalten und schuf damit die Voraussetzungen für die Anerkennung der Ziele des Tschechoslowakischen Nationalrates.53 Die tschechoslowakischen Legionen spielten demnach in diesem Prozess keine bestimmende Rolle, wenngleich sie den Prozess der Anerkennung wahrscheinlich beschleunigten. Der Grundstein für die Organisation wurde 1916 gelegt, als Major Milan Rastislav Štefánik, ein französischer Staatsbürger, der jedoch als Slowake gegen die Habsburger kämpfte, im Namen der französischen Regierung mit Aufträgen nach Rumänien und Russland entsandt wurde. Im Jahre 1917 begann die neue russische Regierung, tschechische und slowakische Kriegsgefangene in eigenen militärischen Einheiten zusammenzufassen und im Kampf einzusetzen. Die tschechische Emigran­ tenbewegung griff diesen Plan auf und begann mit der Rekrutierung eines eigenen tschechischen Armeekorps. Der entscheidende Punkt war jedoch, dass im Zuge der Bemühungen um Anerkennung der tschechoslowakischen Legion als einer autonomen alliierten Armee die Emigrantenführung, die sich die Befehlsgewalt über die Truppen vorbehielt, zumindest in militärischen Angelegenheiten zum Verhandlungspartner der Entente wurde. Damit war zwar nicht die Anerkennung des Tschechischen Nationalrats verbunden, aber die Kampfhandlungen der tschechoslowakischen Legionen führten zur Einbeziehung der Tschechen in die Waffenstillstandsgespräche.54 Darüber sollte jedoch nicht vergessen werden, dass sich der überwiegende Teil der tschechischen Truppen loyal zur österreichisch-ungarischen Regierung verhalten hatte und einen hohen Blutzoll im Krieg leistete. Mit dem fortschreitenden Zerfall der Monarchie in der zweiten Hälfte des Jahres 1918 wurde die Möglichkeit des Aufbaues eines selbständigen tschechischen Nationalstaates immer mehr zur politischen Realität. Das Ziel der Eigenstaatlichkeit verband schließlich die Bemühungen aller tschechischen politischen Parteien und führte zur Unterordnung aller anderen Interessen. Aber letztlich war keine der politischen Parteien, ja die tschechische Politik in Österreich insgesamt, während des Ersten Weltkriegs für das Erringen der Unabhängigkeit entscheidend. Sobald der Tschechische Nationalrat mit den Mächten der Entente zusammenarbeite, lag die Entscheidung aber auch nicht mehr in den Händen Masaryks und seiner Bewegung. Masaryk hat zwar des Öfteren betont, dass das Ideal des reinen Nationalstaates praktisch nicht zu realisieren sei, in seinem Anspruch auf nationale Eigenstaatlichkeit bewegte er sich

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aber letztlich in den Bahnen herkömmlicher nationalstaatlicher Politik. Mochte er die tschechische Eigenstaatlichkeit zunächst auch nur innerhalb der Donaumonarchie angestrebt haben, dem Ansatz nach war die tschechische Eigenstaatlichkeit nach dem Modell eines Nationalitätenstaates konzipiert, der von einer dominierenden Nation geführt wurde.55

Anmerkungen   1 Robert A. Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie. Geschichte und Ideengehalt der nationalen Bestrebungen vom Vormärz bis zur Auflösung des Reiches im Jahre 1918 (Das Reich und die Völker 1), Graz–Köln 1964, 149.   2 Zu Beginn der Revolution wurden die politischen Forderungen über die nationalen gestellt, was in dem Slogan »Der Tscheche und der Deutsche ein Leib unter einem freiheitlichen Regime« zum Ausdruck kam.   3 Kann, Nationalitätenproblem, 156.   4 Geschwächt durch die Niederlage im Preußischen Krieg 1866 musste Kaiser Franz Joseph den Ungarn entgegenkommen.   5 Kann, Nationalitätenproblem, 181–182.   6 Die Jungtschechen, auch Národní strana svobodomyslná (Freisinnige Nationalpartei) genannt, hatten sich 1874 unter der Führung von Karel Kramář endgültig von den Alttschechen abgespalten.   7 Kann, Nationalitätenproblem, 194–195.   8 Vgl. Berthold Sutter, Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897. Ihre Genesis und ihre Auswirkungen vornehmlich auf die innerösterreichischen Alpenländer, Graz 1960/1965.   9 Kann, Nationalitätenproblem, 186–187. 10 1914 befanden sich 60 % der Metallindustrie, 75 % der chemischen Industrie und ein Großteil der Textil- und Verbrauchsgüterproduktion in Nordböhmen. 11 Hans Mommsen, Die Sozialdemokratie und die Nationalitätenfrage im habsburgischen Vielvölkerstaat (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Arbeiterbewegung in Österreich 1), Wien 1963, 21. Vgl. auch Pavla Horská, Die Sozialstruktur der mitteleuropäischen Nationen im Zeitabschnitt des Zusammenbruches Österreich-Ungarns, in  : Richard Georg Plaschka/Karlheinz Mack (Hg.), Die Auflösung des Habsburgerreiches. Zusammenbruch und Neuorientierung im Donauraum (Schriftenreihe des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 3), Wien 1970, 53–57. 12 Mommsen, Sozialdemokratie, 20–21. 13 Vgl. Robert Luft, Parlamentarische Führungsgruppen und politische Strukturen in der tschechischen Gesellschaft. Tschechische Abgeordnete und Parteien des österreichischen Reichsrats 1907–1914 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 102), München 2001. 14 Monika Glettler, Die Wiener Tschechen um 1900. Strukturanalyse einer nationalen Minderheit in der Großstadt, München 1972, 245–246. 15 Zit. nach Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 8/1  : Politische Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. Vereine, Parteien und Interessenverbände als Träger der politischen Partizipation, Wien 2006, 105. 16 Weitere frühe Vereinsgründungen waren der Theaterverein Pokrok oder der Gesangsverein Lumír. 17 Glettler, Wiener Tschechen, 75–76.

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18 Ebd., 122–123. 19 Ebd., 137. 20 Ebd., 139. 21 Ebd., 294. 22 Ebd., 142. 23 Darin vertreten waren z. B. die katholischen Volkspartei, die Nationalsoziale Partei, der Turnverein Sokol und der Schulverein Komenský. 24 Glettler, Wiener Tschechen, 133. 25 Ebd., 142–143. 26 Ebd., 135. 27 Gleichheit, 11.4.1874, zit. nach Zdeněk Šolle, Die Sozialdemokratie in der Habsburger Monarchie und die tschechische Frage, in  : Archiv für Sozialgeschichte 1 (1961), 315–390, 323. 28 Mommsen, Sozialdemokratie, 196–197. 29 Ebd., 10. 30 Zum Brünner Nationalitätenprogramm von 1899 vgl. Mommsen, Sozialdemokratie, 314–316. 31 Mommsen, Sozialdemokratie, 8. 32 Dělnické listy, 17.4.1907, zit. n. Glettler, Wiener Tschechen, 385. 33 Dělnické listy, 6. 5.1907, zit. n. Glettler, Wiener Tschechen, 391. 34 Mommsen, Sozialdemokratie, 210. 35 Glettler, Wiener Tschechen, 172–173. 36 Ebd., 311. 37 Ebd., 234–235. 38 Otto Bauer. Die Nationalitätenfrage, Wien 1924, Nachdruck in  : Otto Bauer Werkausgabe, Bd. 1, Wien 1975, 307. 39 Jan Galandauer, Die tschechische Arbeiterbewegung von Hainfeld bis zum Ausbruch des Weltkrieges. Die organisatorische und ideologische Beziehung zur gesamtösterreichischen Arbeiterbewegung, in  : Erich Fröschl/Maria Mesner/Helge Zoitl (Hg.), Die Bewegung. Hundert Jahre Sozialdemokratie in Österreich, Wien 1990, 222–243, 227. 40 Glettler, Wiener Tschechen, 402. 41 Victor Adler, Das Verhältnis zu den Bruderparteien in Österreich, in  : Parteivorstand der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschösterreichs (Hg.)  : Victor Adlers Aufsätze, Reden und Briefe, Wien 1929, 88. 42 Galandauer, Arbeiterbewegung, 229  ; Glettler, Wiener Tschechen, 138. 43 Jozef Chlebowczyk, Die tschechischen Zentralisten und der Zerfall der Monarchie, in  : Plaschka/Mack, Die Auflösung des Habsburgerreiches, 156–162, 159. 44 Galandauer, Arbeiterbewegung, 233. 45 Mommsen, Sozialdemokratie, 3 und 11. 46 Robert A. Kann, Das demokratische Prinzip im Widerstreit des Zusammenbruches Österreich-Ungarns und des Aufbruchs der Nachfolgestaaten, in  : Plaschka/Mack, Die Auflösung des Habsburgerreiches, 318–337, 319. 47 Roland J. Hoffmann, T. G. Masaryk und die tschechische Frage. Nationale Ideologie und politische Tätigkeit bis zum Scheitern des deutsch-tschechischen Ausgleichsversuchs 1909 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 58), München 1988, 11–12. 48 Glettler, Wiener Tschechen, 398. 49 Kann, Nationalitätenproblem, 202–203. 50 Ebd., 210.

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51 Zdeněk Šolle, Der Beitrag der Tschechoslowakischen Befreiungsbewegung zur Demokratisierung Mitteleuropas während des Ersten Weltkriegs, in  : Plaschka/Mack, Die Auflösung des Habsburgerreiches, 147–155, 148. 52 Jaroslav Křížek, Die Rolle der tschechoslowakischen politischen Emigration und ihre diplomatische Tätigkeit im Jahre 1918, in  : Plaschka/Mack, Die Auflösung des Habsburgerreiches, 163–169, 164. 53 Ebd., 166. 54 John Bradley, Die tschechoslowakische Legion und die Haltung der Alliierten zur Auflösung der Habsburger Monarchie, in  : Plaschka/Mack, Die Auflösung des Habsburgerreiches, 203–208, 203–204. 55 Hoffmann, Masaryk, 419.

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Am Anfang war die Niederlage Die Friedensbewegten vor dem Ersten Weltkrieg1

Für die Tage zwischen dem 15. und dem 19. September 1914 war der »XXI. Weltfriedenskongreß zu Wien«2 geplant. Der österreichisch-ungarische Außenminister Leopold Graf Berchtold, der durch eine harte anti-serbische Haltung seinen Teil zur fatalen Eskalation des Konfliktes beitragen sollte, hatte den Vorsitz des Ehrenkomitees übernommen und noch am 21. Juli Material für die Vorarbeiten zur Eröffnung verlangen lassen. 3 Der Kongress fiel dem Kriegsausbruch Ende Juli buchstäblich zum Opfer. Schon zuvor, am 21. Juni 1914, war die Symbolfigur und zentrale Organisatorin des Kongresses, die Nobelpreisträgerin des Jahres 1906 Bertha von Suttner, ihrem Krebsleiden erlegen. Die unheimliche Dynamik des Krieges ließ ihre Bemühungen und die derjenigen, die dasselbe Ziel, einen dauerhaften Frieden, verfolgt hatten, als tragisch gescheitert offenbar werden. Ich werde in der Folge nach den Unterlegenen der Geschichte suchen, nach jenen Gruppierungen, Vereinen und Assoziationen der später sogenannten Zivilgesellschaft, die vor dem Ausbruch dessen, was dann der Erste Weltkrieg werden sollte, eine Stimme gegen den Militarismus bildeten. Ich werde danach fragen, welche Gruppen in der deutschsprachigen österreichischen Reichshälfte außerhalb eines konfessionellen Umfeldes existierten und in einer Antwort darauf auch die internationale Ebene einbeziehen. Außerdem werde ich beschreiben, wer die Akteure und Akteurinnen waren, von welcher Position aus sie sprachen, wie und mit wem sie Allianzen zu bilden suchten und welche politischen Strategien und Mittel sie mit welchem Erfolg einsetzten. Die einschlägige Forschung spricht von einer bürgerlichen und einer sozialdemokratischen Friedensbewegung. Das Thema dieses Beitrags wird die bürgerliche sein, auch wenn ich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den beiden streifen werde. Vorläufer und Anfänge Als Geburtsstunde der österreichischen Friedensbewegung4 wird gemeinhin der 3. September 1891 bezeichnet, jener Tag, an dem die »Neue Freie Presse« den Aufruf Bertha von Suttners zur Schaffung einer österreichischen Abteilung der internationalen Friedensassoziation in London publizierte. Unmittelbarer Anlass der Initiative

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war der bevorstehende dritte Friedenskongress in Rom, zu dem eine österreichischungarische Delegation entsandt werden sollte. Wie alle »Geburtsstunden« war auch diese nicht voraussetzungslos. Und schon die Bezeichnung der zu gründenden Einrichtung verweist auf ihren Zusammenhang  : Es ging um die österreichische Sektion eines internationalen Verbundes. Auf internationaler Ebene hatten die Versuche, öffentlich vom Frieden zu reden, schon eine längere Geschichte.5 Die Rede vom Frieden, die öffentlich zum Ausdruck gebrachte Sorge um ihn hatte die Militarisierung der europäischen Gesellschaft spätestens seit den napoleonischen Kriegen begleitet. Wie so vieles kam die Idee, Friedensvereine zu gründen, aus den Vereinigten Staaten von Amerika  : 1815/16 war die erste Friedensgesellschaft in New York gegründet worden. Bei ihr und jenen, die ihrem Beispiel folgten, handelte es sich um kleine Gruppen, die in den USA meist religiösen, konkret QuäkerHintergrund hatten. Die europäischen Folgegründungen waren im Allgemeinen weniger religiös als allgemein humanitär. Sie wollten eine Antwort auf die immer lauter werdende Rede vom Krieg als Vater aller Dinge geben  : In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte sich in Europa ein neuer Militarismus bemerkbar, der den Krieg mit einer darwinistischen Argumentation verherrlichte. Gleichzeitig machte die Kriegstechnologie Fortschritte, sodass aus einer anderen Perspektive Kriege zum einen wahrscheinlicher, zum anderen bedrohlicher schienen. Eine zivilgesellschaftliche Reaktion darauf war der Versuch, die Kriege »menschlicher« zu machen  : Henri Dunant, Florence Nightingale, das 1863 gegründete Internationale Rote Kreuz und die 1864 verabschiedete Genfer Konvention sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Das Rote Kreuz beispielsweise war derart auf politische Neutralität bedacht, dass es peinlichst auf genügend Abstand zur Friedensbewegung achtete. Die Friedensbewegung wiederum äußerte mitunter scharfe Kritik an der Tätigkeit des Roten Kreuzes. So hieß es beispielsweise in der »Friedens-Warte«, dem wichtigsten Organ der deutschsprachigen Friedensbewegung  : »Die Organisation des Roten Kreuzes ist das Mäntelchen der Sittlichkeit, mit dem sich das Scheusal des Krieges zu verkleiden sucht.«6 Damit ist schon auf eine andere Reaktionsweise der Zivilgesellschaft verwiesen  : Dem zunehmenden nationalistischen Kriegsgerede sollte bewusst eine internationale Organisation, die für Konfliktregelung mit nicht-kriegerischen Mitteln und Völkerverständigung eintrat, entgegen gesetzt werden. Internationale Treffen schienen als geeignete Darstellungsform der antimilitaristischen Bestrebungen. Die bürgerliche Friedensbewegung argumentierte in Europa meist mit einer optimistischen Idee des zivilisatorischen Fortschritts, der dazu führen würde, dass Kriege als barbarische, menschenverachtende und -unwürdige Formen der Konfliktlösung quasi abgeschafft würden. Philosophische Anleihen bei Immanuel Kant untermauerten die Positionen. Der erste Friedenskongress mit US-amerikanischer und britischer Beteiligung hatte

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1843 in London stattgefunden – sechs Delegierte aus kontinentaleuropäischen Ländern hatten teilgenommen. In den Jahren 1848, 1849 und 1850 fanden internationale Friedenskongresse in mehreren kontinentaleuropäischen Städten statt, nämlich in Brüssel, Paris und Frankfurt. Bereits in dieser Phase hatte sich der Kongress als Organisations- und Repräsentationsform dieses Strangs der Friedensbewegung etabliert  : Es wurde damit eine Form aufgenommen, die bisher fürstlichen Machthabern vorbehalten war – man denke nur an den Wiener Kongress. Auch abseits dieser Aneignung war das bürgerliche Friedensprojekt ein Elitenunternehmen  : Victor Hugo war beispielsweise 1849 Präsident des Kongresses. Bekannte Persönlichkeiten, mit hohem Sozialprestige ausgestattet, sollten die Friedensidee repräsentieren. Das Konzept der Nationalstaaten wurde nicht in Frage gestellt, gleichzeitig wurden aber Ideen einer europäischen Einigung ventiliert. Auf den ökonomischen Hintergrund verweist die kontinuierliche Verbindung der Friedens- mit der Freihandelsidee. Tatsächlich waren viele AktivistInnen auch in Österreich dem liberalen Lager zuzurechnen. Vorerst fehlte der sich formierenden Friedensbewegung auf internationaler Ebene ein organisatorisches Zentrum  : Es war vermutlich dieser Mangel, der ab Mitte der 1850er Jahre zu einem Ausdünnen der Aktivitäten führte – es fanden zum Beispiel keine jährlichen Friedenskongresse mehr statt. Das änderte sich in der zweiten Hälfte der 1860er Jahre – auf eine dilemmatische Weise sind die Kriegs- und die Friedensbewegungskonjunkturen miteinander verbunden. 1867 wurde die »Ligue Internationale de la Paix et de la Liberté« gegründet, die als Hauptorganisation und internationale Vereinigung der Friedensbewegung fungieren sollte. Für sie warben so unterschiedliche Personen wie der schon genannte Victor Hugo, Giuseppe Garibaldi, John Stuart Mill oder Mihail Bakunin. Trotzdem wies der Zirkel zumindest konzeptionell noch nicht jene elitäre Geschlossenheit auf, die in den folgenden Jahren prägend sein sollte. Die Erste Sozialistische Internationale äußerte Beitrittsabsichten, eine Kooperation zwischen der sich ebenfalls formierenden Arbeiterbewegung und der Friedensbewegung schien zu diesem Zeitpunkt zumindest noch denkbar, auch wenn sie schließlich nicht zu Stande kam – offenbar wurden die kulturellen und sozialen Gegensätze schnell sichtbar und dauerhaft wirkmächtig. Ich werde weiter unten noch darauf zurückkommen. Etwa zeitgleich tauchten Ideen der internationalen Friedensbewegung erstmals in der österreichischen Politik auf  : Vor allem liberale und sozialdemokratische Abgeordnete diskutierten internationale Abrüstung, wenn auch unter völlig unterschiedlichen Perspektiven. Etwa gleichzeitig bildete sich um von Suttner eine erste Gruppe, aus der ein Jahrzehnt später die österreichische Friedensbewegung entstehen sollte. Mit dem Ende der 1880er Jahre erfuhr der Friedensaktivismus eine weitere dynamische Phase  – wie auch die militaristische Gegenrede. Nun entstanden Friedensgesellschaften auch in Zentraleuropa  : Und in diesem Zusammenhang erfolgte von

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Suttners Aufruf im Jahr 1891. Zuerst stieß er auf so großen Zuspruch, dass schon am 20. September, also etwas mehr als zwei Wochen danach die avisierte »österreichische Abteilung« gegründet werden konnte. Gleichzeitig wurde ein Komitee gebildet, das einen selbstständigen österreichischen Verein vorbereiten sollte. Dieser Verein wurde als »Gesellschaft der österreichischen Friedensfreunde« oder auch »Österreichische Friedensgesellschaft« am 30. Oktober desselben Jahres realisiert und sollte bald an die 2.000 Mitglieder haben.7 In anderen Ländern erfolgte etwa zeitgleich Ähnliches  : 1892 wurde die deutsche Friedensbewegung, 1893 eine Friedensgesellschaft in ­Ungarn gegründet. Politische Ziele, Strategien und AkteurInnen Der österreichische Verein sollte den bisher bestehenden kleineren Gruppen ein Zentrum geben. Als Organisationsform wählten die bürgerlichen Friedensbewegten den Verein. Das bevorzugte Mittel, Öffentlichkeit herzustellen, blieb der Kongress. Dieser sollte Beschlüsse fassen, die dann an entscheidungsrelevante Institutionen – als solche galten den Aktivisten und Aktivistinnen der bürgerlichen Friedensbewegung vor allem Kirchen und Regierungen – weitergeleitet wurden. Diese Resolutionen forderten so beharrlich wie erfolglos verbindliche Schiedsgerichte zur Regelung internationaler Konflikte und Abrüstung bzw. eine Beschränkung der nationalen Rüstungsausgaben. Auch die Organisierungsweise zeigte die Akzeptanz staatlicher Grenzen als Bezugsrahmen – Staaten bildeten den Rahmen der Vereinsgründungen. Das Ziel der Resolutionen war es, moralischen Druck in der Öffentlichkeit zu erzeugen, laut Statutentext »die Kundgebung des eigenen Friedenswillens und die Schaffung einer hinreichend unterrichteten öffentlichen Meinung.«8 Dabei sollte auf alle machtpolitischen Mittel verzichtet werden. Publizistische Interventionen waren das Mittel der Wahl, nämlich  – zeitgenössisch formuliert  – die »Austeilung von Druck­ sachen, Circularschreiben, […] Einrücken von Artikeln in der Tagespresse, öffentliche Vorträge, Bekanntmachung der einschlägigen Literatur, eventuell Heraus­gabe eines eigenen Organs, Entsendung von Delegierten zu Versammlungen und Kongressen, beständige Berührung mit der Schwestergesellschaft, ein stetiges Auf-dem-Laufenden-halten über den Stand und die Fortschritte der allgemeinen Bewegung«.9 Auch »Kundgebungen« waren vorgesehen. Darüber hinaus verabschiedete die Friedens­ gesellschaft laufend Resolutionen zu drohenden oder schon ausgebrochenen Kriegen. Ab 1892 erschien die von von Suttner und Alfred Hermann Fried herausgegebene Zeitschrift »Die Waffen nieder  !«, die 1899 von der »Friedens-Warte« abgelöst wurde. Inwieweit die politische Zurückhaltung, also die stete Betonung des unpolitischen Charakters, der restriktiven rechtlichen Situation in Österreich geschuldet war, kann

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wohl nicht abschließend geklärt werden  : Paragraph 30 des Vereinsgesetzes verbot, dass Frauen Mitglieder in politischen Vereinen wurden – was die Friedensaktivitäten in besonderem Maße behinderte. Darüber hinaus waren die Friedensvereine besonderem polizeilichen Druck ausgesetzt, die Geheimpolizei bespitzelte ihre Funktionäre und Funktionärinnen.10 Tatsächlich hieß es in den Statuten des von von Suttner 1891 offiziell gegründeten Vereins, dass dieser »kein politischer« sei, auch sei er durchaus patriotisch und anerkenne die Pflicht des Staatsbürgers, »im Falle eines Krieges für das Vaterland mit Selbstaufopferung in die Schranken zu treten und der gesetzlichen Wehrpflicht zu entsprechen.«11 Wie die internationale Friedensbewegung war auch ihre österreichische Variante in sozialer Hinsicht ein Elitenprojekt. Ihre Mitglieder waren vor allem Angehörige des Adels – wie von Suttner selbst –, Intellektuelle, vor allem Literaten – wie A ­ l­fred Hermann Fried,12 Herausgeber der Friedens-Warte und Friedensnobelpreisträger (1911)  –, Wissenschafter und einige wohlhabende Bürger sowie noch weniger Bürgerinnen. Derselben Gesellschaftsschicht entstammten die Unterzeichner und, in geringerer Zahl, Unterzeichnerinnen von Aufrufen und Resolutionen. Aus den Veranstaltungsankündigungen in der »Friedens-Warte« ist ersichtlich, dass immer wieder auch »volkstümliche Vorträge« geplant waren. Es verweist aber nichts darauf, dass es dadurch gelungen wäre, Angehörige nicht-bürgerlicher Schichten in größerer Zahl anzusprechen. Parallel zur vereinsbasierten, sich betont als »unpolitisch« präsentierenden Formierung entwickelte sich ein Organisationsstrang, der »politisch«  – im engeren Sinn  – agieren wollte  : Ausgehend von den Revolutionskriegen zur Mitte des Jahrhunderts und verstärkt durch den preußisch-französischen Konflikt entwickelten sich Ideen eines »europäischen Parlaments« bzw. eines internationalen Zusammenschlusses von Parlamentariern. Schließlich wurde 1889 in Paris – wo übrigens gerade die Weltausstellung stattfand – die Interparlamentarische Union gegründet, die zuerst die nähere Bezeichnung »für Schiedsgerichtsbarkeit« führte und so ihre zentrale Forderung bereits im Namen trug. Zwischen 1889 und 1913 organisierten beide Stränge der internationalen Friedensbewegung internationale Konferenzen, an denen oft dieselben Personen teilnahmen. Ab 1897 tagten diese Zusammenkünfte allerdings an verschiedenen Orten, was auf die zunehmende Entfremdung zwischen den beiden Organisationsformen verweist. Auch die Bildung der Interparlamentarischen Union spiegelte sich in Österreich. Wieder auf Initiative von Suttners schlossen sich 1891 österreichische Parlamentarier der Interparlamentarischen Union, abgekürzt IPU, an. Eine 25-köpfige österreichische Delegation nahm an der Konferenz in Rom im selben Jahr teil. Ein wesentlicher Markstein in der Geschichte der internationalen Bewegung war die erste Den Haager Konferenz 1899, mit der sowohl das Haager Schiedsgericht als

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auch die Haager Landkriegsordnung verbunden sind. Bedeutsam ist aber auch ein anderer Aspekt  : Es war die erste der Friedenskonferenzen, an denen auch politische Machthaber, unter anderem eine österreichische Regierungsdelegation, teilnahmen. Zar Nikolaus II. hatte im Vorfeld ein Friedensmanifest veröffentlicht, in dem er die Abhaltung einer Friedenskonferenz befürwortet hatte. Wie ist das nun zu interpretieren  ? Offenbar waren die Friedenskonferenzen als symbolische Orte bedeutsam genug geworden, sodass die politischen Entscheidungsträger sie nicht (mehr) ignorieren konnten oder wollten. Andererseits waren sie aber Orte ausschließlich symbolischer Politik, und das sollte bis zum schließlichen Ausbruch des Krieges, den die Friedensbewegung so dringend vermeiden hatte wollen, so bleiben. Tatsächlich hatte die österreichische Delegation in Den Haag eine klar definierte Agenda  : Sie sollte jede substantielle Beschlussfassung verhindern, sich keinesfalls auf ein verbindliches Schiedsgericht einlassen und am besten nur eine zahnlose Resolution verabschieden, lautete der Auftrag des zuständigen Ministers.13 Das Ergebnis der zweiten Den Haager Konferenz im Jahr 1907 war nicht unähnlich  : Wieder konnte man sich nicht auf verbindliche internationale Schiedsgerichte einigen. Es wurde zwar ein Abkommen über das »Ständige Gewählte Schiedsgericht« verabschiedet, das bis zum Ausbruch des Weltkriegs tatsächlich von über 20 Ländern ratifiziert wurde, auch von Österreich-Ungarn. Franz Joseph I. nahm allerdings, wie schon zuvor, die Verbindlichkeit der Schiedsgerichte und das im Abkommen vorgesehene Verbot explosiver Geschoße von seiner Zustimmung aus. Trotz der nicht einmal halben Erfolge und des zähen Hin- und Gegenhaltens wurden bis 1913 die Konferenzen weiterhin durchgeführt. Das Geschlecht von Krieg und Frieden In der geschlechterdichotomen Welt des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts war die Rede von Krieg und Frieden in mehrfacher Weise geschlechtlich codiert. Ein Aspekt der Geschlechterdichotomie war der Ausschluss von Frauen aus dem Öffentlich-Politischen. Die Friedensbewegung bot die Möglichkeit, diesen Ausschluss zu umgehen bzw. ihn punktuell zu durchbrechen. Frauen waren – wie das Beispiel von Suttners zeigt – in der Friedensbewegung aktiv. Und Frauen waren die Adressatinnen der Friedensbewegung. Der Aktivismus von Frauen und ihre Adressierung erfolgte allerdings auf der Basis der Geschlechterdichotomie  : Frauen sprachen zu Frauen als Mütter, als Lebensspenderinnen, als von ihrer Natur her oder – in einer anderen Variante – als von ihrer Sozialisation her friedfertigere Menschen. Das Konzept der »geistigen Mütterlichkeit« oder die Idee einer »Kulturaufgabe der Frau«14 unterfütterte diese Rede und sollte sie legitimieren in einer Welt, in der Frauen keine politische

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Stimme zugestanden wurde. Der Roman, der von Suttner bekannt, ja berühmt machte, »Die Waffen nieder  !«15, behandelte die Biographie einer Frau und richtete sich an ein weibliches Publikum. Von Suttner versuchte auch, die bürgerliche Frauenbewegung für ihre Sache zu gewinnen und war jahrelang Leiterin des Friedensreferats des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins.16 Dessen Vorsitzende, Auguste Fickert, wiederum sprach auf Veranstaltungen der Österreichischen Gesellschaft der Friedensfreunde. Bertha von Suttner, aber auch Rosa Mayreder, die sich im Rahmen des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins ebenfalls für den Erhalt des Friedens engagierte, begriffen die Frage von Krieg und Frieden nicht als eine ausschließlich international außenpolitische, sondern sahen die wachsende Kriegsgefahr als Ausdruck einer Krise der männlichen Vorherrschaft. Dagegen setzten sie die Selbstinszenierung des Weiblichen, die die Selbstzerstörung der Menschheit aufhalten sollte.17 Trotzdem war es das Ziel, Frauen und Männer von der Notwendigkeit, den Frieden zu erhalten, zu überzeugen. Von Suttner selbst hatte dazu einen eher pragmatischen Zugang  : »Vergeblich ist es, von den Frauen als solchen zu erwarten, dass sie die Friedensbewegung zu ihrer Sache machen«.18 Sie würden, auch wenn sie sich darin in einen Gegensatz zu den Männern stellten, nichts erreichen  ; die Aufgaben der fortschreitenden Menschheitsveredlung seien solche, dass sie nur von der gleichfühlenden und gleichberechtigten Zusammenarbeit beider Geschlechter erfüllt werden könnten. Dass die Idee von der geistigen Mütterlichkeit im Hinblick auf die Auseinandersetzung um Krieg und Frieden durchaus ambivalent sein konnte, zeigt ein Blick auf die andere Entwicklung. Eine weitere zentrale Figur der bürgerlichen Frauenbewegung, Marianne Hainisch, war Mitglied der Österreichischen Friedensgesellschaft und Vorsitzende des Bundes österreichischer Frauenvereine, der zweiten wesentlichen Organisation der ersten österreichischen Frauenbewegung. Sie berief sich auf die mütterlichen Eigenschaften der Frauen, um damit den Aufruf des Bundes an die Frauen zu untermauern, wonach die Frauen ihren Anteil an der patriotischen Aufgabe des Krieges erfüllen mögen  : Sie sollten sich an der »Heimatfront« in der Kriegerfürsorge betätigen.19 Schon 1895 hatte von Suttner festgestellt, dass es Frauengruppen seien, die für die Anschaffung von Torpedobooten sammelten.20 Allgemein gilt, dass die Resonanz der bürgerlichen Friedensbewegung innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung in Österreich vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs schwächer war als in anderen europäischen Ländern, etwa in Deutschland, Spanien oder Russland.21 In der deutschsprachigen bürgerlichen Frauenbewegung Österreichs waren andere, spezifische frauenpolitische Belange meist prioritär gegenüber den Friedensaktivitäten. Das sollte sich erst im Verlauf des Ersten Weltkriegs und danach ändern. Die Gründung des »Internationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden« im Jahr 1915 und der »Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit« 1919 hatte auch in Österreich Auswirkungen  : 1920 zum Beispiel wurde der »österrei-

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chische Zweig« letzterer gegründet.22 Allerdings hatten sich zu diesem Zeitpunkt die Rahmenbedingungen völlig verändert. Festzuhalten ist, dass das Verhältnis zwischen Frauen- und Friedensbewegung vor dem Ersten Weltkrieg im deutschsprachigen Teil der Monarchie durchaus komplex und uneindeutig war – und immer noch zu wenig erforscht ist. Die bürgerliche Friedensbewegung bei Kriegsausbruch Im Sommer 1914 war Bertha von Suttner, die zentrale Figur und treibende Kraft, gerade gestorben. Schon in den Jahren zuvor hatte sie über mangelnden Zuspruch geklagt. Seit dem Tod von Alfred Nobel, der die Österreichische Friedensgesellschaft finanziell unterstützt hatte, waren die Friedensaktivitäten begrenzt gewesen. Die Friedensgesellschaft war bei Kriegsausbruch gespalten und praktisch zerfallen, ebenso wie die österreichische Sektion der Interparlamentarischen Union. Es war nicht gelungen, Wirkung über einen engen, begrenzten Zirkel hinaus zu entfalten. Es war das Konzept der Österreichischen Friedensgesellschaft, möglichst integrativ zu wirken und niemanden auf Grund seiner politischen Haltung, seines Geschlechts oder seiner Religion auszuschließen. Das führte einerseits dazu, dass der Pazifismus der Mitglieder durchaus ganz unterschiedlich ausgeprägt sein konnte  : Ein Beispiel ist der liberale Abgeordnete Ernst von Plener, der zwischen 1906 und 1914 Leiter der österreichischen IPU-Gruppe und Gründungsmitglied der Gesellschaft der Friedensfreunde war. Gleichzeitig war er ein Anhänger des deutschen Militarismus.23 Andererseits kamen trotz der undogmatischen Haltung der Friedensgesellschaft breitere politische Bündnisse, zum Beispiel mit der Sozialdemokratie, die ihrerseits durchaus eine Massenbewegung war, nicht zu Stande. Gleichwohl wurden etwa in der »Friedens-Warte« die Äußerungen führender Sozialdemokraten zur Friedensbewegung genau beobachtet. Eine Rede Karl Renners vor Studenten am 7. März 1914 wurde freudig begrüßt, weil der Autor der »Friedens-Warte«, Alfred Hermann Fried, einen Gleichklang der Ideen ortete.24 In den Jahren vor Kriegsausbruch wurde in der »Friedens-Warte« aber viel öfter Klage darüber geführt, dass den Sozialdemokraten die Friedensbewegung als bürgerlich, »bourgeois« gelte. Tatsächlich scheinen führende Vertreter der SDAP die Friedensbewegung nicht besonders geschätzt zu haben. »Wir haben [neben dem Proletariat, Anm. d. Verf.] noch eine moralische Autorität, die bürgerlichen Friedensfreunde«, führte Victor Adler am Parteitag der SDAP 1912 angesichts des drohenden Balkankrieges aus, und weiter  : »Wir wünschen ihnen alles Gute, aber ich fürchte, es wird ihnen nicht gelingen, dem Krieg auf dem Balkan beim Gerichtshof in Haag den Prozeß anzuhängen, wenn sie auch durch den Fürsten von Monako [sic  !], den Freund der Baronin Suttner, auf die Monarchen einwirken werden. Eine Autorität, eine wirk-

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same moralische Autorität haben die Pazifisten in Europa nicht.«25 Die Positionen und Symbole der internationalen Friedensbewegung wurden nicht ganz ernst genommen. So hieß es beispielsweise in der Arbeiter-Zeitung über den Friedensnobelpreis  : »In der Regel bekommt ihn irgendein guter Kerl, der kein Blut sehen kann und darum eine zwar geräuschvolle, aber durchaus harmlose Vorliebe für den Weltfrieden hat.«26 Die »Friedens-Warte« zitierte solche und ähnliche Charakterisierungen immer wieder klagend und verständnislos. Das dürfte auch die Reaktion von Suttners widerspiegeln. Ihrerseits sprach sie durchaus anerkennend von den friedenspolitischen Positionen und Aktionen der sozialdemokratischen Parteien, vor allem in Deutschland und in Österreich, oder der Sozialistischen Internationale. Der Sozialistenkongress in Zürich im August 1893 sei auch ein Friedenskongress gewesen, meinte sie.27 Gleichwohl kritisierte von Suttner mitunter die sozialdemokratische Position, die auf die »internationale Solidarität der Proletarier« setze, und hielt in Verteidigung ihrer Strategie dagegen, dass doch die internationale Solidarität der Dichter, Denker, religiöser, kommerzieller und anderer »Kreise« immer bedeutender werde.28 In den 1910er Jahren scheint von Suttner, beeindruckt von der Fähigkeit der Arbeiterbewegung, die Massen zu mobilisieren, immer mehr Hoffnungen in diese gesetzt zu haben. Im September 1911 merkte sie an, dass Versammlungen und Demonstrationen das neue Mittel der Völker seien, »ihrer Gesinnung Ausdruck« zu verleihen.29 Solche Demonstrationen würden die Sozialisten veranstalten. Die Bürgerlichen sollten entweder auch solche Veranstaltungen abhalten, oder an den sozialistischen teilnehmen, auch wenn sie nicht in allen Punkten mit den Sozialisten übereinstimmten. Wie weit die Konzepte von politischem Handeln zwischen Friedensbewegung und politischen Parteien auseinander klafften, zeigt die abschließende Aufforderung von Suttners  : »Der Sozialismus macht sich immer mehr die Prinzipien des einst von ihm so verhöhnten ›bürgerlichen‹ Pazifismus zu eigen. Es gibt eben keinen ›bürgerlichen‹  – sondern nur Pazifismus überhaupt. Zeit wäre es, daß nicht die Sozialisten allein den Mut aufbringen, gegen die Geißel des Krieges und des bewaffneten Friedens zu protestieren, sondern daß in allen Ländern eine eigene Friedenspartei gegründet werde. Eine Partei der Weltorganisation – um das matt klingende Wort Frieden zu ersetzen.«30 Weder ein Aufruf an die Masse der Bevölkerung noch ein Verhandlungsangebot wurden aber ernsthaft erwogen.31 Stattdessen kam es kurz vor Ausbruch des Krieges zu zwei neuen Vereinsgründungen. »Nova Austria«, das das Reich nicht überlebte, setzte sich für die Verständigung der Völker der Habsburgermonarchie ein. Dazu sollten Sprachkenntnisse verbreitert und das Erziehungswesen reformiert werden.32 »Der Österreichische Verband für allgemeine Völkerverständigung ›Para Pacem‹« wurde nach einem Konflikt innerhalb der Österreichischen Friedensgesellschaft gegründet. »Para Pacem« wollte sich weniger theoretischen Konzepten zu Frieden und Völkerverständigung widmen,

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sondern sich mit praktischen Fragen befassen. Folgerichtig wurden die Senkung der Auslandsporti, die Vereinheitlichung des Automobilverkehrs oder die Herstellung von Telefonanschlüssen und -verbindungen gefordert. Sowohl die Vertreter von »Para Pacem« – unter anderem einige Universitätsprofessoren, unter ihnen der Jurist Heinrich Lammasch, der später der letzte Ministerpräsident des Habsburger Reiches werden sollte, und der bisher in der Friedensgesellschaft aktive Arthur Müller – als auch jene der Friedensgesellschaft betonten, dass die beiden Gründungen nicht in Konkurrenz zueinander stünden, sondern einander ergänzten.33 Im Hinblick auf politische Strategien und Aktionsformen unterschieden sich die Neugründungen aber substantiell von schon länger bestehenden Organisationen der Friedensbewegung. Auch auf internationaler Ebene steckte die Friedensbewegung in der Krise. Ihr internationales Zentrum, das Friedensbüro in Bern, dessen Vizepräsidentin von Suttner seit 1892 gewesen war und das vom US-amerikanischen Carnegie Endowment for International Peace finanziert wurde, verlor 1914 seinen hauptsächlichen Sponsor. Geheimpolizei und Zensur machten in vielen der kriegführenden europäischen Staaten, unter anderem in Österreich-Ungarn, nach Kriegsausbruch pazifistische Aktivitäten nahezu unmöglich. Sie dürften aber auch auf keine besonders starken Gegner getroffen sein. Es sollte allerdings nicht lang dauern, bis der Krieg auch Friedensbemühungen hervorbrachte  : Bereits im Frühjahr 1915 fanden Kongresse und Konferenzen auch unter österreichischer Beteiligung statt. Resümee Was waren also die Gründe, warum sich die Friedensbewegung beim Ausbruch des Krieges nach Erfolgen in den 1890er Jahren in einer so marginalisierten Position befand  ? Wesentlich scheint mir, erstens, dass die Friedensbewegung über kleine Zirkel aus politischen Eliten und Intellektuellen nie hinauskam, trotz ihres integrativen Anspruchs. Es gelang weder, eine Koalition mit der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung einzugehen, noch konnte die Mehrheit der bürgerlichen Frauenbewegung nachhaltig überzeugt werden. Zweitens waren wesentliche Träger der Forderung nach Frieden Liberale. Der politische Liberalismus in Österreich war aber am Ende des 19. Jahrhunderts, als eine Konsequenz aus der Wirtschaftskrise nach dem Börsenkrach von 1873, nahezu bedeutungslos geworden.34 Drittens war die Haltung der Mehrheit der Friedensbewegung gegenüber den Staaten und ihren Regierungen, die auf eine kriegerische Auseinandersetzung zusteuerten, zumindest ambivalent. Sie nahm im Konflikt zwischen pazifistischer Einstellung und der Erwartung zum nationalen Schulterschluss, deren Druck mit der Verschär-

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fung der Krise stärker wurde, eine Haltung ein, die sie »pazifistischen Patriotismus« nannte und die dazu führte, dass die internationale Kommunikation beim Ausbruch der Feindseligkeiten zusammenbrach. Viertens war die Wahl der politischen Mittel beschränkt. In Österreich konzentrierte sich die bürgerliche Friedensbewegung vor allem auf publizistische Tätigkeit und auf das Verabschieden von Resolutionen, die sich an die Regierenden richteten. Tatsächlich war der Einfluss auf die politischen Machthaber aber, wie sich laufend zeigte, gering, auch wenn letztere Wohlwollen äußerten oder die Friedensbewegung für ihre Zwecke nutzten. Außerdem wollte die Friedensbewegung niemanden ausschließen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, waren das Engagement und die Loyalität mancher Mitglieder durchaus zweifelhaft. Einige Beispiele legen nahe, dass eine Mitgliedschaft in der »Gesellschaft der Friedensfreude« eine harte Haltung gegenüber Serbien und eine Befürwortung des Ultimatums, das schließlich in den Krieg führte, nicht ausschloss. Die Vereine, die die bürgerliche Friedensbewegung ausmachten, waren zwar ohnehin nie Massenorganisationen. Es scheint aber, dass das Vorliegen einer Vereinsmitgliedschaft wenig über die politische Haltung einer Person im konkreten Konfliktfall aussagte. All das meint aber nicht, dass es an der bürgerlichen Friedensbewegung gelegen wäre, den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu verhindern, wenn sich deren Akteure und Akteurinnen nur in dem einen oder anderen Fall anders entschieden hätten. Dazu waren die von den europäischen Bündnissystemen ausgehenden Dynamiken zu einflussreich. Der Ausbruch des Krieges war aber trotzdem auch die tragische Niederlage jener, die die Jahrzehnte davor mit guten Gründen vor ihm gewarnt hatten. Anmerkungen 1 Ich bedanke mich herzlich bei Mag. Matthias Trinkaus und bei Sarah Knoll für ihre Unterstützung bei der Recherche. 2 Siehe beispielsweise Die Friedens-Warte. Zeitschrift für internationale Verständigung 16 (1914) 5, 199. 3 Siehe dazu Aus der Bewegung. Der XXI. Weltfriedenskongreß, in  : Die Friedens-Warte 16 (1914) 8–9, 319. 4 Christoph Gütermann, Die Geschichte der österreichischen Friedensbewegung 1891–1895, in   : ­Manfried Rauchensteiner (Hg.), Überlegungen zum Frieden, Wien 1987, 13–132. 5 Henriett Kovács, Die Friedensbewegung in Österreich-Ungarn an der Wende zum 20. Jahrhundert, Herne 2009, 27–43. 6 Die Friedens-Warte 16 (1914) 3, 113. 7 Kämpferin für den Frieden  : Bertha von Suttner. Lebenserinnerungen, Reden und Schriften. Eine Auswahl, hrsg. und eingeleitet von Gisela Brinker-Gabler, Frankfurt am Main 1982, 53. 8 Statuten der »Österreichischen Friedensgesellschaft«, zit. nach  : Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 27.

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  9 Ebd. 10 Kovács, Friedensbewegung, 64. 11 Statuten der »Österreichischen Friedensgesellschaft«, zit. nach  : ebd., 75. 12 Zu Fried siehe beispielsweise Walter Göring, Verdrängt und vergessen. Friedensnobelpreisträger Alfred Hermann Fried, Wien 2006  ; Bernhard Tuider, Alfred Hermann Fried. Pazifist im Ersten Weltkrieg. Illusion und Vision, Dipl. Arb., Wien 2007. 13 Kovács, Friedensbewegung, 83. 14 Elisabeth Klaus/Ulla Wischermann, Journalistinnen. Eine Geschichte in Biographie und Texten. 1848– 1990, Wien 2013, 144. 15 Bertha von Suttner, Die Waffen nieder  ! Eine Lebensgeschichte, 2 Bände, Dresden–Leipzig 1889. 16 Klaus/Wischermann, Journalistinnen, 150. 17 Hanna Schnedl-Bubeniček, Pazifistinnen. Ein Resümee zu theoretischen Ausführungen und literarischen Darstellungen Bertha von Suttners und Rosa Mayreders, in  : Gernot Heiss/Heinrich Lutz (Hg.), Friedensbewegungen. Bedingungen und Wirkungen, Wien 1984, 96–113, 110. 18 Bertha von Suttner, Die Friedensbewegung und die Frauen, in  : Die Waffen nieder  ! Monatsschrift zur Förderung der Friedensbewegung, 4 (1895) 7, 255, zit. nach  : Klaus/Wischermann, Journalistinnen, 154. 19 Marianne Hainisch, Der Krieg, in  : Der Bund, Oktober 1914, 1–6, zit. nach  : Renate Flich, Frauen und Frieden. Analytische und empirische Studie über die Zusammenhänge der österreichischen Frauenbewegung und der Friedensbewegung mit besonderer Berücksichtigung des Zeitraumes seit 1860, in  : Rauchensteiner, Überlegungen zum Frieden, 410–463, 423. 20 von Suttner, Die Friedensbewegung und die Frauen, 255. 21 Daniela Lackner, Die Frauenfriedensbewegung in Österreich zwischen 1899 und 1915, Dipl. Arb., Wien 2008, 14. 22 Vergleiche Corinna Oesch/Yella Hertzka (1873–1948). Vernetzungen und Handlungsräume in der öster­reichischen und internationalen Frauen- und Friedensbewegung, phil. Diss., Wien 2013. 23 Kovács, Friedensbewegung, 84. 24 Siehe dazu im Detail Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 44–45. 25 Protokoll der Verhandlungen des Parteitages der deutschen sozialdemokratischen Arbeiterpartei in ­Oesterreich. Abgehalten in Wien vom 31. Oktober bis zum 4. November 1912, Wien 1912, 114. 26 Der Friedenspreis, Arbeiter-Zeitung, 13.12.1913, 5. 27 Kämpferin für den Frieden, 193. 28 Ebd., 195. 29 Kämpferin für den Frieden, 198. 30 Die Friedens-Warte 15 (1913) 3, 106. 31 Kovacs, Friedensbewegung, 56. 32 Gütermann, Geschichte der Friedensbewegung, 49. 33 Das Programm des Oesterreichischen Verbandes für allgemeine Völkerverständigung »Para Pacem«, in  : Die Friedens-Warte 16 (1914) 2, 55–56. 34 Siehe dazu den Beitrag von Gernot Stimmer in diesem Band.

Michaela Sohn-Kronthaler

Der katholische Episkopat und der Erste Weltkrieg

I. Hinführung Der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs gibt Anlass, sich dem weiten Forschungsbereich »Katholische Kirche und Erster Weltkrieg« zuzuwenden. Nur wenige Einzelstudien liegen zu Aspekten der Thematik für Österreich vor, von denen die ausführliche Monografie zur bischöflichen Theologie am Beispiel der Hirtenbriefe des Episkopats von Wilhelm Achleitner1 oder die regionalgeschichtliche Untersuchung von Matthias Rettenwander zur katholischen Frömmigkeit während des Krieges2 hervorgehoben seien  ; eine größere historische Gesamtdarstellung fehlt.3 In den bisher erschienenen Bischofsbiographien4 und Überblicksdarstellungen zur Kirchengeschichte Österreichs bzw. der einzelnen Diözesen wird diese Zeitspanne kaum oder ungenügend behandelt.5 Der vorliegende Beitrag erörtert die enge Verbindung von Religion und Politik anhand der Haltung des Episkopats der katholischen Kirche, die in der Doppelmonarchie ein maßgeblicher Machtfaktor im öffentlichen wie auch privaten Leben war.6 Dargelegt werden Positionen der Bischöfe zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, zu Kriegsverlauf und Kriegsdeutung sowie zum Frieden, wobei aufgrund des vorgegebenen Rahmens eine Beschränkung auf das Gebiet des heutigen Österreich vorgenommen wird. Die folgenden Ausführungen beruhen in erster Linie auf Analysen der offiziellen kirchlichen Verlautbarungsorgane für den untersuchten Zeitraum, zumal sich darin Zeugnisse zu Themenfeldern finden, die im Kontext von Krieg und Frieden standen. Neben den Aussagen und Anweisungen des Wiener Metropoliten und Kardinals Friedrich Gustav Piffl7, dem die einflussreichste Stellung innerhalb des österreichischen Episkopats zukam, werden auch Standpunkte der anderen österreichischen Bischöfe in der vorliegenden Abhandlung berücksichtigt. II. Die Symbiose von Thron und Altar 2.1 Der Episkopat

Die Haltung des Episkopats zum Ersten Weltkrieg ist vor dem Hintergrund der jahrhundertelang gewachsenen, engen Verbindung zum katholischen Herrscherhaus zu analysieren. Das gute Einvernehmen hatte zu einer Symbiose von Kirche und Mo­nar­

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chie geführt. Die Bischöfe waren im habsburgischen Kaiserreich sozialisiert worden. Der Monarch hatte größtenteils die Oberhirten nominiert  ; schon im Auswahlverfahren war die Loyalität der bischöflichen Kandidaten gegenüber dem Herrscherhaus ein prioritärer Gradmesser für eine mögliche Ernennung. Das landesherrliche Nominationsrecht als persönliches Privileg für den Herrscher hatte das Konkordat von 1855 sogar verfestigt. Dieses Recht der Nominierung der Bischöfe für die Erzdiözese Wien sowie für die Diözesen St. Pölten, Linz, Brixen mit seinem Tiroler bzw. Vorarlberger Anteil und im Wechsel mit dem Salzburger Erzbischof für Gurk hatte der Kaiser bis zur Promulgation des Codex Iuris Canonici (CIC) von 1917 inne, ebenso für den Apostolischen Feldvikar der österreichisch-ungarischen Armee  ; damals war dies Emmerich Bjelik (1860–1927).8 Der Salzburger Metropolit, der vom dortigen Domkapitel gewählt wurde, ernannte den Seckauer Bischof. Das Bündnis von »Thron und Altar« wurde von beiden Seiten kritiklos und unhinterfragt hochgehalten  ; die Nähe der Bischöfe zur christlich-sozialen Bewegung bzw. Partei war grundsätzlich gegeben.9 Zu den wichtigsten Repräsentanten des österreichischen Episkopats zählte ­Friedrich Gustav Piffl (1864–1932), der in der Reichsmetropole residierte und ein Jahr vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, übrigens auf Vorschlag des Thronfolgers Franz Ferdinand, vom Herrscher zum Wiener Erzbischof ernannt und im Mai 1914 zum Kardinal erhoben wurde.10 Der Sohn eines nordböhmischen Buchbindermeisters war der letzte Wiener Oberhirte ohne akademischen Grad, sieht man von einem theologischen Ehrendoktorat ab. Die Seelsorge lag ihm besonders am Herzen. Das Kardinalsbirett erhielt er sogar aus den Händen Franz Ferdinands, so dass bei Piffl auch eine emotionale Komponente anlässlich des Mordes in Sarajevo hinzukam.11 Wie Piffl, welcher der christlichsozialen Bewegung seit seiner Jugendzeit verbunden war, unterstützte auch Johann Rößler (1850–1927), 1894 auf den Bischofsstuhl von St. Pölten berufen, die Christlichsozialen – als einer der ersten Oberhirten bereits in den 1890er Jahren.12 Der zweitälteste der während des I. Weltkrieges amtierenden österreichischen Bischöfe war vor seiner kaiserlichen Ernennung Professor für Kirchen- und Kunstgeschichte sowie Patrologie an der dortigen theologischen Diözesan­ lehranstalt. In Linz amtierte Rudolf Hittmaier (1859–1915), der in Wien studiert hatte. Bis zu seinem Todesjahr 1915 tauschte er – bald nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges – seine bischöflichen Aufgaben weitgehend mit jenen eines Krankenpflegers, zu dem er sich im August 1914 im Spital der Barmherzigen Brüder ausbilden ließ. Ein halbes Jahr lang leistete er persönlich Pflegedienste und stellte auch seine beiden Seminarien für Spitalszwecke zur Verfügung, ebenso eine größere Anzahl an Betten in seinem Bischofshof für Notfälle.13 Ihm folgte Johannes Maria Gföllner (1867–1941), der in Rom sowohl in Theologie als auch in Philosophie promoviert hatte und während der Kriegszeit im Sommer 1915 vom Kaiser ernannt worden war. Er wies sogar einen

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beruflichen Bezug zum Herrscherhaus auf, hatte er doch in den Jahren 1895/96 als Erzieher in der Familie von Erzherzog Karl Stephan in Pola/Pula gewirkt.14 Als am 5. Juli 1914 der von der Gurker Diözese nach Salzburg transferierte Oberhirte Balthasar Kaltner (1844–1918) als Erzbischof inthronisiert wurde, lag bereits der Schatten des Mordes von Sarajevo auf der Feier.15 Kaltner war der erste Salzburger Metropolit, der nicht mehr das Kardinalsbirett erhielt. Er verstarb noch vor Ende des Ersten Weltkrieges, sodass das Domkapitel zwar am 12. August 1918 dessen Nachfolger Ignatius Rieder (1858–1934) wählte, welcher allerdings erst am 15. Dezember desselben Jahres in sein Amt eingeführt wurde.16 Zum Nachfolger Kaltners an der Spitze der Diözese Gurk nominierte Kaiser Franz Joseph im Dezember 1914 den aus Bayern stammenden erst 45-jährigen Adam ­Hefter (1871–1970), dessen Anfänge der bischöflichen Amtszeit von der schon lange in Kärnten schwelenden Nationalitätenfrage überschattet war.17 Der Diözese Seckau stand seit 1893 Leopold Schuster (1842–1927) vor. Der Sohn eines Landwirtes war zum Professor für Kirchengeschichte und Rektor der KarlFranzens-Universität Graz aufgestiegen, ehe ihn der Salzburger Erzbischof für den steirischen Bischofsstuhl 1893 erwählte.18 Damit war Schuster von den 1914 amtie­ renden Bischöfen am längsten im Amt. An Lebensjahren älter war nur der 1912 ernannte Oberhirte für Brixen, Franziskus Egger (1836–1918), dessen nördlich gelegene Bistumsteile zum Zeitpunkt des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs in das heutige Gebiet Tirols reichten.19 Schon 1908 war Egger zum Weihbischof von Brixen ernannt worden  – mit dem Sitz in Feldkirch in Vorarlberg  – und als Generalvikar für das nördliche Bistumsgebiet zuständig. Seine Nachfolge als Weihbischof für Tirol und Vorarlberg trat 1912 Sigismund Waitz an (1864–1941), der spätere Salzburger Erzbischof.20 Prägend für dessen monarchistische Einstellung und unbedingte Treue zu den Habsburgern war seine Tätigkeit als Erzieher und Religionslehrer des Thronfolgers und späteren Kaisers, des Erzherzogs Karl I. Waitz, Schuster und Egger standen ebenfalls der christlich-sozialen Bewegung sehr nahe. Der österreichische Episkopat war in den cisleithanischen Bischofskonferenzen vereinigt, dem alle übrigen Bischöfe der diesseitigen Reichshälfte angehörten und die sich in regelmäßigen Abständen in Form von Vollversammlungen oder Komiteekonferenzen zu Beratungen trafen.21 Vorsitzender war seit 1910 der Prager Kardinal Leo Skrebenský (1863–1938)  ; er übernahm aufgrund seines hierarchischen Ranges diese Funktion nach dem Tod des Wiener Kardinals Anton Joseph Gruscha.22 2.2 Kirche und Herrscherhaus – »ein durch die Jahrhunderte erprobtes heiliges Band«

Als am 21. November 1916 Kaiser Franz Joseph I. verschied, tagte zeitgleich in Wien die Bischofskonferenz. Skrebenský brachte im Namen der Erzbischöfe und Bischöfe

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das Nahverhältnis der katholischen Kirche zum Monarchen in einem gemeinsamen Hirtenbrief an die Gläubigen mit folgenden Worten auf den Punkt  : »Es ist ein durch die Jahrhunderte erprobtes heiliges Band, das Habsburgs Kaisergeschlecht mit der katho­lischen Kirche verbindet.«23 Darin schworen Österreichs Bischöfe dem Kaiser auf der Totenbahre ein dreifaches Gelöbnis der Treue im Namen aller ihrer Diözesanen  : »Treue dem heiligen katholischen Glauben, Treue dem Kaiserhause und dem Vaterlande, treues Vertrauen auf Gottes Walten über Österreichs Geschicken [sic  !].«24 Die Harmonie zwischen dem Episkopat und der habsburgischen Dynastie bestand zu Beginn des Ersten Weltkrieges ohne Trübung und währte auch bis zu dessen Ende. Das »heilige Band« zwischen Bischöfen und Dynastie blieb in den Kriegsjahren ganz eng geknüpft. Noch am 9. Dezember 1917 forderte Gföllner in seinem Hirtenschreiben die Gläubigen zur fortwährenden Anhänglichkeit gegenüber dem Herrscherhaus auf  : »Was wir bisher waren, wollen wir auch fortan bleiben  : Habsburgs treue Söhne, Bannerträger der schwarz-gelben Reichsfahne, vertrauend dem siegreichen Doppeladler, lauschend den unverfälschten Melodien der österreichischen Volks- und Kaiserhymne […]«.25 Das Nahverhältnis zwischen der kirchlichen Hierarchie und den Habsburgern manifestierte sich in diversen Ritualen und Zeremonien. Der Kaiser gewährte den Bischöfen anlässlich ihrer Plenarversammlungen in Wien – meist in corpore – Audienz  ; diese versicherten ihm ihre »unentwegte Treue« und »nie wankende Anhänglichkeit« in ihren Huldigungsadressen, die aufgrund von Bischofsversammlungen oder wegen besonderer Ereignisse des Herrscherhauses, wie Geburtstagen, Jubiläen, Eheschließungen, gefeiert wurden.26 Der Namenstag des Monarchen am 4. Oktober wurde von den Bischöfen »in treuer Liebe und vaterländischer Ergebenheit« begangen.27 Nach dem Ausbruch des Weltkrieges legte der Episkopat den Tag des Kriegsbeginns als allgemeinen Bettag für die gesamte Monarchie fest, »um den Segen Gottes auf Seine Majestät, unser Vaterland und unsere Armee herabzuflehen«.28 Demnach sollte nach der Sonntagsmesse das Allerheiligste über den ganzen Tag ausgesetzt und die Andacht mit einer feierlichen Betstunde abgeschlossen werden. Der Wiener Kardinal Piffl rief am 4. Oktober 1914 sogar zu einer »eucharistischen Kriegsandacht« im Stephansdom auf und deklarierte den Namenstag des Kaisers als »Reichsfeiertag« für ÖsterreichUngarns Völker, der »in angestammter dynastischer Treue« begangen wurde, und als »Reichsgebetstag«.29 Eigene Kirchenkollekten und Opfertage wurden während des Krieges jeweils am Geburts- und Namenstag des Kaisers angeordnet, der mit einem Festgottesdienst begangen wurde. Die Erträgnisse dienten zu gleichen Teilen dem Roten Kreuz und den zum Krieg Einberufenen und deren Familien.30 Auch am Namens- und Geburtstag von Kaiserin Zita wurde ein feierlicher Gottesdienst mit »Te Deum« eingeführt und dazu schulfrei gegeben.31 In den kirchlichen Verordnungsblättern fanden herrscherliche ­Verlautbarungen, wie das kaiserliche Manifest nach der Kriegserklärung Italiens an Österreich-­Ungarn,32

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das »Allerhöchste Handschreiben« anlässlich des zweiten Jahrestages der Kriegserklärung33 oder auch die Proklamation Kaiser Karls anlässlich seiner Thronbesteigung,34 ihren Niederschlag. Wie eng Kirche und Reich verbunden waren, zeigen die Anweisungen der Bischöfe in den kirchlichen Amtsblättern zur Zeichnung von Kriegsanleihen. Piffl forderte seinen Klerus zusätzlich auf, die Kriegsanleihen nach Möglichkeit nicht nur persönlich zu unterstützen, sondern gemäß dem Bibelwort des Evangelisten Markus (Mk 12,17) – »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist« – die Gläubigen an die Erfüllung ihrer »Pflicht gegenüber dem Vaterlande […] zu erinnern«35 und »zur Zeichnung auf die Anleihe auf das nachdrücklichste aneifern«.36 Er gestattete sogar, dass der »Fonds der geistlichen Körperschaften und der in Verwaltung der Kirche stehenden Stiftungen zur Zeichnung der Anleihe« herangezogen werden durften.37 Ebenso war es dem Klerus gestattet, »auch die noch verfügbaren Mittel der Kirchen, kirchlichen Korporationen und Stiftungen nach Möglichkeit zur Anleihe an[zu]melden«.38 In der Treue zum Haus Habsburg ließen sich die Bischöfe der Diözesen im Gebiet des heutigen Österreich nicht übertreffen. Diese Grundhaltung verband sich mit einer anfänglich euphorischen Kriegsbegeisterung, wenn sich auch unterschiedliche Nuancierungen diesbezüglich bei den einzelnen Amtsinhabern konstatieren lassen. Ein rationales Hinterfragen der bellizistischen Gewalt findet sich bei ihnen allerdings nicht. III. Reaktionen auf Sarajevo und zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges Als der Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin Sophie in Sarajevo ermordet wurden, rief Bischof Johann Rößler von St. Pölten am 30. Juni 1914 seinem Diözesanklerus zu, sich in unbedingter Loyalität hinter das Herrscherhaus zu stellen und »das Gelöbnis unerschütterlicher Treue, Liebe und Anhänglichkeit an die geheiligte Person Seiner Majestät und an das Allerhöchste Kaiserhaus zu erneuern«.39 Die Kriegsideologie Österreich-Ungarns beziehungsweise des habsburgischen Kaiserhauses machten die Bischöfe auch zu ihrer Sache. So wurde von Piffl die Kriegserklärung von Franz Joseph I. an Serbien, das Manifest »An meine Völker  !« vom 28.  Juli 1914, so rasch wie möglich in einer Sonderausgabe des Wiener Diözesanblattes publiziert und in der darauffolgenden Nummer erneut abgedruckt.40 In dem Manifest bekundete der Monarch sein Vertrauen »auf den Allmächtigen, daß er Meinen Waffen den Sieg verleihen werde«.41 Dem angeschlossen war ein Hirtenbrief des Wiener Kardinals (mit demselben Datum des kaiserlichen Manifests), der auch von den Kirchenkanzeln zu verlesen war  ; darin deutete der Bischof die Tage des Krieges als »ernste Prüfung«, als »Tage der Heimsuchung«. Der begonnene Krieg wurde als gerecht, notwendig und aufgezwungen legitimiert, da »unserm Friedenskaiser […] das

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Kriegsschwert in die Hand gedrückt worden« war42 – wie noch später näher ausgeführt wird. Der Erzbischof erbat für die Waffen den Segen »von oben« und begründete dies mit den Worten  : »[…] wo ist einer unter uns, der von der Gerechtigkeit und Notwendigkeit des unserm Friedenskaiser aufgezwungenen Krieges nicht vollauf überzeugt wäre  ? Mit vollem Vertrauen auf die gerechte Sache unseres Vaterlandes ziehen unsere Söhne und Brüder in den Kampf. Wir aber, die wir zurückbleiben, wollten in diesen Tagen ernster Prüfung vor allem unser Auge und Herz zu dem Herrn der Heerscharen emporheben und ihn im Geiste demütiger und opferwilliger Buße bitten, die Waffen unserer Streiter zu segnen.«43 Wie im Mittelalter, als die Schwerter der Kreuzfahrer gesegnet worden waren, wurden nun die modernen Waffen mit dem Segen bedacht. Für die kirchliche Hierarchie in Österreich war es quasi eine selbstverständliche Konsequenz, für den Kaiser und die Truppen zu beten, die Heiligen um ihre Hilfe anzurufen und Messen und Andachten für einen siegreichen Kriegsausgang abzuhalten.44 Gott – das schien für die katholischen Bischöfe außer Frage zu sein – stand in diesem »gerechten Krieg«, in dem zwei Drittel aller Katholiken und weitere christliche Konfessionen und andere Religionen von den militärischen Auseinandersetzungen betroffen waren, auf Seiten der habsburgischen Monarchie.45 Mehrfach wurde von Piffl während der Kriegszeit die Bibelstelle aus dem Römerbrief (Röm 8,13) vereinnahmt bzw. aktualisiert  : »Wenn der Herr mit uns ist, wer ist wider uns  ?«46 Er war überzeugt, dass »Gott mit uns« sei, dass Gott sich auf die Seite Österreichs schlage.47 Der Kardinal ordnete in seiner Erzdiözese an, in allen Kirchen »für unseren Kaiser, unsere im Heere stehenden Söhne und Brüder und unser Vaterland« nach dem täglichen Hauptgottesdienst und bei der nachmittägigen Segensandacht laut drei Vaterunser und Ave Maria mit dem gläubigen Volk zu beten.48 Ähnlich deklarierte der Seckauer Bischof Schuster den Monarchen als »Friedensfürst«49 und forderte von den katholischen Soldaten die »Pflichttreue« gegenüber dem »irdischen Vaterland« ein, die Gott einmal lohnen würde. Wesentlich nüchterner reagierte der St. Pöltener Diözesanbischof Rößler und sprach von einer »ernsten Zeit«.50 Krieg sei ein »furchtbares Wort« angesichts des Unheils sowie des Blutes und der Tränen, die vergossen werden  : »Der Krieg verwüstet Länder, zerstört das Glück von Tausenden und macht viele Familien unglücklich. Wie furchtbar ist die Geißel des Krieges«, wenngleich er im Krieg einen Entschluss Gottes sah, »uns Tage der Prüfung zu schicken«.51 Unglaubliche Töne der Kriegseuphorie schlug der Linzer Bischof Hittmair noch am 29. Juli 1914 an  : »[…] mit jubelnder Begeisterung hat ganz Oesterreich erfüllt das entscheidende Wort  : es ist Krieg  ! Und dieses in Kriegsbegeisterung aufjauchzende Oesterreich  : Kaiser  ! Das ist Dein erster Sieg in diesem Krieg. Alle Völker und Nationen, alle Stände, alle Eins, alle geeint zu flammender Hingebung von Gut und Blut fürs Vaterland  : Oesterreich  ! Das ist dein Kriegstriumph. Und in herrlichem Morgen-

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rot kommender großer blutiger Tage strahlt die Friedenssonne über ein glückliches Oesterreich, über ein Oesterreich, das glücklich ist in seiner Kraft, in seiner Einheit, in seiner Kaiserliebe und Habsburgtreue. Aber es genügt nicht, daß der große Augenblick uns begeistere. Die große Zeit des höchsten blutigen Ernstes muß uns wahrhaft groß machen, sie muß uns heiligen.«52 Er forderte die Gläubigen zu Demut, Gebet, Übung der Tugenden und Buße auf. Bald ließ sich jener Bischof selbst zum Krankenpflegedienst ausbilden, den er auch im Linzer Spital der Barmherzigen Brüder praktizierte. Sein Ableben ging auf eine Infizierung mit Flecktyphus zurück, als er erkrankte serbische Kriegsgefangene in Mauthausen besuchte.53 Die Jubelstimmung über den Krieg erfasste viele in Stadt und Land. So berichtete beispielsweise Ludwig von Pastor, österreichischer Gesandter beim Heiligen Stuhl, in seinen publizierten Tagebuchaufzeichnungen am 2. August 1914 von der »unbeschreiblichen Kriegsbegeisterung« in Innsbruck.54 Als Kardinal Piffl am 4. Oktober 1914 die Diözesanen zu einer »eucharistischen Kriegsandacht« im Stephansdom versammelte, dominierte in dessen Predigt, die er an die »katholischen Männer« richtete, die dynastische Treue und Siegesgewissheit, die das unfassbare Leid, die Entbehrungen und Verzweiflung der betroffenen Menschen, die der Krieg verursachte, in den Hintergrund rückte.55 Er verwies darauf, dass »die Worte, die wir in Friedenszeiten so oft gesungen, ›Gut und Blut für unsern Kaiser, Gut und Blut fürs Vaterland‹, zur ereignisvollen Tat geworden« seien.56 Hundertausende treue Österreicher stünden an den Grenzen des Reiches und »im Feindesland geschart unter den ruhmesreichen schwarz-gelben Fahnen, um für ihren Kaiser zu kämpfen und zu siegen, und wenn es nottut, auch zu sterben«, für einen Kaiser, der von Piffl zur »ehrfurchtgebietenden Heldengestalt« hochstilisiert wurde.57 Gleichsam einem Gelöbnis forderte er die Zuhörer auf, zuversichtlich und vertrauensvoll zu sein in Hinblick »auf den Sieg der gerechten Sache. Stets und unverrückbar muss uns der Gedanke vor Augen stehen  : Wir kämpfen für Wahrheit und Recht, wir kämpfen für Gott und unseren heiligen Glauben, wir kämpfen für unseren Kaiser und unsere heimatliche Scholle. In diesem Kampfe für unsere heiligsten Güter ist Gott mit uns  !«58 Überzeugt von Gottes Beistand in diesem Krieg forderte er die Männer unter Verwendung eines alttestamentlichen Bibelzitats auf  : »Schmiedet um eure Pflugscharen zu Schwertern und eure Winzermesser zu Lanzen. Selbst der Schwache rufe  : ›Ein Held bin ich  !‹ ( Joel 4,10).«59 Das Bündnis von Thron und Altar funktionierte auch in der außerordentlichen Krisenzeit. Was 1914 als regionale militärische Auseinandersetzung begann, weitete sich schon nach wenigen Wochen und Monaten zu einem Weltkrieg, der einen unvorstellbaren Blutzoll von zehn Millionen Toten und 19 Millionen Verwundeten forderte. Ohne nach konkreten politischen Ursachen und Auswegen aus dem Weltkrieg zu fragen, folgte der österreichische Episkopat in seinen Kriegsaffirmationen blindlings dem Habsburgerhaus, den Politikern und Generälen in ihrer Selbstüberschätzung.

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IV. Kriegsdeutungen zwischen Gottes Strafgericht und Schuldzuweisungen an Freimaurer Ihre affirmative Haltung zum Krieg begründeten die Bischöfe in erster Linie mit verschiedenen Deutungsmustern, vor allem religiös-theologischen Interpretationen. Dabei beriefen sich die kirchlichen Oberhirten – wenn auch in jeweils unterschiedlicher Intensität  – auf einzelne Bibelstellen und zogen diese im Kriegsdiskurs des Ersten Weltkrieges auf teilweise selektive und problematische Weise, ohne Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes der Heiligen Schrift, zur Unterstützung der eigenen Zielsetzungen heran.60 Die Legitimationsstrategie eines gerechten, notwendigen und aufgezwungenen Krieges zieht sich durch alle Hirtenschreiben und Kriegsjahre.61 Dem »geliebten Friedenskaiser« wurde, so die dominierende Darstellung, das Kriegsschwert »förmlich in die Hand gezwungen«.62 Den Soldatentod »im gerechten Krieg« stellte Piffl, sich auf Thomas von Aquin berufend, auf die gleiche Stufe mit dem Märtyrertod, als »Heldentod für Kaiser und Vaterland« dar. Die Soldaten seien als »Helden der Vaterlandsliebe und des Glaubens […] Werkzeuge Gottes im gerechten Sühn- und Verteidigungskriege.«63 Schuster erklärte den Krieg zudem als geschuldete Dankbarkeit gegenüber dem Herrscherhaus  : »Wir verteidigen in diesem Kriege nicht nur unser reiches und herrlich schönes Vaterland, sondern beweisen zugleich unsere Dankbarkeit gegen unsere altehrwürdige Dynastie mit dem erhabenen Jubelkaiser, der kein anderes Glück und keine andere Freude kennt, als seine Völker glücklich zu machen. Um ihn geschart wollen wir beten und opfern, bis unsere Söhne sieggekrönt heimwärtsziehen.«64 In seiner Predigt beim »Männer-Kriegsgottesdienst« in der Metropolitan­kirche St.  Stephan fast ein Jahr nach Kriegsausbruch, am 24. Juni 1915, brachte Piffl den »Sieg unseres Heeres« nach der Rückeroberung von Lemberg/Lwiw in Verbindung mit dem »Sieg des Glaubens an einen allmächtigen und allgerechten Gott, der uns im gerechten Verteidigungskampfe zur Seite steht«.65 Er blieb seiner Überzeugung treu, dass es sich »dem christlichen Sittengesetze« nach um einen »gerechten Verteidigungskrieg« handle, der als solcher »eine wenn auch schmerzliche Notwendigkeit um eines höheren Gutes, des Friedens, willen sittlich erlaubt und berechtigt« sei.66 Im Weihnachtshirtenbrief des Jahres 1916, der nicht nur von den Kanzeln verlesen, sondern von dem 8.000 Exemplare im Stephansdom verteilt wurden, begründete der österreichische Episkopat die militärischen Auseinandersetzungen mit der »Notwehr« des Staates.67 Die Bischöfe bleiben ihrer Überzeugung bis zum Ende des Krieges treu, »daß die Schuld an dem Blutvergießen unser Vaterland nicht trifft« und bedachten Kaiser Franz Joseph euphemistisch als »Friedenskaiser«.68 Als Kriegsursachen machte die Mehrheit der Bischöfe die menschlichen Verfeh­ lun­gen aus, die sich ausschließlich den »irdischen Genüssen« zugewandt hätten. Röß-

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ler forderte auf, den Krieg als »Heimsuchung Gottes mit allen ihren Leiden und Beschwerden im Geiste der Buße und Ergebung in Gottes heiligen Willen hin [zu] nehmen«.69 Kaltner bezeichnete, als neuer Erzbischof von Salzburg, in seinem ersten Hirtenschreiben am 1. August 1914 den Krieg als einen »harten Gesellen« und benannte die Folgen für Opfer und Leidende sowie die schrecklichen Seiten des Krieges. Aufgrund seiner Folgerung (»Wäre die Menschheit nicht ein sündiges Geschlecht, so gäbe es keinen Krieg«) mahnte er zur Buße, Prüfung der Herzen und Einkehr in sich selbst.70 Schuster begriff, wie Egger, den Krieg als Mittel Gottes zur »sittlichen Läuterung und Besserung des Volkes«.71 In diesem Sinne deutete er in seinen beiden Fastenhirtenschreiben vom 25. Jänner 1915 und vom 25. Februar 1916 den Ersten Weltkrieg einerseits als »ein Strafgericht Gottes für die Bösen« und »für die Völker, die seine Gesetze verlassen haben«,72 andererseits als »Tugendschule für die Guten« und als eine Zeit, in der die »Nächstenliebe schöner und vielgestaltiger geübt werden kann«.73 Die Deutung des Krieges als Strafgericht Gottes findet sich recht ausführlich im gemeinsamen Weihnachtshirtenbrief 1916, wobei »die Kriegsgeißel zunächst nicht so sehr für die Sünden der einzelnen Menschen« traf, sondern »für die öffentlichen Sünden der Gesamtheit«.74 Als solche wurden die Zerrüttung der Familien durch den »Mißbrauch der Ehe«, die »unchristlichen Unterrichts- und Erziehungslehren«, die »gottlose Presse«, die »grenzenlose Vergnügungssucht« und »zügellose Unsittlichkeit«, zu denen namentlich Frauenmode, Theater, Kinos beitrügen, genannt.75 Kaltner wie auch Piffl waren der Überzeugung, dass die lange Friedenszeit zur Hinwendung der menschlichen Existenz auf das Diesseits, zur Erkaltung der menschlichen Beziehungen zu Gott und zur Ewigkeit, zum ungestörten Kulturgenuss und menschlichen »Stolz auf die Triumphe irdischer Wissenschaft« sowie zur »maßlosen Überhebung« des Menschengeistes geführt hätten.76 Piffl schloss daraus, dass »in der Hand Gottes der Weltkrieg zur großen Weltmission geworden« sei, in welchem er die vergessenen Wege des Heils den Menschen zeige.77 Der Krieg, »von Gott nicht gewollt, aber zugelassen« als »Strafmittel und Gericht über Völker«, blieb das bischöfliche Erklärungsmodell bis zum Ende der militärischen Auseinandersetzungen.78 Als Kriegstreiber bezichtigten einige Bischöfe die Freimaurer  – wenn es überhaupt zu solchen Konkretisierungen kam. Die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn wurde vom Wiener Erzbischof als »häßlicher Treubruch« qualifiziert. Piffl beschuldigte in einem »Männer-Kriegsgottesdienst« in der Metropolitankirche St.  Stephan am 24. Juni 1915 insbesondere die italienischen Freimaurer, dass diese »Österreich hassen und es vernichten wollen, weil es nach ihrer Meinung nach die letzte Stütze der katholischen Kirche ist«.79 Doch gelangten seiner Meinung nach diese nicht an ihr Ziel. Gföllner sah in seinem Hirtenbrief vom 1. November 1915 in der »heuchlerischen Freimaurerei« die »Gegner Christi und der von ihm gestifteten Kirche« sowie »menschliche Helfeshelfer« Satans.80

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Der Wiener Kardinal Piffl deutete den Krieg sogar als heilsam, um Konflikte politischer, nationaler oder anderer Art zu überwinden und interpretierte in seinem Fastenhirtenbrief 1916 das Volk durch den Ausbruch des Krieges als geeinten Sozialkörper.81 Er erinnerte an »die ersten Tage des Kriegsbeginns  ; es war eine wahrhaft große Zeit, wie sie unser Vaterland nicht oft erlebt hat. Mitten aus dem Sumpfe kleinlicher politischer, nationaler und sozialer Zänkereien hob die große Woge vaterländischer Begeisterung uns mit einem mächtigen Ruck heraus und trug uns hinaus auf das weite Meer großer und heiliger Ziele.«82 Eine politische oder ökonomische Ursachenanalyse durch die Bischöfe unterblieb. V. Krieg und religiöser Aufbruch Mit dem Krieg verknüpften die Bischöfe die Erwartung einer religiösen und moralischen Erneuerung sowie einer intensiveren Sakramentenpraxis. Schon in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch notierte Pastor seine Beobachtungen in Tirol in den Tagebüchern  : »Ergreifend ist hier […] die Frömmigkeit unserer guten Soldaten, welche allenthalben in den Kirchen die Beichtstühle belagern.«83 Bei den Pastoralkonferenzen in den Wiener Dekanaten konnte von Seiten der Seelsorger »einmütig eine Förderung des religiösen Lebens durch den Krieg« festgestellt werden, wonach sie verschiedene Mittel empfahlen, »diesen religiösen Aufschwung zu steuern«.84 Rößler erwähnte einen nicht namentlich genannten Feldkuraten als vorbildlich, der berichtet hatte  : »Freudig schlug mein Herz, wenn ich an einem Tage 500 Mann den Leib des Herrn reichte, wenn auch die Arme müde wurden im Austeilen und mir manchmal vor den Augen flimmte durch das oftmalige Abschreiten der kurzen Kommunionbank«.85 Freudig subsumierte der Diözesanbischof von St. Pölten einen religiösen Aufbruch unter den Gläubigen zu Kriegsbeginn, als er dem Diözesanklerus öffentliche Andachten während des Krieges empfahl  : »Unser Flehen war nicht umsonst. Mit Wohlgefallen sah der Herr des Himmels herab auf die große Schar der Beter, welche die Kirchen füllten und die heiligen Sakramente empfingen.«86 Schuster titulierte den Krieg als »eine Quelle reichen Segens, vieler Gnaden und Bekehrungen« und gebrauchte die berühmte Redewendung »der Krieg lehrt beten«.87 Der Episkopat hielt noch zu Weihnachten 1916 in seinem gemeinsamen Schreiben »neben den tiefen Schatten auch helle Lichtseiten« des Krieges fest  : »[e]chter Gebetsgeist und rastloser Eifer für Gottes Sache und Ehre, segensvolle Erneuerung und Vertiefung des christlichen Lebens in religiösen Vereinen und charitativen Verbänden, offener Bekennermut zahlreicher Laien, liebliche Blüten reinen Familienlebens, gottgeweihter Jugend, stillen Duldersinns, ja heiligmäßigen Tugendstrebens […]«.88 Zwar kamen die Bischöfe nicht umhin, angesichts des unvorstellbaren Leides und

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der Kriegsdauer auf die wiederholt gestellte Theodizee-Frage der Menschen, »wie […] der Gott der Liebe und des Erbarmens solche Kriegsgreuel mitansehen und dulden [kann]«, einzugehen89 und zu erklären, dass Gott den Krieg »nicht gewollt [hat], wohl aber zugelassen in seiner Weisheit, in der Er die Menschen frei erschaffen hat«.90 Doch hoben sie in »Gottes Strafgerichten« den »heilenden, läuternden Zweck« hervor und schlugen daraus einen »geistigen Kriegsgewinn« zugunsten des kirchlichen und religiösen Lebens  : »Ist nicht das teilweise Widererwachen des religiösen Sinnes, das mächtige Aufflammen hingebungsvoller Nächstenliebe ein geistiger Kriegsgewinn, der bloßen Ländergewinn in den Schatten stellt  ? Hat nicht der Krieg durch so manche seiner Notwendigkeiten eine tatsächliche Rechtfertigung so mancher kirchlicher Gebote gebracht, die bisher vielfach nicht beachtet, noch häufiger verspottet wurden  ?«91 Auch Rößler war überzeugt, dass der Krieg »auch manches Gute [bringt]. Hat nicht der Weltkrieg zu großen Kundgebungen der Frömmigkeit Anlaß gegeben  ?«92 Tausende Männer und Frauen hätten »nach Jahren wieder die heiligen Sakramente empfangen und ihre Seele in Ordnung gebracht« sowie die tatkräftige Fürsorge am Nächsten praktiziert.93 Er thematisierte die Rolle des Gebetes während des Krieges und auch die Frage der Menschen, weshalb das Gebet den Kriegsausbruch nicht verhindern half  : »Vielleicht dauert der Krieg deshalb so lange, weil noch zu wenig gebetet wird und viele ihren Gott noch nicht gefunden haben.«94 Den Krieg sah Rößler als pädagogisches Instrument, »als gewaltiges Mittel zur Erziehung der Völker«, als »große Volksmission«, um die Menschen zu einer intensiveren Glaubenspraxis zurückzuführen.95 Und Piffl sprach vom »wiedererwachte[n] Glauben der Kindheit«, der die Soldaten »zu Helden christlicher Starkmut« formte, »die Gnade der hl. Sakramente hat sie zu todesmutigen Verteidigern ihres geliebten Vaterlandes gemacht. In jeder Not und Gefahr weiß sich der gläubige Soldat aufs innigste mit Gott verbunden und ist ergeben in seinen heiligen Willen, den er als sein Schicksal gefaßt aus der Hand des Höchsten entgegennimmt.«96 Den Trost und die Bedeutung der Religion während des Krieges hob der St. Pöltner Bischof Rößler hervor  : »Hier wird sie zum schützenden und tröstenden Schutzengel für den Soldaten.«97 Noch 1916 war auch Piffl überzeugt, »daß mit dem großen Kriege eine neue Zeit begonnen hat, und daß diese Zeitenwende auch einen neuen Maßstab an alle sittlichen Werte wird anlegen müssen« und forderte deshalb seine Diözesanen auf  : »Nehmt es deshalb […] für alle Zukunft mit der Religion wieder ernst.«98 So konstatierte der Erzbischof, dass der Krieg »die Liebe und das Zusammengehörigkeitsgefühl in unseren Familien wieder vertieft« habe und die Gottesverehrung »in der Kriegszeit vielorts lebendiger geworden« sei.99 Die Kriegsnöte böten allen, den Reichen wie Unbemittelten, »reichlich Gelegenheit zu Werken der Nächstenliebe«.100 Ganz anders der Salzburger Erzbischof Kaltner, der in der Bewertung des »furchtbaren Krieges« weitaus nüchterner blieb und eine auffallende Zunahme religiöser und

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sittlicher Erneuerung nicht feststellen konnte. Die »Rückkehr zu Gott« sei »infolge des Ernstes der Tage« nur bei einigen eingetreten, »im großen und ganzen aber nicht«  ; denn jetzt wie früher kümmerten sich viele um kein Sakrament, keine Predigt, keinen Gottesdienst. Auch Unterhaltungseinrichtungen seien »seit dem Kriege nicht anständiger und sittlicher geworden«.101 Das Faktum, dass die »wirkliche sittliche Einkehr der Menschheit«, wie die ­Bischöfe dies mit ihrer Kriegstheologie erwarteten, nicht eintrat und die »am ­Anfange des Krieges offenbar gewordene Umkehr vieler zu Gott zumeist wie ein rasch aufflammendes Strohfeuer bald erlosch«, thematisierte der Episkopat in seinem Schreiben im Sommer 1918.102 Rößler musste eingestehen, dass der Krieg »auch viele Verwüstungen auf sittlichem und religiösem Gebiete angerichtet habe« und sprach von einer Schwächung des Glaubens, der Lockerung von Zucht und Ordnung in den Familien und vom Mangel an christlicher Nächstenliebe  : »Die Kriegszeit ist für manche Laster ein üppiger Nährboden geworden.«103 Piffl resümierte  : »Ja, vielfach sind die vor dem Kriege schon offenkundigen Völkersünden noch ärger geworden. So hat die Unsittlichkeit geradezu unerträgliche Formen angenommen, der Zweck des heiligen Ehebandes wird mehr mißachtet denn je […].«104 Als Ursache machten die Bischöfe in ihrem gemeinsamen Hirtenschreiben vom August 1918 die lange Dauer des Krieges aus.105 Zu dieser Diagnose kamen sie auch nach dem »unseligen Ausgang des Krieges« in ihrem gemeinsamen Hirtenbrief vom 23. Jänner 1919  : »Groß war das Unglück des Krieges an sich, größer das unglückliche Ende desselben  ; voll aber scheint das Maß unserer Heimsuchung zu werden durch den Niederbruch des Glaubens und der Sittlichkeit in weiten Volkskreisen.«106 VI. Kriegsandachten und Friedenssehnsucht Das Überzeugtsein vom »gerechten Krieg« ließ die Bischöfe den Gottesdienst instrumentalisieren und die Verkündigungssprache militarisieren. Egger sprach vom »Geistesschwert des heiligen Rosenkranzes«, das Tausende »schwingen«.107 Piffl und Hittmair ordneten einen »Gebetsfeldzug unter der Anrufung Unserer lieben Frau vom Siege zur baldigen Erlangung des Sieges und eines ehrenvollen, dauernden Friedens«108 an. Und Rößler thematisierte die »Waffen des Gottesvertrauens, der Geduld und des Starkmutes«, die Beichtstühle würden »belagert«.109 Die Bischöfe sprachen anlässlich ihres gemeinsamen Weihnachtshirtenbriefes 1914 zur Weihe an das heiligste Herz Jesu vom Herz Jesu als »unser[em] Kampf- und Siegeszeichen«.110 Kriegsandachten, Kriegsgottesdienste und Kriegsbittprozessionen dominierten das religiös-kirchliche und liturgische Leben. Weihbischof Waitz äußerte sich dazu in seinem Hirtenschreiben vom 6. September 1915  : »Ein Feldkurat sagte  : Wenn die

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Schützen erfahren, daß zu Hause eine große Kriegsandacht gehalten, ein neuer Gebetssturm veranstaltet wird, dann gehen sie mit viel größerem Mut und viel innigerem Vertrauen in den Kampf […].«111 Ein »Österreichisches Kriegsgebetbüchlein«112 des Benediktiners und Jugendschriftstellers Heinrich Schwarz (1819–1894) wurde dem Klerus zur Verbreitung empfohlen.113 Sogar eine eigene Zentralstelle für Soldatenlektüre wurde von der Marianischen Kongregation für die gesamte Monarchie errichtet, die den geregelten »Versand von guten Schriften an die Front und in die Lazarette« besorgte.114 Zu Weihnachten 1914 rief der Episkopat zu einer Fortsetzung und Vertiefung der »Weihe an das heiligste Herz Jesu« auf.115 Am 15. Oktober 1916 wurde im Zuge einer »Kriegsbittprozession« von den KatholikInnen Wiens »das Bild der Kriegsmuttergottes, das Bild ›Unserer lieben Frau mit dem geneigten Haupte‹« von der Votivkirche »in ernster Bußprozession« zum Stephansdom getragen.116 In den kirchlichen Amtsblättern ist ein paradoxes Nebeneinander von bischöflicher Kriegsaffirmation und Kriegstheologie, karitativem Einsatz für die Kriegsopfer und Leidenden117 sowie päpstlichen Friedensappellen bzw. Friedensbitten zu beobachten. Als einer der ersten Bischöfe ordnete der St. Pöltner Bischof Rößler bereits am 29. Juli 1914 Gebete in der Kirche nach den täglichen Messen an, damit »Gott die schweren Tage der Heimsuchung abkürze und uns recht bald wieder die Segnungen des Friedens nach glücklich errungenem Siege verleihen möge«.118 Er schloss sein Hirtenschreiben, das er anlässlich der Kriegserklärung Österreichs an Serbien 1914 herausbrachte, mit dem neutestamentlichen Friedensgruß »Der Gott des Friedens sei mit euch Allen« (Röm 15,33) – ähnlich auch Kaltner mit seiner Bitte um Frieden.119 Aufgrund des für Österreich-Ungarn ernüchternden Kriegsverlaufes wurde die bischöfliche Kriegstheologie mit verstärkten Friedenshoffnungen kombiniert. Letztere wurden das erste Mal von den Bischöfen zu Weihnachten 1914 angesichts der Schrecken und Wunden des Krieges, die erstmals ausführlicher thematisiert wurden, geäußert  : »Noch lodert die Kriegsfackel mit all ihren Schrecken an den Grenzen unseres Reiches, das Vaterland blutet in seinen Söhnen an tausend Wunden, der Würgeengel verwandelt manches Haus in ein einziges großes Grab  : Trauer, Not und Gefahr überall  !«120 Die Bischöfe begannen, die Grauen des Krieges und die »leidende Menschheit« wahrzunehmen, ohne von ihrer Kriegsinterpretationen Abschied zu nehmen  : »Der Todesengel hält grausige Ernte, die Blüte der Männer fällt unter seinen blutigen Streichen. Die Tränen der Witwen und Waisen fließen. Dabei geht der alte Erdenjammer nebenher  : Armut, Not, Krankheit, Siechtum.«121 Zwar wurde für »Mut und Kraft« der kämpfenden Soldaten gebetet, »daß sie die Feinde besiegen«  ; die »Ehre des Sieges« gehöre Gott  ; doch wurde in diesem Schreiben erstmals auch die Bitte um Frieden – wenn auch nur knapp – angesprochen  : »Verleihe allen Völkern unseres Reiches Frieden und Ordnung […]«.122

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Ab diesem Zeitpunkt rückten die Opfer des Krieges stärker in den Blick der bischöflichen Texte, an die Bischof Rößler in seinem Fastenhirtenschreiben erinnerte  : »Denken wir ferner an die armen Eltern, die ihre Söhne […] verloren haben, an die armen Frauen, denen ihre Gatten […] genommen wurde[n]. Und wie viele arme Kinder strecken vergebens ihre Arme nach dem Vater aus […] Das sind schwere Wunden, an denen die Familie, die Gemeinde und das Vaterland bluten.«123 Kaltner betonte, dass nicht nur seine Erzdiözese durch den Krieg litt, sondern auch er als Bischof mitlitte und seine Alumnen als Krankenpfleger sowie das Priesterhaus als Spital zur Verfügung gestellt hätten.124 Konsequent wurden die Friedensaufrufe und Anordnungen von Papst ­Benedikt XV.125 zur Abhaltung von Friedensgebeten126 in den kirchlichen Amtsblättern publiziert, so beispielsweise der Aufruf zum »Gebete um den Frieden« am 7. Februar 1915,127 oder angesichts der Kriegsdauer auf dessen Friedensbemühungen in den bischöflichen Texten Bezug genommen, ohne dass die Bischöfe aber ihre Kriegsdeutungen aufgaben.128 Die berühmte »Exhortatio gegen den Krieg« (»Allorché fummo chiamati«) von ­Benedikt XV., in welcher das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche am 28. Juli 1915 den Krieg als »grauenhafte Schlächterei bzw. Metzgerei« (»horrenda carneficina«) bezeichnete, wurde in einigen deutschen Übersetzungen, die in den diözesanen Verordnungsblättern veröffentlicht wurden, zum »entsetzliche[n] Kampfe« abgemildert.129 Das Seckauer Verordnungsblatt hatte diese zum »entsetzliches Blutbade« wiedergegeben.130 Der steirische Bischof Schuster war auch der einzige, der einen seiner Hirtenbriefe als »Hirtenschreiben über den Frieden« titulierte.131 Der Völkerfrieden beruhe demnach auf den Grundpfeilern von Liebe, Wahrheit und Gerechtigkeit. Bemerkenswert ist der Wechsel der Terminologie von den Kriegs- zu den Friedens­ andachten. In den Jahren 1915 und 1916 wurden die Maiandachten von einzelnen ­Bischöfen als »Kriegsandachten« angeordnet,132 ebenso die Andacht vor Pfingsten. Auf die Fürbitte Marias sollte der Krieg »einen baldigen siegreichen Ausgang nehmen«.133 In allen Pfarr-, Kloster- und öffentlichen Kirchen der Erzdiözese Wien war die Novene zum heiligen Geist als solche zu halten, damit, wie der Kardinal anordnete, »der göttliche Geist  – Consolator optimus  – der Geist der Liebe und des Friedens in dieser schweren Zeit den Mächtigen der Erde und ihren Völkern Gedanken der Versöhnung eingebe, und dem furchtbaren Ringen durch den ersehnten Frieden bald ein Ende gesetzt werde«.134 Piffl rief den Klerus auf, in den Tagen vor Christi Himmelfahrt die Bittprozessionen bei St. Stephan öffentlich durchzuführen  : »Auf aller Lippen soll in diesen Tagen die Bitte um glorreiche Beendigung des Krieges, um ehrenvollen Frieden schweben«, hieß es in der Verlautbarung Piffls an die KatholikInnen Wiens.135 Auffallend ist hierbei, dass Piffl von einer »glorreiche[n] Beendigung des Krieges« und einem ehrenvollen Frieden sprach.136 Ab Ostern 1917 forderte Piffl die Abhaltung von »Friedensandachten« ein.137 Angesichts der dramatischen Kriegslage

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Österreichs trat die Friedenssehnsucht und Friedensbitte in den letzten Kriegsjahren in den bischöflichen Texten und Anordnungen verstärkt in den Vordergrund, ohne sich jedoch verstärkt in Friedensaktivitäten zu manifestieren.138 Zugunsten des neuen Kaisers Karl ordnete der Wiener Erzbischof an, an dessen Namens- und Geburtstag einen Gottesdienst in allen Pfarr- und öffentlichen Kirchen zu feiern und als Friedensgebet in der heiligen Messe an Stelle der »collecta ex missa pro tempore belli« die »collecta ex missa pro pace« einzulegen.139 Eine Bitt- und Bußnovene im Kontext des Herz-Jesu-Festes, ein neuntägiges Gebet »zur Erflehung des baldigen Friedens«,140 sollte abgehalten sowie ein gemeinsamer Bitttag »für einen baldigen ehrenvollen Frieden und eine günstige Ernte« in ganz Österreich-Ungarn eingeführt werden.141 Einen weiteren Friedensbitttag bestimmte Piffl am Weihnachtsfest 1917, nämlich »eine besondere Andacht um den baldigen ehrenvollen Frieden« in Anschluss an die Gottesdienste.142 Am Herz Jesu-Fest, dem 9. Juni 1918, wurde ein Reichsgebetstag um den Frieden angeordnet.143 Eine Friedensmesse sollte, auf Wunsch von Papst Benedikt XV., am 29. Juni 1918, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, von allen katholischen Priestern gefeiert werden.144 Das Gelöbnis des Kaiserpaares zur Erbauung einer Friedenskirche in Wien hatte Piffl am 25. März 1917 in seinem kirchlichen Verordnungsblatt bekannt geben lassen.145 VII. Schlussbemerkungen In ihrer Kriegsaffirmation folgten die österreichischen Bischöfe unkritisch ihrem Patriotismus und ihrer unbedingten Treue zum Monarchen, die auf einer Symbiose beruhte, welche aus einer jahrhundertelangen engen Verbindung zwischen Herrscherhaus und Kirche, zwischen Thron und Altar, gewachsen war. Das Spektrum der bischöflichen Haltungen zum Ersten Weltkrieg reicht von Kriegsbegeisterung und -bejahung bis hin zu Friedensgebeten und Friedenssehnsüchten. Sowohl Krieg wie auch Frieden werden auf den göttlichen Willen zurückgeführt. Hinsichtlich ihrer Kriegsdeutungen wie auch Friedenshoffnungen, die mit dem ernüchternden Verlauf der militärischen Auseinandersetzungen zunahmen, instrumentalisierten die Bischöfe biblische Texte. Ihre Legitimationsstrategie eines gerechten, notwendigen und aufgezwungenen Krieges zieht sich durch alle Hirtenschreiben und Kriegsjahre. Ein anfänglicher religiöser Aufbruch und eine intensivierte Sakramentenpraxis wurden von ihnen mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, allerdings trat mit Dauer des Krieges eine Ernüchterung in der Erwartung der Bischöfe in Fragen des Glaubenslebens und der Seelsorge ein. Die Frage nach einem »gerechten Krieg« bzw. »die Erlaubtheit oder Unerlaubtheit des Krieges« bewegte auch den Diözesanklerus in seinen Pastoralkonferenzen wäh-

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rend des Ersten Weltkrieges, wie das kirchliche Amtsblatt von Seckau zeigt.146 Dazu müssen aber weitere Forschungen durchgeführt werden, etwa zur Frage der Rezeption der Kriegstheologie der österreichischen Bischöfe durch Priester, Ordensleute und Laien, wie beispielsweise Soldaten oder deren Familien.147 Wie haben diese auf die religiösen Deutungen reagiert  ? Welche Auswirkungen lassen sich bezüglich der Frömmigkeitspraxis der einzelnen feststellen  ? Es gilt, Tagebücher von Priestern und Laien bzw. ihre niedergeschriebenen Memoiren, Pfarr- und Klosterchroniken, Pfarrblätter und Kirchenzeitungen zu analysieren, um so zu weiteren differenzierten Aussagen und Ergebnissen in Hinblick auf das Verhältnis von katholischer Kirche und Erstem Weltkrieg zu kommen.

Anmerkungen 1 Wilhelm Achleitner, Gott im Krieg. Die Theologie der österreichischen Bischöfe in den Hirtenbriefen zum Ersten Weltkrieg, Wien–Köln–Weimar 1997. Zum Forschungsstand siehe ebd., 26–32. 2 Matthias Rettenwander, Der Krieg als Seelsorge. Katholische Kirche und Volksfrömmigkeit in Tirol im Ersten Weltkrieg (Tirol im Ersten Weltkrieg. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 5), Innsbruck 2005. 3 Von den jüngeren Einzelbeiträgen seien besonders erwähnt  : Irmtraud Fischer/Livia Neureiter, Die biblische Rede vom Krieg und ihre Rezeption während des Ersten Weltkriegs, in  : Siegfried Mattl/Gerhard Botz/Stefan Karner/Helmut Konrad (Hg.), Krieg. Erinnerung. Geschichtswissenschaft (Veröffentlichungen des Clusters Geschichte der Ludwig Boltzmann Gesellschaft 1), Wien–Köln–Weimar 2009, 25–45  ; Edith Petschnigg/Bernd Obermayer/Irmtraud Fischer, Gott als Kriegsherr. Zur Rezeption alttestamentlicher Rede im Ersten Weltkrieg, in  : theologie.geschichte 5 (2010), URL  : http://universaar. uni-saarland.de/journals/index.php/tg/article/view/523/562 (abgerufen am 18.2.2014). 4 Am ausführlichsten widmet sich Martin Krexner in seiner Bischofsbiografie des Wiener Kardinals Piffl dieser Zeitspanne  : Martin Krexner, Hirte an der Zeitenwende. Kardinal Friedrich Gustav Piffl und seine Zeit, Wien 1988, 101–195. Auf wenigen Seiten thematisiert Rudolf Zinnhobler in seinen Beiträgen zu den beiden Linzer Bischöfen Hittmair und Gföllner die Kriegszeit  : Rudolf Zinnhobler, Rudolf Hittmair, in  : Rudolf Zinnhobler (Hg.), Die Bischöfe von Linz, Linz 1985, 242–260  ; Rudolf Zinnhobler, Johannes Ev. Maria Gföllner, in  : Zinnhobler, Bischöfe, 261–288. 5 So wird beispielsweise dem Verhältnis Kirche und Erster Weltkrieg in der mehr als 500-jährigen Wiener Diözesangeschichte von Franz Loidl etwas mehr als eine Seite eingeräumt  : Franz Loidl, Geschichte des Erzbistums Wien, Wien–München 1983, 303–304. Eine weitere Darstellung zur Bistumsgeschichte thematisiert den Ersten Weltkrieg nur marginal  : Peter G. Tropper, Vom Missionsgebiet zum Landesbistum, Klagenfurt 1996, 310–311. Auch das jüngste Übersichtswerk zur österreichischen Kirchengeschichte widmet sich dem Ersten Weltkrieg nur auf wenigen Seiten  : Rudolf Leeb/Maximilian Liebmann/Georg Scheibelreiter/Peter G. Tropper (Hg.), Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart (Österreichische Geschichte, ohne Bandangabe), Wien 2003, 393–395. 6 So betrug der KatholikInnenanteil in der cisleithanischen Reichshälfte, wozu auch die untersuchten Diözesen des heutigen Österreich zählten, fast 90 %. Peter Leisching, Die römisch-katholische Kirche in Cisleithanien, in  : Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 4  : Die Konfessionen, Wien 1985, 1–247, 88, Tabelle 3.

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  7 Krexner, Hirte an der Zeitenwende.   8 Die Ernennung der ersten Bischöfe in Österreich durch den Papst erfolgte erst im Jahr 1927 für die Diözesen (Graz-)Seckau und St. Pölten. Zu den kaiserlichen Bischofsnominationen siehe Edith Saurer, Die politischen Aspekte der österreichischen Bischofsernennungen 1867–1903 (Forschungen zur Kirchengeschichte Österreichs 6), Wien 1968. Siehe auch Maximilian Liebmann, Von der Dominanz der katholischen Kirche zu freien Kirchen im freien Staat. Vom Wiener Kongress 1815 bis zur Gegenwart, in  : Leeb/Liebmann/Scheibelreiter/Tropper, Geschichte des Christentums in Österreich, 361–456, 393.   9 Siehe Friedrich Funder, Vom Gestern ins Heute. Aus dem Kaiserreich in die Republik, Wien 1952  ; Reinhard Knoll, Zur Tradition der christlichsozialen Partei. Ihre Früh- und Entwicklungsgeschichte bis zu den Reichsratswahlen 1907 (Studien zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Monarchie 13), Wien–Köln–Graz 1973  ; Maximilian Liebmann, Die Entscheidung der Katholischen Kirche für die Republik, in  : Christliche Demokratie 8 (1990), 189–195. Zu Bjelik siehe Gerhard Hartmann, Bjelik, Emmerich, in  : Gatz, Bischöfe, 54. 10 Loidl, Geschichte, 301–302  ; Krexner, Hirte an der Zeitenwende, 68–69. 11 Wiener Diözesanblatt, 15.6.1914, 88. 12 Friedrich Schragl, Rößler, Johannes Bapt., in  : Erwin Gatz (Hg.), Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945, Berlin 1983, 624–625. 13 Zinnhobler, Hittmair, 255–256. 14 Zinnhobler, Gföllner, 262, speziell zum Ersten Weltkrieg 267–267. 15 Erwin Gatz, Kaltner, Balthasar, in  : Gatz, Bischöfe, 361–362. 16 Hans Spatzenegger, Rieder Ignaz, in  : Österreichisches Biographisches Lexikon (ÖBL) 9 (1988), 139– 140. 17 Erwin Gatz, Hefter, Adam, in  : Gatz, Bischöfe, 298–299. 18 Maximilian Liebmann, Schuster, Leopold, in  : Gatz, Bischöfe, 682–684. 19 Josef Gelmi, Egger, Franz, in  : Gatz, Bischöfe, 162–164. 20 Helmut Alexander (Hg.), Sigismund Waitz. Seelsorger, Theologe und Kirchenfürst, Innsbruck–Wien 2010. 21 Siehe Michaela Kronthaler, Die Entwicklung der Österreichischen Bischofskonferenz. Von den ersten gesamtbischöflichen Beratungen 1849 bis zum Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils, in  : Sekre­ tariat der Österreichischen Bischofskonferenz (Hg.), 150 Jahre Österreichische Bischofskonferenz 1849–1999, Wien 1999, 33–97. 22 Michaela Kronthaler, Skrbenský Leo Freiherr von Hriste (Hrzistie), in  : ÖBL 57 (2004), 334. 23 Hirtenbrief der an der Bahre des Kaisers Franz Josef I. zu Wien versammelten Oberhirten der Diözesen von Österreich, Wiener Diözesanblatt, 12.12.1916, 197–201, 198. 24 Ebd. 200. 25 Johannes Maria Gföllner, Hirtenbrief, Linzer Diözesanblatt, 9.12.1917, 193–198, 194. 26 Michaela Kronthaler, Kirchen- und gesellschaftspolitische Bestrebungen sowie pastorale Bemühungen der Österreichischen Bischofskonferenzen 1848–1918. Studie zur Geschichte der Katholischen Kirche Mittel-, Ost- und Südeuropas anhand der Akten der Österreichischen Bischofskonferenzen, phil. Habil, Graz 2001 (Drucklegung in Vorbereitung), 369–376. 27 Wiener Diözesanblatt, 12.9.1916, 133–135. 28 Wiener Diözesanblatt, 28.9.1914, 151  ; St. Pöltner Diözesanblatt, 26.9.1914, 83–84, 83  ; Linzer Diözesanblatt 16 (1914), 99. 29 Friedrich Gustav Piffl, Kriegsfürsorge. Predigt Seiner Eminenz, Wiener Diözesanblatt, 28.10.1914, 167– 171, 167. 30 Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 8.8.1914, 68  ; Kirchliches Verordnungs-Blatt für die

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Seckauer Diözese, 12.10.1914, 91  ; Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 30.6.1916, 48–49  ; Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 28.8.1916, 70–71  ; Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 30.6.1917, 53. 31 Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 1.5.1917, 41. 32 Franz Joseph, An Meine Völker  ! Wiener Diözesanblatt, 27.5.1915, 93–94. 33 Franz Joseph, Allerhöchstes Handschreiben, Wiener Diözesanblatt, 14.8.1916, 117. 34 Karl, An Meine Völker  ! Wiener Diözesanblatt, 25.11.1916, 188  ; Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 30.11.1916, 91–92. 35 Wiener Diözesanblatt, 12.5.1915, 85. Vgl. auch Wiener Diözesanblatt, 14.11.1914, 179  ; Wiener Diözesan­ blatt, 27.2.1915, 37  ; Wiener Diözesanblatt, 13.3.1915, 43  ; Wiener Diözesanblatt, 14.6.1915, 101  ; Wiener Diözesanblatt, 15.10.1915, 166–167  ; Wiener Diözesanblatt, 30.11.1915, 195  ; Wiener Diözesanblatt, 28.2.1916, 35–36  ; Wiener Diözesanblatt, 28.4.1916, 65  ; Wiener Diözesanblatt, 30.6.1916, 101–102  ; Wiener Diözesanblatt, 25.11.1916, 189–190  ; Wiener Diözesanblatt, 23.2.1917, 29  ; Wiener Diözesanblatt, 25.4.1917, 58–59  ; Wiener Diözesanblatt, 14.5.1917, 61  ; Wiener Diözesanblatt, 14.11.1917, 155  ; Wiener Diözesanblatt, 14.6.1918, 76–77. 36 Wiener Diözesanblatt, 15.10.1915, 166–167. Ähnlich auch Bischof Hittmair  : Linzer Diözesanblatt, 18.11.1914, 125–126. Von einigen anderen Bischöfen, wie Schuster, wurden die Kriegsanleihen nicht zusätzlich kommentiert. 37 Wiener Diözesanblatt, 12.5.1915, 86. 38 Wiener Diözesanblatt, 15.10.1915, 166–167. 39 Johannes Rößler, Ableben des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, St. Pöltner Diözesanblatt, 30.6.1914, 53–54, 53. 40 Franz Joseph, An meine Völker  ! Wiener Diözesanblatt, Sonderausgabe, 30.7.1914, 1–2, 2  ; ebenso in Wiener Diözesanblatt, 14.8.1914, 127–129. Im Kirchlichen Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese wurde das Manifest nicht publiziert. 41 Franz Joseph, An meine Völker  ! Wiener Diözesanblatt, Sonderausgabe, 30.7.1914, 2. 42 Friedrich Gustav Piffl, Hirtenbrief Seiner Eminenz, Wiener Diözesanblatt, Sonderausgabe, 30.7.1914, 3–4, 3  ; Wiener Diözesanblatt, 14.8.1914, 129–130. 43 Piffl, Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, Sonderausgabe, 30.7.1914, 3. 44 Siehe dazu auch das Kap. 5 in dieser Abhandlung. 45 Achleitner, Gott im Krieg, 28–29. 46 Piffl, Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, Sonderausgabe, 30.7.1914, 3. 47 So beispielsweise bei der Kriegsandacht am 4.10.1914 im Stephansdom oder auch im Fastenhirten­ schreiben im Jahr 1915. Siehe dazu Piffl, Kriegsfürsorge, Wiener Diözesanblatt, 28.10.1914, 168  ; ­Friedrich Gustav Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 10.2.1915, 25–29, 27. 48 Piffl, Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, Sonderausgabe, 30.7.1914, 4. Siehe auch Leopold Schuster, Hirtenschreiben aus Anlaß des Krieges, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 29.7.1914, 59–61, 61. 49 Schuster, Hirtenschreiben aus Anlaß des Krieges, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 29.7.1914, 59. Auch Rößler titulierte in seinem Fastenhirtenbrief 1916 den Kaiser als »Friedensfürsten«, der den Krieg nicht gewollt habe. Johannes Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 1–8, 1. 50 Johannes Rößler, Hirtenbrief anläßlich des mit Serbien begonnenen Krieges, St. Pöltner Diözesanblatt, 29.7.1914, 61–65, 61. 51 Ebd. 52 Rudolph Hittmair, Zum Krieg, Linzer Diözesanblatt, 29.7.1914, 79–81, 79. Vgl. auch Zinnhobler, ­Hittmair, 255–256.

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53 Ebd. 54 Wilhelm Wühr (Hg.), Ludwig von Pastor (1854–1928). Tagebücher – Briefe – Erinnerungen, Heidelberg 1950, 609. 55 Piffl, Kriegsfürsorge, Wiener Diözesanblatt, 28.10.1914, 167. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Ebd. 59 Ebd., 168. Zur Rezeption dieser Bibelstelle siehe Fischer/Neureiter, Die biblische Rede vom Krieg, 44. 60 Dazu ausführlicher Fischer/Neureiter, Die biblische Rede vom Krieg  ; Petschnigg/Obermayer/Fischer, Gott als Kriegsherr. 61 Siehe beispielsweise Hirtenbrief der versammelten Oberhirten, Wiener Diözesanblatt, 12.12.1916, 198  ; Rößler. Hirtenbrief anläßlich des mit Serbien begonnenen Krieges, St. Pöltner Diözesanblatt, 29.7.1914, 61. 62 Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 10.2.1915, 27. 63 Ebd., 25 und 27. 64 Schuster, Hirtenschreiben aus Anlaß des Krieges, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 6, 29.7.1914, 60. 65 Friedrich Gustav Piffl, Kriegsgottesdienst  : Predigt Sr. Eminenz des Hochwürdigsten Oberhirten, ­Wiener Diözesanblatt, 30.6.1915, 109–112, 110. 66 Friedrich Gustav Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 28.2.1916, 25–30, 26. 67 Gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 27.12.1916, 209–217, 211. Vgl. Krexner, Hirte an der Zeitenwende, 123–124. 68 Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 24.8.1918, 97–105, 98. 69 Rößler, Hirtenbrief anläßlich des mit Serbien begonnenen Krieges, St. Pöltner Diözesanblatt, 29.7.1914, 62. 70 Balthasar Kaltner, Erster Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 1.8.1914, 295–304, 301. 71 Rößler, Hirtenbrief anläßlich des mit Serbien begonnenen Krieges, St. Pöltner Diözesanblatt, 29.7.1914, 62. 72 Leopold Schuster, Fastenhirtenschreiben über die Bedeutung des Weltkrieges, Kirchliches VerordnungsBlatt für die Seckauer Diözese, 25.1.1915, 1–9, 2–3.  ; so auch Balthasar Kaltner  : Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 15.2.1915, 9–25, 23. Siehe auch Rettenwander, Krieg als Seelsorge, 152. 73 Schuster, Fastenhirtenschreiben, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 25.1.1915, 5–6. Vgl. auch Johannes Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 3. Das Strafgericht Gottes thematisiert auch Piffl in seinem Fastenhirtenbrief aus dem Jahr 1917  : Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 10.2.1917, 17–21, 19. 74 Gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 27.12.1916, 211. Vgl. auch Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 3  ; Johannes Maria Gföllner, Hirtenschreiben, Linzer Diözesanblatt, 1.11.1915, 123–134, 128–129. Kaltner spricht in seiner »oberhirtlichen Anordnung einer Bußandacht auf Allerseelen« im Kontext seines Hirtenbriefes von der »strafenden Hand« Gottes  : Balthasar Kaltner, Hirtenschreiben, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg 4.10.1916, 309–315, 311. 75 Gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 27.12.1916, 211. Die Bischöfe widmeten ihren gemeinsamen Osterhirtenbrief 1918 ausschließlich der Sittenlosigkeit und Kleidermode  : Wiener Diözesanblatt, 15.5.1918, 59–65. 76 Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 10.2.1915, 26  ; Kaltner, Erster Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 1.8.1914, 302.

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  77 Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 10.2.1915, 26.   78 Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 24.8.1918, 105.   79 Piffl, Kriegsgottesdienst, Wiener Diözesanblatt, 30.6.1915, 111.   80 Gföllner, Hirtenschreiben, Linzer Diözesanblatt, 1.11.1915, 131.   81 Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 28.2.1916, 26.   82 Ebd.   83 Wühr, Pastor, 609, Eintrag vom 2. August 1914.  84 Wiener Diözesanblatt 13.6.1916, 93–94.   85 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 4–5.  86 St. Pöltner Diözesanblatt, 26.9.1914, 83–84, 83.   87 Leopold Schuster, Fastenhirtenschreiben über die Bedeutung des Weltkrieges, Kirchliches VerordnungsBlatt für die Seckauer Diözese, 25.1.1915, 6 und 8.   88 Gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 27.12.1916, 212.   89 In seinem Fastenhirtenbrief 1918 betonte Piffl hinsichtlich der Theodizeefrage, dass an »dem Kriege Gott keine Schuld trägt, weder an seinem Entstehen noch an seiner langen Dauer, noch an der Erbitterung und Unmenschlichkeit, mit der er geführt wird«. Das Erklärungsmodell der Bischöfe als »das folgerichtige Endschicksal einer von Gott und der Ewigkeit ganz abgekehrten und lediglich dem irdischen Genusse und eitler Selbstverherrlichung zugewendeten Menschheit« blieb aufrecht. Friedrich Gustav Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 11.2.1918, 17–20, 17. Zur Kriegsdauer siehe Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1917, 1–8, 2–3.   90 Gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 27.12.1916, 213. Ähnlich argumentierte Kaltner, wonach die Menschen und nicht Gott den Krieg verschuldet hätten  : Kaltner, Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 15.2.1915, 10.   91 Gemeinsamer Hirtenbrief der Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 27.12.1916, 213–214.   92 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1917, 7. In seinem Fastenhirtenschreiben 1918 verwendete Rößler die Formulierung  : »Übrigens ist das Zuchtmittel des Krieges in der Hand der göttlichen Vorsehung schließlich noch immer zu einem Heilmittel geworden.« Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1918, 1–7, 4.   93 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1917, 7.   94 Ebd., 5. Gföllner deklarierte das Gebet als »mächtige Kriegshilfe«. Gföllner, Hirtenschreiben, Linzer Diözesanblatt, 1.11.1915, 128–129. Egger brachte in seinem Fastenhirtenschreiben die Leiden der Menschen während des Krieges damit in Verbindung, dass Gott darin seine Barmherzigkeit offenbarte und thematisierte auch die Leiden der Unschuldigen. Franziskus Egger, Fasten-Hirtenbrief, Brixener Diözesanblatt, 5.2.1915, 21–27, 22 und 26.   95 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 5.   96 Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 28.2.1916, 26–27.   97 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 5.   98 Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 28.2.1916, 28.   99 Ebd., 29. 100 Piffl, Kriegsfürsorge, Wiener Diözesanblatt, 28.10.1914, 169. 101 Kaltner, Hirtenschreiben, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 4.10.1916, 310–311. 102 Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 24.8.1918, 101–102. 103 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1918, 7. 104 Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 11.2.1918, 18. 105 Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 24.8.1918, 101–102. Die Erschütterung der sittlichen Kräfte, die Verringerung des religiösen Sinns und die zunehmende

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kritische Haltung gegenüber obrigkeitlichen Autoritäten werden in diesem gesamtepiskopalen Text thema­tisiert. 106 Hirtenbrief der Erzbischöfe und Bischöfe Deutschösterreichs, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 23.1.1919, 1–10, 1. 107 Franziskus Egger, Weihe der Familie an das heiligste Herz Jesu, Brixener Diözesanblatt, 14.5.1918, 49–52, 51. 108 Wiener Diözesanblatt, 28.10.1914, 172–173  ; Linzer Diözesanblatt, 18.11.1914, 127. 109 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 4–5. 110 Hirtenbrief der hochwürdigsten Bischöfe Österreichs, Weihe an das heiligste Herz Jesu, Wiener Diözesanblatt, 24.12.1914, 223–228, 228. 111 Brixener Diözesanblatt, 6.9.1915, 94–100, 98. 112 Heinrich Schwarz, Herr, erbarme dich unser, Salzburg 1914. Es handelt sich um die Neuauflage seines Gebetsbuchs »Kyrie eleison. Ein Gebetbuch« von 1866. 113 Wiener Diözesanblatt, 28.10.1914, 176. 114 Wiener Diözesanblatt, 30.3.1915, 49. 115 Hirtenbrief der hochwürdigsten Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 24.12.1914, 224. 116 Wiener Diözesanblatt, 27.9.1916, 141. 117 Siehe etwa den Aufruf von Gföllner zur Sammlung von Geldspenden und Nahrungsmitteln  : Johan­ nes Maria Gföllner, Bitte und Instruktion an die hochwürdigen Pfarrämter, Linzer Diözesanblatt, 18.11.1916, 181–189  ; Adam Hefter, Dank des hochwürdigsten Herrn Fürstbischofs für die tatkräftige Mitwirkung an der Lebensmittelsammlung für die Armen von Klagenfurt und Villach. A. Dank an die Gläubigen. B. Dank an den Klerus – Die neue Bitte (Fest des hl. Josefs 1917), Kirchliches Verordnungsblatt für die Diözese Gurk, 31.3.1917, 13–18. 118 Rößler, Hirtenbrief anläßlich des mit Serbien begonnenen Krieges, St. Pöltner Diözesanblatt, 29.7.1914, 62  ; siehe auch Kaltner, Erster Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 1.8.1914, 301. 119 Kaltner, Erster Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 1.8.1914, 301. Die Bitte »um Abkürzung dieses Weltkrieges und um baldigen Frieden« äußerte Schuster in seinem Fastenhirtenschreiben 1915  : Schuster, Fastenhirtenschreiben über die Bedeutung des Weltkrieges, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 25.1.1915, 9. 120 Hirtenbrief der hochwürdigsten Bischöfe Österreichs, Wiener Diözesanblatt, 24.12.1914, 224. 121 Ebd., 225. 122 Ebd., 228. 123 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1916, 3  ; siehe auch Kaltner, Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 2.2.1917, 17–30, 28. 124 Balthasar Kaltner, Hirtenschreiben, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 4.10.1916, 313. 125 Georg Schwaiger, Papst Benedikt XV. begegnen, Augsburg 2009  ; Rudolf Lill, Die Macht der Päpste, Kevelaer 2011. 126 Der Rosenkranzandacht im Oktober 1915 war die Anfügung des päpstlichen Gebetes um den Frieden vorgeschrieben. Wiener Diözesanblatt, 30.9.1915, 153. 127 Wiener Diözesanblatt, 28.1.1915, 17–18. Am Ende ihrer Fastenhirtenbriefe empfahlen Piffl und Schuster ihren Diözesanen dieses Gebet. Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 10.2.1915, 28  ; Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 25.1.1915, 13–15. Zu weiteren Anweisungen des Heiligen Stuhles und päpstlichen Schreiben siehe Wiener Diözesanblatt, 27.2.1915, 36  ; Wiener Diözesanblatt, 27.2.1915, 36  ; Wiener Diözesanblatt, 28.7.1915, 125  ; Wiener Diözesanblatt, 13.3.1915, 41  ; Wiener Diözesanblatt, 13.9.1915, 145–147  ; Wiener Diözesanblatt, 30.12.1915, 209. Sehr ausführlich und auch in deutscher Übersetzung sind die päpstlichen Schreiben im Kirchlichen Verordnungsblatt für

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die Diözese Seckau wiedergegeben. Auf die einzelnen Anordnungen Roms und ihre Rezeption in den kirchlichen Amtsblättern kann hier nicht näher eingegangen werden. 128 Ähnlich wie Rößler lobte Piffl in seinen Fastenhirtenbriefen die Bemühungen von Papst und Kaiser Karl I. um den Frieden und stellte fest  : »An der Fortdauer des unseligen Krieges trägt jedoch unser Vaterland keine Schuld mehr.« Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 10.2.1917, 17  ; weiters auch Piffl, Fasten-Hirtenbrief, Wiener Diözesanblatt, 11.2.1918, 18–19  ; Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1917, 2. 129 Benedikt XV., Schreiben des Heiligen Vaters an die im Kriege sich befindenden Völker und ihre Leiter, Wiener Diözesanblatt, 13.9.1915, 145–147, 146  ; Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1918, 1. 130 Schreiben Papst Benedikts XV. an die im Kriege sich befindenen Völker und ihre Leiter, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 4.10.1915, 74–76, 75. 131 Leopold Schuster, Fastenhirtenschreiben über den Frieden, Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 2.2.1917, 8–21, 20. Schuster ordnete in den Pfarrkirchen eine Kriegs- und Friedens­ andacht an. 132 Wiener Diözesanblatt, 28.4.1916, 65  ; Linzer Diözesanblatt 20 (1914), 143  ; Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 27.3.1916, 55. 133 Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 27.3.1916, 55. 134 Wiener Diözesanblatt, 25.5.1916, 81. 135 Wiener Diözesanblatt, 12.5.1915, 86–87. 136 Wiener Diözesanblatt, 25.5.1916, 81. 137 Wiener Diözesanblatt, 10.4.1917, 46–47. Diese Terminologie blieb bestehen mit Ausnahme einer Anordnung Piffls im Frühjahr 1918, in der die Bittandachten »um einen recht baldigen, ehrenvollen Frieden« wieder als »Kriegs-Bittandachten« deklariert wurden  : Wiener Diözesanblatt, 13.4.1918, 45. 138 Rößler, Fastenhirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 6.1.1918, 7. Zentral geht Rößler auf das Friedens­ thema in seinem Weihnachtshirtenbrief 1918 ein  : Johannes Rößler, Weihnachtshirtenbrief, St. Pöltner Diözesanblatt, 8.12.1918, 147–152. Vgl. auch Kaltner, Hirtenschreiben, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 4.10.1916, 315  ; Kaltner, Hirtenbrief, Verordnungsblatt für die Erzdiözese Salzburg, 2.2.1918, 167–178, 178. 139 Wiener Diözesanblatt, 25.4.1917, 53. 140 Wiener Diözesanblatt, 25.5.1917, 69. 141 Wiener Diözesanblatt, 26.6.1917, 83. 142 Wiener Diözesanblatt, 28.12.1917, 172. 143 Wiener Diözesanblatt, 27.5.1918, 67. 144 Wiener Diözesanblatt, 14.6.1918, 75–76.  ; Wiener Diözesanblatt, Nr. 13/14, 16.7.1918, 94. 145 Wiener Diözesanblatt, 10.4.1917, 45–46. 146 Kirchliches Verordnungs-Blatt für die Seckauer Diözese, 31.12.1915, 89–94. 147 Mit der bischöflichen Kriegsdeutung durch Klerus und Laien in Tirol hat sich Rettenwander in seiner Studie auseinandergesetzt. Rettenwander, Krieg als Seelsorge, 424–437. Es gilt, auch andere Diözesen dahingehend zu erforschen. Eine Bilanz  : Gottfried Korff (Hg.), Alliierte im Himmel. Populare Religiosität und Kriegserfahrung, Tübingen 2006, 33-46.

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Geteilte Loyalitäten? Zur Lage von Juden und Muslimen im Ersten Weltkrieg

Gerade bei religiösen oder ethnischen Minderheiten stellt sich oft die Frage, wie sehr ihre Loyalität zum Staat mit ihrer Identität in Widerspruch steht. Bei den beiden hier beleuchteten Gruppen ergab sich allerdings, was Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg betrifft, ein derartiger Loyalitätskonflikt kaum. I. Jüdische Kriegsteilnehmer Der Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung der Donaumonarchie betrug mit rund 2,5 Millionen knapp fünf Prozent der 52 Millionen Einwohner der Donau­ monarchie.1 In dem zunehmend von Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen geprägten Vielvölkerstaat galten Juden oft als die einzigen »echten« Österreicher. Sie waren, vor allem im Westen, weitgehend in die Gesellschaft integriert – auch, trotz der in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg zunehmenden Benachteiligungen und antisemitischen Feindseligkeiten in allen Lebensbereichen, in der k. u. k. Armee. Immerhin war Österreich 1788 der erste kontinentaleuropäische Staat gewesen, in dem Juden »wehrwürdig« geworden waren  ; seit den Napoleonischen Kriegen gab es jüdische Offiziere. Obwohl der Anteil der Berufsoffiziere in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg gesunken war, waren knapp ein Prozent der Berufsoffiziere jüdischer Religion  ; einige – auch ungetaufte – jüdische Offiziere erreichten Generalsrang.2 Vielleicht noch bedeutsamer war die hohe Zahl jüdischer Reserveoffiziere – fast ein Fünftel von ihnen war jüdischer Religion. Dies entsprach dem hohen Anteil an Juden unter Mittelschülern und Studenten, aus denen sich – auf dem Wege der »Einjährig-Freiwilligen«  – die Reserveoffiziere rekrutierten. Durch ihre supra-nationale Loyalität dem Reich, dem Kaiser und der Dynastie gegenüber blieb die k. u. k. Armee weitgehend von den nationalistischen, im Zivilleben herrschenden Extremen verschont und galt daher als »Hort der Toleranz«. Da in den ersten Kriegsmonaten eine enorme Zahl an Berufsoffizieren fiel – Verluste, von denen sich die k. u. k. Armee nie mehr erholte – wuchs die Bedeutung der Reserveoffiziere während des Krieges. Insgesamt wurde die Zahl der an der Front gefallenen bzw. im Krieg an Verwundungen oder Krankheiten gestorbenen jüdischen Offiziere

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auf über 1.000 geschätzt, jene der Mannschaften auf ca. 30.000 von insgesamt wohl 300.000 jüdischen Soldaten. Viele der prominenten Schriftsteller und Künstler, die im Kriegspressequartier oder im Kriegsarchiv für die patriotische Propaganda arbeiteten, waren Juden.3 Der bekannte zionistische Künstler Ephraim M. Lilien (1874–1925) beispielsweise meldete sich trotz seines Alters von über 40 Jahren voller Begeisterung freiwillig zum Militär. Er absolvierte die Ausbildung zum Reserveoffiziersanwärter. Anschließend dem Kriegspressequartier zugeteilt, unternahm er 1918 eine wichtige Foto- und Propa­ ganda­reise in die Türkei. In Anerkennung seiner Leistungen wurde er 1918 zum Leutnant der Reserve ernannt.4 Die Reaktionen der jüdischen Gemeinden auf den Kriegsbeginn 1914 waren – bei allen Einschränkungen, die gegenüber dem Topos der allgemeinen Kriegsbegeisterung angebracht sind – ähnlich patriotisch wie bei den anderen Religionen. So wie katholische, evangelische oder orthodoxe Priester verfassten auch Rabbiner entsprechende Gebetbücher für die Soldaten im Felde ebenso wie für die Familien zu Hause.5 Der Wiener Rabbiner Dr. Arnold Frankfurter (1881–1942) schrieb 1915 ein »Andachtsbüchlein für jüdische Krieger im Felde«6 und ermunterte im Jahr 1917 die jüdischen Soldaten  : »Ihr seid nun im Begriffe, ins Feld zu ziehen, zu kämpfen für das Heil unseres teueren Vaterlandes, für den Ruhm unseres geliebten Obersten Kriegsherrn. Da rufe ich Euch zu, wie einst der Priester dem kampfbereiten Israel  : ›Sch’ma Jisroel … al jerach l’wawchem al tirou … Höret Israeliten  ! Es zage nicht Euer Herz, fürchtet Euch nicht  ; der Ewige, Euer Gott, geleitet Euch.«7 Zu der allgemeinen patriotischen Begeisterung und der Loyalität zum Herrscherhaus kam vor allem bei den gebildeteren Juden, unter denen sich zahlreiche Reserveoffiziere befanden, die Begeisterung, ihre russischen Brüder von dem Joch der Zarenherrschaft zu befreien.8 Ein jüdischer Leutnant der Reserve, der Rechtsanwalt und Schriftsteller Dr. Hugo Zuckermann (1881–1914), verfasste das bekannteste Lied des Ersten Weltkrieges, das »Reiterlied«, und fing damit die Begeisterung des Jahres 1914 ein  : die Erwartung des Sieges und die Überzeugung, für eine gerechte Sache zu kämpfen und notfalls zu sterben. Kein geringerer als Franz Lehár (1870–1948) vertonte das »Reiterlied«.9 Kurz nach Kriegsausbruch 1914 schrieb Zuckermann, er »trete den Rachefeldzug für Kischiniew an« – Kischinau (heute Chișinău, die Hauptstadt der Republik Moldawien) war im April 1903 Schauplatz schwerer Pogrome gewesen.10 Schon als Reserveoffizier im Landwehr-Infanterie-Regiment Nr. 11 an der Front stehend, dichtete er  : »Radetzky, schau vom Himmel drein Und segne deine Streiter  ! Kein Fußbreit Boden darf russisch sein, wir machen die Grenzen breiter  !«11

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Allerdings  : Es sollte anders kommen – der Krieg war nicht schon zu Weihnachten zu Ende. Dr. Zuckermann selbst starb schon am 23. Dezember 1914 an den Folgen einer Verwundung  ; seine Witwe erschoss sich am Grab.12 Auf die anfänglichen Erfolge der k. u. k. Armeen in Russland im August 1914 folgten schwere Niederlagen  ; russische Truppen stießen tief ins Gebiet der Donaumonarchie vor und besetzten große Teile Galiziens und der Bukowina. Zahlreiche Einwohner flohen in den Westen bzw. wurden dahin evakuiert. Im Herbst 1915 hielten sich einem Polizeibericht zufolge 137.000 Flüchtlinge in Wien auf, darunter 77.000 mittellose Juden. Andere Schätzungen nennen sogar 125.000 bis 150.000 Juden  ; es könnten sogar noch mehr gewesen sein, weil in den amtlichen Zahlen zahlreiche Personen, die bei Verwandten oder Freunden unterkamen, nur zu einem geringen Teil aufschienen.13 Jüdische Organisationen starteten verschiedene Hilfsaktionen.14 Die Wiener Behörden forderten die Verlegung der jüdischen Flüchtlinge nach Mähren, wo in der Folge viele in Lagern – wie in Nikolsburg (heute Mikulov in der Tschechischen Republik) – unterkamen. Allerdings waren höchstens 20 Prozent der Flüchtlinge in Lagern untergebracht. Nach den Erfolgen der Mittelmächte 1915 (Offensive von Tarnów-Gorlice und Vormarsch nach RussischPolen) bemühten sich die Behörden um die Rückführung der Flüchtlinge, doch befanden sich selbst 1920 noch 25.000 jüdische Flüchtlinge in Wien.15 Der Romancier Joseph Roth (1894–1939)  – der bei Kriegsbeginn zunächst die allgemeine Kriegsbegeisterung nicht geteilt, sich dann aber 1916 doch als »EinjährigFreiwilliger« zum Militär gemeldet hatte und 1917–1918 dem Kriegspressequartier zugeteilt war – schrieb, es gebe »kein schwereres Los als das eines fremden Ostjuden in Wien«.16 Schon vor dem Krieg waren die »Ostjuden« in Wien nicht willkommen gewesen, auch nicht bei den bereits assimilierten Wiener Juden. Die seltsam gekleideten Ostjuden galten fälschlich weniger als arme Flüchtlinge, sondern vielmehr als Feiglinge und Kriegsgewinnler, die ins sichere Wien geflüchtet waren, während zahlreiche Wiener an der Front fielen. Sie wurden schnell eine Zielscheibe antisemitischer Agitation und blieben dies auch nach Ende des Krieges.17 Allerdings waren die jüdischen Flüchtlinge in ihrem schweren Schicksal nicht allein. Auch Angehörige anderer Volksgruppen mussten aus dem Kriegsgebiet flüchten. Im Auftrag des Militärs internierten die Behörden Tausende als »russophil« verdächtigte Ruthenen (Ukrainer) in Lagern im Westen der Monarchie, vor allem im heutigen Österreich, unter schlimmen Bedingungen. 1915 kamen vermeintlich unverlässliche Italiener aus den südlichen Gebieten der Monarchie dazu. Die Unterscheidung zwischen Flüchtlingen und Zwangsdeportierten war in der Praxis nicht immer leicht. Bekannt sind die Lager in Graz-Thalerhof, Wolfsberg in Kärnten oder Gmünd, um nur einige zu nennen.18 Die im Vergleich zum Zarenreich tolerante Atmosphäre der Donaumonarchie war auch in Russland bekannt. Es gibt sogar Berichte, wonach jüdische k. u. k. Soldaten

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beim Zusammentreffen mit jüdischen russischen Soldaten letztere leicht zur Flucht veranlassen konnten.19 Ein russischer Jude teilte den österreichischen Behörden im August 1914 mit, »daß man dort den österreichischen Waffen Glück wünsche«.20 Obwohl laut K. k. Polizei-Direktion in Wien bis zu 500.000 Juden in der russischen Armee dienten,21 wurde die antijüdische Politik in Russland nach Kriegsausbruch 1914 noch verschärft  ; es kam zu Ausschreitungen und umfangreichen Aussiedelungen. Juden wurden vielfach als Spione für Österreich-Ungarn verdächtigt und ihnen – teilweise nicht unbegründet – vorgeworfen, die Habsburger den russischen Zaren vorzuziehen.22 Die Mittelmächte suchten dies auch propagandistisch auszunützen und versprachen den polnischen Juden in einer Proklamation »Recht und Freiheit, gleiche Bürgerrechte, Freiheit des Glaubens, Freiheit, ungestört in Eurem Geist zu arbeiten in allen Zweigen des wirtschaftlichen und kulturellen Lebens«  ; gleichzeitig erinnerten sie an die Pogrome unter der Zarenherrschaft und forderten die Juden auf, die deutschen und k. u. k. Streitkräfte zu unterstützen.23 Nach dem Vormarsch der Truppen der Mittelmächte 1915 entstanden das k. u. k. Gouvernement in Lublin und sein deutsches Pendant in Warschau zur Verwaltung der besetzten Gebiete Russisch-Polens. Neben Preußen erhoffte sich vor allem Sachsen Gebietsgewinne in Russisch-Polen.24 Bis 1918 entwarfen die Mittelmächte unterschiedliche, teils auch widersprüchliche Konzepte zur Schaffung künftiger Klientelstaaten in Polen und der Ukraine. II. Muslime Auch hinsichtlich der Muslime versuchten die Mittelmächte deren Sympathien propagandistisch auszuwerten. Es ging darum, die von den Kolonialmächten »unterdrückten« Völker in Afrika und Asien zum Freiheitskampf aufzurufen – so hoffte man wenigstens in Berlin. Kaiser Wilhelm II. wollte die Muslime von Marokko bis Indien »zum wilden Aufstande [gegen die Briten] entflammen«, um Kräfte der Alliierten in Übersee zu binden.25 Colmar Freiherr von der Goltz (1843–1916), ein preußischer Offizier, der sich als Militärhistoriker und Reorganisator der osmanischen Armee große Verdienste erwarb, erwartete eine längere historische Entwicklung, »an deren Ende der Untergang der englischen Weltgeltung stehen wird«.26 Der Orientalist Dr. Max Freiherr von Oppenheim (1860–1946) verfasste im Sommer 1914 ein Programm zur »Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde«.27 Oppenheim entstammte der bekannten jüdischen Bankiersdynastie, doch war bereits sein Vater zum katholischen Glauben übergetreten. Er sah im Islam »eine unserer wichtigsten Waffen« in diesem Krieg.28 Dies stand auch in Zusammenhang mit dem Bündnis zwischen den Mittelmächten und dem Osmanischen Reich  : Das Deutsche Reich und die Pforte schlossen am

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2. August 1914 ein Geheimabkommen und nach Zwischenfällen im Schwarzen Meer erklärten die Alliierten dem Osmanischen Reich Anfang November den Krieg. Am 11. November 1914 proklamierte Sultan Muhammed Reschad V. (1844–1918) daraufhin den »Dschihad« – auch »Jihad« oder »Cihad« –, den »Heiligen Krieg«. Drei Tage später rief auch das Oberhaupt der Muslime im Osmanischen Reich, der Scheich-ulIslam (türkisch Şeyhülislam oder Şeyh-ül İslamin) in Istanbul, zum Dschihad auf. Für Österreich-Ungarn war dies nicht ganz unproblematisch  : Bedeutete die Propagierung des Heiligen Krieges nicht indirekt die Anerkennung einer gewissen Autorität des Sultans oder des Scheich-ul-Islam über die österreichischen und ungarischen Muslime, nur wenige Jahre nach der Annexion Bosniens und der Herzegowina 1908  ?29 Die Erwartung, der Kampf des Osmanischen Reiches und der Mittelmächte würde von Muslimen in britischen und französischen Kolonien begeistert unterstützt werden, war nicht ganz unbegründet. So berichtete der k. u. k. Konsular-Agent Josef Kell schon im September 1914 aus Marokko  : »In der französischen Zone gährt [sic  !] es überall, die einflussreichen Araber warten nur auf sichere Nachrichten über eine gänzliche Niederlage der Franzosen, um dann allgemein zu rebellieren. In den Moscheen betet man für den Sieg der deutschen Waffen und hofft, dass dann Marokko von deutschen Truppen würde besetzt werden.«30 Freilich  : Sympathien sind eine Sache, der Entschluss zum bewaffneten Kampf eine andere. Dazu kamen praktische Probleme  : Nicht nur war das Deutsche Reich selbst Kolonialmacht. Man musste auch peinlich darauf achten, den »Heiligen Krieg« nur gegen die Entente-Mächte zu entfachen, nicht aber gegen die neutralen Staaten wie beispielsweise Spanien oder (bis 1915) Italien.31 Daher wurden die »Aufrufe zum Heiligen Krieg« in Marokko nicht verbreitet, weil der österreichisch-ungarische und der deutsche Konsul beschlossen, »dass von einer Verbreitung dieses Aufrufes in der französischen Zone abgesehen werden muss, da man den heil[igen] Krieg sonst auch in die spanische Zone übertragen würde. […] Der Aufruf muss im Interesse der Sicherheit des spanischen Staates im Archive verwahrt bleiben.«32 Damit nicht genug, betonten die beiden »die Juden betreffend, dieselben sollen geschont werden, da sie nur gezwungen franzosenfreundlich seien«.33 Der Aufruf zum Dschihad barg natürlich die Gefahr, dass dadurch anti-jüdische, aber auch anti-christliche Ausschreitungen begünstigt würden. Der k. u. k. Botschafter in Konstantinopel ebenso wie der dortige Militärbevollmächtigte – Botschafter Johann Markgraf Pallavicini (1848–1941) und Feldmarschallleutnant Joseph Pomiankowski (1866–1929)  – kritisierten jedenfalls die Dschihad-Aktionen des Deutschen Reiches vehement. Angesichts des Resultats muss man ihnen wohl Recht geben. Der Botschafter schrieb am 18. Februar 1915 vom »kläglichen Ergebnis, das die Proclamierung des von Russland und England so gefürchteten Heiligen Krieges gehabt hat«,34 und der Militärbevollmächtigte nannte ihn schlicht ein »Fiasko«, das keinen wahrnehmbaren Einfluss auf den Verlauf der

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Kriegsereignisse gehabt habe.35 Letztlich galt das Unterfangen als totaler Misserfolg.36 Nichtsdestotrotz, das soll hier kurz erwähnt werden, versuchte das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg erneut, an dieses Modell anzuknüpfen  : »Allah im Himmel und Hitler auf Erden  !« lautete die Parole.37 Die Proklamation des Dschihad bot auch eine Grundlage für die propagandistische Beeinflussung der in den Heeren der Entente dienenden bzw. in Kriegsgefangenschaft geratenen Muslime. Pomiankowski hatte schon am 15. November 1914 in einem Telegramm an das k. u. k. Armee-Oberkommando (AOK) darauf hingewiesen, dass es im eigenen Interesse liege, »die Tatsache, dass durch den Sultan der Heilige Krieg aller Muselmanen gegen die Ententemächte und ihre Verbündeten feierlich erklärt worden ist, den im russischen Heere dienenden Mohammedanern zur Kenntnis zu bringen«  ; das AOK befahl daraufhin, »[diese] Nachricht durch Konfidenten, geeignete Gefangene und andere ähnliche Mittel bei den Truppen der russischen Armeen, insbesondere bei den kaukasischen und turkestanischen Korps sowie bei den Uralund Orenburg-Kosaken zu verbreiten«.38 In den muslimischen Kriegsgefangenen bot sich den Mittelmächten ein wichtiges Instrument zur indirekten Revolutionierung an.39 Im März 1915 zählte man unter den russischen Kriegsgefangenen in der Donaumonarchie rund 7.000 Muslime (meist Tataren), Mitte des Jahres sogar fast 10.000.40 Das Ziel der k. u. k. Propaganda ist am deutlichsten in einem Exposé umrissen, das Oberleutnant Dr. Stefan von Polyák vom Kommando der 32. Infanterie-Truppendivision41 erstellte und das am 25. Januar 1915 an Außenminister Stephan Baron Burián (später Graf Burián-Rajecz, 1852–1922) übermittelt wurde. Es heißt darin  : »Die Kriegsgefangenen müssten in geschickter Weise, ohne selbst dessen bewusst zu werden, zu Mitteln heute noch fern liegender politischer Ziele unserer Monarchie herangebildet werden. Es müsste […] bei […] Tataren, Kalmücken und allen übrigen Mohamedanern [sic  !] und Asiaten des Russischen Reiches auf das Erkennen eines separaten nationalen Selbstgefühls und einer nationalen Kultur und Unabhängigkeitsbestrebung hingearbeitet werden.«42 Hauptaufgabe des Seelsorgers der islamischen Gemeinde in Budapest, Abdul Latif, war es in diesem Sinne, den Muslimen im Lager Eger (deutsch  : Erlau) im Nordosten Ungarns »den vom Sultan-Kalifen gegen Russland verkündeten Heiligen Krieg […] bekanntzugeben und sie gleichzeitig aufzuklären und über die Bedeutung des Heiligen Krieges zu belehren, damit die solcher Art belehrten Gefangenen sodann freigelassen und über Konstantinopel nach ihrer Heimat im Kaukasus und in die Krim gesendet werden, um dort ihren Konnationalen [Landsleuten, Anm. d. Verf.] die Verkündung des Heiligen Krieges zur Kenntnis zu bringen«.43 Einmal für den Dschihad gewonnen, sollten die muslimischen Kriegsgefangenen nach der Türkei entlassen werden, um das Ansehen Österreich-Ungarns in der Türkei und in der gesamten islamischen Welt zu erhöhen. Bis April 1916 gelangten aber nur

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1.000 muslimische Kriegsgefangene in die Türkei, von denen überdies nur ein Teil für den militärischen Einsatz bestimmt war, die übrigen aber – aus den Quellen geht nicht hervor, wie viele  – als Kolonisten bzw. Handwerker in der Türkei angesiedelt werden sollten.44 Österreich-Ungarn verfügte in Bosnien und der Herzegowina über eine kompakte muslimische Volksgruppe. Seit der Okkupation dieser Provinzen 1878 hatte sich die k. u. k. Verwaltung dem Islam wie der muslimischen Bevölkerung gegenüber eher wohlwollend verhalten. Dies entsprach der – ja auch von anderen Kolonialmächten in Übersee praktizierten  – Politik, die Herrschaft über die bestehenden lokalen Strukturen auszuüben, und die Muslime stellten in Bosnien und der Herzegowina zweifellos die Oberschicht. Hatten sich 1878 viele der (vorwiegend christlichen) Kleinbauern, der sogenannten Kmeten, von der habsburgischen Herrschaft die Aufhebung der Grundherrschaft der muslimischen Großgrundbesitzer, der Agas, sowie eine allgemeine gesellschaftliche und soziale Gleichstellung erwartet, so wurden sie in der Folge enttäuscht. Dies war wohl auch ein wesentlicher Grund für die Enttäuschung vor allem der serbisch-orthodoxen Landbevölkerung über die österreichisch-ungarische Herrschaft und ihre zunehmende Verbundenheit mit dem Königreich Serbien. Die muslimischen Bosnier dagegen bekundeten 1914 deutlich ihre Sympathie für die Monarchie. Eine ähnliche Entwicklung war auch im Sandschak von Novipazar45 zu konstatieren, in dessen westlichem Teil die k. u. k. Armee von 1879 bis 1908 militärische Garnisonen unterhalten hatte. Hatte man 1879 eine wesentliche Aufgabe der k. u. k. Präsenz im Schutz der christlichen Bewohner gesehen, so mutierten diese bald zu »feindseligen Serben«, während die Sympathien der k. u. k. Offiziere zunehmend der osmanischen Verwaltung galten  – dies ging so weit, dass 1908 der osmanische Gouverneur mit den k. u. k. Truppen nach Bosnien abzog.46 Unter diesen Umständen ist es gar nicht so verwunderlich, dass Ende August 1914 sogar über 5.000 muslimische Bewohner des 1913 zwischen Serbien und Montenegro aufgeteilten früheren S ­ andschaks von Novipazar auf österreichisches Gebiet übertraten. Der k. u. k. Außenminister Leopold Graf Berchtold (1863–1942) wies den Botschafter in ­Konstantinopel, den Markgrafen Pallavicini, jedenfalls schon am 1. September 1914 an, der Pforte mitzuteilen, die Regierung in Wien werde »auch im weiteren Verlaufe des Krieges die Interessen der mohammedanischen Bevölkerung nach besten Kräften wahrnehmen«.47 In der Folge praktizierte Österreich-Ungarn auch in den ab 1915/16 besetzten und militärisch ­verwalteten Gebieten Serbiens, Montenegros und Albaniens eine Politik, die die Muslime begünstigte.48 Muslimische Soldaten dienten auch in der k. u. k. Armee. Während die jüdischen Soldaten mehr oder weniger vollständig über die gesamte Monarchie und in der Armee über sämtliche Waffengattungen verstreut waren  – entgegen den Legenden

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diente die überwiegende Mehrzahl der Juden übrigens bei der kämpfenden Truppe, nicht bei Train oder Sanität – war dies bei den Muslimen anders. Hier lebte die Masse in Bosnien-Herzegowina  ; dementsprechend dienten die meisten Muslime in den bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regimentern bzw. Jäger-Bataillonen. Alle Angehörigen dieser Truppenkörper trugen als Kopfbedeckung den Fez – rot zur Paradeund grau zur Felduniform. Das hieß aber nicht, dass alle »Bosniaken«, wie man damals sagte, Muslime waren. Da in Österreich seit 1867 entsprechende Grundrechte verfassungsmäßig garantiert waren, wurden auch in Bosnien-Herzegowina Angehörige aller Bevölkerungsgruppen gleichmäßig zum Militärdienst einberufen. Es gab keine nach Religionen (bzw. Volksgruppen) getrennten Einheiten. Den k. u. k. Statistiken zufolge waren 39,7 % der Soldaten griechisch-orientalischer (bzw. nach heutigem Verständnis serbisch-orthodoxer) Religion, 31,4 % waren Muslime und 25,4 % waren römisch-­katholisch (»kroatisch«)  ; dazu kamen noch in geringerer Zahl GriechischKatholische (2,8 %), Juden (0,5 %) und Protestanten (0,2 %).49 Den religiösen Bedürfnissen der Soldaten wurde – neben der Zuteilung von Feldgeistlichen der verschiedenen christlichen Konfessionen sowie von Feldrabbinern  – durch die Ernennung von Militärimamen Rechnung getragen  ; religiöse Vorschriften auch der Muslime (etwa hinsichtlich der Ernährung) wurden nach Möglichkeit respektiert.50 In Friedenszeiten gab es einen Militärimam im Hauptmannsrang je Regi­ment  ; 1914 waren es vier.51 Kurz nach Kriegsbeginn wurde mit Hafiz A ­ bdullah ­Effendi Kurbegović vom b.h. Infanterie-Regiment Nr. 1 ein Militärmufti zweiter Klasse bestellt  ; es folgten bis 1918 nicht weniger als 98 (sic  !) Militärimame, davon 93 auf Kriegsdauer. Während unter den Berufsoffizieren nur wenige Muslime waren, schienen unter den Reserveoffizieren und Offiziersanwärtern der Reserve der »Bosnia­ken« Angehörige anderer Religionen häufiger auf  : unter ihnen waren 13,7 % Juden und 2,4 % Muslime.52 Seit Ende des 19. Jahrhunderts lagen die bosnisch-herzegowinischen Regimenter bewusst in den größeren Städten der Monarchie (in Wien, Budapest, Graz und Triest) in Garnison – einerseits, um die »Bosniaken« durch die Pracht der Großstädte zu beeindrucken, und andererseits, um deren Bewohnern die Erweiterung der Monarchie zu demonstrieren. In der Folge wurde die Errichtung von Moscheen in Wien und in Budapest geplant. Kaiser Franz Joseph soll für die Errichtung einer Moschee in Wien 25.000 Goldkronen gespendet haben.53 Der Industrielle Theodor von Liebig (1872–1935), Mitglied des Herrenhauses, der sich für den Bau einer Moschee in Wien einsetzte, begründete dieses Projekt während des Krieges einerseits mit der Waffenbrüderschaft mit dem Osmanischen Reich, andererseits mit der »Anerkennung der bosnisch-hercegovinischen Truppen, welche in den schweren Kämpfen dieses Krieges ihre Pflicht als Soldaten voll und treu erfüllt haben«  ; zudem werde auch in Bosnien und der Herzegowina selbst durch den Moscheebau das Gefühl der Zusammenge-

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hörigkeit und das Bewusstsein gestärkt, »dass die Bevölkerung Österreich-Ungarns und insbesondere Wiens aufrichtige Sympathie den religiösen Überzeugungen der jüngsten Angehörigen der Monarchie entgegen bringt«.54 III. Schlussbemerkungen Mit Ende des Krieges und dem Zerfall der Habsburger-Monarchie standen alle Volksund Religionsgruppen vor neuen Herausforderungen, nicht zuletzt hinsichtlich ihrer Identität in den neuen Staaten. Die Muslime in Bosnien und der Herzegowina, aber auch in Serbien und Montenegro, waren nun eine Minderheit im neuen Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, dem »SHS-Staat« (ab 1929 Königreich Jugoslawien). Die albanischen Muslime – sowohl inner- wie außerhalb der Grenzen des Staates Albanien – waren als Albaner wie als Muslime gefordert, sich neu zu orientieren. Die Juden hingegen sahen sich praktisch in allen Nachfolgestaaten der Monarchie mit zunehmendem Misstrauen und antisemitischen Maßnahmen konfrontiert. Für viele Juden wurde gerade das Kriegserlebnis zum Katalysator einer neuen jüdischen Identität, die für manche auch Sympathien für die zionistischen Ideale der Auswanderung nach Palästina mit einschloss.55 Die wenigsten freilich mochten sich 1918 vorstellen, dass das 20. Jahrhundert nach dem Untergang der Donaumonarchie noch einen zweiten Weltkrieg und die Schrecknisse von Auschwitz und Srebrenica bringen würde.

Anmerkungen 1 Albert Lichtblau, Integration, Vernichtungsversuch und Neubeginn  – Österreichisch-jüdische Geschichte 1848 bis zur Gegenwart, in  : Geschichte der Juden in Österreich (Österreichische Geschichte, hrsg. Herwig Wolfram, Themenband), Wien 2006, 447–565, 474. Die Volkszählung von 1910 ergab 1.313.687 Juden in Cisleithanien und 932.458 in der ungarischen Reichshälfte. Nicht enthalten in dieser Aufstellung ist die Zahl der Juden in Bosnien-Herzegowina. 2 Vgl. dazu detailliert Erwin A. Schmidl, Habsburgs jüdische Soldaten 1788–1918, Wien–Köln–Weimar 2014  ; Marcus G. Patka (Hg.), Weltuntergang. Jüdisches Leben und Sterben im Ersten Weltkrieg, Wien– Graz 2014. 3 Ilse Stiaßny-Baumgartner, Roda Rodas Tätigkeit im Kriegspressequartier. Zur propagandistischen Arbeit österreichischer Schriftsteller im Ersten Weltkrieg, phil. Diss., Wien 1982, 3 und 22–29. 4 Otto M. Lilien/Eve Strauss (Hg.), E. M. Lilien. Briefe an seine Frau. 1905–1925, Königstein/Taunus 1985, 13–14 und passim  ; Erwin A. Schmidl, An Artist, an Officer, and a Gentleman. Lt. Ephraim M. Lilien and the Austrian Presence in the Middle East, in  : Marian Wrba (Hg.), Austrian Presence in the Holy Land in the 19th and early 20th Century. Proceedings of the Symposium in the Austrian Hospice in Jerusalem on March 1–2, 1995, Tel Aviv 1996, 215–236  ; Erwin A. Schmidl, Der Künstler als Offizier. Ephraim M. Lilien im Ersten Weltkrieg, in  : E. M. Lilien. Jugendstil – Erotik – Zionismus (Katalog

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zur Ausstellung im Jüdischen Museum der Stadt Wien sowie im Braunschweigischen Landesmuseum), Wien 1998, 12–14.   5 Vgl. etwa Max Grunwald, Gebete in Kriegszeit für israelitische Frauen und Mädchen, Wien 1914. Dr. Max Grunwald (1871–1953) war ein prominenter jüdischer Gelehrter und Historiker.   6 Arnold Frankfurter, Andachtsbüchlein für jüdische Krieger im Felde, Wien 1915.   7 Ansprache des Feldrabbiners Dr. Arnold Frankfurter an jüdische Soldaten aus Wien, ÖStA, KA, Akten des Apostolischen Feldvikariats 1917, Karton 164.   8 Wolfgang von Weisl, Die Juden in der Armee Österreich-Ungarns. Illegale Transporte. Skizze zu einer Autobiographie, Tel Aviv 1971, 36.   9 Ernst R. von Rutkowski, Dem Schöpfer des österreichischen Reiterliedes, Leutnant i.d. Res. Dr. Hugo Zuckermann, zum Gedächtnis, in  : Zeitschrift für die Geschichte der Juden 10 (1973), 93–104  ; Jüdisches Kriegsgedenkblatt 2 (1914/15), 68–76. 10 R. A., Treu bis in den Tod, in  : Israelitisches Wochenblatt, 17.1.1992. 11 Beginn des Gedichts »Als wir die Grenze überschritten« (25. August 1914), in  : Hugo Zuckermann, Gedichte, Wien–Berlin 1919, 104, zit. nach Martin Achrainer, Jüdisches Leben in Tirol und Vorarlberg von 1867 bis 1918, in  : Thomas Albrich (Hg.), Jüdisches Leben im historischen Tirol, Innsbruck–Wien 2013, Bd. 2, 193–380 und 389–397, 350. 12 Vgl. Rutkowski, Dem Schöpfer, 98  ; Achrainer, Jüdisches Leben, 347–348. 13 David Rechter, The Jews of Vienna and the First World War, London–Portland (Oregon), 2001, 70–83  ; Beatrix Holter, Die ostjüdischen Kriegsflüchtlinge in Wien (1914–1923), Hausarbeit aus Geschichte, Salzburg 1978, 42. 14 Adolf Gaisbauer, Davidstern und Doppeladler. Zionismus und jüdischer Nationalismus in Österreich 1882–1918, Wien–Köln–Graz 1988, 523–524. 15 Rechter, The Jews of Vienna, 70–83. 16 Holter, Die ostjüdischen Kriegsflüchtlinge, 42  ; Gaisbauer, Davidstern und Doppeladler, 523–526. 17 Jonny Moser, Die Katastrophe der Juden in Österreich 1938–1945  – ihre Voraussetzungen und ihre Überwindung, in  : Der gelbe Stern in Österreich (Studia Judaica Austriaca 5), Eisenstadt 1977, 67–134, 68–71  ; Holter, Die ostjüdischen Kriegsflüchtlinge, 39–42  ; Jonny Moser, Ostjüdische Flüchtlinge in Wien des Ersten Weltkrieges, in  : Das Jüdische Echo. Zeitschrift für Kultur und Politik 33 (September 1984/Elul-Tischri 5745) 1, 93–96. 18 Vgl. beispielsweise zur Geschichte des Lagers Thalerhof Georg Hoffmann/Nicole-Melanie Goll/­Philipp Lesiak, Thalerhof 1914–1936. Die Geschichte eines vergessenen Lagers und seiner Opfer (Mitteleuropäische Studien 4), Herne 2010. 19 Albert Lorenz, Alte Autos – junge Liebe, Wien 1963, 220–227. 20 Protokoll, aufgenommen am 9. August 1914 mit Menasche Baron, ÖStA, KA, Kriegsüberwachungsamt No. 738/X, K.k. Polizei-Direktion in Wien, Staatspolizei. 21 Wenn diese Zahl stimmt, wäre dies zahlenmäßig sogar mehr als in Österreich-Ungarn. 22 Heinz-Dietrich Löwe, Antisemitismus und reaktionäre Utopie. Russischer Konservatismus im Kampf gegen den Wandel von Staat und Gesellschaft (Historische Perspektiven 13), Hamburg 1978, 146– 150. 23 Ein Exemplar dieser Proklamation befindet sich in der Sammlung des Leo-Baeck-Instituts in New York  ; Dr. Fred Grubel danke ich für die Überlassung einer Übersetzung. Erwin A. Schmidl, Habsburgs jüdische Soldaten 1788–1918, Wien–Köln–Weimar 2014, Anhang 3. 24 Vgl. dazu Reiner Pommerin, »Polen gegen uns eingenommen und stark jüdisch durchsetzt«. König Friedrich August III. und die Kriegsziele Sachsens im Ersten Weltkrieg, Potsdam 2009. 25 Marginale Kaiser Wilhelms II. auf einem Telegramm der deutschen Botschaft in St. Petersburg, 30. Juli

Geteilte Loyalitäten?

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1914, in  : Karl Kautsky/Graf Max Montgelas (Hg.), Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914, Berlin 1919, II, Dok. 401, 118–120, zit. nach Salvador Oberhaus, Des Kaisers Heiliger Krieg. Die deutsche Propagandastrategie im Orient während des Ersten Weltkrieges am Beispiel Ägypten, in  : Journal for Intelligence, Propaganda and Security Studies 1/2 (2007), 5–19, bes. 7–9  ; dort auch weiterführende Literaturverweise. 26 So in einem Brief an Geheimrat Hueck, 6. Oktober 1915, in  : Wolfgang Foerster (Hg.), Generalfeldmarschall Colmar von der Goltz – Denkwürdigkeiten, Berlin 1929, 421, zit. nach Stefan M. Kreutzer, Dschihad für den deutschen Kaiser. Max von Oppenheim und die Neuordnung des Orients (1914– 1918), Graz 2012, 30. 27 Die »Denkschrift betreffend die Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde« befindet sich im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA-AA), R 20937–1 und –2. Siehe Kreutzer, Dschihad, 185. 28 Oppenheim, Denkschrift, PA-AA R 20937–2, 184, zit. nach Kreutzer, Dschihad, 51. 29 Vgl. Wolfdieter Bihl/Erwin A. Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, in  : Jürgen Angelow (Hg.), Der Erste Weltkrieg auf dem Balkan. Perspektiven der Forschung, Berlin 2011, 75–109, 87. 30 Situationsbericht Nr. 94, k. u. k. Konsular-Agent Kell an die k. u. k. Botschaft in Madrid, Larache, 8.9.1914, ÖStA, HHStA, Politisches Archiv (PA) I, Karton 890  : Liasse Krieg 7, Mappe Marokko 1914–1917, fol. 1–223  : fol. 19. 31 Vgl. dazu im Detail Wolfdieter Bihl, Die Kaukasus-Politik der Mittelmächte (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs), 2 Bände, Wien–Köln–Graz 1975 und 1998, Bd. 1, 117–118. 32 Bericht Nr. 1, »Aufruf zum heil. Krieg«, k. u. k. Konsular-Agent Kell an den k. u. k. Botschafter Fürst zu Fürstenberg in Madrid, Larache, 20.1.1915, ÖStA, HHStA, PA I, Karton 890  : Liasse Krieg 7, Mappe Marokko 1914–1917, fol. 1–223  : fol. 92. 33 Ebd. 34 Bericht Pallavicini an Burián, Zl. 13/P A-J, 18.2.1915, ÖStA, HHStA, PA XII 209, zit. nach Bihl/ Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 88. 35 Bericht Pomiankoskis Res. Nr. 106, 25.2.1915 (Copia pro actis zu Einsichtsstück des Ch.d.G.) 5.3.1915, Nr. 553, ÖStA, HHStA, PA I 943  : Krieg 21a Türkei, zit. nach Bihl/Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 88. 36 Bihl/Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 88. 37 Vgl. dazu Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität ­Stuttgart 8) Darmstadt 2006. 38 Bericht Giesl an Berchtold, Nr. 856, 19.11.1914, ÖStA, HHStA, PA I 942, zit. nach Bihl/Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 88. 39 Bihl, Kaukasus-Politik, Bd. 1, 131–132. 40 Bihl/Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 89. Angesichts dieser Zahlen scheint die Angabe aus dem März 1916, wonach in Österreich-Ungarn insgesamt rund 6.000 muslimische russische Kriegsgefangene gewesen wären, zu gering. 41 In Österreich bezeichnete die »Truppendivision« bis 1917 den Großverband der Division, der Ausdruck »Division« hingegen die (etwa einem Bataillon entsprechende) Abteilung der Kavallerie oder Artillerie. 42 Dieses Exposé befindet sich als Beilage zum Bericht Nr. 1744 des Vertreters des M.d.Ä. beim AOK an Burián vom 25.1.1915, ÖStA, HHStA, PA I 937 Krieg 19 b, zit. nach Bihl/Schmidl, Österreich-­ Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 90. Bemerkenswert scheint in diesem Zusammen-

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hang, dass die in diesem Exposé angedachte Ausnützung der Spannungen zwischen den Nationalitäten des Russischen Reiches angesichts der in Österreich-Ungarn selbst bestehenden Probleme nicht ungefährlich war. 43 Note 2102/M.E.res.III des kgl. Ungar. Ministerpräsidiums an das M.d.Ä., 27.4.1915, ÖStA, HHStA, PA I 937 Krieg 19 b, zit. nach Bihl/Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 90. 44 Vgl. dazu Bihl, Kaukasus-Politik, Bd. 1, 134–135. 45 Ein Sandschak (Sandžak) war eine Unterabteilung der osmanischen Provinzialverwaltung. Das Gebiet des einstigen Sandschaks von Novipazar wird noch heute als »Sandschak« bezeichnet  ; es wurde 1912 von montenegrinischen und serbischen Truppen besetzt und 1913 zwischen beiden Staaten aufgeteilt. Seit der (neuerlichen) Unabhängigkeit Montenegros 2006 ist die durch den Sandschak verlaufende Grenze wieder Staatsgrenze zwischen Montenegro (südlicher Teil des Sandschak) und Serbien (nördlicher Teil). Außerdem gehörte der Nordwesten des heutigen Kosovo zum alten Sandschak von Novi­ pazar. 46 Vgl. dazu Tamara Scheer, »Minimale Kosten, absolut kein Blut«. Österreich-Ungarns Präsenz im Sandžak von Novipazar (1879–1908) (Neue Forschungen zur ostmittel- und südosteuropäischen Geschichte 5), Frankfurt am Main–Bern–Berlin–Brüssel–New York–Oxford–Wien 2013. 47 Telegramm Berchtold an Pallavicini, Tel.i.Z. 412, 1.9.1914, ÖStA, HHStA, PA XII 208, zit. nach Bihl/ Schmidl, Österreich-Ungarns Präsenz und Ambitionen im Nahen Osten, 86. Vgl. zu diesem Abschnitt auch ausführlich Bihl, Kaukasus-Politik, Bd. 1, 116–117. 48 Vgl. zu den k.u.k Besatzungsverwaltungen Tamara Scheer, Zwischen Front und Heimat. ÖsterreichUngarns Militärverwaltungen im Ersten Weltkrieg (Neue Forschungen zur ostmittel- und südost­ europäischen Geschichte 2), Frankfurt am Main–Bern–Berlin–Brüssel–New York–Oxford–Wien 2009. Siehe auch Heiko Brendel, Austro-Hungarian Policies towards Muslims in Occupied Monte­negro, in  : Ayşe Zişan Furat/Hamit Er (Hg.), Balkans and Islam. Encounter, Transformation, Discontinuity, Continuity, Newcastle upon Tyne 2012, 85–106. Brendel schreibt derzeit seine Dissertation über die österreichisch‑ungarische Besatzung Montenegros im Ersten Weltkrieg zwischen 1916–1918. 49 Die Prozentsätze im Jägerbataillon waren ähnlich (42,9 % griechisch-orientalisch, 31,3 % muslimisch, 24,5 % römisch-katholisch, 0,6 % jüdische, 0,5 % protestantisch). 50 Vgl. dazu Christoph Neumayer, Der Islam in Österreich-Ungarn 1878–1918. Neuordnung der musli­ mischen Kultusverwaltung in Bosnien – Muslime in der k. u. k. Armee – Muslime in Wien und Graz, Dipl. Arb., Wien 1995, 80–102. 51 Der Hauptmannsrang – in der damaligen Diktion die IX. Rangsklasse – war gleichzeitig die unterste Rangstufe der Militärgeistlichkeit. Militärgeistliche der IX. Rangsklasse waren durch drei schmale goldene Streifen am Ärmel gekennzeichnet. 52 Militärstatistisches Jahrbuch für das Jahr 1911, Wien 1912, Verteilung der Offiziere nach Nationalitäten und Religionen. 53 Die Muslims im Donauraum, Wien 1971, 20, zit. nach Christoph Neumayer/Erwin A. Schmidl (Hg.), Des Kaisers Bosniaken. Die bosnisch-herzegowinischen Truppen in der k. u. k. Armee – Geschichte und Uniformierung von 1878 bis 1918, Wien 2008, 59. 54 Akt über die Errichtung einer Moschee in Wien, ÖStA, KA, KM Präs. 34–18/1–4 ex 1918, zit. nach Neumayer/Schmidl, Des Kaisers Bosniaken, 59. 55 Marsha L. Rozenblit, Reconstructing a National Identity. The Jews of Habsburg Austria During World War I, Oxford 2001, 94–95.

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Der moderne Massenkrieg

Dieser Krieg war vor allem bestimmt durch eine neue Gewalt  : durch die Masse (Stefan Zweig, 1915)

August Käthe Leichter, geb. Pick – neben den Geschwistern Eisler eine der markantesten Proponentinnen der (links-)bürgerlichen Jugendbewegung, später herausragende Sozialwissenschaftlerin, führende Sozialdemokratin, Holocaustopfer – hat in der GestapoHaft ihre Lebenserinnerungen niedergeschrieben. Enttäuschung, so entnehmen wir ihren Bemerkungen zum »Augusterlebnis« 1914, und Kränkung habe sie empfunden, als »Mädel« an dem, was ihr groß schien, nicht teilhaben zu können  : »Würde ein Krieg nicht die träge Gewordenen aufreißen, das Blut auffrischen, würden nicht bestehende gesellschaftliche Vorrechte in ihm fortgeschmolzen werden und würde er nicht zu einer Erneuerung der Gesellschaft mit besserer Auslese führen  ?«1 Jedenfalls fand sie sich, aufgegangen in der »kochenden Volksseele«, inmitten jener Massen, die »schreiend, singend, jubelnd« ausgezogen waren, den Krieg zu begrüßen.2 Was aber war es, was trieb die Massen, hysterisiert und im Taumel, auf die Ringstraße und ließ sie dort in den einen Volkskörper, in ein imaginäres Ganzes verschmelzen, unbeschadet ihrer sozialen Herkunft und gesellschaftlichen Stellung  ? Darüber räsonierte ein seit Jahren im Wiener Exil lebender russischer Emigrant, der sich, unmittelbar vor seiner überstürzten Abreise, an jenem schicksalhaften 1. August 1914 in die Wiener Innenstadt begeben hatte. Was, so fragt er weiter, trieb den Schuhmachergesellen, den Halbtschechen-Halbdeutschen Pospischil, was trieb die Gemüsehändlerin Frau Maresch oder den Kutscher Frankl auf den Platz vor dem Kriegsministerium  ? Konnte es letztlich die Konkretisierung des Nationalen sein, wo doch Österreich-Ungarn geradezu die Negation des Nationalen darstellte  ? Es musste darüber hinaus gehen, die bewegende Kraft eine andere sein, die Gepäcksträger, Wäschermädchen, Taglöhner, die Halbwüchsigen der Vorstädte in die kollektive Illusion versetzte, auf der prunkvollen Ringstraße sich als die Herren der Lage zu fühlen. Es musste etwas damit zu tun haben, dass unter normalen Umständen niemals zu befriedigende, ja nicht einmal denkbare Hoffnungen und Sehnsüchte mit einem Mal freigesetzt, artikuliert wurden  : »Solcher Menschen, deren ganzes Leben tagaus tagein

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in monotoner Hoffnungslosigkeit verläuft, gibt es viele auf der Welt. Auf ihnen beruht die heutige Gesellschaft. Die Alarmglocke der Mobilisierung dringt in ihr Leben wie eine Verheißung. Alles Gewohnte, das man tausendmal zum Teufel gewünscht hat, wird umgeworfen, es tritt etwas Neues, Ungewöhnliches auf. Und in der Ferne müssen noch unübersehbare Veränderungen geschehen. Zum Besseren  ? Oder zum Schlimmeren  ? Selbstverständlich zum Besseren  : Kann es Pospischil schlimmer ergehen als zur ›normalen‹ Zeit  ?«3 Der diese Überlegungen in seinen Memoiren zu Papier brachte, sollte drei Jahre nach den Wiener Ereignissen unter seinem nome de guerre Weltgeschichte schreiben. Leo Trotzki hat die patriotische Massenmanifestation des August 1914 in einem umfassenden, komplexen Zusammenhang verortet  : als das subkutane Wirken eines Prinzips, das ein kollektiv Unbewusstes zum manifesten Wir werden ließ. Die plötzlich so sinnhafte, klassen- und schichtübergreifende Absonderung gegenüber dem feindlichen Außen schien die Harmonie nach Innen ebenso klaglos wie widerspruchsfrei herzustellen. Eine Zeit, die das Nationale zum obersten Prinzip erhob, hatte in diesem Sinn auch die Massen nationalisiert und eröffnete Perspektive und Zukunftsgewissheit. Und kennzeichnete es nicht gerade solche Momente offensichtlicher historischer Größe, dass ein Teil davon, die Sehnsucht nach Geltung und Bedeutung, bereits hier und jetzt verwirklicht schien  ? »Der Krieg erfaßte alle, und folglich fühlten sich die Unterdrückten, vom Leben Betrogenen mit den Reichen und den Mächtigen auf gleichem Fuß. Das soll nicht paradox genommen sein, daß ich in der Stimmung der Wiener Menschenmenge, die zum Ruhme der habsburgischen Waffen demonstrierte, jene Merkmale wiederfand, die ich von den Petersburger Oktobertagen 1905 her kannte. Ist doch der Krieg in der Geschichte häufig der Vater der Revolution gewesen.«4 Trotzkis Beobachtungen, Einschätzungen und Erinnerungen decken sich, ebenso auffallend wie unerwartet, mit jenen von Stefan Zweig. Demzufolge habe jeder einzelne eine Steigerung seines Ichs erlebt, war »eingetan in eine Masse«, war Volk  ; und als für diesen einen Augenblick Klassenunterschiede und kulturelle Differenzen aufgehoben schienen, hatte seine sonst so unbeachtete Person einen Sinn bekommen.5 Etwas »Großartiges, Hinreißendes und sogar Verführerisches« kennzeichnete diesen ersten Aufbruch der Massen, und vor allem die Frauen, so Zweigs Tagebuchnotiz vom 6. August, »in ihren weißen Kleidern, heiter, wollüstig« hätten bis hin zur Unerträglichkeit nichts von dem großen Ernst der Ereignisse begreifen wollen – »wienerisch eben bis zum Äußersten.«6 In seiner eigensinnigen, so ambivalenten Attraktion aber habe der wilde, »in Worten kaum zu schildernde Rausch« eben auch ein dunkles Anderes, unbewusste Triebe und Instinkte offenbart, Sigmund Freuds Unbehagen an der Kultur.7 Und genau diesen doppelten Charakter des atavistisch-mystischen Augusterlebnisses, dessen, was ihm an »Irrationalem, Unvernünftigem, aber Ungeheurem« zu eigen war, macht Robert Musil zum Thema seines 1921 für die Neue Rundschau unter

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dem Titel Die Nation als Ideal und als Wirklichkeit verfassten Beitrages  : »Darin war auch das berauschende Gefühl enthalten, zum erstenmal mit jedem Deutschen etwas gemeinsam zu haben. Man war plötzlich Teilchen geworden, demütig aufgelöst in ein überpersönliches Geschehen, und spürte, von ihr eingeschlossen, die Nation beinahe leibhaft  ; es war, als ob mystische Ureigenschaften, welche in einem Wort eingeschlossen die Jahrhunderte verschlafen hatten, plötzlich so real erwachten wie die Fabriken und Kontore am Morgen.«8 Spätestens seit den Balkankriegen hatte der unmittelbar bevorstehende Ausbruch großer, gesamteuropäischer Kriegshandlungen zum Erwartungshorizont breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere aber der Intellektuellen und Künstler gezählt. In ihrer überwiegenden Mehrheit sahen Letztere darin das (notwendige und logische) Gegen-Bild zu dem so dominanten Unbehagen an der Zeit, die seit langem erhoffte Negation alles Bestehenden. »Ich bilde mir manchmal ein«, notierte Alma Mahler in ihr Tagebuch, »ich habe diesen ganzen Weltbrand entfacht, um irgend eine Entwicklung oder Bereicherung zu erfahren – und wäre es auch der Tod.«9 Und so ist der Erste Weltkrieg denn auch vielfach als ein essenzielles Krisensymptom, als die letztendliche, konkrete Manifestation einer seit langem latenten Krise der Moderne interpretiert worden. »Die Aufklärung«, schreibt Oskar Kokoschka im Kapitel Krieg seiner Memoiren, »wendete sich zur Metaphysik, ohne daß man dessen gewahr wurde.«10 Eine »Revolution der Seele gegen die Ordnung« diagnostiziert Robert Musil, einen archaischen Ausbruch aus dem ewigen Kreislauf des Seinesgleichen.11 Sinnkrise, Kultur- und Geschichtspessimismus korrespondierten mit einer eigentümlich gesteigerten Kriegssehnsucht, der Hoffnung auf (soziale, kulturelle, nationale) Erneuerung und Wiedergeburt im Krieg. Purifikation, Katharsis sollte das große Geschehen in seiner elementaren Macht bewirken, die Rückführung aller Verhältnisse auf das »einfach Bedeutungsvolle«, die schmerzvolle, wenn auch unumgänglich gewordene Reinigung alles Abgelebten, Alten, Morschen. Würde dergestalt nicht ein gänzlich regeneriertes, von physischer und intellektueller Degeneration »gereinigtes«, identisches nationales Sein begründet werden können – vermittels »natürlicher« Auslese der Tauglichsten und Besten, gerade so, wie es Sozialdarwinismus und Eugenik seit geraumer Zeit schon verkündeten  ? Als der Große Krieg dann ausbrach, setzte er ungeheure emotionale Energien, Euphorie, Aufbruchspathos frei, wurde er von den geistigen Eliten ausnahmslos aller Seiten mit geradezu metaphysisch aufgeladenen Erwartungen und Sehnsüchten überfrachtet. Eine »schaurige Utopie« konstatierte Jakob Wassermann, Autor des Kaspar Hauser, am 4. August 1914  – alle Nationen Europas zerfleischten einander. Und doch sei er von der tiefen Notwendigkeit des Geschehens durchdrungen  : »Was uns an Leiden, Entbehrungen, Not und Schrecken auch bevorstehen mag, da walten elementare Mächte, das Schicksal des Einzelnen kommt nicht mehr in Betracht. Die Welt liegt wie im Fieber.«12 Oskar Kokoschka

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ließ Alma Mahler wissen, er wolle solange »im Feuer« sein, »bis alles böse von mir heruntergegangen ist.«13 Selbst der Habsburg und der Monarchie so überaus skeptisch gegenüberstehende Sigmund Freud hatte sich, wie er in Briefen an Sándor Ferenczi notierte, vorerst der allgemeinen Begeisterung nicht zu entziehen vermocht. Wie so viele andere habe er im »Sturm des Krieges« für ein von den ärgsten Miasmen befreites, lebensfähiges Vaterland »plötzlich Libido […] mobilisiert.«14 Und Rainer Maria Rilke sprach vom »unabsehbar Große[n] und Grauenhafte[n]«, in dem Stimmen zu ahnen geben, »daß wir alle, soweit wir überleben, reiner, thätiger und vielleicht sogar herzlicher aus dem Entsetzlichen hervorgehen würden.«15 Ihm gegenüber hatte Lou Andreas-Salomé einen ebenso bemerkenswerten wie eigenwilligen psychoanalytischen Erklärungs- und Rechtfertigungsansatz vorgelegt. Da wir alle fortwährend Mörder an uns selbst und aneinander seien, hätten wir uns, in der Einheit der »Schuld, der allmenschlichen« und in der Einsicht der allen gleichen Trauer, in das Geschehen notwendig mit hineinzubegeben. »Als ich so weit war, begriff ich mit Erstaunen, daß gerade daher ich, wenn ich ein Mann wäre oder Söhne geboren hätte, auch gekämpft hätte und Söhne in den Kampf entlassen.«16 ES Allerdings wird dieser bis dahin größte Krieg aller Zeiten jegliche Kategorie, jegliche Gewissheit, jegliches Vorstellungsvermögen, alles bisher Gewußsste einfach aufheben. Er sei – so schreibt Stefan Zweig in einer vom Wiener Kriegsarchiv 1915 edierten Publikation zu dessen Sozialer Organisation – von allen Mächten, »da man die Schwüle des Weltgewitters spürte«, auf das sorgfältigste vorbereitet und geplant worden. Man habe für alle Eventualitäten, alle Möglichkeiten und Notwendigkeiten gerüstet und vorgesorgt. Und wenn man auch meinte, die »Naturgeschichte dieses furchtbaren Phänomens« genau zu kennen, so habe sich doch jegliches Kalkül, jegliche Erwartung, jegliche Prognose »diesem Giganten gegenüber« als obsolet, als naiv erwiesen  : »Man kann es schon heute ruhig aussprechen, dass sich alle Völker, alle Wissenschaftler, Soziologen, Politiker, Militärs, alle Menschen überhaupt über seine Dimensionen getäuscht, dass alle ihn unterschätzt haben.«17 Man war sich einig  : Dieses Völkerschlachten würde nicht bloß durch die überlegene Militärdoktrin entschieden werden, nicht allein durch die effizienteste Ausbeutung und Nutzbarmachung der jeweiligen volkswirtschaftlichen Ressourcen, gewinnen würde vielmehr jene Seite, die – angesichts niemals zuvor gekannter Massenverluste und -verletzungen – die Wiederverwertbarkeit des eingesetzten »Menschenmaterials« am konsequentesten zu realisieren vermochte. Alfred Polgar, ein weiterer, vom Kriegsarchiv für seine Propagandaschrift herangezogener (und bis 1917 für das Kriegspresse­

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quartier tätiger) Vorzeigeliterat, hat die Problematik zu einer ebenso eingängigen wie treffenden Formel verdichtet  : Krieg ist Anti-Sanität. »Krieg ist nicht nur Wunde, Schmerz, Krankheit, Krieg ist die pflichtmäßige Mißachtung von alledem.«18 Die Realität der Front allerdings sollte die schlimmsten Szenarien übertreffen, sämtliche Einsatz- und Organisationspläne in durchgängiges Chaos auflösen, die detailliert vorbereiteten kriegshygienischen Maßnahmen schlicht scheitern lassen. Mindeststandards konnten nicht eingehalten werden, in Scheunen und Ställen wurden Lazarette improvisiert, die Eindämmung von Seuchen wie Cholera, Ruhr oder Typhus gelang nur mühsam und unzureichend. 191 Anstalten mit knapp 17.000 Betten hatte der Mobilisierungsplan vorgesehen, bereits nach einem halben Jahr registrierte allein das Rote Kreuz über 500 Anstalten mit knapp 80.000 »Betten« (in vielen Fällen nicht mehr als ein behelfsmäßiges Strohlager).19 Vielleicht, so resümiert Joseph Szebenyei 1916 im britischen Exil, habe noch niemals ein Kampfverband so unter der militärischen wie medizinischen Inkompetenz seiner Führungsebenen gelitten wie die k. u. k. Armee in den ersten Monaten dieses Krieges. Es sei dies einer fortschreitenden Vernichtung von Humanressourcen in geradezu atemberaubender Geschwindigkeit gleichgekommen.20 Tatsächlich schlitterten die österreichisch-ungarischen Armeen in den Herbstmonaten des Jahres 1914 in ein nicht vorstellbar gewesenes, an Dramatik kaum zu überbietendes militärisch-strategisches Debakel. Weitgehend in den Kategorien vormoderner Kriegsführung verhaftet, waren die großen Offensiven des Feldzeugmeisters Oskar Potiorek gegen Serbien gleichermaßen wie der in Galizien gegen das zaristische Russland geführte Angriff furchtbar zusammengebrochen. Paradigmatisch geradezu der galizische Schock, da man sich in aussichtsloser Auseinandersetzung mit einem an Ausrüstung, Mannschaftsstärke und Munitionskraft eklatant überlegenen Gegner wiederfand, der aus seinem ein Jahrzehnt davor gegen Japan erlittenen Debakel präzise Lehren gezogen hatte und ganz offensichtlich über die österreichischen Auf- und Vormarschpläne detaillierte Kenntnis besaß. Schon nach wenigen Monaten hatte die in vier Armeen aufgebotene kaiserlich-königliche Streitmacht an der Nordostfront den Charakter einer lediglich besseren Miliz angenommen. Von geschätzt 50.000 eingerückten Offizieren waren ca. 22.000 durch Tod, Verwundung, Krankheit oder Gefangenschaft ausgefallen, bis Ende 1914 drei Viertel aller ausgebildeten Soldaten. Ganze Divisionen waren halbiert und auf Bataillonsstärke, ganze Regimenter auf Kompaniestärke dezimiert, einzelne Einheiten de facto ausgelöscht worden. ­Insgesamt verzeichnete man im ersten Kriegsjahr in Serbien, in Galizien und in den Karpaten exorbitante Verluste und Ausfälle in der Höhe von rund 1,8 Millionen, wodurch das alte Berufsheer förmlich zertrümmert war.21 Offenbar wurde ein Moment, das Walter Benjamin als eine neue und signifikante Qualität des gesamten Geschehens ausmacht  : die letale Konfrontation habe vor allem auch erwiesen, »daß die soziale Wirklichkeit nicht reif war, die Technik sich zum Or-

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gan zu machen, daß die Technik nicht stark genug war, die gesellschaftlichen Elementarkräfte zu bewältigen.«22 Eine massive Diskrepanz hatte sich aufgetan zwischen dem ungeheuren Destruktionspotenzial der industrialisierten, versachlichten, entpersonalisierten Kriegsmaschinerie, der permanenten Eskalation der Vernichtung und dem im Prinzip vormodernen Deutungs- und Legitimationskanon des Kriegsgeschehens, »zwischen den riesenhaften Mitteln der Technik auf der einen, ihrer winzigen moralischen Erhellung auf der anderen Seite.«23 Die allgegenwärtige Dominanz der modernen Vernichtungstechnologie hatte in der Tat qualitativ neue Dimensionen erschlossen. Sobald die Anfangsoffensiven an de facto allen Fronten zur Jahreswende 1914/15 leer gelaufen, die Kampflinien erstarrt und die feindlichen Verbände in Schützengräben verschanzt waren, potenzierte sich die Intensität des Maschinenkrieges um ein Vielfaches. Wie sollte man sich denn, so fragte Kornel Abel in seiner Rückschau Karst. Ein Buch vom Isonzo, gegen das »gnadenlose Wirken lebloser Maschinen« zur Wehr setzen, gegen einen maschinenhaft wirkenden und maschinenhaft bedienten Mechanismus  ? »Leer ist das Schlachtfeld. Nichts sieht man vom Feind.«24 Ganze Landstriche und Regionen verwandelten sich in devastierte, gespenstisch verformte killing fields, in makaber-trostlose Terrains des Todes, in Landschaften, in denen »nichts unverändert geblieben war als die Wolken, und in der Mitte, in einem Kraftfeld zerstörender Ströme und Explosionen, der winzige zerbrechliche Menschenkörper«.25 Der moderne Krieg, die weittragende Feuerwirkung der Geschütze hätten das Schlachtfeld zu einer »Schlachtwelt« werden lassen, in der der »einsame« Mensch kaum mehr sichtbar sei und kaum mehr als ein »flüchtiger Punkt« erscheine.26 Die schiere Zahl der zerrissenen, zerfetzten, zerschossenen Toten, die Schwere und Neuartigkeit der Verwundungen, die namenlosen, traumatisierenden Gräuel entziehen sich häufig der konzisen sprachlichen Fassung und der adäquaten Begrifflichkeit. Hans Pölzer etwa – der während eines Fronturlaubes 1916 einen Erlebnisbericht Drei Tage am Isonzo verfasste und Ende Dezember des Folgejahres in der 12. Isonzoschlacht fallen sollte – erzählt davon, wie er beim Versuch, Deckung vor feindlichen Maschinengewehrsalven zu finden, auf ein nur notdürftig bedecktes Grab mit Leichen in fortgeschrittenem Verwesungszustand stieß   : »Die Schießerei dauerte wohl eine Stunde, denn mich dünkte die Zeit, die ich auf dem aufgetriebenen, rinnenden und schwabbelnden Kadaver, von dessen Schädelknochen sich schon das schwarz gewordene Fleisch zu lösen begann, zubrachte, tausend Ewigkeiten lang. Worte und Satzgebilde, die zur Beschreibung solcher Scheußlichkeiten hinreichen, gibt es nicht.«27 Die alles Vorstellbare überschreitenden Grausamkeiten im Feld haben (wie auch die fortgesetzten Rechtsverletzungen und Justizmorde durch die Militärgerichtsbarkeit oder das Übermaß einer Zensur der Mitteilung und der Meinungsäußerung) bei Sigmund Freud eine sehr frühe und durchaus umfassende Revision seiner ursprünglich kriegsbefürwortenden Positionen und Affekte ausgelöst. In etwa zeitgleich mit den

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berühmten ersten Interventionen Karl Kraus’ oder Friedrich Austerlitz’ fasste er die »Vergärung [s]einer Libido in Wut«28 in eine seiner überzeugendsten, im eigentlichen Sinne politischen kulturkritischen Schriften zusammen, dem rund sechs Monate nach Kriegsbeginn verfassten Essay Die Enttäuschung des Krieges.29 In blinder Wut, so als solle es keine Zukunft und keinen Frieden nach ihm geben, werfe der Krieg nieder, was ihm im Weg stehe, usurpiere der kriegführende Staat jedes Unrecht, jede Gewalttätigkeit. »Es will uns scheinen, als hätte noch niemals ein Ereignis so viel kostbares Gemeingut der Menschheit zerstört, so viele der klarsten Intelligenzen verwirrt, so gründlich das Hohe erniedrigt.«30 Die Großindividuen der Menschheit, die Völker und Staaten, hätten den Einzelindividuen, bei deren (tendenzieller) Entmündigung, das Äußerste an Gehorsam und Aufopferung abgefordert, zugleich jedoch jegliche sittliche Beschränkungen gegeneinander fallengelassen, das Unrecht national legitimiert und staatlich monopolisiert. Dort aber, wo die Kulturleistung der Triebunterdrückung und -sublimierung (wenn auch bloß vorübergehend) suspendiert sei, »wo die Gemeinschaft den Vorwurf aufhebt«, würden die Menschen zu »Taten von Grausamkeit, Tücke, Verrat und Roheit« befähigt, deren schiere Möglichkeit mit ihrem vermuteten Kulturniveau nicht in Einklang zu bringen sei.31 Ein Vorgang der Regression  : Die außerordentliche Plastizität der seelischen Entwicklung eines jeglichen Individuums bedingte eine Koexistenz der unterschiedlichen Entwicklungsstufen, ein Neben- und Ineinander, das in seiner Richtung allerdings nicht unbeschränkt sei. Spätere und höhere Niveaus könnten irreversibel verlassen, die »primitiven Zustände« jedoch immer wieder hergestellt werden  : »[…] das primitive Seelische ist im vollen Sinne unvergänglich.«32 Gleich Freud stellt Robert Musil in seiner Nachkriegspublizistik die Fiktion eines »konstanten seelischen Habitus« entschieden in Abrede. Vielmehr vermöge sich der Mensch »leicht zu den äußersten Extremen und zurück« zu bewegen  ; in einem ungeheuren Massenexperiment habe ihn der Krieg in ethischer Hinsicht als etwas »nahezu Gestaltloses, unerwartet Plastisches, zu allem Fähiges« ausgewiesen, für die Menschenfresserei gleichermaßen begabt wie für die Kritik der reinen Vernunft. Der Einzelne sei, bei voller Illusion eigenen Willens, willenlos gefolgt  : »Wir haben’s getan, sie haben’s getan  ; das ist keiner, das ist ›Es‹.«33 Musil – selbst als Offizier für längere Zeit an der italienischen Front im Einsatz – nähert sich dem Trauma der modernen Massenvernichtung in den Kategorien der Psychoanalyse  : als eine Manifestation des kollektiven Unbewussten. Kommende Kämpfe Hier wie in seiner nicht zuletzt mit Trotzki und Zweig geteilten Analyse der Formation des irrational Ganzen rekurriert Musil auf eine ganz bestimmte, unter Intel-

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lektuellen des Fin de Siècle geradezu hegemonialen Sichtweise jenes (relativ) neuen Phänomens geschichtsmächtiger Massen, deren Agieren offenbar der Logik einer Art Kollektivseele folgte. Zugleich wird ein zentraler, wiewohl durchaus umstrittenen Topos der Erinnerungslast des Großen Krieges überhaupt bedient  :34 Die im August 1914 ekstatisch demonstrierenden Massen hätten, in ihrer schieren Gewalt, die Eliten schlicht mit sich gerissen. Nicht zuletzt jene der organisierten Arbeiterbewegung, die mitten in den Vorbereitungen zu einer für den Herbst geplanten Wiener Friedenskonferenz der Internationale stand.35 Gleichwohl eröffnete sich für die sozialdemokratischen Theoretiker eine weiterführende, faszinierende und in der Tat attraktive Perspektive, die eng an den sich im Krieg vollziehenden definitiven Eintritt der Massen in die Geschichte gebunden war. Bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn kommt Julius Deutsch  – erster Heeresminister der Republik, der in den letzten Kriegsmonaten eine konspirative Organisation innerhalb der Armee aufziehen sollte – zu folgendem Schluss  : Wohl könne niemand vorhersagen, welche Wirkungen die noch zu erwartenden Kriegsereignisse tatsächlich auslösen werden, »riesenhafte Umwälzungen« der gesellschaftlichen Verhältnisse seien dennoch Gewissheit. Der Krieg habe in furchtbarer Erfahrung tausenden und abertausenden Gehirnen die Notwendigkeiten planmäßigen, organisierten Handelns klar werden lassen. Die Erfahrungen jener, die im Feld gestanden seien, würden ihre Anwendung auf die sozialen Kämpfe der Umbruchszeit finden.36 Ein europäischer Krieg dieser Dimension und vollkommen neuen Qualität, so der einhellige Befund, werde, ja müsse notwendiger Weise in einen Zyklus sozialer und nationaler Revolutionen umschlagen. Er sei, wie der an der Ostfront kämpfende Otto Bauer seinen Mentor Victor Adler im Oktober 1914 in wenig verklausulierter Mitteilung wissen ließ, durch Karl Seitz’ Berichte »über unser Geschäft« hinreichend im Bilde und hoffe auf »Hochkonjunktur nach dem Krieg«. Hatten nicht, wie in einem anlässlich der Balkankrise verfassten Bauerschen Grundsatzartikel penibel aufgelistet, alle kriegerischen Auseinandersetzungen der jüngeren Geschichte stets entsprechende gesellschaftliche Erschütterungen nach sich gezogen  ? Um wie viel gewaltiger erst würden und müssten die politischen wie sozialen Folgewirkungen einer zum Weltkrieg erweiterten Konfrontation der imperialistischen europäischen Großmächte sein  !37 Otto Bauer, Sohn eines bedeutenden liberalen Textilindustriellen, hatte Staatswissenschaften und Nationalökonomie studiert, u. a. bei Eugen von Böhm-Bawerk, an dessen legendärem Privatseminar er  – neben anderen so prominenten Teilnehmern wie Rudolf Hilferding und Otto Neurath, Josef Schumpeter und Ludwig von Mises – regelmäßig teilnahm. Gefördert von Victor Adler startete er eine kometenhafte politische Karriere und stieg mit einer epochalen Studie zur Nationalitätenproblematik binnen kurzem in die erste Reihe der Theoretiker der sozialistischen Interna-

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tionale auf. Seit 1909 Leutnant der Reserve, wurde er am 28. Juli 1914, im Zuge der allgemeinen Mobilisierung zur aktiven Dienstleistung eingezogen.38 Bauer wurde an die Ostfront beordert, wo er unter anderem Ende August in der schweren zweiten Schlacht um Lemberg, bei Grodek – makabrer Vorschein und erste konkrete Manifestation der Massenabschlachtungen des industrialisierten Vernichtungskrieges zugleich – an vorderster Front zum Einsatz kam. Am 8. Dezember 1914 wurde Bauer in Anerkennung seines tapferen Verhaltens im Gefecht bei Szysakj am 4. September, wo er »durch mutvolles Eintreten den Rest der Komp. von Vernichtung bewahrt u. in besond. geschickter Führung den Anschluß an das Baon gefunden« hatte, mit dem Militärdienstkreuz 3. Klasse ausgezeichnet.39 Zum Zeitpunkt der Verleihung war er, in den Abwehrkämpfen gegen die nördlich der Szreniawa »einer Dampfwalze gleich« vordringende 3. Russische Armee, bereits in Kriegsgefangenschaft geraten. Wie sein militärischer Vorgesetzter handschriftlich notierte, war Bauer »mit übergroßer Schneidigkeit« gegen die russischen Stellungen vorgegangen  : »Ein sehr braver Offizier«.40 Er wurde im sibirischen, 28.000 Mann fassenden und nördlich des Baikal­sees gelegenen Militärlager Berezovka interniert und im Herbst 1915 in das an der Seidenstraße, nächst der mongolischen Grenze gelegene Kriegsgefangenenlager Troizkosawsk verlegt, wo er eine umfangreiche theoretische Arbeit fertig stellt – »in solcher Zeit bitterer Zwang«, wie er Ende März des gleichen Jahres an Karl Seitz schrieb.41 Ausgeführt als reine Gedächtnisleitung, ohne die Zuhilfenahme jeglicher Primär- oder Sekundärliteratur, ist Das Weltbild des Kapitalismus ein Meisterwerk, das in anschaulicher Weise Bauers so souverän gehandhabte Methode demonstriert, soziale Tatbestände in ihrer Korrespondenz zur kulturellen Semantik, und kulturelle Praktiken als Artikulation des Sozialen zu untersuchen.42 Es ist der Versuch der Konzeption einer zeitgemäß adaptierten marxistischen Erkenntnistheorie, und es ist Bauers definitive Auseinandersetzung mit der Erfahrung des Massenkrieges, in dem er das letzte Mittel der kapitalistischen Konkurrenz, die ultima ratio der kapitalistischen Produktionsweise schlechthin erblickte. Mit dem Übergang zu einem »organisierten« Kapitalismus seit dem auslaufenden 19. Jahrhundert, so Bauers zentrale Argumentation, war ein Prozess der Selbstauflösung der klassischen Weltanschauungen des älteren, individualistischen Kapitalismus einhergegangen, eine Zersetzung des mit dem politischen wie ökonomischen Liberalismus eng verflochtenen wissenschaftlichen Materialismus  – und damit der gesamten mechanistischen Naturauffassung und aller auf sie gründenden philosophischen Systeme. Vollzogen ist die Auflösung in der modernen Erkenntnistheorie, im skeptischen Positivismus und Relativismus. So besehen erscheint die gesamte mechanistische Naturauffassung – insbesondere aber der Materialismus als deren avancierteste, für unanfechtbar gehaltene Entwicklungsstufe – als nichts anderes denn ein letztes dogmatisches System des Kapitalismus, als die »Projektion der kapitalistischen Konkurrenz in das Weltall«.43

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Eine aktuelle, den bevorstehenden dramatischen Umwälzungen genügende, ja sie befördernde Erkenntnistheorie habe sich demgemäß vom älteren historischen Materialismus Marxscher Provenienz loszulösen und an den (wie immer widersprüchlichen) Bedürfnissen, Intentionen und Praktiken der Massen anzusetzen. Eine solche Erkenntnistheorie habe »im einzelnen das Verfahren auf[zu]zeigen, den geistigen Prozeß, mittels dessen die Menschen nach dem Vorbilde ihrer eigenen Arbeit, nach dem Ebenbilde der Gesellschaftsordnung, in der sie leben, oder der Gesellschaftsordnung, nach der sie ringen, nach den Bedürfnissen ihrer wirtschaftlichen und sozialen, politischen und nationalen Kämpfe ihr Weltbild schaffen.«44 An diesem, ihrem wohl spannendsten Punkt, da sich die konkrete Perspektive einer radikalen Reformulierung des klassischen historisch-materialistischen Paradigmas auftut, bricht Bauers in methodischer Hinsicht vielleicht innovativste Studie abrupt und ohne weiteren Kommentar ab. Es war ihm offensichtlich darum zu tun gewesen, ein in letzter Instanz Politik begründendes und Politik anleitendes theoretisches Instrumentarium zu entwickeln, ein auf die kommenden revolutionären Umbrüche anwendbares Theoriegerüst. Im Juli 1917 befahl das Kriegsministerium Bauers Überstellung nach Petrograd, das Vorfeld der Oktoberrevolution durchlebte er unmittelbar, hautnah, am Puls der Zeit  ; dem forcierten Putschismus der Bolschewiki, ihrer »Politik der gefährlichsten Abenteuer« begegnete er mit großer Skepsis. Die Märzereignisse (i. e. »Februarrevolution«) hätten im russischen Proletariat eine Überschätzung der eigenen Kraft bewirkt, und eben dies, so wird er Karl Kautsky eine Woche nach seiner (vorzeitigen, im Rahmen eines erweiterten Invalidenaustausches arrangierten) Rückkunft nach Wien mitteilen, finde seinen getreuen Ausdruck in der Taktik Lenins und Trotzkis. »Der Aberglaube der Jakobiner an die Allmacht der Guillotine ist in Petersburg wiedererstanden als Aberglaube an die Allmacht der Maschinengewehre.«45 Im Oktober 1917 wurde der Oberleutnant Dr. Otto Bauer als Nationalökonom der Kriegswirtschaftlichen Abteilung des Wiener Kriegsministeriums zugeteilt, im März 1918 für seine Tätigkeit in der Arbeiter-Zeitung beurlaubt, Anfang August auf unbestimmte Zeit vom Dienst entbunden. Ein gegen ihn angestrengtes Rechtfertigungsverfahren vor dem Offiziersehrenrat wurde Ende August mit der Begründung niedergeschlagen, dass er ein unleugbarer Gegner der bolschewistischen Tendenz sei und ihm die Vorbereitung der Aufstände der Wiener industriellen Arbeiterschaft im Jänner 1918 nicht nachgewiesen werden könne.46 Auflösung Seit dem Hungerwinter 1916/17 waren immer wieder spontane Massenstreiks ausgebrochen, und in deren Umfeld militante, von Frauen und Jugendlichen an promi-

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nenter Stelle mitgetragene Lebensmittelrevolten und Hungerkrawalle.47 Stets wurden die Forderungen nach sofortigem, bedingungslosem Friedensschluss erhoben, einem Frieden ohne Annexion und Kontribution. Die nicht mehr abreißende Serie von Streiks und Revolten begann, das soziale Gefüge der Kriegswirtschaft zu zersetzen und kulminierte im Jännerausstand 1918. Diese größte Streikbewegung der österreichischen Geschichte war eine revolutionäre Demonstration, in der langen Perspektive richtungweisend für den Umsturz in den Oktober- und Novembertagen des selben Jahres, dramatisch in ihren Fernwirkungen auf die Armee  : In Judenburg revoltierten slowenische, in Fünfkirchen serbische, in Rumburg tschechische, in Budapest magyarische Truppen. In Cattaro schlug in den ersten Februartagen ein Streik der Arsenalarbeiter in einen offenen Aufstand der Kriegsmarine über, der erst durch die von deutschen U-Booten unterstützte loyale Flottendivision von Pola/Pula niedergeschlagen werden konnte. Als gemäß den Bestimmungen des Friedensvertrages von Brest-Litowsk eine große Anzahl von Soldaten aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen und zu ihren Korps zurück beordert wurden, hatte die revolutionäre Unruhe in den Reihen der Armee weiter um sich gegriffen, exemplarisch verdeutlicht etwa in den Meutereien im polnischen Lublin oder im serbischen Kragujevac.48 Ein nicht mehr umkehrbarer Prozess fortschreitender Desintegration war in Gang gesetzt. Einem Menetekel gleich mehrten sich die Symptome fortschreitender Erschöpfung und Auszehrung. Wie das »Menschenmaterial« war der Munitionsnachschub versiegt, eine auch nur in Ansätzen hinreichende Ernährung der Truppen konnte nicht mehr garantiert werden, die Monturen waren großteils zu Fetzen verkommen. Der Hunger führte zu Aktionsunfähigkeit, Desertion wurde zum Massenphänomen. Am Ende stand die Auflösung jener enormen Suggestivkraft, vermittels derer der militärische Mechanismus Offiziere und Mannschaften in seiner Gewalt zu halten imstande war. Die radikale Zersetzung der Disziplin hat, nach vierjährigem Krieg, das einst so gewaltige Herrschaftsinstrument der Vielvölkerarmee und mit ihr die Monarchie zerbrechen lassen. Im fünften Weltkriegsherbst kam es zu einem in der Kriegsgeschichte kaum vergleichbaren Akt der kollektiven Verweigerung  : Unter Missachtung der Befehle verließen die Truppen massenhaft ihre Stellungen und setzten sich in anarchischer, chaotischer Unordnung in Richtung ihrer jeweiligen Heimat ab. Militärische Niederlage, Demobilisierung, soziale wie nationale Revolution gingen ineinander über.49 Je mehr sich die Situation allgegenwärtigen Mangels und Elends verschärfte, je mehr die ökonomische wie militärische Erschöpfung soziale Wirkung zeitigte, desto entschiedener wurde die Aktion der Massen. Seit Ende Oktober 1918 kündigte sich in täglichen, stürmisch verlaufenden Soldatendemonstrationen ein radikaler Umbau des sozialen Gefüges des Staates und seiner Hauptstadt an. Aus dem Krieg gewachsen, ging der revolutionäre Umbruch weniger von den Fabriken als vielmehr von den Kasernen

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aus. Es entwickelte sich eine instinktive, elementare, archaische Bewegung, die bis in den Sommer 1919 hinein wirken sollte. Von Russland-Heimkehrern geführte Trupps organisierten sich in einer Roten Garde, zogen bewaffnet durch die Stadt, beschlagnahmten Kraftwagen und Lebensmittelvorräte. Von der Revolutionsromantik des Bolschewismus erfüllte Intellektuelle wie Egon Erwin Kisch oder Franz Werfel  – eben noch im Kriegspressequartier für die offizielle habsburgische Kriegspropaganda verantwortlich – schlossen sich der Roten Garde an. Kriegsverwilderung, Hunger, Kleinkriminalität nützten der Selbstauflösung der Garnisonen und führten zu ausgedehnten Plünderungen. In die als republikanische Ordnungsmacht neu aufgestellte Volkswehr drängten die mit dem Zusammenbruch der Rüstungsindustrie arbeitslos gewordenen Rüstungsarbeiter, ebenso die perspektiv- und hoffnungslosen Frontheimkehrer.50 In den Bataillonen der jungen Wehrformation sammelten sich Revolutionsromantik und politisches Abenteurertum, »lumpenproletarische« Elemente ebenso wie Kleinkriminelle  ; ihre Kasernen waren von »revolutionärer Gärung« erfüllt. »Und unter die wild erregten Heimkehrer, unter die verzweifelten Arbeitslosen, unter die von der Romantik der Revolution erfüllten Wehrmänner mischten sich die Invaliden des Krieges, die ihr persönliches Schicksal an der schuldigen Gesellschaftsordnung rächen wollten  ; mischten sich krankhaft erregte Frauen, deren Männer seit Jahren in Kriegsgefangenschaft schmachteten, mischten sich Intellektuelle und Literaten aller Art, die, plötzlich zum Sozialismus stoßend, von dem utopistischen Radikalismus der Neophyten erfüllt waren  ; mischten sich die aus Rußland heimgeschickten Agitatoren des Bolschewismus.«51 Während am 12. November 1918 die Provisorische Nationalversammlung im Saal des Herrenhauses tagte, fand die soziale Unruhe, die Erregung, die elementare Bewegung, die jene Massen, die nunmehr vor dem Parlament demonstrierten, ergriffen hatte, signifikanten Ausdruck – Symbol und Symptom zugleich. Als zum ersten Mal die rotweißrote Fahne der Republik gehisst wurde, rissen Kundgebungsteilnehmer die weißen Teile aus dem Fahnentuch.52 Aus der Distanz von zehn Jahren sollte sich Franz Werfel, von seinem jugendlichen Radikalismus lange entfernt, mit den Massen des 12. November in seinem Roman Barbara und die Frömmigkeit auseinandersetzen. Er spricht von der Flut der Hunderttausenden, die, »wie unerbittlich sie auch Körper und Selbstbestimmung des einzelnen« auslöschen mochte, als »Eigenwesen eine ungeheure Freiwilligkeit und Souveränität zu besitzen« schien.53 Die Masse bewies ein »geheimnisvolles höheres Selbstbewusstsein« und habe einen Tag äußerster MachtVernichtung in einen Tag äußerster Macht-Entfaltung verwandelt. Der »Rausch des kollektiven Selbstbewußtseins«, der »einhellige Willen« der nach Hunderttausenden zählenden Demonstranten habe die ganze Stadt einbezogen in die »unwiderstehliche Flut des Neuen«. Der Hauptprotagonist Ferdinand, ein Weltkriegsoffizier, verspürt als Teil dieser Massen und in sie aufgegangen eine »wild-süße Lust«, den »zerstörerischen Drang« zu rennen, zu schweben, um sich zu schlagen.54

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Werfel paraphrasiert über lange Passagen seines Romans einen Denkstil, der um die Jahrhundertwende im mitteleuropäischen Raum über die Maßen einflussreich geworden war und der einen sinnvollen Weg zum Verständnis dieses ebenso geheimnisvollen wie bedrohlichen Phänomens Masse zu eröffnen schien. Es ist eine in der Tradition Gustave Le Bons und seines 1895 erschienenen Hauptwerkes Psychologie des foules stehende dekadenztheoretische und apokalyptische Sichtweise der modernen Massen  : Diese verfügten demzufolge über ein kollektives Wesen, eine Art gemeinsamen, überindividuellen Willen, der sie steuere. Die Masse sei gegenüber emotionaler und leidenschaftlicher Suggestion höchst anfällig, verführbar, lenkbar, zum Höchsten wie zum Niedrigsten gleich fähig. Sie verwandle das Individuum in einen »willenlosen Automaten«. Die Masse handle unbewusst, nach einer Logik der Leidenschaft und bedürfe daher einer Führung, der sie sich unterwerfen kann. Die hypnotischen Zustände des Subjekts in der Masse, dessen Affektsteigerung und Denkhemmung, die Herrschaft des Unbewussten – angesichts der Emergenz der Politik der Massen wird hier eine kollektive Pathologie des Sozialen entworfen. Die Egalität der Massensubjekte bestehe darin, dass sie zu einer abstrakten Instanz von abhängig Gleichen geworden seien.55 Le Bons Argumentationsfigur hat bedeutende Teile der Wiener Intelligenz mit Fernwirkung in die Eliten der Arbeiterbewegung hinein beeinflusst. In ihrer pathologisch-paranoiden, totalitären Dimension finden wir sie bei Adolf Hitler, in aufgeklärtem Gestus haben sich Elias Canetti und Freud auf sie bezogen. In einer Atmosphäre der Verzweiflung und Empörung und sicherlich auch des latenten Rachegefühls jedenfalls vollzog sich der Eintritt der Massen in die Geschichte. In den Umbruchjahren 1918/1919 wurde eine Vielzahl von Menschen unterschiedlichster Herkunft, Disposition und Bildung von dem Revolutionarismus der Zeit, dem Abenteurertum, der Sozialromantik, dem utopischen Vorschein, der Attraktion des konkreten Neuen, Anderen, dem augenscheinlich so greifbaren Versprechen auf eine bessere Welt mitgerissen. Der Krieg hatte sich tatsächlich als Vater der Revolution erwiesen, das Dasein und das Bewusstsein der Massen umgestaltet und den konkreten Eintritt dieser Massen in die Geschichte erst bewirkt. Die erschütterten, entsetzten, traumatisierten Massen werden daran gehen, althergebrachte Welt- und Gottesordnungen zu stürzen, Jahrhunderte währende Reiche, Dynastien, soziale Ordnungen, Kategorien und Werthaltungen abzuschaffen und neu zu definieren. Denn in zumindest einem Punkt sollte der Gang der Ereignisse den russischen Emigranten Trotzki eindrucksvoll bestätigen. Der Massenkrieg generierte, in gebündelter Dichte, eine Reihe von Revolutionen  : auf technischem und technologischem, auf kulturellem und sozialem Gebiet, in der Politik ebenso wie in der Ökonomie, in der Organisation der Produktion gleichermaßen wie in der Organisation der Massen. Nachdem die alten sozialen Formationen in einem Akt beispielloser Gewalt zerstört waren, konnten die Fragmente der Gesellschaft zu einem neuen Ganzen

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zusammengefügt werden. Ein Prozess, der ungeheure soziale und politische Energien freisetzt und einen intellektuellen wie künstlerischen Aufbruch sondergleichen bezeichnete  ; avantgardistische Strömungen verstanden sich zusehends als Ausdruck einer massenhaft legitimierten neuen gesellschaftlichen Dynamik. Im Schatten des kollektiven europäischen Traumas kündigte sich jedoch auch Anderes an  : Militarisierung der Politik, totalitäre Diktaturen, autokratische Führergesellschaften, Genozid und ein erneuter globaler Vernichtungskrieg. Anmerkungen   1 Käthe Leichter, Leben und Werk, hrsg. von Herbert Steiner, Wien 1973, 342–343.   2 Ebd., 345.   3 Leo Trotzki, Mein Leben. Versuch einer Autobiographie, Berlin 1930, 224.   4 Ebd., 223–224.   5 Stephan Zweig, Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers, Frankfurt am Main 2003, 256.  6 Stefan Zweig, Tagebucheintrag vom 6.8.1914, zit. nach Peter Walther (Hg.), Endzeit Europa. Ein kollektives Tagebuch deutschsprachiger Schriftsteller, Künstler und Gelehrter im Ersten Weltkrieg, Göttin­gen 2008, 38.   7 Zweig, Die Welt von Gestern, 257.   8 Robert Musil, Die Nation als Ideal und als Wirklichkeit, in  : Gesammelte Werke in neun Bänden, hrsg. von Adolf Frisé, Bd. 8, Reinbek bei Hamburg 1978, 1059–1075, 1060.   9 zit. nach Oliver Hilmes, Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel, München 2005, 148. 10 Oskar Kokoschka, Mein Leben, Wien 2008, 135. 11 zit. nach Alexander Honold, Die Stadt und der Krieg. Raum- und Zeitkonstruktion in Robert Musils Roman »Der Mann ohne Eigenschaften«, München 1995, 221 und 196. 12 zit. nach Walther, Endzeit Europa, 33. 13 Kokoschka, Mein Leben, 144. 14 Ernst Falzeder/Eva Brabant (Hg.), Sigmund Freud  – Sándor Ferenczi. Briefwechsel, Bd. 2/2, Wien 1996, 13. 15 zit. nach Walther, Endzeit Europa, 81. 16 zit. nach ebd., 68. 17 Stefan Zweig, Kriegsgefangen, in  : Alois Veltze (Hg.), Aus der Werkstatt des Krieges. Ein Rundblick über die organisatorische und soziale Kriegsarbeit 1914/15 in Österreich-Ungarn, Wien 1915, 268–282, 271–272. 18 Alfred Polgar, Das Generalinspektorat der freiwilligen Sanitätspflege, in  : Veltze Aus der Werkstatt des Krieges, 67–77, 69. 19 Hans-Georg Hofer, Nervenschwäche und Krieg. Modernitätskritik und Krisenbewältigung in der österreichischen Psychiatrie, Wien–Köln–Weimar 2004, 206–207. 20 Joseph Szebenyei, The Austro-Hungarian Army, in  : Fortnightly (Nov. 1916), 808–818, 809. 21 Vgl. Manfried Rauchensteiner, Österreich-Ungarn, in  : Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumreich/Irina Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn–München–Wien–Zürich 2009, 64–86. 22 Walter Benjamin, Theorien des deutschen Faschismus, in  : Gesammelte Schriften, Bd. 3  : Kritiken und Rezensionen, Frankfurt am Main 1989, 238–250, 238.

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23 Ebd. 24 Kornel Abel, Ein Buch vom Isonzo, Salzburg–Leipzig 1934, 76. Zu den Besonderheiten der Kriegshandlungen am Isonzo siehe Lutz Musner, Im Schatten von Verdun. Die Kultur des Krieges am Isonzo, in  : Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), »… der Rest ist Österreich«. Das Werden der Ersten Republik, Bd. 1, Wien 2008, 45–64. 25 Walter Benjamin, Erfahrung und Armut, in  : Gesammelte Schriften, Bd. 2  : Aufsätze, Essays, Vorträge, Frankfurt am Main 1991, 214. 26 Stefan Zweig, Lebende Kampfmittel, in  : Veltze, Aus der Werkstatt des Krieges, 171–183, 172. 27 Hans Pölzer, Drei Tage am Isonzo. Verfaßt in Rottenmann 1916, Salzburg 1994, 30–31. 28 Falzeder/Brabant, Freud-Ferenczi. 29 Siehe Peter Loewenberg, Austria 1918. Coming to Terms with the National Trauma of Defeat and Fragmentation, in  : Karl Müller/Hans Wagner (Hg.), Österreich 1918 und die Folgen. Geschichte, Literatur, Theater und Film, Wien 2009, 11–22, 14ff. 30 Sigmund Freud, Die Enttäuschung des Krieges, in  : Studienausgabe, Bd. 9  : Fragen der Gesellschaft Ursprünge der Religion, hrsg. von Alexander Mitscherlich/Angela Richards/James Strachey, Frankfurt am Main 2000, 34–48, 35. 31 Ebd., 40. 32 Ebd., 45. 33 Musil, Die Nation als Ideal und als Wirklichkeit, 1062. 34 So gelangen etwa Thomas Raithel, Das »Wunder« der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkriegs, Bonn 1996 oder Modris Ecksteins, Rites of Spring. The Great War and the Birth of the Modern Age, Boston–New York 1989 zu grundlegend anderen Befunden als Jeffery Verhey, Der »Geist von 1914« und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000, für den das »Augusterlebnis« ein ausschließlich zu Zwecken der späteren politischen Vereinnahmung geschaffener Mythos ist. 35 Vgl. Wolfgang Maderthaner, Der Kongress fand nicht statt. Arbeiterbewegung und Krieg (1), in  : Alfred Pfoser/Andreas Weigl (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, 46–51. 36 Julius Deutsch, Krieg und Parteiorganisation, in  : Der Kampf 7 (Dezember 1914), 501ff. 37 Heinrich Weber (pseud. Für Otto Bauer), Der Sozialismus und der Krieg, in  : Der Kampf 6 (1912), 97–106. 38 Zu Bauers Militärzeit siehe Ernst Hanisch, Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938), Wien– Köln–Weimar 2011, 75ff. 39 Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Kriegsarchiv (KA), OBA Kt. 10–1–2 40 VGA, Teilnachlass Otto Bauer, M1. 41 Otto Bauer, Werkausgabe, Bd. 9, Wien 1980, 1037–1038. 42 Otto Bauer, Das Weltbild des Kapitalismus, als Auszug abgedruckt in  : Otto Jenssen (Hg.), Der lebendige Marxismus. Festgabe zum 70. Geburtstag von Karl Kautsky, Jena 1924, 407–464. 43 Bauer, Weltbild des Kapitalismus, 462. 44 Ebd., 464. 45 Bauer, Werkausgabe, Bd. 9, 1039. 46 ÖStA, KA, GGBL Wien, Kt. 855–1–5. 47 Margarete Grandner, Hungerstreiks, Rebellion, Revolutionsbereitschaft, In  : Pfoser/Weigl, Epizentrum, 558–565. 48 Friedrich Austerlitz hat den Aufstand in Kragujevac und die daraus resultierenden 44 Todesurteile in einer erschütternden Reportage festgehalten, die geradezu exemplarisch Widersinn und Grausamkeit

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des Krieges erschließt. Siehe Julius Braunthal, Austerlitz spricht, Wien 1930, 156. In brillanter literarischer Überformung hat dieser Text mit nur minimalen Änderungen und Re-arrangements Eingang gefunden in ein Dokument der Weltliteratur, in die 55. Szene des fünften und letzten Aktes von Karl Kraus’ Tragödie Die letzten Tage der Menschheit, das in seiner Fülle und grauenvollen Wahrheit wohl gewaltigste literarische Denkmal des Krieges. 49 Wolfgang Maderthaner, Die eigenartige Größe der Beschränkung. Österreichs Revolution im mitteleuropäischen Spannungsfeld, in  : Konrad/Maderthaner, »… der Rest ist Österreich«, Bd. 1, 187–206, 188ff. 50 Instruktiv die zeitgenössische Analyse von Paul Szende, Die Krise der mitteleuropäischen Revolution. Ein massenpsychologischer Versuch, in  : Archiv für Sozialwissenschaft 47 (1920/21), 337–375. 51 Otto Bauer, Die österreichische Revolution, Wien 1923, 121. 52 Maderthaner, Beschränkung, 198–199. 53 zit. nach Ulrich Weinzierl (Hg.), Versuchsstation des Weltunterganges. Erzählte Geschichte Österreichs 1919–1938, Wien–München 1983, 22ff. 54 Ebd. 55 Vgl. Wolfgang Maderthaner/Lutz Musner, Der Aufstand der Massen. Phänomen und Diskurs im Wien der Zwischenkriegszeit, in  : Roman Horak/Wolfgang Maderthaner/Siedfried Mattl/Lutz Mesner (Hg.), Stadt.Masse.Raum. Wiener Studien zur Archäologie des Popularen, Wien 2001, 9–67, 32ff. und 54.

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Wortmeldung

Es sei gestattet, mit einer Anekdote zu beginnen  : Als 1956 überall in Europa des Endes der Ära Kaiser Karls V. gedacht wurde, trat der österreichische Historiker ­Heinrich Benedikt in Spanien vor sein Publikum mit den Worten  : »Sie haben schon soviel über Karl V. gehört, ich erzähle Ihnen jetzt etwas über Karl VI.« Dass dieser Vortrag sicherlich Qualität hatte, lässt sich in der Nachschau feststellen, war der Redner doch ein Fachmann dieser Epoche. Letzteres will der Redner von sich nicht behaupten, aber doch von der Generalthematik der zu Ende gehenden sehr prägnanten Tagung die Blicke auf die Detailfrage der Protagonisten lenken und hier besonders Franz Joseph herausstellen. Es wäre wohl notwendig, dieses Kaisers Regierungsverständnis, vor allem in seinen letzten Regierungs-/Lebensjahren, genauer zu analysieren. Wie war wirklich sein Verhältnis zu den politischen Parteien  ? Was in den jeweiligen Audienzen gesprochen wurde, ist lediglich einseitig überliefert, wenn überhaupt. Die kaiserlichen Äußerungen sind hofseitig nicht auf uns gekommen. Gab es überhaupt Zeit, wesentliche Probleme zu behandeln  ? Wenn man die Audienzeintragungen betrachtet, so scheint derartiges vom Zeitablauf eher schwierig gewesen zu sein. Das Bild des doch das letzte Wort im Staatswesen habenden Mannes ist geprägt durch »Altersmilde«. Aber wenn jemand 68 Jahre regiert und 86 Jahre alt ist, dann wird er oder sie meistens so wahrgenommen, auch wenn seine Vergangenheit anders aussah (man denke nur an 1848/49) und man betrachte die Fotos Franz Josephs, welch tückischer Blick hier einem entgegenblickt. Er war eindeutig in keiner Sekunde seines Herrscherdaseins ein Demokrat, was immer darunter verstanden wurde oder heute wird. Jeder neuen Entwicklung stand der Kaiser skeptisch gegenüber und wenn man die rasche Fluktuation seiner Minister/ Berater betrachtet, die gleichsam wie »Hemden gewechselt« wurden, dann zeigt dies doch den Charakter eines Mannes, der aus Angst (  ?) niemandem so richtig vertraute und daher ist vielleicht auch zu erklären, dass einfach keine wörtliche Festlegung seinerseits übermittelt erscheint. Die bevorstehenden Jubiläen bis zum 100jährigen Geburtstag unserer Republik sollten/könnten Anlass geben, hier neue Einzelaspekte zu erforschen. Die Archive bieten noch vieles, was der Aufarbeitung harrt. Als Kummer und Leid der Forschung in Archiven Gewohnter, darf ich festhalten, dass bei Gedenken sehr oft immer dasselbe Material durchgesehen und gelegentlich neu gedeutet wird, dass aber an anderen

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Bereichen vorbeigegangen wird. Dass dies nicht sein muss, zeigt Manfried Rauchensteiner in seiner neuesten Publikation auf. Bei anderer Gelegenheit wurde betont, dass biographische Forschung tot sei, ein Dictum, das jedoch überhaupt nicht stimmt und dem stets entgegenzuarbeiten sein wird. Möge diese Veranstaltung dazu beigetragen haben, dass »Jubiläumsfeiern« in diesem Land nicht, wie so oft, den jeweiligen Anlass »zu Tode feiern« und die folgenden hundert Jahre nichts geschieht. Nein, es sollten diese beiden Tage die Gelegenheit geboten haben, einen wesentlichen prägenden Forschungsanfang zu setzen, unter Einbindung der gegebenen Anregungen.

Manfried Rauchensteiner

Gedankensplitter

Es hat den Anschein, als würden wir in ein revisionistisches Zeitalter eingetreten sein. Das hat zwar mit dem feuilletonistischen Zeitalter des Hermann Hesse außer dem gewissen Anklang der Worte nicht sehr viel gemein, doch zumindest eine Parallelität  : Es wird mit einem hohen intellektuellen Aufwand und entsprechender Formulierkunst ein Zeitraum aufbereitet, der Jahrzehnte hindurch als mehr oder weniger abgehandelt erschienen ist  : Der Erste Weltkrieg. Das Revisionistische ist aber interessanterweise nicht von jenen ausgegangen, die sich mit der nach dem Ersten Weltkrieg und vor allem in den Pariser Vororten geschaffenen Ordnung und vor allem Schuldzuweisung nicht mehr zufrieden geben wollten, sondern es kam von auswärts. Beispielhaft seien Sean McMeekin und Christopher Clark erwähnt, die den Fokus ganz stark auf die Staaten der Entente, vor allem Russland und Frankreich richten, und auch das ­serbische Kapitel in der Vorgeschichte des Kriegs neu beleuchten. Damit ist fast unvermeidlicher Weise auch das beliebteste Wort in Frage gestellt, das im Zusammenhang mit dem Ersten Weltkrieg verwendet wird, nämlich die Übersetzung der von George Kennan gebrauchten Formulierung von »the greatest seminal catastrophe« als »Urkatastrophe«. Da kommen dann auch falsche Bezüge ins Spiel und wird außer Acht gelassen, dass in und vor allem außerhalb Europas durch den Krieg Veränderungen in Gang gesetzt worden sind, die einerseits den Triumph des Imperialismus zu signalisieren schienen, letztlich aber den Zusammenbruch des Zeitalters des Imperialismus eingeleitet haben. Der Erste Weltkrieg markiert auch den Aufstieg der USA zur Weltmacht und beschleunigte die Entwicklung im asiatischpazifischen Raum. Man wird auch Polen, Tschechen, Italienern und Rumänen den Ersten Weltkrieg nicht als Urkatastrophe nahebringen können. So viel ist jedoch sicher  : Der Krieg löste eine Beschleunigung aus, wie sie vielleicht weder vorher noch nachher in vergleichbarer Weise zu beobachten war. Auch in einem nach dem Ersten Weltkrieg klein gewordenen Österreich war allenthalben festzustellen, dass durch den Krieg Prozesse beschleunigt worden sind, deren Entwicklung so nicht absehbar gewesen war. Das gilt wohl auch für die politischen Parteien, deren Bedeutung durch den Krieg in außerordentlichem Maß gesteigert worden ist. In der Monarchie erfreuten sich die politischen Parteien nur einer beschränkten Beliebtheit. Für einen Monarchen wie Kaiser Franz Joseph stellten sie auch nichts dar, dem seine besondere Zuneigung gegolten hätte. Kaiser Karl bemühte sich wohl wäh-

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rend seiner beiden Regierungsjahre um ein entkrampftes Verhältnis und fand bei den Christlichsozialen auch eine gewisse Affinität. Die anderen Parteien brachten ihm aber in der Regel nur das notwendige Maß an Achtung entgegen, das zumindest bei den deutschnationalen Parteien nach der sogenannten Sixtusaffäre dramatisch abgenommen hat. Die Achtung wurde ihm wohl auch seitens der Sozialdemokratie nicht verweigert, doch als es im Zusammenhang mit dem Entschluss zum Waffenstillstand darum ging, die Verantwortung für den Bruch mit Deutschland, auf den das Verhandlungsangebot an die Alliierten nicht zuletzt hinauslief, auch mit Zustimmung der österreichischen Sozialdemokraten zu unterbreiten, verweigerte der sozialdemokratische Parteivorstand zunächst die Entsendung Karl Renners in die letzte kaiserliche Regierung, und dann schmetterte der Parteiführer Victor Adler das Ansinnen, ein Ersuchen um Waffenstillstand mitzutragen, mit den Worten ab, jene »Faktoren«, die den Krieg begonnen hätten, sollten ihn auch zu Ende führen. Dass Kaiser Karl eher hilflos replizierte, er wäre wohl auch nicht einer der Faktoren gewesen, die den Krieg begonnen hatten, rührte dann wohl niemand. Trotz dieser Zurückweisung kam es noch nicht zum Bruch zwischen Kaiser und Sozialdemokraten. Ganz im Gegenteil meinte der provisorische Staatskanzler Karl Renner, dass der mittlerweile ehemalige Kaiser möglicherweise bei den Friedensverhandlungen eine Rolle spielen könnte. Die Hoffnung zerschlug sich. Karl wurde zur Emigration genötigt. Eine der größten Auffälligkeiten der Zeit nach dem Krieg war es wohl, dass das politische Geschehen von den Parteien dominiert wurde, und vor allem nach dem Ende der Großen Koalition 1920 jene politischen Lager manifest wurden und sich bald unversöhnlich gegenüber standen, die zu dem beigetragen haben, was später so bildhaft »Versäulung« genannt worden ist. Dass schließlich 1945 die politischen Parteien früher da waren als der Staat, mochte man vielleicht als Analogie zur Herausbildung der Ersten Republik sehen, doch letztlich widersetzte es sich jeder Vergleichbarkeit. Es war somit ein weiter Weg, den die Parteien aus der Zeit vor und im Ersten Weltkrieg zurückzulegen hatten, ehe sie in neuen Formen der Herrschaftsteilung gegenwärtig geworden sind. Der Erste Weltkrieg beschleunigte deren Herausbildung und hob ihre Bedeutung. Austrofaschismus und Nazi Diktatur unterbrachen die Entwicklung. Zum neuerlichen Bedeutungswandel trug dann abermals ein Krieg bei, nicht aber der Zweite Weltkrieg, sondern der Kalte Krieg, den man als Movens für Beschleunigung nicht außer Acht lassen sollte. Gerade Österreich verdankt ihm sein mittlerweile zerbröckelndes politisches Gerüst.

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Abkürzungsverzeichnis

AOK Armee-Oberkommando ANNO AustriaN Newspaper Online AVA Allgemeines Verwaltungsarchiv CIC Codex Iuris Canonici FA Feldakten GGBL Grundbuchblätter Evb Evidenzbüro HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv I.S.B Internationales Büro der Zweiten Internationale IPU Interparlamentarische Union OBA Offiziersbelohnungsakten ÖStA Österreichisches Staatsarchiv ÖBL Österreichisches Biographisches Lexikon PA Politisches Archiv PA-AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin KA Kriegsarchiv KM Kriegsmarine KÜA Kriegsüberwachungsamt M.d.Ä. Ministerium des Äußeren M.d.I. Ministerium des Inneren NÖLA Niederösterreichisches Landesarchiv NA Neue Akten OBA Offiziersbelohnungsakten R.G.Bl. Reichsgesetzblatt SAP Sozialistische Arbeiterpartei SDAP Sozialdemokratische Arbeiterpartei SHS-Staat Staat der Slowenen, Kroaten und Serben SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands StPAH Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Hauses der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates VGA Verein der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung ZAMG Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik

Personenverzeichnis

Abel, Kornel 198 Achleitner, Wilhelm 159 Adler, Friedrich 39, 49 Adler, Victor 55–57, 59, 64–66, 68, 136, 138, 154, 200, 212 Aksakal, Mustafa 12 Andrassy, Gyula 129 Andreas-Salomé, Lou 196 Andreotti, Giulio 127 Andric, Deotatus 19 Apponyi, Albert 97 Aquin, Thomas von 166 Auersperg, Karl 79 Austerlitz, Friedrich 62, 199, 207 Badeni, Kasimir 130 Baechle, Josef 38 Baernreither, Joseph Maria 34 Bakunin, Mihail 149 Battisti, Cesare 109, 112–115 Bauer, Otto 55, 58, 66, 69, 137, 200–202 Bebel, August 57 Beck, Max Wladimir 38, 119 Benedikt, Heinrich 209 Benedikt XV. (Papst) 172, 173 Benesch, Julius 38 Benjamin, Walter 197 Berchtold, Leopold 61, 147, 187 Berger, Rudolf 11, 14 Beurle, Karl 40, 79 Bismarck, Otto von 55, 79 Bjelik, Emmerich 160 Böhm-Bawerk, Eugen von 200 Bowman, William 24 Boyer, John 31 Braß, Hermann 79 Braunthal, Julius 61, 62, 65, 66 Bugatto, Giuseppe 111, 115, 120, 122 Burián(-Rajecz), Stephan 35, 186

Cadussi-Giardo, Vittorio 111 Canetti, Elias 205 Chotek, Sophie Herzogin Hohenberg 61, 93, 163 Clam-Matinic, Heinrich 33, 43, 44, 46 Clark, Christopher 55, 211 Cnobloch, Edmund 19 Conci, Enrico 121, 122, 125, 127 Czernin, Ottokar 45, 119 Damm, Hans 79 Danzer, Carl 25, 29 d’ Elvert, Heinrich 79 De Carli, Germano 125 De Gasperi, Alcide 109, 111–118, 120–122, 127 De Gentili, Guido 118 Delugan, Baldassare 125, 127 Deutsch, Julius 200 Dobernig, Josef 78, 79 Dunant, Henri 148 Egger, Franziskus 161, 167, 170, 178 Eisler, Elfriede (Ruth Fischer) 193 Eisler, Hanns 193 Eisler, Rudolf 193 Endrici, Celestino 118 Engel, August 35 Engels, Friedrich 55, 66 Fahrner, Adam 79 Faidutti, Luigi 111, 115, 119, 122 Faragó, Jenő 105 Ferdinand II. 129 Ferenczi, Sándor 196 Fickert, Auguste 153 Fink, Jodok 36 Frankfurter, Arnold 182 Franz Ferdinand (Thronfolger) 9, 33, 34, 61, 93, 94, 98, 102, 160, 163

236 Franz Joseph I. (Kaiser) 43, 62, 94, 95, 105, 143, 152, 161, 163, 166, 188, 209, 211 Freißler, Ernst Wolfgang 79 Freschl, Richard 17 Freud, Sigmund 194, 196, 198, 199, 205 Fried, Alfred Hermann 150, 151, 154 Fromkin, David 12 Frühbauer, Václav 134 Fuchs, Viktor 35, 39, 41, 42, 45 Funder, Friedrich 33, 35, 36, 39, 41, 43–45, 50, 117, 127 Fussell, Paul 20 Garibaldi, Giuseppe 149 Gasser, Edoardo 122 Gessmann, Albert 36–39, 42, 43, 45 Gföllner, Johannes Maria 160, 162, 167, 178, 179 Gilbert, Stuart 10 Glettler, Monika 133 Goltz, Colmar von der 184 Grandi, Rodolfo 125, 127 Gross, Gustav 39, 40, 41, 79 Grossauer, Karl 48 Grunwald, Max 190 Gruscha, Anton Joseph 161 Hainisch, Marianne 153 Hanisch, Ernst 8 Hauser, Johann Nepomuk 40, 45, 46, 195 Hegedűs, Gyula 105 Hefter, Adam 161 Heinrich, Prinz von Preußen 28 Hesse, Heinrich 211 Hilferding, Rudolf 200 Hitler, Adolf 186, 205 Hittmaier, Rudolf 160, 164, 170 Hlusty, Andreas 23 Hohenwart, Karl Siegmund 129 Hugo, Victor 149 Hussarek von Heinlein, Max 33, 51, 121 Iro, Karl 79 Jaurès, Jean 57, 65, 67 Jesser, Franz 79 Joyce, James 10

Personenverzeichnis

Jung, Rudolf 79 Kaltner, Balthasar 161, 167, 169, 171, 172, 178 Kandl, Hermann 79 Kann, Robert A. 130 Kant, Immanuel 50, 148 Karl I. (Kaiser) 45–47, 50, 121, 161, 163, 173, 211, 212 Karl V. (Kaiser) 209 Karl VI. (Kaiser) 209 Karl Stephan (Erzherzog) 161 Károlyi, Mihály 97 Kautsky, Karl 56, 65, 66, 202 Keir Hardie, James 59 Kell, Josef 185 Kennan, George 211 Kienböck, Viktor 51 Kisch, Egon Erwin 204 Klofáč, Václav 134 Knirsch, Hans 79 Koerber, Ernest von 33 Kokoschka, Oskar 195 Korošek, Anton 41 Kramář, Karel 47, 140, 141, 143 Kraus, Karl 199 Kristan, Etbin 132 Kunschak, Leopold 36, 39, 44 Kurbegović, Hafiz Abdullah Effendi 188 Lammasch, Heinrich 39, 51, 156 Latif, Abdul 186 Le Bon, Gustave 205 Lehár, Franz 182 Leichter, Käthe 193 Lenin, Wladimir I. 202 Liebig, Theodor von 188 Liechtenstein, Alois 36–38, 45, 51 Lilien, Ephraim M. 182 Lodgman, Rudolf Ritter von Auen 78, 79 Lueger, Karl 31, 32, 35, 133, 135 Mahler, Alma 195, 196 Malfatti, Valeriano 109, 110, 122, 125, 127 Marani, Francesco 125 Marchet, Gustav 80 Maria Josepha (Großherzogin) 118

237

Personenverzeichnis

Marx, Karl 55, 202 Masaryk, Tomáš G. 47, 139–142 Mateja, Heinrich 37, 44, 46 Mayreder, Rosa 153 McMeekin, Sean 211 Merz, Robert 18 Miklas, Wilhelm 50 Mill, John Stuart 149 Mises, Ludwig von 200 Morton, Fredric 13 Muhammed Reschad V. (Sultan) 185 Mühlwert, Adalbert 79 Müller, Arthur 156 Musil, Robert 55, 68, 194, 195, 199 Napoleon Bonaparte 16 Naumann, Friedrich 83, 84 Naumann, Viktor 36 Neiberg, Michael 11 Nestroy, Johann 25 Neurath, Otto 200 Niedrist, Karl 35 Nightingale, Florence 148 Nikolaus II. (Zar) 14, 152 Nobel, Alfred 154 Oliva, Giovanni 127 Okey, Robin 10 Oppenheim, Max 184 Pacher, Rafael 79 Pallavicini, Johann 185, 187 Pastor, Ludwig 165, 168 Pásztor, Árpád 105 Pattai, Robert 79 Pawlowa, Anna 15 Pernerstorfer, Engelbert 46 Piffl, Friedrich Gustav 36, 160, 162–170, 172, 173, 178, 179, 180 Pischel, Antonio 114 Pittoni, Valentino 110, 114, 115, 120–122, 127 Planner, Ernst 23 Plener, Ernst 154 Polgar, Alfred 196 Polyák, Stefan 186 Pölzer, Hans 198

Pomiankowski, Joseph 185, 186 Potiorek, Oskar 197 Potonié-Pierre, Edmond 59 Princip, Gavrilo 61, 93, 98 Puecher, Edmondo 114 Rauchensteiner, Manfried 210 Redlich, Josef 38, 42, 43, 45 Renner, Karl 59, 154, 212 Rettenwander, Matthias 159, 174 Rieder, Ignatius 161 Riehl, Walter 79 Rilke, Rainer Maria 196 Rizzi, Lodovico 111, 122 Rößler, Johann 160, 163, 164, 167–172, 177, 178, 180 Roth, Joseph 183 Salandra, Antonio 115, 116 San Giuliano, Antonio di 116 Schaffer, Rosa 21 Scheich-ul-Islam 185 Schiff, James 10 Schlegel, Josef 16 Schmitz, Richard 50 Schönerer, Georg Ritter von 72, 76, 81, 84 Schöpfer, Aemilian 48, 50 Schraffl, Josef 38, 39 Schumpeter, Josef 200 Schuster, Leopold 161, 164, 166–168, 172, 179 Schwarz, Heinrich 171 Seidler, Ernst von 46, 47 Seipel, Ignaz 31, 46, 51, 52 Seitz, Karl 39, 200, 201 Skrebenský, Leo 161 Skrejšovský, Jan 132 Spadaro, Pietro 111 Spalowsky, Franz 51 Spitzmüller, Alexander 43 Stampach, Artur 19, 20, 23 Štefánik, Milan Rastislav 142 Steinacker, Edmund 80 Steinwender, Otto 72, 79 Stürgkh, Karl 33–39, 43, 49, 61 Suttner, Bertha von 147, 149–151, 153–156 Šviha, Karel 17

238 Sýkora, Hanuš 136 Szebenyei, Joseph 197 Széchenyi, István 102

Personenverzeichnis

Ussai, Dionisio 125

Waitz, Sigismund 161, 170 Wassermann, Jakob 195 Weiskirchner, Richard 35–37, 39–41, 44, 45, 48, 53 Werfel, Franz 204, 205 Wilhelm II. (Deutscher Kaiser, Prinz von Albanien) 13, 14, 95, 184 Wilson, Woodrow 50, 119, 122, 141 Winter, Ernst Karl 34 Wittek, Heinrich von 45 Wityk, Semen 17 Wolf, Karl Hermann 76, 79 Wollek, Richard 37 Woolf, Virginia 10

Vaillant, Edouard 57, 59 Vivante, Angelo 114 Vörösmarty, Mihály 102

Zita (Kaiserin) 162 Zuckermann, Hugo 182, 183 Zweig, Stefan 62, 63, 193, 194, 196, 199

Taaffe, Eduard 129, 130 Teufel, Helmut 79 Thun, Leo 139 Timeus, Ruggero 112 Tisza, István 35, 61, 94–96, 102 Tonelli, Albino 120, 125 Toptani, Essad Pascha 13 Trotzki, Leo 63, 194, 199, 202, 205

Waber, Leopold 79

AutorInnen und HerausgeberInnen

andrás gerő erhielt seinen PhD in Modern History an der Hungarian Academy of Sciences, ist Direktor des Institute of Habsburg Studies in Budapest sowie Herausgeber von Budapesti Negyed, Mitherausgeber von Századok und Trustee der EU Communications Foundation. Gerő habiliterte sich 1995 an der Eötvös Lóránd University in Budapest. Er forscht und publiziert zu Mitteleuropa im 19. Jahrhundert, Identitätspolitiken und Bürgertum sowie zur Person Kaiser Franz Josefs. Zu seinen Publikationen zählen Emperor Francis Joseph, King of the Hungarians. Social Sciences Monographs (2001), Imagined History. Chapters from Nineteenth and Twentieth Century Hungarian Symbolic Politics (2006) und Hungarian Illusionism (2008). maddalena guiotto hat an der Universität Pavia dissertiert, war Mitarbeiterin am Instituto per le ricerche di storia sociale e religiosa in Vicenza, am Deutsch-Italienischen Zentrum Villa Vigoni und am Italienisch-Deutschen Historischen Institut in Trient. 2001–2002 war sie Dozentin an der Universität Udine–Görz. Guiotto forscht zur Geschichte der österreichisch-italienischen und deutsch-italienischen Beziehungen im 19. und 20. Jahrhundert und zur politischen Tätigkeit von Alcide De Gasperi. Derzeit ist sie Lehrbeauftragte an der Universität Wien. Sie ist Mitherausgeberin der Scritti e discorsi politici von Alcide De Gasperi. 2012 gab sie gemeinsam mit Michael Gehler Italien, Österreich und die Bundesrepublik Deutschland in Europa heraus. maureen healy erhielt ihren PhD an der University of Chicago und ist heute Asso­ ciate Professor of History am Lewis & Clark College in Portland, Oregon. Sie war IFK-Fulbright Senior Fellow im Jahr 2011–2012, Fellow am National Humanities Center, Research Triangle Park, NC und am Woodrow Wilson Center in ­Washington, DC. 2005 gewann sie den Herbert Baxter Adams Prize der American Historical Association für ihr Buch Vienna and the Fall of the Habsburg Empire  : Total War and Everyday Life in World War I. Sie ist Book Review Editor des Austrian History Yearbook. robert kriechbaumer studierte Geschichte, Philosophie, Psychologie und Politische Wissenschaft in Salzburg und München. Bis zu seiner Pensionierung im Dezember 2013 war er Professor für Neuere Österreichische Geschichte an der Universität Salzburg und Professor für Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Salzburg. Seit 1991 ist er Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des Forschungsinsti-

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AutorInnen und HerausgeberInnen

tuts für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek. Seine Publikationen befassen sich schwerpunktmäßig mit der österreichischen Geschichte des 19., 20. und 21. Jahrhunderts sowie der politischen Ideengeschichte und Kulturgeschichte. Für seine wissenschaftlichen Veröffentlichungen erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. wolfgang maderthaner ist Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs, davor war er Leiter des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. Er verfasste eine Vielzahl von Publikationen in mehreren Sprachen zu den Bereichen Arbeiter-, Sozial- und Stadtgeschichte, historische Kulturwissenschaften, Theorie der Geschichtswissenschaft, Theorie der Moderne sowie zu Fordismus/Postfordismus. Zuletzt erschienen ist Schattenjahre. Wien in der Zeit der Wirtschaftskrise 1929–1934 (2012, gemeinsam mit Michaela Maier) und Routes into the Abyss. Coping with Crises in the 1930s (2013, gemeinsam mit Helmut Konrad). Aktuell  : Untergang einer Welt. Der Große Krieg 1914–1918 in Photographien und Texten (2013, gemeinsam mit Michael Hochedlinger). michaela maier studierte Theaterwissenschaften, Ethnologie, Philosophie und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien. Ab 1996 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, im Projektmanagement, als Kuratorin sowie als Leiterin der Bibliothek im Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung  – seit 2012 ist sie dessen Geschäftsführerin. 2004 erhielt sie den Bruno Kreisky-Preis für das politische Buch (Der Führer bin ich selbst. Engelbert Dollfuß/Benito Mussolini Briefwechsel). Seit 2013 ist sie Jurymitglied für den alle zwei Jahre vergebenen Victor ­Adler Staatspreis für Geschichte sozialer Bewegungen. Zuletzt erschienen  : Im Bann der Schattenjahre. Wien in der Zeit der Wirtschaftskrise 1929 bis 1934 (2012, gemeinsam mit Wolfgang Maderthaner) sowie Abgesang der Demokratie. Der 12. Februar 1934 und der Weg in den Faschismus (2014). maria mesner ist Leiterin des Kreisky-Archivs sowie Dozentin für Zeitgeschichte an der Universität Wien. 1996–1999 war sie Leiterin der Abteilung Sozialwissenschaften und Dokumentation des Renner-Instituts, 2007 Visiting Research Professor am History Department der New York University. Außerdem lehrte sie an der Karls-Universität Prag sowie den Universitäten Linz und Salzburg. Sie forscht zur Geschichte der politischen Kultur im 20. Jahrhundert, historischen Komparatistik, Frauen- und Geschlechtergeschichte sowie zur Entnazifizierung. Sie ist Mitherausgeberin der OeZG. Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften. 2010 erschien ihre Monographie Geburten/Kontrolle. Reproduktionspolitik im 20. Jahrhundert, 2012 gab sie gemeinsam mit Gernot Heiss Asyl. Das lange 20. Jahrhundert heraus.

AutorInnen und HerausgeberInnen

241

lorenz mikoletzky studierte Geschichte und klassische Archäologie an der Universität Wien. Von 1994 bis 2011 war er Generaldirektor des Österreichischen Staatsarchivs und Leiter des Archivamtes. Seit 1993 ist er Honorarprofessor für neuere Geschichte an der Universität Wien. Sein Spezialgebiet sind Archivwissenschaft sowie österreichische und europäische Geschichte. Er ist Träger des Großen Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich, des Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse und Officier dans l´Ordre des Arts et des Lettres. Er erhielt den Förderungspreis des Theodor Körner Stiftungsfonds und den Förderungspreis der Stadt Wien auf dem Gebiet der Volksbildung. Gemeinsam mit Stefan Karner gab er 2008 den Band Österreich. 90 Jahre Republik heraus, mit Helmut ­Konrad und Wolfgang Maderthaner Saint Germain und Karl Renner. Eine Republik wird »diktiert«, in  : Das Werden der Ersten Republik  … der Rest ist Österreich«. 2006 erschien Öster­reich 1938–1945. Dokumente (gemeinsam mit Brigitte Bailer-Galanda und Roman Sandgruber). Lutz Musner studierte Philosophie, Psychologie und Soziologie an der Universität Innsbruck, war Visiting Scholar am Committee on Social Thought der University of Chicago und habilitierte sich 2008 im Fach Kulturwissenschaft an der HumboldtUniversität zu Berlin. 1993 bis 2013 war er stellvertretender Direktor des IFK – Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften. Seit 2013 ist er verantwortlich für das wissenschaftliche Programm des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. 2011 erhielt Musner den Victor Adler Staatspreis für Geschichte der sozialen Bewegungen. 2009 erschien Der Geschmack von Wien. Kultur und Habitus einer Stadt. Johannes Schönner studierte Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Wien. Nach der Promotion lehrte er am Privatgymnasium der Wiener Sängerknaben und ist seit 1994 Archivar sowie seit 2001 stellvertretender Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts. Seine Publikationen befassen sich mit Themen der Zeitgeschichte und der politischen Bildung, darunter mehrere Quelleneditionen zur österreichischen Parteiengeschichte und der allgemeinen politischen Geschichte Öster­reichs, zuletzt Katholikinnen und Katholiken in Widerstand und Verfolgung, in  : Opferschicksale. Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus (2013) und Mitgestalter Europas. Transnationalismus und Parteiennetzwerke Europäischer Christdemokraten und Konservativer in historischer Erfahrung (2013, gemeinsam mit Michael Gehler, Marcus Gonschor und Hinnerk Meyer). erwin a. schmidl studierte Geschichte, Völkerkunde und Kunstgeschichte in Wien, promovierte 1981 zum Dr. phil. und habilitierte sich 2001 an der Universität Innsbruck (Institut für Zeitgeschichte). Seit 1981 ist er in verschiedenen Funktionen im

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AutorInnen und HerausgeberInnen

Bundesministerium für Landesverteidigung tätig, seit 2001 als Leiter des Fachbereichs Zeitgeschichte am Institut für Strategie & Sicherheitspolitik der Landesverteidigungsakademie. 1994 war er UN-Beobachter in Südafrika und 1995–96 Senior Fellow am U.S. Institute of Peace in Washington, DC. Er ist Präsident der Österreichischen und Generalsekretär der Internationalen Kommission für Militärgeschichte. Schmidl befasst sich mit militärischer und politischer Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, der Entwicklung internationaler Friedensoperationen sowie mit österreichischer und europäischer Sicherheitspolitik. Zuletzt erschien Habsburgs jüdische Soldaten 1788–1918 (2014). michaela sohn-kronthaler studierte katholische Fachtheologie, selbstständige Religionspädagogik und christliche Philosophie in Graz und Innsbruck, habilitierte sich im Fach Kirchengeschichte und ist seit 2001 Ao. Universitätsprofessorin für Kirchengeschichte, seit 2002 Leiterin des Instituts für Kirchengeschichte und kirchliche Zeitgeschichte an der Katholisch-Theologischen Fakultät der KarlFranzens-Universität Graz. Sie war dort von 2006 bis 2008 und von 2009 bis 2011 Universitätsprofessorin für Kirchengeschichte. In ihren aktuellen Forschungen befasst sich Sohn-Kronthaler mit der neueren Kirchengeschichte, mit der historisch-theologischen Frauen- und Geschlechterforschung, der Ordensgeschichte sowie der Kirchlichen Regionalgeschichte. Zuletzt erschien  : Von frommer Lektüre zu kritischer Exegese. Bibelauslegung von Frauen im langen 19. Jahrhundert (2014, gemeinsam mit Ruth Albrecht), Pax et Bonum. Franziskanische Beiträge zu Frieden und interreligiösem Dialog (2012, herausgegeben gemeinsam mit Paul Zahner) sowie Toleranz und Religionsfreiheit 311–2011 (2012, gemeinsam mit Anneliese Felber und Bert Groen). gernot stimmer studierte Rechtswissenschaften, Soziologie und Politikwissenschaft an den Universitäten Wien und Salzburg, habilitierte sich 1996 und ist Universitätsdozent für vergleichende Politikwissenschaft am Institut für Politikwissenschaften der Universität Wien. Er beschäftigt sich mit der Europäischen Union, Integrationsformen in Lateinamerika/Mercosur, Beziehungen zwischen EU und Lateinamerika sowie mit Verfassungsfragen. Zu seinen Publikationen zählen Eliten in Österreich 1848 –1970 (= Studien zu Politik und Verwaltung, Bd. 57/ 1 und 2) (1997), Die Konsularakademie im Spannungsfeld zwischen Leistungs- und Gesinnungselite, in  : O. Rathkolb (Hg.), 250 Jahre. Von der Orientalischen zur Diplomatischen Akademie in Wien (2005) und Der politische Liberalismus in Österreich zwischen Revolutionstradition und »Pflicht am Staat«-Maxime, in  : Sigurd Paul Scheichl/Emil Brix (Hg.), »Dürfen’s denn das  ?« Die fortdauernde Frage zum Jahr 1848 (1999).

AutorInnen und HerausgeberInnen

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manfried rauchensteiner studierte Geschichte, Historische Hilfswissenschaften und Germanistik an der Universität Wien. Seit 1966 arbeitete er in der Militärwissenschaftlichen Abteilung des Heeresgeschichtlichen Museums. 1975 habilitierte er sich für österreichische Geschichte an der Universität Wien, darauf folgten Lehrtätigkeiten u.a. in Wien und Innsbruck. 1988–1992 war er Leiter des Militärhistorischen Dienstes im Bundesministerium für Landesverteidigung, 1992–2005 Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums in Wien, 2006–2011 Koordinator beim Aufbau des Militärhistorischen Museums in Dresden. Zuletzt erschienen Stalinplatz 4. Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955 (2005), Entschlossenes Zuwarten. Österreich und das Werden Sloweniens 1991 (2011) sowie Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918 (2013). regina wonisch wirkt als freiberufliche Historikerin, Archivarin und Ausstellungskuratorin in Wien. Sie ist Leiterin des Forschungszentrums für historische Minderheiten, betreut das Fotoarchiv der Arbeiter-Zeitung im Verein für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung und ist Mitarbeiterin des Instituts für Wissenschaftskommunikation und Hochschulforschung der Fakultät für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universität Klagenfurt (IFF) in Wien. 2012 erschien Minderheitenmuseen. Möglichkeiten und Grenzen von Gegenerzählungen im Museum, in  : Petr Lozoviuk (Hg.), Visualisierte Minderheiten. Probleme und Möglichkeiten der musealen Präsentation von ethnischen bzw. nationalen Minderheiten und Zur Geschichte der Wiener Tschechen. helmut wohnout studierte Geschichte an der Universität Wien, danach Postgraduate-Studien an der Georgetown-University in Washington, DC. Er habilitierte sich in Österreichischer Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz und ist heute Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt/Bundespressedienst und Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts zur Erforschung der Geschichte der christlichen Demokratie in Österreich. Sein Forschungsschwerpunkt ist die österreichische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, dazu legte er u.a. die Monographien Regierungsdiktatur oder Ständeparlament  ? Gesetzgebung im autoritären Österreich (1993), Das österreichische Hospiz in Jerusalem. Geschichte des Pilgerhauses an der Via dolorosa (2000) und Alois Mock. Ein Politiker schreibt Geschichte (2008, gemeinsam mit Martin Eichtinger) vor.

MANFRIED RAUCHENSTEINER

DER ERSTE WELTKRIEG UND DAS ENDE DER HABSBURGERMONARCHIE 1914–1918

Die Geschichte von der Entfesselung des Ersten Weltkriegs, von der Rolle Kaiser Franz Josephs, vom Verhalten der Nationalitäten der Habsburgermonarchie bis zum Zerfall eines 630-jährigen Reiches liest sich wie ein spannender Roman. Es geht um Politik und Krieg, das Bündnis mit Deutschland, Krieg als Ausnahmezustand und als Normalität. Das Buch, von einem der führenden Historiker Österreichs, ist eine mitteleuropäische Enzyklopädie des Ersten Weltkriegs. 2013. 1222 S. 32 S/W-ABB. UND 2 KARTEN. GB. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78283-4

„Ein epochales Werk.“ Der Spiegel Geschichte

„Das Buch ist ein dicker Wälzer, aber für jeden historisch-politisch Interessierten spannend zu lesen.“ Der Standard

böhlau verlag, wiesingerstrasse 1, a-1010 wien, t: + 43 1 330 24 27-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

MARKUS BENESCH

DIE WIENER CHRISTLICHSOZIALE PARTEI 1910–1934 EINE GESCHICHTE DER ZERRISSENHEIT IN ZEITEN DES UMBRUCHS

Zwischen 1910 und 1934 durchlief Wien einen grundlegenden Wandel. In dieser Zeit wurde aus der bürgerlichen Reichshaupt- und Residenzstadt die politische Bastion der Sozialdemokratie, das sogenannte „Rote Wien“. Im selben Zeitraum änderte sich auch die Position und die politische Rolle der Wiener Christlichsozialen Partei: Aus der ehemaligen Bürgermeisterpartei des Karl Lueger wurde eine kommunale Oppositionspartei, die aber weiterhin eine bedeutende Rolle spielte. In diesem Buch wird die Geschichte der Wiener Christlichsozialen Partei und ihrer handelnden Akteure in einer Phase des Umbruchs beschrieben. Es bietet einen Einblick in die Probleme und Herausforderungen und die Zerissenheit einer Partei zwischen bundespolitischen Notwendigkeiten und landespolitischen Nöten. 2014. 420 S. 31 S/W-ABB., 68 TAB. U. GRAF. GB. MIT SU. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-79475-2

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ERWIN A. SCHMIDL

HABSBURGS JÜDISCHE SOLDATEN 1788–1918

In Österreich wurden Juden erstmals 1788 ins Militär eingezogen. Im Ersten Weltkrieg dienten etwa 300. 000 jüdische Soldaten in der k. u. k. Armee. Entgegen dem Klischee vom jüdischen Militärarzt oder Trainsoldaten dienten die meisten Juden in der kämpfenden Truppe. Unter den Berufsoffi zieren war ihr Anteil geringer , während fast ein Fünftel aller Reserveoffi ziere jüdischer Religion waren. Mehrere jüdische Offi ziere erreichten Generalsränge. Obwohl es Benachteiligungen durch traditionelle antijüdische Vorurteile sowie den im 19. Jahrhundert auf kommenden „Rassen-Antisemitismus“ gab , verstand sich die k. u. k. Armee als über den Nationalitäten stehend ; ihre Loyalität galt dem Kaiserhaus , nicht einer bestimmten Volksgruppe. Das vorliegende Buch bietet einen vollständigen , gut lesbaren Überblick über diesen wichtigen Teil sowohl der österreichischen wie der jüdischen Geschichte. 2014. 256 S. 62 S/W-ABB. 12 GRAF. UND 2 KT. GB. MIT SU. 135 X 210 MM. ISBN 978-3-205-79567-4

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OSKAR DOHLE, THOMAS MITTERECKER (HG.)

SALZBURG IM ERSTEN WELTKRIEG FERNAB DER FRONT – DENNOCH IM KRIEG (SCHRIFTENREIHE DES FORSCHUNGSINSTITUTES FÜR POLITISCH-HISTORISCHE STUDIEN DER DR.-WILFRIED-HASLAUERBIBLIOTHEK, BAND 48)

Dieser reich illustrierte Sammelband mit bislang unveröffentlichten Abbildungen untersucht die Auswirkungen des Krieges auf die Lebenssituation der Salzburgerinnen und Salzburger abseits einer militärischen „Formationsgeschichte“. Dafür gelang es, namhafte Expertinnen und Experten zur Mitarbeit zu gewinnen. Zentrale Themen sind die Erörterung des Alltags im Krieg, die Rolle der katholischen Kirche, die Veränderungen, die der Krieg im Zeichen „fehlender“ Männer für Frauen brachte, die Untersuchung verschiedener Aspekte der Kriegspropaganda, aber auch eine Analyse der Berichterstattung der lokalen Presse im Sommer 1914. Weitere Themen wie darstellende Kunst, Medizin, Lebensmittelversorgung oder die Frage der Kriegsfinanzierung runden diesen Band ab. 2014. 492 S. 154 FARB- U. S/W-ABB. GB. 210 X 270 MM. ISBN 978-3-205-79578-0

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