Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation [1 ed.] 9783788733100, 9783788733087


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Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation [1 ed.]
 9783788733100, 9783788733087

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Bernd Schröder / Moritz Emmelmann (Hg.)

Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation

Bernd Schröder / Moritz Emmelmann (Hg.)

Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7887-3310- 044 Weitere Angaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com  2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstr. 13, D-37073 Göttingen/ www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: Andreas Sonnhüter, Niederkrüchten Satz: Dorothee Schönau

Inhalt

Bernd Schröder / Moritz Emmelmann Einleitung............................................................................................. 9 Zeitdiagnose Christian Polke Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität? Ethische und religiöse Bildung in pluraler Schule und Gesellschaft ..... 15 Rainer Merkel / Till Warmbold Religions- und Ethikunterricht im Alltag der Schule ........................... 37 Fachwissenschaftliche Perspektiven Holmer Steinfath Philosophische Ethik zwischen Reflexion und Orientierung ............... 55 Bertram Schmitz Was kann und sollte Religionswissenschaft in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für die Fächer »Religion« und »Ethik« leisten? ........................................................... 71 Fachdidaktische Perspektiven Klaus Blesenkemper Didaktische Konzepte für den Ethikunterricht in der Schule .............. 85 Bernhard Grümme Ethisches Lernen im Kontext des Religionsunterrichts Ansätze und Herausforderungen ....................................................... 111 Hans-Bernhard Petermann Religion als Thema im Philosophie- und Ethik-Unterricht ............... 129

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Inhalt

Moritz Emmelmann Perspektivenwechsel Überlegungen zur Leistungsfähigkeit einer Leitmetapher für die religionspädagogische Auseinandersetzung mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität .............................................................. 145 Exemplarische Themen im Fokus Birte Platow Sterben und Tod als Themen von Ethik und Religionsunterricht ..... 159 Traugott Jähnichen Wirtschaftsethik als Thema des Ethik- und des Religionsunterrichts ......................................................................... 185 Positionen Kerstin Gäfgen-Track Der konfessionelle Religionsunterricht und das Fach »Werte und Normen« bzw. »Ethik« Das grundgesetzliche Gebot der Religionsfreiheit in der Schule ........ 203 Jörg-Dieter Wächter Religionsunterricht und »Werte und Normen« Die Position der römisch-katholischen Bistümer in Niedersachsen .............................................................................. 213 Gesine Fuß Das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht aus der Sicht des Fachverbands Ethik ..................................................... 225 Peter Tauber Die Zukunft des Religions- und Ethikunterrichts in der Schule und deren gesellschaftliche Relevanz aus Sicht der CDU Deutschlands ....... 233 Kerstin Griese Die Zukunft des Religions- und Ethikunterrichts in der Schule und deren gesellschaftliche Relevanz aus Sicht der SPD .................... 237 Volker Beck Die Zukunft des Religions- und Ethikunterrichts in der Schule und deren gesellschaftliche Relevanz Diskussionsbeiträge und programmatische Vorstellungen der Partei ›Bündnis 90/Die Grünen‹................................................. 243

Inhalt

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Zuordnungen in der Praxis Carolin Simon-Winter / Burkhard Rosskothen »Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken« Ein dialogisches Unterrichtsprojekt für den Religions- und Ethikunterricht ................................................................................. 253 Rainer Merkel / Lieselotte Lieberknecht / Svenja Haase Verschiedene Perspektiven zur Sterbehilfe? Ein Unterrichtsexperiment im Sinne einer kooperativ-dialogischen Fächergruppe Religion und Ethik / Werte und Normen ................... 269 Beate Großklaus »Ein Hoch auf uns« Multireligiöse Feiern an Schulen, gestaltet von und für religiös heterogene(n) und nicht-religiöse(n) Schülerinnen und Schüler(n) ... 281 Konzeptionelle Zuordnungen Friedrich Schweitzer Religionsunterricht und Ethikunterricht: Gegen-, Neben- oder Miteinander? .................................................................................... 301 Vivienne Baumfield Curriculum Making in the (Dis)United Kingdom The Impact of Global Trends, National Contexts and Local Circumstances on Religious and Moral Education in Schools .......... 317 Christine Lehmann / Martin Schmidt-Kortenbusch Brücken zwischen den Fächern »Religion« und »Werte und Normen« bauen! Konturen eines Begegnungslernens im dialogorientierten Religionsunterricht ........................................................................... 333 Bernd Schröder Religions- und Ethikunterricht – eine Fächergruppe? Ein Plädoyer ..... 355 Autorinnen und Autoren .................................................................. 377

Bernd Schröder / Moritz Emmelmann

Einleitung

Religionsdidaktik hat sich in den letzten Jahren in hohem Maße vom Blick auf die Schülerinnen und Schüler leiten lassen und sich dabei auf drei Personengruppen konzentriert, − auf diejenigen, die am evangelischen oder katholischen Religionsunterricht herkömmlicher Prägung teilnehmen und im Licht empirischer Forschung zunehmend in ihrer Heterogenität erkennbar wurden: Konzepte wie Kindertheologie oder inklusive Religionsdidaktik versuchen darauf konstruktiv zu reagieren. − auf konfessionsverschiedene Schülerinnen und Schüler, die de jure in benachbarten Fächern, de facto aber nicht selten in einer Lerngruppe unterrichtet werden: Konfessionelle Kooperation oder didaktischen Anregungen für den Perspektivenwechsel sind diesbezüglich entwickelt worden. − auf verschieden religiöse Kinder und Jugendliche, die vielerorts in Ermangelung jüdischen, islamischen, alevitischen o.ä. Religionsunterrichts an einer christlich-konfessionellen Lesart des Religionsunterrichts teilnehmen: Konzepte des interreligiösen Lernens suchen dem zu entsprechen. Die wachsende Zahl konfessionsloser Schülerinnen und Schüler hat dabei ebenfalls immer wieder Beachtung gefunden, wurde aber nicht mit vergleichbarer didaktischer Kreativität, Dringlichkeit und konzeptioneller Logik thematisiert – Ausnahmen bestätigen die Regel. Zusammen mit den didaktischen Folgerungen, die aus der Veränderung der Schülerschaft zu ziehen sind, hat die Theorie des Religionsunterrichts immer auch organisatorische Implikationen diskutiert: Wiederum standen die inklusive Öffnung des Religionsunterrichts, die konfessionelle Kooperation vornehmlich zwischen evangelischer und katholischer Religion und die Entwicklung des Religionsunterrichts zu einem interreligiös dialogischen Fach im Mittelpunkt der Debatte. Das Verhältnis des Religions- zum Ethikunterricht blieb in eigentümlicher Weise im Schatten – obwohl ethische Fragen in der gesellschaftlichen Debatte, aber auch im Religionsunterricht selbst erhebliches Gewicht haben, obwohl mit der Zahl konfessionsloser Schüler das Teilnehmerpotential des Ethikunterrichts wächst, obwohl der Ethikunterricht das daseins- und wertorientierende Fach ist, das am häufigsten neben dem

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evangelischen und/oder katholischen Religionsunterricht angeboten wird und folglich in vielen Schulen am ehesten Regelungsbedarf im Blick auf ihr Miteinander evoziert. Um eine Zahl ins Spiel zu bringen: Im bevölkerungsreichsten Bundesland, NordrheinWestfalen, nahmen im Schuljahr 2016/17 an allen allgemeinbildenden Schulen zusammen genommen 875.156 Schülerinnen und Schüler am römisch-katholischen und 674.776 am evangelischen Religionsunterricht teil (zum Vergleich: Islamkunde: 6.730 / Islamische Religionslehre: 20.274, jüdischer RU: 454, orthodoxer RU: 404 / syrisch-orthodoxer RU 1.512, alevitischer RU: 168), das Ersatzfach »Praktische Philosophie« belegten 206.929 Schülerinnen und Schüler (»Philosophie« als Oberstufenfach weitere 100.311).1

Diese Beobachtungen gaben Anlass zu einer Ringvorlesung zum Thema »Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation«, die im Wintersemester 2016/17 an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen stattfand. Die Beiträge leuchten verschiedene Facetten der Thematik aus: Den Auftakt bildet die Einzeichnung der Fragestellung in die gesellschaftliche Großwetterlage sowie in die konkreten schulischen Konstellationen. Der theologische Ethiker Christian Polke (Göttingen) fragt nach der ethischen Signatur unserer Lebenswelt, beleuchtet den Stellenwert öffentlicher Diskurse zu ethischen Fragen und die Anforderungen, die sich daraus für die Behandlung ethischer Reflexionsaufgaben in der Schule, sei es im Religions-, sei es im Ethikunterricht, ergeben. Mit Rainer Merkel (Göttingen) und Till Warmbold (Hannover) diskutieren Fachleiter für »Evangelische Religion« und »Werte und Normen« die Zuordnung und Abstimmung dieser Fächer exemplarisch bezogen auf die niedersächsischen Gegebenheiten. Anschließend kommen fachwissenschaftliche und fachdidaktische Gesichtspunkte zur Sprache: Der Philosoph Holmer Steinfath (Göttingen) thematisiert Erfordernisse ethischer Reflexion und Bildung aus philosophischer Sicht, der Religionswissenschaftler Bertram Schmitz (Jena) behandelt das Potential seines Faches in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowohl des Religions- als auch des Ethikunterrichts – beide weisen u.a. die Komplexität und Unabschließbarkeit, aber auch die Elementarisierbarkeit entsprechender Reflexionen aus. In einem Durchgang durch einschlägige didaktische Konzepte sichtet zunächst der Philosophiedidaktiker Klaus Blesenkemper (Münster) eine Auswahl didaktischer Zugänge für den schulischen Ethikunterricht. Der 1

Ministerium für Schule und Weiterbildung Nordrhein-Westfalen: Das Schulwesen in Nordrhein-Westfalen aus quantitativer Sicht 2016/17: Statistische Übersicht Nr. 395 (Stand: 21. März 2017), 79f. (www.schulministerium.nrw.de/docs/bp/Ministerium/ Service/Schulstatistik/Amtliche-Schuldaten/Quantita_2016.pdf, zuletzt eingesehen am 15.8.2017).

Einleitung

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katholische Religionsdidaktiker Bernhard Grümme (Bochum) widmet sich jüngeren Ansätzen und Herausforderungen ethischen Lernens im Religionsunterricht und der Philosophiedidaktiker Hans-Bernhard Petermann (Heidelberg) beleuchtet analog dazu den Umgang mit »Religion« im Ethikunterricht. Moritz Emmelmann (Göttingen) diskutiert die Figur des »Perspektivenwechsels« im Blick auf ihre Leistungskraft beim Umgang mit anderen Religionen und Weltanschauungen im Religionsund Ethikunterricht. Didaktische Differenzen zwischen beiden Fächern kommen sodann anhand zweier exemplarischer Themen zur Darstellung: Während sich die evangelische Religionspädagogin Birte Platow (Augsburg) dem individualethischen Thema »Sterben und Tod« zuwendet, fragt der theologische Sozialethiker Traugott Jähnichen (Bochum) nach »Wirtschaftsethik« als möglichem, wenngleich selten aufgegriffenen Thema von Religions(und Ethik-)unterricht. Das Verhältnis von Religions- und Ethikunterricht stellt sich indes keineswegs nur als ein fachwissenschaftliches, didaktisches oder schulpraktisches Thema dar, es ist zugleich Gegenstand schulpolitischer Positionierungen: In diesem Sinne kommen hier sowohl die Position der Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen – vertreten durch deren Präsidentin, Oberkirchenrätin Dr. Kerstin Gäfgen-Track (Hannover) – als auch diejenige der römisch-katholischen Kirche im Bistum Hildesheim – vertreten durch den Leiter der dortigen Hauptabteilung »Bildung«, Dr. Jörg-Dieter Wächter – zu Wort. Zudem stellt der »Fachverband Ethik« durch seine Vorsitzende, Gesine Fuß (München) die eigenen Leitvorstellungen vor. Unter den politischen Parteien haben sich auf Anfrage an fünf von ihnen drei bereitgefunden ihre Position zu Fragen ethischer und religiöser Bildung in der Schule zu entfalten – dankenswerterweise umreißen Peter Tauber (CDU), Kerstin Griese (SPD) und Volker Beck (Die Grünen) die Position ihrer Parteien. Während die Schulgesetze der Länder die Koexistenz von Religions- und Ethikunterricht vorsehen und es bei deren Ausgestaltung bewenden lassen, stehen Schulen vor der Herausforderung, das Nebeneinander konstruktiv in ein Miteinander zu verwandeln. Drei Praxisprojekte, denen dies gelungen ist – zwei aus dem Bereich der unterrichtlichen Arbeit, ein weiteres aus dem Feld des Schullebens – werden hier von denjenigen beschrieben, die diese Projekte konzeptionell verantworten und gelingend gestalten: Rainer Merkel, Lieselotte Lieberknecht und Svenja Haase (Göttingen), Carolin Simon-Winter und Burkhard Rosskothen (Offenbach) sowie Schuldekanin Dr. Beate Großklaus (Heidelberg). Vier abschließende Beiträge widmen sich den theoretischen Optionen der Zuordnung beider Fächer und deren praktischen Konsequen-

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zen: Der evangelische Religionspädagoge Friedrich Schweitzer (Tübingen), u.a. langjähriger Vorsitzender der Kammer der EKD für Bildung und Erziehung, Kinder und Jugend, wirbt für deren Kooperation, die britische Pädagogin Vivienne M. Baumfield (Exeter/England), Herausgeberin des namhaften »British Journal of Religious Education«, schildert die Rolle ethischer Bildung im Rahmen des »multi-faith approach« von Religionsunterricht und Schule in England und Wales, und der evangelische Religionspädagoge Bernd Schröder (Göttingen) greift neuerlich auf das in den 1990er Jahren diskutierte Modell der Fächergruppe zurück, um Kooperation und Abgrenzung der Fächer näher zu bestimmen. Christiane Lehmann und Martin Schmidt-Kortenbusch (Braunschweig) entwerfen eine organisatorische, didaktische und thematische Agenda für den Dialog zwischen Religions- und Ethikunterricht. Den Leserinnen und Lesern stehen somit mannigfaltige Anregungen zu Gebote, um die unterschiedlichen Fachlogiken, aber auch Gemeinsamkeiten von Religions- und Ethikunterricht nachzuvollziehen und sich durch Beispiele und systematische Bestimmungen auf ein konstruktives Miteinander beider Fächer einzustellen – die Herausgebenden und die meisten der Beiträgerinnen und Beiträger eint die Überzeugung, dass Religions- und Ethikunterricht nicht ineinander aufgehen, aber auch nicht beziehungslos nebeneinander stehen sollten: In einer pluralen Gesellschaft wie Schule ist es nicht zuletzt um der Schülerinnen und Schüler willen wichtig, die Unterschiede für Dialog wie Zusammenarbeit fruchtbar zu machen – Differenz ist kein Makel, sondern ein Gewinn, sowohl in unserer Lebenswelt als auch im Kontext schulischer Bildung, allerdings ein Gewinn, der sensible Wahrnehmung, Wertschätzung und Ambiguitätstoleranz erfordert. Möglich wurden die Vorlesungsreihe wie die vorliegende Publikation im materiellen Sinne durch Mittel der Theologischen Fakultät und vor allem der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers. Für diese Unterstützung danken wir. Darüber hinaus sei den Referentinnen und Referenten der Vorlesungsreihe sowie den weiteren Autorinnen und Autoren herzlich Dank gesagt für ihre Beiträge, nicht zuletzt dem Team des Lehrstuhls für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik. Schließlich danken wir Herrn Ekkehard Starke für die Aufnahme des Bandes in das Verlagsprogramm und Frau Dorothee Schönau für dessen umsichtige Formatierung. Göttingen, März 2018

Bernd Schröder und Moritz Emmelmann

Zeitdiagnose

Christian Polke

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität? Ethische und religiöse Bildung in pluraler Schule und Gesellschaft* Zeitalter auszurufen hat mittlerweile einige Konjunktur, nicht nur in den Geistes- und Sozialwissenschaften, sondern sogar unter naturwissenschaftlichen Kollegen. Man spricht dann nicht mehr nur von A Secular oder Global Age1, den Chancen und Gefahren des Digital Age, sondern meint sogar die Periodisierung der Erdgeschichte korrigieren zu müssen und nunmehr das Anthropozän auszurufen. Demgegenüber ist es wohltuend, dass der etwas sperrige Titel meines Beitrags die Suggestivkraft solch zeitgeschichtsphilosophischer Programmformeln schon von vornherein unterläuft. Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität, darum soll es im Folgenden gehen und eben auch darum, ob diese Beobachtung überhaupt auf die Realitäten, in denen wir uns bewegen, zutrifft. Dabei wird der Standpunkt, von dem aus ich mich den damit verbundenen Fragen widmen werde, derjenige der Systematischen Theologie, genauer der theologischen Ethik, sein. Wenn man so will, werde ich mich in hermeneutischer Perspektive an ein paar Vorübungen im Bereich der Prolegomena zu einer Bildungsethik versuchen. Der vorläufige und tastende Charakter meiner Ausführungen ist neben anderem auch dem Umstand geschuldet, dass hier insbesondere evangelische Ethik noch in einigem aufzuholen hat.2 So wird der Tenor meines Beitrags vornehmlich im Nachzeichnen und Analysieren von ein paar grundsätzlichen Beobachtungen zu Rolle und Aufgabe von Bildung, genauer von religiöser und ethischer Bildung, bestehen, wie sie in den keineswegs nur institutionellen Netzen unserer Lebenswelt stattfindet, jedoch im Besonderen nach wie vor und zuvörderst am institutionellen Ort der Schule. Dabei *

Eröffnungsvortrag der Vorlesungsreihe »Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation« an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen, am 27. Oktober 2016 in Göttingen. 1 Zu Konjunktur und Schwierigkeiten mit der Globalisierungskategorie siehe jetzt: Jürgen Osterhammel, Globalisierungen, in: ders., Die Flughöhe der Adler. Historische Essays zur globalen Gegenwart, München 2017, 12–41. Viele der kritischen Bemerkungen über den Nutzen von Globalkategorien lassen sich auch auf andere Begriffe übertragen. 2 Bildungsethik erschöpft sich, wie hoffentlich gleich noch deutlicher werden wird, weder in Fragen von Bildungsgerechtigkeit noch in den eher professionsbezogenen Überlegungen zur Pädagogischen Ethik. Genau in dieser Vereinseitigung sehe ich u.a. das angemahnte Desiderat.

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Christian Polke

stellt das vorläufig diagnostizierte Phänomen gesteigerter Reflexivität nicht nur eine deskriptive Beschreibung von beobachtbaren Prozessen und Phänomenen, sondern nicht minder eine ethische und politische Herausforderung dar, die wiederum zu bildungstheoretischer Reflexion Anlass gibt. Mein erster Punkt gilt darum dem, was sich hinter der sperrigen Formel von der gesteigerten Reflexivität an Herausforderungen verbergen könnte (1.). Danach will ich mich der Frage widmen, was wir eigentlich unter religiöser bzw. ethischer Bildung verstehen sollen (2.). Darauf folgt der Versuch einer Skizze zu einer Ethik der Reflexivität, wie sie in besonderer Weise Bildungsprozessen inhärent sein sollte und die im Kern um differente Formen von Urteilskraft kreist (3.). Schließlich ist am Ende auf den gesellschaftspolitischen Subtext vieler bildungspolitischer und -ethischer Debatten kurz zu sprechen zu kommen (4.). Eine letzte Vorbemerkung betrifft die Grenzen des hier Dargelegten. Wenngleich vor allem mit Blick auf den zweiten Punkt eine Standortbestimmung von Schule als basaler Institution eines Bildungs- und Erziehungssystems im Kontext moderner Gesellschaften vorgenommen wird, so bedürfte doch das Verhältnis von Schule und gesellschaftlicher Umwelt, deren Verflechtungen und Abgrenzungen zu anderen institutionellen Arrangements und sozialen Settings, die wir unter dem Titel »Gesellschaft« subsumieren, einer genaueren Analyse. Diese muss einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben.

1. »Reflexivität« – eine Signatur moderner Wissens- und Kommunikationsgesellschaften Reflexivität in einem elementaren Sinne kennzeichnet die menschliche Lebensform an sich. Das gilt, wie wir aus evolutionsanthropologischer Sicht wissen, sowohl was die Entwicklung kognitiver als auch diejenige moralischer und kulturell-sprachlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten betrifft. Die einschlägigen Untersuchungen, etwas des Leipziger Anthropologen und Verhaltensforschers Michael Tomasello, haben auf eindrückliche Weise gezeigt, dass die mit der menschlichen Lebensform generell gegebenen Möglichkeiten geteilter, versachlichter und damit verobjektivierter Intentionalität und Kooperation die humanspezifischen Grundlagen menschlicher Kulturen, Sprachen und Moralen darstellen.3 Unter Reflexivität lassen sich diese Grundlagen deswegen fassen, weil sie in struktureller Weise verdeutlichen, wie Menschen als kulturelle Lebewesen symbolisch strukturierte Medien- und Ausdruckformen sowie Techniken benötigen und sich ihrer bedienen, um sich über sich selbst, über andere und über die Welt, in der sie miteinander gemeinsam leben, verständigen zu können. Kommunikation als diejenige Form, die mehr als nur Sprache meint, ist das Medium, in dem wir überhaupt etwas so begreifen und dann auch verstehen können, dass wir es an nachfolgende 3

Zur ersten Orientierung vgl.: Michael Tomasello, Warum wir kooperieren, Frankfurt a.M. 2010, sowie jüngst: ders., Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral, Berlin 2016.

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität?

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Generationen in Form gespeicherter Wissensbestände und codierter Erfahrungsberichte weitergeben können. Kommunikation aber setzt immer schon Kultur frei, weil beide Größen nichts anderes meinen, als über Umwege und Distanzierungen zu sich und den anderen, zur Welt und womöglich sogar zu einem göttlichen Ganzen zu gelangen. Dieser Grundzug deutet sich schon in der lateinischen Herkunft von re-flectere an; ein Wort, das in seiner Grundbedeutung ursprünglich »umwenden« im Sinne von zurückbeugen meinte. Damit wird ein Richtungssinn vorgedacht, der sich im Substantivum der Reflexivität erhält: In der Reflexion geht es darum, auf etwas noch einmal zurückzukommen, was freilich voraussetzt, dass man sich, um auf etwas zurückkommen zu können, zunächst einmal davon entfernt hat. In anderen Worten, Reflexivität kann deswegen als ein Grundwort aller, nicht nur von vermeintlich so modernen und aufgeklärten Kulturen und Lebensweisen gelten, weil mit ihr auf ein wesentliches Merkmal unseres Selbst- und Weltumganges rekurriert wird: Kultur ist, wie der Philosoph Hans Blumenberg einmal treffend formuliert hat, ein Bündel von Praktiken, Einstellungen und Settings von Umwegen.4 Kultur basiert maßgeblich auf Distanz und dem dadurch gewonnenen Freiheitsraum. Wenn nun gilt, dass alle kulturellen Praktiken letztlich Formen von Umwegen darstellen, dann gilt dies erst recht und in noch gesteigertem Maße für das, was wir unter Bildung verstehen können. Nochmals am Paradigma der Kommunikation veranschaulicht: Wir kommunizieren nicht einfach dadurch, dass wir als Sprecher – dem Modell von Sender und Empfänger folgend – Informationen übermitteln und austauschen. Dies stimmt schon für den einfachsten Sprechakt nicht.5 Vielmehr bemühen wir uns um Übermittlung und Austausch von Nachrichten, Vermittlung von Wissen, gegebenenfalls auch um Verständigung untereinander dergestalt, dass wir uns mit Anderen über das, worüber gesprochen wird, und durch das Medium, in dem wir kommunizieren, als Gesprächspartner erfahren. Ganz elementar funktioniert (sprachliche) Wissensaneignung im Umweg über den Fokus auf eine gemeinsame Sache, die es erlaubt, von jeder Seite des Kommunikationsaktes her, zum Anderen und in der Rückwendung dann auch zu sich selbst zu gelangen.6 In 4

Vgl. etwa Hans Blumenberg, Die Sorge geht über den Fluß, Frankfurt a.M. 1987, 137: »Kultur besteht in der Auffindung und Anlage, der Beschreibung und Empfehlung, der Aufwertung und Prämierung der Umwege.« 5 In evolutionärer Perspektive überzeugend: Merlin Donald, Origins of the Modern Mind. Three Stages in the Evolution of Culture and Cognition, Cambridge (Ma.) 1991. 6 Dass es eben der gemeinsame Aufmerksamkeitsfokus ist, der die Bedingung für die Sprachlichkeit und damit Bildsamkeit – im Sinne von Bildungsfähig- wie -bedürftigkeit – des Menschen darstellt, hat jüngst noch einmal Charles Taylor herausgestellt. Vgl. Charles Taylor, Das sprachbegabte Tier. Grundzüge des menschlichen Sprachvermögens, Berlin 2017, v.a. 102ff.

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diesem Sinne eignet allen Lern- und Bildungsprozessen, sofern es ihnen nicht einfach um Internalisierung von Stoffbeständen geht, ein Zug von »Reflexivität«. Was aber meint dann die Rede von gesteigerter Reflexivität, wie sie unser Zeitalter kennzeichnen soll? Hier geht es nicht mehr um die gerade gemachten, prinzipiellen und deswegen abstrakt gehaltenen Überlegungen zur Eigenart der humanen Lebensform. Vielmehr handelt es sich hierbei um eine mit empirischen Fakten unterfütterte und mit geschichtlichen Vergleichen rekonstruierte Selbstbeschreibung unserer Lebensals Handlungsgegenwart. An erster Stelle dürfte hier das Faktum stehen, dass wir es auf allen Gebieten von Sachverhalten, Wissensbeständen, Sozial- und Kommunikationsformen und -foren mit einer rasanten und beschleunigten Zunahme von Komplexität zu tun haben. Um nur das einschneidenste Beispiel zu erwähnen: Der digitale Wandel führt nicht nur zu einem neuen Umgang mit Wissen, sondern er fördert und fordert auch andere und neuartige Kommunikationsstile, wie sie sich in sozialen Netzwerken formieren. Damit entgrenzen sich sprichwörtlich in Zeit und Raum die herkömmlichen Öffentlichkeitsräume, und zwar nicht dergestalt, dass sie verlustig gehen, sondern dass sie durchzogen und umgriffen werden von den neuen fluideren Kommunikations- und Öffentlichkeitsformen. Jede Lehrerin und jeder Lehrer weiß darum, wenn er im Unterricht den gemeinsamen Fokus der in leiblicher Kopräsenz versammelten Klasse aufrechterhalten will und dabei zugleich in Konkurrenz zur Aufmerksamkeitsökonomie einer digital durchgängig vernetzten Schülerschaft über die Grenzen der Klassen- und Schulräume tritt; was freilich durchaus gelingen kann. Damit verbunden sind nun Gestalttransformationen von Wissensbeständen, die ebenfalls zu einer gesteigerten Form von Komplexität führen. Mit den fluideren Formen von digitaler Öffentlichkeit verbunden ist nämlich nicht nur die zunehmende Dominanz multimedialer Kommunikationsstile, sondern auch das, was ich als Eventualisierung kennzeichnen möchte. Darunter soll die gezielte Steuerung von Aufmerksamkeit auf episodenhafte Ereignisse, Momente, Informationsbruchstücke verstanden werden, die entweder bewusst inszenierte oder faktisch angesichts immenser Barrieren vollzogene Abkehr von langatmiger, sequentiell-diskursiver Aufbereitung von Wissensbeständen und Informationsflüssen. Diese Beobachtungen sind nicht einfach als larmoyante Kulturkritik zu verstehen, sondern zielen auf einen Punkt, den ich als eine Grundsignatur eines Zeitalters gesteigerter Reflexivität verstehen möchte, nämlich den der medial inszenierten und durchgestalteten Pluralität. Pluralismus kann demnach als eine Signatur unserer gegenwärtigen Wissens- und Kommunikationsgesellschaften gelten. Dabei lassen sich verschiedene Formen oder Arten von Pluralismus unterscheiden. Alle, vornehmlich die beiden, die ich zuletzt nennen werde, stehen auch im

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität?

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Zentrum vieler Beiträge zur religionspädagogischen Lage der Gegenwart. Die erste Form von Pluralismus ist für jede Demokratie schlechterdings notwendig. Sie zielt auf die Pluralität an politischen Mustern und Überzeugungen. Mit ihr verbunden ist häufig eine Pluralität, die sich in moralischer Hinsicht zur Sprache bringt und dabei bei einigen Themen entlang der politischen Frontlinien verläuft, oftmals aber – und das ist ebenfalls ein Anzeichen von gesteigerter Komplexität, die es zu reflektieren gilt – auch quer zu ihnen zu stehen kommt. Die beiden anderen Formen von Pluralismus aber, die insbesondere in den Standortbestimmungen von Religions- und Ethikunterricht zur Sprache gebracht werden – so auch in der unlängst (2014) erschienenen EKD-Denkschrift »Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule« – betreffen die kulturellen und die religiös-weltanschaulichen Dimensionen. Dabei zeigt sich, dass die moralische Seite des Pluralismus zumindest auch und oftmals in unterschiedlichen kulturellen und religiösen Traditionsgestalten ihre Verwurzelung findet. Unter kulturellem Pluralismus ist die Tatsache zu verstehen, dass wir nicht mehr in Gesellschaften mit relativ homogener Bevölkerungsstruktur leben, sondern in unseren Lebenswelten mit einer Vielzahl an unterschiedlichen Lebensformen konfrontiert sind, die durch die stetige und weiter ansteigende Migration noch zunehmen wird. Damit verbunden, aber analytisch davon zu unterscheiden, ist schließlich der religiös-weltanschauliche Pluralismus. In Deutschland hat insbesondere dieser Gesichtspunkt die Frage geleitet, ob der konfessionelle Religionsunterricht, wie er fast natürlich der bi-konfessionellen Verfasstheit der alten Bundesrepublik (West) entsprang, mit der starken Pluralisierung des religiösen Feldes überhaupt noch mithalten kann. Denn die öffentliche Präsenz einer Vielfalt von Religionsgemeinschaften verändert auch das gesellschaftliche Bewusstsein und öffentliche Bild von der Relevanz von Religion. Die Debatten über das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht – in welcher Gestalt auch immer – sind im Wesentlichen von diesem Subtext geprägt.7 Für meine Ausführungen ist allerdings ein anderer Punkt von entscheidender Bedeutung: Alle bislang erwähnten Formen von Pluralismus werden in ihrer Gestalt noch einmal komplexer, weil der anfangs skizzierte mediale Pluralismus quer zu den durch sachliche Kriterien strukturierten Frontlinien liegt. Zieht man das zuvor über die Eigenart von Reflexivität Vermutete hinzu, so lässt sich in der Tat von einem Zeitalter gesteigerter Reflexivität sprechen, da eine der gravierendsten Folgen von digitalen Kommunikationsstilen mit ihrer 7

Eine instruktive Aufarbeitung der Auseinandersetzung im Bundesland Berlin, die auch Konsequenzen für die generelle Debatte um den Ort und die Verankerung religiöser Bildung am Ort der Schule zieht, haben vorgelegt: Wilhelm Gräb / Thomas Thieme, Religion oder Ethik? Die Auseinandersetzung um den Ethik- und Religionsunterricht in Berlin, Göttingen 2011.

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Ausrichtung auf Eventualisierung und Hybridisierung die fortwährende Verwischung, um nicht zu sagen Entdifferenzierung traditioneller Positionen und Verortungen darstellt. Klare Grenzziehungen der jeweiligen religiösen, moralischen, politischen und kulturellen Akteure scheinen kaum mehr möglich. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden: Jede Form neuer Pluralisierung öffnet auch den Spielraum für neue soziale Differenzierungen und fördert zugleich – angesichts der ökonomischen Kontexte, in die sie inbegriffen ist – neue Formen von sozialen Ungleichheiten. Man kann eben nicht nur von einem Digital Age reden, sondern muss auch die möglichen Digital Divides ansprechen.8 Damit bin ich bei meinem letzten Punkt in Sachen gesteigerter Reflexivität. Wenn das zutrifft, stellt sich die Frage, ob es nicht auch gegenläufige Tendenzen gibt, bei denen durch Entgrenzung unserer Kommunikationsforen ermöglicht wird, dass wir uns trotz aller Differenzierung und Diffundierung dennoch auf einen gemeinsamen Fokus konzentrieren können, vielleicht sogar müssen. Auch dies ließe sich in der Tat behaupten. Was der Soziologe Ulrich Beck zeit seines Lebens als »Risiko-« und später dann als »Weltrisikogesellschaft« gekennzeichnet hat, nämlich die immer stärkere Interdependenz, die wir mit Blick auf Risiken und Gefährdungen, die unser diverser Lebenswandel überall auf der Welt zeitigt und dessen Folgen sich noch an den entferntesten Orten abzeichnen, käme hierfür als Beleg infrage.9 Wie mit der Digitalisierung eine Globalisierung von Wissens- und Kommunikationsforen und -formen in Echtzeit bewirkt wird, so wächst auch das Wissen um die gemeinsame Gefährdungslage, die zwar auch zuvor schon bestanden haben mag, die aber mangels Echtzeitmedien und multimedialer Streubarkeit kaum je eine so große Wahrnehmungsbreite erreicht hatte. Dass dies ganz und gar nicht-virtuelle Folgen haben kann, bemerken wir in den gegenwärtigen Herausforderungen um Geflüchtete. Damit zeigt sich: Wo die Wahrnehmung der Folgen unseres Handelns und die Möglichkeit gezielterer Kommunikation wächst, steigt auch der politische und 8

Mit Axel Honneth und anderen verstehe ich – im Anschluss an Anthony G. William – unter »Digital Divide« die demokratiepolitisch gefährliche Tendenz »einer sozialen Spaltung in der Art des Umgangs mit den neuen Medien, durch die sich die bereits bestehenden Differenzen im Grad der demokratischen Beteiligung nur noch weiter vertiefen könnten« (Axel Honneth, Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit, Berlin 2011, 563), weil das Internet »im Fall seiner politischen Nutzung eine Verlagerung des demokratischen Meinungsaustauschs nach außen, in Gesprächsforen und interaktive Netzwerke hinein, für die Ort und Zeit keine Begrenzungen mehr darstellen« (ebd., 565), bewirken kann. Damit aber werden den klar nach »innen« umgrenzten, rechtlich-politischen Verantwortungsräumen wichtige Ressourcen abgezogen, insbesondere das hohe Gut sozialer Verantwortungsbereitschaft für das eigene Gemeinwesen und aller seiner Mitglieder. 9 Vgl. Ulrich Beck, Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit, Frankfurt a.M. 2007.

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität?

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moralische Handlungsdruck. Dabei wäre der Komplexitätssteigerung der Handlungszusammenhänge sodann eine gesteigerte Reflexivität zu ihrer Steuerung und Bewältigung an die Seite zu stellen. Nicht nur neuartige Möglichkeiten der Lebenswissenschaften und biomedizinische Techniken, sondern ebenso sehr das Wissen um den globalen Handlungs-, damit Einfluss- und Gefährdungsraum sowie die damit zur Wahrnehmung gebrachten vielfältigen neuen Lebenschancen und Lebensoptionen, nicht zuletzt in religiöser Hinsicht, machen dann auch deutlich, worin die gewachsenen Anforderungen an den Bildungsbereich in einer Wissensgesellschaft bestehen könnten: Nicht mehr nur Moral, sondern eben Bildung ist ein Preis der Moderne, um einen Buchtitel Otfried Höffes zu variieren.10 2. Ethische und religiöse Bildung im Zeitalter gesteigerter Reflexivität Meine bisherigen Überlegungen galten ganz generell einer Gegenwartsdiagnose in kulturtheoretischer und ethischer Absicht. Sie bezogen zwar den Bildungsbereich mit ein, aber haben ihn nicht unbedingt primär vor Augen gehabt. Das soll sich nun ändern, wenn wir nach den Aufgaben ethischer und religiöser Bildung am Ort der Schule fragen wollen. Gleichwohl wäre es vermessen, den schulischen Kontext aus den generellen Beschreibungen der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und Tendenzen herauszulösen. Das wäre schon in empirischer Sicht falsch. Es ist aber auch aus systematischen Gründen unbefriedigend. Operiert doch jede Bildungsethik und jede Bildungstheorie stets zugleich mit einer Ansicht davon, wie sich die Schule in das Setting institutioneller Arrangements und lebensweltlicher Praktiken einfügt, das wir Gesellschaft nennen.11 Schulen lassen sich meiner Auffassung nach – und hier folge ich den Ausführungen des amerikanischen Bildungstheoretikers und Pragmatisten John Dewey12 – als zukünftige Gesellschaften im embryonalen Zustand beschreiben.13 Das gilt deswegen, da sich in ihr die jetzigen 10

Vgl. Otfried Höffe, Moral als Preis der Moderne. Ein Versuch über Wissenschaft, Technik und Umwelt, Frankfurt a.M. 1993. 11 Das gilt z.B. auch dann, wenn die Schule zum herausragenden Ort von »Resonanz-« bzw. »Entfremdungserfahrungen« und damit zum gesamtgesellschaftlichen Diagnostikum erklärt wird, wie dies faktisch bei Hartmut Rosa geschieht. Vgl. Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin 2016, 402–420. 12 Die Relevanz Deweys für die pädagogischen Diskussionen sowie das langanhaltende Verschweigen seines Ansatzes in den bundesdeutschen Bildungsdebatten rekonstruiert Jürgen Oelkers in seinem ingeniösen Buch: Jürgen Oelkers, John Dewey und die Pädagogik, Weinheim/Basel 2009. 13 Dewey spricht in der Einleitung zu seiner wichtigen Schrift »The School and Society« (1900) von der Schule als »a miniature community, an embryonic society« (John Dewey, The School and Society. The Child and the Curriculum. An Expanded Edition with a new Introduction by Ph.W. Jackson, Chicago/London 1990, 18.)

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gesellschaftlich verantwortlichen Generationen um die Weitergabe des notwendigen und sinnvollen Wissens einerseits, der entsprechenden Fähigkeiten und Fertigkeiten andererseits an die nachfolgende Generation bemühen, derer es bedarf, damit das Zusammenleben nicht nur funktioniert, sondern damit es sich womöglich auch verbessert; was auch immer dies dann konkret bedeuten mag. Umgekehrt muss sich deshalb der soziokulturelle Wandel auch auf die Ausgestaltung des Schullebens auswirken: »The obvious fact is that our social life has undergone a thorough and radical change. If our education is to have any meaning for life, it must pass through an equally complete transformation«, schreibt Dewey seinerzeit und fügt an: »The introduction of active occupation, of nature-study, of elementary science, of art, of history; the relegation of the merely symbolic and formal to a secondary position; the change in the moral school atmosphere, in the relation of pupils and teachers – of discipline; the introduction of more active, expressive, and self-directing factors – all these are not mere accidents, they are necessities of the larger social evolution. It remains but to organize all these factors, to appreciate them in their fullness of meaning, and to put the ideas and ideals involved into complete, uncompromising possession of our school system. To do this means to make each one of our schools an embryonic community life, active with types of occupations that reflect the life of the larger society and permeated throughout with the spirit of art, history, and science.«14 Die elementare politische Dimension nicht nur von Schule an sich, sondern von Curricula, Schul- und Unterrichtsformen scheint damit klar. Schulen sind aber auch deswegen für moderne Wissens- und Kommunikationszusammenhänge von herausragender Bedeutung, da sie selbst das Produkt der Zunahme von Komplexität und Reflexivität sowie ihrer Wahrnehmung in unseren Lebenszusammenhängen darstellen. Um noch einmal Dewey selbst zu Wort kommen zu lassen: »Schulen entstehen, grob gesagt, wenn die sozialen Überlieferungen so verwickelt geworden sind, daß ein beträchtlicher Teil davon niedergeschrieben und durch schriftliche Symbole weitergegeben werden muß. Schriftliche Symbole (…) können nicht in zufälligem Wechselverkehr mit anderen zufällig angeeignet werden (…) Sobald daher eine Gemeinschaft in erheblichem Maße von dem abhängig ist, was jenseits ihres eigenen Gebiets und des lebenden Geschlechtes liegt, muß sie sich auf die Einrichtung der Schule verlassen, um eine angemessene Weitergabe aller ihrer Hilfsmittel zu sichern.«15 14 15

Dewey, The School and Society (s. o. Anm. 13 ), 28f. John Dewey, Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. Hg. und mit einem Nachwort versehen von J. Oelkers, Weinheim/Basel 1993, 38.

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität?

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Schulen mit ihrer Aufgabe der professionellen Inszenierung und Gestaltung von Bildungs-, Ausbildungs- und Erziehungsprozessen müssen also versuchen, mit den Veränderungen innerhalb der gesamtgesellschaftlichen Kommunikation Schritt halten zu können; vielleicht mehr als alle anderen Institutionen zur Befriedigung gesellschaftlicher Grundbedürfnisse und -funktionen. Gleichwohl – und das macht einen weiteren Aspekt der paradigmatischen Gestalt von Schulen aus – können sie auch selbst solche Veränderungen auf nachhaltige Weise in Gang setzen. Ihre Eigenart als experimentelle Lern- und Erfahrungsgemeinschaften, in denen – jedenfalls unter optimalen Bedingungen – Schülerinnern und Schüler unterschiedlichster kultureller, ethnischer, religiöser und sozialer Herkunft zusammenkommen, vermag es, künftige gesellschaftliche Lernund Aushandlungsprozesse einzuüben und so neue Wege zu ihrer, d.h. der gesellschaftlichen Gestaltung auszuprobieren. Dabei ist entscheidend, dass der Umgang mit der Pluralität, wie sie sich aus den diversen Prozessen der Komplexitätszunahme ergibt, ein wesentlicher Bestandteil dessen ist, was wir als Bildung bezeichnen können. Deswegen hat die Schule »auch die Aufgabe, innerhalb der Dispositionen des Individuums die verschiedenen Einflüsse der verschiedenen Umgebungen, in die die einzelnen eintreten, zu koordinieren.«16 Eine Bildung, die zeitgemäß ist, zielt auf Pluralitätsfähigkeit und Kompetenz im Umgang mit den verschiedensten Formen des Pluralismus. Das gilt erst recht, wenn man mit guten Gründen am klassischen und in diesem Sinne umfassenden Bildungsbegriff festhält, der Bildung als »Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertebewusstsein, Haltungen (Einstellungen) und Handlungsfähigkeit im Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens«17 begreift und sie eo ipso auf den »ganzen Menschen«18 zielen lässt. In diesem Zusammenhang kommt nun sowohl der ethischen als auch der religiösen Bildung eine wichtige Rolle zu, die sich gleichwohl nicht immer angemessen auf der Stundentafel repräsentieren lässt; was allerdings keine Entschuldigung für einen verantwortungslosen Umgang mit der Stundenverteilung für Ethik und Religion darstellt. Überhaupt muss man davor warnen, die Frage nach dem Zusammenhang und der Differenz von ethischer und religiöser Bildung mit der Frage nach dem Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht, ihrer möglichen Kooperation und Konkurrenz, vorschnell gleichzusetzen. Denn ethische Bildung ist keineswegs allein auf den Ethikunterricht beschränkt, den man politisch mitunter »für alle« fordert.19 Ethische Themen, bei denen es um 16 17

Ebd., 41. Maße des Menschlichen. Evangelische Perspektiven zur Bildung in der Wissensund Lerngesellschaft. Eine Denkschrift des Rates der EKD, Gütersloh 2003, 66. 18 Ebd., 89. 19 Und zwar nicht nur auf Seiten der säkularen Kritiker jeglichen Religionsunterrichts, sondern etwa auch bei katholischen Vertretern eines konfessionellen Religionsunter-

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Fragen eines gerechten und gelingenden, für alle guten und der eigenen Lebensgestaltung Freiraum gewährenden Zusammenlebens geht, stellen sich nicht nur – und mitunter sehr viel leichter andernorts – am Ort ihrer unmittelbaren Thematisierung in einem entsprechenden Schulfach. Ob man das gleiche für die religiöse Bildung sagen kann, wäre hingegen zu fragen. Jedenfalls, wenn man zugesteht, dass religiöse Bildung nicht mit dem notwendigen Anliegen elementarer religionskundlicher und religionsgeschichtlicher Literacy zusammenfällt. Zwar kann letztere auch vom konfessionellen Religionsunterricht mit übernommen werden. Gleichwohl ist sie auch dort erforderlich, wo dieser in freier Entscheidung nicht gewählt wird. Religiöse Bildung bedeutet demgegenüber ein exemplarisches wie paradigmatisches Sich-Einlassen-Können auf eine bestimmte Einstellung, Haltung und Ansicht zur nicht nur moralischen, sondern mindestens transmoralischen, eben auch transzendenten Perspektive auf unser Leben und auf die Welt, in der wir dieses führen. Religion kann man analog zu Sprachen nicht dadurch erlernen, dass man sich unterschiedliche Grammatiken aneignet und dann der Ansicht ist, gleichsam in einer Vogelperspektive darüber meta-theoretisch Urteile fällen zu können. So hat das George Santayana einmal scharf auf den Punkt gebracht.20 Geht man also weniger von den jeweiligen Fachabgrenzungen aus und achtet man hingegen stärker auf die Eigenart spezifischer Bildungsprozesse und ihrer Komponenten – der ethischen und religiösen in diesem Fall –, dann lassen sich sehr wohl Unterschiede bestimmen, die jedoch weniger in sachlichen Themenbeständen als in der Art der notwendigen Kommunikations- und Aneignungsforen und -formen begründet liegen. Ethische Bildungsprozesse haben ihren Ort in der Schule eigentlich in allen Bereichen des Unterrichtsgeschehens, mal in mehr thematisierter, mal mehr in habitualisierter und inszenierter Gestalt. Dabei beziehen sie auch die über das engere Unterrichtsgeschehen hinausgehenden schulischen Aktivitäten mit ein. Nicht nur, weil der Kern ethischer Bildung in der thematischen Ausrichtung auf Fragen des guten und richtigen Zusammenlebens in gegenseitiger Kommunikation und Kooperation liegt, sondern weil diese nur gelingen kann, wenn sie sich in der bewussten Gestaltung von Bildungs- konkret: von Unterrichtsprozessen zur Darstellung bringen lässt, bleibe ich skeptisch gegenüber einer richts, wie Ernst-Wolfgang Böckenförde oder Robert Spaemann. Vgl. nur: ErnstWolfgang Böckenförde, Religion im säkularen Staat, in: ders., Kirche und christlicher Glaube in den Herausforderungen der Zeit. Beiträge zur politisch-theologischen Verfassungsgeschichte 1957–2002, 2. erw. Auflage (fortgeführt bis 2006), Berlin 22007, 425– 437, hier 435ff. 20 Vgl. George Santayana, Reason in Religion, in: ders., The Life of Reason, Amherst (NY) 1998, 180: »The attempt to speak without speaking any particular language is not more hopeless than the attempt to have a religion that shall be no religion in particular.«

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität?

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Überbewertung eines Werte- und Normenunterrichts zur Aufrechterhaltung eines staatsbürgerlichen Ethos für eine scheinbar sodann aufgeklärte demokratische Zivilgesellschaft.21 Hier wird Ethik zu einem Teilbereich disqualifiziert, dessen Funktion zumal auf einen sehr eng umgrenzten Bereich von Rechtsloyalität verengt wird. Gerade in multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften dürften die damit verbundenen Erwartungen aber ins Leere laufen. Der Umgang mit Pluralität zielt mit Blick auf die ethische Bildung hingegen darauf, die Differenzen in der Auseinandersetzung um das, was uns als gemeinsame Werthaltungen und verbindendes Normbewusstsein erscheinen kann, herauszuarbeiten und (kontrovers) zu thematisieren. Demgegenüber erscheint es sich mit Blick auf die Eigenart religiöser Bildungsprozesse gerade umgekehrt zu verhalten. Hier kann es zunächst gar nicht darum gehen, von einem Gemeinsamen bzw. wenigstens unterstellten Gemeinsamen auszugehen. Vielmehr ist es erforderlich, sich in exemplarischer Weise auf eine bestimmte Sicht auf die Welt und das Leben einzulassen, und zwar unter der Perspektive einer Lebenspraxis, die über das Vorfindliche hinausgeht und dieses auch symbolisch zu artikulieren vermag.22 Daher korrespondiert in der Tat ein positionell gehaltener Religionsunterricht, der in seiner 21

Diese Forderung taucht regelmäßig in der politischen Debatte auf, und zwar von Protagonisten (fast) aller Parteirichtungen und stets dann, wenn kriminelle oder terroristische Akte von Personen mit Migrationshintergrund und differenter, religiös-kultureller Prägung begangen wurden. Aber ein Werte- und Normenunterricht kann dem Einüben und Einleben in eine »offene Gesellschaft«, in der kulturelle Tatbestände – wie im Pluralismus üblich – als Resultate von Aushandlungsprozessen üblich sind, gar nicht vorgreifen. Die politisch inszenierten Forderungen fördern nur ein Erwartungsniveau, das schon aus strukturellen Gründen zum Scheitern verurteilt ist. 22 Der Vorschlag, ethische und religiöse Bildungsprozesse und damit auch die im dritten Punkt verhandelten Formen von (ethischer und religiöser) Urteilskraft entlang einer gegenläufigen Richtung der Perspektivierung – entweder vom Allgemeinen zum Besonderen oder umgekehrt – zu unterscheiden, beansprucht keine Exklusivität, sondern ist vorläufig. Dies wäre Teil einer Antwort an meinen Göttinger Kollegen Holmer Steinfath (vgl. dessen Beitrag in diesem Band), der in der anschließenden Diskussion zu meinem Vortrag Zweifel an diesem Vorgehen angemeldet hat. Immerhin würde eine solche Differenzsetzung den unsinnigen Versuch vermeiden, Ethik und Religion entlang bestimmter Themen zu sortieren. Schließlich vermeidet er auch den ebenfalls abwegigen, gleichwohl immer noch prominent vertretenen Vorschlag, eine Ebene universaler bzw. universalisierbarer Moral von stets partikularen Weltsichten (Ethos) abzuheben. Beide, Ethik und Religion, die freilich nicht in Ethos aufgeht, stellen vielmehr Gestalten eines »inchoativen Universalismus« dar, deren Perspektivierung (z.B. im Unterricht) stets darin bestehen muss, »das Universale und das Geschichtliche miteinander [zu] verschränken«, wobei »andererseits [...] dieser Anspruch zur Diskussion gestellt werden [muß], und zwar nicht auf einer rein formalen Ebene, sondern auf der Ebene der den konkreten Lebensformen innewohnenden Überzeugungen (...). In dieser Hinsicht ist ein Gesicht der praktischen Weisheit (...) die Kunst des Gesprächs, in der Argumentationsethik sich im Konflikt [!; sc. C.P.] der Überzeugungen erprobt.« (Paul Ricœur, Das Selbst als ein Anderer [1990], München 22005, 350f.)

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institutionellen Form nicht zwingend an das bundesdeutsche Modell geknüpft ist, mit dem Anliegen exemplarisch angelegter religiöser Bildung. Gleichwohl kann und darf auch ein solcher Unterricht nicht über die gesellschaftlichen Bedingungen, will sagen: über seinen multireligiössäkularen Kontext hinwegsehen, so, wie er auch nicht an der Tatsache vorbeigehen darf, dass immer weniger Schülerinnern und Schüler, die an ihm teilnehmen, noch eine religiöse Bindung aufgrund familiärer Herkunft haben. Das aber bedeutet, dass er das eigene religiös-positionelle Sinn- und Deutungsangebot so präsentieren muss, dass mögliche Alternativen mitthematisiert und trotz aller Differenzen auch mögliche Überschneidungen angedacht werden können. Interkulturelle und interreligiöse Bildung weisen dabei gegenüber dem, was ich weiter oben als ethische Bildung im engeren Sinne bezeichnet habe, eine umgekehrte Ausrichtung auf: Sie gehen vom Eigenen bzw. Partikularen aus, um auf diese Weise schärfer das Andere als das Fremde und dann auch als das dabei überraschend Gemeinsame oder Analoge thematisieren und artikulieren zu können. Vor diesem Hintergrund lassen sich aus der Perspektive des unter dem ersten Punkt über das Zeitalter der Reflexivität Geschilderten, Herausforderungen und Probleme aufzeigen, die zu einer Verschärfung der Ausgangslage für das Gelingen ethischer und religiöser Bildungsprozesse führen können. So lassen sich zum einen ethische und religiöse Einstellungen und Haltungen nur dann identifizieren, differenzieren, kritisieren und neu formulieren, wenn sie sich primär artikulieren lassen. Das setzt die elementare Kompetenz voraus, ein spezifisches Vokabular bedeutungsprägnant gebrauchen zu können. Andernfalls drohen Missverständnisse, ja Fehleinschätzungen und Selbsttäuschungen. Sprachfähigkeit lautet hier das Stichwort.23 Ethik und Religion hängen somit vom Erlernen religiöser und ethischer Kommunikationsstile ab. Dazu gehört schon von der Sache her und insbesondere für den Bereich der Religion auch 23 Mit dem Insistieren auf der Sprachfähigkeit ist jedoch keinesfalls die Ansicht vertreten, es bedürfte »nur« einer besseren Vermittlung bzw. Kommunikation von religiösen Sachgehalten. Vielmehr findet die Sprache und die darin mitgeteilte bzw. mitzuteilende »Sache« allererst im Modus der Artikulation des Bedeutsamen zu ihrer jeweiligen (Bedeutungs-)Gestalt. In diesem Punkt unterscheidet sich meine Position von der Verhandlung des Problems der »theologischen Sprachfähigkeit«, wie sie Eilert Herms vorgelegt hat (vgl. Eilert Herms, Theologische Sprachfähigkeit in nichtchristlichen Kontexten, in: Marburger Theologisches Jahrbuch Bd. XXVI: Gemeinwohl, hg. von E. Gräb-Schmidt / R. Preul, Leipzig 2014, 151–165) und der einerseits das Sachproblem religiöser Sprache als vorrangig (vgl. ebd., 164) erachtet, andererseits deswegen nicht von »Sprach-«, sondern von »Sprechfähigkeit« (ebd., 161) reden will. Gleichwohl stimme ich Herms in seinem Grundanliegen zu, wonach zur »Sprachfähigkeit des Christen« ein »Doppeltes« gehört, nämlich »die Fähigkeit des Sprechens im feiernden Mitvollzug« (also der religiösen Praxis, z.B. der Liturgie; ebd., 160) und der »Fähigkeit zum Sprechen über den eigenen feiernden Mitvollzug« (also zum Diskurs über das darin »sachlich« zur Darstellung kommende; ebd.).

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der produktive Umgang mit radikaler Unbestimmtheit. Denn Religion bedient sich stets darstellender Symbole für das eigentlich Undarstellbare. Zugleich muss sie darauf achten, dass sie den Nicht- oder Andersglaubenden weiterhin die Möglichkeit gibt, wenigstens den Sinn bzw. die Bedeutung ihrer religiösen Worte und Bilder zu erahnen.24 Untersuchungen zur Religiosität Jugendlicher in unseren Gesellschaften belegen, dass diese sich keineswegs als religiös unmusikalisch betrachten, sondern vielmehr als religionsaffin angesehen werden können,25 was gleichwohl schwierig ist. Denn sie können häufig genug ihr Verhältnis und ihre Einstellung zur eigenen Religiosität nicht wirklich thematisieren, weil ihnen sprichwörtlich die Sprache dafür, die Fähigkeit zu angemessenem Ausdruck fehlt. Artikulatorische Kompetenz aber wird immer dann weiter untergraben, wenn die ohnehin suggerierte Beliebigkeit in der Wortwahl noch mit dem (theoretischen) Anspruch vermeintlicher Austauschbarkeit von Sprachvokabularien Hand in Hand geht. Mit der Diffusion eindeutigen Sinns in der Kommunikation geht zugleich ein Diffundieren dessen worüber gesprochen und was zur Sprache gebracht werden soll einher; mit der Folge eines Verlustes an Differenzbewusstsein. Genau hierin liegt in meinen Augen eine Gefahr, die mit der Kreuzung der moralischen, kulturellen und religiösen Pluralismen mit dem, was ich den medialen Pluralismus genannt habe, jedenfalls nicht geringer wird. Gerade weil aufgrund der prinzipiellen Unabschließbarkeit religiöser Sinndeutung Religionen zu erhöhter Ambiguitätstoleranz gefordert sind, sind die Folgekosten eines Diffundierens jeglicher Differenzwahrnehmung nirgendwo deutlicher bemerkbar als im Umschlag von religiöser Toleranz in religiöse Indifferenz oder stummer Vagheit.26 Der Ruf nach sensiblerer Medienkompetenz hat hierbei jedenfalls seine Berechtigung, ohne damit in Medienschelte zu verfallen. In einem Zeitalter gesteigerter ethischer Reflexivität müsste es uns jedoch gelingen – und darin liegt die 24

Die These von der »Darstellung des Undarstellbaren« (P. Bahr) widerspricht nicht der Folgethese, dass gleichwohl religiöse Artikulations- und Symbolisierungsversuche in ihrem Gehalt explizierbar sein müssen. Explikation des Sinns und der Bedeutung ist nicht gleichbedeutend mit dem Aufweis ihrer Wahrheitsgeltung. 25 Die Ergebnisse der jüngsten Shell-Jugendstudien (zuletzt 2015) widersprechen dieser Beobachtung insofern nicht, da die Fragen nach der Relevanz von Religion im Alltag von Jugendlichen deutlich durch das institutionelle (Nicht-)Vorhandensein entsprechender Kommunikationsforen, z.B. im Elternhaus (Familie), in der jeweiligen Kirchen-, Moschee-, bzw. Synagogengemeinde und/oder im Religionsunterricht, vorgeprägt sind. Ethisch gesehen bedeutet dies allerdings in Konsequenz, dass es Religion nie ohne Institutionen ihrer Vermittlung, Thematisierung und permanenten Kommunikation geben kann. 26 Zugespitzt führt die pseudo-liberale Ansicht von der »Privatsache Religion«, die auf diesem Feld alle Ansichten zu erlauben scheint, entweder zu einer naiven Einstellung hinsichtlich der sozialen Auswirkungen religiöser Einstellungen oder aber – und schlimmer noch – zu einem latent totalitären Zug, der die religiöse Differenz durch Gleichgültigkeit verachtet.

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zentrale Herausforderung, mittels dieser neuen Kommunikationsformen Reflexionskompetenzen zu fördern, die der Sache von Moral und Religion, freilich von Bildung insgesamt, förderlich sind. Das betrifft wiederum in besonderer Weise den Bereich der Schule, ist aber nicht minder wichtig – nehmen wir den erwähnten politischen Pluralismus noch hinzu – für die gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit. 3. Auf dem Weg zu einer Ethik der Reflexivität in bildungstheoretischer Perspektive Reflexivität, so sagten wir eingangs, stellt ein Strukturelement aller kulturellen Praktiken und Leistungen des Menschen dar. Das lässt die Vermutung zu, dass mit der Veränderung kultureller Settings, Techniken und Kommunikationsforen eine (nachholende) Reflexionssteigerung notwendig wird, was sich zudem wenigstens andeutungsweise aufzeigen lässt. Ob sie auch genutzt wird, steht auf einem anderen Blatt. Dennoch bleiben Optionen der Anpassung, Verbesserung oder der Erinnerung an das, was vormals von Nutzen war, offen; und solange diese sich in die veränderten Problemlagen nicht nur einfügen lassen, sondern gar helfen, diese Veränderungen human zu begleiten, ist ihnen ihr Wert nicht abzusprechen. Diese Vorbemerkungen mache ich, weil es jetzt darauf ankommt, in einer nur noch in Umrissen möglichen Skizze Hinweise zu einer Ethik der Reflexivität in bildungstheoretischer Perspektive zu geben. Hierzu greife ich zunächst auf eine alte Figur aus der Philosophie Kants zurück, unter die ich die folgenden abschließenden Überlegungen stellen möchte: nämlich die der Urteilskraft. Kinder und Jugendliche nehmen in den verschiedenen Bereichen ihrer schulischen, multimedialen und peer-group orientierten Lebenswelt eine massive Pluralität an Einstellungen, Wertmaßstäben und Glaubensansichten wahr. Insofern geht es in Bildungsprozessen stets auch darum, sie anzuleiten, wie sie sich dazu mit einer kritischen Haltung sich selbst und anderen gegenüber verhalten können. Kurzum: Was benötigt wird, ist die Einübung und Schärfung ihrer kontextsensiblen Urteilskraft. Man mag das – wenngleich unter Pädagogen und Bildungsforschern nicht allzu beliebt – durchaus zutreffend auch Kompetenz nennen. Fällt doch darunter zum einen die Möglichkeit der Identifizierung und Benennung derjenigen Sachverhalte, über die es sich ins Verhältnis zu setzen gilt und worüber man sich mit anderen austauscht. Zum anderen geht es dabei um die Möglichkeit, diese Sachverhalte in Beziehung zu sich und anderen zu setzen, kurzum darüber zu reflektieren. Nun wusste schon Kant, dass kulturelles und soziales Miteinander wesentlich darauf basiert, zwar nicht zwingend die gleichen Werte, Glaubensansichten und politischen Überzeugungen teilen zu müssen,

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aber gleichwohl dazu eines sensus communis, eines Ansinnens auf Gemeinsinn zu bedürfen. Hierzu ist eine innere Strukturierung des Denkens von Nöten, das sich als reflexives vollzieht und schließlich zur Urteilskraft ausreift. Drei Maximen, Gebote »des gemeinen Menschenverstandes« spielen hierfür eine Rolle: »1) Selbst denken, 2) Sich (in Mitheilung mit Menschen) in die Stelle jedes Anderen zu denken, 3) Jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken.«27 Diese Trias lässt sich als die Ausbildung reflexiver Einstellungen und Haltungen verstehen und kann so als das innere Ziel von Bildungsprozessen begriffen werden. Wer dazu nicht fähig ist, der ist schon bei Kant ein »Cyklop«. Also jener Einäugige, der es nicht vermag, sich selbst über den Umweg, also aus dem Blickwinkel eines Anderen zu betrachten und somit neu sehen zu lernen.28 Ein »Pluralist« ist demgegenüber ein Mensch, der es zu einer wahrlich weltbürgerlich, d.h. umfassend gebildeten und deshalb globalen Einstellung und Haltung im Leben gebracht hat. »Weltbürgerlich« bedeutet so viel wie: um die Perspektivendifferenzen mit Blick auf die gemeinsame Welt zu wissen.29 Pluralismus setzt demnach Reflexivität voraus, und gesteigerter Pluralismus fordert umgekehrt gesteigerte Formen von Reflexivität. Das, was Kant in den drei Maximen der praktischen Denkungsart zu Sprache gebracht hat, zielt, so könnten wir sagen, zunächst und basal auf eine Form kommunikativer Urteilskraft, die darum weiß, dass man der Anderen bedarf, um sich selbst mit ihnen zusammen über eigene wie fremde Meinungen auszutauschen und beide so kritisch reflektieren zu können. Kritik setzt Reflexivität voraus und beides bedarf der Sozialität als Plura27

Immanuel Kant, Kritik der Urtheilskraft (1790), zitiert nach: Kants Werke. Akademie Textausgabe, Bd. V: Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urtheilskraft, Berlin 1968, § 40, 294, wobei Kant sodann erklärend hinzufügt: »Die erste ist die Maxime der v o r u r t h e i l s f r e i e n , die zweite der e r w e i t e r t e n , die dritte der c o n s e q u e n t e n Denkungsart.« (ebd.) Damit unterstreicht Kant die Notwendigkeit von Kritik, Offenheit und Kohärenz eines auf Pluralität sinnenden Gemeinsinns. – Es ist das Verdienst von Hannah Arendt gewesen, diese Grundkonstante kantischen Denkens – zunächst an der Darlegung des ästhetischen Geschmacksurteils vorgenommen – in ihrer prinzipiellen Bedeutung für Kants Politische Philosophie entdeckt zu haben, vgl. Hannah Arendt, Das Urteilen. Texte zu Kants Politischer Philosophie, hg. und mit einem Essay versehen von R. Beiner, München 1985. 28 In seinen Reflexionen zur Anthropologie (1798) gebraucht Kant dieses Bild mit Blick auf den sich als Gelehrten stilisierenden Egoisten, dem es an einer zweiten Perspektive mangelt: mehr denn je hätte dieser nämlich »noch ein Auge nöthig, welches macht, daß er seinen Gegenstand noch aus dem Gesichtspunkte anderer Menschen ansieht.« (Immanuel Kant, Reflexionen zur Anthropologie, in: Kants Schriften. Akademie-Textausgabe. Abteilung III: Handschriftlicher Nachlass, Bd. XV: Anthropologie, Berlin 1923, 395.) 29 Vgl. Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Kants Werke. Akademie Textausgabe, Bd. VII: Der Streit der Fakultäten. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Berlin 1968, § 2, 130: »Dem Egoism kann nur der P l u r a l i s m entgegengesetzt werden, d.i. die Denkungsart: sich nicht als die ganze Welt in seinem Selbst befassend, sondern als einen bloßen Weltbürger zu betrachten und zu verhalten.«

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lität.30 Deshalb ist aber nicht jede Meinung, selbst wenn sie sich der neuen medialen Meinungsforen zu ihrer Verbreitung und Bestätigung durch Gleichgesinnte bedient, eine öffentliche. Denn Öffentlichkeit wiederum setzt Andersheit voraus. Sie setzt sich anderen, oftmals konträren Meinungen bewusst aus und zielt dabei darauf, wenigstens prinzipiell den eigenen Standpunkt jedem anderen ansinnig, d.h. plausibel machen zu können. Umgekehrt bedeutet das freilich, bereit zu sein, sich prinzipiell jedem Einwand zu stellen, so er nur selbst auf kommunikative Reflexivität aus ist und nicht nur übervorteilen oder rhetorisch überwältigen will. Daran knüpft auch jene dialogische Urteilskraft an, die in besonderer Weise sich an den Einstellungen bestimmter Anderer abarbeitet, um so ein bestimmtes Verhältnis zur Eigenart des Anderen als dem Differenten zu entwickeln. Sie ist als Praxis und Haltung entscheidend, wenn es darum geht, spezifischere Formen von Reflexivität und Urteilskraft einzuüben, allen voran ethische und religiöse. Darum beharren die Stellungnahmen, etwa der EKD zu Bildung und Religionsunterricht, aber auch zu Fragen des interreligiösen Dialogs immer wieder zu Recht auf dem Zusammenhang von Dialog- und Pluralismusfähigkeit. Doch setzen beide Stufen der Reflexivität – die kommunikative im Weiteren und die dialogische im engeren Sinne – als Formen der Urteilskraft die Fähigkeit voraus, auf artikulatorische Weise das eigene Denken seiner selbst vorstellig und durch Mitteilung Anderen zugänglich zu machen. Erst darüber kann es zu einem besseren Verständnis, womöglich zu einer geläuterten Einstellung seiner selbst wie dem Anderen gegenüber, und mehr noch, der Sache, über die verhandelt wird, kommen. An dieser Stelle setzt die Kohärenz des Denkens, wie es Kant formuliert hat, die Kompetenz der Sprach- und Sprechweisen voraus.31 So gesehen ist vielleicht nichts mehr von Nöten, als unter Einbeziehung neuer Medien die Arbeit an der 30

»Im Kulturellen und im Politischen, also in dem ganzen Bereich des öffentlichen Lebens, geht es weder um Erkenntnis noch um Wahrheit, sondern um Urteilen und Entscheiden, um das urteilende Begutachten und Bereden der gemeinsamen Welt und die Entscheidung darüber, wie sie weiterhin aussehen und auf welche Art und Weise in ihr gehandelt werden soll.« (Hannah Arendt, Kultur und Politik, in: dies., Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I, hg. von U. Ludz, München 1994, 277–302, 300). 31 Auch daran erkennt man, dass Kants Vernunftverständnis nicht einfach monologisch zu begreifen ist, sondern in sich »soziomorph« (V. Gerhardt) strukturiert ist. Vgl. die Aussagen von Kant in einem Brief an Jacob Sigismund Beck vom 1. Juli 1794: »Ferner kann man eigentlich nicht sagen: daß eine Vorstellung einem anderen Dinge zukomme sondern daß ihr, wenn sie Erkenntnisstück werden soll, nur eine Beziehung auf etwas Anderem (als das Subject ist, dem sie inhärirt) zukomme, wodurch sie Anderen communicabel wird; denn sonst würde sie bloß zum Gefühl [...] gehören, welches an sich nicht mittheilbar ist. Wir können aber nur das verstehen und Anderen mittheilen, was wir selbst machen können, vorausgesetzt, daß die Art, wie wir etwas anschauen, um dies oder jenes in eine Vorstellung zu bringen, bey Allen als einerley angekommen werden kann.« (zitiert nach: Immanuel Kant. Briefe, hg. und eingeleitet von J. Zehbe, Göttingen 1970, 228).

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Befähigung zur prägnanten Artikulation und Darstellung eigener wie fremder religiöser und moralischer Ansichten fortzusetzen. Das zu fordern, ist angesichts eines massiven Traditionsabbruchs, was elementare religiöse Wissens- und Symbolbestände anbelangt, schwer genug, aber zwingend nötig. Hier könnten neue Formen medialer Vermittlung gleichwohl auch eine Chance bieten, jedenfalls dann, wenn man artikulatorische Prägnanz und mit ihr artikulatorische Urteilskraft, also das Wissen um das Zustandekommen religiöser und moralischer Bedeutungen und ihrer Unschärfen, nicht mit dem Wunsch nach semantischer, will sagen: lehrmäßiger Eindeutigkeit und bibelkundlichem Wissen, gleichsetzt. Zielte das bisher Gesagte auf generelle bildungstheoretische Aspekte einer Ethik der Reflexivität, so lassen sich auch stärker inhaltlich dimensionierte Aspekte angeben, die das Verhältnis und die Differenz von Ethik und Religion betreffen. Unter ethischer Urteilskraft kann dann die Maxime verstanden werden, stets auch den Anderen mit dessen Perspektive in die eigene Perspektive und Orientierungssuche einzubeziehen. Das bedeutet nicht zwingend, dessen Ansichten zu übernehmen, wohl aber, dass man um etwaige Unterschiede wie Überschneidungen nicht nur weiß, sondern diese auch im Sinne eines konstruktiven Zusammenlebens thematisieren, also artikulieren und besprechen kann. Wo der Andere oder die Anderen in diesem Sinne gar keine Rolle mehr spielen oder schlichtweg übergangen werden, kann sich jedenfalls keine moralisch gehaltvolle Kommunikation entwickeln und eine ethische Einstellung nicht eingeübt werden. Daran zeigt sich erneut, warum sich ethische bzw. moralische Urteilkraft in ihrer sachlich-thematischen Fokussierung nicht auf einen abgegrenzten Bereich einschränken lässt, so als ginge es ihr nur um die Fragen des richtigen und nicht auch des guten Lebens. Als ethische Reflexivität lässt sie sich prinzipiell immer mit thematisieren. Religiöse Reflexivität hingegen findet ihr Spezifikum darin, dass sie in besonderer Weise auf die Grenzen und möglichen Überschreitungen eines jeden Verständigungsprozesses, mit Hinblick auf die Positionen der Teilnehmer als auch mit Hinblick auf die Sachthemen achtet und diese reflexiv zum Thema macht. Was so abstrakt klingt, lässt sich vielleicht auch so formulieren: Religionen gehen aufs Ganze, sie umgreifen deswegen noch die Moral und die Welt, in der wir leben. Darin überschreiten sie zwangsläufig Grenzen und markieren diese jedoch zugleich mit ihrer Position. Allerdings dürfen sie dabei nicht vergessen, dass sie von etwas derart Umgreifenden reden, in das sie selbst inbegriffen sind. Deswegen erfordert der Ausblick aufs »Ganze« den kritischen Rückblick – eben die Reflexion – auf den, der da (religiös) spricht, und der – wie alle anderen auch – als ein einzelner, eben begrenzter Teilnehmer, dies bekundet. Religiöse bzw. theologische Urteilskraft32 zeigt sich somit darin, dass sie 32

Es wird hier bewusst nicht zwischen religiöser und theologischer Urteilskraft unterschieden, da mit Blick auf den Gesichtspunkt, auf den es hier ankommt, keine entschei-

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um beide Aspekte weiß und diese im eigenen Sprechen und Handeln reflektiert: nämlich, dass alle religiösen Traditionen zum einen mehr aussagen (müssen), als sie selbst fassen können. Das begründet ihre symbolische Eigenart. Zum anderen, dass diese symbolische Thematisierung selbst nur aus der Perspektive einer prinzipiell endlichen Sicht auf die Dinge in ihrer Gesamtheit geschieht, weswegen alle Symbole als »gebrochene« (Paul Tillich) zu begreifen sind. Es geht letztlich darum, Selbstbescheidung noch in der Anmutung religiösen Sinns zu üben, ohne deswegen in Indifferenz umzuschlagen, da auf dem Gebiet der Religion nur voneinander gelernt werden kann, wenn das Eigene im Spiegel des Fremden begriffen und somit womöglich besser verstanden wird. Über Religion kann man nur so kommunizieren, dass man um ihre Grenzen und Gefahren nicht abstrakt, sondern aus der Eigenperspektive weiß, und wenn man zugleich sich der »Gefahr« aussetzt, durch das Kenntlichmachen der eigenen Position sich den Widerspruch des Anderen zuzuziehen, ja am Ende von dessen Position sogar überzeugt wird. Aber in alledem gilt: Man muss erst eine Sprache gefunden haben, um in den Worten Kants selbst denken und sich dann dem andern mitteilen zu können, um schließlich zu erfahren, wie es um die eigene Position eigentlich bestellt ist. Wem das zu abstrakt ist, dem sei gesagt: Wenn Religion und wenn der Religionsunterricht im Besonderen sich den großen Fragen des Lebenssinns stellen, dann geht es zugleich um Identitätsbildung, um die Wahrnehmung und bisweilen auch Wahrung der eigenen Person. Dies setzt ein spezifisches Einüben einer religiösen Sprache voraus und dann auch deren kritische Betrachtung. Mit einem Fachkundigeren gesprochen, lautet die Maxime religionspädagogisch reflektierten Handelns: »Subjektwerdung fördern«33. Nun wäre es gewiss erforderlich, vor dem Hintergrund des hier zugegebenermaßen sehr allgemein Gehaltenen und prinzipiell Entfalteten Konkretionen einzufordern, etwa nach den Chancen neuer Medien im (Religions-)Unterricht oder zur Rolle einer zeitgemäßen Schule innerhalb des Sets von Institutionen, die unsere demokratische Öffentlichkeit konstituieren. Das muss jedoch einer anderen Gelegenheit vorbehalten bleiben. Gleichwohl möchte ich meine Überlegungen abschließend noch vor zwei Missverständnissen bewahren, die sich leicht einstellen könnten. Das eine Missverständnis ist schnell benannt, aber sitzt bisweilen tiefer als geahnt. Wenn ich von Reflexivität gesprochen habe, dann dende Differenz zu konstatieren ist. Religiöse und theologische Urteilskraft differieren zwar hinsichtlich ihres Abstraktionsgrades und der kontrollierten Methodenreflexion, die sie leiten, aber beiden liegt jene basale Form von kritischer Reflexivität zugrunde, wie sie oben thematisiert wird. 33 Vgl. die Ausführungen meines Göttinger Kollegen Bernd Schröder in seiner Grundlegung der Religionspädagogik: Bernd Schröder, Religionspädagogik, Tübingen 2012, § 14, 232–248.

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität?

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schien das so, als würde es sich um eine ausschließlich kognitive, intellektuelle Angelegenheit handeln. Das ist es mitnichten. Denn in allen Schritten, wie ich sie oben dargelegt habe, wurde Reflexivität – wie im Übrigen auch Kommunikation – als strukturelles Moment (oder Komponente) des praktischen Weltbezugs, d.h. der Orientierung von Menschen mit- und untereinander beschrieben. Reflexiv können, so betrachtet, Videoclips genauso sein wie geistliche Lieder; der Reflexivität kann eine Theaterinszenierung nicht weniger entbehren als eine politische Debatte. Vor allem aber kommunizieren wir häufig genug und oft nicht minder effektiv über nonverbale Zeichen: von Gestik und Mimik bis hin zum inflationären Gebrauch der Emoticons in SMS. In alledem kann, wie so vieles andere, auch Moralisches und Religiöses kommuniziert werden. Aber dass es sich dabei wesentlich um ein solches, eben Moralisches oder Religiöses, handelt, dazu bedarf es einer methodisch, didaktisch und mit Blick auf die Religion auch liturgisch gesonderten – Dewey hätte gesagt: »kontrollierten« – Kommunikationspraxis. Hieraus rechtfertigt sich im Übrigen ein fächer- und themengegliedertes Curriculum an den Schulen. Zum Einüben des Differenzbewusstseins bedarf es einer präzisen Differenzierung von Sachthemen und der Formen des Weltumgangs, welche allerdings wiederum aufeinander bezogen werden müssen. Nur so hat man die Chance, die Vielfalt der Artikulationsweisen einer Sprache zu erlernen und nur so lässt sich die Option zu prägnanter Kommunikation, zu produktivem Streit und zu ehrlichem Dialog aufrechterhalten. Auch dies zielt nie nur auf das Erlernen von Sprache, sondern ebenso sehr auf die Einübung von Haltungen, bestimmten Umgangsformen, Gesten und Handlungen.34 In der Moral und Kultur nicht weniger als ganz besonders auf dem Feld der Religion. Damit bin ich bei dem zweiten möglichen Missverständnis. Bislang könnte es so scheinen als würde ausgerechnet dasjenige soziale und politische Problem ausgeklammert, das meine Ausführungen doch in allem leitet und sich in ihrem Gefolge auch erst in aller Schärfe stellt: die Frage nach Integration und Inklusion in Zeiten harter Differenz und Pluralität. So war von Wertevermittlung zum Beispiel nur ganz am Rande die Rede. Dahinter steht eine sachlich geleitete, wenn auch persönlich motivierte Skepsis. Denn ich bin mir nicht sicher, ob der Umgang mit gesteigerter Pluralität über das erneute Bemühen, gemeinsame Werte zu finden, von Erfolg gekrönt sein wird. Zwar sind insbesondere in Wahlkampfzeiten solche Pathosformeln ebenso beliebt, wie sie in ihrem Inhalt unklar bleiben. Doch sprechen alle empirischen Fakten dagegen, 34

Auf der Fluchtlinie dieser Argumentation würde sich bspw. der Sinn des Sportunterrichts nicht auf körperliche Fitness und Gesundheitsbewusstsein beschränken, sondern das Einüben von kooperativer Intelligenz und Kreativität im leibhaften, eben spielerischen Umgang miteinander ebenso mit einbeziehen wie die Wahrnehmung eigenleibhaftiger Ausdrucksmöglichkeiten.

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allein oder zuvörderst mittels gezielter Forcierung gemeinsamen Wertebewusstseins – und sei es durch die Schule – den sozialen Zusammenhalt dauerhaft zu stärken. Soziale Kohäsion basiert mindestens genauso sehr, wenn sogar viel häufiger, auf der Gleichverteilung ökonomischer Chancen, politischer Mitbestimmung und einem Wohlstand, der eine breite Basis von Bevölkerungsgruppen umfasst. Damit kann eine Beschwörung gemeinsamer Werte allein kaum mithalten, denn diese müssten dann zwangsläufig so allgemein gehalten werden, dass zunehmend unklar erscheint, was dann darunter noch im Sinne einer reichhaltigen Moral gefasst sein soll. Wer dagegen auf die Leistungen des Rechts vertraut, dem sei in Erinnerung gerufen, dass unser Grundgesetz zwar Grundrechte. aber darum keine Grundwerte kennt35; dass unser Verfassungsgericht das Staatsvolk befreit sieht von jedwedem politischen Zwang zur Herstellung kultureller oder andersgearteter Homogenität. Mehr als Rechtstreue ist somit nicht nur nicht erforderlich, sondern würde als Rechtspflicht betrachtet auch unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung zuwiderlaufen. Schließlich aber verfehlte es auch die Lage, oder wer es größer haben will: das Zeitalter, in dem wir leben. Auch von daher erscheint die Umstellung auf eine Ethik der Reflexivität, die sich selbst zwar eher in abstrakten Formeln der Theorie zur Sprache bringt, aber sich gleichwohl in konkrete Unterrichtsformen umsetzen lässt, unserer Situation weitaus angemessener. Deswegen scheint bei Lichte besehen die Rede von der generellen Wertevermittlung, derer sich die Schule als ganze anzunehmen hätte, entweder zu unspezifisch (mit Blick auf die einzelnen Fächer und die Weisen, wie diese zu geschehen hätte) oder aber als gefährlich. Werte mögen moralische Ideale kennzeichnen, wie man gerne das Zusammenleben gestalten möchte. Aber weder von einer, geschweige denn restlosen Übereinstimmung in ihrem Inhalt, noch von einer Liste der zwingend zu teilenden Werte hängt der soziale Zusammenhalt im Kern ab.36 Es 35

Das ist mehr als eine semantische Trivialität. Denn Rechte basieren auf normativen Ordnungen und Argumenten, die einer anderen Logik folgen als es Werte im Sinne von evaluativen Einschätzungen tun. Insofern ist die vom BVerfGE in einer seiner frühen, freilich folgenreichen Entscheidungen verwendete Rede von einer »objektiven Wertordnung« (BVerfGE 7,198ff.) des GG selbst irreführend. Sie ist zwar weiterhin Referenzpunkt für eine Vielzahl an nicht-juristisch argumentierenden Positionen, jedoch in der Rechtswissenschaft und auch Verfassungsgerichtsbarkeit – Gott sei Dank! – zunehmend außer Kraft gesetzt. Damit wird nicht prinzipiell die Möglichkeit einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (auf das Privatrecht) bestritten, wie sie im Lüth-Urteil aus dem Jahre 1958 vorgenommen wird. 36 Insofern bleibt auch die Überzeugung gefährlich, weil diskreditierend, dass Werte zwingend auf Religion basieren. Abgesehen davon ist diese Ansicht empirisch schlicht nicht zu halten. Zum vielschichtigen Problem von Religion und Werten siehe die instruktiven Überlegungen in dem Sammelband: Braucht Werteerziehung Religion?, hg. von Hans Joas, Göttingen 2007.

Ein Zeitalter gesteigerter ethischer und religiöser Reflexivität?

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sind vielmehr, wie bereits betont, soziale, ökonomische und politische Partizipationsmöglichkeiten, die darüber wesentlich entscheiden, ob wir die Chance haben Pluralität – auch am Ort der Schule – zu gestalten, reflexiv einüben zu können und damit auch harte Differenzen zumindest auszuhalten lernen. Wertevermittlung geschieht dann eher (indirekt) im praktischen Vollzug und dort, wo sie als eingebettet erfahren werden in kulturelle (und religiöse) Praxen und Narrative, die freilich stets von Neuem wieder kritisch zu hinterfragen sind. So gesehen überfordert die singularische Rede von den Werten, von »der Leitkultur«, »den Werten der Aufklärung« oder der Gebrauch anderer Pathosformeln nur diejenigen, die tagtäglich das Beste geben, um stellvertretend für uns alle unserer Bildungsverantwortung gerecht zu werden. Notwendige Wertegeneralisierung, die dann so etwas wie einen »gemeinsamen Grund« (common ground) im Sinne einer konvergierenden Sicht auf gemeinsam zu verantwortende Herausforderungen und zu realisierende Ziele möglich machen, kann nur unter Wahrung der in sich bleibend differenten Wertüberzeugungen (hinsichtlich ihrer Begründungen) erfolgen.37 In diesem Sinne sei insbesondere denjenigen, die tagtäglich dafür einstehen, dass mit den nachwachsenden Generationen auch neue Möglichkeiten und Chancen zur gemeinsamen Gestaltung unseres Lebens reifen können, zum Trost gesagt: Werte sind beileibe nicht alles.

37 Der Begriff der »Wertegeneralisierung« stammt von Talcott Parsons. Inwiefern ein solcher Prozess gerade nicht bedeutet, die kulturellen und ggf. religiösen oder weltanschaulichen Wurzeln (Kontexte) der jeweiligen Positionen auszuklammern, zeigt mit Blick auf die Entstehung der (ethischen) Idee universaler Menschenrechte im 20. Jahrhundert sehr schön: Hans Joas, Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte, Berlin 2011, 251–281. Prägnant auch die schon zuvor getroffene Beschreibung des Prozesses der Wertegeneralisierung: »Hier entwickeln unterschiedliche, partikulare Werttraditionen in Auseinandersetzung miteinander ein allgemeines, meist auch abstrakteres Verständnis ihrer Gemeinsamkeiten.« (Hans Joas, Glaube und Moral im Zeitalter der Kontingenz, in: ders., Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz, Freiburg i.Br. 2004, 32–49, 47) Joas betont dabei zu Recht die bleibende Angewiesenheit dieser notwendigerweise abstrakteren Werthaltungen auf historisch wie kulturell variable Konkretionen.

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Religions- und Ethikunterricht im Alltag der Schule*

Bernd Schröder: Eingangs möchte ich zwei Phänomene knapp umreißen, die die Konstellation von Religions- und Ethikunterricht in der Schule, jedenfalls im Land Niedersachsen, über das wir vor allem sprechen, zur Zeit kennzeichnen. Erstens ist »Werte und Normen« (WuN) nach der schulrechtlichen Lage (in Niedersachsen) ein Ersatzfach für Religionsunterricht. Streng genommen müssten also immer Gewissensgründe oder ähnliche Motive angeführt werden, um sich vom Religionsunterricht abzumelden und stattdessen Werte und Normen zu besuchen. In der schulischen Praxis ist Werte und Normen hingegen mittlerweile zu einem Alternativfach geworden. Schüler und Schülerinnen entscheiden, ob sie das eine oder das andere Fach besuchen. Darüber hinaus wird an vielen Schulen – zumeist Gesamtschulen, aber nicht ausschließlich dort – im Grunde gar nicht mehr zwischen den Fächern unterschieden, sondern beides zusammen im Klassenverband unterrichtet. Das sind gewichtige Weichenstellungen. Zweitens haben sich, wenn man auf das Land Niedersachen schaut, in den letzten Jahren die Größenordnungen der Fächer verschoben. Der früher deutlich dominierende Besuch des Religionsunterrichts ist rückläufig, die Schülerzahlen in Werte und Normen sind gestiegen. Dies geschieht vor dem Hintergrund einer bis vor Kurzem insgesamt sinkenden Anzahl von Schülerinnen und Schülern. Diese zwei Entwicklungen sollten wir bei unserem Gespräch vor Augen haben. Nun aber sollen Till Warmbold und Rainer Merkel zu Wort kommen. Herr Warmbold, würden Sie sich kurz vorstellen und uns Ihre Rolle im Blick auf das Fach Werte und Normen erklären? Till Warmbold: Guten Abend und herzlichen Dank für die Einladung. Ich habe hier in Göttingen Philosophie und Deutsch studiert, mein Referendariat in Hamburg gemacht und bin seit 1983 am GeorgBüchner-Gymnasium in Seelze. Dort gab es damals schon Werte und Normen, aber nicht als Fach, sondern nur als Unterricht. Der politische Wille war, dass Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnahmen, nicht einfach frei haben, sondern einen anderen Un*

Das hier dokumentierte Gespräch fand im Rahmen der Vorlesungsreihe »Religionsund Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation« am 3. November 2016 statt. Es wurde für den Druck sprachlich geglättet und von den Herausgebern mit zwei erläuternden Fußnoten versehen.

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terricht erhalten sollten. Ganz ursprünglich sollte das »Religionskunde« sein,1 doch diese Idee wurde nicht umgesetzt, weil kein entsprechender Studiengang an den Universitäten angeboten werden konnte. So hat man einen Unterricht »Werte und Normen« eingeführt, der von vornherein – und auch in der Rückschau – mit einigen Besonderheiten behaftet war. Das fängt schon beim Namen des Faches an. Der Name »Werte und Normen« ist (seit 1974) im Niedersächsischen Schulgesetz (§ 128) verankert und wird sich schon deshalb nicht ändern. Das ist ein Hindernis für manche Studieninteressierte, weil es »Werte und Normen« außerhalb von Niedersachsen nirgendwo gibt. Inhaltlich gibt es aber starke Parallelen zum Fach Ethik in verschiedenen Bundesländern. Bei den einheitlichen Prüfungsanforderungen fürs Abitur in Ethik ist Werte und Normen inbegriffen, das heißt: Werte und Normen ist inzwischen Abiturprüfungsfach. Es gab aber viele Stationen auf dem Weg dahin: Erst wenn ein Fach auch ordentliches Schulfach ist, bekommt es eine eigene Fachkonferenz, einen eigenen Etat und nach Möglichkeit einen eigenen Pool von Lehrkräften. Dafür braucht man wiederum einen entsprechenden Studiengang und eigene Kerncurricula. Dies alles haben wir unter der Schwierigkeit entwickelt, dass Werte und Normen drei Bezugswissenschaften hat, nämlich Philosophie, Religionswissenschaft und Gesellschaftswissenschaften – was auch schon im Staatsvertrag festgeschrieben war. Die Studieninteressierten oder auch die Eltern von Kindern, die das Fach besuchen, fragen sich da vielleicht zu Recht: Was soll das für ein Fach sein? Diese drei Bezugspunkte zu koordinieren, ist in der Praxis nicht einfach. In Niedersachsen ist aus meiner Sicht das Problem, dass die Universitäten angehende Lehrerinnen und Lehrer für Werte und Normen höchst unterschiedlich ausbilden. Göttingen ist da, offen gesagt, nicht das beste Beispiel. Hier teilen sich die drei Disziplinen die Zuständigkeit und das bedeutet für die Studierenden, dass sie viel laufen, viel nach offiziellen Ansprechpartnern suchen müssen und dass sie eine gewisse Unsicherheit in der Gesamtstruktur ihres Studiums empfinden. Das sieht in Oldenburg ganz anders aus. Die Oldenburger Universität wollte schon immer eine gute Lehrerausbildungs-Universität sein und unter dieser Fahne segelt dort auch das Fach Werte und Normen. Hannover ist ein Mix. Wie an allen Universitäten wird dort nun auch die Frage 1 So heißt es im »Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen und der Freireligiösen Landesgemeinschaft Niedersachsen« vom 8. Juni 1970 in §2: »Das Land wird darauf bedacht bleiben, daß der in § 5 Abs. 6 des niedersächsischen Schulgesetzes an den öffentlichen Schulen vorgesehene religionskundliche Unterricht neben dem Religionsunterricht im Sinne der christlichen Bekenntnisse gleichberechtigt erteilt wird.« Zur Genese des Faches »Werte und Normen« vgl. den Beitrag von Jörg-Dieter Wächter in diesem Band.

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gestellt: Brauchen wir so ein Fach überhaupt? Können wir das Geld nicht anders ausgeben? Das Fach Werte und Normen sieht sich an den Universitäten unter Rechtfertigungsdruck. An den Schulen kommt noch eine zusätzliche Tücke hinzu, dass nämlich zum Teil fachfremd unterrichtet wird. Werte und Normen ist ein Fach, anhand dessen man die latente, vielleicht auch sympathische Anarchie des niedersächsischen Schulsystems kennenlernt. Es gibt Schulleiter, die rufen zwei Wochen vor Schuljahresbeginn einen Lehrer an und sagen: »Herr X, ich sehe gerade, Sie haben noch zwei Stunden frei, geben sie mal Werte und Normen in Klasse 8, das passt doch gut zu Ihren Fächern Geschichte und Deutsch.« Dann macht Herr X das. Das Gegenteil wäre mein früherer Schulleiter, der in den 1990ern, als Werte und Normen Schulfach wurde, zu uns sagte: »Das nehmen wir ganz ernst. Bilden Sie mir einen Pool aus Kolleginnen und Kollegen, die das unterrichten möchten, aber bitte für zehn Jahre, damit wir eine feste Fachgruppe haben. Sie kriegen einen Etat, Sie kriegen Büchergeld, Sie sind bitte ein ganz normales Fach mit allem Drum und Dran.« An meiner Schule bilden wir heute viele Referendarinnen und Referendare in Philosophie aus. Die müssen auch Werte und Normen unterrichten und das geht gut. In Niedersachsen bilden alle Seminarleitungen für das Fach Philosophie auch Referendare für Werte und Normen aus. Die werden dort im Sinne von Philosophie-Didaktik sozusagen an die Hand genommen, denn eine Fachdidaktik Werte und Normen gibt es noch gar nicht. In Nordrhein-Westfalen arbeiten Kolleginnen und Kollegen aus der Praktischen Philosophie daran, so etwas zu entwickeln, aber das wird sich noch etwas hinziehen. Schröder: Wie verhält sich denn an Ihrer eigenen Schule das Fach Werte und Normen zum Fach Religion? Warmbold: Werte und Normen wird bei uns als ganz normales Fach neben Religion erteilt, die Anwahlzahlen fallen etwa gleich groß aus. Wenn in einem Jahrgang Religion einmal nicht erteilt werden kann, gibt es auch keinen Unterricht in Werte und Normen. Weil der Unterricht meistens auf einer Leiste liegt, können die Stunden dann für den kompletten Jahrgang freigeben werden. Mancherorts führt das dazu, dass Unterrichtsausfälle häufiger werden. Das gefällt den Kolleginnen und Kollegen nicht, weil dann ja auch Stoff aus den Kerncurricula fehlt. Wir haben bei uns Philosophie als Prüfungsfach fürs Abitur eingeführt, Werte und Normen nicht. Es gibt jedoch in Niedersachsen etwa 36 Gymnasien und Integrierte Gesamtschulen mit Werte und Normen als Abitur-Prüfungsfach im zentralen Verfahren. Leistungskurse gibt es in Philosophie und Religion, aber wegen juristischer Hürden noch nicht in Werte und Normen.

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Schröder: Vielen Dank für dieses Panorama, gerade auch der niedersächsischen Lage. Rainer Merkel, auch Sie möchte ich bitten, sich vorzustellen, und uns einen Einblick in die Realität an Ihrer Schule zu geben. Rainer Merkel: Sehr gerne. Ich bin seit 2013 Lehrer am Hainberg-Gymnasium Göttingen, meine Fächer sind Evangelische Religion, Philosophie und Latein. Philosophie habe ich aber seit etwa zehn Jahren nicht mehr unterrichtet. Und ich bin Ausbilder am Studienseminar Göttingen, seit 2013 Fachleiter für ev. Religion. Vorher habe ich fünf Jahre lang am Religionspädagogischen Institut Loccum gearbeitet, ich war dort Dozent für den Bereich Gymnasium und Gesamtschule. Wir haben am Hainberg-Gymnasium eine sehr engagierte Fachgruppe. Das sage ich nicht, weil hier manche meiner Kolleginnen und Kollegen im Auditorium sitzen, sondern sie sitzen hier, weil sie so engagiert sind. Wir haben Lehrkräfte, die das Fach Philosophie bzw. Werte und Normen vertreten, auch regulär ausgebildete. 14 Lehrkräfte bilden unsere sehr große Fachgruppe für Evangelische Religion, aber nicht alle dieser Kolleginnen und Kollegen werden auch in diesem Fach eingesetzt. Und schließlich haben wir eine Lehrkraft mit der Facultas für Katholische Religion. Das ist der Schulleiter – und der unterrichtet fast gar nicht. Religion wird an unserer Schule durchgängig erteilt. In Jahrgang 5/6 unterrichten wir Religion im Klassenverband, das ist genau genommen konfessionsübergreifender Unterricht. Ab Jahrgang 7 bieten wir Werte und Normen an. In der Oberstufe sind wir momentan gut aufgestellt, im aktuellen Jahrgang 12 finden parallel zwei Leistungskurse in Religion statt. Man kann unsere Unterrichtssituation und unser Modell über die Jahrgangsstufen hinweg aus verschiedenen Perspektiven bewerten, nämlich aus einer juristischen, einer bildungstheoretischen und einer schulorganisatorischen. Mir ist wichtig, dass man diese Perspektiven unterscheidet. Juristisch ist ganz klar, dass wir uns mindestens in einer Grauzone bewegen. Konfessionsübergreifender Unterricht ist für ein Jahr erlaubt. Soll er länger als ein Jahr laufen, muss man allerdings nachweisen, dass man aufgrund von Lehrermangel keinen konfessionell-kooperativen Unterricht anbieten kann. 40 Prozent der Schulen in Niedersachsen müssen keinen katholischen Religionsunterricht anbieten, einfach weil sie nicht die nötige Zahl von zwölf katholischen Schülerinnen und Schülern haben. Würden wir nun alle Jahrgänge zusammenlegen, kämen wir an unserer Schule vermutlich auf diese Anzahl, aber so genau zählt wiederum keiner. Bildungstheoretisch betrachtet haben wir einen konfessionellen Unterricht, der im Sinne der positiven Religionsfreiheit mit Religion vertraut macht. Gleichzeitig laden wir alle Schülerinnen und Schüler ande-

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rer Konfessionen oder Religionen ein, im Klassenverband als Gäste am Religionsunterricht teilzunehmen. Wir orientieren uns also an der positiven Religionsfreiheit und wollen gleichzeitig die negative Religionsfreiheit gewährleisten. Dass das im Jahrgang 5/6 in einer Spannung zueinander steht, ist gar keine Frage – redlicher wäre sicherlich die Einführung von Werte und Normen. Aber zu dieser bildungstheoretischen Frage gehören ja auch pädagogische Aspekte. Pädagogisch ist es geboten, die Klassengemeinschaft im Jahrgang 5/6 nicht wegen konfessioneller Überlegungen auseinander zu reißen. In der Grundschule oder gar im Kindergarten macht man das ja auch nicht. Wir machen diesen Schnitt also nach Jahrgang 6. Schulorganisatorisch ist es vorteilhaft, im Klassenverband zu unterrichten. Man hat keine Leisten, man kann prima die Lehrkräfte einsetzen, man hat einfache Stundenpläne. Schröder: Vielen Dank für diese Einblicke in die schulische Realität. Nun würde uns interessieren, worin Sie beide die Proprien Ihrer Fächer sehen. Kontrastiv gefragt: Was leistet der Religionsunterricht im Unterschied zu Werte und Normen – und umgekehrt? Warmbold: Ich antworte hier mal ein wenig feige und schließe mich an einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts aus den 1990er Jahren an. Dessen Definition ist natürlich idealtypisch, aber es ist etwas dran. Der Religionsunterricht ist demnach gekennzeichnet von einer gewissen Homogenität. Schülerinnen und Schüler einer Konfession werden von einer Lehrerin oder einem Lehrer derselben Konfession unterrichtet und sprechen über Inhalte, die von dieser Konfession als Unterrichtsgegenstände beschlossen worden sind. In einem Fach wie Ethik sei das notwendigerweise nicht gegeben. Dort seien schon die Schülerinnen und Schüler nicht homogen im Blick auf ihre Orientierung zu Fragen des Lebens, die Lehrkräfte wahrscheinlich auch nicht. Um ein paar Ecksteine zu nennen, würde ich sagen: Das Proprium des Fachs Werte und Normen sind zum Beispiel die vier Fragen von Immanuel Kant: »Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?« Wir nehmen außerdem von Kant den Würde-Begriff. Für nicht-religiöse Menschen stellt es sich, kurz gesagt, so dar: Der Mensch ist eine Person, qua Zugang zur Vernunftfähigkeit, und weil er eine Person ist, zeichnet ihn eine besondere Würde aus. Moderne Naturwissenschaftler würden sagen, dass dies eine riskante Definition ist, dass dies eine quasi religiöse Setzung seitens der Philosophen ist. So setzen wir für das Fach Werte und Normen also erst einmal zwei grobe Kompetenzbereiche für den Unterricht in allen Jahrgangsstufen: erstens die Auseinandersetzung mit Wahrheit und Wirklichkeit, zweitens die Entwicklung der ethischen Urteilsfähigkeit. Innerhalb dieser

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großen Blöcke gibt es Unterkapitel, die für den Unterricht entscheidend sind. In einem gelungenen Unterricht in Werte und Normen lernen die Schülerinnen und Schüler verschiedene Varianten der Bestimmung des Wahrheitsbegriffes kennen. Sie lernen, wo diese Wahrheitsbegriffe ihre Grenzen haben, und warum sie miteinander konkurrieren. Es ist für Schüler absolut interessant, empirische Nachweise von nicht-empirischen Nachweisen und Glaubenssätze von Nicht-Glaubenssätzen zu unterscheiden. Schröder: Würden Sie zugespitzt sagen: Das Verbindende des Faches sind die vier Fragen plus das »Würde«-Argument, aber nicht die Antworten? Warmbold: Die Antworten sind bewusst vielfältig. Es kann zum Beispiel vorkommen, dass Schülerinnen und Schüler, die sich in verschiedenen Kursen auf die Abiturprüfung in Werte und Normen vorbereitet haben, feststellen, dass ihr Unterricht inhaltlich unterschiedlich war. Die einen sprechen länger über Marxismus, die anderen mehr über naturwissenschaftliche Nachweisverfahren. Da gibt es eine gewisse Bandbreite. Die Konkurrenz des Religionsunterrichts – wenn man sie so nennen will – hat einen großen Vorteil. Der Religionsunterricht kommt bei den Wahrheitsfragen an andere Antworten heran. Den Schülern müssen wir in der Hinsicht manchmal sagen: Wir müssen passen, so etwas können wir nicht anbieten. Merkel: Ich stimme Ihnen teilweise zu, Herr Warmbold. Natürlich haben wir sowohl Fragen als auch Antworten, aber wir diktieren den Schülerinnen und Schülern nichts in die Hefte, sondern wir regen zur Auseinandersetzung an. Das Proprium des Faches Religion würde ich darin sehen, dass man versteht, was es heißt, als religiöser Mensch zu leben, speziell als christlicher Mensch. Das heißt nicht, dass die Schülerinnen und Schüler diese Position übernehmen, aber dass wir offenlegen, auf welcher Basis der Unterricht erfolgt. Das ist die Positionalität der Lehrkraft. Sie ist der entscheidende Anker, über den die Positionalität gesichert wird. Ein Unterricht, bei dem transparent gemacht wird, von welchem Standpunkt er initiiert wird, kann produktive Lernprozesse auslösen und führt zu Auseinandersetzungen und Fragen. Ich verstehe nicht ganz, wie das eigentlich mit der Neutralität in »Werte und Normen« funktioniert oder funktionieren soll. In Zürich habe ich kürzlich einen »neutralen« Unterricht kennengelernt, der das Etikett wirklich verdient. Der ist meines Erachtens unglaublich flach. Dort wird das Fach »Religion und Kultur« unterrichtet, in dem Schülerinnen und Schülern schlicht vor Augen geführt wird, was für verschiedene Positionen es gibt. Wie soll man da zu wirklich nachhaltigen Lernergebnissen kommen? Ist Werte und Normen – das ist eigentlich meine

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Unterstellung – vielleicht gar nicht neutral, sondern operiert in Wahrheit mit verdeckten Annahmen? Warmbold: Ich sage den Referendarinnen und Referendaren immer, dass es schon ein sehr gutes Zeichen ist, wenn am Ende einer Unterrichtseinheit, in der die Schüler und Schülerinnen kontrastierende Positionen besprochen haben, jemand die Lehrkraft fragt: »Und was meinen Sie jetzt eigentlich dazu?« Das ist gut, weil man dann dem Unterricht offensichtlich nicht gleich seine Meinung aufgedrückt hat. Würde ein Schüler mich festnageln wollen, würde ich sagen: »Es tut mir leid, ich bin gebunden an § 2 des Niedersächsischen Schulgesetzes.« Das ist dieser schöne Paragraph, in dem steht, was Unterricht alles leisten soll. Wenn Sie das lesen … – das sind Traumziele. Da steht drin, man soll Konflikte vernunftgemäß lösen, aber auch ertragen. Da steht etwas von Völkerfreundschaft. Die Schule soll einen Beitrag leisten zur Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler. Da stelle ich mir meine Jungs mit muslimischen Background in Klasse 11 vor, die einen politischen Islam gut finden. Die gucken dann in die Vorschrift und sagen: »Sie sollen übrigens meine Persönlichkeitsentwicklung stärken.« Ich bin gebunden an die Verfassung, die lässt politischen Islam nicht zu. Deswegen kann man ganz klar sagen, wenn eure Religionsauffassung einen politischen Islam beinhaltet, muss ich als Lehrer und Beamter ›Nein‹ sagen. Als Mensch kann ich später dann auch noch etwas sagen, aber erstmal als Beamter ›Nein!‹. § 2 und das Niedersächsische Schulgesetz, das wäre das kantische Menschenbild. Etwas bösartig gesagt, schleppen wir den Immanuel Kant auch wegen der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert mit uns herum. Das hat zu dieser Betonung geführt. Und das ist auch richtig so, da sollen wir nicht neutral sein. Die Schülerinnen und Schüler sollen im Unterricht lernen, sich gegenüber den angebotenen kontrastiven Elementen zu positionieren und im Idealfall noch eine eigene Position zu finden. Merkel: Sie moderieren im Unterricht also alle Positionen, solange sie sich nur auf dem Boden der Verfassung bewegen und nicht unseren Rechtsstaat attackieren? Ich glaube, sobald es um das Begründen und das Gewichten von Argumenten geht, kann man als Lehrkraft nur schwerlich ernsthafte Bildungsprozesse anstoßen und begleiten, wenn man sich nur auf einer höheren Sphäre der Moderation bewegt, ohne implizit auch seine Position einzubringen. Wir fallen den Schülerinnen und Schülern natürlich nicht ins Wort und sagen: »Ich bin aber religiös.« Wir bringen unsere Position eher indirekt ein durch die Gestaltung von Materialien, Lernzielen usw. Aber wir legen das eben offen. Das gehört meines Erachtens zu den Herausforderungen, die das Fach

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Werte und Normen noch bewältigen muss, um vom Ersatzfach zu einem echten Partner-Fach von Religion zu werden. Warmbold: Bei Letzterem würden wir sofort widersprechen. Die Bezeichnung als Ersatzfach ist für uns rein formal – es geht darum, eine bestimmte Stelle im Stundenplan zu füllen. Was Sie davor gesagt haben, muss ich sogar noch überspitzen: Im Unterricht finden sehr wohl Positionierungen statt, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen. Während meines Referendariats haben die Schülerinnen und Schüler einmal ein Referat dazu gehalten, warum man die Demokratie abschaffen müsse. Das war Hamburg-Ottmarschen, Millionärsviertel. Die haben argumentiert, man könne nicht jedem Idioten das Wahlrecht geben. Dass die Parteien die Kandidaten aussuchen? Unmöglich! Wie wäre es denn mal mit Kompetenz als Kriterium?! Dafür suchten sie ein aristotelisches Kompetenzmodell. Als Referendar wurde ich extrem unruhig, aber mein Ausbilder hat gesagt: »Sie müssen aber noch ganz viel lernen. Das ist ein sehr gutes Referat. Das ist sehr vielschichtig begründet. Sie müssen nur hinterher die Kurve kriegen, damit das in Frage gestellt wird. Nicht im Vorfeld sagen: ›Was fällt euch ein?‹« Dass man seine eigene Position ausweist, aber auch deren mögliche Schwächen zeigt, das ist schon entscheidend. Für die Schülerinnen und Schüler ist es nach meinem Eindruck sehr wichtig, sich ernstgenommen zu fühlen in ihren Bemühungen zur Urteilsbildung. Da müssen wir eine gute Hilfe sein und dürfen auch die eigenen Positionen nicht verschleiern. Merkel: Da sind wir einer Meinung. Schröder: Ich denke, in der Rolle, die man den Schülerinnen und Schülern zuweist, gibt es kaum Unterschiede zwischen den beiden Fächern. Eher schon bei der Frage, mit welchem Recht eigentlich Lehrerinnen und Lehrer Positionen ergreifen. Ich möchte Sie beide aber noch zu einem weiteren Komplex befragen. Sie sind beide ausgewiesene Fachleute in Ihren Fächern. Wo sehen Sie aktuell die Baustellen innerhalb der eigenen Fachkultur? Was sind zurzeit die neuralgischen Punkte in der Entwicklung Ihrer jeweiligen Fächer? Warmbold: Ich wünsche mir, dass die Universitätsausbildung an verschiedenen Standorten besser miteinander vergleichbar wird. Ich wünsche mir eine Fachdidaktik Werte und Normen, am besten bundesweit, die allgemeine Akzeptanz findet. Das ist in der Philosophiedidaktik schon relativ weit gediehen, aber bei Werte und Normen noch nicht. Ich wünsche mir stabile Verhältnisse an den Schulen, Stichwort »ganz normales Fach« eben. Durch die Einbindung ins Zentralabitur ist sehr viel Ernsthaftigkeit reingekommen, das finde ich gut. Wo Werte und

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Normen kein Abiturfach ist, das sollte man auch ehrlich sagen, loben viele Kolleginnen und Kollegen, dass man so viele Freiheiten hat und viele Nebengleise verfolgen kann. Auch das kann für Lernprozesse extrem fruchtbar werden. Schröder: Das heißt, mit der inhaltlichen Konzeption des Faches sind Sie soweit einverstanden, und Sie finden sie auch tragfähig in der Schule? Warmbold: Bei drei Bezugswissenschaften muss deren Rezeption eklektisch sein, es geht nicht anders. Aber unter diesen Vorzeichen machen wir etwas was relativ Gutes daraus, denke ich. Merkel: Der Religionsunterricht steht nach meiner Einschätzung vor großen Herausforderungen. Der kommunikative Kontext, in dem Religionsunterricht stattfindet, hat sich dramatisch verändert. Der Prozess ist ein schleichender, aber es bewegt sich viel. Zunächst ist klar, dass die Säule »Islamunterricht« wächst. 6,6 % der Schülerschaft in Niedersachsen sind muslimisch. In meinem Abiturkurs Religion waren drei Schüler Muslime. Die zweite Säule »Konfessionslose« liegt jetzt (im Schuljahr 2016/17) bei 21,3 % der Schülerschaft und wächst um gut 1 % pro Jahr. Wir haben gleichzeitig einen Rückgang der christlichen Konfessionen. Der evangelische Anteil in Niedersachsen liegt bei knapp 50 %, der katholische bei 17,4 % der Schülerschaft. Konfessionell-kooperativer Unterricht nimmt immer mehr zu. Da sind wir jetzt bei 20,8 %. Gleichzeitig braucht sich der Religionsunterricht keine Sorgen zu machen um die Relevanz von Religion. Die klassische Säkularisierungsthese, Religion würde bedeutungslos, bestätigt sich nicht. Die Gottesdienstbesuchszahlen sinken, aber wir haben auch eine Rückkehr der Religion. Gerade das Erstarken des Islams lässt Religion und Religionsunterricht wichtig werden. Beim kommunikativen Kontext sieht man eine ganz starke Verschiebung. Früher kamen die Schülergruppen weitgehend kompetent in christlichen Traditionen in den Unterricht und wir haben eher ihr Differenzierungsvermögen gestärkt, zum Beispiel im Blick auf Konfessionen. Jetzt steht eher die Frage im Raum: Was ist eigentlich Religion? Wie begegnen sich Religionen? Oder vielleicht sogar noch stärker: Was unterscheidet eigentlich einen religiösen von einem nicht-religiösen Zugang? Hier sehe ich eine ganz große Herausforderung. Lehrkräfte sind inzwischen unsicherer darin geworden, ihre Positionalität einzubringen, das muss man ganz klar sagen. Aus meiner Ausbildungspraxis würde ich schätzen, dass ungefähr ein Drittel der Referendare und Referendarinnen sich ganz klar als positionell versteht und das auch vertreten kann. Ein Drittel ist da recht flexibel und ein Drittel weiß damit nicht so viel anzufangen. Damit ist die ganz große Herausforderung verbunden, dies aufzuholen.

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Die Baustellen für den Religionsunterricht wären also aus meiner Sicht: Die Positionalität der Lehrkräfte zu schärfen und den konfessionellen Unterricht weiterzuentwickeln zu einem ökumenischen Unterricht, der auf den Dialog mit Religionen ausgerichtet ist. Das heißt nicht, dass es keine regionalen Lösungen geben darf, aber ich denke, dass der Zug für einen ausgefeilten konfessionell-kooperativen Unterricht schon abgefahren ist. Schröder: Herzlichen Dank Ihnen beiden für diesen Aufschlag zur Diskussion, die ich jetzt für das Plenum öffnen möchte. Teilnehmer: Ich möchte an einer Stelle noch einmal nachhaken. Wenn man sich so gegeneinander positioniert, wie Sie es getan haben, wird es immer ein bisschen holzschnittartig. Herr Warmbold, Sie haben dem Fach Religion eher das Homogene zugeschrieben und dem Fach Werte und Normen eher den kritischen Aspekt. Zur Homogenität: Selbst unsere katholischen Geschwister vertreten inzwischen nicht mehr die Trias von der Übereinstimmung zwischen dem Glauben der Schülerinnen und Schüler, dem Glauben der Lehrkraft und bestimmten dogmatischen Inhalten. Im Fach Evangelische Religion wird davon schon lange nicht mehr ausgegangen. Und wenn man sich weltweit anguckt, wer sich alles »evangelisch« nennt, sind wir von Homogenität meilenwert entfernt. Noch wichtiger ist mir aber die Frage nach dem kritischen Charakter des Unterrichts. Ich verehre Immanuel Kant sehr, aber ich meine, in unserer heutigen gesellschaftlichen Situation ist die Erinnerung an ihn nur noch eine romantische. Wir leben in einer Zeit, in der Naturwissenschaft und Technik ein quasi-religiöses Vertrauen genießen. Ich halte deshalb die Theologie für das eigentlich kritische Fach, weil sie genau diese Haltung in Frage stellt. Warmbold: Ich würde mich freuen, wenn die Schüler im Religionsunterricht wahrnehmen könnten, dass Religion Kritik ist. Dann hätten wir eine gute Möglichkeit, uns einander anzunähern. Ich verstehe zu wenig von Theologie, um das einzuschätzen, aber das mag so sein. Ich würde Ihnen nur darin widersprechen, dass die Bezugnahme auf Kant nur noch romantisch sei. Ein ganz knappes Beispiel: Einmal haben Schüler bei mir den Vorschlag ausgearbeitet, Kriege in Zukunft nicht von Menschen, sondern von Klonen austragen zu lassen. Das war ihre eigene Idee. Das haben wir ausführlich diskutiert und landeten unter anderen bei Immanuel Kant mit der Argumentation, dass man das als vernunftorientierter Mensch nicht wollen kann. Ich fand, dieser Rückgriff hat sich gelohnt. Ich finde es auch interessant, mit Schülerinnen und Schülern in Werte und Normen über Religion zu reden. Das ist übrigens schwierig. Die kommen ja zum Teil von Religion her und man handelt

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sich unter Umständen ein paar Aggressionen ein, wenn man sagt: »Wir reden jetzt über ein paar interessante Aspekte von Religion.« Ich habe zum Beispiel einmal von einem Zen-Buddhisten den Satz gelernt: »Wer glaubt, der schweigt.« Das bezog sich auf die Unfähigkeit der menschlichen Sprache, etwas Großartiges wie Gott in Begrifflichkeit zu kleiden. Damit können Sie gut eine Doppelstunde gestalten. Wir sind dann im Gespräch, auch mit Hilfe der muslimischen Schüler, in Werte und Normen darauf gekommen, ob das nicht vergleichbar sei mit dem Tanzen der Derwische. Einfach mal den Mund halten und zu guter Musik zu tanzen anfangen, bis etwas passiert. Das könne man mit unserem ganzen Vernunftkram à la Immanuel Kant nämlich nicht, Herumvernünfteln, bis etwas passiert. Das war natürlich eine ganz unwürdige Annäherung an eine solche religiöse Praxis. Ich finde, in Werte und Normen ist es unsere Pflicht, den Schülerinnen und Schülern zu sagen: Wir nehmen bitte Religion schon deswegen mit Respekt ernst, weil es unsere Mitmenschen sind, die sie praktizieren. Schröder: Diesen Gesprächsfaden möchte ich aufnehmen und noch etwas weiter nach den Schülerinnen und Schülern fragen, mit denen wir es zu tun haben. Überspitzt gesagt, wird in der Forschung wird häufig diagnostiziert, diese seien gar nicht mehr an Positionen interessiert, sondern an Informationen. Wenn es also zu existenziell werde, würden die Schülerinnen und Schüler sagen: »Nein danke, das gehört im Raum der öffentlichen Schule nicht zu meinen Aufgaben. In Mathe bekenne ich mich ja auch nicht zur Schönheit des Satzes des Pythagoras, sondern ich wende ihn bloß an, und so möchte ich es gerne in Werte und Normen und in Religion auch halten.« Beobachten Sie solch eine Entwicklung auch? Steckt darin etwas, das wir in der Didaktik berücksichtigen müssen? Warmbold: Mit Sicherheit wird im Philosophieunterricht und in Werte und Normen die fachliche Autorität der Lehrkräfte von einigen Schülerinnen und Schülern als erschlagend wahrgenommen. Vorne steht jemand, der sich im Studium jahrelang mit existenziellen Fragen beschäftigt hat, sie selbst fühlen sich als Elftklässler vielleicht nicht fähig genug. Solche Ängste muss man systematisch aushebeln, das bringen wir auch Referendarinnen und Referendaren bei. Es hilft zum Beispiel viel, wenn in einer Klausur zwei entgegengesetzte Positionen vertreten werden und Stellungnahmen zugunsten beider bekommen 15 Punkte. Aber ich sehe das schon als Problem und vielleicht müssten wir in der Ausbildung noch besser vermitteln, dass der Wissensvorsprung der Lehrerin oder des Lehrers in Sachfragen nicht missbraucht werden darf. Das ist ein wesentlicher Punkt. Merkel: Der Informationsanteil im Religionsunterricht hat zugenommen. Das ist vielleicht auch gar nicht verkehrt, teilweise ist es auch eine

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Folge der Kompetenzorientierung. Wenn man von lebensweltlichen Anforderungssituationen ausgeht, muss man erstmal vieles klären, um die Situation einzuschätzen, bevor man zu Urteilen kommt. In dieser Hinsicht unterscheiden sich unsere Fächer kaum, die Überschneidungen bergen auch eine Chance. Gleichzeitig kann sich Religionsunterricht nicht in Informationen über Religionen erschöpfen. Wenn beispielsweise die Speisevorschriften des Islam oder des Christentums thematisiert werden, dann mag es interessant sein, diese Dinge zu erfahren. Aber spannend ist es doch eigentlich erst dann, wenn die Schülerinnen und Schüler danach fragen, wie Religion in einer gewandelten Form möglicherweise auch bei ihnen selbst oder in unserer Gesellschaft vorkommt. Die »Vorschrift« der veganen Ernährung ist plötzlich zur Orthorexie geworden, zur richtigen Ernährung. Zieht man einfach die Speisevorschriften aus der Schublade, ist man sehr schnell fertig. Spannend wird es, wenn man das zu den Schülern in Bezug setzt. Teilnehmer: Meine Frage bezieht sich noch einmal auf die Homogenität bzw. Heterogenität der beiden Fächer. Im Religionsunterricht haben wir heute in Wahrheit eine völlig heterogene Lerngruppe, dazu gehören Konfessionslose, Muslime, evangelische und katholische Christen. Wenn eine Lehrperson hier Positionalität einbringt, muss sie diese Heterogenität berücksichtigen, also auch Argumente für den Widerspruch gegen eine Position liefern. Im Religionsunterricht muss ein Konfessionsloser auch Argumente für seine Konfessionslosigkeit bekommen. Zu diesem didaktisch-methodischen Problem kommt noch die Heterogenität der Unterrichtsformen selbst hinzu: Wir haben den evangelischen, katholischen, häufiger auch konfessionsübergreifenden Religionsunterricht, wir haben den islamischen und jüdischen Religionsunterricht und dann haben wir zusätzlich die große Säule Ethikunterricht oder Werte und Normen. Es wäre unbedingt notwendig, dass diese verschiedenen Unterrichte miteinander in einen Dialog eintreten. Genauso wichtig wie der interreligiöse Dialog scheint mir die Frage: Wie kommt der Religionsunterricht ins Gespräch mit Werte und Normen? Merkel: Vielen Dank, ich halte das für sehr wichtig und stelle mir selbst die Frage, wie wir uns eigentlich als Fächerverbund verstehen. An unserer Schule sind wir solche Schritte schon mit gutem Erfolg gegangen. Wir haben im neunten Jahrgang eine Sequenz zum Thema Sterbehilfe durchgeführt, in der wir die Lerngruppen der Fächer teilweise zusammengelegt und dabei religiöse und philosophische Perspektiven abgewechselt haben.2 Das war organisatorisch sehr aufwendig, aber auch sehr 2

Näher beschrieben im Beitrag von Rainer Merkel / Lieselotte Lieberknecht / Svenja Haase in diesem Band.

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ertragreich. Die Schülerinnen und Schüler haben sich plötzlich nicht mehr zurückgehalten, sondern sie haben sich – auch im Blick auf Religion – geäußert, sie haben sich positioniert. Ich glaube, dass beide Fächer gerade in solchen gemeinsamen Projekten, in denen auch Überschneidungen hervortreten, ihr eigenes Profil schärfen können. Warmbold: D’accord. Gelegentliche Projektphasen hätte ich gerne als festes Element im Unterricht. Schröder: Ich höre hier also den Willen zu einer dosierten Kooperation. Lassen Sie mich eine Kontrollfrage stellen. In meiner Einführungsvorlesung »Religionspädagogik« ernte ich immer kritische Rückfragen, wenn ich sage: »Religionslehrkräfte sollten nicht Werte und Normen erteilen, auch wenn der Rektor bzw. die Schulleiterin sie darum bittet.« Stimmen sie mir zu? Warmbold: Ich stimme laut und deutlich zu, in 99,9 % der Fälle. Schülerinnen und Schüler fragen im Religionsunterricht irgendwann etwas, was aus ihrer Sicht ein Lackmustest ist. »Gehen Sie eigentlich zur Kirche?«, zum Beispiel. Wenn Sie das bejahen, sind Sie für die Schülerinnen und Schüler als Werte und Normen-Lehrer nicht mehr möglich. Das ist natürlich ein plattes Vorurteil, aber so ist es. Es gibt auch schlechte Lehrer in Philosophie oder Werte und Normen – da wäre es mir lieber, die talentierte Kollegin aus Religion würde das unterrichten. Aber aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler passt das einfach nicht. Merkel: Da stimme ich natürlich auch zu. Rollenklarheit ist notwendig, sonst können wir nicht von transparenter Positionalität sprechen. Das gilt für die Schülerinnen und Schüler, das gilt für die Lehrkräfte, das gilt für die Wahrnehmung im gesamten schulischen Bereich. Schröder: Sind denn die Lehrkräfte nach ihrer Einschätzung in der Regel dazu in der Lage, konstruktiv aufeinander Bezug zu nehmen? Oder sind die Lehrerinnen und Lehrer für Werte und Normen eingefleischte Atheisten, die sich denken: »Mit den Religionslehrern habe ich mir eigentlich nichts zu sagen«? Warmbold: Das sind eher Agnostiker, denke ich. Wir haben so ernsthafte Probleme in der Welt, dass man sagen sollte: Lasst uns mal lieber zusammenarbeiten bei der Lösung der Probleme. Ob das religiös geprägte Menschen sind, Agnostiker oder Atheisten ist relativ egal, solange wir uns den Problemen konstruktiv widmen. Merkel: Wir fangen mit der Kooperation ja gerade erst an und machen unsere Erfahrungen. Meiner Meinung nach geht das an vielen Stellen

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sehr gut, auch mit Agnostikern und sogar mit Atheisten. Lehrkräfte an unserer Schule, die nicht religiös gebunden oder auch durchaus kritisch eingestellt sind, kooperieren trotzdem mit uns, weil sie sich sagen: »Wir haben einen Gewinn davon, als Fächergruppe und als einzelne Fächer.« Auch am Studienseminar versuche ich, mit dem Ausbilder für Werte und Normen zusammenzuarbeiten, der das sehr offen macht. Die Referendarinnen und Referendare stehen solcher Kooperation teils mit Unverständnis gegenüber, teils finden sie sie aber auch ganz selbstverständlich. Vielleicht muss man da Erfahrungen sammeln und ausloten, was beide Fächer davon haben. Schröder: Wie verhält es sich denn mit den Gegenständen des jeweils anderen Faches in Ihrem eigenen Fach? Wie geht Werte und Normen mit dem Themenkreis Religion um? Welches Gewicht haben ethische Fragen oder philosophische Grundlagenfragen im heutigen Religionsunterricht? Warmbold: Nach Lage der Kerncurricula sind Religion und Weltanschauung im Fach Werte und Normen ein gemeinsamer Topf. Respekt versteht sich von selbst, aber schon allein durch diesen begrenzten Umfang ist eine adäquate Behandlung, glaube ich, nicht zu erreichen. Ich wünsche mir von unseren Fächern, dass man ernsthaft reflektiert, dass religiöse Menschen auf ihre spezielle Art des Wissens mehr wissen als der Agnostiker. Das ist ja auch eine Stärke der Religion, das ist auch bewundernswert. Merkel: Religion geht in Ethik sicherlich nicht auf. Darum ist es wichtig, dass der Religionsunterricht nicht unter der Hand zum Ethikunterricht wird. Die Gefahr sehe ich ein Stück weit durch den veränderten kommunikativen Kontext gegeben. Manche fragen sich vielleicht: Wenn in der Lerngruppe niemand einen Gottesbezug hat, warum soll ich ihn dann einbringen? Da müssen wir aufpassen. Philosophie besteht für mich im Philosophieren, so habe ich es in meinem eigenen Philosophiestudium kennengelernt. Das hat einen ganz anderen Sinn und Zweck, da geht es um das Philosophietreiben. Hier gibt es auch ganz große Teile beider Fächer, die sich überhaupt nicht überschneiden. Ich würde sagen, dieses Philosophieren als Prozess kommt im Religionsunterricht nicht vor und sollte es eigentlich auch nicht. Selbstverständlich wägen wir Argumente ab, immer im Kontrast zu einer Position, und gelangen so zu Antworten. Teilnehmerin: Ich habe zwei didaktische Fragen. Zum einen haben Sie, Herr Warmbold, vorhin vom »kontrastiven Arbeiten« gesprochen, vom Gegenüberstellen von Positionen. Das erinnert stark an die didaktische Strategie des »Perspektivenwechsels« in der Religionspädagogik. Ist das

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dasselbe? Und zum anderen hat Unterricht ja immer auch nonverbale Komponenten. Ist der Ethikunterricht ein rein sprachlicher Unterricht? Denken und Reden? Warmbold: Im Blick auf die Multiperspektivität sehe ich uns in einem Boot. Mit dem Begriff »kontrastiv« will die Philosophiedidaktik darauf hinaus, dass es nicht um das Philosophie-Lernen geht – das wäre ja, die Position auswendig zu lernen –, sondern um die Tätigkeit des Denkens, des Philosophierens. Bis dahin, dass Schülerinnen und Schüler selbst Kontrastpositionen finden. Das wäre im Rahmen des Philosophierens, glaube ich, das stärkere Element. Im Blick auf die zweite Frage: Nein. Unterricht bedeutet Denken, Reden, er bedeutet aber auch Basteln. Er bedeutet auch, Hörspiele selber zu machen, Filme selber zu drehen. In der Oberstufe kommen wir manchmal auch an einen Punkt, an dem wir Grenzen rationaler Zugangsmöglichkeiten begegnen. Ein Klassiker ist der Umgang mit Tieren. Auch ziemlich abgebrühte Schülerinnen und Schüler sagen vielleicht nach zehn Minuten Videoaufnahmen aus dem Schlachthaus: »Das ist einfach krank. Wir brauchen keine Argumente mehr, wir werden jetzt Vegetarier.« Werden sie dann nicht, aber das ist schon ein Kracher, und wir müssen dann darüber sprechen, was sie gesehen haben. Merkel: Man muss unterscheiden, ob man diese nonverbalen oder nichtdiskursiven Elemente aus methodischen Gründen einbringt, z.B. weil die Schülerinnen und Schüler gerade erschöpft sind, oder ob man sie grundsätzlich aus didaktischen Gründen in den Unterricht einbindet. Im Religionsunterricht ist das Prinzip des Perspektivenwechsels elementar wichtig. Im probeweisen Übernehmen von Positionen gibt es da möglicherweise eine Parallele zu Werte und Normen. Da könnte man sich treffen, aber man braucht ein sauberes Modell von der Übernahme einer Position und ihrer Reflexion. Das gilt für beide Fächer, glaube ich. Teilnehmer: Hier in Göttingen werden ja auch Wirtschaftspädagogen ausgebildet. Aus meiner Praxis an der Berufsschule kann ich berichten, dass dort sozusagen unter dem Deckmantel von Religion eigentlich Werte und Normen unterrichtet wird. Es ist dann vielleicht offiziell konfessionell-kooperativer Religionsunterricht, aber die Inhalte gehen eher Richtung Werte und Normen. Kann das überhaupt gewünscht sein? Wir werden hier ja an der Universität als evangelische Religionslehrer ausgebildet. Wie sollen denn die Berufsschullehrer eigentlich diesen Spagat zwischen diesen beiden Fächern hinbekommen? Schröder: Aus meiner Perspektive sind die Verhältnisse an den berufsbildenden Schulen in mancher Hinsicht unordentlich, im Blick auf die Organisation und rechtliche Bedingungen. Die Antwort darauf kann

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aber nicht sein, dass wir den Religionsunterricht grundsätzlich zu Werte und Normen erklären und unsere Lehrerinnen und Lehrer in diese Richtung professionalisieren. Ich würde sagen, die Antwort müsste stattdessen sein, unser Bestes zu tun, um Studierende und Referendare in dem Sinne bewusst zu Religionslehrenden auszubilden, wie Rainer Merkel es exemplarisch beschrieben hat. Die Entdeckung des Abends war für mich die – wenn ich das ein bisschen zugespitzt formulieren darf –, dass Ihr Fach, Herr Warmbold, und Sie als Person in ähnlicher Weise um Positionalität ringen wie es das Fach Religion tut. Zwar mit einer anderen Begründung und mit einer anderen materialen Position, aber auch Sie würden nicht sagen, dass Positionalität keine Rolle spielt. Mir scheint, es ist eine zentrale Aufgabe zumindest des Studiums, junge Menschen dazu zu befähigen, eine Position zu finden und sie didaktisch verantwortlich einzubringen. Nicht so, dass man denkt: »Lehrerin X hat diese oder jene Position und darüber kann man mit ihr auch gar nicht mehr reden.« Dann wäre der Lernprozess sozusagen zum Erliegen gekommen. Die zweite Entdeckung für mich ist, dass Sie beide es lohnenswert finden, Kooperationen auszuloten. Wir haben jetzt nicht verschiedene Modelle solcher Kooperation durchgespielt und es ist natürlich auch ein weiter Weg dorthin, aber als Tenor war das herauszuhören. Die Ausbildung qualifiziert zurzeit nicht gerade für die in diesem Sinne fächerübergreifende Kooperation. Lieber Herr Warmbold, lieber Herr Merkel, darf ich Sie noch um ein Schlusswort bitten? Warmbold: Die Notwendigkeit der Kooperation möchte ich noch einmal dick unterstreichen. Die Welt wird komplexer und es bedarf wirklich klärender Perspektiven. Wir kommen nicht zu Ende damit, das ist klar, aber ich erlebe Schülerinnen und Schüler heute so, dass sie mehr Hilfen brauchen als vor 30 Jahren. Merkel: Ich will die Kooperationsmöglichkeiten nicht idealisieren, sicherlich gibt es auf diesem Weg auch schwierige Abschnitte und Stolperfallen. Aber ich glaube, dass es sich lohnt, diesen Weg zu gehen.

Fachwissenschaftliche Perspektiven

Holmer Steinfath

Philosophische Ethik zwischen Reflexion und Orientierung

Ich stelle im Folgenden hauptsächlich generelle Reflexionen zur philosophischen Ethik an. Sie kreisen um eine Grundspannung, die sich in ihrer allgemeinsten Form so formulieren lässt: Einerseits kann und will die philosophische Ethik nicht Vermittlung spezifischer Werte sein. Andererseits kommt die philosophische Ethik nicht umhin, in ihrer Durchführung bestimmte allgemeine Werte vorauszusetzen und zu artikulieren. Zum Zweck größerer Anschaulichkeit beziehe ich meine Überlegungen an einigen Stellen auf den schulischen Ethikunterricht, wie ich ihn mir wünschen würde. Sie sind jedoch nicht allein mit Blick auf ihn entwickelt worden. Erst zum Ende hin nutze ich meine generellen Reflexionen für einige Thesen zum niedersächsischen Schulfach »Werte und Normen« und zum Verhältnis von Religions- und Ethikunterricht. 1. Der Sokratische Dialog: Warum die philosophische Ethik nicht die Aufgabe hat, Werte zu vermitteln Betrachten wir zunächst ausführlicher die erste Seite der Spannung, also die These, dass es der philosophischen Ethik nicht um die Vermittlung spezifischer ethischer, geschweige denn religiöser Werte gehen kann und sollte. Ich glaube nicht, dass diese Absage dem weltanschaulichen Pluralismus moderner Gesellschaften geschuldet ist; dieser gibt ihr allenfalls einen zusätzlichen Impuls. Vielmehr können wir in ihr ein sokratisches Erbe sehen. Die frühen platonischen Dialoge, in denen nach allem, was wir vermuten können, der historische Sokrates noch greifbar ist, kreisen alle um die ethische Grundfrage, wie zu leben ist, pos bioteon.1 Sokrates zieht seine Gesprächspartner in eine zuweilen quälend in sich kreisende Suche nach der richtigen Lebensführung. Die Radikalität dieses Fragens kann noch heute erstaunen. Gegenstand der Gespräche sind meist einzelne Tugenden wie Gerechtigkeit, Besonnenheit, Tapferkeit und Frömmigkeit. Aber weder wird als vorgegeben angenommen, was unter Gerechtigkeit, Besonnenheit usw. überhaupt zu verstehen ist, noch wird deren 1

Vgl. z.B. Platon, Gorgias 492d. Im Folgenden werden Verweise auf Stellen in Platons Dialogen unter Angabe des Dialognamens und der Seiten der Stephanusausgabe in Klammern im Haupttext angeführt.

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Status als Tugend und insofern als etwas Gutes einfach vorausgesetzt. Man kann das sehr schön noch an der in manchen Zügen bereits dogmatischeren Politeia, dem Staat, erkennen. Im Zentrum der Politeia steht die Frage nach der Gerechtigkeit. Was ist Gerechtigkeit und wozu ist sie gut, wobei »gut« »gut für den Einzelnen« und vermittelt dann auch »gut für die Polis«, die politische Gemeinschaft, meint? Sokrates muss sich der sophistischen Herausforderung stellen, die in den gesellschaftlich etablierten Auffassungen von Gerechtigkeit lediglich Konventionen sieht, die je nach Sichtweise entweder der Bemäntelung der Herrschaft der Vielen über die wenigen von Natur aus starken Individuen dienen oder umgekehrt von den Herrschenden als Instrument zur Pazifizierung der Massen eingesetzt werden. Diese Herausforderung wird ernst genommen. Als kritischer Leser kann man sich fragen, ob sie nicht manchmal zu ernst genommen wird und sich Sokrates nicht eine zu hohe Beweislast aufbürdet, wenn er zeigen möchte, dass der Gerechte selbst in äußerlich elendsten Verhältnissen immer noch besser fährt als der Ungerechte, der nicht nur über alle Mittel der Macht verfügt, sondern auch noch den Schein der eigenen Gerechtigkeit zu wahren weiß. Doch die Weigerung, die sophistische Herausforderung mit selbstherrlichem Verweis auf das Althergebrachte abzuschmettern, bleibt bewundernswert. Sie kontrastiert wohltuend mit der unter zweifelhafter Berufung auf Aristoteles von Robert Spaemann geäußerten Meinung, wonach diejenigen, die moralisch allzu Anstößiges verträten, nicht mit Argumenten, sondern mit Schlägen bedacht werden sollten.2 Wie bedenklich eine solche Haltung ist, kann man sich gut an einer Passage aus dem ersten Buch der Politeia klarmachen, in der ein Verständnis von Gerechtigkeit erörtert wird, das sich nicht sophistischen Überspitzungen verdankt, sondern im Griechenland des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts, wie wir aus anderen Quellen wissen, so verbreitet war, dass man sie dem Commonsense hätte zurechnen können.3 Gerecht bedeutet danach, den Freunden Gutes zu tun und den Feinden Schaden zuzufügen (Politeia, 332 d). »Freunde« sind dabei nicht nur die persönlichen Freunde, sondern alle, die zur eigenen Gruppe oder Gesellschaft gehören, und Feinde sind diejenigen, die außerhalb der eigenen Gemeinschaft stehen. Es geht also um die Eigenen versus die Fremden. 2

Vgl. Robert Spaemann, Geleitwort, in: Till Bastian (Hg.), Denken – schreiben – töten. Zur neuen »Euthanasie«-Diskussion und zur Philosophie Peter Singers, Stuttgart 1990, 7– 8. Ähnlich auch Robert Spaemann, Es gibt kein gutes Töten, in: Cordelia Spaemann / ders. / Thomas Fuchs (Hg.), Töten oder Sterben lassen? Worum es in der Euthanasiedebatte geht, Freiburg 1997, 12–30, hier 10. Ein völlig passender Beleg bei Aristoteles, auf den sich Spaemann immer wieder beruft, findet sich, soweit ich sehe, nicht; am nächsten kommt Spaemanns Kontrast von Argumenten und Schlägen noch Aristoteles, Topik 105a3. 3 Dazu Mary Witlock Blundell, Helping Friends and Harming Enemies: a Study in Sophocles and Greek Ethics, Cambridge 1989.

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Den Eigenen soll man nützen, den Fremden schaden. Sokrates versucht gegen diese in seiner Zeit vorwaltende Gruppenmoral darzulegen, dass es nie gerecht sein kann, anderen Schaden zuzufügen, egal ob es sich dabei um Freunde oder um Feinde handelt (335b). Die schlichte Berufung auf die gelebten Sitten hätte diese umwälzende Perspektive von vornherein verstellt. Aber wie geht Sokrates vor, um unbedachte Selbstverständlichkeiten ins Wanken zu bringen? Welcher Ressourcen kann sich eine kritische ethische Reflexion bedienen, wenn sie nicht einfach auf die Evidenz des Hergebrachten setzt? Platon hat sicherlich mit der Vorstellung eines ausgezeichneten philosophischen Wissens vom Guten geliebäugelt. Der Philosoph würde dann ein die Üblichkeiten, die tatsächlich gelebte Sittlichkeit, radikal transzendierendes Wissen für sich reklamieren, etwa in Form eines nicht mehr diskursiven Erfassens der Idee des Guten. In metaphysisch entschlackter Gestalt begegnet dieser Anspruch heute im Verweis auf die ethische Intuition, die sich dann freilich mit der Immunisierung des Hergebrachten gegen Kritik mischt. Mit Blick auf die frühen platonischen Dialoge glaube ich nicht, dass dies der Weg ist, den Sokrates beschreitet. In einer heutigen Terminologie könnte man sein Vorgehen als immanente, holistische Kritik und rationale Aufklärung kennzeichnen, die ihre Bewährung im Dialog sucht. Immanent ist die Kritik, weil sie darauf abzielt, die impliziten Vorannahmen der Gesprächspartner freizulegen – das ist die berühmte sokratische »Hebammenkunst«, maieutike techne (Theaitetos, 161e) – und nachzuweisen, dass diese Annahmen den expliziten Überzeugungen der Gesprächspartner und oft auch einander widersprechen. Die Kritik verfährt sodann holistisch, weil sie bestrebt ist, im Hin- und Hergehen zwischen allen verfügbaren Annahmen und Einsichten ein kohärentes Überzeugungsgefüge zu erreichen. Sokrates drückt dies oft so aus, dass es darauf ankomme, mit sich selbst übereinzustimmen. An einer dramatischen Stelle im Dialog Gorgias ruft er aus: »Lieber möge die ganze Welt mir widersprechen, als dass ich selbst nicht mit mir zusammenstimme« (Gorgias, 482c). Die Aufforderung, unsere Meinungen und Überzeugungen kritisch zu sichten, um uns nicht selbst zu widersprechen, erlangt gerade in ethischen Angelegenheiten große Bedeutung, neigen wir doch vor allem auf diesem Gebiet zu Selbsttäuschungen und Halbheiten. Dass man bei diesem Vorgehen auch von rationaler Aufklärung sprechen kann, setzt keinen überzogenen Vernunftbegriff voraus. Ein solcher Begriff würde wieder ein besonderes Wissen vom Guten in Anspruch nehmen, über das Sokrates nirgends zu verfügen behauptet. Ratio meint hier deswegen nichts anderes als das Vermögen der sorgfältigen und aufrichtigen Abwägung von Gründen. Und diese Abwägung, das ist wichtig, soll im offenen Dialog mit anderen erfolgen, es ist eine gemeinsame Tätigkeit, nicht das einsame Geschäft des Weisen.

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Wer die frühen platonischen Dialoge, die Sokrates im Gespräch mit wechselnden Gesprächspartnern zeigen, kennt, weiß, dass sie ohne greifbares Ergebnis enden. Das Wesentliche ist in ihnen die von Gründen geleitete Reflexion selbst, der Umstand, dass etwas überhaupt, und zwar zusammen, durchgesprochen wird.4 Nicht auf das Erlangen endgültiger Wahrheit, gar einer irgendwie höheren, kommt es an. Entscheidend sind vielmehr Wahrhaftigkeit und Offenheit für Kritik, die Bereitschaft, sich und anderen nichts vorzumachen, um so zu einem eigenständigen Urteil zu gelangen. Mir geht es nicht darum, meine Überlegungen zur philosophischen Ethik durch die Erinnerung an den sokratischen Dialog mit probatem Bildungsgut zu ornamentieren. Ganz im Gegenteil meine ich, dass uns das sokratische Insistieren auf das Geben von Gründen, das logon didonai, und die uneingeschränkte Befragung vermeintlicher ethischer Selbstverständlichkeiten Vorbild auch für die heutige philosophische Ethik sein sollte. Was das für uns heute bedeuten könnte, möchte ich illustrieren, indem ich einige wenige Facetten des heute sehr verzweigten Diskurses über die Menschenwürde beleuchte. Ich bin ja immer noch dabei, meine erste These zu explizieren, also die These, dass es in der philosophischen Ethik nicht um die Vermittlung von spezifischen Werten geht und gehen sollte. Vor dem Hintergrund der sokratischen Reflexion ist dies zunächst so zu verstehen, dass wir nicht irgendwelche Werte und Normen als schlicht gegeben und kritikimmun hinstellen sollten. Das gilt auch für einen so zentralen Wert wie dem der Würde des Menschen, der ja im Übrigen auch in verschiedene religiöse Traditionen eingewoben ist. 2. Das Beispiel der Diskussionen zur Menschenwürde Der erste Satz des ersten Artikels unseres Grundgesetzes lautet bekanntlich: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Für den Ethikunterricht hat dieser Fundamentalsatz schon deshalb besonderes Gewicht, weil Lehrerinnen und Lehrer gehalten sind, ihren Unterricht im Rahmen der freiheitlich demokratischen Grundordnung durchzuführen, die durch das Grundgesetz umrissen wird. Aber für einen reflektierten Ethikunterricht und erst recht für die allgemeine philosophische Ethik darf dies nicht bedeuten, dass das Grundgesetz zum rechtlich-moralischen fundamentum inconcussum erklärt wird, das der kritischen Reflexion schlechterdings entzogen ist. Wenn wir nur den ersten Satz von Artikel eins des Grundgesetzes nehmen, ist ja auch erst einmal ziemlich unklar, was er überhaupt besagt. Genau hier kann die kritische Befragung einsetzen. In der rechtswissenschaftlichen wie der philosophischen Literatur 4

Vgl. Hannah Arendt, Sokrates. Apologie der Pluralität, Berlin 2016, 50.

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gibt es verschiedene Auslegungen der These von der Unantastbarkeit der menschlichen Würde.5 Ich beschränke mich darauf, zwei herauszugreifen. Erstens kann Unantastbarkeit die Vorstellung der Absolutheit des Menschenwürdeschutzes implizieren. Absolut meint dabei losgelöst von menschlichen Setzungen. Dass die Menschenwürde zu achten und zu schützen ist, soll unabhängig davon gelten, ob dieses Gebot im positiven Recht oder in den historisch und kulturell variierenden Sitten anerkannt wird oder nicht. Zweitens kann man den ersten Satz von Artikel eins des Grundgesetzes im Sinn eines Abwägungsverbots begreifen. Danach darf die Menschenwürde unter keinen Umständen gegen andere Güter in der Weise verrechnet werden, dass sie im Konfliktfall für eines dieser anderen Güter verletzt wird. Jedem, der auch nur für einen Moment nachdenkt, sollte schnell klarwerden, wie wenig sich einer dieser beiden Auslegungsvorschläge von selbst versteht. Den Anspruch auf Absolutheit im Sinn der Unabhängigkeit von allen menschlichen Setzungen wird der kritisch Nachdenkende mit besonderer Vorsicht aufnehmen. Handelt es sich hierbei nicht vielleicht um ein Relikt einer theonomen Moral, die diese im Willen Gottes begründet sieht? Ein solcher Gottesbezug kann schwerlich einen sicheren Platz in einer säkularen Ethik haben. Er ist mit zu vielen epistemischen und ontologischen Schwierigkeiten belastet. Außerdem kann man in modernen, pluralistischen Gesellschaften auch aus moralischen Gründen zentrale gemeinsame Werte nicht an Glaubenssätze binden, die nicht von allen und nicht einmal mehr von den meisten geteilt werden. Es wäre deswegen für unser Zusammenleben geradezu fatal, würden wir an einem Wert wie dem der Menschenwürde nur auf der Basis religiöser Überzeugungen festhalten können. Aber selbst wenn dem – kontrafaktisch, wie ich meine – so wäre, wäre dies kein Argument für die Religion, es sei denn man wollte diese rein funktional für die Sicherung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Dienst nehmen. Wer vor dem Horizont religiöser Überzeugungen für die Achtung der Menschenwürde plädiert, wird deswegen die Blickrichtung umkehren müssen. Statt zu fragen, wie die Menschenwürde auf die Religion angewiesen ist, wird er fragen müssen, welche Elemente des eigenen Glaubens überhaupt geeignet sind, das Gebot, die Menschenwürde zu achten, als Teil dieses Glaubens zu begreifen. Dass Antworten auf diese Frage jedenfalls nicht offensichtlich sind, mag man daran ablesen, dass die Katholische Kirche zwar früh allen Menschen die gleiche Würde und den gleichen Wert zugesprochen hat – wir sind alle gleich vor Gott –, dies 5

Für einen ersten Überblick vgl. Dietmar von der Pfordten, Menschenwürde, München 2016. Meine eigenen Überlegungen zur Menschenwürde habe ich formuliert in Holmer Steinfath, Menschenwürde zwischen universalistischer Moral und spezifischem Lebensideal, in: Mario Brandhorst / Eva Weber-Guskar (Hg.), Menschenwürde. Eine philosophische Debatte über Dimensionen ihrer Kontingenz, Berlin 2017, 266–292.

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aber lange, mindestens durch das ganze 19. Jahrhundert, ohne Probleme mit der Leugnung der gleichen grundlegenden Rechte für alle meinte vereinbaren zu können. Die uns heute selbstverständlich anmutende Zusammenführung von Menschenwürde und Menschenrechten ist erst das späte Ergebnis von Rechtsentwicklungen unter dem Eindruck der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Ich will gerne einräumen, dass die Diskussion des vermeintlich setzungs- und einstellungsunabhängigen Charakters der Menschenwürde schnell auf begründungstheoretisch und metaethisch schwieriges Terrain führt, das man vermutlich im schulischen Ethikunterricht nicht zulänglich wird vermessen können. Aber eine Sensibilisierung für die Fragwürdigkeit von Absolutheitsansprüchen auch dort, wo sie der eigenen Tradition entstammen, sollte selbst in der Schule zu erreichen sein. Keineswegs darf sie aus Angst, die Tore weit für den Relativismus zu öffnen, unterlassen werden. Jeder, der Erfahrung mit älteren Schülerinnen und Schülern hat, wird bestätigen können, dass relativistische und stark subjektivistische Tendenzen unter ihnen weit verbreitet sind; statt diese unter den Teppich zu kehren, müssen sie direkt angegangen und in ihren eigenen dogmatischen Dimensionen kritisch befragt werden. Zugänglicher ist die mit der zweiten Auslegung der Unantastbarkeit der Menschenwürde aufgeworfene Abwägungsproblematik. Ihre Erörterung zwingt als erstes dazu, sich zu überlegen, woran sich Verletzungen der Menschenwürde überhaupt festmachen lassen sollen. Einflussreich ist eine bestimmte Interpretation der Selbstzweckformel des Kategorischen Imperativs bei Kant, die über die sogenannte Objektformel Eingang in einschlägige Kommentare zum Grundgesetz gefunden hat.6 Danach wird die Würde eines Menschen verletzt, wenn er lediglich als Mittel und nicht immer auch als Zweck an sich behandelt wird. Die Selbstzweckformel des Kategorischen Imperativs, der zufolge ich die Menschheit sowohl in meiner Person wie in der eines jeden anderen nie bloß als Mittel gebrauchen darf,7 wird so als Totalinstrumentalisierungsverbot gedeutet. Aber wann liegt eine derartige Instrumentalisierung vor und ist sie tatsächlich nie zugunsten anderer Zwecke und Güter erlaubt? Gilbert Harman hat ein drastisches Beispiel ersonnen.8 Wir sollen uns vorstellen, dass ein Arzt verzweifelt um das Leben von fünf Patienten kämpft, die nur gerettet werden können, wenn ihnen ein jeweils anderes Spenderorgan implantiert wird. Nun will es der Zufall, dass sich ein kerngesunder Patient zu einer Routineuntersuchung eingefunden hat, der genau über die fehlenden fünf Organe verfügt, die die anderen Patienten dringend benötigen und von nirgendher bekommen können. Sollte der 6 7 8

Theodor Maunz / Günter Dürig, Grundgesetz, München 1958, Art. 1 Abs. 1 Rn. 28, 34. Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, Akademie-Ausgabe, 429. Gilbert Harman, Das Wesen der Moral, Frankfurt a.M. 1981, 13f.

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Arzt dann nicht diesen einen Patienten ausschlachten, um die anderen fünf zu retten? Intuitiv wird jeder davor mit Entsetzen zurückschrecken. Hier hätten wir es eindeutig mit einer unzulässigen Totalinstrumentalisierung einer Person zugunsten anderer zu tun. Aber was ist, wenn wir das Beispiel variieren?9 Nehmen wir an, die fünf todkranken Patienten bräuchten, um zu überleben, lediglich eine Blutspende. Wieder findet sich der Routinepatient ein und wie es der Zufall will, hat er die passende Blutgruppe. Doch der Patient weigert sich, Blut zu spenden, obwohl ihm klar ist, dass das Überleben der anderen Patienten davon abhängt, und ihm auch klar ist, dass er selbst durch die Blutentnahme keinen nennenswerten Schaden nähme. Darf der Arzt in dieser Situation dem unwilligen Patienten unter Anwendung von Zwang Blut abnehmen? Als ich einer Gruppe angehender Medizinerinnen und Medizinern diese Frage stellte, meinte eine Mehrheit, dass der Arzt dies nicht tun dürfe, aber eine signifikante Minderheit meinte, dass er es dürfe und sie es in jedem Fall selbst tun würde, obwohl sie dies für eine Instrumentalisierung im Sinn der kantischen Selbstzweckformel hielt. Viele werden Diskussionen dieser Art noch aus der Zeit der Kontroverse um das Luftsicherheitsgesetz, das 2005 vom deutschen Bundestag verabschiedet wurde, im Ohr haben. Es sollte im Gefahrenfall und als ultima ratio den Abschuss eines von Terroristen gekaperten, voll besetzten Passagierflugzeuges erlauben, um den gezielten Absturz des Flugzeuges in eine belebte Großstadt zu verhindern, wie man es bei den Anschlägen vom 11. September 2001 erlebt hatte. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2006 das Luftsicherheitsgesetz mit Verweis auf das Menschenwürdegebot und das Verbot der Instrumentalisierung Unschuldiger – in diesem Fall der Besatzung und der Mitreisenden des Passagierflugzeuges – kassiert.10 Im sehr erfolgreichen Theaterstück Terror von Ferdinand von Schirach, das inzwischen für das Fernsehen adaptiert worden ist, werden die Debatte um das Luftsicherheitsgesetz und die verschiedenen, meist der philosophischen Ethik entnommenen Argumente Pro und Contra geschickt dargestellt, und am Ende jeder Vorführung erhält das Publikum die Möglichkeit, über die Zulässigkeit des Abschusses des Passagierflugzeuges abzustimmen.11 Das Publikum entscheidet sich – anders als ich – regelmäßig mit mehr oder minder großer Mehrheit für die Zulässigkeit des Abschusses. Man kann an diesem Fall die ganze Debatte zwischen Vertretern deontologischer und Vertretern konsequentialistischer Ansätze in der Ethik aufrollen. Mir dient der Verweis darauf hier lediglich dazu, nochmals anschaulich zu machen, wie meines Erachtens die kritische Problematisierung zunächst für selbstverständlich und basal 9

Ich übernehme die folgende Variation des Beispiels von Norbert Hoerster, Ethik des Embryonenschutzes, Stuttgart 2002, 14. 10 BVerfGE 115, 118 (154). 11 Ferdinand von Schirach, Terror, München 2015.

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erachteter ethischer Grundsätze wie dem Menschenwürdeschutz erfolgen kann und erfolgen sollte. Ich habe das Beispiel der Menschenwürde auch gewählt, weil der Rekurs auf die Würde in äußerst strittigen Fragen der Bioethik eine wichtige, oft aber alles andere als transparente Rolle spielt. In einigen bioethischen Kontroversen konnte man manchmal den Eindruck gewinnen, als würde die Berufung auf die Menschenwürde zur Unterbindung weiterer Diskussionen eingesetzt werden. Ich erinnere nur an die am Anfang der 1990er Jahre nicht mehr nur verbal geführte Auseinandersetzung um die radikalen – von mir im Übrigen nicht geteilten – Thesen von Peter Singer zur Früheuthanasie, die einige Behinderte – aus meiner Sicht zu Unrecht – als Angriff auf ihr Lebensrecht empfunden haben. Gerade auf längere Sicht scheint mir die philosophische Ethik schlecht beraten, wenn sie, wie das damals einige Kollegen getan haben, der Tabuisierung heikler Themen und Thesen das Wort redet, die durchaus etwas moralisch Anstößiges haben können.12 Hier wie auf anderen Feldern sollten philosophische Ethik und Ethikunterricht nicht zu schnell Partei ergreifen, sondern die eigenständige Urteilsbildung unterstützen. Dabei ist an dieser Stelle ein wichtiger Unterschied zwischen Vermittlung und Unterricht einerseits und eigener Position andererseits zu machen. In seinem eigenen Denken wird und soll der Philosoph nach Abwägung relevanter Gründe zu einem eigenen Standpunkt gelangen. Er wird dann zum Beispiel einen Präferenzutilitarismus vertreten, wie es Peter Singer tut, oder in scharfe Opposition dazu treten. In Vermittlung und Unterricht darf der philosophische Ethiker jedoch den Prozess der Urteilsbildung nicht überspringen. Hier muss er eine Offenheit bewahren, die es Schülern wie Studenten ermöglicht, ihre vorgefassten Meinungen kritisch zu prüfen, um schließlich ihrerseits zu einem eigenen, reflektierten Standpunkt, der dann nicht der seinige sein muss, zu gelangen. Die nötige Offenheit wird er dabei aber nur zeigen können, wenn er bereit ist, auch seine eigenen, gefestigten Überzeugungen immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Auch hier sollte er es mit Sokrates halten, der am Ende des Gorgias, ungewöhnlich für einen platonischen Frühdialog, bekennt, eine bestimmte Auffassung von der menschlichen Seele für wahr zu halten, um dann gleich hinzuzufügen, dass er bisher nichts Besseres gefunden habe und deswegen jederzeit erfreut die Diskussion wieder aufnehmen würde, sollten sich neue Gesichtspunkte ergeben (Gorgias, 527a/b).

12

Zur fraglichen Kontroverse vgl. die Aufsätze in Dieter Birnbacher (Hg.), Bioethik als Tabu? Toleranz und ihre Grenzen, Münster 22002.

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3. Die Unvermeidbarkeit eigener Wertüberzeugungen Nun war eingangs die Rede von einer Grundspannung mit zwei Seiten. Die philosophische Ethik soll, so hatte ich gesagt, nicht auf die Vermittlung spezifischer Werte dringen. Sie komme dann aber doch nicht, so hatte ich ergänzt, umhin, bestimmte allgemeine Werte vorauszusetzen und auch selbst zu artikulieren. Was hat es mit dieser zweiten Seite der Spannung auf sich? Zunächst einmal wird man einräumen müssen, dass jeder, der sich ernsthaft an ethischen Diskussionen beteiligt, in welcher Rolle auch immer, dies vor dem Hintergrund bestimmter Wertüberzeugungen tun wird, die er mehr oder minder fraglos akzeptiert. Philosophisch-ethische Reflexion erfolgt nicht von einem, wie das Thomas Nagel genannt hat, »view from nowhere«.13 Und wenn es um eine gemeinsame Erörterung ethischer Standards geht, wird diese Erörterung nur in Gang kommen können, wenn diejenigen, die sich an ihr beteiligen, einige wichtige allgemeine Werte und Normen teilen. Das gilt zum Beispiel für den Wert der Meinungsfreiheit, das hohe Gut der Selbstbestimmung und die moralisch-rechtliche Gleichheit von Menschen als Menschen. Aber wer mit der reflektierten Selbstaufklärung ernstmacht, wird erstens davon ausgehen müssen, dass zum mit anderen geteilten Wertehintergrund auch uneingestandene Vorurteile gehören, die, einmal bewusst gemacht, der kritischen Reflexion nicht standhalten würden. Darunter werden einige Urteile sein, die sich keineswegs schon auf den ersten Blick als wenig belastbar erweisen, sondern den Schein der Rationalität sehr lange aufrechterhalten können. Und zweitens kann ich nicht erkennen, warum die kritische Reflexion vor irgendeinem Element des evaluativen Hintergrunds haltmachen sollte. Der Hintergrund lässt sich nie auf einen Schlag und in toto ausleuchten, weil jede einzelne Ausleuchtung ihrerseits vor einem für den Moment unbefragten Hintergrund erfolgt. Seine einzelnen Elemente lassen sich jedoch sukzessive prüfen, und warum sollte sich dann der kritische Blick nicht auch auf Werte wie Meinungsfreiheit, Selbstbestimmung und Gleichheit richten und sei es nur, um sie gegebenenfalls als Voraussetzungen für seine eigene Möglichkeit zu erkennen? Die Furcht, dass bei zu viel Aufklärung jede ethische Verbindlichkeit zerbröselt, halte ich für unberechtigt. Wir leiden heute nicht an einem zu Viel, sondern an einem Mangel an kritischer Auseinandersetzung, daran, dass wir viel zu viel für selbstverständlich gegeben halten, während wir doch gerade in Zeiten wie diesen sehen, wie das, was gestern garantiert schien, morgen schon verloren sein kann. Hinter der Furcht vor der zersetzenden Kraft der Reflexion verbirgt sich zudem häufig der Paternalismus derer, die um das Richtige zu wissen meinen, 13

Thomas Nagel, The View from Nowhere, Oxford 1998.

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diese Einsicht anderen – den Vielen – aber nicht zutrauen. Führen wir uns etwa vor Augen, wie die Hochschätzung der Selbstbestimmung nicht nur von vielen anderen Überzeugungen, die wir haben, gestützt wird, sondern unsere Lebensweise insgesamt prägt, kann dies zu einer Stärkung des Werts der Selbstbestimmung führen, statt ihm alle Verbindlichkeit zu nehmen. Ich bin indes nicht sicher und will dies hier ungeschützt in den Raum stellen, ob religiöse Überzeugungen am Ende die kognitive Aufklärung zu überstehen vermögen; eine Aussicht dafür bestünde nur, müsste diese Aufklärung in ihrem eigenen Vollzug prinzipieller Grenzen ihrer Reichweite gewahr werden, die ihr den Zugriff auf die Präsuppositionen religiösen Glaubens verwehrte. Dass jede noch so vorbehaltlose ethische Reflexion von evaluativen und normativen Vorannahmen zehrt, die sie nicht im Geist radikaler Skepsis einklammern kann, allerdings sehr wohl sukzessive zu befragen vermag, ist ein Aspekt der zweiten Seite der zu Beginn angesprochenen Spannung. Ein etwas spezifischerer Aspekt wird sichtbar, wenn man darauf aufmerksam macht, dass auch das Plädoyer für die kritische Selbstreflexion und den offenen Dialog eine Wertung darstellt. Es ist nicht wertneutral. Selbst wenn man nicht soweit gehen möchte wie der Sokrates der Apologie, der erklärt, das ungeprüfte Leben sei nicht wert gelebt zu werden (Apologie, 38a), liegt in der Betonung des Überlegens, des Abwägens von Gründen, der kritischen Hinterfragung von vermeintlichen Selbstverständlichkeiten doch eine, keineswegs von allen geteilte, Parteinahme für Reflexion und Rationalität selbst. Sie ist verbunden mit dem eben geäußerten Vertrauen darauf, dass die kritische Reflexion nicht alle ethischen Verbindlichkeiten unterminiert, sondern diese stärken hilft, wenn sie der rationalen Prüfung standhalten. Gleichwohl gibt es hier tatsächlich eine Gefahr. Gerade in der akademischen philosophischen Ethik, vielleicht besonders in ihren von mir geschätzten analytischen Ausprägungen, droht die Lust an der Argumentation zu einem inhaltlich beliebigen Wettstreit um bloße Cleverness zu werden. Mit ein bisschen argumentativer Schulung und ein bisschen Verstand lässt sich zu jedem noch so einleuchtenden Grundsatz irgendein Gegenbeispiel finden oder ein Gedankenexperiment ersinnen, bei dem alle Intuitionen versagen. Schon die platonischen Dialoge sind nicht frei von fragwürdigen Spitzfindigkeiten. Gegen dieses Umkippen in ein bloßes Spiel gibt es kein Allheilmittel. Aber hilflos ausgeliefert ist man ihm nicht. Für die Lehrenden, ob nun an der Schule oder an der Universität, scheint mir das Wichtigste zu sein, eine Werthaltung zu verkörpern, die klarmacht, dass es bei den jeweils zur Diskussion stehenden ethischen Fragen um etwas geht. Sokrates ging es um nicht weniger als darum, wie man leben soll. Deswegen sollten vorzugsweise lebensnahe Themen besprochen werden, die uns individuell und gesellschaftlich unter den Nägeln brennen oder sehr grundsätzliche ethische

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Überzeugungen und Prinzipien betreffen. Damit die Ernsthaftigkeit sich nicht im Argumentationsspiel verflüchtigt, sollte außerdem darauf gedrungen werden, dass die Unterrichteten zu eigenen, begründeten Urteilen kommen, für die sie sich verantwortlich fühlen. Sie sollten deswegen dazu ermuntert werden, Überzeugungen in der ersten Person Singular auszudrücken, statt sich hinter einem unpersönlichen, pseudowissenschaftlichen und oft einfach schlechten Stil zu verstecken. Mit Bezug auf den Ethikunterricht kann ich den zweiten Aspekt der zweiten Seite der Grundspannung so zusammenfassen, dass der Ethikunterricht bestimmte allgemeine Tugenden verkörpern sollte, Tugenden wie intellektuelle Redlichkeit, Selbständigkeit im Urteil, verantwortliches Argumentieren, aber eben auch ethische Ernsthaftigkeit, die nur im Medium des eigenen Stellungnehmens zu erlangen ist. Bei den soweit angeführten Tugenden handelt es sich vornehmlich um intellektuelle Tugenden. Aber reicht das? Lebt das ethische Reflektieren nicht auch von stärker emotionalen Tugenden? Aristoteles verdanken wir die Einsicht, dass die dianoetische oder Verstandestugend der phronesis, meist mit »Klugheit« übersetzt, aber auch mit »Urteilskraft« übertragbar, so auf die ethischen oder Charaktertugenden angewiesen ist, wie diese umgekehrt auf sie.14 Zu richtigen Urteilen kann nur gelangen, wer charakterlich bereits so geformt und ethisch so orientiert ist, dass er zum Beispiel nicht zur Unbesonnenheit, zu Vorteilsdenken oder zum Ressentiment neigt. Im Gegenzug müssen unsere charakterlichen Anlagen und ethischen Orientierungen für Kritik und Vernunft durchlässig bleiben, um nicht selbst Vorurteilen Vorschub zu leisten. Aristoteles hat sich mit dieser Einsicht nicht zuletzt gegen den sokratischen Intellektualismus gewandt. Dass die ethische Reflexion, bildhaft gesprochen, nicht nur den Kopf braucht, sondern auch das Herz, erschließt sich am besten, wenn wir den Implikationen der Forderung nachgehen, dass diese Reflexion kein einsames Geschäft ist, sondern eine mit anderen praktizierte gemeinsame Tätigkeit. Ich habe schon bemerkt, dass das gemeinsame Überlegen nicht ohne einen Vorrat gemeinsamer Wertüberzeugungen auskommt. Dazu zählt auch das Ethos der rationalen Aufklärung. Aber darüber hinaus kann ein genuin gemeinsames Überlegen nur gelingen, wenn die Gesprächspartner bereit sind, die Perspektive der jeweils anderen nicht weniger ernst zu nehmen als die eigene. Sie müssen die Fähigkeit besitzen, die Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu sehen, und diese Fähigkeit ist nicht eine rein intellektuelle, sondern auch eine des emotional grundierten Respekts. Hannah Arendt hat in ihren Beobachtungen zum sokratischen Dialog die Fähigkeit, die Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu sehen, als eine genuin politische bezeichnet. In der 14

Aristoteles, Nikomachische Ethik VI 13.

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Politik komme es darauf an, »die verschiedensten Arten von Wirklichkeiten […] zu verstehen – zu verstehen, wie diese Wirklichkeiten sich den jeweiligen doxai, den Meinungen der Bürger, eröffnen, und gleichzeitig zwischen den Bürgern mit ihren Meinungen so kommunikativ zu vermitteln, dass die Gemeinsamkeit der Welt erkennbar wird.«15 Dies lässt sich auch diesseits der Politik erproben. Vielleicht ist es erlaubt, ein Beispiel aus einem Proseminar zu geben, das ich zum Thema »Tod und Sterben« für Studierende des Lehramtsfachs »Werte und Normen« gegeben habe. In diesem Seminar gab es einige Teilnehmerinnen muslimischen Glaubens, die sich interessanterweise wegen dieses Glaubens stark von den Überlegungen zur Unsterblichkeit der Seele in Platons Phaidon angezogen gefühlt haben. Eine dieser Teilnehmerinnen hat dann in einer Sitzung behauptet, dass sie wisse, was nach dem Tod komme, denn schließlich gebe es dazu klare Auskünfte im Koran. Ich habe darauf mit der Frage reagiert, ob sie einen Unterschied zwischen »wissen« und »glauben« machen würde. Wichtiger ist jedoch, dass sich später in meiner Sprechstunde ergeben hat, dass für die Studentin ein tiefes Rätsel war, wie ich als Nichtgläubiger, für den der Tod das endgültige und irreversible Ende des Lebens ist, nicht am Leben verzweifeln müsse. Natürlich war der scharfe Gegensatz zwischen ihrer und meiner Sicht nicht auszuräumen. Aber dadurch, dass wir, glaube ich, den Standpunkt des jeweils anderen ernstgenommen haben, sind wir doch immerhin auf die eine zwar allgemeine, aber nicht triviale Gemeinsamkeit gestoßen, dass wir beide in der Endlichkeit des Menschen ein Problem sehen, das uns existentiell zu schaffen macht, wenn wir es nicht verdrängen. Dies hat für uns ein Stück der von Arendt beschworenen »Gemeinsamkeit der Welt« erkennbar gemacht, das trotz weit auseinandergehender Meinungen möglich erscheint. Auch so ist die Fähigkeit, die Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu sehen, von der Arendt spricht, allerdings noch zu abstrakt gefasst. Die Fähigkeit verlangt, sich in die Perspektive anderer hineinzuversetzen, und dies muss, so habe ich gesagt, im Rahmen gemeinsamen Überlegens und Sprechens von einem emotional grundierten Respekt begleitet sein. (Schließlich kann sich in die Lage des anderen auch ein Sadist hineinversetzen.) Aber das Gespräch, etwa im Unterricht, findet nicht nur untereinander statt, sondern es ist auch ein Gespräch über andere. Sinnfällig ist das beispielsweise bei Fragen der Migrationsethik. Wozu sind wir – einzeln wie als Gesellschaft – im Umgang mit Flüchtlingen verpflichtet? Um darauf, wie tentativ immer, Antworten zu geben, müssen wir uns ebenfalls in andere hineinversetzen, aber nun nicht primär in unsere unmittelbaren Gesprächspartner in der Schule oder in der Universität, sondern in die Flüchtlinge wie auch in diejenigen, die sie als 15

Arendt, Sokrates (so. Anm. 4), 53.

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Bedrohung empfinden. Nur wie soll das gelingen? Spätestens hier bin ich an einem Punkt angelangt, an dem didaktische Vorschläge für den Unterricht angezeigt wären, für die mir nur leider die Kompetenz fehlt. Es gibt hier gleich ein ganzes Bündel von Fragen. Wieweit sollen und müssen wir im Ethikunterricht und in der ethischen Reflexion auf Empathie setzen und diese fördern? Wie könnten wir das machen? Wie entscheiden wir, wem gegenüber Empathie angeregt werden soll und wem gegenüber eher nicht? Die Auswahl wird dabei immer schon von unseren wertenden Vorannahmen gesteuert sein. Und wenn unser Urteil dann entscheidend modifiziert wird, nachdem es uns gelungen ist, uns die Lage der anderen lebhaft vor Augen zu führen, wie und in welchem Maße sollen wir dieses Urteil dann wieder relativieren, indem wir es in größere Zusammenhänge stellen, also zum Beispiel die unmittelbare Hilfspflicht in den Kontext politischer Rahmenbedingungen? 4. »Werte und Normen« und der Religionsunterricht Mit diesen letzten Bemerkungen bin ich nun bereits über allgemeine Reflexionen zur philosophischen Ethik hinausgegangen und auf das Feld unterrichtspraktischer Fragen vorgestoßen. Ich habe damit einen Punkt erreicht, von dem aus ich mit einigen programmatischen Überlegungen zum Fach »Werte und Normen«, seiner Vermittlung in der Schule und seinem Verhältnis zum Religionsunterricht schließen möchte. In seiner ursprünglich intendierten Form halte ich das Fach »Werte und Normen« für eine Fehlkonstruktion. Die Aufsplitterung in Anteilsfächer mit deutlich unterschiedenen Fachkulturen und Fachselbstverständnissen (Philosophie, Religionswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft) trägt zur Orientierungslosigkeit der Studierenden bei und fördert den unvorteilhaften Eindruck, als würde es sich beim Fach »Werte und Normen« um ein disziplinäres Potpourri handeln, das von Anfang an nur als Religionsersatzfach gedacht war, d.h. nicht als ein Fach, das den Religionsunterricht ersetzen soll, sondern als ein Fach, das nur ausnahmsweise einspringt, wenn der Regelfall des Besuchs des Religionsunterrichts nicht eintritt. Ich glaube, dass sich dieser Geburtsfehler nur heilen lässt, wenn die Philosophie bzw. die philosophische Ethik als Leitfach unter den Anteilsfächern von »Werte und Normen« anerkannt und in eben jenem reflexiven Sinn verstanden wird, den ich zu erläutern versucht habe. Das radikal reflexive Verständnis der philosophischen Ethik, für das ich plädiere, steht aber im Gegensatz zum Niedersächsischen Schulgesetz, in dessen § 128 es heißt: »Im Fach Werte und Normen sind religionskundliche Kenntnisse, das Verständnis für die in der Gesellschaft wirksamen Wertvorstellungen und Normen und der Zugang zu philosophischen, weltanschaulichen und religiösen Fragen zu vermit-

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teln.«16 Trotz seiner Schwammigkeit suggeriert dies, dass es dem Fach um die Vermittlung von Werten und Normen gehen sollte, also genau um eine Leistung, auf die es in meiner Sicht von philosophischer Ethik gerade nicht ankommen sollte. Erst wenn man den rückhaltlos hinterfragenden Charakter der philosophischen Ethik als Leitfaden auch für »Werte und Normen« ernstnähme, ließe sich das Fach »Werte und Normen« auch hinreichend vom traditionell konfessionsgebundenen Religionsunterricht abheben. Ein konfessionsgebundener Religionsunterricht muss nämlich im Kern auf die Artikulation eines bestimmten Werterahmens – eben des jeweiligen religiösen Glaubens – setzen. Er kann diesen nicht in gleicher Weise zur Disposition stellen wie dies die philosophische Ethik anstrebt. Der Religionsunterricht wird in einem viel größeren Maße als die Ethik eine Binnenhermeneutik betreiben, die die Bestände der eigenen Glaubenstradition sichtet und einer, wiewohl ständig erneuerten, Aneignung zuzuführen sucht. So wie ich den Text des Niedersächsischen Schulgesetzes verstehe, setzt er dagegen auf eine andere Abgrenzung von Religionsunterricht und »Werte und Normen«. Bezogen auf die Religion kommt dem Fach »Werte und Normen« danach im Wesentlichen die Aufgabe zu, ein Minimum an religiöser »litteracy« zu garantieren. So wird die Rede von den »religionskundlichen Kenntnissen« zu verstehen sein, nur dass diese dann noch um weitere Kenntnisse von anderen »in der Gesellschaft wirksamen Wertvorstellungen und Normen« – etwa die zentralen Sätze des Grundgesetzes – erweitert werden soll. Dieses rein deskriptive Verständnis des Fachs hat unmittelbare Auswirkungen auf sein Studium und seine schulische Vermittlung, die mir nicht begrüßenswert erscheinen. Auch dies sei an einer konkreten Erfahrung illustriert. Die philosophische Ethik, so wie ich sie verstehe, zielt auf Urteilsbildung und diese Urteilsbildung muss sich, so hatte ich gesagt, am Ende in der Fähigkeit und Bereitschaft zur eigenen engagierten und verantwortungsvollen Stellungnahme manifestieren, da wir als Urteilende unvertretbar sind. Der Student oder die Studentin und später der Schüler oder die Schülerin muss »ich« sagen können. Ginge es nach vielen Vertretern der anderen Anteilsfächer von »Werte und Normen«, also Religionswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft, soll das Ich-sagen aber gerade nicht gepflegt werden. Meinem Eindruck nach wird diese Forderung am entschiedensten von der Religionswissenschaft erhoben, und zwar nicht nur wegen eines allgemeinen Verständnisses von Wissenschaftlichkeit, sondern auch, wie ich vermute, zur Abgrenzung von der konfessionsbezogenen Theologie, der die Religionswissenschaftler häufig selbst entstammen. Das führt dazu, dass ich regelmäßig die Erfahrung mache, dass meine »Werte und Normen«-Studentinnen – dieses Fach ist ein fast rein weibliches – erst einmal verwirrt sind, wenn ich ihnen sage, sie soll16

Verfügbar unter www.nds-voris.de (Zugriff am 28.2.2018).

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ten sich in einer Hausarbeit selbst positionieren, freilich gestützt auf Argumente, während z.B. in der religionswissenschaftlichen Hausarbeit genau dies oft nicht geschehen soll. Damit möchte ich in keiner Weise in Abrede stellen, dass der Erwerb religionskundlicher Kenntnisse und der Kenntnisse anderer Wertvorstellungen und Normen im Rahmen von »Werte und Normen« eine wichtige Aufgabe ist, die dieses Fach dann material auch von der Philosophie unterscheidet. Ich bin der Letzte, der nicht beispielsweise bedauern würde, dass ich in dem angeführten Seminar über Tod und Sterben erläutern musste, wer Paulus ist und dass sich seine Auferstehungslehre im 1. Korintherbrief radikal von Platons Glaube an die Unsterblichkeit der Seele unterscheidet. Aber wir brauchen eine Auskunft auf die Frage, wozu die religionskundlichen Kenntnisse genau dienen sollen. Im Religionsunterricht haben sie einen wohl bestimmten Ort, weil sich in ihnen das eigene Glaubensbekenntnis artikuliert oder sich dieses Bekenntnis an ihnen – etwa wenn es sich um Kenntnisse anderer Religionen handelt – schärfen lässt. Ihr Ort im »Werte und Normen« Unterricht wäre aus meiner Sicht klarer, wenn wir die religionskundlichen Kenntnisse als kulturell verdichtete, eminent wichtige Ressource für die eigene kritische ethische Selbstverständigung begriffen. Die ethische Reflexion erfolgt, so hatte ich gesagt, nicht von nirgendwo, sondern immer vor dem Hintergrund zunächst einmal unbefragter Wertüberzeugungen und die haben auch für Nichtgläubige häufig eine religiöse Vorgeschichte. Die Auseinandersetzung damit setzte dann aber wieder die Art von reflexivem Ethikverständnis voraus, das ich den sokratischen Dialogen abgelesen habe. Wenn man nun aber gewillt wäre, den »Werte und Normen«-Unterricht so zu interpretieren, wie ich dies vorschlage, dann wäre in letzter Konsequenz nicht mehr zu sehen, warum der Unterricht in »Werte und Normen« lediglich als Ersatzfach für den Religionsunterricht fungieren sollte. Der vorhin zitierte § 128 des Niedersächsischen Schulgesetztes beginnt in Absatz eins mit den Worten: »Wer nicht am Religionsunterricht teilnimmt, ist stattdessen zur Teilnahme am Unterricht Werte und Normen verpflichtet, wenn die Schule diesen Unterricht eingerichtet hat.« Ein »Werte und Normen«-Unterricht – und allgemeiner der Unterricht in Ethik – wie ich ihn mir vorstelle läge jedoch gar nicht mehr auf einer Ebene mit dem Religionsunterricht. Diese Vorstellung ergibt eigentlich nur Sinn, wenn man den »Werte und Normen«-Unterricht als eine Art Ersatzbekenntnisunterricht auffasst, was er aber ja wegen seiner deskriptiven Anlage wiederum nicht sein soll. Ein »Werte und Normen«-Unterricht, der der reflexiven Urteilbildung in den zentralen ethischen Fragen unseres Lebens dient, müsste dagegen für alle verpflichtend sein. In dieser Perspektive wäre der Besuch des Religionsunterrichts optional und nicht die Regel, von der der Besuch des »Werte und Normen«-Unterrichts die Ausnahme ist.

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Was kann und sollte die Religionswissenschaft in der Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern für die Fächer »Religion«1 und »Ethik«2 leisten? 1. Einleitung 1.1 Bedarfsorientierte Ausrichtung der Religionswissenschaft »Wir unterrichten am Bedarf vorbei«, so sagte mir ein Kollege aus der Religionswissenschaft und hatte dabei vor Augen, dass die Mehrheit an seiner Fakultät mit dem Ziel »Lehramt« studiert. In vielen geisteswissenschaftlichen Fächern kommt gerade der Ausbildung von künftigen Lehrerinnen und Lehrern ein hoher und zum Teil in den letzten Jahren steigender Stellenwert zu. Dies trifft an vielen Universitäten auch auf das Fach Religionswissenschaft zu, sei es der philosophischen, sei es der theologischen Fakultät zugeordnet. Sich vorrangig oder gar ausschließlich an den so genannten Hauptfachstudierenden zu orientieren, wäre damit den Studierenden gegenüber insgesamt nicht (mehr) angemessen. Künftige Mathematiker haben andere Anfragen an das Studium ihres Faches als künftige Mathematiklehrer. Dies gilt ebenso für Theologen und Religionslehrer wie für Religionswissenschaftler und Ethik-/Philosophielehrer. So wichtig die Spezialisten auch sein mögen, so sollte doch auch den auf das Lehramt Studierenden ihr Recht gegeben werden, da sie die künftigen Multiplikatoren für das Fach sind und vielfach die Majorität unter den Studierenden bilden. Für ein Fach wie Religionswissenschaft bedeutet dies, am Bedarf dieser Kandidaten und Kandidatinnen vorbei zu agieren, wenn vor allem künftige Wissenschaftlerinnen und Forscher ausgebildet werden sollen – deren Anspruch allerdings auch Raum haben soll. Mitunter wird es zu einem Balanceakt des Dozierenden, beiden Gruppen gleichermaßen gerecht zu werden. Gleichermaßen sind auch die Studierenden implizit aufgefordert, den Themenwünschen der jeweils Anderen Rechnung zu tragen. In diesem Sinn können einerseits nicht nur, überspitzt ausgedrückt, der Shivaismus des 7.-13. Jahrhunderts oder Religionstheorien 1 Gemeint ist Religionsunterricht gemäß Art. 7.3 GG, der inzwischen nicht nur auf das Christentum, unterteilt in evangelische und katholische Religion, bezogen ist, sondern ebenso auf den islamischen Religionsunterricht. 2 Die Begriffe variieren in den Bundesländern, so heißt es entsprechend in Niedersachsen, Werte und Normen; andere Bundesländer verwenden je nach Schultypen unterschiedliche Bezeichnungen, wie zum Beispiel Thüringen zwischen Philosophie für Gymnasien und Ethik für Regelschulen unterscheidet.

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für die Hauptfächler, andererseits auch nicht nur Einführungen in die Weltreligionen wie den Islam und das Judentum für die Lehramtskandidaten angeboten werden. 1.2 Konfessionell gebundene und konfessionslose Studierende der Religionswissenschaft Bei den zukünftigen Religionslehrenden kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass sie zumindest eine Religion weitgehend kennen und dieser auch angehören. Häufig sind es christliche Studierende verschiedener Konfessionen, doch zunehmend auch Muslime, die künftig islamischen Religionsunterricht erteilen und unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb des Islam angehören. Bei den konfessionell gebundenen Studierenden kann an ein Grundverständnis von Religion angeknüpft werden und durch die Kenntnis zumindest einer Religion gelingt es diesen Lehrkräften oftmals, die anderen Religionen zu dieser in Beziehung zu setzen. Das Christentum bzw. der Islam wie alle anderen Religionen erscheinen durch den Perspektivwechsel der Religionswissenschaft und die Außenbetrachtung mitunter ungewohnt, Selbstverständlichkeiten werden infrage gestellt, Blickwinkel erweitert und neue Perspektiven eröffnet. Auch der Blick auf das Judentum,3 das in der christlichen oder islamischen Theologie innerhalb einer spezifischen Beziehung thematisiert wird, wird in der Religionswissenschaft als in sich eigenständige Religion um seiner selbst willen vorgestellt. Ein Bezug oder eine Grundhaltung gegenüber Religion kann bei den Studierenden des Faches Ethik nicht vorausgesetzt werden; unter ihnen sind sowohl generelle Kritiker – völlig undifferenziert – von Religion (was auch immer darunter verstanden wird), als auch Neutrale, Skeptische, Interessierte, Aufgeschlossene, Sympathisanten oder Angehörige (irgend)einer Religion. Ein besonderes Problem kann bei Studierenden dieser Gruppe im späteren Berufsalltag dadurch entstehen, dass ihre Schüler und Schülerinnen sich in den jeweiligen Religionen weit besser auskennen als die Lehrenden selbst. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand von den Schülern und Schülerinnen Bibel oder Koran kennt, ist höher, als diejenige, dass schon Schriften von Kant und Hegel gelesen wurden, die zum Studienfach Philosophie gehören. Ethik-Lehrende 3

Gerade in Bezug auf das Judentum erweist es sich als angemessen und hilfreich, weitgehend wissenschaftliche Ausführungen und Quellentexte jüdischer Provenienz zugrunde zu legen. Diese stehen in qualitativ hochwertiger und quantitativ ausreichender Weise zur Verfügung. Doch auch in diesem Fall gilt es wie bei den anderen Religionen, dass die Quellentexte selbst Gegenstand der religionswissenschaftlichen Bearbeitung sind und vielfach selbst nicht der für das Fach erforderlichen religionswissenschaftlichen Reflexion unterliegen.

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berichteten, dass sie auf Fragen und Konflikte, die im weiteren Sinn zum Themenfeld Religion gehören, nicht vorbereitet sind. Auch wenn einerseits Religion (gemeint ist damit zumeist das Christentum mitteleuropäisch-kirchlicher Gestalt, was mitunter in solchen allgemeinen Aussagen unreflektiert mit Christentum insgesamt gleichsetzt wird) an Bedeutung zu verlieren scheint, so ist anderseits deutlich, dass die Lehrenden mit einer multireligiösen und säkular gemischten Schülerschaft (und entsprechend auch den Eltern) zugleich zurechtkommen müssen. Die Diversität der Schülerschaft stellt hohe Anforderungen an die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer. Die generelle Gefahr besteht bei manchen (!) Studierenden, allerdings bei beiden o.g. Gruppen gleichermaßen, darin, das Niveau bei den Anforderungen des Faches Religionswissenschaft zu unterschätzen. Zum Studium gehört die Bereitschaft, sich auf die jeweils unterrichtete Religion einzulassen, die religionswissenschaftlichen Methoden (für Lehrkräfte insbesondere diejenige des – anspruchsvollen – religionswissenschaftlichen Vergleichs, der nicht einfach per Augenmaß geführt werden darf) zu verwenden, Religionen in ihrer jeweiligen Eigenart und in ihrem spezifischen Religionsverständnis (der christliche Religionsbegriff hilft oftmals nicht weiter) wahrzunehmen und dann wieder distanziert und konstruktiv mit dem Erlernten umzugehen. 1.3 Was also kann das Fach Religionswissenschaft angehenden Lehrkräften bieten? Im Folgenden soll ausführlich am Beispiel von Ethik (im spezifischen Sinn des Wortes) exemplarisch und möglichst anschaulich ausgeführt werden, was der religionswissenschaftliche Zugang leisten kann. Es wird deutlich werden, dass sich bereits an diesem für beide Fächer bedeutsamen Terminus Ethik eine Vielfalt von Verständnismöglichkeiten zeigt. Viel mehr noch, diese Vielfalt wird bereits deutlich, ohne dass überhaupt einzelne Faktoren der jeweiligen Ethiken weiter entfaltet werden. Schon das Verständnis dessen, was Ethik sei, wird gewissermaßen zu einer Fundgrube, die die Problematik zeigt, aus dem Christentum oder der Antike entnommene Termini auf andere Religionen zu übertragen. Ebenso zeigt sich die Schwierigkeit von religionsübergreifenden Vergleichen. So werde ich es – aus Raummangel – bei der Vorstellung des jeweiligen Ethikverständnisses und bei einer kurzen Hinführung und dem Anreißen von Fragestellungen bewenden lassen (müssen). Im Folgenden werde ich in Bezug auf die genannte Lehramtsausbildung diskutieren, was Kompetenz im Fach Religionswissenschaft allgemein bedeuten kann (Abschnitt 2). Im Weiteren werde ich die Chancen und Grenzen des religionswissenschaftlichen Wirkens skizzieren (Abschnitt 3),

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danach die Bedeutung des Religionskontextes am Beispiel des Begriffes »Ungläubiger« darstellen (Abschnitt 4) und dann ein Resümee (5) ziehen. 2. Ein Beispiel: Was bedeutet Ethik in den einzelnen Religionen? In diesen Überlegungen zu einem angemessenen und differenzierten Umgang mit Ethikkonzepten unterschiedlicher Religionen werden die entscheidenden Fragen angesprochen, um die Aufgabe der Religionswissenschaft für die genannten Unterrichtsfächer zu veranschaulichen: Was bedeutet Ethik innerhalb dieser Religionen jeweils, wie wird sie inhaltlich bestimmt, wie lassen sich adäquate Vergleiche und Gegenüberstellungen vollziehen, wo liegen mögliche Fehlerquellen? Es wird dabei um elementare Linien gehen und um grundsätzliche Punkte, die – aufgrund der Kürze des Artikels – oft nur angesprochen, aber nicht in der möglichen Tiefe erörtert werden. Es geht mehr um ein Nachdenken, das zu grundlegenden Fragen des Ethikverständnisses führen soll, als darum, einzelne Inhalte solcher Ethiken darzustellen, die sich vielfach und ebenso gut in Ethiklehrbüchern finden lassen.4 Gewiss erhalten auch diese Inhalte durch die jeweilige Bedeutung, die Ethik insgesamt in den vorgestellten Religionen hat, wiederum ihre je spezifische Ausrichtung und Bedeutung. Diese können allerdings in einem solchen Artikel nicht weiter behandelt werden – so spannend und weiterführend es auch wäre, zumindest eine ethische Regel durch die verschiedenen Ethikkonzepte hindurch zu deklinieren. 2.1 Judentum, Christentum, Islam Zu den Fehlerquellen gehört die vielfach zu hörende Bemerkung, wenn etwas Religionsspezifisches dargestellt wird: »das gibt es doch auch in den anderen Religionen« bzw. »das gibt es doch bei uns auch«, ohne zu berücksichtigen, dass es mitunter eine andere, entscheidende Nuance hat, anders ausgestaltet wird, einen anderen Stellenwert innerhalb der Religion hat, nur scheinbar ähnlich ist, oder variabel in einer Religion gegenüber nicht variabel in einer anderen Religion ist. So kennen selbstverständlich das Judentum und das Christentum etwa die Zehn Worte (Judentum) bzw., damit praktisch gleichlautend, die Zehn Gebote (Christentum). Auch im Islam finden sich viele dieser Gebote. Doch schon diese elementare Gemeinsamkeit ist nicht so identisch wie sie scheint. Zum einen werden die Zehn Worte bzw. Zehn Gebote unterschiedlich ausgelegt und praktiziert, und trotz der Selbstverständ4

Vgl. etwa: Peter Antes u.a., Ethik in nichtchristlichen Kulturen, Stuttgart 1984, oder Michael Klöcker / Udo Tworuschka (Hg.), Ethik der Weltreligionen, Darmstadt 2005.

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lichkeit, mit der die Zehn Worte auch als Zehn Gebote für das Christentum vereinnahmt werden, gibt es doch kaum einen Christen, der »am Sabbath ruht, so wie Gott geruht hat«. Ebenso ist die Basis der Ethik grundverschieden. Die grundlegende Identifikation mit dem Volk, das »aus Ägypten befreit wurde«, wie dies für Jüdinnen und Juden als Kernsatz einer religiösen Identität zu Pessach zelebriert wird, fehlt im Christentum in dieser spezifischen Weise. So ist die Grundlage dieser »Ethik« der Gebote nicht dieselbe, zumal für Christen letztlich Jesus Christus die Grundlage jeglicher Ethik bildet und nicht die Gebote der Schrift des Bundes selbst, die Gott seinem Volk am Sinai offenbart und ihm als Auszeichnung gegeben hat. Damit aber kommt aber auch der Ethik insgesamt in beiden Religionen ein je eigener unterschiedlicher Stellenwert zu. Diese Differenz betrifft zwar auf den ersten Blick feine, letztlich aber starke Differenzen. Diese werden etwa in der Formulierung von Romain und Homolka deutlich: »Im Judentum gilt es nicht als Häresie, eine ›falsche‹ Ansicht über Gott zu haben, sondern Gottes Dasein durch unmoralische Taten zu leugnen.«5 Es wäre daraufhin weiter interessant, diese Formulierung auf ihren spezifischen Charakter innerhalb des progressiven Judentums hin zu befragen – aber auf jeden Fall wird der Unterschied zum Christentum, trotz des Gleichnisses vom Weltgericht in Mt 25, deutlich. 2.1.1 Judentum A Mit dem vorangegangenen Zitat wurde bereits angedeutet, dass sich die Frage nach Ethik im Progressiven Judentum anders stellt als im so genannten Orthodoxen Judentum. Es kann von einer Transformation dieses Praxisverständnisses vom orthodoxen zum progressiven Judentum hin gesprochen werden. Die Gefahr bei einer modernen Bewertung dieser beiden Ausrichtungen liegt darin, dass das orthodoxe Judentum von einem Religionsverständnis ausgeht, dass einem westlich geprägten Menschen der Gegenwart fremder ist als das Verständnis des progressiven – und deshalb auch das entsprechende progressive Ethikverständnis eher Sympathie erlangt. Das progressive Judentum sieht mehr auf die einzelne Person, ihre jeweiligen Bedürfnisse, psychischen und physischen Komponenten und Konstellationen, daraufhin auf ihre Bedeutung in Partnerschaft und Familie und schließlich als Bestandteil des Volkes Israel, welches unter den Geboten Gottes und in seiner Identität als eben dieses erwählte Volk steht. Dieses Volk wiederum wird in der Weltgemeinschaft als Gottes Schöpfung angesehen. Aus dieser Perspektive werden die Gebote so verstanden, interpretiert und gestaltet, wie sie dem Leben des Einzelnen wie auch der Gemeinschaft nützlich sind. Damit wird 5 Jonathan A. Romain / Walter Homolka, Progressives Judentum. Leben und Lehre, München 1999, 40.

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zwar die Souveränität Gottes als »Gesetzgeber« (so etwa die klassische Formulierung bei Philo von Alexandrien) belassen, doch die Rabbinen, später die Rabbis, sind für das adäquate Verständnis dieser Gebote entsprechend der individuellen und gemeinschaftlichen jeweiligen Situation des Judentums verantwortlich, sie möglichst dem Leben, der Seele, dem Körper und dem Zusammenleben gegenüber fördernd zu interpretieren. 2.1.2 Judentum B Anders wiederum stellt sich die Frage beim Judentum aus klassisch orthodoxer Perspektive: Ethik, also die von Gott gegebenen Gebote (Mizwot), sollen letztlich nicht einmal für irgendein Ziel erfüllt werden müssen, – gewiss, sie ordnen die Gesellschaft, sind sozial und helfen anderen (um Gottes Willen) –, sondern weil sie als Gebote Gottes ihren Wert in sich tragen. Das Erfüllen der Gebote selbst ist gewissermaßen Gottesdienst. Es ist Erfüllung seiner (ewigen) Weisung. Der Gebieter hat seinem Volk diese Gebote gegeben und sein Volk hat sie grundsätzlich – im Bundesschluss – von ihm angenommen. Was also kann es Höheres geben, als diese vom Gebieter gegebenen Gebote in dieser Welt und ihren Bedingungen zu erfüllen – es sei denn, sie werden durch ein höheres Gebot überholt, etwa das Gebot, Leben zu erhalten. Denn das Leben ist Gottes Gabe und es soll zur Erfüllung kommen. Dabei kann »Leben erhalten« unterschiedlich weit interpretiert werden – doch es darf nicht zu einer Annullierung oder Egalisierung der Gebote des Gebieters führen. So mögen manche jüdischen Gebote scheinbar christlichen oder muslimischen entsprechen, doch durch ihre innerreligiöse Bedeutung und Zielrichtung erhalten sie ihre je spezifische Qualität. 2.2 Buddhismus Deutlich anders stellt sich etwa die grundsätzliche Frage nach der Bedeutung von Ethik, wenn das Tun im konkreten wie im weitesten Sinn des Wortes zum Werden wird. Es ist bei dieser Formulierung an die Karmalehre gedacht, wie sie sich in den klassischen, aus Indien stammenden Religionen findet. Besonders im Buddhismus wird diese Frage insofern interessant, als es nach der entsprechenden Lehre genau genommen gar nichts anderes gibt als Karma, im Sinne von Tun, Werden, Vergehen und Tun.6 Wäre im Sinn des Ethikverständnisses damit der gesamte Buddhismus Ethik, weil es nur um Tun und damit als Ziel um das richtige Tun geht, das nicht nur kein schlechtes Karma (d.h. Tun und damit inklusive Wirken) bewirkt, sondern letztlich auch kein gutes, weil selbst dieses etwas bewirkt, sondern ohne dieses Bewirken handelt? 6

Sehr schön wird diese Lehre im Film »Frühling, Sommer, Herbst und Winter« (Südkorea 2003, Regie: Kim Ki-Duk) dargestellt.

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Oder wäre es gerade keine Ethik, da die Frage des Handels eigentlich als ein Mittel zum Zweck gesehen wird, ein »Nicht (anhaftendes) Handeln«, das zur Befreiung führt? 2.3 Hinduismus Damit verbunden, aber anders nuanciert ist die Frage nach Ethik im Hinduismus. Es geht dabei insofern um ein gutes Handeln als dieses Handeln der ewigen, differenzierten Weltordnung entsprechen soll, von der die einen meinen, sie sei in Bezug auf den Menschen etwa in dem Manusmriti als Kodex hinreichend niedergelegt, andere wiederum, sie sei durch die Autorität vermittelt, d.h. durch Autoritäten, die diese Autorität dazu haben und denen sie zuerkannt wird. Selbstverständlich wird in beiden Religionen unter Handeln jegliche Form von physischer, psychischer und spirituelle Aktion gemeint, deren letztes, sublimes Kriterium schließlich die Intention ist. Die Tat bringt aus sich heraus das Entstehende hervor, jedes Wesen ist die Folge der vergangenen Taten, und die Taten werden die Grundlage dessen sein, was das Entstehende in Zukunft wird. 2.4 Ethik – als etwas Auszuhandelndes Ethik stellt eine Norm dar, die jede menschliche Gesellschaft konstituieren muss, damit sie funktionieren kann; auf diese Weise erscheinen Momente von Ethik als religionsübergreifende Faktoren, die dann so allgemein begründbar und nachvollziehbar sein müssen, dass sie mit der jeweiligen Religion an sich nichts zu tun haben, wie etwa, dass nicht gestohlen werden soll. 3. Kompetenz im Fach Religionswissenschaft Religionen zu kennen und mit ihnen umgehen können bedeutet mehr als eine Ansammlung von Wissen und Informationen. Es erfordert eine – zumindest theoretische – Interaktion mit dem Gegenüber, soziale und kulturelle Kompetenz. Eine Begegnung mit (anderen) Religionen kann im Studium zunächst durch das Lesen von Texten und der Aneignung von Wissen geschehen und dann in persönlichen Erfahrungen weitergeführt werden. Häufig sind im Schulalltag allerdings solche persönlichen Begegnungen der praktische Ausgangspunkt theoretischer Fragestellungen. Die Reflexion über solche Begegnungen kann im positiven Fall zu respektvollem und wertschätzendem Wissen führen. Dies setzt ein intuitives, spontanes oder auch ein reflektiertes, erarbeitetes Erfassen im Gesamtkontext der jeweiligen Religionen voraus, das nur sehr bedingt durch (Schul-)Lehrbücher erfasst und vermittelt werden kann. Diese

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sind auch von ihrer Anlage her zumeist auf Elementarisierung und damit auch auf Zersplitterung des Gesamten ausgerichtet, indem sie einzelne Faktoren von an sich komplexen Religionen herausgreifen, um diese Schülern und Schülerinnen angemessen zu vermitteln. Durch den Umgang mit sozialen Medien können sehr schnell viele Informationen über Religionen zusammengetragen werden. Gewiss ist es sinnvoll zu lehren und daraufhin zu lernen, dass im Christentum an einen trinitarischen Gott geglaubt wird, im Islam nicht. Doch was meinen Muslime oder Christen, wenn sie von Trinität sprechen oder von Hingabe an Gott, von Ethik oder davon, den Willen Gottes auf Erden zu erfüllen? Was meinen sie jeweils persönlich, aber auch abstrakt, mit »Religion«? Statistiken und minimalisierte Antworten auf Fragen geben zwar Hinweise, lassen aber nicht die Situation erfassen. Letzteres ist heute ebenso wichtig, wie die akademische Durchdringung. Denn Religions- oder Ethikunterricht hat inzwischen nicht allein mit Modellen zu tun, sondern in der jeweiligen Lernsituation vielleicht mit fiktiven, aber grundsätzlich realistisch möglichen Begegnungen, die unter Umständen im Seminar oder in der Klasse selbst geschehen. Die jeweils fremde Religion ist das Gegenüber. Eine Vermittlung von Religionen ohne innere Auseinandersetzung mag sachlich erscheinen, erfasst aber den eigentlichen (existenziellen) Kern nicht und bleibt damit, wie differenziert auch immer sie sein mag, an der Oberfläche: Religion ist nicht real ohne Existenzbezug, sondern bleibt fiktiv. In diesem Sinn stellt eine rein objektive Betrachtung eine Fiktion dar, denn ohne eine Begegnung fehlt die für das eigentliche Verständnis von Religionen notwendige Lebendigkeit. So diskutieren in Fachgesprächen oft Personen miteinander, bei denen die eine Person etwa Texte im Original gelesen und sich seit Jahren mit dieser Religion, den entsprechenden Personen und Ländern auseinandergesetzt hat, mit einer anderen Person, die aber nur ein fragmentarisches, distanziertes, angeeignetes Wissen hat, sich jedoch ebenfalls als kompetent versteht, weil sie dieses Wissen vermitteln kann. Ein Problem kann dann dadurch entstehen, dass die jeweiligen Aussagen zwar an sich inhaltlich richtig sind, aber der Komplexität der jeweiligen Religionen nicht gerecht werden. Sie entziehen sich ab einem bestimmten Level einem Ja/Nein-Schema ebenso wie einer Charakterisierung durch Statistiken und Informationen über sie. Es besteht die Gefahr, dass diese Form der Elementarisierung als Reduzierung komplexer Religionen mehr Schaden als Nutzen stiftet. Mitunter betrifft ein Thema, das gerade im Religionsunterricht behandelt wird, einen Teil der Schüler oder Schülerinnen ganz direkt.7 Diese gerade ausgeführten Momente mögen theore7 So kann etwa, um ein sehr elementares Beispiel aus der Praxis aufzugreifen, einen muslimischen Schüler die Vorstellung beunruhigen, dass neben ihm eine Schweine-

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tisch erscheinen, sind aber für eine gelungene Lehrerausbildung elementar. Mit fragmentarischem Religionswissen lässt sich keine interreligiös kommunikative Gesellschaft gestalten. Spätestens in der alltäglichen (schulischen) Lehr- und Unterrichtspraxis erfahren Lehrende, dass das angelernte fragmentarische Informationswissen ihnen zwar irgendwie das Gefühl gibt, dass sie etwas wissen, das sie nun auch vermitteln können – aber dass sie auch regelmäßig an die Grenzen stoßen: »Das kann es doch nicht sein,« bzw. »Das kann doch nicht alles sein, was die jeweilige Religion ausmacht?!« So ist es die Aufgabe des Faches Religionswissenschaft, den zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern diese Gesamtperspektive auf die jeweiligen Religionen zu vermitteln und sie in ein Gespräch mit hinein zu nehmen, dass ihnen ein weiteres, vertieftes Verständnis von den jeweiligen Religionen vermittelt. Es kann also nicht (allein) darum gehen, fragmentarisches Informationswissen durch noch mehr differenzierte Informationen anzufüllen – denn »an Infos glaubt keiner« und »Infos machen keine Religion.« Es ist dann später die Aufgabe der Lehrenden in ihrer Unterrichtspraxis, das jeweilige komplexe Gesamtverständnis so zu vermitteln, dass es grundsätzlich potentiell und qualitativ ein komplexes Gesamtverständnis bleibt, auch wenn es dabei – naturgemäß – weit offener gestaltet, exemplarischer und lückenhafter sein wird, als wenn sie ausschließlich so genannte Fakten über Religionen weitergeben. Es gibt viele niveauvolle Lehrbücher zu Weltreligionen, auf die Lehrende nicht vorbereitet sind, wenn ihre eigene Ausbildung im Fragmentarischen stehen geblieben ist. Dann besteht die Gefahr, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Inhalte kontextlos, damit ohne Sinnzusammenhang so verkürzt darstellen, dass ein eigentlich richtiger Sachverhalt falsch wird. Diese Gefahr soll noch einmal an einem Beispiel verdeutlicht werden.

fleischesserin sitzt. Als Sachverhalt kann diese Vorstellung durchaus richtig sein. Es wäre dann für Lehrerinnen und Lehrer sinnvoll zu wissen, dass es im Islam, im Koran ein konkretes Verbot gibt, Schweinefleisch zu essen. Ebenso ist die Kenntnis sinnvoll, dass sich dieses Verbot auch schon in der Hebräischen Bibel (dem Alten Testament) findet. Allerdings wurde in Schriften des Neuen Testaments dieses Verbot mit deutlichen Begründungen aufgehoben. Nun ist die Frage, wie dieses Verbot eingeschätzt wird, wie mit diesen Begründungen umgegangen wird, und welche Denkvoraussetzungen den jeweiligen Sachverhalten zugrunde liegen. Somit könnte bei ausreichender Kompetenz der Lehrkraft zumindest die Vorstellung der jeweils einen den jeweils andern nachvollziehbar gemacht oder im jeweiligen Kontext erklärt werden. Dazu wäre dann auch ein Grundverständnis von kultischer Geeignetheit (was besser wäre, als von »Reinheit« zu sprechen) sinnvoll. Dasselbe gilt analog für das Verständnis von Feiertagen oder auch für Vorstellungen von Ethik und Fragen des Glaubens.

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4. Die Bedeutung des jeweiligen Religionskontextes: Beispiel Ungläubiger Mir kam zum Beispiel eine Darstellung unter, die kritisiert, dass Christen Juden als Ungläubige bezeichnen, oder Muslime dieses mit Christen tun. Wenn angeführt würde, es sei eine akademisch theoretische Diskussion, nun mit dem lateinischen Fachbegriff infideles im ersteren Fall zu kommen, im letzteren Fall mit dem arabischen kafirun, so sind die Auswirkungen doch, wie sich gleich zeigen wird, sehr handgreiflich praktisch. Zunächst kommt in beiden Termini die Bedeutung ungläubig nicht explizit vor und es geht, wenn überhaupt, um eine sehr bestimmte Form des »Glaubens«. Nur das Christentum ist im eigentlichen, engeren Sinn eine Glaubensreligion. Der Inhalt dieses Glaubens ist der Glaube (nicht im Sinn eines mutmaßlichen für wahr Haltens, sondern im Sinn eines sich Verlassens auf, eines Vertrauens, einer Partizipation am Heilsgeschehen) an Jesus Christus in seiner Bedeutung als Erlöser und Sohn Gottes; die Bedeutung des Glaubensakts ist es, in diese Erlösung miteingeschlossen und in dieses bilaterale Verhältnis der fides mit aufgenommen zu werden. Aus dieser Perspektive heraus glauben Juden und Muslime gewiss nicht. Ob sie deswegen als Ungläubige bezeichnet werden sollten oder gar dürfen, ist allerdings fragwürdig, denn natürlich glauben auch sie an irgendetwas, wobei sie selbstverständlich etwas Anderes glauben und auch das Wort Glaube bei ihnen eine andere Bedeutung hat und keinesfalls ein Bestandteil einer wie auch immer gearteten Partizipation ist, die zu einer für sie ebenso fremdartig wirkenden Erlösung – Erlösung wovon eigentlich? würden Angehörige anderer Religionen fragen – führen könnte. Ebenso erkennen Juden und Christen den Koran als definitive Botschaft Gottes nicht an und sind in diesem Sinn tatsächlich kafirun, also wörtlich: »Leugner«, wobei eigentlich nur etwas »geleugnet« werden kann, das eigentlich wahr ist. Für Muslime ist der Koran in diesem Sinn wahr, für Angehörige anderer Religionen nicht. Damit kann er für diese genau genommen auch nicht geleugnet werden. Sie erkennen ihn nur nicht als wahr an. Damit ist diese akademische Debatte keineswegs beendet und in ihrer Tiefe erschöpft. Dennoch wäre es für eine Schulklasse schon an dieser Stelle nicht unbedingt eingängig, diesen Sachverhalt so zu vermitteln. Aber es hilft sehr, wenn die lehrende Person um diese Grundlagen weiß, mehr noch, wenn sie sie einordnen und mit ihnen umgehen kann. Sie geben den Lehrenden Werkzeuge in die Hand, damit umzugehen, wenn Schüler und Schülerinnen sich gegenseitig als Ungläubige ansehen oder gar explizit bezeichnen, sobald diese einer anderen Religion angehören.

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5 Resümee Was also kann, sei abschließend noch einmal gefragt, die Religionswissenschaft für die Fächer Ethik und Religion tun? Die Antwort liegt auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Selbstverständlich kann sie Sachkenntnisse zu den Ethiken oder insgesamt zu religiösen Vorstellungen, Gebräuchen, Ritualen verschiedener Religionen bereitstellen. Dies geschieht auf einer grundlegenden, leicht einsichtigen Sachebene. Doch entscheidender erscheint mir die Metaebene: Religionswissenschaft als nicht konfessionelle Disziplin kann unterschiedliche Perspektiven einbringen und damit Innen- und Außensichten, den Blick auf das Ganze und die jeweiligen Komplexe mit den einzelnen Faktoren verbinden und somit zu einem ihr spezifischen Verständnis von Religionen führen, die anderen Disziplinen versagt bleibt. Sie kann Lehrerinnen und Lehrer und dann auch Schülerinnen und Schüler in die Gedanken anderer Welten hineinführen, verschiedenartige Denk- und Lebensmodelle von existenzieller Tiefe präsentieren, sie Abstand vom eigenen Gewohnten gewinnen lassen und dieses, ebenso wie das neu Erkundete mit anderen Augen sehen lassen. Schließlich aber kann sie einen besonderen, ihr spezifischen Zugang schaffen, unterschiedliche Auffassungen, Positionen und Lebenshaltungen durch innere Aneignung zu respektieren, – ohne auf Kritikfähigkeit verzichten zu müssen und so einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung des Zusammenlebens in einer von Diversität geprägten Gesellschaft leisten.

Fachdidaktische Perspektiven

Klaus Blesenkemper

Didaktische Konzepte für den Ethikunterricht in der Schule1

Typisch und angeraten für Philosophen ist es, zunächst die verwendeten Begriffe zu klären. Dies gilt hier zunächst für »Ethikunterricht«. Damit ist zusammenfassend schulischer Unterricht in all jenen Fächern gemeint, die bundesweit unterschiedliche Namen tragen: neben »Ethik« etwa in Bayern auch »Werte und Normen« (WuN) in Niedersachsen oder »Praktische Philosophie« (PP) in NRW.2 Gemeinsam ist diesen Fächern, dass sie als Ersatzfächer3 für den konfessionellen Religionsunterricht fungieren. Wer – aus welchen Gründen auch immer4 – nicht am konfessionellen Unterricht teilnimmt, sollte in diesen philosophischen Fächern unterrichtet werden. Der föderale Flickenteppich in Bildungsfragen entfaltet sich besonders bunt in den Ersatzfachregelungen und -konzepten, so dass ich hier auswählen muss. Im Folgenden berücksichtige ich exemplarisch ausführ-

1 Dieser Beitrag ist die aktualisierte Ausarbeitung eines Vortrags, gehalten am 24.11.2016 im Rahmen der Göttinger Vorlesungsreihe »Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation«. 2 Eine Übersicht über alle Fachbezeichnungen in Deutschland: Neben der verbreiteten Bezeichnung »Ethik« (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen) finden sich auch die Fachbezeichnungen »Allgemeine Ethik« (Saarland) »Ethikunterricht« (Sachsen-Anhalt), »Praktische Philosophie« (Nordrhein-Westfalen), »Werte und Normen« (Niedersachsen), »Philosophie« (Bremen, Hamburg, SchleswigHolstein), »Philosophieren mit Kindern« (Mecklenburg-Vorpommern) und »Lebenskunde-Ethik-Religionskunde« (Brandenburg). 3 In Brandenburg und Berlin sind die entsprechenden Fächer keine Ersatzfächer; der Ethikunterricht wird obligatorisch erteilt. In Bremen ist Religion kein obligatorisches Fach. – Manche stören sich an der Bezeichnung »Ersatzfach«. Das Wort klingt abwertend nach ›zweiter Wahl‹. Ich störe mich nicht so sehr daran, sind doch mit diesem Status auch erhebliche Vorteile verbunden. Dort, wo konfessioneller Religionsunterricht als ordentliches Fach gemäß Grundgesetz und ggf. Landesverfassung erteilt und ein Ersatzfach eingerichtet wird, genießt das Nur-Ersatzfach in der Regel ähnliche Privilegien, etwa die wöchentliche Erteilung des Unterrichts während der gesamten Sekundarstufe I. 4 Als Gründe kommen in Frage: 1. Mitglied in einer Religionsgemeinschaft, für die an der Schule kein konfessioneller Religionsunterricht erteilt wird. 2. Schülerinnen und Schüler ohne Bekenntnis. 3. Schülerinnen und Schüler, die als Religionsmündige (in der Regel mit 14 Jahren, in Bayern mit 18 Jahren) aufgrund der negativen Religionsfreiheit vom konfessionellen Religionsunterricht abgemeldet sind. Für Nicht-Religionsmündige erfolgt die Abmeldung durch die Erziehungsberechtigten.

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lich »Praktische Philosophie« in NRW sowie »Ethik« in Bayern und »Werte und Normen« in Niedersachsen. Die Beschreibung und Bewertung unterschiedlicher Konzepte von Ethikunterricht basiert auf einem bestimmten Verständnis von Fachdidaktik, das hier zunächst skizziert wird (1.). Dann folgen auf diesem Hintergrund genauere Hinweise zur institutionellen Situation der philosophischen Ersatzfächer in den ausgewählten Bundesländern (2.). Vorherrschende Momente der drei Lehrplankonzepte werden im nächsten Schritt herausgestellt (3.). Auf einem Raster von Modellen von Werteerziehung werden dann die Lehrpläne kategorisiert (4.). Ein Grundgedanke in all diesen Konzepten, der gemeinsame Nenner also, lässt sich am besten mithilfe von fachdidaktisch relevanten Erwägungen von Kant rekonstruieren (5.). 1. Das zugrundeliegende Selbstverständnis von Fachdidaktik Die Berliner Fachdidaktikerin Kirsten Meyer eröffnet ihre Textsammlung zur Didaktik der Philosophie mit dem Satz: »Die Didaktik der Philosophie beschäftigt sich mit der Kunst das Philosophieren zu lehren«.5 Diese Bestimmung ist in meinen Augen richtig, aber zu eng. Der Fachdidaktiker Markus Tiedemann aus Dresden verweist mit Recht darauf, dass Didaktik neben der aktiven Bedeutung des griechischen Wortes didaskein auch dessen passive Lesart (didaskomai) zu berücksichtigen habe.6 Es geht auch um das Belehrtwerden. Mit diesem Akzent wird sofort stärker die Perspektive der Schülerinnen und Schüler (SuS) berücksichtigt. Aber auch das genügt noch nicht ganz. Didaskomai kann auch medial verstanden werden im Sinne von ›von oder aus sich selbst lernen, sich aneignen‹ oder sogar ›ersinnen, erfinden‹. Mit diesem Akzent werden die SuS in ihrer möglichen, nein: notwendigen Aktivität berücksichtigt. Wenn man dies im Hinterkopf behält – Details werden noch im Schlussabschnitt zur Sprache kommen – dann wird man besser meine folgende korrigierende Ergänzung des Eingangssatzes von Kirsten Meyer verstehen können: »Fachdidaktik Philosophie thematisiert und beurteilt Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Lernprozesse. Diese zu initiieren ist eine Kunst (techne).«

5 6

Kirsten Meyer (Hg.), Texte zur Didaktik der Philosophie, Stuttgart 2011, 7. Vgl. Markus Tiedemann, Philosophiedidaktik und empirische Bildungsforschung. Möglichkeiten und Grenzen, Berlin 2011, 15.

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Diese Prozesse können nun näher entfaltet werden entlang des bekannten didaktischen Dreiecks, das die Interdependenzen von (1.) Schüler, (2.) Lehrperson und (3.) Stoff veranschaulichen soll. Der fachdidaktische Rahmen ist damit aber immer noch zu eng. Konstitutiv für die Beurteilung von Möglichkeiten und Grenzen philosophischer Lernprozesse ist der institutionelle Rahmen, d.h. die jeweils bildungspolitisch zu verantwortende Organisationsstruktur an den Schulen wie auch die der Lehrerausbildung. Damit muss das Spektrum von Themenbereichen der Fachdidaktik erweitert werden. Zu den grundlegenden Fragen der Didaktik zählen nach Tiedemann 1. theoretisch-konzeptionelle, 2. unterrichtspraktische und neuerdings 3. empirisch-kritische.7 Ich erweitere daher das Dreieck zum Viereck mit der zusätzlichen Ecke, mit der Wechselwirkungen der Lernprozesse mit der auf bildungspolitischen Entscheidungen basierenden und ihren rechtlich-institutionellen Strukturen verdeutlich werden sollen. Das ist im Falle der schulischen Philosophie, vor allem die Ersatzfachfächer betreffend, deshalb notwendig, weil die SuS dieser Fächer keine Lobby haben. Hinter »Praktischer Philosophie« in NRW, hinter »Ethik« in Bayern und hinter »Werte und Normen« in Niedersachsen stehen eben nicht so große Institutionen wie die Kirchen. Was diese für den Religionsunterricht mitleisten, muss (mindestens) von der philosophischen Fachdidaktik mitbedacht werden. 2. Zur institutionellen Situation der philosophischen Ersatzfächer in ausgewählten Bundesländern. Die Erweiterung des didaktischen Dreiecks um die rechtlich-institutionelle Ecke zum Viereck bedeutet nun, dass fachdidaktische Erwägungen zu Konzepten von Ethikunterricht auch unphilosophische Fragen berücksichtigen müssen: Wie sieht es denn eigentlich mit der Teilnahme am konfessionellen Religionsunterricht und am Ethikunterricht an den Schulen aus? Wer und wie viele Lehrkräfte unterrichten diese Fächer? Wie sind sie ausgebildete? Und was tun sie da eigentlich? Im Folgenden werde ich ausführlicher auf NRW eingehen, aber auch entsprechende Seitenblicke auf die ausgewählten Länder Bayern und Niedersachsen werfen.

7 Markus Tiedemann, Problemorientierung: theoretische Begründung und praktische Realisierung, in: Johannes Rohbeck (Hg.), Didaktische Konzeptionen. Jahrbuch für Didaktik der Philosophie und Ethik, 13, Dresden 2013, 35–48, hier 39.

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In Abbildung 1, errechnet aus amtlichen NRW-Schulstatistiken,8 stehen sechs Blöcke für die diversen Schulformen, und zwar für die Grundschulen wie für Schulformen bzw. Jahrgangsstufen der Sekundarstufe I: Von der Hauptschule bis zu den neuen Sek. I-Schulformen (Sekundarschule, Gemeinschaftsschule, Sek. I-Teil der PRIMUS-Schulen). Die Streifen in den Blöcken stehen für die Schuljahre: 2011/2012 bis 2016/2017. Der jeweils quergestreifte Teil steht für den Anteil der am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmenden SuS (evangelische und katholische) zusammengerechnet. Im Schachbrettmuster ist der Teil der jeweiligen Kohorte markiert, der am PP-Unterricht teilnimmt. Der tiefschwarze untere Teil symbolisiert den Unterrichtsausfall, also den Teil der SuS, der weder am Religionsunterricht noch am PP-Unterricht teilnimmt. Diese Art von ›Ausfall‹ findet sich nicht in den Statistiken als solcher ausgewiesen. Denn wenn ein Unterricht laut Stundenplan gar nicht stattfindet, kann er – statistisch gesehen – auch nicht ausfallen. Details: Obwohl der Anteil der PP-Schüler an Hauptschulen steigt, haben dort über 20 % der SuS weder Religion noch PP. An Gymnasien ist dieser Unterrichtsausfall nicht so groß, wohl aber an Gesamtschulen. Vermutlich liegt das daran, dass Gesamtschulen in der Zeit, in der PPUnterricht erteilt wird, muttersprachlichen Ergänzungsunterricht anbieten. Dies ist nur eine Vermutung aufgrund eigener Beobachtungen als Fachleiter, der ich auch mal war. An der Grundschule wächst die Ausfalllücke unaufhaltsam weiter. Sie liegt 2017 bei 17,5 %. An dieser Schulform gibt es in NRW bisher noch keinen Ersatzunterricht.

8

Die hier und im Folgenden angeführten statistischen Daten aus NRW sind, wenn nicht anders angegeben, entnommen oder errechnet aus den regelmüßig veröffentlichten amtlichen Schuldaten des Ministeriums für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen (www.schulministerium.nrw.de – Abruf: 30.09.2017). Sie enthalten jeweils aktuelle und ältere Versionen zu früheren Schuljahren.

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Dieses Problem haben die Bayern nicht in dieser Schärfe, denn dort ist Ethik auch für Grundschulen eingeführt, und zwar an immerhin 70 % dieser Schulen, mit einer Teilnahme von 16,3 % der SuS.9 9

Vgl. Gesine Fuß / Achim Jung / Peter Kriesel / Klaus Goergen / Gerhard Weil / Martina Wentzkat, Denkschrift zum Ethikunterricht – zwischen Diskriminierung und Erfolg. Im Auftrag des Fachverbandes Ethik (Bundesverband), o.O. 2016 – www.glaeserne-waende.de/ media/2016/05/Denkschrift_Ethikunterricht_2016.pdf (Abruf: 30.09.2017), 6 u. 8.

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2013 hat das niedersächsische Kultusministerium auf eine kleine Anfrage hin eingeräumt, dass 23.496 SuS keinen Religionsunterricht haben, aber auch keinen Ersatz.10 Das war vor vier Jahren bereits ein Ausfall von 8,3 % an den Grundschulen. Er dürfte heute höher liegen. Was machen eigentlich die SuS, die weder Religion noch ein Ersatzfach besuchen, in der Zeit, in der die anderen Werte bildenden Unterricht erhalten? Dazu die Denkschrift des Fachverbandes Ethik: »In den Bundesländern Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz findet für konfessionsfreie Kinder entweder ein beaufsichtigter Aufenthalt in Räumen der Schule oder ein Sitzen in einem Fach, ›das thematisch völlig andere Bildungs- und Erziehungsziele verfolgt‹ [Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.06.1998, K.B.] statt. Somit werden hier konfessionsfreie Kinder jede Woche zwei Stunden über ihre Pflicht hinaus in der Schule festgehalten, ohne dass ihnen eine curricular dem Religionsunterricht gleichwertige Bildung angeboten würde«.11 Der Druck angesichts solcher unhaltbaren Zustände, vor allem im Hinblick auf die Grundschulen, wächst, und die Politik reagiert, wenn auch sehr zögerlich: 2015 hat der NRW-Landtag einen Entschließungsantrag angenommen, nach dem »perspektivisch« ein philosophischer Unterricht an Grundschulen eingeführt werden soll. Und entsprechend lesen wir 2017 im schwarz-gelben Koalitionsvertrag für NRW: »Neben vielfältigeren religiösen Bekenntnissen ist auch die Anzahl der Familien ohne konfessionelle Bindung angewachsen. Daher werden wir Ethikunterricht an Grundschulen ermöglichen«.12 In Niedersachsen war man 2015 erst im Erörterungsprozess: »Eine mögliche Einführung des Faches Werte und Normen in der Grundschule wird im Hinblick auf die Möglichkeiten, Voraussetzungen und Folgen zurzeit auf Fachebene auch mit den betroffenen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsgemeinschaften erörtert«.13 Für das Schuljahr 2017/2018 ist immerhin eine einjährige Testphase eines Unterrichts in WuN an zehn Grundschulen in Niedersachsen geplant.14 Die Abbildung 2 dient dazu, allgemeine Trends in NRW zu veranschaulichen. Alle vier durchgezogenen Linien beziehen sich auf die Pri10

Vgl. Niedersächsischer Landtag, 17. Wahlperiode Drucksache 17/1064. Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung, Hannover 2013, 2. 11 Fuß u.a., Denkschrift (s.o. Anm. 9), 10. 12 CDU & FDP in NRW, Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen, 2017–2022; siehe www.cdu-nrw.de/sites/default/files/media/docs/vertrag_nrw-koalition_2017.pdf (Abruf: 30.9.2017), 12. 13 Niedersächsischer Landtag, 17. Wahlperiode Drucksache 17/4427. Kleine Anfrage zur schriftlichen Beantwortung mit Antwort der Landesregierung, Bezug: Drucksache 17/4246, Hannover 2015, 6. 14 Vgl. Peter Mlodoch, Niedersachsen testet konfessionsloses Fach Werte und Normen an der Grundschule, in: Weser-Kurier, vom 30.5.2017.

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märachse (linke Y-Achse) und geben Schülerzahlen an. Die beiden gestrichelten Linien verdeutlichen die Entwicklung von Lehrbefähigungen, die Anzahl ist auf der Sekundärachse (rechte Y-Achse) abzulesen.

Im Detail: Die obere Schülerlinie (mit Rauten) gibt die Gesamtzahl der SuS in der Sek. I in NRW an (ohne Förderschulen und ohne freie Waldorfschulen). Die Anzahl ist in den letzten fünf Jahren um 7,1 % gesunken. Noch stärker gesunken ist die Anzahl der SuS mit ev. oder kath. Religionsunterricht (schwarze Linie mit Quadraten), nämlich um 15,9 %. Deutlich gestiegen hingegen ist die Anzahl der PP-SuS (schwarze Linie mit Kreisen), und zwar um 51,6 %. In NRW nehmen damit mittlerweile 19,4 % der SuS in der Sek. I am PP-Unterricht teil. Auch der Unterricht in anderen Religionen, vor allem dem Islam (graue Linien), hat zugenommen. Er liegt in der Sek. I derzeit aber erst bei 1,1 % der hier berücksichtigten Gesamtschülerzahl. Sinkende Schülerzahlen im Religionsunterricht und steigende im Ersatzfach PP – das legt die Vermutung nahe, die SuS wanderten scharenweise vom einen in den anderen Unterricht. Diese Vermutung ist falsch, völlig falsch! Kein statistischer Trend in den Schülerzahlen ist in den letzten zehn Jahren so stabil, wie der Trend bei den Abmeldungen vom Religionsunterricht: Die Kurve sinkt, und zwar – für alle Schulformen

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zusammen – von gut 2 % (2007) auf gut 1 % (2016). Verändert hat sich allerdings die konfessionelle Zusammensetzung der SuS. Bezogen auf alle Schulformen hat sich in NRW die katholische Schülerschaft von 2007 bis 2016 von 43,14 % auf 36,88 % verringert, die der evangelischen von 30,36 % auf 25,37 %. Gestiegen ist die Zahl der muslimischen Schüler, nämlich von 10,04 % auf 15,92 %. Ähnlich deutlich ist die Zahl der SuS ohne Bekenntnis gestiegen: von 11,26 % auf 16,06 %.15 Folgerung: Innerhalb der Schule ist es nicht PP, das SuS aus dem Religionsunterricht vertreibt. Dafür ist eher ein außerschulischer, ein gesamtgesellschaftlicher Prozess der Säkularisierung verantwortlich zu machen. Trotz deutlichen Anstiegs des PP-Unterrichts, der nur sehr geringfügig auf Abmeldungen vom Religionsunterricht zurückgeführt werden kann, ist der ›Unterrichtsausfall‹ in den Werte bildenden Fächern der Sek. I kaum gesunken, nämlich von 12,5 % auf 11,7 %.16 Woran mag das liegen? Zur Klärung könnte ein Blick auf Trends bei den Lehrbefähigungen der Lehrkräfte beitragen (die beiden gestrichelten Linien). Die philosophischen Lehrbefähigungen (Philosophie und Praktische Philosophie) haben in NRW 2017 den Stand von 4.566 Personen erreicht. Das scheint aber den Bedarf nicht abzudecken, denn die Schüler-Lehrerrelation hat sich verschlechtert von 36,2 SuS pro Lehrkraft auf 40,8. Insgesamt dürften die Auslastungszahlen hier aber etwas zu hoch angegeben sein, denn bei der Relationsberechnung wird davon ausgegangen, dass PP-Unterricht nur von entsprechenden Lehrkräften erteilt wird. Der Fachverband Ethik gibt für NRW an, 79,9 % der NRW-Lehrkräfte für PP seien ausgebildet,17 so dass ca. 20 % des PP-Unterrichts in NRW fachfremd erteilt wird. Das ist im konfessionellen Religionsunterricht deutlich anders. Hier ist bekanntlich neben der staatlichen auch die jeweilige kirchliche Lehr15

In den NRW-Grundschulen gab es in 2016 18,68 % muslimische SuS und 18,93 % ohne Bekenntnis. Ein Teil dieser SuS an Grundschulen nimmt am konfessionellen Religionsunterricht teil, sonst wäre die Ausfalllücke dort noch größer. Es ist zu vermuten, dass eine solche Teilnahme nicht selten mangels Alternative eines philosophischen Ersatzfaches erfolgt. 16 Das Sekretariat der deutschen Kultusministerkonferenz hat für das Schuljahr 2015/2016 einen bundesweiten Überblick über die Teilnahme von SuS am Religionsunterricht und dem jeweiligen Ersatzfach veröffentlicht (Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland [= KMK], Auswertung Religionsunterricht Schuljahr 2015/16, Berlin 20.12.2016 (www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/ AW_Religionsunterricht_II_2015_16.pdf – Abruf: 30.09.2017). In der entsprechenden Statistik für NRW ([s. Anm. 8], 20) werden für die Daten »Weder am Religionsunterricht noch an Ersatzunterricht teilnehmende Schüler/innen in öffentlichen Schulen nach Schularten« für NRW mit den anderen Schulformen zusammenfassend auch die Grundschulen, die Förderschulen sowie Abendhaupt und Abendrealschulen« einbezogen. Danach betrug die Ausfalllücke in diesem Schuljahr 17,5 %, [von K.B. errechneter Wert], während für die gesamte BRD die Lücke ›nur‹ 8,2 % betrug (vgl. ebd., 7–20). 17 Fuß u.a., Denkschrift (s.o. Anm. 9), 11.

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erlaubnis erforderlich. Die Statistiken in NRW weisen daher fachfremden Religionsunterricht (nur kath. ist aufgeführt) mit deutlich unter 1 % aus. Der Trend bei den Lehrbefähigungen in Religion (ev. und kath. zusammengefasst) ist bemerkenswert: Während die Anzahl der Religions-SuS wie erwähnt deutlich gesunken ist, nämlich um 15,9 %, ist die Anzahl der Lehrbefähigungen für den konfessionellen Religionsunterricht auf über 37.000 gestiegen. Damit hat sich die Schüler-Lehrerrelation bzw. die fachbezogene Unterrichtsauslastung von 24,6 SuS pro Lehrkraft auf 17,1 deutlich verringert. An einzelnen Schulen mag es noch Mangel an Religionslehrern geben, der Trend spricht aber eher für einen Lehrkräfteüberschuss in diesen Fächern. Mangel an PP-Lehrern und Überschuss an Religionslehrern, das mag so mancher Lehrkraft und manchem Schulleiter nicht gefallen. Denn die Lehrkräfte müssen dann einseitig in ihrem anderen Fach eingesetzt werden. Wenn etwa das zweite Fach Deutsch oder Englisch ist, steigt der Anteil der zu bewältigenden Korrekturen. Da fällt es – so meine erfahrungsgesättigte, aber statistisch nicht belegbare Vermutung – leichter, meist organisatorische Argumente ins Feld zu führen oder vorzuschieben, um auf die Einführung des Ersatzfaches an der Schule zu verzichten. In NRW bestimmen in der Regel die Schulleitungen, wie die Stellen für neue Lehrkräfte ausgeschrieben und besetzt werden. Obwohl das Fach PP in NRW seit 2003 offiziell eingeführt ist, gibt es erst an ca. 78 % der Gymnasien und gar nur an 60 % der Hauptschulen überhaupt PP und damit keineswegs in allen dafür vorgesehenen Jahrgangsstufen! Während in den kirchlichen Leitungen der beiden großen Konfessionen nach meiner Erfahrung der Ersatzunterricht durchweg begrüßt und das Miteinander von Religion und Ethik auch als Chance der Qualitätssteigerung gewertet wird, scheint vor Ort, an den Schulen selbst, bisweilen eine hinderliche Konkurrenzhaltung spürbar zu sein. Der Leser wird sich vielleicht fragen, mit welchen Absichten solche nur auf Vermutungen und einzelnen Beobachtungen basierenden kritischen Bemerkungen hier geäußert werden. Immerhin unterstelle ich Religionslehrkräften und Schulleitern für ihr diesbezügliches Handeln nicht gerade die lautersten pädagogische Motive. Das tue ich aber nicht, um eine Konfrontation zu provozieren. Im Gegenteil: Ich will zu einer nüchternen Betrachtung der Verhältnisse anregen. Wenn man nicht einem naiven Konkurrenzdenken zwischen Religion und Ethik frönt, sondern auf die Fakten blickt und sieht, dass der Ethikunterricht dem Religionsunterricht gerade nicht das Wasser abgräbt, kann man sagen: Religions- und Ethik-Lehrkräfte sitzen im selben ›Ruderboot‹ der gerade heute notwendigen Wertebildung. Und in diesem ›Boot‹ kommt man nicht voran, wenn die Bewegung der ›Ruderblätter‹ nicht koordiniert wird oder wenn man sie auch noch dazu nutzt, aufeinander einzuschla-

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gen. Im wohlverstandenen Interesse aller, vor allem der SuS, ist Kooperation angesagt. In Bayern, dem Land mit der längsten Tradition einer Ersatzfachregelung, auch in Grundschulen, ist die prozentuale Beteiligung am Ethikunterricht ähnlich hoch wie in NRW. Sie lag im Schuljahr 2015/2016 – hier werden exemplarisch für die Schülerschaft Grundund Haupt- bzw. Mittelschulen zusammengerechnet – bei 21,2 %.18 Anders als in NRW-Statistiken, in denen nur die Konfessionszugehörigkeit erfasst wird, nicht aber deren direkte Auswirkungen auf die PPKurse, schlüsselt die bayerische Statistik auch die (offiziellen) Gründe für die Teilnahme am Ersatzfach auf: Auf Abmeldung vom konfessionellen Religionsunterricht gehen in der eben erwähnten Schülergruppe 1,9 % zurück. Ohne Bekenntnis sind in dieser Gruppe 9,9 % und 10,7 % gehören einer anderen als der evangelischen oder katholischen Religion an. Da die Aufteilung nach Konfessionen in bayerischen Ethikkursen ähnlich derjenigen der Konfessionalität von NRW-Schülern ist, wird man wohl in NRW aus den Konfessionsdaten auf die Zusammensetzung PP-Kursen schließen dürfen: In etwa gleich große Anteile von SuS ohne Bekenntnis und anderer Religionszugehörigkeit, eher kleiner Anteil an SuS, die vom konfessionellen Religionsunterricht abgemeldet sind. Bayern unterscheidet sich in zwei wichtigen Punkte von NRW: 1. Der Unterrichtsausfall in den Werte bildenden Fächern war in Bayern, zumindest an den allgemeinbildenden Schulen, im Schuljahr 2014/2015 mit unter 1 % eher zu vernachlässigen.19 Diese Wertung gilt aber nicht für den 2. Punkt: Das Fach Ethik kann man in Bayern nicht einfach als Schulfach für die Lehrämter studieren, anders als ev. oder kath. Religionslehre ist Ethik in Bayern nur als Drittfach studierbar; und diese Zusatzlast bürden sich nur ganz wenige Studierende auf. Folge: Der bayerische Ethikunterricht wird zu 95,7 % von fachfremden Lehrkräften erteilt.20 Das ist in meinen Augen ein wirklicher Skandal. Wer nicht bereit ist, Lehrkräfte für Ethik angemessen auszubilden, sollte auch nicht das hohe Lied der Wertebildung oder der Klage über den Werteverfall im christlichen Abendland anstimmen. Die jetzige Situation ist für mich ein 18 Die hier und im Folgenden angeführten statistischen Daten aus Bayern sind, wenn nicht anders angegeben, entnommen oder errechnet aus den regelmüßig veröffentlichten Statistiken des Bayerischen Landesamtes für Statistik (vgl. www.statistik.bayern.de – Abruf: 30.9.2017). Sie umfassen jeweils aktuelle und ältere Versionen zu früheren Schuljahren. 19 Hier muss allerdings einschränkend berücksichtig werden, dass der Ersatz in Bayern keineswegs in allen Schulen angeboten wird. Lohmann betont, dass das Fach Ethik an 13 % der bayerischen Schulen nicht eingeführt ist (vgl. David Lohmann, Das Kreuz mit der Ethik, in: Bayerische Staatszeitung vom 7.7.2017). 20 Fuß u.a., Denkschrift (s.o. Anm. 9), 11.

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klassischer Fall von Doppelmoral. Es gibt aber Hoffnung auf Wandel zum Besseren.21 Auch in Niedersachsen hat die Teilnahme am Ersatzfach WuN in den letzten Jahren zugenommen. Sie ist an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen von 2005 bis 2014 von 15,1 % auf 17,0 % gestiegen22 und liegt im Schuljahr 2016/2017 bei 28,6 %.23 Hinzu kommt, dass in der Oberstufe in NS auch Philosophie die Ersatzfachrolle übernehmen kann. Zum Teil werden beide Fächer parallel angeboten. Aber auch in diesem Land gibt es noch eine beträchtliche Lücke bei der unterrichtlichen Versorgung in den Werte bildenden Fächern. Oben wurden bereits diesbezüglich die Grundschulen erwähnt. Für 2015/2016 betrug sie bei allen von der KMK berücksichtigten Schulformen der Primar- und Sekundarstufe zusammengefasst 9,9 % und lag damit über dem Bundesdurchschnitt von 8,2 %.24 Und wie sieht es mit der Ausbildung der Lehrkräfte in Niedersachsen aus? – Das ist nicht eindeutig zu ermitteln. Die Anzahl der qualifizierten Lehrkräfte ist für einen bestimmten Zeitpunkt klar: »Zum Stichtag 22.09.2014 gab es insgesamt 499 hauptamtlich bzw. hauptberuflich tätige Lehrkräfte mit der Lehrbefähigung für Werte und Normen an den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen«.25 Und die Unterrichtsabdeckung? Für 135 839 SuS in 2014 kämen dann durch einfache Division 272 SuS auf eine Lehrkraft.26 Das ist – vgl. die Verhältnisse in Abbildung 2 – nicht vorstellbar. Also ist auch die Qualifikationssituation in diesem Bundesland alles andere als befriedigend. Auch hier wird offensichtlich sehr, sehr viel fachfremd unterrichtet. Die hier für die Wertebildung relevanten Mängel sind zusammengefasst vor allem fehlender Unterricht in den Werte bildenden Fächern, d.h. Unterrichtsausfall (vor allem an Grundschulen in NRW und Niedersachsen), sowie zu geringe Qualifizierung von Lehrkräften (deutlich in Bayern, aber wohl auch in Niedersachsen). Dies ist für die Relevanz der nun folgenden Darstellung von Konzepten erheblich. Denn was nützen die schönsten Konzepte, wenn mit ihnen kein Unterrichts erteilt wird oder wenn Lehrkräfte zu ihrer Umsetzung im Unterricht nicht hinreichend qualifiziert sind. 21

In einem Bericht des Deutschlandfunks war zu hören: »Jahrelang haben Eltern, Schüler und Wissenschaftler eine bessere Ausbildung der Ethik-Lehrer gefordert. Offenbar sind sie damit nun bei der bayerischen Staatsregierung durchgedrungen, so [Julian] Nida-Rümelin« (Burkhard Schäfers, Für besseren Ethik-Unterricht. Sendung des Deutschlandfunks am 19.5.2017, Manuskript). 22 Niedersächsischer Landtag, Drucksache 17/4427 (s.o. Anm. 13), 2. 23 Vgl. Mlodoch (s.o. Anm. 14). 24 Vgl. KMK, Auswertung (s. Anm. 16), 7–20, Niedersachsen-Wert von K.B. errechnet). 25 Niedersächsischer Landtag, Drucksache 17/4427 (s.o. Anm. 13), 4. 26 Vgl. ebd. 2.

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3. Zentrale Elemente der Lehrplankonzepte für den Ethikunterricht in ausgewählten Bundesländern Bei diesen Elementen geht es a) um eine wichtige Voraussetzung bzw. Ausgangslage, b) um ein zentrales Ziel und c) diverse Inhalte, mit denen dieses Ziel erreicht werden soll. »Unübersichtlichkeiten in der Berufs- und Freizeitwelt erschweren die Besinnung auf zentrale Lebenswerte und eine Auseinandersetzung hierüber. Damit ist zugleich die Orientierung in unserer Gesellschaft für Jugendliche wie für Erwachsene schwieriger geworden« – so heißt es im NRW-Kerncurriculum für PP von 1997,27 das in seinen didaktischen Prinzipien im Wesentlichen in den gültigen kompetenzorientierten Kernlehrplan von 200828 übernommen worden ist. Für uns alle und vor allem für Jugendliche – so die Ausgangslage – sei die Orientierung in zentralen Fragen schwieriger geworden. Jugendliche haben ohnehin Orientierungsprobleme, wie uns die Entwicklungspsychologie deutlich macht. Identitätsfindung gilt als zentrale Aufgabe in der Adoleszenz. Dieser sattsam bekannte psychologische und pädagogische Erkenntnisstand wird auch durch die Hirnforschung bestätigt.29 Danach scheint es so zu sein, dass etablierte Netzwerke im Gehirn während der Pubertät wieder zerfallen und neu und präziser aufgebaut werden müssen. Jugendliche scheinen in dieser Zeit »hirnrissig« zu sein. Hinzu kommt, dass subkortikale Bereiche wie das für Emotionen zuständige limbische System früher myelenisiert, also aktiviert werden als Areale im präfrontalen Kortex, wo die rationale Wertorientierung verortet wird.30 Und dann leben diese ›hirnrissig‹ um ›Identität‹ kämpfenden Jugendlichen auch noch in einer individualisierten Gesellschaft, die uns zwar von Stand und Klasse befreit, aber bei Wertungen und Lebensformen die Qual der Wahl aufnötigt. Last not least haben Jugendliche aus anderen kulturellen Kontexten zusätzliche Orientierungsprobleme. Eigentlich reicht also nicht der zitierte Komparativ »schwieriger«, man müsste eher sagen »äußerst schwierig«. Hinsichtlich des Orientierungsbedarfs junger Menschen sind sich die Lehrplangestalter der philosophischen Ersatzfächer im Prinzip einig. 27 Zitiert nach Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Praktische Philosophie in Nordrhein-Westfalen. Erfahrungen mit einem neuen Schulfach. Materialien, Abschlussbericht, Frechen 2002, 137. 28 Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen, Kernlehrplan Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Praktische Philosophie, Frechen 2008. 29 Vgl. etwa Ute Eberle, Warum Teenager so hirnrissig sind, in: Bild der Wissenschaft 2/2006, 30–35. 30 Vgl. Kerstin Konrad / Christine Firk / Peter J. Uhlhaas, Hirnentwicklung in der Adoleszenz. Neurowissenschaftliche Befunde zum Verständnis dieser Entwicklungsphase, in: Deutsches Ärzteblatt 110 (2013), H. 25, 425–431.

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Zum Selbstverständnis des bayerischen Ethikunterrichts in Gymnasien heißt es etwa, er »unterstützt die jungen Menschen in ihrer Suche nach moralischer Orientierung in der Welt von heute, […]«.31 Die Dringlichkeit des Orientierungsbedarfs bringt ein neuer Lehrplan für Niedersachsen noch klarer zum Ausdruck: »Obwohl ein gewisser Konsens über gültige Werte und Normen unterstellt werden kann, wird die Lebenspraxis von häufigen und vielstimmigen Diskussionen über Wertvorstellungen und darauf aufbauende gesellschaftliche Normen geprägt. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich jene Wertvorstellungen und Normen aufgrund politischer, historischer, ökonomischer, gesellschaftlicher und religiöser Veränderungen wandeln oder zumindest modifizieren. Mehr oder minder bewusst werden Kinder und Jugendliche zu Zeugen dieser Wandlungen, und oftmals resultiert daraus eine tief greifende Unsicherheit bezüglich der Moralität und Legitimität des eigenen Handelns. Hinzu kommt der Umstand, dass Kinder und Jugendliche im Rahmen der vorschulischen und schulischen Sozialisation die Erfahrung machen, dass zwischen den subjektiv für gültig erachteten Wertvorstellungen und den Ansprüchen anderer Menschen bzw. Gruppierungen Differenzen bestehen können. Daraus entwickeln sich gegebenenfalls Krisen und Konflikte. Den Orientierungsproblemen, die sich daraus ergeben und mit denen Kinder und Jugendliche häufig aufwachsen, will das Fach Werte und Normen inhaltlich facettenreich und pädagogisch sensibel begegnen«.32 Mit welcher Zielsetzung soll den genannten Orientierungsproblemen begegnet werden? Auch hier scheint auf der Ebene der Lehrplanformulierung weitgehend Einigkeit zu herrschen. Ein bayerischer Lehrplan zitiert diesbezüglich das maßgebliche Erziehungsgesetz: »Der Ethikunterricht dient der Erziehung der Schüler zu werteinsichtigem Urteilen und Handeln (Art. 47 Abs. 2 BayEUG)«.33 Diese Zielsetzung findet sich auch teilweise im niedersächsischen Lehrplan wieder, und zwar unter den Schlüsselbegriffen »Entwicklung ethischer Urteilsfähigkeit« und »Wertorientierung«.34 Ein entsprechendes Handeln wird hier nicht ausdrücklich erwähnt, stattdessen an erster Stelle eine andere Tätigkeit und Kompetenz: »Auseinandersetzung mit Wirklichkeit und Wahrheitsansprüchen«.35 Ähnliche Zielausrichtungen wie in Niedersachsen finden sich im NRWLehrplan: »Zentrales Anliegen des Faches ist es, zur Entwicklung von 31

Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München, Selbstverständnis des Faches Ethik und sein Beitrag zur Bildung, München 2017 (www.lehrplanplus.bayern.de/ fachprofil/gymnasium/ethik# – Abruf: 30.9.2017). 32 Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum für das Gymnasium. Werte und Normen. Schuljahrgänge 5–10, Hannover 2017 (abrufbar unter http://db2.nibis.de), 5. 33 Staatsinstitut-München, Selbstverständnis (s.o. Anm. 31). 34 Niedersächsisches Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 32), 7. 35 Ebd., 6.

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Kompetenzen bei Schülerinnen und Schülern beizutragen, die sie befähigen, die Wirklichkeit differenziert wahrzunehmen und sich systematisch mit Sinn- und Wertfragen auseinander zu setzen, sie bei der Suche nach Antworten auf die Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz anzuwenden und in einer demokratischen Gesellschaft selbstbestimmt, verantwortungsbewusst und tolerant zu leben«.36 »Erziehung zu …« bestimmtem Handeln wird in NRW nicht direkt angestrebt, sondern Unterrichtsziel sind hier Hilfen zur Befähigung, »selbstbestimmt, verantwortungsbewusst und tolerant zu leben«. Abbildung 3: Der Baum der philosophischen Einsicht37

Wir sehen, die Schlüsselwörter zur Fixierung von Zielen durch Ethikunterricht sind in den Lehrplänen ähnlich – es geht immer zumindest auch um Wertebildung –, weisen aber in der Akzentuierung und Gewichtung doch Unterschiede auf, die unten (4. Kapitel) deutlicher zu Tage treten werden. Wenn zur Orientierung Wertebildung notwendig ist, sind damit auch die zentralen Inhalte der Lehrpläne angesprochen. Sie unter36

Ministerium für Schule […] Nordrhein-Westfalen, Kernlehrplan Praktische Philosophie (s.o. Anm. 28), 9. 37 Klaus Blesenkemper, Der Baum der philosophischen Einsicht. Philosophischer Unterricht in Nordrhein-Westfalen – Bestände und Perspektiven (Impuls Grün: Zukunft jetzt gestalten, hg. von der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Landtag NRW), Düsseldorf 2017, 4 (abrufbar unter http://gruene-fraktion-nrw.de).

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scheiden sich, ähnlich wie bei der Bestimmung der Ausgangslage, nicht wesentlich. Abbildung 3 ist der Versuch, die Inhalte des Faches »Praktische Philosophie« im Kontext des gesamten philosophischen Unterrichts in diesem Land einschließlich des noch zu etablierenden Unterrichts in Grundschulen bis zur gymnasialen Oberstufe im systematischen Zusammenhang darzustellen. Diese Fragen orientieren sich an unterschiedlichen Facetten von Handlung im weitesten Sinne: 1. Die Frage nach dem Selbst (als dem Subjekt des Handelns) 2. Die Frage nach dem Anderen (also dem Gegenüber des Handelnden) 3. Die Frage nach dem guten Handeln (gemeint sind Handlungsprinzipien, Folgen und Nebenfolgen) 4. Die Frage nach Recht, Staat und Wirtschaft (also nach dem gesellschaftlicher Kontext des Handelns). 5. Die Frage nach Natur, Kultur und Technik (mithin wichtigen Gegenständen des Handelns). 6. Die Frage nach Wahrheit, Wirklichkeit und Medien (hier geht es um die Erkenntnisdimension des Handelns). 7. Die Frage nach Ursprung, Zukunft und Sinn (dies betrifft den umgreifenden Sinnhorizont des Handelns).38 Wichtig ist, dass für die Sekundarstufe I religionskundliche Anteile vorgesehen und für die Grundschule auch geplant sind. Abbildung 4: »Kompetenzstrukturmodell« des Ethikunterrichts für bayerische Grundschulen39

38

Ministerium für Schule […] Nordrhein-Westfalen, Kernlehrplan Praktische Philosophie (s,o. Anm. 28), 11–13. 39 Entnommen aus Staatsinstitut-München, Selbstverständnis (s.o. Anm. 31).

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In Abbildung 4 stellt der Kern vier Themenbereiche dar: Menschsein, Zusammenleben, Religion und Kultur und die moderne Welt. Sie sind durchherrscht von den Leitbegriffen »Normen« und »Moral« wie auch »Werte« und »Sinn«. In der umgebenden Ellipse finden wir die Aktivitäten und Kompetenzen der SuS benannt. Auch hier wird noch einmal der Aspekt einer Ausrichtung auf »ethisches Handeln« betont. Abbildung 5: »Kompetenzstrukturmodell« des Ethikunterrichts für bayerische Gymnasien40

Im Unterschied zur Abbildung für die Grundschulen, hebt die Abbildung 5 die vier Leitbegriffe heraus. Sie sollen offensichtlich stärker ins Bewusstsein gerückt und nicht einfach als integrale Bestandteile der Inhalte wie in der Grundschule begriffen werden. Die vier für alle Schulformen in Bayern identischen Themenbereiche weisen deutliche Ähnlichkeiten mit denen auf, die für NRW in der Grundschule geplant sind und sich auf jeden Fall bereits jetzt im PPUnterricht wiederfinden.

40

Entnommen aus Staatsinstitut-München, Selbstverständnis (s.o. Anm. 31).

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Abbildung 6: Inhaltsbezogene Kompetenzbereiche für das Gymnasium, Schuljahrgänge 5–10 in Niedersachsen41 Inhaltsbezogene Kompetenzbereiche

Leitthemen für die Schuljahrgänge 5 und 6

Leitthemen für die Schuljahrgänge 7 und 8

Leitthemen für die Schuljahrgänge 9 und 10

Fragen nach dem Ich

Ich und meine Beziehungen

Das Ich und seine sozialen Rollen

Entwicklung und Gestaltung von Identität

Fragen nach der Zukunft

Glück und Lebensgestaltung

Konstruktiver Umgang mit Krisen

Verantwortung für Natur und Umwelt

Fragen nach Moral und Ethik

Regeln für das Zusammenleben

Liebe und Sexualität

Ethische Grundlagen für Konfliktlösungen

Fragen nach der Wirklichkeit

Leben in Vielfalt

Menschenrechte und Wahrheit und WirkMenschenwürde lichkeit

Fragen nach Aspekte von Religio- Leben in religiös und DeutungsmöglichkeiOrientierungsmög- nen und Weltanweltanschaulich ten und geprägten Kulturen -grenzen von Relilichkeiten schauungen gionen und Weltanschauungen

Auch Niedersachsen weicht, wie Abbildung 6 verdeutlicht, thematisch kaum vom bisher Dargestellten ab. Wie in NRW sind die größeren Bereiche zu »Fragen« gebündelt. In Niedersachen hat der religionskundliche Anteil aber offensichtlich ein stärkeres Gewicht. Er betrifft hier einen von fünf Kompetenzbereichen. In den Inhalten des Ethikunterrichts unterscheiden sich die hier ausgewählten Bundesländer somit nicht erheblich. Von identischen Gesamtkonzeptionen kann gleichwohl nicht gesprochen werden, wie der folgende Kategorisierung deutlich machen soll. 4. Modelle der Werteerziehung und ihre Realisierung ihre Konkretisierung in ausgewählten Bundesländern Die Tabelle der Abbildung 7 ist der Versuch, zunächst vier unterschiedliche Darstellung und Gliederung von Modellen der Wertebildung bzw. Werteerziehung vorzustellen und diese dann den Konzeptionen für den Ethikunterricht in den drei ausgewählten Bundesländern zuzuordnen. In seinem zusammen mit Wolfgang Althof verfassten »Lehrbuch« »Moralische Selbstbestimmung, Modelle der Entwicklung und Erzie41

Niedersächsisches Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 32), 11.

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hung im Wertebereich«, stellt der Schweizer Pädagoge Fritz Oser drei pädagogische Grundmodelle der moralischen Erziehung vor.42 Das erste Modell (Zeilenblock 1) orientiert sich an Rousseau und wurde im Prinzip in A. S. Neills Summerhill-Schule wie auch im amerikanischen Ansatz »Values Clarification«, »Wertklärung«, realisiert. Der zentrale Gedanke: Wachsen lassen. Es geht um Hilfe zur Entfaltung bereits angeborener Potenziale. Die Hilfe kann in der Unterstützung der SuS bestehen, sich selbst über ihre Werteinstellung im Klaren zu werden. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Dieser Ansatz, auf den auch der evangelische Theologe Reinold Mokrosch43 als Möglichkeit hinweist (ganz rechts im ersten Zeilenblock), findet als solcher in Deutschland kein größeres Echo, da in ihm ein moralischer Relativismus zur Geltung kommen könnte. Die Berechtigung einzelner Werte wird hierbei nämlich nicht hinterfragt. Als einzelnes Moment des Ethikunterrichts findet die Wertklärung aber durchaus Anklang. Abbildung 7: Modelle der Werteerziehung und ihr Konkretionen in NRW, Bay und NieSa Oser 1992 / 2001 (ähnlich J. Standop 2010) 1

Romantische Erziehungsphilosophie: Hilfe zur Entfaltung bereits angeborener Potentiale, etwa durch Wertklärung als Moment, nicht als ausschließliches Modell

2a

2b

42

Martens 1994 (übernommen von Brüning 1996, 1999)

Wertübermittlung: Übermittlung der tradierten Werte zwecks Charaktererziehung durch Instruktion, Vorbildverhalten und Verstärkung

Weltanschauliches oder religiöses Modell: starke Variante: als Garant bzw. Fundament sittlicher Werte oder als verbindlicher Wertekodex schwache Variante: als Angebot der Orientierung Moralpädagogisches Modell: Vermittlung von ethischem Wissen, sittlicher Haltung und sittlicher Urteilsbildung

Fritz Oser / Wolfgang Althof, Moralische Selbstbestimmung, Modelle der Entwick4 lung und Erziehung im Wertebereich, Stuttgart (1992) 2001, und Jutta Standop, Traditionelle Ansätze einer Werteerziehung, in: Klaus Zierer (Hg.), Schulische Werteerziehung, Hohengehren 2010, 104–121 43 Reinhold Mokrosch, Zum Verständnis von Werteerziehung: Aktuelle Modelle für die Schule, in: ders. / Arnim Regenbogen (Hg.), Werte-Erziehung und Schule. Ein Handbuch für Unterrichtende, Göttingen 2009, 32–40.

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3b

›progressiver‹ Ansatz der Moralerziehung: Hilfen zur Gestaltung des eigenen Selbst, Stimulation moralischer Erfahrungs- und Verarbeitungsprozesse, auf der Basis der strukturgenetische Moralpsychologie, aktives Denken, etwa in Dilemmadiskussionen

Lebenskundliches Modell: keine Trennung zwischen konkreten Themen des Alltags, ethischen Normen, Werten und Regeln und religiösen Themen Grundschule Nachdenklichkeitsmodell: philosophische Fundierung kritischer Prüfung von Fragen, auch jenseits des engeren Bereichs der Ethik

3c 3d Treml 1994 (übernommen von M.F. Meyer 1997a, 1997b, Regenbrecht 2000, Vomhof 2000) 1

Mokrosch 2009

Wertklärungsmodell: Es geht um Selbstexploration und nicht um Übernahme eines moralischen Kulturgutes als Moment, nicht als ausschließliches Modell

2a Moralerziehung: als moralische Unterweisung, Sittlichkeitserziehung, Werteerziehung; Lehrer als Vorbild mit Mut zu einer wertgebundenen Erziehung und zu Sanktionen

Wertevermittlungsmodell: beabsichtigt, Kinder und Jugendliche in ethische Überlieferung einzuweisen und sich den Wertekosmos und das Werteethos ihrer Kultur und Gesellschaft aneignen zu lassen; Tugenderziehung im Sinne von Erziehung zu »ethischem Handeln«

3a

Lebenshilfe: praktische Lebenshilfe zwecks Selbstfindung des Individuums und Gestaltung seines Sozialverhaltens; Philosophie nicht zentrale Bezugsdisziplin

(?) Wertfühlungsmodell: Durch Sensibilisierung für Selbstwert-, Nächstenwert-, Naturwert- und Menschheitswertgefühle sollen soziale und moralische Einstellungen und Verhaltensweisen gefördert werden. Grundschule

3b

Ethische Reflexion: klärende Reflexion ethischer Grundsätze angesichts einer kontingenten Lebensbewältigungspraxis, zwecks Hilfen zur ethischen Urteilsbildung und ethischer Kompetenz; philosophisch und multidisziplinär

Werteentwicklungsmodell: Unter der Voraussetzung einer hierarchischen Epigenese der Moralentwicklung durch Disäquilibrationen Förderung der moralischen Urteilsfähigkeit, etwa durch Dilemmadiskussionen

2b

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3c

3d

Praktische Philosophie: philosophische Bildung als kognitive Auseinandersetzung mit klassischen Positionen der entsprechenden philosophischen Teildisziplin Oberstufe ab Jahrgangsstufe 10 ab Jahrgangsstufe 9/10

Werteanalysemodell: Im Stil einer analytischen Diskursethik werden Voraussetzungen, Bedingungen, Folgen und implizite Normen und Werte eines Konflikts unterersucht Oberstufe Modell zur Sensibilisierung für eine Überlebensverantwortung: Auf der Basis einer kosmozentrischen Ethik Anleitung zu globaler Wahrnehmung, Fürsorge und Vorsorge; Nachhaltigkeit allenfalls Oberstufe

Bei den unter 2. gefassten Modellen begegnet in den Darstellungen von Oser und Mokrosch, aber auch bei Martens44 und Alfred K. Treml45. Dieser Gruppe ist gemeinsam, dass es hier – anders als beim ValuesClarification-Ansatz – dezidiert um Moralerziehung geht. Bestimmte Werte sollen die SuS verinnerlichen. Welche kämen dafür in Frage? In öffentlichen Schulen in Deutschland kommt es, soweit ich sehe, nicht vor, dass Werteerziehung im Ethikunterricht auf der Basis einer bestimmten Weltanschauung praktiziert wird.46 Es gilt – unter Wahrung der Werte des Grundgesetzes und der Landesverfassungen – die staatliche Wertneutralität und das Überwältigungsverbot. Nota bene: Wertneutralität heißt nicht Wertindifferenz.47 Ein konkretes weltanschaulichreligiöses Modell ist nicht und kann nicht maßgebend sein, wohl aber weltanschaulich-religiös gebundenes Denken als Orientierungsangebot. 44

Ekkehard Martens, Was sollte der Ethik-Unterricht leisten? Lehrplanmodelle in der Diskussion, Thesen, in: Zeitschrift für die Didaktik der Philosophie und Ethik, 3/1994, 209–211; vgl. auch Barbara Brüning, Ethische Bildung in Europa. Ergebnisse einer Lehrplananalyse aus zehn europäischen Staaten, in: Ethik & Unterricht, 3/1996, 35–41, und dies., Ethikunterricht in Europa, Traditionen, Konzepte, Perspektiven, Leipzig 1999. 45 Alfred K. Treml, Ethik als Unterrichtsfach in den verschiedenen Bundesländern. Eine Zwischenbilanz, in: Ethik macht Schule!, hg. v. dems. (edition ethik kontrovers 2), Frankfurt a.M.1994, 18–29; vgl. Martin F. Meyer, Ethik ohne Lehrer? Zur Situation des Ethikunterrichts in Deutschland, in: Zeitschrift für die Didaktik der Philosophie und Ethik 4/1997, 271–280, sowie Aloysius Regenbrecht, Einführung in die Dokumentation des 17. Münsterschen Gespräches […], in: Reinhard Schilmöller u.a. (Hg.), Ethik als Unterrichtsfach, Münster 2000, 1–11, und Fritz Vomhof, Ersatzfach: »Konkurrenz der Konzepte«, in: Profil (Magazin des Philologenverbandes), Juli/August 2000, 9–13. 46 In Berlin und Brandenburg gibt es Humanistische Lebenskunde, getragen etwa vom Humanistischen Verband Deutschland. Dieser Unterricht tritt neben oder ersetzt das Pflichtfach Ethik, nicht aber den konfessionellen Religionsunterricht (vgl. KMK, Situation [s.o. Anm. 24], 19). 47 Peter Schaber, Wertevermittlung und Autonomie, in: Meyer, Texte (s.o. Anm. 5), 139–155, 140.

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Alle Lehrpläne für den philosophischen Ersatzunterricht sehen thematisch einen Platz für Religions- und Glaubensfragen vor. Gegenstand der Beschäftigung mit den Weltreligionen sind aber lediglich Aspekte der fides quae creditur; die Methode der Auseinandersetzung ist also rein religionskundlich. Es geht nicht um die fides qua creditur, die aus dem Glauben heraus lehrenden Religionslehrkräften vorbehalten bleibt. Das davon abgehobene »moralpädagogische Konzept« (unter 2b) zielt auf Vermittlung ethischen Wissens wie auch sittlicher Haltung, und zwar unabhängig von religiösen Bezügen. Das Moment der »sittlichen Urteilsbildung« verweist bereits auf die dritte Gruppe von Modellen. Die 3. Gruppe ist in vier Untergruppen (3a bis 3d) unterteilt. Oser als Vertreter des strukturgenetischen Ansatzes von Lawrence Kohlberg sieht in dessen pädagogischen Bemühungen einen prinzipiell progressiven Ansatz. Dem Voranschreiten, der Entwicklung des jungen Menschen soll Rechnung getragen werden. Im Zentrum steht die kognitiv stimulierte Entfaltung einer eigenständigen moralischen Urteilskraft. Das geeignete Medium seien vor allem Dilemmageschichten.48 Der Gruppe 3a sind drei Modelle zugeordnet, die zwar auch der Förderung der voranschreitenden Entwicklung des Kindes bzw. Jugendlichen verpflichtet, aber weniger philosophisch ausgerichtet sind. Hier stehen Lebenskunde und Beratung als Lebenshilfe im Vordergrund oder auch mehr die Gefühlsdimension. Ob man wirklich Mokroschs Wertfühlungsmodell hier verorten darf, ist nicht ganz klar, daher das Fragezeichen in der Abbildung. Das »Nachdenklichkeitsmodell« (3b) ist dezidiert philosophisch. Es geht dabei um kritische Prüfung vorgebrachter oder vorgefundener Geltungsansprüche auf philosophischer Basis. Nach Martens sprengt dies den engen Rahmen von Ethik und bezieht tendenziell die gesamte Palette philosophischer Fragen in den Unterricht mit ein. Das Werteentwicklungsmodell nach Mokrosch ist wie gesagt explizit der Kategorie »progressiver Ansatz« von Oser nachgebildet. In der »Praktische Philosophie« nach Treml geht es um philosophische Bildung als kognitive Auseinandersetzung mit klassischen Positionen der philosophischen Disziplin Praktische Philosophie. Mokrosch unterscheidet hier noch zwischen einer eher analytischen Richtung (3c) und einer Ausrichtung auf Überlebensverantwortung (3d), etwa im Sinne der Verantwortungsethik von Hans Jonas. Wie sieht es nun in den drei ausgewählten Bundesländern aus? Vorab: Die Unterschiede sind nicht sehr groß – auf dem Papier. Damit ist noch nichts ausgesagt über die unterrichtliche Wirklichkeit, nicht zuletzt ab48 Klaus Blesenkemper, Dilemmadiskussion, in: Handbuch Philosophie und Ethik, Bd. 1. Didaktik und Methodik, hg. v. Julian Nida-Rümelin u.a., Paderborn 2015, 176–187.

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hängig von der Qualifikation der Lehrkräfte. Formulierungen in Abbildung 7, die unterstrichen sind (NRW einfach, Bay gepunktet und NieSa gestrichelt) verweisen auf Bezüge zu den Lehrplänen. »Wertklärung« und »Selbstexploration« sind in allen hier ausgewählten Lehrplänen zu finden, aber nicht als ausschließliches Modell, sondern als ein gedanklicher Schritt im umfassenderen Lernprozess. Ähnliches gilt für Religionskunde als Orientierungsangebot. Zugleich sind damit auch andere Ziele verbunden: Religionskunde dient auch und nicht zuletzt der inter- sowie der intrakulturellen Kompetenz. Wenn SuS beim Anblick von Gebäuden, die man »Kirchen« nennt, fragen, warum da oben ein Pluszeichen angebracht ist, dann muss die intrakulturelle Kompetenz gestärkt werden. Mokrosch konstatiert 2009, dass das Wertevermittlungsmodell wohl vielfach noch in Bayern anzutreffen sei.49 Das scheint mir auch heute noch plausibel zu sein, wenn vom »ethischen Handeln« als Zielkompetenz gesprochen wird. Auch Niedersachsen scheint mir zumindest etwas pointierter als NRW auf Wertvermittlung zu drängen. Der Unterricht in WuN habe »die Lernenden mit dem Bestand der demokratischen Grundwerte bekannt zu machen, gesellschaftlich anerkannte moralische und rechtliche Normen aufzuzeigen und Aspekte des Werte- und Normenwandels zu untersuchen«.50 Deshalb ist diese Zeile auch gestrichelt markiert. Modell 3 durchwirkt alle Lehrpläne. NRW und NS unterscheiden sich hier nicht in relevanter Weise. Leichte Akzentverschiebungen zeigen sich nur bei Bayern. Vor allem in der Grundschule geht es in diesem Bundesland eher um Sensibilisierung für ethische Probleme in elementarer, alltagsbezogener Form. Eine dezidiert philosophische Fundierung ist für diese Schulform kaum zu erwarten und auch an weiterführenden Schulen angesichts der höchst problematischen Qualifikationslage kaum möglich. »Praktische Philosophie« als wichtiger Teilbereich der Philosophie begegnet auch in allen Lehrplänen, aber nur in höheren Jahrgangsstufen. In NRW in der Oberstufe (einschließlich EF, also Klasse 10 am Gymnasium), in Bayern ab der Klasse 10 und in Niedersachsen ab der Doppeljahrgangsstufe 9/10. »Praktische Philosophie« ist also nicht für das NRWSek. I-Schulfach Praktische Philosophie maßgeblich. Eine »kosmozentrische Ethik« im Sinne von Mokrosch als eigenständiges Modell kann nur ansatzweise im Oberstufenunterricht51 in NRW verortet werden. 49 50 51

Mokrosch, Verständnis (s.o. Anm. 43), 35. Niedersächsisches Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 32), 8. In NRW hat Philosophie in der Oberstufe eine Doppelfunktion: Das Fach ist eigenständiges Fach im Aufgabenfeld der Gesellschaftswissenschaften und zugleich Ersatzfach. Aber es ist nicht geprägt von üblichen Ersatzfachmerkmalen: Religionskunde gehört hier nicht dazu. Die Lehrplangestaltung orientiert sich seit der zusätzlichen Zuweisung der

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Aktiv denkende altersgemäß voranschreitende (»progressive«) Wertenwicklung auf der Basis von Wertklärung, religionskundlichem Wissen und zunehmender philosophischer Reflexion (primär Modell 3b) – das ist das vorherrschende Konzept des Ethikunterrichts in den ausgewählten Bundesländern, wie es aus den jeweiligen Lehrplänen extrahiert werden kann. 5. Kants Fachdidaktik als Hintergrundtheorie der Konzepte für den Ethikunterricht In der Einleitung zum niedersächsischen Kerncurriculum WuN für die gymnasialen Jahrgänge 5 bis 10 lesen wir: »Immanuel Kants elementare Frage ›Was soll ich tun?‹ stellt gewissermaßen ein Leitmotiv des Unterrichtsfaches Werte und Normen dar. In der Didaktik ist unstrittig, dass diesbezüglicher Unterricht auf aktives, eigenständiges und problemorientiertes Philosophieren und nicht bloß auf rein rezeptives Lernen von philosophiehistorischen Fakten und Systemen abzuzielen habe«.52 Hier sind zwei Aussagen entscheidend: 1. Das Fach stellt sich motivisch in die Tradition der Kantischen Ethik. »Was soll ich tun?« soll maßgebliche Frage sein. 2. Es stellt sich aber auch in gewisser Weise in die Tradition der Kantischen Didaktik, was ich im Folgenden deutlich machen möchte. Als ein herausragender Didaktiker für den Philosophie- und EthikUnterricht der Gegenwart gilt Ekkehard Martens. Im Kernlehrplan PP in NRW wird er zwar nicht expressis verbis genannt, aber sein Verständnis des methodisch geleiteten Philosophierens wird dort fast wörtlich zitiert. Philosophieren werde zu einer Kompetenz, wenn man in der Lage sei, philosophische Probleme phänomenologisch, hermeneutisch, analytisch, dialektisch und spekulativ zu bearbeiten. Damit stellt sich Martens primär in die Tradition eines auf dem Marktplatz in Athen diskursiv agierenden Sokrates. Um zum einen stärker die Möglichkeit der Schöpfung fachdidaktischer Prinzipien auch aus der neuzeitlichen Philosophie zu betonen und zum anderen die Querverbindung zu rezenten Lerntheorien herzustellen, beziehe ich mich, Martens ergänzend, auf implizit didaktische Erwägungen Kants. Dabei begreife ich sein mehr als ein Dutzend Mal formuliertes Set von drei Maximen als didaktische Maximen. Sie lauten in der Fassung seiner Anthropologie:

Ersatzfachfunktion im Jahr 1989 ausschließlich an der zentralen Kompetenz der »philosophischen Problemreflexion«. 52 Niedersächsisches Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 32), 5.

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»1) Selbst denken. 2) (Sich (in der [Gemeinschaft] Mittheilung mit Menschen) in die Stelle jedes Anderen zu denken. 3) Jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken«.53 Dazu erläutert Kant: »Das erste Prinzip ist negativ (nullius addictus iurare in verba magistri) [auf keines Lehrers Worte zu schwören verpflichtet, K.B.]: das der zwangsfreien […] Denkungsart« (ebd.). Die erste Maxime ist bekanntlich die zentrale Maxime der Aufklärung. Wir hören hier auch das »sapere aude« aus seiner Aufklärungsschrift: »Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!«54 Warum ist dieses aufklärerische Selbstdenken so wichtig? Kant nennt zwei Gründe: »Ich kann einen andern niemals überzeugen als durch seine eigene[n] Gedanken« und »Denn nur das, was wir selbst machen können, verstehen wir aus dem Grunde«.55 Daraus folgt die auch heute noch geltende Warnung: »Es ist daher nichts schädlicher, als wenn man die Schüler angewöhnet den Autor nachzumachen oder vielmehr nachzuäffen«.56 Wie hieß es noch in dem eben bereits zitierten niedersächsischen Lehrplan: »In der Didaktik ist unstrittig, dass diesbezüglicher Unterricht auf aktives, eigenständiges und problemorientiertes Philosophieren und nicht bloß auf rein rezeptives Lernen von philosophiehistorischen Fakten und Systemen abzuzielen habe.« Wir sehen: Wahrscheinlich unbewusst ist hier Kant kopiert worden. Bewusster dürfte der Bezug zur herrschenden Lerntheorie, dem Konstruktivismus, sein: Konstruktiv verstandenes Lernen ist kein Lernen, das Realität irgendwie abbildet, sondern diese an eigenem Vorwissen anknüpfend selbst erzeugt, und zwar vor allem gemessen am Kriterium der Ermöglichung von Handlungen. Daraus folgt für den Unterricht: »Lehrerinnen, Ausbilder, Hochschullehrer u.a. können nicht wirklich jemanden ›bilden‹, vielmehr ist Bildung eine Art Selbstvollzug, der ermöglicht, angeregt und begleitet werden kann in Formen, die andere sind als die der Intervention« – so der Didaktiker Rolf Arnold.57 Er versteht didaskomai wohl auch medial. Radikal solipsistisch ist der erwähnte 53 Kant, Immanuel, Kants Gesammelte Schriften, hg. v.d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (= AA), Berlin 1902ff., hier AA VII, 228. Nach Wilhelm Weischedel ist in Kants Handexemplar von 1796/97 dem Wort »Mitteilung« noch »[Gemeinschaft]« vorangestellt (vgl. Werke in zehn Bänden, hg. von Wilhelm Weischedel, Darmstadt 1975, hier WA, 10, 549 u. 817). 54 Kant, AA (s.o. Anm. 53), VIII, 35. 55 Kant, AA (s.o. Anm. 53), XX, 32, und Kant AA XII, 57. 56 Kant, AA (s.o. Anm. 53), XXIV/ 2, 866. 57 Rolf Arnold, Ich lerne, also bin ich. Eine systemisch-konstruktivistische Didaktik, Heidelberg 2007, 6.

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lerntheoretische Konstruktivismus aber nicht, da sich der selbstdenkende Wirklichkeitsaufbau gemeinschaftlicher Kokonstruktion verdankt. Diese Bindung von Konstruktion an Kokonstruktion verweist zugleich auf die oben zitierte zweite Maxime Kants. Gemäß dieser Regel soll der Selbstdenker ›liberal‹ werden, d.h. sich in der Zuwendung zum Anderen vom engen Horizont des eigenen Selbst ›befreien‹. Das »sich den Begriffen Anderer bequemende[.] Prinzip« erläutert Kant in der Kritik der Urteilskraft: Dort lobt er den Menschen mit »erweiterter Denkungsart«; diese beweise er, »wenn er sich über die subjectiven Privatbedingungen des Urtheils, wozwischen so viele andere wie eingeklammert sind, wegsetzt und aus einem allgemeinen Standpunkte (den er dadurch nur bestimmen kann, daß er sich in den Standpunkt anderer versetzt) über sein eigenes Urtheil reflectirt«.58 Eine solche Befreiung erfordert Kommunikation, wie Kant emphatisch betont: »Allein wie viel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit andern, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mittheilen, dächten!«59 Eine solche Gesprächsbereitschaft, die Kant für seine Gelehrtenwelt beansprucht, verstehe ich zum einen synchron als einen Diskurs innerhalb einer kleineren oder größeren Lerngruppe, aber auch diachron als den Dialog mit den tradierten Positionen der philosophischen Tradition. Denn »[o]hne Kenntnisse wird man nie ein Philosoph werden, aber nie werden auch Kenntnisse allein den Philosophen ausmachen«.60 Der Befolgung der zweiten Kantischen Maxime im Sinne ihrer synchronen Variante entspricht sehr genau der Einsatz kooperativer Lernformen im Unterricht. Im dreiphasige Grundprinzip ›Think – Pair – Share‹ greift die vorbereitende erste Phase ›Think‹ das von Kant in der 1. Maxime geforderte Selbstdenken auf. Der Kern, der kooperative Austausch in der Pair-Phase, dient der Erweiterung des Denkens gemäß der 2. Maxime. Eine abermalige ›Liberalisierung‹ erfolgt im Share. Die dritte Maxime lautet: »Jederzeit mit sich selbst einstimmig zu denken.« Dazu die Fachdidaktikerin Barbara Brüning: »Als dritte Regel fordert Kant, dass der Mensch jederzeit mit sich ›selbst einstimmig‹ denken soll, also konsequent und folgerichtig. Damit wird angestrebt, Widersprüche zu vermeiden bzw. eine philosophische Meinungsäußerung überlegt, also begrifflich klar und argumentativ folgerichtig in die Diskussion zu bringen«.61 Ich zweifle nicht daran, dass Kant das auch meint. Ob es aber den Kern trifft, bezweifle ich doch sehr. Ginge es nämliche 58 59 60 61

Kant, AA (s.o. Anm. 53) V, 295. Kant, AA (s.o. Anm. 53) VIII, 144. Kant, AA (s.o. Anm. 53) IX, 25. Barbara Brüning, Philosophieren in der Sekundarstufe. Methoden und Medien, Weinheim 2003, 66.

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›nur‹ um logische Stringenz, dann ist nicht nachvollziehbar, warum Kant die entsprechende Maxime an dritter Stelle nennt und sie an die Befolgung der beiden anderen bindet: »Die dritte Maxime, nämlich die der consequenten Denkungsart, ist am schwersten zu erreichen und kann auch nur durch die Verbindung beider ersten und nach einer zur Fertigkeit gewordenen öfteren Befolgung derselben erreicht werden«.62 Die geforderte Konsequenz ist nicht primär die eines dem Subjekt äußerlichen Urteils. Es geht vielmehr um das Subjekt als Person, um seine Einstimmigkeit »mit sich selbst«. Es muss für sich folgerichtig sein, an sich selbst arbeiten. Und diese Arbeit gelingt nur durch einen langwierigen und sicherlich auch beschwerlichen Prozess der Bildung, der als solcher, wie bereits betont, immer Selbstbildung ist. Moderne Wertebildung im Ethikunterricht lässt sich somit inhaltlich wie auch didaktisch-methodisch durch Kants Philosophie untermauern und fruchtbar machen.

62

Kant, AA (s.o. Anm. 53), V, 295.

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Ethisches Lernen im Kontext des Religionsunterrichts Ansätze und Herausforderungen

Flüchtlinge bei uns in Deutschland, welch eine Herausforderung, welch eine Aufgabe für die Gesellschaft, für den Staat, für das Gemeinwesen, die Kirchen, die Schulen und Hochschulen. Sie kommen aus unterschiedlichen Gründen, zumeist sind es Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Insofern ist im Antlitz der Flüchtlinge der Krieg zu uns gekommen, der Krieg mit seinem alltäglichen Entwürdigungen, dem Horror, dem Menschenverachtenden. In den von Leid und Entbehrung gezeichneten Gesichtern der Flüchtlinge wird uns deutlich, dass wir uns ihnen nicht entziehen können. Krieg ist in unseren Alltag eingerückt. Er betrifft uns alle, auch und zuletzt in Schule und Hochschule. Spätestens da, wo etwa in der Berufsschulreligionspädagogik darüber nachgedacht wird, wie denn mit Flüchtlingen Religionsunterricht durchzuführen sei, wird deutlich, dass Krieg und Frieden nicht nur ein abstrakter Gegenstand von Bildung und Religionspädagogik sind. Als das, was Wolfgang Klafki ein Schlüsselproblem von Bildung überhaupt bezeichnet hat,1 ist Frieden ein zentrales Thema von Bildung – auch von religiöser Bildung, auch und gerade von ethischem Lernen. Was aber soll das sein? Nach einer einflussreichen Definition des Religionspädagogen Hans-Georg Ziebertz ist ethisches Lernen die Beschäftigung und kritische Auseinandersetzung von Schülerinnen und Schülern »mit Werten und Normen. Inhalt ethischen Lernens sind die Wertvorstellungen, die persönlich, kirchlich und gesellschaftlich vertreten werden. Ziel ethischen Lernens ist die Fähigkeit, praktische Wertdiskurse zu führen und ein Urteilsvermögen zu entwickeln, das zu verantworteten Entscheidungen befähigt hinsichtlich der Fragen: Was muss ich tun? Was sollen wir tun? Was soll gelten? Was ist wünschbar und haltbar – für mich und für andere«.2 Ethisches Lernen zielt also auf eine kritische Urteilsfähigkeit, auch im Religionsunterricht. Nur, warum soll es dann überhaupt im Religionsunterricht stattfinden und nicht allein im Ethikunterricht, der schon vom Begriff her dafür prädestiniert sein soll? Andererseits wird doch gerade im Umgang 1

Vgl. Wolfgang Klafki, Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beiträge zur kritisch-konstruktiven Didaktik, Weinheim/Basel 21991. 2 Hans-Georg Ziebertz, Ethisches Lernen, in: Georg Hilger / Stephan Leimgruber / HansGeorg Ziebertz (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, München 62010, 434–452, hier 434.

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mit Krieg und Gewalt der Ruf nach einer Werteerziehung laut, für die man unbedingt den Religionsunterricht brauche. Was unterscheidet ethisches Lernen im Ethikunterricht von dem im Religionsunterricht? Bringt etwa der Religionsunterricht in die Frage von Krieg und Gewalt einen ganz spezifischen, nur ihm und der von ihm tradierten jüdischchristlichen Überlieferung eigenen Beitrag ein? Und, nicht zuletzt: Wie kann denn ethisches Lernen didaktisch und methodisch angelegt werden? Die Definition von Ziebertz hat einen stark kognitivistischen Einschlag. Es geht um Verstehen, um Diskurs, um kritische Urteilsbildung. Kann man nicht auch durch Gefühl lernen, durch Intuition? Wo bleibt das Affektive, das doch sofort in Gang gesetzt wird, wenn wir in die Antlitze dieser Flüchtlinge schauen und wir uns überhaupt noch von diesen geschundenen Menschenantlitzen bewegen lassen? Doch kann Gefühl ein Moment kritischer Urteilsbildung sein? Die aber müsste doch auch die Ursachen von Krieg und Gewalt in den Blick nehmen. Wo bleiben die politischen, die ökonomischen und kulturellen Faktoren in der Definition ethischen Lernens bei Ziebertz? Angesichts dieser hier nur angedeuteten Komplexität der Fragen kann ich der mir vorgegebenen Aufgabe, Ethisches Lernen im RU im Hinblick auf seine Ansätze und Konzeptionen zu erörtern, in dem gegebenen Rahmen nur in Andeutungen nachkommen. Die leitende These wird die sein, dass ethisches Lernen – stärker als bei Ziebertz – als ethische Bildung begriffen werden muss, die auf kritische Urteilsbildung und Handlungsmotivation im Lichte der Gottesbotschaft abzielt, die dabei auch ihre gesellschaftlichen wie kulturellen Kontexte analysiert und sich kritisch wie produktiv einschaltet in das gesellschaftlichöffentliche Ringen um ein gutes und gerechtes Leben für alle. Insofern wäre ethische Bildung im Rahmen einer kritisch-öffentlichen Religionspädagogik zu entfalten. Um diese These zu erläutern gehe ich in fünf Schritten vor: Erstens werde ich die Begriffe und Grundlagen der gegenwärtigen philosophischen und theologischen Ethik klären. Zentral werden die Unterscheidung von Ethik und Moral und die Auseinandersetzung zwischen einer autonomen oder christlich geprägten Ethik sein. Im Lichte dessen stellt sich zweitens die Frage nach dem Stellenwert von Ethik im RU und drittens nach Didaktiken und Lernwegen, die viertens exemplarisch verdeutlicht werden. Fünftens schließlich soll dies dann anhand des Friedensthemas konkretisiert werden. 1. Ethik – Moral: Begriffsklärungen Wie aber haben wir diese Begriffe Ethik und Moral im Kontext der Spätmoderne zu verstehen? Dort kommt es zu einer Pluralisierung der

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Lebenswelten und zu einem grundlegenden Wertewandel. Werte werden nicht mehr integrierend durch eine Zentralinstanz wie etwa die Kirche vorgegeben. Sie werden pluralisiert, bekommen eine starke geschichtliche, subjektbezogene wie identitätsstiftende Dynamik und treten mitunter in Konkurrenz zueinander.3 Um diese höchst dynamische wie komplexe Situation der »Neuen Unübersichtlichkeit« (Jürgen Habermas) überhaupt bewältigen zu können, »wächst der Bedarf an Ethik«.4 Nicht zuletzt im Bildungsbereich steigt das Erfordernis ethischer Bildung. Neuere empirische Studien verweisen auf eine Ambivalenz: Einerseits sind relativistische Haltungen bei Jugendlichen nicht zu übersehen, andererseits sind sie zugleich an der Generierung von gemeinschaftsbezogenen Werten interessiert, wie die neueste Shell-Studie und andere Wertstudien zu Weltbildern Jugendlicher unter Beweis stellen.5 Begrifflich sind ›Ethik‹ und ›Moral‹ zu unterscheiden. Beide beziehen sich auf das gelebte Leben im Lichte von Gut und Böse, richtig und falsch.6 Sie werden sowohl im philosophischen als auch im theologischen Diskurs so einander zugeordnet wie Grammatik und gelebte Sprache.7 Nach dem von mir vorausgesetzten Verständnis ist Ethik auf die lebensweltlich gelebte Moral als einem Gefüge gewählter Handlungen, Handlungspräferenzen und Handlungsregeln hingeordnet. Die philosophische wie theologische Ethik reflektiert jeweils aus ihrem bestimmten Horizont heraus die Moralität der Moral. Sie »überprüft, sucht und entwickelt Gründe für deren Bestätigung oder Kritik, praktische Anerkennung oder Veränderung«.8 In der Ethik reflektieren wir also unsere Haltungen und Taten. Eine christlich-theologische Ethik freilich bringt gegenüber säkularer Ethik einen spezifischen Beitrag ein: den Gottesgedanken im Lichte der

3 Ulrich Kropac, Ethik im Religionsunterricht? Der Beitrag der christlichen Religion zu ethischer Bildung, in: Religionspädagogische Beiträge 68/2012, 19–34. 4 Rudolf Englert, Die ethische Dimension religiöser Bildung, in: Winfried Böhm / Ursula Frost / Lutz Koch / Volker Ladenthin / Gerhard Mertens (Hg.), Handbuch der Erziehungswissenschaft, Bd. 1: Grundlagen. Allgemeine Erziehungswissenschaft, Paderborn 2008, 815–820, hier 816. 5 Vgl. Rudolf Englert / Helga Kohler-Spiegel / Elisabeth Naurath / Bernd Schröder / Friedrich Schweitzer (Hg.), Ethisches Lernen (Jahrbuch der Religionspädagogik 31), Neukirchen-Vluyn 2015; Hans-Georg Ziebertz / Boris Kalbheim / Ulrich Riegel, Religiöse Signaturen heute. Ein religionspädagogischer Beitrag zur empirischen Jugendforschung (Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft 3), Gütersloh / Freiburg i.Br. 2003. 6 Vgl. dagegen Jürgen Habermas, Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt a.M. 1991, 100–119. Ich greife in stark veränderter Form auf Teile zurück aus: Bernhard Grümme, Ethik im Katholizismus; in: JRP 31 (2015), 24–28. 7 Vgl. Stephan Ernst, Grundfragen theologischer Ethik. Eine Einführung, München 2009, 13–19. 8 Matthias Lutz-Bachmann, Ethik, Stuttgart 2013, 19.

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Botschaft und Praxis Jesus.9 Strittig ist innerhalb der Ethik der Status der biblischen Tradition und der Glaubensüberlieferung. Die Glaubensethik sieht das Spezifische einer christlichen Ethik in durchaus auch material zu fassenden Perspektivierungen und Sinnzusagen aus dem christlichen Glauben heraus.10 Die Offenbarung gibt demnach durchaus konkrete Hinweise für das, was man tun soll. In der Flüchtlingsfrage kommen wir nicht an Aussagen in Levitikus 19,33 oder in Mt 25 vorbei, nach denen die Aufnahme von Flüchtlingen theologisch bzw. christologisch qualifiziert wird. Aber kann man die Situation im alten Israel oder zur Zeit Jesu mit den pluralen Kontexten unserer globalen Weltgesellschaft unmittelbar in Beziehung setzen? Dagegen setzt mit einem unterschiedlichen Begründungsapparat eine Autonome Ethik auf die Vernunft des Menschen.11 Moralisches Handeln findet seine Prinzipien und konkreten Orientierung in der menschlichen Vernunft selber. Die Autonome Ethik würdigt in einem prinzipiellen Sinne die Autonomie der Subjekte bei der Findung und Begründung ethischer Urteile. Der Glaube hat freilich stimulierende, integrierende und kritisierende Bedeutung.12 Das, was Habermas das Überbordende, das Superogatorische nennt, das also, wozu eine säkulare Moral der wechselseitigen Verpflichtungen nicht mehr verpflichtet, das Engagement für die Ausgeschlossenen und Flüchtlinge gerade auch dann, wenn man keine Gegenleistung mehr zu erwarten hat und das deshalb auch nicht schlechthin universalisierbar ist, das macht das Eigentliche einer christlichen Ethik aus.13 Wie aber soll dies philosophisch und theologisch gedacht werden können? Diese Frage ist keineswegs eine überflüssige Elfenbeinturmfrage. Sie berührt grundlegend die Rationalität des Religionsunterrichts und damit dessen Legitimierbarkeit im Raum der öffentlichen Schule. Ethische Bildung muss rational ausweisbar sein. Ohne hier den höchst virulenten Streit zwischen einer universalisierbaren formalen Diskursethik und einer partikularen Tugendethik nachzeichnen zu können, sei zumindest die vermittelnde Position Rainer Forsts eingebracht, weil sie den rationalen Status ethischer Bildung konturiert. Danach wird durch formale diskursive Verfahren Ethik begründet, aber die konkrete Ausge9

Eberhard Schockenhoff, Grundlegung der Ethik. Ein theologischer Entwurf, Freiburg i.Br. 2007, 19f. 10 Vgl. Bernhard Stoeckle, Grenzen der Autonomen Moral, München 1974, 85–96. 11 Vgl. Christiane Schubert, mere passive? Inszenierung eines Gesprächs über Gnade und Freiheit zwischen Eberhard Jüngel und Thomas Pröpper, Regensburg 2014, 228– 278. 12 Hans-Joachim Höhn, Das Leben in Form bringen. Konturen einer neuen Tugendethik, Freiburg i.Br. 2014, 175. 13 Vgl. Bernhard Grümme, Menschen bilden? Eine religionspädagogische Anthropologie, Freiburg i.Br. 2012, 293–350.

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staltung dieser ethischen Anerkennungsverhältnisse den jeweilig partikularen Kontexten des guten Lebens überlassen.14 Eine solche Bestimmung von Ethik und Moral im Rahmen einer universalen, aber kontextuell gebundenen Theorie der Gerechtigkeit schärft das Profil ethischer Bildung im Religionsunterricht dramatisch an. Ethische Bildung muss universal gedacht werden können, für alle, und dabei die konkreten Menschen in ihrer Not in den Blick zu nehmen. Und sie muss dabei die politischen, ökonomischen und kulturellen Strukturen, die letztlich Strukturen von Macht sind, fundamental mitbedenken. Normativität und Macht gehören eng zusammen.15 Eine reine Herzensethik genügt dem nicht. 2. Religionsunterricht als Werteunterricht? Doch warum überhaupt Ethik im RU, warum die Beschäftigung mit Werten, Tugenden und Normen? Während unter Tugenden eine bestimmte moralische Haltung des Subjekts zu verstehen ist, sind Normen Sollensvorschriften, die das moralische Handeln, Denken und Wollen des Subjekts von außen orientieren. Werte dagegen sind subjektgeleitete Ziele der Moral, die nicht eigentlich vom Subjekt selber entwickelt sind, die aber doch das eigene Wünschen perspektivieren. Sie entstehen in Prozessen intersubjektiver Erfahrungen »der Selbstbildung und Selbsttranszendenz«,16 in dem sie das Subjekt ergreifen und auf das Gute hin ausrichten wollen.17 Mit dieser Fundierung in Prozessen der Erfahrung von Selbsttranszendenz wird zumindest eine innere Anschlussfähigkeit und Nähe zur Religion eklatant. Dies hat Hans Joas scharf herausgearbeitet.18 Nun mag es aus neokonservativer Sicht als ein massiver Werteverlust erscheinen und Säkularisierung zu einem unumkehrbaren Moralverfall führen, dem nur durch einen neuerlichen »Mut zur Tugend« zu begegnen sei, was sich allerdings nach Ausweis der Soziologie und der Werteforschung als wesentlich differenzierter und komplexer herausstellt.19 14

Rainer Forst, Kontexte der Gerechtigkeit. Politische Philosophie jenseits von Liberalismus und Kommunitarismus, Frankfurt a.M. 1994, 362. 15 Rainer Forst, Normativität und Macht. Zur Analyse sozialer Rechtfertigungsordnungen, Berlin 2015, 15f. 16 Hans Joas, Die Entstehung der Werte, Frankfurt a.M. 1999, 10. 17 Vgl. Konstantin Lindner, Wertebildung im religionspädagogischen Horizont. Ein Systematisierungsversuch, in: Religionspädagogische Beiträge 68/2012, 5–18. 18 Hans Joas, Werte und Religion, in: Liz Mohn / Brigitte Mohn / Werner Weidenfeld / Johannes Meier (Hg.), Werte. Was die Gesellschaft zusammenhält, Gütersloh 2007, 19– 32, hier 20. 19 Hans Joas, Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums, Freiburg i.Br. 2012, 43–66.

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Gesellschaftlich wird religiöse Bildung unter Bedingungen des Wertewandels und der Pluralität zunehmend angefragt, als Wertevermittlungsagentur kompensatorisch das anzubieten, was Familie, peer group und Gesellschaft angeblich nicht mehr zu leisten in der Lage sind: Orientierung an moralischen Werten, Vermittlung von Wertewissen, Motivation zum moralischem Handeln.20 Unter anschwellendem Legitimationszwang gesetzt, könnte der RU dieser zivilreligiös angeschärften Versuchung nachgeben und nun den Religionsunterricht als Ort der Wertebildung deklarieren. Dies würde ihm nicht nur Profil geben. Dies würde ihm in den anschwellenden Kämpfen um seine Fortexistenz in der öffentlichen Schule auch Legitimation verschaffen. Auch wenn man nicht an Gott glaubt, würde der Religionsunterricht zumindest für Orientierung und gesellschaftliche Affirmation sorgen. Nicht zuletzt deshalb gibt es warnende Stimmen, die den Religionsunterricht von Ethik frei halten wollen. Bernhard Dressler, gespeist aus dem Erbe Schleiermachers und stark dynamisiert von der Systemtheorie Niklas Luhmanns, will religiöse Bildung und Ethik strikt auseinanderhalten. Religionsunterricht betreibe seine Selbstauflösung, wenn er sich als Werteerziehung artikuliere. Stattdessen sei das Spezifische von Religion als eigener Weltzugang neben Ethik und Politik zu profilieren.21 Dies aber beruht auf einem halbierten Verständnis zumindest der jüdisch-christlichen Tradition. Diese besitzt einen übergreifenden Anspruch, wie auch Friedrich Schweitzer kritisch einwendet.22 Der christliche Glaube ist ein alles umfassender Glaube. Er hat eine politische Dimension. Nur kommt alles darauf an, im Interesse des Glaubens wie der Ethik, deren Verhältnis angemessen zu bestimmen. Glaube darf nicht ethisch oder gar politisch funktionalisiert werde. Die Gefahren liegen ja in unseren Tagen auf der Hand. Auch dies können wir den Gesichtern der Flüchtlinge ablesen. Kurz gefasst kann man vielleicht so sagen: Christlicher Glaube fokussiert auf den Gottesgedanken. Er ist keine Ethik, er hat vielmehr eine.23 Für den RU bedeutet dies: Wegen ihres umfassenden Anspruchs hat die Ethik durchaus eine unverwechselbare wie zentrale Relevanz im RU.

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Eberhard Schockenhoff, Philosophische Ethik, in: Clauß Peter Sajak (Hg.), Christliches Handeln in Verantwortung für die Welt (Theologie studieren im modularisierten Studiengang 12), Paderborn 2015, 17–112, hier 57: »In pädagogischen Debatten über den Bildungsauftrag der Schule wird regelmäßig die Werteerziehung genannt«. 21 Vgl. Bernhard Dressler, Unterscheidungen. Religion und Bildung, Leipzig 2006. 22 Friedrich Schweitzer, Religiöse Bildung ohne Ethik? Zur ethischen Dimension des Religionsunterrichts; in: JRP 31 (2015), 13–23. 23 Bernhard Grümme, Religionsunterricht und Politik. Bestandsaufnahme – Grundsatzüberlegungen – Perspektiven für eine politische Dimension des Religionsunterrichts, Stuttgart 2009, 52–58.

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Systematisiert man die gegenwärtigen Verhältnisbestimmungen zwischen Ethik und RU, dann lassen sich drei Modelle auseinanderhalten: 1. Das Funktionalisierungsmodell beansprucht den RU als Wertelieferanten; 2. das Distinktionsmodell akzentuiert die Autarkie religiöser Bildung gegenüber dem ethischen Lernen. 3. das Implikationsmodell betont entsprechend der Theozentrik des Glaubens die Fokussierung des RU auf die Gottesfrage, integriert aber allein schon vor dem Hintergrund der Einheit von Gottes- und Nächstenliebe ethisches Lernen als Implikation religiöser Bildung. RU ist demnach nicht ohne Ethik, aber eben mehr als Ethik.24 Zweifellos entspricht dies der Logik des Glaubens, aber zugleich den Orientierungsbedürfnissen der Schülerinnen und Schüler am besten. Im Lichte dieser Präzisierung verstehen sich Profil und Gewichtung der Ethik im Lehrplan. Wie der exemplarisch herangezogene Kernlehrplan NRW dokumentiert, bildet das obligatorische Inhaltsfeld »Verantwortliches Handeln aus christlicher Motivation« eines von insgesamt fünf verpflichtenden Inhaltsfeldern.25 Ethik ist ein verpflichtender Gegenstand des RU. Darin sollen die Schülerinnen und Schüler etwa »an ausgewählten Beispielen ethische Herausforderungen für Individuum und Gesellschaft« erläutern und »sie als religiös relevante Entscheidungssituationen« deuten, »Schritte ethischer Urteilsfindung« erläutern«, »erörtern, in welcher Weise biblische Grundlegungen der Ethik zur Orientierung für ethische Urteilsbildung herangezogen werden können« oder »verschiedene Positionen zu einem ausgewählten Konfliktfeld unter Berücksichtigung christlicher Ethik in katholischer Perspektive« diskutieren.26 Wie aber kann Ethik in dieser Rahmung der Gottesperspektive gelernt werden, wenn wir doch die eingangs kurz angedeutete Pluralisierung und Säkularisierung der Lebenswelten vor Augen führen? 3. Ethik lernen, wie soll das gehen? Ethisches Lernen zielt, so haben wir bereits ausgeführt, auf ethische Wahrnehmungsfähigkeit, auf Sprach- und Handlungsfähigkeit und – vor allem im schulischen Kontext – auf ethische Urteilsfähigkeit.27 Hans24

Vgl. Rudolf Englert, Die ethische Dimension religiöser Bildung, in: Winfried Böhm / Ursula Frost / Lutz Koch / Volker Ladenthin / Gerhard Mertens (Hg.), Handbuch der Erziehungswissenschaft, Bd. 1: Grundlagen. Allgemeine Erziehungswissenschaft, Paderborn 2008, 815–820; Lindner, Wertebildung (s.o. Anm. 15). 25 Kernlehrplan für die Sekundarstufe II Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, Katholische Religionslehre, Düsseldorf 2014, 19. 26 Ebd., 23. 27 Vgl. Claus Peter Sajak, Ethisches Lernen, in: Claus Peter Sajak (Hg.), Christliches Handeln in Verantwortung für die Welt, Paderborn 2015, 275–296.

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Georg Ziebertz hat vier Verfahrensweisen unterschieden, die er diachron wie synchron in der Religionspädagogik entdeckt.28 Sie sind in der Geschichte der christlichen Moralerziehung immer wieder vorgekommen und werden teilweise noch heute vertreten: Erstens ist die Wertübertragung zu nennen, die vorgegebene Werte orientierend vermitteln will. Sei es in der patristischen Pädagogik, sei es bei Augustinus oder in mittelalterlichen Kloster- und Bürgerschulen und selbst noch in den neuzeitlichen Schulen der Reformation: Diese Form moralischen Lernens ist auf die Übermittlung der kirchlichen Morallehre an die nachwachsende Generation fokussiert. Nicht die Subjekte, sondern die Botschaft steht im Mittelpunkt.29 Es ist eine materiale Ethik im Kontext eines weitgehend geschlossenen partikularen Werteuniversums, in das die Kinder und Jugendlichen durch moralpädagogische Impulse vorrangig der Instruktion hineingeführt werden. Deren Ertrag liegt an der lebensweltlichen Verwurzelung dieser Moral, die von dort her Festigung und Motivation erhält. Deren Grenze liegt in der Unfähigkeit, den Wertepluralismus angemessen zu bewältigen. Sie bleibt heteronom.30 Als zweites kommt die Werterhellung zur Sprache, die bereits internalisierte Werte der Schülerinnen und Schüler reflexiv erhellen soll. Während das erste Modell deduktiv ausgerichtet ist und eher die Einpassung in Vorhandenes befördert, kommt es bei dem induktiv strukturierten zweiten Modell zu einer Reduktion auf individuell bedeutsame Werte. Hier wird nur aufgedeckt, aber kaum ethisch gelernt. Demgegenüber will das dritte Modell der Wertentwicklung eine stufenweise Erhöhung moralischen Urteilskompetenz anbahnen. In dem Ansatz von Lawrence Kohlberg soll durch die Diskussion moralischer Konflikte anhand von Dilemma-Geschichten ein prinzipiengeleitetes ethisches Urteil ermöglicht werden. Dieses strukturgenetische Modell durchzieht die innere Teleologie von einer egoistischen zu einer universalistischen und zunehmend internalisierten Begründung moralischer Urteile.31 So überzeugend dieses Modell hinsichtlich der Genese von ethischer Urteilsfähigkeit ist, so bleiben doch Reserven hinsichtlich einer kognitiven Engführung oder auch eines »unpolitischen« Moralisierens.32

28 29

Ziebertz, Ethisches Lernen (s.o. Anm. 2). Vgl. Hans-Georg Ziebertz / Bert Roebben, Art.: Moralpädagogik, in: LThK3, 3, 455– 458, hier 456. 30 Vgl. Stefan Meyer-Ahlen, Ethisches Lernen. Eine theologisch-ethische Herausforderung im Kontext der pluralen Gesellschaft, Paderborn 2010, 25–29. 31 Vgl. Bruno Schmid, Lernen an Dilemmata, in: JRP 31 (2015), 163–174. 32 Bernhard Sutor, Das Konzept der moralischen Entwicklung in der politischen Bildung – Fragen aus der Sicht der Fachdidaktik, in: Gisela Schmitt (Hg.), Individuum und Gesellschaft in der politischen Situation, Tutzing 1980, 242–257, hier 248; Grümme,

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Daher nimmt es nicht Wunder, dass dem ein stärker interaktionales, viertes Modell an die Seite tritt: das Modell der Wertkommunikation. Basierend auf dem Konzept kommunikativer Vernunft von Jürgen Habermas und Helmut Peukert steht hier die Teilnahme an argumentativen Diskussionsprozessen im Vordergrund. Sie will die Kommunikationsfähigkeit und Argumentationsfähigkeit durch einen Perspektivenwechsel aus der Situation aller Anderen heraus möglich machen. Mündigkeit wird dabei entsprechend des Pädagogischen Paradoxons bereits im Verfahren zunehmend vorausgesetzt. Es geht um die argumentative Prüfung von Geltungsansprüchen und die Klärung, welche Werte und Wertorientierungen Gültigkeit beanspruchen können.33 Wenn es keine Werte, keine Normengefüge und Tugenden mehr gibt, die unhinterfragt als materiale wie formale Begründungs- und Zielhorizonte gelten können, dann gilt es, die Herausbildung ethischer Wertorientierungen und deren kritische Reflexion in den Vordergrund zu stellen. Die kritische Urteilsfähigkeit hinsichtlich kontextuell bedrängender moralischer Probleme steht im Zentrum. Exemplarisch zeigt Helmut Peukert die Verwurzelung dieses Zugangs in kommunikationstheoretischen Konzepten einerseits und einer damit korrelativ verbundenen anthropologisch gewendeten Theologie andererseits. Eine »Ethik der intersubjektiven Kreativität« soll unter Rückgriff auf die eingespielten Impulse jüdischchristlicher Tradition die Subjekte dazu befähigen, die Herausforderungen der Gegenwart im Dienste ihrer Autonomie zu bewältigen und dazu sich auch kritisch-transformatorisch mit tradierten und gegenwärtig propagierten Wertgefügen auseinandersetzen zu können.34 Ethische Bildung, und eben gerade nicht ethische Erziehung, die vorrangig einweist in bestehende Zusammenhänge, stehen im Fokus dieses Konzepts.35 Dabei ist eine Komplementarität zwischen Wertentwicklung und Wertkommunikation zu berücksichtigen. Einerseits ist eine ethische Autonomie der Heranwachsenden nicht gegeben, andererseits muss das Ziel der Wertentwicklung und der Wertkommunikation den folglich als »Sprachschule der Freiheit« (Ernst Lange) zu bestimmenden Weg ethischer Bildung selber prägen und zugleich die bildungspolitischen, gesellschaftlichen wie sozialen Kontexte im Lichte der Gottesbotschaft und dessen verändernder und befreiender Kraft in den Blick nehmen. So gesehen ist ethische Bildung im Religionsunterricht eine kritische, trans-

Politik (s.o. Anm. 23), 63-101; gegen Lothar Kuld, Soziales Lernen, in: JRP 31 (2015), 175–183. 33 Ziebertz, Ethisches Lernen (s.o. Anm. 2), 442–444. 34 Helmut Peukert, Die Frage nach der Allgemeinbildung als Frage nach dem Verhältnis von Bildung und Vernunft, in: Jürgen-Eckardt Pleines (Hg.), Das Problem des Allgemeinen in der Bildungstheorie, Würzburg 1987, 69–88, hier 82. 35 Ziebertz, Ethisches Lernen (s.o. Anm. 2), 442.

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formatorische und – weil sie sich nicht auf sich selber beschränkt – eine öffentliche Bildung.36 Faktisch kommen diese Modelle im Unterricht in einer gewissen Überschneidung vor. Doch wird man insbesondere dem letzten Modell, das die Autonomie der Jugendlichen im Sinne einer Identität in Solidarität stark macht, besondere Relevanz zuerkennen müssen. Dazu kommen freilich handlungstheoretische wie affektive Lernformen, um eine kognitivistische Engführung zu überschreiten. Deshalb favorisiert Georg Hilger aus lernpsychologischen Gründen eine »prosoziale Sensibilisierung als ganzheitliche Moralerziehung«.37 Dies verweist schon auf konkrete Lernformen ethischer Bildung. Da ethische Bildung Urteil, Motivation wie Handeln prägen will, versteht es sich, dass ethisches Lernen im RU kognitive, affektive und volitive Momente integriert. Ethisches Lernen ist ganzheitliches Lernen. Beruhend auf der Erfahrung, dass vor aller zu schaffenden Moral ein gutes Leben auf einem zuvorkommenden Gerechtfertigtsein beruht und von dort her Kraft, Impulse und Widerstandsreserven gewinnt, zielt Ethische Bildung auf die Empathiefähigkeit und auf soziale Kognition als Lernen durch Einsicht und durch prosoziales Tun. Kognitive Methoden sind so zu ergänzen durch ein Lernen am Modell, durch Lernen durch Instruktion und durch soziale Bestätigung. Performative Erfahrungen von moralisch relevanter Praxis sind zu ermöglichen.38 Stets gilt es, auf handlungsorientierte Weise und unter Rückgriff auf erlebnispädagogische und gestaltpädagogische Fundamente solche Haltungen der Perspektivenübernahme, des Engagements für das Gemeinwesen, der Partizipation, der sozialmoralischen Verantwortungsübernahme anzubahnen. Konstruktivistische, streng subjektorientierte Ansätze erweisen hier ihre besondere Relevanz.39 Unterrichtliche, außerunterrichtliche und außerschulische Lernorte sind dabei nicht zuletzt in ihrem Lernsetting zu unterscheiden und – insbesondere unter den besonderen Heraus36

Vgl. Helmut Peukert, Bildung in gesellschaftlicher Transformation, Paderborn 2015; Bernhard Grümme, Öffentliche Religionspädagogik. Religiöse Bildung in pluralen Werten (Religionspädagogik Innovativ 9), Stuttgart 2015. 37 Georg Hilger, Ethisches Lernen – Moralische Entwicklung bei Kindern, in: Georg Hilger / Werner Ritter (Hg.), Religionsdidaktik Grundschule. Handbuch für die Praxis des evangelischen und katholischen Religionsunterrichts, München/Stuttgart 2006, 227–242, hier 239. 38 Norbert Mette, Religionspädagogik, Düsseldorf 1994, 115. 39 Jürgen Rekus, Compassion – ein erlebnisbezogenes Bildungskonzept, in: Johann B. Metz / Lothar Kuld / Adolf Weissbrod (Hg.), Compassion. Weltprogramm des Christentums. Soziale Verantwortung lernen, Freiburg i.Br. 2000, 75–88; Thomas Schlag, Konstruktivistische Ansätze und Herausforderungen in der Religionspädagogik am Beispiel einer zeitgemäßen religiösen Menschenrechtsbildung, in: Andreas Klein / Ulrich Körtner (Hg.), Die Wirklichkeit als Interpretationskonstrukt? Herausforderungen konstruktivistischer Ansätze für die Theologie, Neukirchen-Vluyn 2011, 201–214.

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forderungen einer qualifizierten Ganztagsstruktur der Schule – produktiv aufeinander zu beziehen. Dementsprechend bilden subjektorientierte, erfahrungsorientierte und handlungsorientierte Zugänge wie die Dilemma-Methode, die narrative Ethik, das biographische Lernen, das Lernen an local heroes und local victims, ein Lernen aus Ungerechtigkeit, das diakonische Lernen oder Sozialpraktika wichtige Elemente ethischer Urteilsbildung.40 4. Exemplarische Einblicke in Ansätze ethischer Bildung Was aber heißt dies im Einzelnen? Vier Ansätze sollen dies verdeutlichen: 4.1 Gefühl als Motor ethischer Bildung? Unterliegt nicht den Ansätzen ethischen Lernens ein starker Rekurs auf Vernunft? Blendet diese nicht in der Tradition des cartesianischen Dualismus Leiblichkeit, Gefühl, Affekt aus, die aber selber Antriebsquelle des Verstehens und ethischen Handelns sein können? Müsste dies nicht stärker in den Vordergrund rücken, gerade wenn wir in die verzerrten Antlitze der Geschundenen schauen? Dies wird in Konzepten affektiven Lernens und emotionaler Bildung im RU stark herausgearbeitet, denen es um die Generierung von Mitleiden und Mitgefühl als Basis ethischen Handelns geht.41 Auf der Linie eines emotional turn der Humanwissenschaften soll ethische Bildung als Emotionsbildung, als Affektbildung begriffen werden. Nach Elisabeth Naurath heißt Subjektorientierung nach evangelischem Bildungsverständnis beispielsweise in der Auseinandersetzung mit Gewalt in biblischen Texten, »dass mit allen Gefühlen, so wie sie eben sind, umzugehen ist. Insofern ist es Aufgabe der Religionslehrkraft, negative oder aggressive Gefühle nicht zu bewerten, sondern gemäß dem ›Grundsatz: alle Gefühle sind erlaubt, aber nicht alle Verhaltensweisen‹ zu differenzieren und gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zu reflektieren, wie Emotionen entstehen und wie konstruktiv und ehrlich mit ihnen umgegangen werden kann«.42 Wie auch die Psychologie zeigt, kommt man an der Berücksichtigung von Emotionen im Lernprozess nicht herum. Angst verhindert 40

Vgl. Stefan Meyer-Ahlen, Ethisches Lernen. Eine theologisch-ethische Herausforderung im Kontext der pluralistischen Gesellschaft, Paderborn 2010, 83–99; Vgl. Kropac, Ethik (s.o. Anm. 3). Vgl. Hans Mendl, Modelle – Vorbilder – Leitfiguren: Lernen an außergewöhnlichen Biografien, Stuttgart 2014. 41 Vgl. Elisabeth Naurath, Mit Gefühl gegen Gewalt. Mitgefühl als Schlüssel ethischer Bildung in der Religionspädagogik, Neukirchen-Vluyn 2007. 42 Elisabeth Naurath, […] Die emotionale Dimension ethischer Bildung, in: JRP 31 (2015), 184–192, hier 190f.

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Lernen, Begeisterung ermöglicht sie. Moralische Emotionen sind gerade als Ergänzung zum Kognitivismus Kohlbergs von hoher Relevanz. Aber von Bildung sollte man nur dort sprechen, wo Gefühle, Erfahrung und kritische Rationalität kritisch und konstruktiv zusammengebracht werden. Sonst bleibt es nur beim Austausch von Meinungen. Kritische Autonomie als Ziel des Religionsunterrichts und so auch der ethischen Bildung würde gerade unterlaufen. Denn, so Anton Bucher: »Viele moralisch relevante Emotionen können höchst unmoralisch sein«.43 Normativität, so auch Rainer Forst, kann nicht mit moralischen Gefühlen begründet werden, weil »diese Gefühle, um moralisch genannt zu werden, Wertungen und Überzeugungen erhalten, die mit Gründen verbunden sind – und mit Gründen in ihrer Geltung überprüft werden müssen«.44 4.2 Der konziliare Lernprozess »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung« Eine wichtige Rolle spielt das Konzept des Lernens für die Eine Welt oder auch der konziliare Lernprozess »Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung«. In ihm wird Menschenrechtsbildung im Lichte von Gerechtigkeitslernen praktisch. Hier wird ein Lernprozess angebahnt, der sich an den Schlüsselproblemen, ja an den »Überlebensfragen der Menschheit« abarbeitet im Lichte der biblischen Vision einer umfassenden Gerechtigkeit.45 Dies verbindet die kognitive Einsicht in wirtschaftliche und politische Zusammenhänge von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit im Weltmaßstab mit praktischen Lernformen. Es versucht in unterrichtlichen, außerunterrichtlichen und außerschulischen Lernzusammenhängen Gerechtigkeit zu thematisieren und eine Gerechtigkeitspraxis einzuüben, um damit Menschenrechtsbildung zu praktizieren. Das von Kohlberg in den USA und dann mit Oser in Deutschland durchgeführte Just-Community-Projekt, das die Schule als gerechte Gemeinschaft begreift und hieran Formen gerechten Handelns in Unterricht und Schulwirklichkeit einübt, stellt nach wie vor ein wichtiges Element dar.46 4.3 Mitleidlernen Das an den Katholischen Privatschulen Baden-Württembergs breit implementierte Projekt »Compassion« zielt in einer Verbindung von erleb43

Anton A. Bucher, Mehr Emotionen und Tugenden als kognitive Stufen, in: JRP 31 (2015), 87–97, hier 97. 44 Forst, Normativität (s.o. Anm. 15), 39. 45 Martina Blasberg-Kuhnke, Gerechtigkeit lernen – eine theologische und religionspädagogische Herausforderung des Religionsunterrichts in der Sekundarstufe I, in: Religionsunterricht an höheren Schulen 4 (2007), 245–253. 46 Grümme, RU und Politik (s.o. Anm. 23), 225–236.

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nispädagogischen, reflexiven und pragmatischen Momenten auf die »Entwicklung sozial verpflichteter Haltungen wie Solidarität, Kooperation und Kommunikation mit Menschen, die aus welchen Gründen auch immer auf die Hilfe anderer angewiesen sind«.47 Im Unterschied zum Diakonischen Lernen, das primär in der Schule stattfindet, verortet sich dies bewusst im außerunterrichtlichen Kontext. Schülerinnen und Schüler gehen im Rahmen dieses Sozialpraktikums in der Regel zwei Wochen in soziale Einrichtungen wie Altenheime, Kindergärten, Behinderteneinrichtungen oder Krankenhäuser. Sie werden im Unterricht darauf vorbereitet und während des Praktikums von (Religions-)lehrern begleitet.48 4.4 Local heroes Das Vorbildlernen orientiert sich an Local heroes, an den Helden des Alltags wie dem Trainer, der Nachbarin, dem Schülersprecher oder dem Lehrer. Ein solches Lernen belegt, dass auch in unserer Gesellschaft durchaus verschiedene Formen altruistischen Verhaltens möglich sind. Diese Vorbilder, die gerade in ihrer zeitlichen wie räumlichen Nähe eine personale Begegnung ermöglichen, bilden in ihrer Alltäglichkeit »eine Brücke zwischen den dominierenden Lebensvorstellungen der Schüler und dem Mehr-Wert christlich-sozialen Verhaltens«.49 Allerdings, dies sei noch kurz bemerkt, sind diese Konzepte ethischer Bildung nur dann vor entpolitisierenden Tendenzen zu schützen, wenn sie eingebettet werden in politisch-strukturelle Kategorien religiöser Bildung. Dies müsste von der Dynamik der christlichen Botschaft her wie von der Rationalität ethischer Bildung her, wie wir diese von Rainer Forst her gewonnen haben, deutlich geworden sein. Erst in diesem politisch angeschärften Horizont kann religiöse Bildung einen kritisch-produktiven Beitrag zur allgemeinen Bildung in der öffentlichen Schule leisten.50 Erst so wäre jene Radikalität der ethischen Bildung erreicht, die eben auch die gesellschaftlichen Strukturen menschlichen Zusammenlebens nicht unbeeinflusst lassen will.

47 Lothar Kuld, »Menschsein für andere« – Das Projekt Compassion, in: Soziales Engagement an Schulen. Eine Handreichung, hg. v. Referat Schulpastoral, Diözese RottenburgStuttgart, Rottenburg-Stuttgart 2008, 13–18, hier 13. 48 Lothar Kuld / Stefan Gönnheimer, Compassion – Sozialverpflichtetes Lernen und Handeln, Stuttgart 2000, 10; Kuld, Soziales (s.o. Anm. 32), 175–183. 49 Hans Mendl, Lernen an (außer-)gewöhnlichen Biografien. Religionspädagogische Anregungen für die Unterrichtspraxis, Donauwörth 2005, 100; Mendl, Biografien (s.o. Anm. 40). 50 Grümme, RU und Politik (s.o. Anm. 23), 137–156.

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5. Konkretion: Friede als Thema Um die Komplexität Ethischer Bildung deutlich zu machen, will ich das Ausgeführte anhand eines Unterrichtsentwurfs zu der eingangs eröffneten Friedens- und Gewaltthematik etwas weiter konkretisieren. Durch sie wird das Flüchtlingsthema in besonderer Weise virulent und in einen größeren Rahmen einordbar. Das Thema Frieden, in allen Lehrplänen und Bildungsplänen verpflichtend für den RU vorgegeben, würde verengt behandelt werden, würde es allein auf zwischenmenschlicher und sozialer Ebene behandelt, in die hinein man dann korrelationsdidaktisch die biblische Friedenshoffnung auf endzeitliche Versöhnung einspielte. Die eigentliche Dramatik der radikalen, alle Lebensbereiche umfassenden Hoffnung wäre unterlaufen. Von der Politikdidaktik wäre zu lernen, dass fehlerhafte wie bruchstückhafte Informationen oder die ungebrochene Übertragung der sozialen Ebene auf die politische Ebene gerade das Urteilsvermögen der Schülerinnen und Schüler massiv beeinträchtigen, indem sie zu beinahe klassischen Fehlkonzepten führen. Zwar stellen gewiss alltägliche Zusammenhänge einen Entdeckungszusammenhang von Schlüsselproblemen dar. Doch birgt eine ungebrochene Übertragung nicht unerhebliche Schwierigkeiten. So weiß man aus der amerikanischen Forschung von erheblichen Defiziten durch Personalisierung und Analogisierung von Krieg und Alltagserfahrungen, die Krieg in den Augen 11-jähriger Kinder als eine Art Schulhofschlägerei erscheinen lassen.51 Neben der Unterkomplexität des Wissens muss sich der Unterricht besonders bei diesem Themenfeld »vor den Gefahren überzogener Moralisierung hüten«, die Max Webers Spannung von Verantwortungsethik und Gesinnungsethik einseitig fasst. »Friedenserziehung ist daher nicht möglich ohne Auseinandersetzung mit den Dilemmata, in die Friedenspolitik häufig gerät. [...] Moralische Urteilsbildung ist zwar bei der Auseinandersetzung mit exzessiver Gewalt, wie sie jeder Krieg darstellt, notwendig und unvermeidlich, aber die von den Lernenden am Beginn eines Lernvorhabens ›mitgebrachten‹ moralischen Einschätzungen zum Thema der Konfrontation mit sachbezogenen, differenzierten und multiperspektivischen Analysen auszusetzen« und zugleich mit der biblischen Botschaft zu konfrontieren,52 die mit ihrem befreienden, parteiischen, kritischen wie transformativen Zug auf vergessene und weiter-

51 Vgl. Christiane Dettmar-Sander / Wolfgang Sander, Krieg und Frieden, Terror und politische Gewalt, in: Dagmar Richter (Hg.), Politische Bildung von Anfang an, Bonn 2007, 185–199, hier 190. 52 Wolfgang Sander, Friedenserziehung als Aufgabe politischer Bildung, in: Wolfgang Sander (Hg.), Handbuch politische Bildung, Bielefeld 2005, 442–456, hier 453f.

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führende Momente aufmerksam machen,53 ist die zentrale Aufgabe ethischer Bildung im RU. Die in Jesus unverbrüchlich geschenkte Botschaft von geschenkter Befreiung im Horizont einer eschatologischen Erwartung von Frieden und universaler Versöhnung kann Momente entgegenkommenden, verändernden, friedenschaffenden, superogatorischen Handelns kritischproduktiv einbringen, die innovative Perspektiven ermöglichen und auch eine im Banne innerer Sachlogik erstarrte Rationalität transformieren. Andererseits zeigt der herrschaftskritische Zug der Reich-Gottes-Botschaft, die Frieden in den Kontext von Gerechtigkeit, Wahrheit, Freiheit, Güte und Liebe stellt, dass Harmoniebedürfnisse auch aus theologischer wie aus religionspädagogischer Sicht schlechte Ratgeber sind.54 Daher wird eine Konstellation hergestellt zwischen religiösen, individuellen, sozialen und politischen Aspekten des Friedens. Alltagskonflikte werden auch hinsichtlich gesellschaftlicher wie politischer Aspekte von Gewalt und Frieden mit der biblischen Botschaft in ein kritisch-produktives Gespräch gebracht, das die relative Eigenlogik von Religion und Politik zu würdigen versucht. Im Lichte dessen könnte die Unterrichtssequenz folgende Gestalt haben:55 – Alltagskonflikte und deren Bewältigung – Gewaltprävention – Kategoriale Differenz zwischen sozialer und politischer Friedensdiskussion – Schritte von Gewalteskalation – Probleme und Horizonte der Friedens- und Sicherheitspolitik – Religionen als Motor von Gewalt und Versöhnung – Frieden als Gabe und Geschenk im biblischen Kontext – Reich-Gottes-Botschaft – Eschatologische Hoffnung als Impuls zu »Friedenslernen und Friedenshandeln« (Egon Spiegel). 53 54

Vgl. Grümme, RU und Politik (s.o. Anm. 23), 215–220. Godwin Lämmermann, Religionsdidaktik. Bildungstheologische Grundlegung und konstruktiv-kritische Elementarisierung, Stuttgart 2005, 262. 55 Vgl. Sander, Friedenerziehung (s.o. Anm. 52); Werner Haussmann / Hansjörg Biener / Klaus Hock / Reinhold Mokrosch (Hg.), Handbuch Friedenserziehung: interreligiös – interkulturell – interkonfessionell, Gütersloh 2006; Karl-Ernst Nipkow, Der schwere Weg zum Frieden. Geschichte und Theorie der Friedenspädagogik von Erasmus bis zur Gegenwart, Gütersloh 2007; Egon Spiegel, Gewaltverzicht. Grundlagen einer biblischen Friedenstheologie, Kassel 21989; Werner Winterstein, Pädagogik des Anderen. Bausteine für eine Friedenspädagogik in der Postmoderne, Münster 1999; Thomas Schreijäck, Religionsdialog im Kulturwandel, Münster 2003; Norbert Mette, Neuen Herausforderungen begegnen: Die Rolle von religiöser Bildung im Angesicht von Terror und Gewalt, in: Matthias Bahr / Ulrich Kropac / Miriam Schambeck (Hg.), Subjektwerdung und religiöses Lernen. Für eine Religionspädagogik, die den Menschen ernst nimmt, München 2005, 168–177.

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6. Ertrag – Perspektiven Damit komme ich zum Schluss. Es sollte deutlich geworden sein, wie stark die Anbahnung ethischer Bildung für eine religiöse Bildung gerade unter den Bedingungen von Pluralität integralen Rang besitzt. Diese wäre gleichwohl auf verschiedenen Feldern weiter zuzuspitzen. 1. Organisatorisch Die Debatten um das Profil ethischen Lernens sind für die Diskussionen um einen allgemein verbindlichen Werteunterricht, um das Verhältnis zwischen Ethikunterricht, Religionskunde und Konfessionellen Religionsunterricht oder um eine Fächergruppe herausfordernd. Was bedeutet etwa ethisches Lernen in einem interreligiösen Kontext? Böte hier nicht ein religiös-kooperativer Religionsunterricht eine Perspektive? 2. Religionspädagogische Konzeptbildung Es scheint, als wäre in gegenwärtiger Religionspädagogik die Wucht der prophetischen Botschaft gelegentlich herabtemperiert zur bloßen Pertubation des Anderen im Rahmen konstruktivistischer Religionspädagogik oder zur Frage der Wahrnehmung im Kontext mancher Ansätze ästhetischer Religionspädagogik. Der Ethikbegriff macht hier mit der Notwendigkeit eines Akzentwechsels in der konzeptionellen Ausrichtung vertraut. Dafür ist es freilich erforderlich, ethische, kognitive, ästhetische wie politisch-strukturelle Dimensionen in einem integrativen Bildungsbegriff aufeinander zu beziehen und als Hintergrund zu entfalten. 3. Heterogenitätsfähigkeit Ethisches Lernen betrifft Bereiche, die ich hier nicht angesprochen habe: inwieweit spielen Genderfragen, inwieweit Gerechtigkeitsfragen eine Rolle? Zwar ist die Debatte um eine spezifische weibliche care-Moral inzwischen obsolet geworden. Aber müsste nicht auch die Frage der Benachteiligung von Jungen thematisiert werden? Doch müsste dies wesentlich dynamischer und radikaler gefasst werden. Hier wären die Begriffe von Gender in den Raum von Heterogenität und Intersektionalität voran zu treiben. Aspekte von Bildungsgerechtigkeit, von Migration, sozialer Klasse von Religion und Gender dynamisieren sich gegenseitig. Dies ist nicht nur ein Thema ethischer Bildung. Es müsste der Religionspädagogik selbstreflexiv zu denken geben, weil es den Rahmen ethischer Bildung massiv beeinflusst. 4. Öffentlichkeit Als solche wohnt der Religionspädagogik eine Dynamik ein, die als eine öffentliche Religionspädagogik ihren Beitrag zur gegenwärtigen Bil-

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dungsdebatte einbringen und darüber dann auch in die Zivilgesellschaft hinein wirken will. Eine in theonomer Autonomie entwickelte Ethik könnte wichtige Impulse für die Bewältigung gesellschaftlicher, politischer wie ökonomischer Schlüsselprobleme liefern. Dieses Potential ist freilich noch lange nicht ausgelotet. In dem Maße, wie die Religionspädagogik diesen Spuren folgt, in dem Maße könnte ethische Bildung im RU den Herausforderungen der Gegenwart gerecht werden. Vielleicht könnte sie so den Antlitzen der Menschen standhalten.

Hans-Bernhard Petermann

Religion als Thema im Philosophie- und EthikUnterricht

Der Titel meines Beitrags klingt auf den ersten Blick nicht besonders aufregend: Ist Religion nicht selbstverständlich Gegenstand auch im Ethikunterricht? Doch im Vergleich zu anderen im vorliegenden Band verhandelten Kooperationsthemen zwischen Religions- (RU) und EthikUnterricht (EthU), etwa Tod und Sterben, Wirtschaft, Moralerziehung, wird mit der Frage nach Religion offenkundiger, was Habermas einmal so diagnostizierte: »Der Grenzbereich zwischen Philosophie und Religion ist freilich vermintes Gelände.«1 Ob und warum das so ist und um von daher die besondere philosophische Perspektive auf Religion auszuleuchten, dazu ist vorab (1) über die Rolle des Ethikunterrichts (EU) im Kanon schulischer Fächer zu orientieren sowie (2) eine Bestandsaufnahme zu liefern über den Stellenwert des Themas Religion in entsprechenden Bildungsplänen, beides in kritischer Absicht, warum Religion im EthU realiter oft einseitig zur Sprache kommt. Die Punkte (3) und (4) erläutern dann in religionsphilosophischer Perspektive, dass und warum auch der konfessionell neutrale EU die Aufgabe hat, Religion nicht nur informativ zur Kenntnis zu bringen, sondern das Religiöse von Religion und in den Religionen im Sinne einer jede Schülerin und jeden Schüler betreffenden Orientierung zur Erfahrung zu bringen. Das hat schließlich (5) Konsequenzen für die Lehrerbildung im Fach Philosophie/Ethik. Das Wort »Philosophie« im Titel des Beitrags pointiert meine zentrale These: Religion ist Thema auch im EthU, aber in philosophischer Perspektive, d.h. mit der Frage, was eigentlich Religion ist, genauer, was das Religiöse ist in den tradierten Religionen, in ihren Sinngehalten, ihren Riten und gelebten Haltungen, in ihren Moralvorstellungen. Zur Auseinandersetzung mit dieser Frage alle Schülerinnen und Schüler zu bringen, auch die im RU beheimateten, ist Aufgabe eines philosophisch ausgerichteten EthU, der besser Philosophie-Unterricht heißen sollte und auch deshalb eine asymmetrische Stellung hat zu den religionsunterrichtlichen Fächern, trotz aller Offenheit für Kooperation von RU und EthU, wofür entschieden auch der vorliegende Beitrag sich ausspricht.

1

Jürgen Habermas, Glauben und Wissen, Frankfurt a.M. 2001, 28.

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Hans-Bernhard Petermann

1. Zur problematischen Stellung des Fachs Ethik im Kanon schulischer Fächer Problematisch ist nicht allein die Beziehung zwischen Philosophie und Religion. Auch das Verhältnis von EthU und RU ist gespannt. Das Wort »Konkurrenz« in Titel unseres Bandes deutet dies an. Hintergrund ist die Genese des EthU. Unter dem Titel »Ethikunterricht« verstehe ich nachfolgend alle seit Ende der 1970er Jahre in den einzelnen deutschen Bundesländern unter unterschiedlichen Namen entstandenen Alternativfächer zum konfessionellen RU.2 Aufgabe und grundsätzliche Zielsetzung des EthU in Deutschland sind darum nicht ohne Bezug zum RU zu verstehen. Unabhängig vom Philosophieunterricht, der auf eine lange Geschichte bis weit vor die Anfänge des öffentlichen Schulunterrichts zurückblicken kann, ist EthU ein sehr junges Fach, eben aufgrund seines Zusammenhangs zum verfassungsrechtlich verbürgten RU. Seine Entstehung lässt sich über vier Stationen verfolgen: − Ende der 1960er Jahre begann mit der antiautoritären Bewegung vor allem in den Städten eine Austrittswelle religionsmündiger Schülerinnen und Schüler aus dem RU aus Glaubens- und Gewissensgründen. Für sie wurde seit den 1970er Jahren EthU eingeführt, um auch ihnen ersatzweise »die allgemein anerkannten Grundsätze der Sittlichkeit« zu vermitteln.3 − Seit den 1980er Jahren finden sich in Folge der Zuwanderung vor allem aus der Türkei in deutschen Schulen zunehmend Schülerinnen und Schüler mit islamischem Hintergrund, die am christlichen RU nicht teilnehmen. Da regulärer islamischer RU für sie oft (noch) nicht stattfindet, besuchen auch sie den EthU. − Mit der innerdeutschen Wende 1989 standen die Schulen vor der Aufgabe, für die weit über 80 % nichtreligiösen Schülerinnen und Schüler aus Ostdeutschland EthU einzurichten. − Parallel hat in den letzten gut 40 Jahren die Zahl nichtreligiöser Schülerinnen und Schüler in Deutschland insgesamt laufend zugenommen. Laut diverser Studien (z.B. Shell-Studie 2015 oder Ber2 Die Länder Bayern und Rheinland-Pfalz machten über ihre Schulgesetze 1972 den Anfang unter dem Titel »Ethik«, der von vielen anderen Bundesländern übernommen wurde; Niedersachsen entschloss sich zu »Werte und Normen« (ursprünglich »Religionskunde«), Nordrhein-Westfalen zu »Praktische Philosophie«; nach der Wende wartete Brandenburg mit dem interessanten Titel »LER« (Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde) auf. Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern installierten das Fach »Philosophieren mit Kindern«, Hamburg und Bremen »Philosophie«. – Über Geschichte, Verteilung und Problematik des EthU in Deutschland gibt ausführlich Auskunft, wenngleich m.E. konzeptionell unvollständig und zuweilen auch tendenziös interpretierend die »Denkschrift zum Ethikunterricht« des Fachverband Ethik aus dem Jahr 2016 (abrufbar unter www.fachverband-ethik.de). 3 So die Landesverfassung von Bayern im Art. 35.2.

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telsmann-Religionsmonitor 2013) dürfte die Zahl bundesweit heute bei über 50 % liegen.4 Nur zum Vergleich: Im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg waren noch über 95 % der Menschen in Deutschland Mitglied einer der christlichen Kirchen; der Besuch des RU war von daher mehr oder weniger selbstverständlich. Trotz seiner Jugend ist EthU in Deutschland heute weithin etabliert; in vielen Regionen besucht ihn sogar die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler.5 Gleichwohl leidet EthU bis heute an dem Makel, nur Ersatzfach gegenüber dem verfassungsrechtlich verankerten RU zu sein, mit wichtigen Konsequenzen und Problemen, vor allem für das Verhältnis von EthU und RU: Im Unterschied zum RU, der lt. GG Art. 7.3 konfessionell und in inhaltlicher Verantwortung durch die Religionsgemeinschaften ausgerichtet ist, kann EthU grundsätzlich nur bekenntnisneutral und in staatlicher Verantwortung unterrichtet werden. Das führt zu der Ambivalenz, EthU einerseits zu konzentrieren auf reine Information, Kunde und Kenntnis zu konkreten religiösen Gemeinschaften und ihrer Geschichte, Lebensformen, Moralvorstellungen, (entsprechend auch bei anderen Themen); andererseits kann sich der EthU nicht dispensieren von der grundsätzlichen, mit schulischer Bildung verbundenen Orientierungsleistung auch zu Fragen konkreter persönlicher Lebensgestaltung, religiöse Orientierung eingeschlossen.6 Damit ist zugleich die grundlegende fachliche und sachliche Orientierung von EthU angesprochen. Im fachdidaktischen Diskurs herrscht Einigkeit, dass Leitdisziplin des EthU die Philosophie ist. Sein Thema und Ziel ist daher primär die Herausforderung im und zum Philoso4 Weitere Informationen dazu z.B. in Fachverband Ethik, Denkschrift (s.o. Anm. 2), kompakt auch mit religionssoziologischer Einordnung: Hans-Bernhard Petermann, Formen von Religion – womit wir uns heute auseinandersetzen müssen, in: Martin Hailer u.a. (Hg.), Bildung – Religion – Säkularität, Heidelberg 2013, 31–54. 5 Das schließt die in Anm. 2 genannten Fächer mit dem Titel »Philosophie« ein. Unabhängig davon gab es in einigen Bundesländern, etwa in Baden-Württemberg, vor allem aber in NRW lange vor Einführung des EthU Philosophie als Fach in der gymnasialen Oberstufe. EthU ist freilich (noch) nicht in allen Bundesländern für alle Klassenstufen eingeführt; vgl. dazu z.B. die Statistiken in Fachverband Ethik, Denkschrift (s.o. Anm. 2). 6 Exemplarisch heißt es etwa in § 100a des SchulG BaWü: »Ethikunterricht dient der Erziehung der Schüler zu verantwortungs- und wertbewußtem Verhalten. Sein Inhalt orientiert sich an den Wertvorstellungen und den allgemeinen ethischen Grundsätzen, wie sie in Verfassung und im Erziehungs- und Bildungsauftrag des § 1 niedergelegt sind. Der Unterricht soll diese Vorstellungen und Grundsätze vermitteln sowie Zugang zu philosophischen und religionskundlichen Fragestellungen eröffnen.« – Zur Problematik des verfassungsrechtlichen Stellung von EthU orientiert grundlegend und knapp: HansBernhard Petermann, Bildung, Religion, Säkularität – Zur Einführung, in: Hailer, Bildung (s.o. Anm. 4), 11ff. – Vgl. auch Philipp Thomas, Für einen sinnorientierenden Philosophieunterricht, Tübingen 2014.

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phieren, konkreter (in Berufung auf Kant) zum Selber-Denken, dialogisch Denken, begrifflich klar, reflektiert und einstimmig Denken. Unter diesen Perspektiven ist auch Religion Thema im EthU, kann also nicht reduziert werden auf Religionskunde oder eine gegenüber RU alternative Sittlichkeitslehre.7 Trotz seines philosophischen Anspruchs wird EthU schulorganisatorisch, aber auch konzeptionell in einen Fächerverbund »Religion – Ethik« eingeordnet. Die EKD-Denkschrift »Identität und Verständigung«, durch die 1994 maßgeblich die Fächerverbunds-Idee verbreitet wurde, konstatiert zwar die »unverwechselbare Eigenständigkeit jedes Fachs«, lotet aber die strukturelle Asymmetrie zwischen Religion und Ethik ungenügend aus, wenn sie feststellt: »[…] orientiert sich der Ethikunterricht an den Möglichkeiten und Grenzen der philosophischen Vernunft, während der Religionsunterricht seine unveräußerlichen Grundlagen in den geschichtlichen Überlieferungen und gegenwärtigen Ausdrucksformen des christlichen Glaubens hat.«8 – Missverständlich wird hier die Differenz beider Fächer verwischt. Tatsächlich gewinnt der RU seine Inhalte an grundlegenden Aussagen, Verhaltensformen und Lebensorientierungen der jeweiligen Religion bzw. Konfession (obwohl in einem anspruchsvollen RU durchaus allgemeine anthropologische Fragen Thema sind). Im philosophisch orientierten EthU hingegen ist konzeptionell das gesamte Panorama philosophischer Fragen Thema, mit Kant sind das die epistemologischen und ontologischen Fragen »Was kann ich wissen?«, die ethische »Was soll ich tun?« und die transzendierende »Was darf ich hoffen?«, zusammengebunden in der anthropologischen »Was (überhaupt) ist der Mensch?«.9 Die Frage nach Religion ist im EthU insofern nur eine unter vielen, zudem ist sie (auch für religionskundliche Elemente) von Interesse nur in der Perspektive, was eigentlich das Religiöse in den vielen Formen, Ebenen, Dimensionen von Religion ist. (Diese grundlegende Perspektive des »ti estin« – was ist etwas eigentlich – gilt im Übrigen ebenso für die Fragen nach Moral oder Menschsein oder Erkenntnis.) Entgegen seinem philosophischen Anspruch wird EthU realiter durch Vorgaben verschiedener Bildungspläne, aber auch nomenklatorischkonzeptionell für viele Themenfelder oft eingeschränkt auf die Themati7

Zu diesem Anspruch von EthU als grundlegender philosophischer Bildung vgl. zuletzt Hans-Bernhard Petermann, Philosophie / Philosophische Bildung, Art. in: WiReLex, hg. von Heike Lindner / Mirjam Zimmermann, Stuttgart 2017. 8 Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der EKD, Gütersloh 1994, 79. Zur Problematik dieses Zitats vgl. Hans-Bernhard Petermann, Religion zur Erfahrung bringen. Bausteine einer Didaktik des Religiösen, Heidelberg 2003, 163f. 9 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (2.A. 1787), hier zit. nach Werke, hg. Wilhelm Weischedel, Bd. IV, Frankfurt a.M. 1968, B 833.

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sierung von Moral, Moralität, Moralvorstellungen.10 Das unterschlägt zum einen die Differenz von Moral und Ethik, zum andern die Tatsache, dass unter »Ethik« nur eines der philosophischen Themenfelder zu fassen ist. Zur Erläuterung: Moralische Bildung und Orientierung ist ein zentrales Bildungsziel aller schulischen Fächer. Die besondere Aufgabe von EthU ist dann nicht die Einbindung in eine real vorfindliche Moral bzw. Moralvorstellung, auch nicht in seiner verfassungsrechtlichen Orientierung an den Werten des Grundgesetzes, sondern das Gewahrwerden von Moralität als grundlegender Dimension von Menschsein sowie die Auseinandersetzung mit bzw. Reflexion auf Formen moralisch verantwortbarer (und auch unverantwortlicher) Lebensführung; auch deshalb nennt er sich in Deutschland Ethik-Unterricht, nicht MoralUnterweisung. Diese Zielsetzung setzt zum andern voraus, dass Ethik als Reflexion von Moral nicht möglich ist ohne Einbindung in den Kontext elementarer anthropologischer Fragen, vor allem nach grundlegenden Bezugsmöglichkeiten auf sich selbst, auf Andere, Leben, Welt, einschließlich der Reflexion von Formen menschlicher Wahrnehmung, Erkenntnis, Sprache, des Denkens, Verstehens, Urteilens, Handelns und auch Transzendierens (etwa in Bereichen der Geschichte, der Kunst, auch der Religion). Dieser elementare und quasi metakritische und reflexive Bezug auf alle möglichen Themen bringt die asymmetrische Rolle von EthU im Verhältnis zum RU aber auch im Gesamt der schulischen Fächer besser zum Ausdruck als die missverständliche Fixierung auf konfessionelle Neutralität. 2. Religion als Thema im Ethik-Unterricht – eine Bestandsaufnahme Aufgrund der angedeuteten in den einzelnen Bundesländern verschiedenen Konzeption und Benennung von EthU wird auch Religion in recht unterschiedlicher Weise im EthU thematisiert. Dazu seien exemplarisch Tendenzen aus unterschiedlichen Bildungsplänen und Unterrichtswerken erläutert, ebenfalls verbunden mit kritischen Nachfragen: − Zu erinnern ist vorab an den Streit um die Benennung des »R« im Fach LER11: Dies stand anfangs relativ offen für »Religion« im Sinne einer grundsätzlichen, die Ebene des Religiösen einschließenden auf Lebensgestaltung hin orientierenden Zielsetzung von LER. Angesichts der Pluralität möglicher religiöser Verortungen diskutierte 10

Kritisch dazu vgl. kürzlich Petermann, Philosophie (s.o. Anm. 7), sowie Anne Kirschner und Hans-Bernhard Petermann, Zur »Philosophie« einer Ethik ohne Philosophie. Kritische Rückfragen an den baden-württembergischen Bildungsplan 2016, in: Pädagogische Korrespondenz, Heft 56, Leverkusen 2017. 11 Vgl. dazu Petermann, Religion (s.o. Anm. 8), 411ff.

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man dann kurzzeitig den Titel »Religionen«. Um aber Einsprüchen der Kirchen gegen die Vereinnahmung originär religiöser Inhalte durch staatlich verantwortete Bildung zu entgegen zu treten12 und auch um zu verdeutlichen, dass es in LER nicht um Vermittlung von je subjektiv gelebter Religiosität geht, entschloss man sich 1996 zu »Religionskunde«. Diese (auch in anderen Plänen virulente) Konzeption zog und zieht sich bis heute die Kritik zu, Religion bloß einseitig religionskundlich-religionssoziologisch zum Thema zu machen.13 In früheren, vor 2005 entstandenen Lehrplänen für EthU und in entsprechenden Unterrichtswerken war die Verhandlung des Themas Religion ohnehin fixiert auf Kenntnisse zur Geschichte der großen Religionen, für die Klassen 9/10 durchaus unter Einbezug der östlichen Religionen, zu ihren Gottesbildern, wichtigen Riten, ihrer Kritik, auch in Konkurrenz zu alternativen Weltanschauungen, vor allem aber ihrer Moralvorstellungen. Entsprechend war auch der real praktizierte EthU in den ersten gut 25 Jahren (und ist oft auch heute noch) zum Thema Religion i.d.R. mehr oder weniger rein religionskundlich-informativ oder aber Moralvorstellungen vergleichend ausgerichtet. Exemplarisch dafür mag die vielerorts geübte Praxis stehen, in Klasse 8 beim Thema Islam die nächste Moschee zu besuchen, wo man über den Aufbau des Gebäudes, die vorbereitenden Waschungen und vielleicht noch die Gebetshaltungen informiert wird, dann die sog. fünf Säulen durchzunehmen und darüber schließlich eine Klassenarbeit schreiben zu lassen. Ähnlich Formalisierendes geschieht zum Judentum, wenn man sich mit der Aufzählung der Feste und einer kurzen Erklärung entsprechender Riten begnügt, in höheren Klassen (ggf. in Kooperation mit dem Fach Geschichte) vielleicht noch den Holocaust verhandelt. Selten wurde hingegen in früheren Unterrichtswerken das spezifisch Religiöse von Religionen und ihrer religiösen Vollzüge und Verhaltensweisen angesprochen. Löbliche Ausnahmen bilden die Doppelseite zum Thema »Transzendenz« im seinerzeit weit verbreiteten Unterrichtswerk »Ethik 9/10«14 sowie das ganz unter dem Stichwort

Dabei ist zu bedenken, dass LER nicht als Alternativfach zu Religion eingeführt wurde, sondern – unter Berufung auf Art. 141 GG – als i.d.R. für alle Schülerinnen und Schüler verbindliches Fach, dem gegenüber RU nur zusätzlich auf freiwilliger Ebene in Schulräumen angeboten wird. 13 Interessant ist in diesem Zusammenhang ein damaliger, quasi gegenläufiger Vorwurf seitens der Philosophie, durch den Einbau des »L« (Lebensgestaltung) gerate LER in die Gefahr eines therapeutisierenden Unterrichts, womit die spezifisch philosophisch-kritische Perspektive verloren gehe. 14 Ethik 9/10, hg. von Barbara Brüning u.a., Berlin 2006ff, 108f.

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»Sinnsuche« komponierte Religions-Kapitel aus »Ich bin gefragt. 9/10«15 oder das Kapitel »Religion – was ist das?« im Band »Abenteuer Mensch sein. 9/10« – hier wird erstmalig in einem EthikUnterrichtswerk die philosophische Frage nach dem Proprium und von daher nach dem Anspruch von Religion explizit zum Thema.16 Nicht zuletzt seitens der Ethik-Lehrerverbände herrscht jedoch verbreitet Skepsis gegenüber der damit gegebenen Gefahr einer religiösen Beeinflussung von Schülerinnen und Schülern. Neuere Bildungspläne scheinen hier und da die religionsphilosophische Perspektive dadurch aufzugreifen zu wollen, dass neben Religionen gleichberechtigt auch nicht religiöse Weltanschauungen thematisiert werden. So lautet etwa das größere Themenfeld in Hessen »Religionen, Weltbilder und Kulturen«.17 Nicht ausdrücklich reflektiert bzw. eingeschliffen wird dabei jedoch tendenziell die Differenz von Religion, Weltanschauung, Kultur.18 Ein besonderer Blick lohnt nach Baden-Württemberg, das 2016 für alle Schulstufen neue Bildungspläne eingeführt hat. Für die Sek I wird Religion unter dem Titel »Glauben und Ethos« (sic!) verhandelt.19 In einer ersten Perspektive (bis Klasse 9) sind »Glaubensgrundsätze und Achtung des Religiösen«, in einer zweiten (für Klasse 10) »Ethisch-moralische Werte und Glaubensgrundsätze« zu behandeln. Noch entlarvender sind die detaillierten Zielbeschreibungen: Für Klasse 9 sollen die Schülerinnen und Schüler »verschiedene Erscheinungs- und Ausdrucksformen des Religiösen sowie deren kulturelle Bedeutung darstellen. Sie können die drei monotheistischen Weltreligionen in Grundzügen vergleichen. Sie können Toleranz gegenüber religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen und ihre Grenzen im Kontext von Freiheit, Gerechtigkeit und Ver-

15 Ich bin gefragt. 9/10, hg. von Ursula Wilke, Berlin 2001, 132–165. (Die Konzeption dieses Kapitels hat der Autor des vorliegenden Beitrags maßgeblich mitgestaltet.) 16 Abenteuer Mensch sein. 3, hg. von Roland Henke / Eva-Maria Sewing, Berlin 2008, 104–123. (Auch bei diesem Kapitel hat der Autor entscheidend mitgewirkt, vor allem im religionsphilosophischen Abschnitt »Der Anspruch von Religion« [110–115]; vgl. dazu auch die kommentierenden Lehrer-Handreichungen.) 17 Hessisches Kultusministerium (Hg.), Bildungsstandards und Inhaltsfelder. Das neue Kerncurriculum für Hessen. Ethik, Wiesbaden 2011, 19. 18 Etwa in der in Anm. 2 genannten Denkschrift, wenn dort (36) »gleiche Information zu Religionen und Weltanschauungen« gefordert wird. Andernorts und in anderen europäischen Ländern gibt es sogar Tendenzen, Nichtreligiöse oder Atheisten als den Religionsgemeinschaften gleichgestellte Weltanschauungsgemeinschaften aufzufassen, so auch in einem jüngst erschienenen Kinderbuch, das »Religionsfreie« fälschlich als eine von verschiedenen »Glaubensgruppen« (sic!) in Deutschland vorstellt (Susan Schädlich, Woran Menschen glauben, Hamburg 2017). 19 Ministerium für Kultus […] Baden-Württemberg (Hg.), Bildungsplan 2016. Ethik, 27f.42f. (abrufbar unter www.bildungsplaene-bw.de).

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antwortung erörtern.« Grundlagen, durch die ein solcher Vergleich, gar eine Erörterung möglich wäre, werden in den Ausführungen nicht genannt, ebenso wenig für die Ziele für Klasse 10, wonach die Schülerinnen und Schüler »den ethischen Gehalt von Religionen (unter anderem Judentum, Christentum und Islam) herausarbeiten, vergleichen und diskutieren [können]. Sie können sich mit religiösen Erscheinungsformen auseinandersetzen und die Bedeutung der Goldenen Regel erläutern.« Von einer Einlassung auf das spezifisch Religiöse in Religionen ist weder hier noch da die Rede; offenkundig wird die Einlassung auf das Thema Religion auf Moralvorstellungen und kulturelle Aspekte reduziert.20 Diskussionen ist auch Niedersachen ausgesetzt mit seinem Fach »Werte und Normen«. Ist auch hier Kritik angebracht, dass Religion mehr oder weniger nur unter Untersuchung geltender Moral- und Wertvorstellungen verhandelt wird? Zwar gelten Religionswissenschaft und weitere »geeignete Gesellschaftswissenschaften« als zentrale Bezugswissenschaften (was nicht zuletzt in der fachdidaktischen Community immer wieder kritisch zur Sprache gebracht wurde), doch wird an erster Stelle explizit die Philosophie genannt.21 Und immerhin heißt es für den letzten von fünf Inhaltbereichen: »Durch den Kompetenzbereich ›Fragen nach Orientierungsmöglichkeiten‹ gelangen die Schülerinnen und Schüler somit zu religionskundlichen Kenntnissen und [hervorgeh. hbp] zu einer eigenständigen wie nachdenklichen Auseinandersetzung mit religiös bzw. weltanschaulich begründeten Entwürfen von Lebenssinn und Lebensgestaltung‹«.22 Innovativer und gegenüber dem Thema Religion angemessener scheinen mir die Philosophie-Bildungspläne in Hamburg und Berlin konzipiert: In Hamburg wird 2017 im Rahmen des »Arbeitsbereichs Metaphysik« zunächst nicht nur thematisch klar zwischen Glück und Sinn unterschieden, sondern die über Glücksempfinden oder Glückszustände wie auch über die epistemologische Ebene hinaus reichende Sinnfrage gleich mit der elementaren religionsphilosophischen Frage verbunden: »Welche Rolle spielt der Glaube bei der Sinnsuche des Menschen? Was ist Religion?«.23 Der Rahmenlehrplan 2017 in Berlin greift Religion im 6. Themenfeld auf unter

In den baden-württembergischen Bildungsplänen 2004 war offener (wenngleich ohne genauere Ausführungen) schlicht die Rede von den »drei Weltreligionen unseres Kulturkreises« und durchaus damit zusammenhängend von »Orientierungswissen und Auseinandersetzungsfähigkeit mit existentiellen Fragen des Menschen«. 21 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Werte und Normen. Kerncurriculum für das Gymnasium, Jahrgänge 5–10, Hannover 2017, 8. 22 Ebd., 18. 23 Bildungsplan Stadtteilschule. Philosophie, hg. von der Freien und Hansestadt Hamburg. Behörde für Schule und Berufsbildung, Hamburg 2017.

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dem Titel »Worauf kann ich vertrauen? – Wissen und Glauben«; dabei sind Fragen zu verhandeln nach »Sinn des Lebens, Hoffnung und Vertrauen, Wissen und Wahrheit, Sterben und Tod, Religiöser Glaube«; sie sprechen über eine rein religionskundliche Ebene hinaus explizit »existenzielle Fragen« in philosophischer Perspektive an.24 3. Religion als Thema der Philosophie Wenn der vorliegende Beitrag Religion als elementares Thema im EthU behauptet und fordert, reicht es nicht, nachfolgend nur das Wie solcher Thematisierung zu skizzieren. Im Sinne einer gegen bloße Standardisierungen gerichteten Stärkung von Fachlichkeit für alle Fächer ist als fachlicher Hintergrund eines philosophischen EthU jedenfalls thetisch zu umreißen, warum und mit welchem Begriff von Religion Religion Thema von Philosophie und damit von EthU ist und sein sollte. Will man unter pluralen und globalisierten Lebensverhältnissen überhaupt noch einen Begriff von Religion für sinnvoll halten, ohne hyperkritsch-dekonstruktivistisch unter Religion »alles, was man dafür hält« zu verstehen,25 ist ein Begriff von Religion schon heuristisch unabdingbar, um unterrichtlich eine Basis zu haben, wovon überhaupt die Rede ist, statt (wie in einem Fach wie Ethik leider nicht selten) unsystematisch Allotria zu betreiben. Ohne Religion vorrangig funktional zu bestimmen, ist systemtheoretisch zu fragen, ob Religion gegenüber anderen, ggf. vergleichbaren Lebensformen bzw. sog. sozialen Systemen wie Weltanschauung, Lebenshaltung, Ethos, Ideologie, Kultur, Wissen nicht einen besonderen Bereich ausmacht. Konkreter wäre zu erläutern, dass Religion sich zwar immer auch als kulturelles Phänomen bzw. im Kontext von Kultur zeigt, aber darum nicht lediglich eine Kulturform ist, dass konkrete Religionen zwar meist auch bestimmte Weltanschauungen und nicht selten ideologisch-dogmatisierende Systeme bis hin zu historisch-politisch wirkmächtigen Institutionen ausgebildet haben, darum aber keineswegs auf Weltanschauungen oder gar Ideologien oder politische Systeme reduziert werden können, dass andererseits auf der subjektiven Ebene für Angehörige einer Religion sich ihre Religion in einem bestimmten Ethos, einer bestimmten Lebenshaltung zeigt, dass aber Religion ihren Kern in einem subjektiv gelebtes Ethos überschießenden Bereich hat, dass Religion als 24

Rahmenlehrplan 1–10 kompakt, hg. von der Senatsverwaltung für Bildung […], Berlin 2017, 28ff (abrufbar unter: http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de). 25 Mit diesem provokativen Zitat von Lucian Hölscher wartet beispielsweise programmatisch auf der Band Birgit Weyel / Wilhelm Gräb (Hg.), Religion in der modernen Lebenswelt, Göttingen 2006.

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institutionalisierte Glaubensform nicht selten epistemologische und ontologische Positionen vertritt, darum aber nicht ausschließlich als eine bestimmte Wissensform verstanden werden kann. Nicht nur Religionswissenschaftler arbeiten damit, Religion und Religionen durch Bezug auf bzw. Auseinandersetzung mit konkret benennbaren Objekten zu bestimmen, vor allem den Bezug auf Gott oder auf ein Jenseits. Insbesondere der als Kriterium oft unterstellte Gottesbezug gerät aber dann in Probleme, wenn wie z.B. beim Buddhismus ein expliziter Gottesbezug möglicherweise gar nicht zum Zentrum einer Religion gehört. Aus der Kritik an Versuchen einer eher inhaltlich und auch definitorisch-abgrenzenden Bestimmung von Religion ergibt sich die Herausforderung, einen kriteriologischen Begriff von Religion zu etablieren. Am schlichtesten hat einen solchen Kant formuliert, wenn er den Bereich der Religion durch die Frage »Was darf ich hoffen?« bestimmt.26 Natürlich liegt der Akzent dieser Frage nicht auf dem Was – Gegenstände der Hoffnung in vorstellbaren Bildern zu formulieren, das tradieren die institutionalisierten Religionen. Kants Frage richtet sich hingegen auf die Struktur von Hoffnung als grundlegender Dimension von Menschsein, für Kant übrigens deutlich unterscheidbar von den Dimensionen des Wissens und der Moral – Inhalt der beiden anderen großen philosophischen Fragen »Was kann ich wissen?« und »Was soll ich tun?«. Der Vergleich dieser Fragen macht weiterhin deutlich, dass der Bezug auf Hoffnung durch das »darf« gekennzeichnet ist. Diese Ausrichtung bezieht sich für Kant auf »Glückseligkeit«, seit Aristoteles (eudaimonia) das letzte Sinnziel allen Lebens. Das führt auch Hegel aus, wenn er von Religion als »Beschäftigung mit diesem letzten Endzweck, [in dem] alle anderen Zwecke zurück [laufen]« redet, »ein unendliches Verhältnis«, »Bewußtsein der absoluten Wahrheit«.27 Hoffnung bezeichnet mithin einen Bezug auf Unendliches, das uns, die wir uns darauf beziehen, letzten Sinn gibt, der als letzter Sinn uns freilich ebenso sehr entzogen, von uns nicht herstellbar, sondern uns transzendent gegeben ist, so dass wir uns und unsere Lebenswelt immer nur transzendierend darauf beziehen können.28 Zur Konkretisierung dieser Struktur von Religion scheint mir sehr gut geeignet eine Formulierung von Gustav Mensching, der Religion »als erlebnishafte Begegnung mit heiliger Wirklichkeit und als antwor26 27

S.o. Anm. 9. Georg W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: Werke, hg. von Eva Moldenhauer / Karl Markus Michel, Frankfurt a.M. 1969, 12. 28 Zur Ausführung dieser menschliche Transzendenz ernst nehmenden eschatologischen Struktur von Religion vgl. Hans-Bernhard Petermann, Hoffen – warum, wie, worauf? Philosophische Bemerkungen zur eschatologischen Frage, in: »Hoffnung über den Tod hinaus?«, hg. von Katja Boehme, Heidelberg 2016, 103–123.

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tendes Handeln des vom Heiligen existentiell bestimmten Menschen« fasst.29 Die Elemente dieses Satzes lassen sich folgendermaßen zu einem Begriff von Religion entfalten: Als Begegnung geschieht Religion stets im Horizont menschlicher Erfahrung. Genauer heißt das, a) von Religion können wir nur reden, wenn wir sie ernst nehmen als stets uns Menschen zugänglichen Erfahrungsraum; b) Religion ist gleichwohl ein Geschehen, das nicht wir konstruieren, sondern das uns als letzter Sinn widerfährt; c) diesem Widerfahrnis begegnen aber wir zugleich als Subjekte, die dies in Erfahrung bringen. Sinnzentrum von Religion ist für Mensching das »Heilige«. Darin liegt ein Doppeltes: Zum einen bezeichnet die Dimension des Heiligen, wie eben angedeutet, etwas uns Menschen wesentlich Entzogenes, vom Alltäglichen Abgeschnittenes, unsere alltägliche Lebenswelt Transzendierendes, ist darum (s.o.) strukturell auch keine (herstellbare oder zu vollziehende) Weltanschauung. Zum andern bietet Religion zugleich Heil, oder, wie die Religionen es nennen, Erlösung, etwas, was uns letztlich bestimmt in dem, was wir sind bzw. noch nicht sind, aber auf das wir letztlich ausgerichtet sind, weil es uns letzte Sinnorientierung verheißt. Das Element »erlebnishaft« erschließt sich aus den bisherigen Ausführungen: Religion ist nur Religion, wenn sie nicht reines Konstrukt ist, sondern real erlebt und vernommen werden kann, ästhetisch, emotional, denkend, handlungsorientierend, insofern umfassend auf unsere ganz konkrete Lebensgestaltung einwirkend. Die Einwirkung von Religion auf unser Leben betrifft vor allem auch unser Handeln: Fachsprachlich formuliert: Religion ist immer auch Orthopraxie, rechtes Handeln, nie nur Orthodoxie, rechter Glaube. Religion muss also Wirkung zeigen als eine unser Leben im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeit zum Guten hin verändernden Praxis. Und schließlich ist Religion nicht irgendein, gar eine beliebig austauschbarer oder zufälliger Bereich menschlichen Lebens, sondern einer, der uns existentiell, also wesentlich betrifft und bestimmt. Als solche ist sie nie schlichte Widerspiegelung oder bloßer Ausdruck irgendwelcher realer Lebensverhältnisse, sondern jener elementare Sinnhorizont, der uns letztlich offenlegt, was wesentlich wir, was wahrhaft und eigentlich jede, jeder, alle sind. Erst mit dieser begrifflichen Bestimmung von Religion lässt sich dann auch die didaktisch (und fachlich-philosophisch) uns interessierende Frage stellen, was denn das eigentümlich Religiöse in Religion

29 Gustav Mensching, Art. Religion I. Erscheinungs- und Ideenwelt, in: RGG V (31961), 961ff. Zur Auslegung genauer Petermann, Religion (s.o. Anm. 8), 115ff.

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und in den Religionen ist. Detailliert ist so zu fragen30 nach dem Religiösen in − verschiedenen Ebenen bzw. Phänomenen, Erscheinungs- und Ausdrucksformen, Dokumenten, Orten von Religion, so u.a. in der Geschichte der Religionen, ihren tradierten und vollzogenen Riten und Festen, ihren in Heiligen Texten dokumentierten Zeugnissen, ihren ästhetisch wahrnehmbaren Kunstwerken, Bildern, Skulpturen, Räumen, Klängen, Gerüchen; − Formen, in denen Religion von einzelnen Menschen gelebt wird: als grundlegende Religiosität, Religionszugehörigkeit, subjektiv gelebter Glaube, Spiritualität, öffentliches Bekenntnis, Frömmigkeit, sichtbar in der Vielfalt von Religionsformen wie Bekenntnis, Lehre, Feier, Dienst (an Mitmenschen und an der Welt), Gemeinschaft; Formen auch, die durch religiöse Gemeinschaften und auch Institutionen zum Ausdruck gebracht werden, in Erscheinungsformen von Religion wie auch in Äußerungen zu konkreter Lebensführung und auch sozialen wie politischen Herausforderungen usw. − Dimensionen bzw. Sinnzielen, auf die Religion und religiöses Leben ausgerichtet sind, konkret vor allem Aussagen bzw. Positionen zu den grundlegenden anthropologischen Fragen: wer bin ich, woher komme ich, wohin gehe, wie soll ich leben. 4. Philosophieunterrichtliche Ziele beim Thema »Religion« Zuletzt wurden bereits die grundlegende Zielsetzung zum Thema »Religion« im EthU artikuliert und dafür auch konkrete Beispiele angedeutet. Das ist nachfolgend kurz didaktisch-konzeptionell zu fundieren wie auch inhaltlich-systematisch auszuformulieren. Meine didaktische Grundthese im Rahmen schulischer Bildung lautet dazu:31 Bei der Thematisierung von Religion in der Schule ist didaktisch und pädagogisch die zentrale Aufgabe die Verständigung über das Religiöse, eine Verständigung, die aber auch zu persönlicher Orientierung führt. In dieser Ausrichtung sind sich im Übrigen trotz bzw. bei unterschiedlicher konfessioneller Ausrichtung RU und EthU einig: Auch der RU unterscheidet sich als Fach im Rahmen allgemeiner schulischer Bildung explizit von einer Einbindung in eine konkrete Religionsgemeinschaft, die den einzelnen Religionsgemeinschaften für ihre außerschulische Katechese überlassen bleibt. RU ist insofern in dieser Hinsicht bildungskonzeptionell konfessionell neutral wie der EthU. Der EthU andererseits kann, wie mehrfach angedeutet, seinerseits nicht aus30 31

Ausführlicher dazu Petermann, Formen (s.o. Anm. 4). Ausführlicher vgl. Petermann, Religion (s.o. Anm. 8), 126ff. im Kontext.

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blenden, woran RU in seiner konfessionellen Ausrichtung notwendig gebunden ist: die Aufgabe elementarer Orientierung im Religiösen. An anderer Stelle habe ich diese Aufgabe als Orientierung hin zu Konfessionabilität bezeichnet,32 d.h. sich konfessionell verorten zu können, wozu zu befähigen nach meiner (im ethikdidaktischen Diskurs durchaus kritisch gesehenen) Ansicht RU und EthU gleichermaßen den Anspruch haben sollten. Für den EthU hat das, im Bedenken der zuvor erläuterten Ebenen, folgende die Inhalte systematisierende Konsequenz: Soll Religion (a) bildungskonzeptionell konsistent, der Sache (b) der Religion gegenüber angemessen, (c) heutiger Erfahrungswelt gewachsen und an den Anforderungen (d) schulischer Bildung orientiert zum allgemeinen Bildungsgut werden, ist sie inhaltlich zumindest auf vier Ebenen zu thematisieren: (1) als religiöse Propädeutik im Sinne einer Sensibilisierung und Erfahrungskunde hinsichtlich dessen, was einen religiösen Menschen auszeichnet; (2) als religiöse Sprachlehre im Sinne einer Hermeneutik bzw. Kunst des Deutens und Dechiffrierens des eigentümlich Religiösen; (3) als Religionskunde im Sinne des Kennenlernens und Beurteilens tradierter religiöser Lebensanschauungen, Vollzüge, Symbole; (4) als religiöse Orientierung im Sinne der Befähigung zu je eigener religiöser Lebensentscheidung. Diese Ebenen sind im Rahmen des vorliegenden Beitrags in der Perspektive eines philosophisch sich verstehenden und konzeptionell (gleichwohl) bekenntnisneutralen Fachs ein wenig genauer zu bestimmen: Ad (1): Propädeutik ist selbstverständlich nicht misszuverstehen als religiöses Katechumenat, aber Sensibilisierung beansprucht eine auch subjektiv herausfordernde Auseinandersetzung mit Religion. EthU kann also bei aller Neutralität gegenüber konkreten religiösen Bekenntnissen nicht neutral bleiben im Sinne von Gleichgültigkeit, ob wir uns das Thema Religion etwas angeht oder nicht. Vielmehr ist Religion ernst zu nehmen (s.o.) als originäre Dimension von Menschsein und ist deswegen ein notwendiger Gegenstand von Bildung, gleich, wie ein Einzelner sich zu konkreten religiösen Bekenntnissen stellt. Sensibilisierung meint dabei eine elementare Öffnung, ein Gewahrwerden für und Reflexion des eigentümlich Religiösen menschlicher Existenz. Und da dies sich nicht nur für jüngere Schülerinnen und Schüler nicht abstrakt-theoretisch vollzieht, sondern nur in der konkreten erlebnishaften Begegnung mit konkret gelebten religiösen Lebensformen, liegt es nahe, diese propädeutische Ebene im Unterricht nicht distanziert analytisch anzugehen, sondern in realen Begegnungen, etwa mit religiösen Orten, 32

Vgl. ebd., 430ff., bes. 450.

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Räumen, Ritualen, in der realen Begegnung mit bzw. durch literarisch verdichtete Zeugnissen von religiösen Menschen, die zur Narration herausfordern, was in der Religionspädagogik seit langem, in der Philosophiedidaktik aber auch seit geraumer Zeit (auch wie in der Geschichtsdidaktik) als biografisches Lernen bekannt ist. Ad (2): Notwendige Basis zum Verstehen des Religiösen in allen religiösen Erscheinungsformen ist die Fähigkeit, religiöse Sprache wie auch weitere Ausdrucksformen von Religiosität verstehen und in ihrem Anspruch auslegen zu können. Das gilt in religiös pluralen und politisch aufgeladenen Zeiten sowie angesichts szientistisch-historisierender Vorurteile insbesondere für den Umgang mit religiösen Texten, die nicht nur im historisch-kulturellen Kontext ihrer Entstehung, sondern vor allem in ihrem Anspruch in Sprache verdichteter religiöser Botschaft in all ihren literarischen Formen ernst genommen werden müssen.33 Ad (3): Nur auf Grundlage bzw. unter didaktischem Bedenken der beiden zuerst genannten Ebenen hat es Sinn, real vorfindliche und/oder historisch tradierte Erscheinungsformen von Religion im EthU (wie auch im RU!) zum Thema zu machen. Anders: Religionskundliche Kenntnisse, auch religiöse Moralvorstellungen34 können verstanden (nicht bloß zur Kenntnis genommen!) werden nur unter Voraussetzung ihrer hermeneutischen Tiefenerschließung. Ad (4): Als Leitspruch für philosophische Didaktik gilt nicht selten der Titel eines Aufsatzes von Kant: Sich im Denken orientieren.35 Eine Orientierung in Sachen Religion, worauf im Übrigen Kants Schrift deutlich ausgerichtet ist, gilt in der EthU-Community gleichwohl bis heute als verdächtig, als würden Schülerinnen und Schüler dadurch möglicherweise unzulässig religiös infiltriert. Demgegenüber vertritt der vorliegende Beitrag ausdrücklich Sinnorientierung, auch in religiöser Konnotation, als elementare Aufgabe von EthU: Sich selbstbestimmt, aber in vernünftiger Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen, religiös zu verorten, sei es in glaubender Zustimmung oder begründeter Ablehnung zu bestimmten Religionen, gehört wie die verantwortliche Auseinandersetzung mit eigenen und von Gemeinschaften vertretenen moralischen Vorstellungen und Handlungen zu elementaren Fähigkeiten, zu denen zu bilden auch der EthU die Pflicht hat. 33

Vgl. dazu grundlegend Hubertus Halbfas, Religiöse Sprachlehre, Düsseldorf 2012, sowie vom Autor komprimiert: Petermann, Religion (s.o. Anm. 8), 166–185. 34 Zum Verstehen religiöser Moralvorstellungen als Reflexion und Theorie von Moral, also Ethik, vgl. Hans-Bernhard Petermann, Religiöse Moral und theologische Ethik, in: Hailer u.a., Religion (s.o. Anm. 4), 201ff. 35 Immanuel Kant, Was heißt: Sich im Denken orientieren? (1787), in: Werke, hg. Wilhem Weischedel, Bd. V, Frankfurt a.M. 1968, 267ff. Programmatisch auf diese Schrift mit deutlich fachdidaktischen Akzentuierungen bezieht sich etwa die Preisschrift für Herbert Schnädelbach »Sich im Denken orientieren«, Frankfurt a.M. 1996.

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5. Konsequenzen für die Lehrerbildung im Fach Philosophie/Ethik Die in den Punkten 3 und 4 erläuterten Ebenen bilden zugleich Standards vernünftiger Lehrerbildung im Fach Ethik für den Themenbereich »Religion«. Thetisch seien dazu abschließend vier Konsequenzen formuliert: 1. Ethik-Lehrende brauchen als fachliche Grundlage vorrangig und grundlegend einen Einblick in und ein Verständnis für den gesamten Bereich philosophischer Fragen und Problemstellungen, also nicht nur eingeschränkt zu Fragen der Moralphilosophie, sondern auch ontologische, erkenntnistheoretische, ästhetische, geschichts- und religionsphilosophische Fragen betreffend, aber im Sinne eines lebensweltlich ausgerichteten Unterrichts stets im Sinne einer Praktischen Philosophie (so auch das entsprechende Fach in NRW). 2. Zum Kanon ethikunterrichtlich relevanter philosophischer Themen gehört elementar auch Religion. EthU ist im Rahmen eines Fächerverbunds Religion-Ethik daher nicht das Fach, in dem Lehrende wie Lernende das Thema Religion aussparen sollen und dürfen. Lehrkräfte brauchen in ihrer Ausbildung vielmehr grundlegende Kenntnisse zum Thema Religion, nicht nur im Sinne religionskundlicher Basiskenntnisse, sondern im religionsphilosophischen Zugriff auf das Thema Religion. 3. Als Verständigung über, Denken von und verantwortlichem Umgang mit etwas, hier der Religion, ist für den EthU die hermeneutische Ebene besonders relevant, konkret erfordert das die Ausbildung der Fähigkeit, religiöse Sprache und religiöse Ausdrucksformen in ihrem existentiell herausfordernden und beanspruchenden Sinn ernst nehmen und deuten zu können. 4. Unerlässlicher Baustein in der Lehrerbildung für den EthU ist zudem die erfahrungsdimensionierte Begegnung mit Religion, konkret die nicht nur kognitiv, sondern auch ästhetisch und emotional ausgerichtete Begegnung mit religiösen Erscheinungsformen, insbesondere Orten, Räumen, Riten, damit dies im Unterricht entsprechend lebendig thematisiert werden kann.

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Perspektivenwechsel Überlegungen zur Leistungsfähigkeit einer Leitmetapher für die religionspädagogische Auseinandersetzung mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität Hinführung Es ist ein prominentes Bildungsanliegen des evangelischen Religionsunterrichts, Schülerinnen und Schüler zur urteilsfähigen Auseinandersetzung mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität zu befähigen.1 Urteils- und Orientierungsfähigkeit gegenüber der Vielfalt an Deutungsoptionen samt deren Konkretionen in Sprache und Handlungen stützt sich darauf, fremde wie vertraute Binnenlogiken nachvollziehen, explizieren und aus reflexiver Distanz in ihrem Geltungsanspruch hinterfragen zu können. Dieser Prospekt von Anforderungen an den Religionsunterricht, näherhin an die Religionslehrkräfte und die Schülerinnen und Schüler, entspringt nicht lediglich der gesellschaftlichen Realität einer »neuen Unübersichtlichkeit«.2 Zum Begründungshorizont gehören ebenso die religiös und weltanschaulich heterogene Zusammensetzung von Lerngruppen im Religionsunterricht und die Vielstimmigkeit der Weltzugänge, die im schulischen Fächerkanon repräsentiert sind.3 Den sachgemäßen, differenzsensiblen Umgang mit letzteren können Kinder und Jugendliche in der Schule auf altersangemessene Weise erlernen.4 Neben dem Bildungswesen bewegen sie sich jedoch in weiteren gesellschaftlichen Teilsystemen, die anderen Handlungslogiken und sprachlichen 1

Unter dem Begriff der »Pluralitätsfähigkeit« steht dieses Ziel im Vordergrund der 2014 erschienenen Denkschrift »Religiöse Orientierung gewinnen: Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule« des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Vgl. auch die Ausführungen zum Bildungsbeitrag des Religionsunterrichts sowie zur prozessbezogenen Urteilskompetenz im niedersächsischen Kerncurriculum für das Fach Evangelische Religion. Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum Evangelische Religion für die gymnasiale Oberstufe, Hannover 2011. 2 So die häufig aufgegriffene, bald 35 Jahre alte Prägung von Jürgen Habermas in: ders., Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt 1985. 3 Vgl. etwa Bernhard Dressler, »Religiös reden« und »über Religion reden« lernen – Religionsdidaktik als Didaktik des Perspektivenwechsels, in: Religionsunterricht neu denken. Innovative Ansätze und Perspektiven der Religionsdidaktik, hg. von Bernhard Grümme / Hartmut Lenhard / Manfred L. Pirner, Stuttgart 2012, 68–78, hier: 68f. 4 Vgl. Bernhard Dressler, Performanz und Kompetenz: Thesen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels, in: Theo-Web 6.2 (2007), 27–31, hier: 27–29. Vgl. auch David Käbisch, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit: Eine fachdidaktische Grundlegung, Tübingen 2014, 220.

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Codierungen folgen und diese selbst nicht notwendigerweise offenlegen, gezielt vermitteln oder gar kritisch evaluieren. Umso wichtiger erscheint es, dass der Schulunterricht verschiedener Fächer und das außerunterrichtliche Schulleben zur Orientierung und Partizipation in diesen Systemen befähigen.5 Aus religionstheoretischer und theologischer Perspektive ist darüber hinaus anzubringen, dass dem Christentum um seiner Selbstklärung willen an der aufmerksamen Unterscheidung gegenüber anderen Religionen gelegen ist.6 Dieses Anliegen umschließt die Reflexion lebensweltlicher Differenzen (etwa Individuum und Sozialität, Gelingen und Misslingen), welche im Glaube zusammenbestehen, ohne ineinander aufgehoben zu werden.7 Kriterien der Leistungsfähigkeit Um diese vielfältigen Differenzkonstellationen für den Religionsunterricht erschließen zu können, benötigt die Religionsdidaktik offenkundig Verfahren und Begriffe zum Umgang mit Komplexität. Die für den didaktischen Zugriff gewählten Mittel müssen zugleich aber sensibel sein für die heterogenen und teils konfligierenden Rationalitäts- und Sprachformen, die am Lernort Schule und im weiteren gesellschaftlichen Umfeld wirksam sind – etwa »empirische, logisch-rationale, hermeneutische 8 und musisch-ästhetische«. Dieser Sensibilität würde es zuwiderlaufen, wenn der religionspädagogische Umgang mit Pluralität auf die Harmonisierung, Einebnung oder schlichte Trennung von Weltzugängen ausgerichtet wäre. Wie Bernhard Grümme betont, soll der Religionsunterricht es den Schülerinnen und Schülern vielmehr ermöglichen, Pluralität »qualitativ zu entwickeln und zu gestalten.«9 Grümme bündelt die genannten Herausforderungen in der folgenden Aufgabenstellung für die Religionspädagogik: »Eine pluralitätsfähige Religionspädagogik setzt sich 5 Zum Beispiel kann ökonomische Rationalität nicht nur im Wirtschafts- und Politikunterricht explizit gemacht, sondern auch im Rahmen von Schülerfirmen, bei Spendenaktionen, im Umgang mit einer Klassenkasse oder in einem Schülerbeirat erprobt und hinterfragt werden. 6 Vgl. Dietrich Korsch, Religion mit Stil: Protestantismus in der Kulturwende, Tübingen 1997, 72–82. Im Anschluss an Friedrich Schleiermacher hält Korsch fest: »Die Wesensermittlung [des Christentums, M.E.] ist Sache der religiösen Binnenperspektive, die sich erst nachfolgend begrifflich reflektiert und zu anderen Religionen ins Verhältnis setzt.« (77). 7 Vgl. Korsch, Religion mit Stil (s.o. Anm. 6), 82–84. »Glaube als aktuale Einheit unvermittelter Differenzverhältnisse bezieht sich auf solche Unterschiede, die im Leben selbst vorliegen.« (88). 8 Bernhard Dressler, Unterscheidungen: Religion und Bildung, Leipzig 2006, 110; vgl. auch 108–114. 9 Bernhard Grümme, Differenz denken? Überlegungen zu einer alteritätstheoretischen Dialogizität, in: Welche Religionspädagogik ist pluralitätsfähig? Kontroversen um einen Leitbegriff, hg. von Rudolf Englert u.a., Freiburg i.Br. 2012, 158–169, hier 160.

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so die Anbahnung einer kritisch reflektierten religiösen und weltanschaulichen Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Urteilsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler inmitten des Pluralismus zum Ziel.«10 Das Portfolio religionsdidaktischer Ansätze, die auf dieses Ziel hinwirken können, ist feingliedrig ausdifferenziert im Hinblick auf kommunikative Formen, thematische Schwerpunkte, bevorzugte Lerngegenstände und auf die analytischen Kategorien, mit denen jeweils religiöse Phänomene erschlossen werden.11 Soll Religionsunterricht die Pluralitätsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler im oben beschriebenen Sinn fördern können, so ist an die ihn orientierende Religionsdidaktik die doppelte Forderung zu stellen, zugleich komplexitätslimitierend und differenzsensibel zu sein. Für dieses zugespitzte Anforderungsprofil kommen unter den gegenwärtigen religionsdidaktischen (Leit-)Metaphern zwei besonders in Frage: der »Perspektivenwechsel«12 und die »Übersetzung«.13 Deren Leistungsfähigkeit soll im Folgenden abgeschätzt werden, und zwar hinsichtlich der folgenden Kriterien: (1) Umgang mit Komplexität, (2) Differenzsensibilität, (3) Eignung für den fächerverbindenden Unterricht. Durch die Gegenüberstellung der Metaphern von Perspektivenwechsel und Übersetzung soll keineswegs ausgeschlossen sein, dass diese zusammenwirken. Vielmehr wäre es ein zusätzliches Zeichen ihrer Leistungsfähigkeit, würden sie sich als konzeptionell offen erweisen für die Ergänzung durch das jeweils andere Motiv. Die religionsdidaktische Rede vom Perspektivenwechsel ist allerdings bisher deutlich etablierter als die noch jüngere Beschäftigung mit der Übersetzungsmetapher.14 Darum fehlen im Blick auf letztere zum Teil noch Anhaltspunkte für die genannten Kriterien. Es wäre unangemessen, schon jetzt die Leistungsfähigkeit von »Übersetzung« als mögliche religionsdidaktische Leitmetapher beurteilen zu wollen. So soll dies hier nur in einem Ausblick angerissen werden – das Hauptaugenmerk gilt im Folgenden der Metapher des Perspektivenwechsels. 10 11

Grümme, Differenz (s.o. Anm. 9), 160. Einen Überblick innovativer, teils auch seit längerem etablierter konzeptioneller Ansätze, dem heute schon weitere hinzugefügt werden könnten, bieten Grümme u.a., Religionsunterricht neu denken (s.o. Anm. 3). 12 Vgl. etwa die bereits genannten Schriften Dressler, Thesen (s.o. Anm. 4) und Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 216–251. 13 Vgl. Manfred L. Pirner, Re-präsentation und Übersetzung als zentrale Aufgaben einer Öffentlichen Theologie und Religionspädagogik, in: EvTh 75.6 (2015), 446–458; ders., Religiöse Bildung zwischen Sprachschulung und Übersetzung im Horizont einer öffentlichen Religionspädagogik, in: Sprache – Kommunikation – Religionsunterricht: Gegenwärtige Herausforderungen religiöser Sprachbildung und Kommunikation über Religion im Religionsunterricht, hg. von Andrea Schulte, Leipzig 2018, 55–69; David Käbisch, Religionspädagogik und Translation Studies: Die Bedeutung des Übersetzens für Theorie und Praxis religiöser Bildung, in: Schulte, Sprache (s.o.), 71–87. 14 Als religionspädagogische »Schlüsselkategorie« wurde das Motiv der Übersetzung 2015 von Manfred L. Pirner vorgeschlagen. Pirner, Re-präsentation (s.o. Anm.13), 450.

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Didaktik des Perspektivenwechsels für den Religionsunterricht Der Ansatz, religiöse Bildung als Vollzug von Perspektivenwechseln zu entfalten, ist bisher am profiliertesten von Bernhard Dressler und David Käbisch verfolgt worden. Als dessen erstes programmatisches Zeugnis wird Dresslers 2006 »verlängerter Essay« mit dem Titel »Unterscheidungen: Religion und Bildung« gelten dürfen.15 Die von dort ausgehende Entwicklung einer Didaktik des Perspektivenwechsels für den Religionsunterricht steht in besonderer Nähe zu den Spielarten einer performativen Religionsdidaktik.16 Diese hat den innerfachlichen Wechsel zwischen der Binnen- und Außenperspektive auf das eigene Denken, Fühlen und Handeln im Umgang mit christlicher Religion »zum zentralen Unterrichtsprinzip erhoben«.17 Gerade vermittels der performativen Religionsdidaktik hat die Metapher des Perspektivenwechsels (regional unterschiedlich starke) Verbreitung in Lehramtsstudium, Vorbereitungsdienst, Fortbildungen und Unterrichtspraxis gefunden. Die intradisziplinäre Unterscheidung von »Außen« und »Innen« im Lernen an religiösen Gegenständen und Vollzügen ist jedoch nur eine von mehreren Klassen des Perspektivenwechsels. Sie allein wäre noch nicht hinreichend für die Förderung von Pluralitätsfähigkeit im Religionsunterricht. Käbisch differenziert zwischen drei Arten des Perspektivenwechsels, nämlich zwischen einem interdisziplinären, einem intradisziplinären und einem extradisziplinären.18 (1) Der interdisziplinäre Perspektivenwechsel kontrastiert die Binnenlogiken verschiedener Schulfächer und gesellschaftlicher Teilsysteme sowie, noch allgemeiner gesprochen, »religiöse und nichtreligiöse Welterschließungsmodi«.19 Diese Art von Perspektivenwechsel ist in den Religionsunterricht einzubeziehen, weil im Hintergrund der für moderne Gesellschaften charakteristischen, weltanschaulichen und religiösen Pluralität eine Ausdifferenzierung von Rationalitätsformen steht.20 In15 Dressler, Unterscheidungen (s.o. Anm. 8), 6. Vgl. dort besonders das Kapitel »Religiöse Bildung: Befähigung zum Perspektivenwechsel«, 144–150. 16 Vgl. etwa die Beiträge im Themenheft »Didaktik – Performanz – Bildung« der Zeitschrift für Pädagogik und Theologie von 2008, einschließlich Bernhard Dressler, Performanz und Kompetenz: Überlegungen zu einer Didaktik des Perspektivenwechsels, in: ZPT 60.1 (2008), 74–88. Der Göttinger Religionspädagoge Florian Dinger hat jüngst eine detaillierte Untersuchung der Spielarten performativer Religionsdidaktik vorgelegt, die voraussichtlich 2019 in der Reihe »Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart« erscheint. 17 Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 220; vgl. 210f. 18 Vgl. Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 228f. Die Unterscheidung zwischen den erstgenannten Varianten findet sich bereits bei Dressler, mit der dritten geht Käbisch über Dressler hinaus. Käbisch erstellt des Weiteren eine noch genauere Unterteilung in zehn bzw. zwölf Gebrauchsvarianten des Begriffs Perspektivenwechsel in religionspädagogischen Zusammenhängen. Vgl. 217–220. 19 Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 220f. 20 »Diese Ausdifferenzierungsdynamik ist gegenüber der Pluralität religiös-weltanschaulicher Optionen der gleichsam grundlegendere Sachverhalt.« Bernhard Dressler,

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dem diese Einsicht unterrichtlich vertieft wird, soll Fundamentalismen jeder Art – religiösen wie szientistischen – entgegengewirkt werden.21 Die interdisziplinäre Variante des Perspektivenwechsels will den Rationalitätsformen keine exklusiven Geltungsbereiche zuteilen, noch will sie »Geltungshierarchien« aufstellen, sondern sie will gerade die Gleichrangigkeit nicht gegeneinander austauschbarer Weltzugänge aufzeigen, die sich unter Umständen denselben Gegenstand erschließen.22 Phasenweise trifft genau dies auf den Ethik- und Religionsunterricht zu. Sie teilen sich Sachgegenstände, wenn lehrplangemäß im Ethikunterricht religionskundliche Themen oder im Religionsunterricht ethische Fragestellungen behandelt werden. Darüber hinaus gibt es jedoch auch Themen, die eine fächerübergreifende Erschließung – insbesondere durch das Zusammentreten von Religionsunterricht und Ethikunterricht – geradezu einfordern. Als Gegenstand einer Zusammenarbeit schlägt Friedrich Schweitzer zum Beispiel die »Verständigung in der Pluralität« ebenso vor wie das gemeinsame gesellschaftliche Engagement von Menschen mit unterschiedlichen religiösen und weltanschaulichen Bindungen vor.23 Der Perspektivenwechsel zwischen Religions- und Ethikunterricht kann also anhand gemeinsamer Themen die jeweiligen Fachlogiken kontrastieren und die grundsätzliche Dialogfähigkeit der beiden Fächer demonstrieren. Als besonders vielversprechend erscheint ein solcher Wechsel dann, wenn ein Unterrichtsthema selbst auf eine Verständigungs- oder Konfliktsituation verweist, wie es in den genannten Beispielen der Fall ist. In der Auseinandersetzung mit solchen Themen können die Schülerinnen und Schüler eigene Einschätzungen zur Rangordnung oder Gleichrangigkeit verschiedener Perspektiven formulieren oder zur Diskussion stellen. Der Perspektivenwechsel zwischen Ethikund Religionsunterricht begegnet den Schülerinnen und Schüler nicht etwa schon (in abgeschwächter Form) im Verlauf eines Schultags, an dem sie erst Ethik und dann Religion an der Reihe wären. Das Ersatzfach-Verhältnis führt dazu, dass ein Wechsel zwischen diesen Fächern in der Regel nur geschehen kann, wenn Lehrkräfte gezielt Kooperationen eingehen und Formate der Zusammenarbeit finden, die ihrem jeweiligen Schulkontext entsprechen. Wenn das formale Fächerverhältnis leicht als Nachordnung des Ethikunterrichts missverstanden werden kann, ist es umso wichtiger, in der Gestaltung von Kooperationsphasen Pluralitätsfähige Religionspädagogik im Perspektivenwechsel von Teilnahme und Beobachtung, in: Welche Religionspädagogik ist pluralitätsfähig? Kontroversen um einen Leitbegriff, hg. von Rudolf Englert u.a., Freiburg i.Br. 2012, 53–65, hier 54. 21 Vgl. Dressler, Performanz und Kompetenz (s.o. Anm. 16), 88. 22 Dressler, Thesen (s.o. Anm. 4), 28. 23 Friedrich Schweitzer, Kooperation zwischen Religion und Ethik/Philosophie, in: Ethik/Philosophie Didaktik: Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, hg. von Barbara Brüning, Berlin 22016, 49–69, hier 55–59.

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ein gleichberechtigtes Verhältnis der Zugänge von Ethik- und Religionsunterricht abzubilden.24 Als orientierende Metapher dafür erscheint der Perspektivenwechsel auch dann noch geeignet, wenn man zugesteht, dass ein vollumfängliches Heraustreten aus der eigenen Erkenntnisperspektive nicht möglich ist. (2) Der intradisziplinäre Perspektivenwechsel unterscheidet zwischen fachsprachlicher Kommunikation und der Kommunikation über eine Fachsprache.25 Für den Religionsunterricht bedeutet dies einen Wechsel zwischen der Teilnahme an und der Beobachtung von religiöser Rede und Praxis.26 Dieser Übergang muss mit großer didaktischer Sorgsamkeit inszeniert und die Perspektiven müssen wiederum im Unterrichtsvollzug für die Schülerinnen und Schüler transparent auseinandergehalten werden. Auch die Teilnahme-Perspektive ist nur dies, eine bewusst eingenommene Perspektive mit Distanzierungsmöglichkeit: »Im Unterricht wird […] nicht selbst gehandelt, sondern sich in eine Person in einer Handlungssituation ›eingedacht‹ und eingefühlt.«27 Hiermit wird zum einen darauf abgezielt, Kindern und Jugendlichen die kritische Partizipation an oder begründete Distanzierung von christlichen Deutungsvollzügen zu ermöglichen.28 Zum anderen sollen christlich-religiöse Sprache und Vollzüge als ein kommunikativer Modus eigener Art bewusst gemacht werden, um dem fehlgeleiteten Vorwurf zu wehren, Religion verlange »das Fürwahrhalten vorwissenschaftlicher Sachverhalte«.29 (3) Der extradisziplinäre Perspektivenwechsel differenziert zwischen Wissenschaft und Lebenswelt, zwischen Erkennen und Handeln, zwischen »Denken und Leben«.30 Religionsunterricht, der die Urteils- und Handlungsfähigkeit junger Menschen unter pluralen Bedingungen stärken will, muss diese Unterscheidung einziehen, denn »in lebensweltlichen Zusammenhängen führt […] das Wissen um Differenzen und das Denken in Komplementarität zu Konflikten, sobald es um konkrete Lebensvollzüge geht.«31 Wie Käbisch unter anderem am Beispiel des religiösen Zusammenlebens in der Familie ausführt, treten die im interdisziplinären Perspektivenwechsel als zusammenbestehend begriffenen Modi der Welterschließung nochmals gegeneinander auf, wenn Entscheidungen über 24 25 26 27

Vgl. hierzu den Beitrag von Friedrich Schweitzer in diesem Band. Vgl. Dressler, Performanz und Kompetenz(s.o. Anm. 16), 77. Vgl. Dressler, Pluralitätsfähige Religionspädagogik (s.o. Anm. 20), 62. Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 243. Dressler spricht in diesem Sinne von der inszenierten Teilnahme als »Beobachtung erster Ordnung« und von der immer anzuschließenden Reflexion als »Beobachtung zweiter Ordnung«. Dressler, »Religiös reden« (s.o. Anm. 3), 68. 28 Vgl. Dressler, Pluralitätsfähige Religionspädagogik (s.o. Anm. 20), 63. 29 Dressler, Pluralitätsfähige Religionspädagogik (s.o. Anm. 20), 62. 30 Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 229, vgl. auch 228f. 31 Vgl. Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 228.

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religiöse Praxis zu treffen sind.32 Das religionspädagogische Ziel der Pluralitätsfähigkeit erstreckt sich bis dorthin, wo Kinder und Jugendliche ohne ein distanzwahrendes didaktisches Arrangement vor Entscheidungen für oder gegen religiöse Vollzüge und Deutungen stehen. Sollen sie auch diesen Lebensbereich entwickeln und gestalten können, benötigen sie neben der Fähigkeit, sich über weltanschauliche Differenz zu verständigen auch diejenige, Konflikte auszutragen und zu entscheiden.33 Im Folgenden soll nun abgeschätzt werden, wie leistungsfähig die in der Religionsdidaktik ausgearbeitete Zusammenstellung eines dreifachen Perspektivenwechsels für die urteils- und orientierungsfördernde Behandlung religiöser und nicht-religiöser Weltzugänge im Religionsunterricht ist. Zur Leistungsfähigkeit der Metapher »Perspektivenwechsel« 1. Umgang mit Komplexität Religionsunterricht, der die Pluralitätsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler fördern will, macht sich einen komplexen Sachverhalt zum Thema. Um exemplarische Phänomene religiöser und weltanschaulicher Pluralität altersgemäß zu erschließen und das »Handgemenge des Lebensalltags«34 im Rahmen des Unterrichts verstehen zu helfen, sind in besonderer Weise begriffliche Eingrenzungen notwendig. Komplexität muss limitiert, Übersichtlichkeit muss gestiftet werden – diese Leistung ist von einer religionsdidaktischen Leitmetapher zu verlangen. Die drei dargestellten Ausformungen des Perspektivenwechsels erscheinen hierfür sehr geeignet, allerdings mit einer Einschränkung hinsichtlich der Erschließungsperspektiven nicht-christlicher Religionen. Der interdisziplinäre Perspektivenwechsel stützt sich ausdrücklich auf wissenschafts- und systemtheoretische Unterteilungen, auf bildungstheoretische Differenzierungen von »Modi der Weltbegegnung« und auf die typologische Unterscheidung von Lebensformen.35 Deren analytische 32

»So mögen Christen und Konfessionslose durchaus […] politisch dem Frieden verpflichtet sein, alltagsethische Vorstellungen teilen, den Sinn von Passageriten bejahen und die Komplementarität religiösen und nichtreligiösen Denkens verstehen. Im Leben einer Familie kann es demgegenüber kein komplementäres, vermischtes oder unvermischtes Beieinander einer religiösen und nichtreligiösen Lebensorientierung geben, sobald es um konkrete Vollzüge geht: Ob man die Kinder taufen lässt oder nicht, mit ihnen ein Gebet spricht oder nicht, mit ihnen in den Weihnachtsgottesdienst geht oder nicht, sind Entscheidungsfragen, die sich nicht komplementärtheoretisch als ein ›sowohl-als-auch‹ beantworten lassen.« Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 229. Vgl. dort, 132–138, auch die zahlreichen Beispiele aus dem schulischen Umfeld. 33 Vgl. Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 228f. 34 Dressler, Performanz und Kompetenz (s.o. Anm. 16), 75. 35 Vgl. Dressler, Unterscheidungen (s.o. Anm. 8), 108–114. Zur Rezeption von Jürgen Baumerts Formulierung der »Modi der Weltbegegnung vgl. Dressler, »Religiös reden«

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Schärfe stiftet im didaktischen Zusammenhang Übersichtlichkeit, die für die Anbahnung und angemessene Weitung von Lernprozessen genutzt werden kann – etwa indem Handlungssituationen zunächst so konstruiert oder lebensweltliche Beispiele so zugespitzt werden, dass einzelne Perspektiven besonders deutlich hervortreten. Es fällt jedoch auf, dass die Unterteilungen, auf die sich der interdisziplinäre Perspektivenwechsel stützt, nicht ausdrücklich zwischen den theologischen Perspektiven verschiedener Religionen unterscheiden. Um interreligiöse Lernarrangements als Vollzug eines interdisziplinären Perspektivenwechsels zu begreifen und zu verantworten (und um kooperative Projektphasen in diesem Sinne auszurichten) benötigte die Didaktik des Perspektivenwechsels klarere Bezugspunkte für diese theologischen, »disziplinären« Perspektiven, als sie bisher gegeben sind. Für eine entsprechende Zusammenarbeit mit dem Ethikunterricht muss der Religionsunterricht seine theologische Fachperspektive mit zwei Bezugswissenschaften der Ethikdidaktik ins Gespräch bringen, nämlich mit Philosophie und Religionswissenschaft. Die Unterscheidung von »Außen« und »Innen«, die der intradisziplinäre Perspektivenwechsel vornimmt, ist stark vereinfachend, dadurch bei entsprechender Umsicht jedoch auch gut zu inszenieren – etwa wenn Rollen spielerisch übernommen und wieder abgestreift werden. In dieser Übersichtlichkeit liegt zugleich die Gefahr des Missverständnisses, zum verstehenden Nachvollziehen der Innenperspektive sei religiöses Einverständnis erforderlich.36 Wird den Schülerinnen und Schülern ein solcher Eindruck vermittelt, und sei es nur aus Leichtfertigkeit, so ist eine elementare schulpädagogische Grenze verletzt und ein massives Hindernis für ihr Lernen im konfessionell, kooperativ oder interreligiös ausgerichteten Religionsunterricht geschaffen. Wie Dressler selbst ausführt, muss darum der hilfreiche Kontrast zwischen einer Außen- und Innenperspektive religiöser Rede im Unterricht nochmals in ein »Spektrum unterschiedlicher Distanzspielräume zwischen teilnehmender Beobachtung und beobachtender Teilnahme«37 differenziert werden. Der extradisziplinäre Perspektivenwechsel verknappt mit seiner Unterscheidung »zwischen Denken und Leben«38 die urteilsfördernde, ethische Bildungsaufgabe des Religionsunterrichts gegenüber weltanschaulicher Pluralität auf sehr sachgemäße Weise. Diese Blickverlagerung erlaubt es, Konflikte zwischen religiösen und nicht-religiösen Handlungsorientierungen anzusprechen, an denen die Erträge des Denkens für das Leben sichtbar werden. Die Umstände der Konflikte, die unter dem Schutz didaktischer Inszenierung und Distanzierung zur Sprache kommen, können (s.o. Anm. 3), 70–73. Eduard Sprangers Typologie der Lebensformen wird aufgegriffen von Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 123–132. 36 Vgl. Dressler, Pluralitätsfähige Religionspädagogik (s.o. Anm. 20), 64f. 37 Vgl. Dressler, Pluralitätsfähige Religionspädagogik (s.o. Anm. 20), 65. 38 Käbisch, Religionsunterricht (s.o. Anm. 4), 229.

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entsprechend der Lerngruppe in ihrer Komplexität eingeschränkt oder ausgeweitet werden, ohne dass ihre Exemplarizität dadurch bedroht wäre. 2. Differenzsensibilität Die Didaktik des Perspektivenwechsels versucht die Komplexität ihrer Gegenstände dadurch handhabbar zu machen, dass sie die Differenzen zwischen Perspektiven der Weltwahrnehmung und Weltgestaltung hervorhebt. Um diese aber nicht ausschließlich auf die Charakteristika zu reduzieren, die sich zur Kontrastierung besonders gut eignen und um lernhinderlichen Verkürzungen der religiösen Perspektive vorzubeugen, sind alle drei Formen des Perspektivenwechsels offen für eine Weitung des Problemhorizonts. Die Wahrnehmung und Explikation von Unterschieden in einem sach- und schülergerechten Differenzierungsgrad ist der Didaktik des Perspektivenwechsels wesentlich. Es lässt sich jedoch fragen, inwieweit dabei die kontrastierten religiösen und nicht-religiösen Weltzugänge auch losgelöst von ihrer unterrichtlichen Funktion gewahrt und gewürdigt werden. Entsprechende kritische Anfragen (nicht nur) an eine Didaktik des Perspektivenwechsels können etwa ausgehend von alteritätstheoretischen Überlegungen formuliert werden.39 Eine priorisierende »Vorordnung des Anderen im Dialog«40, wie sie Grümme in diesem Zusammenhang empfiehlt, kann die Didaktik des Perspektivenwechsels nicht vornehmen, wenn sie ihre Aufgabe darin sieht, die unterschiedlichen Geltungsansprüche prinzipiell gleichwertiger Weltzugänge zu verdeutlichen.41 Mit Recht aber kann eine alteritätstheoretische Kritik dazu ermahnen, den aufgerufenen (anders-)religiösen und nichtreligiösen Perspektiven diejenige Eigentümlichkeit und Fremdheit zuzugestehen, die ihre Rolle als kritische Gesprächspartner stärken. Den Schutz vor Funktionalisierung, den die Religionsdidaktik allerorten für ihren eigenen Gegenstand einfordert, muss sie im Vollzug interdisziplinärer Perspektivenwechsel auch für ihr jeweiliges Gegenüber sicherstellen – und zwar nicht nur in Phasen des fächerverbindenden Unterrichts. Differenzsensibilität ist auch hinsichtlich der Lernvoraussetzungen der Schülerinnen und Schüler erforderlich. Aus den einschlägigen Heterogenitätsfaktoren sei an dieser Stelle die Erfahrenheit im Umgang mit (christlich-)religiöser Sprache herausgegriffen. Die Förderung einer sowohl diskursiven als auch pragmatischen42 religiösen Sprachfähigkeit ist 39

Vgl. Jan Woppowa, Über den Bildungswert interreligiöser Lernprozesse: Vom Perspektivenwechsel zur Positionalität, in: Religiöse Bildung – Optionen, Diskurse, Ziele, hg. von Stefan Altmeyer / Gottfried Bitter / Joachim Theis, Stuttgart 2013, 289–299, hier: 295f. Vgl. auch Grümme, Differenz (s.o. Anm. 9), bes. 168f. 40 Grümme, Differenz (s.o. Anm. 9), 168. 41 So mit Nachdruck Dressler, Thesen (s.o. Anm. 4), 28. 42 Gerade angesichts religiöser und weltanschaulicher Pluralität ist für die Didaktik des Perspektivenwechsels der Hinweis von Stefan Altmeyer bedeutend, dass der sprachlichen Fremdheit von Religion nicht allein dadurch Genüge getan ist, dass Schülerinnen und

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von einer pluralitätsfähigen Religionspädagogik zu verlangen, denn »der Religionsunterricht entwickelt sich immer mehr zu einer mehrsprachigen Lerngemeinschaft.«43 Dieser Umstand steht der Didaktik des Perspektivenwechsels vorrangig in der Unterscheidung von Innen- und Außenperspektive religiöser Rede vor Augen. Wie gesehen, werden den Schülerinnen und Schülern dabei unterschiedliche Distanzierungsgrade zwischen Teilnahme und Beobachtung angeboten, welche sie u.a. gemäß ihrer Vertrautheit mit christlichen Sprachformen einnehmen können. Hierin erweist sich der Perspektivenwechsel als sensibel für die Differenz zwischen tradierten (wenngleich beständig aktualisierten) Ausdrucksformen christlichen Glaubens und einer religiösen Sprache, welche die Schülerinnen und Schüler als authentisch und plausibel erfahren.44 Die Metapher des Perspektivenwechsels selbst beinhaltet jedoch noch kein bestimmtes Programm religiösen Sprachunterrichts. Vielmehr hebt sie die Notwendigkeit hervor, kontext- und schülergerechte Modelle für die Sprachbildung in der »Fremdsprache Religion« (Altmeyer) zu entwickeln oder bestehende Modelle den sich wandelnden Anforderungen anzupassen. 3. Eignung für den fächerverbindenden Unterricht Im Blick auf die interdisziplinäre Dimension der Didaktik des Perspektivenwechsels betont Dressler, dass die Bearbeitung weltanschaulicher Pluralität eine Aufgabe aller schulischen Fächer sei und dass deren jeweilige Fachdidaktiken als Didaktiken des Perspektivenwechsels zu gestalten seien.45 Ein Zusammenwirken verschiedener Fachdidaktiken auf unterrichtlicher und konzeptioneller Ebene wäre im Blick auf die Förderung von Pluralitätsfähigkeit ungleich aussichtsreicher als eine Religionsdidaktik, die sich mehr oder minder allein um die gezielte Förderung von Pluralitätsfähigkeit bemühte. Fächerkooperationen, etwa in Lernprojekten oder gemeinsamen thematischen Unterrichtseinheiten, sind schon aus diesem Grund sehr zu befürworten.46 Die Metapher des Perspektivenwechsels wird sich nicht für alle unterschiedlichen KooperationsforSchüler »über die sprachliche Logik von Religion zu sprechen« lernen. Stefan Altmeyer, Zum Umgang mit sprachlicher Fremdheit in religiösen Bildungsprozessen, in: Schulte, Sprache (s.o. Anm. 13), 191–205, hier 196. 43 Andrea Schulte, Lehrerinnen und Lehrer reflektieren ihre Sprache im Religionsunterricht: Eine Annäherung, in: Schulte, Sprache (s.o. Anm. 13), 157–159, hier 157. 44 Vgl. zur »Krise der Gottesrede« auf beiden Seiten dieser Unterscheidung Stefan Altmeyer, Fremdsprache Religion? Sprachempirische Studien im Kontext religiöser Bildung, Stuttgart 2011, 15–24. 45 Dressler, »Religiös reden« (s.o. Anm. 3), 68. 46 Zahlreiche Leitlinien und Beispiele dafür, wie Religionsunterricht in den fächerverbindenden Unterricht eintreten kann, diskutiert Manfred L. Pirner / Andrea Schulte (Hg.), Religionsdidaktik im Dialog – Religionsunterricht in Kooperation, Jena 2010. Kooperationsmöglichkeiten zwischen Religions- und Ethikunterricht fokussiert Schweitzer, Kooperation, 53–55. Vgl. auch den Beitrag von Rainer Merkel in diesem Band.

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men und für verschiedene Fächerkombinationen als in gleichem Maße tragfähig erweisen.47 Gleichwohl finden sich Anhaltspunkte, die auf eine allgemeine Tauglichkeit des Perspektivenwechsels für den fächerverbindenden Unterricht schließen lassen. Zum einen nehmen Lehrerinnen und Lehrer, die mehr als ein Fach unterrichten, im Schulalltag notwendigerweise verschiedene disziplinäre Perspektiven ein und wenden unterschiedliche Fachsprachen an. Der Perspektivenwechsel, den ein fächerverbindender Unterricht anstrebt, ist den beteiligten Lehrkräften also als Teil der eigenen Professionalität vertraut. Als ein Hemmnis für fächerübergreifenden Unterricht aller Art hat Veit-Jakobus Dieterich es bezeichnet, wenn dadurch »Rolle und Selbstverständnis der Unterrichtenden als ›Fachspezialisten‹« in Frage gestellt würden.48 Eine als interdisziplinärer Perspektivenwechsel gefasste Kooperation ließe ein solches Selbstverständnis der Lehrkräfte, wenn es tatsächlich in dieser Form besteht, unangetastet. Deren fachliche Expertise würde vielmehr als ein Faktor für den Mehrwert fächerverbindenden Unterrichts gewürdigt. Die Ausgangslage für Kooperationen zwischen Ethik- und Religionsunterricht ist in dieser Hinsicht besonders. Da die Fächerkombination Religion/Ethik zwar in Einzelfällen genehmigt wird, die Fachdidaktiken und Kirchen davon jedoch dringend abraten, gibt es kaum Lehrerinnen und Lehrer, die in Studium und Ausbildung eine Expertise im Perspektivenwechsel zwischen Ethik und Religion erworben hätten. Gerade dieser Wechsel, dem im Blick auf die Förderung von Pluralitätsfähigkeit große Bedeutung zukommt, kann sich also nicht ohne Weiteres auf das professionelle Selbstverständnis und die disziplinäre Mehrsprachigkeit der Lehrkräfte stützen. Dies unterstreicht, wie wichtig die Erprobung von Kooperationsformen in einer Haltung der Offenheit für die jeweils andere fachliche und fachdidaktische Expertise für einen gelingenden interdisziplinären Perspektivenwechsel zwischen Ethik- und Religionsunterricht ist. Zum anderen erscheint die Didaktik des Perspektivwechsels als geeignet, einen Mittelweg zwischen zwei Extremen zu beschreiben, die Dieterich als Gefahren fächerübergreifender Arrangements anführt.49 Einem »Vollständigkeitswahn«, der beansprucht, durch eine mehrperspektivische Betrachtung das Ganze der Wirklichkeit einzuholen, erliegt die Didaktik des Perspektivenwechsels aufgrund ihres oben beschriebenen Umgangs mit Komplexität nicht.50 Einer naiven Vereinfachung ihrer Gegenstände, dem anderen Extrem, entgeht sie aufgrund der ihr eigenen Differenzsensibilität.51 47

Vgl. weiterführend die Beiträge in Konstantin Lindner u.a. (Hg.), Zukunftsfähiger Religionsunterricht: Konfessionell – kooperativ – kontextuell, Freiburg i.Br. 2017. 48 Veit-Jakobus Dieterich, Fächerübergreifender Unterricht, in: Pirner/Schulte, Religionsdidaktik im Dialog (s.o. Anm. 46), 29–45, hier 41. 49 Vgl. Dieterich, Fächerübergreifender Unterricht (s.o. Anm. 48), 41f. 50 Dieterich, Fächerübergreifender Unterricht (s.o. Anm. 48), 42. 51 Ebd.

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Moritz Emmelmann

Ausblick: Perspektivenwechsel und Übersetzung Nach diesen Überlegungen ist festzuhalten: Der Perspektivenwechsel ist, mit wenigen Einschränkungen, eine leistungsfähige Metapher für die religionspädagogische Auseinandersetzung mit religiöser und weltanschaulicher Pluralität. Deutliche Stärken hat dieses Motiv bei der Eingrenzung komplexer Sachverhalte und der differenzsensiblen Weitung von Problemhorizonten. Im Verhältnis dazu erscheint der Bereich religiöser Sprachbildung eher als eine Leerstelle. Außerdem ist anzufragen, ob die Didaktik des Perspektivenwechsels der kritischen Potenz anderer Perspektiven angemessenen Raum gibt. Hinsichtlich der letztgenannten Punkte könnte sich die Metapher der »Übersetzung« als ertragreich erweisen, die an Forschungen der Soziologie, der Kulturwissenschaften und der Öffentlichen Theologie anschlussfähig ist und zuletzt in der Religionspädagogik vermehrte Aufmerksamkeit erfahren hat.52 Sie verlangt ausdrücklich nach einer elementaren Einführung in christlich-religiöse Sprache53 und legt, damit verschränkt, verschiedene Modi zum reflektierten Gebrauch dieser Sprache nahe, z.B. die Übersetzung christlicher Rede »in eine Sprache und Argumentation, die auch für Nicht-Gläubige – oder Andersgläubige – nachvollziehbar ist«.54 Darüber hinaus betont Pirner, dass das Übersetzungsmotiv »Verständigungsprozesse bei gleichzeitiger Anerkennung von Differenz« begünstige, unter anderem weil das Gelingen oder Misslingen einer Übersetzung sich am Urteil ihrer Adressaten entscheide.55 Es scheint absehbar, dass sich die didaktischen Ansätze des Perspektivenwechsels und der Übersetzung in manchem uneins sein werden – etwa darin, wie prononciert sich die Religionsdidaktik in den Dienst gesellschaftlicher Verständigung stellen sollte, oder wie bei Konflikten zwischen Perspektiven und Übersetzungen zu verfahren ist. In ihrer Ausrichtung auf verschiedene gesellschaftliche Segmente und Handlungsfelder, in dem Bemühen um einen selbstreflexiven religiösen Sprachgebrauch und in ihrem Interesse an den lebensweltlichen Konsequenzen der Reflexion auf Pluralität jedoch berühren sich m.E. die »translatorische Dimension der Religionsdidaktik« und die drei Varianten des Perspektivenwechsels.56 Ein weiterer Austausch – und auch ein Streit – würden sich lohnen.

52

Vgl. Pirner, Re-präsentation (s.o. Anm.13), 450–455; zu Übersetzungen, die kulturelle Kontexte überschreiten, vgl. Käbisch, Religionspädagogik und Translation Studies (s.o. Anm. 13), 71f. 53 Vgl. Pirner, Re-präsentation (s.o. Anm.13), 457. 54 Pirner, Re-präsentation (s.o. Anm.13), 454. 55 Pirner, Sprachschulung (s.o. Anm. 13), 61. Vgl. zur pragmatischen Bewährungsprobe für Übersetzungen Pirner, Re-präsentation (s.o. Anm.13), 452. 56 Pirner, Sprachschulung (s.o. Anm. 13), 66; vgl. auch 65f.

Exemplarische Themen im Fokus

Birte Platow

Sterben und Tod als Themen von Ethik und Religionsunterricht

1. Einige Vorbemerkungen Für die Vorbereitung des vorliegenden Beitrags habe ich mich mit einer Palliativmedizinerin ausgetauscht. Als erfahrene Begleitperson von Sterbenden kann sie – so meine Erwartung – Informationen auf empirischer Basis beitragen und klären, wie der Tod wahrgenommen wird von Menschen, die dem Lebensende im christlichen Glauben begegnen und solchen, die christliche oder andere religiöse Überzeugungen nicht teilen. Die Kenntnis etwaiger Unterschiede sollte vor dem thematischen Hintergrund der Ringvorlesung »Religions- und Ethikunterricht zwischen Konkurrenz und Kooperation« – so meine Hoffnung – ein erster Hinweis darauf sein, ob Bildungsprozesse zum Thema Tod besser auf dem Boden von Religionsunterricht stattfinden sollten oder auf dem des Ethikunterrichts. Oder anders, ob man vom Tod besser standortgebunden und – zumindest potenziell – in der Glaubensperspektive spricht, die auf ein ewiges Leben hoffen lässt, oder ob man sich dem besser auf dem Boden medizinisch-biologischer Fakten wertneutral informierend nähert. Als Religionspädagogin bin ich nolens volens nicht ganz unvoreingenommen und nahm an, wer mit dem Tod in der Hoffnung auf ein ewiges Leben konfrontiert ist, erträgt das Ende gelassener, ist ihm gegenüber positiver eingestellt. Mit einer entsprechenden Haltung trat ich an die Palliativmedizinerin heran, die nach Selbstangaben nicht gläubig war, nach meiner Einschätzung aber ein hohes Maß an Sensibilität im Umgang mit Sterbenden und deren religiösen und nicht religiösen Fragen am Ende des Lebens aufweist. Meine konkrete Frage an sie lautete nun: »Wer geht leichter – Menschen, die an Gott und Auferstehung bzw. ein ewiges Leben glauben oder die, die von einem absoluten Ende ausgehen?« Ich war überrascht von ihrer Antwort, die da lautete: »So wie ich das sehe, gehen beide gleich leicht. Schwer tun sich eigentlich nur die, die nicht festgelegt sind. Die können nicht loslassen.«1 Diese Aussage stellte zunächst das Konzept des vorliegenden Beitrags auf den Kopf. Denn wenn man auf die thematisch-rahmende Ringvorlesung blickt, »Reli1

Erinnerungsprotokoll zu einem Gespräch, das im Oktober 2016 stattfand.

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gions- und Ethikunterricht zwischen Kooperation und Konkurrenz«, legt dies doch hypothetisch fest, dass eben dieses Label eine kategoriale Verhältnisbestimmung der beiden Fächer beschreibt, die andeutet, dass jedes Fach spezifische Alleinstellungsmerkmale aufweist, die punktuell oder auch global den Anspruch eines besseren bzw. schlechteren Zugangs begründen. Nimmt man jedoch die Aussage der Befragten ernst, muss man zugeben: Unabhängig davon, ob man das Verhältnis von Konkurrenz bzw. Kooperation als gegebenen Status oder als dynamisches Gleichgewicht interpretiert, für das Thema Tod gilt: Weder noch. Bitte keine Kooperation, die feststehende Überzeugungen gefährdet, denn dann riskiert man Zweifel und die Akzeptanz des Endes wird schwieriger. Und Konkurrenz besteht im Grunde nicht, wenn beide Wege – sinnbildlich gesprochen – gleichermaßen nach Rom führen. Nun ist jedoch einzuwerfen, dass ein informelles Gespräch wie das eben dargestellte keinen Anspruch auf empirische Evidenz erheben darf. Vielmehr handelt es sich um einleitende subjektive Eindrücke, die vor dem Hintergrund fundierter Studien weiter zu interpretieren sind. 2. Empirische Grundlegung Tendenziell scheint der Glaube an eine jenseitige Welt in unserer Gesellschaft verloren zu gehen. Weniger als die Hälfte aller Deutschen (45 %) glaubt an ein Leben (jedweder Form) nach dem Tod. Eine interessante Randnotiz ist hierbei, dass immerhin 15 % der Atheist(inn)en an ein Leben nach dem Tod glauben. Wenig überraschend ist hingegen, dass die Konfessionsgebundenen etwas über dem Schnitt liegen – Protestant(inn)en mit 48 %, Katholik(inn)en mit 65 %. Von den 45 % innerhalb der Gesamtbevölkerung, die an ein Leben nach dem Tod glauben, vertreten 23 % im weitesten Sinne die platonischen Lehre, der zufolge sich nach dem Tod die ewige Seele vom sterblichen Leib trennt. Weitere 12 % glauben an eine irgendwie anders geartete ganzheitliche Auferstehung, 12 % vertreten Reinkarnationsvorstellungen der Marke eurozentrischer Fehlinterpretation von buddhistischen bzw. hinduistischen Vorstellungen, bei denen die Individualität gerade eine Stärkung erfährt, statt das Ziel zu verfolgen, sich im Fluss aller Dinge (Samsara) aufzulösen und aus dem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt auszusteigen (wie dies in den östlichen Religionen als ultimatives Ziel vorgesehen ist). 10 % gehen schließlich von einem symbolischen Weiterleben im Andenken der Hinterbliebenen aus.2 2 Angaben nach Joachim Wittkowski (Hg.), Sterben, Tod und Trauer. Grundlagen – Methoden – Anwendungsfelder, Stuttgart 2003, 33.

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Eine bislang kleine und doch wachsende Gruppe verfolgt allerdings eine ganz andere Strategie, indem sie versucht, das ewige Leben ins Diesseits zu verlegen. So lassen die sogenannten Kyroniker nach ihrem Tod ihren Leichnam einfrieren in der Erwartung, dass es in nicht allzu ferner Zukunft mithilfe modernster Technik möglich wäre, wieder zum Leben zu erweckt zu werden. Dies mag den meisten vermutlich absurd erscheinen, ist aber nicht ohne Beispiel in der Geschichte. So ist etwa der altägyptische Totenkult von analoger Struktur und mit vergleichbaren Überzeugungen begründet. So befremdend die der Kyronik zugrunde liegende Idee auch erscheinen mag, sollte man von einer vorschnellen Verurteilung jedoch absehen. Nach den dahinterliegenden Interessen und Strategien gefragt, sind nämlich auch in der Lebensführung der breiten Mehrheit unserer Bevölkerung Fragmente eines vergleichbaren Anliegens zu beobachten. Man denke an die diversen Ausprägungen der Anti-Aging Bewegung – plastische Chirurgie als mechanischer Versuch der Jugenderhaltung, Kosmetika aller Art zur synthetischen Verjüngung oder umfassende Lebenskonzepte (seit neusten von digitalen Medien wie bspw. der Apple Watch medial perfektioniert und externer Kontrolle unterworfen), die den Alterungsprozess von innen heraus verlangsamen und im Idealfall ganz aufhalten sollen. Hinzu kommen semantische Umdeutungen des natürlichen Alterungsprozesses gemäß dem Motto »40 ist das neue 30«, die helfen, eine Wahrheit zu verdrängen, der wir uns nicht stellen wollen. Sicherlich im Vergleich harmlose Unterfangen, mit der eigenen Endlichkeit umzugehen, die zudem breite gesellschaftliche Akzeptanz und Verbreitung finden, und doch liegt in vielerlei Hinsicht all diesen Bemühungen um Jugenderhaltung dasselbe Motiv wie der Kyronik zugrunde: Ein Aufhalten natürlicher Prozesse sowie die Verlagerung eines potenziell unendlichen Lebens ins Hier und Jetzt. Wie gesehen gilt es, mit vorschnellen sowie generell mit Urteilen zurückhaltend zu sein. Dennoch ist an dieser Stelle kritisch zu fragen: Abgesehen davon, dass es mit keinem bekanntem Verfahren möglich ist, das ewige Leben ins Diesseits zu verlagern, ist ein solches Unterfangen überhaupt erstrebenswert? Wer mit »Gullivers Reisen« von Jonathan Swift vertraut ist, wird davon absehen wollen. In Kapitel 28 trifft Gulliver nämlich auf die »Struldbrugs«, ein unsterbliches Volk. Zunächst ist er fasziniert von der Aussicht, das Leben auszukosten ohne den Druck verrinnender Lebenszeit. Allerdings muss Gulliver erfahren, dass dieses unsterbliche Volk zunächst wie alle anderen Menschen altert und an den gleichen Gebrechen leidet wie diese. In diesem Lebensabschnitt gefangen, verlernen sie schließlich zu kommunizieren, werden in der Folge emotionslos und unfähig zu Nähe und menschlichen Bindungen. Und schließlich neiden sie jedem »normalen« Menschen die Fähigkeit zu sterben. Gulliver verwirft daraufhin seinen Wunsch nach Untersterblichkeit.

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Angesichts der Tatsache, dass das Leben im Alter heutzutage eine so lange Phase darstellt wie niemals zuvor in der Geschichte, scheint es auch für uns eine virulente Frage zu sein, wann und wie ewiges Leben möglicherweise zum Albtraum werden kann. Wie ist es, auf ewig das hohe Alter zu leben? Leben mit Arthrose, Zahnprothese, inkontinent, haarlos, dement, schwerhörig und altersstarrsinnig? Es wundert nicht, dass die Quelle unserer Wunschprojektionen woanders liegt, bzw. dass wir dem Thema Sterben und Tod lieber ausweichen. Ewiges Leben selbst in die Hand zu nehmen, ist nämlich nur eine Form des Verdrängens, eine andere besteht darin, den Tod so gut es geht zu ignorieren. Mit Blick auf den Umgang, den wir heute mit dem Tod pflegen, könnte man ihn als omnipräsenten Exilanten unserer Gesellschaft bezeichnen. In diesem Begriff kommt einerseits zum Ausdruck, dass wir heute gar nicht umhin können, dem Tod tagtäglich zu begegnen. So hat er einen festen Platz in den Medien, ist Erfolgsfaktor verschiedener Filmformate und Computerspiele. Dieser inflationär häufigen Präsenz und ihrer profanisierenden Darstellung zum Trotz treffen wir im persönlichen Erfahrungsbereich jedoch auf einen gegenteiligen Trend. Hier ist der Gedanke an das Lebensende weitestgehend gebannt worden. Gestorben wird heute nämlich nicht mehr zuhause, sondern in professionalisierten Institutionen, so dass es leichter als früher fällt, der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit auszuweichen. In diesem Kontext treffen wir auf Diskrepanzen. So ist die Bereitschaft, über den Sterbeprozess zu sprechen, groß – über den Tod hingegen nicht. Die dem Tod vorgelagerte Sterbephase3 wird sodann im Modus einer Gestaltungsaufgabe und weniger als existenzieller Bildungsanlass wahrgenommen. So geht es vorrangig um Managementaufgaben (Patientenverfügung etc.) und weniger um die Akzeptanz der eigenen Endlichkeit. Völlig außen vor bleibt bei den meisten die christliche Hoffnung, die über den Tod hinausweist. Es hat den Anschein, als ob man hier eine Festlegung scheut. Etwas überraschend erstreckt sich dieser Befund in vielerlei Hinsicht auch auf die religionspädagogische Literatur sowie die didaktische Fachliteratur und Unterrichtsmaterial.4 Auch hier geht es nämlich vorzugsweise um ethische Aspekte »guten Sterbens«, medizinethische Fragen, etwa Sterbehilfe bzw. selbstbestimmtes Sterben, Sterbebegleitung, die Gestaltung des Sterbe- bzw. Trauerprozesses etc. In der gemeindepädagogischen Literatur werden zudem pastoraltheologische Perspektiven, praktisch theologische Handlungsperspektiven fokussiert, wie Kasualien, Beerdigungsrituale, Trauerreden, Seelsorge, Trauerbegleitung der Hinterblie3 Karin Ulrich-Eschemann, Leben, auch wenn wir sterben. Christliche Hoffnung lernen und lehren, Göttingen 2008, 7. 4 Ebd., 8.

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benen etc. »Die tatsächliche (und theologisch angemessen ins Zentrum zu stellende) Rede von Christi Kreuzestod, von seiner Auferstehung und der aller Toten bei Gott sowie die Aussicht auf eine ausstehende Vollendung der Schöpfung und des Lebens hat mehr den Charakter eines wenig akzentuierten ›Add-Ons‹.«5 Vor dem Hintergrund dieses Befunds scheint eine Analyse der curricularen Vorgaben in den jeweiligen Kerncurricula für evangelische Religion bzw. Werte und Normen6 von Interesse zu sein, um ggf. fachspezifische Unterschiede, Schwerpunktsetzungen oder auch Auslassungen in analytischer Perspektive in den Blick zu nehmen. 3. Kerncurricula für den Religionsunterricht bzw. Werte und Normen Unterricht in Niedersachsen zum Thema Sterben und Tod7 In der Primarstufe begegnen in Niedersachsen alle Schülerinnen und Schüler dem Thema Sterben und Tod auf dem Boden des Religionsunterrichts. Dort wird das Thema zunächst im Rahmen des Kompetenzbereichs »Nach dem Menschen fragen« verhandelt, in welchem die Kinder gewahr werden sollen, dass alles Leben einen Anfang und ein Ende hat. Diese Erkenntnis ist in der Perspektive zu vermitteln, dass Leben und Tod in Gottes Hand liegen, und Menschen ein Leben nach dem Tod verheißen ist. Eine spezifische Zuspitzung erfährt letztgenannter Punkt im Rahmen des Kompetenzbereichs »Nach Jesus Christus fragen«, wo naheliegender Weise auch dessen Kreuzestod behandelt wird, wobei kein expliziter Verweis auf die individuelle (christologische bzw. soteriologische) Bedeutung von Christi Tod und Auferstehung vorgesehen ist, nur interpretativ findet man den Hinweis, dass die eigene Endlichkeit auch vor diesem christologischen Hintergrund zu interpretieren ist. Im Religionsunterricht der Sekundarstufen I und II kommen »Sterben und Tod« durchgängig in Analogie zur Primarstufe im Kontext der Kompetenzbereiche nach »Dem Mensch(en) fragen« bzw. nach »Jesus Christus fragen« vor. Selbst eine klassenstufen- und schulartspezifische Differenzierung hat in den curricularen Vorgaben keine markanten Unterschiede zur Folge, sondern ist eher als schulartspezifische Ergänzung zu den Vorgaben für die Grundschule zu sehen. So ist es auch für die Sekundarstufe I charakteristisch, dass die individuelle Endlichkeit 5 6

Ebd., 9. In Niedersachsen ist bei Abmeldung vom Religionsunterricht (neben weiteren Alternativen) der Werte und Normen Unterricht zu besuchen; in anderen Bundesländern tragen funktionsäquivalente Fächer Bezeichnungen, wie »Philosophie«, »Ethik« o.a. 7 Vgl. hierzu die curricularen Vorgaben auf dem Bildungsserver Niedersachsen unter www.nibis.de (Stand Nov. 2016).

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mit der Hoffnung auf Gottes gutes Wirken verbunden ist, eine individuelle Deutung von Christus Tod und Auferstehung vor diesem Hintergrund jedoch vernachlässigt wird. Was die Interpretation von Sterben und Tod, Leben und ewiges Leben angeht, stehen die genannten Kompetenzbereiche nämlich relativ unverbunden nebeneinander. Des Weiteren fällt auf, dass auch hier gilt, was zuvor als allgemeiner Status festgehalten wurde – eine Fokussierung auf die Sterbephase, gutes Sterben sowie die rituelle Gestaltung der Trauerphase auf Kosten einer existenziellen Deutung der eigenen Endlichkeit. In der Sekundarstufe I des Gymnasiums findet sich im Kompetenzbereich »Ethik« erstmals »Sterben und Tod als Anfragen an das Leben« als explizites Thema. Der Auftrag, Endlichkeit konstruktiv auf das Leben zu beziehen, ist damit an dieser Stelle einmalig im Fachbereich evangelische Religion. Im Werte und Normen Unterricht ist »Altern, Sterben, Tod« in den Klassen 9 und 10 (etwas überraschend) im Kompetenzbereich »Zukunft« als eigenes Thema aufgeführt. Darüber hinaus findet sich im Kompetenzbereich »Religionen und Weltanschauungen« der inhaltliche Verweis auf Konzepte von Unendlichkeit, Auferstehung, Wiedergeburt in den verschiedenen Weltreligionen. Außerdem wird der Aspekt der Endlichkeit/Unendlichkeit bei »Selbstbewusstsein als spezifische Dimension des Menschseins« bzw. »Zeitlichkeit als spezifische Dimension des Menschseins« im Rahmen der Kompetenzbereichs »Frage nach dem Ich« aufgegriffen. Ein erster, recht augenscheinlicher Unterschied liegt darin, dass im Werte und Normen Unterricht »Sterben und Tod« weitgehend isoliert als eigenes Thema zu finden ist. Weiter fällt auf, dass »Sterben und Tod« im Vergleich zum Religionsunterricht erst deutlich später, nämlich am Ende der Sekundarstufe I, behandelt werden. Was den Zugang angeht, ist die themenspezifische Begegnung im Werte und Normen Unterricht (wenig überraschend) rein informierend, während im Religionsunterricht das Thema durchgängig und fast immer implizit im Kontext eines weiteren Themas (Christologie) bearbeitet wird. Ein Blick auf die jeweilige Schwerpunktsetzung zeigt, dass im Werte und Normen Unterricht größeres Gewicht auf die Sterbephase gelegt wird, etwa indem die Gestaltung dieser Situation in den Blick genommen oder die Legitimität von Sterbehilfe historisch sowie für die Gegenwart diskutiert wird. Ferner wird der Tod als biologisches Faktum differenziert definiert. Philosophische sowie religiöse Konzepte von Unsterblichkeit fließen als Information im Kontext fremder Religionen in den rein betrachtenden Unterricht ein und sind nur sehr lose (bis gar nicht) mit dem Thema »Tod und Sterben« verbunden. In einem – zugegebener Maßen – groben, überblicksartigen Fazit könnte man abschließend festhalten: Der Werte und Normen Unterricht befasst sich im Kontext von Sterben und Tod vermehrt und the-

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menspezifisch gedeutet mit dem Leben bzw. der letzten Lebensphase. Vor diesem Hintergrund bildet der Tod ein biologisches Faktum, das zugleich zum Interpretament des Gesamtthemas wird. Der Religionsunterricht befasst sich auch und in ähnlicher Weise mit der Sterbephase, nimmt zudem aber vermehrt vor dem Hintergrund christologischer Theologie in soteriologischer Perspektive die Phase danach in den Blick. Eine gemeinsame Schnittmenge (für eine etwaige Kooperation) entsteht folglich in der Betrachtung der Sterbephase, während die Frage eines ewigen Lebens eher Aufgabe des Religionsunterrichts ist, und die Frage, was der Tod für das Leben bedeutet tendenziell eher von Werte und Normen bearbeitet wird (wenn auch nur sehr knapp). Die Analyse der jeweiligen curricularen Vorgaben bringt im Grunde wenig Überraschendes zutage. Gleichwohl ist sie als ein Hinweis auf fachspezifische Interpretationen und Zugänge zum Thema zu sehen. Indes ist damit aber noch nicht umfassend definiert, was denn sinnvoller Weise Gegenstand einer Bildung zum Thema »Sterben und Tod« sein sollte. Und die curricularen Vorgaben im Zeichen der Kompetenzorientierung müssen ihren Anspruch der Lebens- und in diesem besonderen Fall auch ›Sterbensdienlichkeit‹ ohnehin erst noch unter Beweis stellen. 4. Themenspezifisches zum Bedingungsfeld in anthropologischer Perspektive Kinder haben zunächst keine Berührungsängste mit dem Thema Tod. Es scheint, als seien sie unbedarfter, angstfreier und vorbehaltloser im Umgang mit dem Lebensende, selbst dort, wo es sehr explizit oder persönlich wird. Ihren mitunter von kindlicher Neugier motivierten Zugang empfinden Erwachsene daher oft als sehr unverblümt oder sogar peinlich, etwa wenn Kinder ein technisches und an Faktenwissen orientiertes Interesse am Tod haben (»Was passiert nach dem Tod genau?«, »Kommen dann die Würmer und essen x?«,8 oder wenn ein Kind ganz unversehens den Großvater fragt, ob er denn bald stürbe). Man könnte daraus eine gewisse Naivität oder mangelnde Sensibilität ableiten, was jedoch nicht gerechtfertigt wäre. Kinder haben schlicht andere Konzepte vom Tod, die aus Sicht von Erwachsenen defizitär wirken mögen. Jedoch zeugt die kindliche Naivität auch von einer größeren Gelassenheit und Angstfreiheit, von der wir durchaus etwas lernen können. Allerdings ist diese vor allem entwicklungsbedingten Differenzen geschuldet, die einen konstitutiv anderen Zugang zum Thema bedingen, der Erwachsenen verschlossen bleibt, bzw. dort, wo wir Anteil daran haben, oft pathologische Züge trägt. 8

Die zitierten Beispiele beruhen auf Erfahrungen aus dem Unterrichtsalltag sowie aus dem privaten Umfeld.

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4.1 Kindliche Konzepte zu den Ursachen des Todes Die relative Furchtlosigkeit von Kindern9 im Umgang mit dem Tod überrascht, wenn man sich vor Augen führt, welche Umstände Kinder als Ursache für das Lebensende annehmen. So bricht der Tod in der kindlichen Vorstellungswelt von außen, mit oft sehr plastisch und konkret imaginierter Gewalt über Sterbende herein. Nicht selten wird der Tod in der kindlichen Vorstellungswelt personalisiert – als Mensch mit einer Sense (oder Ähnlichem), der das Leben gewaltsam beendet. Derartige Vorstellungen rühren jedoch nicht oder nur zum Teil von entsprechenden Erfahrungen bzw. medialen Einflüssen her, sondern – so vermutet man – sie sind auch Folgen des sozialisatorischen Einflusses durch die Eltern, die mit wiederholten Warnungen (gerne auch sehr anschaulich) auf Gefahrenquellen verweisen und so die Genese eines von Gewalt und Schmerz geprägten Konzepts vom Tod fördern. Vor diesem Hintergrund ist die Personalisierung des Todes zum einen als Restbestand mythologischen Denkens und zum anderen als Folge elterlicher Mahnungen, sich vor »bösen Menschen« in Acht zu nehmen, zu interpretieren. Des Weiteren könnte man mit der Tiefenpsychologie annehmen, dass sich in den kindlichen Bildern vom Tod das unverarbeitete Geburtstrauma Bahn bricht und entsprechende Vorstellungen über den Zusammenhang von Gewalt und Tod hervorbringt bzw. konturiert. 4.2 Kindliche Vorstellungen zum räumlich-zeitlichen Verhältnis von Diesseits und Jenseits Wenn es um die Frage geht, was nach dem Tod passiert, zeigen sich bei Kindern unterschiedliche Auffassungen. Eine Gruppe vertritt die Ansicht, die Seele trenne sich vom Körper und »fliege« in den Himmel – bildlich oft dargestellt als eine etwas blassere Version des im Grab liegenden Körpers, ergänzt mit Flügeln und wahlweise mit Heiligenschein versehen. Dieses der platonischen Lehre von der Dualität von Körper und Seele nahestehende Bild dürfte allerdings nicht genuin der Vorstellungswelt von Kindern entstammen. Vielmehr bezeugt es die Imitation und Übernahme von Ideen vertrauenswürdiger Erwachsener aus dem unmittelbaren Umfeld. Es handelt sich also um Merkmale dessen, was James Fowler als »intuitiv-projektiven« bzw. »synthetisch-konventionellen« Glauben bezeichnete. Die zitierte Vorstellung von der überdauernden Seele, die sich vom vergänglichen Leib löst, spiegelt nämlich durchaus weit verbreitete volksfrömmische Deutungen christlicher Theologie 9 Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf Kinder im Kleinkindalter (ab ca. 3) bis Mitte bzw. Ende der Primarstufe. Individuelle Differenzen und Abweichungen sui generis sowie als Folge von persönlichkeitsprägenden Erfahrungen mit dem Tod anzunehmen.

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wider, die belegen, dass auch manche Erwachsene zeitlebens sehr anschaulichen Glaubensvorstellungen verhaftet bleiben. Genuin kindgemäß ist hingegen die kindliche Vorstellung, dass der Friedhof nur ein »Zwischenlager« sei, wo man »wartet, bis man dran ist und in den Himmel darf.«10 Ausdifferenziert in verschiedene Bildmotive interpretieren Kinder der Primarstufe den Tod überwiegend übereinstimmend als wie auch immer geartetes Zwischenstadium – zu einer Wiedergeburt, wo man die ganze Familie wiedertrifft, zu einer Verwandlung in eine veredelte, »gepimpte«11 Version der alten Existenz (bspw. mit Flügeln »zum Rumfliegen und Gucken«). Eines ist der Tod in der kindlichen Vorstellungswelt jedoch quasi nie – ein für sich stehender Zustand und endgültig. Vielmehr handelt es sich beim Tod um ein Durchgangsstadium, das keinesfalls negativ besetzt zu sein scheint. Entsprechende Deutungen durch Kinder erfahren übrigens auch christliche Vorstellungen vom Tod. So ließ mein Sohn (4) mich bei einem Mittagessen kurz vor Ostern unvermittelt und ohne erkennbare Betroffenheit wissen: »Heute ist übrigens Jesus gestorben.« Meine Reaktion: »Ach, echt?« (im Tonfall betroffen). Mein Sohn: »Ach Mama, ist nicht schlimm. Das hat er nur so zum Spaß gemacht und auch nur für drei Tage.« 4.3 Inhaltliche Verhältnisbestimmung von Leben und ewigem Leben Wenn Kinder aufgefordert sind, in einem selbst gemalten Bild darzustellen, was ihrer Meinung nach dem Tod kommt, trifft man häufig auf eine spezifische Bildeinteilung, die ich als »Spiegelachsenphänomen« bezeichne.12 Auffällig ist nämlich, dass viele der Kinderzeichnungen von einer expliziten oder imaginären Trennungsachse (meist horizontal, seltener vertikal) gekennzeichnet sind. Sie veranschaulicht (so meine 10

Die Ausführungen beziehen sich auf ein Bild, das von einem Kind in der vierten Klasse gezeichnet wurde. Der vorangegangene Impuls zu Beginn der Themeneinheit (ohne vorangegangenen Input) lautete: »Mal doch bitte einmal, wie Du Dir vorstellst, was nach dem Tod kommt.« Das Bild des Kindes zeigt zwei Personen(Oma und Opa) vor einem Tisch stehend, wo Gott wie Verwaltungsbeamter sitzt und Registrieraufgaben tätigt. Im Hintergrund sieht man ein goldenes Himmelstor, dahinter Personen mit Flügeln, Blumen und Herzen. Der Urheber des Bildes gibt erklärend zu seiner Zeichnung an, es handele bei den vor dem Tisch stehenden um die Großeltern, die bislang im Grab warten mussten, bis Gott Zeit hätte, sie zu »zählen«. Anschließend bekämen sie Flügel und dürften in den Himmel. 11 »Gepimpt« wurde vom Urheber des Bildes zitiert, um das Differenzkriterium zwischen irdischem und jenseitigem »Leben« zu bezeichnen. 12 2008 habe ich 18 Kinder einer jahrgangsgemischten Grundschulklasse (3./4. Klasse) aufgefordert, ihre Vorstellungen darüber, was nach dem Tod kommt, zu Papier zu bringen. Zu Beginn einer Unterrichtseinheit zum Thema Tod, ohne vorangegangenen inhaltlichen Input lautete der entsprechende Impuls: »Mal doch einmal, wie Du Dir vorstellst, was nach dem Tod kommt.« (vgl. oben Anm. 10.)

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Deutung) die kindliche Vorstellung von einer Trennung von endlichem Leben im Diesseits und unendlichem im Jenseits. Gleichzeitig ist die Achse auch als Spiegelachse zu sehen, die durchaus auf zentrale inhaltliche Aspekte von Kindervorstellungen vom ewigen Leben verweist. Wie die Bilder belegen, ist für Kinder der genannten Altersgruppe ewiges Leben oft gleichzusetzen mit dem ihnen vertrauten Leben in einer idealisierten Version. Ewiges Leben ist insofern als Spiegelung der Lebensverhältnisse bei gleichzeitiger Optimierung zu interpretieren. In der Folge entsteht mit dem Tod kein markanter Bruch mit dem irdischen Leben, sondern vielmehr die Fortsetzung unter angenehmeren Bedingungen.13 Eine weitere Gruppe weist in Abgrenzung zu den bislang dokumentierten Konzepten weitere Konstruktionsstrategien auf, indem diese Kinder bereits – wie dies eigentlich eher für ältere Kinder bzw. Erwachsene typisch ist – symbolisch-abstrahierende Elemente in ihre Kategorienbildung integrieren. Typischer Weise bildet diese Gruppe Vorstellungen vom Jenseits aus, die nicht das Diesseits räumlich, zeitlich oder inhaltlich reproduzieren, sondern sich nicht erkennbar oder nur symbolisch-abstrahierend auf Vertrautes beziehen.14 Wie gesehen, weisen Kinder bei der Konstruktion von Tod und ewigem Leben individuelle wie generell entwicklungsbedingte Unterschiede auf, die sicherlich auch von den jeweiligen themenspezifischen (Vor-)Erfahrungen abhängen. Vor dem Hintergrund eines fachspezifischen, bildenden Umgangs mit dem Thema Tod und Sterben, stellt sich im Anschluss an die Analyse der sozialkulturellen wie anthropogenen Bedingungen die Frage, welche Entwicklungs- bzw. Bildungsaufgaben das genannte Thema überhaupt bereit hält.15 5. Bildungspotenzial von Tod und Sterben Grob betrachtet »müssen« (und damit geht keine defizitäre Wertung kindlicher Konzepte Tod einher) Kinder in zwei Kategorien spezifische Merkmale entwickeln, um sich den Vorstellungen vom Tod und Ewigkeit Erwachsener anzunähern. Wobei an dieser Stelle durchaus kritisch zu hinterfragen ist, ob deren Konstrukte tatsächlich als ultimatives Ziel eines bildenden Umgangs mit dem Tod zu interpretieren sind. So wurde 13

So zeichnete ein Kind sein irdisches Zuhause, gespiegelt oberhalb der Wolken eben jenes Zuhause ergänzt durch ein »raketenangetriebenes Wolkenauto«, das »auch Kinder fahren dürfen«. Ein Mädchen malte sich der irdischen Welt entschwebend, wobei sie die Worte äußert: »Alles habe ich« – am Leib trägt sie dabei das ersehnte »Wilde Kerle« TShirt. Weitere analog strukturierte Beispiele könnten angeführt werden. 14 Hier war in den Kinderbildern der Einsatz von Lichtsymbolik bemerkenswert sowie der Verweis auf ein Weiterleben im Andenken der Hinterbliebenen. 15 Hier in Form von exemplarischen Auszügen (Diskussion und Analyse der Kinderbilder), sowie genereller Perspektive (vgl. hierzu »1. Empirische Grundlegung«).

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oben bereits angemerkt, dass Erwachsene ihrerseits einiges vom kindlichen Umgang mit dem Tod lernen können. Gleichwohl stellt sich Kindern die Lernaufgabe, zunächst die definitorischen Kriterien vom Lebensende zu erfassen, bevor diese (irgend-)eine Deutung und Wertung erfahren, die dann ggf. Gegenstand (kritischer) Bildung ist. Dafür bedarf es zum einen eines reifen Konzepts von Zeit16 und zum anderen einer antizipierenden Wahrnehmung der konstitutiven Merkmale des Todes.17 Die Ausbildung der genannten Kategorien geschieht in einem dynamischen Prozess, in dem endogene Entwicklungsschritte mit exogenen Reizen in Bezug zu bringen sind nach dem aus den strukturgenetischen Entwicklungstheorien bekanntem Muster von Assimilation und Akkommodation. 5.1 Zeit lernen Für ein »reifes« Todeskonzept müssen Kinder zunächst ein chronologisches Zeitverständnis entwickeln sowie abstrakte Ideen wie die von Endlichkeit bzw. Unendlichkeit. Die bis in die 70er Jahre geltende Annahme eines endogenen, biologisch angelegten Zeitbewusstseins, das sich im Zuge der allgemeinen Reifung quasi von selbst entwickelt, ist nämlich nicht bzw. nur zum Teil zutreffend. Stattdessen verweisen Piaget18 und andere Repräsentant(inn)en strukturgenetischer Entwicklungstheorien darauf, dass es exogener Impulse bedarf, um beim Kind dissonante Erfahrungen zu generieren, die es zu einer Umstrukturierung, Weiterentwicklung und Ausdifferenzierung vorhandener Denkarten anregt (Akkommodation), statt Unbekanntes umzudeuten und an vorhandene kognitive Strukturen zu assimilieren. Völlig zu Recht trifft man seit einigen Jahren vermehrt auf kritische Revisionen strukturgenetischer Entwicklungstheorien, die deren inhaltliche Geltung sowie ihren Anspruch auf Universalität infrage stellen. Außerdem ist die Bewertung »höherer« vs. »niedriger« Stufen prinzipiell und (vielleicht beim Thema dieses Beitrages in besonderer Weise) zu hinterfragen (wie dies oben bereits angedeutet ist). Bei aller berechtigten 16

Wohlgemerkt in Analogie zu den konventionellen Zeitvorstellungen der christlich abendländischen Gesellschaft, denn auch hier gibt es große Unterschiede, etwa bei den zyklisch konstruierten Zeitkonzepten, wie sie bei den östlichen Religionen zu finden sind. In den buddhistischen bzw. hinduistischen Vorstellungen von Samsara und Karma als den Kreislauf des Daseins und dem unaufhörlichen Prozess von Wiedergeburt und erneuerter Existenz fallen Endliches und Unendliches zusammen, ähnlich wie dies beim okkasionalen Zeitverständnis der Fall ist. Anders als in christlichen Vorstellungen läuft Zeit nicht linear auf ein Ende zu. Ein teleologisch definiertes Ende aller Zeit, alles Irdischen existiert nicht. 17 Vgl. zur Thanatopsychologie Joachim Wittkowski, Psychologie des Todes, Darmstadt 1990. 18 Vgl. Jean Piaget, Die Bildung des Zeitbegriffs beim Kinde, Zürich 1955.

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Kritik konnte Piaget jedoch nachweisen, dass Zeitverständnis im Zusammenhang mit Zahlenverständnis sowie einer Fähigkeit, (u.a. räumliche) Proportionen im Verhältnis zueinander wahrzunehmen, zu sehen ist. Allerdings weiß man heute auch, dass Inhalte des Denkens beim Thema Zeit eine größere Rolle spielen als Piaget, der v.a. Strukturen untersuchte, annahm. Für den Tod als überzeitliches Phänomen gilt nun, dass er für Kinder überhaupt erst begreifbar wird, wenn sie alle vorangegangenen Aspekte von Zeitbewusstsein verinnerlicht haben, denn andernfalls kommt es zu Assimilationen, die einem konstitutiven Verständnis vom Tod zuwider laufen. Hierzu ein Beispiel aus der kindlichen Denkwelt, das von einem »unreifen« Zeitkonzept zeugt: Häufig wird der Tod von Kindern als eine Art Schlaf interpretiert. Wir erinnern uns an meinen Sohn, der annahm, Jesus sei »nur zum Spaß« tot, und das wäre auch bald vorbei. Hier assimiliert das Kind ein bislang unbekanntes Phänomen an die bei ihm vorhandenen Denkstrukturen, statt umgekehrt neue Denkschemata zur Erfassung des Unbekannten zu schaffen (Akkommodation). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass sich Schlüsselaspekte christlicher Theologie zum Thema Tod und Auferstehung dem Kind bis zur frühen Jugend nicht oder nicht vollständig erschließen. Die curricularen Vorgaben, wie wir sie zuvor kennengelernt haben, könnten daher bis zur Sekundarstufe I nicht in der gedachten Intention aufgehen. Welche Konsequenzen daraus abzuleiten seien, ist umstritten. Manche Religionspädagog(inn)en plädieren für ein Aussparen entsprechender Inhalte (z.B. christologischer Theologie), andere sprechen sich dafür aus, an diesem Bildungsziel als exogenen Impuls in pädagogische Absicht (nach dem Prinzip der minimalen Überforderung n+1) festzuhalten, oder aber sie rekurrieren auf innertheologische Gründe.19 Bevor diesbezüglich geurteilt werden kann, oder die Frage beantwortet wird, ob vor diesem Hintergrund der Werte und Normen Unterricht oder der Religionsunterricht einen geeigneteren Zugang bietet, bedarf es eines detaillierten Blickes auf die einzelnen Schritte, die zu einem reifen chronologischen Zeitverständnis führen. Kinder repräsentieren anders als Erwachsene zu Beginn ihrer Entwicklung ein okkasionales Zeitverständnis. Während Erwachsene im »Chronos«, einer linear strukturierten Zeitvorstellung leben, die verstreicht und zielgerichtet ist, leben Kinder im »Kairos«, im ewigen Augenblick. Auch hierzu ein Beispiel. Meine Tochter (2) will eine neu installierte App (auf einem mobilen Gerät) mit ihrem Vater spielen. Diese exklusive Zeit und Tätigkeit ist von größtem Wert für sie. Entsprechend hoffnungsvoll fragt sie: »Spielt 19

Die – theologisch gerechtfertigte – Argumentation lautet hier, dass die christologischsoteriologische Theologie eben nun mal das Zentrum unseres Glaubens darstellt und daher auch entsprechend im Zuge religiöser Bildung zu repräsentieren ist.

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Papa heute mit mir Feuerwehr?« Ich: »Ja, heute Abend.« Sie: »Nein, heute!« Ich: »Ja, sag ich doch, heute Abend. Jetzt gehst Du in die Krippe, nach dem Mittagsschlaf hole ich Dich, dann spielen und kochen wir, und nach dem Abendessen spielt Papa mit Dir« (Meine Taktik: Strukturierende Elemente aus ihrem Erfahrungsbereich zur Veranschaulichung nutzen). Sie: »Nein, heute!« Der Dialog setzte sich analog und in Variation bis zur Eskalation fort und veranschaulicht: »Heute« ist jetzt. Augenscheinlich existiert keine lineare Wahrnehmung von Zeit bzw. ist nur rudimentär vorhanden, und es gibt quasi keine gemeinsame Schnittmenge zwischen ihrem und meinem Zeitbewusstsein. Bei ihr herrscht die totale Konzentration auf den Moment, jede Tätigkeit findet im Moment statt, ohne Vergangenheit und ohne Zukunft. Die Gegenwart erscheint so unendlich, und es gilt Goethes Wort: »Der Augenblick ist Ewigkeit.«20 Eine solche Wahrnehmung ist übrigens nicht exklusives Alleinstellungsmerkmal von Kleinkindern. Vielmehr existierte bereits im antiken Griechenland eine äquivalente Zeitauffassung. »Kairos« bezeichnet dort den günstigen Augenblick, die ideale Gelegenheit des unwiederbringlichen Augenblicks, die man nicht verstreichen lassen darf, für die man – idiomatisch ausgedrückt – alles stehen und liegen lässt. In der Gegenwart leben wir (als Erwachsene) hingegen im Chronos, der linear verlaufenden, davonlaufenden Zeit, die unakzentuiert verrinnt und durch die letzte Perspektive, den Tod, unbewusst vorstrukturiert ist. Entsprechende Ausdrucksformen dieser Wahrnehmung finden sich in der Kunst – die durch die Finger rinnende Sanduhr Dahlis, das verfallende Obst, der Greis mit Sense am Ende der Zeit.21

20

Johann Wolfgang von Goethe, Werke – Hamburger Ausgabe Bd. 1, Gedichte und Epen I, (Weltanschauliche Gedichte, Vermächtnis), München 1981, 370. 21 Andrea Worm, Kunsthistorikerin aus Graz, beschreibt das (vormoderne) christliche Weltbild, das insbesondere dadurch gekennzeichnet ist, dass Welt und Zeit als von Gott erschaffen und der Verlauf der Geschichte als von Gott bestimmt verstanden werden: mit konkretem Anfang und festgesetztem Ende. Diese Ordnung der Geschichte kommt nirgends so deutlich zum Ausdruck wie in Universalchroniken, die ihren Verlauf diagrammatisch als lineare Synopse veranschaulichen. Das Christentum ist hier als Begründer einer Veranschaulichung von Zeit und Zeitverlauf in horizontal verlaufenden Linien verstanden. Das Leben hat in dieser Darstellung nicht nur Anfang und Ende, sondern läuft auch zwangsläufig und sinngebend auf ein letztes Ziel zu – mit entsprechenden Implikationen für unsere Zeitwahrnehmung und Lebensgestaltung im Modus des Chronos. Das ist – wie ich finde – eine wichtige Randnotiz und lässt uns fragen, ob der Religionsunterricht dann nicht ein wichtiger Ort wäre für das Erlernen von Zeit und für das Begreifen von Tod, wenn doch christliche Gedanken unsere Zeitkonzepte (zumindest in ihrem Ursprung) maßgeblich präg(t)en? Vgl. Andrea Worm, Geschichte und Weltordnung, Berlin 2016.

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Die Entwicklung von einem okkasionalen Zeitverständnis (Kairos) hin zu einer chronologischen Zeitvorstellung erfolgt idealtypisch in vier Phasen. In der Phase des intentionalsensorischen Zeitbegriffs (ca. 0–3 Jahre) ist das Kind bei der Wahrnehmung von Zeit noch vollkommen auf außen stehende (Bezugs-)Personen angewiesen, die durch wiederkehrende Handlungen, wie Stillen, waschen, schlafen legen etc. die Zeitwahrnehmung strukturieren. Es entsteht also ein erstes Zeitschema auf Basis der Erfahrung periodisch wiederkehrender Ereignisse. In der Phase des anschaulichen Zeitbegriffs (ca. 3–7 Jahre) ist ein Kind der Lage, Geschehnisse chronologisch wahrzunehmen, es vermag jedoch noch nicht, die Dauer von Ereignissen zu erfassen. Darüber hinaus ist es auf äußere Merkmale zur Anschauung von Zeitdimensionen angewiesen. Ein häufig zu beobachtendes Phänomen in diesem Kontext ist die Korrelation von wahrnehmbarer Körpergröße mit zugeschriebenem Alter (wer größer ist, ist älter). Wenn Kinder Zeit konkret-operational verstehen (ca. 7–9 Jahre), wird erlebte Zeit realistisch eingeschätzt. Was jedoch außerhalb der konkreten Erfahrungswelt liegt (bspw. Ewigkeit), bleibt dem Kind unbegreiflich. Derartige Zeitvorstellungen werden erst etwa mit dem 9. Lebensjahr darstellbar, wenn Kinder einen formal-operationalen, hypothetischen Zeitbegriff ausbilden, der ihnen erlaubt, auch abstrakte Zeitvorstellungen zu imaginieren. Erst in dieser Phase ist es Kindern möglich, (zur Gänze) Kernelemente christlicher Theologie zum Thema Tod – etwa das Konzept eines ewigen Lebens – zu verstehen. Und es ist zu Recht umstritten, ob absehbare Überforderungen (z.B. Auferstehung, ewiges Leben etc.) in frühen Jahrgangsstufen wirklich (religions-)pädagogisch sinnvoll sind.22

Vor dem Hintergrund der Leitfrage dieses Beitrages »Tod als Thema im Religionsunterricht bzw. Werte und Normen Unterricht« stellen sich an dieser Stelle außerdem folgende (Zwischen-)Fragen: Inwiefern unterstützt die Beschäftigung mit dem Tod, ggf. im Modus christlichreligiöser Wahrnehmung die Ausbildung der genannten Kategorien von Zeitvorstellung (als ein Bildungsziel unter weiteren)? Ferner: Wie sollte ein entsprechender Bildungsprozess konfiguriert sein? Wie beim Werte und Normen Unterricht als isoliert-explizites Thema ohne weitere überfordernde Faktoren? Und erst dann (in der Sekundarstufe), wenn grundlegende Strukturen des Zeitverständnisses schon ausgebildet sind? Oder wie es beim Religionsunterricht der Fall ist bereits früher (in der Primarstufe), im Sinne eines exogenen, konstruktiv-überfordernden, anregenden Reizes? Dazu noch eingebettet in weitere Inhalte (christologische Theologie), die als Interpretamente dienen, aber auch zur Überforderung beitragen könn(t)en? In jedem Fall und fachunabhängig dürfte die (bildende) Konfrontation mit dem Tod Kinder und Jugendliche anregen, eine existentielle Zielperspektive auszubilden, die die Zeitwahrnehmung in diesem Sinne strukturiert.

22

Mirjam Zimmermann plädiert für eine Überforderung der genannten Art und untermauert diese vor dem Hintergrund der Kindertheologie überzeugend. Siehe dazu: Mirjam Zimmermann, Kindertheologie als theologische Kompetenz von Kindern, Neukirchen-Vluyn 2010, 233.

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5.2 Konstitutive Merkmale des Todes Die sogenannte Thanatopsychologie23 postuliert, dass für ein »reifes« Todeskonzept insbesondere vier Dimensionen zu entwickeln sind, wobei diese als Bildungsaufgabe nicht nur kognitiv zu verstehen, sondern vom Subjekt auch emotional zu antizipieren sind. Die im Folgenden ausgeführten Dimensionen existieren weitgehend unabhängig voneinander und werden in aller Regel sukzessive in beliebiger Reihenfolge erworben. Die (An-)Erkenntnis von Nonfunktionalität bringt zu Bewusstsein, dass der Tod das Ende aller Funktionen eines lebenden Organismus bedeutet (in Abgrenzung etwa zu »schlafen« oder »ein bisschen tot sein« als »unreife« Interpretationen von Nonfunktionalität). Die Irreversibilität führt dem Individuum die Endgültigkeit und Unumkehrbarkeit des Lebensendes vor Augen (Tote sind nicht nur »verreist«). Sicherlich mit am schwersten dürfte die Akzeptanz der Universalität sein. Hier gilt es zu antizipieren, dass alle Menschen sterben, auch nahestehende Personen sowie man selbst. Es wundert daher nicht, dass sich bei dieser Dimension besonders häufig Verdrängungsprozesse ereignen.24 Als letztes stellt sich die Lernaufgabe, Kausalitäten im Kontext von Tod wahrzunehmen. Hierzu gehört die Erkenntnis, dass es diverse Ursachen für das Ende des Lebens gibt, und bspw. Gewalteinwirkung nur eine (in quantitativer Hinsicht von untergeordneter Bedeutung) unter vielen ist. Es mag den einen oder die andere überraschen, dass im Hinblick auf die genannten Kategorien festzustellen ist, dass diese oft auch bei Erwachsenen nicht umfassend ausgebildet sind. Auch sie weisen mitunter ein diesbezüglich defizitäres Todeskonzept auf, das unter anderem eine konstruktive und zu einem Abschluss kommende Trauerarbeit behindert. Hier ist etwa an infantile volksfrömmische Todesvorstellungen von der lieblichen Auferstehung, einem nahtlosen »Weiterleben« im Himmel, Wiedergeburt oder Seelenwanderung zu denken. Die Gründe für die Weigerung, den Tod im skizzierten Sinne umfassend zu antizipieren, sind naheliegend: Die Dimensionen des Todes sind kognitiv leicht zu verstehen, aber sie emotional zu antizipieren, auf die eigene Person und Nahestehende zu beziehen, ist eine Aufgabe, der man gerne ausweicht, und die entsprechende Verdrängungsleistungen auf den Plan ruft (s.u.). Zumindest in der Psychologie ist man sich jedoch einig, dass ein »realistisches« Todeskonzept die seelische Gesundheit positiv beeinflusst (etwa, indem Trauerarbeit einen Abschluss findet) – auch wenn es nicht angstfrei macht. Vor diesem Hintergrund lautet unsere Ausgangsfrage nun präzisiert: Wie muss ein Unterricht aussehen, der a) die Ausbildung eines für uns 23 24

Vgl. Wittkowski, Psychologie des Todes (s.o. Anm. 17). Zu denken ist hier etwa an Rationalisierungen in Form des Verweises auf statistisch geringe Wahrscheinlichkeiten u.ä.

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konventionellen Zeitverständnisses anregt, b) die konstitutiven Merkmale des Todes kognitiv zugänglich macht und c) die emotionale Abwehr einer Integration der Einsichten in das eigene Leben konstruktiv begleitet – wobei es hier noch zu klären gilt, was eine »konstruktive Begleitung« ausmacht. Die Interpretationsmöglichkeiten reichen hier von einer radikalen Aufklärung mit dem Ziel einer Überwindung der inneren Abwehr, einen bewussten, kritisch-reflexiven Umgang damit bis hin zu einer Akzeptanz der Verdrängung als einer gesunden Schutzreaktion. 6. Religiöse Bildung zum Thema An dieser Stelle und vor dem weiter profilierten Kontext ist daran zu erinnern, dass der Religionsunterricht gegenüber dem Werte und Normen Unterricht, den Tod selbst und die Möglichkeit eines ewigen Lebens verstärkt in den Blick nimmt, während der Werte und Normen Unterricht stärker die Sterbephase fokussiert und das Leben vor dem Hintergrund eines absoluten Endes interpretiert. Der Religionsunterricht tut dies im Kontext der christlichen Botschaft, der Werte und Normen Unterricht befasst sich mit dem Thema isoliert und in neutraler Perspektive. Was ist nun aber ggf. »besser«? Und wo treffen wir auf Konkurrenz bzw. Chancen zur Kooperation? Man könnte dieser Frage nachgehen, indem man in einem kontinuierlichen Wechselspiel einzelne Aspekte des Bildungsziels »Sterben und Tod« thematisiert und diese im Hinblick auf die spezifische Eigenart des jeweiligen Unterrichts entfaltet. Da ich hier aber als Religionspädagogin schreibe und dementsprechend standortgebunden bin, ist davon abzusehen. Stattdessen soll es vorrangig um das Proprium des religionsunterrichtlichen Zugangs gehen, was jedoch nicht als ein unreflektiertes Plädoyer für den Religionsunterricht zu verstehen ist. Mit einem solchen Zugang ist nicht einmal eindeutig die Überzeugung markiert, dass der Religionsunterricht das »bessere« Bildungskonzept für dieses Thema bereitstelle. Vielmehr sind die folgenden Ausführungen als eine induktive Zugangsweise zu interpretieren im Sinne einer spezifischen Sichtweise, die exemplarisch auf Grundsätzliches verweist. Wir wissen bislang: Kinder und Erwachsene, die emotional aber auch kognitiv von einer umfassenden Sicht des Todes, sowie seinen theologischen Deutungsmustern überfordert sind, neigen zu regressiven Mustern und Reaktionen. Der Umgang mit dem eigenen (und fremden) Tod ist dann oft von narzisstischen und egozentrischen Verhaltensweisen geprägt.25 Der Tod kann dementsprechend als biologische Tatsache wahrgenommen werden, dies bedeutet jedoch noch lange nicht, dass er psy25

Vgl. dazu die bereits zitierten volksfrommen Anschauungen.

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chologische Realität ist. Zwischen Kognition und Emotion klafft entsprechend nicht selten eine tiefe Schlucht. Als Schutzreaktion und zur Vermeidung kränkender Wahrheiten schlagen wir uns auf die Seite der Emotion und akzeptieren den Tod nicht in all seinen Dimensionen. Stattdessen schaffen wir uns Bilder von der Ewigkeit, die im Grunde eine (optimierte) Fortsetzung unseres Lebens verheißen und nicht dessen Ende oder den Beginn etwas kategorial Anderen. Insofern entsprechen derartige Vorstellungen selbst bei wohlwollender Interpretation eher selten dem, was die christliche Religion über das ewige Leben sagt. Entscheidend ist nun, wie wir diesen Umstand beurteilen. Ist eine kompensatorisch-naive, das irdische Leben kopierende Sicht des ewigen Lebens schlecht, weil theologisch unzulässig und negativ für das zu bildende Subjekt? Ist es ergo Aufgabe des Religionsunterrichts, solche Vorstellungen zu »korrigieren«, indem wir entweder auf die empirische Realität verweisen oder mit »theologisch korrekten« Konzepten dagegen halten? Die Antwort lautet auf diese Frage lautet: »Jein«. Zum einen, »Nein«, denn Vorstellungen der genannten Facon stellen eine natürliche Schutzfunktion dar, die für die Persönlichkeit konstitutive Funktionen erfüllt und ergo nicht gestört werden sollte26. Auf der anderen Seite ist jedoch aus der Emotionspsychologie bekannt, dass derartige, in sich relativ geschlossene Konzepte von »Lust« getragen sind. Und die – auch dies lehrt uns die Psychologie – kann nicht von Dauer sein und ist überhaupt amivalent und widersprüchlich. Denn die Mechanismen, die in solchen Prozessen wie den skizzierten wirken, sind von persönlichen Erfahrungen geprägt. Und die können je nach Lebenssituation durchaus wechselhaft und auch negativ sein. Sofern sie in sich geschlossen, ungestört und unreflektiert bleiben, können sich schöne, tröstende und kompensatorische Ewigkeitsvorstellungen ggf. auch in einen angstmachenden Albtraum verwandeln.27 Zu bedenken ist ferner, dass die meisten persönlich-individuellen Ewigkeitsvorstellungen sehr eng an Erfahrungen gebunden sind und dieses in vielerlei Hinsicht »nur« reproduzieren. Ent- bzw. befremdende Elemente, wie sie beispielsweise in der Christologie zu finden sind, spielen selten eine Rolle – der Philosoph Ernst Bloch sprach in diesem Sinne vom »klebrig-schäbigen Haftenwollen am kleinen Ich«.28 Wir halten an etwas fest, verwalten es wie Kapital, um nichts davon zu verschwenden, zu verlieren oder die Übersicht über unsere Bilanz einzubüßen. Aber – und hier ist das Bild der Bilanz hilfreich – wenn auf Basis bilanzierten 26 Zur Erinnerung: Die eingangs zitierte Palliativmedizinerin verweist auf den Wert ungestörter Konzepte, die das Sterben und die Akzeptanz des Todes nach ihren Erfahrungen erleichtern. 27 Als Beispiel sei das bekannte Kirchenlied »Oh Ewigkeit, Du Freudenwort« von Johann Rist (1607–1667) in seiner Erstfassung aus der Zeit des 30-jährigen Krieges angeführt. 28 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Band 3, Frankfurt a.M. 1973, 1302.

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Kapitals Kennzahlen erhoben werden, lassen die immer nur Rückschlüsse auf Vergangenes und den Jetztzustand zu. Selbst zukunftsorientierte Kennzahlen – etwa das Verhältnis von Eigenkapital im Verhältnis zu Fremdkapital als Entscheidungsparameter für Investitionen oder Kredite – bringen per se keine Innovation, sondern reproduzieren nur. Eine derart strukturierte Vorstellung vom Tod bzw. ewigen Leben ist daher anfällig, wenn die Bilanz schlecht ausfällt. Sie ist rückwärtsgewandt und hat wenig innovatives Potenzial. Und sie bleibt damit auch hinter ihren Möglichkeiten, was sie als Vision über das ewige Leben zum endlichen Leben beitragen könnte. Und last but not least: Aus christlich-theologischer Sicht wäre dies eine Überbewertung der eigenen Existenz, die verkennt, dass ein ewiges Leben mit Gott weit darüber hinausreicht. Derart verschenkt man mit reproduzierenden Vorstellungen Potenzial, das christlichen Vorstellungen vom ewigen Leben innewohnt. Ewigkeitsvorstellungen beeinflussen nämlich – meist unbewusst – das diesseitige Leben. Und sie tun dies in positiver wie negativer Art und Weise. Und daher sind sie bildungsrelevant. Für die Ausführung letztgenannter Hypothese bedarf es einer inhaltlichen Analyse christlicher Ewigkeitsvorstellungen, bei der folgende Frage (insbesondere vor dem thematischen Hintergrund des vorliegenden Textes) relevant ist: Ist es für eine subjektorientierte Bildung zum Thema Tod notwendig in einer Glaubensperspektive – wenn auch nur potentialis – zu sprechen oder ist ein rein anschaulicher, isolierender Zugang, wie ihn bspw. der Werte und Normen Unterricht vorsieht, besser geeignet? Nicht nur als Religionspädagogin, sondern auch als in psychologischen Dingen versierter Mensch steht zu vermuten: Wir können gar nicht anders als in einer Glaubensperspektive vom Tod und ewigen Leben zu sprechen. Denn bei jedem Menschen ist die narzisstische Kränkung durch die eigene Endlichkeit so groß, dass wir kompensatorisch immer von einem »Weiter« ausgehen – und daran glauben. Die Frage müsste demnach präzisiert lauten: Weisen christliche Vorstellungen vom Tod und ewigen Leben Elemente auf, die sich als besonders wertvoll für den bildenden Umgang mit Sterben und Tod, wie er oben definiert ist, erweisen? Und wenn ja, in welcher Hinsicht? 7. Zur Bildungsrelevanz christlicher Theologie Mirjam Zimmermann verweist auf eine für die zugrunde liegende Frage interessante Analogie in der Ursprungssituation des Christentums. »Die denkende Bewältigung des Todes Jesu kann [nämlich] geradezu als ›Geburtsstunde‹ der christlichen Theologie verstanden werden.«29 Obwohl 29

Zimmermann, Kindertheologie (s.o. Anm. 22), 233.

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der historische Jesus seinen Tod deutend vorausgesagt gesagt hatte, waren die Jünger augenscheinlich nicht darauf gefasst (sie flohen) und empfanden ihn als Katastrophe, die es theologisch wie existenziell zu deuten galt. Damit standen sie religionsgeschichtlich vor der gleichen Aufgabe, die sich jedem/jeder einzelnen von uns auch stellt. Diese Beobachtung könnte sich durchaus als psychologisch, pädagogisch und theologisch bedeutsamer Moment erweisen. In Hinblick darauf, was oben stehend über die emotionale Abwehr des Todes und die kompensatorische Projektion des Lebens auf individuelle Konzepte vom Tod gesagt wurde, gilt es bei der Analyse christlicher Vorstellungen vom Tod bzw. ewigen Leben vor allem herauszuarbeiten, welche Elemente der christlichen Religion bildungsrelevant sind. Und zwar bildungsrelevant in dem Sinne, dass sie themenspezifisch das zu bildende Subjekt zu einer kritisch-konstruktiven wie zugleich psychisch gesunden Revision der individuellen Konzepte zum Tod herausfordern. 7.1 Erste Erkenntnis: Der Tod betrifft den ganzen Menschen Nach christlicher Vorstellung betrifft der Tod den ganzen Menschen, seelisch wie leiblich. Dies ruft natürlich entsprechende Abwehrmechanismen beim Individuum hervor, in theologischer Perspektive ergibt sich daraus das folgende Dilemma: Einerseits bedeutet der Tod ein irreversibles und umfassendes Ende der irdischen Existenz, andererseits speist sich der christliche Glaube aber aus der Zukunftserwartung eines ewigen Lebens bei Gott, vom Glauben an Auferstehung. Für den Tod ist also eine Dichotomie von Kontinuität und Diskontinuität charakteristisch, und Leben, Tod und ewiges Leben sind dementsprechend zueinander in Beziehung zu setzen. In der Dogmengeschichte haben sich in der Betrachtung dieses Dilemmas (grob betrachtet) zwei Modelle etabliert. In dem vom Platonismus beeinflussten Modell wird der Tod als die Trennung der unsterblichen, immateriellen Seele vom sterblichen Leib aufgefasst. Positiv an dieser Todesvorstellung zu bewerten ist die Tatsache, dass der Kontinuitätsaspekt des christlichen Todesverständnisses berücksichtigt wird: Die immaterielle Seele existiert über den Tod hinaus. Jedoch widerspricht dieses Konzept dem Diskontinuitätsaspekt des Todes als endgültigem Ende des gesamten Menschen. Der Diskontinuität trägt die Idee vom Ende von Leib und Seele Rechnung. Allerdings bleibt hier offen, inwiefern von Kontinuität gegenüber einer Neuschöpfung die Rede sein kann. Der evangelische Theologe Eberhard Jüngel entwirft ein Modell, das die Kontextualität sowie das Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität des Todes zu vereinen sucht. Nach Jüngel tritt der Tod als ein Ereignis in unser Leben, das alle Lebensverhältnisse komplett abbricht. Somit wird der Tod zu einem Zustand der umfassenden Verhältnislo-

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sigkeit. Allerdings geht die individuelle Lebensgeschichte weiter als Geschichte mit Gott »weil Gott sich als Mitautor in unsere Lebensgeschichte hinein verwickelt hat und sie mitschreibt.«30 Damit ist die irdische Existenz jedoch nicht ausgelöscht, vergessen, sondern auch sie hat Anteil am Leben mit Gott. »Nur so kann der Tod in den Blick genommen werden, weil hier der Tod umfangen ist vom Leben, der Anfang von etwas Neuem ist, auch wenn da keine lebensweltliche Erfahrung von Menschen ist.«31 Die spezifische Stärke dieses Modells erweist sich nun auch vor dem Hintergrund unseres Themas wie folgt: a) Der Tod wird in all seinen Dimensionen (Wittkowski) bewusst gemacht und ernst genommen – ohne der Realität ausweichende Verdrängung und kompensatorische Spiegelungen. b) Eine ungebrochene Fortsetzung des Lebens im Sinne einer optimierenden Spiegelung ist nicht möglich. Dies ist »theologisch korrekt« und zugleich pädagogisch relevant, wenn man den Anspruch erhebt, dass Konzepte vom ewigen Leben zum Leben beitragen (s.o.) und zu einer kritischen Revision des Umgangs mit Sterblichkeit aber auch dem Leben im Hier und Jetzt herausfordern. c) Das christliche Konzept vom Tod und ewigen Leben, wie Jüngel es beschreibt, ist zudem gesund für die vom Tod gekränkte Psyche. Es verlangt einerseits nach Akzeptanz, andererseits bietet es in der Hoffnungsperspektive Kompensation und verhindert durch seine inhaltlichen Festlegungen, dass Ewigkeitsvorstellungen in einer Art ausgestaltet sind, die nicht gesund sind, weil sie Projektionen einer negativen Lebenssituation sind oder regressiv der Realität ausweichen. 7.2 Zweite Erkenntnis: Tod als Strafe für Sünde »Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben.« (Röm 6,23). Demnach ist der Tod (in gewissem Sinne) im Zusammenhang mit der Sünde zu sehen. Auch wenn Christus den Tod bekanntlich besiegt hat und Sühneopfer ist, bleibt dies für Laien der christlichen Theologie zunächst eine beängstigende Aussage, die wenig zur Überwindung eines verdrängenden Umgangs mit dem Tod beitragen dürfte. Vor allem wenn man bedenkt, dass eine entsprechende religiöse Sozialisation mit Kenntnis der Christologie bei den meisten Menschen ein Desiderat bleibt. Hinzu kommt, dass die Verbindung von Sünde (Tun) und Tod als Strafe (Ergehen) in den Denk- und Erfahrungsschemata vieler Menschen (nicht nur Kinder!) fest verankert ist.32 30 31 32

Ulrich-Eschemann, Leben (s.o. Anm. 3), 20. Ulrich-Eschemann, Leben (s.o. Anm. 3), 12. Regressive Denkstrukturen sind gerade im Alter ein wieder verstärkt auftretendes Phänomen.

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Die christologische Deutung des Kreuzestodes weist jedoch in eine ganz andere Richtung, denn die Auferstehung wird a posteriori als Heilsereignis gedeutet und wird somit zum Kern christlicher Soteriologie. Indem Christus gleichsam die Sünden aller Menschen aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf sich nahm, versöhnte er den Menschen mit Gott und machte die individuelle Auferstehung all derer möglich, die sich zu ihm bekennen. Bedeutsam ist in diesem Kontext also vor allem das christliche Verständnis von Sünde. Sünde ist bekanntlich definiert als der unvollkommene Zustand des Menschen. Sünde bezeichnet also weniger Taten oder ein spezifisches Verhalten als vielmehr eine falsche Beziehung zu sich, zu den Mitmenschen und zu einem ultimaten Gegenüber. Vor diesem Hintergrund ist Sünde auch gleichsam als eine Abwendung vom Leben und Beziehungslosigkeit zu deuten. Dies ist eine interessante Beobachtung, die auch für das Verhältnis von ewigen Leben zum diesseitigen Leben von Bedeutung ist, wie noch zu sehen sein wird. 7.3 Dritte Erkenntnis: Tod als Voraussetzung für Vollendung Die christliche Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Leben ist nicht zuletzt als Zukunftshoffnung zu verstehen. Daher ist der Tod auch im Kontext der Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen, zu sehen. Die individuelle Existenz, sowie die gesamte Schöpfung gelten im Modus christlicher Wahrnehmung nämlich noch als unvollendet. Ein letztes Ziel, die Vollendung, steht nach christlicher Überzeugung noch aus – selbst wenn man annimmt, dass die Vollendung bereits begonnen hat (präsentische Eschatologie). In (religions-)pädagogischer Perspektive bleibt daher auch noch Entwicklungspotential im Sinne eines Auftrags, einer To-Do Liste anstelle einer Reproduktion des Bestehenden, wie wir sie oben im Kontext eines verdrängenden Umgangs mit dem Tod kennengelernt haben. Ohne eine lineare Ausrichtung auf ein letztes Ziel bleibt zudem auch die christliche Ethik »unzuverlässig, amputiert, unerledigt – eigentlich hoffnungslos«.33 8. Zur Krise christlicher Religion Allen angeführten Aspekten christlicher Theologie zum Thema Tod ist gemein, dass sie das Subjekt auf ein Gegenüber verweisen, das sich auf je verschiedene Weise als konstitutiv für die Interpretation des endlichen Lebens sowie das ewige Leben erweist. Eben dieses Angewiesensein ruft jedoch heute bei vielen Menschen Gegenwehr hervor, weil Angewiesen33

Ulrich-Eschemann, Leben (s.o. Anm. 3), 9.

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heit vor dem Hintergrund heutiger Lebenserfahrung als Einschränkung von Freiheit und Unabhängigkeit, von Möglichkeiten und Fähigkeiten empfunden wird. Vollendung wollen wir aus uns heraus und alleine schaffen. Manifestationen dieses Wunsches finden sich zuhauf im Internet als ewigen virtuellen Raum oder in Büchern, wie »100 things you got to do before you die«, »100 places you have to go before you die« oder in Form von digitalen Reisetagebüchern von Menschen, bei welchen eine ernste Krankheit diagnostiziert wurde, und die nun dokumentieren, wie sie über das Abarbeiten diverser (Reise-)Ziele ihrem Leben eigenmächtig einen Abschluss geben (flankiert von millionenfachen »likes«!). All dies sind Versuche einer unabhängigen Vollendung und ewigen Fortschreibung der eigenen Existenz über den Tod hinaus. Derartige Ausdrucksformen belegen jedoch zugleich die Existenz eines intuitiven Bewusstseins dafür, dass die individuelle Erzählung der Ergänzung bedarf. Allerdings fehlt es an Vertrauen, diesen Part glaubend in eine andere Verantwortung zu stellen. Die christliche Hoffnung auf Vollendung »in der Erfahrung der ständigen Vergebung und der Hoffnung auf Neuanfang, [die] (…) mein Leben abschließend abgerundet, vollendet, verwandelt«, scheint nicht als solche wahrgenommen zu sein. Die skizzierte Krise betrifft allerdings beim Thema Tod augenscheinlich nicht nur die theologischen Inhalte, sondern auch die christlichen Symbole und Rituale, ablesbar etwa an Trauerfeier und Bestattung. Dies liegt zum einen ganz pragmatisch an einer fehlenden Kirchenmitgliedschaft einer zunehmend großen Bevölkerungsgruppe, zum anderen aber auch daran, dass sich Menschen bei der individuellen Bewältigung des Todes nach neuen Ausdrucks- und Deutungsmitteln sehnen, die ihren situativen Bedürfnissen entsprechen, statt ihnen abzuverlangen, sich auf für sie (infolge rudimentärer religiöser Sozialisation?) fremde und befremdende Impulse einzulassen. So wird oft dem/der freien Trauerredner(in) der Vorzug gegenüber dem/der Pfarrer(in) gegeben. Gewünscht ist eine Rede, die die verstorbene Person, ihr Leben und die Bezüge zum Leben untermalt von individuell bedeutsamer Musik »aufleben« lässt – der Begriff ist nicht zufällig gewählt. Betrauert wird nicht der Tod als Ende, sondern stattdessen wird die gestorbene Person in ihrer Individualität inszeniert, indem Lebensweg und Charakter für sich stehend ansichtig werden. Dabei steht die bleibende Verbindung zum Leben durch die Erinnerung der Hinterbliebenen im Zentrum. Weitgehend komplementär zu alternativen Formen der Trauerfeier verhalten sich übrigens populäre Bestattungsformen.34 Hier ist geradezu ein Verzicht auf das Sichtbarmachen der Person zu verzeichnen. Gräber sind heute zunehmend anonym – etwa im Friedwald, als Asche in Meer, Luft, Natur. Spuren der toten Person sind offensichtlich nicht gefragt. Es bleibt die eigenartige Spannung von Betonung der Personalität im Leben bei gleichzeitiger Auslöschung der Person im Tod. Im Kontext zuvor zitierter Motive und entsprechender Verdrängungsleitungen erscheint dies allerdings plausibel.

34 Siehe hierzu, Thomas Klie und Ilona Nord (Hg.), Tod und Trauer im Netz. Mediale Kommunikation in der Bestattungskultur, Stuttgart 2016.

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An dieser Stelle ist letztmalig und vor dem weiter profilierten Hintergrund zu fragen: Ist es Aufgabe von Bildung, vorhandene Bedürfnisse, entsprechende Denkarten, Haltungen und Ausdrucksformen der genannten Art kritisch zu hinterfragen? Während der Werte und Normen Unterricht nämlich deskriptiv die eben skizzierten Phänomene »nur« thematisiert, fordert der Religionsunterricht – zumindest versuchsweise – zu einer Entfremdung auf und »stört« mit fremden Denkfiguren die psychohygienischen Strategien im Umgang mit dem Tod. 9. Christliche Ewigkeitsvorstellungen als kritisch-konstruktive Persönlichkeitsbildung Zu Recht regt sich vielleicht angesichts der oben stehenden Frage bei dem einen oder der anderen Widerstand, wenn vom Bildungswert der christlichen Religion für den Umgang mit dem Tod die Rede ist. Denn zu Recht könnte man behaupten, dass – nüchtern und unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet – auch die christlichen Vorstellungen vom Tod und dem ewigen Leben Illusionen im oben genannten Sinne darstellen, die ggf. nur Abwehrleistungen spezifischer Couleur darstellen. In gewisser Weise ist eine solche Sicht zutreffend. Allerdings haben wir als Menschen gar keine andere Wahl, als hier mit Illusionen zu hantieren. »Als Menschen können wir uns von der Ewigkeit kein Bild machen, weil unsere sinnliche Einbildungskraft dazu (einfach) nicht hinreicht.«35 Und das ist eigentlich auch nicht verwerflich, folgt man der Kognitionspsychologie. Sie interpretiert Illusionen als eine konkrete Konstruktion hypothetischer Situationen, als kontextgeprägte und plausibel scheinende Hypothesen über das, was wir nicht wissen können. Wenn wir uns mit dem Tod befassen, sind wir sui generis auf eine Reduzierung der Komplexität bei gleichzeitiger emotionaler Entlastung angewiesen. Religiöse Vorstellungen oder »Illusionen« sind eine solche Strategie zur Reduzierung von Komplexität und gleichzeitig zur Entlastung, indem wir Ängste und Hoffnung in Projektionen umwandeln und uns derart überhaupt erst in die Lage versetzen, und damit zu befassen. Der Tod als Anfangspunkt vom ewigen Leben markiert daher unsere letzte große Zukunftskognition. »Zukunftskognitionen sind (…) Mosaike aus Bausteinen des in der Vergangenheit erworbenen Wissens. Damit sind auch die Grenzen von Zukunftskognitionen klar umrissen: Man kann sich die Zukunft nicht losgelöst von der Vergangenheit vorstellen.«36 Unsere 35

Isolde Karle, »Erzählen Sie mir was vom Jenseits.« Die Bedeutung des Himmels für die religiöse Kommunikation, in: EvTh 65 (2005), 334–349, hier 336. 36 Elsbeth Stern und Susanne Koerber, Mentale Modelle von Zeit und Zukunft, in: Jens Möller u.a. (Hg.), Psychologie und Zukunft, Göttingen 2000, 15–29, hier 26.

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Vorstellung vom ewigen Leben ist also ein Gebilde aus rekonstruierter Vergangenheit und antizipierter Zukunft. Entscheidend ist nun, wie ich diese »religiöse Illusion« wahrnehme. Mit allen negativen Konnotationen, die der Illusion anhaften oder im Sinne einer Vision, Utopie mit positivem Potenzial. Vor dem Hintergrund der beiden Fächer Religionsunterricht bzw. Werte und Normen Unterricht sind hier sicherlich Differenzen anzunehmen. Betrachte ich Visionen vom ewigen Leben wie ein Tourist, der außen vor ist und die Sicht eines Betrachters einnimmt, oder bin ich Einheimische(r), der/die an der Entstehung und Form Anteil hat? Ich plädiere dafür, dass der Werte und Normen Unterricht sich den christlichen Vorstellungen vom ewigen Leben im Rahmen einer Kooperation wie ein Austauschstudent nähert. Als Austauschstudent lebt man in einer Gastfamilie längere Zeit und intensiv, indem man Anteil am Leben dieser Gruppe hat mit allem, was dies mit sich bringt. Das ist anstrengend, manchmal nervig, aber beschert Erfahrungen, die man als Tourist nie bekommt. Im Falle der christlichen Idee vom ewigen Leben ist dies ein Gegenbild zur Realität, dass weder Schreckensbild noch bequeme Reproduktion des Status quo ist. Dieses Bild akzeptiert das absolute Ende und ist zugleich eine konstruktive Utopie für das Danach – und das Hier und Jetzt. Träume, Utopien und Vorstellungen von einem ewigen Leben können nämlich durchaus handlungsrelevant werden. Religiöse Illusionen können eindimensionales, positivistisches Denken überwinden, wie besagte Spiegelungen es bewirken. Im Zusammenhang mit kindlichen Vorstellungen vom ewigen Leben haben wir eine solche Bezogenheit von Leben und ewigen Leben kennengelernt. Und zwar der Form, dass das ewige Leben eine spezifisch interpretierte, optimierte Form des Lebens darstellt. Sicherlich ist hierbei (im Religionsunterricht, Werte und Normen Unterricht und überhaupt) darauf zu achten, welche Aspekte des Lebens optimiert sind (bspw. materielle Werte vs. ideeller).37 In jedem Falle aber enthalten Ewigkeitsvorstellungen auch eine gute Portion bildungsrelevantes Protestpotenzial – zunächst ist dieses Potenzial vielleicht »nur« Produkt vom Lebenswillen und gegen die eigene Endlichkeit. Es könnte aber auch Protest gegen beengende Realitäten sein, etwa gegen eine rein rationale Weltwahrnehmung oder gegen eine Festlegung der eigenen Person in den diversen Rollen, die wir zu erfüllen haben. Eine echte, konstruktive Illusion ist nämlich immer auf die Realität bezogen, ohne dass sie die Realität eins zu eins reproduziert und sogar noch steigert. Die Zukunft wird offen, befreit von Resignation und erdrückender Lebenswirklichkeit. So wird die Illusion vom ewigen Leben zur Lebensperspektive statt zur Weltflucht und einem verdrängen37

Vgl. hierzu Anm. 13. Ein Mädchen vermerkt »Alles habe ich« im ewigen Leben. Hier wäre ein guter Ansatzpunkt zu fragen, was den »alles« sei.

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den Rückzug in Projektionen. Sie wertet das Leben nicht ab, verherrlicht aber auch nicht einen Bereich, der so gar nichts mit dem Leben zu tun hat. Eine solche Idee ist die christliche vom ewigen Leben. 10. Fazit: Kooperation oder Konkurrenz? Am Ende der vorliegenden Ausführungen stellt sich nun heraus, dass ich der Palliativmedizinerin eingangs augenscheinlich die falsche Frage gestellt habe. Statt »Wer stirbt leichter?« wäre zu fragen gewesen: »Wer lebt besser mit seiner Endlichkeit?«, denn darum geht es eigentlich im bildenden Umgang mit den Themen Sterben und Tod. Vor dem Hintergrund des Gesagten und dieser abschließenden Profilierung des Themas, sind folgende Thesen in Bezug auf eine mögliche Kooperation von Religionsunterricht und Werte und Normen Unterricht festzuhalten: a) Im bildenden Umgang mit dem Thema Tod geht es einerseits um einen guten Umgang mit dem Tod, andererseits um eine kritischkonstruktive Gestaltung des Lebens vor dem Hintergrund von Endlichkeitsbewusstsein und Vorstellungen eines ewigen Lebens. Die Konzepte von ewigen Leben haben diverse Ausprägungen an und sind auf individuelle Verdrängungsmechanismen zurückzuführen. Sie bedürfen daher der Reflexion, die sich gerade im spannungsvollen Austausch von Religionsunterricht bzw. Werte und Normen Unterricht unter Bildungsaspekten als ergiebig erweisen dürfte. b) Wir weichen dem Tod aus, indem wir uns stattdessen auf die Sterbephase fokussieren und Ewigkeitsvorstellungen ins Hier und Jetzt verlagern bzw. unsere irdische Existenz projektiv darin reproduzieren. Mit Blick auf die curricularen Vorgaben könnte der Religionsunterricht den Werte und Normen Unterricht dahingehend konstruktiv ergänzen, dass er explizit und stärker als dieser den Tod als Ende aller Existenz fokussiert, statt Schwerpunkte auf die Sterbephase bzw. die rein ethischen Aspekte des Todes zu setzen. c) Für einen konstruktiven Umgang mit dem Tod bedarf es eines reifen Konzepts von Zeit und Tod. Unterstützend wirken hier entsprechende Impulse, die prinzipiell beide Fächer nach je eigener Manier bieten; wobei es überrascht, dass der Werte und Normen Unterricht erst recht spät, in der Sekundarstufe I, auf das Thema eingeht. d) Die kognitive Einsicht in das Lebensende muss von emotionaler Akzeptanz (der narzisstischen Kränkung) begleitet werden und entsprechende Haltungen sowie konstruktive Umgangsformen hervorbringen. Dafür bildet das Individuum in kompensatorischer Absicht Ewigkeitsvorstellungen im Modus des Glaubens aus. Diese sind dahingehend (kritisch) zu reflektieren, als sie auch negativ wirken können bzw. bei einer reinen Reproduktion und Steigerung des

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existenten Potenzials verschenken. Religiöse Vorstellungen vom ewigen Leben (wie oben für das Christentum ausgeführt) fordern in diesem Kontext kritisch-konstruktiv zur Reflexion heraus und erweitern individuelle Spiegelungen des Existenten. Gerade hier wäre ein diskursiver Austausch der beiden Fächer vor dem Hintergrund unterschiedlicher Provenienz und Modi im Umgang mit Glaubensfragen sicherlich von besonderem Interesse. Kritischen Leser(inne)n fällt sicherlich auf, dass die oben ausgeführten Punkte harmonisierend eine mögliche Kooperation von Religionsunterricht und Werte und Normen Unterricht ins Zentrum stellen, während die Frage nach einem – zumindest hypothetisch anzunehmenden – Konkurrenzverhältnis scheinbar unter den Tisch fällt. Ein per se gegebenes Konkurrenzverhältnis besteht allerdings nach meinem Dafürhalten nicht. Natürlich kann man die in den Punkten a)–d) angezeigten Schlüsselmomente zur gegenseitigen kritisch-konstruktiven Ergänzung auch im Sinne einer Defizitdiagnose deuten, aus der sich in der Folge ein Konkurrenzverhältnis konstruieren lässt, bzw. die die Vorrangstellung eines Faches begründen würde. Dafür sehe ich jedoch vor dem Hintergrund der oben stehenden Ausführungen in ihrer Gesamtheit keinen Anlass. Eine kritisch-konstruktive Kooperation halte ich hingegen in eben diesem Kontext sehr wohl für ertragreich.

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Wirtschaftsethik als Thema des Ethik- und des Religionsunterrichts

Einleitung »Klar, wir lernen in der Schule wichtige Sachen. Aber niemand bringt uns bei, wie man später auf eigenen Beinen steht. Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ‘ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.«1 Dieses in den Medien weitverbreitete Tweet von »Naina« bringt die Unzufriedenheit vieler Schülerinnen und Schüler über die mangelnde Vermittlung einer Lebensorientierung im Bereich Wirtschaft prägnant zum Ausdruck. Diese Einzelstimme wird durch verschiedene Studien als durchaus repräsentativ erwiesen, in denen Schülerinnen und Schüler ihre eigenen defizitären Kenntnisse im Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge deutlich artikulieren. So hat eine Jugendstudie des Bundesverbandes Deutscher Banken im Sommer 20162 ergeben, dass 40 % der Schülerinnen und Schüler schlechte oder gar keine Wirtschaftskenntnisse haben. Interessant ist nun, dass diese eingeschränkte Kenntnis in einem deutlichen Gegensatz zu einem relativ großen Interesse an diesem Thema steht. 66 % der Schülerinnen und Schüler interessieren sich grundsätzlich für wirtschaftliche Fragen, 81 % wünschen sich mehr Wirtschaftsthemen im Schulunterricht und immerhin 73 % ein eigenes Fach »Wirtschaft«. Auf diese Situation reagieren die Bundesländer unterschiedlich: Es gibt verschiedene Bemühungen, dieses Defizit angesichts des hohen Interesses in den Schulen zu beheben. So plant das Land Baden-Württemberg, ab dem Schuljahr 2017/18 ein neues Schulfach »Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung« ab den Klassen 7 und 8 einzuführen. In NRW gab es einen Modellversuch »Wirtschaft« an Realschulen zwischen 2010 und 2014, der ungeachtet der sehr positiven Bewertungen durch die Schülerinnen bzw. Schüler und auch durch die beteiligten Lehrenden bisher nicht verstetigt worden ist. Die damalige rot-grüne Landesregierung in NRW hat im Jahr 2016 stattdessen ein neues Curriculum für den Bereich »Konsum, Ernährung, Gesundheit« erarbeiten 1 2

Tweet von »Naina«, Abruf 10.1.2017. Durchgeführt wurden die Studien von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die 651 repräsentative Jugendliche zwischen 14 und 24 Jahren befragt hat. Vgl. Welt am Sonntag vom 24.8.2016, 34.

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lassen, wo wirtschaftliche Fragen auch angesprochen, jedoch in einer stark auf die Lebensführung der Schülerinnen und Schüler bezogenen Perspektive behandelt werden sollten. Nach der Landtagswahl im Mai 2017 ist nunmehr von den beiden Parteien CDU und FDP, welche seit Juni 2017 die neue Regierung bilden, das Ziel ausgegeben worden, ein Pflichtfach »Wirtschaft« an allen weiterführenden Schulen einzuführen, nicht zuletzt um unter Schülerinnen und Schülern unternehmerisches Denken zu fördern.3 Auch Studierende, sofern sie sich nicht für Studiengänge der Wirtschaftswissenschaften eingeschrieben haben, klagen über geringe Kenntnisse im Blick auf Fragen der Wirtschafts- und Arbeitswelt, wie ein Fachkongress der Verdi-Bundesverwaltung im November 2016 in Berlin festgestellt und durch eine Umfrage belegt hat. Verdi hat daraufhin eine Initiative gestartet, ein Modul »Arbeitsbeziehung in Deutschland – Kompetenzen für die Arbeitswelt« mit drei bis fünf CPs zu organisieren, um dieses Angebot für offene Wahlbereiche in bestimmten Studiengängen anzubieten.4 Mangelnde Kenntnisse der Schüler wie der Studierenden einerseits und ein relativ großes Interesse an den entsprechenden Themen andererseits deuten offenkundig ein Defizit der Vermittlung von entsprechenden Kompetenzen der Lebensführung im schulischen Unterricht an, das auch den Ethik- und Religionsunterricht herausfordert. Beide stehen vor der Aufgabe, die ethischen Dimensionen des Handelns im Bereich von Wirtschafts- und Arbeitswelt herauszuarbeiten, häufig ohne sich auf eine entsprechende fachliche Wissensbasis der Schülerinnen und Schüler verlassen zu können. In diesem Beitrag wird an Hand einer explorativen Durchsicht einiger Religions- und Ethiklehrbücher versucht zu analysieren, wie sich die Fächer auf diese Herausforderungen einlassen und welche weitergehenden Impulse im Blick auf die Thematisierung wirtschaftsethischer Fragen sinnvoll sein können. Zuvor sollen allgemeinen Bedingungen des Unterrichts in diesem Themenfeld kurz skizziert werden. 1. Fremdheiten zwischen Schule und Kirche auf der einen und der Welt der Wirtschaft auf der anderen Seite Offenkundig bestehen tiefgreifende Fremdheiten zwischen der Schule wie auch den Kirchen einerseits und der Wirtschafts- und Arbeitswelt andererseits. Diese Fremdheiten lassen sich erhärten, wenn man beispielsweise Schulbücher oder die Publikationsfelder und Themenbereiche religionspädagogischer Veröffentlichungen analysiert. Eine Studie 3 4

Vgl. Berichte in der WAZ vom 1.6.2017, 2, und vom 2.6.2017, Titelblatt. Vgl. die online-Plattform: www.kofa.verdi.de

Wirtschaftsethik als Thema des Ethik- und des Religionsunterrichts

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der Universität Siegen, die vom Verband der Familien- und Jungunternehmer in Auftrag gegeben wurde, hat im Jahr 2017 insbesondere ein sehr geringes Interesse der Schulbücher an der Darstellung des Unternehmertums herausgefunden. Die Siegener Wissenschaftler haben Unterrichtsmaterialien der großen deutschen Schulbuchverlage für die Fächer Geschichte, Erdkunde, Sozialwissenschaften, Politik/Wirtschaft oder Arbeits- bzw. Wirtschaftslehre analysiert und erhebliche Mängel vor allem in der Darstellung des unternehmerischen Handelns aufgezeigt. Zwar werden unternehmerische Persönlichkeiten im Blick auf ihre technischen Erfindungen verschiedentlich durchaus gewürdigt, die genuin wirtschaftlichen Funktionen unternehmerischen Handelns werden jedoch so gut wie vollständig ausgeblendet. Warum nicht allein technische, sondern auch wirtschaftliche Innovationen und das kalkulatorische Geschick von Unternehmen für eine erfolgreiche Wirtschaft fundamental sind, wird in den Schulbüchern nahezu überhaupt nicht thematisiert.5 Kritische Stimmen äußern in Aufnahme der Ergebnisse dieser Studien, dass das unterdurchschnittliche Engagement bei Firmen- oder Unternehmensgründungen in der deutschen Bevölkerung im Vergleich zu den USA, zu Kanada, aber auch zu Portugal und Estland an diesem Mangel an entsprechender Vorbereitung in den Schulen liegen könnte. Klaus-Heiner Röhl vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln stellt sogar die These auf, dass der weitgehende Verzicht auf die Vermittlung wirtschaftlicher Kompetenzen und eine starke Berufsorientierung in den Schulen in Richtung auf abhängige Beschäftigungsverhältnisse, wie sie angesichts der Informationen zu den Berufspraktika in den entsprechenden Schulbüchern zu finden ist, sehr früh die Weichen für eine zukünftige berufliche Karriere stellt.6 Für den Religions- und Ethikunterricht gilt dies ebenfalls, da im Vergleich zur Bio- oder politischen Ethik wirtschaftsethische Themen deutlich unterrepräsentiert sind und vorrangig im Blick auf den Berufsschulunterricht konzipiert werden. In der Mittel- und Oberstufe kommen diese Themen an Gymnasien oder Gesamtschulen nur äußerst selten vor.7 5

Hans Jürgen Schlösser und Michael Schuhen, Markwirtschaft und Unternehmertum in deutschen Schulbüchern, Berlin 2017 (abrufbar unter www.familienunternehmer.eu – letzter Abruf 10.3.2018). 6 Vgl. »Welt am Sonntag« vom 7. Mai 2017, 33f. 7 Vgl. Monika E. Fuchs, Ethik in der Religionsdidaktik der letzte zehn Jahre – ein Literaturbericht im Längs- und Querschnitt, in: JRP 31 (2015): Ethisches Lernen, Neukirchen-Vluyn 2015, 219–236, hier 220. Eine andere Situation ergibt sich im Blick auf den Unterricht in Berufsschulen. Hier spielen wirtschaftswissenschaftliche und arbeitsweltbezogene Themen eine weitaus wichtigere Rolle. Gerade auch der Religionsunterricht an Berufsschulen (BRU) ist deutlich am »Berufsbezug« orientiert. Vgl. Jan Völkel, Die Frage des Berufsbezugs des BRU als Chance zum Dialog, in: Albert Beisinger / Matthias Gronover / Michael Meyer-Blanck / Andreas Obermann / Joachim Ruopp / Friedrich Schweitzer (Hg.), Gott – Bildung – Arbeit. Zukunft des Berufsschulreligionsunter-

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Die Fremdheiten zwischen Wirtschaft und Schule lassen sich in einem weiteren Schritt auch im Blick auf die Religionslehrenden konstatieren. In einer allerdings schon älteren empirischen Studie von Schmidtchen wurde deutlich, dass sowohl evangelische wie katholische Pfarrer und auch die Religionslehrerinnen bzw. -lehrer relativ wenig Interesse an Themen der Arbeits- und Wirtschaftswelt zeigen. Zudem dominiert bei ihnen eine skeptische Grundhaltung im Blick auf Veränderungen der Arbeitswelt durch den technischen Fortschritt oder auch die allgemeine Einschätzung der Leistungs- und Wettbewerbsgesellschaft. Dabei gibt es intern zudem Unterschiede zwischen den evangelischen und den katholischen Kollegen, indem eine skeptische Distanz zu den Themen Technik und Wirtschaft bei den evangelischen Teilnehmenden der Studie deutlich überwiegt. Dem korrespondiert eine generell kritische Grundhaltung im Blick auf den Stand der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland, die als stark defizitär erfahren worden ist.8 Dem entspricht, dass das Interesse an wirtschaftlichen Fragen unterdurchschnittlich ausgebildet ist, so dass Voraussetzungen für eine angemessene Thematisierung der Bereiche der Arbeits- und Wirtschaftswelt unter ethischen Gesichtspunkten im Religionsunterricht nach dieser Studie nur gering ausgeprägt sind. Resümiert man die hier skizzierten Fremdheiten im Blick auf die generelle Thematisierung von wirtschaftlichen Fragen, ihrer Relevanz und Darstellung in Schulbüchern sowie im Blick auf die Einstellung von Lehrerinnen und Lehrern im Religionsunterricht wird deutlich, dass die Themen der Wirtschaftsethik bestenfalls am Rande erörtert werden und vor dem Hintergrund eines wenig ausgeprägten Interesses der Lehrpersonen in der Schulpraxis einen schweren Stand haben dürften. Hinzu kommt der Befund zumindest quantitativ relativ weniger Lehrmaterialien zu diesen Themenfeldern. Dieser vorläufige, skeptisch stimmende Befund soll im Folgenden vor dem Hintergrund eines Vergleichs zwischen Materialien für den Ethik- und den Religionsunterricht stichprobenartig anhand weniger Beispiele vertieft werden. Zuvor sollen einige grundlegende Überlegungen zu Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen dem Ethik- und dem Religionsunterricht angestellt werden. richts, Münster / New York / München / Berlin 2013, 109–117. In diesem Band stellen Überlegungen zum Arbeitsverständnis (so vor allem der Beitrag von Albert Biesinger / Matthias Gronover, Selbstentfaltung durch Arbeit – Selbstentfaltung als Arbeit, 9–19), sowie die wirtschaftsethisch angelegten Beiträge von Franz Kaiser, Fundamente kaufmännischer Beruflichkeit. Wirtschaftliches Handeln zwischen Marktorientierung, Finanzialisierung und ethischen Entscheidungen, 183–195) und Dietmar Kokott / Andrea Roth, Wirtschaft und Kirche, 197–209) deutlich die Relevanz wirtschafts- und arbeitsethischer Themen heraus. Allerdings dominieren auch in diesem Sammelband eher lebensweltbezogene Themen wie Migration, Diversity u.a. 8 Vgl. Gerhard Schmidtchen, Pfarrer und Wirtschaft. Technische Entwicklung und Nationalökonomie aus der Sicht von Pfarrern und Religionslehrern, Köln 1988, 15ff.

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2. Einebnung der Differenzen zwischen Ethik und Religionsunterricht? Ob und inwiefern die skizzierten Fremdheiten speziell zwischen Pfarrerinnen bzw. Pfarrern und Religionslehrenden auf der einen Seite und der Welt der Wirtschaft auf der anderen Seite oder in ähnlicher Weise auch auf die Lehrenden des Ethikunterrichts zutreffen, ist bisher nicht untersucht worden. Sowohl zu den fachdidaktischen Überlegungen wie auch zum Selbstverständnis der Lehrenden im Religions- oder Ethikunterricht wäre es interessant zu erforschen, welche Differenzen zwischen den beiden Fächern ggf. festzustellen sind. Dasselbe gilt für die unterrichtliche Praxis, zu der diesbezüglich ebenfalls keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen. Dementsprechend können mögliche Differenzen zwischen den beiden Fachkulturen vor allem auf der Ebene konzeptionell-didaktischer Theorien, ihre Spiegelung in den Lehrplänen und deren Umsetzung in Lehrmaterialien untersucht werden.9 Auf der Ebene der Themen und Inhalte lässt sich feststellen, dass ethische Themen einen erheblichen Anteil an den Inhalten im konfessionellen Religionsunterricht ausmachen und je nach Lehrplänen und -materialien zwischen 25 und 40 % des Themenspektrums abbilden. Im Blick auf den Ethik- und Philosophieunterricht ist es ähnlich, hier nehmen ethische Themen teilweise einen noch breiteren Raum ein. Hinsichtlich des Religionsunterrichtes lässt sich allerdings feststellen, dass im Blick auf die Kerncurricula kaum fachspezifische Perspektivierungen im Blick auf den konfessionellen Religionsunterricht entwickelt worden sind. Als Ausnahme lässt sich die freilich generalisierende Feststellung nennen, dass der konfessionelle Religionsunterricht die Schülerinnen und Schüler »in ihrer (jeweiligen, Verf.) Herkunftsreligion ›stärken‹« soll.10 Allerdings wird nur bedingt deutlich, wie dies im Blick auf ethische Themen konkret geschehen soll. Diese bereits seit längerer Zeit sich abzeichnende, wenig ausgeprägte Profilierung der ethischen Themen im konfessionellen Religionsunterricht scheint gegenwärtig im Zeichen der Kompetenzorientierung eher vertieft worden zu sein. Vor diesem Hintergrund kommt Bernd Schröder zu dem kritischen Befund, dass »insbesondere die verschiedenen Spielarten des Religionsunterrichtes […] die Chance [verspielen], in der pointierten Erschließung der je eigenen Perspektive und in der kontrastiven, gleichwohl dialogorientierten Erschließung ethischer Perspektiven anderer Weltanschauungen und Religionen das je eigene Profil zu schärfen und […] Orientierungskraft zu entfalten.«11 9 Vgl. Bernd Schröder, Was macht es für einen Unterschied, ob ethische Fragen im Ethik- oder evangelischen/katholischen/jüdischen/islamischen Religionsunterricht behandelt werden?, in: JRP 31 (2015): Ethisches Lernen, Neukirchen-Vluyn 2015, 41–63. 10 Ebd., 46. 11 Ebd., 49f.

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Inwieweit diese kritische Bestandsaufnahme auch für die Behandlung wirtschaftsethischer Themen im konfessionellen Religionsunterricht zutrifft, soll im Folgenden näher untersucht werden. Im Blick auf die Wirtschaftsethik besteht eine wesentliche Voraussetzung zunächst darin, dass ein bestimmtes gemeinsames Sachwissen vorhanden sein muss, das nicht durch den Religions- oder Ethikunterricht, sondern durch die Dialoge mit den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften – ggf. auch vermittelt durch den Geschichtsunterricht – aufbereitet worden sein sollte. Die möglichen Differenzen der Wahrnehmungen und Bewertungen sind sodann im Blick auf die spezifischen ethischen Perspektiven zu erarbeiten, wobei das klassische »Schema ethischer Urteilsbildung« eine Grundlage bildet, wie es zuerst Heinz-Eduard Tödt entwickelt und für die Wirtschaftsethik Arthur Rich präzisiert hat,12 und dass in verschiedenen Lehrbüchern des evangelischen Religionsunterrichts aufgenommen worden ist.13 Dieses Schema lässt sich vereinfacht als Dreischritt von Wahrnehmungen, Traditionen sowie Kriterien des Urteils und schließlich im Blick auf die Handlungsimpulse differenzieren. Dabei ist aus ethischer Perspektive wesentlich, dass nicht allein die Traditionen und Kriterien der Urteilsbildung aus der je eigenen ethischen Perspektive – jeweils in Auseinandersetzung mit anderen weltanschaulichen und religiösen Traditionen – als mögliches Differenzkriterium herangezogen werden können, sondern dass auch die Perspektive der Wahrnehmung im Blick auf ihre ethische Relevanz zu betrachten ist. Vor diesem Hintergrund ist im Folgenden genauer danach zu fragen, welche Wahrnehmungen und welche Traditionen sowie Kriterien der Urteilsbildung in den Lehrbüchern des Religions- und des Ethikunterrichtes jeweils aufweisbar und ob bzw. welche Differenzen diesbezüglich festzustellen sind. 3. Die wirtschaftsethische Thematik in den Lehrmaterialien des Religions- und des Ethikunterrichts 3.1 Distanz und tendenzielle Verzerrung der Welt der Wirtschaft in den Schulbüchern des konfessionellen Religionsunterrichts Im Jahr 1989 hat Martin Spieker die bislang letzte Untersuchung zu den Themenfeldern Arbeit, Wirtschaft und Technik in Religionslehrbüchern unter dem Titel »Flucht aus dem Alltag?«14 vorgelegt. In einem zweijäh12 Vgl. Heinz-Eduard Tödt, Versuch zu einer Theorie ethischer Urteilsbildung, in: ZEE 21 (1977), 81–93. Vgl. auch Arthur Rich, Wirtschaftsethik. Grundlage in theologischer Perspektive, Gütersloh 31987, 224–228. 13 Vgl. Kursbuch Religion. Oberstufe, hg. von Hartmut Rupp / Andreas Reinert, Stuttgart/Braunschweig 2004, 86. 14 Martin Spieker, Flucht aus dem Alltag? Arbeit, Wirtschaft und Technik in den Schulbüchern des katholischen und des evangelischen Religionsunterrichts, Köln 1989.

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rigen Projekt hat Spieker mit wissenschaftlichen Mitarbeitenden insgesamt 500 Schulbücher des konfessionellen Religionsunterrichtes analysiert. Dabei kam er zu dem ernüchternden Befund, dass zwei Drittel der untersuchten Schulbücher ohne Relevanz für die gewählte Fragestellung gewesen ist, da entweder gar nicht oder nur sehr beiläufig und oberflächlich die Themen Arbeit, Wirtschaft und Technik aufgenommen worden sind. Insgesamt 100 Schulbücher wurden sodann detailliert ausgewertet, wobei auch hier die aufgezeigten Tendenzen skeptisch stimmen und den programmatischen Titel »Flucht aus dem Alltag« plausibilisieren. Nach Spieker wird insgesamt ein tendenziell negatives Bild der Wirtschaft in den Schulbüchern gezeichnet, wobei vor allem die Leistungsorientierung einseitig kritisch in den Blick genommen wird. Der inhaltliche Fokus der Lehrbücher liegt eindeutig auf Verteilungs- und weniger auf Produktionsfragen. Dementsprechend kommen die Bedingungen und Anreize für die Produktion wirtschaftlicher Güter nur am Rande in den Blick, während vorrangig die Frage einer gerechteren Verteilung der produzierten Güter in den Schulmaterialien dominiert. Auf diese Art und Weise werden somit die Rahmenbedingungen des wirtschaftlichen Handelns – sowohl die Frage der Ordnungsebene wie auch die Dimension der Unternehmensethik – weitgehend ausgeklammert. Damit sind auch die möglichen Perspektiven ethisch angemessener Standards, um faires Wirtschaften oder fairen Handel zu gestalten, bis zum Ende der 1980er Jahre so gut wie gar nicht in die konfessionellen Religionslehrbücher aufgenommen worden. Allein das Verteilungsparadigma im Sinn einer auf mehr Gleichheit zielenden Verteilung der zum Leben notwendigen Güter lässt sich anhand der untersuchten Schulbücher gut darstellen. Mit diesem Befund bleiben die Lehrmaterialien allerdings weit hinter dem Standard sowohl der katholischen wie auch der evangelischen Sozialund speziell Wirtschaftsethik zurück.15 Explizite Bezüge zu den entsprechenden wissenschaftlichen Traditionen sind kaum hergestellt worden, auch die konfessionell arbeitenden Verbände im Bereich von Wirtschaft oder Arbeitswelt16 werden nicht benannt. Vor diesem Hintergrund kommt Spieker schließlich zu der These, dass für die Bereiche Arbeit und Technik wie auch für den Bereich der Wirtschaft eher Fluchtanleitungen in den jeweiligen Schulbüchern zu finden sind, denn herausfordernde Materialien, die Perspektiven einer ethisch relevanten Gestaltung dieser Lebensbereiche aufzeigen.

15 16

Spieker, Flucht (s.o. Anm. 14), 385f. Zu denken ist hier an den Bund katholischer Unternehmer (BKU), die Arbeitsgemeinschaft evangelischer Unternehmer (AEU) oder den Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (kda).

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3.2. Versuch einer Identifizierung wirtschaftsethisch relevanter Themen in den Schulbüchern des Ethik- und Religionsunterrichtes in der Sekundarstufe I Die folgenden Überlegungen sind ein erster vorläufiger und in mancherlei Hinsicht zufällig angelegter Versuch, im Anschluss an die detaillierte Studie von Spieker die weitergehende Thematisierung insbesondere wirtschaftsethischer Fragen in den Lehrmaterialien des Religionsunterrichtes seit dem Ende der 1980er Jahre zu identifizieren und vorläufige Vergleiche zu Lehrbüchern des Ethik- bzw. Philosophieunterrichtes aufzuzeigen. Es kann sich im Folgenden somit lediglich um explorative Überlegungen zur Identifizierung von relevanten Themen und Fragestellungen handeln, die Hinweise und Ansatzpunkte für weitergehende Forschungen liefern können.17 Im Blick auf die Lehrmaterialien für die Sekundarstufe I finden sich in den Schulbüchern des Ethik- oder Philosophieunterrichtes unter den Abschnitten »Arbeiten und Leben« sowie »Arm und Reich« durchgängig Materialien zum Bereich wirtschaftlichen Handelns. Auch in den evangelischen Religionsunterrichtsbüchern lassen sich identische oder ähnliche Themenüberschriften aufweisen, wobei hier jedoch explizite Hinweise auf den Bereich »Wirtschaft« zumeist fehlen oder nur rudimentär angedeutet werden. So vertritt etwa das »Religionsbuch« für die Klassen 5/6, 7/8 und 9/10 im Cornelsen Verlag18 einen bibelbezogenen Ansatz, der das Thema Gerechtigkeit für Benachteiligte als wesentliche Botschaft der Propheten identifiziert und aus dieser Perspektive nach der Relevanz der prophetischen Botschaft für die Gegenwart fragt. Dabei kommen wirtschaftliche Aspekte – anders als bei einigen der biblischen Propheten selbst – nur beiläufig in den Blick. Ähnliches gilt etwa auch für die Bausteine zum RU aus feministischer Perspektive »Vater Gott und Mutter Kirche«,19 in dem sich ebenfalls kein Bezug zur Welt der Wirtschaft findet. Im Sinn der von Martin Spieker erhobenen Diagnose, dass in einer ganzen Reihe von Schulbüchern des konfessionellen Religionsunterrichtes keine oder nur wenige relevante Materialien für wirtschaftsethische Fragen zu finden sind, lässt sich die vorläufige Hypothese aufstellen, dass dies nach wie vor für viele Lehrbücher seit dem Ende der 1980er Jahren gilt. Demgegenüber scheint die »Welt der Wirtschaft« in den Lehrmaterialien des Ethik- und Philosophieunterrichtes insgesamt prägnanter behandelt zu werden. Betrachtet man die Lehrmaterialien zum Thema 17

Der Blick in die Lehrmaterialien ist zudem wesentlich von einer sozialethischen und nicht von einer religionspädagogischen Perspektive bestimmt. 18 Vgl. jeweils Religionsbuch 5/6; 7/8 und 9/10, hg. von Ulrike Baumann / Michael Wermke, Berlin 2001. 19 Vgl. Monika Jakobs / Irene Löffler-Meyer / Annette Rembold, Vater Gott und Mutter Kirche. Bausteine für den RU, Fulda 1995.

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»Arbeiten« in den Lehrbüchern des Ethikunterrichtes, so wird das Thema der Berufsorientierung im Sinn eines individuellen Weges in die Berufswelt und eine entsprechende Vorbereitung und Reflexion der Berufspraktika durchgehend thematisiert. In Verbindung mit dieser Ausrichtung werden vertiefend Fragen zum Recht auf Arbeit, zu Wegen aus der Arbeitslosigkeit,20 die Relevanz von Arbeitsverträgen sowie Überlegungen zur Life-Work-Balance21 oder auch die Thematik der Kinderarbeit22 thematisiert. Neben der stärker schülerbezogenen Orientierung an Berufspraktika und der Suche nach einer eigenen Berufsorientierung23 werden wesentliche sozialethische Fragestellungen zum Thema der Arbeitswelt aufgenommen. In den Lehrmaterialien des evangelischen Religionsunterrichtes finden sich weitgehend ähnliche Themen, wobei den Berufspraktika ebenfalls eine zentrale Bedeutung zukommt. Vielfach finden sich hier Beispielerzählungen aus der »Ich-Perspektive«, wobei Jugendliche über Erfahrungen in der Lehre oder vom Jobben in der Gastronomie berichten, daneben aber auch hinzuverdienende Frauen oder Arbeitslose mit ihren beruflichen Lebensperspektiven vorgestellt werden.24 Insgesamt stehen bei diesen stark autobiographischen Berichten wie auch bei den Sachinformationen die Hoffnungen und Befürchtungen von Jugendlichen im Blick auf die Arbeitswelt sowie generell die Belastungen, Gefährdungen und Einschränkungen der menschlichen Freiheit in der modernen Arbeitswelt im Mittelpunkt. Insbesondere die Leistungsgesellschaft wird kritisiert und es werden die Umbrüche in der Arbeitswelt durch die Einführung neuer Technologien eher als bedrohlich dargestellt, da sie einerseits Arbeitslosigkeit hervorrufen können und andererseits das Tätigkeitsspektrum des Menschen zu reduzieren drohen.25 20

Vgl. Praktische Philosophie, hg. von Roland W. Henke u.a., Bd. 3, Berlin 2008, 84f. Diese Einheit ist von den Autoren als ein fächerübergreifender Block, der Politik und Geschichte einbezieht, geplant. 21 Vgl. Regine Rompa, 30 x 90 Minuten Philosophie/Ethik. Fertige Stundenbilder für Highlights zwischendurch (Jahrgangsstufe 7 bis 10), Mülheim 2014, 67f. 22 Vgl. Leben leben 2. Schulbuch für Praktische Philosophie und Ethik für Klasse 7–9 am Gymnasium und 7–10 an Real- und Gesamtschulen, hg. von Anita Rösch, Stuttgart 2009, 154f. 23 Praktische Philosophie 3 (s.o. Anm. 20), 86–89. 24 Vgl. u.a. Das neue Kursbuch Religion 9/10. Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 9./10. Schuljahr, hg. von Heinz Schmidt / Jörg Thierfelder / Gerhard Kraft / Dieter Petri, Calw / Frankfurt a.M. 1988, 86–90. Vgl. auch Religion 9/10. Versöhnung lernen, hg. von Ulrich Becker / Frauke Büchner / Bernhard Dressler / D. Jessen / Ulrich Kämmerer, Stuttgart u.a. 1997, 142f. 25 Vgl. Das Leben suchen. Religion 9/10, hg. von Frieder Gadesmann, Frankfurt a.M. 1988, 81–90. Vgl. Lebens-Zeichen. Ein Unterrichtswerk für den ev. Religionsunterricht in der Sekundarstufe I. Bd. 3, Arbeitsbuch für das 9. und 10. Schuljahr, hg. von Birgit Besser-Scholz, Göttingen 1995, 121–124.

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Bezogen auf das Thema Arbeitswelt lässt sich in aller Vorläufigkeit vergleichend feststellen, dass die Lehrbücher des Religionsunterrichtes einen stärkeren Erfahrungsbezug durch viele Berichte aus der IchPerspektive und somit eine stärkere Schülerorientierung aufzunehmen versuchen. Die hier exemplarisch in den Blick genommenen Lehrbücher des Ethikunterrichtes wollen offenkundig stärker informieren sowie sachlich orientieren und gehen weniger wertend vor. Demgegenüber dominiert in den Büchern des Religionsunterrichts eine starke Solidaritätsperspektive mit Randgruppen und Benachteiligten, da eher Defiziterfahrungen der Arbeitswelt und weniger positive Beispiele einer gelungenen Lebensführung in der Arbeitswelt aufgezeigt werden. Als eine besondere Stärke und wesentliche Differenz zu den Lehrbüchern des Ethik- und Philosophieunterrichts können die Beispiele des Kursbuches Religion 9/10 und von Religion 9/10: Versöhnung lernen26 genannt werden, wo der Sonntag in der Arbeitsgesellschaft thematisiert und als ein Zeichen der Versöhnung in der Tradition des biblischen Sabbatgebots herausgestellt wird. Hier gelingt ein genuiner Bezug auf biblische Traditionen, der prägnanter und deutlicher die Relevanz von Arbeitsrhythmen herausstellt, als es den Versuchen in Ethiklehrbüchern zum Thema der Life-Work-Balance gelingt. Der vorläufige Eindruck einer gewissen Differenz zwischen Ethikund Religionsunterrichtsbüchern wird durch den explorativen Blick auf die Lehrmaterialien zum Thema »Arm und Reich« bestätigt. In den Büchern des Ethikunterrichtes finden sich zum Thema Armut erneut viele sachliche Informationen, die Definitionen sowie Statistiken anbieten und insbesondere angesichts der Globalisierung eine sich öffnende Schere von »arm und reich« aufzeigen.27 Geld und Besitz werden ebenfalls vor allem in einer sachlichen Perspektive aufgenommen, auch dort, wo eine stärkere Kritik des Privatbesitzes thematisiert wird.28 Demgegenüber finden sich in den Büchern des Religionsunterrichts erneut relativ viele Beispielgeschichten von einzelnen Personen, etwa das Schicksal von Obdachlosen, die Situation von Rentnern in Armut oder auch individuelle Lebensberichte aus Entwicklungsländern vor dem Hintergrund von Partnerschaften zwischen deutschen Kirchengemeinden und denen in Ländern des Südens. Unter den Stichworten der Empathie und der Einfühlung in die Not von Menschen in unserer Lebenswelt und in den Lebenswelten des Südens werden insgesamt eine Vielzahl von individuellen Lebensgeschichten dargestellt, die mit ent26

Vgl. Das neue Kursbuch Religion 9/10 (s.o. Anm. 24), 97–99. Vgl. Versöhnung lernen (s.o. Anm. 24), 134–139. 27 Vgl. Leben leben 2 (s.o. Anm. 24), 150. 28 Vgl. Gabriele Münnix, Menschlich? Philosophie für Einsteiger, Jahrgangsstufe 5–7, Leipzig 1997, 62–74.

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sprechenden biblischen Traditionen (die Zuwendung Jesu zu den Armen, Auszüge aus der Feldrede bzw. Bergpredigt u.a.) in einen Zusammenhang gestellt werden. Darüber hinaus finden sich auch verschiedene Informationsmaterialien zur weltweiten Ernährungs- und Bevölkerungssituation, dem zur Verfügung stehenden Einkommen von Menschen, die auf Transfereinkommen angewiesen sind und zu Fragen der weltweiten Verteilungsgerechtigkeit.29 Im Vergleich dominiert in den Ethiklehrbüchern erneut ein stärkerer Informationsanteil, der eher kognitiv ausgerichtet ist, wobei durchaus eine gewisse Kritik an einer Lebensorientierung, die sich auf den Erwerb von Besitz richtet, geäußert wird. Im Mittelpunkt der Religionsbücher steht demgegenüber der Verweis auf unmittelbare Erfahrungsbezüge, der vor allem Empathie für Arme und Randgruppen wecken will. Dabei wird vielfach auf biblische Bezüge – noch deutlicher als bei der Themeneinheit »Arbeiten« – verwiesen. In den neueren Unterrichtsmaterialien zum Ethik- und Religionsunterricht werden zudem verstärkt Fragen der Ökologie aufgenommen. Im Religionsunterricht geschieht dies einerseits im Kontext der Thematik »Glaube/Naturwissenschaft«, wo die Schöpfungsverantwortung thematisiert wird, aber auch im Kontext »Arbeit«, wo exemplarisch in dem Schulbuch Lebens-Zeichen die Lebensmittelherstellung mit ihren höchst problematischen ökologischen wie sozialen Konsequenzen dargestellt wird.30 Auf diese Weise wird hier ein Bezug zur Ökonomie aufgezeigt und das Spannungsfeld zwischen Ökonomie und Ökologie angedeutet, insgesamt jedoch wenig profiliert. Insgesamt lassen sich somit erneut unterschiedliche Profilierungen von Ethik- und Religionsunterrichtmaterialien darstellen, wobei – wenig überraschend – die Bibelorientierung ein inhaltliches Spezifikum der Religionsunterrichts-Lehrbücher ist. Auch wenn bisweilen biblische Themen eher assoziativ zu den einzelnen Fragestellungen zugeordnet scheinen, besteht diesbezüglich die Chance darin, profiliert die eigene Tradition in aktuelle Diskussionen einzubringen, wie es etwa im Blick auf den arbeitsfreien Sonntag in einzelnen Lehrbüchern geschieht. Darüber hinaus sind die Religionsunterrichtslehrbücher stärker von ethischen Wertungen mit dem Ziel einer Solidarisierung mit Schwachen und Benachteiligten sowie der Vermittlung individueller Beispielerzählungen, welche zur Empathie einladen, geprägt als die Ethiklehrbücher, die demgegenüber stärker faktenorientiert ausgerichtet sind.

29 30

Vgl. Das neue Kursbuch 9/10 (s.o. Anm. 24), 230–235. Vgl. LebensZeichen (s.o. Anm. 24), 114–121.

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3.3 Lehrmaterialien zu den Themenbereichen »Wirtschaft und Arbeit« in den Unterrichtsmaterialien der Sekundarstufe II Themen der Wirtschaftsethik finden sich in Lehrmaterialien des Ethikunterrichtes für die Sekundarstufe II vor allem im Bereich angewandter Ethik und im Horizont anthropologischer Fragestellungen. Ein Lehrbuch thematisiert explizit wirtschaftsethische Fragen als Beispiel angewandter Ethik, indem Grundfragen des Verhältnisses von Markt und Moral, die Bedeutung eines freien Wettbewerbes, Chancen der Fairness in der Marktwirtschaft am Beispiel von Fair-Trade-Initiativen oder auch eine Kritik des »homo oeconomicus« und der Rolle von Managern aufgezeigt werden.31 Auch in Texten zur Anthropologie findet sich die besondere Bedeutung der Arbeit für die Entwicklung des Menscheins, indem diesbezüglich Texte von Hegel, Marx, Arendt und Dahrendorf in Auszügen als Diskussionsimpulse dienen.32 Im Blick auf die Anthropologie finden sich durchaus ähnliche Texte auch in Religionsbüchern, wobei hier die Frage der Entfremdung in der Arbeitswelt, wie sie in der Tradition des Marxismus zu finden ist, aufgenommen und als Kontrast zur Bestimmung des Menschen thematisiert wird.33 Im Blick auf die Gerechtigkeitsfrage wird in den Religionsbüchern das Thema »Die Kirche und die Armen« besonders betont.34 In der neuesten Version des Kursbuches Religion für die Sek. II wird die Rolle der Kirchen als Anwalt der Armen noch stärker herausgearbeitet und es finden sich überwiegend kritische Texte zum gegenwärtigen Wirtschaftssystem,35 indem Fragen der Gerechtigkeit ausschließlich im Sinn der Verteilungsgerechtigkeit thematisiert werden. Im Rahmen der Anthropologie sowie des Schöpfungsverständnisses wird der biblische Herrschaftsauftrag in Spannung zur Gefährdung der Schöpfung genannt, wobei jedoch hier kaum explizite Bezüge zur Wirtschafts- und Arbeitswelt hergestellt werden.36 Generell finden sich in den Kursbüchern der Oberstufe eine recht kritische Sicht auf die Leistungsgesellschaft37 und eine skeptische Bewertung der wirtschaftlichen Entwick31

Vgl. Projekt Leben. Lehrwerk für Philosophie und Ethik in der Sekundarstufe II, erarbeitet von Eva Jelden u.a., Stuttgart 2009, 132–143. 32 Vgl. Zugänge zur Philosophie, erarbeitet von Lothar Aßmann u.a., Berlin 2004, 161–174. 33 Vgl. Kursbuch Religion. Oberstufe (s.o. Anm. 13), 169, 181. 34 Kursbuch Religion. Oberstufe (s.o. Anm. 13), 82f. 35 So wird mit einem expliziten Bezug zur Wirtschaftsethik lediglich Dorothee Sölle im Kursbuch Religion. Sekundarstufe II, hg. von Hartmut Rupp / Veit-Jakobus Dieterich, Stuttgart/Braunschweig 2014, 237 zitiert. 36 Vgl. hier insbesondere das etwas ältere Kursbuch Religion 11+. Ein Arbeitsbuch für die gymnasiale Oberstufe, hg. von Ulrich Kämmerer u.a., Stuttgart / Frankfurt a.M. 1995, 35–38, wo der Ökologie-Bezug allein durch einen im Blick auf die moderne Industriegesellschaft kritischen Cartoon hergestellt wird. 37 Ebd., 47.

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lung, speziell im Blick auf die Länder des Südens. Auch in anderen neuen Religionsbüchern der Sekundarstufe II ist diese Haltung dominant.38 Insgesamt lässt sich hinsichtlich der Kursbücher für die Sekundarstufe II eine durchgängig kritische Grundhaltung zur gegenwärtigen Gestaltung der Lebensbereiche von Arbeit, Wirtschaft und Technik aufzeigen, die weniger an deren Ambivalenzen interessiert zu sein scheint, als es in den Ethikunterrichtsmaterialien der Fall ist. Hier findet sich in einem Beispiel eine explizite Einheit »Wirtschaftsethik«, die auch Texte mit moralphilosophischen Überlegungen ökonomischer Klassiker aufnimmt. Eine solche Perspektive scheint in den Büchern des Religionsunterrichtes der Sekundarstufe II weitgehend zu fehlen. Während der unmittelbare Erfahrungsbezug und eine lebensweltliche Orientierung in den Lehrbüchern der Sekundarstufe I eine gewisse Stärke der untersuchten Religionsbücher zum Ausdruck bringen, ist dies in den hier herangezogenen Kursbüchern der Oberstufe weniger der Fall. Stattdessen dominiert eine sehr kritische Attitüde zum Lebensbereich Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund ist insbesondere im Blick auf die Sekundarstufe II zu fragen, inwieweit eine Stärkung wirtschaftsethischer Überlegungen sowohl in systematischer wie auch in lebensweltlicher Perspektive entwickelt werden kann. 4. Wirtschaftsethik als Dialog und Perspektiven einer möglichen Implementation in die Unterrichtspraxis Die Vermittlung basaler wirtschaftlicher Kenntnisse ist weder eine Aufgabe des Religions- noch des Ethikunterrichts, muss allerdings für die Behandlung wirtschaftsethischer Fragestellungen vorausgesetzt werden. Angesichts des sehr unterschiedlichen Angebots des wirtschaftskundlichen Unterrichts in einzelnen Bundesländern und Schulstufen könnte es daher eine sinnvolle Perspektive sein, Wirtschaftsethik eher als Dialogreihe im Rahmen von Projektwochen und/oder externen Veranstaltungen zu planen. Auf diese Weise lässt sich die jeweilige Eigenlogik von ökonomischen und ethischen Perspektiven exemplarisch thematisieren und Fragen der Vermittlung beider Sichtweisen diskutieren. Dadurch könnte ein basaler Wissenstransfer zwischen den Wirtschaftswissenschaften und der Ethik – speziell auch der theologischen Ethik – gelingen, um Schülern die Vielfalt von Beobachtungsperspektiven auf dieselben Phänomene der Lebenswelt zu verdeutlichen. Diese Vielfalt der Perspektiven darzustellen hat das Ziel, jeweils produktiv zu irritieren und neue Fragestellungen anzuregen. Durch Versuche einer wechselseitigen Ver38

Vgl. Moment mal! Evangelische Religion. Oberstufe, hg. von Bärbel Husmann / Rainer Merkel, erarbeitet von Imke Heidemann u.a., Stuttgart 2016, 138f.

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mittlung kann die Selbstreflexivität der jeweiligen Perspektive gestärkt werden.39 Auf diese Weise wird bereits in der Schule die Relevanz und Bedeutung von interdisziplinären wissenschaftlichen Dialogen verdeutlicht, wobei gleichzeitig unterschiedliche ethische Perspektiven – idealerweise in der Differenz von philosophischen und theologischen Ansätzen – diskutiert werden können. Ein solches Projekt sollte sich weniger auf theoretische Fragestellungen konzentrieren, sondern könnte beispielhaft ein in der Lebenswelt der Jugendlichen verankertes Handlungsfeld aufgreifen und dies analysieren. Exemplarisch ist hier an das weite Feld des Konsumentenverhaltens zu denken, das sich im Blick auf empirisch analysierbaren Verhaltensweisen – speziell von Jugendlichen – ebenso wie in seiner ökonomischen Relevanz und in seinen ethischen Gestaltungsperspektiven erörtern lässt. Ausgehend von einem solchen Beispiel lassen sich sodann auch die Grundfragen eines interdisziplinären Dialogs zwischen Wirtschaftswissenschaften und Ethik thematisieren. Für die Sekundarstufe I bietet es sich angesichts der Berufspraktika in diesen Jahrgangsstufen an, das Thema der Berufsorientierung und erste Erfahrungen in der Arbeitswelt zu vertiefen, wie es die in den Blick genommenen Unterrichtsmaterialien des Ethik- wie auch des Religionsunterrichts durchaus aufgreifen. Im Blick auf die Religionsbücher ist hier zu überlegen, ob die relativ starke Kritik an der Leistungsorientierung im Arbeitsleben und eine tendenziell skeptische Sicht auf die mit der Arbeitswelt verbundenen Einschränkungen der Lebensführung so stark in den Vordergrund gerückt werden sollten. Betrachtet man die jüngste Shell-Jugendstudie hinsichtlich der geäußerten Erwartungen von Jugendlichen an ihre Berufstätigkeit, wird eine erstaunlich positive Grundhaltung der Jugendlichen zur Arbeitswelt deutlich. Dabei spielen sowohl materielle wie auch postmaterielle Erwartungen eine wichtige Rolle.40 Diese offene Sichtweise auf die Arbeitswelt könnte in den Materialien des Religionsunterrichtes stärker integriert werden, ohne die Erfahrungen des Scheiterns oder die Erfahrungen von Randgruppen außer Acht zu lassen. Diese scheinen gegenwärtig jedoch in den Schulbüchern des Religionsunterrichtes eher überrepräsentiert zu sein. Demgegenüber könnte der Versuch, an den traditionellen lutherischen Berufsbegriff anzuknüpfen,41 eine Brücke darstellen, gehaltvolle theologisch-ethische Orientierungen mit der Lebenswelt der Jugendlichen zu vermitteln. 39

Vgl. zum Konzept der Wirtschaftsethik als einem interdisziplinär organisierten Dialog: Traugott Jähnichen, Wirtschaftsethik. Konstellationen – Verantwortungsebenen – Handlungsfelder, Stuttgart 2008, 100–109. 40 Vgl. Mathias Albert / Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, Jugend 2015 – eine pragmatische Generation im Aufbruch, hg. von der Dt. Shell Holding, Frankfurt a.M. 2015. 41 Vgl. Anika Füser / Gunther Schendel / Jürgen Schönwitz (Hg.), Beruf und Berufung. Wie aktuell ist das reformatorische Berufsverständnis?, Leipzig 2017.

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Ausblick Die Lebensführung von Menschen in der Gegenwart ist wesentlich auf die Erwerbsarbeit ausgerichtet. Eine Lebensführung ohne Integration in die Erwerbsarbeit ist für Erwachsene immer weniger vorstellbar und auch kaum wünschenswert. Dementsprechend zielen die Lebenserwartungen von Jugendlichen auf eine angemessene Form der Integration in die Erwerbsarbeit. Durch das Anwachsen des Dienstleistungssektors werden zudem immer mehr Tätigkeiten, die bis in die jüngste Gegenwart vorrangig durch die Familie im Bereich der Reproduktionsarbeit organisiert worden sind, zunehmend professionalisiert und in Erwerbsarbeit überführt. Ein Leben in der Erwerbsarbeit mit den entsprechenden wirtschaftlichen Einflüssen dürfte in der Zukunft eher eine noch größere denn eine geringere Rolle spielen. Somit ist es eine wesentliche Aufgabe der Schule, Jugendliche auf diese Lebenswelt vorzubereiten und in diesem Horizont sowohl die ethisch relevanten Konfliktfelder wie auch entsprechende Gestaltungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dies geschieht vor allem im Ethik- und Religionsunterricht, wobei beide Fächer ihre unterschiedlichen Perspektiven stärker profilieren könnten. Für die Bücher des konfessionellen Religionsunterrichtes besteht eine besondere Chance darin, die biblischen Traditionen reflektiert mit Fragen der Lebensführung in der modernen Welt zu vermitteln. Während in den Ethik- und Philosophielehrbüchern Bezüge auf die Bibel fast gänzlich fehlen, ist ein profilierter Ansatz in den Religionsunterrichtsmaterialien häufig gerade dort zu finden, wo es gelingt, biblische Überlieferungen und gegenwärtige Herausforderungen in einen sich wechselseitig inspirierenden Sinnhorizont zu stellen. Eine Stärkung dieser Perspektive könnte ein wesentlicher Impuls auch für die Weiterentwicklung wirtschaftsethischer Fragestellungen im Religionsunterricht sein, da nicht zuletzt auf diese Weise eine spezifische Differenz zur Thematisierung desselben Themenfeldes im Ethik- oder Philosophieunterricht markant hervortreten kann.

Positionen

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Der konfessionelle Religionsunterricht und das Fach »Werte und Normen« bzw. »Ethik«1 Das grundgesetzliche Gebot der Religionsfreiheit in der Schule Im Advent 2017 erlebte ein Gymnasium in Lüneburg bundesweit hohe mediale Aufmerksamkeit, weil sich die Schulleitung dazu entschlossen hatte, auf das Singen christlicher Weihnachtslieder im Unterricht zu verzichten und keine verpflichtende Weihnachtsfeier mehr durchzuführen. Eine muslimische Schülerin habe im Jahr zuvor daran Anstoß genommen, wurde als Begründung angegeben. Es hat in den letzten Jahren auch in anderen Schulen immer wieder Überlegungen gegeben, ob es noch angemessen sei, christliche Traditionen, die Teil unserer Kultur sind, angesichts der nicht-christlichen Mitglieder der Schulgemeinschaft weiter zu pflegen oder ob aus Rücksichtnahme gegenüber den religiösen Überzeugungen nicht-christlicher Schülerinnen und Schüler besser darauf verzichtet werden sollte. Die niedersächsische Landesschulbehörde hat unmissverständlich festgestellt, dass z.B. das Singen christlicher Weihnachtslieder oder Weihnachtsfeiern ihren Ort weiterhin an Schule haben und legitimer Teil des Unterrichts sind. Begründet wird dies mit dem Niedersächsischen Schulgesetz: »Die Schule soll im Anschluss an die Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler auf Grundlage des Christentums, des Europäischen Humanismus und der Ideen der liberalen, demokratischen und sozialen Freiheitsbewegung weiterentwickelt werden.«2 Zum kulturellen Gedächtnis und zum Bildungsauftrag der Schule gehört es damit, die Schülerinnen und Schüler mit den religiösen Traditionen des Christentums bzw. des christlichen Glaubens vertraut zu machen. Obwohl nicht nur das Niedersächsische Schulgesetz eindeutig das Christentum zur Grundlage schulischer Bildung erklärt, wird diese Grundlage in der gegenwärtigen Situation von Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern und Eltern punktuell immer wieder kritisch hinterfragt. Dabei stellt sich nicht nur in der Schule, sondern darüber hinaus gesamtgesellschaftlich die Frage, wie Schule und Gesellschaft mit dem kulturellen und religiösen Erbe ebenso wie mit der gegenwärtigen Ge1 Die einzelnen Bundesländer haben unterschiedliche Begriffe für das Alternativfach zum konfessionellen Religionsunterricht. Nur Niedersachsen spricht von »Werte und Normen«, in der Regel wird der Begriff »Ethik«, in manchen Bundesländern »Philosophie« gebraucht. Da hier vor allem die niedersächsische Situation in den Blick genommen wird, verwende ich zumeist den Begriff »Werte und Normen«. 2 NSchG § 2 Abs1, Satz 1.

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stalt des Christentums umgehen wollen, nicht zuletzt, ob beides auch öffentlich wahrnehmbar weiter gepflegt und entwickelt wird.3 Dies ist für das Verstehen des eigenen und insbesondere des europäischen Selbstverständnisses und der damit gegebenen kulturellen und politischen Bedingungen notwendig. Schule ist dabei ein zentraler Ort, an dem sich die immer stärker multikulturell und multireligiös werdende Gesellschaft deutlich widerspiegelt. So werden im Jahr 2020 voraussichtlich 54 % aller Schülerinnen und Schüler einen Migrationshintergrund haben, wodurch auch eine größere religiöse und weltanschauliche Vielfalt in die Schule hineintragen wird. Schule hat dadurch immer stärker die Aufgabe, sich der religiös und weltanschaulich heterogenen Schülerschaft aktiv und vor allem positiv zu stellen und die religiöse Vielfalt und Pluralität zur Geltung kommen zu lassen. Im Hinblick auf den Umgang mit den unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen ist Schule gegenwärtig von drei Faktoren geprägt: von einer heterogenen Schüler- und Lehrerschaft, von einer sich immer stärker als säkular verstehen wollenden Gesellschaft und zugleich von der immerwährenden Frage nach der Religion oder der Philosophie bzw. Weltanschauung, die bleibend Teil von Bildung ist. In der Schule ist eine kritische Auseinandersetzung mit religiösen und weltanschaulichen Fragestellungen unverzichtbar, nicht zuletzt für das Gelingen auch gesellschaftlichen Zusammenlebens. In dieser Situation hat das Land Niedersachsen zum Schuljahr 2017/2018 mit einem »Modellversuch Werte und Normen« an neun Grundschulen begonnen.4 Das Interesse an einer Teilnahme war von Seiten der Grundschulen deutlich höher, um der Qualität der Ergebnisse willen wurden aber nur solche Schulen ausgewählt, an denen bereits eine Lehrkraft mit der entsprechenden Fakultas,5 in der Regel erworben für das Lehramt an weiterführenden Schulen, unterrichtet. An allen weiterführenden Schulformen ist das Fach »Werte und Normen« eingeführtes Unterrichtsfach.6 Seit einer Schulgesetzänderung zum 1.8.2003 sind alle Schülerinnen und Schüler, die nicht am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen, dazu verpflichtet, am Unterricht »Werte und Normen« teilzunehmen, um so auch für diese Schülerinnen und Schüler 3

Exemplarisch dafür steht die gegenwärtig geführte öffentliche Diskussion, ob der Reformationstag in den norddeutschen Bundesländern zu einem gesetzlichen Feiertag werden soll. 4 Näheres s.u. www.mk.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/landwill-werte-und-normen-an-grundschulen-erproben--einjaehrige-erprobungsphase-startetzum-schuljahr-20172018-154338.html. 5 Weil das Fach »Werte und Normen« bisher nicht für die Grundschule eingeführt ist, gibt es in Niedersachsen bisher keinen entsprechenden Studiengang für den Primarbereich. 6 Siehe NSchG § 128.

Der konfessionelle Religionsunterricht und das Fach »Werte und Normen« bzw. »Ethik«

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einen in der Lebenswelt orientierenden und wertebildenden Unterricht vorzuhalten.7 In den Vorberatungen und der Anhörung zu dieser Schulgesetzänderung hat die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen dieser Einführung des Unterrichtsfaches »Werte und Normen« zugestimmt, weil sie die Notwendigkeit eines solchen Unterrichts anerkannte. Ein entscheidender Punkt für die Landesregierung, den Unterricht im Fach »Werte und Normen« bisher nicht an den Grundschulen einzuführen, war die breite Akzeptanz des Religionsunterrichts an Grundschulen auch bei nicht-christlichen Schülerinnen und Schülern bzw. deren Eltern. Eine hohe Akzeptanz ist bis heute gegeben, dennoch scheint es mittlerweile aufgrund der zunehmenden religiösen und weltanschaulichen Pluralität schulpolitisch angebracht, die Einführung von »Werte und Normen« auch in der Grundschule in den Blick zu nehmen. Dabei ist insbesondere der evangelische Religionsunterricht dezidiert offen für alle Schülerinnen und Schüler, auch wenn sie keiner Religion angehören. Wenn aber Eltern von Schülerinnen und Schülern explizit keine religiöse Bildung für diese wünschen, ist es nicht angemessen, dass kein anderer Unterricht stattfindet und diese Schülerinnen und Schüler eine Freistunde haben. In den weiterführenden Schulen, die das Fach »Werte und Normen« ab dem 5. Schuljahrgang anbieten, zeigt sich, dass weiterhin in nicht unerheblichem Maße Schülerinnen und Schüler, die einer nichtchristlichen Religion angehören oder religionslos sind, den konfessionellen Religionsunterricht, insbesondere den evangelischen, besuchen. Im Jahr 2004 hat die Synode der Hannoverschen Landeskirche in Übereinstimmung mit den anderen kirchenleitenden Organen der Landeskirche und den anderen evangelischen Kirchen in Niedersachsen einen Antrag von Lehrkräften zurückgewiesen, in dem die Landeskirche aufgefordert wurde, sich für das Fach »Werte und Normen« in Grundschulen gegenüber dem Land einzusetzen. Begründet wurde dies damit, dass es möglich sei, den konfessionellen Religionsunterricht in der Grundschule so weiter zu entwickeln, dass er die Situation von Schülerinnen und Schüler, die einer anderen Religion angehören oder religionslos sind, besser aufgreift und thematisiert.8 Die hannoversche Landeskirche hat dann 2013 im Rahmen einer synodalen Befassung mit dem Thema Religionsunterricht angeregt, gemeinsam mit dem Land zu prüfen, ob »Werte und Normen« nicht bereits mit Beginn von Klasse 1 an als Alternativfach zum Religionsunter7

Der Unterricht »Werte und Normen« ist genau wie der konfessionelle Religionsunterricht an einer Schule einzurichten, »wenn mindestens zwölf Schülerinnen oder Schüler zur Teilnahme verpflichtet sind« – so NSchG § 128, Abs. 1, Satz 3 bzw. § 124, Abs. 1. 8 Siehe Aktenstück Nr. 31 A der 23. Landessynode der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers vom 17.5.2004, 2.

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richt eingeführt werden sollte.9 Hintergrund für die Entscheidung der hannoverschen Landessynode, die wiederum übereinstimmt mit der Auffassung der anderen evangelischer Kirchen in Niedersachsen, ist ebenfalls die Überlegung, dass es gesellschaftlich erforderlich ist für alle Schülerinnen und Schüler, die keiner Religion angehören, für die ein Religionsunterricht eingerichtet ist, einen vor allem wertebildenden und Lebensorientierung eröffnenden Unterricht zu erteilen. Vor diesem Hintergrund hat die Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen den Modellversuch »Werte und Normen« an der Grundschule im Jahr 2017 bejaht.10 Ein Grund, sich offen gegenüber »Werte und Normen« in der Grundschule zu zeigen, liegt in der Erfahrung, die auch durch verschiedene empirische Studien zu Religionslehrkräften belegt ist, dass die heterogene Zusammensetzung der Schülerschaft den Religionsunterricht verändert. Lehrkräfte reagieren auf die sich ausdifferenzierende Schülerschaft gerade in einem für Schülerinnen und Schüler aller Religionen und Weltanschauung offenen evangelischen Religionsunterricht oftmals mit einer Zurücknahme einer dezidiert evangelischen bzw. christlichen Position. Dies gilt insbesondere für Lehrkräfte, die den Religionsunterricht fachfremd erteilen.11 In einer religiös und weltanschaulich heterogenen Situation wird das profilierte Unterrichten von einem klaren konfessionellen Standpunkt her sehr viel anspruchsvoller. Die Lehrkraft hat dabei die Aufgabe, sowohl interreligiöse Themen zu behandeln als auch aufgrund der religionslosen Schülerinnen und Schüler den Dialog zwischen Religionen und Weltanschauungen zu fördern. In dieser Situation ist es nach Auffassung der evangelischen Kirchen in Niedersachsen angemessen, eine Alternative zum konfessionellen Religionsunterricht an allen Schulformen vorzusehen, um auf der einen Seite den Religionsunterricht evangelisch profiliert unterrichten zu können und auf der anderen Seite im Unterricht »Werte und Normen« eine nicht konfessionsgebundene Einführung in die die Gesellschaft prägenden Wertvorstellungen und Normen vorzusehen. 9

S. Aktenstück Nr. 126 der 24. Landessynode der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers vom 25.10.2013, 9f. 10 S. Aktenstück Nr. 82A der 25. Landessynode der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers vom 1.10.2017, 7. 11 Bisher ist es in Niedersachsen möglich, Evangelische Religion auch dauerhaft fachfremd zu erteilen. Mit einer zum 1. Februar 2017 im Einvernehmen mit dem Land in Kraft getretenen Änderung der Vokationsgesetze der einzelnen Kirchen der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen ist es zukünftig für eine Lehrkraft nur noch möglich, drei Jahre Evangelische Religion fachfremd zu erteilen; vgl. § 4, Abs. 4 des in allen Kirchen der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen gleichlautenden »Kirchengesetzes über die kirchliche Bestätigung von Religionslehrkräften«, veröffentlicht im Kirchlichen Amtsblatt Hannover 5/2017, 164.

Der konfessionelle Religionsunterricht und das Fach »Werte und Normen« bzw. »Ethik«

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Damit wird insgesamt sowohl von politischer wie kirchlicher Seite anerkannt, dass beide Fächer schulisch unverzichtbar sind. Das Fach »Werte und Normen« ist Ausdruck der negativen Religionsfreiheit nach Artikel 4 GG und der konfessionelle Religionsunterricht Ausdruck der positiven Religionsfreiheit nach Artikel 7 GG.12 Um das damit verbundene Recht auf religiöse Bildung zu gewährleisten, ist der konfessionelle Religionsunterricht als einziges Unterrichtsfach grundrechtlich geschützt. Da der säkulare Staat eine religiöse Bildung nicht adäquat gewährleisten kann, wird er jeweils gemeinsam mit einer Religionsgemeinschaft verantwortet (res mixta).13 Bereits die EKD Denkschrift »Identität und Verständigung« von 199414 bewertet ein Alternativfach »Ethik« zum konfessionellen Religionsunterricht positiv: »Die Schülerinnen und Schüler sollen in der Schule die möglichen Gemeinsamkeiten zwischen Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen im Spannungsfeld klar erkennbarer Unterschiede und Gegensätze kennenlernen. Die unterrichtlichen Aufgaben bewegen sich zwischen Identität und Verständigung.«15 Dabei nimmt die Denkschrift eine grundsätzliche Verhältnisbestimmung zwischen beiden Fächern vor, die auch die Spannungen deutlich benennt.16 Sie geht davon aus, dass aus »bildungstheoretischen Gründen« wie aus »kirchlich pädagogischer Mitverantwortung« eine ethische Bildung und Erziehung in der Schule geboten ist.17 Um sowohl dem konfessionellen Religionsunterricht wie dem Fach Ethik in der Schule angemessen Raum und die notwendige Anerkennung zu verschaffen, regt die Denkschrift eine Fächergruppe an, in der der Religionsunterricht der verschiedenen Konfessionen (und Religionen) ebenso wie das Fach Ethik institutionell verankert sind.18 Diese Überlegungen greift im Jahr 2014 die neue Denkschrift »Religiöse Orientierung gewinnen«19 auf, unterstreicht die damals ge12

Vgl. dazu Kerstin Gäfgen-Track, Zur Zukunft des Religionsunterrichts aus einer evangelisch-kirchlichen Perspektive, in: Religionsunterricht – wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, hg. von Bernd Schröder, Neukirchen-Vluyn 2014, 125– 134, hier 130. 13 Art. 7, Abs. 3, Satz 1 GG gilt nach Art. 141 GG nicht für diejenigen Bundesländer, in denen am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Unbestritten gilt diese sogenannte »Bremer Klausel« für die Bundesländer Bremen und Berlin. 14 Vgl. Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland, hg. vom Kirchenamt der EKD im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 1994. 15 Ebd., 73 (Hervorhebungen im Original). 16 Siehe ebd., 73–81. 17 Ebd., 76. 18 Vgl. ebd., 79–81. 19 Vgl. Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der Evangelischen Kirche

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machten Aussagen, ordnet sie in den veränderten gesellschaftlichen und schulischen Kontext ein und benennt deutlich, dass das Verhältnis des Ethikunterrichts zum konfessionellen Religionsunterricht keinesfalls spannungsfrei ist und eine Zusammenarbeit nach dem Modell der »Fächergruppe« bundesweit eher die Ausnahme darstellt.20 »Ohne die deutlichen Unterschiede zwischen Religions- und Ethikunterricht zu verwischen, bleibt die Kooperation dieser Fächer wünschenswert. Sie bietet die Möglichkeit, beispielsweise religiöse und nicht-religiöse Aspekte zentraler Themen gemeinsam zu bearbeiten. Auf diese Weise können Vorurteile abgebaut sowie zusätzliche Lernchancen genutzt und kann insgesamt die Pluralitätsfähigkeit aller Schülerinnen und Schüler gestärkt werden.«21 Diese Überlegungen und die von beiden Denkschriften aufgezeigten Spannungen und Herausforderungen sind weiterhin aktuell. Schulisch ist immer wieder die Frage virulent, ob der konfessionelle Religionsunterricht noch einen Platz an Schule als ordentliches Lehrfach haben, oder ob er durch ein lebensorientiertes und wertebildendes Fach für alle Schülerinnen und Schüler ersetzt werden sollte. Sofort mit dem Bekanntwerden des Niedersächsischen Schulversuches »Werte und Normen an Grundschulen« wurden wieder diejenigen Stimmen laut, die forderten, den »Werte und Normen«-Unterricht in allen Schulformen für alle verpflichtend einzuführen und gleichzeitig den Religionsunterricht abzuschaffen.22 »Werte und Normen« wird in dieser Argumentation als zeitgemäßes, vernünftiges und für alle Schülerinnen und Schüler gemeinsames Fach angesehen. Weil Religion letztlich Privatsache sei, könne der Religionsunterricht nicht mehr als Pflichtfach für alle Schülerinnen und Schüler gelten und müsse die Trennung von Kirche und Staat auch in der öffentlichen Schule mit Bezug auf den Religionsunterricht umgesetzt werden. Dabei wird von den Vertreterinnen und Vertretern, die den Religionsunterricht aus der Schule drängen wollen, eine grundsätzliche Abwertung und Abgrenzung gegenüber Religion vorgenommen unter Berufung auf einen Aufklärungs- und Vernunftbegriff, der allerdings grundsätzlich zu hinterfragen ist. Das Brandenburgische Modell des Unterrichts »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde«, ein religionskundlicher Unterricht oder ein »Werte und Normen«-Unterricht für alle scheinen anders als der konfessionelle Religionsunterricht für Schule angemessener zu sein. Viele Schulleitungen und auch Schulvorstände begründen u.a. damit ihren Verzicht auf das Erteilen von konfessionelin Deutschland (EKD), hg. vom Kirchenamt der EKD im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Gütersloh 2014. 20 Vgl. ebd., 14, 26, 77f. und 88f. 21 Ebd., 101. 22 Diese Forderung erhebt seit Jahren massiv der Humanistische Verband.

Der konfessionelle Religionsunterricht und das Fach »Werte und Normen« bzw. »Ethik«

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lem Religionsunterricht – auch wenn dies gegen das Grundgesetz ebenso wie z.B. gegen das Niedersächsische Schulgesetz verstößt. Gegenwärtig ist deshalb der konfessionelle Religionsunterricht insbesondere im Bereich von Gesamtschulen, aber auch aufgrund der veränderten konfessionellen und religiösen Zusammensetzung an Ober- und Hauptschulen unter Druck. Dem ist das Recht auf religiöse Bildung und Erziehung entgegen zu halten. Der Religion in ihrer Eigenart kann nur ein konfessioneller Religionsunterricht Rechnung tragen. Eine nicht-religiöse Betrachtung, also eine religionswissenschaftliche oder religionskundliche Darstellung von Religion, wird einer Religion in ihrer Tiefe nicht gerecht, hierfür bedarf es eines spezifisch theologischen Zugangs. Der Versuch, einen Werteunterricht für alle zu entwickeln – und diesen Versuch unternehmen gegenwärtig ohne jegliche schulgesetzliche Grundlage durchaus immer wieder einzelne Schulen – oder, wie in Berlin, einen wertegebundenen Unterricht allein staatlich zu verantworten, negiert das Recht auf religiöse Bildung und Erziehung. Der Staat, der dieses Bestreben der Schulen toleriert, wird damit seinen eigenen säkularen Grundlagen nicht gerecht, zu denen ein positiver Umgang mit Religion und der Schutz der positiven Religionsfreiheit gehört. Schülerinnen und Schüler, die am konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen, haben Anspruch darauf, eine Form von religiöser Bildung zu erhalten, die ihnen die Teilhabe am Diskurs um die religiösweltanschaulichen Fragen und die Wahrheitsfrage insgesamt eröffnet. Beide Fächer, der konfessionelle Religionsunterricht ebenso wie das Fach »Werte und Normen« (bzw. Ethik) sind für das Gelingen schulischer Bildung notwendig und haben ein eigenständiges Recht in der Schule. »Werte und Normen« ist ein notwendiges werte- und lebensweltlich orientierendes Fach, aber »Werte und Normen« ist kein Fach für alle: »Werte und Normen« als verbindliches Fach für alle Schülerinnen und Schüler anzubieten und konfessionellen Religionsunterricht als zusätzliches Wahlfach einrichten, entspricht nicht dem Grundgesetz und dem darin verbürgten Recht auf positive Religionsfreiheit, zu dem das Angebot konfessioneller religiöser Bildung in Schule gehört.23 Das Verhältnis zwischen dem konfessionellen Religionsunterricht und dem Fach »Werte und Normen« kann angemessen nur eines auf Augenhöhe sein. Beide Fächer sollten klar voneinander unterschieden sein,24 zugleich die 23

Das Land Berlin, das dieses Modell eines Ethikunterrichts für alle und eines konfessionellen oder weltanschaulich gebundenen Unterrichts in Verantwortung einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft eingeführt hat, beruft sich dabei auf die sogenannte »Bremer Klausel« nach Art. 141. 24 Der Organisationserlass für den Religionsunterricht und den Unterricht Werte und Normen des Landes Niedersachsen regelt, dass eine Lehrkraft, die konfessionellen Religionsunterricht erteilt, nicht im selben Schuljahrgang gleichzeitig »Werte und Normen«

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Kerstin Gäfgen-Track

Zusammenarbeit suchen und auf Abgrenzungen oder gar Abwertungen verzichten. Beide gewinnen aus einer Erklärung und Anerkennung der jeweiligen Standpunkte und brauchen den wechselseitigen Respekt für den je eigenen Standpunkt. Dafür sind jeweils eine geklärte eigene Positionalität und die Wahrnehmung der unterschiedlichen Perspektiven mit ihrer philosophischen oder theologischen Grundlage zentral. Dies führt auch zu unterschiedlichen pädagogischen und didaktischen Ansätzen. Die in beiden Fächern auch gegebenen Gemeinsamkeiten, wie die Fragen der Wahrheit oder dem gelingenden Leben, sind zu erarbeiten und für den schulischen Kontext fruchtbar zu machen. Gemeinsame universitäre Lehrangebote, Zusammenarbeit in den Studienseminaren oder gemeinsam tagende Fachkonferenzen an den Schulen leisten dazu ebenso wie gemeinsame Unterrichtsprojekte einen entscheidenden Beitrag. Für den konfessionellen, hier evangelischen Religionsunterricht gilt es in dieser Situation, sehr profiliert die eigene Position zu bestimmen und zugleich den Dialog mit allen anderen Fächern zu pflegen. Insgesamt ist der Evangelische Religionsunterricht wissenschaftsbasiert, rechenschaftsfähig über den eigenen Glauben sowie pluralitätsfähig. Er gibt das kulturelle und religiöse Gedächtnis der Gesellschaft reflektiert an die Schülerinnen und Schüler weiter; ebenso Kenntnisse über andere Religionen und Weltanschauungen. Damit sind der Kompetenzerwerb und die Klärung der eigenen religiösen Identität der Religionslehrkraft sowie die Stärkung ihrer authentischen religiösen Sprachfähigkeit noch wesentlicher als bisher. Damit ist der konfessionelle Religionsunterricht gegenwärtig wieder stärker diskursiv auszurichten, zugleich gilt es aber zu bedenken, dass eine religiös- und weltanschaulich heterogene Schülerschaft im Religionsunterricht die Chance, dass dieser religiöse Erfahrungen eröffnet, kleiner werden lässt. Das Niedersächsische Schulgesetz weist dem Unterricht »Werte und Normen« folgende Aufgaben zu: »Im Fach Werte und Normen sind religionskundliche Kenntnisse, das Verständnis für die in der Gesellschaft wirksamen Wertvorstellungen und Normen und der Zugang zu philosophischen, weltanschaulichen und religiösen Fragen zu vermiterteilen kann. Darüber hinaus sollen Religionslehrkräfte nur dann »Werte und Normen« erteilen, »wenn ihr Einsatz im Religionsunterricht der eigenen Religionsgemeinschaft oder im konfessionell-kooperativen Religionsunterricht nicht erforderlich ist«, s. Regelungen für den Religionsunterricht und den Unterricht Werte und Normen, RdErl. d. MK vom 10.5.2011 – 33-82105 – Voris 22410, Nr. 7.2. Daran sollte unbedingt festgehalten werden, um der Profilierung und Unterscheidung beider Fächer willen. Es sollte das Ziel sein – und dies entspricht meiner Kenntnis dem Wunsch vieler Religionslehrkräfte –, dass eine Lehrkraft nicht beide Fächer unterrichtet.

Der konfessionelle Religionsunterricht und das Fach »Werte und Normen« bzw. »Ethik«

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teln.«25 Für den Unterricht »Werte und Normen« sind damit wie für den konfessionellen Religionsunterricht Positionalität und Dialogfähigkeit zugleich wesentlich. Auch für ihn sind eine wissenschaftsbasierte Arbeit sowie eine Anerkennung der weltanschaulich-philosophischen und religiösen Pluralität unverzichtbar. Dabei beruht der »Werte und Normen«-Unterricht auf den Erkenntnissen der Philosophie und der Religionswissenschaft. Eine größere Sensibilität im Umgang mit religiösen Themen wäre wünschenswert. »Zur Wahrung der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses verlangt der Unterricht im Fach Werte und Normen die weltanschauliche und religiöse Neutralität des Faches. Der gesetzliche Auftrag weist dem Fach zwar vergleichbare Fragestellungen, Probleme und Sachverhalte zu, wie sie auch im Fach Religion behandelt werden, doch ist die Behandlung hier ausdrücklich nicht an die Grundsätze einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft gebunden. Verbindliche Antworten können daher nur auf der Grundlage der verfassungsmäßigen und dem Bildungsauftrag entsprechenden, nicht aber weltanschaulicher und religiöser Prämissen gegeben werden.«26 Diese Verortung des Faches »Werte und Normen« kann eine gute Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem konfessionellen Religionsunterricht bilden. In einer sich immer stärker ausdifferenzierenden und komplexer werdenden Gesellschaft sind die Motivation zum Engagement, der gesellschaftliche Zusammenhalt und verbindliche Werte und Normen zentral für die konstruktive Gestaltung zukünftigen globalen Zusammenlebens. Schule hat die Aufgabe, einen entscheidenden Beitrag zur Persönlichkeitsbildung der einzelnen Schülerin bzw. des einzelnen Schülers zu leisten. Dazu gehört ein Bewusstsein der eigenen Verantwortlichkeit für das Gelingen des Zusammenlebens und die Bereitschaft, ethisch verantwortet das eigene Handeln ständig zu reflektieren. Hierzu leisten der konfessionelle Religionsunterricht und das Fach »Werte und Normen« einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Dabei gewinnen beide Fächer an hoher Überzeugungskraft, wenn es ihnen gelingt, die Unterrichtsziele, die sie teilen, auch zur Grundlage ihres Umgangs an den verschiedenen Orten der Begegnung zu machen. Dazu gehören Achtung und Toleranz, Respekt und Anerkennung ebenso wie Wertschätzung.

25 26

NSchG § 2, Abs 2. Werte und Normen. Kerncurriculum für das Gymnasium für die Schuljahrgänge 5 bis 10, hg. vom Niedersächsischen Kultusministerium, Hannover 2017, 6.

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Religionsunterricht und »Werte und Normen« Die Position der römisch-katholischen Bistümer in Niedersachsen

1. Einleitung Im Schuljahr 2017/18 gibt es im Land Niedersachsen einen Schulversuch, in dem das Fach »Werte und Normen« auch für die Grundschule eingeführt wird, und zwar erprobungshalber zunächst für zehn Grundschulen. Das Kommissariat der katholischen Bischöfe in Niedersachsen (Katholisches Büro) hat den Schulversuch ebenso begrüßt wie die Konföderation der evangelischen Landeskirchen. Bislang wurde das Fach »Werte und Normen« nur ab dem 5. Jahrgang angeboten. Zugleich wird öffentlich danach gefragt, ob die Ausdehnung des Ersatz- bzw. Alternativfaches »Werte und Normen« auf die Grundschule nicht langfristig eine Gefährdung des Religionsunterrichts, insbesondere in seiner konfessionellen Prägung, darstellen kann: − Wenn die Kirchenbindung schwindet, − wenn die Gruppe der Konfessionslosen wächst und inzwischen die zweitgrößte Gruppe darstellt, − wenn die Plausibilität für die konfessionelle Bindung des Religionsunterrichts verloren geht, − wenn mit »Werte und Normen« eine verlockende Option einer wertneutralen religiös-weltanschaulichen Bildung für alle besteht, − wenn ein solches Einheitsfach finanziell, personell und organisatorisch viel leichter zu handhaben ist, dann könnte es tatsächlich eine Versuchung sein, den Religionsunterricht durch sein Ersatzfach ersetzen zu lassen. Dieser Beitrag zeichnet chronologisch die Entwicklung des Verhältnisses von Religionsunterricht und »Werte und Normen« in Niedersachsen unter der Perspektive der katholischen Bistümer nach. Dabei werden verschiedene gesetzliche Wegmarken als strukturierendes Merkmal genutzt, ebenso wie programmatische Schriften der katholischen Kirche, die selbstverständlich immer auch unmittelbare Bedeutung für den niedersächsischen Rahmen haben. Dabei zeigt sich, dass sich im Laufe der letzten ca. 60 Jahre die Aufgaben und das Zueinander der Fächer entwickelt und weiterentwickelt haben und dass beide Fächer in spezifischer Weise sinnvoll und begründbar sind.

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2. Das Gesetz über das öffentliche Schulwesen (1954) Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland regelt in den Grundrechten unter anderem das Recht auf Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG). Weil Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz des Staates stehen, legt es fest, dass in erster Linie den Eltern das Recht auf die Erziehung ihrer Kinder zukommt (Art. 6 Abs. 2 GG). Außerdem regelt das Grundgesetz die Schulfrage sowie die Frage des Religionsunterrichts (Art. 7 GG). Der Religionsunterricht ist gem. Art. 7 Abs. 3 GG ein ordentliches Lehrfach. Zugleich kann man sich aber vom Religionsunterricht abmelden. 1954 verabschiedete der Landtag des Landes Niedersachsen ein Schulgesetz, das die Vereinheitlichung des niedersächsischen Schulwesens zum Hauptziel hatte. In der Mitte der fünfziger Jahre »waren die Beziehungen zwischen katholischer Kirche und Landesregierung auf einem Tiefpunkt angelangt«.1 Die Vereinheitlichung des Schulwesens durch die Einführung der Gemeinschaftsschule und das Zurückdrängen der Bekenntnisschule führte zu einer schulkampfartigen Konfliktlage zwischen der katholischen Kirche und dem Land Niedersachsen. Der Hildesheimer Bischof Machens verfasste ein Hirtenwort zum Schulkampf, das am 3. Oktober 1954 in allen Predigtgottesdiensten des Bistums Hildesheim zu verlesen war.2 Dieser Schulkampf der fünfziger Jahre konnte erst durch den Abschluss des Niedersachsenkonkordates im Jahre 1965 beigelegt werden. Selbstverständlich war es das Bestreben des niedersächsischen Gesetzgebers, die Vorgaben des Grundgesetzes in das Schulgesetz aufzunehmen. Deshalb sah der § 5 des Schulgesetzes von 1954 vor, den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen einzurichten, ihn in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilen zu lassen, die Freiwilligkeit der Lehrkräfte sicherzustellen sowie die Entscheidungsgewalt der Erziehungsberechtigten bzw. der religionsmündigen Schüler über die Teilnahme am Religionsunterricht zu sichern. Die SPD forderte in der Diskussion zur Verabschiedung des neuen Gesetzes, einen Unterricht einzurichten, der für diejenigen Schülerinnen und Schüler gelten sollte, die sich vom Religionsunterricht abmelden.3 1 Julius Seiters, Das Bistum Hildesheim und die katholischen Schulen in den Jahren 1945–1975, in: Julius Seiters / Franz Hagemann / Manfred Köhler, Bildung und Glaube als Verpflichtung und Auftrag. Katholische Schulen und Bischöfliche Schulverwaltung im Bistum Hildesheim seit 1945, Hildesheim 2002, 9–56, hier 16. 2 Thomas Scharf-Wrede / Jörg-Dieter Wächter (Hg.), Einblicke. 1200 Jahre Bistum Hildesheim in Quellen, Hildesheim 2014, 321f. 3 Gesetz über das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen vom 14. September 1954, Band 1. Landtagsdrucksachen. Stenographische Berichte. Beratungsvorlagen. Zusammengestellt vom Büro des Niedersächsischen Landtages, Antrag 1507 vom 23. Juni 1954.

Religionsunterricht und »Werte und Normen«

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Damit trug die SPD der Tatsache Rechnung, dass der Bildungsauftrag der öffentlichen Schule für alle gilt und inhaltlich auf das Christentum und die europäisch-abendländische Kultur Bezug nimmt. Die SPD argumentierte im Kultusausschuss, dass ohne ein Ersatzfach die Belange der Schülerinnen und Schüler, die sich vom Religionsunterricht abmelden, nicht angemessen berücksichtigt werden. Denn abgemeldete Schüler kommen nicht im gleichen Umfang in den Genuss eines sinn- und wertevermittelnden Unterrichts wie die Schülerinnen und Schüler, die am Religionsunterricht teilnehmen. Ohne einen Unterricht in religiösen und weltanschaulichen Fragen drohe eine Bildungslücke.4 Hier habe sowohl das Land einen öffentlichen Bildungsauftrag wie auch jeder einzelne Schüler ein Recht auf religiös-weltanschauliche Bildung. In das Schulgesetz von 1954 wurde dieser den Religionsunterricht ersetzende Unterricht tatsächlich eingefügt. Der entsprechende § 5 sieht in Abs. 6 folgendes vor: »Für Schüler, die am Religionsunterricht nicht teilnehmen, ist vom fünften Schuljahr an religionskundlicher Unterricht als ordentliches Lehrfach einzurichten. Er ist durchzuführen, wenn mindestens zwölf Schüler dazu angemeldet werden.« Damit nimmt auch der religionskundliche Ersatzunterricht auf die Zahl 12 Bezug, die für die Einrichtung von Religionsunterricht für Minderheiten gilt. Außerdem unterscheidet diese Vorgabe zwischen der Einrichtung des Faches und der Durchführung des Faches. Es gilt Teilnahmefreiheit und dieser religionskundliche Unterricht ist somit kein Pflichtfach, sondern ein Anmeldefach. Den Protokollen des Kultusausschusses aus dem Jahre 1954 lässt sich entnehmen, dass man inhaltlich Religionskunde für die angemessene Alternative zum Religionsunterricht hielt. Das Problem der Bezugswissenschaft löste man, indem auf die Religionssoziologie und Religionspsychologie verwiesen wurde. Außerdem war man zuversichtlich, dass ambitionierte Lehrkräfte mit den Fächern Deutsch und Geschichte sich in diese Thematik würden einarbeiten können. Im Schulgesetz von 1954 ging es tatsächlich vor allem um Fragen der Schulstruktur, so dass dem Religionsunterricht und dem Ersatzfach seitens der katholischen Bistümer nur wenig Beachtung geschenkt wurde. 3. Das niedersächsische Schulgesetz (1974) Im Jahr 1974 wurde das niedersächsische Schulgesetz novelliert. Diesmal nahm das Katholische Büro im Namen der niedersächsischen Bistümer ausführlich Stellung zu den geplanten Veränderungen. In der 4

Niederschrift über die 79. Sitzung des Kultusausschusses am 11. August 1954, 8, in: ebd., Band 2.

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Stellungnahme5 geht es zunächst um allgemeine Fragen sowie um Schulfragen. Außerdem wird darauf aufmerksam gemacht, welche Bedeutung für die katholische Kirche das elterliche Erziehungsrecht hat. Dann kommt die Stellungnahme auf den Religionsunterricht zu sprechen. Ausdrücklich wird ein gemeinsamer Religionsunterricht für mehrere Bekenntnisse ausgeschlossen und zurückgewiesen. Nicht nur ein interkonfessioneller Unterricht, sondern ausdrücklich auch ein konfessionellkooperativer Religionsunterricht wird für unvereinbar mit den Vorgaben des Heiligen Stuhls sowie der Auffassung der Deutschen Bischofskonferenz gehalten. Der verpflichtende Ersatzunterricht hingegen stellt nach Auffassung der Bistümer kein rechtliches Problem dar. Allerdings verweist die Stellungnahme darauf, dass dieses Ersatzfach in religiöser und weltanschaulicher Neutralität zu erteilen ist. An dieser Stelle kommt eine interessante Wendung ins Spiel: Weil die freireligiöse Landesgemeinschaft, eine Vorläuferorganisation des Humanistischen Verbandes, im Jahr 1970 als Körperschaft öffentlichen Recht einen Staatsvertrag mit dem Land Niedersachsen abgeschlossen und darin deutlich gemacht hatte, dass sie einen religionskundlichen Unterricht eingerichtet wissen wollte, hielten die katholischen Bistümer ein solches Fach für nicht weltanschaulich neutral und verlangten, ein den Religionsunterricht ersetzendes Fach als Unterricht in philosophischer Anthropologie oder als Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes einzurichten. Die Stellungnahme der Bistümer wies daraufhin, dass die freireligiöse Landesgemeinschaft mit dem von ihr geforderten religionskundlichen Unterricht nicht nur auf die eigenen Mitglieder zielte, sondern auch auf andere Personen, die sie mit werbendem Interesse freireligiös-humanistisch unterrichten wollte. Daraus leiteten die katholischen Bistümer den Umstand ab, dass dieser religionskundliche Unterricht jedenfalls nicht weltanschaulich und religiös neutral abgehalten wurde. Deshalb sei unbedingt darauf zu achten, dass ein verpflichtender Ersatzunterricht weltanschaulich und religiös neutral sei. Ausdrücklich betonte die Stellungnahme, dass die Absicht der Einführung eines verpflichtenden Ersatzunterrichts begrüßt wird. Das Ersatzfach wurde fortan »Werte und Normen« genannt. Der religionskundliche Unterricht bestand zunächst weiterhin. 4. Der Religionsunterricht in der Schule (Synodenbeschluss 1975) Der Beschluss der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Titel »Der Religionsunterricht in der 5

Stellungnahme des Kommissariats der katholischen Bischöfe in Niedersachsen zu dem Vorentwurf eines Niedersächsischen Schulgesetzes (Stand: Mai 1973), internes Archiv.

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Schule« (1975)6 stellt eine weitsichtige und bis heute wegweisende Neufassung des Selbstverständnisses und Konzeptes eines schulischen Religionsunterrichts dar. Der in diesem Text grundgelegte Religionsunterricht ist ökumenisch, dialogisch, wissenschaftsorientiert sowie schülerorientiert. Er hat ein klares Bewusstsein von der Bedeutung des Prinzips der Konfessionalität, ohne dieses auf konfessionalistische Positionen engzuführen. Der von der Synode konzipierte Religionsunterricht ist ein schlüssiger Vorläufer eines heutigen offenen und pluralitätssensiblen Konzeptes. Das Ersatzfach erwähnt der Beschluss zweimal. Er befürwortet die Möglichkeit der Schülerinnen und Schüler, sich vom Religionsunterricht abzumelden. Die Gründe dafür vermutet er in einer kritischen Haltung gegenüber Autoritäten und darin, dass Heranwachsende ihre existenziellen Fragen im Religionsunterricht nicht angemessen beantwortet finden könnten. In jedem Fall aber wird die Möglichkeit zur Abmeldung vom Religionsunterricht als klare Benachteiligung empfunden. Deshalb passt es ins Bild, wenn der Synodenbeschlusstext am Ende der Ausführungen noch einmal die »Einführung eines Unterrichtsfaches, das alle Schüler besuchen, die am Religionsunterricht nicht teilnehmen«7 begrüßt. Der Synodenbeschluss verlangt allerdings, dass in diesem Ersatzfach »Sinn- und Wertfragen« gestellt und sachgerecht beantwortet werden.8 In dem Text heißt es weiter: »Durch ein solches Fach werden Unzuträglichkeiten gemildert, die sich aus der Sonderstellung eines Faches mit Abmeldemöglichkeit ergeben. Die Einführung eines solchen Faches trägt wesentlich dazu bei, dass die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme am Religionsunterricht Gewissensentscheidung ist und Kollektivdruck vermindert. Sie erleichtert es auch, sachgerechte Anforderungen an die Leistungen der Schüler im Religionsunterricht zu stellen.«9 Damit wird deutlich, dass der Synodenbeschluss den konfessionellen Religionsunterricht konsequent in den Rang eines regulären und ordentlichen Unterrichtsfaches heben will. Dazu gehört strukturell, dass Schüler sich der Beschulung in diesem Fach nicht entziehen können. Dem Recht auf Bildung seitens der Schüler entspricht der Auftrag und der Anspruch des Staates, den Schüler mit den Inhalten zu bekannt zu machen, die der Gesetzgeber für sinnvoll und erforderlich hält. Deshalb kann insbesondere bei einer weltanschaulich und religiös neutralen Gestaltung eines Unterrichtsfaches der Gesetzgeber zweifellos eine Unterrichtspflicht einführen. Die strukturelle Gleichbehandlung des Religions6

Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Der Religionsunterricht in der Schule. Ein Beschluss der Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1975. 7 Ebd., 41. 8 Ebd., 41. 9 Ebd., 41f.

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unterrichts und eines Ersatzfaches unter gleichzeitiger Berücksichtigung des Rechtes auf Religionsfreiheit ermöglicht so die Erfüllung des Bildungsauftrages, wie es z.B. das Niedersächsische Schulgesetz in § 2 vorsieht. 5. Die Schulgesetznovelle von 1993 Das Niedersächsische Schulgesetz wurde 1993 novelliert. Im Zuge diese Novellierung erhielt das Fach »Werte und Normen« den Status eines ordentlichen Lehrfaches. Außerdem wurde der religionskundliche Unterricht abgeschafft. Damit bereinigte das Land die Fächerlandschaft und schuf die klare Alternative von konfessionellem Religionsunterricht und dem Fach »Werte und Normen«. Beide Fächer wurden in unterschiedlichen Paragrafen im Schulgesetz geregelt. Die katholischen Bistümer sahen damals darin eine Aufwertung des Faches »Werte und Normen«, was begrüßt wurde. Gern hätte man es gesehen, wenn die Bezeichnung des Faches nunmehr auch »Ethik« gelautet hätte, wie es in anderen Bundesländern durchaus üblich war und ist. Die Katholische Kirche bot auch ihre Unterstützung an, die Modalitäten der Erstausbildung und Weiterbildung zu diesem neuen ordentlichen Unterrichtsfach zu erarbeiten. Es wurde allerdings auch darauf hingewiesen, dass sich in den Schulen eine Praxis etablierte, die den Unterricht in »Werte und Normen« nicht als Ersatz für abgemeldete Schülerinnen und Schüler interpretierte, sondern darin ein dem Religionsunterricht gleichberechtigtes Wahlpflichtfach erblickte. Tatsächlich gab es wohl auch Schulen, in denen der »Werte und Normen«-Unterricht den Religionsunterricht gleich komplett ersetzte. Aus pragmatischen Gründen wurde der Unterricht in »Werte und Normen« mancherorts faktisch zum Einheitsfach mit geringem organisatorischem Aufwand. Eine konfessionelle Bindung bestand nicht, so dass das Fach vermeintlich ein für alle Schülerinnen und Schüler zumutbarer Unterricht wurde. Seitens der betroffenen Eltern und Schüler waren nur dann Einwände zu erwarten, wenn sie über ein ausgeprägtes konfessionelles Bewusstsein verfügten. Im Ergebnis stellt ein Einheitsfach für das Land immer auch eine Möglichkeit dar, Lehrerstunden einzusparen. Und wenn man die Konsequenzen weiterdenkt, ergeben sich hier ebenfalls Fragen für die Ausstattung der universitären Lehrerbildung. 6. Die bildende Kraft des Religionsunterrichts (1996) In den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Konfessionalitätsprinzip des Religionsunterrichts immer stärker hinterfragt. Die konfes-

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sionelle Bindung erschien vor dem Hintergrund einer sinkenden Identifikation vieler Menschen mit ihrer Herkunftskonfession in aktualisierte Form begründungsbedürftig. Deshalb legte die Deutsche Bischofskonferenz in einer vielbeachteten Publikation mit dem Titel »Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts« (1996)10 die katholische Position umfassend dar. In gewisser Weise antwortete sie damit auch auf die protestantische Denkschrift »Identität und Verständigung«, die seitens der EKD im Jahr 1994 herausgegeben wurde. Darin setzte die evangelische Seite den Akzent auf die Pluralitätserfahrung der Religionslehrerinnen und Religionslehrer, während die katholische Schrift den Religionsunterricht in ökumenischer Offenheit und in bewusstem Umgang mit den Herausforderungen der Gesellschaft und der Schule doch deutlich an das konkrete kirchliche Bekenntnis zurückbindet. Ein kleiner Absatz darin widmet sich auch dem Ersatzfach zum Religionsunterricht.11 Mit Bezug auf den Synodenbeschluss wird positiv wird gesehen, dass der Ersatzunterricht sich inzwischen zum »grundständigen Schulfach von Gewicht«12 entwickelt habe. Auch das religionsdemografische Argument taucht hier auf, nämlich der Hinweis auf die wachsende Zahl derer, die z.B. keiner Religionsgemeinschaft angehören. Die Bischöfe nehmen Bezug auf den Bildungsauftrag der Schule, wenn sie anmerken: »Die hohe Bedeutung von Sinn- und Wertfragen erforderte die verbindliche Teilnahme dieser jungen Menschen an einem qualifizierten Unterrichtsfach, in dem diese Fragen systematisch und zusammenhängend thematisiert werden.«13 Zugleich wird aber auch eine gehörige Skepsis deutlich, die sich auf die inhaltlichen Grundlagen und die Zielsetzung des Ersatzfaches bezieht. Der Unterricht in »Werte und Normen« kann sich eben lediglich auf die »Grundaussagen des Grundgesetzes« stützen sowie auf die »allgemein ethischen Grundsätze, wie sie im Erziehungs- und Bildungsauftrag der jeweiligen Verfassungen und Schulgesetze der Länder niedergelegt sind«.14 Die Stärke des Religionsunterrichts besteht demgegenüber in der Möglichkeit, sich auf eine konkrete geschichtlich sichtbare Entfaltung seines Inhalts sowie auf eine verweistaugliche Praxis religiöskirchlichen Lebens zu beziehen. »Die grundlegende Differenz beider Fächer liegt in der Art und Weise, nach Gott zu fragen und die Welt zu deuten. […] Das Fach [scil. »Werte und Normen«] soll den Religionsunterricht in seiner weltdeutenden und sinnstiftenden Funktion ersetzen, 10

Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts, Bonn 1996. 11 Ebd., 73ff. 12 Ebd., 73. 13 Ebd., 73. 14 Ebd., 74.

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ohne dabei eine bestimmte Weltanschauung verkünden zu dürfen.«15 Es fehlt dem Ersatzunterricht also konzeptionell an Positionierungsmöglichkeiten. Damit kann er seiner eigentlichen Aufgabe, nämlich Positionierungen der Schülerinnen und Schüler anzubahnen, nicht gerecht werden. Die katholischen Bischöfe sahen hierin seit je her ein gewichtiges Argument für den konfessionellen Religionsunterricht, der grundsätzlich eine Positionierung der Lehrkraft nicht nur bejaht, sondern sie sogar erwartet. Neben der Skepsis, die die Bischöfe dem Ersatzfach entgegenbringen, erklären sie aber auch die Bereitschaft der Kirche, an der Gestaltung des Ersatzfaches mitzuwirken. Der Grund ist, dass beide Fächer eben nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich miteinander verbunden sind. 7. Der RU vor neuen Herausforderungen (2005) Die erste Dekade des neuen Jahrtausends brachte nicht nur die Auswirkungen der PISA-Untersuchungen zur Geltung, sondern veränderte in diesem Kontext auch die konkrete Situation der Schulen. Viele Bundesländer begannen, die Schulen in zweierlei Hinsicht umzugestalten: sie wurden in eine neue Form der Eigenverantwortlichkeit gestellt und zugleich wurde durch externe Evaluation bzw. die Schulinspektion die Wirksamkeit der Arbeit der Schulen überprüft. Die gesellschaftlichen Herausforderungen wurden außerdem in der abnehmenden Kirchenbindung sowie in der zunehmenden religiösen und weltanschaulichen Pluralität gesehen. Auf diese veränderte Situation in Schule und Gesellschaft wollten die Bischöfe knapp zehn Jahre nach der »bildenden Kraft« reagieren und eine konkretisierte Aufgabenbeschreibung formulieren, die den »Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen«16 in den Blick nahm. Die Aufgaben des Religionsunterrichts werden in drei Hauptbereichen gesehen: Der Religionsunterricht soll strukturiertes und lebensbedeutsames Grundwissen über den Glauben vermitteln, mit Formen des gelebten Glaubens vertraut machen und die religiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit fördern.17 Die Bischöfe verdeutlichen damit, dass der Religionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach ist, in dem es etwas zu lernen gibt, das non scholae sed vitae gelehrt und gelernt wird. Religiöses Lernen ist im Kontext der Schule ohne die kognitive Grundstruktur nicht sinnvoll denkbar. Zugleich ist dieses Lernen bezogen auf die Deutung von existenziellen Situationen des menschlichen Lebens. Der Ver15 16

Ebd., 74. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, Bonn 2005. 17 Ebd., 18.

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weis auf die Formen gelebten Glaubens erinnert an den Bezug zur konkreten und sichtbaren Kirche, ohne die der Glaube formlos und haltlos wäre. Die erlebbare Gemeinschaft der Glaubenden und die reiche und inspirierende Tradition der Kirche stellen den lebenspraktischen Bezugspunkt des Religionsunterrichts dar. Erinnerung und Nachfolge, die zentralen Kategorien christlichen Lebens, sind auf die Gemeinschaft und Weggenossenschaft der Glaubenden verwiesen. Die dritte, antifundamentalistische Bestimmung der Aufgabe des Religionsunterrichts versteht sich für die moderne Schule eigentlich von selbst. Sie betont, dass einerseits der Wahrheitsanspruch nicht aufgegeben werden darf, andererseits die Suche nach Wahrheit immer nur zu vorläufigen Ergebnissen kommen kann, die wiederum auf den rationalen, mit Argumenten unterfütterten Dialog angewiesen sind. Der Bezug zum Ersatzfach kommt in dieser Schrift nur sehr implizit vor. So weisen die Bischöfe mehrfach darauf hin, dass die Formulierung des Synodenbeschlusses unverändert Bestand hat: Bereits die Einleitung zitiert die Synode, wenn sie daran erinnert, dass es im Religionsunterricht »nicht nur um ein Bescheidwissen über Religion und Glaube«18 geht. Das wiederholt sich ebenso in der Aufgabenbestimmung.19 Dabei kommt es darauf an, dass der Religionsunterricht eben nicht »nur« eine Kunde ist, die den Anspruch hat, wertneutral und sachlich die Schülerinnen und Schüler über Sachverhalte zu informieren, sondern dass der Religionsunterricht positioniert ist und aus einer Teilnehmerperspektive heraus gestaltet wird. Implizit wird hier sehr deutlich wiederholt, was schon in der »bildenden Kraft« formuliert wurde: Ein wertorientierendes und sinnstiftendes Fach kann nicht durch eine wertneutrale und sinnenthaltsame Form des Unterrichts gewährleistet werden. Während der wertneutrale Unterricht in »Werte und Normen« möglicherweise in der subjektiven (und nicht gering zu schätzenden) Authentizität der Lehrkraft gipfelt, bleibt der Religionsunterricht ein »Ort des ernsthaften Ringens um Wahrheitserkenntnis«.20 So gesehen geht der Religionsunterricht einen Schritt weiter als der bloß kundliche Unterricht in »Werte und Normen«. 8. Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts (2016) Die konzeptionelle Auseinandersetzung mit dem Religionsunterricht hat sich immer auch mit einem zentralen Aspekt beschäftigt, der ihn inhaltlich, organisatorisch und rechtlich von allen anderen Fächern unter18 19 20

Ebd., 18f. unter Verweis auf Bischofskonferenz, Beschluss (s.o. Anm. 6), Abs. 2.5.3. Herausforderungen, 19, 24 und 29. Ebd., 28.

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scheidet, nämlich mit der konfessionellen Bindung. Für das Ersatzfach ist das insofern von Bedeutung, als manche Befürworter des Unterrichts in »Werte und Normen« vorschlagen, man können dieses Fach doch als ein Modell für einen Religionsunterricht für alle sehen, frei von konfessionellen Vorgaben und Verpflichtungen. Der vermeintliche Vorteil liegt auf der Hand: Klassen und Lerngruppen müssen nicht neu in konfessionell homogene Gruppen sortiert werden, der Lehrereinsatz wird vereinfacht und die Inhalte sind dann identisch. Administrativ, personell, finanziell und im Hinblick auf inhaltliche Anforderungen ist ein solcher Religionsunterricht für alle attraktiv. Deshalb haben sich die Kirchen immer auch mit der konfessionellen Bindung des Religionsunterrichts auseinandergesetzt und immer neu und aktualisiert begründet, weshalb es sinnvoll und erforderlich ist, an diesem Prinzip festzuhalten. Schon die »bildende Kraft« formulierte eine umfassende bildungstheoretische und theologische Begründung der Konfessionalität. Nunmehr legten die deutschen Bischöfe Empfehlungen vor, die sich mit der Kooperation des katholischen und evangelischen Religionsunterrichts befassen und damit auch zukunftsweisende Aussagen treffen.21 Zwar hat es in verschiedenen Bundesländern auf unterschiedlichen Ebenen Versuche gegeben, die Kooperation zwischen den konfessionellen Fächern zu regeln, aber dass die Bischöfe hierzu programmatisch und nicht nur organisatorisch Stellung nehmen, ist zweifellos neu und geschieht hier erstmalig. In dieser Schrift ist wieder expliziter vom Ersatzfach und vom Verhältnis des Religionsunterrichts zum Alternativfach die Rede. Die Bischöfe beschreiben Möglichkeiten der Kooperation und grenzen den konfessionellen Religionsunterricht sowohl von einem übergreifenden christlichen Religionsunterricht wie auch von multireligiösem oder religionskundlichen Unterricht ab.22 Die Veränderungen in der Religionsdemografie sind der Ausgangspunkt, um die besondere Situation des Religionsunterrichts zu beschreiben. Dabei wird zur Kenntnis genommen, dass sich der Ersatzunterricht im Bereich Ethik oder (wie in Niedersachsen) »Werte und Normen« als ordentliche Alternative zum Religionsunterricht didaktisch etabliert hat und eine wachsende Zahl von Kindern und Jugendlichen daran teilnimmt.23 Während die »bildende Kraft« noch davon sprach, dass der Religionsunterricht und der Unterricht »Werte und Normen« bzw. Ethik gemeinsame Grundlagen haben, setzt die jüngste Schrift den Akzent etwas 21

Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht, Bonn 2016. 22 Ebd., 14. 23 Ebd., 18.

Religionsunterricht und »Werte und Normen«

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anders. In erster Linie befürwortet sie die Kooperation mit dem evangelischen Unterricht. Das gemeinsame Christusbekenntnis bildet die Grundlage für einen kooperierenden Unterricht, für die Teilnahme von Schülern der jeweils anderen Konfession und für die ausdrücklich gewollte ökumenische Offenheit. Davon grenzt der Text die Kooperation mit anderen Religionsgemeinschaften ab, die sich nicht auf eine gemeinsame Grundlage im Bekenntnis stützen kann, sondern auf der Grundlage der Konzilserklärung Nostra aetate erfolgt.24 Eine besondere Möglichkeit zur Zusammenarbeit mit dem Ersatzfach wird nicht eigens ausgeführt, ist aber auch nicht Thema oder Schwerpunkt der Empfehlungen. Insofern wird die Kooperation nicht ausgeschlossen, dürfte aber eher in Analogie zur Kooperation mit sonstigen Fächern zu verstehen sein, wenn es etwa in den Bereichen Kunst, Musik, Deutsch oder Geschichte zu kooperativen Projekten oder Unterrichtsphasen kommt. 9. Fazit Die katholische Kirche in Deutschland und die katholischen Bistümer in Niedersachsen haben die Einführung eines ordentlichen Ersatz- und Alternativfaches für den konfessionellen Religionsunterricht immer gefordert, begrüßt und für richtig und sinnvoll gehalten, ungeachtet der konzeptionellen Bedenken, die man an die vermeintliche Wertneutralität dieses Faches anmelden kann. Die Bereitschaft zur Mithilfe und Unterstützung der didaktischen Profilierung bestand und besteht ebenfalls. Die Position der Bistümer war und ist durch die Überzeugung bestimmt, dass alle Heranwachsenden ein Recht auf religiöse und weltanschauliche Bildung haben. Ohne eine schulisch unterstützte und geförderte Bildung in diesem wichtigen Sachbereich wäre ein Verständnis des Gemeinwesens gar nicht angemessen zu erreichen. Außerdem ermöglicht die Schule so, eine dialogische und pluralitätsfähige, zugleich auf Argumenten und rationaler Nachvollziehbarkeit beruhende Verständniskultur zu entwickeln. Dass damit auch eine gewisse Abwehr fundamentalistischer und antidemokratischer Strukturen erhofft wird, liegt auf der Hand. Schulische Bildung zielt auf den mündigen und handlungsfähigen Bürger. Ohne eine fundierte und kritische Auseinandersetzung mit Religion und mit der eigenen existenziell relevanten Haltung dazu wäre schulische Bildung aus Sicht der katholischen Kirche eine verkürzte Bildung. Sowohl im Hinblick auf die Erteilung des konfessionellen Religionsunterrichts (positive Religionsfreiheit) als auch des Unterrichts in 24

Ebd., 30.

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Jörg-Dieter Wächter

»Werte und Normen« (negative Religionsfreiheit) geht es um die Ermöglichung eines umfassenden und praktisch werdenden Weltverständnisses. So deutlich die Bistümer in Niedersachsen die demografische Entwicklung sehen und berücksichtigen, so sehr muss man anerkennen, dass Religion in ihrer auch kirchlichen Ausprägung faktisch zu den wirkmächtigsten Realitäten gehört. Die öffentliche Schule muss sich diesem Modus der Weltaneignung unterrichtlich widmen, wenn sie ihrer Verantwortung ernsthaft gerecht werden will.

Gesine Fuß

Das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht aus der Sicht des Fachverbands Ethik

»In einer weltanschaulich und moralisch heterogenen und dynamischen Gesellschaft müssen allgemein akzeptierte ethische Haltungen immer wieder neu gefunden werden.«1 Ziel der Ethikfächer ist unter anderem die Herausbildung ethischer Empfindungs-, Urteils- und Handlungsfähigkeit, um auf ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben in dieser Gesellschaft vorzubereiten. Um aus Sicht des Fachverbands Ethik e.V., der Berufsvertretung der Ethiklehrerinnen und -lehrer in Deutschland, das Verhältnis von Ethikund Religionsunterricht und das der betreffenden Lehrkräfte zu betrachten, gilt es, verschiedene Bereiche zu beleuchten. Stark geprägt wird das Verhältnis von institutionellen Unterschieden, was den Status der Lehrkräfte und die rechtliche Stellung der Fächer anbetrifft. Bei der Erstellung der Bildungspläne in den verschiedenen Bundesländern und in Bezug auf die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer gibt es ebenfalls Unterschiede, die das Verhältnis beeinflussen. Schließlich treffen aber Religions- und Ethiklehrer mit den oben genannten Voraussetzungen in den Kollegien gemeinsam auf eine Schulorganisation und auf Schülerinnen und Schüler. Wenn im Folgenden vom Fach Ethik oder von Ethik-Unterricht die Rede ist, sind Fächer wie »Werte und Normen«, »Philosophieren mit Kindern« oder »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde« etc., trotz spezifischer Unterschiede, mitgemeint. 1. Rechtliche und Institutionelle Unterschiede »Aufgrund historischer Entwicklungen und Erfahrungen gibt es eine Sonderstellung des Faches Religionslehre. Es ist seit Ende der 1940er Jahre im Grundgesetz und in vielen Landesverfassungen festgeschrieben. Zugleich gilt eine besondere Verpflichtung der Religionslehrkräfte gegenüber ihrer jeweiligen Religionsgemeinschaft, wie die ›Missio‹ bzw. die ›Vocatio‹, so dass sie einer schulexternen Bindung unterliegen.2 Kein 1 Erfurter Erklärung – Positionen und Forderungen des Fachverbands Ethik (2003), www.fachverband-ethik.de (abgerufen am 11.10.2017). 2 Vgl. hierzu etwa Art. 136.2 der Verfassung des Freistaates Bayern.

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Gesine Fuß

anderes Fach hat diesen expliziten juristischen Status. Im konfessionellen Religionsunterricht an der Schule wird eine aktive, kundige Teilnahme am religiösen Leben der jeweiligen Religionsgemeinschaft – und darüber hinaus am sozialen Leben der gesamten Gesellschaft – angebahnt und gefördert. […] Traditionell vorherrschend wird Katholische oder Evangelische Religionslehre an den Schulen unterrichtet. An diesem Unterricht nehmen jeweils die katholischen bzw. evangelischen SchülerInnen teil.«3 Das ist folgerichtig, wenn man die folgende Einschätzung des Verfassungsgerichts von 1998 betrachtet: »Er [der Religionsunterricht, G.F.] ist keine überkonfessionelle vergleichende Betrachtung religiöser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, historisierende und relativierende Religionskunde, Religions- und Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist vielmehr der Bekenntnisinhalt, nämlich die Glaubenssätze der jeweiligen Glaubensgemeinschaft. Diese als bestehende Wahrheiten zu vermitteln, ist seine Aufgabe.«4 Ob ein »andersgläubiges« Kind in diesen Unterricht aufgenommen wird, entscheidet nach einem Antrag der Eltern folgerichtig nicht die Schule, sondern die jeweilige Religionsbehörde. »Abgesehen von Religionslehre sind die Länder bei der Erstellung eines schulischen Fächerkanons weitgehend frei. […] Absprachen z.B. im Rahmen von Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz berühren diese Freiheit nicht grundsätzlich.«5 Auch der Ethik-Unterricht ist in den meisten Bundesländern gesetzlich verankert. »Schülerinnen und Schüler, die an keinem staatlich getragenen konfessionellen Unterricht teilnehmen, müssen – wenigstens theoretisch – ein ›Ersatzfach‹ namens ›Ethik‹ besuchen. Dass in mehreren Ländern stattdessen von ›Wahlpflichtfach‹ die Rede ist, ändert nichts an der grundsätzlichen Sonderstellung des Faches Ethik. Daher ist jeweils auch das Ethik-Fach anders als die anderen Unterrichtsfächer in der Regel in den Landesgesetzen normiert. Das ist eine Besonderheit. In keinem Landesgesetz ist explizit festgelegt, dass die Kinder in Mathematik zu unterrichten seien oder in Deutsch.«6 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil zum Ethikunterricht vom 17. Juni 19987 in Auszügen folgende Feststellungen und richterliche Festlegungen zum Ethik-Unterricht getroffen:

3

Werner Fuß, Der Ethik-Unterricht in der Schule. Ziele, Begründungen, Methoden und Hoffnungen, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 53 (2009), 286–289, hier 287. 4 Peter Kriesel / Gesine Fuß / Klaus Goergen / Achim Jung / Gerhard Weil / Martina Wentzkat, Denkschrift zum Ethikunterricht. Zwischen Diskriminierung und Erfolg, o.O. 2016, 19. Vgl. www.fachverband-ethik.de (zuletzt abgerufen am 8.10.2017). 5 Fuß, Ethik-Unterricht in der Schule (s.o. Anm. 3), 287. 6 Fuß, Ethik-Unterricht in der Schule (s.o. Anm. 3), 287f. 7 BVerwG 6 C 11.97.

Das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht aus der Sicht des Fachverbands Ethik

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»1. Die Schüler im Religionsunterricht, über deren Teilnahme nach Artikel 7 Absatz 2 des Grundgesetzes die Eltern bzw. die religionsmündigen Schüler frei entscheiden, haben hinsichtlich der Unterrichtseinheiten eine Mehrbelastung im Verhältnis zu jenen Schülern, die an einem Religionsunterricht – aus welchen Gründen auch immer – nicht teilnehmen. 2. Diese mithin von Verfassungswegen hingenommene Ungleichheit hinsichtlich der Zahl von Unterrichtseinheiten erlaubt dem Gesetzgeber hingegen nicht, diese mit der Teilnahme am Religionsunterricht verbundene Belastung durch allein die Zahl der Unterrichtseinheiten ausgleichende Maßnahme für andere Schüler aufzuheben. 3. Entscheidet sich der Landesgesetzgeber dafür, die nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Schüler mit zusätzlichen Unterrichtsstunden zu belasten, so ist er folglich in der Wahl seiner dazu eingesetzten Mittel nicht gänzlich frei. Er muss das Gebot der Neutralität wahren. Das bedeutet: Der Gesetzgeber darf weder positiv noch negativ auf die Wahl der Teilnahme am Religionsunterricht Einfluss nehmen. 4. Eine in diesem Sinne unstatthafte Einflussnahme läge vor, wenn der Gesetzgeber den Schülern anstelle des Religionsunterrichts ein diesem Fach nach dem Lehrplan nicht gleichwertiges ›Ersatzfach‹ zur Pflicht machen würde. 5. Das wäre nicht nur dann der Fall, wenn es sich hierbei um ein Pflichtfach handelte, das thematisch völlig andere Erziehung- und Bildungsziele verfolgt. Nichts Anderes müsste gelten, wenn anstelle des Religionsunterrichts ersatzweise eine curricular nicht gleichwertige Unterrichtung als eine Art – wie der Kläger zu 1 meint – ›zweitklassige Beschäftigungstherapie‹ zur Pflicht gemacht würde.«8 Eine Befragung der Unterrichtsministerien, die der Fachverband Ethik im Schuljahr 2014/15 durchgeführt hat, zeigt, dass auch 15 Jahre nach diesem Urteil nicht in allen Bundesländern der Unterricht in dieser Hinsicht angemessen organisiert ist. Betrachtet man die Art und Weise, wie Ethikunterricht eingeführt wurde, dann muss festgestellt werden, dass es offenbar weniger um die Werteerziehung aller ging. Eher mag man mutmaßen, ein weltanschaulich neutraler Unterricht namens Ethik sollte verhindern, dass Schülerinnen und Schüler keinen Religionsunterricht besuchen wollen, weil sie dadurch länger in der Schule bleiben müssen. Außerdem spukt in vielen Köpfen bis heute das Vorurteil herum, dass Familien, die nicht religiös gebunden sind, keine Wertvorstellungen haben und deshalb keine Werte vermitteln, so dass diese Kinder zum Ausgleich in der Schule der be8

Kriesel u.a., Denkschrift zum Ethikunterricht (s. o. Anm. 4), 3f.

228

Gesine Fuß

sonderen Unterweisung bedürfen. Dies schlägt sich, wie wir unten sehen werden, auch in den Lehrplänen nieder. Tatsache ist aber, dass heute der konfessionelle Religionsunterricht nicht mehr für alle Schüler die Werteerziehung abdecken kann. Dies zeigen die Ergebnisse der Shell-Studie. Religiöse und weltanschauliche Überzeugungen Jugendlicher 20159: »Es gibt einen persönlichen Gott.«

26 %

»Ich glaube nicht, dass es einen persönlichen Gott oder eine überirdische Macht gibt.«

27 %

»Es gibt eine überirdische Macht.«

21 %

»Ich weiß nicht richtig, was ich glauben soll.«

24 %

Religiöse 12–25-Jährige

47 %

Nichtreligiöse 12–25Jährige

51 %

2. Ausbildung und Bildungspläne »Ethik-Lehrkräfte sind explizit dem Grundgesetz verpflichtet, aber zugleich gehalten, kein ›geschlossenes Weltbild‹ zugrunde zu legen, sondern einer ›Pluralität der Weltanschauungen‹ Rechnung zu tragen.«10 Im Berliner Schulgesetz, das allerdings durch den Ethikunterricht für alle eine Ausnahme bildet, sind Inhalte und Ziele klar genannt: »Ziel des Ethikunterrichts ist es, die Bereitschaft und Fähigkeit der Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer kulturellen, ethnischen, religiösen und weltanschaulichen Herkunft zu fördern, sich gemeinsam mit grundlegenden kulturellen und ethischen Problemen des individuellen Lebens, des gesellschaftlichen Zusammenlebens sowie mit unterschiedlichen Wert- und Sinnangeboten konstruktiv auseinander zu setzen. Dadurch sollen die Schülerinnen und Schüler Grundlagen für ein selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Leben gewinnen und soziale Kompetenz, interkulturelle Dialogfähigkeit und ethische Urteilsfähigkeit erwerben.«11 Das, was für den Religionslehrer Bindung an die Kirche und ihre Lehre ist, ist für den Ethiklehrer die Pflicht, neutral zu bleiben, ohne auf Werte insbesondere des Grundgesetzes zu verzichten. Dies ist ein Zwiespalt, 9 Shell Deutschland Holding (Hg.), Jugend 2015 – eine pragmatische Generation im Aufbruch, Frankfurt a.M. 2015, 23. 10 Fuß, Ethik-Unterricht in der Schule (s.o. Anm. 3) ,287. 11 Schulgesetz für das Land Berlin § 12 Abs. 6.

Das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht aus der Sicht des Fachverbands Ethik

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der sich auf den ersten Blick zeigt. Ist das in der Erziehung überhaupt denkbar? Ist Erziehung nicht per se ein Stück weit Indoktrination und insofern nicht neutral?12 Muss sich der Ethiklehrer bzw. die -lehrerin also darauf beschränken, den Meinungsaustausch der Schülerinnen und Schüler ohne Kommentar zu moderieren? Die Überlegungen gehen so weit, dass darüber nachgedacht wird, ob ein Lehrender seine eigene Religiosität verheimlichen muss, wenn er Ethik unterrichtet. Schließlich gibt es zumindest in Bayern die Regelung, dass eine Lehrkraft an einer Schule nicht sowohl Ethik als auch Religionsunterricht erteilen darf. Es zwar möglich und bisweilen nötig, dass eine Lehrkraft sich stark zurücknimmt, jedoch ist fraglich, ob man persönliche Einstellungen um jeden Preis verbergen muss. Wichtiger scheint ein wertschätzender Umgang miteinander, der aber durchaus zulässt, die Meinung eines anderen zu kritisieren. Obwohl die Rolle des Ethiklehrenden aus oben dargestellten Gründen eine besondere Professionalität erfordert, liegt die Ausbildung der Ethiklehrkräfte in vielen Bundesländern im Argen oder wird – wie wir in Bayern derzeit hoffen dürfen – Jahrzehnte nach der Einführung des Faches für alle Schularten endlich eingerichtet. Besonders ›neidisch‹ sind wir Ethiklehrer und -lehrerinnen deshalb auf die Religionslehrenden, die mit Professionalität punkten können. Nach Angaben der Kultusministerien aus dem Schuljahr 2014/15 unterrichteten mehr als zwei Drittel der Ethiklehrerinnen und -lehrer fachfremd13 – für den Religionsunterricht undenkbar. Während die Kirchen eine starke und gut organisierte Lobby für den Religionsunterricht sind und es seit Jahrzehnten eine etablierte Lehrerbildung gibt, fühlen sich Ethiklehrende häufig ohne Unterstützung. Die Kultushoheit der Länder sorgt dafür, dass sich keiner so recht zuständig fühlt, daran etwas zu ändern. Studiengänge an den Hochschulen zu etablieren, ist besonders schwierig für ein Ethik-Fach, das nicht nur Philosophie, sondern ebenso Soziologie, Psychologie, Religionskunde und, je nach Jahrgangsstufe, Medizin, verschiedene Naturwissenschaften und Wirtschaftswissenschaften als Bezugswissenschaften hat. Ohne fundierte Ausbildung eine so heterogene Lerngruppe wie man sie im Ethikunterricht vorfinden zu unterrichten, erfordert viel Eigeninitiative. Wird dann noch in Rechnung gestellt, dass – weil ja häufig keine Fachausbildung vorhanden ist – jedes Jahr andere Lehrer dazu verpflichtet werden, da sie zufällig einen Stundenüberhang haben, dann wird die Lage noch prekärer. Es herrscht Einverständnis darüber, dass sowohl Ethikunterricht als auch Religionsunterricht der Werteerziehung gelten. Dies lässt sich auch an den Bildungsplänen der Länder ablesen. Problematisch hingegen ist, dass in den Lehrplankom12 Vgl. Rolf Roew und Peter Kriesel, Einführung in die Fachdidaktik des Ethikunterrichts, Bad Heilbrunn 2017, 33 und 47f. 13 Vgl. dazu Kriesel u.a., Denkschrift zum Ethikunterricht (s.o. Anm. 4), 11.

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missionen für Ethik häufig die Religionspädagogen in der Überzahl sind. Man argumentiert damit, dass es ja sonst keinen gäbe, der sich mit diesen Themen beschäftigt habe, außerdem gibt es in praktisch allen Ethiklehrplänen Bereiche, die sich mit Religionen befassen. Dabei ist aber zu beachten, dass es sich im Ethikunterricht nicht um Theologie oder Religionsphilosophie, sondern um Religionskunde handelt. Die eigentlich vernünftige Überlegung, dass Lehrpläne in Katholischer und Evangelischer Religionslehre und Ethik in gewisser Weise aufeinander abgestimmt werden sollten, treibt bisweilen sonderbare Blüten, wenn z.B. Schülerinnen und Schüler aus der Ethikgruppe die Kompetenz erwerben sollen über das Gottesbild in ihren Familien zu berichten, wie es 2013 noch in einer Anhörfassung zum Lehrplan plus in Bayern hieß. Ebenso fragwürdig ist es, wenn im Religionsunterricht in der Primarstufe die Umwelt als Schöpfung betrachtet und geschützt werden soll, sich die Gleichaltrigen im Ethikunterricht aber mit den Problemen der Atomkraft zur Energiegewinnung auseinandersetzen müssen. 3. Zusammenleben in der Schule Um den Religionsunterricht und parallel Ethikunterricht durchzuführen, bedarf es an den Schulen vor allem besonderer organisatorischer Maßnahmen. Dafür wird jeweils der Klassenverband aufgelöst, oder aber es werden in Einzelfällen sogar »Bekenntnis-Klassen« gebildet, auch wenn das seitens der Kultusbehörden eher nicht gewünscht ist. Die Mindest- und Höchstgruppengröße für Ethikgruppen ist in der Regel denen für Religion angepasst. Die prozentualen Anteile der Ethikschüler schwanken an Grundschulen zwischen 4,9 % (Hessen) über 16,3 % (Bayern) bis 80,9 % (Sachsen-Anhalt) – während es an Realschulen 26 % (Hessen) und an Gymnasien 13,9 % (Rheinland-Pfalz), über 25,9 % (Hessen) und 70 % (Sachsen-Anhalt) sind.14 In Ballungszentren ist jedoch mit deutlich höherem Anteil von Ethikschülern zu rechnen. Dementsprechend kann es, vor allem an kleinen Schulen, notwendig sein, eine jahrgangsübergreifende Gruppe zu bilden. Damit ist aber ein Angebot für alle Schülerinnen und Schüler zur gleichen Zeit nicht mehr unbedingt zu organisieren. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass an einigen Schulen den Eltern, die Ethikunterricht wünschten, bereits im Vorfeld »gedroht« wurde, ihr Kind werde Nachmittagsunterricht und vormittags Freistunden haben, beaufsichtigt in einer anderen Klasse. Viele wählten dann zu Gunsten ihres Kindes den geringeren Widerstand und die einfachere Betreuung. Sie beantragten die Aufnahme in den Religionsunterricht. 14

Vgl. Kriesel u.a., Denkschrift zum Ethikunterricht (s.o. Anm. 4), 6 und 10.

Das Verhältnis von Ethik- und Religionsunterricht aus der Sicht des Fachverbands Ethik

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Zu Recht waren die Ethik- und auch einige Religionslehrkräfte mit dieser Situation nicht besonders glücklich. Andererseits sorgte die Bereitschaft der Eltern, ihr Kind – auch wenn sie selbst keiner Kirche verbunden waren – in den (meist evangelischen) Religionsunterricht zu schicken, dafür, dass in München die evangelischen Gruppen so groß waren, dass jahrgangsübergreifender Unterricht nicht notwendig wurde. Immer wieder erlebt man auch, dass z.B. Schülerinnen und Schüler in der 3. Jahrgangsstufe aus Katholischer Religion in Ethik wechseln. Während der Vorbereitung auf die Erstkommunion müssen sich die Schüler ohne Bekenntnis als Außenseiter fühlen. Ein starkes Argument für den Antrag auf eine Aufnahme in den Religionsunterricht scheint zu sein: Man möchte den Kleinen das ›Anderssein‹ nicht zumuten. So erklärt sich, dass die Schülerzahlen in Ethik dann mit dem Übertritt in eine weiterführende Schule unerwartet ansteigen. Eine Tatsache, die sowohl Ethikals auch Religionslehrer bedenklich stimmen sollte. Es geht bei diesen Entscheidungen eben nicht um Religion. Wenn Eltern über einen parallel angebotenen gleichwertigen Unterricht besser informiert sind, müsste die Anzahl der Anträge zurückgehen. Die meisten Lehrenden fühlen sich im Ethikunterricht stark gefordert. Ethikgruppen sind in der Regel sehr heterogene Gruppen. Hier treffen Schüler und Schülerinnen zusammen, die teils sehr religiös erzogen werden, z.B. strenggläubige Muslime oder Zeugen Jehovas, und teils aus bewusst nicht religiös geprägten Elternhäusern stammen. Gerade an den Grundschulen ist zusätzlich das Niveau der sprachlichen Kompetenz extrem unterschiedlich. Weiter problematisch bleibt das Auflösen des Klassenverbandes, gerade für den Unterricht, der sich gezielt mit Werten und dem Zusammenleben der Menschen befasst. Kompensieren kann man das nur teilweise mit enger Zusammenarbeit zwischen allen Lehrkräften und dem wohlfeilen Bildungsplan-Trick, Werteerziehung zum Unterrichtsprinzip zu erklären. Schon die Schüleraussage »die in Ethik / die in Religion meinen dies oder das« erschwert, diese Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Da ist es weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn an unserer Schule seit Jahren die Ethikkinder in der Zeit, die die anderen Kinder und Lehrer in mehrmals jährlich stattfindenden ökumenischen Gottesdiensten verbringen, Unterrichtstunden erhalten, die wenigstens teilweise mit den Themen der Gottesdienste abgestimmt sind. Schon personell ist es oft nicht anders möglich, als die Ethikkinder mit einer Stillarbeit unter Aufsicht zu »parken«. Wer soll sonst mit den anderen den 20minütigen Weg in die Kirche zurücklegen? Ebenso kommt dabei immer wieder die Frage auf: Dürfen Ethikkinder in den Gottesdienst mitgehen und sich das »anschauen«? Darüber entscheiden in der Regel die Eltern. Genaugenommen müsste man aber auch überlegen, ob das im Sinne der Religionslehrer ist. Ich persönlich bin froh,

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Gesine Fuß

dass ich alle Schülerinnen und Schüler, die in einem Ethikangebot parallel zum Gottesdienst bei mir sind, zur Mitarbeit verpflichten kann. Es gibt bei mir keine unbeteiligten Zuschauer. Wenn es um das Thema Islam geht, bitten die Religionslehrenden oft, dass Schülerinnen und Schüler aus der Ethikgruppe im Religionsunterricht über ihren Glauben berichten. Nicht selten gibt es in einer Ethikgruppe aber nur ein bis zwei muslimische Kinder. Umgekehrt nutzen Ethiklehrende, wenn Schülerinnen und Schüler im Krankheitsfall eines Religionslehrers in der Ethikgruppe mitbetreut werden, das Wissen der Religionsschüler. Problemlos ist es möglich, sie am Unterricht richtig teilnehmen zu lassen. Das ist offiziell so geregelt. Ethiklehrer sind ja von Haus aus zu weltanschaulicher Neutralität und zur Vermittlung zwischen verschiedenen Weltanschauungen verpflichtet. Gelingt so ein Austausch, merken wir, wie sehr die christliche Position normalerweise im Ethikunterricht in den Diskussionen fehlt. Es ist und bleibt ein Unterschied, ob eine Schülerin oder ein Schüler eine Position einbringt oder die Lehrkraft darauf hinweist, dass ein katholischer/evangelischer Christ das so sehen würde. Der Schule fällt die Aufgabe zu, einen wirksamen Beitrag nicht nur zu Bildung und Erziehung zu leisten, sondern auch zur Integration Jugendlicher aus unterschiedlichen Weltanschauungen und Kulturen. Diese muss im Austausch miteinander und nicht eingeteilt in Gruppen hinter verschlossenen Türen gelebt werden.

Peter Tauber

Die Zukunft des Religions- und Ethikunterrichts in der Schule und deren gesellschaftliche Relevanz aus Sicht der CDU Deutschlands Unser Land und unsere Gesellschaft verändern sich beständig – auch mit Blick auf die religiösen Bekenntnisse. Die Zahl derjenigen, die sich zum katholischen und evangelischen Glauben bekennen, sinkt, während es mehr Konfessionslose oder Muslime gibt. Auch deshalb diskutieren wir immer wieder, was unser Land ausmacht und was uns zusammenhält. Dem konfessionellen Religionsunterricht wächst dabei eine entscheidende Rolle zu, wie die CDU-Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, zuletzt beim Diözesanempfang in Würzburg im Januar 2017 betonte. Der Religionsunterricht werde »in unseren heutigen Zeiten eher wichtiger als weniger wichtig«, betonte die Kanzlerin. Wir alle würden von Voraussetzungen leben, »die wir selber nicht schaffen können, sondern die in unserer Geschichte, in unseren Überzeugungen, unserem Glauben begründet sind und die uns dann auch in die Zukunft tragen und die uns ein Stück weit aus der Ichbezogenheit herausführen. Unsere freiheitliche Grundordnung stellt ja ab auf eine Freiheit, die immer auch in Verantwortung auf den anderen gedacht ist. Und deshalb halte ich gerade auch Religionsunterricht für außerordentlich wichtig.«1 Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sichert den Bürgerinnen und Bürgern in Artikel 4 die »Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses« zu. Zur Ausübung der Religionsfreiheit gehört es, dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als ordentliches Lehrfach stattfindet (Art. 7 Abs. 3 GG) und in »Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« erteilt wird. Zugleich verpflichtet das Grundgesetz den Staat auf Neutralität in Weltanschauungsfragen, sodass Religionen und Weltanschauungen frei konkurrieren dürfen. Vor diesem Hintergrund tritt die CDU Deutschlands in ihrem Grundsatzprogramm »Freiheit und Sicherheit« dafür ein, »dass konfessioneller Religionsunterricht in allen Ländern zum Kanon der Pflichtfächer zählt. Neben dem evangelischen und katholischen Religionsunterricht soll bei Bedarf auch Unterricht in anderen Religionen in deutscher

1

Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Diözesanempfang in Würzburg am 23. Januar 2017. www.bundeskanzlerin.de (zuletzt eingesehen am 15.9.2017).

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Peter Tauber

Sprache mit in Deutschland ausgebildeten Lehrern und unter staatlicher Schulaufsicht angeboten werden.«2 Konkreter heißt es im Leipziger Parteitagsbeschluss »Bildungsrepublik Deutschland«: »Der bekenntnisorientierte katholische, evangelische, orthodoxe und jüdische Religionsunterricht muss weiterhin im Fächerkanon der Schulen verankert sein. Er kann nicht einfach durch andere Unterrichtsinhalte wie Philosophie oder Ethik ersetzt werden. Der Religionsunterricht vermittelt nicht nur ein Wertegerüst für das Miteinander in unserem Zusammenleben, sondern er bietet auch Hilfen bei der persönlichen Lebensgestaltung. Zugleich stärkt er die Fähigkeit, mit Menschen anderer Religionen ins Gespräch zu kommen und die eigene Herkunft und Tradition zu reflektieren. Auf der Basis des Grundgesetzes treten wir für islamischen Religionsunterricht für die Schülerinnen und Schüler islamischen Glaubens an unseren Schulen ein. Er wird in deutscher Sprache mit in Deutschland ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern und unter deutscher Schulaufsicht erteilt.«3 Aus Sicht der CDU Deutschlands gehört es zu den Aufgaben des konfessionellen Religionsunterrichtes, den Schülerinnen und Schülern Werteorientierung zu vermitteln und – mit Blick auf Sinnfragen wie »Was ist der Sinn des Lebens?«, »Woher kommt das Leid?«, »Was kommt nach dem Tod?«, »Existiert Gott?« – wichtige Anregungen für die eigene Meinungsbildung zu geben. Zudem befähigt er sie dazu, sich auf der Basis eines eigenen Standpunkts mit Andersgläubigen über religiöse Fragen auszutauschen und zu verständigen. Dabei schützt die vernunftbasierte Auseinandersetzung mit Religion die jungen Menschen vor falschen Absolutheitsansprüchen, wie sie etwa in Sekten, Psychogruppen und fundamentalistischen Strömungen zum Ausdruck kommen. Entsprechend dem Religionsverständnis des Grundgesetzes müssen die Bundesländer – bis auf Berlin, Brandenburg und Bremen – Religionsunterricht als Pflichtfächer anbieten. Hierbei handelt es sich um die bewusste Hereinnahme der dem Staat vorausliegenden religiösen Kraft in die Schule. Dieser Anspruch an den konfessionellen Religionsunterricht gilt unabhängig von der Zahl der Schülerinnen und Schüler, die ihn besuchen. Zugleich wird so die weltanschaulich-religiöse Neutralität des Staates gesichert, denn er muss sich mit keiner Religion identifizieren. Diese Gefahr bestünde jedoch, wenn es Ethikunterricht in der umfassenden Verantwortung des Staates gäbe. Wie die deutschen Bi2 In: Freiheit und Sicherheit. Grundsätze für Deutschland. Das Grundsatzprogramm. Beschlossen vom 21. Parteitag Hannover, 3.–4. Dezember 2007, 34. www.cdu.de/grund satzprogramm (zuletzt eingesehen am 15.9.2017). 3 In: Bildungsrepublik Deutschland. Beschluss des 24. Parteitages der CDU Deutschlands vom 13.–15.11.2011 in Leipzig, 21. www.kas.de/wf/doc/15879-1442-1-30.pdf (zuletzt eingesehen am 15.9.2017).

Die Zukunft des Religions- und Ethikunterrichts

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schöfe in ihrer Erklärung zum Religionsunterricht betonten: »Grundwerte und öffentliche Moral können und dürfen nicht vom Staat selber legitimiert werden. Wenn er das tut, dann wird er totalitär, weil er sich selber mittels Propaganda die Akzeptanz verschaffen muß, die er braucht. So ist gerade der moderne Staat auf Religion angewiesen.«4 Insofern wurde mit der Einführung des Faches »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde« (LER) in Brandenburg erstmals der Verfassungskonsens durchbrochen, wonach die Kirchen in einer originären Verantwortung für die öffentlichen Schulen stehen, die sich im Religionsunterricht konkretisiert. Schwerer wiegt jedoch, dass Ethik aus unserer Sicht nicht als Ersatzunterricht für Religionsunterricht dienen kann. Denn in diesem Fall würde die Weitergabe von Orientierungswissen nicht mehr mit Bezug auf eine konkret praktizierte Religion erfolgen. »Deshalb lässt sich […] bezweifeln, ob ein sinnvoller Ethikunterricht, der nicht nur Wissen, sondern auch Werte und Haltungen vermitteln soll, vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben überhaupt möglich ist.«5 Auch der obligatorische Ethikunterricht nach dem Muster Berlins, der den Religionsunterricht zur fakultativen Ergänzung werden lässt, ist kritisch zu hinterfragen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Religionsunterricht in Berlin derzeit allein in der Verantwortung der Religionsgemeinschaften stattfindet. Wäre er ordentliches Lehrfach, könnte der Staat zumindest sein Aufsichtsrecht wahrnehmen. Derzeit ist dies in Berlin nicht der Fall. Zudem vermittelt auch ein vermeintlich bekenntnisneutraler Werteunterricht in Wahrheit ein Bekenntnis – ein tatsächlich atheistisches Bekenntnis, welches bei der Normierung von Moral auf religiöse Rückbezüge bewusst verzichtet. Ein pragmatischer, lebensnaher Ansatz ist demgegenüber das Modell eines konfessionellen, aber kooperativen Religionsunterrichts zwischen den christlichen Kirchen, wie er beispielsweise in Baden-Württemberg praktiziert wird. Im November 2016 legte die Bischofskonferenz hierzu Empfehlungen für eine intensivere katholisch-evangelische Zusammenarbeit vor,6 in denen mehr solcher Absprachen angeregt und Mindeststandards definiert werden. Inzwischen unterstützen 163 katholische

4

Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Die bildende Kraft des Religionsunterrichts. Zur Konfessionalität des katholischen Religionsunterrichts (Die deutschen Bischöfe 56), Bonn 1996, 22f. 5 Stefan Korioth, Der Auftrag des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG, in: Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (Essener Gespräche 49). Münster 2016, 7–33, hier: 29. 6 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Die Zukunft des konfessionellen Religionsunterrichts. Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht (Die deutschen Bischöfe 103), Bonn 2016, 39.

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Peter Tauber

und evangelische Hochschullehrende die Position der Bischöfe.7 Angesichts des Zwangs in vielen Bundesländern, eine bestimmte Gruppengröße für den Religionsunterricht erreichen zu müssen, kann sich dieses Modell als zukunftsfähig erweisen. Denn die CDU Deutschlands wird auch in Zukunft an der besonderen Bedeutung eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichts in Abgrenzung zum Ethikunterricht festhalten.

7

Konfessionell, kooperativ, kontextuell – Weichenstellungen für einen zukunftsfähigen Religionsunterricht. 19.12.2016, verfügbar unter www.uni-bamberg.de (zuletzt eingesehen am 15.9.2017).

Kerstin Griese

Die Zukunft des Religions- und Ethikunterrichts in der Schule und deren gesellschaftliche Relevanz aus Sicht der SPD Der Religionsunterricht wird nach Artikel 7 Absatz 3 des Grundgesetzes als ordentliches Schulfach »in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften« erteilt. Auch wenn es verschiedene Modelle des Religionsunterrichts in den Bundesländern gibt, hält die Sozialdemokratische Partei Deutschlands an diesem Grundsatz fest. Trotz regionaler Unterschiede gibt es einheitliche Vorstellungen der SPD zu diesem Thema. In unserem gültigen Grundsatzprogramm von 2007 bekennen wir uns »zum jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas und zur Toleranz in Fragen des Glaubens. Wir verteidigen die Freiheit des Denkens, des Gewissens, des Glaubens und der Verkündigung. Grundlage und Maßstab dafür ist unsere Verfassung.«1 Unsere Kultur ist durch die in ihr präsenten Religionen geprägt. Gleichzeitig ist unser Land vielfältig. Das gilt auch für die Religionen. Wir sind überzeugt, dass die kulturelle und religiöse Vielfalt in Deutschland eine Chance und Bereicherung ist. Diese Vielfalt ist in Deutschland nicht neu – es gab sie schon immer. Vielfalt bereichert und stärkt eine Gesellschaft. Offene Gesellschaften sind, das ist unsere Überzeugung, sozial und wirtschaftlich erfolgreicher.2 Friedliche Vielfalt wird aber nur möglich sein, »wenn wir uns unserer geistigen Wurzeln in jüdisch-christlicher Tradition – die auch von griechischer Philosophie, römischem Recht, arabischer Kultur beeinflusst worden ist – und in Humanismus und Aufklärung versichern. Nur eine ebenso wertefundierte wie tolerante Kultur kann sich gegen den Versuch behaupten, Kultur und Religion als Mittel der Ausgrenzung zu missbrauchen.«3 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen Tradition ist wichtig, denn sie befähigt zum kritischen und selbstbestimmten Umgang mit ihr. In einer pluralen Gesellschaft ist religiöse Bildung sowohl mit Blick auf die eigene Religion als auch mit Blick auf andere Religionen für das Zusammenleben förderlich. »Der interreligiöse Dia1

Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen auf dem Hamburger Bundesparteitag der SPD am 28. Oktober 2007, hg. vom SPD-Parteivorstand, Berlin 2007, 39. 2 Vgl. dazu ausführlich: Forum Berlin Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.), Miteinander in Vielfalt, Leitbild und Agenda für die Einwanderungsgesellschaft. Ergebnisse einer Expert_innenkommission der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2017, 6. 3 Hamburger Programm (s.o. Anm. 1), 39.

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Kerstin Griese

log und das Wissen über Religionen und Kulturen sind wichtig für ein friedliches Miteinander und gegenseitigen Respekt.«4 Denn die Zugehörigkeit zu einer Religion bildet für viele Menschen die kulturelle Basis ihrer Identität und ihres Selbstverständnisses. Wollen wir einander verstehen, so müssen wir uns in unseren religiösen und kulturellen Kontexten verstehen. In unserem aktuellen Regierungsprogramm schreiben wir daher: »Wir wollen allen Kindern Religions- und Ethikunterricht ermöglichen.«5 Aber ist dafür ein konfessionsgebundener und bekenntnisorientierter Religionsunterricht nötig? Im SPD-regierten Bundesland Brandenburg gibt es beispielsweise das Fach »Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde« als Standardfach. In diesem Unterricht werden aus neutraler Perspektive die Religionen angesprochen und Wertevorstellungen diskutiert. Zu diesem Standardfach kann dann freiwillig Unterricht in Religion oder humanistischer Lebenskunde gewählt werden. Ich bin hingegen Bundestagsabgeordnete eines Bundeslandes, in dem bekenntnisorientierter Religionsunterricht an öffentlichen Schulen als ordentliches Unterrichtsfach erteilt wird. Wer sich vom Religionsunterricht abmeldet, erhält in Nordrhein-Westfalen Unterricht in Philosophie.6 Ich möchte erläutern, warum ich das Modell eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichtes mit der Alternative Philosophie-, Ethik- oder Lebenskundeunterricht vorziehe, während es z.B. in Brandenburg oder Berlin religionsübergreifende ordentliche Unterrichtsfächer, zu denen man konfessionsgebundenen Religionsunterricht freiwillig hinzuwählen kann, gibt.7 Beide Modelle eint die Überzeugung, dass eine vertiefte Auseinandersetzung mit religiösen Traditionen wichtig ist. Im bekenntnisorientierten Religionsunterricht findet diese Auseinandersetzung mit der eigenen religiösen Tradition und damit mit dem eigenen Glauben in einem geschützten Raum und aus Sicht von Lehrerinnen und Lehrern statt, die selbst in diesem Glauben und seiner Tradition beheimatet sind. Das ist wichtig, denn neben der Thematisierung ethischer Grundsätze und der Vermittlung religiöser Traditionen befähigt der Religionsunterricht auch dazu, die religiöse Praxis und den Glauben im eigenen Leben eigenständig zu begreifen und zu gestalten. Zudem kommt es zur Ausein4 SPD-Parteivorstand (Hg.), Zeit für mehr Gerechtigkeit, Unser Regierungsprogramm für Deutschland, Berlin 2017, 88. 5 Ebd. 6 Bzw. in Sekundarstufe I »Praktische Philosophie« oder, wenn dieses Angebot nicht besteht, beaufsichtigte Freistunden. 7 In Brandenburg ist »Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde« Standardfach und die Schülerinnen und Schüler können Religionsunterricht oder humanistische Lebenskunde freiwillig zusätzlich zu oder anstelle des Standardfachs wählen. In Berlin ist das gemeinsame Fach Ethik verpflichtend, während Religionsunterricht freiwillig dazu gewählt werden kann.

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andersetzung mit religiöser Positionierung, schon durch die jeweils eigene Perspektive des jeweiligen Religionsunterrichts. Der Unterricht macht Schülerinnen und Schüler so auch sprachfähig, um ihre religiösen Gefühle, Fragen und Überzeugungen auszudrücken und zu reflektieren. Ein weiteres wichtiges Ziel des Religionsunterrichts ist die Förderung des Zusammenlebens mit Angehörigen anderer Religionen und Konfessionen und mit Konfessionslosen in Achtung und Respekt. Schülerinnen und Schüler, die gemeinsam Mathematik, Deutsch und Geschichte lernen, sollen sich in der Schule auch in der Tiefendimension der Religion begegnen können. Deshalb brauchen wir viel mehr Elemente, wo sich Kinder aller Religionen und Konfessionen begegnen. Gemeinsame Unterrichtsanteile sind dafür sinnvoll, wo Kinder sich gegenseitig mit ihren religiösen Wurzeln kennen lernen und sie bestenfalls einander erklären. Die Begegnung mit anderen Religionen ermöglicht zum Beispiel der Evangelische Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen, denn er »eröffnet in diesem Rahmen einen eigenen Horizont des Weltverstehens, der für den individuellen Prozess der Identitätsbildung und für die Verständigung über gesellschaftliche Grundorientierungen unverzichtbar ist. Er tut dies in Gestalt der dialogischen Auseinandersetzung mit existenziellen Grundfragen und mit dem Phänomen Religion in seinen vielfältigen Erscheinungsformen und Facetten. Im Mittelpunkt der Erschließungs-, Deutungs- und Urteilsprozesse steht dabei der christliche Glaube in seiner evangelischen Ausprägung.«8 So wird gelehrt, was Religion ist, um zu lernen, was als religiös verstanden werden kann. Durch diese Auseinandersetzung mit der eigenen Religiosität und religiösen Phänomenen, aber auch durch die lebendige Positionierung und religiöse Sprachfähigkeit der Lehrkraft wird eine kritisch-konstruktive Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler ermöglicht. »In diesem Sinn erwerben die Schülerinnen und Schüler im evangelischen [sc. oder anderskonfessionellen] Religionsunterricht die Kompetenz, wahrzunehmen, zu deuten, zu urteilen, zu gestalten und sich mit anderen zu verständigen.«9 So können Schülerinnen und Schüler einander von ihrem jeweiligen Unterricht erzählen, ihre Erfahrungen diskutieren und ihre Standpunkte miteinander abwägen. Denn es »ist Aufgabe religiöser Bildung, den Kindern und Jugendlichen einen verstehenden Zugang zu religiösen Weltdeutungen und Lebensweisen zu erschließen und sie schrittweise zu verantwortlichem Denken und Verhalten im Hinblick auf Religion und 8

Kernlehrplan für das Gymnasium – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Evangelische Religionslehre, Nordrhein-Westfalen 2011, abrufbar unter www.schulentwick lung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-s-i/gymnasium-g8/evangelische-religionslehre-g8/ index.html, zuletzt eingesehen 9.8.2017. 9 Ebd., 10.

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Glaube zu befähigen. Indem der Religionsunterricht diese Aufgabe wahrnimmt, leistet er einen eigenständigen Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und Weltorientierung im Rahmen allgemeiner schulischer Bildung.«10 Das schützt nicht zuletzt auch vor extremen oder gar extremistischen Auslegungen von Religionen. In diesem Sinne schreiben wir im aktuellen Regierungsprogramm der SPD: »Wer ein aufgeklärtes Wissen über die eigene und andere Religionen hat, ist oft weniger anfällig für Extremismus.«11 Eine große Herausforderung für die Zukunft ist es, die religiöse Vielfalt in Deutschland auch im Religionsunterricht abzubilden. Gerade bei den kleinsten Mitgliedern unserer Gesellschaft gilt es anzusetzen. Auf die Bildung, auch auf die religiöse Bildung, kommt es an. Wir als SPD »unterstützen den islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen und in deutscher Sprache.«12 In Nordrhein-Westfalen hat sich die rotgrüne Landesregierung 2011 mit verschiedenen muslimischen Gemeinschaften auf die Einführung eines bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts geeinigt. Ein »Beirat für den islamischen Religionsunterricht in NRW« entwickelt die Grundsätze dafür und besteht aus Vertreterinnen und Vertretern der Wissenschaft, die vom Schulministerium im Einvernehmen mit den Verbänden13 entsandt werden, und muslimischen Verbänden, wobei die Mitgliedschaft von Ditib zur Zeit ruht. Dieses »Beiratsmodell« ist zeitlich bis 2019 befristet und soll 2018 ausgewertet werden. An der Universität Münster gibt es einen Lehrstuhl für Islamische Theologie. Ich sehe mit Freude und Interesse, dass die Bundesländer unterschiedliche Modelle gestartet haben, um islamischen Religionsunterricht zu etablieren. Mir ist dabei besonders wichtig, dass islamische Religionslehrerinnen und -lehrer sowie Imame wie in Münster an Lehrstühlen bei uns in Deutschland ausgebildet werden.14 Persönlich bin ich durch intensives Engagement in der evangelischen Jugendarbeit, bei Kirchentagen und durch positive Erfahrungen in der Gemeinde geprägt. Das Versöhnungs- und Friedenspotenzial von Reli10

Kernlehrplan für das Gymnasium – Sekundarstufe I in Nordrhein-Westfalen. Katholische Religionslehre, Nordrhein-Westfalen 2011, abrufbar unter www.schulentwicklung. nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-s-i/gymnasium-g8/katholische-religionslehre-g8/index. html, zuletzt abgerufen am 9.8. 2017. 11 SPD-Parteivorstand (s.o. Anm. 4), 88. 12 Ebd. Dass einige SPD-geführte Landesregierungen bisher noch keinen islamischen Religionsunterricht eingeführt haben, ist dem geringen Bedarf daran geschuldet. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es keine Erhebungen über die im Land lebenden Menschen muslimischen Glaubens. 13 www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Unterricht/Lernbereiche-und-Fae cher/ Religionsunterricht/Islamischer-Religionsunterricht/Kontext/FAQ-zu-den-rechtlichen-Be dingungen/FAQ-7/index.html (zuletzt abgerufen am 9.8.2017). 14 So fordert die SPD es im aktuellen Regierungsprogramm. Vgl. SPD-Parteivorstand (s.o. Anm. 4), 88.

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gionen und der Reichtum religiöser und kultureller Vielfalt sind mir vielleicht auch deshalb besonders bewusst. Allen Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, am Religions- oder Ethikunterricht teilzunehmen, ist für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft wichtig. Auch hier geht es um Chancengleichheit für alle Kinder, um Begegnung und um Respekt und Toleranz. Dafür steht die SPD.

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Die Zukunft des Religions- und Ethikunterrichts in der Schule und deren gesellschaftliche Relevanz Diskussionsbeiträge und programmatische Vorstellungen der Partei ›Bündnis 90/Die Grünen‹ »Eltern schätzen, dass Religion Werte vermittelt, haben aber kaum noch ein Verständnis für den konfessionellen Charakter des Faches.« Auf diese Kurzformel bringt der Siegener Religionspädagoge Ulrich Riegel die Sicht vieler auf den konfessionellen Religionsunterricht, übrigens nicht nur der Eltern.1 Die Diskussion um den konfessionellen Charakter ist mindestens so alt wie die Verfassungsformel des Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz, die praktisch wortgleich aus der Weimarer Reichsverfassung übernommen wurde. Allerdings stammt sie aus einer Zeit, als 95 % aller Deutschen Mitglied einer christlichen Kirche waren. Heute sind nur noch weniger als 60 % aller Menschen in Deutschland Kirchenmitglied und knapp 1/3 aller Deutschen gehören gar keiner Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft (mehr) an. War die konfessionelle Organisation des Religionsunterrichtes also historisch geeignet, nahezu allen Schülerinnen und Schülern eine religiös-weltanschauliche Orientierung in ihrem Glauben, aber an der öffentlichen Schule an die Hand zu geben, so gilt dies angesichts des eingetretenen Wandels nicht mehr. Und damit stellen sich Fragen, welche Alternativen zum konfessionellen Religionsunterricht es gibt – Fragen, die auch in der Partei Bündnis 90/Die Grünen zunehmend kontrovers diskutiert werden. So hat die Partei zwar eine sog. »Religionskommission« einberufen, die zu zahlreichen Themen des Religionsverfassungsrechts Stellung genommen hat.2 Der Religionsunterricht aber blieb ausgespart – insbesondere deshalb, weil er Ländersache ist und eine Bundeskommission den Ländern aus guten Gründen keine Vorgaben über originäre Landesthemen machen kann und sollte. Jedoch zeigte sich, dass es innerparteilich den Wunsch gab und gibt, auch und gerade zu einer Kernfrage des Religionsverfassungsrechts nicht zu schweigen, so dass es zurzeit einen Diskussionsprozess über mögliche Leitlinien gibt.3 Ohne diesem Diskussionsprozess oder den Leitlinien 1

Ulrich Riegel, Welche Zukunft hat das konfessionelle Modell?, in: Herder Korrespondenz Spezial 2 (2016), 57. 2 Bündnis 90 / Die Grünen (Hg.), Abschlussbericht der Kommission »Weltanschauungen, Religionsgemeinschaften und Staat« vom März 2016, abgerufen unter www.gruene.de/ fileadmin/user_upload/Dokumente/160317_Abschlussbericht_Religionskommission_Grue ne.pdf, zuletzt eingesehen am 28.9.2017. 3 Vgl. den Beitrag von Bettina Jarasch in der Zeitschrift »Salzkörner« des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom April 2017, abgerufen unter www.zdk.de/veroef

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selbst vorgreifen zu wollen, müssen aus meiner Sicht folgende Erwägungen dabei eine Rolle spielen: Es ist selbstverständlich verfassungspolitisch legitim, eine Verfassungsänderung anzustreben, die das Ziel hat, Art. 7 Abs. 3 GG zu streichen. In Anbetracht der religionspolitischen Großwetterlage ist jedoch mittelfristig mit einer Mehrheit für ein solches Unterfangen nicht zu rechnen.4 So gilt weiterhin: »Der Religionsunterricht nach Art. 7 Abs. 3 ist demgemäß ein Mittel zur Entfaltung positiver Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 u. 2 […] und zugleich zur Erfüllung des staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrags. […] Das Spezifische des ›Religionsunterrichts‹ gegenüber anderen Fächern ist seine konfessionelle Positivität und Gebundenheit, in der […] ›die Glaubenssätze der jeweiligen Religionsgemeinschaft […] als bestehende Wahrheiten zu vermitteln‹ sind (BVerfGE 74, 244 [252]).«5 Eine Änderung der Verfassungslage ist aber nicht erstrebenswert. Die Normen des Religionsverfassungsrechts haben in der Vergangenheit viel zur Integration von Religionen und Gesellschaft beigetragen und können das auch für die Zukunft leisten. Dies ist religiösen Integristen ein Dorn im Auge. Sie denunzieren die integrative Funktion dieses kooperativen Verhältnisses als »Zähmen von Religionen« und träumen von der Entweltlichung ihrer Kirchen.6 Bekenntnisorientierter Religionsunterricht ist Ausdruck eines liberalen Verfassungsverständnisses, denn nichts anderes als die Ermöglichung und Verwirklichung von Religionsfreiheit im Kontext der Pflichtschule7 ist Religionsunterricht. Seine Existenz und seine staatliche Gewährleistung sind (religions-) freiheitsfördernd. Demgegenüber (und gegenüber der Verfassungsnorm Art. 7 Abs. 3 GG) sind diejenigen in der Begründungslast, die eine Abschaffung fordern. Denn erstens gibt es »keine Anzeichen für eine Akzeptanzkrise des Faches. Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts liegt die Zahl der Abmeldungen vom Religionsun-

fentlichungen/salzkoerner/detail/Religionsunterricht-Debatte-als-Chance-begreifen-812k/, zuletzt eingesehen am 28.9.2017. 4 Zumal in vielen Landesverfassungen vergleichbare Garantien des konfessionellen Religionsunterrichts existieren, die jeweils auch gestrichen werden müssten. 5 Michael Germann, in: Beckscher Online-Kommentar zum Grundgesetz, GG Art. 7 Rn. 44.47, beck-online. 6 Wilhelm Imkamp, Sei kein Spießer, sei katholisch!, München 22013, 72. 7 Denn das Grundgesetz statuiert ja nicht lediglich eine Schul- oder Bildungspflicht, sondern ganz bewusst eine Schulbesuchspflicht, vgl. z.B. den Leitsatz des Bundesverwaltungsgerichts: »Das Elternrecht gemäß Art. 6 Abs. 2 GG gewährt grundsätzlich keinen Anspruch darauf, die Erfüllung der auf dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7 Abs. 1 GG) beruhenden Schulpflicht durch einen staatlich beaufsichtigten häuslichen Unterricht zu ersetzen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).« – Beschluss vom 15. Oktober 2009 – 6 B 27/09.

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terricht im Bundesdurchschnitt unter 5 Prozent.«8 Und zweitens sind alle anderen Formen von religiösem Unterricht in der Schule weniger religions-freiheitlich, weil sie nicht »Mittel zur Entfaltung positiver Religionsfreiheit« in der Schule sind. So gut, wichtig und richtig alternative Angebote und Konzepte auch sein mögen, sie erreichen nicht das, was bekenntnisorientierter Religionsunterricht zu leisten vermag: »Wenn Toleranz mehr besagen soll als bloße Indifferenz, nämlich den bewussten Umgang mit dem als andersartig Erkannten, das als solches gelten gelassen wird, muss sie um den eigenen Standpunkt wissen. Die abstrakte Kenntnis verschiedener Religionsformen ist noch keine hinreichende Bedingung für ein tolerantes Miteinander der Angehörigen verschiedener Glaubensgemeinschaften.«9 Innerhalb der Bündnisgrünen gab und gibt es unterschiedliche Positionen zur Frage eines bekenntnisorientierten Religionsunterrichts. Als gemeinsames Leitbild könnte gelten: »Grünes Bildungsverständnis war immer, dass Auftrag der Schule die ganze Persönlichkeitsbildung ist und nicht reduziert werden darf auf die Vermittlung von verwertbarem Wissen und ›nützlichen‹ Fähigkeiten. Damit müsste es ein besonderes Anliegen der Grünen sein, die religiöse – oder auch antireligiöse – Identitätsfindung der Menschen zum Gegenstand schulischer Bildung zu machen.«10 Damit ist aber noch nichts gesagt über den konkret favorisierten Unterricht. Dass bekenntnisorientierter Religionsunterricht abzuschaffen sei, weil – unter anderem – »religiöse Segregration (in der Schule) […] die Entwicklung von Parallelgesellschaften« befördere, ist dabei ein altes, aber wirkmächtiges Argument: »Von herausragender Bedeutung ist, dass Kinder aus unterschiedlichen religiösen Kontexten den Umgang untereinander und mit Kindern aus nichtreligiösen Kontexten erlernen, und ebenso umgekehrt.«11 Dass er weiterzuentwickeln sei zu einem »›Reli8 Andreas Verhülsdonk, Glaube ist mehr als ein Kulturgut. Zur Situation des katholischen Religionsunterrichts in Deutschland in: Herder Korrespondenz Spezial 2 (2013), 2–6, hier: 4. Dementsprechend bezieht sich die genannte Abmeldestatistik wahrscheinlich nur auf den katholischen Religionsunterricht, dürfte aber im evangelischen Bereich ähnlich ausfallen. 9 Stefan Korioth / Ino Augsberg, Ethik- oder Religionsunterricht? Eine Bestandsaufnahme aus verfassungsrechtlicher Sicht in: Zeitschrift für Gesetzgebung 24 (2009), 222– 236, hier: 235. 10 Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung vom 13.6.2015, abgerufen unter http://gruene-bag-bildung.de/uploads/media/20150613_Positionspapier_Religionsunter richt_BAG_Bildung.pdf, zuletzt eingesehen am 28.9.2017. 11 Bildungspapier des »Bundesweiten Arbeitskreises Säkulare Grüne« (der mittlerweile Bundesarbeitsgemeinschaft ist), abgerufen unter http://saekulare-gruene.de/positionspapierzur-schulischen-bildung-orientierung-auf-wertemuendigkeit-in-einer-freiheitlich-pluralisti schen-gesellschaft/, zuletzt eingesehen am 28.9.2017.

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gionsunterricht für alle‹ (im Klassenverband) als wie bisher schulisches Pflichtfach«, in dem »zur didaktischen Strukturierung, zu team-teaching, Rotation der Lehrkräfte und zur Auswahl der Lerninhalte« die jeweiligen Landes-Kultusministerien tätig werden müssten,12 ist nah dran am »Hamburger Modell«13, allerdings von der Unterrichtsorganisation und -gestaltung ein höchst anspruchsvolles Unterfangen – gerade wenn es nicht nur in einem überschaubaren Stadtstaat, sondern bundesweit durchgeführt werden soll. Richtig ist aber unstrittig, dass unter dem Verfassungsverständnis des Grundgesetzes sich heute auch andere Formen von Religionsunterricht verstehen lassen, insbesondere interkonfessionelle oder kooperative Angebote, solange und soweit sich die beteiligten Religionsgemeinschaften freiwillig darauf einlassen. Insofern muss auch bekenntnisorientierter Religionsunterricht keinesfalls in konfessioneller Trennung erfolgen. Wenn es zutrifft, dass die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland in »versöhnter Verschiedenheit«14 leben, dann gibt es wenige Gründe, warum der Religionsunterricht nicht kooperativ stattfinden könnte. Ein Mehrwert ist dann, dass ein solcher kooperativer katholisch-evangelischer Religionsunterricht zugleich ökumenische Offenheit einüben könnte.15 In anderen Worten: »In einer multireligiösen Gesellschaft ist der Dialog der Religionen, das Kennenlernen, der Austausch, die Toleranz und kritische Auseinandersetzung elementar. Dieser Dialog fördert die notwendige Entwicklung von Pluralitätskompetenz. Wir wollen nicht, dass Schüler*innen in ihren jeweiligen Konfessionen isoliert bleiben. Deshalb wollen wir eine Weiterentwicklung der bereits bestehenden kooperativen Anteile im Religionsunterricht vorantreiben.«16 12 Bundesarbeitsgemeinschaft Christinnen und Christen bei Bündnis 90 / Die Grünen (Hg.), Das Modell eines »Religionsunterrichtes für alle« als Kooperationsangebot an die Religionsgemeinschaften. Positionspapier vom März 2009, hier: 6f., abgerufen unter http://gruene-bag-christinnen.de/userspace/BV/bag_christinnen/Dokumente/BAG_CHR_ das_modell_eines_religionsunterrichtes_f.pdf, zuletzt eingesehen am 28.9.2017. 13 Vgl. zum Hamburger »Religionsunterricht für alle in evangelischer Verantwortung« Jochen Bauer, Die Weiterentwicklung des Hamburger Religionsunterrichts in der Diskussion zwischen Verfassungsrecht und Schulpädagogik in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 59 (2014), 227–256. 14 Vgl. Christoph Böttigheimer, Das Ringen um die Einheit der Kirchen in: Stimmen der Zeit 217 (1999), 87–100, besonders 90f. 15 Vgl. hierzu auch das Positionspapier von 163 ReligionspädagogInnen zur Zukunft des Religionsunterrichts vom Dezember 2016: »konfessionelle[r] Religionsunterricht in kooperativer Orientierung und kontextueller Abstimmung«, abgerufen unter www.unibamberg.de/fileadmin/uni/fakultaeten/ktheo_lehrstuehle/religionspaedagogik/pdfs/Positi onspapier_zukunftsfaehiger_RU_Unterschriften_aktueller_Stand.pdf, zuletzt eingesehen am 28.9.2017. 16 Beschluss der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung von Bündnis 90/Die Grünen vom 13.6.2015, abgerufen unter http://gruene-bag-bildung.de/uploads/media/20150613_ Positionspapier_Religionsunterricht_BAG_Bildung.pdf, zuletzt eingesehen am 28.9.2017.

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Kooperation darf dabei aber auch nicht zu einem ökumenistischen Einheitsbrei verkommen. Gemeinsamkeiten müssen genauso wie Unterschiede beispielsweise im Sakramentsverständnis, in der Liturgie oder im Amtsverständnis ihren Platz haben. Jenseits der Frage von Kooperationen ist jedoch festzuhalten: »Learning about Religion« ist eine Aufgabe, die Schule definitiv leisten muss – da dürften sich innerhalb der Bündnisgrünen auch praktisch alle einig sein. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Integration der Gläubigen hat die Vermittlung von Glauben als Geglaubtes von Gläubigen an Gläubige im Rahmen eines an den Werten unserer Verfassung gebundenen Bildungsauftrages erhebliche Vorteile gegenüber einem Herausdrängen dieser Vermittlungsprozesse aus der Schule in den außerschulischen Bereich. Da bekenntnisorientierter Religionsunterricht fast überall die verfassungsrechtliche Regel sein muss, spricht viel dafür, parallel dazu einen gemeinsamen Unterricht in Ethik/Philosophie o.Ä. vorzusehen, um dieses Ziel zu erreichen. Wie dieser genau ausgestaltet ist, ist Sache der Länder. Nur eines geht aus meiner Sicht nicht: Religion komplett aus der Schule herauszuhalten. Das funktioniert schon bei den Schülerinnen und Schülern nicht, die ihren Glauben mit in die Schule bringen und erwarten, dass er als Teil ihrer Identität wahr- und ernst genommen wird. Und ein Nicht-Thematisieren von Religion funktioniert erst recht nicht beim Unterrichtsstoff. Die europäische Geistesgeschichte ist ohne Kenntnisse religiöser Mythen und Vorstellungen schlicht nicht verstehbar. Es würde den Bildungsauftrag der Schule fundamental verfehlen, diesen Aspekt auszuklammern.17 Im Gegenteil: Die zentralen Mythen, Rituale und Glaubensvorstellungen der Weltreligionen gehören zur Allgemeinbildung. Sie müssen auch im allgemeinen Literatur- und Geschichtsunterricht oder in einem zusätzlichen Fach Religionskunde Gegenstand sein. Es war ein Fehler der Bildungspolitik, aber auch der Kirchen, sich hierbei allein auf den bekenntnisgebundenen Religionsunterricht zu verlassen. Respekt und gesellschaftliches Miteinander kann nur funktionieren, wenn man sich und den anderen (er)kennt. Ein allein vom Staat verantworteter Ethikunterricht darf jedoch eines nicht: »selbst eine spezifische Lebensform propagieren. Die staatliche Neutralität verlangt eine gleichmäßige Distanz zu allen religiösen oder weltanschaulichen Lebensentwürfen.«18 Deutlicher: »Ein Ethikunterricht, der einer bestimmten Weltanschauung folgt, ist wie der Religions17 Neben dem verfassungsrechtlichen Argument, dass »es eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates [darauf gibt], eigenen Religionsunterricht der Religionsgemeinschaften in der Schule zu ermöglichen«, so Stefan Korioth, Der Auftrag des Religionsunterrichts nach Art. 7 Abs. 3 GG in: Religionsunterricht in der religiös pluralen Gesellschaft (Essener Gespräche 49), Münster 2016, 7–33, hier 25. 18 Ebd., 29.

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unterricht Bekenntnisunterricht und damit nur im Rahmen der Konzeption des Art. 7 Abs. 3 GG möglich; er muss von der betreffenden Weltanschauungsgemeinschaft erteilt werden.«19 Wenn also unter Ethikunterricht im Wesentlichen die gleichgestellte Position zum Religionsunterricht verstanden wird, weil durch die (im Übrigen verfassungsrechtlich angelegte)20 Differenzierung zu einem Ersatzunterricht »Kinder von konfessionslosen Eltern […] so faktisch diskriminiert«21 würden, steht dahinter aus meiner Sicht die Wahrnehmung des Fachs Ethik als eine Art Weltanschauungsunterricht für Konfessionslose – ein Charakter, den der Ethikunterricht gerade nicht hat und rechtlich auch nicht haben darf!22 Geht man vom Wert religiöser Bildung in der Schule aus, dann muss dazu heute auch der islamische Religionsunterricht gehören, denn: »Der Islam ist seit Beginn der Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte Mitte des vergangenen Jahrhunderts nach dem Christentum zur größten Religion in Deutschland angewachsen.«23 Seine Integration in die Schule ist mindestens zweierlei: Gleichberechtigung muslimischer Religionsausübung durch gleichberechtigten Unterricht bzw. gleichberechtigte Teilnahme und Thematisierung an einem überkonfessionellen Unterricht und zugleich Verwirklichung des Verfassungsauftrags aus Art. 7 Abs. 3 19 20

Stefan Korioth / Ino Augsberg, Ethik- oder Religionsunterricht? (s.o. Anm. 9), 232. Vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16.4.2014 – 6 C 11/13 –, 3. Leitsatz: »Nimmt der Normgeber im Schulrecht bei Gestaltung der Stundentafeln keine Gleichstellung zwischen den Fächern Ethik und Religion vor, verstößt er nicht gegen Art. 3 Abs. 3 GG [Grundsatz der Gleichberechtigung], da bereits auf Ebene der Verfassung (Art. 7 Abs. 3 S. 1 GG) eine Differenzierung zwischen beiden Fächern vorgenommen wird.« 21 So der Fachverband Ethik in seiner »Denkschrift zum Ethikunterricht« von 2016, abgerufen unter http://fachverband-ethik.de/fileadmin/daten_bundesverband/dateien/ Grundlagentexte/Denkschrift_zum_Ethikunterricht_2016-k_2_c_1_.pdf, 16, zuletzt eingesehen am 28.9.2017. 22 In der genannten »Denkschrift« wird nicht an einer Stelle die für den Religionsunterricht grundlegende Norm, Art. 7 Abs. 3 GG, überhaupt erwähnt. Auch eine gebetsmühlenartig wiederholte Passage einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts von 1998 lässt eine gewisse Einseitigkeit der Argumentation erkennen, denn das BVerwG entschied nicht, dass Ethikunterricht für alle SchülerInnen eingeführt werden muss, wie suggeriert wird, sondern vermaß die Bedingungen für die Einrichtung neuer Schulfächer wie Ethik, nämlich dass der Staat kraft seines Bildungs- und Erziehungsauftrags neue Unterrichtsfächer einführen darf, was für Ethik dann bedeutete: vom Inhalt her religiös und weltanschaulich neutral. Wenn es als Ersatzfach ausgestaltet wird, dann muss es »als ein dem ordentlichen Lehrfach Religion gleichwertiges Fach ausgestaltet werden.« (BVerwG – Urteil vom 17. Juni 1996 – 6 C 11/97 –, Leitsätze) Eine Pflicht zur Einrichtung von Ethikunterricht hat das BVerwG 2014 für die Grundschule verneint (s.o. Anm. 19) – auch das wird in der »Denkschrift« nicht zur Kenntnis genommen. 23 So schon 2012 die »Grüne Roadmap zur Gleichstellung und rechtlichen Integration des Islam in Deutschland«, abgerufen unter: www.gruene-bundestag.de/files/beschluesse/ Islam.pdf, zuletzt eingesehen am 15.9.2017.

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GG, wonach Religionsunterricht ordentliches Lehrfach ist – und damit auch islamischer Religionsunterricht in diesem Sinne stattfinden soll und muss. Freilich sind wir dann bei der Frage, wer auf muslimischer Seite Ansprechpartner eines solches Unterrichts sein kann – diese Frage ist (mit guten Gründen) noch nicht abschließend beantwortet, kann hier aber auch nicht vertieft werden. Nur so viel: Die bestehenden islamischen Verbände sind keine Religionsgemeinschaften im Sinne von Artikel 7 oder 140 Grundgesetz.24 Beiräte ersetzen daher die fehlenden Religionsgemeinschaften in ihrer Funktion.25 In jedem Fall aber muss gelten: Durch die fehlende Organisiertheit »des« Islams darf ein bekenntnisorientierter islamischer Religionsunterricht weder verzögert, noch dürfen die Anforderungen an seine Einrichtung verringert werden. Solange sich also beim bekenntnisorientierten Religionsunterricht der anderen Bekenntnisse nichts ändert, wäre es gleichheitswidrig, diesen »dem« Islam vorzuenthalten. Deshalb tritt die Bündnisgrüne Bundestagsfraktion dafür ein, bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterricht flächendeckend überall dort einzuführen, wo er als Pflichtfach vorgesehen und entsprechender Bedarf vorhanden ist.26 Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht der Alevitischen Gemeinde in Deutschland und der Ahmadiyya Muslim Jama’at in Hessen ist schließlich auch erfolgreich implementiert worden – von demjenigen zahlreicher anderer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ganz abgesehen.27

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Volker Beck und Cem Özdemir, Den Islam und andere Religionen der Einwanderer ins deutsche Religionsverfassungsrecht integrieren – Gleiche Rechte für Muslime, Aleviten und Jeziden!, in: Kirche und Recht 21 (2015), 129–141. 25 Vgl. § 132 a Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (Schulgesetz NRW – SchulG). Eingeführt mit dem Gesetz zur Einführung von islamischem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach (7. Schulrechtsänderungsgesetz) vom 22. Dezember 2011. 26 So zuletzt im Beschluss vom 18.10.2016: »Radikalisierung verhindern – Prävention gegen den gewaltbereiten Islamismus«, abgerufen unter www.gruene-bundestag.de/files/ beschluesse/161018_Beschluss_Gewaltbereiter_Islamismus.pdf, 6, zuletzt eingesehen am 15.9.2017. 27 Eine (offensichtlich leider schon ältere) Übersicht über die Religionsgemeinschaften, die jeweils bekenntnisorientierten Religionsunterricht in einem Bundesland anbieten, bietet der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst e.V. aus Marburg/ Lahn unter http://remid.de/info_religionsunterricht/, zuletzt eingesehen am 15.9.2017.

Zuordnungen in der Praxis

Carolin Simon-Winter / Burkhard Rosskothen

»Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken« Ein dialogisches Unterrichtsprojekt für den Religions- und Ethikunterricht 1. Vorbemerkungen »Unsere Gesellschaft ist bunt. Wir sind es auch.« Was sich Unternehmen gerne auf die Fahne schreiben, ist in Offenbach alltägliche Realität. Das Unterrichtsprojekt »Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken«1 ist aus der besonderen Situation der Stadt Offenbach erwachsen. Wer durch Offenbach am Main geht, kann eine Stadt erleben, die sehr stark multikulturell geprägt ist – eine gesellschaftliche Realität, die aus ihr eine sehr lebendige Stadt gemacht hat. Lebendig, weil hier die unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen in den Dialog treten müssen: Der türkische Händler mit dem deutschen Käufer. Der pakistanische Ausbilder mit dem serbischen Lehrling. Es gibt christlich aufgewachsene Kinder, die den jüdischen Kindergarten besucht haben. Freunde unterschiedlicher religiöser Herkunft treffen sich vor der Moschee, um nach dem Gebet auszugehen. Junge Menschen in Offenbach sind konfrontiert mit den unterschiedlichsten Haltungen in ihrem engsten Freundeskreis. Das sind die Jugendlichen, die zu uns in die Schule kommen. Für sie ist es »normal« innerhalb ihres Umfeldes unterschiedlichen Kulturen und Religionen zu begegnen, Freundschaften bilden sich ebenso wie Unverständnis und Vorurteile, religiöse Traditionen trennen und vereinen sie. Der Religions- und Ethikunterricht kann sie dabei begleiten, kann ihnen Raum geben, ihre Situation zu reflektieren, kann ihnen hilfreiches Handwerkszeug sein im Umgang mit ihren Freunden und deren Familien. In der Einführungsphase im beruflichen Gymnasium vereinen wir zwischen 8 und 14 Sprachen in einem Klassenverband, 7 bis 12 unterschiedliche Glaubensrichtungen und Weltanschauungen. 1

Vgl. zum Projekt »Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken« auch folgende bereits veröffentlichte Beiträge: Carolin Simon-Winter, Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken. Religionsunterricht als Ort einer kompetenzorientierten Bildung in der pluralen Gesellschaft, in: Albert Biesinger u.a. (Hg.). Gott – Bildung – Arbeit. Zukunft des Berufsschulreligionsunterrichts, Münster 2013, 153–165. Burkhard Rosskothen / Stephan Pruchniewicz, Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken. Interreligiöses Unterrichtsprojekt der Theodor-Heuss-Schule Offenbach, in: Ludwig Rendle (Hg.), Religiöse Bildung in pluraler Schule. Herausforderungen – Perspektiven, München 2015, 110–116. Stephan Pruchniewicz, Fremde(,) Schwestern und Brüder. Kooperativer Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen, Münster 2016.

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Diese Differenzerfahrung bietet den Schülerinnen und Schüler die Chance, im reflektierten Umgang mit dieser Unterschiedlichkeit zu wachsen. Differenz und Dialog bilden auch die didaktischen Prinzipien, die sich durch alle Unterrichtsmodule ziehen. Abgebildet sind diese Prinzipien auch in der Unterschiedlichkeit der unterrichtenden Lehrkräfte: Alle fünf Klassen der Stufe 11 des Beruflichen Gymnasiums werden von einem Team, bestehend aus vier Lehrkräften der Fächer Ethik, Katholische, Evangelische und Islamische Religion unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler verbleiben jeweils in ihrem Klassenverband. Somit steht den Schülerinnen und Schüler mit ihren unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen jeweils eine Lehrkraft ihrer Weltanschauung oder Konfession zur Seite. Organisatorisch gesehen ist eine Lehrkraft für alle formalen und administrativen Belange einer Klasse verantwortlich. Die zwei Wochenstunden Religions- und Ethikunterricht für alle fünf Klassen finden an einem Tag und in jeweils zwei Klassen parallel statt. Wichtig ist auch, dass die Klassenräume nebeneinander angeordnet sind. Der Unterricht bei zwei parallel verlaufenden Klassen wird mit einem Team von zwei mal zwei Lehrkräften durchgeführt. Verschiedene Arbeitsphasen erlauben den Lehrkräften je nach Bedarf und inhaltlichen Anforderungen zwischen den Klassen zu wechseln. So ist für die Schülerinnen und Schüler immer eine Ansprechperson der eigenen Konfession oder Weltanschauung ›greifbar‹ und eine konfessionelle Begleitung des Unterrichts über das gesamte Schuljahr gewährleistet. Dabei bleibt es aber nicht; der klassisch-konfessionelle Religionsunterricht wird weiterentwickelt, indem er einen konzeptionellen Rahmen für einen dialogischen Ansatz bekommt. Der Unterricht mit einer nicht konfessionell getrennten Gruppe erlaubt das Zueinander-Sprechen aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Unterricht ist angewiesen auf die Unterschiedlichkeit derer, die den Dialog gestalten. Zentrale Frage dabei: Was trägt Religion und Wertevermittlung zur eigenen Lebensorientierung und Weltgestaltung bei? Lernen wird hier zu einer Suchbewegung, zu einer Sprachfindung, bei der eine reine Vermittlungsdidaktik nicht mehr ausreicht. Der Weg ist damit aneignungsbezogen, die Lernrichtung verläuft horizontal. Der Unterricht ist in Module unterteilt, die auf der Grundlage der jeweils gültigen Lehrpläne des Landes Hessen für die Fächer Evangelische und Katholische Religion sowie das Fach Ethik unter der Maßgabe der Projektprinzipien Differenz und Dialog entwickelt wurden. Die islamischen Inhalte wurden nicht nach dem Prinzip des gemeinsamen Nenners ausgesucht, sondern mit dem Ziel, die Mehrperspektivität auf die jeweiligen Themen zu erhalten. In der Unterrichtsvorbereitung zeigt sich der Vorteil einer teamorientierten Zusammenarbeit unter uns Lehrenden: Sie trägt in hohem Maße zu einer auf Entwicklung angelegten authentischen Begegnung im Unterrichtszusammenhang bei.

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2. Das Projekt2 Das Projekt »Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken« hat in seiner über achtjährigen Geschichte bereits mehrere Evolutionsphasen durchgemacht. Die Abbildung zeigt den Stand aus dem Schuljahr 2017/18:

Der innere Ring kennzeichnet entsprechend der Projektprinzipien Differenz und Dialog die Aufteilung der Module in zwei Blickrichtungen: im Blick auf die Achtung der Verschiedenheit mit den ersten vier Mo2

Zur ausführlichen Beschreibung der einzelnen Module und ihrer didaktischen Umsetzung (sowie zur Abbildung auf dieser Seite) s. unseren Beitrag »Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken«, in: Religionspädagogisches Institut der Ev. Kirche in Kurhessen-Waldeck und der Ev. Kirche in Hessen-Nassau (Hg.), Aus der Praxis – für die Praxis. Dokumentation eines dialogischen Unterrichtsprojektes aus der Theodor-Heuss-Berufsschule in Offenbach, Marburg 2017 (verfügbar unter: www.rpi-ekkw-ekhn.de).

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dulen und die Stärkung der Gemeinschaft in ihrer Unterschiedlichkeit in den übrigen Modulen (im Einzelnen benannt im zweiten Ring). Das Schuljahr beginnt mit der »Begrüßung« aller Schülerinnen und Schüler durch das Team der Lehrenden und einige Schülerinnen und Schüler des vergangenen Kurses. Diese berichten von ihren Erfahrungen und Erlebnissen, zeigen ein sieben Meter langes Tischtuch mit ihren darauf verfassten Kommentaren, Anmerkungen und Erkenntnissen zum vergangenen Schuljahr. Diese bildhaft starken Momente werden im ersten Modul »Vielfalt bewusst erleben« weiter eingesetzt: Die Schülerinnen und Schüler erleben Vielfalt, Gemeinsamkeiten und Individualität, indem sie an einer raumgreifenden Installation arbeiten, die gemeinsame Wege und Knotenpunkte, aber auch Verzweigungen und eigene Wege darstellt. Ein Bild, das sich einprägt und mehr zeigt als tausend Worte. Auch das Ende des Schuljahres wird mit einem Bild in Erinnerung bleiben: Die Schülerinnen und Schüler aller Klassen sitzen vereint an einem von ihnen gedeckten Tisch und halten gemeinsam Mahl zum Abschluss. Dabei haben sie die Gelegenheit, ihre Kommentare, Anmerkungen und Erkenntnisse aus dem zurückliegenden Schuljahr auf dem Tischtuch zu verewigen. Diese Anfangsphase dient sprichwörtlich der Sprengung von Schubladen. Ziel ist, dass die Schülerinnen und Schüler in einer Arbeitsatmosphäre ankommen, die es ermöglicht sich zeigen zu können, wie sie sind. Fragen nach der eigenen Identität und ihrem je eigenen Verständnis von »Glück« folgen im anschließenden Modul »Religion und weltanschauliche Lebensentwürfe«. Diese Phase wird abgeschlossen mit dem Modul »Biographisches Lernen«. Das Team der Lehrenden geht hier in vertrauensvolle Vorleistung und erzählt aus dem eigenen Leben. Der Blick wird dabei auf besondere Ereignisse im Leben gerichtet, die Entscheidungen für eine Veränderung oder eine besondere Erkenntnis für weiterführende Lebenswege bedeuteten. Die Schülerinnen und Schüler werden danach eingeladen drei Objekte von zuhause mitzubringen, die auch mit einem solchen Bedeutungsgehalt aufgeladen sind. In einer von respektvoller Stille und gespannter Atmosphäre geprägten Unterrichtsstunde erzählen die Schülerinnen und Schüler ihre biographischen persönlichen Geschichten. In der Regel erstrecken sich diese Erzählungen über mehrere Doppelstunden und verändern merklich den Umgang untereinander. Die anschließenden Module rücken den Umgang mit dieser erlebten Vielfalt ins Zentrum. Hier sollen die Schülerinnen und Schüler qualifiziert werden, »Toleranz« zu definieren, und lernen, angesichts der Vielfalt im Dialog zu bleiben und ihn führen zu können. Im Rahmen einer klassischen Textarbeit erarbeiten die Schülerinnen und Schüler das To-

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leranzverständnis nach Rainer Forst3. Sie lernen, dass Toleranz Grenzen hat bzw. einer Ablehnungskomponente bedarf, und dass es unterschiedliche Konzepte des Toleranzverständnisses gibt. »Toleranz« bedeutet mehr als das, was oft am Anfang von Schülerinnen und Schüler als ihr Verständnis von Toleranz angeführt wird: »Meine Mutter ist der toleranteste Mensch der Welt, sie erlaubt mir alles«. In der Folgestunde werden die Schüler mit einer achtminütigen Sequenz aus dem Kinofilm »Brokeback Mountain« konfrontiert. Mit dieser Stunde erproben die Schülerinnen und Schüler, wie Toleranz zum Einsatz kommen kann, wie ein gemeinsames Gespräch, oft auch eine scharfe Auseinandersetzung, geführt werden kann und man sich dennoch menschlich begegnen und auch wieder auseinander gehen kann. Ausgestattet mit dem Wissen um mehrere Möglichkeiten, mit Unterschiedlichkeit umzugehen, wird der Blick in den folgenden Modulen auf Modelle des Zusammenlebens gerichtet. In einer ersten Phase werden die Schülerinnen und Schüler wieder behutsam an diese Übung herangeführt mit der Frage: Welchen Blick muss man haben, damit Zusammenleben funktioniert oder zerstört wird? Das Beispiel von »Al-Andalus« zeigt einen Blick auf eine Epoche der Geschichte, in der die Zusammenarbeit von Juden, Christen und Muslimen viele heute noch wichtige Erkenntnisse im Bereich der Mathematik, der Bewässerung, der Übersetzungsarbeit und der Medizin – um nur ein paar wenige Bereiche zu nennen – hervorgebracht hat. Wo sich Menschen auch in ihrer Unterschiedlichkeit zusammen getan, Festlegungen getroffen oder Erkenntnisse geteilt haben, ist Gutes und Fortschritt entstanden. Dieses Verständnis von »convivencia« kann zum Modell des Zusammenlebens werden – von den Anfängen der Religionen bis zur Gegenwart. Diesen Weg geht das Projekt in den sich anschließenden Modulen von »Abraham bis zu Habermas«4. Er beginnt für die Schülerinnen und Schüler mit dem Kennenlernen der unterschiedlichen Abrahamsgeschichten in Tora, Neuem Testament und Koran und mit dem Entdecken übereinstimmender Motive, die Dialog eröffnen können. Daran anschließend wird das Modul: »Verhältnis der drei monotheistischen Religionen – Konkurrenz oder »convivencia«?« behandelt, in dem die Modelle des Exklusivismus, des Inklusivismus und des Pluralismus vorgestellt und in ihren Konsequenzen für die Praxis bedacht werden. Das Feld des Verhältnisses der Religionen zueinander wird erweitert um Überlegungen zur Rolle des säkularen Staates. In dem Modul »Pluralistische Gesellschaft – Säkularer Staat« sollen die Schülerinnen und Schüler erfahren, dass der säkulare Staat kein Gegenüber oder Gegner 3 Rainer Forst, Toleranz im Konflikt: Geschichte, Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffes, Frankfurt a.M. 2003. 4 Dazu ausführlich unten Teil 3.

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der Religionsgemeinschaften ist, sondern der Garant für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aller Bürgerinnen und Bürger. Dies erfordert, bestimmte Bedingungen des Umgangs miteinander einzuhalten, die in den folgenden Modulen besprochen und eingeübt werden: »Die (post-)säkulare Gesellschaft: Voneinander Lernen und Grenzen setzen«. Die Schülerinnen und Schüler setzen sich in diesen Stunden mit der Idee des »komplementären Lernprozesses« von Jürgen Habermas auseinander und erfahren, dass eine funktionierende Gesellschaft auf die Bereitschaft ihrer Bürgerinnen und Bürger angewiesen ist, das Zusammenleben auch inhaltlich zu gestalten. Die Schülerinnen und Schüler lernen hierfür auch das Konzept der »zivilisierten Verachtung«5 kennen. Dem Gelernten schließt sich dann wieder die praktische Übung an: Am Beispiel der Begriffe »Gerechtigkeit«, »Frieden« und »Gender« findet die Idee des komplementären Lernprozesses ihre Anwendung. Wie wird Gerechtigkeit und Frieden aus den jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Perspektiven verstanden? Was heißt das für unser Leben? 3. »Von Abraham zu Habermas« – unterrichtliche Praxis, begründet aus Tradition Die oben beschriebenen Praxiserfahrungen zeigen anschaulich, dass diese Art des Unterrichtens mehr ist als eine aus der Not geborene Reaktion auf die schwindende Zahl der Schülerinnen und Schüler im RU. Diese Erfahrungen sind die Fortführung religiöser Traditionen, in denen Dialog im Sinne von Auseinandersetzung mit sich selbst, der Umwelt und Gott zu deren ureigenstem Wesen gehört. Bis zurück in die Schriften lässt sich verfolgen, dass Glaube nicht in die abgeschlossene Selbstgenügsamkeit des Individuums führt, sondern dass er öffnet für Bewegung, die verändert. Somit lässt sich dialogisches Unterrichten auf eine lange religiöse Tradition zurückführen, die darin besteht, aus Glauben heraus den Aufbruch zu wagen, sich in Auseinandersetzungen zu begeben. Dies ist keine Verbeugung vor dem Zeitgeist. Insofern ist dialogischer Religionsunterricht Beheimatung und Aufbruch zugleich. An der Abrahamsgeschichte soll nun exemplarisch gezeigt werden, an welchen Motiven sich dialogische Grundhaltungen finden lassen, die bis heute sowohl für einen theoretischen Begründungsrahmen als auch für die praktische Umsetzung Relevanz besitzen. Dieses Vorgehen bereichert zum einen die innerreligiöse und interreligiöse Diskussion und bietet zum anderen Anknüpfungspunkte zu modernen ethisch-philosophischen Positionen. Die Abrahamsgeschichte eignet sich, weil sie in allen drei monotheistischen Religionen zum Grundbestand der jeweiligen 5

Carlo Strenger, Zivilisierte Verachtung, Berlin 42015.

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Schriften gehört, weil die Geschichte Gemeinsamkeiten und religionsspezifische Widersprüche deutlich werden lässt, weil die Figur Abrahams im interreligiösen Dialog eine zentrale und zugleich sehr umstrittene Rolle spielt.6 An drei Motiven, die in Tora, Bibel und Koran zu finden sind, soll an dieser Stelle exemplarisch und in Ansätzen gezeigt werden, welche Denk- und Verhaltensweisen für eine dialogische Grundhaltung konstitutiv sind. Bezogen auf den Unterricht heißt dies, mit den Schülerinnen und Schüler diese theoretisch zu erarbeiten, um sie dann im weiteren Unterrichtsgeschehen praktisch umzusetzen.7 3.1 In Gott ergeben glauben als Befreiung zur Beweglichkeit In den religiösen Traditionen des Judentums, des Christentums und des Islams ist das zentrale Motiv in Bezug auf Abraham sein ›vorbildlicher Glaube‹. Wobei von einem Glauben gesprochen wird, der sich nicht durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft definiert, sondern durch absolutes Gottvertrauen, das dazu befähigt, sich in einen offenen, unbekannten Raum zu begeben. In der Tora genügt die Aufforderung: »Geh in das Land, das ich dir zeigen werde« (Gen 12,1), damit Abraham sich in Bewegung setzt. Die Konsequenzen dieses Aufbruchs ins Ungewisse sind bekannt: Es wurde neues Land erschlossen, das Überleben unterschiedlicher Stämme gesichert, die Einzigartigkeit des Bundesversprechens an die Juden formuliert und gleichzeitig die Universalität des Segens Gottes für die gesamte Menschheit proklamiert. Keine leichte Gemengelage – somit ist bereits am Anfang deutlich, dass der Glaube Abrahams nicht in eine selbstgenügsame Eindeutigkeit führt, sondern in die Notwendigkeit einer ständigen Auseinandersetzung, wozu uns jedoch eben dieser Glaube gleichzeitig befähigt. Von dieser Kraft des Glaubens spricht in christlicher Tradition Paulus in Röm 4,18– 20, wo es heißt, dass denjenigen, die wie Abraham glauben, nämlich »auf Hoffnung hin [...], wo nichts zu hoffen war«, Stärke gegeben wird. Und im Weiteren schreibt er, dass es dieser Glaube ist, durch den wir gerechtfertigt sind und der uns dazu befähigt in Bedrängnis auszuhalten, »[...] denn die Hoffnung lässt uns nicht zuschanden werden« (vgl. Röm 5,5). Im Islam ist es millat abraham8, auf den die Gläubigen geführt werden sollen. Es ist ein Glaube, der daran zu erkennen ist, dass er den Menschen in die Herzen eingezogen 6

Bei der Betrachtung der Motive und ihrer Interpretation im Judentum bzw. im Islam wurde im Wesentlichen auf exegetische und religionspädagogische Literatur aus der jeweiligen Binnenperspektive zurückgegriffen. Trotz dessen ist festzuhalten, dass auch diese Schriften aus der Perspektive der christlichen Theologie gelesen wurden und insofern hermeneutisch vorgeprägt sind. 7 Eine ausführliche Beschreibung dieses Vorgehens findet sich in: Carolin SimonWinter, »Standhafte Beweglichkeit« – Chancen eines dialogischen Religions- und Ethikunterrichts, mit ausgeführtem Praxisbeispiel »Von Abraham zu Habermas«, Master Thesis »Interreligiöser Dialog«, Universität Krems 2017 (unveröffentlicht). 8 Harry Harun Behr, Die Abraham-Konstruktion im Koran, in: ders. / Daniel Krochmalnik / Bernd Schröder (Hg.), Der andere Abraham, Theologische und didaktische Reflexionen eines Klassikers, Berlin 2011, 109—149, hier 126.

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ist, und keiner, dem sie sich äußerlich ergeben. Zu glauben wie Abraham, heißt hanif zu sein und sich Gott zu ergeben (musliman)9 und dies führt dazu, sich allen Hindernissen und Anfeindungen stellen zu können.

Das zeigt: Alle drei Religionen definieren den Glauben Abrahams als einen, der nicht in die Sicherheit eines von Gott beschützten Lebens führt, sondern der ermächtigt, das Leben mit all seinen Herausforderungen leben zu können. Karl-Josef Kuschel spricht davon, dass dieser Glaube davon geprägt ist, dass mit Gott Unmögliches möglich wird. Dies gilt für Abraham wie auch für Sara und Hagar. Sie alle sind auf je unterschiedliche Art »archetypische Gestalten radikaler Hoffnungsexistenz«.10 Am Beispiel des islamischen Verständnisses der Hagar lässt sich diese Art des Glaubens nochmals in besonderer Weise zeigen. Von Hagar wird in der islamischen Tradition erzählt, wie sie, als sie in der Wüste am Verdursten war, sich in Bewegung setzte und siebenmal zwischen zwei Hügeln hin und her lief und dadurch die Quelle ZamZam (Lebensquelle) gefunden hat. Dazu passt, dass ihr Name im Arabischen dieselbe Wurzel wie hijrah hat: das sich-Aufmachen und Herausbrechen aus bestehenden heimatlichen und vertrauten Strukturen, um an neuen Orten Gottes Willen zu leben.11 An diese, eher aus dem Moment entstandene Aktion schließt sich dann eine Haltung an, die das weitere Leben entscheidend verändert und betrifft. Im Islam wird hierfür das Wort Itjhihad gebraucht. Hierbei geht es darum, sich durch individuelle, intellektuelle Anstrengung den Problemen der Zeit aus dem Glauben heraus zu stellen.12 Durch die Erkenntnis, dass die althergebrachten Strukturen, das dem Glauben innewohnende Potential eher einengen, kann man sich aus ihnen befreien und aufbrechen, um dann im weiteren Lebensvollzug die gewonnene Freiheit zur Lebensgestaltung, auch in Anfechtung, umzusetzen: »Wer wie Hagar zu einem Körper in Bewegung wird und aus den zugewiesenen Räumen, dem Sklavenhaus in die gefährliche, aber freie Wüste entkommt, der kann durchaus schöpferisches Potential entwickeln.«13

Für die Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte dient die Abrahamsgeschichte damit als Vorbild dafür, zu der je eigenen Tradition zu stehen, sich ihrer durchaus auch kritisch zu vergewissern und sich bewusst zu machen, was durch sie an Stärke und Kraft gewonnen werden kann, 9 Hanif und Musliman sind Begriffe aus vorislamischer Zeit, die die rechte Glaubensform beschreiben. Sie sind also nicht aus heutiger Sicht, im Sinne eines institutionalisierten Islams zu lesen. Vgl. ebd.,114, und Muhammad Asad, Die Botschaft des Koran, Übersetzung und Kommentar, Ostfildern 22011, 16f. 10 Karl-Josef Kuschel, Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint, Düsseldorf 52006, 120f. 11 Vgl. Riffat Hassan, Islamic Hagar and her familiy, in: Phyllis Trible / Letty M. Russel (Hg.) Hagar, Sarah and their children. Jewish, Christian, and Muslim Perspectives, Lousville (Kentucky) 2006, 149–170, hier 154f. 12 Vgl. Hibba Abugideiri, Hagar: A historical model for Gender Jihad, in: Yvonne Yazbeck Haddad / John L. Esposito (Hg.), Daughters of Abraham. Feminist Thought in Judaism, Christianity and Islam, Gainesville (Florida) 2002, 81–108, und Claudia Nieser, Hagars Töchter. Der Islam im Werk Asia Djebars, in: Karl-Josef Kuschel / Georg Langenhorst (Hg.), Theologie und Literatur, Bd. 25, Ostfildern, 2011, 366ff. und 380f. 13 Ebd., 42.

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um dies in aller Offenheit den »Anderen« mitzuteilen. Um in die »Bewegung des Mitteilen-Könnens« zu kommen, sind jedoch bestimmte Voraussetzungen nötig. 3.2 Verknüpfung von Glaube und Vernunft oder der Kampf gegen Idolatrie In der jüdischen und muslimischen Tradition wird die Verknüpfung von Glaube und Vernunft besonders betont. In den Vorgeschichten zu Abraham wird berichtet, wie er sich mit seiner eigenen Tradition kritisch auseinandersetzt. So kommt es dazu, dass er sich von der Götzenanbetung und damit der Tradition seiner Väter abwendet. Dieses Motiv wird z.B. bei Philo aufgenommen, der hellenistisches Gedankengut in jüdische Glaubensvorstellungen integriert. Abraham begibt sich laut Philo auf eine »[...] Wanderung aus falschen Gottesvorstellungen kraft des Verstandes und des in uns wohnenden Logos hin zur reinen Gotteserkenntnis«.14 Abraham macht dabei die Erfahrung »[...] wie wenn er aus der Fremde in die Heimat zurückkehre«.15 Heimat ist also die Weite des Geistes und der Erkenntnismöglichkeiten durch die Vernunft. Damit löst Philo Abraham aus der rein genealogischen Abstammung und lässt ihn zu einer Identifikationsfigur für alle Menschen werden, die einen Weg der Einheit von Vernunft und Glauben beschreiten wollen. In diesem Sinne kann auch die Änderung der qibla16 interpretiert werden, so wie es Riffat Hassan tut.17 Sie sagt, dass die damals neu entstandene muslimische Gemeinschaft historisch und spirituell einen Punkt erreicht hatte, der das Ende einer Phase markierte, und es Zeit wurde, in eine neue einzutreten. Insofern war die Zeit reif, nicht nur die Verbindung zu Abraham und Jerusalem zu betonen, sondern auch die Verbindung zu Abraham und der gesamten Menschheit. Für sie wird in der Änderung der qibla ein Perspektivwechsel vollzogen, der den Prinzipien der Universalität wieder Geltung verschafft hat. Im Judentum findet ausgehend von der Tradition um Abraham und seiner Familie bis heute ein kreativer Midrasch statt, der jüdische Menschen dazu bringt, über hochaktuelle und brisante Themen bezüglich der Lebensgestaltung auch mit ihren Nachbarn nachzudenken.18 Für Christinnen und Christen in Lateinamerika weckte die Geschichte um Abraham und seiner Familie in den 80er Jahren neuen Lebensmut. Nach Jahrzehnten der brutalen Unterdrückung wurde vor allem Hagar zur Identifikationsfigur und zum inspirierenden Vorbild: sie, die aus der Passivität des Opfers in Bewegung gekommen ist und somit Würde und Leben zurückgewonnen hat.19 14 Hubert Frankemölle,, Vater im Glauben? Abraham/Ibrahim in Tora, Neuem Testament und Koran, Freiburg 2016, 274. 15 Ebd., 274. 16 »Qibla« bezeichnet die Gebetsrichtung der Muslime, die von Jerusalem nach Mekka geändert wurde. Nicht-muslimische Theologen sehen die Änderung der qibla oft als Aus- und Abgrenzung von den Juden. In diesem Sinne interpretieren sie auch die neu entstehende Glaubensform als Bruch und Abwertung der vorherigen monotheistischen Religionen, z.B. ebd., 338ff. 17 Hassan, Islamic Hagar (s.o. Anm. 11), 161. 18 Adele Reinhartz und Miriam-Simma Walfish, Conflict and Coexistence in Jewish Interpretation, in: Trible/Russel, Hagar (s.o. Anm. 11), 115. 19 Vgl. z.B. Elsa Tamez, A mulher que complicou a historia da salvacao, in: Ludovico Garmus (Hg.), Estudos Biblicos 7, Petropolis 1985, 56–72.

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Das ist es, was uns an den Abrahamsgeschichten in Bezug auf den Umgang mit tradierten Glaubensvorstellungen deutlich werden kann. Es ist nötig, ihr befreiendes und stärkendes Potential wieder zu Tage treten zu lassen. In der Situation Abrahams führte diese kritische Reflexion der tradierten Glaubensvorstellungen und der damit verbundene Erkenntnisgewinn dazu, dass Götzen als solche entlarvt und bekämpft werden konnten. An Abraham zeigt sich: Wer sich in die Weite des Raumes begibt, kann keine Götzen anbeten. Götzen verhindern das Denken und somit das Bewegen in Freiheit. Der Kampf gegen Götzen ist somit kein innerreligiöser Konkurrenzkonflikt, sondern er ist eine Absage an jegliche Form der Unterdrückung von Menschen durch Denkverbote. Immer dann, wenn Menschen dazu gezwungen werden, sich ohne Reflexion in Strukturen zu begeben, deren Begründung einzig in der Erhaltung der Macht derselben liegt, gilt es diese zu zerbrechen. Das können wirtschaftliche, politische, aber eben auch religiöse Systeme sein. Wer glaubt, muss denken. Im Unterricht erleben wir immer wieder, wie schwer es oft für Schülerinnen und Schüler ist zu begreifen, dass kritische Reflexion der eigenen Tradition und der persönlichen Überzeugung nicht gleichbedeutend ist mit einer Abwertung derselben, sondern auch dazu führen kann, deren verschüttetes Potential zutage zu fördern. 3.3 Die Bedeutung von Grenzen Die Abrahamsgeschichte ist auch eine Geschichte der Trennungen, welche im Entwicklungsprozess der religiösen Traditionen ihre Fortsetzung fanden und bis heute ihre Fortsetzung finden. Grenzen schaffen auch Räume und sind aus diesem Grund gerade für einen dialogischen Prozess äußerst wertvoll. Zunächst aber zu Trennungen in den überlieferten Geschichten: Sara bestand auf der Trennung von Hagar. Diese Trennung wird in der Regel als unmenschlicher Vernichtungsakt gesehen, in der jüdisch-feministischen Tradition wird jedoch auch davon gesprochen, dass Sara durch die Vertreibung Hagars eine notwendige, für den Erhalt der Familie wichtige Trennung vollzog.20 Und auch Hagar trennte sich von Sara und Abraham und suchte ihren Lebensraum in der Wüste. Dort, in der zunächst selbstgewählten Einsamkeit, wird sie von Gott gesehen und bekommt die Verheißung, dass ihr Sohn zahlreiche Nachkommen haben, also leben werde, zugesprochen. Und die zweite von Sara erzwungene Trennung führt sie dazu, die Quelle ZamZam zu entdecken. Damit wird sie zu einer Pionierin, der es gelingt, eine neue Zivilisation ins Leben zu rufen.21 Und schließlich die Trennung von Isaak und Ismael. Dadurch, dass Ismael als »Wildeselmensch« in die Ferne zieht, kann er dort erst zum Stammvater anderer Völker werden. Damit wird gleichzeitig möglich, dass Isaak das ihm verheißene Erbe antreten kann.22 20 21 22

Reinhartz/Walfish, Conflict (s.o. Anm. 18), 118. Hassan, Islamic Hagar (s.o. Anm. 11), 154. Thomas Naumann, Ismael – Abrahams verlorener Sohn, in: Rudolf Weth (Hg.), Bekenntnis zu dem einen Gott?, Neukirchen-Vluyn 2000, 70–89, hier 76.

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Durch die Trennungen in den Abrahamsgeschichten werden Grenzen gezogen, die lebenswichtig und lebenserhaltend sind. Claudia Nieser beschreibt in ihrem Buch »Hagars Töchter« Grenzen als »Schöpfungszonen«, als Orte, an denen Verschiedenes miteinander reagiert und Gutes und Schönes hervorbringen kann. Allerdings sind diese Grenzen »kein bewachtes vermintes Terrain; sie sind vielmehr Orte der bewusst gewählten Differenz [...]. So gesehen ginge der Menschheit ein entscheidender Reichtum verloren, wenn keine Grenzen mehr existierten.«23 Hieran wird deutlich, dass Trennungen und Grenzen durchaus Lebensräume eröffnen können und somit notwendig sind. Vor allem in der jüdischen Tradition kann deutlich werden, dass Grenzziehungen (Über)lebensräume sichern. Um dies zu erkennen, ist für die »Ausgegrenzten« jedoch ein Perspektivwechsel nötig. So ist und bleibt der Bundesschluss Gottes mit Abraham (Gen 12 und Gen 17) Ausdruck einer besonderen Erwählung Israels, die auch die bewusste Abgrenzung von den »Anderen« beinhaltet Für Musliminnen und Muslime ist der Glaube, dass Abraham derjenige ist, der gemeinsam mit seinem Sohn Ismael die Kaaba bei Mekka gebaut hat und diese zum Zentrum des Glaubens werden ließ, identitätsstiftend für die umma. Auch sie muss durch eine Grenze geschützt bleiben. Für Christinnen und Christen ist die geistige Abrahamskindschaft im Sinne einer konstitutiven Glaubensgewissheit ebenfalls nicht aufgebbar. Das heißt, dass es in allen Religionsgemeinschaften geglaubte Wahrheiten gibt, die nur durch Perspektivwechsel in ihrer Bedeutung für den Anderen zu erfassen sind. Diese sind nicht zu diskutieren, sondern müssen durch Grenzen des Respekts geschützt werden, dies lässt sich in der Auseinandersetzung mit der Abrahamsgeschichte für Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte praktisch einüben. Denn in ihr wird deutlich, dass Grenzen zu Orten der Freiheit werden, dass Unterschiede keine Angst machen müssen, sondern als Ressource zur Gestaltung der Gesellschaft genutzt werden können. Die Bequemlichkeit des dualistischen Denkens, das immer schon im Voraus weiß, was von »den Anderen« zu erwarten ist, weicht der Zumutung geistiger Flexibilität. Diese Haltung findet sich in den Geschichten um Abraham wieder, in dem Gottvertrauen, in der gesegneten Vielfalt, in Itjhihad.

Diese Erkenntnis, aus einer nicht-religiösen Tradition heraus formuliert, sagt, dass diese Geschichten ganz einfach eine Absage an jegliche Form des vereinfachenden Dualismus sind. »Entsprechend ist das, was sie einüben können, weniger ein dualistisches Denken, sondern ein vernetztes Denken.«24 Damit sind wir bei Habermas. 4. Die Idee des »komplementären Lernprozesses«25 von Jürgen Habermas als didaktische Grundlage für dialogisches Lernen im Religions- und Ethikunterricht Wenn wir davon profitieren wollen, dass in unseren Klassen religiöse und nicht-religiöse Schülerinnen und Schüler zusammen sind, dann ist 23 24 25

Nieser, Claudia, Hagars Töchter (s.o. Anm. 12), 23. Nieser, Claudia, Hagars Töchter (s.o. Anm. 12), 415. Vgl. hierzu Jürgen Habermas, Religion in der Öffentlichkeit. Kognitive Voraussetzungen für den öffentlichen Vernunftgebrauch religiöser und säkularer Bürger, in: ders., Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt a.M. 22013, 119–154, und ders., Glauben und Wissen, Frankfurt a.M. 2001.

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es notwendig, den interreligiösen Dialog nicht in irgendeiner Form zu öffnen, sondern ihn um eine philosophisch ethische Perspektive zu erweitern. Durch diese andere Perspektive lassen sich ganz im oben beschriebenen Sinne von Grenzen als Schöpfungszonen neue Erkenntnisquellen erschließen. Habermas hat sich vor allem in seinem Spätwerk mit dem Erkenntnispotential auseinandergesetzt, das an der Grenze zwischen Religion und Nicht-Religion zu entdecken ist.26 In der postsäkularen Gesellschaft, so sagt er, setzt sich die Erkenntnis durch, dass die »Modernisierung des öffentlichen Bewusstseins phasenverschoben religiöse wie weltanschauliche Mentalitäten erfasst und reflexiv verändert«.27 Beide Seiten könnten, wenn sie die Säkularisierung der Gesellschaft als Lernprozess begreifen, ihre Beiträge zu kontroversen Themen in der Öffentlichkeit auch aus kognitiven Gründen gegenseitig ernst nehmen. Das Ziel wäre, aus der Wechselwirkung zwischen säkularer und religiöser Vernunft einen Beitrag zur »Überwindung des Defätismus der Moderne«28 zu erreichen. Dabei bestünde die Aufgabe für religiöse Bürgerinnen und Bürger darin, ihre religiösen Überzeugungen in säkulare Sprache zu übersetzen und damit einhergehend eine Außenperspektive auf ihren eigenen Glauben einzunehmen. Nicht-religiöse Bürgerinnen und Bürger müssten eine Bereitschaft zur Aufnahme religiöser Bedeutungsinhalte aufbringen und womöglich ein säkularistisch verhärtetes und exklusives Selbstverständnis der Moderne aufgeben. Darin verwirklicht sich »die kommunikative Vernunft«, wie Habermas sie in seiner Diskursethik beschrieben hat. In der Idee des hier in aller Kürze beschriebenen ›komplementären Lernprozesses‹, zeigen sich (erstaunlicherweise) Motive, die in den Abrahamsgeschichten als Motive einer dialogischen Grundhaltung beschrieben wurden. 4.1 In Gott ergeben glauben als Befreiung zu Beweglichkeit und, damit einhergehend, zur Gestaltung von neuem Lebensraum Auch bei Habermas geht es um einen Lebensraum für alle Menschen, der gestaltet werden muss. »Die entscheidende Perspektive stellt nun diejenige des gerechten Zusammenlebens von Menschen dar, die gemeinsam gezwungen sind, herauszufinden, ›was gleichermaßen gut für jeden von ihnen ist‹«.29 Diese Gestaltung sieht Habermas als Aufgabe der Staatsbürger, wobei er betont, dass Religionen »kognitive und moti26

Vgl. dazu Tobias Renner, Postsäkulare Gesellschaft und Religion. Zum Spätwerk von Jürgen Habermas (Freiburger Theologische Studien 183), Freiburg 2017. 27 Klaus Thomalla, Habermas und die Religion, in: Information Philosophie 2/2009, hier 3, www.information-philosophie.de, Zugriff 4.4.2017. 28 Thomalla, Habermas (s.o. Anm. 27), 3. 29 Renner, Postsäkulare Gesellschaft (s.o. Anm. 26), 141.

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vationale Ressourcen für die Bewältigung von Problemen und Defiziten der Moderne bereitstellen.«30 Damit spricht Habermas auf jene Haltung an, die sich in den Abrahamsgeschichten z.B. mit dem islamischen Begriff des itjhihad ausdrücken lässt, die in der jüdischen Tradition in dem bis heute fortgeführten kreativen Midrasch zu finden ist, und die bis heute Christinnen und Christen motiviert, für Befreiung aus unterdrückenden Strukturen zu kämpfen. Die Beweglichkeit Abrahams und seiner Frauen beschreibt somit in narrativer Gestalt die geistige Beweglichkeit, die Habermas von Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern erwartet. 4.2 Verknüpfung von Glaube und Vernunft Nach Habermas muss diese Beweglichkeit bei religiösen wie auch bei nicht-religiösen Bürgerinnen und Bürgern mit einer Phase der Selbstreflexion einhergehen. Es ist notwendig, sich mit der eigenen Tradition kritisch auseinanderzusetzen. Dies wird bei Abraham an verschiedenen Stellen deutlich. Besonders in den Vorgeschichten, durch den Bruch mit seinem Vater, aber auch im Laufe der Traditionsgeschichte zeigte sich in allen drei abrahamischen Religionen, dass Bewegung und Veränderung nur dann möglich wurden, wenn eine Reflexion der eigenen Tradition stattgefunden hat. Bei Habermas ist das reflexive Bewusstsein, das sowohl die ungläubigen wie auch die gläubigen Bürger in Bezug auf ihre eigene Tradition entwickeln müssen, eine Vorbedingung, um in den komplementären Lernprozess einzusteigen. Aber nicht nur im Umgang mit der eigenen Tradition ist ein reflexives Bewusstsein gefordert, sondern auch im Hinblick auf die Traditionen der Anderen. So geht »Habermas zwar grundsätzlich von Lernpotentialen zwischen religiösen und nicht-religiösen Bürgern aus, wobei er dies aber nur auf diejenigen religiösen Bürger bezieht, die sich reflexiv mit der Moderne auseinandersetzen. Als deren Gegenüber sieht er nur diejenigen der nicht religiösen Bürger, die davon ausgehen, dass es sich bei Religionen nicht um vormoderne Denkformen handelt. Insofern schließen sich Bürger sowohl mit fundamentalistischen, als auch naturalistischen und säkular verengten Sichtweisen von möglichen Lernprozessen aus«.31 In dieser reflexiven Selbstbesinnung werden dann auch Götzen sichtbar, die die Menschen in festgefahrenen Denkmustern gefangen halten und verhindern, dass sie sich auf einen gemeinsamen Lernprozess einlassen. Habermas erwähnt in diesem Zusammenhang die szientistische Wissenschaftsgläubigkeit, die alle anderen Dimensionen der Welt30 31

Ebd., 104. Ebd., 118. Aus diesem Grund ist es so wichtig, dass die SuS vorher die Toleranzkonzeptionen nach Forst, Toleranz (s.o. Anm. 3), bearbeitet und sie hinsichtlich ihres Alltags reflektiert haben.

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wahrnehmung verdrängt und somit zum Götzen wird. Für die Religionen besteht die Gefahr, dass sie – wenn sie es versäumen, in der von Habermas geforderten Weise selbstreflexiv auf sich zu blicken – selbst zum Götzen werden können: In diesem Fall geht die durch den Glauben geschenkte Freiheit verloren und stattdessen wird das Gefangensein in Dogmen und Gesetzlichkeiten zementiert. Die Abrahamsgeschichte erzählt davon, dass es Sinn macht, sich der Zwänge bewusst zu werden, sich zu lösen und neue Wege zu suchen. 4.3 Über die Bedeutung von Grenzen Ein anderes Motiv der Abrahamsgeschichte, das gestalterisches Potential in sich trägt und auch bei Habermas wichtig wird, ist die Erfahrung, dass Trennungen lebensfördernd sein können. Religiöse und NichtReligiöse müssen sich nicht, um miteinander reden und leben zu können, auf die verzweifelte Suche nach Gemeinsamkeiten begeben. Das Trennende anderer Ansichten und Überzeugungen kann und muss stehen bleiben können. Gerade an diesen Grenzziehungen eröffnen sich, wie wir in der Geschichte Abrahams gesehen haben, neue Räume, und auch Habermas spricht davon, dass die pluralisierte Vernunft dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sich in »[...]gleichmäßiger Distanz zu starken Traditionen und Weltanschauungen hält, also Grenzen zieht. Und darin jedoch lernbereit bleibt, ohne ihre Eigenständigkeit zu verlieren, osmotisch nach beiden Seiten hin geöffnet«.32 Habermas spricht davon, dass das einigende Band der Prozess selbst ist. In den religiösen Traditionen wird anhand der Abrahamsgeschichte ebenfalls deutlich, dass das Gemeinsame auch in der Differenz liegt; folglich ist der Dialog das Verbindende, und nicht allein Gemeinsamkeiten sind es. Die Schülerinnen und Schüler erfahren also, dass es sowohl in den religiösen wie in den philosophischen Traditionen Ansätze gibt, Unterschiedlichkeit als Quelle der Gemeinschaft zu sehen. »Die Anderen« sind somit keine Objekte potentieller Feindschaft, sondern Subjekte, mit denen in aller Unterschiedlichkeit ein gemeinsamer Weg beschritten werden kann, in der Hoffnung auf neu zu gestaltenden Lebensraum. Gleich aus welcher Quelle die Hoffnung genährt wird, das Entscheidende ist, dass sie dazu beiträgt, dass Menschen nie aufhören, nach Wegen und Räumen zu suchen, in denen sie sich in ihrer Menschlichkeit entfalten können. Schule ist hierfür ein guter Ort. Wir erleben dies in unserem Unterricht ganz praktisch. Zum Beispiel, wenn die Schülerinnen und Schüler, nachdem sie die Geschichten von Abraham und seiner Familie in religions- und weltanschaulich getrenn32

Habermas, Friedenspreis (s.o. Anm. 25), 11.

»Verschiedenheit achten – Gemeinschaft stärken«

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ten Gruppen bearbeitet haben, in einem großen Raum zusammenkommen. Sie haben unterschiedlich farbige Kärtchen (jede Religion und Weltanschauung eine andere Farbe) dabei und legen diese zunächst nach Farben getrennt auf dem Boden aus. Dann wird gemeinsam überlegt, wo zu respektierende Unterschiede sind und wo sich gemeinsame Motive finden lassen. Die Schülerinnen und Schüler sortieren die Kärtchen neu zu. Und so entsteht ein Bild, das in manchen Bereichen – wo die Unterschiede nicht mehr zu Abgrenzungen führen, sondern sich etwas neues Gemeinsames abzeichnet – farbig gemischt ist, in anderen – wo die spezifische Tradition in ihrer Besonderheit bewahrt und geschätzt wird – einfarbig bleibt. Wenn der Blick dann vom Boden auf die Schülerinnen und Schüler wandert, so spiegelt sich genau dies wider. Sie sortieren sich im Gespräch neu und bleiben doch in ihren Traditionen erkennbar. Sie reflektieren sich und ihre Rolle in der Gemeinschaft und können so in den nächsten Stunden im Sinne des komplementären Lernprozesses in religiös und weltanschaulich gemischten Gruppen Elemente für eine Gesellschaft entwerfen, wie sie sie sich wünschen würden. Ganz unterschiedliche Entwürfe entstehen, doch gemeinsam ist ihnen, dass sie alle auf der Suche sind nach einem Modell, wie Zusammenleben gelingen kann. Dieses Tun ist schon Teil der Verwirklichung.

Rainer Merkel / Lieselotte Lieberknecht / Svenja Haase

Verschiedene Perspektiven zur Sterbehilfe? Ein Unterrichtsexperiment im Sinne einer kooperativ-dialogischen Fächergruppe Religion und Ethik / Werte und Normen Mit dem vorliegenden Beitrag verbinden sich drei Ziele. Zunächst geht es uns sehr grundsätzlich darum, einen Anstoß zur Zusammenarbeit der Fächer Religion (RE) und Werte und Normen (WuN) zu geben, ohne deren je eigenes Profil zu verwischen.1 Fachübergreifend entwickelten wir am Göttinger Hainberg-Gymnasium eine Unterrichtssequenz für die 9. Jahrgangsstufe, die im Schuljahr 2015/16 durchgeführt wurde. Diese Sequenz hatte nicht nur experimentellen Charakter, sie sollte auch exemplarischen Charakter haben: Unser zweites, konkreteres Ziel war es, ein kooperatives Phasenmodell zu erproben, das übertragbar war und das man inhaltlich auch immer wieder anders würde füllen können. Drittens wollten wir natürlich – ganz konkret – die Schülerinnen und Schüler durch unsere Unterrichtssequenz kompetent machen, sich zur Sterbehilfeproblematik begründet zu verhalten. Nicht alles, was in diesen drei Hinsichten zu erläutern ist, passt in diesen Aufsatz. Im Folgenden legen wir den Schwerpunkt auf die ersten beiden, übergreifenden Ziele und thematisieren die Unterrichtssequenz selbst nur knapp. Dabei gehen wir in der Darstellung der Planung quasi zwiebelschalenförmig von außen nach innen (vom Allgemeinen zum Konkreten), in der Evaluation dann umgekehrt von innen nach außen vor. Eine ausführliche Darstellung der Sequenz mitsamt den Unterrichtsmaterialien soll an anderer Stelle erscheinen. 1. Situation, Kooperationsidee und Intentionen des Vorhabens »Wir leben mit anderen, wir lernen von anderen.« So lautet das Motto des Hainberg-Gymnasiums, und in unserem Leitbild haben wir formuliert: »Als UNESCO-Projekt-Schule […] erziehen wir zur Urteilsfähigkeit und Wertschätzung des Eigenen und des Fremden.«2 Das friedliche und dialogische Miteinander in Verschiedenheit ist aber nicht nur ein 1 Zum Bildungsbeitrag des Faches Evangelische Religion hat der Rat der EKD 2006 in zehn Thesen unter anderem formuliert: »Ferner ist es zu begrüßen, wenn sich der Religionsunterricht und der Ethikunterricht wechselseitig als Dialogpartner verstehen.«, zitiert nach Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5–10. Evangelische Religion, Hannover 2009, 8. 2 www.hainberg-gymnasium.de/fileadmin/inhalt/hg_allgemein/hg_charta_a4.pdf sowie www.hainberg-gymnasium.de/das-hg/schulleitung/profil/leitbild-des-hainberg-gymnasiums/.

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Rainer Merkel / Lieselotte Lieberknecht / Svenja Haase

Merkmal von UNESCO-Projektschulen, sondern sollte Anspruch jeder Schule und jeder demokratischen Gesellschaft sein. Auch in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht gibt es (nicht nur) am Hainberg-Gymnasium eine beachtliche Vielfalt. Aber: In den Fächern »Religion« und »Werte und Normen« lernen die Schülerinnen und Schüler getrennt. Obwohl teilweise zur selben Zeit sehr ähnliche Inhalte unterrichtet werden, wissen meist weder die Lehrerinnen und Lehrer noch die Lernenden, was im Parallelunterricht genau passiert. Auch die Fachgruppen existierten bisher eher friedlich nebeneinander als miteinander im aktiven Dialog. Wir wollten uns besser kennen lernen und verständigten uns auf ein kooperatives, fächerübergreifendes Unterrichtsprojekt. Dabei orientierten wir uns an dem Modell der Fächergruppe, das bereits in den 1990er Jahren ins Gespräch gebracht wurde, aber in Vergessenheit geriet. Karl Ernst Nipkow schlug vor, Phasen gemeinsamen Lernens (Klassenverband) mit fachspezifischen Unterrichtsphasen in Religion und Ethik bzw. Werte und Normen abzuwechseln.3 Auf diese Weise könne, so die Idee, schon organisatorisch deutlich werden, dass bestimmte Anforderungen des Lebens alle Schülerinnen und Schüler betreffen, die unterschiedlichen Fächer der Fächergruppe aber unterschiedliche Zugänge und Antworten ermöglichen. Die fachspezifischen Lernergebnisse sollten in einer dritten Phase für alle sichtbar gemacht und kommuniziert werden.4 Wie bei jedem Experiment planten wir eine Evaluation ein und ließen uns von folgenden Fragen leiten: (1) Was unterscheidet unsere Fächer in der Praxis? Sind der Religionsunterricht und der WuN-Unterricht hinreichend unterscheidbar, wenn es um dieselben Inhalte geht? Worin besteht eigentlich das jeweilige Fachprofil?5 (2) Was sollte unsere Fächer unterscheiden? Angenommen, wir würden große Überschneidungen und kaum Unterschiede im Zugang feststellen: Würde das für ein gemeinsames Fach sprechen? Oder müssten wir auf bestimmte, wohl begründete Differenzen unserer Fächer künftig mehr Wert legen? 3

Karl Ernst Nipkow, Religion und Ethik – Religionsunterricht und Ethikunterricht. Dialogpartnerschaft in einer zerstrittenen Welt, in: ders., Christliche Pädagogik und Interreligiöses Lernen, Friedenserziehung, Religionsunterricht und Ethikunterricht, Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert 2, Gütersloh (2005) 22007, 351–369. 4 Ebd., 363. 5 Diese Frage stellt konkreter auch Bernd Schröder, Was macht es für einen Unterschied, ob ethische Fragen im Ethik- oder evangelischen / katholischen / jüdischen / islamischen Religionsunterricht behandelt werden?, in: Jahrbuch der Religionspädagogik 31 (2015), 41–63. Er kommt zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die Kerncurricula der Fächer Werte und Normen und Religion (resp. der religiösen Denominationen) beim ethischen Lernen allein in den Prolegomena nennenswerte Unterschiede aufweisen. Wenngleich wir die damit verbundene Lehrplankritik nicht teilen, ist die Problemanzeige vollauf berechtigt.

Verschiedene Perspektiven zur Sterbehilfe?

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2. Rahmenbedingungen und modellhafte Sequenzplanung (Phasenmodell) In Ermangelung katholischer Lehrkräfte gibt es gegenwärtig am Hainberg-Gymnasium allein evangelischen Religionsunterricht. WuN-Unterricht ist ab Jg. 7 eingerichtet. Alle Kurse sind zweistündig und liegen im Stundenplan auf einer Leiste, finden also zeitgleich statt. Wir sondierten Lehrplanüberschneidungen und legten uns thematisch auf den »Konfliktfall Sterbehilfe« in Jg. 9 fest. Von den insgesamt fünf Kursen des Jahrgangs beteiligten sich zwei Religions- und zwei WuN-Kurse, Planung und Koordination lagen größtenteils bei den Verfasserinnen und dem Verfasser dieses Beitrags. Der Lehrer des zweiten WuN-Kurses führte das Projekt mit durch, so dass sich die 108 involvierten Schülerinnen und Schüler weitgehend gleichmäßig verteilten (49 Religion: 59 WuN). Das übergreifende Ziel der Unterrichtssequenz sollte darin bestehen, die Schülerinnen und Schüler urteilsfähig zu machen, indem sie »religiöse und ethische Argumente auf mögliche Entscheidungssituationen im eigenen Leben beziehen und einen eigenen Standpunkt begründen.«6 Besonders wichtig war uns in diesem Fall, dass sie in der Auseinandersetzung mit der Problematik der Sterbehilfe sowohl religiöse als auch nicht religiöse Überzeugungen einbeziehen konnten.7 In Anlehnung an das »Phasenmodell« Nipkows, das einen Wechsel gemeinsamer und getrennter Unterrichtsphasen vorsieht, lag daher eine Sequenz mit vier elementaren Phasen nahe. Eine gemeinsame Phase bedeutete in unserem Fall organisatorisch, den Kursverband aufzulösen und die Lernenden neu, nämlich zu etwa gleichen Anteilen Religion und WuN, zusammenzusetzen. Inhaltlich ist das gemeinsame Lernen am Anfang (Phase I und II) und am Ende (Phase IV) schlüssig, während im Mittelteil (Phase III) Fachspezifisches in getrennten Gruppen erworben werden kann. Phase I: Die Schülerinnen und Schüler werden mit einem anschaulichen, angemessen komplexen Fallbeispiel zum Thema »Sterbehilfe« konfrontiert. Phase II: Sie werden mit grundlegenden fachsprachlichen Unterscheidungen vertraut gemacht. Phase III: Die Schülerinnen und Schüler lernen spezifisch religiöse beziehungsweise bewusst allgemeinethische Zugänge und Argumente im Umgang mit der Sterbehilfesituation kennen. Phase IV: Das bisher Gelernte wird gemeinsam auf die ethische Ausgangssituation angewendet. Daraus ergibt sich zwangsläufig 6 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum (s.o. Anm. 1), 16. Ähnlich, aber ohne Religionsbezug: Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum für das Gymnasium. Schuljahrgänge 5-10. Werte und Normen, Hannover 2009, 9 und 15f. 7 Das Thema »Sterbehilfe« findet sich explizit ebd., 28 sowie 16 (Kerncurriculum Religion) und 29 (Kerncurriculum Werte und Normen).

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Rainer Merkel / Lieselotte Lieberknecht / Svenja Haase

die anspruchsvolle Aufgabe, die fachspezifisch erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten miteinander zu teilen. Im Ideal ist das Ergebnis zum Abschluss des Lernprozesses eine differenzierte, fachübergreifende Beurteilung der Sterbehilfeproblematik. Um Verbindlichkeit herzustellen, wurde vor der Sequenz der Abschluss durch eine klassische Lernkontrolle (Phase V) transparent gemacht. Selbstverständlich sollten die Schülerinnen und Schüler auch in die Evaluation des Vorhabens einbezogen werden (Phase VI). Aus diesen Überlegungen ergab sich folgende organisatorische Struktur: Phase Organisation

Inhalt

0 I

Kurs gemischt

Information über das Vorhaben einen ethischen »Fall« kennenlernen: typische Sterbehilfe-Situation

II

gemischt

III

Kurs

Hintergründe, zentrale Positionen und Argumente Fachbegriffe wie aktive, passive, indirekte Sterbehilfe, Beihilfe zum Suizid, Autonomiegedanke, Dammbruchargument, Patientenverfügung, Hospiz, Palliativmedizin Zugänge zum Thema aus Sicht des Faches WuN beziehungsweise aus Sicht des Faches RE

IV

gemischt

V VI

Zeit

1 DS 2 DS

3+1 DS

Kurs

Austausch der fachspezifischen Ergebnisse, Anwendung auf die Sterbehilfe-Situation und eigene Positionierung Klassenarbeit

3 DS

1 DS

Kurs

Reflexion der Unterrichtsprojektes

1 DS

3. Soll André Bernheim sterben dürfen? Ein Sequenzüberblick In der konkreten Ausgestaltung dieses Modells wurde schnell deutlich, dass das Gelingen der Unterrichtseinheit nicht zuletzt an einem geeigneten Fallbeispiel hing. Es sollte unterschiedliche ernstzunehmende Perspektiven auf das Thema Sterbehilfe eröffnen, damit es sowohl für den Religions- als auch den WuN-Unterricht anschlussfähig war. Fachübergreifend war uns wichtig, eine gewisse Nähe zu erzeugen, um pauschale oder rein akademisch gewonnene Urteile zu vermeiden. Als Fallbeispiel entschieden wir uns für Auszüge aus dem autobiografischen Roman »Alles ist gutgegangen« von Emmanuèle Bernheim (2013). Der Roman spielt in Frankreich. Nachdem der Vater der Autorin und Ich-Erzählerin, André Bernheim, einen schweren Schlaganfall erlitten hat, entscheidet er sich dazu, Beihilfe zum Suizid in Anspruch zu nehmen, und bittet seine beiden Töchter um Unterstützung dabei. Dies

Verschiedene Perspektiven zur Sterbehilfe?

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wird aus der Perspektive der Tochter Emmanuèle erzählt. Die Vorzüge des Romans liegen darin, dass es sich um eine authentische ethische Entscheidungssituation handelt, die durch unterschiedliche Rollen beteiligter Personen, von der religiösen amerikanischen Kusine, der behandelnden Ärztin über André selbst bis hin zur eher unparteiischen Tochter, gleichzeitig Identifikations- und Distanzierungsmöglichkeiten bietet. In Phase I unseres Modells sollte, nach einer Kennenlern-Runde der neu gemischten Lerngruppe, ein Hineindenken in diese Situation erfolgen und ein Überblick über die verschiedenen Einstellungen der Beteiligten zum Thema Sterbehilfe gewonnen werden. Dieser Auftakt sollte insofern mit Phase IV eine inhaltliche Klammer der Unterrichtssequenz bilden, als wir dort eine Anwendung des Gelernten vorsahen. Die Schülerinnen und Schüler sollten sich probeweise situationsbezogen positionieren und ethische oder religiöse Argumente zur Anwendung bringen. Dazu planten wir, sie mithilfe von Rollenkarten eine der im Roman angelegten Rollen einnehmen und im Rollenspiel Leerstellen selbst ausgestalten zu lassen. »Soll André sterben dürfen?« wurde somit die Leitfrage der Sequenz. Um diese Planungsidee erfolgreich umzusetzen, waren zwei Lernschritte wesentlich. Zunächst mussten den Schülerinnen und Schülern, nach der Erarbeitung fachbegrifflicher Grundlagen, in ihren jeweiligen Kursen jeweils fachspezifische Inhalte und Argumentationen an die Hand gegeben werden. Zweitens sollten sie sich gegenseitig ihre Ergebnisse lernwirksam vorstellen. Dies kann anhand von Postern durch Präsentationen oder auch im Gruppenpuzzle erfolgen, bedarf aber einer sorgfältigen Absicherung. Wie sahen unsere fachspezifischen Schwerpunkte aus? Für den religiösen Zugang wählten wir drei Fragestellungen: 1. Wie steht der christliche Glaube zur Selbstbestimmung? Hier sollten die Schülerinnen anhand von Gen 11, der Erzählung vom Turmbau zu Babel, den Gedanken einer begrenzten Freiheit erarbeiten. 2. Wie wird Menschenwürde christlich verstanden? Neben dem Begriff der Selbstbestimmung wird sehr häufig die Menschenwürde als Argument für oder gegen Sterbehilfe ins Feld geführt. Deshalb galt es zu klären, wie sich der Aspekt der Menschenwürde durch die biblische Tradition (Gottebenbildlichkeit) begründen lässt und warum im christlichen Sinn die Menschenwürde in der Regel ein Argument gegen Sterbehilfe ist. Schließlich sollte unter der Fragestellung 3. Wie gehen Christen mit Leid um? theologisch begründet werden, warum sich die christlichen Kirchen eher für eine Sterbebegleitung im Sinne der Hospizarbeit und Palliativmedizin als für Sterbehilfe einsetzen. Im Zentrum stand ein Radiobeitrag zum »Isenheimer Altar«, anhand dessen Jesu Teilhabe am Leid verdeutlicht werden konnte. Auch für das ethische Fach setzten wir drei Schwerpunkte. Unter der Frage 1. Was spricht für Suizid? wurden (überwiegend philosophische)

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Positionen zum Recht auf Selbstmord thematisiert. Damit kam die Frage nach dem freien Willen und der Autonomie des Menschen aus einer nichtreligiösen Perspektive ins Spiel. 2. Wie beurteilen Utilitaristen Suizid? Die Schülerinnen und Schüler sollten prüfen, inwiefern der Utilitarismus als klassische philosophische Position als Entscheidungshilfe bei der Frage nach Beihilfe zum Suizid dienen kann. 3. Wie beurteilen Ärzte aktive Sterbehilfe? Hier lag der Schwerpunkt anhand einer Kontroverse auf dem Dilemma der Ärzte als Akteure der Sterbehilfe, die einerseits den Patienten Leiden ersparen wollen, aber andererseits an den Hippokratischen Eid gebunden sind. 4. Evaluation (von innen nach außen) 4.1 Fachspezifische Zugänge und gemeinsame Anwendung auf den Sterbehilfefall Nicht nur unsere Beobachtungen, auch die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler bestätigten, dass die Romanauszüge als Materialgrundlage gut gewählt waren. So zeigten die Schülerinnen und Schüler im Verlauf der Unterrichtssequenz eine beträchtliche Progression hinsichtlich des eigenen Problembewusstseins. Formal ließ sich das an ihrer Urteilsänderung ablesen. Zu Sequenzbeginn waren sie mehrheitlich Befürworter der Sterbehilfe. Am Ende dagegen äußerten viele, man könne diese Frage nur fallbezogen beurteilen, und begründeten diese Haltung differenziert. Positiv erscheint im Rückblick vor allem, dass die ethische Entscheidungsfrage, inwieweit ein assistierter Suizid im Fall André Bernheim legitim ist, in einen authentischen Kontext mit einem sozialen Netz an Betroffenen eingebettet wird. Die Schülerinnen und Schüler erkannten so die enorme Komplexität der ethischen Frage und nahmen die verschiedenen Perspektiven und Ansichten sehr ernst. Auch waren sie motiviert, die fachbegrifflichen Grundlagen zu erarbeiten und auf den Fall zu beziehen. Die Ausgangs- und Anwendungssituation ist ein klares Plus der Sequenz. Gleichzeitig offenbarte sich eine gewisse Inkongruenz zwischen dieser Situation und den fachspezifisch in den jeweiligen Kursen erworbenen Inhalten. Zwar ist der Utilitarismus in seinen Schattierungen ein wesentliches philosophisches Konzept des WuN-Unterrichts, das auch für die Sterbehilfe-Problematik Relevanz hat. Bei der Anwendung des Gelernten wurde aber deutlich, dass ethische Entscheidungen in aller Regel nicht nach theoretischen Konzepten getroffen werden. Den Schülerinnen und Schülern fiel es entsprechend schwer, im Rollenspiel zum Abschluss der Sequenz auf ein solches Konzept explizit Bezug zu nehmen. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die inhaltlichen Aspekte der Religionskurse. Der Weg vom biblischen Mythos, dem Turmbau zu Babel,

Verschiedene Perspektiven zur Sterbehilfe?

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bis hin zu André Bernheim war logisch nachvollziehbar, aber weit und anspruchsvoll. Nur sehr selten gelang es, die religiöse Position der amerikanischen Kusine im Rollenspiel mit dem christlichen Wert einer begrenzten Freiheit zu verbinden. Im ethischen Diskurs kommen Gott, die Bibel und die damit verbundenen Werthaltungen sehr implizit zum Tragen. Unsere Schwerpunktsetzung im Bereich der Deutungskompetenz »christliche Begründungen von Werten und Normen verstehen« hatte allerdings den Vorteil, dass die Religions-Stunden ein klar erkennbares religiöses Profil hatten. Das ging zu Lasten der Urteilskompetenz »religiöse und ethische Argumente auf mögliche Entscheidungssituationen im eigenen Leben beziehen und einen eigenen Standpunkt begründen«. Sehr fremd oder sogar konstruiert wirkte auf die Schülerinnen und Schüler der argumentative Rückgriff auf Jesus Christus als Beistand im Leid. Hier war eine einzige Doppelstunde auch zeitlich knapp. Die Verbindung des Gelernten mit Andrés Situation blieb in diesem Punkt letzten Endes fragmentarisch. Nichtsdestoweniger erreichten die Rollenspiele ein bemerkenswertes Niveau. Alle Lerngruppen übernahmen eine sehr hohe Verantwortung für den eigenen Lernerfolg. Dies gilt auch für leistungsschwächere und zurückhaltende Schülerinnen und Schüler, die ihren Lernzuwachs nicht unmittelbar zum Ausdruck bringen konnten. Positiv wirkten sich einerseits die hohen Anteile metakognitiver Phasen aus, andererseits war der gegenseitige Ergebnisaustausch eine wiederholende Plateauphase. Unser Fazit dieses Evaluationsteils: Die Sequenz war kompetenzorientiert angelegt und enthielt mit der Ausgangssituation, den fachspezifischen Schwerpunkten, der Bündelung des Erreichten und dem Rollenspiel sehr lernwirksame Elemente. Dass die Sequenz damit allerdings einen hohen Komplexitätsgrad aufwies, wurde ebenfalls sichtbar. Wir ziehen daraus zwei Konsequenzen: Zum einen ist bei dem vorliegenden Programm mehr Zeit einzuplanen. Zum anderen wäre es eine sinnvolle didaktische Reduktion, die anspruchsvolle Herleitung fachspezifischer Argumente aus ethischen Konzepten und religiösen Werthaltungen allenfalls exemplarisch vorzunehmen. Auch wenn das fachliche Profil dabei etwas unschärfer würde, erleichtert es die Anwendung von Lerninhalten, wenn der Fokus auf dem argumentativen Diskurs liegt. 4.2 Fachübergreifende Sequenz nach dem Phasenmodell Unabhängig von der Auswahl der Inhalte und dem Erfolg der einzelnen Stunden kann und soll die fächerübergreifende Sequenz ausgewertet werden: Hat der Wechsel von gemeinsamen und getrennten Phasen Modellcharakter? Dabei ist evaluativ zwischen organisatorischen und didaktisch-methodischen Aspekten zu unterscheiden. Organisatorisch ist das Modell mit sehr großen, um nicht zu sagen: unzumutbaren Hürden gespickt. Erstens erforderte der parallele Zeittakt

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Rainer Merkel / Lieselotte Lieberknecht / Svenja Haase

ständige und genaue Abstimmungen unter uns Lehrkräften. Für unvorhergesehene Stundenüberhänge, Unterrichtsausfall oder nur Anpassungen des Lerntempos an die jeweilige Lerngruppe war kein Platz – all das passt nicht zu den normalen Bedingungen des Schulalltags. Zweitens bedeutete die Neuzusammensetzung der Schülerinnen und Schüler, dass für die gemeinsamen Phasen, anders als ursprünglich intendiert, künstliche Lerngruppen entstanden. Dass sich die Lernenden nur teilweise untereinander kannten, wirkte sich lernatmosphärisch negativ aus und war pädagogisch nicht vollends aufzufangen. Deshalb stieß das Vorgehen bei den Schülerinnen und Schülern auf wenig Gegenliebe, auch wenn ihnen der Sinn transparent war. Drittens betraf das Problem neuer Beziehungsgefüge auch uns Lehrkräfte. Der hohe Grad gegenseitiger Abhängigkeit durch das arbeitsteilige Setting passte nicht zur geringen Vertrautheit mit den Lerngruppen. Didaktisch-methodisch sieht das Bild anders aus. Zum einen leuchteten den Schülerinnen und Schülern die Gründe für die Phasenwechsel sehr ein. Die gemeinsamen Phasen zeigten die große Schnittmenge, die getrennten Phasen legitimierten die sonst kaum reflektierte Aufteilung in verschiedene Fächer. Vor allem aber veränderte sich dadurch merklich die Rolle der Lernenden, die sich überwiegend neugierig zeigten. Sie waren jetzt ungewohnt deutlich zur Selbstverortung herausgefordert. Das erzeugte zwar auch Unsicherheiten und ließ viele vorsichtshalber »abtauchen«, spricht aber grundsätzlich für das Modell. Die (noch wenigen) Momente, in denen Schülerinnen und Schüler sich mit Überzeugung gegenseitig den Sinn der religiösen oder ethischen Positionen erläuterten, waren außerordentlich intensiv und fruchtbar. Zum anderen stellten die Aneignung und Anwendung der arbeitsteilig erworbenen Kenntnisse weit höhere Anforderungen als der klassische Unterricht. Gilt es im kooperativen Lernen generell als »Hauptproblem vieler Präsentationen«, dass die Lernenden »nur über das Thema Bescheid wissen, was sie in ihrer eigenen Gruppe bearbeitet haben«,8 so potenziert sich diese Schwierigkeit im Fall getrennter Lernphasen. Gemessen daran ist der Lernerfolg unserer Unterrichtssequenz als ausgesprochen hoch einzuschätzen, wie die niveauvollen Rollenspiele und die überdurchschnittlich erfolgreiche Klassenarbeit gezeigt haben. Unser Fazit dieses Evaluationsteils: Das Phasenmodell hat inhaltlich hohe Überzeugungskraft. Dank der (üblicherweise) parallelen Lage der Stunden ist es organisierbar, aber für kurze Unterrichtssequenzen zu aufwändig. Längere Zeiträume, zum Beispiel ein ganzes Schuljahr, sowie die Teilnahme aller Klassen eines Jahrgangs würden den Aufwand drastisch reduzieren. Dennoch wird man dieses Modell des Unterrichts in 8 Ludger Brüning / Tobias Saum, Erfolgreich unterrichten durch Kooperatives Lernen. Strategien zur Schüleraktivierung, Essen 2007, 44.

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der Fächergruppe aus organisatorischen Gründen schwerlich zum Regelfall machen können. Der dialogische Austausch und die gemeinsame thematische Arbeit allerdings wurden auf allen Seiten als großer Gewinn erlebt. 4.3 Wie geht es weiter? Perspektiven einer kooperativ-dialogischen Fächergruppe Bevor wir ein abschließendes Fazit ziehen, möchten wir die wesentlichen Aspekte der Evaluation zusammenführen und dazu unsere oben genannten Leitfragen aufgreifen. Wir waren gezwungen, die ersten beiden Fragen – (1) Was unterscheidet unsere Fächer in der Praxis? und (2) Was sollte unsere Fächer unterscheiden? – in der gemeinsamen Planung exemplarisch zu beantworten. Dabei wurde uns klar, dass wir diese zentralen Fragen normalerweise gar nicht stellen. Das jeweilige Fachprofil hängt mehr oder weniger zufällig davon ab, wie die Lehrperson Positionen und Materialien auswählt und im Unterricht inszeniert. Dabei sollte laut den Kerncurricula im WuN-Unterricht bei der Behandlung grundsätzlich vergleichbarer Fragestellungen, Probleme und Sachverhalte wie im Fach Religion die »Pluralität unterschiedlicher Wahrheitsansprüche« sowie »die weltanschauliche und religiöse Neutralität des Faches« im Vordergrund stehen, im Religionsunterricht dagegen die »besondere Perspektive, die auf die konkrete Gestalt, Praxis und Begründung des christlichen Glaubens in seiner evangelischen Ausprägung bezogen ist«.9 Die Sterbehilfethematik zeigt, wie diffizil es ist, diese Richtlinien im konkreten Fall in eindeutige Merkmale des jeweiligen Fachunterrichts zu überführen. Und zwar aus mehreren Gründen: (1) Da die Schülerinnen und Schüler in beiden Fächern urteilsfähig werden sollen, muss auch das Fach Religion einen gewissen Überblick über relevante Argumentationen anbieten. In (evangelisch-) christlicher Perspektive wird der Sterbebegleitung vor der Sterbehilfe der Vorrang gegeben. Eine allzu einseitige Auswahl entsprechender Positionen wäre aber kontraproduktiv und schlimmstenfalls manipulativ. (2) Eine einheitliche christliche Perspektive ist im Zeichen zunehmender Individualisierung immer schwerer auszumachen. In der Sterbehilfedebatte sind binnenchristlich auch unkonventionelle Positionen wie die des katholischen Theologen Hans Küng oder des Ehepaars Anne und Nikolaus Schneider – Schneider war langjährig Präses der 9

Vgl. Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum Werte und Normen (s.o. Anm. 6), 9 sowie Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum (s.o. Anm. 1), 9.

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Evangelischen Kirche im Rheinland und von 2010 bis 2014 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland – anzutreffen.10 Durch die evangelische Hochschätzung der Freiheit vor dem eigenen Gewissen verschärft sich diese Entwicklung; kirchliche Positionspapiere können keine absoluten Geltungsansprüche erheben. (3) Einerseits muss im Religionsunterricht »der Gottesbezug im Zentrum der religiösen Bildung stehen«.11 Andererseits verhilft der Verweis auf Gott in der Sterbehilfedebatte nur dann zur eigenen Urteilsfindung, wenn der Gottesglaube zumindest ansatzweise geteilt wird. Bei den Schülerinnen und Schülern unserer Religionskurse lässt sich dieses positive Verhältnis aber immer weniger voraussetzen. Hinzu kommt, dass die religiöse Argumentation in der Öffentlichkeit an Akzeptanz verliert. Will der Religionsunterricht den Anschluss an die öffentliche Sterbehilfedebatte halten, muss er seine besondere Perspektive neu und anders zur Geltung bringen als bisher. (4) Das Fach WuN wiederum muss mit der doppelten Anforderung umgehen, die Lernenden zur eigenen Positionierung motivieren zu wollen, obwohl es Kennzeichen des Unterrichts sein soll, gerade keine Präferenzen für oder gegen eine Position erkennen zu lassen. Wenn die Lehrkraft prinzipiell »durch die Kontrastierung des Gewohnten mit bisher unbekannten oder weniger vertrauten Perspektiven die Nachdenklichkeit der Schülerinnen und Schüler« fördert,12 stellt sich die Frage, wie die Lernenden aus dieser Nachdenklichkeit heraus eine Position beziehen und darin bestärkt werden können. Angesichts dieser Problemanzeigen wurde uns deutlich, dass sich kein einfaches Rezept dafür schreiben lässt, wie man den Unterricht im Sinne der fachspezifischen Richtlinien auszugestalten hat. Völlig außer Frage steht aber, dass die Schülerinnen und Schüler ein Recht darauf haben, das Fachprofil des von ihnen gewählten Faches zu erkennen! Gerade hier liegt die große Chance einer kooperativ-dialogischen Fächergruppe: In Bezug auf Leitfrage (3) Was können wir voneinander lernen? haben wir es als äußert fruchtbar erfahren, Gemeinsamkeiten, Differenzen und Schwerpunkte im Planungsprozess kommunikativ auszuhandeln. Damit hat sich unser Selbstverständnis geändert. Wir sind enger zusammengerückt und zugleich differenzsensibler geworden. 10

Vgl. Walter Jens / Hans Küng, Menschenwürdig sterben. Ein Plädoyer für Selbstverantwortung, München 1995, sowie der Artikel in der Online-Ausgabe der Wochenzeitung »Die Zeit« vom 16. Juli 2014 u.d.T. »Nikolaus Schneider sichert seiner Frau Sterbehilfe zu« (www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-07/ekd-nikolaus-schneider-sterbe hilfe, Aufruf 11.10.2017). 11 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum (s.o. Anm. 1), 7. 12 Niedersächsisches Kultusministerium (Hg.), Kerncurriculum Werte und Normen (s.o. Anm. 6), 8f.

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Diese erweiterte Unterrichtsperspektive hat auch die Schülerinnen und Schüler erreicht. Das Experiment wurde einhellig als besonders, als interessant und als bereichernd beurteilt. Unsere Unterrichtsbeobachtungen und die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler offenbarten allerdings, dass wir teilweise über das Ziel hinausgeschossen sind. Dass insbesondere die angebotenen religiösen Deutungsmuster fremd blieben, hat, wie oben erläutert, verschiedene Gründe. Ausschlaggebend ist aber nicht zuletzt, dass wir über christliche Positionen in der Sterbehilfedebatte hinaus mit dem Turmbau zu Babel oder dem Beistand im Leid auch die biblisch-christlichen Orientierungen, also die Herkunft religiöser Haltungen, verständlich machen wollten. Sich zu diesen Werthintergründen selbst zu positionieren, daraus Argumente abzuleiten und diese auf den ausgewählten Sterbehilfefall anzuwenden, war zwangsläufig ein weiter und (zu) anspruchsvoller Weg. Ein unbestreitbarer Lerngewinn liegt zwar darin, dass die Schülerinnen und Schüler religiös motivierte Argumentationen zur Sterbehilfe nach der Sequenz besser einordnen können. Demgegenüber zu kurz kamen aber Diskussionsbeiträge zur Sterbehilfedebatte aus christlicher Sicht. Kritisch halten wir fest, dass wir das Ziel einer fachspezifischen Profilierung überstrapaziert haben. Sinnvoller wäre es, die religiösen Werthintergründe exemplarisch zu erarbeiten und diese stärker auf christlich-argumentative Positionen zu beziehen. Das Unterrichtsvorhaben war sehr groß angelegt und in der durchgeführten Form aufwändig, die fachübergreifende Kooperation aber ein großer Erfolg. Wir wollen unseren Dialog deshalb nicht nur weiter führen, sondern auch weiterführen, weil wir darin eine bereichernde Weiterentwicklung unserer Fächer sehen: −

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Im Schulcurriculum haben wir in Jahrgang 9 eine punktuelle und organisatorisch einfache unterrichtliche Kooperation festgelegt. Sie kann Planungsabsprachen zu einer gemeinsamen Sequenz, Begegnungen der Schülerinnen und Schüler in einer einzelnen Doppelstunde oder auch eine gemeinsame Exkursion umfassen. Wir wollen alternative Organisationsformen nutzen, zum Beispiel Blockveranstaltungen am Wochenende oder einen »religiös-ethischer-Fachgruppentag«. Unsere Fachkonferenzen liegen von nun an parallel, so dass wir gemeinsame Tagesordnungspunkte unkompliziert ansetzen können. Wir führen einmal im Jahr einen fachübergreifenden Diskussionsabend für Oberstufenkurse unter dem Titel »Gedankensprünge« durch, zu dem wir jeweils Referentinnen und Referenten einladen. Wir lernen uns bei Kaffee und Kuchen besser kennen. Denn: »Wir leben mit anderen, wir lernen von anderen.«

Beate Großklaus

»Ein Hoch auf uns« Multireligiöse Feiern an Schulen, gestaltet von und für religiös heterogene(n) und nicht-religiöse(n) Schülerinnen und Schüler(n) »Bei uns an der Schule gibt es keine Schulgottesdienste mehr – nur noch ein Lichterfest für die Grundschule vor Weihnachten.« Mit diesen Worten begrüßt mich mein Schulleiter an der 2013 neu gegründeten Gemeinschaftsschule (GMS). Aus einer ehemaligen Grund- und Hauptschule entwickelt sich eine neue GMS. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler mit überwiegend muslimischem Migrationshintergrund beträgt mehr als ein Drittel, ein weiteres Drittel ist ohne Konfessionsangabe und nur noch ein Drittel der Schülerinnen und Schüler (SuS) ist katholisch oder evangelisch. Das Fach Religion gibt es in der auslaufenden Hauptschule nicht mehr – hier wird die ganze Klasse in Ethik unterrichtet. Regelmäßiger ev. und kath. Religionsunterricht (RU) findet nur noch in der Grundschule und in der 5. Klasse bis 7. Klasse der neuen GMS statt. Poolstunden der GMS werden bis zum Sommer 2016 für Ethikunterricht eingesetzt, der von den jeweiligen Klassenlehrerinnen erteilt wird. Seit dem Schuljahr 2016-17 gibt es nur noch regulären Ethikunterricht ab der 8. Klasse, der staatlich finanziert wird.1 Als kirchliche Lehrkraft mit geringem Stundendeputat an der GMS ist für mich eine intensive Kontaktpflege mit der Schulleitung und den Klassenlehrerinnen entscheidend. Die Konkurrenz zum Fach Ethik ist deutlich: Die SuS haben lieber Unterricht bei der vertrauten Klassenlehrerin als bei einer fremden Person. Oder sie nutzen ab dem Schuljahr 2016-17 statt ev. oder kath. Religion in Klasse 5 bis 7 ihre Freizeit. Das impliziert eine doppelte Konkurrenzsituation: entweder mit freier Zeit – oder einer vertrauten Lehrerin.2 Im Folgenden will ich unterschiedliche Aspekte aufzeigen, die für mich wichtig waren, bei dem Versuch, eine multireligiöse Feier an meiner Schule zu etablieren:

1

Die Poolstunden für Ethik in Klasse 5–7 werden jetzt für die Unterstützung in anderen Fächern eingesetzt. 2 Gleichzeitig setzen sich in Baden-Württemberg die Kirchen seit Jahren für Ethik ab der 1. Klasse ein, da mit Ethik auch der RU flexibel im Stundenplan ist und nicht an die Randstunden gedrängt wird, wo die Konkurrenz dann Sport- und Spiele-AGs oder »frei haben« bedeutet.

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1. Wahrnehmung: In einer pluralen Gesellschaft fehlen oft geeignete Rituale an den Schulen In den Flächenbezirken in der badischen und württembergischen Landeskirche prägen die gewohnt ökumenischen Schulgottesdienste noch den Start und das Ende eines Schuljahres, meistens gibt es auch noch einen Weihnachtsgottesdienst, seltener Passions- oder Ostergottesdienste. Zeitgleich brechen in den Ballungsräumen der Städte und den Brennpunktvierteln einer pluralen Stadtgesellschaft3 die geprägten christlichen Formen und Rituale weg. Die gewohnten Rituale – wie die Begleitung von Einschulung, Schulanfang, Weihnachten und Schulende mit ökumenischen Schulgottesdiensten erscheinen an Schulen in einer pluralen Stadtgesellschaft unpassend – und werden eingestellt. Sie können selten die Heterogenität der Schulgemeinschaft (christlich, muslimisch, vereinzelt andere Religionen und Weltanschauungen) aufnehmen4 und werden dann m.E. oft von den Schulleitungen nicht mehr im Jahresplan vorgesehen, da sie sonst eine Betreuung während dieser Zeit für nichtchristliche SuS anbieten müssten. These: So lange noch Pfarrerinnen und Pfarrer, Diakoninnen und Diakone oder Religionslehrkräfte mit Schulgottesdiensterfahrung an Schulen unterrichten, sind diese möglicherweise sensibel, wenn Rituale wegbrechen. Sie können einen Gestaltungsspielraum an den Schulen gemeinsam mit der Schulleitung, den Kolleginnen und Kollegen, den Fachschaften Religion und Ethik entdecken.

3

Der Religionswissenschaftliche Medien- und Informationsdienst e.V. nennt für Deutschland (2014) folgende Zahlen: Katholiken 23,9 %, Evangelische 22,6 %, Freikirchen-Mitglieder 1,7 %, Orthodoxe 1,6 %, Juden 0,1 %, Muslime 4 %, Hindus 0,1%, Buddhisten 0,27 %, neue Religionen 0,9 %, Konfessionslose / keine Zuordnung 26,03 %, http://remid.de/wp-content/uploads/2017/02/Rund brief-1_2017_14-24.pdf (zuletzt abgerufen am 1.7.2017). Diese Zahlen spiegeln sich auch an meiner Schule wider. Hier waren im Schuljahr 2015/16 von 354 SuS 93 evangelisch; am ev. RU nahmen 79 SuS teil (9 ev. SuS waren abgemeldet, 3 SuS ohne Konfession nahmen teil) – 8 ev. SuS ohne RU-Angebot; am kath. RU nahmen 76 SuS teil (davon 2 ohne Konfession). 43,79 % der SuS nahmen am christlichen RU teil. In Schuljahr 2016/17 waren von 383 SuS 80 evangelisch; am ev. RU nahmen 74 SuS teil (16 ev. SuS waren abgemeldet, 10 SuS ohne Konfession nahmen teil); am kath. RU nahmen 64 SuS teil (davon 1 ohne Konfession). 36,03 % der SuS nahmen am christlichen RU teil. Hier sind wir deutlich auf dem Weg in die Minderheit. 4 Stephan Ahrnke / Hartmut Rupp, Die Konstruktion von Heterogenität in multireligiösen Schulfeiern, in: Gerhard Büttner / Hans Mendl / Oliver Reis / Hanna Roose (Hg.), Religion lernen. Jahrbuch für konstruktivistische Religionsdidaktik 8: Religiöse Pluralität, Babenhausen 2017, 119–128.

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2. Reflexion: Impulsgebende für neue Rituale kommen aus den Religionsgemeinschaften Menschen, die sich gut mit Ritualen an den Schulen auskennen, sind m.E. die Impulsgeberinnen und Impulsgeber für neue Rituale an den Schulen. Wer Rituale reflektieren und bewusst einsetzen kann, überzeugt leichter andere, dass Rituale einer Schulgemeinschaft guttun können. Im Schuljahresablauf brauchen Schulgemeinschaften Rituale der gegenseitigen Selbstwahrnehmung, Selbstvergewisserung und Neuorientierung: Was ist an unserer Schule wichtig? Wie wollen wir als Schule sein? Was fehlt uns hier an der Schule? Die geheimen Lehrpläne und Leitbilder spiegeln sich oft in diesen rituellen Ausdrucksformen und werden hier bewusst oder unbewusst inszeniert (d.h. auch bei allen Begrüßungsreden der Neuen, den Abschiedsreden oder in Krisensituationen wie z.B. bei Trauerfällen in der Schulgemeinschaft). Rituelle Ausdrucksformen konstituieren und reflektieren das Selbstverständnis der Schulgemeinschaft: z.B. das Motto eingeschnitzt auf einer Schulbank in der Aula: »Für alle für immer genug.« Wenn gewohnte ökumenische Schulgottesdienste nicht mehr gefeiert werden, kann einerseits der Verlust vor Ort an den jeweiligen Schulen beklagt werden. Es könnten dann weiterhin ökumenische Schulgottesdienste angeboten werden, die möglicherweise nur von einer Minderheit der Schulgemeinschaft besucht werden. Bestenfalls sind diese Gottesdienste mit »liturgischer Gastfreundschaft«5 noch offen für andere Religionen. Sie können m.E. jedoch nicht die ganze Schulgemeinschaft in ihrer religiösen und nicht religiösen Heterogenität im Blick haben. Andererseits kann in den Wüstenzeiten, in denen die gewohnten ökumenischen Schulgottesdienste wegbrechen, auch der Gewinn an unterschiedlichen religiösen Perspektiven oder Weltanschauungsmöglichkeiten für die Schulgemeinschaft entdeckt werden.6 Impulsgebend für diese Gewinn-Perspektive in der Krise sind m.E. die Ritualerfahrenen in den jeweiligen Religionen. Die meisten kommen dabei aus der christlichen Tradition. Der muslimische und alevitische Religionsunterricht steckt oft noch in den »Kinderschuhen« und eine Mehrheit der nicht christlichen SuS hat kaum ein reflektiert-religiöses Wissen über ihre eigenen religiösen Wurzeln, bestenfalls gehen die Ethiklehrerinnen mit ihrer Perspektive darauf ein. Die Prägung der jeweiligen Lehr-Persönlichkeiten (Kontakte und Erfahrungen im interreligiösen Dialog im Studium und in der Stadtgesell5

Die Unterscheidungen in A. Liturgische Gastfreundschaft, B. Multireligiöse Feier, C. Interreligiöse Feier, D. Schulveranstaltung mit religiösen Elementen beziehe ich aus: Harmjan Dam / Selçuk Dogruer / Susanna Faust-Kallenberg, Begegnung von Christen und Muslimen in der Schule. Eine Arbeitshilfe für gemeinsames Feiern, Göttingen 2016, 80f. 6 Andreas Weisbrod, Multireligiöse Schulfeiern: Eine Ermunterung zum Aufbruch, in: entwurf 4/2017, 52–57.

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schaft) und der Bedarf, den heterogene SuS mit ihren religiösen Wurzeln mitbringen, ermöglichen einen kritischen und konstruktiven Blick – und ermutigen zu neuen Ritualen. Ich selbst hatte die Gelegenheit, bei multireligiösen Feiern einer benachbarten GMS zu hospitieren, um dann diesen Impuls als Vorschlag an meine Schule zu bringen. Bei der Hospitation bei anderen multireligiösen Feiern war für mich wichtig: Welche »Brille« nutze ich? Durch welche Brille möchte ich probeweise schauen? Wie trainiere ich zeichenhaft in einer multireligiösen Feier Respekt und Toleranz zwischen den Religionen und Weltanschauungen in einer Schulgemeinschaft? These: Wer Ahnung von Religion und Ritualen hat, kann sie auch als Impuls in eine Schulgemeinschaft einbringen. Oft sind es die, die Erfahrung und Kompetenz aus ihren Religionen mit ihren jeweiligen Ritualen mitbringen. 3. Positionieren: Eine Basis für die multireligiöse Feier finden »Wie haben Sie das geschafft, so eine Feier an Ihrer Schule zu installieren?« Kurz: Es war ein langer Weg – mit einem Schuljahr Vorlauf durch die Gremien. 3.1 Schulleitung Nach der Wahrnehmung (»Hier gibt es keine Rituale mehr, die sich auf die gesamte Schulgemeinschaft beziehen.«) und der Reflexion (»Wer könnte probeweise wieder Rituale einführen?« – »Wer damit vertraut ist, und wem es wichtig ist.«) führte mein Weg am Ende meines ersten Schuljahres zur Schulleitung, um sie von der Idee eines gemeinsamen Rituals für die GMS zu überzeugen. Nur mit dem Rückhalt der Schulleitung, die bereit ist, unterstützend in den Gremien, bei der Terminfindung, in den Probezeitfenstern mitzuwirken, ist eine multireligiöse Feier als Schulveranstaltung möglich. Ohne die Unterstützung der Schulleitung kann sie nur ein Angebot von den Religionsgemeinschaften mit einer freiwilligen Teilnahme von SuS und Kolleginnen und Kollegen sein. Meine Schulleitung hat mich in meinem Anliegen unterstützt, sie hatte auch schon die multireligiöse Feier im Kontext des Stadteilvereinsfestes gesehen und fand sie weniger exklusiv als ein »nur« christliches Angebot angesichts der vielen muslimischen SuS. Nach den Berichten von den Hospitationen bei einer anderen GMS und deren multireligiösen Feiern habe ich bei der Schulleitung für den Anfang des neuen Schuljahres um eine gemeinsame Fachkonferenz der RU-Leute mit den Ethik-Kolleginnen und Kollegen gebeten.7 7

In den kleinen Schulformaten sind die Fachkonferenzen eher ein auf Zuruf organisiertes Gespräch, es sei denn, es stehen neue Anschaffungen an.

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3.2 Gemeinsame Fachkonferenz der Religions- und Ethik-Lehrenden Wie in allen Bundesländern gibt es auch in Baden-Württemberg kaum die Möglichkeit für muslimische SuS an einem reflektiert-kritischen islamischen Religionsunterricht teilzunehmen. Ab der 8. Klasse kommen sie daher zum ersten Mal mit dem Fach Ethik in Kontakt. Der fehlende islamische RU wird oft im Fach Ethik kompensiert, wenn die Kolleginnen und Kollegen dort auch die unterschiedlichen Religionen in den Blick nehmen. Die gemeinsame Konferenz – in dieser Zusammensetzung zum ersten Mal berufen – fand den Vorschlag für eine multireligiöse Feier plausibel. Sie konnte sich nur nicht so recht die Umsetzung vorstellen. Wichtig war dabei, dass die Schulleitung unterstützend in der Konferenz saß und wir gemeinsam den Versuchscharakter einer multireligiösen Feier an unserer Schule betonten. Entscheidend war auch, dass wir eine Feier von SuS für SuS wollten. Das bedeutete, dass auch die Klassenlehrerinnen überzeugend ihre Klassen für eine gemeinsame Feier der GMS gewinnen sollten. These: Die Basis für multireligiöse Feier erwächst aus der Beziehungspflege zur Schulleitung und im Kollegium. Als Schulpfarrerin wurde ich in meiner Ausbildung ermutigt, den Schulleitungen auf Augenhöhe zu begegnen. Gemeinsam tragen wir Verantwortung für die Atmosphäre an den Schulen. Beide haben alle SuS im Blick – nicht nur die, der eigenen Konfession und Religion. Wer diese Perspektive auf die Schule und ihre SuS teilt, kann leichter auf andere zugehen, um eine gemeinsame Basis als Fachschaft Religion und Ethik zu finden. 4. Der Weg durch die Gremien: GLK, Elternbeirat, Schulkonferenz Dieses Versuchskonzept stellten wir in der nächsten Gesamtlehrerkonferenz (GLK) vor. Die GLK stimmte über eine probeweise ausgerichtete multireligiöse Feier am Ende des Schuljahres ab – mit einer großen Mehrheit und zwei Enthaltungen. Diesen Rückhalt im Kollegium halte ich für sehr wichtig, um ein breite unterstützende Basis in der Schulgemeinschaft für dieses Projekt zu haben. Anhand meiner Hospitationsberichte haben wir uns in einer nächsten gemeinsamen Fachkonferenz8 auf einen Arbeitstitel »Ein Hoch auf uns« – in Anlehnung an das Lied von Andreas Bourani – und den Text (vgl. 8.3) verständigt und die einzelnen Aufgaben im Ablauf (8.2) verteilt. Als Themen eignen sich m.E. alle, die zu Religionen und ethischen 8

Nur im Kontext der Feier fand sie als gemeinsame statt; sonst erfolgen Absprachen kollegial auf Zuruf in den Pausen.

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Impulsen eine Schnittmenge haben, um das Selbstverständnis der Schulgemeinschaft und das gemeinsame Miteinander ins Spiel zu bringen oder zu gestalten (vgl. 2.).9 Es ist sicher klug und wichtig, den Elternbeirat ebenso zu informieren und auch in der Schulkonferenz darüber abzustimmen. Diese Aufgaben haben die Schulleitungen im Blick. 5. Vernetzen: Kompetente Partner in den Religionen vor Ort finden und beharrlich den Austausch mit den Ethik-Kolleg/innen pflegen An den Schulen fehlen oft die Religionslehrerinnen und -lehrer aus den anderen Religionen. Eine mögliche Kontaktschnittstelle ist der jeweilige Rat der Religionen bzw. der Interreligiöse Dialog in den Städten.10 Wer sich hier vernetzt, findet Gesprächspartner, befreundet sich vielleicht mit Menschen aus anderen Religionen, die kompetent Auskunft geben können über ihren Glauben. Das ist m.E. besonders wichtig, um in der multireligiösen Feier eine möglichst gleichberechtigte Gestaltung zu trainieren. Schwierig finde ich, wenn aus christlicher Perspektive die Textteile aus den anderen Religionen herausgesucht werden – und die Imame dann »nur« noch zum Rezitieren eingeladen werden. Über den Interreligiösen Dialog der Stadt Heidelberg und das »Scriptural Reasoning«11 habe ich muslimische Glaubende kennen gelernt, die als Heidelbergerinnen und Heidelberger auch einen Impuls aus ihrem Glauben in die Stadt geben wollen – und gemeinsam mit anderen Religionen das Beste der Stadt suchen (Jeremia 29,7). Gemeinsam mit ihnen und Kolleginnen und Kollegen, die Islamischen Religionsunterricht erteilen, haben wir auf zwei Fortbildungstagen zu Theorie und Praxis gemeinsamer Feiern12 auch den Ablauf dieser multireligiösen Feier diskutiert (8.2) und verändert. Bis zur konkreten Feier am Ende des Schuljahres haben wir an der Schule mit den Ethik- und Religionskolleginnen die Feier noch etwas »verschlankt«. An meiner Hospitationsschule dauerten die Feiern oft 90 min, da alle Ethik- und Religions-Gruppen einen kleinen Beitrag zeigen sollten. Doch für die 400 SuS dauerte diese Feier mit ausführlichem 9

2017 lautet der Arbeitstitel »Dafür steh ich auf – hier setze ich mich ein«. Ein Anker für die Vorbereitung ist das Grundgesetz als sog. Hautclip unter: www.youtube.com/watch?v= xtuIR7yB1P8 (zuletzt eingesehen am 1.7.2017). 10 Vgl. z.B. den Rat der Religionen in Frankfurt mit einem Film-Clip zu einer multireligiösen Feier, verfügbar unter www.rat-der-religionen.de (zuletzt eingesehen am 1.7.2017). 11 Inspirierend dazu David Ford (Hg.), The Promise of Scriptural Reasoning (Directions in Modern Theology), Malden, Oxford, Carlton 2009. 12 Vgl. Anm. 2. Danke hier für die Zusammenarbeit an Rektorin Daniela Götz, Schuldekanin Dr. Cornelia Weber und Schuldekan Andreas Weisbrod.

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Gebetsruf und Rezitation der 1. Sure als Pendant zum Vater unser viel zu lange. Daher habe ich mich mit meinem muslimischen theologischen Gesprächspartner auf eine Feier von 40 min verständigt. Die Ethik-Lerngruppe, die eigentlich die Bilder bzw. Fotos des Schuljahres zusammenstellen sollte, war schließlich so begeistert, dass sie einen eigenen Film-Clip gedreht hat, mit ihrer Interpretation von »Ein Hoch auf uns« als Klassengemeinschaft mit unterschiedlichen Begabungen im gemeinsamen – inkludierenden – Unterricht. Dieser Film an sich war schon eine komplette Predigt, die bei einem nächsten Mal möglicherweise noch gedeutet werden könnte, bei dieser ersten Feier jedoch für sich stand und den Kokonstruktionen der Teilnehmenden überlassen blieb.13 Ebenso wichtig wie eine sichtbare Beteiligung der Religionen ist die Beteiligung der Ethik-Lehrenden (z.B. im Segensteil mit einem Wunsch) und Ethik-SuS (z.B. bei Gestaltung des Themas aus der Perspektive ihrer Lebenswelt im selbstgestalteten Film-Clip). Glücklicherweise waren die Ethik-Kolleginnen, die die ältesten SuS der GMS betreuten, sofort bereit hier mitzumachen.14 These: Wenn religiöse und nicht religiöse Menschen der Schulgemeinschaft gemeinsam die multireligiöse Feier gestalten, wird die Heterogenität in einer pluralitätsfähigen Gesellschaft sichtbar, in der Religionen und andere Weltanschauungen nebeneinander zum Ausdruck kommen. In ihr wird exemplarisch Gesellschaft gestaltet und im Ritual zeichenhaft sichtbar gemacht.15 6. Ziele klären: Die Aufgabe einer multireligiösen Feier für die Schulgemeinschaft formulieren Die multireligiöse Feier war ein Impuls in das Leben der Schulgemeinschaft. Viele Kolleginnen und Kollegen haben danach rückgemeldet, wie gut ihnen diese Feier tat, dass es ein wichtiger Abschluss des Schuljahres war, eine Gelegenheit, in der sich alle noch einmal gemeinsam wahrnehmen konnten. 13

In der Vorbereitung auf die nächste Feier habe ich das mit einer anderen EthikKollegin reflektiert. Ihr Kommentar war: »Nee, nicht so viele Wörter machen, da passiert schon was in den Köpfen.« 14 Eine Ethik-Kollegin war unsicher, ob sie die richtigen Worte finden würde. Was sie da nehmen könne? Ob es erlaubt sei, auch selbst etwas zu schreiben? Solche Fragen gehören zu meinen persönlichen Glücksmomenten (s. 8.3). 15 Das war in der hier vorgestellten Feier besonders eindrücklich, da sie am Tag nach der Ermordung eines katholischen Priesters in einer Kirche durch zwei Terroristen in Frankreich stattfand: Sichtbar vor allen Augen standen mit guten Worten eine EthikKollegin, eine Pfarrerin und ein Imam.

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Entscheidend ist dabei auch das Training von »Respekt geben und Respekt erwarten« im Lebensraum Schule: »Wesentliche Voraussetzung für eine ›multireligiöse‹ Feier ist der Respekt gegenüber allen beteiligten Religionen. Dieser Respekt unterlässt jede Vereinnahmung, Werbung, Belehrung oder Bekenntniskontroverse und achtet die eigenen wie die anderen religiösen Bekenntnisse, Überzeugungen und Traditionen.«16 Anders als der Rat der Religionen in Stuttgart es empfiehlt, ist es m.E. an einer Schule wichtig, auch die nicht religiösen SuS und Kolleginnen mit ihren Weltanschauungen aktiv in einer multireligiösen Feier zu beteiligen. Ich vermute, dass in der Regel religiöse und ritualerfahrene Personen (vgl. 1.) solche Feiern initiieren, da sie eher auf deren impulsgebende und gestaltende Kraft für die Schulgemeinschaft vertrauen als Menschen, die sich als nicht religiös verstehen und Rituale nicht vermissen. Solange die Impulse für eine multireligiöse Feier aus der Freiheit der Religionsgemeinschaften kommen, halte ich auch den Begriff »multireligiös« für angemessen, und würde ihn nicht auf den Ausdruck »Feier« verkürzen. Das Christentum versucht – neben den anderen Religionen – die Gesellschaft impulsgebend zu gestalten oder zu kritisieren. Atheisten oder Areligiöse verbünden sich seltener mit ihrer Weltanschauung oder fordern eher einen Rückzug von Weltanschauungen ins Privatleben. Die Ritualdynamik17 machte deutlich, wie mit welchen unterschiedlichen Perspektiven die SuS am Ende des Schuljahres zurückblickten, z.B. mit unterschiedlichen wichtigen Sätzen aus den Liedern »Ein Hoch auf uns« und »Wir sind groß« oder in den Fürbitten mit den Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft. Manche Sätze haben sicher nicht nur die Erwartungen bestätigt, sondern auch irritiert (vgl. 8.3). These: In einer multireligiösen Feier werden die stabilisierenden und prophetisch-kritischen Aufgaben der Religionen in der Gesellschaft und an den Schulen deutlich. Unter den Koordinaten »Respekt geben und Respekt erwarten« ergeben sich mögliche Themenfelder für die Inhalte einer multireligiösen Feier. Als Ritual bietet sie der Schulgemeinschaft eine symbolische und kommunikative Ausdrucksmöglichkeit bei der Gestaltung von Übergängen.

16

Quelle: https://ratderreligionenstuttgart.wordpress.com/handreichung-fuer-die-gestal tung-multireligioeser-feiern-in-stuttgart/ (abgerufen am 1.7.2017). 17 Rituale werden nicht mehr nur einseitig als autoritär oder »vormodern« verstanden, sondern gelten seit den 1960ern als expressive, symbolische und kommunikative Handlungsmöglichkeiten, vgl. Christiane Brosius / Axel Michaelis / Paula Schrode (Hg.), Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen, Göttingen 2013, 11.

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7. Kritisches Feedback: Was kann beim nächsten Mal (noch) besser gemacht werden? Das Proben im Raum ist sehr wichtig. Hier hatten wir uns z.T. aus pragmatischen Gründen für die benachbarte katholische Kirche entschieden, statt in der Schule einen feierlichen Raum am letzten Schultag mit einem Kraftakt zu gestalten. Räume wirken immer – unsere Kirche strahlte Ruhe aus, sie war für manche sicher auch sehr fremd, alle konnten durch die einem griechischen Theater nachgeahmte Sitzanordnung gut sehen. Es gab für alle Klassen einen Sitzplan, so dass sie wussten, welche Reihen für sie reserviert waren. Am Tag davor fand ein Probedurchlauf statt: Alle sollen genau wissen, wo sie stehen, wann sie dran sind und das langsame Sprechen trainieren. Das kostet sehr viel Kraft. Der Schulleiter hat sich die Probe genau angeschaut. Für alle war offen, ob die multireligiöse Feier von den SuS angenommen wird. Während der Feier wurde deutlich, dass die SuS nicht einfach aufstehen, wenn sie dran sind, sondern dass sie eine kurze überleitende Moderation brauchen – diese Rolle habe ich spontan wahrgenommen, doch bei einer Wiederholung ist es sicher klug, hier gute Überleitungen zu verabreden, zu formulieren und vielleicht auch das wieder in die Hände der SuS zu geben. Hier ist sicher eine große religiöse oder rituelle Kompetenz nötig. Genau das fehlt jedoch noch an meiner Schule. Der Elternbrief – zwei Wochen zuvor versandt – ist eine weitere sensible Schnittstelle, denn hier wird auch das Ziel der Feier benannt. Wir hatten versucht, die Feier als verbindlich zu kommunizieren.18 Ein evangelisches Kind durfte von Elternseite nicht teilnehmen, für dieses musste eine eigene Betreuung gewährleistet werden. Hier wurde die Furcht deutlich: Mit einem Imam sollte bitte nichts Gemeinsames gemacht werden.19 Vorbereitend ist es sicher empfehlenswert, das Thema Frieden und Toleranz in den Klassen zu besprechen.20 Genauso wichtig ist es, die SuS und das Kollegium nach ihren Rückmeldungen zu fragen und diese in weiteren Lernprozessen zu reflektieren. 18

Als »Schulfeier«, d.h. als Veranstaltung der Schule – nicht als »Schülerfeier«. Die Begrifflichkeit lehnt sich an die Unterscheidung zwischen »Schulgottesdienst« und »Schülergottesdienst« an, den die Religionsgemeinschaften verantworten. Eine rechtliche Übersicht zu den Schulgottesdiensten bietet folgende Zusammenstellung des ptz Stuttgart, verfügbar unter www.schuldekan.info/resources/ecics_168.pdf, zuletzt eingesehen am 1.7.2017, mit den jeweiligen Rechtstexten. Die Rechtstexte des Landes Baden-Württembergs reflektieren m.E. noch nicht die Rahmenbedingungen für eine multireligiöse Feier. 19 Diese Kritik an religiösem Ausdruck kann jedoch auch von nicht religiöser Seite kommen vgl. www.recht.de/phpbb/viewtopic.php?t=245467&mobile=on, zuletzt eingesehen am 1.7.2017. 20 Vgl. z.B. Franz Hübner und Guiliano Ferri, Mein Gott, dein Gott, unser Gott, Freiburg im Breisgau 2016, oder Jacobus Schoneveld, Miteinander reden. Ein Gott, drei Religionen im Alltag junger Menschen, Bonn 2009.

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Kurz vor der Feier war die Anspannung am Größten. Als Pfarrerin bin ich ein Sakristeigebet gewohnt. Durch die freundschaftliche Verbundenheit habe ich es gewagt zu formulieren, dass ich dieses gewohnte Gebet jetzt noch brauche, bevor ich hinausgehe in den Gottesdienstraum. So habe ich mein Gebet gesprochen und anschließend ganz selbstverständlich der Imam sein vorbereitendes Gebet. Idealerweise sind m.E. alle Beteiligten nochmals in so einem Moment der Besinnung und Ausrichtung dabei. Auch Musik ohne Worte kann wichtig sein: Wir haben sie zum »Eingang und Ausgang« der SuS genutzt – eine eher beruhigende Gitarrenmusik. Nach dem Aufräumen erreichten uns viele positive Rückmeldungen beim Grillen im Kollegium. Eine alevitische Kollegin betonte, wie gut das Innehalten genau in dem Stressmoment des letzten Schultages tat. Mir hat es deutlich gemacht: Neben all dem, was vielleicht noch zu kritisieren ist, sind die positiven Feedbacks ernst zu nehmen. Dass Rituale wirken, guttun und etwas zum Abschluss bringen. Sie markieren eine Grenze und sind ein Trainingsraum für weitere Grenzfälle, wenn das Leben eng wird. 8. Anlagen Dokumente zur Multireligiösen Feier der Waldparkschule Heidelberg (Gemeinschaftsschule) »Ein Hoch auf uns« am 27. Juli 2016 8.1 Elternbrief An alle Eltern der Waldparkschule Heidelberg 21.7.2016 Schuljahresabschlussfeier am Mittwoch, den 27.7.2016 um 10.00 Uhr in der Kirche St. Paul Buchwaldweg 2 69126 Heidelberg Liebe Eltern der Waldparkschule, Friede sei in diesen Zeiten mit Ihnen, As-salamu aleikum, ‫ـــــ‬ ‫[ ا ــــ م‬Schalom, ‫!]שלום‬

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»Ein Hoch auf uns«

Am Ende des Schuljahres wollen wir den Abschluss festlich gestalten. Gemeinsam mit unseren Schülerinnen und Schülern wagen wir eine Multireligiöse Feier. In dieser Feier stehen Menschen der Glaubensrichtungen, wie z.B. Christentum und Islam, respektvoll nebeneinander, ebenso die Menschen, die sich keiner Religion zugehörig fühlen. Das Thema der Feier ist »Ein Hoch auf uns«, die Würde des Menschen, die unantastbar ist (1. Mose 1,27: alle Menschen sind gleich – Ebenbilder Gottes) oder die Aufwertung des Menschen (rezitiert wird: Sure 95,4: Gott hat den Menschen auf die schönste Art und Weise geschaffen). Das christliche Votum wird gesprochen und in muslimischer Tradition zum Gebet gerufen. In der Feier stehen christliche, islamische und ethische Elemente gleichberechtigt nebeneinander – mit dem Respekt vor dem jeweiligen Bekenntnis der anderen. Die Schülerinnen und Schüler gestalten diese Feier. Hinzu kommen noch Geistliche aus der christlichen und muslimischen Religion (Schuldekanin Dr. Beate Großklaus und Ethem Ebrem von »Teilseiend – Eine Initiative Heidelberger Muslime«). Die erste Feier findet in der Kirche St. Paul statt. Eine nächste Feier zum Schuljahresanfang wird dann in der Moschee stattfinden. Die Schülerinnen und Schüler werden daher unterschiedliche Gotteshäuser kennen lernen. Gern sind auch Sie zu dieser Feier herzlich eingeladen. [Einverständniserklärung der Eltern, Betreuungsalternative, Freiwilligkeit signalisieren.] Mit freundlichen Grüßen Thilo Engelhardt Schulleiter 8.2 Ablauf St. Paul, 27.7.2016, 10 Uhr Ablauf: Ziel: 40 min! ☺ Ablauf Musik 2 min Begrüßung 3min

Verantwortlich Schulleiter

Christlich Muslimisch

Pfarrerin Imam

Beachte: CD, Kabel – Musik

292 Votum Niyya 2 min Lied »Ein Hoch auf uns« 5 min Impuls 1 4 min

Bibeltexte Sure + Übersetzung 7 min Impuls 2 4 min

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Absichtserklärung, um das Tun auf Allah auszurichten z.B. mit ppt Bilder vom Schuljahr zusammengestellt [Eigener Filmclip zum Lied] Einleitungssatz: + Diverse Schüleraussagen »Dieser Satz ist mir wichtig, weil …«

Pfarrerin Imam EthikLerngruppe Klasse 7A

Leinwand, Beamer, Ton, Notebook

Kath. RUKollegin 4. Klasse

Sätze aus den Klassen bitte ins Fach im LZ legen. Tipp: 3. Letzte Sure

Pfarrerin Imam Einleitungssatz: + Diverse Schüleraussagen »Ich bin stolz auf uns, weil…« 4a und 4b

Lied »Wir sind groß« von Mark Foster« 5 min Fürbitten Grundschüler und Muslimisch 7. Klasse Christlich 5 min Ansage: Danke Segen Ethik Christlich Muslimisch 5 min Musik 2 min Danke & Weg-Ansage 5 min

Kath. RUKollegin

Sätze bitte ins Fach im LZ legen.

Kath. RUKollegin

CD-Player – Box

Pfarrerin Imam SuS aus Klasse 4&7 Pfarrerin Ethik-Kollegin Pfarrerin Imam

Eigenes Gedicht

Schulleiter

CD, Kabel – Musik

Schulleiter

»Ein Hoch auf uns«

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8.3 Alle Texte Musik CD (ruhige Gitarrenmusik) Begrüßung Pfarrerin: Friede sei mit Euch in dieser Zeit! Herzlich willkommen zur 1. Multireligiösen Feier der Waldparkschule. Am Ende des Schuljahres treffen wir uns als Schulgemeinschaft und sagen: »Ein Hoch auf uns!« Vieles hat in diesem Schuljahr sehr gut geklappt – und heute wagen wir etwas Neues, eine Feier, in der alle Religionen sich mit Respekt begegnen und gleichberechtigt nebeneinander stehen. Egal, ob du etwas mit dem Thema Glauben anfangen kannst oder nicht, eher skeptisch bist oder eine Heimat in einer bestimmten Religion hast: Hier sind alle willkommen. Viele gestalten diese Feier mit. Neben den unterschiedlichen Klassen ist heute von der Initiative der Heidelberger Muslime Herr Ebrem da. Mein Name ist Frau Großklaus, ich unterrichte als Pfarrerin an der Waldparkschule Evangelische Religion. Wir beide haben eine Bitte an Euch: Spart Euren Dank und Applaus bis zum Schluss auf. Wir brauchen Eure Stille und Konzentration, damit es heute ein Fest werden kann. Imam: Assalamu alaikum va rahmatullai. Ich grüße Sie ganz herzlich mit dem Gruß der Muslime: »Der Frieden und die Barmherzigkeit Allahs sei mit ihnen, mit uns. Bei unserer gemeinsamen Feier heute hier möchten wir vor allem den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Gemeint sind seine Würde, seine Besonderheit, seine Herausforderungen und Sorgen, aber auch seine Freuden und seine Wünsche und seine Gebete. Er, der Mensch, der so viel Verantwortung trägt, für sich, für seine Mitmenschen, für die Pflanzen und Tiere, für die gesamte Umwelt. Welch eine Freude, ein Mensch sein zu dürfen. Votum (Pfarrerin) Wir feiern hier im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Niyya (Imam) »Istiaze« (auf arabisch): Ich suche Zuflucht bei Allah, vor allem Üblem und Negativem. Basmala (auf arabisch): Im Namen Allahs, des Barmherzigen und des Allerbarmers. Ich stehe nun vor Ihnen mit der Niyya, der Absicht, in diesem Augenblick hier an dieser Stelle, an Gott zu denken, zu ihm zu beten und allen Kindern an dieser Stelle alles Gute für Leben zu wünschen.

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Lied: »Ein Hoch auf uns« von Andreas Bourani (2014)21 Klasse 7A – mit Schulclip-Film [Zum Text hat die Klasse Szenen aus der Schule, Pausen, Unterricht, Weg zur Kirche, auf dem Dach der Schule zusammengestellt.] »Wer friert uns diesen Moment ein, besser kann es nicht sein. Denkt an die Tage, die hinter uns liegen, wie lang wir Freude und Tränen schon teilen. Hier geht jeder für jeden durchs Feuer, im Regen stehen wir niemals allein. Und solange unsere Herzen uns steuern, wird das auch immer so sein. Refrain Ein Hoch auf das, was vor uns liegt, dass es das Beste für uns gibt. Ein Hoch auf das, was uns vereint, auf diese Zeit, auf diese Zeit. Ein Hoch auf uns, uns, auf dieses Leben, auf den Moment, der immer bleibt. Ein Hoch auf uns, uns, auf jetzt und ewig, auf einen Tag Unendlichkeit. Wir haben Flügel, schwören uns ewige Treue, vergolden uns diesen Tag. Ein Leben lang ohne Reue, vom ersten Schritt bis ins Grab. Refrain Ein Feuerwerk aus Endorphinen, ein Hoch auf uns, ein Feuerwerk zieht durch die Welt. Ein Hoch auf uns. So viele Lichter sind geblieben. Auf uns.« Impuls 1 Schüler (S) 4b: Wir haben uns im Religionsunterricht Sätze aus dem Lied »Ein Hoch auf uns« ausgesucht, die uns besonders wichtig sind. Schülerin (Sin) 5b: »Hier geht jeder für jeden durchs Feuer« Dieser Satz ist mir wichtig, weil er für Freundschaft steht und dass man alles zusammen schaffen kann, egal wie schwer es sein mag. Sin 3a: »Auf dieses Leben« S 3a: Dieser Satz ist uns besonders wichtig, weil Gott uns das Leben geschenkt hat und man dankbar und glücklich darüber sein sollte. S 4a: »Hier geht jeder für jeden durchs Feuer« Sin 4b: Dieser Satz ist uns wichtig, weil wir als Klasse immer zusammengehalten haben. Sin 4b: »Ein Hoch auf das, was uns vereint« Sin 3b: Dieser Satz ist mir wichtig, weil uns viel verbunden hat. Sin 3b: »So viele Lichter sind geblieben« Dieser Satz ist uns wichtig, weil wir noch so viel vor uns haben. 21

Abrufbar z.B. unter www.goethe.de/resources/files/pdf72/Lautstark_Bourani.pdf (10.6.2017).

»Ein Hoch auf uns«

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S 3b: »Ein Hoch auf das, was vor uns liegt« S 3a: Dieser Satz ist uns besonders wichtig, weil wir gespannt sind, was nächstes Schuljahr auf uns zukommt. S 3b: »Wir vergolden uns diesen Tag« S 3a: Dieser Satz ist uns wichtig, weil wir uns jeden Tag schön machen und wertvoll gestalten können. Koranstellen – Bibelstellen zu Sätzen aus dem Lied Ein Hoch auf den Menschen: Sure 95, Verse 1–4 Betrachte die Feige und die Olive und den Berg Sinai und dieses sichere Land. Wahrlich wir haben den Menschen auf die schönste Art und Weise erschaffen. Psalm 139,14 Ich danke dir, Gott, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele. Dass es das Beste für uns gibt. Sure 201, Vers 201 Oh, unser Herr, gib uns das Beste auf Erden. Und gib uns auch das Beste im Jenseits. Bewahre uns vor allem Übel Psalm 16,11 Du tust mir kund den Weg zum Leben: Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich. Wir haben Flügel und schwör’n uns ewige Treue. Sure 5, Verse 7–8 Und gedenkt (immer) der Segnungen, die Gott euch erteilt hat, und des feierlichen Versprechens, mit dem er euch an sich gebunden hat, als ihr sagtet: »Wir haben gehört, und wir geben acht.« Darum bleibt euch Gottes bewusst: wahrlich, Gott hat volles Wissen von dem, was in den Herzen (der Menschen) ist. Oh ihr, die ihr den glauben erlangt habt! Seid immer standhaft in eurer Hingabe an Gott, die Wahrheit aufrichtend und Zeugnis gebend für die Gerechtigkeit; Und lasst niemals Hass auf irgendeinen euch in die Sünde führen, von der Gerechtigkeit abzuweichen. Seid gerecht: Dies ist dem am nächsten, Gottesbewusstsein zu erhalten. Und bleibt euch Gottes bewusst: wahrlich, Gott ist all dessen gewahr, was ihr tut. Psalm 34,17 Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.

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Impuls 2 Sin 4b: In dem Lied »Ein Hoch auf uns« geht es auch darum, dass wir stolz darauf sein können, was wir erreicht haben. Sin 4a: Ich bin stolz darauf, dass ich schon 2 Ehrenurkunden gewonnen habe und dass ich bei den Stadtschulmeisterschaften dabei war. Sin 1b: Ich bin stolz darauf, dass ich lesen gelernt habe. Sin 4b: Ich bin stolz darauf, dass ich so gute Freunde gefunden habe. S 5a: Ich bin stolz auf unser tolles IT-Training. Sin 4a: Ich bin stolz darauf, dass ich das silberne Sportabzeichen geschafft habe. Sin 1b: Ich bin stolz darauf, dass ich jetzt Schreibschrift schreiben kann. S 4a: Ich bin stolz darauf, dass wir einen Fußballpokal gewonnen haben. Lied: »Wir sind groß« von Mark Forster (2016)22 Klasse 4a und 4b singen gemeinsam [Es war auch ihr Lied und Bekenntnis als Viertklässler, die nun die Grundschulzeit beenden.] Strophe 1 »Immer da, wenn alle Stricke reißen / Einfach so, wir müssen nix beweisen / Ich tret’ in die Pedale, du hältst mein’ Rücken / Fahrrad ausm Park, erst morgen früh zurückbring’ / Zeit ist knapp, wir sind verschwenderisch / Man sagt, nix hält für immer, doch ey, warum denn nicht? / Was sagt der Rest der Bande? Macht es Sinn? / Wie’s war, weiß ich morgen – okay, komm, lass da hin Pre-Refrain Wir könn’ das Buch selber schreiben / Es gibt genug freie Seiten / Für immer bunteste Zeiten / Ich weiß, für uns wird’s so bleiben Refrain Wir fliegen weg, denn wir leben hoch / Gewinnen alles und gehen k.o. / Wir brechen auf, lass die Leinen los / Die Welt ist klein und wir sind groß / Und für uns bleibt das so / Für immer jung und zeitlos / Wir fliegen weg, denn wir leben hoch / Die Welt ist klein und wir sind groß Strophe 2 Immer da, ohne Rückspiegel / Keine Fragen, einfach mitziehen / Dir fallen dir Augen zu – dann gib das Steuer her / Durchströmen Richtung Süden und wir sehen das Meer / Unsre besten Fehler, ich lass’ sie laminieren / Pack’ sie in die Jeans, trag’ sie nah bei mir / Lass uns rauf aufs Dach, da ist der Himmel näher / Ey, die Zeit ist knapp, zusammen hab’n wir mehr 22

Aus dem Jahr 2016, Quelle z.B.: https://genius.com/Mark-forster-wir-sind-gro-lyrics vom 10.6.2017.

»Ein Hoch auf uns«

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Pre-Refrain + Refrain Ho-och, ho-och / Die Welt ist klein und wir sind groß / Ho-och, hooch / Wir sind groß / Ho-och, ho-och / Für immer jung und zeitlos / Ho-och, ho-och / Die Welt ist klein und wir sind groß Fürbitten – christlich23 1: Lebendiger Gott, vor dich bringen wir unsere Bitten: In dieser zerrissenen Welt bitten wir um Frieden und Gerechtigkeit. 2: Barmherziger Gott, wir bitten, dass alle die gleichen Rechte und Pflichten haben und gleich behandelt werden. 3: Gütiger Gott, wir bitten, dass alle ein Zuhause haben. Einen Ort, an dem sie willkommen sind. 4: Beschützender Gott, wir bitten, dass alle genug zu essen und zu trinken und zum Anziehen haben. 5: Verborgener Gott, wir bitten, dass keiner auf der Welt leiden soll. 6: Begleitender Gott, schenk allen einen Menschen, der zuhört. 7: Großzügiger Gott, unterstütze alle Kinder auf der Welt in ihrem Recht, in die Schule zu gehen. Fürbitten – muslimisch 1: Gerechter Gott, nur dich bitten wir: schenke aller Schöpfung in dieser Welt Frieden und Gerechtigkeit. 2: Gewährender Gott, dich bitten wir, lass alle Menschen die gleichen Rechte und Pflichten haben. Alle sollen sie gleich behandelt werden. 3: Gebender Gott, wir bitten dich darum, gib allen einen Ort, an dem Sie zur Ruhe kommen, einen Ort, an dem Sie Schutz empfinden. 4: Ernährender Gott, wir bitten, dass alle Menschen genug Nahrung zum Essen haben und lernen diese in deinem Namen zu teilen. 5: Weiser Gott, wir bitten: nimm das Leid auf Erden von Menschen und Schöpfung. 23

Die Fürbitten wurden von der Pfarrrein und vom Imam formuliert und in der Probe an die SuS verteilt – das kann auch mit den Klassen versucht und trainiert werden. Hier ist eine enge Rücksprache mit den Religionen wichtig, die keine Vertreter an der Schule vor Ort haben.

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6: Liebender Gott, wir bitten dich, jedem Menschen jemanden an seine Seite zu stellen, der ihn liebt, begleitet und unterstützt. 7: Befreiender Gott, wir bitten: schenke jedem Kind die Freiheit und Möglichkeit in der Schule zu lernen. Pfarrerin: In der Stille bringen wir vor dich, was unser Herz noch bewegt. [Stille] Imam: Wende dich uns zu und erhöre unser Gebet. Amen Pfarrerin: Dank an alle, die mitgemacht haben – SuS, Kolleginnen und Kollegen, Schulleitung und Gemeinde Segen – Gedicht der Ethik-Kollegin, die ins Sabbath-Jahr aufbricht Eine Reise bedeutet Aufbruch. Möge das Auseinandergehen mit wehenden Fahnen und Freudenfeuern begleitet sein, geschmückt mit Farben der Leichtigkeit. Wenn ich mich fürchte, vor fremden Ufern, Ungewissheit und Neuland, suche ich Kraft in meinen Freunden, meinen Liebsten, meinen Treusten. Wenn Ihr euch ängstigt vor dem zurückbleiben, vertraut auf die treuen Gedanken der Reisenden an euch. Die schönen Erinnerungen, die ihr teilt, die Stärke, die ihr mitgebt. Möge unser Auseinandergehen mit wehenden Fahnen und Freudenfeuern begleitet werden. Ein Hoch auf uns. Segen – aaronitisch Der HERR segne dich und behüte dich; der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der HERR hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. 4. Mose 6,24–26 Segen – muslimisch Musik CD Dankeswort der Schulleitung Die muslimischen Schülerinnen und Schüler verabschieden sich mit Handdruck und Höflichkeitsgeste beim Imam.

Konzeptionelle Zuordnungen

Friedrich Schweitzer

Religionsunterricht und Ethikunterricht: Gegen-, Neben- oder Miteinander?

Die Frage nach dem Verhältnis zwischen Religions- und Ethikunterricht führt in vermintes Gelände. Zu den für den Religionsunterricht verstörenden Nachrichten des Jahres 2016 zählte bekanntlich die Meldung, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland den Religionsunterricht gerne abgeschafft sehen würde. Ein Meinungsforschungsinstitut hatte eine entsprechende Umfrage veranstaltet und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die meisten Menschen in Deutschland lieber einen »allgemeinen Werteunterricht« hätten als den herkömmlichen Religionsunterricht.1 Bei genauerer Betrachtung der empirischen Grundlage dieser Umfrage kann man zwar Zweifel an der Verlässlichkeit des Ergebnisses haben, aber auf jeden Fall tritt hier für den Religionsunterricht ein Konkurrenzverhältnis zutage, das derzeit eher zugunsten des Ethikunterrichts auszugehen scheint. Schon vor einigen Jahren verhielt es sich ähnlich bei der Berliner Initiative ProReli, die im Wesentlichen darauf zielte, statt des in Berlin für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtenden Ethikunterrichts ein Wahlpflichtverhältnis zwischen Religion und Ethik zu erreichen.2 Die entsprechende Volksabstimmung erbrachte aber keine Mehrheit für diesen Vorschlag. Der Gesamteindruck spricht derzeit also eher für ein Gegeneinander, für schärfer werdende Konkurrenzverhältnisse und entsprechend für eine zunehmende Abgrenzung zwischen Religion und Ethik, wobei auch (bildungs-)politische Positionen sowie persönliche Überzeugungen eine Rolle zu spielen scheinen. Ich selbst vertrete demgegenüber allerdings die Auffassung, dass es auch gute Gründe gibt, nach Möglichkeiten eines Miteinanders und also der Kooperation zu suchen. Ehe ich dies genauer begründe und entfalte, soll zunächst die Situation der beiden Fächer genauer in den Blick genommen und sollen einige grundlegende Orientierungen herausgearbeitet werden.

1 Vgl. https://yougov.de/news/2016/09/28/mehrheit-fur-abschaffung-des-religionsunter richts-/, zuletzt eingesehen am 19.6.2017. 2 Vgl. dazu etwa Wilhelm Gräb / Thomas Thieme, Religion oder Ethik? Die Auseinandersetzung um den Ethik- und Religionsunterricht in Berlin (Arbeiten zur Religionspädagogik 45), Göttingen 2011.

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1. Wie sind die beiden Fächer Religion und Ethik institutionalisiert? Zunächst eine Vorbemerkung zur Begrifflichkeit: Während der Religionsunterricht hierzulande in aller Regel mit nur geringen Variationen als Religionsunterricht bezeichnet wird, verhalten sich die Dinge bei Ethik etwas komplizierter. Wie beispielsweise dem Bericht der KMK aus dem Jahr 2008 – er ist noch immer der neueste zu diesem Thema – zu entnehmen ist, wird das Fach auch unter anderen Bezeichnungen angeboten – etwa in Niedersachsen als »Werte und Normen«, in anderen Bundesländern auch als »Philosophie« oder gar als »Philosophieren mit Kindern«, gelegentlich auch als »Ethik« sowie, als Spezialfall, im Rahmen von »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde« in Brandenburg.3 Auf die mit dieser Terminologie möglicherweise verbundenen Unterschiede, die in jedem Falle auf bestimmte Motivlagen verweisen, will ich hier nicht weiter eingehen. Das wäre Aufgabe einer Spezialdarstellung zum Ethikunterricht und seinen Varianten, die für meine Darstellung im Folgenden nicht weiter bedeutsam ist. Stattdessen frage ich nach der rechtlichen Zuordnung zwischen Religion und Ethik, wie ich im Folgenden vereinfachend formuliere. Rechtlich gesehen können vier Zuordnungsmöglichkeiten unterschieden werden4: − Die längste Tradition besitzt die sogenannte Ersatzfach-Regelung, die in Westdeutschland als Normalfall angesprochen werden kann. In diesem Falle tritt die Teilnahme am Ethikunterricht ersatzweise an die Stelle der Teilnahme am Religionsunterricht, sofern eine Schülerin oder ein Schüler die nach Art. 7,2 GG garantierte Befreiungsmöglichkeit vom Religionsunterricht in Anspruch nimmt. Solche Ersatzfachregelungen wurden bereits kurz nach dem zweiten Weltkrieg in manchen Landesverfassungen formuliert, beispielsweise in der 1947 in Kraft getretenen Landesverfassung Rheinland-Pfalz, wo es in Art. 35.2 heißt: »Für Jugendliche, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, ist ein Unterricht über die allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes zu erteilen« – eine im Übrigen inhaltlich nicht unproblematische Formulierung, auf die ich un3

Zur Situation des Ethikunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Kultusministerkonferenz vom 22.2.2008, Bonn 2008. 4 Vgl. zum Folgenden die noch immer grundlegenden Darstellungen bei Joseph Listl / Dietrich Pirson (Hg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 1, Berlin 21994 sowie etwa Martin Heckel, Religionsunterricht auf dem Prüfstand. Der rechtliche Rahmen des Religionsunterrichts im säkularen Verfassungsstaat, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 102 (2005), 246–292. Vgl. auch den KMKBericht zum Ethikunterricht (s.o. Anm. 3) sowie den Bericht: Zur Situation des Evangelischen Religionsunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der Kultusministerkonferenz vom 13.12.2002, Bonn 2002.

Religionsunterricht und Ethikunterricht: Gegen-, Neben- oder Miteinander?





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ten noch genauer eingehen möchte. An dieser Stelle kommt es mir nur darauf an, dass die Bezeichnung als »Ersatzfach« in aller Regel wenig geeignet ist, ein Miteinander zwischen Religion und Ethik zu unterstützen. Vielfach wird sie so verstanden – nach juristischer Auffassung allerdings eben missverstanden –, als wäre Ethik ein gleichsam minderwertiger Ersatz, so etwa wie bei dem berühmt-berüchtigten Ersatzkaffee der Nachkriegszeit, der bekanntlich keinerlei echten Kaffee enthielt. Rechtlich gesehen ist der Begriff »Ersatz« hier jedoch im Sinne eines »vollwertigen« Ersatzes zu verstehen, ähnlich der Situation, in der einem Geschädigten ein Recht auf Ersatzleistungen zugesprochen wird und keineswegs auf einen wie auch immer minderwertigen Ersatz. Eine neue Situation im Verhältnis zwischen Religion und Ethik stellte sich dann 1990 mit der deutschen Vereinigung ein. In Ostdeutschland hatte es zur Zeit der DDR keinen schulischen Religionsunterricht gegeben, und von einem Unterricht zu ethischen Fragen konnte lediglich im Blick auf die stark ideologisch ausgerichtete Staatsbürgerkunde der DDR die Rede sein. In beiden Hinsichten war also ein neuer Regelungsbedarf gegeben, nachdem das deutsche Grundgesetz auch in Ostdeutschland in Geltung gekommen war. U.a. vor dem Hintergrund, dass in Ostdeutschland nur etwa 20 % der Bevölkerung einer Kirche angehören, entschied man sich für ein Wahlpflichtfach-Verhältnis zwischen Religion und Ethik – mit der Ausnahme Brandenburgs, wo stattdessen das Schulfach LER (Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde) eingerichtet wurde (dazu noch unten). Dies bedeutet, dass die Schüler einerseits wählen können, sich andererseits aber zwischen den beiden Wahlmöglichkeiten Religion und Ethik auch entscheiden müssen. Eine solche Wahlpflichtfachregelung bietet mehr Chancen für ein Miteinander der beiden Fächer, weil hier von vornherein Gleichberechtigung signalisiert wird. Auch kirchliche Stellungnahmen wie die EKD-Denkschrift »Identität und Verständigung« von 1994 tendieren dazu, das Verhältnis zwischen Religion und Ethik als Wahlpflicht anzusehen.5 Die dritte Zuordnungsmöglichkeit finden wir heute ausschließlich in Berlin. Dort ist das Fach Ethik seit 2006 verpflichtend für alle Schülerinnen und Schüler.6 Dies bedeutet, dass es weder eine Befreiungsmöglichkeit von Ethik gibt noch ein Wahlpflichtfach-Verhältnis Ethik-Religion. Vielmehr kann der von der evangelischen Kirche angebotene Religionsunterricht, der nicht Teil der staatli-

Vgl. Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift der EKD, Gütersloh 1994, 73ff. 6 Vgl. etwa die offizielle Darstellung des Faches: www.berlin.de/sen/bildung/unter richt/faecher-rahmenlehrplaene/ethik/, zuletzt eingesehen am 21.6.2017.

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chen Schule ist, aber in deren Räumen stattfindet, nur zusätzlich zum Ethikunterricht besucht werden, was auf Schülerseite allerdings ein ausgeprägtes Bedürfnis nach »noch mehr Schule« voraussetzt. Eine Kooperation zwischen Ethik und Religion ist bei diesem Modell von vornherein ausgeschlossen oder jedenfalls sehr unwahrscheinlich. Auch in diesem Falle kann nicht von Gleichberechtigung oder von einem Verhältnis auf Augenhöhe gesprochen werden. Die letzte Variante findet sich ausschließlich im Land Brandenburg. Dort wurde nach 1990 der inzwischen als Schulfach etablierte LERUnterricht (zu Beginn wurde mitunter auch an einen Fächerverbund gedacht) eingeführt, der den Religionsunterricht zunächst ganz ersetzen sollte.7 Nach längeren und zum Teil heftigen Auseinandersetzungen wurde schließlich die bis heute gültige Lösung gefunden, dass solche Kinder und Jugendliche aus LER austreten bzw. sich von der Teilnahme an LER befreien lassen können, die an einem wiederum außerhalb der Stundentafel angebotenen (in der Regel evangelischen) Religionsunterricht oder einem ähnlichem Angebot teilnehmen.8 Erneut ist nicht von einem gleichberechtigten Nebeneinander der Fächer zu sprechen.

Es ist leicht zu erkennen, dass vor allem die beiden zuletzt genannten Zuordnungsmodelle eine Kooperation zwischen Religion und Ethik von vornherein eher erschweren. In Berlin und Brandenburg liegt die Präferenz dabei eindeutig bei Ethik bzw. LER, so dass kein partnerschaftliches Verhältnis zwischen den beiden Fächern entstehen kann. Mitunter wird dies in anderer Weise auch für die Ersatzfach-Regelung im Westen gesagt – nicht ohne ein gewisses Recht, weil diese Regelung beispielsweise bis heute auch dazu führt, dass der Ethikunterricht nicht flächendeckend in allen Schulstufen und Schularten angeboten wird (was allerdings nicht unbedingt auf die Art der rechtlichen Regelung zurückzuführen ist, sondern auf finanzielle Hürden sowie politische Orientierungen). Bei alldem ist freilich zu berücksichtigen, dass die rechtlichen Vorgaben nur begrenzt über die schulische Wirklichkeit Auskunft geben können. Was wo in welcher Form wann angeboten wird, wäre eine Frage, die sich nur mit empirischen Mitteln beantworten lässt. Denkt man 7

Vgl. aus der Diskussion: Wolfgang Edelstein u.a., Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde. Zur Grundlegung eines neuen Schulfachs. Analysen und Empfehlungen, vorgelegt vom Wissenschaftlichen Beirat LER, Weinheim/Basel 2001, Karl Ernst Nipkow, Die Herausforderung aus Brandenburg. »Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde« als staatliches Pflichtfach, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 93 (1996), 124–148. 8 Vgl. den zusammenfassenden Rückblick Friedrich Schweitzer, LER in Brandenburg – am Ende des Streits? Bilanz und Perspektiven nach der »einvernehmlichen Verständigung«, in: Theologische Literaturzeitung 127 (2002), 1139–1146; als Bericht zu weiteren Entwicklungen s. Jens Kramer, Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde im Land Brandenburg, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 65 (2013), 4–14.

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beispielsweise an aktuelle Umfragen zum Religionsunterricht in verschiedenen Bundesländern,9 die zumindest ein Stück weit Einblick in die entsprechende Realität zu geben vermögen, so kann durchaus die Frage aufgeworfen werden, wie groß die Differenz zwischen rechtlichem Anspruch und schulischer Wirklichkeit inzwischen geworden ist. Der Religionsunterricht stellt sich nicht einfach so dar, wie es rechtlich bzw. theoretisch zu erwarten wäre. Insbesondere sind die Lerngruppen in vielen Fällen konfessionell und religiös oder weltanschaulich stark gemischt. Leider steht keine entsprechende Untersuchung zum Ethikunterricht zur Verfügung, so dass hier keine parallelen Informationen zur Verfügung stehen.10 Die rechtlichen Regelungen verweisen, wie bereits deutlich geworden ist, jeweils auf eine bestimmte Geschichte und Vorgeschichte. Das gilt auch für das Verhältnis zwischen den Fächern Religion und Ethik insgesamt, das sich eigentlich nur aus seiner Geschichte heraus verstehen lässt. 2. Religion und Ethik in der Schule: Zur Vorgeschichte eines spannungsvollen Verhältnisses Ich kann und will hier weder eine Geschichte des Religionsunterrichts noch des Ethikunterrichts bieten.11 Ich beschränke mich auf einige, aus meiner Sicht allerdings aufschlussreiche Hinweise auf Entwicklungen, die das Verhältnis zwischen beiden Fächern in ihrer Wirkungsgeschichte bis heute beeinflussen. Mein erster Hinweis betrifft zumindest scheinbar nur den Religionsunterricht selbst. Gemeint ist die vor allem seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland zu beobachtende Tendenz zu einer Emanzipation der Schule von kirchlichen Einflüssen. Das entsprechende Fanal war exemplarisch mit Jean-Jacques Rousseaus Werken gegeben, besonders seinem 1762 veröffentlichten Erziehungsroman »Emile«, in 9

Vgl. Uta Pohl-Patalong / Johannes Woyke / Stefanie Boll / Thorsten Dittrich / Antonia Elisa Lüdke, Konfessioneller Religionsunterricht in religiöser Vielfalt. Eine empirische Studie zum evangelischen Religionsunterricht in Schleswig-Holstein, Stuttgart 2016, Martin Rothgangel / Christhard Lück / Philipp Klutz, Praxis Religionsunterricht. Einstellungen, Wahrnehmungen und Präferenzen von ReligionslehrerInnen, Stuttgart 2017, Carsten Gennerich / Reinhold Mokrosch, Religionsunterricht kooperativ. Evaluation des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts in Niedersachsen und Perspektiven für einen religions-kooperativen Religionsunterricht, Stuttgart 2016. 10 Einige Einblicke bietet die Studie zu den aus dem Religionsunterricht Ausgetretenen, die zumindest teilweise wohl den Ethik-Unterricht besuchen, vgl. Carsten Gennerich / Mirjam Zimmermann, Abmeldung vom Religionsunterricht. Statistiken, empirische Analysen, didaktische Perspektiven, Leipzig 2016. 11 Vgl. dazu, auch als Hintergrund des Folgenden, Ernst C. Helmreich, Religionsunterricht in Deutschland, von den Klosterschulen bis heute, Düsseldorf 1966, sowie Rainer Lachmann / Bernd Schröder (Hg.), Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland. Ein Studienbuch, Neukirchen-Vluyn 2007.

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dem die Abschaffung der religiösen Erziehung in der Kindheit gefordert wurde. Im selben Jahr erschien auch Rousseaus »Sozialvertrag«, der das Recht einer nicht an die Kirche gebundenen zivilreligiös-moralischen Erziehung darstellt, die sich im Kern auf die Vermittlung staatsbürgerlich erforderlicher Werte bezog.12 In Deutschland waren es dann vor allem die Philanthropen, die eine abgemilderte Form dieser nicht mehr kirchlich oder theologisch bestimmten religiösen Erziehung forderten. Beispielsweise vertrat Christian Gotthilf Salzmann die Auffassung, dass der Religionsunterricht ein ethisches Fundament brauche und man zu Beginn die Kinder am besten mit »Geschichten von guten Kindern« versorgen sollte, die ihnen unmittelbar als Vorbild dienen können.13 Ein solcher ethisch gewendeter Religionsunterricht sei das einzig tragfähige Fundament, auf dem später die Religionslehren aufbauen könnten. Im vorliegenden Zusammenhang interessant ist die damit für das Verhältnis zwischen Religion und Ethik – hier noch als Inhaltsaspekte und nicht als Fachbezeichnungen gemeint – eingeführte kritische Dynamik, die auf eine Abgrenzung zwischen Schule und Kirche zielte. Die Werte, die vermittelt wurden, sollten nicht aus Kirche oder Theologie kommen, sondern wurden philosophisch begründet. Zudem wird der Religionsunterricht bei Salzmann tendenziell überhaupt zu einem Werte-Unterricht. Im 19. Jahrhundert trat diese Dynamik dann insofern weit wirksamer hervor, als nun auch institutionelle Folgen eintraten, zunächst allerdings weniger in Deutschland als in Frankreich. Einschlägig ist hier das Schulgesetz von 1882, das eine säkulare Schule ganz im Zeichen staatsbürgerlicher Erziehung vorsah. Die entsprechende Erziehungsaufgabe der Schule trat hier sogar an die erste Stelle, noch vor Schreiben und Lesen. Der Religionsunterricht hingegen wurde zu einer Privatangelegenheit erklärt, für den die Schule zwar in Gestalt freigehaltener Zeit Raum lassen, aber keinerlei Verantwortung mehr übernehmen sollte. Die entsprechende Formulierung des Gesetzes (Loi du 28 mars 1882 sur l’enseignement primaire obligatoire) lautet14: Art. 1er. – L’enseignement primaire comprend: L’instruction moral et civique;La lecture et l’écriture […] Art. 2. – Les écoles primaires publiques vaqueront un jour par semaine, en outre du dimanche, afin de permettre aux parents de faire donner, s’ils le désirent, à leurs enfants, l’instruction religieuse, en dehors des édifices scolaires. L’enseignement religieux est facultatif dans les écoles privées. 12

Jean-Jacques Rousseau, Emil oder Über die Erziehung, Paderborn u.a. 51981; ders., Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, Stuttgart 1986. 13 Vgl. Christian Gotthilf Salzmann, Über die wirksamsten Mittel, Kindern Religion beizubringen, Leipzig 1780. 14 http://classes.bnf.fr/laicite/references/loi_28_mars_1882.pdf, zuletzt eingesehen am 19.6.2017.

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Die französischen Regelungen fanden auch in Deutschland ein breites Echo.15 Vielfach wurde auch hier eine rein »weltliche Schule« angestrebt, vor allem von sozialistischer Seite – eine Schule, an der es auch keinen Religionsunterricht mehr geben sollte.16 Bis hinein in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 finden sich die Nachwirkungen der damaligen Auseinandersetzungen, die zunächst schon in Artikel 149 der Weimarer Reichsverfassung ihren Niederschlag gefunden hatten: Denn wie in Artikel 7,3 des Grundgesetzes nachzulesen ist, soll bzw. kann es »bekenntnisfreie« Schulen geben, an denen kein Religionsunterricht erteilt wird. Diese in der Praxis wohl wenig in Anspruch genommene Möglichkeit (Untersuchungen dazu fehlen bislang), lässt sich als abgemilderte Version der 1882 für Frankreich eingeführten säkularen Schule – ohne Angebot in Religion, aber verpflichtendem moralisch-staatsbürgerlichem Unterricht bei gleichzeitiger Privatisierung der religiösen Bildung – verstehen. Nach 1945 wurde dem Religionsunterricht in (West-)Deutschland bekanntlich eine hervorgehobene Stellung verliehen. Als einziges Schulfach ist der Religionsunterricht ausdrücklich im Grundgesetz (Art. 7,3) erwähnt – und mehr noch: Er wird dort garantiert als »ordentliches Lehrfach«, womit der Staat dazu verpflichtet wird, für das Angebot dieses Faches Sorge zu tragen. Dieser Formulierung im Grundgesetz entspricht dann komplementär auch die Rede von einem Ersatzfach, das allerdings im Grundgesetz nicht erwähnt wird. Der Ethikunterricht wird vielmehr in Landesverfassungen oder in den Schulgesetzen der Länder geregelt. Obwohl ein Ethikunterricht, wie deutlich geworden ist, mitunter bereits nach 1945 im Blick war und in manchen Landesverfassungen auch explizit genannt wird, kam es doch erst etwa um 1970 zu einem deutlichen Schub in der auch faktischen Einführung und Erteilung von Ethikunterricht. Hintergrund waren damals hohe Austrittszahlen aus dem Religionsunterricht und der entsprechende Wunsch, wie es damals hieß, die Alternative »Religionsunterricht oder Eisdiele« auszuschließen. Entsprechend häufig wurde die stärkere Etablierung von Ethik auch 15

Vgl. etwa Wilhelm Börner, Der Moralunterricht in Frankreich. Das französische Moralunterrichtsgesetz in deutscher Übersetzung. Mit einer Einleitung versehen, Wien 1910; dazu die Rezension von Friedrich Niebergall, Theologische Literaturzeitung 36 (1911), 315–316. Zum weiteren Hintergrund s. Bernd Schröder / Wolfgang Kraus (Hg.), Religion im öffentlichen Raum / La Religion dans l’éspace public. Deutsche und französische Perspektiven / Perspectives allemandes et françaises (Jahrbuch des Frankreichzentrums der Universität des Saarlandes 8), Bielefeld 2009. Zur aktuellen Situation und Diskussion über Enseignement moral et civique in Frankreich vgl. z.B. die Darstellung http://eduscol.education.fr/pid33120/enseignement-moral-et-civique.html, zuletzt eingesehen am 21.6.2017. 16 Vgl. bspw. Ernst Troeltsch, Die Trennung von Staat und Kirche, der staatliche Religionsunterricht und die theologischen Fakultäten, Tübingen 1907; an diese Veröffentlichung schloss sich eine breite Diskussion an.

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nicht von allen Vertretern des Faches begrüßt, sondern es wurde beklagt, dass die Kirchen den Ethikunterricht dazu funktionalisieren, das eigene Angebot in Religion zu stabilisieren.17 Der Ethikunterricht habe sein eigenes Recht und er werde missbraucht, wenn er nur den Religionsunterricht stützen soll! Die Veränderung der Bevölkerung im Blick auf die Religions- und Kirchenzugehörigkeit brachte es in den letzten 30 oder 40 Jahren mit sich, dass die früher in manchen Bundesländern zu findende Zurückhaltung gegenüber einem Ethikunterricht nach und nach aufgegeben wurde. Zu groß war inzwischen die Zahl von Schülerinnen und Schülern, die nicht zu einer Kirche gehören, als dass solche Vorbehalte noch als sinnvoll angesehen werden konnten. Ein verpflichtendes Angebot auch für solche Schülerinnen und Schüler stellt sich heute vielmehr als unverzichtbar dar – eine Entwicklung, die sich dann ab 1990 unter den Voraussetzungen des wiedervereinigten Deutschlands noch einmal verstärkte. Mit dem Anwachsen der Präsenz nichtchristlicher Religionen in Deutschland verband sich dann auch immer wieder die Frage, wie viele unterschiedliche Angebote man in der Schule eigentlich noch haben wolle – evangelisch und katholisch, aber auch orthodox, jüdisch, islamisch und alevitisch – und ob es nicht besser und also an der Zeit wäre, einen Ethikunterricht für alle als allgemeines Angebot zu etablieren – eine Frage oder Perspektive, die naturgemäß von den Vertreterinnen und Vertretern des Religionsunterrichts als bedrohlich wahrgenommen wird. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass geschichtlich gesehen tatsächlich von einem höchst spannungsvollen Verhältnis zwischen Religion und Ethik auszugehen ist. Immer wieder kam es zu Konstellationen, in denen das eine das andere Fach zu dominieren drohte. Ja, mehr noch: Viele Reformen und Reformanliegen speisten sich aus der Überzeugung, dass das eine – eigene – dem anderen Fach grundsätzlich überlegen sei. Wer heute von einem Miteinander der beiden Fächer sprechen will, sieht sich also – um es modern auszudrücken – mit starken Vorbelastungen konfrontiert. Wie aber sieht es heute aus? 3. Unterschiedliche Profile – gemeinsame Lernaufgaben? Religionsunterricht und Ethikunterricht im Vergleich Das parallele Angebot von Religion und Ethik in der Schule erzeugt Orientierungsbedarf. Das gilt nicht nur für die Wissenschaft, sondern 17

Vgl. zu entsprechenden Entwicklungen Heinz Schmidt, Didaktik des Ethikunterrichts I. Grundlagen, Stuttgart u.a. 1983, 11; Alfred K. Treml, Ethik als Unterrichtsfach in den verschiedenen Bundesländern. Eine Zwischenbilanz, in: Ethik und Unterricht 5 (1994), 18–29.

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auch etwa für Eltern, die entsprechende Entscheidungen für ihre Kinder treffen sollen. Wie auch bei allen anderen Fragen des Lebens bietet sich dann das Internet als Auskunftsquelle an. Und in der Tat: Die Ratgeberredaktion »Helpster« bietet entsprechende Hilfe: »Religion oder Ethik – was Sie bei der Wahl des Schulfaches bedenken sollten«.18 Obwohl die Darstellung sich durchaus um informative Auskünfte bemüht, fällt die Entscheidung, folgt man dieser Redaktion, am Ende doch leicht. Denn es heißt: »Ein getrennter Religionsunterricht, etwa für evangelische, katholische, jüdische und muslimische Schüler, vermag einen Dialog der Weltanschauungen nicht herzustellen. Im katholischen oder evangelischen Religionsunterricht sprechen Christen untereinander beispielsweise über den Islam und über Muslime, im Ethikunterricht sprechen Juden, Muslime, Katholiken, Protestanten, Agnostiker und Atheisten miteinander.« Wer wollte da mit seiner Wahlentscheidung noch zögern? Ganz so einfach kann es freilich nicht sein. Ein Schulfach, das lediglich daraus besteht, dass unterschiedlich geprägte Kinder und Jugendliche »miteinander sprechen«, kann es ja kaum geben. Schulfächer haben nur dann ein Recht, wenn sie für bestimmte Welterschließungsperspektiven stehen. Deshalb sind sie in aller Regel an eine bestimmte wissenschaftliche Disziplin gebunden.19 Im Falle des Religionsunterrichts ist dies Theologie. Im Falle des Ethikunterrichts stellen sich die Dinge komplizierter dar, weil verschiedene Disziplinen um die Zuständigkeit als Bezugsdisziplin für Ethik miteinander ringen: Philosophie und Religionswissenschaft stehen dabei an erster Stelle, aber auch die Erziehungswissenschaft ist häufig mit im Spiel. An dieser Stelle ist noch einmal an die exemplarische Formulierung in der Landesverfassung Rheinland-Pfalz zu erinnern – an die Konzeption eines Unterrichts »über die allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes«. Das verweist natürlich auf die philosophische Ethik. Es fragt sich aber, ob sich solche »allgemein anerkannten Grundsätze des natürlichen Sittengesetzes« überhaupt in einer wie auch immer allgemein verbindlichen Form benennen lassen. Eine Antwort auf die Frage nach einem konsensuell als kanonisch anzusehenden Sittengesetz fällt nicht zufällig schwer. Eine philosophische oder auch theologische Ethik wird ja deshalb notwendig, weil über die ethischen Normen und Werte, die allgemein anerkannt werden sollen, eben kein Ein18 www.helpster.de/religion-oder-ethik-was-sie-bei-der-wahl-des-schulfaches-bedenkensollten_13275, zuletzt eingesehen am 20.6.2017. 19 Vgl. dazu etwa die Darstellung bei Dietrich Benner, Zur pädagogischen und erziehungswissenschaftlichen Begründung des Ansatzes, in: ders. / Roumiana Nikolova (Hg.), Ethisch-moralische Kompetenz als Teil öffentlicher Bildung. Der Berliner Ansatz zur Konstruktion und Erhebung ethisch-moralischer Kompetenzniveaus im öffentlichen Erziehungs- und Bildungssystem mit einem Ausblick auf Projekte zu ETiK-International, Paderborn 2016, 13–44.

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verständnis besteht. Insofern bleibt es schwierig, genauer anzugeben, worin die spezifische Erschließungsperspektive im Fach Ethik zumindest in normativer Hinsicht bestehen soll. Für gewöhnlich wird in dieser Hinsicht dann auf das Grundgesetz oder auf die Menschenrechte verwiesen, was zwar durchaus plausibel, aber zugleich so allgemein ist, dass sich daraus allein noch kaum klare Konsequenzen für die Gestaltung von Unterricht ziehen lassen.20 Klar ist hingegen wiederum die rechtliche Position. Das Fach Ethik muss, weil es in staatlicher Verantwortung steht, religiös und weltanschaulich streng neutral sein. Jede andere Perspektive würde der Trennung von Staat und Kirche oder Religion widersprechen und bleibt deshalb ausgeschlossen – als Verstoß gegen die mit Artikel 4 des Grundgesetzes verbriefte Garantie, dass es keine staatliche Diskriminierung aufgrund religiöser oder nicht-religiöser Überzeugungen geben darf. Hingegen ist der Religionsunterricht ausdrücklich auf die »Grundsätze« derjenigen Religionsgemeinschaft (Art. 7,3 GG) verpflichtet, mit der das Fach jeweils verbunden ist, sei es Christentum, Judentum oder Islam bzw., was im Grundgesetz offen bleibt, auch anderer Religionsgemeinschaften. Nach heutigem religionspädagogischem Verständnis liegt darin durchaus ein Vorteil für den Religionsunterricht.21 Denn die Bindung an bestimmte »Grundsätze« wird längst nicht mehr im Sinne einer dogmatisch-einengenden Festlegung oder Ausrichtung verstanden, sondern als Voraussetzung für Transparenz: Wer sich auf den Religionsunterricht einlässt, weiß, welche Erschließungsperspektive hier gewählt wird – und wer sich dieser Perspektive nicht aussetzen möchte, kann sich vom Religionsunterricht abmelden. Das begründet die Freiheitlichkeit auch eines »ordentlichen Lehrfachs« Religion (Art. 7,3 GG), gerade in seiner konfessionellen Gestalt. Dabei versteht sich zumindest aus evangelischer Sicht von selbst, dass die Schülerinnen und Schüler nicht an die evangelische Perspektive gebunden sind. Eine entsprechende Offenheit und vor allem eine Möglichkeit der Befreiung kann es für den Ethikunterricht, trotz oder gerade wegen des Neutralitätsgebots, nicht geben. Von einem neutralen Angebot kann man sich nicht befreien lassen (wobei das Brandenburger Schulfach LER eine rechtlich interessante, letztlich aber widersprüchliche Ausnahme darstellt, eben weil dieses Fach neutral sein

20

Vgl. etwa: Lebensgestaltung-Ethik-Religionskunde. Jahrgangstufen 5–10, https://bil dungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/Rahmen lehrplanprojekt/amtliche_Fassung/Teil_C_L-E-R_2015_11_10_WEB.pdf, zuletzt eingesehen am 30.1.2017, 6: »Den Orientierungsrahmen des Faches stellen die Menschenrechte dar.« 21 Vgl. zu einer solchen Sicht: Religiöse Orientierung gewinnen. Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule. Eine Denkschrift des Rates der EKD, Gütersloh 2014.

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soll, aber doch eine Befreiungsmöglichkeit für diejenigen kennt, die einen bekenntnisgebunden Religionsunterricht vorziehen22). Im Blick auf die Lehrkräfte oder die Schülerinnen und Schüler hingegen ist eine klare Unterscheidung zwischen den Fächern Religion und Ethik heute offenbar nicht mehr ohne weiteres möglich. In beiden Fällen bzw. Fächern gibt es keinen Ausschluss beispielsweise von Personen, die sich zu einem bestimmten Glauben bekennen oder nicht bekennen. Die Lehrkräfte müssten im Unterricht zwar die Anforderungen entweder des bekenntnisbezogenen Unterrichts im einen oder der religiösweltanschaulichen Neutralität im anderen Falle beachten, aber als Privatpersonen dürfen auch Ethik-Lehrkräfte ihrem Glauben oder NichtGlauben selbstverständlich nachgehen. Für die Kinder und Jugendlichen kann es auch im Ethikunterricht keine Einschränkung dafür geben, dass sie auch von einem bestimmten Glauben oder Nicht-Glauben ausgehenden Auffassungen Ausdruck verleihen. Auch faktisch ist wohl davon auszugehen, auch wenn dies durch wissenschaftliche Untersuchungen bislang nicht geklärt ist, dass die am Ethikunterricht beteiligten Lehrkräfte und Schüler keineswegs mehrheitlich Atheisten sind. Besonders interessant für das Verhältnis zwischen Ethik und Religion sind aber die Inhalte, bei denen es zu deutlichen Überschneidungen kommt. − Zum Religionsunterricht gehören von jeher auch ethisch relevante Zielsetzungen. In dieser Hinsicht ist auch manchen Auffassungen in der Religionspädagogik zu widersprechen, die dies heute – zum Zwecke einer klareren Unterscheidung zwischen Religion und Ethik – bestreiten wollen.23 Schon Martin Luther macht in der Vorrede zum Kleinen Katechismus sehr deutlich, dass der Katechismusunterricht sich auch an Menschen wendet, die sich nicht zum christlichen Glauben bekennen. Auch diese Menschen können und sollen hier, so Luther, das »Stadtrecht« lernen, also die Regeln derer, mit denen sie zusammenleben.24 Ähnlich hat später Friedrich Schleiermacher, um einen weiteren evangelischen Kirchenvater als Zeugen zu zitieren, im Blick auf den Religionsunterricht gefordert, dass er nicht nur selbst die Bildung einer ethischen Gesinnung, wie man damals sagte, unterstützen, son22

Die entsprechende Verwaltungsvorschrift findet sich unter http://bravors.branden burg.de/verwaltungsvorschriften/rs_20_04, zuletzt eingesehen am 20.6.2017. 23 Z.B. Bernhard Dressler, Religionsunterricht als Werterziehung? Eine Problemanzeige, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 46 (2002), 256–269; zur Diskussion s. Friedrich Schweitzer, Religiöse Bildung ohne Ethik? Zur ethischen Dimension des Religionsunterrichts, in: Jahrbuch der Religionspädagogik 31 (2015): Ethisches Lernen, NeukirchenVluyn 2015, 13–23. 24 Martin Luther, Vorrede zum Kleinen Katechismus, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1530, Göttingen 71976, 501–507, 504.

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dern dass er auch für die Schule insgesamt eine ethisch bildende Funktion übernehmen soll.25 Von der christlichen Religion erwartete er dafür einen besonderen Beitrag, aufgrund der Eigenart der christlichen Ethik. Religion und Religionsunterricht sind ethisch bedeutsam. Religion gehört, wie es in einer Stellungnahme des Rates der EKD heißt, zu den wichtigsten Wurzeln ethischer Normen und Werte, auch wenn der Gottesglaube darin nicht aufgeht.26 − Umgekehrt gehören zu den Inhalten im Fach Ethik auch Religion und Religionen.27 Hier unterscheiden sich die Lehr- oder Bildungspläne mit ihren Akzentuierungen und Schwerpunkten zwar von Bundesland zu Bundesland, aber es besteht doch weithin Einigkeit darüber, dass eine Auseinandersetzung mit Religion zur Grundbildung jedes Kindes und Jugendlichen gehören muss. Eben deshalb muss sich das Fach Ethik gerade im Blick auf solche Schülerinnen und Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, diesem Thema widmen. Beim Fach LER in Brandenburg wird dies durch das »R« ja auch eigens hervorgehoben und war es von Anfang an eine wichtige Begründung für die Einführung eines solchen Faches, dass alle Kinder und Jugendlichen zumindest eine Art religiöse Grundbildung brauchen, auch dann, wenn sie nicht den Religionsunterricht besuchen. Aus den inhaltlichen Überschneidungen zwischen Religion und Ethik erwächst dann weiterreichend die Frage, ob die unterschiedlichen Erschließungsperspektiven in diesen Fächern nicht auch für einen fächerverbindenden Unterricht und also für Kooperationen zwischen Religion und Ethik genutzt werden können, was ich selbst ausdrücklich bejahe. 4. Kooperation zwischen Ethik/Philosophie und Religion Da ich vor kürzerer Zeit die Aufgabe hatte, einen Beitrag zu solchen Kooperationsfragen für ein Lehrbuch der »Ethik/Philosophiedidaktik« zu schreiben (auch dies ein erfreulicher Ausdruck der kooperativen Offenheit), kann ich mich an dieser Stelle nicht nur auf theoretische Erwägungen beziehen, sondern auch auf entsprechende Recherchen. Deren Befunde können hier allerdings nur in knapper Form aufgenommen werden.28 25

Vgl. Friedrich Schleiermacher, Erziehungslehre. Aus Schleiermacher’s handschriftlichem Nachlasse und nachgeschriebenen Vorlesungen, hg. von C. Platz, Berlin 1849, 242f. 26 Vgl. Religionsunterricht. 10 Thesen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Hannover 2006, 3. 27 Vgl. Bernhard Dressler, Religion im Ethikunterricht. Problemanzeigen, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 62 (2010), 112–128. 28 Vgl. ausführlicher Friedrich Schweitzer, Kooperation zwischen Ethik/Philosophie und Religion, in: Barbara Brüning (Hg.), Ethik/Philosophie Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II, Berlin 2016, 49–59.

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Bedeutsam sind hier zunächst die Gründe für eine Kooperation. An die erste Stelle rückt dabei in meiner Sicht das »Lernen an Differenzen«: Die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Fächer können dazu genutzt werden, bei möglicherweise identischen Themen Unterschiede deutlich werden zu lassen. Ein solcher Unterricht ermöglicht dann einen Perspektivenwechsel etwa im Sinne von Innen- und Außenperspektive, der heute als wichtige Dimension von Bildung gilt.29 Dabei geht es nicht nur um eine interpersonelle Perspektivenübernahme, obwohl diese Form durchaus wichtig bleibt, etwa in der Begegnung oder Kommunikation zwischen den Schülerinnen und Schülern oder auch mit Lehrkräften bzw., im begrüßenswerten Falle eines Team-Teaching, auch verschiedener Lehrkräfte. Vielmehr sind auch die unterschiedlichen Erschließungszugänge von Theologie, Philosophie, Sozialwissenschaften, Religionswissenschaft usw. gemeint und damit letztlich unterschiedliche Weltzugänge.30 Als zweites spricht für die Kooperation zwischen Ethik/Philosophie und Religion der von der Zusammenarbeit zu erwartende »Kompetenzgewinn«: Die unterschiedliche Ausbildung der Lehrkräfte kann im Sinne einer wechselseitigen Ergänzung verschiedener fachlicher Kompetenzen genutzt werden. Dies schließt ein, dass die fachlichen Perspektiven gezielt vergleichend zum Tragen gebracht werden und vor allem in der gymnasialen Oberstufe auch explizit vergleichende Diskurse angestrebt werden, also etwa im Blick auf theologische und philosophische Fachund Erschließungsperspektiven, Begründungs- und Beurteilungsformen usw. Und schließlich – und insgesamt noch zu wenig beachtet – kann auch an einen »Dialog zwischen Konfessionslosen und Angehörigen von Religionsgemeinschaften gedacht werden«.31 Auch wenn, wie gesagt, konfessionslose Schülerinnen und Schüler heute sowohl den Ethik- als auch den Religionsunterricht besuchen können und das Verhältnis zwischen Religions- und Ethikunterricht nicht mit dem zwischen Konfessions- oder Religionszugehörigkeit einerseits und Konfessionslosigkeit andererseits gleichgesetzt werden kann, bietet eine Kooperation zwischen den beiden Fächern besondere Chancen einer ausdrücklichen Thematisierung und eines dialogischen Lernens. Die Kooperation zwischen Ethik und Religion erlaubt insofern eine bewusstere Wahrneh29

Mit unterschiedlichen Akzentuierungen vgl. Bernhard Dressler, Unterscheidungen. Religion und Bildung, Leipzig 2006; Friedrich Schweitzer, Interreligiöse Bildung. Religiöse Vielfalt als religionspädagogische Herausforderung und Chance, Gütersloh 2014. 30 Zur Bildungsbedeutung unterschiedlicher Weltzugänge vgl. Jürgen Baumert, Deutschland im internationalen Bildungsvergleich, in: Nelson Killius / Jürgen Kluge / Linda Reisch (Hg.), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt a.M. 2002, 100–150. 31 Vgl. David Käbisch, Religionsunterricht und Konfessionslosigkeit. Eine fachdidaktische Grundlegung (Praktische Theologie in Geschichte und Gegenwart 14), Tübingen 2014.

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mung religiöser und nicht-religiöser Formen der Welt- und Lebensdeutung. Ein solcher Dialog ergänzt das inzwischen etablierte interreligiöse Lernen im Blick auf eine Gruppe, bei der nicht von religiösen Überzeugungen ausgegangen werden kann, so dass der Begriff des InterReligiösen nicht wirklich anwendbar ist (wobei ein analoger Begriff im Blick auf Lernprozesse zwischen Religion und Konfessionslosigkeit bislang fehlt). Hinsichtlich der Formen der Kooperation ergeben sich folgende Perspektiven, wobei ich mich wiederum auf die genannte Recherche stütze32 und also nicht einfach bloß denkbare, sondern zumindest in Einzelfällen bereits realisierte Möglichkeiten nenne: − Alle Möglichkeiten eines fächerverbindenden Unterrichts können auch hier genutzt werden. Ein solcher Unterricht kann sowohl von materialen Themen ausgehen als auch von methodologischen und wissenschaftstheoretischen Fragen wie etwa der Begründung moralischer Urteile. − Spezielle Arbeitsgemeinschaften können in Zusammenarbeit zwischen Ethik und Religion eingerichtet werden. − Kooperative Kurse vor allem in der Sekundarstufe II können eine vertiefte Bearbeitung von Themen erlauben. − Auch Projekte und projektartige Veranstaltungsformen kommen natürlich in Frage, ebenso wie − Exkursionen zu thematisch interessanten Einrichtungen. − Auch in der Lehrerausbildung eröffnen sich, wie ich aus eigener Tübinger Erfahrung berichten kann, spezielle Möglichkeiten in der Zusammenarbeit, die im Blick auf beide Fächer interessant ist, aber auch die − mancherorts eingerichteten Lernwerkstätten für die Lehreraus- und Lehrerfortbildung sind hier zu nennen. − In wissenschaftlicher Hinsicht besonders interessant ist eine Kooperation bei der Weiterentwicklung von Fachdidaktiken, wie sie heute etwa im Rahmen an vielen Orten begründeten Schools of Education angestrebt wird. Dafür kommen ebenso die dialogische Weiterentwicklung didaktisch-theoretischer Ansätze wie vergleichende, etwa auch empirische Forschungsprojekte in Frage, wie sie bislang allerdings noch weithin ausstehen. Für alle diese Formen der Kooperation, mit Ausnahme gemeinsamer Forschungsprojekte, liegen entsprechende Berichte vor. Es gibt bereits einen beachtlichen Schatz an Erfahrungen, auf den sich Kooperationsversuche beziehen können. 32 Noch einmal sei verwiesen auf Schweitzer, Kooperation zwischen Ethik/Philosophie und Religion (s.o. Anm. 28).

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Den gemeinsamen Horizont aller solcher Bemühungen kann man wohl darin sehen, dass beide Fächer auf je ihre Weise zu einem in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft nicht selbstverständlichen Zusammenleben in Frieden und Toleranz, wechselseitiger Anerkennung und wechselseitigem Respekt beitragen wollen. Eine Zusammenarbeit kann dieses Anliegen noch einmal deutlich stärken, was zugleich Anlass zu einer kurzen Schlussreflexion sein soll: 5. Streit im Armenhaus der Schule? Woran orientieren sich heute Schule und Bildung? Worin werden konsensfähige Maßstäbe für deren Zukunft gesehen? Sehr eindrücklich ist ein Antwortversuch auf solche Fragen, wie er im Blick auf die PISA-Untersuchungen aus dem Bereich der OECD formuliert wurde. Dort wird sehr klar statuiert, dass zumindest zwei Zielsetzungen auf allgemeine Zustimmung hoffen können: »better jobs« und »better salaries« – also, um mit der Terminologie etwa der Europäischen Union zu sprechen, eine Steigerung der »employability« und die Anleitung zu »entrepreneurship« – darum müsse es in der Schule der Zukunft gehen.33 Die meisten Menschen werden dagegen in der Tat kaum etwas einzuwenden haben. Es wäre auch vermessen, wollte man etwa von theologischer oder philosophischer Seite behaupten, auf materielle Gewinne durch Bildung komme es doch gar nicht an. Aus evangelischer Perspektive ist gleichwohl daran zu erinnern, dass Martin Luther einen solchen Bildungsgewinn einerseits zwar als wichtig ansah, andererseits aber doch auch in seine Grenzen wies. Im Horizont seiner für die lutherische Ethik maßgeblichen Zwei-Reiche-Lehre gehören solche materiellen Bildungsgewinne nämlich zum Reich der Welt oder eben zum weltlichen Regiment, das unverzichtbar ist, dem im geistlichen Regiment aber zugleich ganz andere Fragen gegenüberstehen – vor allem die Frage nach dem Heil des Menschen, modern formuliert also nach dem Woher und Wohin oder nach dem Sinn des Lebens. Nur wenn Bildung auf beide Seiten des menschlichen Lebens eingestellt ist, wird sie den Erwartungen an eine Bildung für das Leben im vollen Sinne gerecht. Dazu kommt, dass nach Luther auch im Blick auf den weltlichen Bereich nicht der »Bauch«, wie er die materiellen Interessen bezeichnet, entscheidend sein soll, sondern der Beitrag schulischer Bildung zu »Frieden, Recht und Leben«.34 33

OECD, Knowledge and skills for life. First Results from the OECD Programme for International Student Assessment (PISA) 2000, Danvers 2001, 19f. 34 Martin Luther, Eine Predigt Martin Luthers, dass man Kinder zur Schule halten solle, in: Karin Bornkamm / Gerhard Ebeling (Hg.), Martin Luther, Ausgewählte Schriften, Bd. 5, Frankfurt a.M. 21982, 90–139, 117.

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Nicht allein, aber doch in besonderer Weise, stehen die Fächer Religion und Ethik in der Schule dafür, dass es Bildungsbereiche gibt und geben muss, die sich nicht im Streben nach »better jobs« und »better salaries« erschöpfen. Mit dieser Zielsetzung kommen beide Fächer immer wieder in die Gefahr, angesichts der dominanten Ausrichtung am internationalen und zunehmend globalen Wettbewerb mehr oder weniger marginalisiert zu werden. Darauf zielt die Metapher vom »Armenhaus der Schule«. Solchen Marginalisierungstendenzen werden beide Fächer am ehesten widerstehen können, wenn sie sich nicht im Streit miteinander erschöpfen, sondern gemeinsam und in wechselseitiger Anerkennung ihres jeweils unverwechselbaren Profils zu einer humanen Zukunft beitragen.

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Curriculum Making in the (Dis)United Kingdom The Impact of Global Trends, National Contexts and Local Circumstances on Religious and Moral Education in Schools 1. Introduction Writing about provision for values and moral education and the relationship of both to education about beliefs and religious systems would be challenging in a review of any education system, but it is particularly difficult in the case of the United Kingdom. The United Kingdom has not only developed a distinctive but complex approach to teaching about religious beliefs and values in schools, it is also becoming increasingly disunited, as the four jurisdictions (England, Wales, Scotland and Northern Ireland) diverge in a process of national devolution. Whilst the purpose of Religious Education is, and always has been, contested in the UK, it was until comparatively recently the vehicle for teaching about values as well as beliefs; one of the points of contestation is the extent to which this is synonymous. This article focuses on the process of curriculum making by teachers in classrooms in the UK as a means of negotiating this complexity with a view to evaluating how the issues impacting on Religious Education may act as a bellwether for the implications of the emerging settlements regarding the moral purpose of education in an increasingly diverse but interconnected world. It is argued that by tracing the trajectories from aims to outcomes through what teachers do every day in classrooms, we can chart the affordances and constraints and negotiate the ›broken middle‹ of controversial and contested educational endeavour. 2. Teachers as Curriculum Makers Debate regarding curriculum in the UK at the present time risks being locked in a binary opposition in which the question posed is the extent to which the acquisition of knowledge or the development of attitudes and skills should be promoted in schools. Underpinning this juxtaposition, although not always made explicit, is the tendency to equate knowledge with subject content and the development of attitudes and skills with experiential learning. It is a debate that has preoccupied modern curriculum theory since the Victorian controversy between classical and scientific education and the efforts of the philosopher Herbert

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Spencer to reconcile the ›tripartite interests‹ of the needs of the individual, society and the analysis of knowledge.1 As is too often the case in the policy discourse on education provision, there have been pendulum swings from the advocacy of ›learnification‹2 through initiatives such as ›Learning to Learn‹ to demands to ›bring[ing] knowledge back in.‹3 Pivotal to such debate is the positing of an established canon of knowledge, acquisition of which constitutes being educated. Whilst such debate can stimulate awareness of the contested and controversial status of knowledge in the curriculum and might be preferable to unreflective acceptance of the status quo, it becomes less productive when positions become polarised. Representing an emphasis on attitudes, skills and experience as limiting the learner to the confines of their immediate world, and therefore discriminatory, or, on the other hand, induction into disciplinary knowledge as ›colonialisation‹ in which the knowledge of the powerful is privileged, are essentialist and unhelpful. Presenting decisions about the school curriculum as such stark choices fails to recognise the importance of understanding in the process of being educated. Education requires a series of complex pedagogical transactions in which the position of the learner with regard to the teacher, the teacher with regard to the learner, to what is being taught and to what is being learned shift as ›binaries bleed into each other.‹4 Teachers in the classroom are engaged in curriculum making more radically than is represented in models of practice as delivery or even enactment of the curriculum. Focusing on curriculum making as transactional shifts our attention away from eristic debate about the importance of knowledge versus experience and towards the deliberative role of the teacher. Consideration of the teacher’s scope for action also admits the possibility that the dichotomy of knowledge and experience can be denied and education recognised as an inclusive public good. Anglo-American educational thought has tended to regard Curriculum Theory as a separate domain from the study of classroom practice, a distinction that is reflected in the paucity of the language to describe teaching as an activity as compared with the European tradition. It is only relatively recently that the term ›pedagogy‹ can be found in common use, for example, and didactics is yet to gain any purchase in the discourse. Fortunately, there have been exceptions, notably John Dewey 1 Philip Banks / Herbert Spencer, Victorian Curriculum Theorist, in: Journal of Curriculum Studies 12.2 (1980), 123–135. 2 Gert Biesta, Why ›what works‹ still won’t work. From evidence-based education to value-based education, in: Studies in Philosophy and Education 29.5 (2010), 491–503. 3 Michael F.D. Young, Bringing Knowledge Back, London 2008. 4 Lyn Yates / Victoria Millar, Powerful knowledge’ curriculum theories and the case of physics, in: The Curriculum Journal 27.3 (2016), 298–312.

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in the U.S. and Lawrence Stenhouse in the UK,5 and it is in their work we find the conceptualisation of the teacher as a curriculum maker. Dewey in ›The Child and the Curriculum‹ positions the teacher as the bridge between the experience of the child and the curriculum: »the child and the curriculum are simply two units which define a single process. Just as two points define a straight line, so the present standpoint of the child and the facts and truths of studies define instruction. It is continuous reconstruction, moving from the child’s present experience out into that represented by the organized bodies of truth that we call studies.«6 Lawrence Stenhouse develops this idea by proposing a partnership between teachers and academics which addresses concerns expressed by critics that curriculum making in the classroom would be limited by insufficient subject knowledge.7 For Stenhouse, curriculum development is a process by which curricular specifications based on academic disciplines are treated as ›intelligent proposals‹ to be tested in action by teachers.8 Emphasis on the testing of ideas in the classroom challenges hierarchies of knowledge based on the privileging of theory over practice by establishing an equality of expertise between the teacher and the academic. With empowerment comes responsibility, and the accomplishment of the meaningful engagement necessary for the transaction of understanding in the classroom presupposes a high level of professional judgement. Curriculum making is inherent to teaching, its success in accomplishing learning is dependent on teachers’ evaluation of risk in the choices they make allied with an orientation towards the wider purposes of education. Recent studies of the involvement of teachers in curriculum reform highlight the importance of teacher agency, which is not a fixed capacity but itself subject to particular, transactional, situations.9 Policy divergence and convergence in educational reform in the intersection of global trends with national contexts within the four devolved jurisdictions of the United Kingdom provides a ›laboratory‹ in which to study the affordances and constraints for curriculum making by teachers. 5 Both of whom were influenced by European educational thought, particularly the work of the German philosopher Johann Fr. Herbart. 6 John Dewey, The Child and the Curriculum, Chicago 1902. 7 Jan Terwel, Constructivism and Its Implications for Curriculum Theory and Practice, in: Journal of Curriculum Studies 31.2 (1999), 195–199. For example in his critique of constructivist approaches to learning in the classroom emphasises the need for close connection to knowledge producing communities. 8 Lawrence Stenhouse, Introduction to Curriculum Research and Development. Heinemann Education, London 1975. 9 Gert Biesta / Michael Tedder, Agency and Learning in the Lifecourse: Towards an Ecological Perspective, in: Studies in the Education of Adults 39 (2007), 132–149. Mark Priestley u.a., Teacher Agency in Curriculum Making: Agents of Change and Spaces for Manoeuvre, in: Curriculum Inquiry 42.1 (2012), 191–214.

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3. The Affordances and Constraints of Curriculum Making in the (Dis)United Kingdom: Global Trends and National Contexts The contemporary political situation in the United Kingdom has resulted in policy decisions in education increasingly being taken by the devolved parliaments of the four jurisdictions of England, Wales, Scotland10 and Northern Ireland. This has created an opportunity for the development of Home-International11 policy studies to illuminate understanding of the impact of ›travelling‹ and ›embedded‹ policies in education.12 Policy researchers have highlighted the tendency for policies to travel widely under the impetus of global trends leading to a situation in which we have ›big policies for a small world‹13 as similar aims and outcomes emerge in education systems around the world. However, mapping how policies are embedded in a national or local context reveals points of divergence as well as convergence as policy is ›inflected‹14 which, »allows for recognition that, while policy choices may be narrowing, national and local assumptions and practices remain significant and mediate or translate global policy in distinctive ways.«15 The following table provides an overview of public statements on the purpose of education as expressed in the espoused aims of the curriculum, the conceptualisation of teacher identity expressed in standards for the profession, provision for the teaching of values and Religious Education. Listing summaries of what can be found on government websites is not a robust method for analysis but as rhetorical statements of intent, they are revealing of the invocations to address aspirational aims in the discourse and indicators of how these are mediated within different policy communities and policy styles16 in the devolved nations of the UK.

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Scotland has always had a separate education system since the Act of Union. David Raffe / Delma Byrne, Policy Learning from Home International Comparisons. Centre for Educational Sociology, Edinburgh 2005; Jenny Ozga / Robert Jones, Travelling and embedded policy: the case of knowledge transfer, in: Journal of Educational Policy 21.1 (2006), 1–17. 12 Moira Hulme / Ian Menter, Learning to Teach in Post-Devolution Uk: A Technical or an Ethical Process?, in: Southern African Review of Education with Education with Production 14 (2008), 43–64. 13 Stephen J. Ball, Big policies/small world: an introduction to international perspectives in education policy, in: Comparative Education 34 (1998), 119–130. 14 Nafsika Alexiadou / Jenny Ozga, Modernizing education governance in England and Scotland: devolution and control, in: European Educational Research Journal 1.4 (2002), 676–691. 15 Jenny Ozga / Robert Jones, Travelling and embedded policy: the case of knowledge transfer, in: Journal of Educational Policy 21.1 (2006), 1–17, hier 3. 16 David Raffe, Devolution and Higher Education: What Next?, London 2013.

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Evidence of the wider trends of globalisation and internationalisation can be seen in the aspirations to benefit from the knowledge economy through the promotion of teaching and learning for the 21st century. But there are also differences between England and the three devolved nations, which is indicative of a pre-existing policy style favouring a more collaborative and consensual approach to policy development.17 The influence of this policy style can be seen in the positioning of teachers as central in curriculum development and recognition of their capacity to exercise informed, critical professional judgement. Given the role of education in fostering of national identity, it is not surprising to see divergence across the four jurisdictions, and for the assertion to be most explicit in the case of Wales, which has only recently gained its independence from the hegemony of England in the formulation of education policy. However, there are limits to the extent to which the trajectories of educational aspirations can differ across the systems in the UK given their proximity and the commonality of issues they face. The interdependence of three small devolving nations and the dominance of England as a consequence of its size and scale provide some continuity. Nevertheless, this overview reveals differences in the conceptualisation of the professionalism of teachers expressed in the level of pedagogical ›literacy‹ expected of them, the degree of emphasis on critical professional reflection and the dimensions of their role beyond the classroom. These differences endorse claims that global trends are reconfigured according to national contexts and suggest that conditions for curriculum making may not be uniform across the UK. If the challenge of educating the next generation requires teachers to be curriculum makers equipped to negotiate risks in the transactional situations essential to pedagogical endeavour, then some contexts would appear to be more productive than others and England seems to offer the least scope for the exercise of teacher agency. Provision for Religious Education across the four devolved nations of the UK, however, offers the possibility to test the argument for globalisation tempered by ›glocalisation‹ as having a beneficial effect on the scope for curriculum making by teachers. The »Does RE Work?« project18 was a multidimensional study of the differences and similarities between the trajectories from aims to outcomes for students in schools in three of the four jurisdictions (England and Wales shared common education policies when the research was conducted) and found that the similarities in the legislative detail for RE across the UK were indeed mediated by national and, more importantly, the local 17

Walter Humes, Policy Making in Scottish Education, in: Tom Bryce / Walter Humes (eds.), Scottish Education: Third Edition, Edinburgh 2008, 69–79. 18 James C. Conroy, u.a., Does Religious Education Work? A Multi-Dimensional Investigation, London 2013.

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circumstances of schools and the communities they serve. In the next section, we consider the case of Religious Education and the extent to which it can act as a bellwether for the role of local determination in setting the parameters for the affordances and constraints of curriculum making by teachers. 4. Local Agreed Syllabuses for Religious Education: Affordance or Constraint for Teachers as Curriculum Makers? The anomalous position of Religious Education in the school curriculum was evident from the inception of a state funded education system and provision in schools is frequently contested. Providing education for all across the UK required a rapprochement with the Christian denominations that had hitherto been the main providers of formal schooling, particularly in rural areas and for disadvantaged communities. Whilst the process of legislation and successive Education Acts is outside the remit of this chapter, what emerged was a distinctly ›British‹ approach to Religious Education. As can be seen in Table 1, the solution was to make Religious Education a compulsory subject but one which was locally determined and from which a parent had the right to withdraw their child. Prior to the introduction of a National Curriculum in the 1980s, Religious Education was the only stipulated subject to be taught in UK schools and by being locally determined, it was deliberately situated outside the control of the Secretary of State for Education. The content of the provision for Religious Education was to be determined by representatives of Christian denominations, local councillors and teacher unions who may or may not have any specialist subject knowledge. The 1988 Education Reform Act in England and Wales (and variations on this legislation in Scotland and Northern Ireland) established for the first time a National Curriculum in which, after much debate, Religious Education retained its position as a statutory but independent subject. Religious Education would continue to be agreed locally and, in England and Wales, representation was extended beyond the Christian denominations to include other faith groups. For some, this local control of Religious Education is the means of resisting ideological control and represents the continuation of the non-conformist, radical tradition that played an important role in political emancipation in Britain: »[…] it permits us to feel supported by a consensus of local councillors, faith communities and educationalists and ask critical questions of the promotion of national consciousness in education.«19 For 19

Andrew Bolton, Moral Development: Whose Ethics in the Teaching of Religious Education?, in: Journal of Moral Education 26.2 (1997), 197–210.

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others, local determination has given greater valency to the representation of members of faith groups than to educational principles and leads to syllabuses overloaded with compartmentalised content whilst lacking a mandate for critical engagement with the beliefs and values represented. Devolving decisions about the curriculum to the local community in the case of Religious Education may have enabled potentially contentious issues to be ›managed comfortably‹20 and secured its continuation as a mandatory subject. However, in doing so it jeopardised opportunities to engage in the dialogue about differences necessary for understanding and the promotion of ›critical solidarity‹. »We are not complete unless we are with others. The more we can broaden our understanding and our sympathies the more fulfilled we should be as communities and individuals.«21 According to this view, the settlement for RE was consistent with the promotion of individual ›choice‹ over common cause symptomatic of the global, neoliberal trend in educational policy. If, as we have seen, global trends are reconfigured by national contexts, then it seems that local circumstances can create opportunities for their resurgence. In the case of RE, local determination requires policy to be re-contextualised and therefore the movement of the complex discourse between ideas, their dissemination and context to a new situation; policy studies have shown that whenever this occurs, »there is space for ideology to play.«22 Analysis of the daily practice of Religious Education teachers in the UK was the focus of the »Does RE Work?« project and provides further insight into the necessary and sufficient conditions for curriculum making. Given the independence of Religious Education and the tradition of local determination, the absence of any significant differences across the three nations in the study suggested that even in those contexts where there might appear to be greater scope for teacher agency, other factors are at work. The predicament of teachers in the Religious Education classroom was summed up in the phrase, »Too many expectations: too little resource.«23 In most of the schools the daily practices of the teacher were dominated by a lack of time and funding, a sense of isolation from teachers of subjects considered to be less ›marginal‹ within the school combined with excessive external expectations of what they should achieve in terms of instilling attitudes and behaviours deemed to be important for the good of society. Two factors were particularly prominent in the disruption of the trajectory from aims to outcomes for Reli20

Alan Brown, Changing the Agenda: Whose Agenda?, in: British Journal of Religious Education 17.3 (1997), 148–56. 21 James Habgood, National Collaboration in RE, Abingdon1995, 14. 22 Basil Bernstein, Pedagogy, Symbolic Control and Identity, London 1996, 2. 23 Conroy, Does RE work (s.o. Anm. 18).

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gious Education in schools: the pressures exerted by externally imposed assessment and the lack of support for the development of teachers’ specialist knowledge. The distorting effect of assessment on practice is not unique to the situation of Religious Education and is exacerbated by the increasing reliance on metrics to determine the quality of education and the use of ›league tables‹ in the judgement of schools, especially in England. Curriculum, pedagogy and assessment are described as the »three message systems« of education24 and the capacity of assessment to drive what is conveyed by the other two is well known. Teachers participating in a recent survey in the UK to ascertain what they thought needed to change in order to improve the quality of children’s education recommended: »[…] that schools provide more ›free space‹ where students could be themselves and do things they really like, without having to think about exam scores.«25 Religious Education has always suffered from a lack of specialist teachers; a situation that has been exacerbated following the financial crisis by lack of public funding for education and a decline of provision for Continuing Professional Development. The situation is not simply a matter of finance; the contested nature of the subject means that what would constitute ›specialist knowledge‹ has never been clear. Indeed, it was only comparatively recently that it was possible to specialise in Religious Education as a teacher in Scotland despite a more stringent approach to teacher training in general than prevails in the rest of the UK. Consultation with a wide range of experts from within the Religious Education community from across the UK revealed some deep divisions and confusion indicative of complex policy and professional spaces riven with competing impulses.26 Considered from the perspective of a professional community of practice, Religious Education teachers demonstrated solidarity in terms of their commitment to aims and outcomes for the subject at a very general, aspirational level, but more able to be specific about what the subject should not be than in articulating what it is in practice. Consequently, attempts to trace a trajectory from espoused aims through enactment in the classroom to outcomes foundered as aporia were revealed. The disjunctures were exacerbated by uncertainty regarding the status and identity of the subject in the case of Religious Education, but the substantive issues regarding necessary and sufficient conditions for curriculum making by teachers were also identified by 24

Basil Bernstein, Class codes and control, towards a theory of educational transmissions Vol 3, London 1977. 25 www.jubileecentre.ac.uk/1557/projects/research-reports/character-education-in-ukschools (march 2018). 26 Norman Richardson / Tony Gallagher, Education for diversity and mutual understanding: the experience of Northern Ireland, Vol 1, Oxford 2011.

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researchers evaluating the recent curriculum reform in Scotland.27 Whilst the opportunities for teachers to exercise agency in the development of a Curriculum for Excellence and supported by the professional standards for teachers in Scotland (cf. Table 1) provided the necessary conditions, the powerful influence of assessment and the lack of support for teachers’ professional development meant that they were not sufficient. The case of RE as a bellwether for curriculum making may help us to see that it is by understanding the problem that we find the solution. If we switch our attention away from local representation and focus on the aim of determination, which is to arrive at a ›Locally Agreed Syllabus‹ for RE it becomes a process for searching together for agreement and not for the verification of claims to be representative. If this is to be achieved, however, curriculum making needs to occupy the situation’s ›broken middle,‹28 i.e., the state of tension, confusion and difficulty between apparently antithetical positions, from which, through dialogue, common cause can be forged. 5. Working in the ›Broken Middle‹: Curriculum Making in the Religious Education Classroom School Improvement research29 confirms that it is differences within systems and within schools that exert the most powerful influence on education systems and which determine outcomes for students. The »Does RE work?« project also found such differences within the same local contexts, indicating that there can still be space for an individual teacher to exercise agency in the most apparently inauspicious circumstances. It is encouraging to see the possibility this can bring for a more nuanced approach to situations as was the case in three schools in the North East of England. Teachers in the schools found very different ways of addressing the constraints on curriculum making in the classroom imposed by restrictive assessment driven priorities. In one school the approach was to provide additional support to enable students to perform well in examinations despite the restrictions of resources they faced, this was described as »breaking down the subject« into more man27

Mark Priestley u.a., Teacher agency, performativity and curriculum change: Reinventing the teacher in the Scottish Curriculum for Excellence?, in: Bob Jeffrey / Goeff Troman (eds.), Performativity in UK education: Ethnographic cases of its effects, agency and reconstructions, Painswick 2012, 87–108; Vivienne Baumfield u.a., Consultation and Engagement? The Reshaping of Teacher Professionalism through Curriculum Reform in 21st Century Scotland, in: Scottish Educational Review 42.2 (2010), 57–73. 28 Gillian Rose, The Broken Middle, Oxford 1992. 29 David Muijs / David Reynolds, Effective Teaching, London 2010.

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ageable units; in another school the teachers created a »space apart« in Religious Education lessons where the drivers for examination success were not relevant and notes for the examination were made available online; in the third school, credit was taken for reinforcing an ethos that ›taking part is the important thing‹ and supporting those students who were unlikely to succeed in external examinations to still value themselves as learners. Whilst the solutions themselves may not be ideal and there are clearly deficiencies in each of the approaches, the point here is that the teachers in the classroom were active in a process of curriculum making in Religious Education with their students. In each case the teachers were not afraid to enter into dialogue with their students about the demands and constraints they faced and the problems of Religious Education as a curriculum subject became the driver and not the inhibitor of practice. What they held in common was experience within the region, and in their respective schools, of promoting the development of ›Thinking Skills‹ approaches and some awareness of dialogic pedagogy. Whilst in the 1990s progress was made in the development of dialogical approaches30 by researchers in Religious Education, the structure for the development of locally agreed syllabuses with its emphasis on ›representation‹ of faith groups meant that these did not necessarily inform curriculum content or have a direct impact on teachers. The separation of consideration of curriculum theory from pedagogy, to which we have already alluded, combined with the dominance of assessment in the UK system, was a barrier to the active promotion of inquiry in the classroom. In some respects this was a retrograde situation, as prior to the introduction of National Curricula some teachers in the UK had demonstrated the capacity to connect with the life experiences of their students in the exercise of curriculum-making, but had in effect become de-skilled.31 In many instances it were teachers of Religious Education who have the capacity to engage their students in inquiry as they did not have the option of hiding behind ›self-evident‹ facts or utilitarian justifications for the importance of their subject. Everyday, teachers of Religious Education face in the classroom what can be described as an ›exposed‹ teaching situation that demands ›authentic pedagogy‹: »Before teaching can safely enter upon conveying facts and ideas through the media of signs, schooling must provide genuine situations in which personal participation brings home the import of the material and the problems which it conveys.«32 30 Michael Grimmitt u.a., A Gift to the Child. Religious Education in the Primary School. Teacher's Source Book, London 1991. Robert Jackson, Religious education: An interpretive approach, London 1997. 31 Vivienne Baumfield u.a., Curriculum for Excellence Draft Experiences and Outcomes: Collection, analysis and reporting of data, Edinburgh 2009. 32 John Dewey, Democracy and Education, Chicago 1916, 233.

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It is only recently that research in Religious Education has produced an approach to promoting inquiry that can align consideration of content with recognition of diverse religious and methodological perspectives in a way that can connect with the experience of students and is accessible to teachers. »RE-searchers«33 combines curriculum and pedagogy in a metacognitive approach centred on the exploration of the different perspectives on the study of religion. In so doing, it engages directly with the issues that are controversial in any attempt to resolve what Religious Education is and should be and enables the students themselves to consider what might be lost and gained in the adoption of each method. Early indications are that teachers and students are able to use RE-searchers productively in the classroom in the negotiation of Religious Education’s ›broken middle‹; it is all the more impressive that evidence of the impact of the approach comes from teachers working with young children in primary school (age 5–11) settings. The success of »RE-searchers« lies in its sound basis in principles that have been identified as important for authentic curriculum-making in the classroom: pedagogical tools to promote inquiry; support for teacher development through a ›double loop‹ of professional learning as student inquiry triggers teacher inquiry; local partnership between academics and teachers.34 6. Conclusion Provision for Religious Education in the four devolved nations of the United Kingdom reflects the tensions in the culture regarding the place of religion in education and the shifting educational priorities in a time of rapid change in education systems across the world. It is for this reason that Religious Education in the (dis)United Kingdom can indeed act as a bellwether for the role of global trends, national contexts and local circumstances in the formation of education systems equipped to meet the demands of life in the 21st century. Many countries are currently experiencing a period of rapid curriculum reform and at such times teachers can be catalysts, counterpoints or casualties.35 The lessons we can learn from Religious Education may enable the interactions of 33

Giles Freathy / Rob Freathy, The RE-searchers: promoting methodologically orientated RE in primary schools, in: REtoday 31.3(2014), 50–51. 34 Colleen McLaughlin u.a., Making a Difference: Turning Teacher Education Inside Out Cambridge, Cambridge 2015. Vivienne Baumfield, Democratic pedagogy: thinking together, in: Steve Higgins / Frank Coffield (Hg.) John Dewey’s Democracy and Education. A British Tribute, London 2016. 35 Andy Hargreaves, Teaching in the Knowledge Society: Education in the Age of Insecurity, New York 2003.

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the teacher and students to exemplify in the immediate social life of the classroom the qualities necessary for the well-being of a democratic society. Enabling teachers to exercise agency in the transacting of understanding and meaning making in the classroom can help in finding what is educative in immediate experience by denying the dichotomy between powerful knowledge and the knowledge of the powerful. The British approach to Religious Education in schools also alerts us to the hazards to be avoided and to balance local determination with an openness to diversity and challenge and to be critically engaged. Approaches such as »RE-searchers« point the way to creating a Community of Inquiry in the classroom and develop the capacity to make practical judgements in problematic situations and realise the aim of education in a democratic society by furnishing ›ideas of things to do.‹36

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Dewey, Democracy (s.o. Anm 32).

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Brücken zwischen den Fächern »Religion« und »Werte und Normen« bauen! Konturen eines Begegnungslernens im dialogorientierten Religionsunterricht1 1. Dialogorientierter Religionsunterricht 1.1 Dialogorientierung als durchgängige didaktische Dimension des Religionsunterrichts Bildung muss eine »anspruchsvolle Kommunikationskompetenz« anbahnen,2 die darauf zielt, dass die Schülerinnen und Schüler grundlegende Muster moderner Gesellschaft verstehen und erläutern können, z.B. vielgestaltige Ausprägungen von Religiosität oder verschiedene Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens. Sie müssen lernen, unterschiedliche Arten, sich mit der Welt auseinanderzusetzen, zu unterscheiden (mathematisch-naturwissenschaftlich, ästhetisch-expressiv, wirtschaftlich-politisch sowie religiös bzw. philosophisch3), perspektivenbewusst zu argumentieren und in Konflikten Stellung zu beziehen. Dies gilt auch für das Fach Religion, das sich als Beitrag zur allgemeinen Bildung versteht. Ob gegenseitige Wertschätzung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen, Weltanschauungen und Kulturen gelingt, hängt nicht zuletzt von der Dialogfähigkeit des Einzelnen ab. Der Religionsunterricht (RU), der sowohl zu religiöser und weltanschaulicher Identitätsbildung als auch zur Verständigungsfähigkeit und damit zu einem friedlichen Zusammenleben in der Gesellschaft beitragen will, muss in seinen Inhalten, Methoden und Beziehungsqualitäten unterschiedliche Ebenen des Dialogs zur Geltung bringen. Dies ist eine fortwährende Gestaltungsaufgabe. Folgende Merkmale zeichnen einen dialogorientieren RU aus: 1

In Niedersachsen heißt das Alternativfach »Werte und Normen«. Davon ist im Folgenden die Rede, obwohl das Alternativfach in den diversen Bundesländern unterschiedliche Bezeichnungen hat. 2 Bernhard Dressler, Blickwechsel. Religionspädagogische Entwürfe, Leipzig 2007. 3 Die Modi der Weltbegegnung werden hier vereinfacht wiedergegeben. Der Bildungsforscher Jürgen Baumert hat sie seinerzeit folgendermaßen bezeichnet: kognitivinstrumentelle Modellierung der Welt, ästhetisch-expressive Begegnung und Gestaltung, normativ-evaluative Auseinandersetzung mit Wirtschaft und Gesellschaft, Probleme konstitutiver Rationalität, vgl. Jürgen Baumert, Deutschland im allgemeinen Bildungsvergleich, in: Nelson Killius u.a. (Hg), Die Zukunft der Bildung, Frankfurt a.M. 2002, 100–150, hier: 113.

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1. Er nimmt die großen Fragen nach dem Menschen und der Welt ernst und räumt der Auseinandersetzung mit ihnen genügend Zeit ein. 2. Er setzt existentielle Erfahrungen mit biblischen Grundmotiven in Beziehung und eröffnet den Schülerinnen und Schülern neue »Dialogräume«.4 3. Er motiviert die Lernenden, Erfahrungen einzubringen, aktiv zuzuhören, perspektivenbewusst zu argumentieren und zu reflektieren. 4. Er pflegt den fairen Streit der Meinungen über biblische, theologische, weltanschauliche und ethische Positionen. 5. Er gestaltet Lernen im Dialog mit anderen Unterrichtsfächern, indem er fächerübergreifendes Lernen und Projektarbeit pflegt. 6. Er gibt der offenen und wertschätzenden Kommunikation von Menschen unterschiedlicher Konfessionen, Religionen und Weltanschauungen Raum.5 7. Er bringt Lernende und Lehrkräfte der Fächer Religion und WuN miteinander ins Gespräch. 8. Er beteiligt die Schülerinnen und Schüler an der Planung, Durchführung und Auswertung des Unterrichts. 9. Er gestaltet die Rückmeldung und Bewertung von Leistung dialogisch. 10. Die Lehrkraft kommuniziert mit den Eltern über Ziele, Inhalte und Ergebnisse des Unterrichts. 11. Er trägt mit wichtigen Themen (z.B. Umgang mit Trauer) und anregenden Gesprächspartnern (z.B. in Projekten) zur Gestaltung des Schullebens bei.6 Die nachfolgenden Überlegungen konzentrieren sich auf die Frage, auf welche Weise mehr Dialog über die vielfältigen religiösen und weltanschaulichen Deutungen von Mensch und Welt auf den Weg gebracht und das Profil des RU für einen solchen Dialog geschärft werden kann. 1.2 Herausforderungen für den RU, seine Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler Religionslehrende erleben in ihren Kursen ähnliche Entwicklungen, wie sie in religionssoziologischen Untersuchungen beschrieben werden. Er4 5

Vgl. Kap. 3. Dazu initiiert er durch Einladungen in den Unterricht oder Exkursionen auch das Gespräch mit außerschulischen Vertreterinnen und Vertretern christlicher Konfessionen, nicht-christlicher Religionen und Weltanschauungen. 6 Christine Lehmann / Martin Schmidt-Kortenbusch, Handbuch dialogorientierter Religionsunterricht. Grundlagen, Materialien und Methoden für integrierte Schulsysteme, Göttingen 2016; dies., Dialogorientierter Religionsunterricht in integrierten Schulsystemen. Unterrichtsplanungen und -materialien zu zentralen Themen der Sek I, Göttingen 2016.

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teilen sie z.B. konfessionell-kooperativen RU,7 so finden sie dort neben evangelisch und katholisch sozialisierten Schülerinnen und Schülern solche, die getauft wurden und sich trotzdem nicht ihrer Konfession zugehörig fühlen; sie finden freikirchlich sozialisierte, getaufte, aber glaubensdistanzierte, religiös indifferente, agnostische und mitunter auch konfessionslose Schülerinnen und Schüler8 sowie solche, die einer nicht christlichen Religionsgemeinschaft angehören und trotzdem am Religionsunterricht teilnehmen. Also: Vielfalt pur! Unterrichtsbeobachtungen, die Lehrkräfte tagtäglich machen, korrespondieren mit religionssoziologischen Befunden: Weltanschauungskonflikte, z.B. im Blick auf die Plausibilität des Schöpfungsmotivs oder auf eine Vereinbarkeit von Krieg und Leid mit der Vorstellung von einem allmächtigen und gütigen Gott, werden von den Schülerinnen und Schülern oft leidenschaftlich thematisiert.9 Religiöse Begründungen von Werten werden von nicht wenigen zugunsten humanistischer zurückgewiesen und den beiden großen Kirchen wird – außer im Feld der diakonischen Arbeit – wenig Vertrauen entgegengebracht.10 Auch wenn in den Klassenzimmern die hier skizzierte Vielfalt von Erfahrungen und Sichtweisen im Kontext von Religion regional unterschiedlich stark ausgeprägt ist, stehen Religionslehrende und Schülerinnen wie Schüler mehr denn je vor der Aufgabe, sich mit pluralen Deutungen des Lebens und der Welt auseinanderzusetzen und Wertekonflikte konstruktiv zu bearbeiten. Globale Probleme, von deren Lösung das Überleben der Menschheit abhängt, machen diese Aufgabe umso dringlicher, zumal langjährige Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, fundamentalistische religiöse Überzeugungen oder weltweite Terroranschläge und deren mediale Darbietung den Eindruck nähren, Religion motiviere zu Gewalt und Fanatismus. In Diskussionsbeiträgen 7 In diesem Unterricht werden evangelische und katholische Schülerinnen bzw. Schüler gemeinsam unterrichtet. 8 Der Begriff »konfessionslos« ist nicht unproblematisch, weil er einen Mangel suggeriert. Das gilt auch für den Begriff »konfessionsfrei«, der häufig im Osten Deutschlands verwendet wird, denn er suggeriert, Menschen ohne Konfession seien freier als konfessionell gebundene. Ob ein Mensch frei ist, hängt aber nicht automatisch mit seiner Weltanschauung zusammen. 9 Nipkow bezeichnete solche Konflikte seinerzeit als »Einbruchstellen des Glaubens« und appellierte daran, diese angemessen zu bearbeiten: Karl Ernst Nipkow, Die Gottesfrage bei Jugendlichen – eine Auswertung einer empirischen Umfrage, in: Ulrich Nennbach (Hg.), Jugend und Religion in Europa. Bericht eines Symposions (FPT 2), Frankfurt a.M. ²1990, 233–259, hier 236. 10 Marc Calmbach u.a., Wie ticken Jugendliche? Lebenswelten von Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren in Deutschland (2016), abrufbar unter www.sinus-akademie.de (letzter Zugriff am 15.3.2018); Mathias Albert / Klaus Hurrelmann / Gudrun Quenzel, Jugend 2015. Eine pragmatische Generation im Aufbruch, hg. von der Shell Deutschland Holding, Frankfurt a.M. 2015.

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vieler Schülerinnen und Schüler spiegelt sich die öffentliche Wahrnehmung, das humanisierende Potenzial, wie es sich z.B. in der Friedensbewegung, in der Entwicklungszusammenarbeit oder im Kirchenasyl zeigt, sei weitaus schwächer als deren inhumanes Potenzial.11 Dies macht es erforderlich, dass die Fächer »Religion« in Unterricht und Schulleben über die Entfaltung einer Ökumene der ersten und der zweiten Art (interkonfessionelle und interreligiöse Ökumene) hinausgehen und eine dritte Art der Ökumene entwickeln, die Ökumene mit säkularen Weltanschauungen.12 2. RU und Werteunterricht in der Diskussion – kritische Stimmen, Fächerprofile, Aufbrüche 2.1 Kein »Weiter so!« Die übliche Aufteilung der Schülerinnen und Schüler auf den evangelischen und katholischen RU, den Unterricht anderer Religionsgemeinschaften (nach Artikel 7.3 GG13) und das Alternativfach »Werte und Normen« (vgl. 7.2 GG14) wird von der Mehrheit der Bevölkerung offensichtlich nicht mehr akzeptiert. Nach einer statistischen Erhebung von 2016 befürworten 69 Prozent der Deutschen insgesamt und 80 Prozent der Ostdeutschen statt des Religionsunterrichts einen gemeinsamen Werteunterricht.15 Die Parteien »Die Linke« und »Bündnis 90/Die Grünen« sind z.B. in Niedersachsen mehrheitlich für einen solchen gemeinsamen Unterricht, während SPD, CDU/CSU, FDP und AfD16 offiziell hinter der Verankerung des konfessionellen Religionsunterrichts als »res mixta« zwischen Kirche und Staat im Grundgesetz stehen.17 Allerdings ergab bereits die Jenaer Parlamentarier-Befragung von 2010,18 dass die Befürworter dieses traditionellen Modells nur noch bei der 11

Vgl. Gerd Theißen, Zur Bibel motivieren. Aufgaben, Inhalte und Methoden einer offenen Bibeldidaktik, Gütersloh 2003, 50. 12 Vgl. Eberhard Tiefensee, Anerkennung der Alterität. Ökumene mit den Religionslosen, in: Herder Korrespondenz special, Heft 1/2010, 39–43. 13 Artikel 7.3 GG: »Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechts wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. […]« 14 Artikel 7.2 GG: »Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.« 15 https://yougov.de/news/2016/09/28/mehrheit-fur-abschaffung-des-religionsunterrichts-/ (14.1.2018). 16 Die AfD fordert eine besondere Überprüfung von islamischen Religionslehrkräften auf Grundgesetztreue. 17 www.kirchenbote.de/content/neun-fragen-zur-landtagswahl (14.1.2018). 18 https://hpd.de/node/11767 (14.1.2018).

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CDU/CSU eine klare Mehrheit haben. Ursache dieser Entwicklung ist sicher der kontinuierliche Rückgang konfessioneller Bindung, so dass nach einer Erhebung von 2016 seitens der Forschungsgruppe »Weltanschauungen in Deutschland« (fowid) 36 Prozent der Bevölkerung in ganz Deutschland keiner Konfession oder Religion angehören.19 In Ostdeutschland beträgt dieser Anteil sogar ca. 75 Prozent.20 Ein Festhalten am RU nach Artikel 7.3 GG bedarf daher starker Argumente und überzeugender Perspektiven. 2.2 Was verbindet die Fächer Religion und Werte und Normen, was trennt sie? Zur umfassenden Bildung als Voraussetzung für die Entfaltung der Potenziale des Einzelnen und seiner verantwortungsvollen Mitgestaltung unserer Mitwelt gehört die Fähigkeit, religiöse Phänomene wahrzunehmen, in ihren gesellschaftlichen Kontext einzuordnen und zu bewerten.21 Fragen nach Ursprung und Bestimmung menschlichen Lebens, nach Sinn und richtigem Handeln gehören zum Menschsein, selbst wenn sie von vielen nicht ausdrücklich formuliert werden.22 Sie stellen sich aber nicht im »luftleeren Raum«, sondern im Kontext einer durch das Christentum geprägten Gesellschaft. Daher liegt es nahe, dass dieser Kontext beachtet wird und Grundlagen, Ausformungen und gesellschaftliche Auswirkungen christlichen Glaubens einen inhaltlichen Schwerpunkt des RU bilden.23 Das ist auch vom Unterricht Werte und Normen (WuN) zu fordern, der eine religionswissenschaftliche Auseinandersetzung mit deskriptiv erfassbaren Merkmalen von Konfessionen und Religionen verfolgt24 und eine humanistisch-philosophisch grundierte Wertebildung anbahnen will.25 Im Unterschied dazu zielt der RU auf religiöse Bildung, welche Wertebildung einschließt. Er richtet sich an Schülerinnen und Schüler, die sich auf Elternwunsch mit Bibel, geschichtlicher Entwicklung des Christentums, Kirche, Konfessionen und christlicher Ethik auf der Basis tra19 20 21

https://fowid.de/meldung/religionszugehoerigkeiten-deutschland-2016 (14.1.2018). www.ezw-berlin.de/html/3_186.php (14.1.2018). Eine ausführlichere Begründung für den Religionsunterricht findet sich in: Lehmann / Schmidt-Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 21–25. 22 Vgl. Lehmann / Schmidt-Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 22. 23 Diese Forderung muss in modifizierter Form auch an den Religionsunterricht anderer Religionen, z.B. den islamischen, gestellt werden. Auch dort sind – aufgrund der gesellschaftlichen Einbindung der entsprechenden Religion in die christlich geprägte Gesellschaft – das Christentum und seine Beziehungen zu dieser Religion immer wieder zu reflektieren, dann allerdings nicht aus christlicher Perspektive. 24 Seine Bezugswissenschaften sind: Philosophie, Religionswissenschaften, geeignete Gesellschaftswissenschaften. Vgl. dazu: Niedersächsisches Kultusministerium, Kerncurriculum für das Gymnasium, Schuljahrgänge 5–10, Werte und Normen, Hannover 2017, 8. 25 Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 24), 5–7.

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dierter Bekenntnisse und Glaubenserfahrungen auseinandersetzen sollen oder sich selbst dafür entscheiden, wenn sie religionsmündig sind. Wer seine Kinder in den Unterricht WuN schickt, wird zu Recht einen distanzierteren Umgang mit Religion, einen höheren inhaltlichen Anteil anderer Weltreligionen und Weltanschauungen sowie eine eher philosophisch fundierte Auseinandersetzung mit den großen Fragen des Menschseins erwarten. Die mögliche existentielle Bedeutung der Unterrichtsinhalte für die Lernenden muss allerdings den Ausgangs- und Zielpunkt didaktischer Überlegungen beider Fächer bilden. Wegen der weltanschaulich-religiösen Pluralität der Schülerschaft jedes Religions- und jedes WuN-Kurses müssen in beiden Fächern unterschiedliche Überzeugungen thematisiert und miteinander in einen fruchtbaren Dialog gebracht werden, um zu lernen, Menschen anderer Weltanschauungen und Religionen zu respektieren und zu tolerieren. Daher gehört die Auseinandersetzung mit Weltreligionen, Atheismus und Agnostizismus auch zum RU unverzichtbar dazu. 2.3 Ist das Fach Religion heute noch zeitgemäß? Wer sagt, dass eine humanistisch-philosophische Bildung für alle einer Trennung in mehrere Fächer vorzuziehen sei, sollte Folgendes bedenken: − Es gibt keinen weltanschaulich oder religiös neutralen Unterricht.26 Die religiösen oder weltanschaulichen Voraussetzungen aller im Unterricht Agierenden, besonders die der Lehrkraft, haben Einfluss auf die Auswahl der Inhalte, Fragen und möglicher Antworten. − Das Fach WuN lässt – auf der Basis von Christentum, Humanismus und Aufklärung – offen, welche genauere Perspektive dem Unterricht zugrunde gelegt wird. 27 Diese drei sehr weiten Denktraditionen und Sinnhorizonte lassen den religiösen bzw. weltanschaulichen Standort der Lehrkraft nicht erkennen. Die inhaltlichen Vorgaben des Kerncurriculums eröffnen einen großen Spielraum bei der Aus26 Vgl. Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 24), 6: »Zur Wahrung der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses verlangt der Unterricht im Fach Werte und Normen die weltanschauliche und religiöse Neutralität des Faches.« Diese Formulierung halten wir für unglücklich, weil es aus erkenntnistheoretischen Gründen keine Neutralität gegenüber Religionen und Weltanschauungen geben kann, sondern lediglich Äquidistanz, was eine Position ist, die auch als bewusste Indifferenz bezeichnet werden kann. Wie die Forderung nach Neutralität praktisch umgesetzt werden kann, stellt eine Anfrage an das Fach Werte und Normen dar. Vgl. dazu auch: Hans-Georg Babke, Perspektiven für einen schultheoretisch begründeten Religionsunterricht, in: Christine Lehmann / Harry Noormann / Heiko Lamprecht / Martin Schmidt-Kortenbusch, Zukunftsfähige Schule – zukunftsfähiger Religionsunterricht. Jena 2011, 103–109, bes. 104. 27 Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 24), 7.

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wahl von Autoren und deren Positionen. Lediglich Themen und Grundbegriffe werden verbindlich festgelegt.28 Die Lehrkraft kann die Themen aus atheistischer oder agnostischer oder theistischer Perspektive angehen, auch wenn Neutralität gefordert ist,29 und es verlangt ein hohes Maß an Reflexivität, sich diese Perspektivität bewusst und für die Lernenden transparent zu machen.30 Der konfessionelle Religionsunterricht versteht sich hingegen als positionell, da seine Perspektivität offen gelegt ist.31 Er setzt eine christlich-konfessionelle Position der Lehrkraft voraus. Hauptbezugswissenschaft ist die Theologie. Eine Innensicht von Religion und Kirche und eine Außensicht auf beide sollen sich didaktisch ergänzen. Für die Schülerschaft des RU gilt diese Positionalität insofern, als dass sie sich auf die Perspektive des Faches einlassen und bereit sind, sich schwerpunktmäßig mit christlichen Sichtweisen von Mensch und Welt auseinanderzusetzen. Positionalität bedeutet weder, dass die Schülerinnen und Schüler selbst Christen sein noch das Christentum als solches primär positiv bewerten müssen. In einem solchen RU können Schülerinnen und Schüler miteinander wie mit der Lehrkraft über existentielle Fragen streiten und sich auch an christlichen Auffassungen reiben, die von der Lehrkraft vertreten werden. Die Inhalte des Religionsunterrichts werden von den Religionsgemeinschaften verantwortet. Auch wenn diese Regelung als ambivalent zu beurteilen ist,32 überwiegen ihre positiven Aspekte. Christlicher Religionsunterricht kann Impulsgeber für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung sein und aufgrund seiner Unabhängigkeit die Würde des Menschen gegenüber Bestrebungen verteidigen, die ihn marktkonform und beherrschbar machen wollen.

Vgl. Kultusministerium, KC Werte und Normen (s.o. Anm. 24), 39. Vgl. Anm. 26. Dieser Unterschied zum RU ist zunächst deskriptiv und nicht als Kritik gemeint. Adressaten des WuN-Unterrichts werden diese Offenheit der Perspektive vermutlich begrüßen. Zu kritisieren wäre allerdings, wenn Offenheit mit weltanschaulicher und religiöser Neutralität verwechselt würde und Lehrkräfte sich über ihre eigene Perspektive keine Rechenschaft ablegen würden. 31 Auf das Problem, dass Positionalitat als solche vielfältige Schattierungen aufweisen kann – von befreiungstheologisch bis hin zu fundamentalistisch – kann hier nicht näher eingegangen werden. Nur so viel: Von einem Religionsunterricht, der religiöse Bildung als Bestandteil allgemeiner Bildung im Kontext öffentlicher Schulen anbahnt, muss erwartet werden, dass er nicht fundamentalistisch ist. 32 Das ist der Fall, wenn in Curricula und Schulbüchern Inhalte katechetisch oder auch fundamentalistisch überformt dargeboten werden. Die unterschiedlichen Gruppierungen, die an den Genehmigungsverfahren beteiligt sind, sollten daher wachsam gegenüber solchen Tendenzen sein und ggf. Einspruch erheben.

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Keine Lehrkraft sollte in einem schülerorientierten Unterricht ihre Position in den Vordergrund stellen. Das gilt auch für den RU. Von einer Lehrkraft des Faches WuN wird jedoch im Sinne des »Neutralitätsgebots«, dessen Umsetzung wir als Äquidistanz deuten,33 noch mehr Zurückhaltung erwartet. Es ist gut, dass Lernende zwischen diesen beiden Alternativen wählen können, da so die negative und positive Religionsfreiheit gewahrt bleiben.34 Einem rein staatlich verantworteten Fach würden die Ressourcen fehlen, welche die Kirchen zu Verfügung stellen, und damit auch eine wichtige Lobby für ein inhaltlich vom Staat unabhängiges wertebildendes Fach. Ein großer Teil theologischer Fakultäten und die schulische Religionspädagogik würden obsolet. Die Erfahrungen mit einem rein staatlich verankerten RU in Bremen sind z.B. wegen der marginalen Bedeutung des Faches in der Stundentafel35 und der zu geringen Ausstattung mit Fachlehrkräften ernüchternd. Es gibt also auch rein pragmatische Gründe, mit einem »Rütteln« an Artikel 7.3 GG vorsichtig zu sein.

2.4 Wie weiter mit dem RU? Der konfessionell-kooperative RU hat als Weiterentwicklung des konfessionellen RU mittlerweile eine hohe Akzeptanz gefunden.36 In Niedersachsen und Baden-Württemberg ist er im Einvernehmen mit den beiden großen Kirchen rechtlich abgesichert, in Nordrhein-Westfalen ist seine Einführung beschlossen. Er entstand aus der Überzeugung, dass in der Unterrichtspraxis angesichts fortschreitender Ökumene die Gemeinsamkeiten – insbesondere auf der Ebene der Kirchengemeinden –ein weitaus höheres Gewicht haben als die Unterschiede. Der Dialog zwischen den Konfessionen soll in einem Unterricht stattfinden und kann so auch zur Ökumene zwischen den beiden Kirchen beitragen. Das gilt 33 34

Vgl. Anmerkung 26. Artikel 4.1 GG: »Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.« Das bedeutet im Zusammenhang mit den Artikeln 7.2 und 7.3 GG , dass jeder das Recht hat, sich in der Schule auf der Basis (s)eines Bekenntnisses mit Religion aus der Innenperspektive auseinanderzusetzen, aber auch, dieses nicht zu tun und sich stattdessen mit relevanten Religionen und Weltanschauungen aus wissenschaftlicher Außenperspektive zu befassen. 35 In der Bremer Oberschule muss durchschnittlich nur eine Wochenstunde Religion pro Schuljahr erteilt werden, während der RU nach Artikel 7.3 GG in der Regel mit 2 Wochenstunden pro Schuljahr erteilt werden muss. Vgl. dazu: www.bildung.bremen.de/ sixcms/media.php/13/Info_185-2013_a.pdf (15.1.2018). 36 Eine ausführliche Darstellung der Chancen des konfessionell-kooperativen Religionsunterrichts mit Hinweisen auf weiterführende Literatur findet sich in: Sabine PemselMaier, Ein Schritt auf dem Weg in die Zukunft: Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht in Baden-Württemberg, in: Lehmann u.a., Zukunftsfähige Schule (s.o. Anm. 26), 89–102, und Lehmann / Schmidt-Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 32–44.

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für das Gespräch zwischen evangelischen und katholischen Schülerinnen und Schülern, aber auch für die Zusammenarbeit der Lehrkräfte in einer Fachgruppe. Auch innerhalb der Kirchen gewinnt zunehmend die Überzeugung an Boden, dass der RU langfristig nur eine Zukunft hat, wenn die Kirchen eng zusammenarbeiten. Das Vertrauen in die jeweils andere Kirche, dass deren Lehrkräfte die eigene Kirche fair darstellen und Unterschiede nicht »überspringen«, scheint gewachsen zu sein. Allerdings bedarf es einer konsequent konfessionell-kooperativen Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte, um einen solchen Unterricht auf qualitativ hohem Niveau durchzuführen. Der konfessionell-kooperative RU stellt jedoch keine überzeugende Antwort auf die Kritiker des RU nach Artikel 7.3 GG dar, da diese grundsätzlich alle Schülerinnen und Schüler gemeinsam in einem rein staatlich verantworteten Fach unterrichtet sehen wollen und eine stärkere Trennung von Kirche und Staat befürworten. Insbesondere an Gesamtschulen wird nach neuen Formen des RU gesucht, weil dort der pädagogische Wille besonders ausgeprägt ist, Lernende nicht zu trennen, sondern religiös-weltanschauliche Heterogenität als Chance zu nutzen, Dialogfähigkeit zu schulen und Toleranz anzubahnen.37 Das Recht von Eltern und Schülerinnen bzw. Schülern auf einen positionellen Religionsunterricht wird eher als zweitrangig eingestuft und es wird argumentiert, dass Identität sich in der Auseinandersetzung mit anderen bildet. So kann es zum Konflikt mit den Prinzipien positiver und negativer Religionsfreiheit kommen, weil Eltern überzeugt werden müssen, auf ihr Recht auf Abmeldung vom RU zu verzichten, damit Religion im Klassenverband stattfinden kann.38 Ein anderes Problem ist, dass ein für die ganze Klasse konzipierter Unterricht unter der Hand zu einem WuN-Unterricht mutieren kann, was wiederum das Spezifikum des RU aushebeln würde. Dennoch müssen solche Experimente ernstgenommen, religionspädagogisch begleitet und ihr Entwicklungspotenzial bewertet werden, will man nicht das berechtigte Anliegen der Gesamtschulpädagogik und auch positive Erfahrungen von Eltern und Schülerinnen bzw. Schülern außer Acht lassen.39 Eine Weiterentwicklung des konfessionell-koope37 38 39

Vgl. dazu: Lehmann / Schmidt-Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 58–80. Lehmann / Schmidt-Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 26–31. Selbst auf der Ebene der Schulreferenten der Kirchen wird der Widerspruch zwischen dem Anspruch auf konfessionellen Religionsunterricht und inklusiver Schule erkannt: »Wenn Inklusion eine Schule für alle bedeutet, dann stellen sich an den konfessionell homogen organisierten Religionsunterricht kritische Fragen. Denn durch seine Organisationsform verschenkt der Religionsunterricht Chancen auf ein Lernen an bzw. durch Differenzen. Die Konfessionalität ist folglich unter dieser Perspektive sogar ein Hindernis auf dem Weg zur inklusiven Schule.« Vgl. Jörg-Dieter Wächter, Aus Differenzen lernen. Religionsunterricht in der inklusiven Schule, in: Ludwig Rendle (Hg.), Gerechtigkeit lernen: ethische Bildung im Religionsunterricht; Dokumentation des 9. Arbeitsforums für Religionspädagogik, 26. bis 28. Februar, München 2014, 118–125,

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rativen RU allein reicht jedenfalls zur Legitimierung des RU nicht mehr aus. Vor einer Darstellung grundgesetzkonformer Alternativen wird im Folgenden zunächst das Profil des Faches Religion im Unterschied zum Fach WuN exemplarisch veranschaulicht. Ethik und Anthropologie als wesentliche und unverzichtbare Bestandteile beider Fächer eignen sich für einen Vergleich besonders. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurde eine tabellarisch-vereinfachende Form gewählt. 2.5 Wie werden anthropologisch-ethische Themen in Religion und wie in WuN unterrichtet? Gemeinsame Wertegrundlagen von Religion (konfessionellkooperativ) und WuN: − Grund- und Menschenrechte (vgl. Erklärungen der Vereinten Nationen) − Menschenbild der Aufklärung: Selbstbestimmungsrecht, Achtung der Individualität, Glaubensfreiheit und Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen Gemeinsamkeiten bei der Rolle der Lehrkraft: − Schülerinnen und Schüler frei ihre Meinung äußern lassen, sie zur sorgfältigen und differenzierten Begründung ihrer Auffassungen motivieren − Menschenverachtende Äußerungen zurückweisen, fundamentalistische Begründungen jeglicher Art infrage stellen Spezifikum von Religion40: − Unterschiedliche Menschenbilder aus der Perspektive des christlichen Menschenbildes − Theologische Ethik unter Berücksichtigung philosophischer Ethik − Gottesebenbildlichkeit, Gebote von Nächsten- und Feindesliebe sowie die biblisch und philosophisch hergeleitete Goldene Regel als Fundamente einer vernunftgeleiteten Ethik

Spezifikum von WuN: − Unterschiedliche Menschenbilder aus der Perspektive des humanistisch-aufgeklärten Menschenbildes − Philosophische Ethik unter Berücksichtigung christlicher Werte und Normen − Unterschiedliche Auffassungen von Menschenwürde und die Goldene Regel als Fundamente einer vernunftgeleiteten Ethik

besonders 123. Vgl. dazu auch: Lehmann / Schmidt/Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 80–94. 40 Vgl. Lehmann / Schmidt-Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 102–108.

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− Auseinandersetzung mit exemplarischen Werten und Normen anderer Religionen aus christlicher Perspektive

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− Auseinandersetzung mit exemplarischen Werten und Normen der Weltreligionen aus humanistisch-aufklärerischer Perspektive

Religionslehrkraft: Lehrkraft WuN: − Zunächst eigene Auffassungen − Zunächst eigene Auffassunzurückhalten, dafür Sorge tragen, gen zurückhalten, sie dann dass unterschiedliche christliche nur auf Nachfrage äußern Auffassungen in die Diskussion einfließen, theologische Positionen korrekt darstellen, eigene Erfahrungen und Auffassungen engagiert einbringen Zwischen Religion und WuN werden bei diesem Themenkomplex sowohl zahlreiche thematische Überschneidungen deutlich als auch die unterschiedlichen Rollen der Lehrkraft und die biblisch-christliche Fundierung des RU, während die weltanschauliche Fundierung in WuN offen bleibt.41 3. Konturen eines Begegnungslernens im dialogorientierten RU 3.1 Existenzielle Grunderfahrungen als Gemeinsamkeit aller Schülerinnen und Schüler Obwohl die EKD-Denkschrift »Identität und Verständigung« bereits 1994 auf die Notwendigkeit eines Dialogs zwischen Religionsunterricht und Alternativfach hinwies, hat sich in der Praxis bislang wenig verändert. Kerncurricula, Schulbücher und Unterrichtsmaterialien existieren nebeneinander her, obwohl bei vielen Themen die Möglichkeit bestünde, sie didaktisch so aufzubereiten, dass religiöse mit säkularen Positionen über Fächergrenzen hinweg ins Gespräch gebracht werden können und umgekehrt. Kerncurricula und Schulbücher für die Fächer Religion orientieren sich weitgehend an den klassischen Kategorien Anthropologie, Gotteslehre, Christologie, Ekklesiologie und Ethik. Ihre Systematik ist durch Sachlogik geprägt und stark auf binnentheologische Inhalte ausgerichtet. Obwohl in Religionsbüchern der Sekundarstufe I das Bemühen zu erkennen ist, unterschiedliche Erfahrungen und Deutungen von Jugendlichen oder auch Erwachsenen zu Wort kommen zu lassen, erwecken 41

Vgl. 2.3.

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manche Kompetenzformulierungen, Texte und Überschriften den Eindruck, als würde ein Einverständnis in den Glauben angestrebt. So wird z.B. im Kursbuch Religion elementar zum Thema »Wer bin ich?« von den Schülerinnen und Schülern unter der Rubrik »Wissen und Können« folgender Kompetenzzuwachs erwartet: »Jeder Mensch, auch du, ist von Gott einzigartig und wunderbar geschaffen. Aus diesem Grund ist jeder Mensch wertvoll. Aber Gott geht noch weiter. Er hält seine schützende Hand über dich. Auch in deinem Leben findest du Situationen, in denen man dies erkennen kann.«42 Hier werden Wahrheiten, die sich für den Einzelnen in seinem Leben existenziell als tragfähig erweisen können, zu essentiellen Lebenswahrheiten stilisiert. Im Kursbuch Religion 5/6 ist in einem der Infokästen zu lesen: »Vertrauensworte rufen Gott als denjenigen an, der unser Leben trägt und bei uns ist.«43 Das »Wir« und das »Uns« gehen von einem Einverständnis in den Glauben aus. Damit werden Schülerinnen und Schüler, die solche Auffassungen nicht teilen, entweder vereinnahmt oder exkludiert. Diese Beobachtung lässt sich in unterschiedlicher Ausprägung auf die meisten evangelischen und katholischen Schulbücher übertragen. Um mehr Dialog anzubahnen, wäre zu fordern, dass Schulbücher und Unterrichtsmaterialien in Zukunft von der überkommenen Auffassung abrücken, die Schülerschaft des RU setze den entsprechenden Glauben als wahr voraus. Vielmehr müssten Kompetenzformulierungen und Lehrbuchtexte der weltanschaulich-religiösen Heterogenität der Schülerschaft Rechnung tragen und zu kontroverser Auseinandersetzung anregen. Bekenntnisse müssten als Ausdruck einer nicht zu verallgemeinernden existenziellen Glaubenshaltung ausdrücklich kenntlich gemacht werden. Jeglicher katechetische Anstrich wirkt im schulischen Kontext nicht nur diskurshinderlich, sondern auch kontraproduktiv. Er konterkariert religiöse Bildung, die die eigenständige Auseinandersetzung mit christlichen Deutungen und somit die Ausbildung einer eigenen weltanschaulich-religiösen Identität fördern will. Auf dem Weg, das eigene Leben selbstbestimmt in Freiheit und Verantwortung zu führen, geht es um die Ausbildung differenzierter Wahrnehmungsfähigkeit sowie um Deutungs-, Urteils- und Handlungskompetenz. Für die Schülerinnen und Schüler gibt es dafür auch im Religionsunterricht viel zu lernen. Sie müssen lernen, grundlegende Erfahrungen und Gefühle von sich, aber auch von anderen wahrzunehmen und in Sprache zu fassen: Was macht (mich) glücklich? Was macht (mir) Angst? Was macht (mich) aggressiv? Was macht (mich) neidisch? Was 42 Kursbuch Religion Elementar. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 5./6. Schuljahr, Braunschweig 2016, 18. 43 Das Kursbuch Religion 1, Neuausgabe, Schülerbuch. Arbeitsbuch für den Religionsunterricht im 5./6. Schuljahr, Brauschweig 2015, 53.

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macht (mir) Hoffnung? Was wünsche ich (mir) für das Zusammenleben der Menschen in der Zukunft? Die Lernenden entdecken, dass Menschen zu allen Zeiten solche oder ähnliche Fragen bewegen. Sie müssen unterschiedliche Antworten kennen lernen und verstehen, sich darüber mit anderen austauschen, Stellung beziehen, Entscheidungen treffen, Konflikte bearbeiten und Kompromisse aushandeln. Die Didaktik der Elementarisierung erscheint als besonders geeignet, ein solches Lernen auf den Weg zu bringen, weil sie die Ebene der Person und die Ebene der Sache durch ein ständiges »Hin- und Herpendeln« zwischen diesen beiden Ebenen miteinander verschränkt. Auf der Ebene der Person sind dies elementare Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler, entwicklungspsychologische Verstehens-Voraussetzungen und elementare Lernformen. Auf der Ebene der Sache fokussiert die Didaktik der Elementarisierung auf elementare inhaltliche Strukturen und elementare Wahrheiten, die mögliche Deutungsangebote für den Umgang mit elementaren Erfahrungen bereithalten.44 Der dialogorientierte Religionsunterricht knüpft an dieses Grundanliegen der Elementarisierungsdidaktik an und präzisiert es, indem er die Ebene der Person mit Hilfe kontrastierender Grunderfahrungen, die dem Menschen auf seinem Lebensweg begegnen, konkreter bestimmt.45 Vor dem Hintergrund einer Auseinandersetzung mit soziologischen Studien über Werte und Lebensdeutungen Jugendlicher sowie mit Existenzialismus und Existentialphilosophie wird vorgeschlagen, mit folgenden kontrastierenden Grunderfahrungen zu arbeiten:46 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Gemeinschaft, Alleinsein und Einsamkeit Liebe und Hass Glück und Leid Gelingen, Schuld und Scheitern Interesse, Engagement und Gleichgültigkeit Hoffnung, Angst und Sinnlosigkeit

44 Friedrich Schweitzer, Elementarisierung im Religionsunterricht. Erfahrungen, Perspektiven, Beispiele, Neukirchen-Vluyn (2003) 42013. 45 In den folgenden Ausführungen wird auf der Ebene der Schülerschaft nur auf die elementaren Erfahrungen eingegangen. 46 Vgl. Christine Lehmann / Martin Schmidt-Kortenbusch, Der RU braucht eine Korrelationsdidaktik entlang kontrastierender Grunderfahrungen – ein Beitrag zur Diskussion und Erprobung, in: braunschweiger beiträge zur religionspädagogik, Heft 1/2017, 4–25; Paul Tillich, Die Methode der Korrelation, in: Systematische Theologie, Bd. 1, Stuttgart 1956, 73–80; zur katholischen Begründung der Korrelationsdidaktik: Gemeinsame Synode der Bistümer der Bundesrepublik Deutschland. Beschlüsse der Vollversammlung, Freiburg i.Br. 1976, 123–152 (Beschluss: Religionsunterricht); Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 151984, 235–267, Karl Jaspers, Einführung in die Philosophie. München 1973, 25 und 28¸ Hartmut Rosa, Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Stuttgart 2016, 52017.

346 7. 8. 9. 10.

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Leben und Tod Wahrheit und Lüge Anpassung und Widerstand Freiheit, Determination und Unterdrückung.47

Leitendes Interesse ist, Erfahrungen zur Grundlage zu machen, die von möglichst allen Schülerinnen bzw. Schülern geteilt oder nachvollzogen werden können. Unstrittig ist, dass solche Kontrasterfahrungen aufgrund der unterschiedlichen Lebensumstände sozial und kulturell überformt sind. Sie spiegeln ein buntes Erfahrungsspektrum, das zum Dialog herausfordert: Wie werden solche grundlegenden existenziellen Erfahrungen erlebt? Wie werden sie gedeutet? Wie wird damit umgegangen? Welche Überlegungen haben Menschen vor unserer Zeit bewegt? Dialogorientierter Religionsunterricht will die Lernenden in die Auseinandersetzung mit solchen kontrastierenden Grunderfahrungen verwickeln, weil die Beschäftigung mit binnentheologischen Themen es ihnen erschwert, eine Verbindung zu ihrem Leben herzustellen. Das führt häufig dazu, dass Themen abgehakt werden und äußerlich bleiben. Mit kontrastierenden Grunderfahrungen lassen sich Lernprozesse anstoßen, die die Schülerinnen bzw. Schüler berühren, weil sie im Unterricht erfahren, dass es darum geht, wie der Mensch sich zur Welt in Beziehung setzt und wie er sein Leben innerhalb der ihm vorgegebenen Grenzen gestalten will. Die Fokussierung auf kontrastierende Grunderfahrungen schließt die Auseinandersetzung mit globalen Herausforderungen, von deren Bewältigung das langfristige Überleben der Menschheit abhängt, notwendig ein (z.B. Umweltzerstörung, Ausplünderung der natürlichen Ressourcen, Anwachsen der Flüchtlingsströme, Globalisierung von Terror, Kriegsgefahren). Auch diesbezüglich ist innerhalb einer heterogenen Schülerschaft mit Erfahrungen zu rechnen. Das gilt ebenso für brisante sozialethische Themen (z.B. soziale Gerechtigkeit, caritatives Wirken der Kirchen). Diese sind im Religionsunterricht unverzichtbar, korrespondieren mit den Interessen von Jugendlichen und gehören zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung dazu.48 Die Schülerinnen und Schüler stehen angesichts globaler Herausforderungen stets vor der Alternative, Empathie zu entwickeln und sich zu engagieren oder abzustumpfen, die Probleme der Welt zu verdrängen oder ihr eigenes kurzfristiges Interesse absolut zu setzen. Erfahrungen von Gleichgültigkeit gehören ebenso wie 47 48

Dieser Reihenfolge liegt keine intendierte innere Systematik zugrunde. Vgl. Jörg-Robert Schreiber / Hannes Siege (zusammengestellt und bearbeitet), Orientierungsrahmen für globale Entwicklung. – Ergebnis des gemeinsamen Projekts der Kultusministerkonferenz (KMK) und des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Bonn 2016.

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Erfahrungen von Anteilnahme zu ihrem Lebenshorizont dazu. Individuelle, soziale und globale Phänomene dürfen nicht isoliert gesehen werden, sondern sind als zusammenhängend zu betrachten. Die zehn vorgeschlagenen Kontrastpaare sind kein Plädoyer für ein vereinfachendes Schwarz-Weiß-Denken. Sie wollen vielmehr als Umrisse von Erfahrungs-Räumen Jugendlicher verstanden werden. In diesen Räumen gibt es vielfältige Schattierungen. Diese können die Schülerinnen und Schüler genauer betrachten, wenn sie sich mit gemeinsam entwickelten Leitfragen dort tiefer hinein begeben. So ließe sich z.B. Erfahrungs-Raum Nr. 1 mittels folgender Leitfragen ausleuchten: Wann fühle ich mich geborgen? Wann fühlen sich andere Menschen geborgen? Wer oder was gibt mir (gibt anderen Menschen) Geborgenheit? Wann fühle ich mich einsam? Wie geht es den anderen Menschen? Wann fühle ich mich akzeptiert? Aus welchen Motiven? Wer isoliert mich? Wie ist das bei anderen? In welchen Gemeinschaften fühle ich mich (fühlen andere sich) heimisch? Was bedeuten gemeinsame Überzeugungen? Fühle ich mich in dieser Welt heimisch? Wie fühle ich mich in der Natur? Wie geht es anderen Menschen? Ein solches »Ausleuchten« kann methodisch auf unterschiedliche Weise geschehen: durch Auseinandersetzung mit narrativen biblischen Texten, mit Kunstwerken, mit Gedichten, durch verschiedene Formen des Gespräches, durch Schreiben, Malen und Gestalten. Gerade weil Grunderfahrungen bei den Schülerinnen und Schülern unterschiedlich ausgeprägt sind und sie unterschiedlich damit umgehen, bergen kontrastierende Grunderfahrungen das Potenzial für eine lebendige Auseinandersetzung. Da alle Lernenden auf ihrem Lebensweg solche Erfahrungen machen, eigenen sich diese didaktisch auch als Grundlage für ein Begegnungslernen innerhalb der Fächer Religion und WuN sowie zwischen ihnen. Doch wie kann der RU die Dialogfähigkeit über solche Erfahrungen zusätzlich fördern? 3.2 Das Profil des RU schärfen – zur Bedeutung biblischer Grundmotive Auf der Ebene der Sache stellt sich didaktisch die Frage, welche elementaren Strukturen in einem christlich-positionellen Religionsunterricht elementare Erfahrungen der Schülerinnen bzw. Schüler erschließen helfen. Gerd Theißen hat auf der Suche nach einer verborgenen Ordnung in der Bibel siebzehn Grundmotive biblischen Glaubens herausgearbeitet. Sie bieten eine hilfreiche didaktische Systematisierung an: 1. das Schöpfungsmotiv, 2. das Geborgenheits- und Distanzmotiv, 3. das Verantwortungsmotiv, 4. das Weisheitsmotiv, 5. das Geschichtsmotiv, 6. das Hoffnungsmotiv, 7. das Wundermotiv, 8. das Umkehr-

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motiv, 9. das Exodusmotiv, 10. das Gerechtigkeitsmotiv, 11. das Liebesmotiv, 12. das Positionswechselmotiv, 13. das Offenbarungsmotiv, 14. das Inkarnationsmotiv, 15. das Glaubensmotiv, 16. das Stellvertretungsmotiv, 17. das Rechtfertigungsmotiv.49 Das Schöpfungsmotiv charakterisiert Theißen so: »Gott schafft aus Nichts und lässt ins Nichts versinken. Alles könnte auch nicht sein, alles könnte auch anderes sein. Diese schöpferische Macht wirkt jeden Augenblick. Sie leuchtet Ostern mitten in der Geschichte auf.«50 Hier zeigt sich, dass Theißen nicht nur elementare inhaltliche Strukturen skizziert, sondern gleichzeitig Überzeugungen herausarbeitet, die von urchristlichen Gruppen geteilt wurden. Erst gemeinsame Grundüberzeugungen – so Theißen – machten es möglich, intensiv um Vorstellungen zu ringen, die von vielen geteilt werden konnten.51 Sie bildeten sich in einem Prozess konfliktreicher Auseinandersetzungen heraus, schlossen aber plurale Deutungen durchaus mit ein.52 Bei den vier Evangelisten finden sich z.B. unterschiedliche Deutungen der Person Jesu, die dennoch allesamt mit dem Stellvertretungsmotiv, dem Inkarnationsmotiv oder auch dem Offenbarungsmotiv vereinbar sind. Ebenso wie das Schöpfungsmotiv lassen auch die anderen Grundmotive elementare inhaltliche Strukturen erkennen: »Das Liebesmotiv verwandelt die Beziehung zu Gott und Mensch. Jeder Mitmensch wird unser Nächster – durch die Suche des Verlorenen, durch Aufnahme des Fremden, durch Liebe zum Feind. Christus ist Urbild dieser Liebe: Seine Liebeshingabe ist Liebe für die, die Gottes Feinde waren.«53 Dieses Motiv konfrontiert mit einer veränderten Sicht auf den fremden Nächsten. Es hinterfragt eine Wahrnehmung der Wirklichkeit, die nicht mehr damit rechnet, dass alltägliche Beziehungen durch neue Formen des Miteinanders verwandelt werden können. Damit eignen sich die Grundmotive als »Suchprogramme«, mit denen das Leben neu entdeckt werden kann.54 Die mit den biblischen Grundmotiven herausgearbeiteten Grundüberzeugungen weisen Parallelen zur Didaktik der Elementarisierung auf, die auf der Ebene der Sache von »elementaren Wahrheiten« spricht. Die Elementarisierungsdidaktik erwartet von der Lehrkraft didaktisch 49 50 51 52

Gerd Theißen, Ein kritischer Katechismus, Gütersloh 2012, 263–268. Theißen, Katechismus (s.o. Anm. 49), 263. Theißen, Katechismus (s.o. Anm. 49), 86. Theißen versteht die Grundmotive biblischen Glaubens nicht als feste Merkmale, sondern im Sinne Wittgensteins als »Familienähnlichkeiten«. Vgl. Gerd Theißen, System und Konflikt im Urchristentum […], in: ders., Von Jesus zur urchristlichen Zeichenwelt. »Neutestamentliche Grenzgänge« im Dialog, NTOA 78, Göttingen 2011, 83–90. 53 Theißen, Katechismus (s.o. Anm. 49), 266. 54 Theißen, Katechismus (s.o. Anm. 49), 263.

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nicht nur, dass sie elementare Erfahrungen und elementare inhaltliche Strukturen miteinander ins Gespräch bringt, sondern auch, dass sie elementare Wahrheitsansprüche herausfiltert und als Deutungsdeutungsangebote zur Diskussion stellt. Es wäre nicht im Sinne der Elementarisierungsdidaktik und auch nicht im Sinne von Theißen, elementare Wahrheiten als essentielle Wahrheiten zu verstehen. Vielmehr sind sie als existenzielle Irritationen zu begreifen, die alltägliche Wahrnehmungen durchkreuzen und eine veränderte Sicht auf die Wirklichkeit ermöglichen. Es handelt sich demnach um dialogische Wahrheiten, die sich im Prozess der Auseinandersetzung herauskristallisieren. Der Einzelne hätte zu prüfen, ob er sie als bedeutsam für sein Leben erachtet.55 Dialogorientierter Religionsunterricht konkretisiert das Anliegen der Didaktik der Elementarisierung, indem er auf der Ebene der Sache die siebzehn Grundmotive biblischen Glaubens ins Spiel bringt. Bezogen auf die Ebene der Schülerinnen und Schüler, wollen sie zur Deutung kontrastierender Grunderfahrungen anregen. Die Auseinandersetzung mit den Grundmotiven kann dazu beitragen, dass sich die Lernenden tiefer in die Erfahrungs-Räume kontrastierender Grunderfahrungen hineinbegeben. Sie können ausloten, ob diese ein tragfähiges Fundament für die Art und Weise bieten, wie sie ihre Erfahrungen deuten und welche Schlüsse sie daraus ziehen wollen. Die elementaren Strukturen und Wahrheiten der Grundmotive repräsentieren – um im Bild zu bleiben – »Keller-Räume«, die unter den Erfahrungs-Räumen der Jugendlichen liegen und können in einen Diskurs über Deutungsangebote hineinführen, z.B.: Wie tragfähig ist eine Unterscheidung zwischen Bedingtem und Unbedingten und die damit verbundene Weltsicht, dass der Mensch sich nicht nur vor sich selbst und seinem Nächsten, sondern auch vor Gott verantworten muss? Kann die christliche Deutung, dass Gott dem Menschen in der Gestalt Jesu zugänglich wird, existenziell Geltung beanspruchen? Dass es für die Schülerinnen und Schüler in den Keller-Räumen auch andere als christliche Deutungen zu entdecken gilt, wäre dabei ebenfalls angemessen zu berücksichtigen. Die Grundmotive biblischen Glaubens können dazu beitragen, dass die Lernenden eigene Erfahrungen, Hoffnungen und Wünsche zu christlichen Deutungen von Mensch und Welt in Beziehung setzen und diese besser verstehen. Unter der Voraussetzung, dass sie wie Suchprogramme und nicht wie ewig feststehende Wahrheiten behandelt werden, können die Grundmotive den RU inhaltlich profilieren und zur Dialogfähigkeit beitragen.

55 Friedrich Schweitzer u.a., Religionsunterricht und Entwicklungspsychologie. Elementarisierung in der Praxis, Gütersloh 1995, 26–31.

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4. Brücken zwischen den Fächern »Religion« und »Werte und Normen« bauen 4.1 Kooperation statt Konkurrenz An vielen Schulen arbeiten die Vertreter beider Fächer eng zusammen. An einigen herrscht beiderseitig eher die Sorge, das eigene Fach würde benachteiligt oder weniger durch die Schülerschaft akzeptiert. Tatsächlich gibt es auch Schulen, an denen sich die Lehrkräfte eines der beiden Fächer marginalisiert fühlen. Letzteres hängt ab vom Standort der jeweiligen Schule, der damit verbundenen Zusammensetzung der Schülerund Elternschaft, von der Akzeptanz im Schulkollegium und durch die Schulleitung. In Großstädten mit einer religiös und weltanschaulich sehr heterogenen Schülerschaft hat WuN einen zunehmend höheren Stellenwert als Religion. Auf dem Land ist es häufig andersherum. Wenn eines der beiden Fächer in Gefahr gerät, durch mangelnde »Anwahl« an Bedeutung zu verlieren, fördert das Konkurrenzverhalten, welches letztlich beiden Fächern und deren Auftrag schadet. Es gilt daher, realistisch die mögliche Akzeptanz des eigenen Faches im Lichte der religiösen und weltanschaulichen Zusammensetzung der jeweiligen Schülerschaft einzuschätzen und gemeinsam in einer Fächergruppe – unter Wahrung des jeweiligen Profils – an einem hohen Qualitätsanspruch beider Fächer zu arbeiten. Dazu gehört der Austausch über gemeinsame bzw. ähnliche Inhalte und motivierende Unterrichtsmaterialien. Denn wie Tabelle 2.5 verdeutlicht, gibt es viele Berührungspunkte zwischen Religion und WuN. 4.2 Brücken für ein Begegnungslernen Zur Förderung des inklusiven Charakters der Schule und der Anbahnung von Dialogfähigkeit zwischen religiösen, religiös unsicheren, religiös indifferenten, nicht-christlich religiösen und nicht religiösen Schülerinnen bzw. Schülern muss die dauerhafte Trennung zwischen Religions- und WuN-Kursen überwunden werden. Dazu gibt es bereits bestehende und noch zu entwickelnde Möglichkeiten: − punktuelle Zusammenführung der Schülerinnen und Schüler beider Fächer in einzelnen Projekten oder zu bestimmten Themen im Klassenverband; − Möglichkeit eines Dialogmodells, in dem Kursphasen (Trennung Religion / Werte und Normen) und Klassenphasen sich regelmäßig abwechseln. Dazu muss ein Schulcurriculum entwickelt werden, das in den Kursphasen beider Fächer kontrastierende Grunderfahrungen, gemeinsame Leitfragen und ähnliche Themen aufgreift, welche Anknüpfungspunkte für einen Dialog bieten (z.B. ein ethisches

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Thema, vgl. 2.5).56 In der Klassenphase als gemeinsame Einstiegsphase oder als Dialogphase am Schluss bzw. auch im Laufe einer Unterrichtssequenz übernimmt eine Religions- oder Werte und Normen-Lehrkraft die Moderation. 4.3 Dialog im Klassenverband Da das zuletzt genannte Modell organisatorisch aufwändig ist, ein starkes Engagement aller beteiligten Lehrkräfte erfordert, der überwiegende Teil des Unterrichts in Kursen stattfindet und die Schülerschaft daher meist getrennt bleibt, gibt es im Gesamtschulbereich eine starke Tendenz, am Klassenverband festzuhalten (vgl. 2.4). Wegen der in 2.2 dargestellten rechtlichen und konzeptionellen Unterschiede der Fächer Religion und Werte und Normen werden im Folgenden zum einen Voraussetzungen und zum anderen Problemanzeigen für eine grundgesetzkonforme Durchführung des Religionsunterrichts im Klassenverband skizziert. Voraussetzungen: − Der RU muss konfessionell-kooperativ konzipiert und für alle Schülerinnen und Schüler offen sein. Konfessionslose Schülerinnen und Schüler werden ausdrücklich dazu eingeladen; ihre Interessen und Fragen werden wesentlich einbezogen. Eine didaktische Orientierung an kontrastierenden Grunderfahrungen und entsprechende Unterrichtsmaterialien machen diesen Unterricht für alle Lernenden attraktiv. − Die meisten Eltern und Kinder verzichten freiwillig auf ihr Recht auf Abmeldung vom RU bzw. auf Teilnahme an WuN, weil sie vom Wert eines gemeinsamen Unterrichts überzeugt sind. Das Recht auf Abmeldung bzw. Teilnahme an WuN wird aber grundsätzlich akzeptiert. Geht die Zahl der Abmeldungen über Einzelfälle hinaus, wird WuN eingerichtet. − Für diesen Unterricht im Klassenverband sind die Vorgaben der Kerncurricula Evangelische und Katholische Religion verbindlich. − Die Lehrkräfte gehören einer Kirche der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen an und verfügen über eine kirchliche Beauftragung (Missio, Vokatio). Problemanzeigen: − Es benachteiligt das Fach WuN, da dafür ausgebildete Lehrkräfte in der Sekundarstufe I nicht eingesetzt werden können. Lediglich in der Sekundarstufe II hätten sie dann ein Betätigungsfeld. 56

Dieses Modell, das an der Helene-Lange-Schule in Oldenburg (IGS) und an einigen Gymnasien praktiziert wird, wird näher beschrieben in: Lehmann / Schmidt-Kortenbusch, Handbuch (s.o. Anm. 6), 47–57.

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Es entsteht trotz des nicht aufgehobenen Rechts auf Abmeldung bzw. Teilnahme an WuN die Gefahr eines »Gruppendrucks«, am RU teilzunehmen, obwohl man das eigentlich nicht will. Sobald eine andere Religion ihren eigenen RU einfordert (z.B. der Islam), wird dieses Modell infrage gestellt. Eine Möglichkeit, welche die genannten Probleme vermeidet und von einzelnen Gesamtschulen praktiziert wird, besteht darin, bei der Anmeldung Schülerinnen und Schüler nach Religionszugehörigkeit Klassen zuzuordnen (z.B. Klasse 5.1: ev. und kath. Schülerinnen und Schüler, Klasse 5.2: konfessionslose und muslimische Schülerinnen und Schüler usw.). Andere wichtige Kriterien für die Klassenbildung (Freundschaften, Leistungsprofil) würden dann aber massiv eingeschränkt.

Trotz dieser Problemanzeigen besteht an vielen Gesamtschulen aufgrund ihres inklusiven Anspruchs die Tendenz zum Klassenunterricht. Sie ließe sich nur gegen den Willen des überwiegenden Teils der Schüler-, Elternund Lehrerschaft stoppen. Daher sind die Verantwortlichen in Staat und Kirche gefordert, sich dieser Herausforderung zu stellen. Unter Berücksichtigung der geschichtlichen Entwicklung seit Abfassung des Grundgesetzes sollte von allen Beteiligten eine zeitgemäße Interpretation von Artikel 7.3 GG angestrebt werden: Neue Ideen, Mut zum Experiment und konzeptionelle Phantasie sind gefragt. Die Kirchen sollten aktiv daran mitwirken, denn sie definieren, was die dortige Bestimmung »Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt« inhaltlich bedeutet. 4.4 Was religionspädagogisch für mehr Dialog getan werden müsste Es werden folgende Schritte vorgeschlagen: − Entwicklung ökumenischer Schulbücher und Unterrichtsmaterialien, welche die Ökumene der dritten Art und die dialogorientierte Grundstruktur des Unterrichts stärker berücksichtigen. Das würde auch ein Abrücken von Formulierungen bedeuten, die Einverständnis in christliche Glaubensüberzeugungen voraussetzen, anstreben oder suggerieren, diese seien selbstverständlich; − praktisches Entwickeln und Erproben einer didaktischen Orientierung an kontrastierenden Grunderfahrungen und pluralen christlichen Deutungsangeboten z.B. in Fortbildungsveranstaltungen; Förderung von Diskursivität bei Lehrkräften und Schülerinnen bzw. Schülern auch durch Auseinandersetzung mit säkularen und mit nicht christlichen religiösen Deutungen von Mensch und Welt; − Revision der Kerncurricula Evangelische und Katholische Religion, verbunden mit einer Abkehr von deren theologischer Systematik hin

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zu einer auf existenzielle Grunderfahrungen bezogenen Schülerorientierung; flächendeckende Einrichtung von Fachberatung für WuN, um einen Dialog auf Augenhöhe zwischen Vertreterinnen und Vertretern der Fächer Religionsunterricht und Werte und Normen zu ermöglichen;57 mehr Dialog mit den Vertreterinnen und Vertretern des Religionsunterrichts anderer Weltreligionen (z.B. islamischer oder jüdischer Religion) über Ziele und Methoden in Anbetracht von existierenden beträchtlichen Unterschieden; Gewährung von Freiräumen durch die Kirchen für ein Experimentieren mit unterschiedlichen Organisationsformen des RU; diese müssten fachlich begleitet und evaluiert werden; in der ersten Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung ein konsequent ökumenisch ausgerichtetes Studium der Theologie und Religionspädagogik, das um die Auseinandersetzung mit existentiell relevanten philosophischen Denkmodellen sowie um Grundlagen einer beständigen Dialogorientierung zu erweitern wäre; in der zweiten Phase der Lehrerinnen- und Lehrerbildung eine didaktische Qualifizierung zur Anbahnung korrelativer und diskursiver Auseinandersetzungsprozesse der Schülerinnen und Schüler mit dem Christentum sowie mit anderen Weltreligionen und mit Weltanschauungen.

So gibt es z.B. in Niedersachsen kaum Fortbildungsveranstaltungen für das Fach WuN und für die meisten Schulformen keine Fachberatung. Eine Ausnahme bildet lediglich das Gymnasium (mit einem Fachberater für das gesamte Land).

Bernd Schröder

Religions- und Ethikunterricht – eine Fächergruppe? Ein Plädoyer

Religions- und Ethikunterricht1 sind nach geltender Rechtslage (Art. 7.3 GG in Verbindung mit Näherbestimmungen in den Schulgesetzen der Bundesländer) wie auch ihrem Selbstverständnis zufolge alternative Fächer: Sie wenden sich – jedenfalls primär – an Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher religiöser bzw. weltanschaulicher Orientierung, sie setzen inhaltlich und konzeptionell verschiedene Akzente, sie werden von Lehrerinnen und Lehrern mit unterschiedlicher fachlicher Qualifikation erteilt und von unterschiedlichen Unterstützungssystemen gefördert. Vor allem: Sie sind – anders als Englisch und Spanisch, Mathematik und Physik, Geografie und Geschichte – nicht darauf angelegt, parallel belegt zu werden und einander inhaltlich (komplementär) zu ergänzen, sondern sie sind von der Rechtslage und nicht zuletzt von ihrer zeitlichen Organisation (»Zeitleiste«) her einander ausschließende, um die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler konkurrierende Alternativen. Allerdings ist diese klare Zuordnung und Unterscheidbarkeit beider Fächer in den letzten Jahren in verschiedenen Hinsichten verschwommen: − In zwei von insgesamt sechzehn Bundesländern, nämlich in Brandenburg und Berlin, sind rechtliche Rahmenbedingungen fixiert worden, die »Ethik« (Berlin) bzw. »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde« (Brandenburg) als für alle Schülerinnen und Schüler verbindliches Fach vorsehen, dessen Besuch – entsprechende konfessionelle Bindung bzw. Interesse vorausgesetzt – um die Teilnahme am Religionsunterricht ergänzt (Berlin) bzw. durch die Teilnahme daran ersetzt (Brandenburg) werden kann.2 Auch wenn derzeit kein 1

»Ethikunterricht« wird hier als Dachbegriff für de facto verschieden bezeichnete und konzipierte Fächer in den einzelnen Bundesländern Deutschlands benutzt: Das Spektrum reicht von »Allgemeiner Ethik« (Saarland) über »Ethik« (Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) und »[Praktische] Philosophie« (Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) bis zu »Lebensgestaltung – Ethik – Religionskunde« (Brandenburg), »Philosophieren mit Kindern« (Mecklenburg-Vorpommern) und »Werte und Normen« (Niedersachsen) – vgl. die Dokumentation »Zur Situation des Ethikunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland – Bericht der Kultusministerkonferenz vom 22.2.2008« (www.kmk.org/ fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2008/2008_02_22-Situation-Ethikun terricht.pdf), hier 7. Die begrifflichen Differenzen und etwaig damit verbundene konzeptionelle Akzente sind jedoch für die hier vorgetragenen Überlegungen nicht maßgeblich. 2 Vgl. zu den entsprechenden Regelungen das Schulgesetz des Landes Berlin, § 12 (6) und § 13 (www.schulgesetz-berlin.de/berlin/schulgesetz/teil-ii-schulgestaltung/abschnitt-

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weiteres Land Ambitionen in dieser Richtung entfaltet, kommt darin eine bundesweit nicht selten vertretene Auffassung von einer guten Ordnung schulischer Bildung im Bereich der Daseins- und Wertorientierung zum Ausdruck. In vielen Bundesländern hat sich das empirische Fächerwahlverhalten von Schülerinnen und Schülern bzw. ihren Eltern verändert: Die Angabe der Religionszugehörigkeit bei der Einschulung gilt als fakultativ – eine eindeutige, nachdrückliche und Dauerhaftigkeit signalisierende Zuordnungsmöglichkeit entfällt damit. Die Entscheidung zwischen Religions- und Ethikunterricht wird als Frage der Wahl, nicht als ›automatische‹ Folge der persönlichen religiös-weltanschaulichen Bindung verstanden, und auch auf Seiten der Schulen wird nur noch selten auf einer gewissensbedingten Abmeldung vom Religionsunterricht bestanden. Ein – ggf. mehrfaches – Switchen zwischen beiden Fächern im Laufe der Schullaufbahn gilt weithin als möglich und wird dementsprechend häufiger, gesteuert von thematischen Interessen und Veränderungen der eigenen Haltung zu Glauben oder Unglauben,3 aber auch von Dynamiken unter Peers, von der Bevorzugung bestimmter Lehrender oder Benotungserwartungen. In den Statistiken bilden sich diese Veränderungen keineswegs konsequent ab. In Niedersachsen etwa wird in den amtlichen Statistiken immerhin erkennbar, dass der Anteil der Schülerinnen und Schüler (SuS), die am »Werte und Normen«Unterricht (WuN) teilnehmen, seit Jahren kontinuierlich steigt: von 6 % der SuS im Jahr 1985 auf 19 % im Jahr 2015. Zugleich wird deutlich, dass der WuN-Unterricht (noch immer) nicht all die Schülerinnen und Schüler erreicht, die eigentlich daran teilnehmen sollten: von gut 178.000 SuS ohne Religionszugehörigkeit besuchten lediglich knapp 150.000 den WuN-Unterricht.4 Gleichzeitig nehmen deutlich mehr Schülerinnen und Schüler am evangelischen, katholischen oder konfessionell-kooperativen Religionsunterricht teil als mit der entsprechenden Konfessionszugehörigkeit gemeldet sind: Während in Nieder-

ii-gestaltung-von-unterricht-und-erziehung/sect-13-religions--und-weltan-schauungsunter richt.php) sowie »Gesetz über die Schulen im Land Brandenburg« (Brandenburgisches Schulgesetz – BbgSchulG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. August 2002, § 11 (bravors.brandenburg.de/gesetze/bbgschulg#11). In die jeweiligen seinerzeitigen Debatten führen ein Wilhelm Gräb / Thomas Thieme, Religion oder Ethik? Die Auseinandersetzung um den Ethik- und Religionsunterricht in Berlin (Arbeiten zur Religionspädagogik 45), Göttingen 2011, und Friedrich Schweitzer, LER in Brandenburg […] Bilanz und Perspektiven nach der »einvernehmlichen Verständigung«, in: ThLZ 127 (2002), 1139–1146, und Wolfgang Huber / Steffen R. Schultz, Wird endlich gut, was lange währt? Zum Religionsunterricht in Brandenburg, in: ZPT 55 (2003), 2–17. 3 In bemerkenswerter Deutlichkeit hat eine fragebogengestützte Analyse von Gründen für die Abmeldung vom Religionsunterricht gezeigt, dass dieses »vor allem thematischinhaltliche Gründe hat« – Carsten Gennerich / Mirjam Zimmermann, Abmeldung vom Religionsunterricht. Statistiken, empirische Analysen, didaktische Perspektiven, Leipzig 2016, 88 (vgl. die Aufschlüsselung der Gründe dort 87). 4 Niedersächsisches Kultusministerium, Die niedersächsischen allgemeinbildenden Schulen in Zahlen – Stand: Schuljahr 2015/16, Hannover 2016, 40 (Tab. 6.1).

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sachsen 523.836 SuS, also knapp 66 % der Schülerschaft, als »evangelisch« bzw. »katholisch« registriert sind, besuchten 2015/16 insgesamt 614.275 SuS, also 75,3 % der Schülerschaft, evangelischen, katholischen oder konfessionell-kooperativen Religionsunterricht.5 Etwa 5 % der SuS nehmen weder an Religions- noch an Ethikunterricht teil.



Nicht zuletzt ›dynamisieren‹ einzelne Schulen organisatorisch die Zuordnung beider Fächer, indem sie sie nicht parallel, sondern (gelegentlich) alternierend anbieten oder sie zum sog. Religions- oder Ethikunterricht im Klassenverband fusionieren,6 seltener, indem sie mit Formen der projektförmigen oder dauerhaften Kooperation experimentieren.7 Innerhalb vieler Schulen, namentlich Grund-, Gesamt- und Berufsbildender Schulen, stößt ein differenziertes Angebot im Bereich der Daseins- und Wertorientierung auf Skepsis oder gar Ablehnung – zumeist aus schulorganisatorischen Gründen, zudem aber durchaus auch aus pädagogischen (Lernen in der multireligiösen Lerngruppe) oder konzeptionellen (Aufwertung religionskundlicher Unterrichtsaufgaben) Gründen. Zu solchen Versuchen mit einer Neuordnung von RU und EU in der schulischen Praxis liegen indes keinerlei statistische Angaben vor: Weder wird Unterricht im Klassenverband (sei es unter dem Dach des Religions- oder WuN-Unterrichts) in der Statistik ausgewiesen, noch werden Projektphasen u.ä. in quantifizierender Absicht dokumentiert.

Die Tektonik der Fächer »Religion« und »Ethik« ist somit in Bewegung geraten – freilich noch ohne Erdbeben oder auch nur messbares Wachsen seismischer Spannungen. 1. Rechtslage Bekanntlich wird durch Art. 7.3 GG allein der Religionsunterricht, nicht aber der Ethikunterricht garantiert (von anderen Fächern ganz zu schweigen). Ethikunterricht findet im Grundgesetz keine Erwähnung, da er 1949 faktisch nicht existierte. Er ist in den allermeisten Bundesländern8 erst nach Inkraftsetzung des Grundgesetzes implementiert wor5 Niedersächsisches Kultusministerium, Die niedersächsischen allgemeinbildenden Schulen in Zahlen – Stand: Schuljahr 2015/16, Hannover 2016, 41 (Tab. 6.2). 6 Dazu als empirische Annäherung bislang lediglich Saskia Hütte / Norbert Mette, Religion im Klassenverband unterrichten. Lehrer und Lehrerinnen berichten von ihren Erfahrungen, Münster 2003. 7 Vgl. jedoch die Beiträge von Carolin Simon-Winter / Burkhard Rosskothen und Rainer Merkel in diesem Band. 8 Ausnahmen sind Bayern (Einführung im Dezember 1946 durch Verankerung in der Landesverfassung; de facto kam es zur Einrichtung des Faches erst ab 1972) und Rheinland-Pfalz (Einführung im Mai 1947 durch Verankerung in der Landesverfassung) sowie Saarland (Einführung im Mai 1947 durch Verankerung in der Landesverfassung, de facto Implementierung ab 1969).

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den – zumeist nicht vor den 1970er (so etwa in Niedersachsen) oder gar 1980er Jahren (so in Baden-Württemberg) bzw. 1990er Jahren (so in den neuen Bundesländern).9 Anders als der Religionsunterricht ist der Ethikunterricht somit allein über landesrechtliche Regelungen gewährleistet und näher bestimmt. Dieser Unterschied in der Dignität der Rechtsgrundlagen ist keineswegs nur eine Formalie – er zeigt vielmehr an, dass der Religionsunterricht als Realisierungsform positiver Religionsfreiheit ein außerordentlich hohes Gut ist: »Aus Art. 7 III 1 GG (wonach RU ordentliches Lehrfach ist) folgt, dass für konfessionsangehörige Schüler/innen die Teilnahme am RU der Regelfall bleiben muss. Eine ›Anmeldung‹ zum RU ist im Grundgesetz nicht vorgesehen.«10 Selbstredend ist auch die negative Religionsfreiheit ein ebenso schützenswertes Gut, doch wird sie bereits durch das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht gewährleistet – die Verpflichtung, in diesem Fall am Ethikunterricht teilnehmen zu müssen, hat keinen Verfassungsrang, sondern ist sensibel auszugestalten: »das Ersatzfach darf für die Schüler/innen [weder] unangenehmer sein, da sonst mittelbarer Druck auf sie ausgeübt würde, sich nicht vom RU befreien zu lassen […; noch] als die aus Schülersicht schlechthin angenehmere Alternative erscheinen, da sonst die grundgesetzliche Gewährleistung des RU umgangen würde.«11 Dass Religions- und Ethikunterricht nicht ohne Weiteres gleichgewichtig sind, bildet sich nicht nur in der Rechtslage ab, sondern auch in bestimmten Gegebenheiten,12 namentlich − in der begrenzten »Laufzeit« des Ethikunterrichts: Während Religionsunterricht in aller Regel von Klasse 1 bis Klasse 12/13 und darüber hinaus in berufsbildenden Schulen angeboten wird, ist Ethikunterricht (als Ersatz- bzw. Alternativfach) in vielen Bundesländern nicht selten auf die Sekundarstufe I oder gar auf die Jahrgänge 7–10 beschränkt. An Grundschulen etwa wird Ethik lediglich in Bayern, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erteilt, in Niedersachsen wird dies seit Schuljahr 2017/18 modellhaft erprobt.13 − an der geringen Zahl der Studienstandorte, die eine grundständige Ausbildung für das Lehramt im Fach »Ethik« anbieten, und deren 9 Über die Einführung des Faches, seine Verbreitung, Lehrplanimplementierungen, Lehrerbildung u.ä.m. informiert die Dokumentation »Zur Situation des Ethikunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland – Bericht der Kultusministerkonferenz vom 22.2.2008« (s.o. Anm. 1). 10 Jörg Ennuschat, Art. Ersatzfach, Alternativfach, in: LexRP 2001, 426–429, hier 428. 11 Ebd., 427. 12 Vgl. die länderspezifischen Teile der Dokumentation »Zur Situation des Ethikunterrichts in der Bundesrepublik Deutschland – Bericht der Kultusministerkonferenz vom 22.2.2008« (s.o. Anm. 1). 13 Dazu der Beitrag von Kerstin Gäfgen-Track in diesem Band.

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niedrigen Quote von Absolventinnen und Absolventen, damit einhergehend an der hohen Quote fachfremd erteilten Unterrichts. an der latenten inneren Spannung zwischen Neutralitätsgebot und unvermeidlicher Positionalität in der Befassung mit ›Werten und Normen‹.

In der Regel wird der Ethikunterricht als Ersatzfach (so in den westdeutschen Flächenländern, zudem etwa in Sachsen) oder als Alternativfach (so etwa in Sachsen-Anhalt) für den Religionsunterricht definiert.14 Wo das jeweilige Schulgesetz Ethikunterricht als Alternativfach versteht, besteht für die Schülerinnen und Schüler Wahlpflicht, wo er als Ersatzfach gilt, sind Schülerinnen und Schüler, die einer Religionsgemeinschaft angehören, die Religionsunterricht mitverantwortet, zur Teilnahme an dem ihrer Konfession entsprechenden Religionsunterricht verpflichtet – es sei denn, sie machen von ihrem grundgesetzlich verbrieften Recht auf Abmeldung (Art. 7.2 GG) Gebrauch. Diese sog. Ersatzfach-Regelung überfremdet niemanden, insofern der Religionsunterricht lediglich der Denomination der Herkunftsfamilie Raum gibt – niemand ist gezwungen am Religionsunterricht teilzunehmen, schon gar nicht an einem Religionsunterricht, der nicht der ›eigenen‹ Konfession entspricht. Die sog. Ersatzfach-Regelung stellt angesichts dessen vielmehr sicher, dass für Schülerinnen und Schülern, die – aus welchem Grund auch immer – nicht an einem Religionsunterricht teilnehmen, »eine […] vergleichbare Beschäftigung mit Sinn- und Wertfragen gewährleistet«15 ist. Sowohl der Terminus als auch die Sache sind 1998 durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts als verfassungskonform anerkannt worden, sofern der Ethikunterricht als ein dem Religionsunterricht »inhaltlich und organisatorisch gleichwertiges Fach eingerichtet und unterrichtet«16 wird. 14

Die Rede vom »Ersatz-« wie vom »Alternativfach« gehört zur schulrechtlichen Fachsprache (dazu Ennuschat, Ersatzfach, Alternativfach [s.o. Anm. 10], sowie Hermann Avenarius, Schulrechtskunde, Neuwied 72000, 73–75). Die Schulgesetze selbst nehmen diese Termini nicht in Gebrauch – das baden-württembergische Schulgesetz etwa implementiert die Ersatzfach-Regelung mit folgenden Worten: »Für Schüler, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, wird das Fach Ethik als ordentliches Unterrichtsfach eingerichtet.« (§ 100a); das sachsen-anhaltinische Schulgesetz legt die Alternativfach-Regelung so vor: »(1) Der Religionsunterricht und der Ethikunterricht sind an den öffentlichen Schulen ordentliche Lehrfächer. (2) Die Schülerinnen und Schüler nehmen entweder am Religionsunterricht oder am Ethikunterricht teil. (§ 19; vgl. § 21: »Die Erziehungsberechtigten bestimmen, an welchem Unterricht gemäß § 19 Abs. 1 ihre Kinder teilnehmen. Nach Vollendung des 14. Lebensjahres steht dieses Recht den einzelnen Schülerinnen und Schülern zu.«). 15 Heinz Schmidt, Art. Ethikunterricht/Moralunterricht, in: RGG II (41999), 1631– 1633, hier 1632. 16 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Juni 1998 (Az.: 6 C 11/97 – »Verfassungsmäßigkeit der Einführung und Ausgestaltung des Ethikunterrichts in Baden-Württemberg«), hier 23 (vgl. besonders 48 und 57) sowie 24–29.

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Die unterschiedlichen landesrechtlichen Zuordnungen von Religions- und Ethikunterricht spiegeln deutlich die religionsdemografischen und schulischen Konstellationen zum Zeitpunkt ihrer Fixierung wider: In Westdeutschland ist Ethikunterricht als Ersatz für den Religionsunterricht eingeführt worden – explizit oder implizit für jene Schülerinnen und Schüler, die von ihrem Abmelderecht vom Religionsunterricht Gebrauch machen. So nimmt es nicht wunder, wenn er flächendeckend erst zu einem Zeitpunkt etabliert wurde, an dem sich erstmals signifikante Abmeldezahlen beobachten ließen. In Ostdeutschland stand die Einführung des Ethikunterrichts nach 1990 unter umgekehrten Vorzeichen: Angesichts einer hohen Quote von Schülerinnen und Schülern ohne Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft war die Notwendigkeit eines Alternativfaches zum Religionsunterricht unübersehbar, zugleich sollte der grundgesetzlichen Vorgabe unmissverständlich Rechnung getragen werden. Insbesondere in Brandenburg und Berlin sind demgegenüber Vorzugsregelungen für den Ethikunterricht implementiert worden (s.o.); in Bremen ist schon 1919 eine für alle Schülerinnen und Schüler verbindliche Lesart von Religionsunterricht entwickelt worden (»Unterricht in biblischer Geschichte auf allgemein-christlicher Grundlage«), die die Einrichtung einer Abmeldemöglichkeit bzw. einer Ersatzfachlösung erübrigen sollte, gleichwohl wurde 1991 das Fach »Philosophie« in diesem Sinne eingeführt. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben sind ein hohes Gut; sie geben eine – m.E. nicht überholte – Orientierung für die konkrete Ausgestaltung namentlich des Religionsunterrichts, doch können sie naturgemäß nicht den jeweils aktuellen Veränderungen in Demografie, Schulpraxis und Wahlverhalten von Schülerinnen und Schülern Rechnung tragen – auf sie hin bedürfen sie vielmehr je neu der Auslegung und schulpraktischen Ausgestaltung. Namentlich die hier zu behandelnde Frage der schulpraktischen und didaktischen Zuordnung von Religions- und Ethikunterricht ist verfassungsrechtlich nicht geregelt; als einschlägig maßgebliche Orientierungspunkte sind dem Grundgesetz i.W. die Gewährleistung positiver wie negativer Religionsfreiheit (Art. 4 GG), die Garantie des Rechts auf Religionsunterricht (Art. 7.3 GG) und die Nichtbevorzugung einer Religionsgemeinschaft (Art. 140 GG i.V. mit Art. 137 [1] WRV) zu entnehmen.17 In Anbetracht dessen ist die Zuordnung von Religionsund Ethikunterricht nicht primär von der Rechtslage her zu gestalten, 17 Vgl. dazu etwa Martin Heckel, Der Rechtsstatus des Religionsunterrichts im pluralistischen Verfassungssystem, Tübingen 2002, und ders., Neue Formen des Religionsunterrichts? Konfessionell, unkonfessionell, interreligiös, bikonfessionell, »für alle«, konfessionell-kooperativ?, in: Die Ordnung der Freiheit. FS Christian Starck, Tübingen 2007, 1093–1128.

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sondern – freilich selbstredend rechtskonform – von demografischen, schulischen und bildungstheoretischen Einsichten her. 2. Geschichte Schulischer Unterricht in christlicher Religion wurde im Abendland mit dem Aufbau des mittelalterlichen Kloster- und Domschulwesens eingeführt; von dort hat er Eingang in die städtischen Schulen und wie selbstverständlich auch in die althumanistischen Gymnasien reformatorischer Prägung wie in die reformatorisch inspirierten Dorfschulen gefunden – wenngleich über Jahrhunderte nicht als ›Fach‹, sondern in Gestalt der materialen und inhaltlichen Durchsetzung allen Unterrichts mit christlich-religiösen Gehalten sowie durch das einübende Praktizieren von Religion in Gottesdiensten und Teilhabe am Kirchenjahr. Allerdings kamen in allen genannten Schulen gleichursprünglich stets auch moralisch-ethische Inhalte und Reflexionen zur Geltung, etwa wenn die Zehn Gebote oder Beichtspiegel memoriert, Bildprogramme von Kirchen wahrgenommen oder Passionsspiele aufgeführt und wenn klassische Texte von Cicero oder Aristoteles studiert wurden – wiederum geschah dies nicht in Gestalt eines gesonderten Faches, sondern per Durchdringung des gesamten Curriculums mit einschlägigen Inhalten und per Einübung von Verhaltensregeln im Schulleben. Der Blick auf diese Anfänge18 lässt auf zweierlei aufmerksam werden: sowohl auf die Selbstverständlichkeit, mit der Religion und Moral zum »Lehrplan des Abendlandes«19 gehören, als auch auf den Umstand, dass sie beide über Jahrhunderte nicht gegeneinander ausgespielt wurden, sondern als zwei Seiten einer Medaille namens Christentum (bzw. – im jüdischen Schulwesen des Mittelalters – Judentum) aufs Engste zusammengehörten. Erst die Etablierung eines nach Fächern (nicht länger nach Stoffen oder Zeit) gegliederten Stundenplans, die sich sukzessive im 17. Jahrhundert vollzieht, führt zu einer differenzierten Weiterentwicklung beider Gegenstandsbereiche: Während »Religion« im Zuge dessen als eigenständiges Fach mit erheblichem Stundenumfang Anerkennung findet und zudem weiterhin z.B. durch Schulgottesdienste bzw. -gebete Unterstützung erfuhr, wurde Moral fortan nicht länger als selbstständiges Sujet thematisiert, sondern im Rahmen anderer Fächer – vorzugsweise im Religionsunterricht, aber auch in Deutsch oder Geschichte – mitverhandelt und durch Sozialisation (etwa nach Maßgabe der Schulordnung und der Lehrenden) gefördert. 18

Vgl. zur geschichtlichen Entwicklung insbesondere Rainer Lachmann / Bernd Schröder (Hg.). Geschichte des evangelischen Religionsunterrichts in Deutschland, NeukirchenVluyn 2007, passim. 19 Josef Dolch, Lehrplan des Abendlandes, Ratingen 21965.

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Nur gelegentlich kommt es zur Forderung nach Einrichtung eines selbständigen Moralunterrichts – und noch seltener zu dessen tatsächlicher Realisierung. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien als wichtige Etappen, die zugleich paradigmatische Zuordnungen von Moral- und Religionsunterricht erkennen lassen, benannt:20 Schon im 17. Jh. scheint Jan Amos Comenius für die von ihm entworfene Knabenschule (für 6–12-Jährige) Unterricht sowohl in Religion als auch in Moral vorzuschweben, etwa, wenn er in seiner Schrift »Pampaedia/Allerziehung« schreibt: »Es ist das Endziel dieser Schule, den Körper, die Sinne und das eingeborene geistige Vermögen ›ingenium‹ beweglich zu machen«; die Schüler »sollen die Grundlagen der Klugheit, anständiger Sitten und der Frömmigkeit kennenlernen«.21 Dementsprechend sollen sie in der dritten Klasse mit einer »kindgemäßen Sittenlehre«, in der vierten und fünften Klasse mit biblischen Geschichten und Sinnsprüchen vertraut gemacht werden.22 Beides, moralische wie religiöse Bildung, soll in der »Schule der Reifezeit«, dem Gymnasium, eine Fortsetzung erfahren: »Drei Gebiete sind es, die hier vor allem gelernt werden müssen: 1. Sprachen, 2. Wissenschaften und Künste [sc. darunter »solche, die uns die Hlg. Schrift eröffnet«], 3. gute Sitten«.23 Moral und Religion werden hier unterschieden, aber – sowohl in der Sache als auch in Unterrichtsorganisation – harmonisch aufeinander bezogen. Man kann hier in nuce ein Zuordnungsmodell der Komplementarität erkennen. Im 18. Jahrhundert sind es philanthropisch bzw. aufklärerisch inspirierte Pädagogen, unter ihnen Christian Gotthilf Salzmann, die Moralund Religionsunterricht in der Sache unterscheiden und in einer ›entwicklungspsychologisch‹ und sachlogisch begründeten Reihenfolge zu unterrichten empfehlen: Am Anfang des Lernprozesses soll die Bewusstmachung der als ›natürlich‹ und universell einsehbaren Moral stehen, am Ende die Einführung in die Kirchenlehre, dazwischen die Erkundung natürlicher Religion.24 Auch hier werden also Moral- und Religionsunterricht nicht gegeneinander gestellt (allerdings auch nicht bloß nebeneinander), sondern in ein Unterrichtsszenario von steigender Komplexität eingezeichnet. Man kann von einem zweiten Zuordnungsmuster, demjenigen des zeitlichen Nacheinanders, sprechen. 20

Vgl. Christine Reents, Zu den Wurzeln des selbständigen Ethikunterrichts in der deutschen Schulgeschichte, in: Christenlehre 47 (1994), 106–115, und Alfred Seiferlein, Ethikunterricht, Göttingen 2000, 143–154. 21 Johann Amos Comenius, Pampaedia – Allerziehung, in deutscher Übersetzung hg. von Klaus Schaller, St. Augustin 32001, 193 und 194. 22 Comenius, Pampaedia (s.o. Anm. 21), 199–203 und 203ff. 23 Ebd., 224; vgl. 230–233. 24 Von Salzmann zuerst entfaltet in seiner Schrift »Ueber die wirksamsten Mittel Kindern Religion beyzubringen, Leipzig 1780, sowie en detail in seinen Schulbüchern; dazu Rainer Lachmann, Die Religions-Pädagogik Christian Gotthilf Salzmanns. Ein Beitrag zur Religionspädagogik der Aufklärung und Gegenwart, Jena 22004, 92–111, hier bes. 107.

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Erst im 19. Jahrhundert wird Moral- bzw. Ethikunterricht im Zuge der kritischen Auseinandersetzung mit der sog. geistlichen Schulaufsicht und einer als indoktrinär empfundenen kirchlichen Formung des Religionsunterrichts erstmals als Gegenmodell zu einem bestimmten Verständnis von Religionsunterricht in Stellung gebracht. Fr. Adolph W. Diesterweg etwa lehnt »konfessionell-dogmatischen Unterricht« entschieden ab,25 bejaht aber einen »allgemeinen Religionsunterricht«, zu dessen wesentlichen Elementen die »Sittenlehre […] der Weisen aller Zeiten und aller Völker« gehört.26 Zwar sieht er keinen Widerspruch zwischen solcher Sittenlehre und wahrer Religion, etwa der Lehre Jesu, doch unterrichtsorganisatorisch schwebt ihm durchaus eine Dissoziation der beiden genannten Unterrichtstypen vor (zu deren Realisierung es jedoch vorerst nicht kam).27 Noch deutlicher als bei Diesterweg wird dieser Ruf nach Ersatz des Religions- durch Sittenunterricht ein gutes halbes Jahrhundert später, 1905, in einer vieldiskutierten Denkschrift der Bremer Lehrerschaft mit dem Titel »Religionsunterricht oder nicht?«28. Eine sachlich begründete, rechtlich bestimmte und schulorganisatorisch operationalisierbare Trennung von Religions- und Ethikunterricht ist erstmals in der deutschen Schulgeschichte im ersten Drittel des 20. Jh. im Entwurf des »Reichsschulgesetzes« entwickelt worden, mit dem einem Postulat der Weimarer Reichsverfassung (vgl. deren Art. 146) entsprochen werden sollte, zu dessen Verabschiedung es jedoch nie kam. Im Entwurf aus dem Jahr 1927 werden drei »Formen der deutschen Volksschule« unterschieden – während in der »Bekenntnisschule« wie in der »Gemeinschaftsschule« (als »die nach Bekenntnissen nicht getrennte Volksschule«) »nach Bekenntnissen getrennt« zu erteilender Religionsunterricht als »ordentliches Lehrfach« vorgesehen ist, wird an der »bekenntnisfreie[n] Schule« kein »Religionsunterricht« erteilt, sondern »Unterricht in einer bestimmten Weltanschauung«.29 Hier werden also zwei Unterrichtsfächer unterschieden und als alternativ zu besuchen ausgewiesen, die indes nicht an einer Schule, sondern an verschiedenen Schulen anzubieten sind. Auch wenn es in der Weimarer Republik nicht zu einer reichsweiten Regelung des Weltanschauungs- oder Sittenunterrichts kam, sind die 25

Fr. Adolph W. Diesterweg, Konfessioneller Religionsunterricht in den Schulen oder nicht?, in: DSW 7 (1848), 381–416, hier 384. 26 Fr. Adolph W. Diesterweg, Zur Schulfrage, in: DSW 7 (1848), 416–442, hier 431. 27 Vgl. detailliert Horst F. Rupp, »Jeder Lehrer – ein Religionslehrer«. Religion und ihre Didaktik bei Fr.A.W. Diesterweg. Ein Kapitel einer Geschichte der Religionsdidaktik im 19. Jahrhundert, Würzburg 22016, passim. 28 Peter Constantin Bloth, Die Bremer Reformpädagogik im Streit um den Religionsunterricht. Eine Studie zu Theologie und Methodik des Religionsunterrichts in der Volksschule des frühen 20. Jahrhundert, Dortmund 1961. 29 Entwurf eines Reichsschulgesetzes von 1927, in: Gerhardt Giese, Quellen zur deutschen Schulgeschichte seit 1800, Göttingen 1961, 244–247.

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mit der Weimarer Reichsverfassung von 1919 gesetzten Vorzeichen in ihrer Bedeutung für die Frage der Zuordnung von Religions- und Ethikunterricht kaum zu überschätzen: Deren Art. 149 findet die bis heute geltende Formulierung vom Religionsunterricht als »ordentliche[m] Lehrfach« und stellt dieses Fach samt individueller Möglichkeit zur Abmeldung unter verfassungsrechtlichen Schutz; Art. 148 schreibt Schulen – unabhängig vom Religionsunterricht (und augenscheinlich dadurch nicht abgegolten) – die Förderung »sittliche[r] Bildung, staatsbürgerliche[r] Gesinnung, persönliche[r] und berufliche[r] Tüchtigkeit« als Aufgabe ins Stammbuch.30 Zudem haben einzelne Länder des Reiches, etwa Preußen, unbeschadet des Fehlens eines Reichschulgesetzes ›Ethikunterricht‹ eingeführt. Entsprechend heißt es in den 1921 verabschiedeten preußischen »Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die [sc. erstmals konstituierte!] Grundschule«, dass für »Schulen ohne Religionsunterricht (bekenntnisfreie[.], weltliche[.] Schulen) oder in andern Schulen für solche Kinder, die am Religionsunterricht nicht teilnehmen, Moralunterricht oder Unterricht in Lebenskunde« einzurichten sei; in den »Richtlinien […] für die vier oberen Jahrgänge der Volksschule (1922)« wird dies fortgeschrieben.31 Sofern man auch die »Staatsbürgerkunde«, wie sie in der »Deutschen Demokratischen Republik« (DDR; 1949–1989) ab der 9. bzw. 7. Klasse als obligatorisches Fach unterrichtet wurde, zu den Spielarten von Ethikunterricht zählen kann, läge damit ein weiteres Zuordnungsmodell zum Religionsunterricht vor: dasjenige der Exklusion. Staatsbürgerkunde wollte und sollte Weltanschauungsunterricht sein;32 per Gesetz war seit 1946 die Erteilung von Religionsunterricht an staatlichen Schulen jedweder Art verboten.33 Im Laufe der Schulgeschichte sind somit verschiedene Modelle der Zuordnung von Religions- und Ethikunterricht postuliert bzw. sogar erprobt worden: Modelle des komplementären Nebeneinanders, des Nacheinanders im Sinne von Komplexitätssteigerung, der Gegenüberstellung, der Trennung (bzw. Zuteilung an unterschiedliche Schulformen) sowie der Exklusion. Flächendeckend kommt es – nach ersten entsprechenden landesrechtlichen Regelungen in der Zeit der Weimarer Republik – erst und nur in der Bundesrepublik der 1970er Jahre zum 30 31

Text der Verfassung in Auszügen bei Giese, Quellen (s.o. Anm. 28), 240f. Texte bei Wolfgang Scheibe (Hg.), Zur Geschichte der Volksschule, Bd. II (Klinkhardts Pädagogische Quellentexte), Bad Heilbrunn 21974, 59–66, hier 63, und 67–81, hier 68. 32 Vgl. Tilman Grammes / Henning Schluß / Hans-Joachim Vogler, Staatsbürgerkunde in der DDR. Ein Dokumentenband, Wiesbaden 2006. 33 Raimund Hoenen, Vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung. Deutsche demokratische Republik, in: Lachmann, Schröder, Geschichte (s.o. Anm. 17), 299–330, bes. 308–313.

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gleichzeitigen Angebot von Religions- und Ethikunterricht an der einzelnen Schule; erst und nur hier rücken beide Fächer in die eingangs beschriebene Konkurrenzkonstellation. In Anbetracht dessen ist die Zuordnung von Religions- und Ethikunterricht nicht von der Geschichte beider Fächer her zu gestalten, sondern – im Wissen um die Geschichte – von gegenwärtigen Erfordernissen her: Ethikunterricht als eigenständiges Fach ist fraglos das jüngere Geschwister, doch dies berechtigt weder zur Hintanstellung dieses Faches noch dazu, dass dieses seinerseits das Erstgeburtsrecht zu erwerben sucht. 3. Zuordnungsmöglichkeiten Unbeschadet der Rechtslage wie der Genese beider Fächer sind verschiedene Zuordnungen beider Fächer denkbar: 3.1 Alternative In Anbetracht der besagten Rechtslage – hier: Art. 7.3 GG – und der jüngeren Geschichte beider Fächer seit dem 19. Jh. sind Religions- und Ethikunterricht in der Regel so angelegt, dass der Besuch des einen denjenigen des anderen Faches ausschließt. Schülerinnen und Schüler müssen sich entscheiden, ob sie an dem einen oder anderen Fachunterricht teilnehmen möchten (wobei sie ggf. nach Abschluss von Halbjahr oder Schuljahr wechseln können), Lehrerinnen und Lehrer sollten von ihrer Qualifikation her und um der Kongruenz von Person und Rolle willen ebenfalls nicht für beide zur Verfügung stehen. Mit dieser Unterschiedlichkeit und gegenseitigen Exklusion geht die Konkurrenz der Fächer einher, die Qualität, Beliebtheit und letztlich Teilnahmequoten betrifft. Diese Konstellation ist der Normalfall im Geltungsbereich von Art. 7.3 GG, sie ist auch in Hamburg anzutreffen, wo Philosophie-Unterricht als Ersatz oder Alternative zur Teilnahme am ›Religionsunterricht für alle‹ an staatlichen Schulen stattfindet.34 3.2 Ergänzung In den Bundesländern Berlin und Brandenburg gilt auf der Basis von Art. 141 GG eine besondere Rechtslage, die den Ethikunterricht als für alle Schülerinnen und Schüler verbindliches Fach vorsieht (s.o.). Unter dieser Bedingung (und somit nur in diesen Bundesländern) ist Religionsunterricht ein allein religionsgemeinschaftlich verantwortetes Fach, 34

In § 7 des Hamburgischen Schulgesetzes vom 16. April 1997, zuletzt geändert am 15. September 2016, heißt es: »(4) Soweit in der Stundentafel vorgesehen, wird den Schülerinnen und Schülern eine Wahlpflichtalternative zum Religionsunterricht in den Bereichen Ethik und Philosophie angeboten.«

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das auf einer anderen Zeitleiste liegt als der Ethikunterricht und deshalb ergänzend oder substituierend belegt werden kann. Ein Modell, in dem umgekehrt der Ethikunterricht den Religionsunterricht (als für alle Schülerinnen und Schüler verbindliches Fach) ergänzt, besteht in Deutschland nicht. 3.3 Kooperation Wo Religionsunterricht nach Art. 7.3. GG gewährleistet ist und zugleich die Schulgesetze Ethikunterricht als Ersatz- oder Alternativfach vorsehen, können beide Fächer kooperieren35 – und zwar im Prinzip in all den Spielarten der Kooperation zwischen Unterrichtsfächern, die sich v.a. im Blick auf ihre zeitliche Dauer, die Komposition der beteiligten Personen und die Handhabung der Inhalte unterscheiden lassen und in verschiedenen Kontexten bereits idealtypisch beschrieben wurden: Kooperationsformen nach zeitlicher Dauer punktuell (einzelne Stunde bzw. Doppelstunde) sequentiell (für die Dauer einer Unterrichtseinheit)

projektförmig (für einen Projekttag oder eine Woche) dauerhaft (für ein Schulhalbjahr oder länger)

Kooperationsformen nach personeller Konstellation Beibehaltung der getrennten Lerngruppen, aber Tausch der Lehrkräfte Zusammenlegung der Lerngruppen und der Lehrkräfte (Team-Teaching)

Neukonstituierung der Lerngruppen etwa nach Themenpräferenz, Beibehaltung der Lehrkräfte Auflösung der Lerngruppen in Kleingruppen, Begleitung durch Lehrkräfte ohne fachliche Zuordnung

Kooperationsformen nach Organisation der Inhalte arbeitsgleich (was in diesem Kontext heißt: SuS des RU und des EU beschäftigen sich anteilig auch mit Themen des jeweils anderen Faches) arbeitsteilig (überkreuz zugeordnet, so dass SuS des RU ein Thema des EU bearbeiten und vice versa)

arbeitsgleich, aber perspektivverschieden (d.h. unterrichtet von der Lehrkraft des je anderen Faches) arbeitsteilig (individuell wählbar nach Interesse)

3.4 Integration im Rahmen eines »Fachbereichs Religion« Eine für alle Schülerinnen und Schüler obligatorische, integrale und multiperspektivische Thematisierung von »Religion« ist das Anliegen des 35

Zu dieser Option vgl. in diesem Band die Beiträge von Christiane Lehmann / Martin Schmidt-Kortenbusch und Friedrich Schweitzer.

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»Fachbereich[s] Religion«36. Religiöse Bildung wird hier als ein Fach konzipiert, das »integrale[r] Bestandteil der öffentlichen Schule« ist: In diesem Fach sollen Schülerinnen und Schüler – ohne dass ihre eigene Religionszugehörigkeit dafür maßgeblich wäre – verschieden »konfessionelle« Sichtweisen auf das jeweilige Thema kennenlernen, darunter neben diversen religiösen auch etwa »eine religionswissenschaftliche [.] oder religionsphilosophische[.]« Perspektive.37 Auf diese Weise soll »die private Religion [sc. der Schülerinnen und Schüler] in die Lage versetzt werden, sich im kritisch-würdigenden Bezug auf die Pluralität von Religion zu bilden (primäre Fachlichkeit – Religion als Phänomen) und dazu müssen die verschiedenen konfessionellen Wahrnehmungen, Würdigungen und Gestalten von Religion explizit ansichtig werden (sekundäre Fachlichkeit – Konfession als Perspektive)«.38 Näherhin setzt dieses Modell voraus, dass sich die verschiedenen Religionsunterrichte und der Ethik- bzw. Philosophieunterricht prinzipiell zu einem kooperativen Verbund zusammenschließen (bzw. als auf einen Allgemeinbegriff von ›Religion‹ bezogene Fächer verstehen) und sich prozessual auf eine alternierende Struktur von »fachdifferenzierter Erarbeitungsphase«, »integrativer Diskursphase« und »fachdifferenzierter Reflexionsphase« einlassen.39 3.5 Wahlpflicht und Rotation der Teilnahme innerhalb der Fächergruppe Dieses fünfte Zuordnungsmodell geht davon aus, dass weder die Organisation noch die konzeptionelle Gestalt von RU und EU (gegenüber dem Ist-Zustand) variiert wird, sondern allein die Teilnahmemöglichkeit der Schülerinnen und Schüler. Das setzt idealerweise voraus, dass ein Angebot von mindestens zwei, besser aber noch mehr Unterrichtsoptionen zu Gebote steht und die Unterrichtsoptionen einerseits nach Personal, Perspektive, Methodik oder Thematik hinreichend deutlich zu unterscheiden sind, andererseits aber einander als adäquate Bildungswege anerkennen. Für Fächer, die in dieser Weise distinkt und zugleich äquivalent sind, lässt sich wahlweise die Rede vom »Aufgabenfeld« oder von der »Fächergruppe« in Gebrauch nehmen.40 36

Christian Kahrs, Öffentliche Bildung privater Religion. Plädoyer für einen »Fachbereich Religion« – obligatorisch für alle (Religionspädagogik in pluraler Gesellschaft 13), Freiburg i.Br. 2009. 37 Kahrs, Öffentliche Bildung (s.o. Anm. 36), 1 und 171. 38 Kahrs, Öffentliche Bildung (s.o. Anm. 36), 193. 39 Kahrs, Öffentliche Bildung (s.o. Anm. 36), 216f. 40 Zu unterscheiden ist davon eine Rede von »Fächergruppe«, die in einem deskriptiven Sinne eine Mehrzahl von ähnlichen bzw. gleichsinnigen Fächern bezeichnet – so etwa im Untertitel der 1990 gegründeten Zeitschrift »Ethik & Unterricht« [EU]: »Zeitschrift für die Fächergruppe Ethik, Werte und Normen, LER, praktische Philosophie«.

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Von »Aufgabenfeldern« ist im Blick auf den Kanon der Schulfächer seit der sog. Oberstufenreform der frühen 1970er Jahre die Rede. Unterschieden werden gemeinhin »das sprachlich-literarisch-künstlerische«, das »gesellschaftswissenschaftliche« sowie das »mathematisch-naturwissenschaftlich-technische« Aufgabenfeld; zudem ist – ohne Zuordnung – von »Religionslehre« und »Sport« die Rede.41 Wollte man Religion und Ethik hier einordnen, so ließe sich etwa von einem »weltanschaulichreligiös-wertorientierenden« Aufgabenfeld sprechen. Die Vorzüge liegen auf der Hand: Schon in formaler Hinsicht würde dieses Aufgabenfeld den übrigen gleichgeordnet (mithin: aufgewertet); auch die Wertigkeitsdebatte innerhalb des Aufgabenfeldes wäre zugunsten ihrer Gleichrangigkeit entschieden. Zugleich würde für die Entscheidung der Schülerinnen und Schülern innerhalb des Aufgabenfeldes zweifelsohne die Logik der freien Wahl und die Option des Wechsels obsiegen: Man könnte sich – im Rahmen schulseitig festgelegter Zeitrhythmen – entscheiden, mal das eine oder andere Fach zu belegen. Mit ähnlicher Konnotation hat die Evangelische Kirche in Deutschland in ihrer ersten Denkschrift zum »Religionsunterricht« 1994 erwogen, Religionsunterricht und Ethikunterricht »als eigenständige Fächergruppe anzusehen«42 – also als eine Sammlung prinzipiell selbstständig bleibender Fächer, die zugleich in besonderer Weise, also etwa durch ein gemeinsames ›Aufgabenfeld‹ oder eine bestimmte bildende Perspektive aufeinander bezogen sind. Für die Etablierung einer solchen Fächergruppe wurden seinerzeit drei Gründe als maßgeblich angeführt: »Erstens steht [sc. in diesem Falle] allen, die an der Schule beteiligt sind, […] das Gewicht [bzw. »die pädagogische und gesellschaftliche Bedeutung«] der angesprochenen Unterrichtsfächer deutlicher vor Augen.« »Zweitens verpflichtet ein von der Schule verbindlich anzubietender Bereich die beteiligten Unterrichtsfächer stärker zu fachlicher Kooperation.« Und drittens befördert die Einrichtung einer ›Fächergruppe‹ das dialogische Lernen zwischen den Schüler/innen der verschieden-konfessionellen Religionsunterrichte einerseits und den Schüler/innen von Religionsunterricht und Ethikunterricht andererseits.43 Der Vorschlag ist nach anfänglicher Diskussion schnell in Vergessenheit geraten – zu den wenigen profilierten Fürsprechern gehörte Christoph Scheilke, der, »in der Konzeption der Fächergruppe eine tragfähige Perspektive für eine religiöse und ethische Bildung in der öffentli41

In der »Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe in der Sekundarstufe II«, von der KMK beschlossen am 7. Juli 1972, wurden diese Aufgabenfelder als »Pflichtbereiche« gymnasialer Bildung definiert. 42 Kirchenamt der EKD (Hg.), Identität und Verständigung. Standort und Perspektiven des Religionsunterrichts in der Pluralität. Eine Denkschrift, Gütersloh 1994, hier 79. 43 Ebd., 80f.

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chen Schule einer Zivilgesellschaft« erkannte.44 In einer pluralen Gesellschaft sei das Nebeneinander und die Kooperation von Verschiedenem angemessener als »einfache Ein-Fach-Regelungen«.45 Auf dieser argumentativen Linie hat später auch Katja Boehme den Begriff in Gebrauch genommen – sie bezeichnet damit ihr Konzept der projektförmigen Zusammenarbeit von römisch-katholischem, evangelischem, islamischem und jüdischem Religionsunterricht sowie Ethikunterricht.46 Darüber hinaus hat die Rede von der Fächergruppe im Blick auf Religions- und Ethikunterricht Eingang gefunden in schulrechtliche Regelungen einzelner Bundesländer: Schon 1997 hat das Bildungsministerium des Landes SchleswigHolstein in »Durchführungsbestimmungen« zum Runderlass »Religionsunterricht an den Schulen in Schleswig-Holstein« (RErl vom 7. Mai 1997) ohne weitere Erläuterung den Begriff der »Fächergruppe« für die Fächer Evangelischer Religions-, Katholischer Religions- und Philosophieunterricht in Anspruch genommen (die sich demnach alle drei mit »Grundfragen des Menschen« beschäftigen) und unter diesem Dach den Weg zu verstärkter Kooperation gewiesen, etwa in Gestalt von gemeinsamen Projekten, Team-Teaching und »Durchführung gemeinsamer Unterrichtsreihen«.47 Entsprechend heißt es in § 7 des Schulgesetzes von Mecklenburg-Vorpommern, erstmals in Geltung getreten am 15. Mai 1996, hier in der Fassung vom 10. September 2010: »(3) Die Unterrichtsfächer Evangelische Religion, Katholische Religion und Philosophieren mit Kindern oder Philosophie können zeitweilig auch als Fächergruppe angeboten werden. Innerhalb dieser Fächergruppe sollen die einzelnen Fächer unter Wahrung ihrer Eigenständigkeit und ihrer Besonderheiten und der Rechte der Schülerinnen, Schüler und Erziehungsberechtigten in koope-

44 Christoph Th. Scheilke, Religions- und Ethikunterricht – neue Diskussionen, neue Entwicklungen, in: ders., Von Religion lernen heute. Befunde und Perspektiven in Schule, Gemeinde und Kirche, Münster 2003, 239–255, hier 250. Vgl. auch ders., Pädagogische Grundaufgaben der religionspädagogischen Institute der Landeskirchen, in: Reflexive Religionspädagogik. Impulse für die kirchliche Bildungsarbeit in Schule und Gemeinde. Hartmut Rupp zum 65. Geburtstag, hg. von Gernot Meier, Stuttgart 2012, 52–66. 45 Scheilke, Religions- und Ethikunterricht (s.o. Anm. 44), 254. 46 So etwa in Katja Boehme, Die kooperative Fächergruppe, in: KatBl 127 (2002), 375–382, sowie dies., Fächergruppe Religionsunterricht in interreligiöser Kooperation, in: Bernd Schröder (Hg.), Religionsunterricht wohin? Modelle seiner Organisation und didaktischen Struktur, Neukirchen-Vluyn 2014, 31–44. 47 www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/S/schulrecht/Downloads/Erlasse/Downloads /KooperationEvangReli.pdf?__blob=publicationFile&v=2, zuletzt eingesehen am 15.8.2017; vgl. auch die Broschüre »Evangelische Religion, Katholische Religion und Philosophie auf einen Blick«, hg. von Ministerium für Bildung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, Kiel 2011.

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rativer Form unterrichtet werden.«48 – »Fächergruppe« meint hier die Zuerkennung besonderer Eignung zur Kooperation. Im Jahr 2000 haben zudem die Evangelische wie die Katholische Kirche in Berlin die Bildung »eine[r] Fächergruppe religiöser, philosophisch-ethischer und weltanschaulicher Bildung« vorgeschlagen, die ebenfalls auf geordnete, zeitweise Kooperation der beteiligten Fächer zielt (nicht auf Zuerkennung eines besonderen schulrechtlichen Status).49 Und 2001 hat im Blick auf Sachsen-Anhalt eine mit Fachleuten für Religions- und Ethikunterricht besetzte Arbeitsgruppe eine »Expertise« vorgelegt, die – auf der Grundlage der Alternativfach-Regelung, die das dortige Schulgesetz in § 19 vorsieht50 – vorschlägt, den Schülern auf der Basis von Kooperation oder auch Teilnahme-Rotation Einblick in die verschiedenen Perspektiven der beteiligten Fächer zu geben.51 All dem ist hinzuzufügen, dass der Vorschlag der EKD im Jahr 1994 – Karl Ernst Nipkow, seinerzeit Vorsitzender der Kammer, wies später darauf hin – seinerseits eine Vorgeschichte hat. Bereits 1969 (!) hat eine »Fachkommission« des Comenius-Instituts unter Vorsitz von Ingeborg Röbbelen in einer »Stellungnahme zu Problemen des Religionsunterrichts« vorgeschlagen, den Schülern eine »Wahl zwischen verschieden akzentuierten Formen des Religionsunterrichts« zu ermöglichen, gedacht worden war an »ein plurales Angebot von christlich-konfessionellem (evangelischem und katholischem) und religionskundlich-religionsphilosophischem Unterricht«.52 Im Protokoll der Sitzung jener Fachkommission am 7./8. Oktober 1969, so Nipkow, sei auch bereits der Begriff »Fächergruppe« notiert worden; er selbst habe davon sogar bereits im Herbst 1968 gesprochen.53 48 49

Schulgesetz_web.pdf (Zugriff am 15.8.2017). Konsistorium der Ev. Kirche von Berlin-Brandenburg und Erzbischöfliches Ordinariat Berlin, Eine Fächergruppe religiöser, philosophisch-ethischer und weltanschaulicher Bildung, in: Matthias Hahn u.a. (Hg.), Religiöse Bildung und religionskundliches Lernen in ostdeutschen Schulen. Dokumente konfessioneller Kooperation, Münster 2000, 189– 193, bzw. das entsprechende Faltblatt www.alles-wissen-wollen.de (Berlin 2000). 50 In der Fassung von 2013 abrufbar unter www.landesrecht.sachsen-anhalt.de, zuletzt eingesehen am 15.8.2017. 51 Ethik- und Religionsunterricht in der Schule mit Zukunft. Eine Expertise der Arbeitsgruppe zur Zukunft ethischer und religiöser Bildung an den Schulen des Landes Sachsen-Anhalt, Magdeburg 2001. Separat veröffentlicht, aber auch abgedruckt in: Michael Domsgen / Matthias Hahn / Gisela Raupach-Strey (Hg.), Religions- und Ethikunterricht in der Schule mit Zukunft, Bad Heilbrunn 2003, 15–76. 52 Fachkommission des Comenius-Instituts, Stellungnahme zu Problemen des Religionsunterrichts [als Vorlage zur Sitzung der Kirchenkonferenz am 18.12.1969], in: Religionsunterricht wohin? Neue Stimmen zum Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, hg. von Klaus Wegenast, Gütersloh 1971, 313–318, hier 317. 53 Protokoll zur Fachtagung zum Religionsunterricht am 7./8.10.1969 im ComeniusInstitut in Münster, hier nach Karl Ernst Nipkow, Der Weg der Fächergruppe mit einem

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Die Etablierung eines solchen »weltanschaulich-religiös-wertorientierenden« Aufgabenfeldes bzw. einer entsprechenden Fächergruppe würde verschiedene vorbereitende Schritte erfordern: − Rechtlich dürften die beteiligten Fächer in den jeweils geltenden Schulgesetzen und administrativen Regelungen nicht als »Ersatzfach« für eines der jeweils anderen Fächer gefasst werden, vielmehr müssten sie konsequent als »Alternativfächer« Anerkennung finden. Zugleich müsste im Sinne von Art. 7.3 GG deutlich und gewährleistet bleiben, dass Schülerinnen und Schüler, die einer Kirche oder Religionsgemeinschaft angehören, Religionsunterricht ›ihrer‹ Denomination besuchen können.54 Anders gesagt: Es muss gewährleistet bleiben, dass beispielsweise ein evangelischer Schüler zeit seiner Schullaufbahn das Recht in Anspruch nehmen kann, am evangelischen Religionsunterricht teilzunehmen – auch wenn er de facto für ein Schulhalbjahr oder länger eine anders-denominationelle Lesart von Religionsunterricht oder Ethikunterricht zu besuchen wünscht, oder wenn dies auf Grund von Vereinbarungen auf Länder- oder Schulebene zeitweilig vorgesehen wird.







Auch bildungstheoretisch müsste diese juristische Weichenstellung Widerhall finden: Die beteiligten Fächer müssten einander eben die bildende Kraft zuerkennen, die sie sich selbst zuschreiben – und dies impliziert, dass die Themen, die Methoden, die Perspektiven, die in Fach A zur Geltung kommen, auch in Fach B als bildsam und kommensurabel anerkannt werden. Insofern die Themen, Methoden, Perspektiven unterschiedlich sind und geradezu sein sollen, weil beispielsweise orthodoxer oder islamischer Religionsunterricht oder Ethikunterricht eben unterschiedliche Akzente setzen, geht es um die Zuerkennung von Gleichrangigkeit, nicht Gleichartigkeit. Schulorganisatorisch müsste an den beteiligten Schulen eine kritische Masse an Fächern zur Wahl stehen: Evangelischer und römisch-katholischer (oder konfessionell-kooperativer) Religionsunterricht, Ethikunterricht und islamischer Religionsunterricht etwa, von Ort zu Ort ergänzt etwa um jüdischen, alevitischen oder orthodoxen Religionsunterricht. Eine solche Vielfalt ist in diesem Modell nicht als Kür, sondern als unerlässliche Bedingung der Möglichkeit von Kooperation bzw. Wahl der Schülerinnen und Schüler anzusehen. Die mitverantwortlichen Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften müssten sich vorbehaltlos dazu verstehen, Schülerinnen und Schüler anderer Konfessions- oder Religionszugehörigkeit als Teilnehmende im je eigenen Unterrichtsfach willkommen zu heißen

dialogisch-orientierten, mehrseitig kooperierenden evangelischen Religionsunterricht, in: ders., Pädagogik und Religionspädagogik zum neuen Jahrhundert, Bd. 2: […] Religionsunterricht und Ethikunterricht, Gütersloh 2005, 370–388, hier 371f. 54 Vgl. Ennuschat, Ersatzfach (s.o. Anm. 10), 428.

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und sukzessive die didaktisch-methodische Gestalt des je eigenen Unterrichts auch auf Teilnehmende anderer Provenienz auszurichten. Erst wenn diese Offenheit gegeben ist, können die Fächer als bildsame Offerten für potentiell alle Schülerinnen und Schüler Anerkennung finden. In der Lehrerbildung (Aus- wie Fortbildung) sollten die Lehrkräfte so viel Einblick in die fachwissenschaftlichen Gehalte und die fachdidaktische Struktur der jeweils anderen Fächer nehmen können, dass sie sowohl die wechselseitige Anerkennung nachvollziehen und kraft eigener Einsicht bejahen, als auch Schülerinnen und Schüler, die bislang Unterricht in einem anderen Fach der Gruppe besucht haben, angemessen weiter fördern können. In didaktisch-methodischer Hinsicht müssten in der jeweiligen Schule, die eine solche Fächergruppe anbietet, die beteiligten Lehrkräfte dementsprechend Formen der Koordination und der Kooperation entwickeln, die diesen sachlichen Erfordernissen Rechnung tragen: zyklisch wiederkehrende gemeinsame Fachkonferenzen, koordinierte schuleigene Lehrpläne der beteiligten Fächer, gastweise Präsenz im Unterricht der jeweils anderen, Absprachen über Standards des Unterrichtens und Benotens, Verständigung über die Perspektivität der einzelnen Fächer.

4. Seitenblick Bisher lag der Fokus der Betrachtungen konsequent auf der Bundesrepublik Deutschland bzw. ihren Vorgängerstaaten. Nachdem für diesen Kontext die Idee der Kooperation oder gar der Fächergruppe als didaktisch und schülerorientiert weiterführende Möglichkeit der Zuordnung beider Fächer identifiziert wurde, soll abschließend ein typologisierender Blick auf Regelungen anderer europäischer Länder dazu verhelfen, diesen Weg einzuordnen. Mit einer derart abstraktionsbedingten Unschärfe lassen sich Muster erkennen – en detail sticht eine Vielfalt der Fachbezeichnungen und -konzeptionen, der zeitlichen Ausdehnung und der Verbindlichkeitsgrade dessen ins Auge, was man ›Ethikunterricht‹ nennen kann, die der organisatorischen und konzeptionellen Vielfalt im Bereich der religiösen Bildung in nichts nachsteht.55 55

Einschlägige Informationen sind zu finden bei Barbara Brüning, Ethikunterricht in Europa. Ideengeschichtliche Traditionen, curriculare Konzepte und didaktische Perspektiven der Sekundarstufe I, Leipzig 1999, sowie – am Rande – in den Länderberichten bei Martin Rothgangel et al. (Hg.), Religious Education at Schools in Europe, Part 1: Central Europe (Wiener Forum für Theologie und Religion 10,1), Göttingen/Wien 2016, Part 2: Western Europe (WFThR 10,2), 2014, Part 3: Northern Europe (WFThR 10,3), 2014.

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Erster Typ: Lediglich Ethik-, nicht aber Religionsunterricht in der Schule Dieser Typus ist in Europa selten zu finden, am deutlichsten im laizistischen Modellstaat Europas, in Frankreich: Seit der neuerlichen Einführung laizistischer Bestimmungen für die staatliche Schule im Jahr 1882 (und vollends seit der Erhebung der »laicité« zur Staatsräson im Jahr 1905) ist dort »enseignement morale et civique« obligatorischer Teil des Curriculums staatlicher Schulen, Religionsunterricht hingegen nicht statthaft (Ausnahmen: private Schulen in religionsgemeinschaftlicher Trägerschaft und die drei Départments, die das historische Territorium Elsaß-Lothringens ausmachen). Die Einführung des sog. »enseignement du fait religieux« im Rahmen der Fächer Französisch oder Geschichte ändert an dieser Konstellation nichts, da es sich dabei um religions- und kulturkundlichen Unterricht handelt, nicht aber um Religionsunterricht in einem bekenntnisbasierten Sinne.56 Zweiter Typ: Ethikunterricht, der fakultativ um Religionsunterricht (in religionsgemeinschaftlicher Verantwortung) ergänzt werden kann Auch diese Konstellation ist nur vereinzelt zu finden, etwa in Ungarn. Dritter Typ: Religions- und Ethikunterricht als Wahlpflichtbereich In dieser Konstellation stehen Religionsunterricht (ggf. im Plural) und Ethikunterricht gleichrangig nebeneinander; die Schülerinnen und Schüler können und müssen wählen. So verhält es sich etwa in der Slowakei (seit 2004; ab Klasse 1). In einigen Ländern Europas besteht keine Wahlpflicht, wohl aber die Möglichkeit auf Antrag Religions- bzw. Ethikunterricht an der jeweiligen Schule einrichten zu lassen – so ist es in Polen und Tschechien. Vierter Typ: Religionskunde als für alle verbindliches Fach ohne Möglichkeit der Abmeldung oder eines alternativen Ethikunterrichts In diesem Fall zeichnet der Staat für die Organisation und die Inhalte des Religionsunterrichts verantwortlich; er optiert dabei – eben weil er sich nicht mit einer bestimmten Denomination bzw. religiösen Position identifizieren kann oder will – für eine multikonfessionelle oder religionskundliche Darstellung mehrerer Religionen. Der so konzipierte Unterricht, der weder bei Schülern noch bei Lehrern eine konfessionelle Bindung voraussetzt, ist für alle Schüler im Prinzip verbindlich; er schließt die Befassung mit ethischen Fragen und nicht-religiösen Antworten ein. Religionsunterricht dieses Typs ist in den 1970er Jahren beispielsweise in England etabliert worden; er löste dort den konfessionellen Unter56

Vgl. Bernd Schröder, Religionspädagogik in Frankreich, in: ders., Religionspädagogik, Tübingen 2011, 388–404.

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richt ab. Der Unterricht soll hier zumindest den großen in England vertretenen Religionsgemeinschaften (neben dem Christentum anglikanischer Prägung auch Judentum, Islam, Hinduismus und Sikhismus) Rechnung tragen; diese haben namentlich bei der Fixierung der Lehrpläne Mitwirkungsrechte. Diese Konzeption eines religionskundlichen Unterrichts, der zugleich ethische Anteile enthält, findet sich nicht nur in England, Wales und Schottland, sondern mittlerweile auch in fast allen Ländern Skandinaviens, genauer: in Island (seit 1926), Schweden (»Religionskunskap; seit 1969), Dänemark (»Kristendomskundskab« bzw. »Religion«; seit 1975) und Norwegen (»Kristendomskunnskap med religions- og livssynsorientering«; seit 1997, revidiert 2002 und 2005); zudem in der Türkei und einigen Kantonen der Schweiz (etwa »Religion und Kultur« im Kanton Zürich). In all diesen Ländern ist kein Ethikunterricht neben dem nicht-konfessionellen Religionsunterricht vorgesehen, wohl aber gibt es z.T. bildungsministerielle Impulse, ethisches Lernen in weiteren Fächern sowie im Schulleben zu fördern – in England etwa »Spiritual, Moral, Social and Cultural Development« (SMSC). Fünfter Typ: Konfessioneller Religionsunterricht zumindest der Mehrheitskonfession mit (oder ohne) Abmeldemöglichkeit und Ersatzfach »Ethik« In vielen europäischen Ländern, in denen die absolute Mehrheit der Bevölkerung einer christlichen Konfession oder einer Mehrzahl von Denominationen bzw. Religionen angehört, zeichnet der Staat sowohl für die äußeren Gegebenheiten als auch für die Inhalte religiösen Unterrichts (mit-)verantwortlich. Die Inhalte des jeweiligen Religionsunterrichts sind gleichwohl nicht multireligiös oder religionskundlich angelegt, sondern im Wesentlichen an den Grundsätzen der jeweils mitverantwortlichen Denomination orientiert. Dieser Religionsunterricht ist für die Schüler der jeweiligen Denomination verbindlich, für alle anderen fakultativ. Wer nicht teilnehmen will, hat an nicht-religiösem Ethikunterricht teilzunehmen. Diese Konzeption findet sich etwa in Finnland (Lebenskunde-Unterricht / »Elämänkatsomustieto«), Deutschland und Spanien. In nicht wenigen Ländern besteht zwar eine solche Abmeldeoption vom Religionsunterricht, allerdings kein Ersatzfach »Ethik« – so etwa in Griechenland, Italien und Österreich. Die kursorische Sichtung lässt bemerkenswerte Schlüsse zu: In kaum einem Land Europas kommt dem Ethikunterricht die Rolle eines Leitfaches der schulischen Daseins- und Wertorientierung zu; vielmehr findet sich mehrheitlich entweder ein integrales Fach, das prima facie religionskundliche, damit verbunden auch ethische Bildung bietet, oder ein Modell, das konfessionellen Religionsunterricht (im Plural), zugleich aber auch die Möglichkeit der Abmeldung davon vorsieht. In kaum

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einem Land stehen Religions- und Ethikunterricht symmetrisch, gleichrangig und gleich stark besucht nebeneinander; in kaum einem Land wird die geordnete Kooperation beider Fächer gepflegt – sowohl mit der Idee der fächerübergreifenden Kooperation als auch mit derjenigen der Fächergruppe beschreitet Deutschland einen besonderen Weg, mit dem die im zurückliegenden halben Jahrhundert sukzessive gewachsene Pluralität der Lernwege in der Daseins- und Wertorientierung einerseits gewahrt bleibt, andererseits konstruktiv zu Dialog und Kooperation fortentwickelt werden kann. 5. Schlussplädoyer Aus unterschiedlichen Gründen scheinen weder das Modell der Alternative (3.1) noch dasjenige der Ergänzung (3.2) unter den gegenwärtigen religionssoziologischen und schulorganisatorischen Bedingungen geeignet zu sein, um Religions- und Ethikunterricht zukunftsfähig einander zuzuordnen. Im einen Fall würde eine Abgrenzung prolongiert, die in der gebotenen Striktheit kaum länger praktikabel und akzeptabel ist; für den anderen Fall sind in den allermeisten Bundesländern die Voraussetzungen nicht gegeben. Aus wieder anderen Gründen stößt die Idee eines »Fachbereichs« (3.4) an Grenzen: Sie scheint mir ein Maß an konzeptionellem Einverständnis vorauszusetzen, das kaum einmal gegeben sein dürfte. Das Modell der Kooperation (3.3) bietet demgegenüber Vorzüge: Es gewährleistet Eigenständigkeit und lädt auf freiwilliger Basis ein zur Annäherung – es ist somit in der Lage, sich den atmosphärischen und personellen Konstellationen der jeweiligen Schule anzuschmiegen. Allerdings vermag es wohl nur in Ausnahmesituationen so verankert zu werden, dass die beteiligten Fächer den angestrebten Dialog oder Perspektivenwechsel als Regelertrag ausweisen und somit zur argumentativen Stärkung ihrer ›Verhandlungsposition‹ heranziehen könnten. Unbeschadet dessen ist die Erprobung oder ggf. Vertiefung von Kooperation allerorten geboten – denn die Erfahrung des Gelingens von Kooperation ist die Voraussetzung dafür, dass die Etablierung einer »Fächergruppe« den erforderlichen Rückhalt in der Religions- und Ethiklehrerschaft findet. Perspektivisch erscheint der Aufbau einer weltanschaulich-religiöswertorientierenden Fächergruppe und deren kultusministerielle wie religionsgemeinschaftliche Anerkennung (3.5) als gebotener Weg: (Nur) auf diese Weise lässt sich sowohl der Eigensinn als auch das gemeinsame bildende Potential der beteiligten Fächer darstellen, (nur) auf diese Weise kann das Interesse der Schülerinnen und Schüler an den verschiedenen Auslegungen von Wahrheits- und Normfragen als Anliegen zugunsten der Fächer (und nicht als Entscheidung gegen das eine oder andere

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Fach) aufgenommen werden, (nur) auf diese Weise kann auf Dauer das Nebeneinander verschieden-denominationaler Religionsunterrichte bildungstheoretisch, schülerorientiert und schulorganisatorisch begründet werden und zugleich der Ethikunterricht adäquat berücksichtigt werden. Aller Voraussicht nach würde die Etablierung einer solchen Fächergruppe eine erhebliche Steuerungskraft zur Behebung bestimmter Unwuchten von Religions- und Ethikunterricht entfalten: − Den Kultusministerien und der Kultusministerkonferenz gegenüber könnten (und müssten) alle beteiligten Fächer gemeinsam auftreten und argumentieren; dies würde dem Einsatz zugunsten der Fächergruppe den Geruch der Wahrnehmung von Partikularinteressen nehmen und eine konstruktive Zusammenarbeit unter den Beteiligten fördern. − Den Schulen würde eine Schubumkehr verordnet: Nicht länger erschiene die Erteilung von Religions- und Ethikunterricht im Klassenverband als die einfache, organisatorisch gebotene Lösung; vielmehr gälte es nun, ein möglichst attraktives, sprich plurales und qualitativ hochwertiges Wahlpflichtangebot vorzuhalten. − Innerhalb der einzelnen Fächer würde ein doppelter Impuls gesetzt: Einerseits wären alle gehalten, Gemeinsames zu betonen – etwa bestimmte ›abendländische‹ Orientierungsmuster, bestimmte Verfahren der Texterschließung und der Hermeneutik, bestimmte Unterrichtsmethoden –, um den Schülerinnen und Schülern auf diese Weise die Wechseloption zwischen den Fächern offen zu halten; andererseits ergäbe sich auch ein deutlicher Schub, die jeweils für die eigene Tradition spezifische Perspektive und ihr eigentümliche Themen im Unterricht geltend zu machen, um so für den Besuch gerade dieses Unterrichts zu werben. − Die Schülerinnen und Schüler könnten nicht länger bestrebt sein, der Beschulung mit Religions- oder Ethikunterricht zu entgehen. Sie würden ihre Wahlpflicht wahrnehmen müssen und deswegen verstärkt auf eine für sie interessante und förderliche Ausgestaltung des Unterrichts achten bzw. ihre Wahlentscheidung daran ausrichten. − In der Sache würde einer wichtigen Veränderung Rechnung getragen: der rückläufigen Bindung vieler Schülerinnen und Schüler an eine bestimmte Denomination bzw. Religionsgemeinschaft. Zugleich würde die Fächergruppe dem steigenden Interesse an ›authentischer‹ Information über mehrere verschiedene Religionen Genüge tun und im gleichen Atemzug der unerlässlichen Perspektivgebundenheit jedes Unterrichts im Bereich der Daseins- und Wertorientierung Ausdruck verleihen. Dies alles spricht für die Wiederaufnahme der Idee der »Fächergruppe« und für Initiativen zu ihrer offiziellen Etablierung. Es ist an der Zeit.

Autorinnen und Autoren

Vivienne Baumfield is Professor of Professional Learning in the Graduate School of Education and co-leader of the Centre for Research in Professional Learning at the University of Exeter (GB). Volker Beck, Jg. 1960, war von 1994 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages für die Partei »Die Grünen« und seit 2013 religionspolitischer Sprecher seiner Fraktion. Dr. Klaus Blesenkemper, Jg. 1952, war von 2012 bis 2017 Professor für »Fachdidaktik Philosophie« am Philosophischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Moritz Emmelmann, Jg. 1987, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Gesine Fuß, Jg. 1961, ist Konrektorin an einer Grundschule in München, gehört einem Arbeitskreis des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung an und ist Bundesvorsitzende im Fachverband Ethik e.V. Dr. Kerstin Gäfgen-Track, Jg. 1959, leitet als Oberlandeskirchenrätin die Abteilung »Bildung, Schule, Kinder und Jugend« im Landeskirchenamt der Ev.-Lutherischen Landeskirche Hannover und ist Bevollmächtigte der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen. Kerstin Griese, Jg. 1966, ist Bundestagsabgeordnete der SPD, Beauftragte für Kirchen und Religionsgemeinschaften der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales. Zudem ist sie Mitglied im Rat der EKD und im SPD-Parteivorstand sowie Sprecherin des Arbeitskreises Christinnen und Christen in der SPD (AKC). Dr. Beate Großklaus, Jg. 1971, ist Pfarrerin der Badischen Landeskirche und Schuldekanin im Stadtkirchenbezirk Heidelberg.

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Autorinnen und Autoren

Dr. Bernhard Grümme, Jg. 1962, ist Professor für Religionspädagogik und Katechese an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Svenja Haase, Jg. 1984, ist Studienrätin für die Fächer Werte und Normen sowie Spanisch am Göttinger Hainberg-Gymnasium. Dr. Traugott Jähnichen, Jg. 1959, ist Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Dr. Christine Lehmann, Jg. 1951, ist Lehrerin an der Integrierten Gesamtschule Franzsches Feld in Braunschweig. Sie ist Landesfachmoderatorin für Ev. Religion an Gesamtschulen in Niedersachsen und Privatdozentin am Institut für Theologie und Religionswissenschaft der Leibniz Universität Hannover. Lieselotte Lieberknecht, Jg. 1975, ist Studienrätin für die Fächer Ev. Religion und Englisch am Göttinger Hainberg-Gymnasium. Rainer Merkel, Jg. 1975, ist Fachleiter für ev. Religion am Studienseminar Göttingen für das Lehramt an Gymnasien und Studiendirektor am Hainberg-Gymnasium für die Fächer ev. Religion, Latein und Philosophie. Dr. Hans-Bernhard Petermann, Jg. 1952, ist Akademischer Oberrat an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg Philosophie/Ethik. Dr. Birte Platow, Jg. 1977, ist wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl für evangelische Religionspädagogik an der Universität Augsburg. Dr. Christian Polke, Jg. 1980, ist Professor für Ethik im Rahmen der Systematischen Theologie an der Theologischen Fakultät der GeorgAugust-Universität Göttingen. Burkhard Rosskothen, Jg. 1963, ist katholischer Religionslehrer an der Theodor Heuss Schule Offenbach am Main. Martin Schmidt-Kortenbusch, Jg. 1953, ist Lehrer an der Integrierten Gesamtschule Franzsches Feld in Braunschweig. Er ist Landesfachmoderator für Kath. Religion an Gesamtschulen in Niedersachsen. Dr. Dr. Bertram Schmitz, Jg. 1961, ist Professor für Religionswissenschaft an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Autorinnen und Autoren

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Dr. Bernd Schröder, Jg. 1965, ist Professor für Praktische Theologie mit Schwerpunkt Religionspädagogik an der Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen. Dr. Dr. h.c. Friedrich Schweitzer, Jg. 1954, ist Professor für Praktische Theologie / Religionspädagogik an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Carolin Simon-Winter, Jg. 1961, Pfarrerin, ist evangelische Religionslehrerin an der Theodor Heuss Schule Offenbach am Main und Ausbildungsbeauftragte für ev. Religionsunterricht an berufsbildenden Schulen am Studienseminar Darmstadt. Dr. Holmer Steinfath, Jg. 1961, ist Professor für Philosophie am Philosophischen Seminar der Georg-August-Universität Göttingen. Dr. Peter Tauber, Jg. 1974, ist Bundestagsabgeordneter der CDU und war von 2013–2018 Generalsekretär der CDU Deutschlands. Dr. Jörg-Dieter Wächter, Jg. 1958, ist Leiter der Hauptabteilung Bildung des Generalvikariates des römisch-katholischen Bistums Hildesheim. Till Warmbold, Jg. 1953, ist Studienrat für die Fächer Werte und Normen und Deutsch am Georg-Büchner-Gymnasium in Seelze und Vorsitzender des »Fachverbandes Philosophie«, Landesverband Niedersachsen.