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German Pages [286] Year 2014
Management – Ethik – Organisation
Band 2
Herausgegeben vom Evangelische Bank-Institut für Ethisches Management
Stefan Jung / Thomas Katzenmayer (Hg.)
Fusion und Kooperation in Kirche und Diakonie Mit 22 Abbildungen
V& R unipress
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0325-7 ISBN 978-3-8470-0325-0 (E-Book) Ó 2014, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stefan Jung und Andr¦ Armbruster Reform oder Reformation? Paradoxien von Fusionen und Kooperationen und ein Vorschlag zur Erneuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Johannes Eurich und Jürgen Hädrich Fusionen als Modernisierung: Organisationswandel und Theologie am Beispiel der Diakonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
Robert Bachert und Laura Wagner Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
. . . . .
45
Annette Rabe Zwischen Vielfalt und Einheit: Arbeitsrechtliche Auswirkungen von Fusionen und Kooperationen im kirchlich-diakonischen Kontext . . . . .
69
Andr¦ Armbruster, Christian Scharff und Kristina Willjes Inklusion durch Kooperation: Zur Organisation von Kooperationen in diakonischen Unternehmen der Behindertenhilfe . . . . . . . . . . . . .
83
Stefan Friedrichs, Christian Scharff und Kristina Willjes Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen von diakonischen Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Peter Abel Fusion zwischen Zwang und Freiheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Thomas Hoebel Träge Fusionen: Das Problem der Organisationsvergessenheit
. . . . . . 127
6
Inhalt
Cornelia Füllkrug-Weitzel Gemeinsam für Diakonie und Entwicklung: Die Fusion des Evangelischen Entwicklungsdienstes mit dem Diakonischen Werk der EKD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Christoph Meyns Kirche in Zeiten des Umbruchs: Rückbauprozesse in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Eine Hochschule mit zwei Standorten. Ein Gespräch mit Matthias Benad über die Fusion zur Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel . . . . . . 177 Katharina Dang Wenn sich Gemeinden gegen Fusionen stellen: Der Gemeindebund in der EKBO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Sven Pernak Alles hat seine Zeit: Fusion zweier Diakonischer Werke zur Diakonie Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Maria Loheide Glaube vernetzt leben in Europa: Eurodiaconia
. . . . . . . . . . . . . . 229
Thomas Katzenmayer Wenn das Marktumfeld zum Fusionstreiber wird: Ziele und Abläufe von Fusionen am Beispiel der Evangelischen Kreditgenossenschaft eG . . . . 247 Markus Horneber Erfolgreicher Zusammenschluss von evangelischen Krankenhäusern: proDiako und Agaplesion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
Vorwort
Fusionen und Kooperationen finden auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens statt, von einzelnen Kirchengemeinden bis hin zu Landeskirchen. Und auch innerhalb und zwischen diakonischen Einrichtungen werden vermehrt Kooperationsformen gesucht. So gegenwärtig diese in der Praxis auch sind, eine umfassende Behandlung dieser Thematik speziell in Kirche und Diakonie wurde bisher noch nicht geleistet. Genau an diesem Punkt setzt das vorliegende Sammelwerk an. Ziel ist eine sowohl erfahrungsgestützte als auch theoretische Bestandsaufnahme in kirchlichen und diakonischen Kontexten. Grundlegend geht es dabei um die Bedeutung und die Auswirkungen von Fusionen und Kooperationen in den vielfältigen Wirklichkeiten kirchlichen und diakonischen Lebens. Der vorliegende Band »Fusion und Kooperation in Kirche und Diakonie« greift verschiedene Aspekte dieser Thematik unter dem Blickwinkel von Kirche und Diakonie auf. Was sind Gründe für Fusionen in Kirche und Diakonie? Wie können Kooperationen von diakonischen Unternehmen erfolgreich gestaltet werden? Welche Herausforderungen und Hürden sind bei einer Fusion zu bewältigen? Welche Auswirkungen sind mit einer Fusion oder Kooperation verbunden? Wie ist die Fusion oder Kooperation retrospektiv zu bewerten? Diese und weitere Fragestellungen werden in diesem Band behandelt. Es war ein Anliegen der Herausgeber, das Thema Fusion und Kooperation sowohl aus der Wissenschafts- als auch aus der Praxisperspektive zu behandeln. Der Band versammelt einerseits neben organisationswissenschaftlichen Studien neue Einsichten aus der Theologie und der Rechtswissenschaft. Andererseits gewinnt der vorliegende Sammelband Erkenntnisse aus der tatsächlichen Praxis, indem Fusionen und Kooperationen in Krankenhäusern, Banken, Dachverbänden, Hochschulen und diakonischen Einrichtungen aus internationaler Perspektive und Beratungssicht beschrieben werden. Wir freuen uns daher sehr, dass es uns gelungen ist, namhafte Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachgebieten und Kontexten für dieses interdisziplinäre Buchprojekt zu gewinnen.
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Vorwort
Entsprechend richtet sich dieses Buch gleichermaßen an interessierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie auch an Entscheider und Entscheiderinnen in Kirche, Diakonie und Wirtschaft, die sich mit der Thematik Fusion und Kooperation beschäftigen. Wir hoffen mit diesem Sammelband nicht zuletzt, eine intensive Debatte um Fusionen und Kooperationen im kirchlichen und diakonischen Bereich anregen zu können. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern eine interessante und erkenntnisreiche Lektüre. Kassel, im Juli 2014
Thomas Katzenmayer Stefan Jung
Stefan Jung und Andr¦ Armbruster1
Reform oder Reformation? Paradoxien von Fusionen und Kooperationen und ein Vorschlag zur Erneuerung
Fusionen und Kooperationen im Bereich von Kirche und Diakonie sind relativ neue Erscheinungen, liegen aber anscheinend im Trend. Immer häufiger werden sie als zukunftsträchtige Strategie ausgewählt. Durch Fusionen und Kooperationen wird in der Regel ein Problem bzw. eine Herausforderung einer Organisation adressiert. Um welches Problem oder um welche Herausforderung es sich dabei handelt, ist nicht einfach zu benennen. Auch über den Ablauf und die Folgen von Fusionen und Kooperationen gibt es kaum gesichertes Wissen. Fusionen von Landeskirchen und Gemeinden sowie Kooperationen von Diakonieunternehmen erfahren zwar zumeist eine große mediale Aufmerksamkeit, wurden von Seiten der Wissenschaft bisher jedoch eher stiefmütterlich behandelt: Fusionen sowie Kooperationen im kirchlichen und kirchennahen Raum sind kaum Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung geworden (siehe als Ausnahme die Beiträge in Bölts u. Nethöfel, 2008). Insofern betritt der vorliegende Band Neuland. Jede Fusion und jede Kooperation hat ihre je eigene Besonderheit: Die finanzielle Ausgangslage und die Zahl der Mitglieder, geografische Besonderheiten, der Einfluss von Führungskräften, die je eigene Geschichte, gemeinsame theologische Überzeugungen und viele andere Merkmale sowie Eigenheiten können eine Rolle spielen. Der vorliegende Band, in dem sowohl wissenschaftliche Aufsätze als auch Beiträge aus der Praxis versammelt werden, hilft bei der weiteren Erschließung und kritischen Reflexion der Phänomene Fusion und Kooperation – ohne dabei einen Schlusspunkt setzen zu wollen. Sooft Fusionen und Kooperationen auch eingegangen werden, sowenig ist über ihre Folgen bekannt: Sie können gelingen, aber auch in einem »Desaster« enden (Girardet, 2013). In unserem einleitenden Beitrag gehen wir daher zum einen der Frage nach, warum dieses Desaster eintreten kann. Dazu werden wir im ersten Abschnitt rekonstruieren, auf welche Herausforderungen Fusionen 1 Für wertvolle Kommentare zu einer ersten Fassung dieses Beitrags danken wir Thomas Hoebel.
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Stefan Jung und André Armbruster
und Kooperationen eine Antwort sein sollen (1.). Darauf aufbauend zeigen wir drei Paradoxien2 auf, die sich insbesondere bei Fusionen von Kirchen ergeben können (2.). Fusionen stoßen an Grenzen, da sie das religiöse Erleben und Handeln der Kirchenmitglieder nicht berühren und in der Organisation tendenziell mehr bewahren als verändern. Um diesen Paradoxien zu entkommen, machen wir zum anderen den Vorschlag, Kirchenreformen verstärkt an dem Leitbild der Reformation zu orientieren bzw. die reformatorischen Grundeinsichten als hilfreiches Irritationspotenzial zu verstehen und danach zu fragen, welche Bedeutung diese für die Kirche heute haben können. (3.). Denn nur durch eine reformatorische bzw. geistliche Erneuerung der Kirche können neue Mitglieder gewonnen werden und kann dem Relevanzverlust der Kirche in der Gesellschaft begegnet werden. Dass jedoch eine Reformation nicht leicht zu organisieren ist, zeigen wir im letzten Abschnitt dieser Einleitung (4.). Denn hier gilt es, sich von Neuem und Anderem irritieren zu lassen, was jedoch eine weitere Herausforderung darstellt. Erkenntnisleitend ist eine organisationswissenschaftliche Sichtweise auf Kirche und Diakonie. Dabei stützen wir uns auf genuin organisationssoziologische Studien (Luhmann, 1988; 1995; 2006) und zugleich profitieren wir von Publikationen, die Kirchen als Organisationen beschreiben und so ihre Besonderheiten herausstellen (siehe insbesondere die Frühwerke Kaufmann, 1974; Luhmann, 1972; als Überblick Petzke u. Tyrell, 2012). Gerade in den letzten Jahren haben die Theologie und Soziologie in der Debatte um die Kirchenreform spannende Erkenntnisse hervorgebracht (Karle, 2009a; 2010; Hermelink u. Wegner, 2008; Hermelink, 2011; Schlamelcher, 2013),3 auf die wir aufbauen können. Diakonieunternehmen hingegen haben nicht diesen Grad der Aufmerksamkeit erfahren (siehe als Ausnahmen Hofmann, 2008; Starnitzke, 1996; Armbruster et al., 2013). Aus diesem Grund werden wir unsere Ausführungen vor allem auf Fusionen von Kirchen fokussieren, denn die bisherigen Forschungen erlauben hier tiefer gehende und differenziertere Aussagen. Wo immer es jedoch möglich ist, werden wir auch auf Fusionen und Kooperationen im Bereich der Caritas und Diakonie eingehen.
2 Ein Paradox bzw. eine paradoxe Operation in Form von Entscheidungen enthält immer einen Widerspruch, wobei »die Bedingungen der Möglichkeit einer Operation zugleich auch die Bedingungen ihrer Unmöglichkeit sind« (Corsi, 1997: 131; in Bezug auf Entscheidungen in Organisationen siehe auch Luhmann, 2006: 123 ff.). 3 Die Diskussionen um die Reform der Kirche haben zwar mit dem Phänomen Fusion und Kooperationen zu tun, wie wir im Folgenden zeigen werden, als eigenständiges Thema kommen Fusionen und Kooperationen jedoch nicht vor.
Reform oder Reformation?
1.
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Drei Herausforderungen der Kirche
Fusionen im kirchlichen Raum sind zumeist keine »Liebesheirat«, sondern »eine Zwangsehe bzw. eine Heirat aus Vernunftgründen« (Cassens-Neumann, 2008: 287). Auch wenn wenig über die Gründe, den Ablauf oder die Folgen von Fusionen und Kooperationen in Kirche und Diakonie bekannt ist, treten sie nicht im luftleeren Raum auf, sondern stehen in einem größeren Zusammenhang, der in der Literatur begrifflich als Kirchenreform bezeichnet wird. Ein wesentlicher Meilenstein der Debatte, wie die Gestalt der Kirche zukünftig aussehen soll, war im evangelischen Raum das Impulspapier »Kirche der Freiheit« des Rates der EKD (2006). Wenn Kirchenfusionen auch immer Antworten auf spezifische Herausforderungen sind, lassen sich in »Kirche der Freiheit« doch allgemeine Anhaltspunkte finden, mit denen die Probleme benannt werden können. Das Papier zeigt im Kern drei Herausforderungen auf, auf die Kirche sich als Ganzes, aber auf die sich auch Teile der Kirche und kirchennahe Organisationen einstellen müssen. Erstens wird es deutliche Veränderungen in der Mitgliedschaft der Kirche geben – was insbesondere auch die aktuelle Mitgliedschaftsuntersuchung der EKD zeigt (2014). Es wird zu einem (weiteren) Rückgang der Mitgliedszahlen kommen, da auch weiterhin mehr Menschen aus der Kirche aus- als eintreten werden. Gewichtiger ist jedoch, dass die Zahl der Sterbefälle die Zahl der Taufen deutlich übersteigen wird (EKD, 2006: 18). Die Autoren des Papiers »Kirche der Freiheit« gehen daher davon aus, dass im Jahr 2030 17 Millionen Menschen Mitglied einer evangelischen Kirche sein werden,4 was nur noch zwei Drittel der Mitglieder des Jahres 2003 sind (EKD, 2006: 21). Dass mehr Menschen sterben als getauft werden, hängt auch mit dem demografischen Wandel in Deutschland zusammen. Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter, gleichzeitig werden weniger Kinder geboren (Statistisches Bundesamt, 2009). Die Folge ist, dass es zukünftig wesentlich mehr ältere Menschen in Deutschland geben wird. Das Gleiche gilt auch für die Kirchen. Es ist damit zu rechnen, dass der Anteil der über sechzigjährigen Mitglieder der Kirchen auf über 40 Prozent steigen wird (EKD, 2006: 21 f.). Aufgrund dieses Befundes in Verbindung mit der geringen Zahl an Taufen wird laut »Kirche der Freiheit« auch mit »entsprechenden Konsequenzen für die Schwerpunkte kirchlicher Arbeit« gerechnet (EKD, 2006: 21).5 4 Selbst wenn man davon ausgeht, dass der prozentuale Anteil evangelischer Kirchenmitglieder an der Gesamtbevölkerung von circa 30 Prozent konstant bleibt, wird sich aufgrund der sinkenden Bevölkerungszahl in Deutschland die absolute Zahl der Kirchenmitglieder deutlich reduzieren (EKD, 2006: 52). 5 An dieser Stelle müssten weitere Studien ansetzen und fragen, welche Auswirkungen der demografische Wandel etwa auf die kirchliche Kinder- und Jugendarbeit hat.
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Mit dem demografischen Wandel und der veränderten Struktur der Mitgliedschaft hängt auch die zweite Herausforderung für die Kirchen zusammen: die zukünftige finanzielle Lage. Wenn es weniger Mitglieder insgesamt gibt, von denen zudem viele im Rentenalter sind, sinken die Einnahmen aus Kirchensteuern. Konkret bedeutet das: »Die Basis der kirchlichen Finanzkraft halbiert sich!« (EKD, 2006: 22)6 Es stellt sich daher die Frage, wie die Kirche zukünftig finanziert werden soll und was überhaupt noch finanziert werden kann. Daher fordert das Impulspapier »ein tragfähiges Benchmarking (d. h. vergleichbare Kennziffern für vergleichbare Leistungen) für alle Bereiche kirchlichen Handelns« (EKD, 2006: 26). Die Beobachtung, dass Gottesdienste oftmals sehr schlecht besucht sind, gibt es schon seit der Reformation (Preul, 1997: 20 f.). Darüber hinaus stellt »Kirche der Freiheit« als dritte Herausforderung allerdings fest, dass sich mehr und mehr Menschen bei Werte- und Sinnfragen keine Antworten mehr von den etablierten Kirchen und immer weniger auch von den Freikirchen erhoffen. Fragen nach einem religiösen Sinn – die sich beispielsweise an den Themen Tod und Anfang der Welt entzünden oder in Diskussionen um die Sterbehilfe aufkommen (EKD, 2014: 24) – werden individualisiert gestellt und beantwortet, ohne dass die Antworten konsistent sein müssen (EKD, 2006: 24). Über Religion und Sinn wird zumeist im persönlichen Nahbereich, vor allem mit dem Partner oder der Partnerin, gesprochen (EKD, 2014: 27). Insofern ist Religionsausübung heute auch ohne Kirche und ihre Verkündigung möglich, denn religiöse Sinnsuche ist inzwischen von Kirche und ihrem Personal unabhängig geworden (Luckmann, 1991). Nicht nur leere Kirchen sind also die Herausforderung, sondern auch »leere Herzen« (EKD, 2006: 41). Darauf soll »mit neuen Formen der Verkündigung, der Gemeindebildung und kirchliche[n] Bildungsangebote[n]« reagiert werden (EKD, 2006: 20). Ihr gemeinsames Ziel ist, dass schlussendlich die Hälfte der Mitglieder regelmäßig kirchliche Angebote wahrnimmt und statt der heutigen vier Prozent künftig zehn Prozent der Kirchenmitglieder den sonntäglichen Gottesdienst besuchen (EKD, 2006: 52).
2.
Paradoxien von Fusionen
Die Kirchenreformpapiere der letzten Jahre versuchen, mit organisationsstrukturellen Veränderungen – wie eben Fusionen – eine angemessene Antwort auf die tiefer liegenden Herausforderungen für den Relevanzverlust der Kirche in unserer Gesellschaft zu finden. Wenn aber den aufgezeigten Herausforde6 Siehe zu Fragen der Kirchensteuereinnahmen aber auch den Beitrag von Christoph Meyns in diesem Band.
Reform oder Reformation?
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rungen mithilfe von Fusionen begegnet werden soll, führt dies zu Paradoxien, von denen wir drei ausführen. An erster Stelle ist zu nennen, dass Fusionen zwar mit dem Ziel antreten zu erneuern, dabei jedoch auch ein zerstörerisches Potenzial entfalten. Anschließend zeigen wir, dass bei aller Aufbruchs- und Veränderungssemantik Fusionen auch immer etwas Bewahrendes haben. Die dritte Paradoxie ist, dass Fusionen etwas organisieren wollen, was sie jedoch nicht organisieren können: die je individuelle und interaktive Glaubenspraxis.
2.1
Paradoxie der Erneuerung durch Zerstörung
Die Organisationsforscherin Nicole Woolsey Biggert (1977) zeigt schon in einem ihrer frühen Aufsätze anhand der Reform des Postwesens in den USA, dass Organisationsreformen ein sowohl schöpferisches als auch zerstörerisches Potenzial besitzen. Unsere These zur Paradoxie der Erneuerung durch Zerstörung baut auf ihren Ausführungen auf und wir wollen zeigen, dass eine Fusion ein kreativer und zugleich destruktiver Prozess ist (Biggart, 1977: 410). Hierzu ist es jedoch notwendig aufzuzeigen, was Fusionen und Kooperationen unterscheidet. Denn das Kontinuum kirchlicher Zusammenarbeit reicht vom regelmäßigen Kanzeltausch bis zur Fusion von Landeskirchen. Dazwischen gibt es Kooperationen zweier Landeskirchen oder Gemeindefusionen sowie Konföderationen, Arbeitsgemeinschaften und Gemeindeverbünde, aber auch schon über Jahrzehnte gewachsene Verbindungen zwischen benachbarten Kirchengemeinden. Was ist aber dann genau gemeint, wenn man von Fusion oder Kooperation spricht und wie lässt sich beides unterscheiden? Orientiert man sich an der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zu Merger & Acquisitions (Jansen, 2008), wird als Kriterium zur Unterscheidung von Fusion und Kooperation immer wieder die rechtliche Selbständigkeit angeführt. Dies trifft sich auch mit kirchenrechtlichen Überlegungen (Janz, 2007; Munsonius, 2007).7 Unter Kooperationen wollen wir daher all die Aktivitäten zählen, die die rechtlich selbständige Stellung der beteiligten Gemeinden, Kreise oder Landeskirchen unangetastet lassen. Beispiele für Kooperationen sind gemeindeübergreifende Jugendarbeit, eine Diakonin, die für mehrere Kirchengemeinden zuständig ist, oder die gemeinsame Ausbildung des theologischen Nachwuchses von mehreren Landeskirchen. Auch wenn gemeinsam Strukturen genutzt oder aufgebaut werden – wie beispielweise ein gemeinsames Kirchenkreisamt als sogenanntes »Shared Service Center«, wie man es auch bei inter-
7 Siehe auch den Beitrag von Annette Rabe in diesem Band.
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kommunaler Kooperation findet –, handelt es sich um Kooperationen, wenn die beteiligten Einheiten weiterhin für sich bestehen bleiben.8 Fusionen hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass die beteiligten Organisationen durch die Fusion rechtlich in eine neue kirchliche Einheit überführt werden. Der Kirchenjurist Norbert Janz schreibt mit Blick auf Gemeindefusionen: Sie »bewirken die Auflösung der bisherigen (Teil-)Kirchengemeinden und die Verschmelzung zu einer einheitlichen Kirchengemeinde […]« (Janz, 2007: 2). Gleiches gilt jedoch ebenso für Kirchenkreise und insbesondere Landeskirchen. Die neu gebildete Nordkirche entstand durch Fusion dreier vormals selbständiger Landeskirchen,9 wobei die drei Kirchen durch die Fusion in einem juristischen Sinne aufhörten zu existieren.10 Fusionen – worunter auch Gemeindeverbünde und Gesamtkirchengemeinden zählen (Evangelische Kirche im Rheinland, 2010) – gehen daher auch einher mit einem neuen Namen, aber zumeist auch mit einer schlankeren Verwaltung und weniger Pfarrstellen. Die Besonderheit der Fusionen im Gegensatz zur Kooperation ist demnach, dass Neues – aber auch zuerst Unbekanntes – entsteht: Pastorinnen und Pastoren sind nun für größere Bereiche zuständig, sodass einige neue Gemeindemitglieder zu Beginn unbekannt sind. Verwaltungsmitarbeitende müssen sich auf neue Kolleginnen und Kollegen einstellen, sodass eine neue Form der Kollegialität und Zusammenarbeit gefunden werden muss. Diese Erneuerung und dieses Kennenlernen des Neuen werden jedoch von zerstörenden Prozessen begleitet: Eingespielte Routinen zwischen den Verwaltungsmitarbeitern können nicht weiter bestehen, da neue Mitarbeitende dazugekommen sind. Absprachen, die vor einer Fusion immer »in der berühmt-berüchtigten Kaffeeküche« (Kühl, 2011: 79) getroffen wurden, sind nicht mehr möglich. Es ist plötzlich nicht mehr klar, ob die örtliche Bäckerei wie immer Brötchen für das Gemeindefest spendet, wenn das Fest nach der Fusion im Nachbardorf stattfindet. Informelle Strukturen, die sich über Jahre oder gar Jahrzehnte etabliert haben, werden durch Fusionen zum Teil gekappt bzw. müssen den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Das zerstörerische Potenzial der Fusionen liegt darin, dass Geschichte nicht ohne Weiteres weitergehen kann: Ein »Das war schon immer so« kann es in der neuen Kirchengemeinde nicht geben, es muss neu ausgehandelt werden. 8 Eine fest institutionalisierte Zusammenarbeit wie die »Konföderation Evangelischer Kirchen in Niedersachsen«, die aus der Landeskirche Hannover, der Landeskirche in Braunschweig, der Kirche in Oldenburg, der reformierten Kirche in Nordwestdeutschland und der Landeskirche in Schaumburg-Lippe gebildet wird, ist in dem vorgeschlagenen Sinne ebenfalls eine Kooperation, da die beteiligten Kirchen rechtlich weiterhin bestehen bleiben, obwohl feste Strukturen geschaffen und Kompetenzen der Kirchen an die Konföderation abgetreten werden (Hofmann, 2007: 2). 9 Siehe hierzu insbesondere auch den Beitrag von Christoph Meyns in diesem Band. 10 Diese rechtliche Definition sagt jedoch wenig darüber aus, ob die Kirchen auch »in den Köpfen« aufhören zu existieren.
Reform oder Reformation?
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Routine wird zerstört, bietet dann aber Platz für neue Routinen, neue Absprachen und Gespräche in der Kaffeeküche mit den neuen Kolleginnen und Kollegen.11
2.2
Paradoxie der Bewahrung durch Veränderung
Fusionen im kirchlichen Raum sind aber nicht nur paradox, indem sie zerstören, um zu erneuern, sondern auch, weil sie bewahren, indem sie verändern. Beide Paradoxien stehen auf den ersten Blick im Widerspruch zueinander. Allerdings adressieren sie unterschiedliche Ebenen der Organisation Kirche. Zerstört wird Vergangenheit in Form von eingespielten Routinen, bewahrt wird jedoch die Organisation als Ganzes. Es war vorher Kirche und bleibt auch durch die Fusion Kirche: Es gibt weiterhin Pastorinnen und Pastoren, Kirchenkreisämter bleiben als solche bestehen und Kirchenmusik findet weiterhin statt. Die kirchliche Gliederung mit Landeskirchen, Kirchenkreisen und Gemeinden bleibt im Prinzip bestehen – umgestaltet werden zumeist nur die regionalen Zuschnitte –, wie sich auch das Personal weiterhin aus Geistlichen, Ehrenamtlichen und Verwaltungsmitarbeitenden zusammensetzt – Änderungen gibt es höchstens im Verhältnis zueinander. Fusionen beziehen sich vor allem auf die organisationsstrukturelle Seite der Kirche und dies vor allem in der Absicht, die Kirche als Organisation funktionsfähig zu erhalten, damit genug Pfarrstellen vorhanden, Gebäude bewirtschaftet, Diakone und Jugendreferentinnen bezahlt, Kindergartenplätze vorgehalten, Kirchensteuereinnahmen gesichert oder neues Personal ausgebildet werden können. Aus einer reformtheoretischen Perspektive handelt es sich bei einer Kirchenfusion also um eine Maßnahme, die die Kirche in ihrer Funktionsfähigkeit bewahren will, und damit haftet jeder Fusion auch etwas Konservatives an.12 Kurzum: Wer eine Fusion anstrebt, tut dies in der Absicht, dass die betroffenen Organisationen daraus gestärkt hervorgehen und ihre Überlebensfähigkeit – dann gemeinsam – gesichert ist. Auf diesen Gedankengang und der mit ihm einhergehenden »Paradoxie der Reform« hatte bereits Christian Graf von Krockow (1976) in seinen Untersuchungen zur Theorie der Reform hingewiesen (vgl. auch Greiffenhagen, 1978: 8 f. und insbesondere auch Jung, 2008: 103). Sein Kerngedanke lautete: Organisationsreformen streben eine Veränderung an, um das Bestehende zu bewahren. Die Konzeption des Wandels soll dafür Sorge tragen, dass etwas so bleiben kann, wie es ist. »Der Reformer will vermitteln, das Gegenwärtige mit 11 Dass diese Aushandlungsprozesse nicht ad hoc funktionieren, sondern aufgrund einer organisationalen Trägheit ein langwieriger Prozess sind, zeigt Thomas Hoebel in diesem Band. 12 Das gilt selbst dann, wenn sich in der täglichen Arbeit ihrer Mitglieder viel ändert.
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dem Kommenden verbinden; er will das Bestehende verändern, um es zu erhalten« (Krockow, 1976: 82). Es geht folglich um eine Bewahrung durch Veränderung. Reformen stellen institutionelle oder organisationale Veränderungen dar, »die auf eingetretene oder erwartete Veränderungen antworten, welche eine Institution mit Funktionsunfähigkeit bedrohen« (Krockow, 1976: 18). So beobachtet man etwa einen Rückgang der Kirchensteuereinnahmen, sieht dadurch den Fortbestand der Organisation in seiner aktuellen Form gefährdet und strebt eine Veränderung (zum Beispiel in Form einer Fusion) vor allem deshalb an, um die Gefährdung abzuwenden oder zumindest abzumildern. Die Kirche reorganisiert sich mit den Mitteln der Fusion, um im Kern das zu erhalten, was bereits vorhanden ist: Verwaltungsstrukturen, Gebäude, Kirchenrecht, Karrierewege und vieles mehr. In diesem Sinne haben alle Reformen deshalb etwas Rückwärtsgewandtes, weil sie vor allem durchgeführt werden, um den Fortbestand der eigenen Organisation zu sichern. Niemand käme ja auf die Idee, mit einer anderen rechtlichen Einheit zu fusionieren, wenn es nicht vor dem Hintergrund eines konkreten Bedrohungsszenarios zu verhindern gälte, dass der eigene Fortbestand auf dem Spiel steht. Aus diesem Grund sind Reformen auch kein organisationaler Sonderfall, sondern »Routine der Organisation«. Wir folgen hier im Wesentlichen den Argumenten von Nils Brunsson (2005; Brunsson u. Olsen, 1997) und Niklas Luhmann (2006: 330 ff.; siehe bereits 1971), verweisen aber auch auf deren Rezipienten in der Organisationstheorie (Baecker, 2005; Corsi, 2005; Esposito, 2005; Tacke, 2003). Werden strukturelle Reformen normalerweise als eine Form der Unterbrechung organisationaler Normalität verstanden (es soll ja etwas anders gemacht werden), so soll hier vor allem darauf hingewiesen werden, dass Reformen selbst zu einer Normalität, eben zu einer Routine im Alltag der Kirche und auch bei kirchennahen Organisationen geworden sind. So markant und originell die Forderungen nach einer neuen Kirche, nach einer »Kirche der Freiheit«, nach einer Fusion zweier Landeskirchen oder nach neuen Strukturen auch daherkommen (und so richtig sie auch für den Erhalt der Funktionsfähigkeit kirchlicher Strukturen sein mögen), so sehr muss in den Blick genommen werden, dass es die Versuche der organisationsstrukturellen Seite der Kirche sind, eben jene Strukturen »in die neue Zeit zu retten«. Darüber hinaus unterschätzen Kirchen das Potenzial einer Fusion, ein organisationales Ablenkungsmanöver zu sein. Nils Brunsson und Johan P. Olsen (1997) haben in ihrer Arbeit über die Reform der Verwaltung bereits angedeutet, dass eine Reform mitunter dazu führt, dass sich eine Organisation nicht wirklich ändern muss, weil allein das Vorhandensein einer Reform äußere Kritik und die Wahrscheinlichkeit externer grundlegender Interventionen unwahrscheinlicher macht.
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»In this light reform projects can be seen as one step in moulding public opinion, and the very fact that reform is being attempted tells the outside world that the organization is open to change and renewal. A visible willingness to change may then make it easier for the organisation to acquire resources and support, and to shield itself from criticism and external interventions. Such an interpretation helps to explain why so many reforms are attempted, even though they have little effect on structures and processes, let alone on results« (Brunsson u. Olsen, 1997: 10).
Eine solche Sichtweise geht dann nicht von der Prämisse aus, dass es sich bei einer Verwaltung um ein System rationaler Problemlösung handelt, sondern lässt Raum für Irrationalität und sogar Heuchelei (Brunsson, 1989; 1985). Es ist deshalb davon auszugehen, dass Fusionen diese Irrationalitäten zum Vorschein bringen, nie nur Lösung sind, sondern immer auch neue Probleme generieren.
2.3
Paradoxie der Organisation des Unorganisierbaren
Die Reformanstrengungen der Kirchen, die insbesondere durch »Kirche der Freiheit« ausgelöst wurden, überschätzen die Steuerbarkeit des Religiösen, indem sie, »wie in den siebziger Jahren, auf rigide Organisationsstrukturen, auf Stellen und Positionen und damit auf eine Ausweitung formaler Organisation« setzen (Karle, 2010: 191). Im Kontext der Kirche sollte aber ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, dass es sich hier um einen besonderen Organisationstyp handelt (Petzke u. Tyrell, 2012). Die Besonderheit von Kirchen liegt jedoch in der Religion selbst begründet, da Religion immer zwei Seiten hat: eine organisierbare und eine nicht organisierbare. »Was in den Köpfen der zahllosen Einzelmenschen stattfindet« (Luhmann, 1998: 137) – der Glaube des Einzelnen –, ist für die Organisation Kirche nicht erreichbar. Nicht jede Form der Religiosität ist kommunikativ zugänglich (Karle, 2008: 242). Wird aber durch eine Fusion versucht, beide Seiten zugleich zu adressieren, führt dies zur Paradoxie der »Organisation von Unorganisierbarem« (Nassehi, 2009: 208; Hervorhebung gelöscht). Fusionen stoßen daher an ihre Grenzen, wenn es um mehr als um die Veränderung der Organisationen geht – der direkte Zugriff auf den Glauben ihrer Mitglieder ist ihnen prinzipiell verwehrt. Die Suche des Einzelnen nach Sinn (in all ihren möglichen Formen) ist zuerst eine Angelegenheit, die entweder allein (bzw. nur mit Gott) oder in der Versammlung mit anderen geschieht. Letzteres bedeutet konkret: gemeinsames Gebet, gemeinsame Lesung biblischer Texte, aber ebenso auch Gottesdienst, Predigt, Beichte und Seelsorge oder schlichtweg das Gespräch mit anderen über Gott und Glauben. Religiöses Erleben und Handeln vollzieht sich zumeist in der Interaktion, in der konkreten Wahrnehmung der oder des Anderen (Karle, 2008; Luhmann, 1972). Auch für die Mitgliedschaft einer Person in einer Kirche
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spielen Interaktionen eine herausgehobene Rolle, wobei aber auch andere Faktoren wie das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit nicht zu vernachlässigen sind. Ein Gottesdienst oder das Seelsorgegespräch sind für die Mitgliedschaft so wichtig, »weil Interaktion grundlegend ist für die Vertrauensbildung und eine ganz andere Anschaulichkeit, Authentizität und Nachhaltigkeit erzeugt als mediale oder indirekte Formen der Kommunikation« (Karle, 2010: 88; Hervorhebung im Original). Kirche und Religion werden erfahrbar durch die Interaktion, im direkten Austausch mit anderen. Religiöse Interaktionen wie eben Gottesdienste hängen von den Personen ab, die nicht beliebig austauschbar, sondern einzigartig sind:13 Es kommt darauf an, wie die einen Gottes Wort verkünden und wie die anderen es aufnehmen. »Religiöse Kommunikation lebt vom Vertrauen in die Glaubwürdigkeit derer, die an der Kommunikation beteiligt sind.« (Karle, 2010: 145) Kirchen können zwar einen Rahmen schaffen, in dem Gottesdienste stattfinden und Möglichkeiten des Kontakts von Personen ermöglicht werden. Was dann jedoch genau in der Interaktion passiert, entzieht sich dem Zugriff der Organisation. Denn »der organisatorische Zugriff auf das religiöse Leben kann nur ein organisatorischer Zugriff sein – im Sinne der Herstellung von Verantwortlichkeiten, Mitgliedschaftsbedingungen, Finanzierung, Stellenplanungen, Programmierung von Kernund Nebenkompetenzen, Differenzierungen und Entdifferenzierungen, Entscheidungsprozeduren usw. Organisiert werden kann eben nur, was organisiert werden kann – so binsenweisheitlich sich das anhört […].« (Nassehi, 2009: 216)
Der Versuch, die kirchliche Praxis zu organisieren, führt in die Paradoxie, denn aufgrund der »Eigendynamik interaktiver Kommunikationsformen« (Karle, 2009b: 178) kann man von Seiten der Kirche als Organisation nicht ohne Weiteres darauf zugreifen. Für die Kirche bleibt deshalb die Frage akut, wie sie auf interaktionaler Ebene neue, an die Gesellschaft anschlussfähigere Formen entstehen lassen kann – als Antwort auf die »Verbuntung« der Gesellschaft (Zulehner, 2011: 53 ff.). Wie kann sie inmitten der modernen und globalen Popkultur wieder relevant für alle Menschen sein und wie ihre Wirksamkeit erhöhen? Wie kann sie im inhaltlichen 13 Die Einzigartigkeit der Personen spielt auch in diakonischen Unternehmen eine Rolle, wenn es darum geht, Pflege- und Assistenzleistungen in face-to-face-Interaktionen mit Kundinnen und Kunden zu erbringen. Denn die diakonischen und caritativen Dienstleistungen haben sich zu einem professionellen Handeln entwickelt, das sich ebenso dem Zugriff der Organisation entzieht. Die Betrachtung des Einzelfalls steht zumeist im Mittelpunkt und die Anforderungen der Organisation stehen dahinter zurück (Bode, 2012; Klatetzki, 2012). Wenn die Organisation dennoch versucht, die Interaktionen zu organisieren, schlägt es dann zum Teil absurde Blüten, indem beispielsweise die Zeit zum Waschen eines Kunden auf wenige Minuten festgesetzt wird.
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Kern Kirche bleiben – denn es ergibt für die Kirche keinen Sinn, wenn sie aus einem unpassenden einen passenden Gott macht (Johann B. Metz) – in der Form aber bereit werden, alles zur Disposition zu stellen, was hinderlich ist, die Herausforderungen der Zukunft zu meistern?
3.
Reform oder Reformation?
Mit diesen Fragen soll angedeutet sein, dass es für die Kirche gegenwärtig nicht ausschließlich darum gehen kann, organisationsstrukturelle Reformen auf den Weg zu bringen, sondern dass sie zugleich vor einer neuen, sagen wir reformatorischen Herausforderung steht. Die Unterscheidung von Reform und Reformation ist für das Nachdenken über Kirchenfusionen instruktiv. Bei einer Reform handelt es sich, wie bereits gezeigt, unter anderem um einen Versuch der Organisation – mit Mitteln der Organisation! – den Fortbestand der Organisation zu sichern, ohne dass dabei jedoch die interaktionale Seite lokal-gemeindlicher religiöser Praxis verbessert werden kann, da sie durch Reformen schlichtweg nicht erreicht werden kann. Der Begriff Reformation adressiert jedoch genau diese Seite der Kirche, indem es eben zugleich um eine spirituelle und damit unverfügbare Erneuerung geht. Eine Reformation ist allerdings mit ausschließlich organisationsstrukturellen Mitteln nicht ohne Weiteres herbeizuführen, wenn Kirche nicht nur ihre organisationale Funktionsfähigkeit erhalten will, sondern wieder für mehr Menschen relevanter werden will, als sie dies heute ist. »Der Grundimpuls der Reformation zielt darauf, aus der biblischen Überlieferung heraus Menschen einen neuen Zugang zum Glauben an Gottes gnädige Zuwendung zu ermöglichen, die als Trost, Stärkung und Befreiung im eigenen Leben erfahren werden kann. Zur Signatur evangelischen Christseins gehört Freiheit. Die Bindung an Jesus Christus eröffnet Raum für die persönlich verantwortete Gestaltung der christlichen Existenz und des kirchlichen Auftrags, den Auftrag besonderer Ämter eingeschlossen. Doch die christliche Freiheit ist nicht mit Beliebigkeit zu verwechseln; sie trägt vielmehr ein spezifisches Profil. Zu ihr gehört die Bereitschaft, Verantwortung füreinander und für den Weg der Kirche zu übernehmen« (EKD, 2006: 18).
Das bedeutet keineswegs, dass die Kirche auf Reformen verzichten könnte. Sie sind mitunter akut notwendig. Aber es bedeutet, dass organisationsstrukturelle Reformen allein viel zu kurz greifen bzw. in Paradoxien führen und dass sie nicht als hinreichend angesehen werden sollten, um den großen Herausforderungen zu begegnen, die sich der Kirche stellen. Dies alles ist kein Plädoyer gegen ökonomischen Sachverstand, sondern vielmehr gegen eine alleinige Fokussierung auf das ökonomische Anliegen. Denn: Ökonomisch denken heißt vor allem, begrenzte Mittel so zu verwenden,
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Stefan Jung und André Armbruster
dass man seine Ziele erreicht. Und begrenzt sind solche Mittel immer. Vielmehr geht es um die Aushandlung eben dieser Ziele, der Setzung von Prioritäten und um strategisches Denken bei der Zielerreichung. Vermutlich ist es nicht falsch, zu sagen, dass die Krise der Kirche nicht zuallererst eine Finanzkrise ist, sondern eine Strategiekrise im Umgang mit einer sich stark verändernden Umwelt (siehe hierzu auch Thomas, 2007: 379 ff.).14 Das bedeutet, dass man die eigene Organisation mit der Frage konfrontieren muss, was die eigenen Ziele15 eigentlich sind, welche Prioritäten man neu setzen will und welche Mittel und Wege es gibt, die eigene Vision unter veränderten Bedingungen lebendig zu halten. Eine typische evangelische Kirchengemeinde ist »nach den Mustern der Vereine organisiert, die im 19. Jahrhundert entstanden sind: Es gibt die Frauenhilfe und die Krabbelgruppe, einen Bibelkreis und einen Jugendtreff und vermutlich noch andere Gruppen, die durch Interesse, Alter oder Geschlecht bestimmt sind. [… Aber] kann ein Flashmob ein vollgültiger Gottesdienst sein?« (Brudereck et al., 2013: 95)
Das führt zu der Frage, ob es in diesem Sinne nicht an vielen Stellen eher um eine Auflösung alter Strukturen gehen müsste. Anstatt durch eine Fusion die Strukturen der Kirche zu bewahren, aber das religiöse Erleben und Handeln der Menschen nicht zu erreichen, wäre das Nachdenken über die Auflösung des Bestehenden instruktiv und könnte dadurch eine Möglichkeit schaffen, die »leere[n] Herzen« (EKD, 2006: 41) der Menschen zu erreichen. Dies alles ist ein reformatorisches Anliegen. Ökonomisch denken ist eine kreative Leistung, weil man überlegen muss, wie man mit der eigenen Begrenzung schöpferisch umgehen kann. Wer ökonomisch denkt, der versucht nicht, das Bestehende irgendwie abzusichern (beispielsweise durch Sparmaßnahmen oder eben durch eine Fusion), sondern die begrenzten Ressourcen (Geld, Personal, Gebäude, Zeit etc.) so einzusetzen, dass die Ziele der eigenen Organisation unter veränderten Umweltbedingungen erreicht werden. Es macht einen großen Unterschied, ob man sein Denken und die geführten Diskurse bei dieser Neubestimmung primär an den Defiziten, Mangelerscheinungen und Problemen orientiert und daraufhin anfängt, zu geizen und mit der Gießkanne Sparmaßnahmen zu verkünden, oder aber, ob man sich an einer Vision orientiert, auf den 14 Die Fokussierung auf das Ökonomische sieht man in »Kirche der Freiheit« (EKD, 2006) besonders deutlich an der Gleichsetzung von Zahlungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit, wenn ausgeführt wird: »Jedes ›Weiter so!‹ führt in ein finanzielles Desaster und damit zum Ende jeglicher Handlungsfähigkeit.« (EKD, 2006: 25; siehe hierzu auch insbesondere Tyrell, 2008: 181). 15 Die Aushandlung der Ziele ist dabei jedoch auch ein schwieriger und höchstwahrscheinlich langwieriger Prozess, da das Funktionssystem Religion selbst keine eindeutigen Organisationsziele vorgibt (Luhmann, 2002). Deshalb sind Strategiediskurse in religiösen Organisationen mit dem Problem konfrontiert, Kontingenz zu verarbeiten.
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eigenen Auftrag zum diakonischen Handeln blickt und zur reformatorischen Mitte zurückfindet. In diesem Sinne ginge es vielmehr um Ressourcen- bzw. Verheißungsorientierung im Gegensatz zur vorherrschenden Problemorientierung, die primär danach fragt, wie man unter erschwerten Bedingungen die Kirche als Organisation in ihrem »So-Sein« funktionsfähig erhält.
4.
Irritationen und Innovationen
Dass Veränderungen möglich sind, beweisen wachsende, junge Initiativen, neu gegründete Basisgemeinden an den Rändern der Kirche, die sich vor allem durch zweierlei auszeichnen: nämlich einerseits kein Geld zu haben, aber andererseits in spiritueller Hinsicht eine große Mobilisierungskraft zu besitzen (Hennecke, 2013; Brudereck et al., 2013; Kimball, 2003). Für die etablierten Kirchen ist es geradezu irritierend, dass es ausgerechnet diese oftmals mittellosen Organisationen schaffen, soviel Innovationskraft zu entwickeln, Leute anzuziehen und Dinge in Bewegung zu bringen. Auf der interaktionalen Ebene leben sie die eigene Vision, stiften Gemeinschaft, handeln gemeindenah diakonisch, feiern Gottesdienst und vieles mehr. Man knüpft an das an, was vorhanden ist, sei es auch noch so klein oder gering, und wartet nicht auf das, was fehlt. Diese Lösungs- und Ressourcenorientierung junger, quirliger und oftmals unkonventioneller Organisationen wirkt wie ein Schlüssel zum Erfolg. Diese jungen Basiskirchen handeln keineswegs unökonomisch, sondern hoch effizient. Das Wahren von Besitzständen und eine Konzentration auf die Mängel führen im Gegensatz dazu unweigerlich zu unpopulären Sparmaßnahmen, was wiederum nicht zu einer spirituellen Mobilisierungskraft beiträgt. Dass Veränderungen dabei nicht leicht fallen, ist an den Resonanzen zu sehen, die Fusionen hervorrufen. Daher ist es die Aufgabe der Führung, die eigene Organisation und insbesondere ihre Mitglieder mit der Notwendigkeit zu konfrontieren, sich in der Form an eine veränderte Umwelt anzupassen und – wo nötig – auch zu repositionieren sowie kreative Strategien zu finden, um eine Vision ins Leben zu bringen. Aber wie kann die Führung die Organisation mit der Notwendigkeit konfrontieren, dass sich etwas ändern muss, um das zu erhalten, was man als die »nicht frei variierenden Grundlagen« der Kirche ansieht, die sich außerhalb der Reichweite eines Entscheidens unter Kostengesichtspunkten befinden (Tyrell, 2008: 195 f.; Karle, 2010: 123)? Ein Schlüssel für die Führung sind sicherlich Irritationen. Wer es schafft, die eigene Organisation irritierbar zu halten, trägt zu ihrer Veränderbarkeit erheblich bei. Bestehendes wird am besten »verlernt«, wenn Not erfinderisch machen muss, wenn das System irritiert ist, vielleicht gar »aufgescheucht«. Kirchenfusionen, Gemeindehausverkäufe und Personalabbau können eine
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Stefan Jung und André Armbruster
Reaktion auf Irritationen sein, die dann jedoch besonders stark von der Ökonomie und weniger von der Theologie beeinflusst sind. Vor allem aber könnte eine irritierbare Kirche bereit für eine reformatorische Neubesinnung werden und sich an ihre eigenen spirituellen Ressourcen erinnern lassen. In ihrer eigenen Tradition verfügt sie über eine Vision, die alles andere ist als Mangelverwaltung und Organisationssicherung: Wer erkannt hat, dass mit nur 5 Broten und 2 Fischen 5000 Leute satt zu kriegen sind, hat eine Ahnung, dass man in Kirche und Diakonie vor allem dann professionell ist, wenn man die eigene Führung und das Management weniger an den sogenannten ökonomischen Sachzwängen orientiert als vielmehr an den noch immer vorhandenen Ressourcen sowie an der eigenen Vision und diese dann nicht mit dem Status quo verwechselt. Das könnte tatsächlich zu einer »Kirche der Freiheit« führen, die man durch einen meist vorschnellen Griff in den Werkzeugkoffer der Betriebswirtschaftslehre allein sicherlich nicht erleben wird. »Eine religiöse Organisation als solche bietet kaum Identifikationschancen. Dies wird von manchen Reformen zu wenig bedacht. […] Religion bedarf zwingend der Sozialformen außerhalb der Organisation, der freien Geselligkeit, wie Schleiermacher formuliert, sonst kann sie sich nicht entwickeln und gedeihen« (Karle, 2008: 242 f.). Zu fragen wäre nun, wie die organisierte Seite der Kirche jene Bedingungen herstellen kann, dass es zu solchen reformatorischen Aufbrüchen kommen kann, damit der interaktionale Teil der Kirche wieder an Attraktivität für die Menschen gewinnt als der Ort, »an dem Menschen fast 2000 Jahre ihre Gebete sagen und ihre Lieder singen; wo sie getröstet werden und wo sie die Hoffnung lernen; die Kirche als ein Ort der Geschichten von der Zuneigung Gottes« (Steffensky, 1998: 14). Was als attraktive Form von Kirche wahrgenommen wird, sieht freilich in einer postmodernen Gesellschaft anders aus als in der Organisationsform einer Kirche des 19. oder 20. Jahrhunderts. Ganz sicher weist das Impulspapier »Kirche der Freiheit« in die richtige Richtung und ist eine wichtige Intervention. Offen indes ist, ob die Kirche hinreichend irritationsfähig ist, diese Intervention für die eigene Erneuerung wachzuhalten und zu nutzen, die über Organisationsreformen hinausreicht. Denn Veränderungen, und gerade reformatorische, bedürfen des Muts der Führung und der Mitglieder. Und ist die Kirche als Ganzes mutig und lässt sich auf Neues ein, könnte das mitunter jedoch zu noch radikaleren Formen führen als Kirchenfusionen und Kooperationen.
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Johannes Eurich und Jürgen Hädrich
Fusionen als Modernisierung: Organisationswandel und Theologie am Beispiel der Diakonie
Fusionen im Bereich diakonischer Organisationen sind Ausdruck von Veränderungsprozessen auf dem (Quasi-) Markt sozialer Dienstleistungen und eine Form der Anwendung ökonomischer Prinzipien in der Sozialwirtschaft. Sie stehen im Zusammenhang mit dem Einzug von betriebswirtschaftlichen Betrachtungsweisen und Steuerungsinstrumenten in diakonische Einrichtungen als Folge veränderter Rahmenbedingungen im Wohlfahrtsbereich (vgl. Eurich u. Maaser, 2013): Das Selbstkostendeckungsprinzip wurde durch eine fixe Budgetierung abgelöst, während gleichzeitig die öffentlichen Zuschüsse zurückgingen oder mit der Kostensteigerung nicht einhergingen. Diese als Teil der Ökonomisierung im Bereich der sozialen Dienstleistungserbringung bezeichnete Entwicklung erzeugt unterschiedliche Effekte. Auf organisationaler Ebene bringt sie eine Reihe von Vorteilen mit sich: die Optimierung von Ablaufprozessen, die Modernisierung bestehender Strukturen, die Sicherung der Qualität personenbezogener sozialer Dienstleistungen (Qualitätssicherungssysteme), wie überhaupt die Realisierung bisher ungenutzter Effizienzpotenziale. Eine höhere Transparenz bei Leistungen und Kosten sowie ein neues Beziehungsmodell zu den Menschen mit Hilfebedarf, das Selbstbestimmung und Wahlfreiheit akzentuiert, sind ebenfalls positive Effekte. Die Ökonomisierung im Bereich der sozialen Dienstleistungserbringung führt jedoch auch zu einem fundamentalen Wandel in diakonischen Einrichtungen. Aus Wertegemeinschaften werden sozialwirtschaftliche Unternehmen (vgl. Rauschenbach, Sachße u. Olk, 1995), die ihre Leistungen auf dem Sozialmarkt anbieten. Sie müssen mit anderen Anbietern in einen Wettbewerb um Kunden sowie um die Refinanzierung ihrer Leistungen treten. Eine Priorisierung des ökonomischen Denkens kann hier zum Verlust sowohl von Profil als auch von der »Mission« gemeinnütziger Organisationen im Wohlfahrtsbereich führen. Zudem wird von der öffentlichen Hand in etlichen Handlungsfeldern wie beispielsweise der Pflege alter Menschen zum Teil eine rigide Kostendeckelung verfolgt, die zu einem reinen Kostenwettbewerb mit entsprechend negativen Konsequenzen für die Qualität der Dienstleistung wie entsprechenden Auswirkungen auf die be-
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Johannes Eurich und Jürgen Hädrich
troffenen Menschen (zu Pflegende, aber auch Pflegekräfte und Angehörige) führen kann. Es ist diese wettbewerbliche Situation, die Fusionen als bedeutsame Option erscheinen lassen, im Wettbewerb einen besseren Stand zu haben. Auch wenn es früher schon Zusammenschlüsse von diakonischen Einrichtungen gab, erhalten Fusionen erst heute einen strategischen Wert. Von Fusionen verspricht man sich zumeist das Wachstum zu einer kritischen Größe der betrieblichen Einheit, um besser neben anderen Anbietern bestehen zu können oder um die Leistungen in einer Region zu konzentrieren. Fusionen werden ebenso angestrebt, um das Leistungsspektrum auszuweiten bzw. das Aufgeben von Aufgabenfeldern zu verhindern oder um eine größere Breitenwirkung zu erreichen und die Stimme im Verbandsgebiet zu stärken (vgl. Beck, 2006). Da Fusionen immer gravierende Einschnitte in die beteiligten Organisationen bedeuten und auch misslingen können – etwa weil sich die rechtlichen Strukturen der beteiligten Träger nicht vereinbaren lassen oder die Interessen oder auch die Kulturen der Beteiligten doch zu unterschiedlich und unvereinbar sind – erfolgen sie für gewöhnlich erst dann, wenn Optimierungen des Betriebes oder andere Korrekturen nicht mehr greifen. Der Hauptanlass für Fusionen ist fast immer wirtschaftlicher Druck. Die Vorteile, die Fusionen bringen, können beträchtlich sein. So kann die Steuerung der neuen Organisation leichter sein, wenn es nur noch einen Träger gibt. Die Fusion kann eine Stärkung der Einrichtung in der Region bedeuten sowie den Erhalt von Kapazitäten. Eine Steigerung der Leistungen und eine weitere Spezialisierung können zu einer besseren Versorgung beitragen. Und nicht zuletzt besteht die Möglichkeit, dass durch Fusionen auch Arbeitsplätze geschaffen werden (vgl. Schwartz, 2013). Diakonische Organisationen sind heute (wie auch früher schon) auf ökonomische Rationalität und Strategie angewiesen. Und diese macht betriebswirtschaftliches Know-how unerlässlich. Aber diakonische Organisationen sind nicht nur Unternehmen. Sie bewegen sich in einem Handlungskontext, in dem staatliche Unterstützung, Unternehmertum, kirchliche Bindung und zivilgesellschaftliches Engagement zusammenlaufen. Deswegen kann es bei ihnen nicht nur um ökonomische Parameter gehen, sondern auch um die Einbettung in eine übergeordnete sozialstaatliche Zweckbestimmung. Und selbst in ihrer betriebswirtschaftlichen Ausrichtung unterscheiden sich diakonische Organisationen von solchen der Erwerbswirtschaft, weil die Sozialwirtschaft Besonderheiten aufweist.
Fusionen als Modernisierung
1.
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Die Besonderheiten der Sozialwirtschaft
Auch wenn Organisationen sozialer Dienstleistungen privatisiert werden, die Organisationssteuerung bei sozialen Dienstleistern nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgt und Organisationen der freien Wohlfahrtspflege mit privatwirtschaftlichen konkurrieren, gibt es im Bereich der Sozialwirtschaft keinen freien Markt, sondern lediglich einen Quasi-Markt. Das liegt daran, dass Kernelemente des freien Marktes sich nicht einfach auf den Sozialmarkt übertragen lassen und der Sozialmarkt Besonderheiten aufweist, die über den freien Markt hinausführen. Für den freien Markt sind Wettbewerb und Konkurrenz konstitutiv, Erfolg und Scheitern, Angebot und Nachfrage als Spannungsfeld der Preisbildung sowie Symmetrie zwischen Anbietern und Nachfragern. Auf dem Sozialmarkt ist bereits die Preisbildung nicht das Ergebnis eines Austarierens von Angebot und Nachfrage, sondern sie erfolgt durch den Staat – sei es durch Ausschreibungen, sei es durch Aushandeln zwischen staatlichen Institutionen auf der einen Seite und Dienstleistern, Trägern und Verbänden auf der anderen Seite (vgl. Eurich, 2013b). Auch bezüglich des Kundenbegriffs gibt es in beiden Feldern erhebliche Differenzen. Während der Kunde auf dem freien Markt der souveräne Entscheider ist, der sich für und gegen Produkte und Dienstleistungen entscheidet, passt das Verständnis des selbständigen Kunden auf dem Sozialmarkt – je nach Handlungsfeld – nicht oder zumindest nicht in jedem Fall, denn eine souveräne Entscheidung und Handlungsfreiheit liegt bei bestimmten Klientelen nicht vor oder ist gerade erst das Ziel der angebotenen Dienstleistung. Ein wesentlicher Unterschied ist auch, dass der Kunde in der Sozialwirtschaft nicht nur der Konsument der Dienstleistung ist, sondern auch deren Koproduzent. Produktion und Konsumtion erfolgen gleichzeitig während der Erbringung der Dienstleistung zwischen Professionellen und Kunden. Dieses sogenannte Unoactu-Prinzip ist charakteristisch für personenbezogene soziale Dienstleistungen. Und als unverzichtbare Bedingung für Effizienz und Effektivität der Leistungserbringung ist die Etablierung eines persönlichen Vertrauensverhältnisses Voraussetzung (vgl. Staib, 2013) – was für den Konsum auf dem freien Markt in der Regel nicht in demselben Maß notwendig ist. Dieses Vertrauen kann jedoch stets nur gemeinsam mit dem Kunden hergestellt werden. So sind in der Pflege persönliche Beziehungen für den Vollzug der Dienstleistung konstitutiv (vgl. Gabriel, 2007). Die Beteiligten müssen sich darauf verlassen können, dass sie das Bestmögliche füreinander tun und dass nicht, zum Beispiel um eines materiellen Vorteils willen, das Vertrauen der Betroffenen ausgenutzt wird. Damit sind auch die Logiken berührt, die sich auf beiden Märkten erheblich unterscheiden. Auf dem freien Markt geht es darum, den eigenen Vorteil zu
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Johannes Eurich und Jürgen Hädrich
sichern und zu realisieren – dabei sind in ökonomischer Perspektive Effizienz, Effektivität und Output leitende Größen; in sozialethischer Perspektive meint Gerechtigkeit im Marktgeschehen vor allem Leistungsgerechtigkeit, bei der diejenigen, die nicht mithalten können, zurückgelassen oder aussortiert werden (vgl. Thielemann, 1999). Reine Wettbewerbsverhältnisse führen zu großen Ungleichheiten, die im Rahmen einer sozialen Marktwirtschaft von vornherein durch staatliche Rahmensetzungen begrenzt werden sollen (vgl. Jähnichen, 2010: 45). Anders ist dagegen die Ausrichtung von gemeinwohlorientierten Organisationen, zum Beispiel der Diakonie, auf dem Sozialmarkt. Ihre Orientierung an der christlichen Nächstenliebe wendet sich den sozial benachteiligten, hilfebedürftigen oder marginalisierten Mitgliedern der Gesellschaft zu und macht damit Solidarität mit denjenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, sowie deren Befähigung zur Teilnahme zu ihren Zielvorgaben. Mit ihrem Dienst an benachteiligten und hilfebedürftigen Gliedern der Gesellschaft, mit ihrer Orientierung an einer gerechten Gestaltung der Lebensbedingungen und letztlich an der Barmherzigkeit gegenüber Menschen in Not bewegt sich die Diakonie zwischen ökonomischer Notwendigkeit (auch im Sinne des eigenen Marktvorteils) und theologischem Anspruch mit Akzentuierung der Nächstenliebe. Diese Spannung stellt eine Herausforderung für die Diakonie dar – besonders, da sie sich von einem rein monetär motivierten Handeln distanzieren muss. Darüber hinaus gibt es auch eine sozialstaatliche Zweckbestimmung der Wohlfahrtspflege, gemäß welcher der nötige Finanzierungsrahmen für soziale Dienste durch den Staat bzw. die Sozialversicherungen bereitgestellt werden. Die Erfüllung der sozialstaatlichen Zweckbestimmung der Wohlfahrtspflege ist der Hauptzweck einer sozialwirtschaftlichen Organisation und gilt auch unter den Bedingungen von Wettbewerb und Sozialmarkt. Fußend auf das Sozialstaatsgebot nach Art. 20 Abs. 1 des Grundgesetzes hat sie einen hohen politischen und moralischen Anspruch: Sie ist – wie das Bundesverfassungsgericht 1985 bestimmte – als Sicherung und Förderung der Existenzgrundlagen der Bürger, als Ausgleich sozialer Gegensätze und als Beitrag zu einer gerechten Sozialordnung zu verstehen (vgl. Schulte, 2000: 16). Diese Ausrichtung sozialwirtschaftlicher Organisationen bildet die rechtliche Grundlage der staatlichen Refinanzierung sozialer Dienstleistungsträger, auch der Diakonie. Das bedeutet, dass Adressierung und Behebung sozialer und gesundheitlicher Notlagen zentrale Aufgaben sozialer Dienstleister sind. Sie müssen sich für diejenigen Menschen einsetzen, die besondere Bedürfnisse haben, aufgrund von gesundheitlichen oder sozialen Problemen auf Unterstützung oder Behandlung angewiesen sind oder die zu Verlierern moderner Gesellschaften gehören. Auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet das, dass sie sich für die Teilhabe und Inklusion sozial benachteiligter Menschen starkmachen
Fusionen als Modernisierung
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und für den Erwerb oder die Wiederherstellung von Kompetenzen einsetzen, um Selbständigkeit und Wohlbefinden der Kunden und Kundinnen zu erhöhen. Deswegen muss bei diakonischen Unternehmen die ökonomische Steuerungslogik in den Zusammenhang eines übergreifenden gemeinwohlorientierten Auftrags gestellt sein. Effektivität und Effizienz sind unabdingbar, aber sie werden hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Kunden beurteilt. Zudem ist der Markt mit all seinen Besonderheiten als Sozialmarkt auch nur ein Feld von mehreren, auf dem sich diakonische Unternehmen bewegen. Ebenso bedeutsam ist die zivilgesellschaftliche Einbettung, die ihre eigenen Herausforderungen an diakonische Organisationen stellt.
2.
Die Hybridisierung diakonischer Organisationen
Aufgrund der Veränderungen der Rahmenbedingungen im Bereich der sozialen Dienste kann die Dienstleistungserbringung nur noch in einem Mix aus staatlicher Unterstützung, Unternehmertum und zivilgesellschaftlichem Engagement erfolgen, bei mitunter deutlicher Tendenz zur Einbindung lokaler Selbstorganisation (vgl. Eurich, 2012). Mit Zivilgesellschaft ist der öffentliche Bereich gemeinschaftlichen Engagements bezeichnet, der neben Staat und Markt zu den zentralen Basisinstitutionen moderner Gesellschaften gehört (vgl. Pollack, 2009: 1531). Eine Folge der starken Verankerung der diakonischen Einrichtungen in zivilgesellschaftlichen Strukturen ist die hohe Bedeutung des freiwilligen Engagements. Zwischen Staat, Markt und Gemeinschaft bestehen wechselseitige Einflüsse und Beziehungen, die aber auch zu Grauzonen und Übergängen zwischen den Sektoren der Basisinstitutionen führen können. Es gibt keine klar überwiegende Handlungslogik eines Sektors, sondern verschiedene Prinzipien der Basisinstitutionen sind innerhalb einer Organisation wirksam, wodurch Organisationen auch nicht eindeutig von Basisinstitutionen abgrenzbar sind. In dieser Konstellation bilden diakonische Unternehmen multiple Identitäten aus, da unterschiedliche Akteure (Stakeholder) unterschiedliche Anforderungen an sie herantragen (vgl. Evers u. Ewert, 2010). Dazu gehört zum Beispiel die Ausweitung sozialer Anspruchsrechte im Zusammenhang mit gestiegenen Beteiligungsmöglichkeiten ebenso wie die bedürfnisgerechte Ausgestaltung von Dienstleistungen, die auch Wahlmöglichkeiten einschließt. Auch die Beachtung 1 »Unter Civil Society soll […] die Gesamtheit der öffentlichen Assoziationen, Vereinigungen, Bewegungen und Verbände verstanden werden, in denen sich Bürger auf freiwilliger Basis versammeln. Diese Assoziationen befinden sich im Raum der Öffentlichkeit und stehen prinzipiell jedem offen.«
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des Selbstbestimmungsrechts der Leistungsempfänger zählt dazu. Zudem ist heute das traditionelle Verständnis, wonach die Professionellen als autoritative Instanz gelten, die gegenüber passiven Empfängern die Deutungs- und Entscheidungshoheit übernehmen, einer Kultur gewichen, in der Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten ihren legitimen Ort haben. Die Ausdifferenzierung von Identitätsmerkmalen ist eine weitere Entwicklung. So können je nach Kontext Nutzer als Konsumenten auftreten, als Koproduzenten, als Bürger oder Patienten (vgl. Evers u. Ewert, 2010). Im medizinischen Bereich kann das so aussehen, dass jemand als Bürger Einfluss nimmt auf gesundheitspolitische Rahmenbedingungen, im Zuge eines Disease-Management-Programms als Koproduzent der Gesundheitsleistung in Erscheinung treten kann und dazu eingebunden ist in einen Kontext von Familie und Freunden, der für den Genesungserfolg eine Rolle spielt. Diese Entwicklung hat natürlich auch Einfluss auf die Steuerung von diakonischen Organisationen. Die unterschiedlichen Ansprüche machen eine interdisziplinäre Besetzung von professionellen Teams nötig und setzen zuvor eine Offenheit der Organisation für andere Perspektiven voraus. Von besonderer Bedeutung jedoch ist, dass es aufgrund der unterschiedlichen Ansprüche, die an die Organisationen gestellt werden, keine Vorherrschaft einer bestimmten Logik mehr geben kann. Um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, reicht es für Organisationen nicht mehr aus, sich nur an betriebswirtschaftlichen Kennzahlen zu orientieren. Sie müssen zugleich auch andere Rationalitäten berücksichtigen, um Leistungen erbringen zu können, die für die Lebensqualität der Nutzerinnen und Nutzer entscheidend sind. Diakonische Einrichtungen können gerade als sozialwirtschaftliche Unternehmen ihre zivilgesellschaftliche Einbindung als Wettbewerbsvorteil begreifen und nutzen. So hat sich zum Beispiel im Bereich der Pflege eine große Differenzierung von Modellen vollzogen, die dem Identitätswandel der Adressaten gerecht werden, die zugleich Bürger, Konsumenten, Koproduzenten und sorgende Angehörige sind, Mitsprachemöglichkeiten haben möchten und sich auch in Versorgungsnetzwerken organisieren (vgl. für Praxisbeispiele Frey, Klie u. Köhler, 2013). Für Organisationen bedeutet dies, dass sie auch gegenüber nichtökonomischen Logiken sensibel und offen sein und zur Definition des Erfolgs auch Kriterien wie den Grad der sozialen Einbettung und die Intensität der Einbeziehung externer Kooperationspartner heranziehen müssen. Aber auch wie bedürfnisgerecht die Dienstleistungen ausgerichtet sind und auf welcher ethischen Basis sie erfolgen, ist von Bedeutung. Damit wird deutlich, dass bei der Führung, aber auch bei der Fusion von Organisationen eine Vielzahl von Aspekten Berücksichtigung finden muss und der Fokus nicht allein auf der betriebswirtschaftlichen Perspektive liegen kann, sondern – gerade bei diakoni-
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schen Organisationen – auch ihr theologisches Selbstverständnis und ihr ethischer Anspruch eine wesentliche Rolle spielen. Damit stellt sich die Frage, wie Ökonomie und Theologie sich zusammenführen lassen.
3.
Die Verschränkung von Ökonomie und Theologie
Dass ohne Gewinn kein Unternehmen in einem Markt überlebensfähig ist, ist selbstredend. Deshalb trägt das ökonomische Denken und Handeln in diakonischen Organisationen dazu bei, dass sie effizient und effektiv operieren sowie verantwortungsvoll mit den Ressourcen umgehen und damit auch als gemeinnützige Unternehmen, die keine Gewinnmaximierung anstreben dürfen, im Wettbewerb bestehen können. Gleichzeitig kann der ökonomische Erfolg jedoch nicht der einzige Aspekt für diakonische Unternehmen sein und auch nicht der, dem alle anderen Aspekte untergeordnet werden. Vielmehr bilden neben der wirtschaftlichen Grundlage das christliche Fundament sowie die Fachlichkeit die drei Säulen, auf denen diakonische Organisationen aufgebaut sein müssen (vgl. Eurich, 2013b: 225). Betriebswirtschaftliches Nutzenkalkül, wertorientierte Handlungsgrundlagen und professionelle Qualitätsstandards müssen innerhalb einer Organisation zusammengedacht und vermittelt werden, denn: »Ohne ökonomische Fachlichkeit und Management-Know-how verlieren diakonische Unternehmen ihre Zukunftsfähigkeit, ohne theologisch verantwortete Profilierung werden sie zu ununterscheidbaren Mitbewerbern auf dem Markt von Gesundheits- und Sozialdienstleistungen« (Haas, 2010: 11).
3.1
Biblisch-theologische Grundlagen und ökonomische Logik
Diakonische Einrichtungen sind biblisch-theologischen Grundfragen verpflichtet, die an anderer Stelle bereits ausführlich dargelegt wurden (vgl. Schäfer u. Strohm, 1998). Zentral ist hier die Verbindung zu heutigen Leitwerten wie der Würde des Menschen, die im Zusammenhang mit der Ebenbildlichkeit des Menschen mit Gott interpretiert wird (vgl. Oelschlägel, 2013). Sie führt zur Anerkennung jeglichen Lebens und hat die Ausgestaltung sozialer Gerechtigkeit zur Folge, für die die Linderung von Not und die Unterstützung hilfebedürftiger Menschen wesentlich ist. Die Orientierung an Nächstenliebe kann nicht nur zum Einsatz für andere motivieren, sondern ergänzt die Gerechtigkeitsentwürfe, insofern Liebe sich besonders der konkreten Bedu¨ rfnisse des Na¨ chsten annimmt und so dazu beiträgt, »ein Sensorium fu¨ r die Benachteiligten der Rechtssysteme zu entwickeln bzw. immer neu einzusetzen« (Schmidt, 2003: 34). Diese Werthaltung macht dann fraglich, ob im Kundenbegriff alle Aspekte abgedeckt sind,
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die im Sinne eines diakonischen Auftrags maßgeblich sind. Nächstenliebe lässt sich nicht auf die Bestimmungen eines Vertrags reduzieren und in KostenNutzen-Erwägungen engführen, vielmehr steht der Hilfsaspekt, der sich am Bedarf ausrichtet, im Mittelpunkt. Die biblisch-theologische Grundlage und die durch sie geprägten ethischen Standards diakonischer Organisationen gelten jedoch nicht nur für die Dienstleistungsempfänger, sondern auch für das Personal. Wo Personalabbau und Leistungskürzungen als geeignete betriebswirtschaftliche Strategie erscheinen, gilt es auch noch andere Aspekte abzuwägen. Denn auch, wenn solche Maßnahmen fürs Erste Kosten einsparen mögen, so steht doch zu befürchten, dass sie zu Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen führen, was langfristig zu unproduktiven Strukturen und in der Folge zu Nachteilen im Wettbewerb aufgrund schlechterer Qualität führt. Intelligentes Sparen, das auf Verbesserung der Organisation, Optimierung von Abläufen und nicht zuletzt auf die Weiterbildung des Personals setzt, sollte hier die Strategie sein. Wenn auch christlich-ethische Grundlagen und betriebswirtschaftliches Denken verschiedenen Logiken entspringen, so sind sie doch nicht unvereinbar (vgl. Eurich, 2013c: 260 ff.). Bereits beim Homo-oeconomicus-Modell gehen Ökonomen davon aus, dass jedes Nutzenkalkül nicht nur monetäre Aspekte enthält, sondern auch moralische Werte eine Rolle spielen, die sich in Form von Anerkennung als soziale Werte manifestieren und in Form von Selbstachtung als Selbstwerte. Damit liegt es in konkreten Handlungskonflikten bei den Individuen selbst, ob sie sich am materiellen Nutzen, an sozialen Vorteilen oder an moralischen Überzeugungen orientieren (vgl. Eurich, 2013b zur theologischen Reflexion dieses Aspekts). Soziale Motive erweisen sich nicht selten als verhaltensleitend (Frey, 1997). Wie diese im Fall von Fusionen konkret aussehen können, wird in den Abschnitten »Wirkungsebene« und »Prozessebene« dargestellt. Legt man ein erweitertes Homo-oeconomicus-Modell zugrunde (vgl. Eurich u. Brink, 2006), erscheint nicht die Nutzenperspektive als die maßgebliche, die im Zweifelsfall mit der ethischen in Konflikt gerät, sondern ethisch-normative Aspekte haben bereits innerhalb des ökonomischen Denkens ihren Ort und sind darin integriert. Das bedeutet, dass sich ökonomisches Denken und ethische Grundhaltungen wechselseitig produktiv irritieren können. Dies könnte so aussehen, dass Organisationen auch bei der Einhaltung ökonomischer Unerlässlichkeiten gewährleisten, dass ihre strategischen Ziele im Einklang mit der christlichen Orientierung an den benachteiligten und hilfebedürftigen Menschen in der Gesellschaft stehen, indem etwa Reflexionsschleifen in die operativen Prozesse eingebaut werden, bei denen überprüft wird, ob die werthaltigen Aspekte angemessen berücksichtigt sind. Auch gälte es, die Interessen der unterschiedlichsten Stakeholder zu berücksichtigen und eine Organisationskultur
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zu leben, in der wechselseitige Anerkennung, Wertschätzung sowie Hilfe und Zuwendung selbst im Falle des Scheiterns zum Tragen kommt und die sich in der Kommunikation, im Arbeitsklima, bei der Führung von Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen und in der Beziehung von Personal und Klienten niederschlägt.
3.2
Zur Funktion theologischer Orientierungen bei Fusionen
In einer pluralistischen Welt sind religiöse Ansprüche nach letztgültigen Wahrheiten oder Gott umstritten. Auch religiös begründete moralische Standpunkte lassen sich nicht ohne Weiteres verallgemeinern. John Rawls’ Stichwort der »Konzeptionen des ›Guten‹« hat sich in diesem Zusammenhang als ein Standard in der ethischen Diskussion etabliert und verweist darauf, dass die Moderne von einem »Faktum einer vernünftigen Pluralität« umfassender Vorstellungen des Guten oder des moralisch Gebotenen gekennzeichnet ist (Rawls, 1998: 93, 138, 228, 243). Diese Pluralität unterschiedlicher Vorstellungen des Wahren ist in der Regel auch unter der Mitarbeiterschaft von diakonischen Unternehmen gegeben. Die Wahrnehmungen und Werte von Mitarbeitenden werden durch unterschiedliche Identita¨ tssemantiken kanalisiert. Mit dem Begriff der Identita¨ tssemantik bezeichnet Schramm »das System einer Weltanschauung, das eine interne Relevanz fu¨ r die personale Identita¨ tskonstruktion von Menschen aufweist. Es handelt sich um inhaltliche Angebote, die sich individuelle Akteure aneignen ko¨ nnen, um sich ihre eigene Identita¨ t zusammenzubasteln (weltanschauliche, philosophische, moralische, religio¨ se Angebote usw.)« (Schramm, 2004: 9, Hervorhebung im Original). Unternehmen müssen jedoch sogenannte belief systems ausbilden, welche wahrnehmungsstrukturierend eine Ordnung in die sonst chaotische Welt (des Unternehmens) bringen und damit eine »Weltanschauung« (im Sinne der Aisthesis) erlauben. Innerhalb dieser belief systems oder Weltanschauungen kommt den Identitätssemantiken die Funktion einer »weltanschaulichen Brille« zu: »Einerseits kann man mit einer bestimmten Brille etwas (besser) sehen, andererseits wird das Sichtbare auf das beschränkt, was diese Brille sichtbar macht, es werden also auch vielerlei Dinge ausgeblendet« (Schramm, 2004: 9, Hervorhebung im Original). Dieses Phänomen ist Teil jeder Unternehmenskultur. In Unternehmen herrschen somit jeweils spezifische Unternehmenskulturen vor, welche auf Grundlage des belief systems eines Unternehmens ausgebildet werden und die die Rahmensemantiken beinhalten, an denen sich die individuellen Identitätskonstruktionen von Mitarbeitenden andocken können (vgl. Schein, 1995). Die Theologie hat innerhalb dieses Zusammenhangs eine doppelte Funktion: Zum einen stellt sie durch die Begründung christlicher Grundlagen die inhaltlichen Angebote für die Rahmensemantiken diakonischer
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Unternehmenskulturen bereit (vgl. Hofmann, 2010). Zwar liefern die theologischen Begründungen diakonischen Handelns für diakonische Organisationen – cum grano salis – vergleichbare Grundlagen, jedoch sind auch innerhalb der jeweiligen Rahmensemantiken erhebliche Unterschiede festzustellen: »Denn obwohl sich die Angehörigen einer bestimmten Kultur zuna¨ chst einmal in einem gemeinsamen kulturellen Rahmen bewegen, eignen sie sich die betreffenden identita¨ tssemantischen Angebote auf sehr unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Dosierung an« (Schramm, 2004: 10).
Dies gilt umso mehr, je stärker eine pluralistische Mitarbeiterschaft in einem diakonischen Unternehmen vorhanden ist. Zum anderen kommt der Theologie aufgrund ihres reflexiven Charakters – bereits innerhalb der theologischen Symbolisierungen selbst wird die Brüchigkeit und auch die Paradoxie solcher Symbolisierungen offenbar und bearbeitbar (vgl. Eurich, 2013a: 211) – die Aufgabe zu, Fusionsprozesse im Hinblick auf die Bearbeitung differenter belief systems bzw. divergierender Rahmen-Identita¨ tssemantiken bei den Fusionspartnern kritisch im Blick auf (unternehmens-)ethische Aspekte zu begleiten. Denn zweifellos sind kulturelle Unterschiede und daraus erwachsende ethische Probleme eine Hauptursache für das Scheitern von Fusionen.2
4.
Ethische Aspekte von Fusionen
Wenn kulturelle und ethische Grundhaltungen bereits bei der Steuerung von Organisationen und in der Führung von Mitarbeitenden und Freiwilligen eine wichtige Rolle spielen, kann ihre Bedeutung bei Fusionen nicht geringer sein (vgl. Cartwright, 1998: 7). Denn Fusionen haben ihren Sinn darin, dass die neu formierten Einheiten am Ende des Prozesses besser dastehen, als die Teileinheiten es zu Beginn taten – sei es in wirtschaftlicher, sei es in strategischer Hinsicht. Dabei ist es jedoch mitnichten selbstredend, dass Fusionen immer ein Erfolg sind. Vielmehr ist es eher so, dass weniger als einem Drittel der Fusionen ein langfristiger Erfolg beschieden ist, über 60 Prozent scheitern (vgl. Maurer, 2007; Poganatz u. Zschäpitz, 2000: 21). Zu den Gründen fürs Scheitern gehören freiwillige Kündigungen, niedrige Arbeitsmoral, verringerte Produktivität, Ressentiments der übernommenen Mitarbeitenden. Dementsprechend hat sich die Integration von Mitarbeitenden in den Fusionsprozess als erfolgskritischer Faktor erwiesen, womit ethischem Verhalten bei Fusionen eine zentrale Rolle
2 Vgl. Hofstedes Vermutung, dass die Erfolgsrate wegen unbewältigter Kulturdifferenzen »wahrscheinlich nicht u¨ ber 25 % liegt« (Hofstede, 2001: 324).
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zukommt. Ethische Fragen stellen sich zum einen auf der Wirkungsebene, zum anderen auf der Prozessebene.
4.1
Wirkungsebene
Auf der Wirkungsebene betrifft dies Fragen der Thematisierung von Vor- und Nachteilen der Transaktion mit allen direkt und indirekt Beteiligten (vgl. zum Folgenden Woodstock Theological Center, 1990). Auch Fragen nach der sozialen Erwünschtheit der Ergebnisse von Fusionen gehören hierher sowie nach möglicher Veränderung der sozialen Rolle gegenüber den unterschiedlichen Stakeholdergruppen: Welche Auswirkungen, sowohl lang- wie kurzfristig, wird die Transaktion auf die Anspruchsgruppen der an der Transaktion beteiligten Unternehmen haben? Welche Auswirkungen wird die Transaktion auf Manager oder Direktoren der beteiligten Unternehmen haben? Besteht die Möglichkeit, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren, wenn die Transaktion durchgeführt wird? Werden sie außerordentlich hohe Gewinne realisieren können? Welche Auswirkungen wird die Transaktion auf Mitarbeitende haben? Werden Standorte eher geschlossen und Arbeitnehmende eher entlassen, wenn die Transaktion erfolgt oder wenn sie nicht erfolgt? Sind alle Mitarbeitenden, die voraussichtlich entlassen werden sollen, leicht vermittelbar? Welche Auswirkungen wird die Transaktion auf Geschäftspartner und Kunden der beteiligten Unternehmen haben? Wird die Transaktion die Marktmacht der überlebenden Unternehmen signifikant verändern? Welche Auswirkungen wird die Transaktion auf den Wettbewerb – auch innerhalb der Branchen der beteiligten Unternehmen – haben? Welche Auswirkungen wird die Transaktion auf die Umgebung haben, in denen die Unternehmen tätig sind? Wie hoch ist die Arbeitslosigkeit? Welche Auswirkungen wird die Transaktion auf die Volkswirtschaft haben? Wie wird sich jede der betroffenen Parteien aufstellen, wenn die Transaktion nicht erfolgreich ist? Es geht aber auch darum, ob sich die Konkurrenz um Größe und Gewinn auf die Werte der Organisationen auswirkt, zum Beispiel in der Hinsicht, dass Loyalität in den Geschäftsbeziehungen an Bedeutung verliert. Werden dadurch Grundwerte wie Ehrlichkeit, Fairness und Verantwortung füreinander untergraben? Ändern sich die Beziehungen zu den Klienten, da sie als Kunden nun die besten Bedingungen für sich suchen, ohne Rücksicht auf langjährige Geschäftsbeziehungen zu nehmen? Die Frage der Größe ist ein zentraler Aspekt, denn es hat sich gezeigt, dass mit zunehmender Unternehmensgröße ökonomische Aspekte immer dominanter werden. Damit kann es gerade bei Unternehmen aus dem sozialen Sektor zu einem sogenannten »mission drift« (vgl. Di Maggio, 1986; Dart, 2004; Jones, 2007; Meyer u. Leitner, 2011) kommen, einer Veränderung im Selbstverständnis bzw. in der Mission des Unternehmens oder
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zu einer Verwischung der Werte angesichts unveränderbarer ökonomischer Notwendigkeiten. Auch die Frage nach der ethischen Legitimität von Fusionen ist ein wichtiger Aspekt. Ist es im gesamtgesellschaftlichen Interesse, dass bestimmte Bereiche der Sozialwirtschaft auch dann unternehmerisch tätig sein können, wenn die Investitionen nicht rentabel sind, einfach weil es gesellschaftlich als notwendig erachtet wird, diese Bereiche trotzdem zu versorgen, weil es sich zum Beispiel um Aktivitäten für sozial benachteiligte Menschen handelt? Oder kommt es darauf an, durch Fusionen und Übernahmen möglichst große Sozialkonzerne zu bilden, die bei unternehmerischen Aktivitäten mit entsprechenden Gewinnmargen arbeiten können? Die Antwort hängt unter anderem von der sozialen Rolle ab, die man Unternehmen zuordnet, und ein Teil der Kontroverse über Fusionen und Übernahmen entsteht aus der Tatsache, dass es in dieser Frage keinen moralischen oder rechtlichen Konsens in der Gesellschaft gibt.
4.2
Prozessebene
Auf der Prozessebene (vgl. zum Folgenden Woodstock Theological Center, 1990) geht es um Fragen der Angemessenheit und Fairness im Verhalten aller Parteien während des Prozesses. So werden in verschiedenen Bereichen Fragen relevant. Im Bereich konfligierender Interessen etwa diese: Kann die Firma diese Übernahme durchführen, ohne das Vertrauen einer anderen Partei der Transaktion zu verletzen oder ohne das Vertrauen anderer Geschäftspartner zu gefährden? Wenn das Unternehmen als vermittelnder Agent für die Parteien einer Transaktion tätig ist, hat dann das Unternehmen beide Parteien offen über seine Rolle in der Transaktion informiert? Kann das Unternehmen Gutachten oder eine externe Beratung über die Zweckmäßigkeit oder die Bedingungen der Transaktion vorlegen? Gibt es eine Belohnung (oder eine Gratifikationsstruktur) für die Unternehmensführung, die diese dazu verleitet, eine Fusion oder Übernahme zu forcieren? Welche alternativen Strukturen sind vorstellbar, die eine Kundenperspektive einnehmen? Im Bereich von Informations- und Eigentumsrechten etwa diese Fragen: Wurde im Blick auf die vorgeschlagene Transaktion eine offene und unvoreingenommene Untersuchung der Hintergründe der Transaktion durchgeführt? Wie wurde bei geschützten Informationen der Datenschutz sichergestellt? Wurde eine angemessene Entschädigung gezahlt für die Nutzung dieser Informationen? Haben alle Beteiligten mit einem legitimen Recht auf Auskunft über die Transaktion rechtzeitig gleichen Zugang zu relevanten und geeigneten Informationen erhalten? Wurden wesentliche Fakten einer dieser Personen oder Parteien vorenthalten? Wurden Geschäftsgeheimnisse oder andere geschützte Informationen, in die bei der Transaktion Einblick
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genommen wurde, ausreichend geschützt? Und im Bereich der Fairness etwa diese: Sind die Bedingungen der Transaktion im Einklang mit den berechtigten Interessen, Verpflichtungen und Erwartungen der Teilnehmer der Transaktion? Sind die an der Transaktion beteiligten Entscheidungsträger frei in ihren Entscheidungen und im Einklang mit den besten Geschäftspraktiken und ihren eigenen ethischen Normen? Gibt es einen ethisch nicht zu rechtfertigenden Druck, Zwang oder Ähnliches bei der Transaktion? Haben alle Parteien, die wesentlich von der Transaktion betroffen sind, die Chance erhalten, Einwände oder Bedenken zu erheben? Hat es im Blick auf diese Einwände ein faires Aushandlungsverfahren gegeben? Sind mögliche Konsequenzen für nichtanwesende Parteien berücksichtigt worden?
4.3
Die Bedeutung ethischer Aspekte in Fusionsprozessen
Weil bei ethischen Fragen Werte eine wichtige Rolle spielen und Werte bei Fusionen und Übernahmen leicht in Konflikt miteinander geraten können, müssen auch Überlegungen zur Vermittlung folgender Werte angestellt werden: Geschäftsbeziehungen sollten auf Ehrlichkeit, Loyalität und persönlichem Engagement beruhen. Soziale Stabilität und wirtschaftliches Wachstum erfordern eine langfristige Verantwortung und Rechenschaftspflicht in wirtschaftlichen Bestrebungen. Innovation, Kreativität und unternehmerische Freiheit stellen Werte für sich dar, wobei auch die Konsequenzen eines Scheiterns zu akzeptieren sind. Neue Ideen sollen eine Chance auf Erfolg haben. Die Vielfalt, die eine pluralistische Gesellschaft auszeichnet, entwickelt sich am besten, wenn die Mitglieder der Gesellschaft frei sind, in ihrem eigenen Interesse zu handeln, und dabei miteinander solidarisch sind. Sozialwirtschaftliche Unternehmen haben eine Vielzahl von Stakeholdern, denen gegenüber sie verantwortlich sind: Eigentümer, Mitarbeitende, Kunden und ihre Angehörigen, Geschäftspartner und weitere Institutionen, die durch die unternehmerische Aktivität tangiert werden, die Kommune, in denen das Unternehmen tätig ist, die Gesellschaft insgesamt. In Übereinstimmung mit jüdisch-christlichen Prinzipien sind Menschen in machtvollen Positionen aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen und insbesondere schwache und benachteiligte Menschen zu schützen. Professionelle Kräfte in der Sozialwirtschaft treten auch als Agenten für andere Menschen auf und müssen Interessenskonflikte vermeiden. Ihre Verantwortlichkeit und Loyalität sollte zuerst ihren Kunden gelten. Ihre berufliche und ethische Verpflichtung ist es, persönlich uneigennützig zu handeln. Dass ethisches Verhalten nicht nur eine nachgeordnete Rolle in Fusions- und Übernahmeprozessen spielt, lässt sich daran ablesen, dass ethisches Verhalten signifikant mit der Arbeitsleistung der Arbeitnehmenden korreliert (vgl. Lin u.
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Wei, 2006). Engagement für das (neue) Unternehmen und die Arbeitsleistung der übernommenen Mitarbeitenden stellen wichtige Indikatoren für den Erfolg oder Misserfolg von Fusionen und Übernahmen dar. Sie lassen sich besonders gut in den Aspekten Arbeitsplatzsicherheit (Weiterbeschäftigung oder Kündigung), Gerechtigkeit (Art der Behandlung im Prozess der Übernahme) und Fürsorge (erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Assimilation in das neue Unternehmen) abbilden. So werden zum Beispiel Mitarbeitende, wenn sie eine unfaire Behandlung wahrnehmen, wahrscheinlich ihr Engagement für das Unternehmen beenden oder verringern (vgl. Serpa, 1988). Fusions- oder Übernahmeprozesse führen nicht nur zu organisatorischen Umstrukturierungen, sondern auch zu dem kritischen Moment, dass vorhandene unethische Verhaltensweisen von den Mitarbeitenden des fusionierten Unternehmens wahrgenommen werden. Die unfaire Behandlung umfasst Entlassungen, Versetzungen, Leistungsbewertungen und andere Aktionen. Gibt es Fälle unfairer Behandlung, können sich die Mitarbeitenden des übernommenen Unternehmens schnell hinter ihren Kollegen aus der übernehmenden Gesellschaft zurückgesetzt fühlen. Ihr Engagement für und Vertrauen in ihren neuen Arbeitgeber kann dann mit der Loyalität eines Gefangenen nach einer verlorenen Schlacht verglichen werden (Marks u. Mirvis, 1992). Eine faire Beurteilung und ein faires Belohnungssystem wirken sich dagegen positiv auf das organisatorische Engagement der Mitarbeitenden im erworbenen Unternehmen aus. Im Bereich der Fürsorge liegt der Schwerpunkt dabei auf der Empfindsamkeit und Ansprechbarkeit für die Gefühle, Sorgen und die besonderen Umstände des Einzelnen. Fürsorge-Praktiken können aus der Perspektive einer fürsorglichen Kultur und eines fürsorglichen Systems erklärt werden. Der beste Weg, einen kulturellen Konflikt zu vermeiden, besteht darin, die Kultur des erworbenen Unternehmens in Ehren zu halten und zu versuchen, diese in die bestehende Kultur zu integrieren (Marks u. Mirvis, 1998). Viele Manager haben bei der Integration der ungeschriebenen Normen und Werte Schwierigkeiten, weil die übernehmende Gesellschaft nicht die Mitarbeitenden der akquirierten Unternehmen respektiert (Nahavandi u. Malekzadeh, 1988). Wegen der unterschiedlichen Arbeitsweisen und Einstellungen kann sich leicht eine Wir-gegen-sie-Haltung entwickeln (Lefkoe, 1987). Wenn dagegen eine besondere Betonung auf einer Fürsorgekultur wie zum Beispiel einer Politik der offenen Tür besteht, die gerade für die Integration neuer Mitarbeitender bedeutsam ist, können positive Ergebnisse erwartet werden.
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Praktische Konsequenzen für die Gestaltung von Fusionsprozessen
Wenn Mitarbeitende im Fusionsprozess von Arbeitsplatzsicherheit ausgehen können und eine gerechte Behandlung wahrnehmen, die einhergeht mit bestimmten Fürsorgepraktiken, dann erhöht sich ihr Engagement für das Unternehmen, was wiederum ihre Arbeitsleistung beeinflusst. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass unethisches Verhalten in Fusionsprozessen zu einer geringeren Bindung der Mitarbeitenden an das neue Unternehmen führt und Anlass zu dysfunktionalem Verhalten gibt (Bastien, 1987). Daher wurde vorgeschlagen (Serpa, 1988), dass ein Unternehmen nach erfolgreicher Fusion ein faires Bewertungssystem für übernommene Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen entwickeln soll. Da das übernehmende Unternehmen oftmals einen Vorteil im Blick auf die Ressourcenverteilung besitzt, sollte die übernommene Arbeitnehmerschaft gerecht und fürsorglich behandelt werden, um zu verhindern, dass sie sich als Zweite-Klasse-Belegschaft vorkommt. Auf Folgendes gilt es zu achten: Besondere Aufmerksamkeit sollte der Balance zwischen den Bedürfnissen der erworbenen Belegschaft und der Aufrechterhaltung eines Pools an qualifizierten Mitarbeitenden geschenkt werden. Letztere verlassen bei einer Fusion am ehesten den übernommenen Arbeitgeber, da sie größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Arbeitsplatzsicherheit ist die ethische Komponente mit dem größten Effekt auf die Unternehmensbindung und die Arbeitsleistung. Die Wahrnehmung der übernommenen Arbeitnehmer im Blick auf eine gerechte Behandlung und eine fürsorgliche Praxis des neuen Unternehmens ist aufmerksam zu beobachten. Beide Komponenten werden durch formale und informale Kommunikationen geprägt. Missverständnisse entstehen durch einen Mangel an offener oder effektiver Kommunikation. Die Ergebnisse einer Studie (vgl. Lin u. Wie, 2006) deuten darauf hin, dass die Wahrnehmung einer authentischen Fürsorge eine höhere Bindung an das Unternehmen nach sich zieht als das Wissen um gerechte Verfahren. Es ist entscheidend, die Bindung der neuen Arbeitnehmer an das Unternehmen zu stärken, bevor eine höhere Arbeitsleistung verlangt wird. Für den Fusionsprozess bedeutet dies, dass ein Stufenplan entwickelt werden sollte, der zu Beginn des Fusionsprozesses ethische Verhaltensstandards des neu fusionierten Unternehmens relevanten Anspruchsgruppen mitteilt. Die Bindung an ein neues Unternehmen braucht Zeit, sodass während des Fusionsprozesses, der mit vielen Unsicherheiten einhergeht, ein verlässliches ethisches Verhalten Sicherheit vermitteln und die Bindung an das Unternehmen fördern kann. Als Konsequenz aus den dargestellten ethischen Aspekten bei Fusionen ist zu betonen, dass der menschliche Faktor der kritische Erfolgsfaktor ist (vgl. Carey
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u. Ogden, 2004). Führungskräfte müssen fortwährend Kreativität und Sensibilität für die Veränderungen bei den Mitarbeitenden und weiteren Anspruchsgruppen aufbringen und glaubwürdig die unternehmerischen Werte verkörpern. Ethische Standards für den Fusionsprozess müssen frühzeitig und konsistent reflektiert, kommuniziert und in den Entscheidungen konsequent umgesetzt werden. Dann besteht die Chance, dass die ethischen Herausforderungen einer Unternehmensfusion bewältigt werden können.
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Robert Bachert und Laura Wagner
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
1.
Einführung und Grundlagen
In vielen Wirtschaftsbereichen wie auch in der Sozialbranche haben Kooperationen und Allianzen von Unternehmen in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Im Non-Profit-Bereich werden als Gründe dafür genannt: Erhöhung der Marktpräsenz, Kostensynergien auf der Leistungserstellungs- und Vermarktungsseite, Verwirklichung von Wachstumssynergien und Steigerung der Innovationskraft (vgl. Picot, 2002). Insgesamt kann davon ausgegangen werden, dass für eine überbetriebliche Zusammenarbeit die Erkenntnis vorherrschend ist, dass einzelne Unternehmen nicht mehr überlebensfähig und erfolgreich sind (vgl. Diakonie, 2004: 2). Ziele, die durch ein Kooperationsmanagement verfolgt werden, sind unter anderem: – »Geplantes und strukturiertes Vorgehen bei der Gestaltung überbetrieblicher Kooperationen – Überdenken der Unternehmensstrategie mit dem Ziel der Vergrößerung durch die Erweiterung der Produktpalette – Steigerung der Marktpräsenz – Wirtschaftlicheres Handeln durch Erzielung von Kostensynergien« (Bachert, 2006: 145). Um die Ziele des Kooperationsmanagements zu erreichen, sind die Vor- und Nachteile des Kooperationsmanagements gegenüberzustellen (siehe Abbildung 1).
2.
Kultur und Werte als Schlüssel zur Nachhaltigkeit
Um Erfolgsfaktoren eines ganzheitlich nachhaltigen Unternehmenskonzepts zu entwickeln, ist es wichtig, dass eine Strategie auf Basis der Werte und Normen
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Robert Bachert und Laura Wagner
Abbildung 1: Vor- und Nachteile des Kooperationsmanagements (vgl. Bachert, 2006: 148)
der Unternehmung erarbeitet wird. Die Strategie muss die kulturellen Besonderheiten und die Grundwerte der jeweiligen Organisation berücksichtigen. Kultur und Strategie sind in Einklang zu bringen. Sie bilden die Basis für die Entscheidung, ob und in welchem Umfang eine Partnerschaft zweier Unternehmen eingegangen wird. Üblicherweise wird auf die Untersuchung beispielsweise der finanziellen Rahmendaten, der Standorte, der Stakeholder und der Vertriebskanäle im Vorfeld einer Kooperationsentscheidung großer Wert gelegt. Nachhaltige Erfolgsfaktoren sind jedoch maßgeblich dadurch geprägt, dass auch die Unternehmenskultur der betroffenen Organisationen sehr genau analysiert wurde. »Um eine Kultur verstehen zu können, muß man sich nach dieser […] Vorstellung, ausgehend von den Oberflächenphänomenen, sukzessive den kulturellen Kern in einem Interpretationsprozeß erschließen« (Steinmann u. Schreyögg, 2000: 625). Die Ergebnisse dieser Analyse sind synoptisch gegenüberzustellen und für den weiteren Prozess zu bewerten sowie zu bearbeiten. Auf dieser Basis ergeben sich strategische Handlungsalternativen der überbetrieblichen Zusammenarbeit. Sie bilden dabei den Entscheidungsspielraum und unterscheiden sich im Hinblick auf die Höhe der Bindungsintensität und dem jeweiligen Autonomiegrad (siehe Abbildung 2). Die Bandbreite der Möglichkeiten reicht von einer Fusion über die Thematik der Kooperation/Allianz bis hin zur virtuellen Organisation (vgl. Diakonie, 2004: 3). »Der Kreativität und der Gestaltungsfreude der Kooperationspartner sind im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt. Insofern
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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Abbildung 2: Erfolgsfaktoren eines ganzheitlichen nachhaltigen Unternehmenskonzepts (in Anlehnung an Diakonie, 2004: 5)
sind die Übergänge in Bezug auf die Bindungsintensität und den Autonomiegrad fließend« (Diakonie, 2004: 3). Abbildung 3 verdeutlicht die Handlungsalternativen der überbetrieblichen Zusammenarbeit:
Abbildung 3: Alternativen von Unternehmenszusammenschlüssen (Bachert u. Vahs, 2007: 201)
Wie in der Grafik dargestellt spielen sich die Handlungsalternativen zwischen hoher Bindungsintensität und geringer Autonomie versus geringer Bindungsintensität und hoher Autonomie ab. Unter Kooperation oder Allianz ist eine mittel- bis langfristige, nicht ausdrücklich vertraglich geregelte, von jeder Partei kündbare Verbindung zweier oder mehrerer Organisationen zu verstehen. Diese
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Robert Bachert und Laura Wagner
wird freiwillig eingegangen und weist eine mittlere Bindungsintensität und einen geringen Autonomiegrad auf (vgl. Diakonie, 2004: 3). Hohe Bindungsintensität weist die Fusion zweier Unternehmen aus. Hierbei verliert ein Unternehmen seine rechtliche und wirtschaftliche Selbständigkeit. Die virtuelle Organisation hingegen ist eine kurzfristige Verbindung zweier oder mehrerer Unternehmen, die eine geringe Bindungsintensität mit einem hohen Autonomiegrad aufweist. Dazwischen gibt es noch den Konzern, der zwischen Fusion und Kooperation/Allianz steht, und das Netzwerk, welches vor der virtuellen Organisation kommt. Die Gestaltung des Prozesses zu einem nachhaltigen Unternehmenskonzept für Kooperation ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Sie kann mithilfe eines standardisierten Verfahrens strukturiert und geplant sowie durchgeführt werden. Im folgenden Kapitel wird der Ablauf dargestellt, welcher sich in der Praxis in vielen Fällen bewährt hat.
3.
Ablaufsystematik
Die Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen sollte nach der folgenden Ablaufsystematik durchgeführt werden. Die Berücksichtigung der Gesichtspunkte dieser Phasen hilft, Ursachen für das Scheitern von Unternehmenszusammenschlüssen zu vermeiden (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 201). Die vorgegebenen Schritte sind in der dargestellten Reihenfolge zu bearbeiten. Zunächst ist auf Basis der Grundwerte des Unternehmens die Strategie zu entwickeln. Anschließend wird in einem sogenannten Screening das Unternehmensumfeld nach einem geeigneten Kooperationspartner durchsucht und in der sogenannten Due-Diligence-Phase Sondierungsgespräche und Vorverhandlungen geführt. Die Kooperation beginnt nach Abschluss von Verhandlungen und muss durch ein geeignetes Controlling gesteuert und umgesetzt werden. Die Ablaufsystematik in Abbildung 4 zeigt die angesprochenen Phasen auf.
Abbildung 4: Phasen eines Kooperationsprozesses (vgl. Bachert, 2006: 147)
Im Folgenden wird die Ablaufsystematik der Phasen eines Kooperationsprozesses aufgezeigt und abschließend werden Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren für ein nachhaltiges Unternehmenskonzept für Kooperationen dargestellt.
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
3.1
49
Die Strategiephase
»Schade, aber auch das schöne Wort ›Strategie‹ hat seinen Ursprung im militärischen Bereich. Es geht auf die altgriechischen Wortstämme ›stratos‹ (Heer) und ›agein‹ (führen) zurück. Genau genommen bedeutet demnach Strategie so etwas wie die ›Kunst der Heerführung‹ oder ›Feldherrnkunst‹« (Pracht u. Bachert, 2005: 17).
Einer der Väter des strategischen Managements ist Ansof. Schon er hebt hervor, dass die zunehmend komplexere Unternehmensumwelt die Bewertung zukünftiger Entwicklungen zur Überlebensfrage für die Unternehmen werden lässt (vgl. Ansof, 1976: 14). Um eine geeignete Strategie im Zusammenhang der Kooperationsfrage festlegen zu können, sollte in dieser ersten Phase mit den Instrumenten des strategischen Controllings die Ausgangslage analysiert, eine Strategie ausgearbeitet und bewertet und ein Soll-Profil eines möglichen Partners aufgestellt werden (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 203). Abbildung 5 zeigt die einzelnen Instrumente, die im ersten Arbeitsschritt der Strategiephase anzuwenden sind. Die Potenzialanalyse (siehe Abbildung 6) ist
Abbildung 5: Instrumente zur Analyse der strategischen Ausgangslage (vgl. Diakonie, 2004: 10 f.)
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Robert Bachert und Laura Wagner
eine Weiterentwicklung der Stärken-Schwächen-Analyse. »Grundsätzliches Ziel [der Potenzialanalyse] ist die Beurteilung einer Organisation in ihrer Stellung am Markt und im Wettbewerb« (Horak, 1995: 317).
Abbildung 6: Die Potenzialanalyse (Pracht u. Bachert, 2005: 33)
Im Schaubild 6 ist der stärkste Mitbewerber durch die Nulllinie gekennzeichnet. Positive Bewertungen stellen eine relative Besserstellung und somit Potenziale bei den Stärken und Schwächen oder Schlüsselfaktoren gegenüber meinem Mitbewerber dar. Negative Werte entsprechen einer Schlechterstellung (vgl. Horak, 1995: 317 f.). Im Vergleich zwischen Stärken und Potenzialen und deren unterschiedlicher Bewertung wird dann für die Zukunft prognostiziert, an welcher Stelle die Organisation verbesserungsfähig ist und wo nicht. Die Kultur eines Unternehmens spielt sich im sichtbaren und unsichtbaren Bereich der Organisationen ab. Mittel- und langfristig scheitern Kooperationen meist nicht an der Kompatibilität des Rechnungswesens oder der Vertriebswege, sondern an den nicht zu vereinbarenden kulturellen Unterschieden. Aufgrund dessen ist eine Kulturanalyse durchzuführen. Die beiden entscheidenden Fragen bei der Untersuchung der Unternehmenskultur sind:
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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1. Sind die Kulturen kompatibel? 2. Sind die Kulturen mittelfristig zu synchronisieren? In der Praxis zeigt sich, dass bei Verneinung beider Fragen eine Kooperation nicht infrage kommt, da sie mittelfristig scheitern wird. Neben diesen beiden Fragen der Untersuchung sind bei der Analyse der Unternehmenskultur fünf weitere Gesichtspunkte zu analysieren: – Annahmen über die Umwelt – Vorstellungen über Wahrheit und Zeit – Annahmen über die Natur des Menschen – Annahmen über die Natur des menschlichen Handelns – Annahmen über die Natur zwischenmenschlicher Beziehungen. Die Annahmen über die Umwelt sind von Bedeutung, da diese oftmals für die zu wählende Strategie ausschlaggebend sind. Ferner ist zu fragen, ob die Umwelt vom Unternehmen als bedrohlich, herausfordernd oder als bezwingbar angesehen wird (vgl. Steinmann u. Schreyögg, 2000: 625). Die Vorstellungen über Wahrheit und Zeit geben bei der Prüfung Auskunft darüber, wie sich das Sozialsystem eines Unternehmens verhält. Der dritte Gesichtspunkt lässt Rückschlüsse auf die Mitarbeiter eines Unternehmens zu. Dabei zeigt sich, welcher »Typ Mensch« am häufigsten in einem Unternehmen vorzufinden ist und welche Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Verantwortungsbewusstsein, Gutwilligkeit etc.) die Kultur am stärksten prägen (vgl. Steinmann u. Schreyöff, 2000: 627). Die Natur des menschlichen Handels zeigt auf, ob aktives Handeln in einem Unternehmen gewünscht wird und ob eine Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten punktuell stattfindet. Beim Gesichtspunkt der zwischenmenschlichen Beziehungen wird aufgezeigt, ob eine klare Hierarchie eingehalten wird oder diese Grenzen nicht existieren. Die Umweltanalyse, auch Umfeldanalyse genannt, dient dazu, dass für die Organisation relevante und zukünftige Umfeldsituationen ermittelt werden. Dabei konzentriert sich die Umweltanalyse auf die Identifikation der Chancen und Risiken, welche sich unter anderem aufgrund der Marktentwicklung, dem Wettbewerbsverhalten sowie gesellschaftlichen oder politischen Veränderungen für das Umfeld ergeben (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 205). Die Umfeldanalyse wird in vier Schritten durchgeführt, wobei im ersten die Strategie-Projektgruppe gebildet wird, anschließend die beteiligten Personen eingeladen werden und im dritten Schritt die Adaption der Einflussbereiche vorgenommen wird. Abschließend werden die Prognosen der zukünftigen Entwicklungen sowie die Visualisierung und Fixierung der Ergebnisse durch die Strategie-Projektgruppe vorgenommen. Sind zum einen durch die Unternehmens- und Potenzialanalyse die Stärken
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Robert Bachert und Laura Wagner
und Schwächen des eigenen Unternehmens und zum anderen mittels Umweltanalyse die Chancen und Risiken identifiziert, kann nun im nächsten Schritt mit der Wettbewerbsanalyse begonnen werden. Bei der Analyse des Wettbewerbs ist es wichtig, dass die Wettbewerber inklusive ihrer Stärken und Schwächen identifiziert werden und darüber hinaus die Erfolgschancen einer möglichen Fusion herausgearbeitet werden. Zu empfehlen ist, dass grundsätzlich die Analyse der Wettbewerbssituation und damit der Wettbewerber gleichzeitig mit der Unternehmens- bzw. Potenzialanalyse des eigenen Unternehmens erfolgt, um die Vergleichbarkeit der Informationen zu gewährleisten (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 206). Dies zu leisten, stellt sich in der Praxis jedoch meist als schwierig dar, da nicht immer alle Informationen vorliegen. Nachdem die Ausgangslage des eigenen Unternehmens sowie des möglichen Partnerunternehmens analysiert wurde, ist es nun wichtig, eine mögliche Strategie für eine Kooperation bzw. Fusion auszuarbeiten (siehe Abbildung 7). Der erste Entwurf der Strategieformulierung wird im weiteren Verlauf der Ablaufsystematik konkretisiert. So liegt zu Beginn der Zusammenarbeit eine konkrete Vision des neuen kooperierenden Unternehmens vor (Beispiel einer möglichen Vision siehe Abbildung 14).
Abbildung 7: Zweiter Schritt der Strategiephase (vgl. Diakonie, 2004)
In diesem Schritt wird die Planung und Bewertung der Strategie vorgenommen. Hierzu dienen verschiedene Instrumente des strategischen Managements als Hilfsmittel. Die Stärken-Schwächen-Analyse (Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats), auch als SWOT-Analyse bekannt, hat das Ziel, die Wettbewerbsposition eines Unternehmens zu verdeutlichen. Das analysierte Unternehmen wird nach verschiedenen Merkmalen mit seinen bedeutendsten Konkurrenten verglichen und bewertet (vgl. Wöhe, 2008: 92). Durch den Aufbau der SWOT-Analyse werden die Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens (Innensicht) mit den Chancen und Risiken der Umwelt (Außensicht)
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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kombiniert. Dadurch lassen sich Rückschlüsse ziehen, die der Unternehmensführung eine Hilfestellung bei der Entscheidung bezüglich der Durchführung künftiger strategischer Maßnahmen geben. Ebenfalls kann durch die StärkenSchwächen-Analyse der Handlungsspielraum bezüglich aktueller und zukünftiger Ressourcen abgeschätzt werden (vgl. Bachert, 2003: 13). Die Ergebnisse zu unternehmensrelevanten internen Faktoren und umweltrelevanten externen Faktoren werden bei der SWOT-Analyse in einer Vier-Felder-Matrix dargestellt (siehe Abbildung 8).
Abbildung 8: Vier-Felder-Matrix der SWOT-Analyse (vgl. Diakonie, 2004: 22)
Ist die SWOT-Analyse abgeschlossen und konnte mit ihrer Hilfe die Strategie geplant werden, ist im nächsten Schritt die Strategie zu bewerten (siehe Abbildung 7). »Diejenige Strategieoption ist als optimal anzusehen, welche am ehesten dazu geeignet ist, die formulierten Unternehmensziele zu erreichen. Im Rahmen von Unternehmenszusammenschlüssen ist also festzustellen, ob das Eingehen eines Zusammenschlusses überhaupt eine sinnvolle Handlungsoption darstellt; […]« (Bachert u. Vahs, 2007: 210). Bei einem Unternehmenszusammenschluss bzw. einer Kooperation handelt es sich um externes Wachstum. Wird durch die Strategiebewertung ersichtlich, dass das externe Wachstum für das eigene Unternehmen gewünscht wird, so ist im letzten Schritt der Strategiephase ein Soll-Profil der möglichen Partnerunternehmen aufzustellen. Um das Soll-Profil der möglichen Partner aufstellen zu können, sind die Ergebnisse der vorhergegangenen Analysen von Bedeutung. Mithilfe des SollProfils soll ermittelt werden, welches Unternehmen die eigenen Schwächen durch Stärken ausgleicht, damit die gewünschten Synergieeffekte erzielt werden
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Robert Bachert und Laura Wagner
können. Das Soll-Profil wird mithilfe von Anforderungs-/Kompetenzprofilen erstellt (siehe Abbildung 9).
Abbildung 9: Erstellung eines Soll-Profils (vgl. Diakonie, 2004)
Die Erstellung des Anforderungsprofils umfasst neben den grundlegenden Rahmendaten eines möglichen Partners, wie etwa geografischer Standort, Angebotsbereiche, Rechtsform und Marktsituation, auch notwendige und gewünschte Kompetenzen, welche die ermittelten Stärken optimieren und Schwächen des eigenen Unternehmens abmildern sollten. Eine nachhaltige Kooperation oder einen Unternehmenszusammenschluss einzugehen ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Deshalb ist es empfehlenswert, sowohl Soll-Kompetenzen festzulegen, welche unter allen Umständen vorhanden sein müssen, als auch solche Kompetenzen, bei denen ein Kompromiss eingegangen werden kann. Mit dem Anforderungsprofil werden die Anforderungen an den möglichen Kooperationspartner festgehalten. Bei der Erstellung des Kompetenzprofils sind die Kompetenzen des möglichen Kooperationspartners sowie des eigenen Unternehmens zu benennen und den Anforderungen gegenüberzustellen. Dadurch wird ersichtlich, ob der jeweilige Partner die eigenen Schwächen reduziert und Stärken ausbaut bzw. welche Potenziale genutzt werden können. Weshalb diese Phase für die Entscheidung einer Kooperation oder eines Unternehmenszusammenschlusses wichtig ist, zeigen die in Tabelle 1 aufgelisteten Chancen und Risiken.
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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Tabelle 1: Chancen und Risiken der Strategiephase (in Anlehnung an Bachert u. Vahs, 2007: 213 f.) Chancen – Umfangreiche Analyse der Unternehmensinnenwelt und -außenwelt. – Entscheidungen werden auf Grundlage strategischer Analysen getroffen. Dadurch werden unüberlegte Kooperationen bzw. Zusammenschlüsse verhindert. – Ziele der Kooperation oder des Zusammenschlusses werden bereits früh benannt. – Wesentliche Möglichkeiten für die zukünftige Unternehmensentwicklung werden aufgezeigt.
3.2
Risiken – Analysen sind sehr komplex. – Hohe zeitliche Inanspruchnahme bei Erstellung der Analysen. – Oftmals müssen subjektive Annahmen getroffen werden. Dadurch kann es zu Fehleinschätzungen kommen.
Das Screening
In der zweiten Phase des sogenannten Screenings sind das relevante Marktsegment und dessen Entwicklung sowie mögliche Partnerunternehmen genauer zu untersuchen. Das Ziel dabei ist es, den am besten geeigneten Kooperationspartner zu finden. Innerhalb der Screening-Phase sollten die Schritte gemäß Abbildung 10 durchlaufen werden. Für die Analyse und Bewertung des Marktsegments ist es sinnvoll, ein Screening-Team aufzustellen. »Die Aufgabe des Screening-Teams ist es, auf der Grundlage einer fundierten Situationsanalyse nach geeigneten potenziellen Partnern für eine Kooperation zu suchen« (Diakonie, 2004: 25). Bei der Zusammenstellung des Screening-Teams ist es wichtig, darauf zu achten, dass sich dieses aus den unterschiedlichsten Bereichen und Hierarchieebenen zusammensetzt. »Bei der Personalauswahl ist sowohl auf die herausragende fachliche und methodische Kompetenz als auch auf die sozialen Fähigkeiten der Teammitglieder zu achten. Vor allem die Sozialkompetenz spielt in der Anbahnungs- und Umsetzungsphase eine ganz entscheidende Rolle für den Erfolg der Kooperation« (Diakonie, 2004: 25).
Bei der Besetzung des Teams ist es jedoch sinnvoll, dass nicht mehr als fünf Gruppenmitglieder das Team bilden. Diese Personenzahl kann für eine effiziente Zusammenarbeit und Kommunikation als optimal gelten. Im zweiten Schritt des Screenings gilt es, die in der Strategiephase herausgearbeiteten Stärken und Schwächen des eigenen Unternehmens auf Aktualität zu prüfen und gegebenenfalls anzupassen (siehe Abbildung 10). Ebenfalls sollte
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Robert Bachert und Laura Wagner
Abbildung 10: Schritte der Screening-Phase (vgl. Diakonie, 2004: 24)
auch das Kompetenzprofil des Partnerunternehmens genauestens geprüft und angepasst werden. Bei der Überprüfung der Situationsanalysen sollten folgende Gesichtspunkte betrachtet werden: – die objektive Bewertung der eigenen Kernkompetenzen – die umfassende Analyse des Ist- und Soll-Leistungsspektrums – die systematische und vollständige Abbildung der Leistungsprozesse und Schnittstellen – erste Beurteilung der Unternehmenskultur des möglichen Partners (vgl. Diakonie, 2004: 25). Wenn das Screening-Team zusammengestellt und die Situationsanalysen der Strategiephase überarbeitet sind, beginnt das Team mit der Suche nach geeigneten Kooperationspartnern. Die Kriterien, die in der vorangegangenen Analyse erarbeitet wurden, dienen dazu, um darauf aufbauend zielgerichtet nach geeigneten Partnern zu suchen. Können geeignete Unternehmen identifiziert werden, ist der nächste Schritt die Kontaktaufnahme. Erste Kontaktgespräche dienen dazu, Informationen auszutauschen. Die jeweiligen Ziele einer möglichen Kooperation müssen ebenfalls angesprochen werden. Aufgrund der in der Regel komplexen Sachverhalte ist die Verwendung einer Checkliste zu empfehlen. Sie enthält Fragen, die vor dem Beginn der »Due Diligence« geklärt werden müssen. Die Antworten sind systematisch, ggf. in
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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Tabellenform und stichwortartig, zu protokollieren. »Im Falle von offensichtlich divergierenden Zielsetzungen ist es deshalb ratsam, dass die potenziellen Partner ihr jeweiliges Zielsystem nochmals überprüfen und gegebenenfalls von weiteren Gesprächen Abstand nehmen« (Bachert u. Vahs, 2007: 216). Nach den Gesprächen mit möglichen Kooperationspartnern steht die Entscheidung an, mit welchem Unternehmen eine Kooperation optimal ablaufen könnte. Um das ideale Unternehmen zu identifizieren, werden die Protokolle der Gespräche mithilfe eines Punktesystems ausgewertet. Durch das Punktesystem lässt sich ein schneller Rückschluss ziehen, welches Unternehmen als geeignet infrage kommt. Ebenfalls ist es durch dieses Verfahren möglich, eine Rangfolge festzulegen. »Gemäß dieser Rangfolge sind dann Gesprächstermine mit den Entscheidungsträgern der in Frage kommenden Unternehmen zu vereinbaren um zu klären, inwieweit und in welchem zeitlichen Rahmen sie nun tatsächlich zu einer Zusammenarbeit mit dem eigenen Unternehmen bereit sind« (Bachert u. Vahs, 2007: 216).
Tabelle 2 zeigt die Chancen und Risiken dieser Phase auf. Tabelle 2: Chancen und Risiken der Screening-Phase (in Anlehnung an Bachert u. Vahs, 2007: 218 f.) Chancen Risiken – Gespräche werden zu schnell und ober– Durch Kontaktgespräche wird schnell flächlich durchgeführt, sodass eventuell ersichtlich, ob ein geeigneter Partner zur Verfügung steht. wichtige Informationen nicht erfasst werden. – Unüberlegtes Kooperieren kann verhin– Gespräche können zeitintensiv sein. dert werden. – Vermeidung von zeit- und kostenintensiven Verhandlungen.
3.3
Die Due Diligence
Wird durch den Verlauf des Screenings am Ende der Phase ein optimaler Kooperationspartner gefunden, so ist dieser mithilfe einer Due Diligence genauer zu analysieren. Unter einer Due Diligence ist eine sorgfältige Unternehmensprüfung zu verstehen. »Sie dient dazu, in professioneller Art und Weise eine Klarheit über den Umfang und Inhalt der geplanten Kooperation zu gewinnen und setzt die Bereitschaft der Verhandlungspartner voraus, alle entscheidungsrelevanten Informationen offen zu legen« (Diakonie, 2004: 29). Dadurch können unter anderem die Geschichte des Unternehmens, die strategische Ausrichtung, das Leistungsangebot, die Prozesse und Strukturen, die Personal- und Unterneh-
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Robert Bachert und Laura Wagner
menskultur, Kennzahlen des Unternehmens, die wirtschaftlichen Gegebenheiten und die Stärken und Schwächen des möglichen Kooperationspartners geprüft werden, damit Chancen und Risiken für das Zustandekommen einer Kooperation herausgefunden werden (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 220 f.). Um die sorgfältige Unternehmensprüfung durchführen zu können, sollten folgende Schritte durchlaufen werden (siehe Abbildung 11):
Abbildung 11: Schritte der Due Diligence (eigene Darstellung)
Wie in der Screening-Phase ist für die Due Diligence ebenfalls ein Team mit den bereits genannten Kriterien zu bilden, welches mithilfe eines klaren Auftrags die Prüfung durchführt. Anschließend wird ein sogenannter »Letter of Intent« (LoI) aufgesetzt (Vorbereitung der Prüfung), der die Unternehmen zur Verschwiegenheit verpflichtet (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 220 f.). Ist dieser von beiden Kooperationspartnern unterzeichnet, kann die Due Diligence beginnen. Während der Prüfung werden die Ergebnisse festgehalten, damit im darauffolgenden Schritt eine Auswertung des Prüfungsprotokolls vorgenommen werden kann. Die Chancen und Risiken dieser Phase können Tabelle 3 entnommen werden.
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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Tabelle 3: Chancen und Risiken der Due Diligence (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 223) Chancen Risiken – Offenlegung aller Informationen. – Ergebnisse können in der Phase der Verhandlung genutzt werden. – Durch Prüfung der bereits vorhandenen Kriterien können Misserfolge vermieden werden.
Wenn die Due Diligence durchgeführt ist und weiterhin Interesse an einer Kooperation besteht, kann in der nächsten Phase die Verhandlung beginnen.
3.4
Die Verhandlung
Um mit der Phase der Verhandlung beginnen zu können, ist ein Personenkreis mit den Top-Entscheidungsträgern, dem Justiziariat oder ggf. externen Juristen und ausgewählten Bereichsleitern zu bestimmen. Außerdem werden die Personen benannt, welche die Verhandlungen führen. Während der Verhandlung sollten die Verhandlungsergebnisse protokolliert werden, damit diese später nicht nochmals behandelt werden müssen. »Grundsätzlich ist dabei zwischen den Verhandlungspartnern zu klären, welche Bindungswirkung diesen Verhandlungsprotokollen zugesprochen wird. Generell gilt, dass eine rechtlich verbindliche Festlegung erst im Wege der Unterzeichnung eines Kooperationsvertrages erfolgt« (Bachert u. Vahs, 2007: 225).
Abbildung 12: Schritte der Verhandlung (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 225)
Zu Beginn der Verhandlung (siehe Abbildung 12) sind im ersten Schritt sowohl die Kooperationsziele als auch die Kooperationsmaßnahmen zu ermitteln. Um die gemeinsamen Ziele definieren zu können, ist es sinnvoll, vorab die eigenen
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Robert Bachert und Laura Wagner
Ziele zu dokumentieren. Diese werden den Zielen des Kooperationspartners gegenübergestellt, damit so die Vor- und Nachteile eines Zusammenschlusses aufgezeigt werden und die Win-Win-Situation deutlich wird. Voraussetzung dafür ist eine offene Kommunikation und die Erzielung einer Übereinstimmung. Im Anschluss daran wird ein Kooperationsplan erstellt (siehe Checkliste). Checkliste: Inhalte eines Kooperationsplans (vgl. Diakonie 2004: 36 ff.) – Detaillierte Auflistung der Kooperationsziele und der grundlegenden Kooperationsaktivitäten – gemeinsam akzeptierte Erfolgs- und Misserfolgskriterien – Maßnahmen- und Prozessplan inklusive Meilensteinen – Bindungsintensität und Rechtsform – Strukturierung von Aufgaben und Arbeitspaketen – Zeit- und Ablaufplanung – Gestaltung der Implementierungsphase – Organisationsfragen (Aufbau- und Ablauforganisation, Führungsstruktur, Kommunikationsstruktur usw.) – Beschreibung und Festlegung von Rollen und Aufgaben der Partner sowie Aufteilung von Verantwortlichkeiten – Rechte und Pflichten der Partner sowie Haftungsfragen – Schnittstellen und grundsätzliche Spielregeln der Zusammenarbeit – Entscheidungs- und Abstimmungsabläufe – Formen und Häufigkeit eines regelmäßigen Austausches sowie Überprüfungszeitpunkte – Bereitstellung sachlicher, personeller und finanzieller Ressourcen – Personal- und Zuständigkeitsregelungen – Vereinbarungen, was bei Nichterfüllung von Aufgaben bzw. bei Erfolg oder Misserfolg des Kooperationsvorhabens geschieht – Klärung von Konfliktpotenzialen und Konfliktregelungen – Informations- und Berichtspflichten – Auswirkungen der Kooperation auf weitere Unternehmensaktivitäten und -bereiche – Fragen des Managements und der Steuerung der Kooperation – Finanzierungs- und Budgetfragen – Aufteilung von Gewinn und Verlusten – Verwertungs- und Wettbewerbsfragen – Öffentlichkeitsarbeit, Corporate-Design- und Image-Fragen
Im nächsten Schritt ist der Kooperationsvertrag zu verhandeln. Mithilfe des Kooperationsvertrags sind die Bedingungen der Kooperation und deren Ziele
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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festzulegen. Grundlegend sind während des gesamten Prozesses der Kooperationsanbahnung die Prinzipien der Transparenz und Offenheit zu beachten. So können Missverständnisse und Unklarheiten vermieden werden, die im späteren Verlauf der Kooperation zu Konflikten führen könnten. Es empfiehlt sich auch, kritische Gesichtspunkte und potenzielle Konflikte in der Verhandlungsphase anzusprechen und zu erörtern. Je detailliertere Punkte während der Verhandlung besprochen werden, desto stärker steigt das Risiko, dass Unstimmigkeiten zwischen den Partnern auftreten (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 228). »Am Ende der erfolgreichen Verhandlungen und der Konsensbildung steht schließlich der Abschluss einer Kooperationsvereinbarung, in der die zuvor verhandelten sachlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Kooperationsbedingungen verbindlich vereinbart werden« (Bachert u. Vahs, 2007: 224 f.). Die Tabelle 4 stellt die Chancen und Risiken dieser Phase dar. Tabelle 4: Chancen und Risiken in der Phase der Verhandlung (in Anlehnung an Bachert u. Vahs, 2007: 231) Chancen – Schaffung guter Voraussetzungen für die spätere Umsetzung und Durchführung der Kooperation. – Kennenlernen des Kooperationspartners. – Verdeutlichung der Unternehmensziele.
3.5
Risiken – Mögliche Motive und Ziele des Kooperationspartners werden übersehen. – Eigentlicher Zweck kann aufgrund der Verhandlungen außer Acht gelassen werden. – Unterschiedliche Vorstellungen über Inhalte, aus denen Missverständnisse entstehen können. – Unzureichende Überprüfung der rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen. – Unvollständigkeit des Kooperationsvertrags.
Der Beginn der Zusammenarbeit
Sind in der vorherigen Phase die Kooperationsziele, die Kooperationsstruktur und der Kooperationsvertrag festgelegt worden, folgt der Beginn der Zusammenarbeit. Die in den Verhandlungen vereinbarten Maßnahmen werden durchgeführt. Mit folgenden Schritten (siehe Abbildung 13) beginnt die Zusammenarbeit. Grundlegend für die nachhaltige Zusammenarbeit ist eine gemeinsame Vision über die Zukunft als Partnerunternehmen. Diese Vision ist partizipativ mit Mitarbeitern und Entscheidungsträgern der beiden Unternehmen zu entwickeln. Eine beispielhafte Vision in Anlehnung an die Systematik der Balanced
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Robert Bachert und Laura Wagner
Abbildung 13: Schritte beim Beginn der Zusammenarbeit (in Anlehnung an Bachert u. Vahs, 2007: 233)
Scorecard ist die Vision der Evangelischen Kreditgenossenschaft (siehe Abbildung 14). Sie zeigt anhand von fünf Perspektiven, wie sich die Vision des Unternehmens darstellt.
Abbildung 14: Vision der Evangelischen Kreditgenossenschaft (EKK, 2014: 16)
Bei der Vorbereitung der Planung sind die Personen zu bestimmen, welche an der Umsetzung der Kooperation beteiligt werden sollen. Neben der Bestimmung des Personenkreises sind darüber hinaus Managementfragen zu klären und die für die Umsetzung relevanten sachlichen und wirtschaftlichen Ressourcen zu bestimmen, damit ein Misserfolg aufgrund von Ressourcenknappheit ausgeschlossen werden kann. Ferner ist es wichtig, die im Kooperationsvertrag genannten Aufgaben und Arbeitspakete näher zu definieren. Darüber hinaus sollte die Art der Dokumentation im Kooperationsprozess definiert werden. Für die
Nachhaltige Gestaltung von Unternehmenszusammenschlüssen
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Implementierung und Umsetzung der Zusammenarbeit sind klare organisatorische Regelungen sowie klar geregelte Arbeitsprozesse wichtig. Ebenfalls festgelegt werden sollten die Funktionen, Aufgaben und Zuständigkeiten sowie Gremien für einen regelmäßigen Austausch der Partner. Dadurch kann eine gemeinsame Leitungskultur bzw. eine gemeinsame Motivation geschaffen werden. Im nächsten Schritt ist mit der Kommunikation und Information sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis zu beginnen. Hierzu sind die entsprechenden Prozesse zu erstellen und zu institutionalisieren. Die Prozesse der Kommunikation und Information sind in der Unternehmenskultur zu verankern. Um eine entsprechende Kommunikation zu ermöglichen, ist das Kennenlernen der Partner gerade in dieser Phase von Bedeutung. Innerhalb der Kommunikation und Information sind die Grundsätze der Transparenz, Klarheit und Offenheit, Vollständigkeit sowie die zeitnahe Informationsweitergabe ebenfalls zu beachten. Bei der Durchführung und Weiterentwicklung wird die Phase des Beginns verlassen und es geht fließend in die Betriebsphase über. Dieser Schritt stellt die wertschöpfende Phase einer Kooperation dar und beinhaltet die Leistungserbringung, die Stabilisierung sowie die Routinisierung. In dieser Phase wird darüber hinaus ersichtlich, ob die Analysen der ersten Phase zutreffend waren. Hierbei ist es wichtig, den Kooperationsprozess regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 233). Chancen und Risiken in der Phase des Beginns und der Durchführung der Zusammenarbeit stellt Tabelle 5 dar. Tabelle 5: Chancen und Risiken zu Beginn der Zusammenarbeit« (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 236 f.) Chancen – Es werden tragfähige Voraussetzungen und Strukturen für die Kooperation geschaffen. – Grundlegende Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Umsetzung der Kooperation werden festgelegt. – Frühzeitige Entwicklung eines »Wir-Gefühls« bewirkt eine hohe Motivation.
Risiken – Wird die Umsetzung zu schnell und damit überhastet vorangetrieben, kann dies zur Folge haben, dass wesentliche Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kooperation nicht betrachtet werden. – Keine ausreichende Koordination der Kooperationsaktivitäten. – Unzureichende Bereitstellung von Ressourcen. – Vernachlässigung des Informationsmanagements.
64 3.6
Robert Bachert und Laura Wagner
Das Controlling
Die letzte Phase beinhaltet das Controlling der Kooperation. Sie dient der laufenden Kontrolle und Weiterentwicklung. Damit eine Kontrolle der Kooperation erfolgen kann, ist es sinnvoll, ein geeignetes Controllingsystem bereits in der vorhergegangenen Phase einzuführen. Abbildung 15 zeigt die Schritte, die in dieser Phase durchlaufen werden sollten.
Abbildung 15: Schritte des Controllings (in Anlehnung an Bachert u. Vahs, 2007: 238)
Controlling ist ein schillernder Begriff, von dem jede Berufsgruppe und jede hierarchische Ebene in der Organisation ein eigenes Verständnis hat. »Mit dem Begriff ›Controlling‹ werden unterschiedliche Vorstellungen verknüpft. Das englische Verb ›to control‹ kann im Deutschen mit bis zu 50 verschiedenen Begriffen übersetzt werden. Die Wichtigsten davon sind: steuern, beherrschen, bewirtschaften und kontrollieren« (Bachert, 2010: 25). »Eine starke Mehrheit von Autoren einschlägiger Literatur bevorzugt bestimmte Aussagen über die Funktionsweise des Controllings. So suggeriert das Wort Controlling bei uns immer noch allzu sehr, dass es in erster Linie um Kontrolle ginge« (Bachert u. Pracht, 2004: 13). Vielmehr geht es darum, in einem Regelkreis bestehend aus Zielsetzung, Planung, Entscheidung, Realisierung und Kontrolle Abweichungen der Ist- und Solldaten zu erkennen und darauf basierend Maßnahmen einzuleiten. Der Regelkreis sollte sowohl »harte« als auch »weiche« Faktoren einbeziehen, damit Schwachstellen im »Tagesgeschäft« einer Kooperation erkannt werden, Steuerungsmaßnahmen eingeleitet werden können und eine laufende
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Überwachung und Optimierung der Kooperationskultur erfolgt (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 238). Um den Soll-Zustand (vgl. Abbildung 15) definieren zu können, ist eine Zielanpassung vorzunehmen. Die bereits formulierten Ziele müssen vollständig, überschneidungsfrei, aktuell und verbindlich vorliegen, damit Zielfehler vermieden werden. Um ein entsprechendes Controlling durchführen zu können, ist es wichtig, die Zielsetzung bereits zu Beginn der Ablaufsystematik zu dokumentieren, zu kommunizieren und mögliche Unstimmigkeiten in der Kooperation zu beseitigen. Die bereits festgelegten Ziele zeigen den Soll-Zustand auf. Bei der Ermittlung des Ist-Zustands sind die festgelegten Ziele zu überprüfen und einer Realisationskontrolle zu unterziehen. Eine wiederholte Prüfung der Ziele ist wegen des Grundsatzes der betriebswirtschaftlichen Planung wichtig. Die ermittelten Ist-Ergebnisse sind schriftlich zu dokumentieren und im darauffolgenden Schritt in den Soll-Ist-Vergleich zu integrieren (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 239). Im Soll-Ist-Vergleich sind sowohl die »harten« als auch »weichen« Ist-Werte den fiktiven Soll-Werten gegenüberzustellen. Ist dies geschehen, ist eine Abweichungsanalyse sowohl hinsichtlich positiver als auch negativer Abweichungen durchzuführen und die Ursachen für die Abweichung sind herauszuarbeiten. Das Ergebnis dieser Analyse ist ebenfalls zu dokumentieren und zu kommunizieren. Sind die Abweichungen und deren Ursachen herausgearbeitet, ist es nun wichtig, (Gegen-)Steuerungsmaßnahmen einzuleiten. Es empfiehlt sich, dass das KVP-Team (Kontinuierlicher-Verbesserungsprozess-Team) nach Fertigstellung der Soll-Ist-Abweichung sofort Maßnahmen zur Beseitigung zukünftiger negativer Abweichungen durchführt (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 239 f.). Die folgende Checkliste (Bachert, 2006: 196) bildet für die neue kooperierende Einrichtung einen sinnvollen Standard, um ein optimales Controlling mit einem Berichtswesen zu entfalten. Es gestaltet sich als Denkhaltung und wird bereichs- und hierarchieübergreifend partizipativ eingesetzt. Checkliste – Berichtswesen und Kennzahlen – Corporate Governance Thema Soll-/Ist-Werte Soll- und Ist-Werte Soll-Werte Wirtschaftsplan Wirtschaftsplanzahlen
Frage
Antwort
Enthalten unsere Berichte Soll- und IstDaten? Sind die Soll-Werte nach dem Gegenstromverfahren bezogen auf die finanzwirtschaftlichen Daten entstanden?
o Ja o Nein
Sind die Wirtschaftsplanzahlen verbindlich verabschiedet?
o Ja o Nein o Ja o Nein
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Robert Bachert und Laura Wagner
(Fortsetzung) Checkliste – Berichtswesen und Kennzahlen – Corporate Governance Thema Soll-Werte (Vorgabewerte) Kennzahlen Aufsicht und Zugriff
Frage Sind die Soll-Werte bezogen auf die nicht finanzwirtschaftlichen Daten in einem kommunikativen Prozess mit den Führungskräften entstanden und verbindlich verabschiedet?
Antwort
Hat die Aufsicht bei Bedarf Zugriff auf alle Soll-Werte?
o Ja o Nein
Sind die Verantwortlichkeiten für die Lieferung von Daten und die Zeitschiene geregelt? Hat die Aufsichtsebene an der Festlegung und Entwicklung der Berichtsinhalte mitgewirkt?
o Ja o Nein o Ja o Nein
Sind der Berichtsstand und das Druckdatum auf dem jeweiligen Bericht enthalten? Ist der Name der Empfänger auf dem jeweiligen Bericht abgedruckt bzw. der Name der empfangenden Stelle?
o Ja o Nein
o Ja o Nein
Verantwortung und Zeitnähe Datenverantwortung und Zeitschiene Aufsichtsaufgabe Berichtsstand, Druckdatum Name der Empfänger Name des Berichtenden
o Ja o Nein
Ist der Name der berichtenden Stelle auf dem o Ja jeweiligen Bericht abgedruckt bzw. der Name o Nein der berichtenden Stelle?
Berichtsinhalte Grafische Darstellungen Kennzahlendefinition Kennzahlenkommunikation Kennzahlenbereitstellung
Gibt es ausreichend Diagramme und grafische Darstellungen in den Berichten zur Visualisierung wichtiger Sachverhalte? Sind die Kennzahlen, die der Steuerung und Information sowie Kontrolle dienen, definiert? Sind die jeweiligen Empfänger gefragt worden, welche Kennzahlen Sie benötigen? Sind die für den Empfängerkreis relevanten Kennzahlen in den entsprechenden Berichten für Leitung und Aufsicht enthalten?
Besteht ein positives Kosten-Nutzen-VerhältKennzahlenwirtschaftlichkeit nis für die Ermittlung der Kennzahlen (Wirtschaftlichkeit)? Kann von Seiten der Aufsicht und Leistung Kennzahlenbereitstellung überprüft werden, ob die Kennzahlenaufstellung valide Daten liefert? Benchmarking
Fließen Vergleichsdaten in die Berichte mit ein (Branchenvergleich/Statistiken/Kostendaten und Leistungsdaten anderer Einrichtungen)?
o Ja o Nein o Ja o Nein o Ja o Nein o Ja o Nein o Ja o Nein o Ja o Nein o Ja o Nein
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(Fortsetzung) Checkliste – Berichtswesen und Kennzahlen – Corporate Governance Thema Vorjahresdaten
Personalangaben
Analysen und Kommentare
Frage Antwort Sind die Daten des Vorjahres in unser Beo Ja richtswesen integriert und können Vergleiche o Nein gezogen werden? Werden die folgenden Angaben über unser Personal in das Berichtswesen integriert: Fluktuation, Krankenstand, Honorarkräfte, Vollkräftezahlen, Personalstatistiken und Dienstplanungsdaten? Sind Erläuterungen und Kommentare zum besseren Verständnis und zur Analyse der abgelieferten Zahlen und Daten enthalten?
o Ja o Nein o Ja o Nein
Tabelle 6 stellt die Chancen und Risiken zu Beginn und während der Durchführung der Phase des Controllings dar. Tabelle 6: Chancen und Risiken der Phase des Controllings (vgl. Bachert u. Vahs, 2007: 240) Chancen – Ein systematisches und planvolles Kooperations-Controlling birgt keine Risiken. – »Hilfe zur Selbsthilfe« – Verbesserung der überbetrieblichen Zusammenarbeit – Optimierung der gemeinsamen Leistungsprozesse – Erhöhung der Kosteneffizienz
4.
Risiken – Vergleich falscher Daten – Fehlerhafte Prognosen und darauf aufbauende Strategien und Maßnahmen – Dauerhaft vorhandene und nicht bearbeitete kulturelle Dissensfaktoren, die sich betriebswirtschaftlich negativ auswirken – Keine optimalen Frühwarninstrumente – Verwendung von nicht aussagekräftigen Kennzahlen
Fazit
Kooperationen und Allianzen sind wichtige Bausteine einer strategischen Unternehmensentwicklung. Im Zeichen sich verändernder regionaler Marktstrukturen, der zunehmenden Steuerung der Leistungsträger und enger werdender finanzieller Spielräume sind Kooperationen und Allianzen ein wichtiger Beitrag der strategischen Unternehmensentwicklung. Für eine nachhaltige Gestaltung sind sie kultursensibel und strategisch sowie nach einem standardisierten Ablauf mithilfe verschiedener Instrumente fundiert zu planen. So können die in Abbildung 16 dargestellten Misserfolge vermieden und Erfolgsfaktoren realisiert werden.
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Robert Bachert und Laura Wagner
Abbildung 16: Misserfolgs- und Erfolgsfaktoren von Kooperationen (in Anlehnung an Diakonie, 2004: 8)
Literatur Bachert, R. (Hrsg.) (2006). Corporate Governance in Nonprofit-Unternehmen. München: WRS Verlag. Bachert, R., Vahs, D. (2007). Change Management in Nonprofit-Organisationen. Stuttgart: Schäffer Poeschel. Bachert, R. (Hrsg.) (2010). Controlling in der Nonprofit Organisation. Freiburg: Lambertus. Bachert, R., Schmidt, A. (2010). Finanzierung von Sozialunternehmen. Theorie, Praxis, Anwendung, Freiburg: Lambertus. Diakonie (2004). Handbuch Projekt Innovative Jugendhilfe. Stuttgart. EKK (2014). Gesamtbeiratstagung EKK. Kassel. Pracht, A., Bachert, R. (2005). Strategisches Controlling. Controlling und Rechnungswesen in Sozialen Unternehmen. Weinheim u. München: Juventa. Picot, G. (Hrsg.) (2002). Handbuch Mergers & Acquisitions. Planung – Durchführung – Integration (2. Aufl.). Stuttgart: Schäffer Poeschel. Steinmann, H., Schreyögg, G. (2000). Grundlagen der Unternehmensführung. Konzepte – Funktionen – Fallstudien (5. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler. Vahs, D. (2005). Organisation – Einführung in die Organisationstheorie und -praxis (5. Aufl.). Stuttgart: Schäffer Poeschel. Vahs, D., Schäfer-Kunz, J. (2007). Einführung in die Betriebswirtschaftslehre (5. Aufl.). Stuttgart: Schäffer Poeschel.
Annette Rabe
Zwischen Vielfalt und Einheit: Arbeitsrechtliche Auswirkungen von Fusionen und Kooperationen im kirchlich-diakonischen Kontext
Innerhalb der evangelischen und katholischen Kirche sowie in den Einrichtungen ihrer Diakonie und Caritas wurden in den letzten Jahren eine Vielzahl von Kooperationen und Fusionen eingegangen. Die Frage der Zusammenarbeit mit anderen Organisationen ist zudem in vielen kirchlichen und diakonischen Einrichtungen immer wieder Gegenstand strategischer Überlegungen und Planungen. Ziele von Kooperationen und Fusionen sind insbesondere gebündelte Stärken, Synergieeffekte, Kosteneinsparung und eine größere Marktmacht. Bisherige Erfahrungen in der Privatwirtschaft machen allerdings deutlich, dass bei einer Vielzahl der Fusionen Anspruch und Wirklichkeit stark voneinander abweichen (vgl. Bachert u. Vahs, 2007). Auch im kirchlich-diakonischen Kontext sind für die beteiligten Personen die mit einer Fusion oder Kooperation einhergehenden Herausforderungen erheblich. Im Rahmen von Fusions- und Kooperationsprozessen ergeben sich komplexe rechtliche Fragestellungen, von deren Beantwortung nicht zuletzt der Erfolg der angestrebten Zusammenarbeit entscheidend beeinflusst werden kann. So sind im Vorfeld eines Zusammenschlusses insbesondere steuer-, gesellschafts- und arbeitsrechtliche Fragen zu klären, die aufgrund ihres Umfangs und ihrer Komplexität einer sorgfältigen Prüfung bedürfen. Im kirchlich-diakonischen Kontext stellt sich zudem die Frage, ob und inwieweit kirchenarbeitsrechtliche Regelungen zur Anwendung kommen.
1.
Kooperation und Fusion
Fusionen und Kooperationen unterscheiden sich im Hinblick auf ihre rechtlichen Auswirkungen signifikant, sodass zunächst diese beiden Formen voneinander abzugrenzen sind. Unter einer Kooperation wird die Zusammenarbeit verschiedener selbständiger Rechtsträger verstanden, die sich lediglich auf einzelne Unternehmensaktivitäten bezieht und die jeweilige rechtliche Eigen-
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Annette Rabe
ständigkeit unberührt lässt (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007). Kooperationen weisen im Hinblick auf ihre Bindungsintensität und den Autonomiegrad der beteiligten Unternehmen sehr große Unterschiede auf. Das in der Praxis anzutreffende Spektrum reicht von unverbindlichen Absprachen der Kooperationspartner ohne praktische Relevanz im Unternehmensalltag bis hin zu engen Kooperationen auf der Grundlage eines verbindlichen Kooperationsvertrages mit weitgehenden Verpflichtungen. Einen Kooperationsvertrag über ihre verbindliche Zusammenarbeit haben beispielsweise die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau im Dezember 2012 geschlossen. Vereinbart wurde die verbindliche Zusammenarbeit in den Bereichen Mission und Ökumene, Religionspädagogik, Akademiearbeit sowie in der theologischen Fort- und Weiterbildung. Auch nach Abschluss dieses Kooperationsvertrages bleiben die beiden Landeskirchen weiterhin rechtlich selbständig. Der Kooperationsvertrag ist unbefristet und kann von jeder Seite mit einer Frist von zwei Jahren gekündigt werden (vgl. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, 2012). Zwischen den beiden Landeskirchen wurden konkrete Absprachen der Zusammenarbeit getroffen: Für das Arbeitsfeld Mission und Ökumene wird ein gemeinsames Zentrum mit Sitz in Frankfurt am Main und einer Geschäftsstelle in Kassel errichtet. Dieses Zentrum in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau soll ökumenische Partnerschaften weiterentwickeln und den interreligiösen Dialog pflegen. Für die religionspädagogische Arbeit wird ein gemeinsames Zentrum in Trägerschaft der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck mit Sitz in Marburg aufgebaut. Dieses Zentrum wird für den evangelischen Religionsunterricht in allen Schulformen sowie für den Konfirmandenunterricht Begleitprogramme entwickeln. Die Akademien der beiden Landeskirchen werden ihre Programme aufeinander abstimmen und Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Evangelische Akademie entwickeln. Für die theologische Aus- und Fortbildung sollen gemeinsame Prüfungsordnungen geschaffen werden. Zudem wurde vereinbart, in Zukunft gemeinsam um Nachwuchs für den Pfarrberuf zu werben (vgl. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, 2012). Bei einer Fusion hingegen geht – im Gegensatz zur Kooperation – zumindest eines der beteiligten Unternehmen völlig unter, indem sein Vermögen auf ein anderes Unternehmen übertragen wird (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007). Die Vermögensübertragung kann im Wege der Einzelrechtsnachfolge oder der Gesamtrechtsnachfolge geschehen. Unter einer Einzelrechtsnachfolge wird ein Übertragungsvorgang verstanden, bei dem sämtliche Einzelteile einer Vermögensmasse jeweils einzeln vom abgebenden auf den übernehmenden Rechtsträger übertragen werden. Im Gegensatz dazu bezeichnet die dem Umwandlungsgesetz zugrunde liegende Gesamtrechtsnach-
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folge einen Übertragungsvorgang, der das gesamte Vermögen einer natürlichen oder juristischen Person unmittelbar kraft Gesetzes übergehen lässt (vgl. Bachner, Köstler, Matthießen u. Trittin, 2012). Das Umwandlungsgesetz regelt nähere Einzelheiten der Verschmelzung; dieses Gesetz ist grundsätzlich auch auf die Verschmelzung kirchlicher und diakonischer Rechtsträger anwendbar (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007). Bestimmte Rechtsträger können ohne Auflösung durch Abwicklung gemäß § 2 des Umwandlungsgesetzes auf zwei Arten verschmelzen: Zum einen kann eine Verschmelzung im Wege der Aufnahme geschehen, indem das Vermögen eines Rechtsträgers oder mehrerer Rechtsträger als Ganzes auf einen anderen bestehenden Rechtsträger übertragen wird. Lediglich der aufnehmende Rechtsträger bleibt in diesem Fall rechtlich bestehen, der übertragende Rechtsträger hingegen geht unter. Zum anderen kann die Verschmelzung im Wege einer Neugründung vonstattengehen, indem die Vermögen zweier oder mehrerer Rechtsträger jeweils als Ganzes auf einen neuen, von ihnen dadurch gegründeten Rechtsträger übergehen. Im Gegenzug werden Mitgliedschaften oder Anteile des übernehmenden oder neuen Rechtsträgers an die Anteilsinhaber – die Gesellschafter, Partner, Aktionäre oder Mitglieder – der übertragenden Rechtsträger gewährt. Die Rechtsträger, die an einer solchen Verschmelzung beteiligt sein können, werden im Umwandlungsgesetz enumerativ aufgeführt (vgl. Windbichler, 2013). Zu ihnen gehören gemäß § 3 des Umwandlungsgesetzes unter anderem die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Aktiengesellschaft und der eingetragene Verein im Sinne des § 21 des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Die Kirchen selbst zählen nicht zu den umwandlungsfähigen Rechtsträgern; sie werden in der abschließenden Aufzählung des § 3 des Umwandlungsgesetzes nicht erwähnt. Die Regelungen des Umwandlungsgesetzes finden daher auf die Kirchen keine Anwendung, eine Analogie der Vorschriften scheitert zudem an dem in § 1 Abs. 2 Umwandlungsgesetz enthaltenen Analogieverbot. Verständigen sich mehrere Landeskirchen – wie beispielsweise die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs, die Nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche und die Pommersche Evangelische Kirche im Jahr 2012 – auf eine Fusion zu einer gemeinsamen Kirche, liegt eine rechtsgeschäftlich vereinbarte Gesamtrechtsnachfolge vor. Eine solche rechtsgeschäftliche Universalsukzession ist der deutschen Privatrechtsordnung grundsätzlich unbekannt. Sie ist prinzipiell lediglich dann möglich, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, also insbesondere im Rahmen des Erbfalls gemäß § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder nach den – wie bereits erwähnt für Kirchen nicht anwendbaren – Regelungen des Umwandlungsgesetzes (vgl. Joussen, o. J.). Losgelöst von diesem Grundsatz, dass eine Gesamtrechtsnachfolge nur in den gesetzlich abschließend geregelten Fällen erfolgen kann, sind Fälle wie der
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vorliegende einzuordnen, in dem die Gesamtrechtsnachfolge durch ein Kirchengesetz angeordnet wird. Diese Entscheidung hat die staatliche Rechtsordnung hinzunehmen, da der Fusion zugrunde liegende Gesetzesakt durch das der Kirche verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungs- und Selbstverwaltungsrecht gedeckt wird (vgl. Joussen, o. J.). Fusionen im kirchlich-diakonischen Kontext sind keine Seltenheit. So wurde beispielsweise im Dezember 2012 ein Vertrag über die Fusion des Diakonischen Werks von Kurhessen-Waldeck und des Diakonischen Werks in Hessen und Nassau zur »Diakonie Hessen – Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e. V.« unterzeichnet. Ziel dieser Fusion soll die Stärkung der sozialpolitischen Wirkung der Diakonie und die Schaffung von Synergieeffekten sein. Auf diese Weise sollen Ressourcen für innovatives Handeln frei werden (vgl. Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, 2012). Die Arbeits- und Dienstverhältnisse, die vor der Verschmelzung zum Diakonischen Werk Hessen und Nassau e. V. oder zum Diakonischen Werk Kurhessen-Waldeck bestanden hatten, wurden auf das gemeinsame Werk übergeleitet (vgl. § 25 Abs. 4 der Satzung der Diakonie Hessen). Die bisherigen Mitglieder der beiden Diakonischen Werke wurden Mitglieder des gemeinsamen Werks (vgl. § 25 Abs. 6 der Satzung der Diakonie Hessen). Von der Verschmelzung ist der sogenannte Anteilserwerb abzugrenzen. Werden von einem Unternehmen lediglich Gesellschaftsanteile einer Kapitalgesellschaft erworben (englisch: share-deal), bleibt der Arbeitgeber derselbe; ein Betriebsübergang gemäß § 613 a BGB findet nicht statt (vgl. Bachner et al., 2012: 33). Kauft beispielsweise eine diakonische Einrichtung Gesellschaftsanteile einer Krankenhausbetreibergesellschaft in der Rechtsform einer GmbH, wird hierdurch der rechtliche Bestand des Unternehmens grundsätzlich nicht verändert. Lediglich die Eigentümerstruktur der Kapitalgesellschaft erfährt eine Veränderung; Arbeitgeber der Mitarbeitenden ist weiterhin die Krankenhausbetreibergesellschaft.
2.
Kirchliches Selbstbestimmungsrecht
Aufgrund der Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts können die Kirchen frei entscheiden, welche Dienste es in ihren Einrichtungen geben soll und welche Rechtsformen diese haben. Die im Selbstbestimmungsrecht der Kirchen enthaltene Ordnungsbefugnis gilt nicht nur für die kirchliche Ämterorganisation, sondern grundsätzlich für die Ordnung des kirchlichen Dienstes. »Ordnen« und »Verwalten« im Sinne des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung meint das Recht der Kirchen, alle eigenen Angelegenheiten gemäß den spezifischen kirchlichen Ordnungsgesichtspunkten, das
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heißt auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses, rechtlich gestalten zu können (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – juris). Diese Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsgarantie kommt nicht nur den verfassten Kirchen und ihren rechtlich selbständigen Teilen zugute, sondern darüber hinaus allen der Kirche in bestimmter Weise zugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform, wenn sie nach kirchlichem Selbstverständnis ihrem Zweck oder ihrer Aufgabe entsprechend berufen sind, ein Stück des Auftrags der Kirche in der Welt wahrzunehmen und zu erfüllen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – juris). Die Beantwortung der Frage, ob eine Einrichtung ein Stück des Auftrags der Kirche in der Welt wahrnimmt, obliegt bis zur Grenze des Missbrauchs der Selbstbestimmung der Kirche. Zum Selbstbestimmungsrecht der Kirche gehört nämlich auch, dass sie ihre Aufgaben frei festlegen kann (Rüfner, 2005). Der den Kirchen eingeräumte Freiraum umfasst grundsätzlich auch die Freiheit zur Kooperation und zum Zusammenschluss mit anderen Einrichtungen – auch mit konfessionsverschiedenen oder weltlichen Partnern. Fusionen und Kooperationen mit kirchlichen oder diakonischen Beteiligten können folglich in verschiedenen Konstellationen auftreten, und zwar zwischen konfessionsgleichen Einrichtungen, zwischen konfessionsverschiedenen Einrichtungen oder zwischen kirchlichen und weltlichen Trägern (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007).
3.
Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts
Bei einer Fusion mit kirchlichen oder diakonischen Beteiligten stellt sich die Frage, ob und inwieweit die bisher bei den einzelnen Fusionspartnern geltenden Regelungen insbesondere auf dem Gebiet des kirchlichen Arbeitsrechts weiterhin Gültigkeit haben. Auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen folgt in verschiedenen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts eine weitgehende Regelungsautonomie (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007). Es steht den Kirchen frei, ob sie die Gestaltungsformen des Privatrechts verwenden; wählen sie jedoch die privatrechtliche Gestaltung, ergibt sich als Folge dieser Rechtswahl, dass staatliches Recht – also auch das Arbeitsrecht – auf diese Arbeitsverhältnisse Anwendung findet (vgl. Küttner, 2013). Andererseits führt die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht nicht dazu, dass die Zugehörigkeit zu den »eigenen Angelegenheiten« der Kirche aufgehoben wird (vgl. Küttner, 2013). Die verfassungsrechtlich geschützte Eigenart des kirchlichen
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Annette Rabe
Dienstes, das spezifisch Kirchliche, das kirchliche Proprium, darf hierdurch nicht infrage gestellt werden. Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bleibt für die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse wesentlich (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – juris). Eine Besonderheit des kirchlichen Arbeitsrechts besteht in der Regelung der Mitarbeiterbeteiligung. Die gesetzlichen Regelungen über das staatliche Mitbestimmungs-, Personalvertretungs- und Betriebsverfassungsrecht nehmen ausdrücklich die Religionsgemeinschaften sowie ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen von ihrem Geltungsbereich aus (vgl. § 118 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz, § 112 des Bundespersonalvertretungsgesetzes, § 1 Abs. 4 Satz 2 Mitbestimmungsgesetz, § 81 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz). Die Kirchen haben ein eigenständiges Mitarbeitervertretungsrecht geschaffen, um die Beteiligungsrechte ihrer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzusichern. Innerhalb der evangelischen Landeskirchen und ihrer Diakonie existieren jedoch unterschiedliche Regelungen, sodass selbst bei einer Fusion im kirchlich-diakonischen Kontext Differenzen im Hinblick auf mitarbeitervertretungsrechtliche Regelungen zutage treten können. Auch das Verfahren zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen in Kirchen, Diakonie und Caritas weist Besonderheiten auf. Die in den Kirchen und ihrer Caritas und Diakonie bestehenden Arbeitsverhältnisse basieren überwiegend auf sogenannten Arbeitsvertragsrichtlinien, die von paritätisch besetzten arbeitsrechtlichen Kommissionen festgelegt werden. Sie führen Verhandlungen und müssen gemeinsam zu einer Entscheidung kommen, etwa über die Höhe der Vergütung, die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit vollbeschäftigter Personen sowie den Umfang des jährlichen Erholungsurlaubs (vgl. Joussen, o. J.). Diese Arbeitsvertragsrichtlinien stellen zwar keine Tarifverträge dar ; jedoch sind die kirchlichen und diakonischen Dienstgeber verpflichtet, diese Regelungen anzuwenden – über eine vertragliche Einbeziehung werden sie Grundlage der Arbeitsverträge (vgl. Joussen, o. J.). Dieses Verfahren wird – in Abgrenzung zu zwei anderen Modellen – als Dritter Weg bezeichnet. Der sogenannte Erste Weg beinhaltet die einseitige Festlegung der Arbeitsbedingungen für die kirchlichen Mitarbeitenden durch den kirchlichen Gesetzgeber oder durch kirchliche Leitungsorgane; der sogenannte Zweite Weg steht für eine Regelung der Arbeitsbedingungen durch den Abschluss von Tarifverträgen (vgl. Küttner, 2013). Die Rechtswirkung der von den arbeitsrechtlichen Kommissionen verhandelten Arbeitsvertragsrichtlinien ist umstritten (vgl. Küttner, 2013). Das Bundesarbeitsgericht und die überwiegende Ansicht in der Literatur sieht diese als vertragliche Einheitsregelungen an, die lediglich durch einzelvertragliche Bezugnahme Wirksamkeit erlangen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. 03.
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2002 – 4 AZR 101/01 – juris; Küttner, 2013). Eine Mindermeinung misst den Arbeitsvertragsrichtlinien hingegen unmittelbare, normative Wirkung bei (vgl. Richardi, 1999). Während die katholische Kirche und die überwiegende Anzahl der Landeskirchen den Dritten Weg auch in Zukunft weiterverfolgen möchten, fordern Gewerkschaftsvertreter sowie ein Teil der Arbeitnehmervertretungen eine Abkehr von diesem Sonderweg der Kirchen und den Abschluss kirchlicher Tarifverträge. Im Wege des Vertragsschlusses können kirchlichen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besondere Obliegenheiten einer kirchlichen Lebensführung auferlegt werden. Werden solche Loyalitätspflichten in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht Gebrauch. Beides zusammen ermöglicht es den Kirchen erst, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer zu umschreiben und verbindlich zu machen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 04. Juni 1985 – 2 BvR 1703/83, 2 BvR 1718/83, 2 BvR 856/84 – juris).
4.
Auswirkungen einer Fusion im kirchlich-diakonischen Kontext
Schließen sich zwei evangelische Einrichtungen der gleichen Landeskirche bzw. zwei diakonische Einrichtungen des gleichen Diakonischen Werks zusammen, ist die Frage der Zuordnung und der Anwendung des Kirchenarbeitsrechts in den meisten Fällen relativ unproblematisch, da oftmals einheitliche Regelungen gelten. Sind jedoch verschiedene Landeskirchen bzw. Diakonische Werke betroffen, sind die unterschiedlichen Ausgangspositionen der Fusionspartner sorgfältig in den Blick zu nehmen und Absprachen im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts zu treffen. Bei einer interkonfessionellen Fusion ist zu berücksichtigen, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht einer Religionsgemeinschaft, nicht hingegen mehreren Religionsgemeinschaften gemeinsam zusteht. Ein »katholischevangelisches Kirchenarbeitsrecht« existiert nicht (Rüfner, 2005: 20). Soll die Einrichtung, die aus einer interkonfessionellen Fusion entstanden ist, weiterhin einen kirchlichen Charakter haben, ist die Zuordnung zu einer Kirche unabdingbare Voraussetzung. Diese Zuordnung ist mit entsprechenden Mitwirkungs- und Aufsichtsbefugnissen der maßgebenden Kirche verbunden (Rüfner, 2005).
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5.
Annette Rabe
Auswirkungen einer Fusion zwischen weltlichen und kirchlich-diakonischen Trägern
Allein der Wechsel des Rechtsträgers bewirkt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Wechsel vom weltlichen zum kirchlichen Arbeitsrecht und umgekehrt. Wird also eine Einrichtung von einem weltlichen auf einen kirchlichen Träger übertragen, wird diese zu einer Einrichtung der Kirche, in der weder das Betriebsverfassungs- noch das Personalvertretungsrecht Anwendung finden, sondern das Mitarbeitervertretungsrecht der Kirche. Entsprechendes gilt dann, wenn ein kirchlicher Träger einen weltlichen Träger übernimmt oder wenn im Rahmen einer Verschmelzung zwischen einem weltlichen und kirchlichen Träger ein neuer kirchlicher Rechtsträger entsteht (vgl. Rüfner, 2005). Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sind die Kirchen und Religionsgemeinschaften einschließlich ihrer verfassten Untergliederungen. Befindet sich eine Einrichtung beispielsweise als unselbständiger Eigenbetrieb in Trägerschaft der verfassten Religionsgemeinschaft selbst, wird diese auch unmittelbar vom religiösen Selbstbestimmungsrecht ihres Rechtsträgers erfasst. Im Gegensatz dazu sind diejenigen Einrichtungsträger, die in Rechtsformen des Privatrechts außerhalb der verfassten Religionsgemeinschaft organisiert sind, nicht Träger des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts. Sie sind eigenständige Rechtssubjekte, die nur eine partielle Aufgabe des religiösen Glaubensbekenntnisses wahrnehmen. Über die religionsverfassungsrechtliche Zuordnung werden sie jedoch in den Schutzbereich des religiösen Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaft einbezogen. Die Teilhabe am religiösen Selbstbestimmungsrecht erlangen die rechtlich selbständigen kirchlichen Einrichtungen insoweit erst über die religionsverfassungsrechtliche Zuordnung zu einer Religionsgemeinschaft (vgl. Köstler, 2013). Handelt es sich bei dem Einrichtungsträger um die Religionsgemeinschaft oder Kirche selbst, erübrigt sich die Zuordnung, da diese bereits aus eigenem Recht das kirchliche Selbstbestimmungsrecht beanspruchen kann. Bei einem außerhalb der Kirchenverfassung organisierten privatrechtlichen Einrichtungsträger – zum Beispiel einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder einem eingetragenen Verein – muss dieser zunächst der Kirche zugeordnet werden, um eine Teilhabe am Selbstbestimmungsrecht der Kirche zu begründen (vgl. Köstler, 2013). Dem Staatskirchenrecht entspricht, was das Kirchenrecht fordert: Keine Einrichtung darf sich ohne Zustimmung der jeweiligen Kirche als »katholisch« bzw. »evangelisch« bezeichnen. Die sich aus der Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts ergebende Ordnungsbefugnis steht nicht den jeweiligen Einrichtungen einer Kirche zu, sondern nur der Kirche selbst (vgl. Ricardi,
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1999). Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen steht einer Fusion nicht entgegen; allerdings stellt sie auch keine Gewähr dafür dar, dass nach der Fusion die Zuordnung zur Kirche bestehen bleibt. Die Frage der Zuordnung zur Kirche ist bei der Verschmelzung durch Neugründung und der Verschmelzung durch Aufnahme zu berücksichtigen, in beiden Fallkonstellationen ist im Vorfeld darauf zu achten, wie sich die künftige Gestaltung auf eine mögliche Zuordnung zur Kirche auswirkt. In der Rechtsprechung und Literatur wird die institutionelle Verbindung ganz überwiegend als unabdingbares Zuordnungskriterium betrachtet. Das formale Zuordnungskriterium der institutionellen Verbindung jedenfalls wird dann bejaht, wenn die Kirche im Verhältnis zum Einrichtungsträger über beherrschende Einflussrechte verfügt. Die nunmehr vorherrschende Ansicht in Rechtsprechung und Literatur hat sich weitgehend der Dissenstheorie des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen. Sie lässt es für die religionsverfassungsrechtliche Zuordnung ausreichen, wenn aus der institutionellen Verbindung ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeiten der Kirche folgt und sie hierdurch die Möglichkeit hat, einen etwaigen zwischen ihr und dem Einrichtungsträger bestehenden Dissens in religiösen Fragestellungen zu unterbinden oder aufzulösen (vgl. Köstler, 2013). Wird im Rahmen einer Fusion eine weltliche Einrichtung von einem kirchlichen oder diakonischen Rechtsträger übernommen, ist höchst streitig, ob an die übernommenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sogenannte Loyalitätsanforderungen gestellt werden dürfen. Diese Frage ist höchstrichterlich bislang ungeklärt. Bei einer derartigen Übernahme hat sich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit gerade nicht für einen kirchlichen Arbeitgeber mit entsprechenden Loyalitätsanforderungen entschieden. Aus diesem Grund erscheint die Ausdehnung von Loyalitätsanforderungen auf alle Mitarbeitenden als sehr problematisch (vgl. zu weiteren Einzelheiten Joussen, 2006).
6.
Betriebsübergang im Sinne des § 613 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs
Mit einer Fusion kann zudem ein Betriebsübergang im Sinne des § 613 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) einhergehen mit der Folge, dass bestimmte zwingende Regelungen des privaten Arbeitsrechts zu beachten sind (vgl. Joussen, 2006). Ein Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB liegt dann vor, wenn ein Betrieb oder ein Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber übergeht und der neue Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung
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ihrer Identität weiterführt. Die Beantwortung der Frage, ob bei dem neuen Rechtsträger ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten Gesamtheit »Betrieb« anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des konkreten Falls. Das entscheidende Kriterium für einen Betriebsübergang im Sinne des § 613 a BGB stellt die tatsächliche Weiterführung oder Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit dar (vgl. Faber, 2013). In den Blick genommen werden das Personal, die Führungskräfte, die Arbeitsorganisation, die Betriebsmethoden und ggf. die zur Verfügung stehenden Betriebsmittel (vgl. Küttner, 2013). Wird also nach einer auf Grundlage eines Rechtsgeschäfts erfolgten Fusion die bisherige Geschäftstätigkeit wieder aufgenommen oder weitergeführt, liegt regelmäßig ein Betriebsübergang vor. Bei einem solchen Betriebsübergang gehen die Arbeitsverhältnisse in ihrer bisherigen Gestalt auf den neuen Arbeitgeber über ; diese werden mit ihrem bisherigen Inhalt nun zum Gegenstand der neuen vertraglichen Beziehungen zwischen den Mitarbeitenden und ihrem neuen Arbeitgeber (vgl. Joussen, 2006). Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrages oder durch eine Betriebsvereinbarung festgelegt, dürfen diese gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätzlich nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin geändert werden. Dies gilt gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB jedoch dann nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Im kirchlich-diakonischen Kontext stellt sich bei Betriebsübergängen die Frage, welche Arbeitsbedingungen für die betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nunmehr gelten. Wie bereits erwähnt, ist die Rechtswirkung der von paritätisch besetzten Kommissionen verabschiedeten Arbeitsvertragsrichtlinien umstritten. Das Bundesarbeitsgericht und ein Großteil der einschlägigen Literatur betrachten diese als vertragliche Einheitsregelung, die lediglich durch einzelvertragliche Bezugnahme Wirksamkeit erlangt (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. 3. 2002 – AZR 101/01 – juris). Diese Unterscheidung zu Tarifverträgen hat bei Betriebsübergängen erhebliche Konsequenzen (vgl. Küttner, 2013). Findet ein Betriebsübergang statt, können die beim bisherigen Arbeitgeber geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien nicht durch beim Erwerber geltende Tarifverträge abgelöst werden (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. 3. 2002 – AZR 101/01 – juris). Gleiches gilt im umgekehrten Fall: Gelten bei dem neuen Arbeitgeber Arbeitsvertragsrichtlinien, sind diese anders als tarifvertragliche Regelungen nicht geeignet, bisher geltende tarifvertragliche Regelungen gemäß § 613 a Abs. 1 BGB abzulösen. Dies hat zur Folge, dass die bisherigen Regelungen lediglich durch einvernehmliche Änderungsverträge oder Änderungskündigungen angepasst werden können. Insbesondere dann, wenn vor der Fusion bei den Vertragspartnern für die Mitar-
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beitenden sehr unterschiedliche Rahmenbedingungen bestanden, ist es ratsam, vor der Fusion die arbeits- und vergütungsrechtlichen Bedingungen auf der Basis einheitlicher Arbeitsverträge soweit möglich im gegenseitigen Einvernehmen zu regeln (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007). Während sich die Anpassung der arbeitsvertraglichen Regelungen an die günstigeren Bedingungen eines Fusionspartners in der Praxis als unproblematisch darstellt, ist die mit Einbußen verbundene Angleichung der arbeitsvertraglichen Bedingungen der Belegschaft oftmals nicht vermittelbar – mit der Folge, dass entsprechende Änderungsverträge nicht zustande kommen. Die alternativ zur Verfügung stehende Änderungskündigung stellt jedoch oftmals keine Alternative dar, da sie zum einen das Arbeitsverhältnis belastet und zum anderen aus rechtlicher Sicht hohen Anforderungen genügen muss. Aus diesem Grund ist oftmals eine Angleichung der arbeitsrechtlichen Bedingungen nicht möglich, weshalb sowohl der Eindruck der Ungerechtigkeit als auch der Umgang mit differenzierten Regelungen – etwa bei der Gehaltsabrechnung auf der Grundlage unterschiedlicher Vergütungssysteme – die Zusammenarbeit belasten können.
7.
Entscheidungskriterien
Die zuvor genannten Besonderheiten des kirchlichen Arbeitsrechts sind im Rahmen von Entscheidungen über Fusionen und Kooperationen im kirchlichdiakonischen Kontext zu berücksichtigen. Der Umfang des Klärungsbedarfs ist zum einen abhängig von der Frage, ob eine Kooperation oder eine Fusion angestrebt wird. Des Weiteren ist die Konstellation der Verhandlungspartner entscheidend. Umso mehr Unterschiede die Verhandlungspartner im Hinblick auf die bei ihnen geltenden Arbeitsbedingungen aufweisen, umso komplexer gestaltet sich der Zusammenschluss im arbeitsrechtlichen Bereich. Entscheiden sich zwei oder mehrere Organisationen für eine stärkere Zusammenarbeit, ist gründlich zu prüfen, wie die gemeinsamen Ziele, Erwartungen und Vorteile am besten realisiert werden können (vgl. Bachert u. Vahs, 2007). Da die Weitergeltung divergierender arbeitsrechtlicher Bestimmungen die Zusammenarbeit der Mitarbeitenden erschweren kann, ist sorgsam zu prüfen, ob und inwieweit eine Angleichung der Arbeitsbedingungen im Vorfeld möglich ist. Viele Zusammenschlüsse sind unzureichend vorbereitet; immer wieder werden kurzfristig Verträge geschlossen, ohne dass zuvor eine umfassende Prüfung der Ausgangssituation erfolgt ist und die Zielsetzungen der Zusammenarbeit exakt und verbindlich verhandelt wurden (vgl. Bachert u. Vahs, 2007). Oft sind das jeweilige gesellschaftliche und politische Umfeld, unterschiedliche
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Mentalitäten und divergierende Unternehmenskulturen der beiden Partner so prägend, dass ein Zusammenschluss nur mühsam zu realisieren ist. Für den Erfolg einer Zusammenarbeit sind häufig die sogenannten »weichen« Faktoren entscheidend, die sich beispielsweise in der internen Kommunikation und der Wertschätzung der Stärken des anderen Partners ausdrücken. Obwohl die Steigerung des Unternehmenswertes bei den meisten Fusionen erklärtes Ziel ist, kann angesichts von Misserfolgsmeldungen nach vollzogenen Zusammenschlüssen in einigen Fällen auch von einer Wertvernichtung durch Fusionen gesprochen werden (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007). Da die Kooperation die rechtliche Eigenständigkeit der beteiligten Unternehmen unberührt lässt, stellt diese im Verhältnis zur Fusion die weit weniger folgenreiche Maßnahme dar und ist aus diesem Grund in vielen Fällen eine hervorragende und mitunter auch vorzuziehende Alternative zur Fusion. Des Weiteren kann eine Kooperation auch als Durchgangsstadium zur Fusion dienen, indem zunächst eine behutsame Annäherung der Partner ohne weitreichende rechtliche Folgen geschieht und zu einem späteren Zeitpunkt die Fusion vollzogen wird (vgl. Handreichung des Verbandes der Diözesen Deutschlands, 2007). Der Erfolg von Kooperationen und Fusionen wird maßgeblich von einer gründlichen Prüfung im Vorfeld bestimmt, in der sowohl die Stärken als auch die Schwächen sowie die Chancen und die Risiken einer künftigen Zusammenarbeit sorgfältig geprüft werden sollten. Hierbei sind im kirchlich-diakonischen Kontext insbesondere die kirchenarbeitsrechtlichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zu beachten. Stellen die Partner nach eingehender Prüfung fest, dass – realistisch betrachtet – die beabsichtigten Ziele durch eine Fusion oder Kooperation erreicht werden können, ist zu verhandeln und zu entscheiden, in welchen Bereichen Einheit und in welchen Bereichen Vielfalt die Fusion bzw. die Kooperation prägen soll.
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Andr¦ Armbruster, Christian Scharff und Kristina Willjes
Inklusion durch Kooperation: Zur Organisation von Kooperationen in diakonischen Unternehmen der Behindertenhilfe
Wie können Menschen selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben? Oder anders gefragt: Wie kann Inklusion als Prozess und Ziel erreicht werden? Das sind derzeit die zentralen Fragen, mit der sich die Behindertenhilfe befasst. Die Antwort der diakonischen Unternehmen, die Dienstleistungen für Menschen mit Behinderung anbieten, lautet momentan vor allem Dezentralisierung bzw. Konversion von Komplexeinrichtungen. Diakonische Unternehmen lösen ihre Anstalten abseits der Zentren auf und unterbreiten Menschen mit Behinderung das Angebot, in kleine Wohngemeinschaften in den Innenstädten und Gemeinden zu ziehen. Dies ist ein richtiger und wichtiger Schritt hin zu einer inklusiven Gesellschaft, in der Menschen in aller Unterschiedlichkeit frei und selbstbestimmt leben können. Zugleich garantieren Wohnungen in Innenstadtlage nicht automatisch, dass Menschen mit Behinderung Teil der lokalen Gemeinschaft werden. Dafür bedarf es sozialer Beziehungen und Kontakte zu den Menschen vor Ort. Ebenso wie Menschen ohne Behinderung haben Menschen mit Behinderung Teil am gesellschaftlichen Leben, wenn sie beim Bäcker um die Ecke arbeiten, abends im lokalen Sportverein Tischtennis spielen, am Sonntag Gottesdienst feiern, mit Freunden in die Kneipe gehen oder mit den Nachbarn über eine mögliche Tempo-30-Zone in ihrer Straße debattieren. Insofern ist Dezentralisierung nur ein Schritt im Inklusionsprozess, der notwendige Voraussetzungen für die Teilhabe von Menschen mit Behinderung schafft, sie aber nicht umfassend realisiert. Soziale Beziehungen und Kontakte stellen sich jedoch nicht von selbst ein. Sie müssen, vor allem angesichts der zuvor stark isolierten Lebenslagen von Menschen mit Behinderung, aufgebaut und gepflegt werden. Insofern ist es auch die Aufgabe diakonischer Unternehmen, dies voranzutreiben, indem sie als Mittler zwischen Menschen mit Behinderung und lokalen Akteuren fungieren. Sie sind dann dafür zuständig, die Kontakte zwischen Menschen mit Behinderung und den Akteuren vor Ort anzubahnen, zu organisieren und aufrechtzuerhalten. Für die Umsetzung dieser Aufgabe bietet es sich insbesondere an, beispielsweise mit anderen Organisationen Kooperationen auf- und auszubauen. Damit verknüpft
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sind organisatorische Herausforderungen für die Unternehmen, da Kooperationen nicht einfach intern entschieden werden können, sondern Partner und Partnerinnen für die Zusammenarbeit von Mitarbeitenden gewonnen werden müssen. Diese benötigen wiederum ein gewisses Maß an Freiheit, um Kooperationen zu verwirklichen und ihrer Aufgabe gerecht werden zu können. Im Folgenden werden wir uns aus einer organisationswissenschaftlichen Perspektive mit der Frage befassen, welche Herausforderungen diakonische Unternehmen bewältigen müssen, um den Prozess der Inklusion voranzutreiben und welche Bedingungen sie zu berücksichtigen haben, um nachhaltige Kooperationen mit lokalen Akteuren aufzubauen.1 Um uns der Frage zu nähern, beschreiben wir zunächst den Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe in den 1990er Jahren (Abschnitt 1), der auch ein vollständiges Umdenken in Hinblick auf die Frage, wie Behindertenhilfe organisiert werden soll und kann, mit sich gebracht hat. Daran anschließend werden wir zeigen, vor welchen praktischen Herausforderungen die diakonischen Unternehmen im Zuge des Inklusionsprozesses stehen (Abschnitt 2): Sie müssen ihre Anstalten abbauen und dezentrale Wohnangebote schaffen. Zugleich müssen sie eine Einbindung der Menschen mit Behinderung in die lokale Gemeinschaft vorantreiben, ohne dass sie diese unmittelbar herstellen können. Eine Lösung für den begrenzten Einfluss auf das gesellschaftliche Leben vor Ort bieten Kooperationen (Abschnitt 3), die Kontakte zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderung ermöglichen und fördern. Allerdings bedarf es für den Aufbau von Kooperationen bestimmter organisatorischer Voraussetzungen, mit denen wir uns ausführlich in Abschnitt 4 befassen, um schließlich mit einem kurzen Fazit zu enden.
1.
Vom Objekt zum Subjekt – der Paradigmenwechsel in der Behindertenhilfe
Bis in die 1990er Jahre hinein war die Behindertenhilfe maßgeblich durch die Trennung von Menschen mit und Menschen ohne Behinderung geprägt. Das Paradigma der Separation (siehe Abbildung 1) wurde durch die Annahme gestützt, dass Behinderung eine physische, psychische oder kognitive Abweichung von einem in der Gesellschaft angenommenen Normalzustand sei. Das vornehmliche Ziel in der Behindertenhilfe war, den einzelnen Menschen von seinen 1 Die Ergebnisse unseres Beitrags bauen auf einer Studie über die zukünftigen Herausforderungen der Behindertenhilfe in Deutschland auf, die wir zusammen mit Thomas Hoebel und Stefan Jung für die Evangelische Kreditgenossenschaft (EKK) durchgeführt haben (Armbruster, Scharff, Willjes, Hoebel u. Jung, 2014).
Inklusion durch Kooperation
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»Defiziten« zu befreien, damit er oder sie zu einem »nützlichen Mitglied der Gesellschaft« werden kann (Hermes, 2007). Dementsprechend wurde die Behindertenhilfe in Sondereinrichtungen wie zentralen Wohneinheiten, Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) und Sonderschulen organisiert (Rohrmann, 2007).
Abbildung 1: Separation (Abbenhues et al., 2010: 5)
Die Sondereinrichtungen wurden häufig in ländlichen Gebieten auf der sprichwörtlichen »grünen Wiese« geschaffen, die in einiger Entfernung zu Ortschaften und Städten liegt. Das Prinzip der Separation äußerte sich also zunächst räumlich. Die räumlich von der Außenwelt getrennten Komplexeinrichtungen boten spezialisierte Leistungen und eine umfassende Versorgung. Die hier lebenden Menschen mit Behinderung konnten sich sicher in dem für sie geschaffenen Schutzraum bewegen, ohne überfordert zu werden. Zugleich konnten sie jedoch die Beziehungen zu Familie, Freunden und Bekannten aufgrund der räumlichen Distanz oft nicht aufrechterhalten und es gab kaum Gelegenheiten für Kontakte mit Regelschulen, potenziellen Arbeitgebern, Dienstleistungsunternehmen oder auch Geschäften vor Ort. Durch eine künstliche Trennung zwischen den Lebenswelten von Menschen mit und Menschen ohne Behinderung begegneten sich die dadurch konstruierten Gruppen nur selten (Menzl, 2007: 25). Die räumliche Trennung ging also mit einer sozialen Trennung von Menschen mit und ohne Behinderung einher, sodass erstere »von weiten Teilen als soziale Fremde angesehen« wurden (Rudloff, 2010: 173). Diese Trennung von Lebensbereichen verschiedener sozialer Gruppen wollen wir mit Rückbezug auf Kruijt und Goddijn (1965) als Versäulung2 bezeichnen.
2 Der Begriff Versäulung entstammt dem ehemals partikularen System der Niederlande und beschreibt die Trennung der Lebensbereiche verschiedener sozialer Gruppen (Kruijt u. Goddijn, 1965). Für jeden Bereich gab es dabei gruppengebundene Organisationen, zum Beispiel katholische, protestantische oder sozialistische Schulen, Parteien etc. Die verschiedenen so-
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In zentralen Wohneinrichtungen wurde häufig das Leben von mehreren hundert Bewohnerinnen und Bewohnern organisiert. Es gab Massenschlafsäle sowie feste und für alle geltende Arbeits-, Essens- und Schlafzeiten (Rudloff, 2010: 171). Ein Vorstandsmitglied eines diakonischen Unternehmens beschreibt die Organisation der damaligen Behindertenhilfe folgendermaßen: »Wir waren hier an einem Standort eigenständig, autonom, wir hatten fast Selbstversorgung. Das war wie ein Staat im Staat, das war alles sehr zentral organisiert.«3 Angelpunkte waren dabei die organisatorische Darstellbarkeit und Umsetzung, die Deckung des Personalbedarfs und kostengünstige Lösungen. Menschen mit Behinderung hatten in diesem System kaum Mitspracherechte, sie wurden im Sinne des Segregationsparadigmas als Hilfeempfangende gesehen, sodass es sich um »eine sehr paternalistische Ausübung von Betreuung« handelte, wie eine Führungskraft eines diakonischen Unternehmens berichtet. Solche Organisationsformen »operieren nicht nach dem Prinzip ›Nähe‹, sondern nach den Prinzipien ›Zuständigkeit‹ und ›Spezialisierung‹« (Budde u. Früchtel, 2010: 56). Das skizzierte System der Behindertenhilfe rief von vielen Seiten Kritik hervor:4 Bereits 1979 wurden beispielsweise die Bedingungen in den Alsterdorfer Anstalten von der Wochenzeitung Die Zeit thematisiert und skandalisiert (Just, 1979). Ebenso kritisierten Bürgerrechtsgruppen ab den 1970er Jahren das Anstaltswesen (Hermes, 2007). Gleichzeitig konnte man in anderen Ländern, insbesondere in Skandinavien, sehen, dass die Behindertenhilfe auch anders ausgestaltet und organisiert werden kann (Rudloff, 2010: 177). Eine tatsächliche Veränderung zeichnete sich jedoch erst in den 1990er Jahren mit einem Paradigmenwechsel von Separation bzw. Integration5 hin zu Inklusion ab, der ein radikales Umdenken im Bereich der Behindertenhilfe erforderte. Menschen mit Behinderung sollen sich nicht wie bisher den bestehenden Strukturen anpassen, sondern vor allem die Infrastruktur soll so gestaltet werden, dass alle Menschen, also Menschen mit und Menschen ohne Behinderung, am gesellschaftlichen Leben teilhaben können (siehe Abbildung 2). Nicht mehr Homogenität ist das Leitziel, sondern es geht um die Normalisierung von Heterogenität, auf die sich die Gesellschaft einstellen muss.
zialen, aber intern homogenen Gruppen konnten insofern nebeneinander und unabhängig voneinander bestehen. 3 Das folgende und die weiteren Zitate von Führungskräften diakonischer Unternehmen stammen aus dem Forschungsprojekt »Diakonische Unternehmensführung«, das wir am EKK-Institut für Ethisches Management an der Internationalen CVJM-Hochschule im Auftrag des Bundesverbands evangelische Behindertenhilfe (BeB) durchgeführt haben (Armbruster, Scharff, Willjes, Hoebel u. Jung, 2013). 4 Siehe für eine Zusammenfassung Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (2008: 6). 5 Zur ausführlichen Erläuterung des Paradigmas der Integration siehe Hermes, 2007; Abbenhues et al., 2010: 5.
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Abbildung 2: Inklusion (Abbenhues et al., 2010: 6)
Ein maßgeblicher Schritt im Rahmen des in den 1990er beginnenden Inklusionsprozesses ist die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UNBRK), die 2006 von der Generalversammlung verabschiedet und 2009 vom Bundestag ratifiziert wurde (Wunder, 2009). Die ratifizierenden Staaten erkennen dadurch »das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen [an], mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben, und treffen wirksame und geeignete Maßnahmen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern« (§ 19 UNBRK). Diakonische Unternehmen erscheinen vor diesem Hintergrund als Dienstleister. Der einzelne Mensch mit Behinderung kann nicht länger als Objekt der Behindertenhilfe betrachtet werden, sondern erhält als Subjekt Deutungshoheit über seine Lebenssituation, in der er nach eigenen Maßgaben durch die Behindertenhilfe unterstützt wird.
2.
Inklusion als praktische Herausforderung der Behindertenhilfe
Der Prozess der Inklusion fordert die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben. Das bedeutet, sie brauchen ebenso wie Menschen ohne Behinderung Kontakte zu Nachbarn und Freunden, einen selbst gewählten Wohnort, die Gelegenheit, einkaufen zu gehen und die eigene Freizeit vor Ort zu gestalten, sowie einen nahe gelegenen Arbeitsplatz bzw. die Chance, mit Nachbarskindern zum Kindergarten oder in die Schule zu gehen. Die Erwartungen an diakonische Unternehmen sind diesbezüglich hoch: Sie sollen einen maßgeblichen Beitrag leisten, Versäulung zu überwinden und Inklusion als Ziel und Prozess zu verwirklichen. Oftmals wird ihnen sogar die
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Rolle von »Inklusionstreibern« bzw. »Inklusionsagenturen« zugeschrieben (Seifert, 2006), der gerecht zu werden keine leichte Aufgabe darstellt. Ein Vorstandsmitglied eines diakonischen Unternehmens beschreibt seine Aufgabe folgendermaßen: »Und wir haben gesagt, wir müssen vom Gesichtspunkt […] der Institutionsorientierung auf Personenorientierung umstellen: Was braucht der einzelne Mensch mit Behinderung? […] Und welche Angebotsstrukturen müssen wir entwickeln, um möglichst flexibel auf diesen personenorientierten Bedarf eingehen zu können?«
Die diakonischen Unternehmen, die die Behindertenhilfe über einen langen Zeitraum in Anstalten organisiert haben, müssen ihr Geschäftsmodell also verändern: Sie müssen sich vom Inseldasein abseits der Städte und Gemeinden lösen und neue Wege finden, Behindertenhilfe umzusetzen. Den ersten Schritt auf diesem Weg haben diakonische Unternehmen vielerorts mit der Dezentralisierung ihres Leistungsangebots gemacht. Menschen mit Behinderung, die können und wollen, erhalten damit die Möglichkeit, von den Anstaltsgeländen in Wohngemeinschaften in Innenstädten und Gemeinden umzuziehen. In kleinen Gruppen werden sie von Heilerziehungspflegerinnen und Heilerziehungspflegern, Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen oder Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern durch Assistenzleistungen unterstützt. Anders als bei den zuvor angebotenen Pflege- und Hilfsleistungen sind in den Wohngemeinschaften zunächst die Menschen mit Behinderung selbst gefordert, ihren Alltag so weit wie möglich zu organisieren und zu gestalten. Unterstützung erhalten sie in den Situationen, in denen sie sie benötigen bzw. einfordern. Indem die Dezentralisierung Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung näher zusammenbringt, schafft sie somit eine wesentliche Voraussetzung für die Einbindung von Menschen mit Behinderung in das gesellschaftliche Leben. Es darf allerdings nicht bei räumlichen Änderungen bleiben, da sie für sich allein den Abbau von Versäulung nicht gewährleisten können. Versäulung zeichnet sich insbesondere durch eine soziale Trennung aus, die durch den Aufbau von persönlichen Beziehungen und Kontakten zu den Menschen vor Ort überwunden werden muss. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die erreichten Veränderungen nicht über die »Verlagerung vertrauter institutioneller Hilfen von der Großeinrichtung in viele kleine Häuser« hinausgehen (Clausen, 2011: 256). Aus der Perspektive der diakonischen Unternehmen erscheint der Abbau der Versäulung in sozialer Hinsicht als eine besondere Herausforderung, weil sie diesen Prozess über die Grenzen ihrer eigenen Organisation hinweg planen und vorantreiben müssen. Während sie ihre eigenen Strukturen problemlos durch Entscheidungen ändern können, haben sie dabei keinen unmittelbaren Zugriff auf die lokale Gemeinschaft. Es ist ihnen unmöglich, Gemeinden, Nachbarn oder Vereinen qua Entscheidung zu befehlen,
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ihrerseits inkludierend zu handeln (Luhmann, 1995). Sie müssen darum weitere Möglichkeiten nutzen, den wachsenden Ansprüchen, die an ihre Arbeit formuliert werden, gerecht zu werden.
3.
Soziale Beziehungen und Kontakte durch Kooperationen
Verschiedene Denkansätze wie »Community Care«, »Enabling Community« oder auch »Community Living« zeigen (vgl. dazu Kiuppis u. Kurzke-Maasmeier, 2009), dass nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern vor allem auch Menschen ohne Behinderung für ein gemeinschaftliches Leben als Nachbarn und Geschäftspartner befähigt werden müssen (Clausen, 2011: 258; Schablon, 2006: 19). Soziale Beziehungen stellen sich nicht zwangsläufig ein, sondern müssen wachsen und gefördert werden. Sie stabilisieren sich durch Teilhabe der Menschen am gesellschaftlichen Leben und können durch die Schaffung von »Interdependenzen im Sinn von gegenseitigen Abhängigkeiten realisiert werden« (Schablon, 2006: 23; Hervorhebung im Original). Genau an dieser Stelle können diakonische Unternehmen ansetzen. Sie haben zwar keine direkte Verfügungsgewalt über ihre Umwelt, können sie aber durch ihr eigenes Handeln beeinflussen, indem sie Gelegenheiten für Kontakte schaffen und eben diese positiven Abhängigkeiten gezielt fördern. Ein Vorstandsmitglied eines diakonischen Unternehmens fasst zusammen: »Unsere Aufgabe ist, dass wir die Menschen vernetzen, sodass sie Bestandteil ihrer kleinen Region werden. […] Wie bringen wir uns als Wohnangebot ein? Wie bringen sich die Menschen in die Region ein? Wir treten dort in Erscheinung, nicht nur in der direkten Nachbarschaft, auch in dem Stadtteil und so weiter. Das ist uns wichtig. Also das Schlimmste ist ja, wenn das isoliert wäre.«
Um Menschen mit Behinderung zu »vernetzen« und mit Menschen ohne Behinderung zusammenzubringen, können diakonische Unternehmen Kooperationen nutzen.6 Ein Beispiel dafür ist die seit 2006 bestehende Kooperation zwischen der Alsterdorf Assistenz West und dem FC St. Pauli, in der Menschen mit Behinderung die Aufgaben in der Außen- und Grünanlagenpflege übernehmen. Hinter dieser Zusammenarbeit steht für die Kooperationspartner ein klares Ziel: Menschen mit geistiger Behinderung verlassen »den Rahmen klassischer Beschäftigungsangebote in Sondereinrichtungen«, »erfahren Bestätigung durch ihre Tätigkeit für andere« und »gehören […] ganz selbstverständlich dazu« (Alsterdorf Assistenz West, o. J.). Genauso funktioniert eine Kooperation 6 Eine weitere Möglichkeit, Inklusion zu fördern, wäre eine Öffentlichkeitsarbeit, die Vorurteile gegenüber Menschen mit Behinderung aktiv bekämpft.
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zwischen der Behindertenhilfe Berkhöpen-Burgdorf und einem örtlichen Bildungsträger, der Volkshochschule Peine (Behindertenhilfe Berkhöpen-Burgdorf, o. J.). Dort können die Beschäftigten der WfbM zwei Stunden pro Woche an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen, die im Zusammenhang mit ihrem Arbeitskontext stehen, und damit nicht nur fachlich lernen, sondern insbesondere auch einen neuen sozialen Kontext für sich erschließen. Solche Kooperationen können mit verschiedenen Sport-, Freizeit-, Kunst- und Kultureinrichtungen oder Arbeitgebern eingerichtet werden, sodass Menschen mit Behinderung einen gleichwertigen Zugang zu Arbeits- und Freizeitangeboten erhalten und diese mit Menschen ohne Behinderung teilen. Dabei profitieren diakonische Unternehmen davon, Kooperationen auf Dauer zu stellen. Zwischen Alsterdorf Assistenz West und dem FC St. Pauli gibt es beispielsweise einen Kooperationsvertrag, der die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit klärt und für beide Parteien Sicherheit schafft. Kooperationspartner erhalten unter solchen Bedingungen die Möglichkeit, sich organisatorisch auf eine Partnerschaft einzustellen, indem sie interne Zuständigkeiten für den Umgang mit dem Kooperationspartner schaffen und Abläufe regeln. Es ist dann klar, welche Personen auf welche Art und Weise mit dem Kooperationspartner arbeiten, um ein bestimmtes Ziel zu verwirklichen. Wenn die Unternehmen verlässlich damit planen können, dass Menschen mit Behinderung die Möglichkeit bekommen, beim Bäcker um die Ecke einen Ausbildungsberuf zu erlernen oder nach Feierabend bei einem kooperierenden Sportverein zu trainieren, können sie zudem ihr eigenes Leistungsspektrum anpassen und eigene Freizeit- oder Arbeitsangebote zurückbauen und sich anstelle dessen verstärkt auf eine Vermittlerrolle konzentrieren. Es reicht allerdings nicht aus, wenn diakonische Unternehmen sich auf einige wenige Kooperationspartner konzentrieren, mit denen sie langfristige Partnerschaften eingehen, da gelingende Inklusion nicht durch eine begrenzte Anzahl von Kontakten erreicht werden kann. »Kooperation« mit der lokalen Gemeinschaft muss deshalb nicht zwingend als geplantes und formalisiertes Handeln verschiedener Akteure verstanden werden, sondern beginnt mit der alltagssprachlichen Bedeutung des Wortes – einer schöpferischen Zusammenarbeit. Zu diesem Zweck können diakonische Unternehmen Rahmenbedingungen schaffen, welche die Kontaktaufnahme zwischen Menschen mit Behinderung und Menschen ohne Behinderung erleichtern. Dafür eignen sich zum Beispiel regelmäßig geöffnete Gesprächsräume, im Rahmen derer sich das Personal diakonischer Unternehmen, Menschen mit Behinderung und lokale Akteure begegnen (Wörthmann, 2006). In einem solchen Rahmen können gezielt Ressourcen und Fähigkeiten aller Anwesenden erkundet und hervorgehoben werden. Es sollte allerdings nicht die Frage des Umgangs mit Menschen mit Behinderung im Mittelpunkt stehen. Einen fortlaufenden Kontakt sollten viel-
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mehr gemeinsame Themen und Interessen sichern. Auch weiterführende Ziele sollten durch gemeinsame Interessen und gemeinsame Arbeit zwischen den Teilnehmenden mit und ohne Behinderung begründet werden (Wörthmann, 2006). Ein Beispiel dafür ist das von Alsterdorf Assistenz Ost initiierte Konzept »treffpunkt« (Wörthmann, 2006: 54). An verschiedenen Standorten hat das diakonische Unternehmen hier einen Raum geschaffen, an dem Menschen aus der Nachbarschaft zusammenkommen, um Kaffee zu trinken und Kontakte zu knüpfen. Die verschiedenen Beratungsangebote und Veranstaltungen, wie Beratung zum Mietrecht oder Theateraufführungen, beziehen sich ausdrücklich sowohl auf Menschen mit als auch auf Menschen ohne Behinderung, sodass sie sich ihren Interessen folgend begegnen. Auf dieser Basis können sich dann weiterführende Beziehungen einstellen. Nachbarn können einem Menschen mit Behinderung einen Job vermitteln oder im Namen eines Schachklubs eine Einladung aussprechen und somit in ihrem persönlichen Umfeld einen Einstellungswandel herbeiführen. Und andersherum lernen Menschen ohne Behinderung die Fähigkeiten von Menschen mit Behinderung und deren Potenzial für die örtliche Gemeinschaft kennen, sodass Vorurteile abgebaut werden.
4.
Organisatorische Bedingungen erfolgreicher Kooperationen
Die Kooperation mit der lokalen Gemeinschaft ist in hohem Maß personenabhängig und stellt besondere Anforderungen an die Mitarbeitenden, die Begegnungsräume schaffen und Kontakte knüpfen. Sie dürfen ihre Arbeit nicht mehr ausschließlich an der Lösung fallspezifischer Probleme (eine Frau möchte Basketball spielen; ein Mann braucht eine Arbeitsstelle) ausrichten, sondern müssen fallunspezifisch die Potenziale des Stadtteils, des Dorfes oder der Nachbarschaft in den Blick bekommen (vgl. Budde u. Früchtel, 2010: 57). Die Mitarbeitenden erschließen dabei Ressourcen, ohne im Einzelfall genau zu wissen, wofür sie zu einem späteren Zeitpunkt verwendet werden können. Damit sie die Potenziale in der Fallarbeit nutzen können, müssen sie sie kennen, Kontakte aufbauen und kontinuierlich pflegen, alte Kooperationen aufrechterhalten und neue eingehen. Dafür braucht es kreative und kommunikative Persönlichkeiten, die zugleich den Überblick behalten und offen für Neues sind. Um die Mitarbeitenden gezielt auf die Erweiterung ihres Aufgabenspektrums vorzubereiten, ist es sinnvoll, dass die diakonischen Unternehmen in Kooperation mit Fort- und Weiterbildungsinstituten entsprechende Schulungen entwickeln. Zudem besteht die Möglichkeit, eigenes Personal für diese Form der Arbeit auszubilden, beispielsweise »Community Networker« (Kiuppis u. KurzkeMaasmeier, 2009: 15). Sie sind vornehmlich damit betraut, Kontakte in die
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Kommune herzustellen und zu pflegen sowie zugleich durch die Zusammenarbeit mit den internen Fachkräften die Bedarfe der Kundinnen und Kunden zu erfahren. Damit das Personal seine Aufgaben den Erwartungen entsprechend erledigen kann, muss ihnen das Unternehmen gewisse Gestaltungsfreiheiten gewähren. Als Kontaktstelle der Organisation zu anderen Personen oder Organisationen – der Soziologe Niklas Luhmann (1995: 220 ff.) spricht in diesem Kontext von Grenzstellen – pflegen sie Kontakte in der Regel in Face-to-face-Interaktionen und müssen dabei auf ihre Gesprächspartner eingehen können. Insofern müssen die Mitarbeitenden über die Möglichkeit verfügen, im Namen ihrer Organisation Zusagen zu treffen und Verbindlichkeiten einzugehen, damit sie für ihre Gesprächspartner vor Ort interessant und vor allem verlässlich sind. Dies wird maßgeblich erschwert, wenn die Organisation ihnen genaue Vorgaben darüber macht, wie sie auf bestimmte Bedingungen zu reagieren haben. Zwar schafft das Unternehmen damit für sich ein gewisses Maß an Sicherheit für und Kontrolle über die jeweiligen Mitarbeitenden, wenn es Vorgaben nach dem Prinzip »Wenn A, dann B« macht. Allerdings kommt es dadurch zu einer »routinemäßigen Abfertigung« von Kontakten, die nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen kann (Luhmann, 1995: 233). Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter, die/der einen Arbeitgeber oder einen Sportverein kontaktiert und auf dem Weg zu einer Kooperation bei jedem Schritt die Erlaubnis der Vorgesetzten einholen muss, lässt eine Zusammenarbeit für Kontaktpersonen wenig attraktiv erscheinen. Für die diakonischen Unternehmen empfiehlt es sich daher, die Arbeit der Mitarbeitenden im Umgang mit der örtlichen Gemeinschaft nur vorsichtig zu strukturieren (Luhmann, 1995: 231), etwa indem ihnen nur das Ziel vorgegeben wird, möglichst viele und verschiedenartige Kontakte herzustellen und zu pflegen. Die Wahl der Mittel zur Verwirklichung dieses Zwecks oder Ziels obliegt dann den Mitarbeitenden selbst. Damit gewinnen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Freiheit, den Weg (in einem gewissen Rahmen) selbst zu bestimmen, wie sie Kooperationen aufbauen. Zudem können sie ihre Arbeit auch zeitlich flexibel planen, denn nicht alle potenziellen Kontakte und Kooperationspartner sind zur selben Zeit erreichbar. Während Nachbarn tagsüber arbeiten und besser abends oder am Wochenende erreichbar sind, gilt für Arbeitgeber oder Ausbildungseinrichtungen das Gegenteil. Die notwendigen Handlungsfreiheiten führen dazu, dass die Position der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Verbindung zu lokalen Akteuren stehen, weiter gestärkt wird. Sie können sich voll und ganz auf ihre Kontakte konzentrieren, Wissen über deren Fähigkeiten, Ressourcen und persönliche Eigenschaften aufbauen und somit bestmöglich auf deren Anforderungen reagieren. Das ist für die diakonischen Unternehmen einerseits ein großer Vorteil, weil diese persönliche Note maßgeblich zum erfolgreichen Aufbau von Koope-
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rationen beiträgt. Andererseits sind damit organisatorische Probleme verbunden. Zum einen bedeutet es für die diakonischen Unternehmen einen gewissen Kontrollverlust, da sich die Arbeit dem direkten Zugriff durch die Organisation entzieht. Sie sind abhängig von dem Urteil ihrer Mitarbeitenden und können mitunter erst zu einem späten Zeitpunkt feststellen, inwiefern die Arbeit erfolgreich war. Zum anderen sind die Kontakte und Kooperationen stark an die jeweilige Person gebunden, sodass sie bei einem Mitarbeiterwechsel unter Umständen verloren gehen könnten. Neues Personal kann nämlich nicht ohne Reibungsverluste an eine Zusammenarbeit anknüpfen, deren Erfolg auf den Personenkenntnissen und Erfahrungswerten anderer Mitarbeitender beruht. Luhmann (1995: 238) bringt dies folgendermaßen auf den Punkt: »Persönliche Beziehungen sind Arbeitsmittel im notwendigen Privatbesitz«. Kontakte und Beziehungen zu Nachbarn, Arbeitgebern oder Schulen »kleben« daher gewissermaßen an den Personen. Im schlimmsten Fall können diese Beziehungen deshalb mit den Mitarbeitenden, die sie aufgebaut haben, verloren gehen. Dieses Problem können die diakonischen Unternehmen der Behindertenhilfe nicht vollständig lösen, sie teilen es sogar mit einer Reihe weiterer Organisationen, die ebenfalls mit einem besonderen Maß an personenbezogenem Wissen umgehen müssen. Es gibt aber Möglichkeiten, die Auswirkungen auf die Organisation zumindest abzuschwächen. Zum Beispiel bietet es sich an, dass Grenzstellen ihre Arbeit für andere dokumentieren. Wenn die kooperativen Aktivitäten sowie die Beziehungen zu lokalen Akteuren mehr oder weniger detailliert schriftlich festgehalten werden, haben potenzielle Nachfolger eine bessere Chance, sich einzuarbeiten und die Arbeit dort fortzusetzen, wo ihre Vorgängerinnen oder Vorgänger aufhören. Noch besser eignet sich zu diesem Zweck eine Übergangs- bzw. Einarbeitungsphase, in der altes und neues Personal gemeinsam bestehende Kontakte pflegt. Ähnlich könnte bereits präventiv gehandelt werden, indem Kooperationen mit der örtlichen Gemeinschaft nicht nur einer Person, sondern gleich mehreren Ansprechpartnern übertragen werden, die dann gleichermaßen über diese Kontakte verfügen. Der Ausfall einer einzelnen Person fällt dann weniger stark ins Gewicht. Die diakonischen Unternehmen müssen Vorkehrungen treffen, die dafür sorgen, dass die Kontakte und persönlichen Beziehungen, die primär einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zugerechnet werden, auch anderen Personen zugänglich sind. Nur so können Kooperationen aufrechterhalten werden, wenn Mitarbeitende das Unternehmen verlassen.
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5.
André Armbruster et al.
Fazit
Wir haben gezeigt, dass die Dezentralisierung von Angeboten nicht ohne Weiteres gleichbedeutend mit gelungener Inklusion ist. Es besteht weiterhin die Gefahr, dass Menschen mit Behinderung isoliert bleiben. Diakonische Unternehmen können jedoch Kooperationen nutzen, um diese Versäulung aufzubrechen und Teilhabechancen für Menschen mit Behinderung zu sichern. Die Kooperationen haben das Ziel, dass Menschen mit Behinderung Teil der lokalen Gemeinschaft werden, indem sie selbst einen Beitrag leisten, auf den die Gemeinschaft nicht verzichten kann. Gleichzeitig erfahren sie Wertschätzung und Akzeptanz, sie werden »in ihrer Rolle als Bürger ernst genommen« (Schablon, 2006: 23). Diakonische Unternehmen spielen darin eine wichtige Rolle, da sie die Kooperationen vorbereiten, begleiten und unterstützen. Sie sind dann nicht mehr die exklusiven Kontaktstellen von Menschen mit Behinderung, sondern Vermittler zwischen Menschen mit Behinderung und ihrer lokalen Gemeinschaft – aber gleichzeitig auch ein Akteur der Gemeinschaft unter anderen. Kooperationen sind für diakonische Unternehmen allerdings nicht leicht zu handhaben. Es bedarf großer Anstrengungen, um förderliche Bedingungen zu schaffen und gleichzeitig nicht zu stark in Abhängigkeit von einzelnen Personen zu geraten. Soll der Prozess der Inklusion weiter vorangetrieben und die Versäulung der Behindertenhilfe überwunden werden, müssen die diakonischen Unternehmen ihrem Personal mehr Freiheiten einräumen, sie selbst müssen sich also mit weniger Kontrolle und Zugriff auf die Kooperationen begnügen.
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Inklusion durch Kooperation
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Stefan Friedrichs, Christian Scharff und Kristina Willjes
Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen von diakonischen Unternehmen
1.
Kooperationen als Lösung
Diakonische Unternehmen stehen zunehmend unter Druck, immer komplexere Aufgabenstellungen mit immer knapper werdenden Ressourcen zu gestalten. Sie müssen Herausforderungen wie den demografischen Wandel, den Inklusionsanspruch und den Fachkräftemangel zeitgleich bewältigen und sind dabei weitgehend auf sich gestellt. Budgetkürzungen und Gesetzesänderungen bedürfen darüber hinaus besonderer Aufmerksamkeit und erfordern eine innovative Umgestaltung der bisherigen Arbeitsweise diakonischer Unternehmen. Der gezielte und strategische Einsatz von Kooperationen kann in dieser Situation neue Wege eröffnen. Durch die Bündelung von Ressourcen und Know-how lassen sich anstehende Aufgaben (vgl. den Beitrag von Armbruster, Scharff u. Willjes in diesem Band) effizienter und erfolgreicher erfüllen. Mithilfe von Kooperationspartnern kann es gelingen, auch gesellschaftliche Gruppen, die bisher wenige Berührungspunkte mit der Arbeit der diakonischen Unternehmen hatten, zu erreichen. Darüber hinaus kann die Wirtschaftlichkeit von Angeboten durch Synergien, wie etwa die gemeinsame Nutzung von Ressourcen, gesteigert werden. Allerdings stehen die diakonischen Unternehmen damit vor neuen und für sie bislang unbekannten Herausforderungen: Es muss ermittelt werden, welche Ziele mit einem Kooperationspartner zu verfolgen sind, welche Art von Kooperation passfähig und angemessen ist, wie der Veränderungsprozess am besten gestaltet wird und wie die Mitarbeiterschaft aktiv eingebunden werden kann. Damit Kooperationen für alle Beteiligten von Nutzen sind, ist es erforderlich, diese strategisch zu planen und zu steuern. Besondere Bedeutung kommt dabei der Gestaltung der Koordinationsmechanismen und Abstimmungsprozesse innerhalb der Kooperationsbeziehung zu. Das 4-A-Modell des Kooperationsmanagements hat sich in zahlreichen Projekten der Organisationsentwicklung und -beratung als zuverlässiges Instrument zur Analyse, Bewertung und Steuerung von Kooperationsprozessen
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Stefan Friedrichs et al.
bewährt und bietet sich dazu an, diese Herausforderungen zu lösen. Diakonische Unternehmen suchen nach Kooperationspartnern, die ihnen bei der Erfüllung ihres diakonischen Auftrags zur Seite stehen. Das 4-A-Modell der Kooperation kann ihnen helfen, andere Organisationen mit ähnlichen strategischen Zielen zu identifizieren. Das gemeinsame Anliegen der Partner wird dabei mittels eines strukturierten Vorgehens schrittweise mit den beteiligten Akteuren geklärt, konkretisiert und auf eine fortlaufende praktische Arbeit ausgerichtet. Das 4-AModell zielt auf die partizipative Stärkung von Netzwerken und Beziehungen zwischen den Partnern und fördert so eine durch gegenseitiges Vertrauen und Respekt geprägte partnerschaftliche Beziehung. Dieser Beitrag bespricht zunächst die Herausforderungen, die mit Kooperationsvorhaben diakonischer Unternehmen verbunden sind, und gibt anschließend einen Einblick in die Arbeitsweise mit dem 4-A-Modell, der Praktikern konkrete Instrumente vorschlägt. Dadurch werden diakonischen Unternehmen Möglichkeiten aufgezeigt, ihr operatives Vorgehen gezielt an die sich stellenden Herausforderungen anzupassen.
2.
Herausforderungen für erfolgreiche Kooperationen
Durch Kooperationen entsteht ein Netzwerk »zwischen relativ autonomen, gleichwohl in ein Netz von Beziehungen eingebundenen Organisationen bzw. Unternehmungen« (Sydow, 2003: 1). Diese Gleichzeitigkeit von organisationaler Autonomie und der Einbindung in ein Netzwerk erfordert besondere Aufmerksamkeit, denn die Kooperationspartner verfolgen jeweils eigene strategische Ziele und verfügen über etablierte Hierarchien und organisatorische Abläufe, die sich über einen langen Zeitraum eingespielt haben. In der Kooperationsbeziehung müssen sie sich allerdings aufeinander einstellen und Teile ihres Organisationsalltags auf den Partner und das gemeinsame Kooperationsvorhaben ausrichten. Zu den beiden Organisationssystemen tritt eine dritte Referenz, nämlich das Beziehungssystem zwischen den Organisationen. Dabei erwarten beide Partner, dass sie sich in einem ausgewogenen Verhältnis an den eigenen Bedarfen und an denen der anderen orientieren. Eine besondere Herausforderung von Kooperationen ist somit die Entwicklung passfähiger Strukturen, die gemeinsame Entscheidungsfindungen innerhalb des Netzwerks ermöglichen. Die Anforderungen an die Partner eines Kooperationsvorhabens und das Ausmaß der notwendigen organisatorischen Veränderungen steigen mit der geplanten Intensität der Zusammenarbeit. Die Kooperationsformen variieren zwischen einer losen Zusammenarbeit, die ad hoc entsteht, und einer festen,
Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen
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institutionalisierten Verbindung zwischen den Partnern, wobei die Übergänge in der Praxis fließend sind (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Kooperationsformen (eigene Darstellung)
In diesem Kontinuum der Zusammenarbeit nehmen Intensität und Verbindlichkeit stetig zu. Während die Ad-hoc-Zusammenarbeit lediglich auf die Bearbeitung singulär vorkommender Aufgaben zielt, ist die institutionalisierte Kooperation auf Dauer angelegt und umfasst die Verschmelzung spezifischer Organisationsteile. Je komplexer der Aufgabenbestand und je vielschichtiger eine Zusammenarbeit, desto mehr Akteure müssen eingebunden werden und desto anspruchsvoller wird eine aktive Anbahnung, Aktivierung, Steuerung und Verstetigung der Kooperationsaktivitäten. Gegenseitiges Vertrauen ist eine notwendige Voraussetzung für das Gelingen sämtlicher Kooperationsformen (Will, 2012). Die Anforderungen an die Vertrauensbildung steigen jedoch mit dem Maß der angestrebten Verbindlichkeit. Je nach Kooperationsform und der damit verbundenen Intensität der Zusammenarbeit geht der Aufbau einer solchen Partnerschaft mit einschneidenden Veränderungen für die beteiligten Organisationen einher. Zuvor unabhängig voneinander operierende Einheiten sind fortan in gewissen Hinsichten abhängig voneinander und verfolgen zugleich ihre eigenen Interessen. Das Beziehungssystem zwischen den Organisationen strukturell so zu gestalten, dass eine
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Stefan Friedrichs et al.
partnerschaftliche Zusammenarbeit aller Akteure auf Augenhöhe gefördert wird, ist eine wesentliche Aufgabe bei der Gründung eines Netzwerks. Kooperationen gehen mit einem tiefgreifenden Eingriff in den Arbeitsalltag der Mitarbeitenden einher. Wie bereits beschrieben, folgen sie nicht länger nur den Zielen, Hierarchien und Abläufen ihrer eigenen Organisation, sondern müssen ihre Arbeit zugleich an dem Beziehungssystem zwischen den Organisationen ausrichten. Bestehende Erwartungshaltungen an das Handeln von Kolleginnen und Kollegen verändern sich oder werden enttäuscht. Daher ist es naheliegend, dass Mitarbeitende skeptisch oder gar ängstlich auf Kooperationsvorhaben blicken. Zugleich sind es aber die Mitarbeitenden, die das Kooperationsvorhaben im Organisationsalltag umsetzen und dessen Erfolg begründen. Insofern sind die Kooperationspartner darauf angewiesen, die Sorgen während des Veränderungsprozesses zu adressieren und zu zerstreuen. Darüber hinaus ist die Mitwirkung der Mitarbeitenden im Vorfeld der Kooperation unverzichtbar, weil sie als Expertinnen und Experten ihres eigenen Arbeitsalltags wertvolle Wissensressourcen besitzen, die dabei helfen, die eigene Organisation auf das Kooperationsvorhaben auszurichten. Insofern besteht eine weitere Herausforderung darin, die Mitarbeitenden aktiv in den Veränderungsprozess einzubinden, um die Kooperation auf eine solide praktische Basis zu stellen. Schließlich müssen für diakonische Unternehmen hinsichtlich der strategischen Ziele einer Kooperation und den sich daraus ergebenden Strukturen und Abläufen einige Besonderheiten berücksichtigt werden. Diakonische Unternehmen orientieren sich am christlichen Menschenbild und betrachten ökonomischen Gewinn nicht als Ziel ihres unternehmerischen Handelns, sondern lediglich als ein Mittel, ihre Hilfeleistungen auf Dauer aufrechtzuerhalten. Während für Wirtschaftsunternehmen der Nutzen einer Kooperation immer auch an ihrem wirtschaftlichen Erfolg gemessen werden kann, müssen die strategischen Ziele diakonischer Unternehmen differenzierter betrachtet und mit dem Kooperationspartner abgestimmt werden. Das gilt insbesondere, wenn diakonische Unternehmen mit nichtchristlichen Organisationen kooperieren. Armbruster et al. (2013: 19 ff.) zeigen, dass diakonische Unternehmen zwar grundsätzlich wirtschaftlich handeln, stellen aber darüber hinaus fest, dass sie durchaus bereit sind, ökonomische Einschnitte und Risiken in Kauf zu nehmen, um Menschen zu helfen. Für Kooperationen stellt sich also insbesondere die Frage, ob die Kooperationspartner ein wirtschaftliches oder ein humanitäres Interesse haben und inwiefern diese Ziele gleichzeitig zu verwirklichen sind.
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Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen
3.
Ein Analyse- und Gestaltungsmodell für Kooperationen: das 4-A-Modell
Diakonische Unternehmen, die sich zu Kooperationsvorhaben entschließen, müssen sich also fragen, auf welche Art und Weise ihre Kooperation strategisch auszurichten ist, auf welche Weise die zentralen Akteure – und insbesondere die Mitarbeitenden – eingebunden werden können, wie sie Steuerungsstrukturen für die Kooperation definieren und managen und wie sie die prozessualen Abläufe innerhalb der Kooperationsbeziehung gestalten möchten. Das 4-A-Modell der Kooperation (siehe Tabelle 1) adressiert diese Herausforderungen und macht sie zum Ausgangspunkt eines umfassenden Analyse- und Gestaltungsmodells für Kooperationen. Tabelle 1: Das 4-A-Modell (eigene Darstellung) 4-A-Modell für das Kooperationsmanagement Ausrichtung Akteure Architekturen Relevante Akteure Passfähige Strukturen Strategische aktiv einbinden Potenziale zur Steuerung und und identifizieren, Entscheidungsfindung Rollenverteilung, entwickeln entwickeln und Aufgaben sowie die Zusammenarbeit Erwartungen klären planen
Abläufe Prozesse zur Kommunikation, Leistungserbringung und zum Lernen gestalten und schrittweise verbessern
Das 4-A-Modell fokussiert die Ausrichtung, die Akteure, die Architekturen sowie die Abläufe von Kooperationsvorhaben und verbindet sie mit verschiedenen Instrumenten und Methoden zur Anbahnung, Ausrichtung und Festigung von Kooperationen. Diese vier Faktoren des 4-A-Modells eignen sich für die Arbeit in unterschiedlichen Kooperationsformen, ausgehend von einfacher Ad-hocZusammenarbeit über verbindliche Kooperationen mit gegenseitigem Zahlungsausgleich bis hin zu organisationalen Verschmelzungen. Im Folgenden werden diese vier Faktoren genauer beleuchtet und mit Ratschlägen zur praktischen Umsetzung verknüpft.
3.1
Ausrichtung: Strategische Leitlinien gemeinsam festlegen
Zu Beginn eines jeden Kooperationsvorhabens sollte die Ausrichtung der angestrebten Partnerschaft geklärt und definiert werden. Hierbei geht es um die Identifizierung und die Analyse des strategischen Kooperationspotenzials der beteiligten Organisationen. Diese Analyse bildet die Grundlage für die Ent-
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Stefan Friedrichs et al.
wicklung passender Kooperationsstrategien und die Planung einer zukünftigen Zusammenarbeit. Daher ist es hier notwendig, sich der eigenen Kooperationsziele und Interessen bewusst zu werden und sich mit den Partnern darüber auszutauschen. Denn nur wer die eigenen Ziele und Interessen kennt, ist auch in der Lage, sich in andere hineinzuversetzen, gemeinsame Zielsetzungen zu erarbeiten und Kompromisse zwischen den eigenen Zielen und denen anderer einzugehen. Zudem dient eine klare Vorstellung von Zielen und deren Operationalisierung der Definition von Erfolgsindikatoren. Diese erleichtern, den Grad der Zielerreichung zu überprüfen und eine Kooperation als Erfolg oder Misserfolg zu bewerten. Das Konfliktpotenzial wird so verringert. Darüber hinaus ermöglichen festgelegte Zielsetzungen das gemeinsame Lernen der Kooperationspartner, indem der Grad der Zielerreichung konsequent evaluiert wird und die Ziele gegebenenfalls angepasst werden. Die Ergebnisse dieses Lernprozesses sollten dokumentiert und konsequent reflektiert werden. So kann die Zusammenarbeit der Partner Schritt für Schritt verbessert und effizienter gestaltet werden. Die Partner können von den Stärken des anderen profitieren und eigene Schwächen erkennen. Die Vertrauensebene wird auf diese Weise weiter ausgebaut und es wird gewährleistet, dass etwaige Konflikte offen und fair ausgetragen werden können. In der ersten Phase ist dementsprechend auf mögliche Zielkonflikte zu achten, das heißt, ob Ziele in Konkurrenz zueinander stehen, sich widersprechen oder gegenseitig ausschließen. Bei der Zusammenarbeit zwischen diakonischen und wirtschaftlich orientierten Organisationen kommt es beispielsweise häufig zu einem Widerspruch zwischen inhaltlicher Zielerreichung diakonischer Anliegen und ökonomischer Nachhaltigkeit. Hier bedarf es daher wirkungsvoller Instrumente zur Strukturierung der gemeinsamen Strategiefindung. Dafür empfehlen sich insbesondere die Szenarioanalyse und -entwicklung (vgl. Kahn u. Wiener, 1967) sowie das Strategiemapping zur Identifikation von strategischen Optionen (vgl. Kaplan u. Norton, 2004). Die Szenarioanalyse dient dem Entdecken strategischer Handlungsspielräume sowie der Entwicklung von Szenarien. Sie werden aus Trends und Vorstellungen über die Zukunft zusammengetragen. Bei der Planung von Kooperationen beschreiben sie bildhaft alternative, konsistente Situationen der zukünftigen Kooperationskonstellation und helfen dabei, das Kooperationsvorhaben überschaubar zu machen und gleichzeitig mögliche Potenziale und Risiken zu identifizieren. Mit ihrer Hilfe können verschiedene Zukunftsszenarien entworfen und grafisch dargestellt werden. Die Analyse der Auswirkungen dieser Szenarien ermöglicht es Organisationen, Strategien zu entwickeln, um so vorausschauend auf Trends und Entwicklungen reagieren zu können.
Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen
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Die Szenarioanalyse lässt sich idealtypisch in fünf Phasen einteilen: Szenariofeldbestimmung (1), Schlüsselfaktoridentifizierung (2), Schlüsselfeldfaktoranalyse (3), Szenariogenerierung (4) und Szenariotransfer (5). Im Rahmen der 1. Phase, der Szenariofeldbestimmung, erfolgt zunächst eine Abgrenzung des Untersuchungsgegenstands, und es wird eine grobe Analyse der internen Ausgangssituation vorgenommen. Ziel der 2. Phase, der Schlüsselfaktoridentifizierung, ist, alle Einflussbereiche und mögliche Probleme und Störungen zu ermitteln, die sich direkt oder indirekt auf den Untersuchungsgegenstand auswirken können. In der Phase der Schlüsselfeldfaktoranalyse (3) werden die einzelnen Schlüsselfaktoren und deren mögliche zukünftige Ausprägungen analysiert. Die Einflussfaktoren werden zueinander in Beziehung gesetzt und mögliche Vernetzungen identifiziert. Auf Grundlage dieser Informationen werden schließlich in der 4. Phase verschiedene Szenarien ausgearbeitet. Dabei ist es sinnvoll, mindestens ein worst case, ein best case und ein drittes Szenario mit der wahrscheinlichsten Entwicklung zu entwerfen. Im letzten Schritt der Szenarioanalyse, dem Szenariotransfer (5), werden die Szenarien dann auf den Untersuchungsgegenstand übertragen und mögliche Handlungs- und Gestaltungsszenarien entwickelt, die ein gewünschtes Szenario stabilisieren und unerwünschte oder unerwartete Entwicklungen verhindern oder abschwächen sollen (Kosow u. Gaßner, 2008). Es bietet sich an, diese Szenarien gemeinsam mit Beteiligten beider Kooperationspartner auszuarbeiten, um so ein kreatives und vertrauensvolles Klima zu fördern, die Herausbildung einer gemeinsamen Identität zu unterstützen und Alternativen und neue Handlungsspielräume zu entdecken. Gleichzeitig können sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kooperierenden Organisationen kennenlernen und ein Gefühl für die Kommunikations- und Organisationskulturen in den kooperierenden Organisationen entwickeln. Im Rahmen des Strategiemappings werden schließlich gemeinsam Kooperationsstrategien entworfen. Aus den verschiedenen Szenarien können verschiedene strategische Optionen abgeleitet werden. Zur Auswahl der für das Kooperationsvorhaben passenden strategischen Option kann im Rahmen des sogenannten Strategiemappings diese Option analytisch ermittelt werden. So können Zusammenhänge der wesentlichen strategischen Ziele grafisch in Form von Ursache-Wirkungs-Beziehungen dargestellt werden. Um dies zu ermöglichen, werden Kriterien entwickelt, die strategische Präferenzen bzw. Ziele der Kooperation widerspiegeln. So wird eine Objektivierung und Versachlichung der Entscheidung bzw. die Auswahl zwischen mehreren Optionen erleichtert. Dabei werden die folgenden Perspektiven betrachtet: Finanzperspektive, Kundenperspektive, interne Prozessperspektive und Lern- und Entwicklungsperspektive.
104 3.2
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Akteure: Betroffene Gruppen und Personen einbinden und aktivieren
Im Anschluss an die strategische Analyse (Ausrichtung) folgt als zweiter Schritt die systematische Einbindung der Akteure in ein Kooperationsvorhaben. Dazu werden bei Kooperationsprojekten die Rollenverteilung, Aufgaben, Erwartungen und Funktionen der wichtigsten Beteiligten identifiziert und in einem gemeinsamen Prozess zur Klärung der Aufgaben- und Rollenverteilung in der Kooperation miteinbezogen. Das strukturierte Vorgehen in dieser Phase unterstützt die ohnehin vorhandenen Bestrebungen diakonischer Unternehmen, Impulse derjenigen Mitarbeitenden für die Ausgestaltung des Organisationswandels aufzunehmen, die die Veränderungen im Unternehmensalltag tragen müssen (Armbruster et al. 2013: 32 f.). Insofern besteht bereits im Vorfeld eine gute Grundlage für die Einbindung der unternehmensinternen Akteure in den Entstehungsprozess der Kooperation. Je nach strategischem Kontext und Kooperationsziel erhöhen die folgenden Methoden die Fähigkeit, eigene Handlungsspielräume und Einflussmöglichkeiten realistisch zu bewerten, interessante Partner sicher zu identifizieren sowie mit den richtigen Argumenten und Werkzeugen anzuziehen. Dieser Schritt ist erfahrungsgemäß besonders wichtig, um frühzeitig die bisher unausgesprochenen Erwartungen, Interessen und Positionen der Partner explizit zu machen sowie mögliche Synergiepotenziale zu identifizieren und nutzbar zu machen. Es ist sinnvoll, ausgewählte Personen bereits in dieser Phase in die Planung einzubeziehen, weil sie eine wertvolle Perspektive auf das Beziehungsgeflecht innerhalb der eigenen Organisation haben, welche die Sichtweise der Unternehmensführung ergänzt. Um die vernetzten Interessenskonstellationen und die spezifischen Bedarfe in Veränderungsprozessen zu ordnen, bieten sich erprobte Visualisierungsverfahren an. Zum Einsatz kommen hierbei beispielsweise die Kraftfeldanalyse, das Stakeholder Mapping sowie interne und externe Akteurslandkarten, die der Analyse der Interessens- und Machtkonstellationen dienen. Die Kraftfeldanalyse (Lewin, 1943) ist ein wichtiges Werkzeug, um einen bildlichen Eindruck von den wahrgenommenen Faktoren zu gewinnen, die für eine Lösung hinderlich oder förderlich sein können. Darstellbar sind die identifizierten Kräfte zum Beispiel in einem einfachen Kraftfelddiagramm (siehe Abbildung 2), in dem jede Kraft als Pfeil dargestellt wird. Im Rahmen der Kraftfeldanalyse werden die momentane Situation und die gewünschte Veränderung analysiert und diejenigen Kräfte identifiziert, welche die Veränderung der Situation hemmen bzw. fördern. Diese Überlegungen bilden die Grundlage für eine Strategie, die darauf zielt, die negativen Tendenzen in ihrer Wirksamkeit zu schwächen und die fördernden Kräfte zu erhalten bzw. zu verstärken. Es wird analysiert, wodurch die hemmenden Kräfte entstanden sind,
Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen
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Abbildung 2: Kraftfelddiagramm (eigene Darstellung nach Lewin, 1943)
zu welchem Zeitpunkt und durch wen sie ausgelöst wurden und welche Faktoren ihre negative oder positive Wirksamkeit begünstigen. Im Rahmen des Stakeholder Mappings werden die Stakeholder, Einzelpersonen oder Organisationen, die ein Interesse am Verlauf oder Ergebnis eines Prozesses oder Projektes haben, identifiziert und gemäß der Kategorien Schlüsselakteure, primäre Akteure und sekundäre Akteure geclustert. Schlüsselakteure sind entscheidend für den Erfolg eines Vorhabens und können dieses durch ihre Position oder ihren Einfluss blockieren. Primäre Akteure sind unmittelbar von einem Vorhaben betroffen, sekundäre lediglich mittelbar. Ziel des Stakeholder Mappings ist die Klärung der Frage, welchen Einfluss und welche Interessen Stakeholder haben und welches Verhalten von ihnen zu erwarten ist. Im Mittelpunkt der Analyse stehen die folgenden Fragen: – Welche Einstellung hat der Stakeholder zum Projekt? – Wie groß ist der mögliche Einfluss des Stakeholders auf das Projektvorhaben? – Welchen Beitrag kann der Stakeholder zur Umsetzung der Ziele leisten? – Wie wird der Stakeholder in das Kooperationsvorhaben eingebunden? – Welche konkreten Aufgaben kann der Stakeholder übernehmen? Mithilfe sogenannter interner und externer Akteurslandkarten können die für die Kooperation relevanten Akteure sowie ihre Beziehungen und Interessen identifiziert und dargestellt werden. Dabei bietet es sich an, Kreise für die Darstellung der Akteure zu verwenden, deren Größe auf einen Blick deren
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Einfluss auf das Thema oder Vorhaben zeigt. Die Beziehungen werden dabei durch folgende Symbole dargestellt: Durchgezogene Linien zwischen den Akteuren symbolisieren enge Beziehungen, gestrichelte Linien schwache oder informelle Beziehungen, Doppellinien zeigen Allianzen, Pfeile die Richtung von Dominanzbeziehungen, von einem Blitz unterbrochene Linien Spannungen und Interessensgegensätze, Querstriche unterbrochene Beziehungen. Auf diese Weise wird auf einen Blick sichtbar, welche Akteure zwingend in das Vorhaben eingebunden werden müssen und über welche Akteure gegebenenfalls zusätzliche Informationen notwendig sind (Brugha u. Varvasovszky, 2000).
3.3
Architektur der Kooperation: Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen fixieren
Anhand des Faktors Architektur werden die Struktur und der Aufbau von Kooperationsvorhaben erhoben und neu ausgerichtet. Dabei werden Entscheidungs- und Steuerungssysteme konzipiert und auf die strategische Neuausrichtung der gemeinsamen Ziele der Kooperationspartner zugeschnitten. In diesem Kontext wird Steuerung als das Bemühen um Verringerung der Differenz verstanden (Luhmann, 1988). Die Grundfrage hierbei lautet: Aus welcher Unterschiedlichkeit entstehen potenziell die größten Koordinationsprobleme? Mit der Fixierung von Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen soll die Differenz zwischen der gewünschten und der gegenwärtigen Systemarchitektur verringert werden. Im Kontext von Kirche und Diakonie sind bei der Definition der Strukturen insbesondere die Herausforderungen des Managements der Parallelstrukturen von Hauptamt und Ehrenamt zu beachten. Wird dieser Aspekt bei der Definition von Strukturen nicht ausreichend berücksichtigt, führt dies oftmals zu unklaren Kompetenzabgrenzungen und hohem Kommunikationsaufwand. Orientierung bei der Gestaltung der Architektur der Kooperation können die fünf Hauptdimensionen der Organisationsstruktur nach Weber geben: – Spezialisierung – welche Aufgaben sind von wem zu erledigen? In welche Teilschritte ist eine Aufgabe zerlegt? – Koordination – wie gestaltet sich die Abstimmung zwischen arbeitsteiligen Organisationseinheiten? Wie werden die einzelnen Teilschritte zusammengefügt? – Konfiguration – welches System von Weisungsbefugnissen wird angewandt? Welche Leitungs- und Weisungsbefugnisse verknüpfen die einzelnen Stellen? – Delegation – wie werden einzelne Entscheidungsbefugnisse und Kompetenzen verteilt? Wer trifft auf welcher Basis welche Entscheidungen worüber? – Formalisierung und Standardisierung – welches Ausmaß an Schriftlichkeit wird benötigt? Wie standardisiert wird gearbeitet? Welche Arbeitsroutinen gibt es?
Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen
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Für das praktische Vorgehen haben sich zwei Instrumente, die Bedarfsanalyse sowie die Kooperationsgovernance, bewährt. Mithilfe des Instruments der Bedarfsanalyse lassen sich die Strukturen definieren. Die Bedarfsanalyse ermittelt die Anforderungen, Bedürfnisse und Bedarfe hinsichtlich der Strukturen, Prozesse und Beziehungen des Kooperationssystems. Im Mittelpunkt steht die Frage, was genau die Kooperationspartner zur Erbringung der gewünschten Leistungen benötigen und welche Strukturen wie gestaltet werden müssen, um diese Bedürfnisse optimal erfüllen zu können. Als erster Schritt zur Definition von Strukturen können zunächst analytische Verfahren zur Bedarfsbestimmung eingesetzt werden, um auf Grundlage der strategischen Optionen und der Akteursanalysen optimale, strukturierte Kooperations- und Netzwerkarrangements zu identifizieren. Dazu können beispielsweise Ratingskalen einzelner Kriterien, Aufgabenbeschreibungen, verschiedene Visualisierungsverfahren in Gruppendiskussionen oder Erhebungen in definierten Zielgruppen zur Anwendung kommen. So kann ein Leistungsprofil des Kooperationssystems erstellt werden, auf dessen Grundlage dann die Definition von Strukturen stattfinden kann. Nachfolgend werden fünf wichtige Kriterien zur Analyse und Bewertung der Anforderungen an Organisationsstrukturen und die damit verbundenen Kernfragen kurz vorgestellt: 1. Zielorientierung der Organisationsstruktur Inwieweit ist die Organisationsstruktur geeignet, spezifische Ziele eines Kooperationsvorhabens zu erreichen? 2. Nutzung vorhandener Ressourcen Können in den Strukturen Ressourcen optimal ausgeschöpft werden? In welchem Ausmaß werden die vorhandenen Personal-, Sach- und Finanzmittel tatsächlich genutzt? 3. Berücksichtigung von Markt- bzw. Politikfeldinterdependenzen Werden wechselseitige Abhängigkeiten ausreichend berücksichtigt? Hat jeder Teil der Organisation eine klare Ausrichtung oder gibt es Überlappungen? Werden zum Beispiel gleiche Märkte oder Kunden bedient? 4. Dispositionsfähigkeit Grad der Anpassungsfähigkeit an laufende operative Veränderungen: Wie schnell kann die Organisation auf veränderte Umfelderwartungen reagieren? 5. Innovationsfähigkeit Ausmaß der Fähigkeit, auf Veränderungen im Handlungsumfeld zu reagieren: Wie schnell können Innovationen als Reaktion auf grundsätzliche Veränderungen des Umfelds erfolgen? Mithilfe der Kooperationsgovernance wird der Handlungsraum der Kooperation definiert. Dieser Handlungsraum wird durch die Schaffung von organisationalen Strukturen mit geprägt. Die Hauptfragen hierbei betreffen die Entscheidung
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darüber, wem welche Entscheidungsbefugnisse zukommen, welche Gremien zur Steuerung der Kooperation eingerichtet werden sollen, welche Gruppen in diesen Gremien vertreten sein sollen und wie der gegenseitige Informationsaustausch kontinuierlich gewährleistet werden kann. Dabei ist es wichtig, dass die spezifischen Bedarfe und Bedürfnisse aller beteiligten Partner und der wichtigsten Anspruchsgruppen sowie Einflussfaktoren wie institutionelle Rahmenbedingungen, Organisationsmuster und Anreizmechanismen angemessen berücksichtigt werden. Zur Unterstützung der Aushandlung der Kooperationsgovernance können quantitative Instrumente wie Matrizen oder qualitative Instrumente wie Moderationsverfahren zur Anwendung kommen. Grundsätzlich gibt es in diesem Aushandlungsprozess keine Blaupausen. Das heißt: Es gibt Steuerungsthemen, die eher verhandelt werden, und andere, die eher über eine festgelegte hierarchische Zuständigkeit entschieden werden müssen. Beides kann miteinander kombiniert werden, dabei sollten die Ergebnisse so detailliert und präzise wie möglich schriftlich fixiert werden.
3.4
Abläufe: Prozesse definieren und verbessern
Ein zentraler Aspekt des Kooperationsmanagements sind die Abläufe oder die Prozesse, welche die Funktionsfähigkeit und die effiziente Umsetzung von Kooperationsvorhaben garantieren. Die Festlegung der Abläufe leitet sich aus allen anderen 4-A-Aktivitäten ab. In dieser Phase werden das jeweils passende Prozessdesign sowie die Prozesshierarchie festgelegt. Die Basisfragen für die Modellierung von Prozessen lauten: – Womit beginnt der Prozess? (auslösendes Ereignis) – Welche Akteure sind beteiligt? – (eigener Bereich, andere Bereiche, andere Organisationen, …) – Wer macht welche Tätigkeiten? – Welche Ressourcen werden jeweils benötigt? – (Sachmittel, Technik, Informationen, Daten …) – Welche Dokumente werden benötigt bzw. welche werden verfasst? – Welche Probleme gibt es bei einzelnen Tätigkeiten? – Welche Bedingungen gibt es, die zu unterschiedlichen Prozessverläufen führen? – Womit endet der Prozess? (z. B. Bescheid, Ablehnung, Archivierung, …) Die Gestaltung der Prozesse erfolgt in vier Phasen: der Prozessdefinition, der Prozessstrukturierung, der Prozessrealisation sowie der Prozessoptimierung. Im ersten Schritt der Prozessdefinition werden die Aufgaben und der Umfang
Das 4-A-Modell: Eckpunkte für erfolgreiche Kooperationen
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eines Prozesses festgelegt. Anschließend werden die Prozessstrukturen bestimmt, die Reihenfolgen festgelegt, Schnittstellen definiert, Erfolgsindikatoren für ein Prozesscontrolling festgelegt sowie die Verantwortungen für die Prozesse zugewiesen. Danach können die Prozesse realisiert werden, mithilfe der definierten Erfolgsindikatoren können Abweichungen erkannt und die Prozesse Schritt für Schritt optimiert werden (Hopp u. Göbel, 1999). Prozesshierarchien sind ein entscheidender Schritt bei der Operationalisierung des Kooperationsvorhabens. Sie verbinden die strategischen Planungen und Entscheidungen der ersten 4-A-Schritte mit dem operativen Management im Kooperationsvorhaben. Bei der Definition von Prozesshierarchien wird ebenfalls ein großer Schritt zur Prozessmodellierung getan. Dieses Konzept ermöglicht es den Kooperationspartnern, die Strategie in konkrete Handlungen zu übersetzen. Man beginnt auf der strategischen Ebene eines Kernprozesses und bricht diesen Schritt für Schritt auf seine Bestandteile und Teilprozesse herunter. Dieses stufenlose Verfahren, ausgehend von der strategischen Kernidee, stellt eine logische Verbindung her zwischen detailliert operationaler Planung auf der einen und abstrakt-logischer Analyse auf der anderen Seite. An dieser Stelle schließt der erste Kreis des 4-A-Modells mit der Planung der Kooperation. In Form des wechselseitigen Lernprozesses, der an den vorab definierten Erfolgsindikatoren orientiert ist, bleibt es jedoch fortlaufender Bestandteil der Kooperation.
4.
Zusammenfassung
Mithilfe des 4-A-Modells für das Kooperationsmanagement können die Fragen, mit denen kooperationswillige diakonische Unternehmen konfrontiert sind, schrittweise und strukturiert gemeinsam mit den beteiligten Akteuren beantwortet werden. Durch die gemeinsame Entwicklung strategischer Leitlinien, die Einbindung und Aktivierung der Akteure, die Fixierung der Steuerungs- und Entscheidungsstrukturen und die Definition der Abläufe wird so systematisch das Fundament für eine erfolgreiche Kooperationsbeziehung aufgebaut. Die gemeinsame Beantwortung der Kernfragen der Kooperation steigert die Bindung und Identifikation der beteiligten Akteure mit dem Kooperationsvorhaben und es entwickelt sich eine durch gegenseitiges Vertrauen geprägte Beziehung. Die hier vorgestellten Instrumente dienen der Objektivierung und Strukturierung des Kooperationsprozesses und unterstützen die beteiligten Akteure bei der Analyse, Bewertung sowie Steuerung der Kooperationsaktivitäten. So lassen sich diejenigen Kooperationsfelder identifizieren, in denen sich eine Zusammenarbeit anbietet. Dabei ermöglichen es die vier Eckpunkte des 4-A-Modells, diejenigen Be-
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sonderheiten adäquat zu berücksichtigen, die diakonische Unternehmen auszeichnen. Beginnend bei der Identifikation gemeinsamer strategischer Ziele kann sichergestellt werden, dass ein Kooperationsprojekt mit dem eigenen diakonischen Auftrag harmoniert. Es entsteht ein offener, partnerschaftlicher Prozess, in dem Zielkonflikte, etwa zwischen ökonomischen Interessen und diakonischen Zielen, bearbeitet und in eine beiderseitig gewinnbringende Kooperation überführt werden. Im Laufe dessen werden Strukturen und Prozesse identifiziert, welche der Arbeitsweise diakonischer Unternehmen und ihrer Partner gerecht werden. Dabei kommt der Einbindung der verschiedenen Stakeholder im Umfeld diakonischer Unternehmen eine entscheidende Rolle zu, sodass insbesondere auch die Mitarbeitenden aktiv in die Entwicklung eines Kooperationsprozesses einbezogen werden können. Das 4-A-Modell der Kooperation hilft diakonischen Unternehmen somit, ihren Zielen treu zu bleiben und zugleich auf die Belange anderer einzugehen und ihren Einflussbereich auszubauen.
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In den deutschen Kirchen werden die Ressourcen knapp. Zwar gehören noch etwa 50 Millionen Deutsche einer der großen Kirchen an. Es gibt immer noch zahlreiche Theologinnen und Theologen im kirchlichen Dienst: 21 500 teilen sich beispielsweise in den Kirchen der EKD (2012) den Dienst in Gemeinde (14 040) und Funktion (5 500). Die Zahl der Amtshandlungen1 und Gottesdienstteilnehmer2 ist immer noch beeindruckend. Zahlreiche Veranstaltungen locken; über vier Millionen Teilnehmer nehmen zum Beispiel jährlich an den Bildungsveranstaltungen der katholischen Kirche (DBK, 2013) teil. Es gibt eine starke Kinder- und Jugendarbeit; etwa 600 000 junge Menschen sind in katholischen Verbänden organisiert. Diakonie und Caritas sind mit etwa einer Million Angestellten die größten Arbeitgeber Deutschlands. Die Kirchen der EKD halten etwa 500 000 Plätze in Kindertagesstätten vor. Die Kirchensteuern beider Kirchen belaufen sich gegenwärtig auf etwa 9,3 Milliarden Euro im Jahr (Statistisches Bundesamt, 2013: 63). Doch der Riese kränkelt, zumindest wenn man die harten Daten zur Kenntnis nimmt. Allein von 1990 bis 2012 hat sich in den deutschen Bistümern (DBK, 2013) die Zahl der Pfarreien von 13 313 auf 11 212 verringert und damit einhergehend die der Taufen, Trauungen und Bestattungen.3 Priester fehlen. Der Nachwuchs bleibt aus. Ähnliche Perspektiven zeichnen sich auch für die evangelischen Landeskirchen ab: man stellt sich auf den Nachwuchsmangel bei Pastoren ein, verändert die Strukturen, plant mit abnehmenden finanziellen Ressourcen. 1 Für den Bereich der EKD (Kirchenamt der EKD, 2012) zum Beispiel 193 000 Taufen, 230 000 Konfirmationen und 292 000 Bestattungen; für die katholischen Bistümer (DBK, 2013): 167 500 Taufen, 175 000 Firmungen und 247 500 Beerdigungen. 2 Bei den Katholiken mit durchschnittlich 11,8 Prozent immerhin circa 2,8 Millionen Sonntagsgottesdienstbesucher (DBK 2012). 3 Taufen von 293 390 auf 167 505, Trauungen von 116 332 auf 47 161 und Bestattungen von 297 860 auf 247 502. Die Zahl der Priester reduzierte sich von 17 129 im Jahr 2000 auf 14 636 im Jahr 2012. Die Zahl der Laien im pastoralen Dienst stieg von etwa 6100 auf 7500.
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Noch anschaulicher wird diese Entwicklung, wenn ich auf das Bistum Hildesheim, in dem ich seit zwei Jahrzehnten arbeite, schaue: Befanden sich Anfang der neunziger Jahre noch etwa 400 Priester im aktiven Dienst für etwa 750 000 katholische Christen, so sind es aktuell etwa 180 aktive Diözesan- und Ordenspriester für 616 000 Kirchenmitglieder. Für das Jahr 2025 rechnet man noch mit etwa 95 Priestern im Gemeindedienst (trotz Fusionen 2013) und etwa 20 Priestern in Kategorie und Diözesanleitung. Die Kirchensteuereinnahmen von 136 Millionen Euro sind t aufgrund der demografischen Entwicklung und inflationsbereinigt im vergangenen Jahrzehnt nicht wesentlich gestiegen. So verwundert es nicht, dass Bischof Josef Homeyer bereits 2004 Struktur- und Sparbeschlüsse in Kraft setzte, deren Umsetzung bis heute konsequent vollzogen wird: Es kam zu drastischen Einsparungen, dem Einstellungsstopp und der Überalterung bei pastoralen Laienberufen, der Kategorisierung und Schließung von Kirchen. Ein Drittel der Immobilien muss noch aufgegeben werden. Einrichtungen werden geschlossen. Zwangsläufige Folge ist die Fusion von ursprünglich 360 Pfarreien auf 176 im Jahr 2011 und etwa 120 im Jahr 2014. Aufgrund der demografischen Lage ist die pastorale Situation in den Regionen des Bistums uneinheitlich: Während vor allem in den Ballungszentren das Gemeindeleben blüht und neue kirchliche Initiativen – oft in ökumenischer Gemeinsamkeit – entstehen, sind die pastoralen Herausforderungen andernorts ungleich größer. In manchen ländlichen Regionen wie dem Harz oder dem Weserbergland ist in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren mit einem Schwund von bis zu einem Viertel der Kirchenmitglieder zu rechnen. Wie kann sich Kirche im ländlichen Raum entwickeln? Muss man die Kräfte auf die Städte und regionalen Mittelzentren konzentrieren? Was passiert mit den Opfern postmoderner Mobilität, den alten Menschen, Kranken und Kindern? Wie kann das Evangelium lebendig bleiben, wenn man in der Minorität und in der Diaspora lebt?
1.
Ein biblisches Vorzeichen
Mangel! Das scheint unter den gegebenen Rahmenbedingungen das Stichwort zu sein und es eröffnet den Betroffenen keine Zukunft. Befrage ich Mangel aus biblischer Sicht (vgl. Abel, 2006), dann scheint sich das auf den ersten Blick zu bestätigen, bis ein überraschender Perspektivwechsel zutage tritt. »Wie viele Brote habt Ihr?«, fragt Jesus seine Jünger angesichts der großen Menge an hungrigen Menschen (vgl. Mk 6, 31 – 44). »Nicht viele, nur fünf Brote und zwei Fische.« Das sind, nachdem sich schon die Frage nach dem Kauf einer ausreichenden Menge an Nahrungsmitteln zerschlagen hatte, alle Ressourcen, die sich noch finden. Doch Jesus lässt die Bedürfnisse der Menschen zu, hat
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Mitleid mit ihnen, erbittet für sie Gottes Segen. Er startet ein unerwartetes Ernährungsprogramm, das ein Wunder offenbart. Anders können wir die Brotvermehrung nicht verstehen. Er teilt das, was da ist, aus. Alle werden satt. Es bleibt sogar noch einiges übrig. Der ganze Vorgang ist nur aus der Perspektive des Glaubenden verständlich. Gott handelt hier und überwindet die Not der Menschen. Er lässt sie an seiner Fülle teilhaben. Damit ist für die Diskussion um Zwänge und Mangel der Fusion ein Vorzeichen gesetzt. Mangel birgt die Gefahr der Resignation und der Regression – »Schicken wir sie nach Hause« –, aber auch die Entdeckung der gottgewollten Fülle und die Chance einer zu Gott sich öffnenden Zukunft in sich. Dieser Spannung von Zwang im Alten und neuer Freiheit gilt es im Folgenden nachzugehen.
2.
Zwang im Alten – Fusionen heute
Nach einem Jahrzehnt mit Fusionen zeigt sich, dass diese inzwischen zum gewohnten Bild der Strukturentwicklung des Bistums gehören. Die Wirkungen der Fusionen entfalten sich aber erst jetzt voll. Ein Zwischenresümee: Fusionen haben ihren Schrecken verloren. Die Menschen vor Ort wissen inzwischen, dass ihnen die Eigenständigkeit nicht genommen wird. Viele der gefundenen Lösungen sind Lösungen mit bewährten Mitteln, daher noch nicht wirklich innovativ. Es bleibt beim vertrauten Sonntagsgottesdienst. Die Gremienarbeit verläuft in gewohnten Strukturen. Die Eigenständigkeit von Einrichtungen ist gewahrt. Normale Gottesdienstbesucher merken nichts davon, dass ihre bisherige Pfarrgemeinde fusioniert ist. Vordergründig bleibt alles beim Alten. Allerdings zeigt sich beim genaueren Hinsehen, dass nicht mehr der Ortspfarrer regelmäßig dem Gottesdienst vorsteht und so Vertrautheit sichert, sondern eine Reihe von (älteren) Priestern die Amtshandlungen vollzieht. So ist zwar die Funktionalität der Gottesdienste, aber nicht mehr die über viele Jahre entstandene Kultur der Gemeinde gesichert. Es gibt auch positive Initiativen: Die Steuerung der eigentlichen Fusion ist etabliert. Die Gremienarbeit wird mancherorts verschlankt und ein Teil der Aufgaben an Ausschüsse delegiert. Ortsnahe Gremien werden entwickelt. Finanzfragen und pastorale Aufgaben werden in einem einzigen Gremium, dem Pastoralrat, bearbeitet. Die unternehmerische Verantwortung für Einrichtungen wie Kindertagesstätten und Pflegeeinrichtungen wird an professionelle Dienstleister wie die Caritas abgegeben. Man nimmt sich bewusst Auszeiten zur Entwicklung von pastoralen Konzeptionen. Das Miteinander der bisherigen Pfarrgemeinden entwickelt sich uneinheitlich. Im guten Falle entdeckt man den Wert gegenseitiger Gastfreundschaft und die
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Stärken der jeweiligen Kirchorte. Man engagiert sich in gemeinsamen Initiativen. Während es in einem Teil der Pfarreien zu einer – meist verdeckten – Konkurrenz der Gemeinden kommt und auf Eigenständigkeit gepocht wird, während in einem anderen Teil einfach so agiert wird, als sei nichts gewesen und man beispielsweise die Öffnungszeiten des Pfarrbüros durch ehrenamtliche Präsenz aufrechterhält, kommen in einem anderen Teil neue Entwicklungen wie zum Beispiel die lokalen Herausforderungen in den Blick. Sozialraumorientierung gewinnt an Bedeutung und damit wird die gesellschaftliche Verantwortung Teil kirchlichen Handelns. Es entsteht Gemeinde vor Ort. Vielerorts sind die Konsequenzen aus den beschriebenen Rahmenbedingungen noch nicht gezogen. Entscheidungen wie die Aufgabe von Immobilien sind noch nicht gefällt. Es ist nicht bewusst, dass die neuen »XXL-Pfarreien« die Größe von Regierungsbezirken haben und sich für das Weiterleben vor Ort neue Herausforderungen stellen, wenn die bisherigen Träger der Kontinuität, die Mitarbeitenden im pastoralen Dienst, nicht mehr vor Ort leben. Solange man noch einen Ruhestandsgeistlichen hat, wird die Tatsache verdrängt, dass der Pfarrer eine Fahrstunde entfernt wohnt und den Bezug zur Lebenswirklichkeit der Menschen nicht mehr haben kann. Die großen Verlierer scheinen demnach weniger die Gemeindemitglieder zu sein, sondern vor allem die Priester in Verantwortung. Die leitenden Pfarrer, die sich Managementtechniken angeeignet und bisher die Fusionen vollzogen haben, sind inzwischen Pfarrer von großen pastoralen Räumen. Sie müssen ihre Rolle, vor allem als Seelsorger, neu beschreiben. Klassische Aufgaben wie die flächendeckende Sakramentenspendung können sie nicht mehr wahrnehmen. Das Management komplexer Organisationen verlangt neue Fertigkeiten in Personalführung, Organisationsentwicklung oder im Freiwilligenmanagement, die sie im theologischen Studium und in der pastoralen Ausbildung nicht erlernt haben. Ein Teil leistet diese Aufgaben mit Bravour. Manche Pfarrer sind aber schlichtweg überfordert; sie haben es nicht gelernt, die im Fusionsprozess auftretenden divergierenden Interessen zu moderieren, Konflikte zu schlichten oder komplexe Prozesse zu steuern. Dabei können Pfarrer durchaus Gewinner der Fusion sein. Es ist nicht nur so, dass sie in Verwaltungsaufgaben und Gremienarbeit entlastet werden. Der Erfolg einer Fusion hängt weitgehend von ihrem Gestaltungswillen ab: Sie entscheiden, ob und wie über die harten Daten wie Kirchennutzung entschieden wird, sie prägen die Kultur des Umgangs in den Gremien, sie motivieren Menschen, Verantwortung auf sich zu nehmen, sie entwickeln neue Felder des gemeindlichen Engagements. Die professionelle Arbeit verlagert sich auf die nächsthöhere Ebene des pastoralen Raumes. Priester und pastorale Mitarbeiter sind nicht mehr vor Ort tätig und haben damit ihre klassische Rolle als guter Hirt bei den Menschen verloren. Sie stehen in Gesamtverantwortung für pastorale Prozesse wie die Sakramen-
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tenvorbereitung, das gottesdienstliche Leben, die pastorale Konzeption eines größeren Lebensraumes, das Miteinander von Ehrenamtlichen und Hauptberuflichen in territorialer und kategorialer Seelsorge. Es zeichnet sich definitiv das Ende der hauptamtlich geprägten Versorgungskirche ab. In meiner Heimatstadt wird es deshalb im kommenden Jahr zu einer Reduzierung der 31 Sonntagsgottesdienste auf 13 kommen. Vor Ort erleben die Gemeindemitglieder diese Situation als Verlust und erheben entsprechende Forderungen: »Wenn ich schon ein Leben lang meine Kirchensteuer gezahlt habe, dann möchte ich auch von einem Priester beerdigt werden«, so ein Kirchenmitglied. Genau diese Erwartung kann nicht mehr erfüllt werden, wenn ein Pfarrer mehr als 100 Beerdigungen im Jahr gewährleisten muss und deshalb einen Beerdigungsdienst durch Laien aufbaut. Räte und Gremien arbeiten oft in gewohnter Weise weiter, nur unter höherem Zeitdruck und mit stärkerer Belastung. Ein Kirchenvorstand hat nun zehn bis zwölf Immobilien zu managen, zwei oder drei Kindertagesstätten zu verwalten und in einer Sitzung das Dreifache an Tagesordnungspunkten abzuarbeiten. Unterstützende zentrale Dienstleistungen im Finanz-, Immobilien- und Energiemanagement befinden sich erst im Aufbau. Das anstehende Tagesgeschäft und der Jahreslauf zwingen pastorale Gremien geradezu dazu, business as usual zu betreiben und notwendige pastorale Neukonzeptionen hintanzustellen. Die Erwartung vieler Gemeindemitglieder an die Engagierten ist die, die gewohnte pastorale Professionalität und Dienstleistung zu sichern. Engagierte Ehrenamtliche sprechen inzwischen vom »Ehrenamt-Burn-out« und schildern, dass sie in eine Quasi-Amtlichen-Rolle hineingedrängt werden: Sie sollen Aufgaben des Pfarrers übernehmen, die Sakramentenspendung und deren Vorbereitung sichern, Öffnungszeiten des Pfarrbüros vorhalten oder ansprechende Gottesdienste gestalten.
3.
Widerstände in Fusionsprozessen
Kirche ist im Umbruch. Um Veränderung besser zu verstehen, müssen wir den Gegenkräften und Widerständen unser Augenmerk schenken. Denn Widerstände, seien es persönliche Vorbehalte oder offene Konflikte von ganzen Gruppen, gehören zur Veränderung. Zeigen sich Widerstände nicht, so ist die in der Fusion angepeilte Veränderung nicht bedeutsam genug. Der Prozess geht nur zäh voran und wird nicht ernst genommen. Widerstände brauchen Raum und Zeit, sie brauchen Auseinandersetzung und nicht nur den starren Gegendruck, sonst kommt es schnell zur Zerreißprobe. Nachhaltiges Veränderungslernen, wie es in Fusionen erforderlich ist, braucht Lern- und Reflexionsräume.
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Ohne Dialog kann kein Vertrauen entstehen. Es hilft, einige der wichtigsten Widerstände und den Umgang mit diesen wahrzunehmen (vgl. Ahr, 2013). Widerstände sind zunächst einmal persönlicher Natur. Betroffene entwickeln Gefühle der Angst und der Überforderung. Was kommt da auf mich zu? Werde ich die anstehenden Aufgaben überhaupt schaffen? Komme ich mit der neuen Rolle zurecht? Die bisherige Arbeit wird infrage gestellt. Selbstzweifel und Unsicherheit entstehen. Veränderungen fördern Unsicherheit. Gewohnte Wege werden verlassen. Es fehlt an grundlegenden Informationen. Der Sinn, die Ziele und der Nutzen einer Fusion sind nicht klar. Das bedeutet: Die Betroffenen müssen lernen, mit den Veränderungen umzugehen. Information, Transparenz, Schulungen und Unterstützung der Mitarbeitenden wie auch die Würdigung der bisherigen Leistungen sind Wege, mit persönlichen Verunsicherungen umzugehen. Fusionsprozesse sind anfangs unklar und deren Strategie nicht erprobt. Es gibt kein Bild der Zukunft und so treten Beharrungskräfte auf. Das bedeutet: Die notwendigen Veränderungen müssen von den Verantwortlichen aufgezeigt werden und aktiv kommuniziert werden, um Gerüchten und Mutmaßungen die Luft zu nehmen. Hilfreich ist es, eine Aufbruchsstimmung und eine realistische Zukunftsperspektive zu bestärken. Leitlinien (Hauptabteilung, 2005) geben Orientierung und eröffnen Strategien. Ängste werden genommen, wenn man erfolgreich kommuniziert, dass Veränderung zum Wesen der Kirche dazugehört. Jede Fusion bringt Machtverluste mit sich: Pfarrer verlieren ihren Leitungsstatus und werden Mitarbeiter eines leitenden Pfarrers. Clans, die über viele Jahre Status, Ämter und Einfluss innehatten, sind nicht mehr mächtig. Wo Machtverlust entsteht, werden starke Energien freigesetzt: Priester widersetzen sich, manchmal einfach durch zähes Vorankommen, diözesanen Beschlüssen. Teamentscheidungen werden ignoriert. Clans und Machtinhaber intrigieren gegen Menschen, die sich in der neuen Situation engagieren wollen. Man muss Machtkontrolleuren den Einfluss nehmen und Boykott nicht dulden, aber auch den von der Veränderung Betroffenen neue Perspektiven und Einsatzfelder eröffnen. Vor allem denen, deren berufliche Existenz hinterfragt wird, müssen durch Perspektiv- und Personalführungsgespräche neue Aufgaben und Arbeitsfelder geboten werden. Es braucht Räume für Konfliktbewältigung. Betroffene haben weiterhin schlechte Erfahrungen mit Veränderungen und Fusionen gemacht. Fusionen verheißen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Alltag selten etwas Gutes. Es gibt immer Gewinner und Verlierer. Abweichler werden abgestraft. Das bedeutet: Kein Fusionsprozess darf ohne Feedbackschleifen und Evaluation stattfinden. Menschen brauchen Gesprächsund Reflexionsräume, um ihre Erfahrungen artikulieren zu können. Und schließlich: Die Führungskräfte vor Ort sind nicht mit ganzem Herzen
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dabei. Pfarrer lassen diözesane Vorgaben ins Leere laufen, weil sie wissen, dass sie sowieso in absehbarer Zeit in den Ruhestand gehen. Pastorale Aktivitäten gehen wie bisher weiter, als ob es keinen Veränderungsdruck gäbe. Man gibt die Loyalität auf. Hilfen sind: Man muss die für den konkreten Fusionsprozess Verantwortlichen in besonderer Weise coachen und ihnen die Plausibilität des Prozesses vermitteln. Sie erwarten Hilfe bei der Klärung ihrer neuen Rolle. Sie finden Orientierung, wenn ihre neuen Aufgaben beschrieben sind. Das sind persönliche Erfahrungen des Widerstands. Es gibt aber auch Widerstände, die sich in der Organisation selbst entwickeln. Fusion ist ein Zwang. »Regionalisierung«, »Gestaltungsräume« oder einfach »Fusionsprozesse« werden Umstrukturierungsprozesse ungeahnten Ausmaßes genannt, die unter euphemistischen Schlagworten wie »Lerngemeinschaft Landeskirche« oder »Auf neue Art Kirche sein« die kirchliche Landkarte neu schreiben. Gemeinden, die sich über Jahrzehnte einen hohen organisationalen Reifegrad erworben und eine spezifische Kultur des Zusammenlebens entwickelt haben, die an das Bewährte glauben und feste Regelwerke praktizieren, die gesicherte Handlungsroutinen im Verlauf eines Kirchenjahres vorweisen können, werden durch den Fusionsprozess in ihrer bisherigen Geschichte und Identität hinterfragt. Fusionsprozesse greifen tief in die bisherige Organisation ein: Es müssen andere Organisationsformen und -abläufe gefunden werden, wenn drei Pfarrgemeinden sich einen Pfarrer für ihre Gottesdienste teilen müssen. Ausgeprägte Gemeindekulturen müssen zusammenfinden, wenn man plötzlich unter einem Namen firmiert. Finanzielle und personelle Ressourcen, über die man lange alleine verfügte, müssen nun geteilt werden. Die Vielfalt und Differenzierung der Organisation »Kirchengemeinde«, wie sie auch durch eine differenzierte Kirchenmitgliedschaft geprägt ist, wird durch die Fusion in ihrer Komplexität gesteigert; oft sind es beispielsweise nicht die Menschen aus dem inneren Zirkel, die die Fusion nicht verstehen, sondern kirchlich distanzierte Menschen, die mit Vehemenz dafür kämpfen, dass man ihre Kirche im Dorf lässt. So entsteht eine Misstrauenskultur gegen die bischöfliche Behörde oder das Kirchenamt. Die Innensicht dominiert. Man lässt sich nicht auf den gesellschaftlichen Wandel ein und fühlt sich als Kirche bedroht, obwohl es zum Selbstverständnis von Kirche gehört, Zeichen und Werkzeug Gottes in der Welt von heute zu sein. Das bedeutet für die Organisation: Man muss die notwendige Veränderung über eine breit und differenziert angelegte Kommunikationsstrategie den Menschen verstehbar machen und eine neue Sicht von Gemeinde eröffnen. Fusionen stiften Verwirrung. Die eigentliche Fusionsphase ist oft eine Zeit der Irritation, der Machtkämpfe und Abgrenzungen. Keiner handelt freiwillig. Die Fusion trägt die Gefahr der Erstarrung und des Verbleibens in alten Gewohnheiten in sich. Fusionen, so die These, können aber auch zu einem Ausgangs-
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punkt neuer, evangeliumsgemäßer Freiheit werden. Es steht ein Paradigmenwechsel an, der hier theologisch, organisationsentwicklerisch und pastoral beleuchtet werden soll. Vorab aber sei in einem Fallbeispiel aus der eigenen Arbeit illustriert, wie dieser sich abzeichnende Wandel gestaltet werden kann.
4.
Kirche vor Ort – eine Fallbeschreibung
Erster Fastensonntag 2011. Es findet ein Segensgottesdienst in der Pfarrei St. Petrus Wolfenbüttel statt, an dem ich als diözesaner Ansprechpartner und Begleiter teilnehme. Etwa 70 Verantwortliche der Pfarrgemeinde sind zusammengekommen und beten um den Segen Gottes. Ein Vertreter des Bistums hält eine Ermutigungspredigt über das gemeinsame Priestertum aller Gläubigen. In einem eindrucksvollen Ritus erneuern die Beteiligten ihr Taufversprechen, erklären ihre Verantwortung für einen Arbeitsbereich und bitten um den Segen für ihr Tun. Die Feier wird für viele zum Meilenstein einer mehrjährigen Entwicklung. St. Petrus Wolfenbüttel ist aus ursprünglich neun Pfarreien entstanden und etwa 120 Quadratkilometer groß. Die Pfarrei hat fünf Kirchorte, derzeit einen Pfarrer und eben 70 Verantwortliche. Die Beteiligten erzählen von ihrem »visionären Entwicklungsweg«. »Dieser Weg […] hat auch strukturelle Konsequenzen gehabt: Wir möchten erzählen, wie sich unsere Pfarrei zeigt als Netzwerk lokaler Gemeinden, die auch von engagierten Teams Getaufter mitverantwortet werden. […] In einem der Orte entwickeln wir gerade ein Stadtteilnetzwerk. Aber natürlich geht der Prozess immer weiter ; es gibt immer neue Ideen. […] Wir sind im Moment bei uns in der Gemeinde daran, ein pastorales Leitbild gemeinsam mit allen zu entwickeln.« (Eggers, Kreiss u. Kuffner, 2013: 159).
Diese kurze Schilderung zeigt schon auf, wie sich pastorales Wachstum entwickeln kann. Da macht sich zu Beginn das Pastoralteam auf den Weg und beschreibt acht Entwicklungslinien: spirituelle Erfahrungsräume zu sichern, klare Strukturen zu entwickeln, generationenübergreifend zu arbeiten, eine offene und einladende Pfarrei aus verschiedenen Gemeinden zu sein, die Ökumene zu beherzigen, gesellschaftspolitisch erkennbar zu sein und – die Asse liegt im Pfarrgebiet – die Schöpfung zu bewahren. Diese Linien werden über die Jahre hinweg ausgezogen. Da ist ein Pfarrer, der visionär ist, seine Leitungsverantwortung lebt und die Grundwerte einer örtlichen Kirchenentwicklung ernst nimmt. Da sind viele engagierte Mitarbeitende, die sich auf ihre Taufwürde berufen und ihre Verantwortung wahrnehmen. Es werden im Zueinander von Struktur und Spiritualität, von lokalen Verantwortungsteams und christlichen Gemeinschaften neue Initiativen, Teams und Gremien weiterentwickelt. Es
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entstehen Kirchortteams als dezentrale Verantwortungsstruktur, die die Anliegen der Menschen vor Ort bearbeiten und zum Zeichen der gemeinsamen Zugehörigkeit im Segnungsgottesdienst der ganzen Gemeinde vorgestellt werden. Die Hauptamtlichen verstehen sich als Unterstützer und Garanten der Einheit. Das Engagement geht über die Grenzen des Kirchturms hinaus in die Ökumene und in gesellschaftliche Anliegen vor Ort. Im Herbst 2012 moderiere ich mit einem Kollegen an einem der Kirchorte eine Zukunftskonferenz zur Entwicklung des Stadtteils. Dieser »Stadtteil ohne Namen« hat wirklich keinen, sondern ist ein städtebauliches Konglomerat ohne örtliche Identität. Etwa 70 Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit vielfältigen Interessen, Vertreter aus Kirche und Stadt, aus Vereinen, der örtlichen Wohnungsbaugesellschaft und einer Hochschule, Bewohnerinnen und Bewohner machen sich für ihren Stadtteil stark. Sie sprühen vor Ideen und machen sich in Projekten bürgerschaftlichen und christlichen Engagements ans Werk. Es werden in der Folge Orte der Begegnung geschaffen. Eine Tauschbörse entsteht. Immobile Menschen geraten in den Blick. Das Familienzentrum wird weiter aufgebaut. Die Projektkoordinatorin resümiert: »Wir sind offen, wir sind dankbar für jeden, der uns unterstützen möchte, der uns hilft: So kann Kirche auch gehen« (Eggers et al., 2013: 173). Nicht immer ist der Weg einfach. Der Pfarrer betont, dass vor allem der eigentliche Fusionsprozess konfliktbesetzt war. Aber ich begegne einer ausgesprochen offenen Lernhaltung: Als das Pastoralteam sich eine pastorale Orientierung gibt und diese in den Pfarrgemeinderat einbringt, stößt dieses Vorgehen auf Bedenken. »Wir müssen unsere pastoralen Leitlinien selbst formulieren und uns diese nicht vorsetzen lassen!«, sagen die Gremienmitglieder. Hier formuliert sich eine zukunftsoffene und geistgewirkte Haltung, die abschließend durch einige Zitate über das zugrunde liegende Kirchenbild veranschaulicht werden soll: »Die Schrift ist meine innere Quelle.« »Wir wollen, dass die Menschen vor Ort Verantwortung übernehmen.« »Kirche ist eben nicht der Pfarrer.« »Wir sind doch getauft.« Hinter diesen Erfahrungen steht ein Kirchenbild, in dem die Beteiligten den Aufbruch wagen und in der Zusammenführung zu einem pastoralen Großraum eine Chance sehen. Wir erleben nach der notwendigen Neuordnung eine zweite Fusion, in der es zur Neubesinnung im christlichen Auftrag kommt.
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Lokale Kirchenentwicklung – ein pastoraler Weg zu neuer Freiheit »In dieser inneren Weiterentwicklung unseres Bistums sehe ich die Herausforderung der nächsten Jahre. Ich verstehe sie vor allem als geistlichen Prozess. Denn die Kirche ist nicht in erster Linie das Ergebnis unserer Planungen, sondern ein Geschöpf des Heiligen Geistes. Der Geist Gottes ist es, der unsere Kirche erneuert. Daher bewegt mich ein Wort des Propheten Jesaja: ›Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht?‹ (Jes 43,19) Das Prophetenwort fordert uns auf, dass wir uns gemeinsam auf den Weg machen, um die Spuren Gottes und sein erneuerndes Wirken […] zu entdecken. Mit diesem Hirtenwort will ich einen solchen Weg beschreiben und eröffnen. Ich schlage vor, in den Regionen, Dekanaten und Pfarrgemeinden unseres Bistums Prozesse lokaler Kirchenentwicklung zu gestalten. Ziel dieser Prozesse ist es, die pastorale Situation jeweils vor Ort in den Blick zu nehmen und weiterzuentwickeln. […] Wenn wir den Blick auf die örtlichen Gegebenheiten richten, wird sich zeigen, dass jeder Ort ein bestimmtes Charisma hat, dass es dort eine jeweils eigene Chance gibt und dass man vielerorts Aufbrüche auf je anderen Feldern erlebt. Diese Chancen und Aufbrüche gemeinsam zu entdecken, sie weiterzuentwickeln und zu fördern, sehe ich als eine Aufgabe an. Der gegenseitige Austausch […] und die Bereitschaft, voneinander zu lernen, werden uns helfen, die Situation des Übergangs, in der wir uns als Kirche befinden, besser zu verstehen. Vor allem wird unsere Aufmerksamkeit für die Kräfte der Erneuerung geschärft werden.« (Trelle, 2011)
Wenn ein Bischof mit einem Hirtenwort einen solchen Weg vorschlägt, dann ist eine ermächtigende Freiheit im Spiel und der Paradigmenwechsel zu erahnen. Lokale Kirchenentwicklung wird zunehmend mehr zum Programm (Hennecke, 2013; Sellmann, 2013), um auf die durch die Fusionen angestoßenen Entwicklungen ekklesiopraktisch und zukunftsorientiert zu reagieren. Kirche geschieht lokal. Kirche versteht man nun als Netzwerk mehrerer aus den ursprünglichen Pfarreien entstandener Kirchorte wie auch aus Orten kirchlichen Lebens wie Kindergärten, Schulen, Begegnungs- und Bildungszentren oder sozialen Initiativen. Zwar fühlt sich noch etwa die Hälfte der deutschen Katholiken einer Kirchengemeinde zugehörig (Sellmann, 2013: 396), aber Menschen erleben und gestalten Kirche an vielen anderen Orten und Erfahrungsräumen. Kirche wird zudem dort erlebbar, wo sie bei den Menschen ist. Diese Haltung der Zuwendung zu den anderen, besonders der Bedrängten und Armen aller Art, birgt zudem ein kritisches Potenzial gegenüber einer vereinsmäßigen, binnenorientierten Vergemeinschaftung von Kirche. Lokale Kirche wagt Nähe. Wichtig ist Gemeinschaft, weil ohne sie Glaube nicht lebendig werden kann, aber entscheidend ist der Auftrag, in alle Welt hinauszugehen und das Evangelium zu verkündigen. Kirche entwickelt sich. Damit ist ein vielschichtig angelegter, pastoralstrategischer Prozess der Erneuerung angestoßen, der wegführt von der gewohnten
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priester- und amtszentrierten Kirche hin zu einer Kirche des Volkes Gottes, in der alle Getauften ihre Würde leben. Dieser Prozess geschieht ganz im Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils: »Christus der Herr, als Hohepriester aus den Menschen genommen (vgl. Hebr 5,1 – 5), hat das neue Volk ›zum Königreich und zu Priestern für Gott und seinen Vater gemacht‹ (vgl. Offb 1,6; 5,9 – 10). Durch die Wiedergeburt und die Salbung mit dem Heiligen Geist werden die Getauften zu einem geistigen Bau und einem heiligen Priestertum geweiht, damit sie in allen Werken eines christlichen Menschen geistige Opfer darbringen und die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2,4 – 10). So sollen alle Jünger Christi ausharren im Gebet und gemeinsam Gott loben (vgl. Apg 2,42 – 47) und sich als lebendige, heilige, Gott wohlgefällige Opfergabe darbringen (vgl. Röm 12,1); überall auf Erden sollen sie für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen von der Hoffnung auf das ewige Leben, die in ihnen ist (vgl. 1 Petr 3,15).« (Lumen Gentium 10)
Dieser Entwicklungsprozess geschieht praktisch, indem getaufte Gläubige miteinander um die Zukunft ihres Kirche-Seins ringen, gemeinsam ihre Charismen entdecken, in Gemeinschaft arbeiten, innovative Orte des Kirche-Seins aufbauen und die Vision einer partizipativen Kirche entwickeln (Hennecke, 2013: 132). Lokale Kirchenentwicklung beruht demnach auf einer Reihe von theologischen und kirchenbildenden Prinzipien, die sich als qualitätsvolle, an der Bestimmung von Kirche orientierte Ressourcen (Trelle, 2011; vgl. Sellmann, 2013) herausstellen: Das Bewusstwerden der Taufe, Grundlage des gemeinsamen Priestertums aller Gläubigen, führt zu einer spirituellen Neuorientierung und einer geistgewirkten Ekklesiopraxis. Wenngleich der Großteil der Kirchenmitglieder eine »erschütternde Taufvergessenheit« (Bischof Kurt Koch) an den Tag legt, ermöglicht erst das Bewusstwerden der Würde aller Getauften neue Perspektiven kirchlicher Freiheit. Wenn jeder Getaufte eine Würde hat, dann wird sein individuelles Freiheitspotenzial, mit dem er sich in die Entwicklung der Kirche einbringen kann, ebenso geachtet, wie seine persönliche Glaubensbiografie Wertschätzung verdient. Wer sich seiner Taufwürde besinnt, wird die von Gott geschenkte Gabe zu schätzen wissen, denn Taufe und Engagement gehören zusammen. Er ist nicht nur berufen, sondern auch begabt: mit eigenen Fähigkeiten beschenkt, die dem Aufbau der Kirche und dem Wohl der Menschen dienen. Dazu bedarf es pastoraler Instrumente, um die eigenen geistgeschenkten Gaben zu entdecken und mit dem Sendungsauftrag der Kirche in Verbindung zu bringen. Wo viele sich ihrer Taufwürde vergewissern, da nehmen sie ihre Verantwortung wahr und leben nach dem Bild einer partizipativen Kirche. Sie fangen an, Kirche vor Ort zu leben. Das Leben aus der Heiligen Schrift steht in Spannungseinheit mit lebendigen
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Gottesdiensten. Beide sind Grundformen einer gemeindebildenden und gemeindlichen Spiritualität. Nicht die knapper werdenden Ressourcen, sondern die spirituellen Quellen inspirieren. Orientierung geben Gebet und Gottesdienst. Aktivitäten und glaubendes Handeln sind Ausfluss dieser inneren Haltung, nicht Definitionsmerkmal der Gemeindezugehörigkeit. Gemeinde ist nicht nur Sozialform, sondern kirchliche Praxis. Das Handeln wird immer wieder einer Relecture im Licht des Evangeliums als Instrument geistlicher Wahrnehmung und Unterscheidung unterworfen. Gefördert wird die Entwicklung eines Netzwerkes örtlicher Gemeinden. Es gibt nicht mehr die eine leitende Sozialform christlichen Lebens, die Pfarrgemeinde, sondern viele Formen des Kirche-Seins. Deswegen braucht es auch Strukturen örtlicher Verantwortung in arbeitsfähigen Vor-Ort-Teams (Hauptabteilung, 2013b), in denen Menschen mitarbeiten, ihre Gaben verantwortlich zum Wohl der Gemeinde einsetzen und mit den Menschen vor Ort vernetzt sind. Der Sozialraum – und damit die Nähe zu den Menschen eines Lebensraumes – ist Ausgangspunkt pastoralen Handelns (Hennecke u. Samson-Ohlendorf, 2011). Die »Welt« wird der umfassende Kontext, in dem und auf den hin sich Kirche konstituiert. Damit dreht sich die pastorale Orientierung um, nicht die Menschen in die Kirche zu bekommen, sondern zu den Menschen zu gehen. Jeder Ort will in seinen spezifischen Herausforderungen entdeckt werden. Stadtteilentwicklung, diakonisches Engagement und milieusensible Pastoral sind Ausdrucksformen dieser Haltung, eine »Pastoral der gottesfrohen Nachbarschaft« (Bauer, 2013: 364) zu entwickeln. Das Zueinander hauptamtlicher Dienste und des Dienstes der Getauften verändert sich. Hauptberufliche und Amtsträger haben ihr Charisma darin, dass sie das Engagement der Getauften ermöglichen und stärken: durch Qualifizierung, zielorientierte und klare Absprachen, gemeinsame Visionsbildung, Bestärkung ihrer Verantwortung, geistliche Zurüstung und im priesterlichen Dienst die Sorge um die Einheit der Gemeinde. Ermöglichende Leitung (Abel, 2013) zeigt sich in der Kunst der Bestärkung: mit den Menschen kommunizieren und sie mit ihren Ideen zusammenbringen, motivieren, verantwortlich wie verbindlich sein und dafür sorgen, dass die Beteiligten ihre Fähigkeiten einbringen können. Vor allem ist der Leitungsdienst ein geistliches Tun, von der entscheidenden Frage bewegt: »Wie kommt Gott in dem, was wir tun, vor?«
Fusion zwischen Zwang und Freiheit
6.
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Lokale Kirchenentwicklung und Fusionsarbeit: eine organisationsentwicklerische Zwischenbilanz
Matthias Sellmann (2013a: 421 f.) fasst in einem Überblick zur aktuellen (katholischen) Gemeindediskussion die Entwicklung, die einen Abschied von klassischer Gemeindepastoral zu einer kirchenentwicklerischen Sicht darstellt, zusammen und gibt uns einen Ansatzpunkt, aus den Fusionen eine organisationsentwicklerische Bilanz zu ziehen: »Insgesamt überzeugt eine pneumatologisch gewendete Ekklesiologie am meisten. Sie nimmt die Impulse des Vatikanums auf, weitet und dynamisiert das Kirchenverständnis von der institutionellen auf die diakonisch-missionarische Dimension, bietet religiös selbstbestimmten Individuen ausdrucksstarke Selbstbeschreibungen an (Taufe, Charisma, Gemeinsames Priestertum, Priester bzw. Hauptamtliche/r im Volk Gottes usw.), ist aufnahmefähig für die zu kultivierenden anstehenden Pluralitäten (von ekklesialen Sozialformen, von lebensweltlichen Religiositätsstilen, von Ortssituationen usw.) und kann sehr genau in operative Handlungslogiken überführt werden (Selbstorganisation, Change-Management, Prozessbegleitung von Gemeindebildung, systemische Sicherung von Innovation u. a.).«
Mit der strukturellen Umsetzung ist es noch nicht getan. Fusionsprozesse werden erst vervollständigt, wenn die Phase nach der Fusion sorgfältig gestaltet wird (vgl. Geschwill, 2000: 35 – 59). Divergierende Gemeindekulturen können durch einen Prozess lokaler Kirchenentwicklung zur Integration führen. Dazu bedarf es des Einsatzes kulturprägender Instrumente: Dies sind beispielsweise Schulungen zum beschriebenen Kirchenbild und zur Taufspiritualität. Führungskräfteentwicklung und Coaching sorgen dafür, dass die pastoral Verantwortlichen ein Führungsleitbild entwickeln können, das auf die Förderung lokaler Lernprojekte setzt und die Verantwortung der Menschen und deren Kompetenzen vor Ort stärkt. Instrumente der Personalführung und des Freiwilligenmanagements fördern ein neues Rollenverständnis. Informationen über das, was erhalten bleibt und was verändert wird, eine möglichst breit angelegte Kommunikation über die Entwicklungen in der Gemeinde wie auch Vereinbarungen über strategische und operative Ziele klären das Handeln im Alltag. Wo Aufgaben und Verantwortung der verschiedenen Beteiligten verbindlich beschrieben sind und beachtet werden, kann die Zusammenarbeit gedeihlich werden, ebenso wie Kooperation dort gelebt wird, wo man den Umgang mit Störungen erlernt und geübt hat. Ein elementarer Baustein ist der Aufbau und die Stärkung lokaler Teams, weil diese neue Formen des Engagements und der Leitung ermöglichen. Neue Symbolsysteme wie gemeinsame Begegnungsorte oder gemeinsame Feste sichern die neue Identität der vernetzten Gemeinde. Es braucht erste Erfolgserlebnisse, die den Fusionsprozess stärken. Erfahrungen in großen Gruppen wie die beschriebene Zukunftskonferenz sichern den schnellen
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Peter Abel
Wandel ab, ebenso wie Dialogveranstaltungen und der Austausch über Best Practice neue Einsichten über Kirchenentwicklung fördern. Evaluation und Feedback sind ungewohnt, aber entscheidend, um den Wandel zu stärken. Kirche, will sie sich entwickeln, braucht eine neue Lernkultur und nicht nur die Fortsetzung bisheriger Strategien, weil diese an ihren Endpunkt gekommen sind. Kirche wird dort überlebensfähig, wo sie als Organisation lernt und eine neue Anschlussfähigkeit in ihre Umwelt hinein gewinnt (vgl. Abel, 2006: 28 ff.; Dessoy, 2013). Eine Fusion erreicht erst dort ihre Wirksamkeit, wo sie nicht zur Selbstisolation, sondern zu einer Offenheit für das Ganze führt: am Beispiel des Stadtteilprojektes wird diese Offenheit anschaulich. Eine solchermaßen systemische Sicht hat eine Reihe von inneren Haltungen zur Voraussetzung: das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit und Tauf-Kompetenz der Beteiligten, das geistgewirkte Innehalten und den Dialog über die verschiedenen inneren Landkarten von Kirche, die geteilte Vision einer Kirche als Volk Gottes unterwegs, das gemeinsame Lernen im Team und schließlich ein tiefes Grundvertrauen, dass Gott es ist, der Entwicklung bewirkt. »Wie geht es weiter?«, fragt Bischof Trelle (2011). »Schnell können unsere Überlegungen wieder dazu verführen, ehrgeizige Pläne, Konzepte und Programme zu entwerfen. Aber nicht wir gestalten Kirche; der Geist Gottes gestaltet die Kirche – in uns und durch uns. Auf ihn zu hören und ihm zu vertrauen, ist entscheidend für das zukünftige kirchliche Leben. Dieses Vertrauen möchte ich Ihnen meinerseits ausdrücklich zusichern, wenn Sie an ihrem Ort die Prozesse Lokaler Kirchenentwicklung beginnen. […] Wir werden lernen müssen, das Vertrauen zueinander zu intensivieren. […] Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingen kann.«
Diesem Vertrauen ist nur das eigene Vertrauen hinzuzufügen.
Literatur Abel, P. (2006). Gemeinde im Aufbruch. Münsterschwarzach: Vier-Türme. Abel, P. (2008). Fusion als Unterbrechung. Organisationsentwicklerische und theologische Anmerkungen. In V. Dessoy, G. Lames (Hrsg.), Denn sicher gibt es eine Zukunft (Spr 23,18). Strategische Perspektiven kirchlicher Organisationsentwicklung (S. 305 – 318). Trier : Paulinus. Abel, P. (2013). Viele Dienste und ein ermöglichendes Amt. Der Dienst des Priesters am gemeinsamen Priestertum aller. Pastoralblatt 65, 2, 58 – 63. Ahr, M. (2013). Wenn alle Flaggen auf Sturm stehen. Erfahrungen mit Widerständen in Veränderungsprojekten. OrganisationsEntwicklung 32, 1, 40 – 47. Bauer, C. (2013). Gott außerhalb der Pfarrgemeinde entdecken. In M. Sellmann (Hrsg.), Gemeinde ohne Zukunft? Theologische Debatte und praktische Modelle (S. 349 – 371). Freiburg: Herder.
Fusion zwischen Zwang und Freiheit
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Thomas Hoebel
Träge Fusionen: Das Problem der Organisationsvergessenheit
1.
Fusionen und ihr erklärungsbedürftiger Verlauf
Fusionen von Kirchengemeinden, Landeskirchen, kirchlichen und kirchennahen Werken sowie ihren Dachorganisationen sind in den vergangenen Jahren einerseits zur Lösung, andererseits zum Problem geworden. Als Lösung gelten sie, weil mit ihnen die Erwartung verbunden wird, dass sie eine organisatorische Antwort auf sinkende Mitgliederzahlen, Finanzierungsfragen, eine gerade in der Fläche älter werdende Bevölkerung und andere Veränderungen bieten. Die spezifischen Erwartungen variieren von Fusion zu Fusion. Problem sind sie, weil sie selbst erst einmal organisiert werden müssen. Es existieren zwar Blaupausen, die schriftlich beschrieben sind oder von denen man sich berichten lassen kann. Sie passen jedoch meistens nur begrenzt zu den lokalspezifischen Kontexten, in denen sie zur Anwendung kommen sollen. Denn Blaupausen sind abstrakte Bilder, die der Verständigung über einen bestimmten Sachverhalt dienen, zum Beispiel darüber, wie ich einen Dachstuhl auf ein Haus aufsetze. Sie sind nicht der Sachverhalt selbst (Stinchcombe, 2001: 71 – 75). Weil sie Problem und Lösung zugleich sind, entpuppen sich Fusionen in der Praxis gemeinhin als kompliziertes Geflecht aus Erwartungen und Enttäuschungen. Im einen Fall mündet ein solches Geflecht in eine produktive Zusammenarbeit, indem überzogene Hoffnungen angepasst werden und aus Enttäuschungen gelernt wird. Im anderen Fall entwickelt sich eine nicht mehr zu überbrückende Kluft zwischen Fusionsgewinnerinnen und Fusionsverlierern.1 Die sozialwissenschaftliche Forschung zu der Frage, warum konkrete Organisationsfusionen einen bestimmten Verlauf nehmen, hat einige Mechanismen herausarbeiten können, die Fusionserfolge einerseits, das Scheitern von Zusammenschlüssen andererseits erklären. Zu diesen Mechanismen zählen ba1 Um gleichzeitig die beiden Ziele Lesbarkeit und geschlechterinklusive Sprache zu erreichen, wechsele ich in loser Folge zwischen männlicher und weiblicher Form und meine dabei jeweils alle Geschlechter.
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Thomas Hoebel
lancierte Prozesse der Vertrauensbildung (Searle u. Ball, 2004: 717 f.), die Entstehung von »Übergangsidentitäten« (Clark et al., 2010: 429), die Entwicklung innovativer Fusionskonzepte (Stearns u. Allan, 1996: 702), das wechselseitige »sensemaking« über die Organisationskultur der Gegenseite (Buono et al., 1985: 497; Marmenout, 2010: 352; Weber u. Camerer, 2003: 400), welche und wie viele Personen die neue Organisation verlassen oder in sie eintreten (Carroll u. Harrison, 2002: 366), Deutungsmuster von Erfolg und Scheitern, die sich im Zuge konkreter Fusionen einschleifen (Vaara, 2002: 237), und »Enttäuschungsspiralen« (Hoebel, 2013: 218). Die Ansätze bilden zusammengenommen keine konsistente Theorie gelingender Fusionen bzw. ihres Scheiterns. Sie belegen jedoch eindrücklich, dass die Vereinigung von zwei Organisationen kein Selbstläufer ist. Exemplarisch ist der Fall der Fusion der deutschen Daimler-Benz AG und der US-amerikanischen Chrysler Corporation, der daher im Mittelpunkt dieser kurzen Studie über die ganz normale Trägheit von Organisationszusammenschlüssen stehen soll. In einem Buch über die Fusionen von Diakonien und Kirchen ist diese Fallauswahl gelinde gesagt fragwürdig. Denn ebenso wenig, wie Kirchen Sportvereine sind (Schulz, 2008), handelt es sich bei ihnen um Unternehmen. Warum sollte also eine Fallstudie über DaimlerChrysler nützliche Einsichten für die Fusion von Kirchen und kirchennahen Organisationen bieten? Aus zwei Gründen. Erstens sind Kirchen, Sportvereine und Unternehmen zwar jeweils besondere Organisationstypen, die sich nicht einfach über einen Kamm scheren lassen. Da sie jedoch samt und sonders Organisationen sind, gleichen sie sich mindestens in einem Punkt und werden dadurch vergleichbar : Sie sehen sich mit dem gleichen Dauerproblem konfrontiert, nämlich mit einem »demografischen Metabolismus« (Haveman, 1995) im Sinn eines permanenten Wechsels ihrer Mitglieder. Sie können sich ihrer personalen Basis zu keinem Zeitpunkt sicher sein, weder dass sie immer wieder genügend Mitglieder finden noch dass diese bereit sind, sich in dem organisatorisch gesetzten Rahmen zu engagieren.2 Paradoxerweise erleben wir bei den evangelischen Kirchen aktuell, dass sie umso mehr »Organisation werden« (Hauschildt, 2007), je stärker ihnen die 2 Der Grund für diese basale Unsicherheit jeder Organisation ist ihr elementares Konstruktions- und Reproduktionsprinzip, das Luhmann (1972: 247) in seiner unnachahmlichen Art als »nichtkontingente Verknüpfung zweier kontingenter Sachverhalte« beschrieben hat, nämlich »der Entscheidung über Mitgliedschaft (also über Eintritt und Austritt) und der Festlegung der Strukturmerkmale [der betreffenden Organisation] […], die im Falle einer Mitgliedschaft akzeptiert werden«. Kurz: Jemanden abhängig von der bestehenden Organisationsstruktur als Mitglied zuzulassen, ist aus organisatorischer Sicht eine genauso freie Entscheidung wie der Entschluss einer Person, einer Organisation gar nicht erst beizutreten oder sie zu verlassen, wenn sie nicht bereit ist, die Zwecke der Organisation, ihre Kommunikationsformate oder die übrigen Mitglieder zu akzeptieren.
Träge Fusionen: Das Problem der Organisationsvergessenheit
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Gläubigen abhandenkommen. Seit Jahren müssen sie ihr Schrumpfen organisieren (Petzke u. Tyrell, 2012: 275 Fn 1). Dadurch wird der Fall DaimlerChrysler aus einem zweiten Grund instruktiv für die Fusionen von Kirchen und Diakonien. Denn hier lässt sich par excellence studieren, wie das »OrganisationWerden« selbst organisationsdemografische Effekte hat, nämlich einen Massenexodus qualifizierter Mitarbeitender. Zugleich erlaubt er es, Optionen aufzuzeigen, um diesen Effekten Herr zu werden. Mein Ausgangspunkt ist, dass zwischen Chrysler und Daimler-Benz zu dem Zeitpunkt, als die Vereinigung am 17. November 1998 faktisch vollzogen wird, noch keine nennenswerten Kooperationsbeziehungen entstanden sind, die über die Bearbeitung des Fusionsprojekts selbst hinausreichen. Dass Kooperationsprobleme existieren, offenbart einige Wochen später die Kündigung von Steve Harris, zu Chrysler-Zeiten PR-Vorstand und im neuen Gesamtkonzern zweiter Mann in der konzernübergreifenden PR-Abteilung. Abrupt verlässt er DaimlerChrysler am 3. Februar 1999, nachdem er kurz zuvor das Angebot von General Motors angenommen hat, dort Vizepräsident der Abteilung Global Communications zu werden. Er quittiert seinen Dienst jedoch nicht wegen des besseren Angebots aus Detroit, sondern wegen der Fusion (Vlasic u. Stertz, 2000: 308) – und ihm folgen bald nicht nur seine engsten Mitarbeiter Tony Cervone und Tom Kowaleski. Zahlreiche Manager, Designer und Ingenieure des alten Chrysler-Konzerns wechseln in den Folgewochen und -monaten zu anderen Firmen (Finkelstein, 2002: 7; Paul, 2008: 14; Vlasic u. Stertz, 2000: 325). Dieser massenhafte Exodus ist einerseits ein Beispiel dafür, welche ungeplanten demografischen Veränderungen im Zuge von Organisationsfusionen entstehen und womöglich die Effizienz, die Effektivität oder die Legitimität einer Unternehmung unterminieren können. Andererseits ist er als solcher erklärungsbedürftig, verlassen doch die Mitarbeitenden das Unternehmen vordergründig aus freien Stücken. Erst seine Erklärung bringt uns daher einem tieferen Verständnis von Fusionsverläufen im Allgemeinen und den demografischen Dynamiken von Fusionen im Besonderen näher. Meine These ist, dass die heiße Phase zwischen Februar und November 1998, in der die Fusion von Daimler-Benz und Chrysler verabredet und koordiniert wurde, durch eine eigentümliche Form der Ignoranz geprägt ist, die ich als Organisationsvergessenheit bezeichnen möchte. Ihre Resultate sind sowohl ein Praxisschock als auch eine Enttäuschungsspirale aufseiten der ehemaligen Chrysler-Beschäftigten. Der Gedanke ist folglich, dass das Konzept der Organisationsvergessenheit maßgeblich dazu beiträgt, den Massenexodus genauer zu erklären. Zudem bildet es die wesentliche Grundlage, um aus dem Fall DaimlerChrysler abschließend einige Schlussfolgerungen für das Management von Organisationsfusionen im Bereich von Kirchen und kirchennahen Einrichtungen zu ziehen.
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2.
Thomas Hoebel
Praxisschock und Massenexodus: Der Fall DaimlerChrysler
Erklärungsbedürftig ist die massenhafte Abwanderung der Fach- und Führungskräfte des ehemaligen Chrysler-Managements in mindestens zweifacher Hinsicht. Erstens bildet Harris’ Kündigung zwar das faktische Fanal des Massenexodus. Sie ist jedoch nicht der eigentliche Grund; eine solche Erklärung würde Position und Persönlichkeit von Harris überschätzen. Wir müssen genauer hinsehen. Zweitens verabreden die Protagonisten zu keinem Zeitpunkt der Fusionsverhandlungen oder der Post-Merger-Integration eine explizite Strategie, die Kopplung beider Konzerne demografisch zu regulieren, das heißt durch Stellenabbau oder Ähnliches – noch dazu einseitig auf US-amerikanischer Seite. Woraus speist sich also die Abwanderungsdynamik? Leider ist die Suche nach Erklärungen mit dem Problem verbunden, dass eine freiwillige Abwanderung von Mitarbeitenden infolge einer Organisationsfusion bis jetzt noch keine nennenswerte Aufmerksamkeit in der Organisationsforschung gefunden hat. Es gibt zwar die klassische Studie von Albert O. Hirschman (1974), in der er Abwanderung neben Widerspruch und Loyalität als eine von drei zentralen Optionen beschreibt, mit der Personen auf die (schlechte bzw. sich verschlechternde) Leistungserbringung einer formalen Organisation reagieren. Er untersucht aber primär die Reaktion von Kunden und Dienstleistungsempfangenden, nicht diejenigen von Beschäftigten, die uns im Fall der DaimlerChrysler-Fusion interessieren. Darüber hinaus sind einige Organisationswissenschaftler in den vergangenen Jahren dem Zusammenhang von Fusionen einerseits, demografischen Veränderungen des Personals der betreffenden Organisationen andererseits nachgegangen (Carroll u. Harrison, 2002; Harrison u. Carroll, 2006; Haveman u. Cohen, 1994; Haveman, 1995; Haveman, Broschak u. Cohen, 2009). Sie adressieren jedoch nicht die diversen demografischen Dynamiken, die sich im Zuge und im Anschluss an die Zusammenschlüsse unter den Beschäftigten entfalten, sondern zeigen Korrelationen zwischen Fusionen, Stellenanzahl und Beschäftigtenstruktur sowie zwischen Graden kultureller Integration des neuen Unternehmens und der Stellenanzahl auf. Um einen Massenexodus infolge einer Organisationsfusion zu erklären, gibt es bisher nur den Vorschlag, ihn als Effekt einer selbstzerstörenden Prophezeiung zu begreifen (Hoebel, 2013: 210). Im Kern lautet die religionssoziologisch inspirierte These, dass die Absetzbewegung durch eine Enttäuschungsspirale angetrieben ist, die wiederum eine Konsequenz einer sogenannten Realitätsverdopplung ist. Im Fall von DaimlerChrysler entsteht eine zunehmende Diskrepanz zwischen der seit dem Fusionsbeginn wie ein Mantra wiederholten Prophezeiung, die beiden Konzerne fusionierten als Gleiche (»Realität 1«), und den Bewertungen der tatsächlichen Zusammenarbeit durch die Beteiligten. So beginnen die Ex-Chrysler-Beschäftigten, den Zusammenschluss als feindliche
Träge Fusionen: Das Problem der Organisationsvergessenheit
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Übernahme zu begreifen (»Realität 2«). Angefangen mit Harris zeigt eine steigende Zahl von ihnen den übrigen ihre Enttäuschung durch Abwanderung an. Dadurch macht sich weitere Enttäuschung breit, Abwanderung wird für immer mehr Beschäftigte zu einer Option, mit der Situation umzugehen (siehe für Details Hoebel, 2013: 209 – 219). Zugespitzt formuliert ist die tatsächliche Zusammenarbeit zwischen dem Daimler-Benz- und dem Chrysler-Management ein Praxisschock. Als ab Sommer 1998, noch vor Day One, auch die Kontakthäufigkeit zwischen Fach- und Führungskräften unterhalb der Unternehmensleitungen steigt, zeigt sich, wie unterschiedlich beide Seiten im Grunde arbeiten. Einige Beispiele dafür haben Vlasic und Stertz für ihre Studie mit dem doppeldeutigen Titel »Taken for a Ride«3 recherchiert: – Die Deutschen haben von Anfang an einen detaillierten game plan, die Amerikaner nicht. – Für jeden neuen und noch so kleinen Integrationsschritt haben die Deutschen bereits eine schriftlich ausformulierte Lösung parat, die Amerikaner nicht. – »Sie mögen lange arbeiten, aber Sie arbeiten nicht besonders effizient«, hält Cervone, Chef von Chryslers interner Kommunikationsabteilung, seinem deutschen Gegenüber vor: Während die Amerikaner pünktlich nach Hause gehen, arbeiten die Deutschen in der Regel bis in die Nacht hinein. – Mit internationalen Einsätzen vertraut, melden sich viele Deutsche freiwillig, nach Auburn Hills zu ziehen, wo die alte Chrysler-Zentrale steht. Kaum ein Amerikaner möchte jedoch im Gegenzug nach Stuttgart übersiedeln, wo Daimler-Benz seinen Sitz hatte. – Alle deutschen Vorstände sprechen gut Englisch, aber nur ein amerikanischer Manager ist gut im Deutschen. Hinzu kommt, dass sowohl das Management Board des neuen Gesamtkonzerns als auch das Gremium zur Koordination der Fusion von Anfang an mit weniger Amerikanern als Deutschen besetzt ist. Das Verhältnis ist sieben zu zehn und drei zu fünf (Vlasic u. Stertz, 2000: 249, 253, 272, 299, 303, 319; siehe dazu auch Jansen, Meyer, Rukstad u. Coughlan, 2002: 8 f.). Unter dem Strich erweist sich die Kooperation zwischen den Mitarbeitenden beider Unternehmen als schwierig, sobald die Fusion nicht mehr nur von einem kleinen Kreis von Führungskräften geplant, sondern in allen Unternehmensteilen praktisch vollzogen werden soll. So kommt es zwischen den beiden Public-Relations-Abteilungen sofort zu Unstimmigkeiten, als sie gemeinsam eine Broschüre für den Tag der eigentlichen Fusion erarbeiten sollen (Vlasic u. Stertz, 2000: 274). 3 »Taken for a ride« heißt eigentlich »mit jemandem spazieren fahren«. Der Ausdruck drückt umgangssprachlich jedoch auch aus, dass jemand verschaukelt wird.
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Problematisch an der These der selbstzerstörenden Prophezeiung ist, dass sie mit ihrem engen Fokus auf die Formel der »Fusion von Gleichen« nur kursorisch auf die tieferen Ursachen eingeht, aus denen der Praxisschock resultiert, von dem die Enttäuschungsspirale schließlich ihren Ausgang nimmt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass das Augenmerk der Argumentation primär auf den Ereignissen nach dem Beginn der tatsächlichen Zusammenarbeit liegt, die Ereignisse vor den erstmaligen Arbeitskontakten jedoch unterbelichtet bleiben. Nutzen wir dagegen die Daten, die uns über diese vergleichsweise kurze Zeitspanne zwischen Anfang und Spätsommer 1998 zur Verfügung stehen, dann können wir uns den tieferen Ursachen des Massenexodus auf Ex-Chrysler-Seite zumindest relativ weit annähern. Methodisch erweitert sich das Augenmerk folglich auf die Situationen, in denen Mitarbeitende beider Seiten erstmals kooperieren. Kritikerinnen mögen einwenden, dass durch den methodischen Kniff, sowohl zur Klärung eines Sachverhalts als auch zu seiner Erklärung einfach einen Schritt in die Vergangenheit zurückzugehen, ein infiniter Regress droht. Weil es immer Ereignisse vor denjenigen gibt, die zur Erklärung herangezogen werden, landet man irgendwann unweigerlich beim Urknall als Letztbegründung. Eine solche Kritik, die am Ende auf einem linearen Geschichtsverständnis basiert, vernachlässigt allerdings das schöpferische Potenzial menschlicher Kooperation. Im soziologischen Jargon formuliert: Die Kritik unterschätzt das generative Potenzial sozialer Situationen, in denen Personen aufeinandertreffen und abhängig von ihren Situationsdefinitionen, ihrem Verständnis von- und füreinander, der Menge der Beteiligten, der Themen, mit denen sie sich befassen, und anderen Variablen der Geschichte erst ihren Lauf geben, den sie nimmt (Abbott, 2001: 249; Cederman, 2005: 870 – 872). Der Gedanke ist also recht einfach. Wenn es gelingt, nachvollziehbar herauszuarbeiten, dass in der Phase vor dem Praxisschock, das heißt im Grunde in der ersten Jahreshälfte 1998, in der die Fusion in ihren Grundzügen geplant wird, von den Beteiligten etwas geschaffen wird, das zuvor noch nicht in dieser Form existiert hat, dann finden wir darin eine mögliche Erklärung des Massenexodus. Das ist zum einen die grundsätzliche Fusionsabsicht selbst. Sie ist jedoch zum anderen gepaart mit einer auf die Fusion bezogene Organisationsvergessenheit. Mit ihrer Rekonstruktion können wir uns den tieferen Ursachen der Abwanderungswelle einen großen Schritt nähern. Da sie (ohne bereits stark vorgreifen zu wollen) in der Anfangsphase der Fusion überhaupt erst generiert wurde, bietet sie eine mögliche Erklärung, die gerade nicht in einen infiniten Regress führt.
Träge Fusionen: Das Problem der Organisationsvergessenheit
3.
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Kulturberührung und Organisationsvergessenheit
Organisationsfusionen sind per definitionem Zusammenschlüsse von zwei bisher eigenständigen sozialen Systemen, die über eine eigene Geschichte verfügen. Ihr bisheriger Entscheidungsweg hat sie zwar schließlich zu dem Punkt geführt, unter einem gemeinsamen Dach weiterzuarbeiten. In der Regel unterscheidet sich ihre Geschichte allerdings recht deutlich, was Produktportfolio, Managementkonzepte, organisatorische Differenzierung und vieles mehr angeht. Durch permanentes Innovieren (oder zumindest Innovationsversuche) sorgen Unternehmen nicht zuletzt selbst für erhebliche Differenzen untereinander, um sich gegen Marktkonkurrenten profilieren zu können und damit ihre Refinanzierung zu sichern (Kette, 2012: 26 – 28). In den zahlreichen Fallstudien, Reportagen und Analysen, die sich mit der DaimlerChrysler-Fusion beschäftigen, wird die Differenz zwischen beiden Unternehmen in der Regel als kultureller Unterschied begriffen (Finkelstein, 2002; Jansen et al., 2002; Köhler, 2009; Paul, 2008; Vlasic u. Stertz, 2000; Weber u. Camerer, 2003). Auffällig ist dabei, dass viele Autoren nicht einfach nur bei dieser Feststellung stehen bleiben. Vielmehr erhält kulturelle Differenz den Status einer verkappten Erklärung, warum die Fusion nicht den erwarteten Erfolg gebracht hat oder gescheitert ist. Überschriften wie »Warum die Fusion scheiterte« (Finkelstein, 2002: 4) oder Sätze wie »Kulturelle Differenzen zwischen den beiden Organisationen waren in großem Maße verantwortlich für das Scheitern« (Weber u. Camerer, 2003: 401) zeigen diesen Anspruch an den Kulturbegriff. Das Problem ist, dass die Betonung der kulturellen Differenz von DaimlerBenz und Chrysler nur eine Erklärung des Fusionsverlaufs simuliert, ohne tatsächlich eine solche zu sein. Denn die betreffenden Passagen entsprechen aus mehreren Gründen nicht den Standards wissenschaftlichen Erklärens. Erstens sind die vermeintlichen Erklärungen im Grunde ein unzulässiger Kurzschluss. Aus der Tatsache der »Kulturberührung« (Bateson, 1990: 103) von zwei Organisationen mit eigener Geschichte werden direkt die (vermeintlichen) Fehlentwicklungen eines Kooperationsprojekts abgeleitet, ohne sich detaillierter mit den diversen sozialen Dynamiken auseinanderzusetzen, die mit der Kulturberührung überhaupt entstehen und schließlich ein bestimmtes Ergebnis wie zum Beispiel einen Massenexodus zeitigen. Gregory Bateson (1990: 104 – 107) hat bereits vor Jahrzehnten argumentiert, dass eine Kulturberührung mindestens drei Effekte haben kann – 1. Verschmelzung der ursprünglichen Einheiten, 2. Eliminierung einer der beiden Einheiten oder 3. Fortexistenz beider Einheiten innerhalb einer größeren Einheit (siehe dazu auch Krusche, 2010: 58 – 60).
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Thomas Hoebel
Gleichzeitig monierte er, dass wir über keine Theorie(n) verfügen, warum Kulturberührungen jeweils in einem dieser Muster resultieren.4 Wie einleitend angedeutet, schließt sich diese Lücke mit Blick auf die Kulturberührung bei Organisationsfusionen langsam. Umso mehr sticht zweitens ins Auge, wie unreflektiert und theorielos viele kulturalistische Interpretationen des DaimlerChrysler-Zusammenschlusses mit einem Erklärungsanspruch verbunden werden. In den von mir für diesen Text ausgewerteten Fallstudien, Reportagen und Analysen des DaimlerChrysler-Falls bleibt der Kulturbegriff abstrakt und hat dadurch kein explanatorisches Potenzial (sehr instruktiv dazu: Carroll u. Harrison, 2002: 366). Was er konkret bezeichnen soll, wird nicht erläutert und somit dem alltagsweltlichen Verständnis der Leserinnen überlassen. Was sich dagegen findet, sind ebenso unerläuterte Ad-hoc-Operationalisierungen. Kultur wird dabei je nach konkretem Bedarf als »unterschiedliche Produktentwicklungsphilosophie« (Finkelstein, 2002: 6), als Bündel von »Organisationsstrukturen, Arbeitsstilen und Abfindungsregeln« (Paul, 2008: 12) oder als »spezialisierte, hausgemachte Sprache, um eine Aufgabe zu lösen« (Weber u. Camerer, 2003: 404) begriffen. Jeder versteht unter Kultur etwas anderes. Mehr noch: Im Zweifel ist jedes Element einer formalen Organisation im Allgemeinen (sowie bei Daimler-Benz und Chrysler im Besonderen) Teil ihrer Kultur. Zu analytischen Zwecken ist der Begriff dann allerdings nicht zu gebrauchen. Denn er differenziert nicht zwischen einzelnen Elementen einer Organisation, um ihren Erklärungswert für ein Phänomen wie den Massenexodus im Einzelnen gewichten zu können. Zieht man folglich die mit dem Kulturbegriff verbundenen, jedoch praktisch nicht eingelösten Erklärungsansprüche in den einschlägigen Texten über die DaimlerChrysler-Fusion ab, sieht man im Grunde genommen klarer. Denn dann wird erstens erkennbar, dass die Kulturberührung zunächst einmal nur ein Erleben von Kontingenz ist (Esposito, 2004: 93 – 96). Beide Seiten halten sich den Spiegel vor : Sie beobachten aneinander, dass es auch anders möglich ist, Ziele zu entwickeln und zu verfolgen, miteinander zu arbeiten, Anerkennung zu verteilen, Menschen zu führen oder zu begeistern und vieles mehr – je nach Vergleichsgesichtspunkt. Der Verweis auf kulturelle Differenz erklärt in dieser Perspektive zunächst einmal nichts, sondern macht nur deutlich, dass zwei Einheiten, natürliche Personen genauso wie soziale Kollektive, sich bei einem Kontakt gewöhnlich miteinander vergleichen (Luhmann, 1999: 38 f.). Dabei kann es passieren, dass die einzelnen Vergleichseinheiten ihre »Eigenart« nur noch stärker herausstellen (Luhmann, 2000: 246), wie es genauso möglich ist,
4 Die Diagnose stammt ursprünglich aus den 1940er Jahren, kann aber zum Zeitpunkt seiner Wiederveröffentlichung in den 1980ern immer noch Gültigkeit beanspruchen.
Träge Fusionen: Das Problem der Organisationsvergessenheit
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dass die Beteiligten das bisher Selbstverständliche relativieren (Luhmann, 1999: 39) und beginnen, sich zu hinterfragen und zu verändern (Krusche, 2010: 55). Zweitens entsteht überhaupt erst der Raum für eine Erklärungssuche, die sich aus den bisher vorgetragenen Gründen nicht an den Kulturbegriff kettet und durch den beschriebenen Kurzschluss im Zusammenspiel mit einem zu abstrakten und dadurch adhocistischen Kulturverständnis bisher unnötig erschien. Wir sehen insofern klarer, als wir erkennen, dass zwischen der Tatsache der Kulturberührung und der Massenabwanderung auf Chrysler-Seite (mit dem Zwischenschritt Praxisschock) eine Erklärungslücke klafft. Die Frage ist also, wie wir sie überzeugend füllen können.
3.1
Ganz normale Trägheit
Der hier gewählte Ansatz, die Erklärungslücke zu füllen, interpretiert die mit dem Praxisschock verbundenen Differenzerfahrungen in puncto Detailplanung, Schriftlichkeit, eingespielte Arbeitszeiten, Mobilität und Sprachkenntnis als Ausdruck ganz normaler Trägheit, die jede formale Organisation im Zeitverlauf entwickelt. Das Konzept der Trägheit – »structural inertia« in der US-amerikanischen Organisationswissenschaft (Hannan u. Freeman, 1984) – ist hier wesentlich präziser als zum Beispiel der gerade in Länge behandelte Kulturbegriff. Es hebt nicht allein eine sachliche Differenz zwischen zwei Organisationen hervor, sondern auch die geringe Wahrscheinlichkeit ihrer unmittelbaren Änderbarkeit. Es führt somit zusätzlich eine zeitliche Perspektive mit. Trägheit ist in dieser Perspektive keine Eigenschaft von Personen, sondern ein soziales Muster, das aus ihrer Kooperation heraus entsteht. Die Mitarbeitenden mögen in vielen Hinsichten unterschiedlich sein – betrachtet man die Art und Weise, wie sie zusammenarbeiten, treten Verhaltensregelmäßigkeiten auf, die sich nicht mehr eins zu eins auf die Motive, Dispositionen oder Biografien zurückrechnen lassen, sondern eher auf formale Entscheidungen eines Vorstands oder seiner Äquivalente einerseits, auf Gewohnheit (und Erprobtheit) andererseits. Die Regelmäßigkeiten sind in dieser Hinsicht alle Mitglieder mit einschließende Verhaltenserwartungen, mit der sich auch Neuankömmlinge recht schnell konfrontiert sehen und die sich höchstens in kleinen Schritten und kaum merklich ändern. (Es sei denn, es gibt einen Vorstandsbeschluss oder Ähnliches; doch selbst dann braucht es in der Regel einige Zeit, bis sich die durch eine verbindliche Entscheidung kenntlich gemachte Verhaltenserwartung in der alltäglichen Praxis niederschlägt.) 1998 ist die Situation somit die folgende: Während die Daimler-Benz-Beschäftigten seit jeher voneinander erwarten können, dass sie voneinander eine Detailplanung erwarten, sind die Chrysler-Beschäftigten hier weniger festgelegt; während die Daimler-Benz-Be-
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schäftigten voneinander erwarten können, dass sie eine schriftliche Fixierung voneinander erwarten, wird bei Chrysler mehr auf Mündlichkeit gesetzt (und so ließe sich die Liste mit den bereits genannten Punkten weiter fortsetzen). Noch bis vor wenigen Jahrzehnten herrschte in den Sozialwissenschaften die Sicht vor, dass Organisationen hochgradig anpassungsfähig an neue Gegebenheiten in ihrer gesellschaftlichen Umwelt seien und ihre Strukturen ohne große Schwierigkeiten verändern könnten. Diese Annahme ist zwar immer noch weit verbreitet. Doch haben vor allem Populationsökologen erhebliche Zweifel an ihrer Richtigkeit gesät. Sie machen geltend, dass Organisationen einen Kern haben, der nicht so ohne Weiteres veränderbar ist und sich träge verhält (Hannan, 2005: 59); nicht zuletzt, weil Trägheit durchaus auch Qualität bedeuten kann, insofern Erwartungserwartungen die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der Leistungserstellung stützen (Hannan u. Freeman, 1984: 162). Zu diesem Kern zählen den Autoren zufolge die Mission einer Organisation (im Sinn von offen kommunizierten Zielen), ihre Verteilung von Autorität, ihre technologische Infrastruktur sowie ihre Strategie, ein Publikum zu gewinnen, das die gebotenen Leistungen schätzt, unterstützt, abnimmt (Hannan u. Freeman, 1984: 156; Hannan, 2005: 60). Gegenüber der eher makroskopischen Herangehensweise der Populationsökologen ist mit den verfügbaren Daten über die DaimlerChrysler-Fusion ein mikroskopischerer Blick auf das Geschehen möglich. Die Trägheit von DaimlerBenz einerseits, von Chrysler andererseits zeigt sich hier weniger in den organisationsstrukturellen Kern-Dimensionen. Die jeweils etablierten Erwartungserwartungen lassen sich besser als »kognitive Routinen« begreifen, die in der teils jahrelangen Kommunikation der Organisationsmitglieder entstanden sind, »die sich nach aller Erfahrung bewährt haben und auf die sich die Kommunikation [weiterhin] beziehen kann« (Luhmann, 2000: 78). Sie sind insofern mit den Kernstrukturen formaler Organisationen verbunden, als sie sich vor ihnen bewähren müssen. Kognitive Routinen, die sich nicht bewähren, werden schlicht vergessen (Luhmann, 2000: 250). Gleichzeitig sind die Kernstrukturen selbst in einen Kontext kognitiver Routinen eingebettet. »Keine Situationsdefinition wäre ohne sie möglich. Auch keine Kausalattribution. Auch keine abgrenzbaren Alternativen, also keine Entscheidungsfreiheiten.« (Luhmann, 2000: 251) Das Verhältnis von kognitiven Routinen und strukturellem Kern einer formalen Organisation ist demzufolge ein rekursives. Sie stützen sich wechselseitig in ihrer Trägheit, weil sie aufeinander bezogen entstehen. Es ist vor diesem Hintergrund leicht zu sehen, dass nicht nur – wie Nicole Biggart (1977: 410) eindrücklich am Beispiel der US-amerikanischen Post gezeigt hat – der abrupte Wandel einzelner Organisationen ein zugleich schöpferischer wie zerstörerischer Prozess ist, sondern auch eine Fusion. Der Fall DaimlerChrysler zeigt: Fusionen sind kreativ-zerstörerische Vorgänge par ex-
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cellence. Ein neuer gemeinsamer Name ersetzt die beiden bisherigen Namen, ein neuer gemeinsamer Kreis von Verantwortungsträgern ersetzt die bisherigen Kreise, neue Kooperationsformen und Kommunikationswege ersetzen die gewohnte Zusammenarbeit mit weithin bekannten Gesichtern – um nur einige Beispiele zu nennen. Die laufende Kooperation zwischen den Beteiligten, die anfangs vor zwei getrennten Horizonten stattfand, muss sich nun vor einem gemeinsamen Horizont beweisen. Der Fall DaimlerChrysler zeigt allerdings auch: In der insgesamt recht kurzfristigen Planung der Fusion ab Februar 1998 ist die ganz normale Trägheit beider Konzerne im Sinn eingespielter kognitiver Routinen einer Organisation kein Thema. Darauf lassen mindestens vier Indizien schließen. Das Bild der »Fusion von Gleichen« – In den ersten Verhandlungen zwischen den jeweiligen Vorstandsvorsitzenden Bob Eaton und Jürgen Schrempp (sowie nur wenigen engen Mitarbeitenden) im Februar 1998 markiert die Formel zunächst eine nicht verhandelbare Bedingung der Chrysler-Seite, die sich auf die Struktur des zukünftigen Vorstands bezieht. Die Fusion könne nur realisiert werden, wenn er zu gleichen Teilen aus Führungskräften von Chrysler und Daimler-Benz zusammengesetzt wird (Jansen et al., 2002: 2; Vlasic u. Stertz, 2000: 198 f.). In den Folgewochen löst sich die Formel jedoch von diesem ursprünglichen Bedeutungskontext ab und taucht schließlich im Mai 1998 als eines von »10 Basisprinzipien für die Integrationsaktivitäten« wieder auf (Morosini u. Rädler, 2003: 7). »Fusion von Gleichen: Es gibt weder eine ›deutsche‹ noch eine ›amerikanische‹ Seite«, heißt es unter Punkt 3. Man darf diese recht scharfe Formulierung sicher nicht überbewerten, aber in ihr drückt sich faktisch nur die Erwartung aus, dass im Integrationsprozess der beiden Konzerne mit kulturellen Differenzen zu rechnen ist. Dagegen findet sich in dem gesamten Katalog keine Passage, in der implizit oder explizit mit der organisationsbezogenen Differenz kognitiver Routinen und ihrer möglichen Trägheit gerechnet wird. Priorität geschäftlicher und rechtlicher Fragen – In der Phase vor der Vertragsunterzeichnung stehen steuerliche Synergien, die Frage des Aktientauschs sowie die zukünftige Governance-Struktur und die Gesellschaftsform des fusionierten Konzerns im Vordergrund. Die Differenz beider Konzerne auf der Arbeitsebene spielt nach allem, was wir wissen, in dem vergleichsweise kleinen Kreise derjenigen, die die Fusion verhandeln, keine nennenswerte Rolle (Jansen et al., 2002: 12). Schaffung zusätzlicher Vorurteile durch getrennte Mitarbeitertrainings – Im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung im Mai 1998 wird die weitere Vorbereitung der Fusion von Daimler-Benz und Chrysler auf einen größeren Mitarbeiterinnenkreis ausgeweitet. Es wird unter anderem ein Post-Merger-Inte-
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gration-Team gebildet, in dem erstmals auch Führungs- und Fachkräfte der zweiten Reihe aufeinandertreffen. Auf ihre erstmalige Kulturberührung werden die Beteiligten in speziellen Kursen vorbereitet (Jansen et al., 2002: 13), in denen sie mit Standardformeln über die vermeintlichen Eigenarten der anderen Seite versorgt werden, zum Beispiel, dass die Amerikaner Pfirsichen glichen (»außen weich, innen hart«), die Deutschen dagegen Kokosnüssen (»harte Schale, weicher Kern«). Kenneth R. Ference, damals von Chrysler für das Integrationsteam vorgesehen, berichtet, dass er gelernt habe, den deutschen Kollegen niemals mit der Hand in der Hosentasche gegenüberzutreten. Beim ersten Zusammentreffen habe jedoch jeder zweite Daimler-Benz-Mitarbeiter die Hand in der Tasche gehabt (Schneider, 2001). Neben der Bestätigung und Schaffung kultureller Vorurteile hat diese Vorbereitung ein zentrales Defizit. Ihr Programm ist darauf ausgerichtet, dass beide Seiten jeweils auf kulturell träge Personen treffen. Eine Sensibilisierung für die ganz normale Trägheit von Organisationen, die sich in erprobten Kooperationsformen niederschlägt, bleibt dagegen aus. Der Zeitplan – Der erste Punkt der »10 Basisprinzipien für die Integrationsaktivitäten« heißt schlicht: »Speed« (Morosini u. Rädler, 2003: 7). In einem späteren Interview mit dem Wall Street Journal im September erläutert Schrempp die Haltung, die mit der Entscheidung verbunden ist, beide Konzerne von Beginn an zu integrieren anstatt sie zum Beispiel für eine Probezeit getrennt unter einem Dach zu führen (Jansen et al., 2002: 13). »Es sei viel besser sich schnell zu bewegen und dabei gelegentlich Fehler zu machen, anstatt sich zu langsam zu bewegen.« Falls man tatsächlich Fehler begehe, müsse man sie eben korrigieren (Paul, 2008: 9). Neben einer offensichtlichen Überschätzung der Möglichkeit, Fehler im Nachhinein zu korrigieren (was ja bereits voraussetzt, dass man sie überhaupt rechtzeitig erkennt), resultiert aus dieser Haltung ein äußerst ambitionierter Fusionsplan. Der Effekt ist eine sehr frühzeitige Kulturberührung zwischen großen Teilen des Managements, ohne dass – wie beschrieben – bereits eine nennenswerte Sensibilität für die Organisationsspezifika der Gegenseite existiert. Vorurteile und die Wahrnehmung von konkreten Personen als durch eine bestimmte Kultur determiniert, wie sie durch die Vorbereitungskurse noch befördert wird, ist dafür kein Ersatz. Unter dem Strich belegen die vier genannten Punkte eine Form der Ignoranz, die ich – wie bereits mehrfach angedeutet – als Organisationsvergessenheit bezeichnen möchte. Es handelt sich dabei insofern um eine spezifische Ignoranz, als sowohl die Art und Weise, wie die Mitglieder einer konkreten Organisation, einer konkreten Abteilung oder eines konkreten Teams gewöhnlich zusammenarbeiten, um kollektiv ein Ziel zu erreichen, als auch die Zeit, die eine
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geplante Veränderung dieser in der Regel erprobten und selbstverständlichen kognitiven Routinen benötigt, unbeachtet bleibt.5 Organisationsvergessenheit ist in dieser Sicht ein soziales Phänomen, weniger der Geisteszustand einer einzelnen Person. Denn es handelt sich um eine Ignoranz, die in erster Linie in Entscheidungssituationen entsteht, an denen mehr als eine Person beteiligt ist. Sicher, Versäumnisse lassen sich nachträglich immer einem vermeintlichen Sündenbock zurechnen. Eine angemessene Ursachenanalyse sollte jedoch den kollektiven Charakter von Entscheidungsprozessen nicht unterschätzen. Eine Vergessenheit kann dabei unter anderem der Qualität von Entscheidungsvorlagen, der Priorisierung von Themen, der zu knapp bemessenen Diskussionszeit, der Unerfahrenheit der Beteiligten in der fraglichen Sache oder Verständigungsschwierigkeiten geschuldet sein. Im Gegensatz zum Wunschbild einer umfassenden Informiertheit sind Ignoranzen in Entscheidungsprozessen ebenso normal wie Trägheiten von Organisationen. Leider fehlen für die DaimlerChrysler-Fusion genauere Daten für eine Detailanalyse, warum es in der Phase der Fusionsanbahnung so wenig Sensibilität für die ganz normale Trägheit der jeweiligen Konzerne gab. Gleichwohl lässt sich durch die Diskussion der Folgen, die die Organisationsvergessenheit bei der DaimlerChrysler-Fusion hat, die Erklärungslücke zwischen Kulturberührung und Massenabwanderung (mit dem Zwischenschritt Praxisschock) ein Stück weit schließen.
3.2
Organisationsvergessenheit bei der DaimlerChrysler-Fusion und ihre Folgen
Organisationsvergessenheit ist die Ignoranz der ganz normalen Trägheit einer oder – im Fall der DaimlerChrysler-Fusion – mehrerer Organisationen. In dem untersuchten Fall, so die abschließende These, erweist sich diese Ignoranz als zweischneidiges Schwert. Denn zum einen scheint die Organisationsvergessenheit die Entscheidung zur Fusion mindestens erleichtert, wenn nicht sogar erst ermöglicht zu haben. Hätte man, anstatt über Synergien, Steuererleichterungen und Postenverteilungen zu sprechen, womöglich erst die nur langsam zu ändernden Trägheiten beider Organisationen analysiert, hätte sich das Vorhaben vermutlich erheblich verzögert – verbunden mit dem Risiko, dass Informationen ungewollt nach außen durchsickern oder Ähnliches. Und hätte 5 Es heißt an dieser Stelle bewusst Organisationsvergessenheit und nicht etwa Kultur- oder Geschichtsvergessenheit. Beide Alternativen sind zu unpräzise, um den hier relevanten Sachverhalt der ganz normalen Trägheit von Organisationen zu adressieren. Der Kulturbegriff ist wie beschrieben zu abstrakt. Geschichtsvergessenheit dagegen meint, dass das Gedenken an historische Ereignisse – Errungenschaften oder Verbrechen – zu kurz kommen.
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Schrempp seinem Gegenüber Eaton nicht zugesichert, man werde als Gleiche zusammengehen, wäre das Projekt voraussichtlich zu den Akten gelegt worden. Zum anderen ist der Praxisschock und die daraus entstehende Enttäuschungsspirale auf Chrysler-Seite eine Folge dessen, dass sie sehr früh und ohne eine für ganz normale Trägheiten sensibilisierende Vorbereitung aufeinandertreffen. Die Fusionsbemühungen erweisen sich daraufhin selbst als träge, weil sehr frühzeitig eine schöpferische Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten gefordert ist, ohne dass ein tieferes Verständnis für die Arbeitsweise der anderen Seite existiert – geschweige denn, dass bestehende Routinen bereits nennenswert zerstört sind. Die meisten arbeiten erst einmal weiter wie gewohnt, zusätzlich versorgt mit Vorurteilen über die andere Seite. Weil dabei keine sonderliche Sensibilität für kognitive Routinen existiert, die sich von den eigenen unterscheiden, sich die vergleichsweise rigiden Routinen der Daimler-BenzBeschäftigten jedoch schnell als zermürbend für die insgesamt flexibler agierenden Chrysler-Beschäftigten erweisen, entsteht die Situationsdefinition, man sei faktisch übernommen worden. Harris ist der erste Chrysler-Manager, der daraus die Konsequenz zieht, den neuen Konzern freiwillig zu verlassen. In dieser Weise wird er faktisch zum Symbol für die zunehmenden Kooperationsprobleme zwischen den vormaligen Chrysler- und Daimler-Benz-Beschäftigten. Diese Probleme sind weder eine unmittelbare Folge von allgemeinen kulturellen Differenzen noch der ganz normalen Trägheit beider Organisationen. Im Grunde entstehen die Kooperationsprobleme erst durch die Organisationsvergessenheit während der Frühphase des Zusammenschlusses.
4.
Regulierungsoptionen
Jede Fusion hat ihre spezifischen Schlüsselmomente. Im Fall von DaimlerChrysler läutet der Abgang von Steve Harris nicht nur einen Massenexodus von Chrysler-Mitarbeitenden ein. Er lässt sich ebenfalls – zum Zweck der Erklärung dieser Abwanderungswelle – auf eine als Organisationsvergessenheit bezeichnete Ignoranz zum Beginn der Fusion zurückführen. Es wurde versäumt, aus einer Analyse der ganz normalen Trägheit der beiden Organisationen Schlüsse für das Design der Fusion zu ziehen. Eine Aussage darüber, inwiefern sich mit dem Konzept der Organisationsvergessenheit auch andere Fusionsverläufe und insbesondere Massenabwanderungen deuten lassen, übersteigt den Rahmen dieser Studie, die zunächst einen Einzelfall in den Mittelpunkt gerückt hat. Ich denke jedoch, dass sich aus der vorgelegten Analyse einige Schlüsse für zukünftige Fusionen ziehen lassen, die sich aktuell vor allem in kirchlichen und kirchennahen Bereichen abzeichnen bzw. bereits vonstattengehen. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit hat
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zum Beispiel jüngst der Plan im katholischen Erzbistum Berlin gefunden, 105 Pfarreien zu nur noch 30 zusammenzulegen (Küpper, 2014). Ausgehend von der Prämisse, dass keine Gemeinde, kein Kirchenkreis und keine kirchennahe Einrichtung ein Interesse daran hat, dass sich an eine Fusion eine Massenabwanderung von (einfachen) Mitgliedern anschließt, sondern höchstens ein geplanter Abbau von Verwaltungsstellen, zeigt der Fall DaimlerChrysler mindestens drei Regulierungsoptionen auf, um diese organisationsdemografische Frage zu bearbeiten. (1) Man ignoriert die kognitiven Routinen der beiden Organisationen, die fusioniert werden sollen, und setzt damit auf eine demografische Selbstregulierung infolge der Fusion. Anstatt zum Beispiel sensibel dafür zu sein, welche gewachsenen Arbeitsabläufe und Umgangsformen in Gemeindebüros oder Kirchenämtern existieren, legt man sie also ohne weitere Abstimmung zusammen und setzt darauf, dass sich die Beteiligten schon »zusammenraufen« werden. (2) Man beschränkt die »Kulturberührung« von Kirchengemeinden, Landeskirchen oder Diakonischen Werken zunächst auf kleinere Kooperationsvorhaben, ohne dass sie direkt mit dem mittel- oder langfristigen Ziel einer Fusion der Kooperationspartner verbunden sein müssen. Optionen sind regelmäßige gemeinsame Gottesdienste, für die sich die Gemeindemitglieder gegenseitig und mithilfe von kostengünstigen Fahrgelegenheiten besuchen, oder eine kooperative Pflege von Friedhöfen. Die Formen der Zusammenarbeit kommen einer Probezeit gleich und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass neue und verbindende kognitive Routinen entstehen, an die sukzessive weitere Kooperationsschritte bis hin zu einer vollständigen Fusion anschließen können. (3) Man verfolgt zwar von Anfang an das Ziel einer kompletten Fusion, setzt sich jedoch weniger unter Zeitdruck und achtet insgesamt auf das Timing von Kulturberührungen. Der Zeitgewinn kann dann unter anderem für eine genauere Analyse der ganz normalen Trägheit der zu fusionierenden Einheiten genutzt werden. Trägheitsanalysen brauchen dabei selbst ihre Zeit. Interessierte werden damit rechnen müssen, dass sie unweigerlich mit dem methodischen Problem der »Schweigsamkeit des Sozialen« verbunden sind (Hirschauer, 2001). Wie bringt man etwas in Erfahrung, das für die Beteiligten in der Regel als selbstverständlich gilt, über das man nicht gerne spricht oder für das jede Person, die man fragt, einen anderen Ausdruck hat? Wie auch immer die Antwort ausfällt: Das Soziale zum Sprechen zu bringen klingt auf jeden Fall nach einer Aufgabe für Soziologinnen und Ethnologen, die dafür ein erprobtes Set an Analyseinstrumenten mitbringen.
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Cornelia Füllkrug-Weitzel
Gemeinsam für Diakonie und Entwicklung: Die Fusion des Evangelischen Entwicklungsdienstes mit dem Diakonischen Werk der EKD
Die Entstehung des neuen Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung hat eine lange Vorgeschichte. Sie durchlief mehrere Stadien, in denen je und je neue strukturelle Fragen aufkamen und organisatorische Fragestellungen zu lösen waren. Diese verschiedenen Phasen des Prozesses waren planerisch nicht vorhergesehen, erschienen aber auf neuen Erkenntnissen oder neuen Problemlagen aufbauend sinnvoll und wurden dann gewollt. Verbunden mit der Errichtung eines neuen Gebäudes und dem Umzug aller circa 700 Mitarbeitenden stellt er sicherlich das umfassendste und anspruchsvollste Fusionsvorhaben von Kirche und Diakonie der letzten Jahrzehnte dar.
1.
Vorgeschichte
Ursächlich und ursprünglich ging es bei dem, was als Fusion des Diakonischen Werkes der EKD (DWEKD) und des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) vollendet wurde, um eine Fusion der damals fünf kirchlichen Entwicklungsorganisationen: Brot für die Welt, Evangelische Zentralstelle für Entwicklung (EZE), Dienste in Übersee (DÜ), Kirchlicher Entwicklungsdienst (KED) und Ökumenisch-missionarischer Weltdienst (ÖMW, eine Arbeitseinheit des EMW). Die Diskussion um diese Fusion wurde angesichts knapper werdender Kirchensteuermittel seit Mitte der 1990er Jahre zunächst innerhalb der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Entwicklungsdienst (AGEED), einer losen Dach-AG dieser fünf, geführt, blieb aber weitgehend ergebnislos. Ende der Neunziger wurde dieses Fusionsprojekt von der EKD als Teil eines umfangreicher angelegten Strukturprozesses der EKD aufgegriffen und in verschiedenen Stufen betrieben. Als Erschwernis dieses Vorhabens erwies sich dabei die Tatsache, dass einer der großen Fusionspartner, nämlich Brot für die Welt, keine eigenständige Organisation, sondern Teil des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland war. Das Diakonische Werk wollte die Zugehörigkeit von Brot für
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Cornelia Füllkrug-Weitzel
die Welt zum Diakonischen Werk und damit die Zusammengehörigkeit von internationaler (Ökumenischer Diakonie) und nationaler Diakonie jedoch nicht auflösen. Gleichwohl blieb kirchenpolitisches Ziel, Brot für die Welt und die anderen kirchlichen Entwicklungsorganisationen zu einem starken evangelischen Entwicklungswerk zusammenzuschließen. Insofern warf die Idee, die kirchlichen Entwicklungswerke zu fusionieren, als dann sehr dominantes Nebenprodukt ungeplant auch die Frage nach der künftigen Struktur des Diakonischen Werkes der EKD auf. Umso komplexer wurde das Anliegen einer effizienten Neustrukturierung dadurch, dass sich unter dem Dach des DWEKD auch die kleineren, von Brot für die Welt unabhängigen international agierenden Einheiten Kirchen helfen Kirchen, Hoffnung für Osteuropa und Diakonie Katastrophenhilfe versammelten, die gemeinsam mit Brot für die Welt die starke Säule der Ökumenischen Diakonie bildeten. Auch ihre organisatorische Zuordnung wurde durch die Idee, die kirchlichen Entwicklungswerke zusammenzuführen, indirekt infrage gestellt, da sie alle drei kein Entwicklungsmandat hatten, sondern ein zwischenkirchliches bzw. humanitäres. Diese strukturellen Herausforderungen waren nicht allen am kirchlichen Entscheidungsprozess Beteiligten bewusst. Sie erforderten eine umfassende und vielschichtige organisatorische Lösung, zu der jedoch nicht alle von der Fusion Betroffenen von Anfang an bereit waren. Mit dem Ziel, den Entwicklungsdienst der evangelischen Kirchen zu stärken und kohärenter zu gestalten, beschloss die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 1998 die Bildung eines gemeinsamen Entwicklungswerkes aus allen bisherigen Organisationen und Arbeitseinheiten kirchlicher Entwicklungsarbeit in evangelischer Trägerschaft und Aufsicht. Der sich daran anschließende Prozess führte im Jahr 2000 im ersten Schritt zur Gründung des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED). Im EED wurden die Arbeitsgebiete der bisher selbständigen Vereine Dienste in Übersee (DÜ), Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe (EZE) sowie der Einrichtungen Kirchlicher Entwicklungsdienst (KED) der Evangelischen Kirche in Deutschland und Ökumenisch-Missionarischer Weltdienst (ÖMW) des Evangelischen Missionswerkes zusammengeführt. Integriert wurden außerdem die vier unselbständigen Einrichtungen der ehemaligen AG KED: das Sekretariat des Ausschusses für Entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik (ABP), die Planungs- und Grundsatzabteilung (PGA), die Evangelische Geschäftsstelle der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) in Berlin und die Redaktion der Zeitschrift »der überblick«. 2003 wurde auch die Stipendienarbeit des Ökumenischen Studienwerkes zu einem Arbeitsbereich des EED. In diesen Fusionsprozess wurde Brot für die Welt auf Wunsch des DWEKD zunächst nicht einbezogen, sondern verblieb – gemeinsam mit den anderen organisatorischen
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Einheiten der Ökumenischen Diakonie – im Verbund des Diakonischen Werkes der EKD. 2001, als das Zusammenwachsen der im EED zusammengeschlossenen Werke gerade erst begann, beauftragte der Rat der EKD die beiden Entwicklungswerke, ihre Kooperation in Richtung eines Zusammenschlusses zu intensivieren. Als erster Schritt wurde ein Kooperationsrat gebildet. 2006 beschloss der Rat der EKD, bis 2009 endgültige Vorschläge für ein Verfahren zur Schaffung eines gemeinsamen Entwicklungswerkes zu machen. Gleichzeitig bat der Rat den EED und Brot für die Welt, ab 2007 personenidentische Bewilligungsausschüsse für die Fördervorhaben und eine gemeinsame Stiftung einzurichten. Die Gremienmitglieder sollten sich so gegenseitig gut kennenlernen können. Zugleich würde eine Annäherung der Arbeitsschwerpunkte und -methoden der Programmarbeit beider Entwicklungswerke erleichtert und der begonnene Prozess unumkehrbar.
2.
Motive und Ziele der fusionierenden Werke
Zehn Jahre nach den ersten Überlegungen für eine Strukturreform des kirchlichen Entwicklungsdienstes richtete sich die Aufmerksamkeit auf eine neue Frage: Wie können Kirche und Diakonie den gegenwärtigen und künftigen Herausforderungen der globalisierten Welt angemessener und wirksamer begegnen? Weltweite Mobilität und unbegrenzte Kommunikationsmöglichkeiten bringen uns auch die fernsten Winkel der Erde nahe. Die Welt ist zu einer faktischen Beziehungseinheit geworden, in der fast jede lokale Erscheinung in einem komplexen Wirkungszusammenhang mit Prozessen an anderen Orten bzw. globalen Prozessen steht. Die Ursachen und die Wirkungen unserer Lebensweise reichen also weit über die Handlungsräume hinaus, die wir normalerweise überschauen und für die wir uns verantwortlich fühlen. Die Kette von Umweltzerstörung, Klimaveränderung und Ressourcenknappheit, dem daraus erwachsenden Kampf um Ressourcen mit der Eskalation von Gewalt und den Folgen von Migration und Armut tritt in einer globalisierten Welt deutlich zutage. Je mehr sich das Bewusstsein durchsetzt, dass Armut und soziale Not weltweite Phänomene sind, die in einem Geflecht komplexer Abhängigkeiten und Wirkungszusammenhänge stehen, desto deutlicher wird: Adäquate Lösungen für die dringenden sozialen Fragen der globalisierten Welt können nur dann gefunden werden, wenn sich soziale und sozialpolitische Arbeit und entwicklungsbezogene Arbeit im In- und Ausland stärker aufeinander beziehen. Wir müssen uns der Tatsache stellen: Armutsbekämpfung weltweit bedeutet auch Wohlstandsverzicht bei uns. Dieser darf aber nicht zu Lasten der Armen und sozial Benachteiligten in Deutschland gehen. Es ist nicht
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länger möglich, die Sorge für die Benachteiligten im eigenen Land und für soziale und ökologische Sicherungssysteme im eigenen Land abzugrenzen und auszuspielen gegen die Sorge für die Benachteiligten weltweit und gegen globale soziale Systeme. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über die Zukunft unseres Landes in einer globalisierten Welt. Kirche und Diakonie sind aufgrund ihres weltweiten Horizontes und ihrer Aufgabe prädestiniert dafür, diese Debatte anzuführen: Die Kirche ist ihrem Wesen als Leib Christi und ihrem Auftrag der Verkündigung des Reiches Gottes nach ökumenisch. Das Mandat der Diakonie, der Dienst an den nahen und fernen Notleidenden, ist weltumspannend und schließt niemanden aus. Schon die Gründerinnen und Gründer des Diakonischen Werkes waren beim Aufbau diakonischer Hilfen entweder inspiriert von der sozialen Realität anderer Länder, wie Johann Hinrich Wichern oder Johann Gerhard Oncken, oder bezogen die Arbeit im Ausland konzeptionell in ihre Arbeit ein, wie Wilhelm Löhe und Friederike, Caroline und Theodor Fliedner. Die Katastrophenhilfe und die Aktion Brot für die Welt der evangelischen Landes- und Freikirchen wurden vor 50 Jahren darum aus guten Gründen unter dem Dach des Diakonischen Werkes angesiedelt. Dies umso mehr, als die Ökumenische Diakonie in Deutschland mit der Hilfe zur Flüchtlingsintegration und zum Wiederaufbau Deutschlands begannen, die wir in Deutschland aus dem Ausland empfangen hatten. Sie führte zur Gründung des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen Deutschlands, einer der beiden Wurzeln des Diakonischen Werkes der EKD. Dieser Tradition und dieser Zukunftsaufgabe sollten die evangelischen Kirchen und die Diakonie in Deutschland im 21. Jahrhundert dadurch gerecht werden, dass sie nationale und weltweite Diakonie und den Entwicklungsdienst unter einem Dach zusammenführen bzw. nationale und internationale Sozialarbeit und Sozial-/Entwicklungspolitik in einem Werk zusammenfassen. Nationale und internationale Sozialarbeit und -politik müssen sich an geeigneten Schnittstellen der internationalen Sozialpolitik gegenseitig inhaltlich stärken, gemeinsam wird die Policy-Entwicklung vorangetrieben werden und sollen Netzwerke der Nächstenliebe und der Solidarität vor Ort und über die nationalen Grenzen hinweg im Interesse einer kohärenten Strategie der Überwindung der Armut gespannt werden. Das Wissen der nationalen Diakonie um internationale Hintergründe und das Fach-Know-how der internationalen Diakonie für die internationale Arbeit werden wechselseitig genutzt. Die neue Kompetenz wird eine neue Dimension der Sozialpolitik und der öffentlichen Sprachfähigkeit und Kampagnenfähigkeit aller nach sich ziehen. Es wird für die kommenden Jahrzehnte ein Ort geschaffen, an dem neue Wege für den kirchlichen Dienst am Menschen erdacht, erprobt und gegangen werden können. Damit wird sowohl das Gewicht sozialer und sozialpolitischer Arbeit der Kirchen in Politik und Öffentlichkeit in Deutschland, Europa und weltweit und
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in Bündnissen und Zusammenschlüssen mit anderen vergleichbaren Werken erhöht als auch in evangelischen Kirchen und Gemeinden das Bewusstsein für Diakonie und Ökumenizität als Wesensäußerungen der Kirche und die Identifikation der Kirchen mit ihren Diensten zur Linderung von Not und zur weltweiten nachhaltigen Überwindung von Armut, Ausgrenzung und Diskriminierung gestärkt.
3.
Der Prozess des Zusammenschlusses – Erfahrungen und Erkenntnisse
Seit dem Sommer 2007 begannen zwischen dem DWEKD und dem EED zunächst Gespräche und dann Planungen, die Fusion der beiden kirchlichen Entwicklungswerke im Rahmen einer Fusion des Diakonischen Werkes der EKD und des EED zu realisieren. Damit war der Prozess angestoßen zu einer noch größeren Fusion, als Synode und Rat der EKD 1998 ursprünglich geplant hatten. Im Sommer 2008 fassten die Aufsichtsgremien des EED und des DWEKD die erforderlichen grundsätzlichen Beschlüsse für eine Zusammenführung dieser beiden Werke. Diese Grundsatzbeschlüsse umfassten bereits erste Vorgaben für die Ziele, die Struktur und für Berlin als Standort des neuen Gesamtwerkes. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. und der Evangelische Entwicklungsdienst e.V. sollten sich zum Evangelischen Zentrum für Entwicklung und Diakonie e.V. zusammenschließen. Unter diesem Dach sollte die Diakonie Deutschland – Der Evangelische Bundesverband die Tradition des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche e.V. als Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege fortsetzen. Brot für die Welt – Der Evangelische Entwicklungsdienst sollte in sich die Aufgaben der bisherigen Bereiche der Ökumenischen Diakonie im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland e.V. und des Evangelischen Entwicklungsdienstes e.V. bündeln. Kirche und Diakonie sollen zukünftig im entwicklungs- und sozialpolitischen Bereich enger zusammenarbeiten. Gleichzeitig soll die Zusammenführung von Brot für die Welt, Hoffnung für Osteuropa, Kirchen helfen Kirchen, Diakonie Katastrophenhilfe und dem Evangelischen Entwicklungsdienst unter dem Dach des Evangelischen Zentrums für Entwicklung und Diakonie den Entwicklungsdienst der evangelischen Kirchen stärken und die Zukunft der Arbeit zur weltweiten Überwindung von Armut und Not, für Frieden und Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung auf Dauer sichern. Deshalb sollen unter dem Dach des Evangelischen Zentrums für Entwicklung und Diakonie der Bundesverband der Diakonie und das Entwicklungswerk Brot für die Welt
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gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Sie sollen eine gemeinsame Servicestruktur nutzen und über eine gemeinsame Leitungs- und Aufsichtsstruktur verbunden sein.
3.1
Wirkungen auf das Umfeld und übergeordnete Ziele von Anfang an einkalkulieren
Der ins Tor zu bringende Ball erwies sich indes als Pinball, der sehr viel mehr Systeme in Bewegung und am Ende sehr viel mehr Punkte brachte, als von den Gremien der EKD eigentlich geplant worden war, die einerseits (nur) das »große Ganze« und andererseits (nur) das scheinbar Machbare im Blick hatten. Die ganz große Fusionslösung fügte aber weit mehr zusammen als nur die kirchlichen Entwicklungsorganisationen – wie ursprünglich intendiert. Sie brachte oder hielt auch nicht nur die Entwicklungswerke mit der humanitären und der zwischenkirchlichen Hilfe zusammen, was nie dezidiert beschlossen war, weil es von den kirchlichen und Aufsichtsgremien nie bedacht wurde. Sie hielt vor allem Entwicklung und Diakonie beieinander. Und schließlich bedeutete sie auch eine engere Verzahnung und Kooperation der kirchlichen und diakonischen Träger und Aufsichtsgremien. Letzteres war in gewisser Weise ein EKD-seitig zwar lange erwünschtes, aber nie für möglich gehaltenes und nie dezidiert vorangetriebenes großes Reformprojekt mit weitreichenden Folgen. Aufseiten der Diakonie hatte es diesem Projekt gegenüber keine vorlaufenden Wünsche, sondern eher Zurückhaltung gegeben. So war der Boden für die »große Lösung« in der Trägerlandschaft des Diakonischen Werkes wohl weniger bereitet. Es hätte den Fusionsprozess erleichtert, wenn das größere System, das schließlich in Bewegung gesetzt wurde, von Anfang an im Blick gewesen und somit absichtsvoll eingeplant und alle darin Verantwortlichen und Betroffenen gleich mit auf den Weg genommen worden wären. Beteiligung erleichtert Zustimmung – das betrifft nicht nur die Ebene der Mitarbeitenden, sondern auch der Stakeholder.
3.2
Komplexe Steuerung komplexer Prozesse
Der auf die Beschlüsse folgende komplexe Fusionsprozess mit seinen diversen Ebenen hatte es mithin mit einer Vielzahl unterschiedlicher Gremien und unterschiedlicher organisatorischer Ausgangslagen und Kulturen zu tun, die es in eine kreative komplementäre Interaktion und neue Struktur zu bringen galt. Dabei war der Kulturunterschied zwischen einem bisher eigenständigen Verein (DWEKD) und einem unselbständigen kirchlichen Werk (EED) vielleicht der
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gravierendste, jedenfalls gravierender als der zwischen den Entwicklungswerken. (Diese konnten bereits auf eine lange Phase immer enger werdender Kooperation zurückblicken und hatten in den theologischen Grundlagen, Zielstellungen, politischen Positionierungen und dem Partnerfeld deutlich mehr Gemeinsames als Unterscheidendes.) Die Steuerung einer solchen Komplexität würde – prinzipiell betrachtet – durch einen echten Masterplan für aufeinander aufbauende Verständigungs- und Konsensprozesse erleichtert. Es würde ferner – und wurde es im konkreten Fall der gemeinsamen Bewilligungsausschüsse ja auch – durch pilothaftes vertrauensbildendes Zusammenwachsen verschiedener Organe und Organisationsebenen sofort nach dem prinzipiellen Fusionsbeschluss befördert. Schließlich bedürfte ein solch komplexer Prozess einer gemeinsamen Steuerung zum frühestmöglichen Zeitpunkt, also personenidentischer Gremien oder mindestens einer gemeinsamen oder personenidentischen Leitung dieser Gremien. Der Zugewinn gemeinsamer Steuerung bestätigte sich in vielen konkreten Fällen, so in unseren Bewilligungsausschüssen, dem zeitweise personenidentischen Vorsitz der Aufsichtsgremien sowie gemeinsamen Vorstandssitzungen schon vor der Fusion. Überall dort, wo solche gemeinsamen Vorgehensweisen vermieden wurden, ging Zeit verloren, wuchs das Misstrauen sowie die Gefahr auseinanderstrebender Entscheidungen mit negativer Langzeitwirkung. Je komplexer der Prozess ist, desto entschlossener müssen die Aufsichtsgremien eine gemeinsame Steuerung auf Aufsichts- und Managementebene möglichst ab Fusionsbeschluss (und nicht erst ab vollzogener rechtlicher Fusion) gewährleisten. Dazu sind intensive Verständigungsprozesse und vertrauensbildende Maßnahmen auch auf der Aufsichtsebene zum frühestmöglichen Zeitpunkt erforderlich.
3.3
Neue gemeinsame Betriebsstätte
Aus Sicht von Organisationsentwicklern durchaus sinnvoll, dennoch als gleichzeitiges Unterfangen anspruchsvoll, wurde der Fusionsbeschluss mit dem Beschluss zu einem Umzug aller beteiligten Organisationseinheiten an einen für alle völlig neuen Arbeitsort verbunden. Für die beiden großen Arbeitseinheiten bedeutete dies sogar einen kompletten Ortswechsel aller Beteiligten: Der EED musste von Bonn, die Ökumenische Diakonie plus Verwaltung des DWEKD von Stuttgart nach Berlin umziehen. Diese Entwicklung war konsequent und absehbar, seit die sozialpolitische Arbeit des Diakonischen Werkes der EKD 2004 für eine effektivere Lobbyarbeit gegenüber der Regierung als Vorhut bereits nach Berlin verlegt worden war. Unter anderem, weil damals für die Ökumenische Diakonie ein eigenständiges
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Umzugsmotiv fehlte, mit dem man den Spendern den Umzug hätte begründen können, wurde der Gesamtumzug des DWEKD nach Berlin zu diesem Zeitpunkt gescheut. Das hat seinen Preis gekostet, überließ aber den Fusionspartnern eine gemeinsame und damit partnerschaftliche Entscheidung über den künftigen Standort und verhinderte ein Anschlussmodell des einen zuungunsten des anderen. Parallel mit der Bildung des neuen Werkes musste damit aber auch ein geeignetes Gebäude gefunden bzw. eine neues errichtet und finanziert werden. 2010 fiel die Entscheidung für den Standort des neuen Bürogebäudes in der Mitte Berlins. Weil die Zusammenlegung der Standorte mit einer Betriebsstättenverlagerung verbunden war, war die Fusion ferner mit sehr vielen personalwirtschaftlichen Fragen und der Erstellung eines Sozialplans mit den Mitarbeitervertretungen verbunden. Mit anderen Worten: Neben der konzeptionellen, strukturellen und rechtlichen Herausforderung waren von den Aufsichtsgremien und den Vorständen parallel auch noch bauliche, finanzielle und personalwirtschaftliche Aufgaben zu bewältigen. Das ist eine Herausforderung ganz eigener und besonderer Art, die rechtzeitig in die Prozess- und Kapazitätenplanung einbezogen und in seinen Folgen für die Akzeptanz der Fusion berücksichtigt werden muss. Die zeitgleiche Durchführung zweier Organisationsveränderungsprozesse (Fusion und Umzug) macht die Steuerungsaufgabe noch komplexer und erfordert entsprechende Instrumente. Dass die Fertigstellung des neuen Bürogebäudes sowie die Betriebsaufnahme des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung schließlich auf den Tag genau planungsgemäß im Oktober 2012 realisiert werden konnten, verdient – speziell in Berlin! – besondere Hervorhebung. (Das gilt ebenso für die rechtzeitige Regelung aller rechtlichen Voraussetzungen für die Verschmelzung des EED mit dem DWEKD, die als rechtlicher Weg gewählt wurde, um die beiden Werke zusammenzuführen.) Da den Mitarbeitenden somit gleichzeitig ein komplett neues Arbeits- wie persönliches Lebensumfeld zugemutet wurde, wurden seelsorgerliche Mitarbeiterbegleitung und Aufgaben des Mitarbeitercoachings erforderlich. Dieses Maximum an Verunsicherungspotenzial ließ bei manchen Mitarbeitenden latent schwierige psychische und soziale Konstellationen neu virulent werden. Aber auch im Normalfall bedürfen die durch den Umzug notwendig werdenden familiären Entscheidungen und Planungen vielfältiger Unterstützung durch den Arbeitgeber. Dazu gehört zum einen ein guter, mit der Mitarbeitervertretung auszuhandelnder Sozialplan. Zum anderen lehrt die Erfahrung, dass ein frühzeitiger und systematischer kommunikativer Begleitprozess und eine frühzeitige Vorbereitung der Führungskräfte aller Führungsebenen auf den Umgang mit der persönlichen Verunsicherung (ein emotionaler Sozialplan) sehr hilfreich
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für die Akzeptanz und die Bewältigung der Fusion – zumal in Kombination mit einem kompletten Ortswechsel – ist. Das mit einem Ortswechsel verbundene Ausscheiden einer größeren Anzahl von erfahrenen Mitarbeitenden (in unserem Falle circa ein Drittel bis 40 %) und damit der Verlust von Erfahrungsträgerinnen und -trägern muss frühzeitig durch Sicherstellung des Wissenstransfers ausgeglichen werden. Als hilfreich zeigten sich Überlappungszeiten für die Einarbeitung und die Bereitschaft sehr erfahrener Wissensträger, auch nach ihrem Ausscheiden hin und wieder noch beratend zur Verfügung zu stehen. Die Integration neuer Mitarbeitender in größerer Zahl in eine neu fusionierte Organisation, die noch nicht auf dem neuen gemeinsamen Weg angekommen ist, birgt ihre eigenen Chancen und Gefahren, die es im einen Falle zu nutzen, im anderen Falle einzudämmen gilt. Auch hier gilt: Auf den Führungskräften aller Ebenen ruht dabei eine sehr große Verantwortung, die der gezielten Unterstützung durch die Leitung bedarf.
3.4
Veränderungsbereitschaft, Partizipation und Einübung der Gemeinschaft
Die Veränderungsbereitschaft und die gezielte Arbeit an sich selbst auf der Aufsichts- und den oberen Führungsebenen ist ein Schlüsselfaktor des Erfolges. Der Erfolg dieser Bemühungen lässt sich schlecht vorhersagen, der Wille dazu aber muss den beschlussfassenden Gremien und dem Führungspersonal von Beginn an ein Anliegen sein. Im anderen Fall leidet nicht nur die Qualität der gemeinsamen Steuerung, sondern auch die Überzeugungsfähigkeit gegenüber der Mitarbeiterschaft und den Stakeholdern. Eigenes Überzeugtsein vom Sinn des Fusionsvorhabens, der Wille zu einer fairen Fusion und die Einigkeit der Aufsicht und der Leitung strahlen erheblich auf die Mitarbeiterschaft und deren Überzeugung wie Haltung im Fusionsprozess ab. Alle Beteiligten in motivierender Weise mit auf den Weg der Veränderung zu nehmen, gelingt je leichter, je mehr die Aufsichtsgremien und Vorstände selbst zur Fusion motiviert und zugunsten der neuen Gemeinsamkeit veränderungsbereit sind. Die Mitarbeitenden und wesentlichen Stakeholder mit auf den Weg zu nehmen, indem sie zum einen die Notwendigkeit der Fusion kognitiv nachvollziehen können und zum anderen die Ernsthaftigkeit des Willens zum Zusammengehen am Vorbild der Vorgesetzten spüren können, ist ein wesentlicher Faktor des Gelingens. Um höchstmögliche Transparenz zu schaffen (und damit wilden Spekulationen aller Art entgegenzuwirken) und den Mitarbeitenden ausreichend zeitliche und sachliche Orientierung zu geben, ist im Fusionsprozess von Anfang an
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eine gute interne Kommunikation notwendig. Zunächst geschieht sie in den noch getrennten Arbeitseinheiten. Aber wo schon viele Arbeitskontakte zwischen den Häusern bestehen – wie dies zwischen den beiden Entwicklungswerken der Fall war – wurde schnell klar, dass sie tunlichst gut zwischen den Häusern abgestimmt sein muss. Regelmäßige Kommunikation zwischen den Häusern und Arbeitseinheiten, auch auf elektronischem Weg, ist wichtig, aber nicht ausreichend: Workshops und Veranstaltungen, die Möglichkeiten zur Rückfrage und Diskussion geben, haben das Verständnis gefördert. Ebenfalls hilfreich war es, schon relativ früh durch Begegnungsformate und -foren das gegenseitige Kennenlernen der Mitarbeiterschaften zu fördern. In dem Maße, in dem das geschah, konnten Vorurteile und Ängste, die zwangsläufig zu jedem Veränderungsprozess dieser Art gehören, abgebaut werden. Noch entscheidender aber ist, die Expertise der Mitarbeitenden und Stakeholder im jeweiligen Feld und auf der jeweiligen Ebene ihrer Verantwortung abzufragen bzw. die Mitarbeitenden zum Mitgestalten einzuladen. Nachdem die Grundsatzbeschlüsse zum Zusammenschluss von der EKD bzw. – was die Weiterungen und die Struktur betraf – von den Gremien des Werkes beschlossen worden waren, war es wichtig, dass sowohl die Mitglieder und Partner als auch die Mitarbeitenden der Werke in die Feinkonzeption und Planung des neuen Werkes, seines Profils und seiner Strukturen einbezogen wurden. Dies förderte die Identifikation und Ownership der Mitarbeitenden und Stakeholder mit der Arbeit des neuen Werkes und bezog die Fach- und Prozessexpertise der Mitarbeitenden ein. Für die Bewältigung der zahlreichen Aufgaben, die mit dem Zusammenschluss, der Betriebsstättenverlagerung und dem Umzug verbunden waren, wurden Projekt- und Arbeitsgruppen eingesetzt. Die Arbeit dieser Gruppen wurde in einer Koordinierungsgruppe sowie in regelmäßigen Meilensteinen mit dem Gesamtvorstand abstimmt. Nur die aktive Mitgestaltungsmöglichkeit verhindert Ohnmachtsgefühle, Motivationseinbrüche und innere Kündigung. Die Arbeit der Projekt- und Arbeitsgruppen (und die Begrenzung des Beratungsauftrags) brachten die Bedeutung der Partizipationsmöglichkeiten für Mitarbeitende bei der Gestaltung des neuen Werkes zum Ausdruck. Unterstützt wurde diese partizipative Ausrichtung des Fusionsprozesses durch weitere Elemente wie einer Denkwerkstatt im Format einer Großgruppenkonferenz. Die Fusion der beiden Entwicklungswerke erhielt überall da besondere Schubkraft, wo die Teams von ihrer jeweiligen Leitung ermutigt bzw. angehalten wurden, schon in der Fusionsvorbereitungsphase so viel wie möglich zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu planen – also so zu tun, als ob man schon fusioniert wäre. Wo das nicht geschah – meist um die eigene Ausgangsbasis vor der Fusion vermeintlich noch schnell zu verbessern –, erwies sich dies als kontraproduktiv : Gräben zwischen den Mitarbeitenden wurden vertieft statt
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zugeschüttet. Teambuildingprozesse auf allen Steuerungs- und Managementwie Führungsebenen sollten deshalb frühzeitig planvoll initiiert und gestaltet werden – gegebenenfalls mit externer Hilfe. Dieser unter 4. dargestellte Teil des Fusionsprozesses inklusive der gemeinsamen Erarbeitung einer Aufbau- und Ablaufstruktur durch die Vorstände und Fusionsgruppen wurde durch eine Unternehmensberatung unterstützt. Die Leistungen, die mit der ausgewählten Unternehmensberatung vereinbart wurden, waren auf Prozessberatung, -gestaltung und -begleitung, die auch Moderationsaufgaben umfasste, beschränkt. Es war für die Passgenauigkeit der Lösungen und für die Ownership auf allen Ebenen enorm wichtig, dass die Beraterfirma nicht die Mutter, sondern nur die Hebamme der strukturellen und organisatorischen Entscheidungen war. Die zusätzliche Leistung externer Moderation der Fusionsprojektgruppen und der neuen gemeinsamen Gremien erwies sich als sinnvoll vor deren offizieller Bildung und satzungsmäßigen Verankerung – und das heißt vor der gemeinsamen Verabschiedung von Geschäftsordnungen und eingespielten Verfahren. Dies gilt vermutlich in allen Fällen, in denen die Beteiligten keine ausgeprägten Erfahrungen mit Zusammenarbeit haben und sehr unterschiedliche Kulturen auch bezüglich der Gremienarbeit mitbringen. Als Kriterien (neben mehreren anderen) für die Auswahl entsprechender Unternehmen zur Begleitung sollten auch die Fragen gelten, ob das Unternehmen über ein für die Komplexität der Fragestellung, der Gremien und der Prozesse ausreichend großes Wissen verfügt, auf ein genügend großes und intern gut gesteuertes Team zurückgreifen kann und ob es nicht nur organisatorisches Hard-Skill-, sondern auch über Soft-Skill-Know-how hat.
4.
Vorteile und Synergien für die beiden Werke Brot für die Welt und Diakonie Deutschland
Die Fusion erfolgte auch, aber nicht primär aus Kostengründen. Darum ist die Sinnhaftigkeit der Fusion nicht nur oder primär an monetären Effekten zu messen, sondern vor allem auch an den Vorteilen für die Aufgabenerfüllung in einer sich verändernden Welt, an den Vorteilen für die Zielgruppen und mithin an den ideellen Synergien. Von den ferner zu bedenkenden kirchenpolitischen Gewinnen war bereits die Rede. Dabei sei nicht verschwiegen, dass das Zusammenfügen nicht nur positive Synergien mit sich bringt: Nicht zu unterschätzen ist, dass die durch eine Fusion veränderten Größenordnungen die Organisationskomplexität erheblich steigern – zum Beispiel, was die Mitarbeiterzahl, die Zahl der zu integrierenden IT-
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Systeme, die Anzahl von Arbeitseinheiten mit sachgemäß völlig unterschiedlichen Arbeitsmethoden, die Anzahl der zu steuernden Mittelquellen und unterschiedlichen Mittelabflüsse etc. angeht. Ab einem bestimmten Punkt erfordern sie eine völlig andere Qualität von Kommunikations- und Managementstrukturen und -mechanismen. Darauf werden die Beteiligten weder in der Literatur oder bei Fortbildungen noch von Beratern oder gar Entscheidern vorbereitet, die dies gar nicht im Blick haben. Die schiere Größe der neuen Organisation mit heute über 630 Mitarbeitenden gegenüber den vorherigen Organisationen mit jeweils zwischen rund 100 und 250 Mitarbeitenden bedeuten einen Quantensprung, der in seinen Dimensionen für ein Werk im Nichtregierungsbereich noch nicht ganz absehbar ist: Wie werden wir unsere Werte der Beteiligung und umfassenden Information im neuen Werk bewahren können? Wie können wir den Raum für Diskurse erhalten gegen einen zunehmenden Druck zur Vereinheitlichung und Verschriftlichung von Vorgängen? Noch ist der Zeitpunkt nicht gekommen, in dem alle Vorteile und ideellen wie finanziellen Synergien dieser Fusion schon sichtbar sein könnten. Noch gibt es durch den Umzug, das Entwickeln und Einspielen neuer IT-Systeme und Verwaltungsabläufe sowie durch den Personalwechsel, der infolge des noch gültigen Sozialplans nicht abgeschlossen ist, Arbeitserschwernisse auf verschiedenen Ebenen, die – auch monetär – negativ zu Buche schlagen. Dies ist jedoch keine negative Überraschung, sondern entspricht allen Erfahrungswerten zu Fusionen und unseren Erwartungen. Bis das neue Werk völlig eingespielt ist, werden sicher noch ein bis zwei weitere Jahre ins Land gehen müssen. Erst ab dann kann eine echte Bilanz dieses Fusionsvorhabens gezogen werden. Dass es Zeit braucht, bis organisatorische Veränderungen Synergien erzielen, gilt selbstredend nicht nur für Leistungssynergien und die ideellen Synergien, sondern auch für die Kostensynergien. Ferner sollte bedacht werden, dass wahrscheinlich bis zum heutigen Zeitpunkt noch gar nicht alle bewerkstelligten und denkbaren Synergiebereiche identifiziert wurden. Es werden weitere Bereiche sichtbar, in denen ideelle Synergien oder Kosten- bzw. Leistungssynergien erzielt wurden. Im Bericht des Evangelisches Werkes für Diakonie und Entwicklung über die Synergie der Fusion (2013) wurde erstmalig über die im Zusammenhang mit der Fusion von Diakonischem Werk der EKD e.V. (DWEKD) und Evangelischem Entwicklungsdienst e.V. (EED) erzielten bzw. erzielbaren Synergien berichtet. Darauf wird im Folgenden im Wesentlichen Bezug genommen.
Gemeinsam für Diakonie und Entwicklung
4.1
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Vorteile für die Arbeit von Brot für die Welt
Mit der neuen klaren Struktur, einem Profil und dem eingeführten starken Namen Brot für die Welt wird der Entwicklungsdienst der evangelischen Kirche sichtbarer und erkennbarer. Es ist eine starke Stimme für Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Menschenrechte entstanden: Das neue Werk Brot für die Welt erhöht im Inland das Gewicht der Kirchen in der entwicklungspolitischen Debatte, es leistet einen Beitrag dazu, die Öffentlichkeits-, die Bildungs- und die entwicklungspolitische Lobbyarbeit von Kirche und Diakonie besser zusammenzubringen und erhöht deren Wirkung. Es profiliert das kritische Potenzial des kirchlichen Entwicklungsdienstes im gesellschaftlichen und politischen Diskurs und ist ein starker und zuverlässiger Kooperationspartner für Kirchen und Nichtregierungsorganisationen deutschland-, europa- und weltweit und ist in allen relevanten ökumenischen Netzwerken stark vertreten. Durch seine Partner in nahezu allen Ländern der Erde sind die politischen Positionen erfahrungsbasiert und hat seine Stimme Gewicht. Die Zusammenfassung der internationalen Arbeit von Brot für die Welt und EED erhöht die Wirkung der Partnerarbeit: Unter Nutzung aller verfügbaren Instrumente, der finanziellen und personellen internationalen Förderung, der Inlandsförderung sowie der Inlandsarbeit ist ein durchgängiges System von der humanitären Hilfe bis hin zu langfristigen Entwicklungshilfeprojekten und der Katastrophenprävention entstanden. Dies stärkt die entwicklungspolitische Arbeit in den einzelnen Ländern. Die Vielfalt von Regionen und Partnerländern sichert weltweite Präsenz und bietet zahlreiche Lernerfahrungen – auch für die Partner untereinander. Schon vor der Fusion gemeinsame Partner beider Werke müssen nun nur noch einem Set von Policys, Verfahren, Standards etc. folgen und mit einem Gegenüber kommunizieren. Das reduziert die zeitliche Belastung für die Partner erheblich. Mit der Zusammenfassung der drei Mittelquellen – Kollekten und Spenden, Kirchensteuer (Gemeinschaftsaufgabe KED) und staatliche Mittel – in einer Hand kann angemessener auf die Bedarfe von Zielgruppen und Partnerorganisationen reagiert und die Abhängigkeit von einzelnen Quellen verringert werden.
4.2
Vorteile für die Arbeit von Diakonie Deutschland
Bereits 2004 hatte es einen Teilumzug von Arbeitseinheiten des DWEKD nach Berlin gegeben, um die Präsenz am Sitz der Bundesregierung und des Bundestages sowie die Zusammenarbeit mit den anderen in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zusammenarbeitenden Verbände zu
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verstärken. Damit wurden Voraussetzungen geschaffen, um die Herausforderungen diakonischer Arbeit zielgerichteter gegenüber Regierung, Ministerien und Parlament zu vertreten. Eine Evaluierung der so entstandenen zweigeteilten Struktur des DWEKD regte unter anderem an, die Arbeit an einem Standort zusammenzuführen. Diese Ausgangssituation führte zur Wahl des Standortes Berlin für das neue Werk. Das DWEKD hatte durch die Bildung sozialpolitischer Zentren und die Einführung standardisierter Projektarbeit partizipative und transparente Formen gefunden, um die Landes- und Fachverbände, die Positionen der Kirchen und der diakonischen Basis in seine konzeptionelle und sozialpolitische Arbeit einzubeziehen. Bei den Strukturentwicklungen wurden die guten Erfahrungen der Zusammenarbeit der Landes- und Fachverbände mit den Zentren und in den Projekten weiter entwickelt. Heute gibt es in der Diakonie Deutschland neben anderen Struktureinheiten fünf Zentren: das Zentrum für Familie, Bildung und Engagement, das Zentrum für Gesundheit, Rehabilitation und Pflege, das Zentrum für Migration und Soziales, das Zentrum Kommunikation sowie das Zentrum Recht und Wirtschaft. Für das neue Werk Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband ergeben sich aus dem Zusammenschluss mit dem EED, der neuen Struktur im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung und dem neuen gemeinsamen Standort eine Reihe von Vorteilen. Der Zusammenschluss und die Standortverlagerung bieten die Möglichkeit, die Arbeitsstrukturen und -weisen zu optimieren. Und neben den wichtigen Anpassungen innerhalb von Diakonie Deutschland bietet die gemeinsame Arbeit mit Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst die Möglichkeit, zukünftig im entwicklungs- und sozialpolitischen Bereich enger zusammenzuarbeiten. Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst bringt einen großen Erfahrungsschatz im Zusammenwirken mit den Kirchen in Deutschland und auf internationaler Ebene ein. Auch wirkt sich der Wechsel von Mitarbeitenden zwischen den Bereichen im Hause auf das gemeinsame Verständnis für eine globale Sozialarbeit aus. Nicht zuletzt ist diese Zusammenarbeit ein Motor für ein ökologisch verantwortungsvolles und nachhaltiges Wirtschaften. Das bezieht sich sowohl auf die eigene Arbeit als auch auf die Mitglieder im Verband und die diakonischen Einrichtungen. Darüber hinaus wird das Gewicht der einzelnen Arbeitsbereiche gegenüber der Politik, der Öffentlichkeit und den Kooperations- und Bündnispartnern gestärkt. Die unterschiedlichen Akteure im Werk stellen sich gemeinsam auf eine breitere Basis politischer Kontakte, der Einsatz für politische Ziele wird gebündelt und das neue gemeinsame Werk kann vom Zentrum des politischen Geschehens aus eine höhere Präsenz in den Medien erreichen. Aus einem Werk heraus können gemeinsame Kampagnen effektiver konzipiert und durchgeführt werden.
Gemeinsam für Diakonie und Entwicklung
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Durch die Teilhabe am Fach-Know-how der jeweils anderen Sparten erweitern die Diakonie und der Entwicklungsdienst ihre Blickwinkel: Zu Themen wie häusliche Gewalt, Behindertenhilfe, Straßenkinder, Arbeitslosigkeit oder kulturelle Folgen missionarischer Tätigkeiten kann ein Austausch über die jeweiligen Erfahrungen die diakonische und die Entwicklungsarbeit bereichern. Die neue Struktur der gemeinsamen Organisation mit gemeinsamen Serviceeinheiten ermöglicht effektiveres und effizienteres Arbeiten, als es mit den getrennten Häusern bisher möglich ist.
4.3
Ideelle Synergien
Die Zusammenarbeit von nationaler Diakonie und internationaler Entwicklungszusammenarbeit sowie der humanitären Hilfe unter dem Dach eines gemeinsamen Werkes setzt auch im Blick auf die inhaltliche Kooperation Synergien frei, die eine zukunftsfähige und nachhaltige Aufstellung der Arbeit gewährleisten. In mehrfacher Hinsicht sehen sich diakonisches Handeln und Entwicklungsdienst heute Herausforderungen gegenüber, die vor einem Horizont weltgesellschaftlicher Ereignisse verortet werden müssen. Nationale und internationale Sozialarbeit und -politik werden sich an Konfliktlinien der internationalen Sozialpolitik – wie beispielsweise der Migrations- und Flüchtlingsarbeit sowie der Etablierung globaler Sozialstandards – gegenseitig inhaltlich stärken und gemeinsam die Policy-Entwicklung vorantreiben. Diese Synergie sei beispielhaft an der Entwicklung gemeinsamer »Leitlinien Arbeitsmigration und Entwicklung« (Diakonisches Werk der EKD e. V., 2012) verdeutlicht: Die Leitlinien rücken die Rechte von Migrantinnen und Migranten in den Blickpunkt und beziehen die Belange der Herkunftsländer dabei gleichermaßen mit ein. Der Mangel an Fachkräften stellt zunehmend eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung dar. In Deutschland und anderen europäischen Ländern werden Konzeptionen und Instrumente für die gezielte Anwerbung von Arbeitskräften aus Drittstaaten erwogen. Dies betrifft in besonderem Maße auch den Gesundheitsbereich. Der Zuzug von Ärzten, Pflegepersonal oder anderen Fachkräften aus dem Ausland kann jedoch Engpässe in den Herkunftsländern erzeugen (»Brain Drain«). Es bedarf daher begleitender entwicklungsfördernder Maßnahmen, die diesem durch eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in den betroffenen Berufen begegnen oder Maßnahmen ergreifen, die die Störungen in den Herkunftsländern ausgleichen. Die »Leitlinien Arbeitsmigration und Entwicklung« betreffen daher nicht nur die kirchlich-diakonische Migrations- und Entwicklungsarbeit, sondern auch die Funktion der Diakonie als Arbeitgeberin.
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Mit der Globalisierung der sozialen Frage muss diese heute international bzw. weltgesellschaftlich gedacht und bearbeitet werden, da die Ursachen von Armut, sozialer Disparität und sozialer Exklusion nicht auf den nationalstaatlichen Rahmen beschränkt sind, sondern auf transnationale Trends verweisen. Mit dem Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung wird als großer Player in der Lobbyarbeit für nationale, europäische und internationale Dimensionen der sozialen Frage wahrgenommen. Ein gemeinsamer Arbeitsschwerpunkt besteht in der Begleitung von Aspekten internationaler Sozialpolitik mit dem Ziel, Kompetenzen zu nationaler und internationaler Sozialpolitik zu bündeln, die vonseiten der Politik in Berlin abgerufen werden können. Dazu werden momentan jeweilige fachspezifische Formate des Kompetenztransfers entwickelt – zum Beispiel im Bereich Inklusion. Systemisch betrachtet sind soziale Aufgabenstellungen mit ökologischen Herausforderungen aufs Engste verschränkt. Aus Gründen ökologischer Nachhaltigkeit ist weltweite Gerechtigkeit – im Sinne von Gleichheit – auf dem momentanen Verbrauchsniveau der Industriestaaten nicht zu verwirklichen. Dies wird besonders deutlich an der Tatsache, dass die Hauptleidtragenden der Folgen des Klimawandels gerade die verletzlichsten und ärmsten Bevölkerungsgruppen im Süden des Planeten sind, denen die geringste Verantwortung für die globalen klimaschädlichen Treibhausgasemissionen zukommt. Von einer erfolgreichen Eindämmung nicht mehr beherrschbarer Folgen des Klimawandels – unter anderem durch eine damit verbundene Energiewende – profitieren auch und gerade weniger privilegierte Menschen in den Ländern des globalen Südens. Es ist daher gemeinsames Interesse beider Werke, die Energiewende in Deutschland voranzubringen. Dabei kommt der gerechten sozialen Lastenverteilung besondere Bedeutung zu, auch um zu verhindern, dass soziale Fragen wie »Energiearmut« gegen die Energiewende und den Klimaschutz ins Feld geführt werden. Bei Veranstaltungen und Positionspapieren der Klima-Allianz wie auch im Rahmen der Debatte um universell gültige Ziele für eine nachhaltige Entwicklung nach 2015 (»Post-2015-Agenda«) konnten Diakonie und Brot für die Welt nachdrücklich ihre gleichsinnigen Perspektiven und kongenialen Lösungsansätze für die nationale Frage der Kostenteilung der Energiewende und die internationale Frage der Klimafinanzierung zur Geltung bringen. Die institutionelle Verschmelzung von Inlandsdiakonie und Entwicklungszusammenarbeit ist in dieser Form in Deutschland einzigartig und wird im Kontext einer universellen Post-2015-Agenda zunehmend zum Tragen kommen und an Bedeutung gewinnen. Den Aufruf nach einer gerechten, lebensdienlichen Wirtschaftsweise richtet sich nicht nur an andere, sondern auch an Kirche und Diakonie selbst. Die konsequente Berücksichtigung ökologischer und sozialer Standards in der eigenen Beschaffungspraxis ist ein solcher Schritt des Umsteuerns; und ein Bei-
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161
trag zur eigenen Glaubwürdigkeit. In diesem Sinne trägt auch das neu errichtete Dienstgebäude des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung durch seinen hohen Standard im Bereich der Energieeffizienz und Nachhaltigkeit ebenfalls einen Teil zur Umsetzung dieser Standards bei. Der Neubau wurde gegen Ende Februar 2013 nach Gold-Standard – der höchsten erreichbaren Bewertungsstufe – der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zertifiziert. Gleichfalls wurde das Gebäude im Mai 2013 beim Wettbewerb Klimaschutzpartner Berlin 2013 mit einem Preis in der Kategorie »Anerkennungspreis für herausragende Projekte öffentlicher Einrichtungen« im Rahmen der Berliner Energietage ausgezeichnet. In den globalen Wirtschaftskreisläufen und im täglichen Verhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher spielen umwelt- und sozialpolitische Kriterien nur eine geringe Rolle. In dieser Hinsicht könnten gerade die Kirchen und diakonischen Einrichtungen mit ihrer Einkaufsmacht eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Trendwende für mehr Fairness im internationalen Handel, für die Beachtung sozialer Standards und für die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen anstoßen. Die Beschaffungspolitik des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung erfüllt bereits die Ansprüche an ein ökofaires Beschaffungswesen und möchte damit auch eine Vorbildfunktion einnehmen und die Glaubwürdigkeit des Eintretens von Brot für die Welt und Diakonie Deutschland für ein lebensdienliches und nachhaltiges Wirtschaften unter Beweis stellen. In zahlreichen Einrichtungen der Diakonie und der Kirche ist die Umsetzung ökologischer und sozialer Standards der Beschaffung indes nach wie vor unzureichend, wie die von Brot für die Welt und EED durchgeführte Bestandsaufnahme »Ökofaire Beschaffungspraxis in Kirche und Diakonie. Potenziale, Hemmnisse und Handlungsperspektiven« darlegt. Anknüpfend an diese Erkenntnisse und an Errungenschaften der inzwischen abgeschlossenen Brot-für-die-Welt-Aktion »Fairer Kaffee in die Kirchen« – in deren Verlauf bis Ende 2012 rund 85 Prozent aller landeskirchlichen und landesdiakonischen Verwaltungen auf Kaffee aus Fairem Handel umgestellt haben – sollen nun verstärkt Initiativen zur Multiplizierung des Fairen Handels und einer ökologischen Beschaffungspraxis bis hin zu einer sozial und ökologisch verantwortungsvollen Anlagepolitik in diakonischen und kirchlichen Einrichtungen angestoßen werden. Die enge Zusammenarbeit des Entwicklungswerkes, das einschlägige Expertise zu Fragen des Fairen Handels einbringt, und des Bundesverbandes Diakonie unter einem Dach, birgt ideale Voraussetzungen, um einen solchen Prozess für ein nachhaltiges Wirtschaften in Kirche und Diakonie erfolgreich auf den Weg bringen zu können. Mit einem gemeinsam gestalteten Forum im Rahmen der Konferenz Diakonie und Entwicklung zu ökofairer Beschaffung und zur geplanten Befassung der Fachverbandskonferenz mit diesen Fragen sind weitere Schritte dazu eingeleitet.
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Cornelia Füllkrug-Weitzel
Finanzielle Synergien
Vorbemerkend ist darauf hinzuweisen, dass bei der Berichterstattung über erzielte finanzielle Synergien nicht alle Unterschiede zwischen Referenzjahren vor der Fusion (als letztes Jahr, was von konkreten Fusionsvorbereitungen nicht betroffen war, kann das Jahr 2007 herangezogen werden) und heute als reine Fusionsfolgen bewertet werden können. Dafür haben sich in den dazwischen liegenden sechs Jahren zu viele andere Veränderungen abgespielt, die teilweise die Ergebnisse neutralisiert, teilweise verstärkt haben. An solchen Veränderungen sind nur beispielhaft einige zu nennen: Konsolidierung Diakonie Deutschland mit der entsprechenden Aufgabenkritik, Erhöhung des Bewilligungsvolumens im Entwicklungswerk, neue und erhöhte Anforderungen an Wirkungsbeobachtung, Rechnungslegung und Verwendungsnachweise im Projektbereich des Entwicklungswerkes, allgemeine Gehalts- und Preissteigerungen etc. Im November 2008 hat der Vorstand das finanzielle Synergiepotenzial infolge des Zusammenschlusses von DWEKD und EED mit rund 1,6 Mio. Euro pro Jahr an Personal- und Sachkosten sowie 2,0 Mio. Euro pro Jahr durch die verbesserte Projektarbeit perspektivisch beziffert. Aber schon damals war eingeplant, was sich heute als richtig bestätigt: Diese Synergien können – wenn alle Planungen greifen – frühestens mittelfristig, das heißt drei bis fünf Jahre nach erfolgter Fusion und Betriebsstättenverlagerung greifen. Die finanziellen Synergien werden folglich erst in den Jahren ab 2016 vollständig erreicht sein. Dann ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich zeigt, ob der Vorstand seine finanziellen Planungen vollständig umsetzen konnte. Zum jetzigen Zeitpunkt scheinen sich jedoch trotz der verschiedenen oben genannten Einschränkungen finanzielle Synergien schon über das geplante Maß hinaus abzuzeichnen. Die Synergien im Bereich der Personal- und Sachkosten sind höher als erwartet, die Synergien aus verbesserter Programmarbeit bleiben derzeit noch hinter den Planungen zurück. Insgesamt werden derzeit finanzielle Synergien von circa 4,6 Mio. pro Jahr erwartet; das sind 1,0 Mio. Euro oder 28 Prozent mehr, als 2008 als Grundlage für die weitere Arbeit angenommen wurden. Schon gehoben ist davon derzeit ein Anteil von über 50 Prozent.
5.
Nachbemerkungen
Wiewohl noch viele Prozesse nicht ganz eingespielt sind und vieles zu tun bleibt, zeichnet sich doch schon ab, wie groß das Potenzial des neuen Werkes ist und welche Bedeutung es im nationalen und internationalen Kontext und Konzert der kirchlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen mit seiner bisher
Gemeinsam für Diakonie und Entwicklung
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einmaligen Aufstellung wird spielen können, wenn die Aufsichtsgremien und Führungskräfte dieses Potenzial zielgerichtet und umsichtig entfalten und die Kinderkrankheiten des neuen Werkes planvoll nacheinander hinter sich lassen. Darauf darf man sich freuen! Organisationen sind wie Organismen: Sie verfügen über eine unbeschreibliche Robustheit und eine unfassbare Selbstheilungskompetenz. Fehler in der planerischen Antizipation und in der Durchführung werden weggesteckt, abgemildert oder gar zum Guten gewendet. Dennoch werden bei der Auswertung eines Organisationsveränderungsprozesses auch Fehler und Mängel erkennbar, aus denen gelernt werden kann. Ich hoffe, dass andere aus den dargestellten Erkenntnissen Gewinn ziehen können – wenn er auch immer begrenzt sein wird und muss. Keine Fusion verläuft unter den gleichen Bedingungen und auch angelesenes und in Kursen erlerntes Wissen zum Change Management – so jedenfalls meine Erfahrung – kann in der je spezifischen Praxis immer nur teilweise umgesetzt werden. Schließlich hängt jede Veränderung an den involvierten Persönlichkeiten und an deren Veränderungspotenzialen und -willen. Die Veränderungsbereitschaft und die gezielte Arbeit an sich selbst vor allem auf der Aufsichts- und den oberen Führungsebenen ist ein Schlüsselfaktor des Erfolges. Der Erfolg dieser Bemühungen lässt sich schlecht vorhersagen, der Wille dazu aber muss den beschlussfassenden Gremien und dem Führungspersonal von Beginn an ein Anliegen sein.
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Cornelia Füllkrug-Weitzel
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Christoph Meyns
Kirche in Zeiten des Umbruchs: Rückbauprozesse in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche
Im Rahmen binnenkirchlicher Diskurse werden die Herausforderungen, vor denen die evangelische Kirche gegenwärtig steht, gerne mit dem Wort Kirchenreform umschrieben. Dabei handelt es sich allerdings um einen Euphemismus. Denn blickt man auf das, was Kirchengemeinden, Kirchenkreise, Landeskirchen, gesamtdeutsche Zusammenschlüsse, übergemeindliche Einrichtungen und Verwaltungsämter seit gut zwanzig Jahren praktisch erleben, wird man nicht von einer Reform, sondern von einem Rückbau der kirchlichen Arbeit sprechen müssen. Die folgenden Ausführungen geben einen Einblick in die damit verbundenen Kürzungs-, Reorganisations- und Neuorientierungsprozesse am Beispiel der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche (NEK) von 1993 bis zu ihrem Aufgehen in der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) im Mai 2012. Den Auslöser für Abbau und Umbau von Körperschaften und Arbeitsfeldern bildeten wie überall die zurückgehenden Kirchensteuereinnahmen. So stieg das Kirchensteuernettoaufkommen der NEK zwar von 1990 bis 1992 zunächst von rund 309 Mio. Euro auf 380 Mio. Euro, schrumpfte dann jedoch bis 2004 auf 273 Mio. Euro. Das bedeutet gegenüber 1990 inflationsbereinigt einen Rückgang um 32,7 Prozent, gegenüber 1992 einen um 41 Prozent. Bis 2008 kletterte das Aufkommen auf fast 380 Mio. Euro, um in den Jahren bis 2011 erneut auf 356 Mio. Euro zu sinken. Damit lagen die Einnahmen der NEK im letzten Jahr ihres Bestehens real noch etwa 22,3 Prozent unter denen von 1990 und 31,9 Prozent unter denen von 1992. Die Ursachen für diese dramatische Entwicklung sind in der staatlichen Steuer- und Wirtschaftspolitik zu suchen. Zum einen lösten die Einführung des Solidaritätszuschlags 1991 und seine Wiedereinführung 1995 Kirchenaustrittswellen mit erheblichen Auswirkungen auf die Finanzen der Kirchen aus. Zum anderen zielte die Regierung Schröder mit der Absenkung der Unternehmenssteuersätze ab 1999 zwar auf eine Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Das führte allerdings aufgrund des mit ihnen gesetzlich gekoppelten Spitzensteuersatzes in der Einkommensteuer nicht nur zu einer Unterfinan-
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Christoph Meyns
zierung öffentlicher Haushalte, sondern indirekt auch zu enormen Einbrüchen bei der Kirchensteuer, die erst aufgefangen werden konnten, als die Regierung Merkel 2007 den Spitzensteuersatz wieder anhob (Stichwort »Reichensteuer«, zum Ganzen vgl. Ganghoff, 2007).
1.
Phase der Kürzungsmaßnahmen
Das Kirchensteueraufkommen, die davon finanzierten Personalstellen, Gebäude und Sachmittel, die Aufbau- und Ablauforganisation, die dadurch verwirklichten inhaltlichen Anliegen sowie das ihnen zugrunde liegende Verständnis von Wesen und Auftrag der Kirche bilden einen aufeinander bezogenen Gesamtzusammenhang. Als die Kirchensteuereinnahmen einbrachen, gerieten alle diese Dimensionen des kirchlichen Lebens nacheinander ins Wanken. Bis Ende der 1990er Jahre kürzten Körperschaften und Einrichtungen auf dem Gebiet der NEK in einem ersten Stadium die Haushaltsansätze für Sachmittel und Gebäudeunterhaltungsmaßnahmen, schafften Zulagen ab, führten Vakanzen ein, bauten Personalstunden ab, passten die Arbeitsabläufe dem nach den Kürzungen noch möglichen Maß an und verkauften Gebäude. Auf Ebene der Kirchengemeinden gingen auf diese Weise zwischen 1993 und 2007 10 Prozent der Pfarrstellen und 32 Prozent der Kirchenmusikerstellen verloren. Die Stellen anderer Berufsgruppen (Diakone, Küster, Sekretärinnen, Reinigungskräfte, Landschaftsgärtner usw.) werden statistisch nicht erfasst, dürften aber zu mehr als 50 Prozent weggefallen sein. Dazu zwei Beispiele (vgl. Meyns, 2013: 23 – 25): Im Jahr 2001 kürzte die Kirchenkreissynode die Pfarrstelle einer Kirchengemeinde im ländlichen Schleswig-Holstein aus Geldmangel zunächst auf 75 Prozent, 2010 auf 50 Prozent. Mit den übrigen Stellenanteilen nimmt der Pfarrstelleninhaber Aufgaben in den ebenfalls von Pfarrstellenkürzungen betroffenen Nachbargemeinden wahr. 2003 strich der Kirchenkreis darüber hinaus die Kirchensteuerzuweisung an alle Kirchengemeinden um 25 Prozent. Die Sachkosten machen einen so geringen Anteil des Haushalts aus, dass in diesem Bereich kaum Einsparungen zu erzielen sind. Daher sah sich der Kirchenvorstand zu Personalstundenkürzungen gezwungen, denn sonstige Einnahmen wie Mieten, Pachten, Kirchgeld, Spenden und Kollekten decken die Ausgaben nur zu etwa 15 Prozent. Er traf die Entscheidung, die Stelle des Küsters und die des Kirchenmusikers um je ein Drittel zu kürzen, die des Landschaftsgärtners ganz zu streichen, die nötige Pflege der Grundstücke auf Honorarbasis zu vergeben und die Trägerschaft von Friedhof und Kindertagesstätte zur Entlastung des Pfarrers auf Kirchengemeindeverbände zu übertragen. Die Anzahl der Gottesdienste wurde zunächst
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auf drei, später auf zwei Sonntage im Monat reduziert. Für die Erledigung der Verwaltungsarbeiten konnte eine ehrenamtliche Kraft gewonnen werden. Ein zweites Beispiel: Zwischen 1978 und 1998 nahm die Zahl der Gemeindeglieder von vier Gemeinden eines großstädtischen Stadtteils durch Kirchenaustritte und demografische Veränderungen von 38 000 auf 17 000 ab. Aber erst aufgrund der sinkenden Kirchensteuereinnahmen kam es 1998 zur Fusion. 2005 entschied der Kirchenvorstand, eine der vier Kirchen zu verkaufen. Sie befindet sich heute in Privatbesitz und dient als Event-Location und Caf¦. Darüber hinaus erwarb ein privater Investor eines der Gemeindehäuser und bebaute das Grundstück mit Eigentumswohnungen. Die durch den Verkauf eingenommenen Gelder flossen in die Bauerhaltung von zwei der verbliebenen Kirchen, den Umbau der dritten in eine Kindertagesstätte sowie in den Neubau eines Pastorats, das neben der Dienstwohnung Gewerbeflächen und Mietwohnungen vorsieht. Um zusätzliche Erträge zu generieren, vermietet die Kirchengemeinde ihre Kirchen- und Gemeinderäume für Parteitage, Kongresse, Fortbildungsveranstaltungen usw. Von den acht Pfarrstellen im Jahr 2003 sind in diesem Jahr noch fünfeinhalb übrig, von den drei Kirchenmusikerstellen eineinhalb, die Sekretärinnen- und Küsterstellen wurden halbiert. Die beiden Beispiele geben einen Einblick in die Situation der Ortsgemeinden in Nordelbien, den hohen Anteil an Personal- und Gebäudekosten sowie die Abhängigkeit von Entscheidungen übergemeindlicher Ebenen zu Personal- und Kirchensteuerzuweisungen sowie Bedarfszuschüssen. Eigene Einnahmen aus Pachten, Mieten, Stiftungen, lokalen Kirchensteuern oder Spenden sind vorhanden, decken in der Regel aber nur einen kleinen Teil der Ausgaben. Spielräume für Effizienzgewinne bestehen daher kaum. Sinkende Kirchensteuereinnahmen können in den meisten Gemeinden nur durch den Rückbau von Personalstellen und den Verkauf von Kirchengebäuden, Gemeindehäusern und Pastoraten ausgeglichen werden. Parallel zur Entwicklung in den Kirchengemeinden sahen sich auch Kirchenkreise und Landeskirche zu Kürzungsmaßnahmen gezwungen. So sank die Zahl der pröpstlichen Stellen von dreißig auf achtundzwanzig und die der Regionalbischöfe von drei auf zwei. Die überwiegend kirchensteuerfinanzierten Einrichtungen in landeskirchlicher Trägerschaft mussten Ausgabenkürzungen von bis zu einem Drittel verkraften. Der nach den Kürzungswellen übrig gebliebene Bestand wurde auf wenige Standorte konzentriert, die nicht mehr benötigten Gebäude einschließlich des altehrwürdigen Predigerseminars in Preetz und der Evangelischen Akademie in Bad Segeberg und Hamburg (!) verkauft. Die Vikarsgruppen treffen sich seitdem – verbunden mit einer starken Kürzung der Vikariatsplätze – in den Räumen des Pastoralkollegs in Ratzeburg, die Ausbildung für Diakoninnen und Diakone beschränkt sich auf die Evangelische Hochschule am Rauhen Haus.
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Nur die kirchlichen Verwaltungsämter sind bisher noch nicht im gleichen Ausmaß von Personalkürzungen betroffen. Die Fusion der Kirchenkreisverwaltungsämter und der drei Landeskirchenämter verursacht im Gegenteil erhebliche Kosten für den Neu- und Umbau von Gebäuden. Hier wird man die weitere Entwicklung abwarten müssen.
2.
Phase der Reorganisation
Das erneute Absinken des Kirchensteueraufkommens nach 1999 erzwang über das bisherige Maß an Veränderungen hinaus eine Anpassung der Organisationsstrukturen. Am wenigsten veränderte sich dabei auf Ebene der Ortsgemeinden. Die meisten von ihnen bestehen bis heute in alter Form, arbeiten jedoch verstärkt regional zusammen. Sie koordinieren ihre Gottesdienste, teilen sich Pastorinnen, Diakone, Kirchenmusikerinnen und Küster, betreiben ein gemeinsames Kirchenbüro oder gründen Verbände als Träger von Kindertagesstätten und Friedhöfen. In einigen Fällen hat die Kirchenkreisebene die Trägerschaft von Personalstellen und Einrichtungen übernommen. Nur ein knappes Viertel entschied sich darüber hinausgehend zum Zusammenschluss. Die Entwicklung ist allerdings noch nicht abgeschlossen. Eine ganze Reihe von Kirchengemeinden hat sich mit der Hoffnung auf bessere Zeiten in den letzten zehn Jahren finanziell »durchgewurschtelt«, typischerweise durch den Rückgriff auf Rücklagen oder die Aufschiebung von Bauunterhaltungsmaßnahmen. Damit werden die Probleme indes nur in die Zukunft verschoben, sodass mit weiteren Fusionen zu rechnen ist. Daneben veränderte der nordelbische Reformprozess von 2003 bis 2009 die Organisations- und Leitungsstrukturen der landeskirchlichen Ebene und die der Kirchenkreise in umfassender Weise. Er zielte darauf, die mit den Diensten und Werken verbundenen inhaltlichen Anliegen trotz sinkender Ressourcen so weit wie möglich zu erhalten. Um die dafür notwendigen Synergie- und Effizienzgewinne zu erzielen, schuf man größere Organisationseinheiten mit eigener Leitungsebene und stärkte die horizontale und vertikale Verknüpfung von Arbeitsfeldern. Zunächst war vorgesehen, alle Dienste und Werke gemeinsam in fünf Regionalzentren zusammenzufassen. Diese Idee scheiterte jedoch an verfassungsrechtlichen Bedenken einer Vermischung von Zuständigkeiten. Deshalb priorisierte die nordelbische Ebene die nach den Kürzungsmaßnahmen übrig gebliebenen landeskirchlichen Einrichtungen im Alleingang und bündelte sie in sieben Fachabteilungen, die sogenannten »Hauptbereiche kirchlicher Arbeit«, um so Kommunikation und Koordination zwischen verschiedenen Arbeitsbe-
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reichen zu stärken. Eine regelmäßig tagende »Gesamtkonferenz der Hauptbereichsleitungen« koordiniert die Aktivitäten der Hauptbereiche untereinander. Daneben sollten mit der Fusion von 27 zu nur noch 11 Kirchenkreisen Körperschaften geschaffen werden, die aufgrund ihrer Größe geeignet wären, die Existenz funktionaler Dienste zu gewährleisten. Nach einem dreijährigen Beteiligungsprozess entschied die nordelbische Synode 2006 über die Kirchenkreiszuschnitte und die Anzahl der pröpstlichen Stellen pro Kirchenkreis. Danach hatten die Fusionspartner bis zum Inkrafttreten der Regelung drei Jahre Zeit, um die im Zusammenhang der Fusion auftretenden Fragen zu lösen. Die Verhandlungen gestalteten sich naturgemäß schwierig. Zu Konflikten kam es meist bei Themen wie der Namensgebung des neuen Kirchenkreises, dem Standort von Verwaltungsämtern und Einrichtungen sowie dem Umgang mit durch den Zusammenschluss überflüssig gewordenen Leitungskräften. Die Dienste und Werke wurden in sogenannten »Regionalzentren« zusammengefasst. Sechs von ihnen sind derzeit arbeitsfähig, zwei sind bis heute über das Stadium des Aufbaus nicht hinaus gekommen. Zwei Kirchenkreise lösten ein gemeinsam betriebenes Regionalzentrum nach einer Probezeit wieder auf und leiten seitdem ihre Einrichtungen und Beauftragungen in direkter pröpstlicher Verantwortung. Ein weiterer Kirchenkreis muss nach einem organisatorischen Fehlstart bei der Neuordnung seiner Dienste und Werke von vorne anfangen. Zunächst war daran gedacht, die Verknüpfung zwischen Landeskirche und Kirchenkreisen auf der Grundlage von Kontrakten zu regeln. Der dafür notwendige Verwaltungsaufwand erwies sich indes als zu groß, sodass die ebenenübergreifende Zusammenarbeit derzeit überwiegend informell erfolgt. Vier Jahre nach ihrer Gründung haben sich die neuen Kirchenkreise inzwischen einigermaßen konsolidiert, kämpfen teilweise jedoch noch mit Schwierigkeiten. Denn nach dem rechtlichen Zusammengehen gilt es, Abläufe, Führungsstile und Mentalitäten aufeinander abzustimmen, ein Prozess, der Zeit braucht. Darüber hinaus erschwert eine Art Inventureffekt Fortschritte beim inneren Zusammenwachsen. Fusionsbedingt treten unklare Vermögensverhältnisse, verdeckte Schulden, ungelöste Personalprobleme, schlecht bewirtschaftete Liegenschaften und andere, zum Teil seit Jahrzehnten verschleppte Probleme deutlich zutage und müssen bewältigt werden. Diese Herausforderung kostet zusätzlich Kraft. Gleichzeitig mit der Schaffung größerer Organisationseinheiten kam es im Laufe des Nordelbischen Reformprozesses zu einer Straffung der Leitungsstrukturen. Nach über dreißig Jahren mit einem Kollegium von drei gleichberechtigten bischöflichen Personen wurde 2009 das Amt einer Landesbischöfin/ eines Landesbischofs geschaffen, allerdings erst im Zuge der Gründung der Nordkirche besetzt. Das Ziel, eine dem pröpstlichen Amt untergeordnete zweite Leitungsinstanz zu schaffen, um die Einheit der Repräsentanz des Kirchen-
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kreises durch eine geistliche Person zu sichern, scheiterte jedoch an den Bedenken der nordelbischen Synode vor zu viel Hierarchisierung. Im Ergebnis nehmen deshalb in neun von elf Kirchenkreisen zwischen zwei und sieben Pröpstinnen und Pröpste die geistliche Leitung gemeinsam wahr. Dabei hat sich die Gestaltung des kollegialen Miteinanders (»Vom Patriarchen zum Teamplayer«) als lohnende, aber anspruchsvolle und zeitraubende Angelegenheit herausgestellt. Außerdem präzisierte eine Projektgruppe die Aufgaben des bischöflichen und des pröpstlichen Amtes, was zur Neufassung der entsprechenden Kirchengesetze führte. Auch die Hauptbereiche kirchlicher Arbeit und die Regionalzentren wurden mit einer eigenen Leitungsebene ausgestattet. Für die landeskirchliche Ebene stellte sich insofern eine zusätzliche Herausforderung, als dass mitten in die Umsetzung der Reformen 2008 der Beschluss zur Gründung der Nordkirche fiel. Damit sahen sich kirchenleitende Gremien, Kirchenamt und Hauptbereiche mit zwei einander überlappenden Veränderungsprozessen konfrontiert. Derzeit müssen sich ein neues Bischofskollegium, eine neue Kirchenleitung, eine neue Synode, ein umstrukturiertes Kirchenamt und sieben um Einrichtungen aus Mecklenburg und Pommern erweiterte Hauptbereiche sowohl intern finden als auch ihre Rollen im Miteinander neu klären, ein mühsamer Prozess, der vermutlich den größten Teil der gegenwärtigen Legislaturperiode in Anspruch nehmen wird.
3.
Neuorientierung
Als dritte Dimension des Rückbaus nach Kürzungen und Reorganisation steht auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens eine inhaltliche Neuorientierung an: Welche Anliegen, Aufgaben und Ziele sollen mit welcher Gewichtung mit den verbliebenen Ressourcen in den neu geschaffenen Strukturen verwirklicht werden? Welches Verständnis von Wesen und Auftrag der Kirche ist dabei handlungsleitend? Am weitesten sind in dieser Hinsicht die großen Werkezentren der beiden Hamburger Kirchenkreise. Die Metropolsituation mit einer Vielzahl von Konkurrenten in den Bereichen Bildung und Diakonie zwingt sie, sich profiliert zu positionieren und eng miteinander zu kooperieren. Auch die landeskirchlichen Dienste und Werke haben mit der Einführung eines zielorientierten Planungsverfahrens begonnen, das dazu dient, Prioritäten neu zu bestimmen. Die überwiegend kirchensteuerfinanzierten Einrichtungen der neun Kirchenkreise in Schleswig-Holstein sind dagegen teilweise noch mit dem Einleben in die neue Aufbauorganisation beschäftigt. Hier suchen Leitungskräfte erst in jüngster Zeit nach für ihren Kontext geeigneten strukturierten Verfahren zur Klärung von Themen, Aufgaben und Zielen.
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Die Situation in den fast 600 Kirchengemeinden auf dem Gebiet der ehemaligen NEK ist unübersichtlich. Einige Kirchengemeinderäte schrecken vor Prioritätensetzungen trotz geringerer Ressourcen zurück, mit der Folge, dass es zur Überlastung der vor Ort tätigen Pfarrerinnen/Pfarrer, haupt-, neben- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden kommt. Die meisten finden pragmatische Lösungen. Nur wenige priorisieren bewusst ihre Arbeitsfelder oder setzen sich mit der Frage auseinander, wie sie an ihrem Ort Kirche sein wollen.
4.
Trauerprozesse
Neben den sachlichen Problemen spielt die Ebene unterschwelliger Themen und emotionaler Dynamiken eine nicht zu unterschätzender Rolle für Verlauf und Ergebnisse von Veränderungsprozessen (vgl. Janta, 2000). So fassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche fünfzehn Jahre Strukturveränderungsprozesse auf einer Auswertungsveranstaltung mit dem Begriff des Bedeutungsverlustes zusammen (vgl. Kirchenleitung der NEK, 2009: 65). Das umfasste sowohl die abnehmende Bedeutung der Institution Kirche für das persönliche Leben von Menschen und das gesellschaftliche Zusammenleben als auch den binnenkirchlichen Bedeutungsverlust von teilweise jahrhundertealten Gebäuden, Körperschaften, Arbeitsfeldern, Personalstellen und den damit verbundenen inhaltlichen Anliegen und Leitbildern kirchlicher Arbeit. Der Bedeutungsverlust löst Trauer aus, und in der Bewältigung dieser Trauer besteht die eigentliche Herausforderung. Erfahrungen bei der Begleitung von Leitungsinstanzen in Kirchengemeinden, Kirchenkreisen, Landeskirchen, Einrichtungen und Verwaltungsämtern zeigen, dass es dabei zu Entwicklungen kommt, die den in der Kasualpraxis zu beobachtenden Trauerprozessen nicht unähnlich sind (vgl. Hay, 1992; Schneider, 2000). Nach einer ersten Phase der Lähmung und des Schocks darüber, dass umfassende Veränderungen anstehen, wird in einer zweiten Phase die Realität verleugnet: Leitungsgremien versuchen, mit allen Mitteln schmerzhafte Anpassungsmaßnahmen zu vermeiden. Nach und nach setzt sich drittens die kognitive Einsicht durch, dass die Situation akzeptiert und gestaltet werden muss. Aber erst wenn dem viertens auch das emotionale Begreifen folgt, dass es nie wieder so sein wird wie früher, beginnen die betroffenen Körperschaften, Abschied vom Alten zu nehmen und die Brücke zum Neuen hinein in eine unsichere Zukunft zu überschreiten. Es schließt sich fünftens eine Phase des Ausprobierens verschiedener Lösungsmöglichkeiten an, bevor sechstens die Entscheidung für einen bestimmten Weg erfolgt und siebtens die Veränderungen nach den Umsetzungsprozessen im alltäglichen Handeln einer Organisation integriert sind.
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Dabei verläuft die Entwicklung nicht gradlinig, sondern in Schleifen. Typischerweise schwanken Führungsebenen lange zwischen der intellektuellen Einsicht, dass ein Rückbau unvermeidlich ist, und dem Glauben, es komme doch nicht so schlimm wie befürchtet. Sie vermeiden das emotionale Ankommen, verharren in einer Haltung der Realitätsverweigerung und verweigern bis hin zur Handlungsunfähigkeit praktische Maßnahmen. Die nordelbische Kirche hat die Auswirkungen einer derartigen Blockade schmerzhaft am Beispiel der Evangelischen Akademie erfahren müssen. Statt die Handlungsspielräume realistisch einzuschätzen, wichen die Verantwortlichen schwierigen Standort- und Personalkürzungsentscheidungen aus und legten der Kirchenleitung stattdessen einen (im Rückblick betrachtet unrealistischen) Plan zur Generierung neuer Einnahmen vor. Am Ende produzierte die Akademie ein zusätzliches Defizit in einer Höhe, die den Verkauf aller Gebäude, die Entlassung aller Mitarbeitenden und einen kompletten Neustart der Akademiearbeit ohne eigene Standorte notwendig machte. Die Dinge verkomplizieren sich zusätzlich dadurch, dass sich Betroffene in unterschiedlichen Phasen befinden. So mag eine Pfarrerin die Lage schon voll akzeptiert haben und im Stillen an Lösungen arbeiten, während der Kirchengemeinderat sich zwar intellektuell, aber noch nicht emotional der Situation gestellt hat und die Mehrheit der Gemeindeglieder die Notwendigkeit für Veränderungen nicht sehen. Kirchlichen Führungskräften kommt dabei die herausfordernde Aufgabe zu, den ihnen anvertrauten Menschen bei der Bewältigung der Trauer behilflich zu sein, die sie selbst in gleicher Weise betrifft.
5.
Ausblick
Inzwischen ist die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche Geschichte und an ihre Stelle die Nordkirche getreten. Angesichts eines jährlich um einen Prozentpunkt sinkenden Anteils der Kirchenmitglieder an der Wohnbevölkerung (ausgehend von derzeit 53,7 % in Schleswig-Holstein, 33,6 % in Hamburg und 17,5 % in Mecklenburg-Vorpommern, Quelle: Zensus 2011) und des damit einhergehenden allmählichen Verblassens christlicher Überzeugungen und Praktiken verliert das gewachsene volkskirchliche Selbstverständnis, die von breiten Bevölkerungskreisen getragene Repräsentantin einer lebens- und weltanschaulichen Mehrheitsposition zu sein, zunehmend an Plausibilität. Zudem ist die sich aus diesem Identitätskonzept ergebende flächendeckende ortsgemeindliche Präsenz in Verbindung mit einem ausgeprägten übergemeindlichen sozialethischen und ökumenischen Engagement schlicht nicht mehr bezahlbar. Welche Vorstellung von Wesen und Auftrag der Kirche und ihrer sozialen Funktion stattdessen tragfähig und angemessen sein könnte, ist indes unklar.
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Noch sind Gremien und Führungskräfte auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens der Nordkirche damit beschäftigt, neben der alltäglichen Arbeit (!) die Folgen der angestoßenen strukturellen Veränderungsprozesse zu bewältigen. Ein Ende September in Schwerin veranstalteter Kongress unter dem Titel »Aufbruch im Norden. Kirche und Gesellschaft im Dialog« bot zum ersten Mal einen Diskursraum, in dem die unterschiedlichen Traditionen der drei Landeskirchen miteinander ins Gespräch kamen, bewegte sich dabei allerdings in den alten Bahnen volkskirchlicher Leitbilder. Weitere Schritte sind daher nötig. Die Leitungsinstanzen der Nordkirche werden sich in den kommenden Jahren immer wieder mit Fragen der Identität, Ausrichtung und Position von Kirchengemeinden, Kirchenkreisen und Landeskirche auseinandersetzen müssen. Gewachsene nordelbische Konzepte wie die von Ortsgemeinden und Diensten und Werken als den zwei Säulen der kirchlichen Arbeit oder das Kriterium der »inneren Ökumenizität« (vgl. Kirchenleitung der NEK, 2004) für die Gestaltung von Strukturen können zu der anstehenden inhaltlich-theologischen Debatte nur wenig beitragen, denn sie sind zu formal und zu stark aus der Perspektive übergemeindlicher Ebenen heraus gedacht. Auch das Impulspapier der EKD »Kirche der Freiheit« (vgl. Kirchenamt der EKD, 2006) bietet in dieser Hinsicht keine Hilfen. Es beschreibt zwar die Probleme, hat durch seine klare Positionierung den binnenkirchlichen Reformdiskurs produktiv irritiert und dadurch neue kirchentheoretische Forschungsbemühungen ausgelöst, orientiert sich jedoch mit seinen Zielen (»Wachsen gegen den Trend«) nach wie vor an den alten Idealen einer Mehrheitskirche, ist insofern noch gefangen in der Phase der Realitätsverweigerung und führt zu Selbstüberforderung und Resignation (vgl. Karle, 2007: 339). Dagegen führen systemtheoretisch fundierte Ansätze weiter. Sie fördern eine differenzierte Sichtweise, die die religiöse, interaktionale und organisatorische Dimension des kirchlichen Lebens in ihrer jeweiligen Eigenlogik und ihrem synergetischen Zusammenwirken in den Blick zu nehmen und von da aus angemessene Leitungsinterventionen zu entwickeln erlaubt (vgl. Luhmann, 1972; Gabriel, 1999; Stöber, 2005; Karle, 2008; Reuter 2009). Auf der Ebene religiöser Kommunikation kommt so etwa in den Fokus, wie wichtig die regelmäßige Unterbrechung des Alltags durch Zeiten der Stille und der Besinnung unter Aufnahme biblischer Bilder und Geschichten ist. Sie helfen dabei, angesichts diffuser Grenzen zur gesellschaftlichen Umwelt die eigene Identität zu stärken, und erlauben, Gefühle der Trauer, Bedeutungslosigkeit und Fremdheit wahrzunehmen, zu verarbeiten, sich von unrealistischen Selbstbildern zu trennen und eine längere Phase der Unsicherheit zu ertragen. Denn Neues kann nur entstehen, wenn Altes losgelassen wird, Altes aber muss verabschiedet werden, bevor man weiß, wie das Neue aussehen wird und wie tragfähig es ist. So enthalten zum Beispiel die Seligpreisungen (Mt 5,3 – 12), das
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Gleichnis vom vielerlei Acker (Mk 4,2 – 9 par) oder die Erzählung von der Wanderung des Volkes Israel durch die Wüste (Ex 12 ff.) Anregungen zum Umgang mit Erfahrungen von Anfechtung, Erfolglosigkeit und Ungewissheit. Nur so ist es möglich, weder in Resignation noch in Aktivismus zu verfallen, sondern inmitten der derzeitigen sachlichen und emotionalen Herausforderungen eine Haltung gelassenen Engagements zu entwickeln und zu bewahren. Hier mit gutem Beispiel voranzugehen, darin besteht aus meiner Sicht die wichtigste geistliche Leitungsaufgabe von Pfarrerinnen/Pfarrern und leitenden Geistlichen. Auf der Interaktionsebene steht meines Erachtens die Erarbeitung von Strategien an, um die in der evangelischen Kirche weitverbreitete Tendenz zur Selbstabwertung zu durchbrechen (vgl. Gössler u. Schweinschwaller, 2008: 52 – 54), ein Phänomen, das sich bis in nachreformatorische Zeiten zurückverfolgen lässt (vgl. Sträter, 1995). Kirchengemeinden und übergemeindliche Einrichtungen sehen eher auf das, was nicht funktioniert, als auf ihre Erfolge, mehr auf ihre Fehler als auf ihre Schätze. So sehr darin die Chance zum kontinuierlichen Lernen liegt, so sehr behindert doch die dadurch ausgelöste depressive Grundstimmung die Entwicklung einer gesunden Aggressivität gegenüber den Abwertungen, die die Kirche gegenwärtig durch ihre Umwelt erfährt. Im Blick auf die organisatorische Dimension des kirchlichen Lebens gilt es meiner Meinung nach, eine gute Balance zwischen Freiheit und Verbindlichkeit, kreativem Chaos und klarer Planung zu finden. Zudem müssen übergemeindliche Leitungs- und Verwaltungsebenen konsequent als Dienstleister ausgerichtet werden, die Kirchengemeinden nicht immer mehr Funktionen abnehmen, sondern sie dabei unterstützen, ihre Aufgaben auch mit weniger bezahltem Personal und Geld vor Ort zu erfüllen.
6.
Fazit
Zusammenfassend betrachtet handelt es sich bei den beschriebenen Veränderungen auf dem Gebiet der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche in den vergangenen zwanzig Jahren nicht um eine Reform, sondern um einen schmerzhaften ökonomischen Anpassungsprozess. Er hat Leitungsinstanzen bis an den Rand des Zumutbaren und darüber hinaus belastet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten sich in neue Abläufe, Strukturen und Rollenerwartungen einfinden, weite Anfahrtswege und finanzielle Einbußen hinnehmen, wenn sie nicht sogar ihren Arbeitsplatz verloren. Für den nach den Kürzungen übrig gebliebenen institutionellen Restbestand fand man zumeist sinnvolle organisatorische Lösungen. Aber von echten Effizienzgewinnen, in dem Sinne, dass Umfang und Qualität mit geringeren Mitteln
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aufrechterhalten werden, kann keine Rede sein. Das ist aufgrund des personalintensiven, auf die persönliche Begegnung mit Menschen ausgerichteten Charakters der kirchlichen Arbeit auch nicht anders zu erwarten. Eine Kürzung von vier auf drei Pfarrstellen, von zwei auf einen Kirchenmusiker, von drei auf einen Jugendarbeiter oder von zehn auf drei Referenten einer evangelischen Akademie führt selbst bei einer intelligenten Anpassung der Arbeitsstrukturen in jedem Fall zu Einbrüchen bei Reichweite und Wirksamkeit. Auffällig ist, dass die sich in der Entwicklung des Kirchensteueraufkommens zeigende hohe Abhängigkeit des ökonomischen Wohlergehens der Kirchen vom staatlichen Handeln zu keiner Zeit binnenkirchlich diskutiert wurde. Stattdessen beschränkten sich Leitungsinstanzen auf die unmittelbare Bewältigung der Folgen dieser Abhängigkeit oder argumentierten wie das Impulspapier »Kirche der Freiheit« mit seiner Forderung nach einer Qualitätsoffensive zur stärkeren Mitgliederbindung betriebswirtschaftlich. Dabei wäre eine Veränderung der staatskirchenrechtlichen Rahmenbedingungen, etwa mithilfe einer Umstellung der Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer auf das Bruttoeinkommen, durchaus vorstellbar. Sicher hatten Leitungsgremien und Führungskräfte in den vergangenen Jahren mehr als genug mit den durch die zurückgehenden Einnahmen ausgelösten Veränderungsnotwendigkeiten zu tun. Es ist aber an der Zeit, darüber hinausgehend nach Lösungsmöglichkeiten für die den Rückbauprozessen zugrunde liegenden Ursachen zu suchen.
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Christoph Meyns
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Eine Hochschule mit zwei Standorten. Ein Gespräch mit Matthias Benad über die Fusion zur Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel
Im Jahr 2007 fusionierten die beiden kirchlichen Hochschulen Wuppertal und Bethel. Es entstand eine gemeinsame Hochschule mit zwei Standorten. In Wuppertal werden seitdem Studierende in evangelischer Theologie ausgebildet und vor allem auf das Pfarramt vorbereitet. Die evangelische Theologie wird dort in ihrer ganzen Bandbreite vertreten. In der Studieneingangsphase, die meistens mit dem Erlernen der alten Sprachen verbunden ist, sind Schwerpunkte im Fach Missions-/Religionswissenschaft/Ökumenik, in Feministischer Theologie und Christlicher Archäologie möglich. In Bethel arbeitet seit 2008 das Institut für Diakoniewissenschaft und DiakonieManagement (IDM). Das IDM geht zurück auf das von Professor Dr. Alfred Jäger ab 2002 an der Kirchlichen Hochschule Bethel gegründete Diakoniewissenschaftliche Kompetenzzentrum. Professor Jäger hatte von 1981 bis 2007 in Bethel den Lehrstuhl für Systematische Theologie inne. Gründungsdirektor des IDM war von 2008 bis 2013 Udo Krolzik, vor seinem Wechsel an die Hochschule viele Jahre Vorstandssprecher eines großen diakonischen Unternehmens mit Sitz in Bielefeld. Er ist als Emeritus weiterhin Mitglied im Institutskollegium. Matthias Benad, seit 1992 Professor für Neuere Kirchengeschichte in Bethel, war an beiden Initiativen von Anfang an beteiligt. Heute leitet er das IDM und ist in den Kursen unter anderem zuständig für Diakonie- und Sozialgeschichte. Am Institut gibt es zwei weitere Lehrstühle: Für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement – wahrgenommen seit 2013 von Beate Hofmann – sowie für Wirtschaftswissenschaften und Unternehmensethik – besetzt mit Martin Büscher, der seit 2008 dort lehrt. Zum fünfköpfigen Institutskollegium gehört als nebenamtlicher Professor außerdem der Systematiker und Neutestamentler Dierk Starnitzke, Vorstandssprecher des Wittekindshofes, einer Einrichtung für annähernd 2000 Menschen mit geistigen Behinderungen mit Sitz in Bad Oeynhausen-Volmerdingsen. Getragen wird die neue Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel von der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR, 66 %), von der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW, 30 %) und von den v. Bodelschwinghschen Stiftungen
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Bethel (4 %). Einen finanziellen Zuschuss leistet die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD). Mit dem Leiter des Betheler Instituts für Diakoniewissenschaft und DiakonieManagement (IDM), Matthias Benad, führten Stefan Jung und Andr¦ Armbruster am 31. März 2014 ein Gespräch über die Gründe der Fusion, die mit der Verschmelzung verbundenen Befürchtungen und den Prozess des Zusammenwachens. Lieber Herr Benad, wir würden gerne mit den Gründen für die Fusion beginnen. Ein wesentlicher Grund waren finanzielle Probleme der Westfälischen Kirche, ein anderer der Rückgang der Theologiestudierenden in ganz Deutschland. Die EKvW hatte, wie alle westdeutschen Landeskirchen, nach der Wiedervereinigung erhebliche Beträge für die Kirchen im Osten Deutschlands gezahlt. Die Hoffnung, durch weiterhin reichlich fließende Kirchensteuern rasch wieder Mittel zu Verfügung zu haben, die unter anderem für die Übernahme des damals sehr zahlreichen theologischen Nachwuchses in den Pfarrdienst nötig waren, erfüllte sich nicht, weil nach dem Vereinigungsboom das Steueraufkommen zurückging. Die Westfalen sahen sich gezwungen, einen strengen Sparkurs einzuschlagen, es war nicht länger möglich, alle Theologiestudierenden in den Pfarrdienst zu übernehmen. Gleichzeitig standen sie in der Pflicht, langfristig für annähernd die Hälfte der Hochschulfinanzierung in Bethel aufkommen zu müssen. Ende der 1990er Jahre wurden beide Hochschulen in Wuppertal und in Bethel dringend aufgefordert, enger zusammenzuarbeiten, um durch Synergien Einsparungen zu erzielen. Diese Impulse kamen aus beiden Kirchenleitungen und wurden vom rheinischen und vom westfälischen Präses mit großer Dringlichkeit vorgetragen. So kam es zu einer Kooperation auf Anweisung. Die Zusammenarbeit war einseitig, weil Lehrleistungen von Wuppertal nach Bethel exportiert wurden, denn dort wurde mit fast jeder Pensionierung ein Lehrstuhl abgebaut, während in Wuppertal einstweilen noch alle Fächer doppelt besetzt waren. Dann erreichte uns 2001 das Signal, dass es im Norden Deutschlands wohl eine kirchliche Hochschule zu viel gebe. Um Entlastungen zu erzielen, hatten die Westfalen nämlich in der EKD thematisiert, dass die Finanzierung kirchlicher Hochschulen doch eine gesamtkirchliche Aufgabe sei. Dem wurde nicht widersprochen, aber doch die Frage gestellt, ob im selben nördlichen Bundesland neben drei staatlichen theologischen Fakultäten auch zwei kirchliche Hochschulen nötig seien, die die gesamte Lehrstuhlpalette boten. Schnell zeichnete sich die Alternative ab, entweder einen der beiden Standorte zu schließen – oder aber beide so zu fusionieren, dass eine Hochschule mit zwei Standorten dabei herauskam. Zur selben Zeit wurde in Kreisen der Diakonie diskutiert, ob Bethel nicht der geeignete Standort für eine Hochschule mit einem starken diakonie-
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wissenschaftlichen Profil sein könnte. Von Bethel aus werden rund 20 000 diakonische Arbeitsplätze gesteuert, die Stadt galt schon damals unter Kennern als heimliche Hauptstadt der Diakonie. Sie sprachen die Finanzierung der Hochschulen an. War es nicht so, dass die Wuppertaler Hochschule von der Rheinischen Kirche finanziert wurde und die Hochschule in Bethel aus der Westfälischen Kirche? Die Wuppertaler Hochschule war eine Einrichtung der EKiR und wurde zu mehr als vier Fünfteln von ihr finanziert. Bei der Betheler Hochschule war das vielschichtiger : Sie war eine eigene, an die Betheler Anstaltskirchengemeinde angeschlossene Rechtskörperschaft und wurde finanziert von fast einem Dutzend Landeskirchen und den v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, die damals noch nicht Stiftungen hießen. Größter Einzelträger war die Evangelische Kirche von Westfalen mit, wenn ich mich recht erinnere, einem Anteil von zunächst 45 Prozent der erforderlichen Finanzmittel. Allerdings gab es keine ausreichend abgesicherte vertragliche Grundlage mit den mitfinanzierenden Partnern. Andere Landeskirchen trugen freiwillig zum Haushalt der Betheler Hochschule bei. Sie konnten aber jederzeit davon zurücktreten, zahlten noch ein Jahr – und waren dann aus allen Verpflichtungen raus. Es handelte sich um eine Rechtskonstruktion aus den »fetten Jahren« mit reichlich fließenden Kirchensteuern. Im Betheler Kollegium herrschte die Vorstellung, eine kirchliche Hochschule könne nicht pleitegehen. Die meisten waren der Meinung, wenn beim Jahresabschluss Geld fehle, dann werde gefragt: »Wie viel braucht ihr?« – und dann werde der genannte Betrag schon überwiesen. So war es in früheren Jahren tatsächlich gewesen. Als dann aber die Württembergische Landeskirche aus dem Kreis der Träger ausschied, mussten die Westfalen trotz ihrer Finanzprobleme in die Bresche springen und für den fehlenden Betrag aufkommen, ihr Anteil stieg auf etwa 50 Prozent. Einige Landeskirchen signalisierten, es demnächst den Württembergern gleich tun zu wollen. Dafür gab es gute Argumente, denn zur selben Zeit sank bundesweit die Zahl der Theologiestudierenden, so auch in Bethel. Als ich September 1992 anfing, gab es dort etwa 480 Studierende. Die Zahl ging nach der Jahrtausendwende auf circa 230 zurück. Die Landeskirchen konnten vor ihren Synoden immer schwerer begründen, dass sie noch für Bethel zahlten. Da entschlossen sich die Westfalen, in der EKD dafür einzutreten, dass die Finanzierung kirchlicher Hochschulen als gesamtkirchliche Aufgabe des deutschen Protestantismus anerkannt wurde, was mit mittelfristigen Finanzzusagen verbunden sein sollte. Uns wurde damals empfohlen, einen Leitbildprozess durchzuführen. Wenn es nötig werden sollte, die beiden Hochschulen zu vergleichen, sollte Bethel ein
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überzeugendes Konzept vorweisen können. So kam ein Leitbildprozess zustande, der nicht wirklich gelang, obwohl am Ende ein brauchbares Ergebnis auf dem Papier stand: Die Kirchliche Hochschule Bethel sollte in Zukunft auf zwei Standbeinen stehen, nämlich evangelischer Theologie mit dem grundständigen Studium für Pfarramt und Magister einerseits und Diakoniewissenschaft mit Schwerpunkt Management in berufsbegleitenden Studiengängen andererseits. Die inneren Widerstände waren aber groß und ich bin froh, dass das lange hinter uns liegt. Übrigens habe ich 2005 über die Entwicklung seit 1995 einen schriftlichen Bericht vorgelegt, der auch veröffentlicht wurde.1 Also diente der Leitbildprozess der Profilbildung der beiden Hochschulen, sodass man feststellen konnte: Was braucht man? Was braucht man nicht? Was ist doppelt? Könnten Sie darauf und auf die Dynamik der Verweigerung eingehen? Aus Wuppertal hörten wir damals, dass im Zusammenhang mit den Planungen für das Theologische Zentrum Wuppertal ein Konzept im Landeskirchenamt in Düsseldorf verfasst worden war. Einen Leitbildprozess im eigentlichen Sinne gab es dort meines Wissens nicht. In Bethel gab es den, wenigstens der Form nach – mit einer Steuerungsgruppe und Aufträgen an Einzelgruppen, die bestimmte Bereiche bearbeiten und Berichte anfertigen sollten. Um den Aufwand gering zu halten, formulierte aber zum Beispiel ein Kollege das Arbeitsergebnis allein, die Arbeitsgruppe tagte nur ein einziges Mal. Ich hielt das schon damals für einen Versuch, sich dem Leitbildprozess zu entziehen. Es herrschte ein tiefes Misstrauen gegen das ganze Vorhaben, weil der Eindruck entstanden war, der Leitbildprozess sollte als Vorwand dienen, die Hochschule erheblich zu verkleinern oder ganz zu schließen. Ein direkter Vergleich der beiden Hochschulen war schwer anzustellen, weil zum Beispiel die Haushaltsstellen in Bethel und Wuppertal unterschiedlichen Kriterien folgten und die Zahlen nicht wirklich offengelegt wurden. Manches wurde gar nicht thematisiert. Meines Erachtens gab es einen wichtigen Vergleichspunkt zwischen den beiden Hochschulen, über den – jedenfalls in unserer Hochschule – nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. In der Regel waren und sind alle Hochschullehrer in Bethel und in Wuppertal Inhaber von Kirchenbeamtenstellen. Wer Stellen abbauen wollte, was ohne Zweifel der Fall war, musste schauen, wer wann wo zur Pensionierung anstand. Wollte man einen Standort schließen, war entscheidend, wo das ältere Kollegium saß. Das aber saß in Bethel.
1 Siehe Benad, 2005.
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Sie sagen, es gab Überlegungen hinter der ausgesprochenen Rationalität. Es gab eine Logik, die wahrscheinlich gar nicht adressiert wurde. Aber vielleicht wird man gar nicht gesagt haben: »Gucken wir mal: Wo ist das ältere Kollegium?« Wer Leitungsverantwortung trägt, in den Kirchen oder anderswo, sollte genau hinschauen, um zu wissen, bis wann für welche Mitarbeiter wie viel Geld ausgegeben werden muss. Es kann aber sein, dass Sie recht haben und Kosten wie Dauer der Abwicklung einer der Hochschulen nie überschlagen wurden. Für die Betheler Sicht war bezeichnend, dass jedes Mal, wenn eine Versetzung in den Ruhestand heranrückte, in der Hochschule die Frage gestellt wurde: »Wird die Stelle wohl wieder besetzt werden?« Meistens war das dann nicht der Fall. In der Rückschau zeichnet sich aber so etwas wie eine gemeinsame Strategie der beiden beteiligten Kirchen ab, personifiziert in den Präsides aus dem Rheinland und aus Westfalen. Sie erklärten den festen politischen Willen zu einer rheinisch-westfälischen Kooperation: Die Predigerseminare und die Pastoralkollegs wurden zusammengelegt, die gemeinsame Bank für Kirche und Diakonie nahm ihren Sitz im westfälischen Dortmund. 2002 fragte die rheinische Kirchenleitung in Westfalen an, ob eine fusionierte Hochschule ihren zukünftigen Sitz nicht in Wuppertal haben sollte. Die Antwort blieb offen. Anfang Juli 2004 fand eine gemeinsame Sitzung der Kirchenleitungen von Westfalen und im Rheinland statt. Dort kam es zu einem etwas umständlich formulierten Beschluss über die Zukunft der beiden Hochschulen. Wer genau nachlas und die Rahmenbedingungen kannte, dem war völlig klar, dass eine Fusion verabredet worden war, die für Bethel die Schließung des Pfarramtsstudienganges bedeutete. Einzelheiten sollten noch vertraglich geregelt werden. Als Alfred Jäger und ich das in der Betheler Hochschule aussprachen, schallte es zurück, wir beide wollten wohl zugunsten der Diakoniewissenschaft den Pfarramtsstudiengang schließen. Das war aber beileibe nicht der Fall. Das Ergebnis des Leitbildprozesses war ja gerade, dass wir in Bethel eine Hochschule mit zwei Standbeinen hatten errichten wollen: Theologie und Diakoniewissenschaft mit Schwerpunkt Management, in gegenseitiger Ergänzung, am selben Standort. Aus der Rückschau stelle ich fest, dass wir heute eine solche Hochschule mit zwei Standbeinen haben, aber an zwei Standorten. Die Kirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel führt ja auch im Untertitel die Bezeichnung »Hochschule für Kirche und Diakonie«. Es gab also finanzielle Gründe für die Fusion, man hatte sich verkalkuliert und musste sparen, aber auch die Studierendenzahlen gingen zurück. Hatte das auch Auswirkungen auf Stellen und Besetzungen?
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In den 90er Jahren galt für beide Hochschulen der vom Fakultätentag2 formulierte Anspruch, es müsse an jeder evangelisch-theologischen Fakultät, also auch an kirchlichen Hochschulen, Doppelbesetzungen geben, also jeweils zwei Lehrstühle in den fünf theologischen Hauptdisziplinen (Altes Testament, Neues Testament, Kirchengeschichte, Systematische Theologie, Praktische Theologie). Tatsächlich hatten wir in Bethel Mitte der 1990er Jahre mit Ausnahme der Systematischen Theologie alle Fächer doppelt besetzt; außerdem gab es noch einen philosophischen Lehrstuhl und insgesamt fünf Sprachdozenten für Hebräisch, Griechisch und Latein. Wuppertal war noch etwas besser ausgestattet. Beide Hochschulen zusammengerechnet hatten damals etwa zwanzig theologische Lehrstühle. Die durch die Fusion 2007 neu entstandene Hochschule hat heute halb so viele Lehrstühle. Wurde in Bethel nach Mitte der 1990er Jahre jemand pensioniert, wurde der Lehrstuhl nicht wieder besetzt, sofern es noch eine zweite Professorin oder einen Professor im selben Fach gab. Zehn Jahre später folgte man auch in Wuppertal dieser Regel. 2005 wurden für die zukünftige, fusionierte Hochschule zehn Lehrstühle vereinbart, sechs für Wuppertal und vier für Bethel. Heute ist die Aufteilung sieben zu drei. Einer der Lehrstühle am IDM in Bielefeld ist kein theologischer, sondern den Wirtschaftswissenschaften und der Unternehmensethik gewidmet. Gibt es ist noch eine starke Trennung zwischen Wuppertal und Bethel? Oder ist es eher eine stark integrierte Hochschule, wobei es einfach nur zwei Standorte gibt? Die Integration hat begonnen – und bleibt mittelfristig noch eine große Aufgabe. Wir arbeiten mit den Kolleginnen und Kollegen in Wuppertal gut und immer besser zusammen, ziehen mehr und mehr in eine ähnliche Richtung. So gut war die Zusammenarbeit im Betheler Kollegium nicht, als wir ab 2002 mitten in Existenzangst und Verlustschmerz das Diakoniewissenschaftliche Kompetenzzentrum aufbauten, aus dem 2008 das IDM hervorging. Die Arbeit des IDM war für die Wuppertaler Kolleginnen und Kollegen erst einmal ziemlich fremd. Mehr als zwanzig dreitägige Blockseminare im Jahr statt zweimal 15 Semesterwochen, leitungserfahrene Erwachsene in Fortbildungsstudiengängen anstelle von StudienanfängerInnen, GastdozentInnen aus der Sozialwirtschaft statt Lehrbeauftragte aus anderen Hochschulen, betriebswirtschaftliche Redeweisen und Managementsprache zwischen theologischen und kirchlich-vertrauten Termini, und immer wieder die Nachfrage nach der Relevanz wissenschaftlicher Aussagen und Theorien. Ich glaube, es fiel zunächst nicht leicht, sich vorzustellen, was wir da machen und was das mit einer theologischen 2 Gemeint ist der evangelisch-theologische Fakultätentag (http://evtheol.fakultaetentag.de/).
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Fakultät zu tun hat. Aber inzwischen hat man eine ganze Reihe positiver Erfahrungen miteinander gesammelt, gemeinsam Prüfungen an beiden Standorten abgehalten, programmatisch diskutiert, natürlich auch kontrovers. Es läuft vertrauensvoll und viel runder als zu Beginn vor sechs oder sieben Jahren. Wir würden jetzt gerne auf die Durchführung der Fusion zu sprechen kommen. Es gab ExegetInnen und systematische TheologInnen, aber eben auch DiakoniewissenschaftlerInnen wie Sie. Inwieweit hat es eine Rolle gespielt, dass es so unterschiedliche Hintergründe gab? Wie bekommt man diese unterschiedlichen Rationalitäten und Denkmuster miteinander ins Gespräch? Zunächst: So unterschiedlich waren und sind die Rationalitäten gar nicht. Das zeigen schon die Werdegänge der hauptamtlichen DozentInnen am IDM. Der Gründungsdirektor hatte zum Beispiel an einer Theologischen Fakultät in Norddeutschland kirchenhistorisch gearbeitet, wurde dort promoviert und habilitiert und war Gemeindepfarrer, bevor er in Bielefeld 13 Jahre als Vorstandsprecher eines großen diakonischen Unternehmens wirkte, wechselte dann an die Kirchliche Hochschule und an die Führungsakademie für Kirche und Diakonie. Seine Nachfolgerin (2013) auf dem Lehrstuhl für Diakoniewissenschaft und Management ist praktische Theologin. Sie wurde mit einer historischen Arbeit promoviert und ist mit einer praktisch-theologischen Untersuchung an der anderen kirchlichen Hochschule habilitiert worden, die es in Deutschland noch gibt. Sie kennt diakonische Unternehmenspraxis aus ihrer Berufserfahrung und war eine ganze Reihe von Jahren Fachhochschulprofessorin. Der Ökonom als Dritter im Bunde der hauptamtlich Lehrenden bringt sozialwissenschaftliche Rationalität ein, arbeitete aber schon lange in kirchlichen Zusammenhängen und ist mit der dort vorherrschenden theologischen Rationalität bestens vertraut. Damit die spezifische Rationalität unternehmerischen Handelns in der Diakonie am IDM präsent ist, haben wir dann noch die beiden eingangs erwähnten nebenamtlichen Professoren, die an der Spitze großer Einrichtungen standen bzw. aktuell noch stehen. Eine größere Rolle als verschiedene wissenschaftliche Rationalitäten spielten meines Erachtens untergründige Denkmuster. Mir scheint, aus der Sicht vieler Verantwortlicher in der Rheinischen Kirche wurde die Fusion der zwei Hochschulen lange Zeit als mehr oder weniger freundliche Übernahme des Betheler Mitbewerbers interpretiert, nach dem Motto: In ein paar Jahren wird sowieso alles in Wuppertal konzentriert sein. Gab es da Indizien? Wurde das so formuliert oder war das eine Befürchtung von Ihnen in Bethel?
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Das wurde bei verschiedenen Gelegenheiten, meist in informellen Runden, so formuliert und war deshalb eine begründete Befürchtung. Ich nenne ein Beispiel: Nachdem die Fusion am 1. Januar 2007 vollzogen worden war, gab es zwei oder drei Jahre später aus Düsseldorf einen Prüfbericht zum Haushalt der neuen Hochschule, auf dem stand, es sei die Kirchliche Hochschule Wuppertal geprüft worden, als hätte die Wuppertaler Hochschule nicht ebenso aufgehört zu existieren wie die Betheler. Durch die Fusion war unter neuem Namen eine eigene Rechtskörperschaft gebildet worden, was die Wuppertaler Hochschule nie war, die Betheler sehr wohl. Es hatte also tatsächlich etwas Neues begonnen: eine gemeinsame Hochschule für Kirche und Diakonie. Nur war das noch nicht überall bemerkt worden. Die neue Hochschule mit Hauptstandort in Wuppertal war, zum Vorteil der Rheinischen und der Westfälischen Kirche und natürlich auch Bethels, so gut abgesichert wie keine der beiden vorherigen Hochschulen. Die frühere rheinische Hochschule in Wuppertal hatte kaum Zuschüsse anderer Landeskirchen erhalten, in Bethel waren diese Zuschüsse nicht vertraglich gesichert gewesen. Nun beteiligte sich die EKD an der neuen Hochschule für jeweils fünf Jahre spürbar an den Gesamtkosten. Gab es eine Art Führung im Fusionsprozess? Ja, es wurde auf unterschiedliche Weise geführt. Unsere Hochschule ist idealtypisch eine Expertenorganisation, die durch Kollegialorgane geleitet wird. Zentrale interne Leitungsorgane sind das Rektorat und der Senat, Letzterer zusammengesetzt nach den Regeln der Gruppenhochschule aus Assistierenden, Studierenden, weiteren Mitarbeitenden und den ProfessorInnen, die entsprechend den gesetzlichen Vorschriften die Mehrheit haben. Außerdem spielt bei uns das Kuratorium eine wichtige Rolle, in dem, neben einigen beratenden Mitgliedern, die Träger und Finanziers der Hochschule Stimmrecht haben. Das Kuratorium spricht Berufungen aus, bestätigt Rektor(in) und Prorektor(in) sowie Beschlüsse des Senats zu Forschung und Lehre, zum Beispiel Prüfungsordnungen, und es beschließt den Haushalt. Die Vorsitzende des Kuratoriums und ihre Stellvertreterin, die von den beiden großen Trägern aus dem Rheinland und aus Westfalen gestellt werden und in zweijährigem Rhythmus einander abwechseln, haben stets in großer Einigkeit darauf gedrungen, dass die Integration der Arbeitsbereiche und Standorte zu einer Hochschule vorangeht. Grundfragen der Ausrichtung und mögliche Dissenspunkte wurden frühzeitig angesprochen. Hier ist ohne Zweifel geleitet worden. Die Rektoren, die bislang immer nur ein Jahr im Amt bleiben (einmal waren es ausnahmsweise anderthalb Jahre; es wird überlegt, auf zwei Jahre umzu-
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stellen), kamen in den sieben Jahren seit Bestehen der neuen Hochschule sämtlich aus Wuppertal. Alle waren redlich um Integration bemüht, aber von Bethel aus hätten wir uns mehr Kontinuität gewünscht, was längere Amtszeiten erfordert hätte. Die Institutsleitung in Bethel wird auf drei Jahre berufen und war zuletzt fünf Jahre unverändert im Amt, außerdem gibt es dort ein Institutskollegium für das laufende Geschäft. Es existiert also eine eigene operative Leitung des diakoniewissenschaftlichen Arbeitsbereichs. Am Standort Wuppertal ist die Leitung der Hochschule wie eh und je mit der Leitung des Arbeitsbereiches verbunden. Im Herbst 2014 soll zum ersten Mal ein Professor aus Bethel das Rektorat übernehmen, das wird dann meine Aufgabe sein. Jetzt wird deutlich, dass eine operative Leitung für den Pfarramtsstudiengang und die Arbeit in Wuppertal fehlt, weil nicht das gesamte Alltagsgeschäft eines Standortes im Rektorat verhandelt werden kann. Das ist bei der Gründung der Hochschule nicht ausreichend bedacht worden. Im diakoniewissenschaftlichen Arbeitsbereich begann sich übrigens schon während des Betheler Leitbildprozesses von 2001/2002 so etwas wie eine Leitung herauszubilden. Wir setzten uns zusammen und berieten: Was wollen wir? Wie wollen wir es und mit wem? Wir wollten neue diakoniewissenschaftliche Studienprogramme (Master und Doktor, vielleicht auch Bachelor) mit Managementschwerpunkt für Menschen mit Leitungserfahrung aufbauen, in Kooperation mit anderen Bildungsträgern. Wir wollten das besondere Umfeld nutzen, dass der Standort Bielefeld, die bundesdeutsche »Hauptstadt der Diakonie«, bietet. Darüber waren wir mit der Westfälischen Kirche, mit dem damaligen Präsidenten des Diakonischen Werkes, Jürgen Gohde, und natürlich mit Bethel sowie den Vertretern anderer großer diakonischer Unternehmen im Gespräch. Wir begannen 2002 mit dem Aufbau eines Diakoniewissenschaftlichen Kompetenzzentrums, 2004 wurde der Masterstudiengang eröffnet. Nachdem im selben Jahr deutlich geworden war, dass der Pfarramtsstudiengang in Bethel geschlossen würde, lag es nahe, für Bielefeld die Gründung eines diakoniewissenschaftlichen Managementinstituts anzustreben, um längerfristig weiterarbeiten zu können. Das war unsere Marschroute. Wir hatten eine Orientierung, was auch eine Art Führung bedeutet. Könnte man sagen, dass die Theologinnen und Theologen in Bethel sich eigentlich als Fusionsverlierer fühlen müssten? Das kommt darauf an, wen man meint und wen man fragt. Als Ende März 2009, reichlich zwei Jahre nach dem Vollzug der Fusion am 1. Januar 2007, die Pfarrerausbildung in Bethel nach 104 Jahren zu Ende ging, war unter den studierenden Theologinnen und Theologen der Schmerz groß, manche waren richtig wütend. Viele von ihnen werden sich wohl als Fusionsverlierer gefühlt haben.
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Das mag auch für jene Lehrenden gegolten haben, die in den Pfarramtsstudiengang und in die Sprachenausbildung viel Kraft investiert hatten und der Entwicklung eines zweiten, diakoniewissenschaftlichen Standbeins skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden. Ähnlich könnte es den damals gerade emeritierten KollegInnen ergangen sein, die vielleicht den Eindruck hatten, ihre Lebensarbeit werde missachtet. Ob das so war, können die Beteiligten aber nur selbst sagen, man müsste sie fragen. Vielleicht hat sich manche Beurteilung mittlerweile auch geändert. Inzwischen liegt der Neubeginn der gemeinsamen Hochschule ja mehr als sieben Jahre zurück. Für mich selbst gilt: Die Schließung des Pfarramtsstudienganges war ein tiefer beruflicher Einschnitt, in gewisser Hinsicht auch ein Verlust. Aber als Fusionsverlierer empfinde ich mich nicht. 2007 war ungewiss, was möglich sein würde. Heute sehe ich, dass eine gute, kollegiale Zusammenarbeit entstanden ist und weiter wächst. Dafür müssen wir uns weiter genug Zeit nehmen. Wir sind in den sieben Jahren an der gemeinsamen Hochschule weiter gekommen, als uns das in den letzten Jahren der alten Betheler Hochschule gelang. Das ist nicht verwunderlich, die Rahmenbedingungen waren ungünstig für den einvernehmlichen Aufbau eines neuen Arbeitsfeldes. Nein, ich fühle mich nicht als Fusionsverlierer. Das, was in Bethel geblieben ist, ist vor allem der Bereich des Diakoniemanagements. Ist das nicht ein trennendes Merkmal, bei dem man sagen würde, da hat Bethel etwas zu bieten, was die anderen nicht haben? Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement sind für mich ohne originären Bezug zu Theologie nicht denkbar. Insofern ist das eine Standbein der Hochschule auf das andere angewiesen. Diakoniemanagement ist für unsere Hochschule das, was Marketingleute ein Alleinstellungsmerkmal, einen unic selling point nennen. Der kann auch wieder verloren gehen, man muss am Ball bleiben. Jedenfalls sollen Diakoniewissenschaft und Management nach innen nicht trennend wirken, sondern anregend – und nach außen eine Unterscheidung möglich machen, um so der gesamten Unternehmung zu nützen. Die Unternehmung ist in diesem Fall die gemeinsame Hochschule für Kirche und Diakonie Wuppertal/Bethel. Ich bin zuversichtlich, dass es uns mittelfristig gelingen wird, auf diesem Gebiet unter mehr oder weniger starker Einbeziehung aller theologischer Disziplinen etwas Beispielhaftes zu entwickeln. Zur Unterscheidung nach außen: Es gibt in Deutschland heute etwa 20 evangelisch-theologische Fakultäten, darunter zwei kirchliche Hochschulen, in Wuppertal/Bethel und Neuendettelsau in Bayrisch-Franken. Manche UniversitätspräsidentInnen oder KultusministerInnen würden lieber heute als morgen die eine oder andere Fakultät verkleinern oder ganz schließen, um Lehrstühle
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zugunsten anderer Fächer umwidmen zu können. Auch der Bestand unserer kirchlichen Hochschule steht derzeit bekanntlich wieder zur Diskussion, weil in der Rheinischen Kirche über massive Einsparungen nachgedacht wird. Da ist, bei unverzichtbarer Freiheit in Forschung und Lehre, eine klare Profilierung der Hochschule im Interesse bestimmter Anspruchsgruppen sicher kein Fehler. Und wann haben Sie das Institut für Diakoniemanagement aufgebaut? Da haben viele zusammengewirkt. Ich selbst habe mich vor etwa zehn Jahren dafür entschieden, dass ich das Meine dazu beitragen will. Das eigentliche Jahr der Entscheidung war 2007. Ab dem 1. Januar gab es die neue Hochschule, wir sollten in Bethel binnen drei Jahren, also bis 2009, ein Konzept für den Standort entwickeln, unter Berücksichtigung der Diakoniewissenschaft. Aber wir waren in unserem klein gewordenen Betheler Restkollegium, das bis März 2009 noch den Pfarramtsstudiengang zu bedienen hatte, sehr unterschiedlicher Meinung, was zu tun sei. Einige waren sich sicher, dass die Träger die komplette Abwicklung des Standortes beabsichtigten und man am besten gar nichts unternehme. Das verunsicherte die MitarbeiterInnen in Verwaltung und Bibliothek und behinderte uns beim Aufbau. Es gab eine Patt-Situation, die in einem gescheiterten Berufungsverfahren kulminierte. Ich vermute, in den Kirchenleitungen, besonders in Westfalen, hatte man die Beharrungskräfte im relativ autonomen System kirchliche Hochschule stark unterschätzt. Alle Ansätze, etwas Neues zu gestalten, waren blockiert. Kurz vor Weihnachten 2007 griff dann das Kuratorium ein. Das Berufungsverfahren wurde ausgesetzt und bald darauf Udo Krolzik als Gründungsdirektor für ein neu zu gründendes Institut gewonnen. Dass das so kam, liegt meines Erachtens nicht zuletzt daran, dass einer der Träger Bethel ist und dass die Westfälische Kirche ein grundlegendes Interesse daran hat(te), mit den großen diakonischen Unternehmen und den unternehmerisch aufgestellten Kirchenkreisdiakonien auf ihrem Kirchengebiet fortwährend in konstruktivem Austausch zu bleiben, kirchenpolitisch, aber auch in diakoniewissenschaftlich-theologischen Fragen. In Westfalen sind die großen Träger besonders zahlreich. Das kann man im Grunde schon an den alten Statistiken der Inneren Mission aus den 1890er und 1920er Jahren sehen. Schon damals gab es in dieser preußischen Kirchenprovinz eine außerordentlich hohe Konzentration großer diakonischer Träger, und viele Kirchengemeinden hatten eigene Krankenhäuser, Altenheime etc., mehr als anderswo im Deutschen Reich. Das war eine Folge der Erweckung, zum Beispiel in Ostwestfalen, aber auch der sozialen Notlage im Industrierevier. Viele Einrichtungen sind infolge der bundesdeutschen Sozialstaatsentwicklung heute viel größer als damals, einige große Träger sind dazugekommen. Angesichts der sich rasch verändernden sozialen und wohlfahrtspolitischen Umwelt gibt es vieles zu beraten und wissenschaftlich
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zu reflektieren, was die Kirche und die Diakonie nicht nur in Westfalen, sondern deutschlandweit betrifft: Wie stellt man sich für die Zukunft auf, wenn die Arbeitskräfte immer knapper werden, zumal die evangelischen? Welche Tarife sind kirchengemäß, sozial vertretbar und betriebswirtschaftlich zu realisieren? Wie verhalten sich Gemeindediakonie und unternehmerische Diakonie zueinander? Wie selbständig dürfen, sollen oder müssen diakonische Unternehmen neben der verfassten Kirche agieren? Werden diakonische Unternehmen in Zukunft immer seltener von TheologInnen, umso öfter aber von BetriebswirtInnen geleitet? Gibt es für dieses Arbeitsfeld überhaupt genug qualifizierte Führungskräfte? Welche Rolle sollen Theologie und Spiritualität in diakonischen Unternehmungen spielen? In einem von solchen Fragen geprägten Umfeld kann eine kirchliche Hochschule mit Theologie und mit einem diakoniewissenschaftlichen Managementinstitut ein wichtiger Ort des Diskurses sein, ebenso die Fachhochschule der Diakonie, aber auch andere Bildungsträger, mit denen wir kooperieren. Die Fusion zweier Hochschulen hat Bedeutung für die Mitarbeitenden und die Studierenden. Waren diese beiden Gruppen auch an dem Fusionsprozess beteiligt? Ich kann nur für die Entwicklung in Bethel Auskunft geben. Prinzipiell haben wir die Studierenden der berufsbegleitenden Masterkurse so offen und so umfassend informiert, wie es nur ging. Das war unbedingt nötig, denn wir wussten, wir haben ein attraktives Studienprogramm und vor uns saßen Leute, die wollten mit dem Studium beginnen. Es war aber nicht sicher, was nach 2009 in Bethel noch möglich sein würde, trotzdem blieben sie dabei. Das gelang nur, weil wir offen mit ihnen redeten. Bei den Studierenden des grundständigen Theologiestudiengangs stießen wir auf taube Ohren, sicher auch deshalb, weil sie sich von der Schließung des Pfarramtsstudiengangs so sehr betroffen fühlten. Bei den MitarbeiterInnen in Bibliothek und Verwaltung kam es zu erheblichen Informationsdefiziten, auch zu Fehlinformationen, die kaum zu korrigieren waren. Manche von denen haben nächtelang nicht geschlafen, weil sie Angst hatten, sie würden betriebsbedingt gekündigt. Einige folgten dem Ratschlag, vorsichtshalber schon mal in die Gewerkschaft einzutreten. Und wie hat die Kirche von Westfalen darauf reagiert? Dort war man über diese Fehlentwicklung verärgert – und hat sich um jeden Einzelnen gekümmert. Alle haben einen anderen Arbeitsplatz bekommen, konnten sich für Altersteilzeit bzw. Vorruhestand entscheiden oder wechselten ins neue Institut.
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Wenn man sich Ihren PhD-Studiengang oder den Masterstudiengang anschaut, fragt man sich, ob Sie nicht mit externen Kräften stärker zusammenarbeiten als mit den Kolleginnen und Kollegen in Wuppertal? Beide Standorte haben unterschiedliche Kundenkreise und holen deshalb in der Tat viele ihrer Lehrbeauftragten aus je spezifischen Zusammenhängen. Das gegenseitige Verständnis der fusionierten Partner für das, was am anderen Standort geschieht, musste erst einmal wachsen. Den KollegInnen in Wuppertal waren unsere Studienprogramme zunächst fremd. Der Masterstudiengang Diakoniemanagement hatte zum Zeitpunkt der Fusion mit dem dritten Kurs begonnen, unsere Lehrbeauftragten standen weitgehend fest und wir hatten schon drei Jahre ganz überwiegend gute Erfahrungen mit ihnen gesammelt. Außerdem hatten die KollegInnen in Wuppertal damit zu kämpfen, dass nun auch bei ihnen die Doppelbesetzung abgebaut wurde, sobald wieder jemand die Altersgrenze erreichte. Ich will damit sagen: An beiden Standorten waren wir vor allem damit befasst, die laufenden Programme ordentlich weiterzuführen. Da blieb zunächst wenig Luft für Austausch untereinander. Aber ein Wuppertaler Kollege, der sich schon lange mit Diakonie befasst hatte, stieg sofort in den Promotionsstudiengang ein, der 2008 neu begann, – soweit es ihm seine anderen Verpflichtungen erlaubten. Dann setzte die gegenseitige Beteiligung an Prüfungsverfahren ein und – noch in geringem Umfang – Lehre am anderen Standort. Da wird in den nächsten Jahren noch einiges zu entwickeln und auszubauen sein, aber es gibt auch Kapazitätsgrenzen. Im Fusionsvertrag steht noch, dass in Bethel vier und in Wuppertal sechs Lehrstühle zur Verfügung stehen sollen. Dann ergab sich pragmatisch die Verteilung drei zu sieben Professuren, verbunden mit dem Auftrag, aus Wuppertal sollte in jedem Semester Lehre im Umfang einer Stelle nach Bethel transferiert werden. Das war aber aus dem Stand heraus nicht möglich und ist bis heute nicht verwirklicht worden. Wir leisten zu dritt in Wuppertal derzeit mehr Lehre als die sieben KollegInnen von dort bei uns. Es hat aber keinen Sinn, die Dinge zu überstürzen. Die Zusammenarbeit beider Standorte wird in den kommenden Jahren sicher noch verstärkt werden, die gegenseitige Verflechtung zunehmen, und dann werden wir auch klären, was wo möglich und nötig ist. Noch fehlt der Hochschule eine einheitliche Vision, ein gemeinsames Leitbild und eine daraus abgeleitete Strategie für die nächsten Jahre. Aber es gibt Ansätze. Die jüngste Spardiskussion in der Rheinischen Kirche hat unsere interne Diskussion befördert und sie wird weitergehen.
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Matthias Benad im Gespräch
Für die gesamte Hochschule gibt es jetzt logischerweise nur noch ein Rektorat. Ja, so ist es, ich hatte das vorhin schon angesprochen. Auch von der strukturellen Schieflage habe ich schon gesprochen und von unseren Bemühungen, in Wuppertal eine eigene Standort- oder Studiengangleitung zu etablieren. Wir werden da brauchbare Lösungen entwickeln, sodass die Arbeitsfähigkeit beider Standorte gestärkt wird. Die Selbstverwaltung einer Hochschule kann ja durchaus ein Eigenleben entwickeln. Wie läuft es auf der operativen Ebene, wenn Sie Senatsbeschlüsse brauchen oder wenn zum Beispiel eine Prüfungsordnung geändert werden muss? Läuft das gut oder heißt es: Jetzt kommen die aus Bethel wieder und wollen wieder was haben … Nein, das läuft reibungslos. Allerdings sitzen wir oft dabei, wenn im Senat Fragen erörtert werden, die allein den Standort Wuppertal betreffen. Außerdem kommen die studentischen VertreterInnen im Senat allesamt aus dem grundständigen Theologiestudiengang in Wuppertal. Wir können den Berufstätigen, die in Bethel nebenbei studieren, regelmäßige Gremienarbeit praktisch nicht zumuten. In den Berufungskommissionen, die Bethel betrafen, haben sie allerdings mitgewirkt, da sind ihnen bereitwillig Plätze eingeräumt worden, – allerdings nicht bei den entscheidenden Schlussabstimmungen. Auch hier stehen in den kommenden Jahren noch Klärungen an. Und die Gremien tagen mal hier im Haus und mal in Wuppertal? Auch da sind wir noch am Anfang. Am weitesten ist das Kuratorium: Eine von drei jährlichen Sitzungen findet routinemäßig in Bielefeld statt. Einen ersten Schritt hat jüngst auch das Kollegium getan: Wir beginnen jedes Semester mit einer eintägigen Kollegiumsklausur, mit allen HochschullehrerInnen, die SprachdozentInnen natürlich eingeschlossen. Das erste Mal seit 2007, also im 14. Semester der neuen Hochschule, haben wir im April 2014 in Bethel getagt. Ich bin dem Rektor dankbar, dass er dorthin eingeladen hat. Der Senat hat noch nie in Bethel getagt. Selbst die öffentlichen Probevorlesungen der Bewerber für die Neubesetzung von zwei Betheler Lehrstühlen fanden 2011 und 2013 in Wuppertal statt. Wir sind uns einig, dass das in Zukunft nach Bethel gehört. Denn in Bielefeld und weit darüber hinaus haben wir ein besonders interessiertes und fachkundiges Publikum für diakoniewissenschaftliche Vorträge. Das Publikum kommt aus diakonischen Unternehmungen und befreundeten Hochschulen und natürlich noch aus anderen kirchlichen Kreisen. Das haben wir anlässlich von Antritts- und Abschiedsvorlesungen
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bemerkt, denn die finden schon regelmäßig in Bethel statt. Wir sind vom wachsenden Andrang positiv überrascht. Wie ist es gekommen, dass jetzt der Umgang miteinander ganz gut funktioniert? Wir haben inzwischen eine Reihe positiver Erfahrungen miteinander gesammelt. Wir nehmen drüben in Wuppertal an Gremien und bestimmten Prozessen teil, auch wenn das für uns mit einigem Aufwand verbunden ist. Das gilt zum Beispiel für theologische Promotionen und Habilitationen. Umgekehrt scheuen die KollegInnen nicht die Mühe, an diakoniewissenschaftlichen Master- und Doktorprüfungen und den damit verbundenen Ausschusssitzungen teilzunehmen. Wuppertaler KollegInnen nehmen aktiv an den diakoniewissenschaftlichen Prüfungen in Bethel teil und stellen ihrerseits Fragen. Anders als in der Theologie, wo in der Regel ein Fachprüfer oder eine Fachprüferin die Fragen stellt, führen wir grundsätzlich interdisziplinäre Prüfungsgespräche. Unsere KandidatInnen sitzen meistens drei PrüferInnen gegenüber, die alle mitreden. Im Anschluss legen wir dann gemeinsam die Noten fest. Da hat sich eine gute Zusammenarbeit entwickelt, die gegenseitiges Verständnis fördert. Wenn Sie jetzt mit ein wenig Abstand auf den gesamten Fusionsprozess schauen, was haben Sie gelernt, was würden Sie heute anders machen? Was sind die berühmten lessons learned? Für ähnliche Prozesse wünschte ich mir, dass die Träger von Anfang an eingehender klären sollten, worauf sie hinauswollen – und das dann so offen wie möglich kommunizieren. Vor allem sollte jeder für sich klären, was er eigentlich längerfristig will. Es ist für mich schon erstaunlich, dass die Rheinische Kirche vor zwölf Jahren fest entschlossen war, ihre Hochschule in Wuppertal fortzuführen und die Schließung des Standorts Bethel vorschlug – und gerade einmal sieben Jahre nach dem Start der neuen Hochschule im Zusammenhang einer groß angelegten Spardebatte die gut aufgestellte Neugründung schon wieder infrage stellt. Bei einer Fusion von zwei kirchlichen Hochschulen stellt sich auch die Frage, ob das anders abläuft als in einem nichtchristlichen Kontext. Zwar haben Sie keinen direkten Vergleich, aber gibt es bei der Fusion einen Bezug zur Spiritualität? Hat es irgendwo einen Unterschied gemacht, dass die Fusion im Rahmen der evangelischen Kirche stattgefunden hat? Oder ist der Bezug zur Spiritualität nur ein »schönes Gerede«, das vorgeschoben ist?
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Matthias Benad im Gespräch
Schönes Gerede ist das nicht, aber Spiritualität garantiert meines Erachtens noch nicht, dass es in jedem Fall besser läuft als anderswo. Vor der Fusion hatten wir im Diakoniewissenschaftlichen Kompetenzzentrum keine eigenen Gottesdienste, weil wir nur eine ganz kleine Abteilung innerhalb der Kirchlichen Hochschule Bethel waren. Wir haben an den allgemeinen Semestereröffnungs- und Schlussgottesdiensten teilgenommen. Als das im März 2009 zu Ende ging, fehlte etwas, und wir haben gesagt, wir machen Gottesdienste zur Eröffnung und zum Schluss des Semesters mit einer Abendmahlsfeier, so wie das in Bethel immer üblich war. Wir haben dann auch angefangen, Andachten abzuhalten, was wir in den ersten Kursen nicht gemacht hatten. Ich will da sehr persönlich sprechen: Ich will keine festen Pflichtübungen, die Andachten müssen auch mal ausfallen können, wenn Leute sich nicht in die Liste eingetragen oder sonst nicht drum gekümmert haben. Inzwischen machen wir als Dozierende in jedem Drei-Tage-Block ein geistliches Angebot und fragen, wer an den anderen Tagen etwas übernehmen will. Das organisiert sich wie von selbst. Es ist sehr vielfältig und anregend, was da kommt, bisweilen tröstlich und stärkend, andere Male nichtssagend, aber das mag an mir liegen – oder an der Tagesform derjenigen, die dran sind. Das gibt es sonst auch. Es gibt immer wieder Situationen, in denen Gegensätze ausgetragen, aber nicht ausgeräumt werden. Wenn ich dann im Abendmahl vorgeführt bekomme, dass wir trotzdem Brüder und Schwestern sind, ist das schon bisweilen eine Herausforderung, die ich annehmen muss und will. Es ist schon wünschenswert und wir sind darauf angewiesen, dass wir miteinander auskommen, auch wenn wir uns bisweilen gegenseitig sehr anstrengend finden. Und rückgebunden an die Fusionsgeschichte, würden Sie sagen, dass Gottesdienste oder andere Formen der Spiritualität eine Rolle gespielt haben? Ja, die gemeinsamen Gottesdienste waren und sind meines Erachtens gut für uns, im eben beschriebenen Sinn. In Andachten und Gottesdiensten kommt die ganz andere Dimension Gottes zur Geltung, das haben wir nötig, damit wir unsere eigenen Pläne und Vorhaben nicht überschätzen. Gibt es auch unterschiedliche Kulturen zwischen den beiden Standorten, also eine Betheler und eine Wuppertaler Kultur? Haben Sie dafür Beispiele? Es gibt schon wahrnehmbare Unterschiede, zum Beispiel bei den Gottesdiensten. Wir nehmen öfter mal in Wuppertal an der Semestereröffnung oder am Semesterschluss teil, halten dort bisweilen auch Gottesdienste. Es gibt kaum Abendmahlsfeiern, dafür groß proportionierte »Abkündigungen« mitten im Gottesdienst, um Studierende mit Handschlag zu begrüßen, Dissertationen zu
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würdigen oder KollegInnen zu verabschieden. Das fand ich zunächst befremdlich, aber rechne inzwischen fest damit und störe mich immer weniger daran. Die Unterschiede liegen in der Bandbreite dessen, was sonst auch in evangelischen Gemeinden anzutreffen ist. Eine kulturelle Differenz, die sich nicht auf Gottesdienste und Andachten bezieht, sondern auf die alltägliche Arbeit, will ich noch nennen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Bethel stärker interdisziplinär unterwegs sind und, bezogen auf den Fokus Führen und Leiten in diakonischen und kirchlichen Unternehmungen, enger kooperieren, als das in Wuppertal der Fall ist. Aber vielleicht täusche ich mich auch und schaue noch zu wenig in die kollegialen Verhältnisse drüben hinein. Wir erleben uns jedenfalls ziemlich oft gegenseitig in Lehrveranstaltungen, in Gruppenberatungen, bei Coachings und in Prüfungen. Das schafft ein besonders dichtes kollegiales Klima, viel enger, als ich das aus der alten Betheler Hochschule, aber auch aus vorherigen Tätigkeiten kannte. Wir beraten uns ziemlich oft didaktisch oder inhaltlich und kritisieren uns gegenseitig oder stimmen uns darüber ab, wie wir vorgehen wollen. In Wuppertal drüben, so jedenfalls mein Eindruck, scheinen die Entfernungen zwischen den Fächern größer zu sein. Da braucht es schon mal eine mündliche Doktorprüfung in Anwesenheit weiterer KollegInnen, sodass ein Exeget beim Kirchenhistoriker Protokoll führt und nachher sagt: »Das ist ja aber interessant, was da in eurem/ihrem Fach diskutiert wird«. Bei uns diskutieren die »Fachvertreter« ständig miteinander. Wir haben einen sehr hohen Grad an interdisziplinärem Austausch, übrigens auch mit den Studierenden, und das empfinde ich als eine außerordentliche Bereicherung. Wir danken sehr herzlich für dieses Gespräch.
Literatur Benad, M. (2005). Die Lage der Kirchlichen Hochschule Bethel am Vorabend des Jubiläums. In F.-M. Kuhlemann, Die Kirchliche Hochschule Bethel. Grundzüge ihrer Entwicklung 1905 – 2005 (S. 159 – 169). Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte; BethelVerlag.
Katharina Dang
Wenn sich Gemeinden gegen Fusionen stellen: Der Gemeindebund in der EKBO
1.
Gemeinden sind bereit für neue Wege
In den Jahren der Ost-West-Trennung haben wohl alle Gemeinden hüben und drüben intensiv Kontakte über die Grenzen der Systeme hinweg gepflegt. Als nach dem Fall der Mauer Besuche in beide Richtungen möglich wurden, begeisterte das. Doch bald schon machte sich bemerkbar, dass das Spannende von früher nun fehlte und die Kosten der intensiven Kontakte über oft weite Entfernungen hoch waren. Dafür wurde die lokale Zusammenarbeit sowohl innerkirchlich wie in der Ökumene dringlicher. Mancher hatte in der Wendezeit noch gehofft, im Osten Deutschlands würden die Menschen nun in Massen zur Kirche zurückkehren. Viele jahrelang vakante Pfarrstellen auf dem Lande waren nach der Wiedervereinigung besetzt worden. Die kreiskirchliche Verwaltung wurde nach westlichen Maßstäben personell ausgestattet. Doch bald setzte Ernüchterung ein. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg stetig. Schon 1995 war deutlich, dass man sich übernommen hatte und es nun sparen hieß. Entlassen werden sollte in der Zeit der allgemein hohen Arbeitslosigkeit jedoch möglichst niemand. Zudem kam das demografische Problemfeld in den Blick. Mit dem Zusammenbruch der Wirtschaft auf dem Gebiet der DDR und der offenen Grenze begann der Exodus von inzwischen mehr als 4 Millionen ehemaligen DDRBürgern in die alten Bundesländer auf der Suche nach Arbeit. Die Zuwanderung von circa 3 Millionen Deutschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion zwischen 1987 und 2005, vor allem seit 1992, war ein Tabu-Thema, waren im Osten Deutschlands doch gerade erst die sowjetischen Truppen abgezogen. Nie haben die Ostdeutschen im Alltag so viel Russisch gehört wie in jenen Jahren. In dieser Zeit des allgemeinen Umbruchs aller Lebensbereiche und dazu der Massenarbeitslosigkeit sorgte dies für eine angespannte Stimmung. Die christlichen Gemeinden waren am ehesten die Orte, an denen sich die Neubürger willkommen und angenommen fühlen konnten. Auch dies förderte die Neuausrichtung der Kontakte in den Gemeinden. Statt
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Katharina Dang
der innerdeutschen Kontakte wurden nun osteuropäische Partner wichtig. Sie konnten das Gefühl vermitteln, dass man helfen und vom eigenen Überfluss abgeben könne. Dazu kam die positive Aufregung, diese ehemals abgeschotteten Länder zu besuchen, die Grenzkontrollen zu passieren und die Freude und Dankbarkeit der Besuchten zu erleben. Doch wenn sich die Besuchten selbst auf den Weg nach Deutschland machten, kam und kommt es zu Irritationen. So werden die demografischen Auswirkungen dieser Zuwanderung bis heute nicht in unseren Kirchen wahrgenommen. Bei der Darstellung des demografischen Problems werden Taufen und Beerdigungen, Eintritte und Austritte miteinander verglichen, nicht aber die Mitgliedergewinne, die wir als Evangelische durch die Zuwanderung der Deutschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion hatten. Doch vor Ort machten die Gemeinden das Beste aus ihrer Situation und öffneten sich vielfach für die neuen Möglichkeiten, die der gesellschaftliche Wandel ihnen bot. Sie suchten Austausch mit den unmittelbaren Nachbarn und waren auch offen für die Orientierung der Kirchenleitenden, in der Region verstärkt zusammenzuarbeiten und Möglichkeiten zu suchen, effektiver zu wirtschaften. Wo es schon historisch gewachsene Beziehungen gab, zum Beispiel zwischen Mutter- und Tochtergemeinden, lag dies besonders nahe. Während der Finanzkrise in der Berlin-Brandenburgischen Kirche 1995 bis circa 1998 waren zahlreiche Pfarrerinnen und Pfarrer bereit, auf Rechtsansprüche zu verzichten, damit die Gemeindearbeit finanziell weitergeführt werden konnte. Der Herbstsynode 1997 der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg lagen fünf Anträge auf Gehaltsverzicht bzw. -minderung vor, ein sechster Antrag wurde gemeinsam formuliert, dann aber von der Synode an die Kirchenleitung verwiesen und später nicht mehr besprochen. Vorzeitiger Ruhestand bei weiterer Mitarbeit war neben freiwilligem Gehaltsverzicht eine weitere Möglichkeit. Dazu wurden Fördervereine für alle nur möglichen Arbeitszweige der Kirchengemeinden gegründet und Fördergelder bei Stiftungen, kommunalen und anderen Stellen beantragt, um die Arbeit weiterzuführen oder sogar auszubauen. Das förderte die Vernetzung der in DDR-Zeiten in der Gesellschaft isolierten Kirchengemeinden vor Ort und deutschlandweit und war so auch Öffentlichkeitsarbeit.
2.
Gemeinden werden mündig und beginnen sich zu wehren
Die erwartete weitere finanzielle Abwärtsentwicklung trat jedoch für die EKBO insgesamt nicht ein. Trotzdem wird sie bis heute weiter erwartet. Jedes Jahr wird mit fünf Prozent weniger Finanzmitteln gerechnet. Bei der Praxis von Stellen-
Wenn sich Gemeinden gegen Fusionen stellen: Der Gemeindebund in der EKBO
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plänen über fünf Jahre (seit 1998) macht das dann schon 25 Prozent weniger aus und bedeutet den Wegfall jeder vierten Stelle. Nach zwanzig Jahren dieser Art des Planens müssten wir nun bei Null angelangt sein. Wir sind es aber nicht, sondern unsere Zuweisungen von Kirchensteuermitteln sind seit 2002 kontinuierlich gestiegen, einmal abgesehen von durch Abwanderung aussterbenden Dorfgemeinden in ländlichen peripheren Räumen. Lange Zeit hat die Notwendigkeit des Sparens den Gemeinden eingeleuchtet, war doch auch sonst überall vom Zwang des Sparens die Rede, auf der Arbeit, in der Kommune, wegen der Umwelt, aus Gründen der Solidarität. Es gab genug Leute, denen es schlechter ging als einem selbst. Der Wegfall bezahlter Arbeit wurde in den Gemeinden aufgefangen durch den zweiten Arbeitsmarkt, durch Menschen, die eine sinnvolle Arbeit suchten und dafür dem Arbeitgeber sogar noch Geld vom Arbeitsamt mitbrachten. Auch wenn dieses Geld über die Jahre immer weniger wurde, blieb es doch für einen Träger, der Arbeitsräume und Arbeitsmittel sowie sinnvolle Arbeit bieten konnte, finanziell eine lohnende Angelegenheit. Dazu kam das Gefühl, den betroffenen Menschen zu helfen und sie in der Gemeinde aufzufangen, eben diakonisch tätig sein zu können. Doch seit 2005 fiel diese Arbeitsförderung mehr und mehr weg und wurde andererseits hinsichtlich der Beantragung und Abrechnung so aufwendig, dass die Kräfte neu kalkuliert werden mussten. Nun aber wurde deutlich, dass ein großer Teil der bisherigen bezahlten Stellen weggefallen war. Die Arbeitsüberlastung der Übriggebliebenen war gestiegen. Die Bereitschaft, sich auf neue Konzepte der Gemeindearbeit einzulassen, war da, als 2007 mit »Salz der Erde« das Konzept der EKD von 2006, »Kirche der Freiheit«, auf die EKBO übertragen wurde. Die Analysen zur Situation waren nachvollziehbar, nicht aber in jedem Fall die Lösungsvorschläge. Doch es sollten dazu keine Stellungnahmen und Kritiken geäußert werden. Niemand wäre da, sie zu lesen und einzuarbeiten, sagte der Berliner Generalsuperintendent M.-M. Passauer vor Vertretern der Regionalen Diakonischen Werke, zu denen auch ich gehörte. So unterließen wir es, unsere Stellungnahme abzuschicken.
2.1
Erfahrungen der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Marzahn/Nord
Wir arbeiteten in der Kirchengemeinde Marzahn/Nord weiter wie bisher und versuchten, die gewandelten gesellschaftlichen Bedingungen so, wie es unsere Kräfte zuließen, zur Kenntnis zu nehmen, sie für unsere Arbeit zu nutzen bzw. sie zu problematisieren, wenn sie unsere Arbeit behinderten. Vielfältige Kontakte entstanden, auch zu Bewegungen wie Attac, Greenpeace, zu Stiftungen und Einzelpersonen, die den gesellschaftlichen Trend kritisch sahen. Wir brachten uns bei Kirchentagen ein, schrieben 2007 einen eigenen Armutsbericht »Befä-
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Katharina Dang
higung aller …«, wir mischten uns ein. Obwohl wir meinten, eigentlich als eine Leuchtturm-Gemeinde in das Konzept von »Salz der Erde« zu passen, bekamen wir in den Folgejahren mehr und mehr Schwierigkeiten mit unserer kreiskirchlichen Verwaltung und dem Kreiskirchenrat. Viel Kraft wurde auch gebunden durch die internen Auseinandersetzungen um die Verbindlichkeit der Zusammenarbeit mit unserer Nachbargemeinde Berlin-Marzahn. Ende 1999 kam es aufgrund der von mir geäußerten Bedenken nicht zur Abstimmung über die 1998 von beiden Gemeindekirchenräten verabredete Fusion der beiden Gemeinden. Im Herbst 2005 forderte uns unsere Kreissynode Lichtenberg-Oberspree auf, binnen Jahresfrist zu entscheiden, ob wir einen Sprengel bilden, einen Regionalrat gründen, der bei weiterer Selbständigkeit der Gemeinden die Arbeit, die Stellenpläne, die Haushaltspläne und die Gebäudebedarfspläne in der Region koordiniert, oder die Gemeinden der Region fusionieren wollen. Die Möglichkeit, einfach das zu bleiben, was wir waren, stand nicht mehr zur Debatte. Wir beschlossen im Frühjahr 2006 die Sprengelbildung. Im Frühjahr 2007 fand eine Generalkirchenvisitation unseres Kirchenkreises Lichtenberg-Oberspree statt. In dem Bericht »Die Mitte finden« (Passauer, 2007) vom Juli 2007 werden als Schwerpunkt und Fragerichtung in der Visitation als zweiter Punkt genannt: »Um ihre Aufgabe jetzt und künftig zu erfüllen, müssen Gemeinden Ressourcen bündeln und ausreichend große Strukturen schaffen. So stellt sich die Frage, welche Wege heute beschritten werden, damit Gemeinde Jesu Christi auch morgen sichtbar vor Ort lebt. Wie stellen sich die Leitenden der Zukunftsverantwortung und nehmen andere dabei mit auf den Weg?«
Über die Kreiskirchenratssitzung wird berichtet, dass die Kirchengemeinde Marzahn beantragte, die Anzahl der Ältesten zu verringern. »Der KKR beschloss, diesen Antrag zurückzugeben, um eine gemeinsame Kirchengemeinde oder gemeinsamen Gemeindekirchenrat mit Marzahn/Nord ins Auge zu fassen. Die V[isitations]K[ommission] hofft, dass die Gemeinde die Hintergründe des Beschlusses erfährt und dieser Prozess begleitet wird.« (TOP 1.3.)
Die Reduzierung der Zahl der Ältesten wurde vom Kreiskirchenrat dennoch später genehmigt. Druck, zu fusionieren, wurde auf die beiden Gemeinden nicht ausgeübt. Die Visitationskommission sprach im Bericht über die Kreissynode von einer »relativ guten Finanzausstattung« des Kirchenkreises »durch beträchtliche zusätzliche Einnahmen aus anrechenbaren Einnahmen der Kirchengemeinden« neben der Kirchensteuer. Visitiert wurden der kreiskirchliche Bauausschuss, drei Ausschüsse der Kreissynode und das Verwaltungsamt, aber kein Finanzausschuss, noch wurden Rücklagen, Liegenschaften und Haushalt mit Blick auf
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die Notwendigkeit von Gemeindefusionen befragt. Berichtet wurde über den Besuch des Ausschusses »Ordnung und Struktur«, der eine »Vorreiterrolle im Denken über die Regionalbildung« gespielt und die drei Modelle der Zusammenarbeit in den Regionen entwickelt hätte, die von der Kreissynode 2005 gebilligt wurden. So ging wohl ähnlich wie in unserer Gemeinde der Druck zu Fusionen hier noch von einem allgemein als Notwendigkeit erachteten zukünftigen Arbeiten in großen übergemeindlichen Strukturen aus. Ebenfalls nicht infrage gestelltes und überprüftes Allgemeingut war die Notwendigkeit, weitere Stellen künftig einzusparen. Dies betraf vor allem die Kinderarbeit. Im Visitationsbericht von 2007 werden für 30 Gemeinden in 10 Regionen 11 Stellen erwähnt. Der hohe Stellenwert der Kinderarbeit im Kirchenkreis wird gelobt, ebenfalls das Team. Auf Anregung des Berichts wurde ein Coaching des Katechetenkonvents empfohlen, damit den Mitarbeitenden klar würde, »in welche Richtung sowohl ihr Zukunftsbild als auch ihre Arbeit im Kirchenkreis gehen«. Es folgte eine einjährige Konzeptarbeit, die auch angesichts des im Wandel begriffenen Berliner Schulkonzepts, der verstärkten Einführung von Ganztagsschulen und der verringerten Kinderzahlen in der Christenlehre nötig war. Das gemeinsam erarbeitete Konzept der Katecheten wurde jedoch vom Kreiskirchenrat nicht gebilligt. Den Gemeinden wurde er nicht zur Kenntnis gegeben. Die bisherige, sehr engagierte Kreiskatechetin musste gehen. Die Zahl der Katechetenstellen wurde auf neun reduziert. 2010 wurden unserer Region die Stellenanteile für Katechetik halbiert. Wir begannen für unsere Katechetin zu kämpfen, allerdings bisher erfolglos. Es zählen nur die regelmäßig einmal in der Woche für eine Stunde zur Christenlehre kommenden Kinder, nicht die vielen hundert in der Gemeindegliederdatei stehenden Namen der Kinder. Projekte und andere Angebotsformen werden ebenso wenig als Argument akzeptiert. Dazu kam im Herbst 2010 die Aufforderung, unseren Bargeldverkehr einzuschränken und Aufwandsentschädigungen an Ehrenamtliche nicht mehr in bar auszuzahlen, was seit 14 Jahren möglich gewesen war. In der Folgezeit stellte der Superintendent bei Gesprächen immer wieder unsere Praxis infrage, an Gemeindekirchenratsmitglieder eine pauschale Aufwandsentschädigung für Fahrgeld von 5 Euro pro Sitzung zu zahlen. Es sollte damit beendet werden, was wir 2005 angefangen hatten, um niemanden aus Kosten-/Armutsgründen stillschweigend von der Gemeindeleitung auszuschließen. Marzahn-Nord und Marzahn-Mitte – unsere Gemeindegebiete – sind seit Langem als Armutsgebiete Berlins im Sozialatlas der Stadt aufgeführt (vgl. zu Marzahn-Hellersdorf: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, 2004: 33 – 45). Doch unsere Argumente zählten nicht. Im April 2013 wurden unsere Anweisungen für die Auszahlung von Aufwandsentschädigungen vom KVA einfach nicht mehr ausgeführt. Wir entschlossen uns, die gemeinwesensorientierte 17-jährige Pro-
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jektarbeit unserem Förderverein zu übertragen und organisierten ein Forum zum Thema Zahlung von Aufwandsentschädigungen in der Kirche. Im Sommer 2012 hatten wir wie alle Gemeinden der EKBO einen Brief vom Vorsitzenden des Gemeindebundes erhalten, der uns auf gravierende Grundordnungsänderungen durch die anstehende Herbstsynode aufmerksam machte. Wir informierten uns im Internet über den Gemeindebund. Über den Pfarrer der Gemeinde Manker-Temnitztal hatte verschiedentlich etwas in der Kirchenzeitung gestanden, aber was dort im Modellkirchenkreis Wittstock-Ruppin passiert war, das kam uns erst jetzt zu Ohren. Statt von einem notorischen Querulanten erzählten uns nun Ortskundige von einem Kirchenkreis, in dem ein Modellversuch der Kirchenleitung gescheitert war und eine wüste Kirchenlandschaft hervorgebracht hatte. Zur selben Zeit aber kamen uns Werbeheftchen darüber ins Haus, mit einem Vorwort von Bischof Dröge, herausgegeben vom Kirchenkreis Wittstock-Ruppin. Auf der EKBO-Webseite wurde WittstockRuppin mit einem Video beworben und so den Synodalen und den Kirchengemeinden von der Kirchenleitung als ein Erfolgsmodell vorgestellt. Wir besuchten die Treffen und die für Gäste offenen Vorstandssitzungen des Gemeindebundes und lernten beeindruckende Menschen kennen. So traten wir als Gemeinde dem Bund im Herbst 2012 bei.
2.2
Der Modell-Kirchenkreis Wittstock-Ruppin
Die für die gesamte Landeskirche geplante Strukturreform wurde 2007 in einem Kirchenkreis begonnen, der für die meisten Berliner außerhalb ihres Gesichtsfeldes in einem strukturschwachen und bevölkerungsarmen Gebiet nördlich von Berlin liegt. Durch die folgende, in dem üblichen Amtsdeutsch verfassten, schwer verständliche Rechtsverordnung (StrErpVO Wittstock-Ruppin, 2007) wurde im Amtsblatt der EKBO darüber informiert. Im Paragraph 1 heißt es über die »Kirchengemeinden«: »(1) Im Evangelischen Kirchenkreis Wittstock-Ruppin sind die Gesamtkirchengemeinden (Kirchengemeinden im Sinne der Grundordnung) in Kirchengemeinden gegliedert. Die Gliederung ergibt sich aus der Anlage; sie kann durch Beschluss der Kreissynode nach Anhörung der Gemeindekirchenräte und des Gesamtgemeindekirchenrats geändert werden. (2) Die im Jahr 2007 gewählten Ältesten bilden für das Gebiet ihrer Kirchengemeinde den Gemeindekirchenrat.«
Im § 2 Abs. 3 wird ausgeführt: »Der Gesamtgemeindekirchenrat (Gemeindekirchenrat im Sinne der Grundordnung) besteht aus
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1. den für die Gesamtkirchengemeinde zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Pfarrdienst, …« (StrErpVO Wittstock-Ruppin, 2007: 139)
Es wurden hier also die bisherigen Begriffe Kirchengemeinde und Gemeindekirchenrat weiterverwendet, ihr Inhalt aber auf ein neu zu schaffendes Gremium, den Gesamtgemeindekirchenrat, bzw. auf ein neu geschaffenes Rechtssubjekt, die Gesamtgemeinde bzw. den Kirchenkreis, übertragen. Dass dies Verwirrung stiften musste, war vorauszusehen. Rechtsanwalt Georg Hoffmann berichtete im Deutschen Pfarrerblatt 2012 über die Vorgänge: Der gesamte Kirchenkreis sollte auf Beschluss der Kirchenleitung in fünf Gesamtgemeinden umstrukturiert werden, doch 21 der insgesamt 54 Kirchengemeinden des Kirchenkreises Wittstock-Ruppin klagten 2008 erfolgreich beim Verwaltungsgericht der EKBO gegen die Gemeindefusionen. Zwei der geplanten fünf Gesamtkirchengemeinden des Kirchenkreises kamen so nicht zustande. Die Kirchenleitung der EKBO hatte nicht beachtet, dass sie zwar das Recht hatte, Erprobungsverordnungen für Kirchenkreise, nicht aber für Kirchengemeinden zu erlassen. Trotzdem wurde die Kirchenkreisreform seit dem 1. Januar 2008 unbeirrt fortgeführt. Die Gemeinde Temnitz, die sich zuerst auf die Erprobung eingelassen hatte, dann aber merkte, dass sie ihre Selbständigkeit verlor, begann sich mit Klagen zu wehren, die auf der Webseite des Christlichen Vereins Manker-Temnitztal1 dokumentiert sind. Sie merkte, dass nun der Kreiskirchenrat über den Einsatz der Pfarrer bestimmte, wollte ihren Pfarrer aber behalten. 2009 wurde ein Kompromiss gefunden, den die Landessynode bis 2013 befristete. Damit war das Kernstück der Reform, der zentrale Mitarbeitereinsatz, gescheitert. Doch damit war der Konflikt nicht zu Ende. Bischof Huber beteiligte sich persönlich daran, den Vorsitzenden des Gesamtgemeindekirchenrates Temnitz, den Gemeindepfarrer und einen ordinierten Gemeindepädagogen aus ihren Ämtern zu entfernen. Die Gesamtkirchengemeinde Temnitz wurde auf diese Weise institutionell wieder reformwillig gemacht. »Dies war für die Fortführung der Kirchenkreisreform ab 2013 sowie zur landeskirchenweiten Einführung des Reformmodells wesentlich, denn jetzt war es vordergründig wieder möglich, die Kirchenkreisreform in ihrer ursprünglichen Gestalt vor dem Kompromiss als Erfolg zu präsentieren.« (Hoffmann, 2013)
Zur weiteren Begriffsgeschichte: In dem Kirchengesetz über die Gesamtkirchengemeinden (Gesamtkirchengemeindegesetz – GKGG) vom 17. November 2012 hat die Landessynode der EKBO die ehemaligen Kirchengemeinden nun statt Ortsgemeinden »Ortskirchen« genannt. Diese sind aber nur Wahlbezirke im Sinne der Grundordnung. Kirchengemeinde im Sinne der Grundordnung ist 1 www.manker-temnitztal.de/ChristlicherVerein/Protokoll_der_Ereignisse.html
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wiederum die Gesamtkirchengemeinde, wobei der Gemeindekirchenrat nun auch Aufgaben einer »Gemeindesynode« oder »Ortskirchenräten« übertragen kann: »§ 1 Errichtung von Gesamtkirchengemeinden ( 1) 1 Werden mehrere Kirchengemeinden vereinigt, können diese im Rahmen des Verfahrens gemäß Artikel 12 Abs. 3 der Grundordnung beschließen, dass die zu bildende Kirchengemeinde in örtliche Bereiche mit jeweils eigenen Vertretungen (Ortskirchen) gegliedert wird. 2 Diese Kirchengemeinde trägt die Bezeichnung Gesamtkirchengemeinde.« (Kirchliches Amtsblatt, 2012: 240)
So wurde der dreistufige Aufbau der Landeskirche um eine vierte Ebene erweitert, wobei die bisherige (Orts-) Gemeinde als Körperschaft öffentlichen Rechts aufgelöst und damit eliminiert wird. Die bisher schon für einen Außenstehenden schwer zu verstehenden kirchlichen Strukturen wurden unübersichtlicher und in ihren Zuständigkeiten noch verwirrender.
3.
Gemeinden suchen Kontakte
Am 17. November 2007 kam es zu einem ersten Treffen von circa 30 Betroffenen und Interessierten, Pfarrerinnen und Pfarrern, Theologiestudierenden und Journalisten in Berlin, bei dem die Gründung eines Netzwerkes verabredet wurde. »Ein solcher Bund könnte, so die Hoffnung der Initiatoren, die Gemeinden ermutigen, eigenständige Reformvorschläge zu entwickeln, statt die Initiative zur Suche nach künftigen Strukturen und Arbeitsweisen allein den anderen Ebenen der Kirche zu überlassen.« (Gemeindebund in der EKBO, 2007)
So war von Anfang an das theologische Nachdenken über die Struktur der Gemeinden/Kirche Anliegen der Teilnehmenden. Es wird dokumentiert auf der Webseite der Bewegung. Es folgten Kontakte und gegenseitige Besuche mit ähnlichen Gruppen in anderen Landeskirchen, so vor allem nach Bayern zum Forum »Aufbruch Gemeinde«, nach Hessen-Nassau, ins Rheinland und zur Nordkirche. Professoren und Professorinnen wie Christof Gestrich (Berlin), Christian Möller (Heidelberg), Gisela Kittel (Detmold) und profilierte Pfarrer wie Rolf Fersterra (EkvW), Martin Hoffmann (Nürnberg) und Karl Martin (Berlin) hielten Vorträge bei den Treffen des Bundes in seinen Mitgliedsgemeinden.
Wenn sich Gemeinden gegen Fusionen stellen: Der Gemeindebund in der EKBO
4.
203
Gemeinden fragen neu nach Gottes Willen
Was ist eigentlich eine Gemeinde? Was ist eine Kirche? Diese Fragen bewegen den Gemeindebund seit seinem Bestehen immer wieder. Er hat seiner Arbeit Glaubenssätze vorangestellt, denen eintretende Gemeinden zustimmen müssen: Drei Glaubenssätze I Von der Kirche Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes (Röm. 12,2) 1. Die Kirche lebt in der Nachfolge Jesu Christi. 2. Ihre Sprache ist Jesu Sprache; ihre Tätigkeit ist Glaubens- und Liebesübung. 3. Ihre Ordnungen sind in ihrer Verkündigung begründet. II Von der Gemeinde Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. (Apg. 2,42) 1. Die Gemeinde ist die örtliche Gemeinschaft derer, die Christus nachfolgen wollen. 2. Gemeinschaft entsteht aus der Predigt des Evangeliums, aus den Sakramenten und aus dem Gebet. 3. Die Kirche erweist sich als Kirche, indem sie den Bestand und den Dienst der Gemeinden fördert. III Vom Dienst in der Gemeinde Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist (1. Petr. 5,2) 1. Aller Dienst in der Gemeinde bezieht sich auf die Predigt des Evangeliums und auf den Gebrauch der Sakramente in ihr. 2. Die Gemeinde trägt die in ihr Dienenden mit ihrem Gebet und ihren Gaben. 3. Ein Diener (eine Dienerin) an Wort und Sakrament ist von der Kirche stets auf das Ganze seiner (ihrer) Gemeinde verwiesen; die Gemeinde als Ganzes ist auf ihren Diener (ihre Dienerin) an Wort und Sakrament verwiesen. (Gemeindebund in der EKBO, o. J.a)
Diese Sätze mögen wie die folgenden für jemanden, der in die Konflikte des Reformprozesses nicht eingeweiht ist, nur allgemeine Selbstverständlichkeiten aussprechen. Doch gerade eine solch biblische Sprache ist heute nicht mehr kirchliches Allgemeingut. Worte wie »zielorientiert«, »zukunftsfähig«, »Marke«, »Markt«, »Leuchtfeuer«, »Orientierungspunkte«, »Bechmarking«, »Leitbild«, »Kompetenz« und »Feedback« durchziehen die theologischen Erklärungen und Papiere der Kirchenleitungen. Es sind Worte, die der Kunstwissenschaftler Pierangelo Maset in seinem »Wörterbuch des technokratischen Unmenschen« geißelt als »Schlagworte, hinter denen vor allem die weltumspannende Totalität der ökonomischen Doktrin steht« (Maset, 2013: 12). So erinnern diese Sätze nicht von ungefähr an die Barmer theologische Erklärung von 1934. Doch verwerfen die folgenden Sätze nicht wie damals eine Lehre, sondern fragen nach den
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Konsequenzen der noch allgemein anerkannten theologischen Aussagen. Eben diese Folgen für unser Handeln und die Gestalt unserer Kirche sind nicht mehr konsensfähig, insbesondere wenn es um die Art der Finanzierung von Kirche geht. So heißt es in den Theologischen Thesen des »Gemeindebundes in der EKBO«, die auf Anregung von Prof. Dr. Christof Gestrich formuliert wurden: 1. Die Kirche ist im Wort Gottes gegründet. Sie kann nur dort sein (und sie ist wirklich dort), wo die Verkündigung des Evangeliums geschieht und auch vernommen wird. Konsequenzen: Dass Kirche nur dort ist, wo Verkündigung des Evangeliums geschieht, ist allgemein anerkannt. Es werden daraus jedoch nicht die nötigen Konsequenzen für die Gestalt der Kirche gezogen. Wir sind der Ansicht, dass alle Ämter, Rechte und Dienste in der Kirche letztendlich in der gottesdienstlichen Gemeinde ihren Ursprung haben und sich aus ihr heraus bilden und entwickeln müssen. 2. Kirche muss sich immer und überall um ihren Herrn tatsächlich auch versammeln und sich von ihm allein führen lassen. Seine Führung ist die maßgebliche. Kirchliche ›Menschensatzungen‹ müssen sich durch sie immer wieder in Frage stellen lassen (= Hauptanliegen der Reformation). Konsequenzen: Die Taufe als der Zugehörigkeitsbeginn schließt die Bitte ein, diese Zugehörigkeit durch die persönliche Teilnahme an den gottesdienstlichen und sonstigen Versammlungen der Gemeinde fortzusetzen. Wir sind der Ansicht, dass die Aufnahme in die Gemeinde sowie Wiederaufnahme, Übertritt und Entlassung aus der Gemeinde nur von ihr selbst vorgenommen werden können. 3. Keine christliche Gemeinde, die irgendwann durch irgendwelche Einflüsse entstanden ist oder gegründet wurde, ist später gegen ihren Willen durch Beschlüsse anderer wieder aufhebbar. Sie ist aber mit ihrem eigenen Willen und gemäß ihrer eigenen Einsicht in andere Formen des Gemeindeseins überführbar. Konsequenzen: Sinkende Einnahmen und Personalengpässe veranlassen viele Kirchenleitungen, die Fusion von kleineren Gemeinden zu größeren Betreuungseinheiten anzustreben. Dabei wird auf Gemeinden Druck ausgeübt; zum Teil werden sie zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit gezwungen. Wir sind der Ansicht, dass den Kirchenleitungen ein solches Handeln gegen den Willen von Gemeinden nicht zusteht. 4. Die Gemeinden müssen zunächst auf sich selber stehen, auch finanziell. Jedoch kann keine Kirchengemeinde alles alleine anbieten, was aufgeboten werden sollte. Daher müssen die Gemeinden gemeinsam für das Erforderliche einstehen und einen Beitrag dazu leisten gemäß des ihnen Möglichen. Das heißt konkret: Schwerpunktbildung ist möglich, soll aber mit Hilfe von Kooperation ausgeglichen werden. Konsequenzen: Im Augenblick gehen die Kirchensteuereinnahmen bei den Kirchenleitungen und -verwaltungen ein und werden dann, nach Abzug des erheblichen Eigenbedarfs der Organisationsspitze, an die unteren Ebenen einschließlich der Gemeinden verteilt. Die Gemeinden werden zu abhängigen Bittstellern. Wir sind der Ansicht, dass der Geldfluss in der Kirche umgekehrt verlaufen sollte, nämlich von unten nach oben. Als einen ersten Schritt schlagen wir vor, dass die Gemeinden über das Kirchensteueraufkommen aus ihrem Gemeindegebiet informiert werden, indem die
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Höhe dieses Kirchensteueraufkommens in die gemeindlichen Haushalte als Zahlung der Einzelgemeinde an die Gesamtkirche eingestellt wird. 5. Einrichtungen wie die sog. Kirchenkreise in deutschen evangelischen Landeskirchen sollten theologisch nichts anderes darstellen als die Organisation dessen, was die Gemeinden einer bestimmen Region nur gemeinsam tun können (z. B. für spezielle Aufgaben wie Gefängnis- und Krankenhausseelsorge oder Präsenz in den Schulen tätig zu werden). Diese Organisation sollte dem Geist eines freien Zusammenschlusses entsprechen und nicht als ›Aufsichtsorgan‹ oder als ›höhere Ebene‹ fungieren. Konsequenzen: Es besteht gegenwärtig die Tendenz, dass die Kirchenkreise (die sogenannte »mittlere Ebene«) immer mehr Kompetenzen an sich zieht und insbesondere das Recht der Personalsteuerung auch für die Gemeinden beanspruchen (Mitarbeiterstellen, die früher gemeindliche Stellen waren, werden zu Kirchenkreisstellen gemacht und von dort verwaltet). Wir sind der Ansicht, dass dies auf eine Entmündigung der Gemeinden hinausläuft. Deswegen fordern wir, dass den Gemeinden die Personalhoheit wieder zurückgegeben wird. 6. Jede lebendige Gemeinde, jede lebendige Kirche hat das Bedürfnis, von außen her durch Glieder anderer Gemeinden / Kirchen wahrgenommen, beraten, unterstützend korrigiert zu werden. Kirche soll nationalstaatliche Grenzen überschreiten zur ›Weltkirche‹ hin, die aus gleichwertigen Gemeinden gebildet wird. Der Geist dieses Gefüges soll am Begriff des Bundes orientiert sein und am Gesetz Christi »einer trage des andern Last«. Konsequenzen: Wenn wir die Würde und die Rechte der Gemeinden stärken wollen, so treten wir damit nicht für einen Isolationismus oder eine egoistische Selbstgenügsamkeit ein. Die ökumenische Dimension von Kirche und Gemeinde ist uns sehr wohl bewusst. Wir bejahen sie. Wir möchten sie fördern und möchten uns selbst in das ökumenische Gespräch einbringen. Neben der Gemeinde ist die Kirche als das Miteinander der weltweiten Christenheit eine unverzichtbare Grundgestalt des christlichen Glaubens. (Gemeindebund in der EKBO, o. J.b, Hervorhebungen von K.D.)
Auf der Webseite des Gemeindebundes www.gemeindebund-online.de sind viele weitere Texte, Vorträge und Predigten zu diesem Thema zu finden. Durch den Artikel von Hadwig Müller in der Zeitung »Die mündige Gemeinde« kamen dazu Anregungen aus Frankreich. Sie berichtet von der Entwicklung im Bistum Poitiers seit 20 Jahren (Müller, 2013). Der dortige Erzbischof Albert Rouet, inzwischen im Ruhestand, wirkt weiterhin durch seine Schriften in diesem Sinne (Rouet, 2012).
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Gemeinden drohen auszubluten
Im Frühjahr 2012 waren die Gemeinden der EKBO per Mail um eine Stellungnahme zu einer Gesetzesänderung gebeten worden. Nur wenige haben die Bedeutung dieser umfangreichen Vorlage erkannt. Der Gemeindebund machte, wie oben erwähnt, im August durch ein Schreiben an alle Gemeinden und dann an alle Synodalen darauf aufmerksam. Doch die Synode beschloss die Grundordnungsänderung und das Gesamtgemeindegesetz bei nur zehn Gegenstimmen. Die Werbung in der kirchlichen Presse, in Broschüren und auf der Internetseite der EKBO, mit der positiven Evaluation durch die EKD und einem Video, hatte ihr Ziel erreicht. Die Warnungen und Mühen des Gemeindebundes schienen manchen der Aktiven vergeblich gewesen. Wichtige Männer zogen sich zurück. Sie wollten sich fortan ganz auf die eigene Gemeindearbeit konzentrieren. Die in der Satzung des Gemeindebundes vereinbarten Besuche und Partnerschaften zwischen den Gemeinden hatten in dieser Form nur ansatzweise stattgefunden und sich nicht weiterentwickelt. Doch bei einem deutschlandweiten Treffen im Februar 2013 wurde klar, dass die Entwicklung in anderen Landeskirchen wie im Rheinland und in HessenNassau schon viel weiter war als in der EKBO. Entsprechend wurden auch die Fragen schärfer gestellt und entsprechende Antworten ausgesprochen: – Es stimmt nicht, dass die demografische Frage das Hauptproblem unserer Kirchen ist. Die Zuwanderung wird uns unterschlagen. – Es stimmt nicht, dass die finanziellen Mittel der Kirchen rückgängig sind. Die Kirchensteuer ist nach einigen Schwankungen sogar gestiegen. Als Kirchen profitieren wir von dem Reicherwerden der Reichen. Es zahlen zwar weniger Menschen Kirchensteuer, aber 17 000 der Reichen zahlen so viel wie 21 Mio. der Durchschnittsverdiener (Becker, 2012: 10). – Tatsächlich wird unsere Kirche nach Ratschlägen von Unternehmensberatungen wie McKinsey zu einem Großunternehmen umgestaltet. Dieser Prozess ist schon sehr weit gediehen und kaum noch zu stoppen. – Die kirchliche Presse ist gleichgeschaltet und abhängig. Von ihr kann keine wirkliche Information erwartet werden. Vorgänge wie die im Modellkirchenkreis Wittstock-Ruppin und Aktivitäten wie das Entstehen eines Gemeindebundes werden verschwiegen. Nach den Beschlüssen der EKBO-Herbstsynode 2012 wird es den Kreissynoden möglich sein, mit einfacher Mehrheit überall Wittstocker Verhältnisse einzuführen. An Artikel 39 »Auftrag und Aufgaben des Kirchenkreises«, Absatz 3 der Grundordnung der EKBO wurde folgender Satz angefügt: »Er [der Kirchenkreis; K.D.] kann einzelne dieser Aufgaben selbst wahrnehmen, soweit die Kirchen-
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gemeinden zur ordnungsgemäßen Erfüllung nicht in der Lage sind oder die Aufgabe aus anderen Gründen auf den Kirchenkreis übertragen.« Im Entwurf des Gesetzes vom 30. März 2012, der den Gemeinden zur Stellungnahme gesandt wurde, hieß der Satz nur »Er kann einzelne dieser Aufgaben selbst wahrnehmen.« Zur Begründung dazu hieß es: »Der Formulierungsvorschlag trägt der Wirklichkeit in den Kirchenkreisen und Kirchengemeinden Rechnung, nach der die Kirchenkreise in erheblichem Umfang Aufgaben der Kirchengemeinden bereits wahrnehmen, mindestens aber organisieren. Dies ist insbesondere in Kirchenkreisen mit sehr vielen sehr kleinen Gemeinden der Fall. Hier werden berufliche Dienste regelmäßig in weitem Umfang auf der Ebene des Kirchenkreises organisiert. Zu nennen sind die Kinder- und Jugendarbeit, Kindertagesstättenarbeit und Kirchenmusik. Diese Lebenswirklichkeit sollte sich auch in der Grundordnung wiederfinden. Das Modell der Grundordnung, nach dem die Kirchenkreise lediglich Koordinationsebene der Kirchengemeinden und Durchgangsebene zwischen Landeskirche und Kirchengemeinden ist, trifft in den allermeisten Kirchenkreisen nicht zu.«
In der Vorlage der Kirchenleitung für die Synode wurde dem noch hinzugefügt: »Die Vorschrift ist aufgrund der Ergebnisse des Stellungnahmeverfahrens wesentlich zurückhaltender formuliert worden. Indem klargestellt wird, dass der Kirchenkreis einzelne Aufgaben der Kirchengemeinden nur dann übernimmt, wenn diese dazu nicht mehr in der Lage sind, erübrigt sich eine Einfügung dahingehend, dass eine Zustimmung des Gemeindekirchenrates oder ähnliches erforderlich ist.« (EKBO, 2012)
In der Kreissynode oder gar im Kreiskirchenrat ist es nun also möglich, Gemeinden ohne eine Begründung von Aufgaben, die die Grundordnung ihnen zuweist, zu »entlasten«. Die Gemeinden haben hier kein Widerspruchsrecht. So kann zum Beispiel auch die Verantwortung für Gebäude und Finanzen von den Gemeinden auf den Kirchenkreis übergehen. Die bisherige Ordnung unserer Kirche wird so in ihr Gegenteil gekehrt. Die Gemeinden sind nun abschaffbare Größen. Übrig bleiben die Kirchenkreise als »Kirchen«, zu denen sie auf derselben Herbstsynode 2012 per Grundordnungsänderung gemacht wurden (Herbstsynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, 2012). 2010 waren es noch 33 an der Zahl, mit Tendenz zur weiteren Reduzierung durch Fusionen. Die Behauptung, dass die Grundordnung damit ja nur festschreibe, was sowieso schon Praxis sei, trifft nicht zu. Sieht man die Liste der Kirchenkreise und Gemeinden auf der Adressseite der EKBO durch, gibt es zwar viele Pfarrsprengel und Kirchengemeinden, aber nur drei Gesamtkirchengemeinden, nämlich Ruppin, Temnitz und Protzen-Wustrau-Radensleben im Modell-Kirchenkreis Wittstock-Ruppin. Wenn man bedenkt, mit welchem Aufwand an Zeit und Werbung die Berliner Kirchenleitung seit Jahren versucht, dieses Projekt den
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Gemeinden der Landeskirche insgesamt als sinnvoll und nachahmenswert darzustellen, summiert sich die dafür schon investierte Arbeitszeit zu gewaltigen Kosten. Dies verdient einen Abbruch und ein Schuldeingeständnis der Kirchenleitung. Trotzdem wird hartnäckig an diesem Strukturmodell für Kirche weitergearbeitet. Das Kirchengesetz, das dieses Modell möglich gemacht hat – das Struktur-, Anpassungs- und Erprobungsgesetz, gültig seit 1996 – und ursprünglich dazu gedacht war, die schwierige Phase der Zusammenführung der östlichen und westlichen Kirchenhälfte nach der Wiedervereinigung zu ermöglichen, wurde das erste Mal 2005 bis Ende 2014 verlängert. Auf der Herbstsynode 2012 wurde die Befristung gestrichen. Damit sind diese und weitere Strukturanpassungsund Erprobungsverordnungen möglich und die bestehenden verlängerbar, so die für den Kirchenkreis Prignitz vom 14. 12. 2012 und die für den Kirchenkreis niederschlesische Oberlausitz von 2006 und für den Kirchenkreis Berlin-NordOst von 2008 (EKBO, 2013: 6 f.).
6.
Gemeinden schöpfen neuen Mut
Auf dem Treffen des Gemeindebundes am 23. März 2013 in Marzahn/Nord kam dies alles zur Sprache. Es wurde der Vorschlag gemacht, eine Zeitung herauszugeben, die im Gegensatz zu »Die Kirche« »Die Gemeinde« heißen solle. Das Vorhaben schien für unsere Kräfte viel zu groß. Doch als klar wurde, dass die Herbstsynode über die Finanzierung der kreiskirchlichen Verwaltungsämter und einen Pflichtleistungskatalog abstimmen würde, versuchten wir es und konnten den Synodalen am 23. Oktober 2013 vor dem Eröffnungsgottesdienst der Synode in der Berliner Stadtmission / Lehrter Straße unsere Zeitung »Die mündige Gemeinde. Eine protestantische Zeitung« überreichen. Sie ist auf der Webseite des Gemeindebundes unter www.gemeindebund-online.de einsehbar. »Herbstsynode soll Gemeinden weiter entmündigen« ist die Hauptüberschrift auf dem Titelblatt. Am Freitag, dem 25. 10. 2013, war in der Berliner Zeitung unter der Überschrift »Berliner Protestanten scheitern mit Reformplänen« zu lesen: »Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist mit Plänen zur Einführung einheitlicher Standards für die Arbeit ihrer Regionalverwaltungen gescheitert. Die Synode entschied mit 51 zu 41 Stimmen bei acht Enthaltungen, die bisherigen Regelungen beizubehalten. Damit werden vorerst keine einheitlichen Pflichtaufgaben festgelegt und die Kirchenkreisverbände behalten die Verantwortung für Organisation und Verwendung der Mittel der Verwaltungsämter.« (epd, 2013: 15)
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Die tatsächlichen Protestanten waren wir, Vertreter des Gemeindebundes, durch das Verteilen unserer Zeitung, in dessen Leitartikel es unter anderem heißt: »Nach den Vorlagen der Kirchenleitung soll die Landessynode der EKBO, die vom 23. bis 26. Oktober 2013 in Berlin tagt, über zwei Varianten einer Reform der Kreiskirchlichen Verwaltungsämter (KVÄ-s) entscheiden. In welche Richtung die Reformen gehen sollen, zeigt der Entwurf eines Pflichtleistungsgesetzes. Danach wird die Zuständigkeit der KVÄ-s erheblich auf nahezu alle Verwaltungsaufgaben der Kirchengemeinden erweitert werden. Der erhöhte Verwaltungsaufwand soll teilweise über Gebühren bezahlt werden, die von den Kirchengemeinden erhoben werden. Den Kirchengemeinden wird es damit zunehmend schwieriger, ihre Angelegenheiten selbst durch Ehrenamtliche verwalten zu lassen. Das Ehrenamt wird – zugunsten einer professionellen, entgeltlichen Verwaltung – beschränkt und damit auch eigener Verantwortungsbereiche beraubt. Bei Einführung der Gemeindekirchenräte im 19. Jahrhundert suchte man die Gemeinden durch größere eigene Verantwortung zu beleben. Heute scheint das Gegenteil davon angesagt zu sein. Für welche der zur Auswahl gestellten Varianten sich die Landessynode entscheidet, wird in der praktischen Konsequenz unerheblich sein. Die Notwendigkeit, die KVÄ-s zu finanzieren, wird die Entscheidungsfreiheit der Kreissynoden beschränken. Die Kreissynoden selbst werden nicht in der Lage sein, die Finanzierungsmodelle selbst zu beurteilen. Bereits für die Landessynode stellen sich erhebliche Schwierigkeiten, wie die Vorlage der Kirchenleitung zeigt. G.H.«
Diese Vorlage ist einsehbar unter der Drucksache 11 (EKBO, 2013b). Der Beschluss der Herbstsynode verschob trotz der Abstimmungsniederlage die Problematik auf die nächste Synode. Die Kirchenleitung wird beauftragt, »die gesetzlichen Grundlagen – auch mit Blick auf die Anteilsfinanzierung – zu überarbeiten und der Frühjahrssynode 2014 vorzulegen.« Außerdem werden mit dem Beschluss 1,5 Mio Euro aus dem laufenden Haushalt 2013 den Gemeinden und Kirchenkreisen vorenthalten und für die Verwaltung bereitgestellt, ohne dass es bisher Kriterien für deren Nutzung gibt (EKBO, 2013b). Erst auf der Frühjahrssynode sollen Vergabekritierien und -verfahren von der Kirchenleitung benannt werden. Dies bedeutet für die Kritiker keine Entwarnung, aber doch ein Aufatmen für die Gemeinden. Noch ist unsere Kirche kein Großunternehmen, noch gibt es die Chance, diese Umstrukturierung zu verhindern. Noch können wir verhindern, dass in den Zentren Berlin – für die EKBO – und in Hannover – für ganz Deutschland – eine Machtkonzentration entsteht, welche die dann Leitenden überfordern würde und 1945 bei der Gründung der Evangelischen Kirche Deutschland so auch nicht gewollt war, widerspräche sie doch zu sehr den Erfahrungen des Dritten Reiches.
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Das innere Leben der Kirche Die dezentrale Organisation der Evangelischen Kirche in Deutschland beschreibt ihr ehemaliger Ratsvorsitzender Otto Dibelius in seiner Autobiografie von 1961 »Ein Christ ist immer im Dienst«: »Das innere Leben der Kirche, also das, wofür sie recht eigentlich da ist, muss sich in den einzelnen Landeskirchen abspielen, nicht in der Evangelischen Kirche in Deutschland. Es muss sich im Grunde in den einzelnen Gemeinden abspielen. Man muss sich überhaupt völlig frei machen von der Vorstellung, als könnten einzelne Persönlichkeiten oder gar leitende Körperschaften einen entscheidenden Einfluss auf das innere Leben ihrer Kirche ausüben. Das innere Leben der Kirche folgt eigenen Gesetzen. Christlich gesprochen: es wird von dem Heiligen Geist Gottes geleitet und bestimmt. […] Außenstehende machen sich keinen Begriff davon, was es für Männer in leitender kirchlicher Verantwortung für eine ständige Entsagung bedeutet, zusehen zu müssen, wie es im kirchlichen Leben aufwärts und abwärts geht, ohne dass sie etwas Entscheidendes dazu oder dagegen tun können. Seine Pflicht kann man tun, seine sehr bescheidene Pflicht. Alles Große muss man dem Walten Gottes überlassen. Im übrigen war ja die ganze Organisation der Evangelischen Kirche in Deutschland nicht darauf zugeschnitten, dem Ratsvorsitzenden irgendeine Möglichkeit zu oberbischöflicher Betätigung zu geben. Alles war in dieser Organisation auseinandergezogen, verzettelt. Die Kirchenkanzlei, das Zentralorgan des Rats, saß in Hannover, das Außenamt in Frankfurt, das Hilfswerk in Stuttgart, der Bevollmächtigte bei der Bundesregierung saß in Bonn. In Berlin hatte ich einen ganz kleinen Stab von Mitarbeitern, von denen die meisten nur im Nebenamt an der Evangelischen Kirche in Deutschland beteiligt waren. Der Rat selbst versammelte sich im Durchschnitt alle zwei Monate einmal für ein bis zwei Tage und war immer froh, wenn er durch seine reichhaltige Tagesordnung einigermaßen hindurchkam. Große Fragen zu besprechen, war selten Zeit. Dazu kam bei vielen die abgrundtiefe Sorge, es könne sich in der evangelischen Kirche abermals eine ,reichsbischöfliche Diktatur‹ entwickeln. Nein – dem Ratsvorsitzenden waren sehr enge Grenzen gezogen! Und schließlich war der Ratsvorsitzende im Hauptamt Bischof seines Sprengels. Dort lag seine eigentliche Aufgabe. Auf der Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland sollte er dem Rat präsidieren. Präsidieren, nichts weiter! Leiten sollte er weder den Rat noch etwa gar die Evangelische Kirche.« (Dibelius, 1961: 271 f.)
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Der Zeitgeist hat großen Einfluss auf unsere Kirchenleitenden, damals ähnelte der Aufbau dezentraler Strukturen den staatlichen Strukturen in der Bundesrepublik. Heute zählt nur noch »Effektivität«, wobei die Kosten, die die Effektivitätsberechnungen selbst verursachen, bei der Effektivitätsberechnung unterschlagen werden. So liegt der Verdacht nahe, dass es sich in Wirklichkeit um den Kampf verschiedener Berufsgruppen um Arbeitsplätze handelt. Nachdem die Synode der EKBO während der Finanzkrise 1995 bis 1997 die Verwaltung sehr beschnitten hatte, ist nun die gegenteilige Entwicklung angesagt: Die Verwaltung wird in einem Maße ausgebaut, wie es bisher undenkbar war. Möglich ist dies dank der sehr konsequent und beharrlich durchgesetzten »Reformvorhaben«, durch die jahrelange Schwächung der Gemeinden und der Pfarrerschaft durch ständige Stellenreduzierungen und durch den Druck im Blick auf Fusionen, durch die immer größeren Arbeitsgebiete der Mitarbeiter und durch den Ausbau der mittleren Ebene mit Personal und Macht, sodass sie ihrerseits Druck ausüben kann. Die Gemeinden dagegen sehnen sich nach Gottes Wort und wollen ihre Kirche, ihr Gemeindehaus behalten, um sich dort versammeln zu können. Erst wenn das gefährdet wird, wachen sie auf, wie das Beispiel der Petri-Gemeinde in Berlin-Mitte zeigt. Es hat sich dort nach dem Zusammenschluss mit der Marienkirche und der Entwidmung des Gemeindesaales der Petrigemeinde in der Neuen Grünstraße ein Freundeskreis gebildet, der mit einer eigenen Internetseite (www.petrikirche-berlin.de) die Geschichte seiner Kirche zu vermitteln und die Gemeinde lebendig zu erhalten versucht. In Manker-Temnitztal entstand ein Christlicher Verein, dem auch eine Katholikin angehört und der in seinem Kirchen-Gemeinde-Brief 10/2012 eine Erklärung der bisherigen Ältesten der Gemeinde veröffentlicht, die sich alle zehn geweigert hatten, erneut für den Ortsgemeindekirchenrat zu kandidieren (Christlicher Verein Manker-Temnitztal e.V., 2012a). Der Verein selbst zieht in seinem Newsletter vom 6. 10. 2012 das Fazit: »Wir als Verein haben weiterhin unser Sonntagsfrühstück mit Gespräch über den jeweiligen Predigttext. Außerdem trifft sich der Frauenkreis und wir organisieren weiterhin Gemeindeabende wie z. B. demnächst wieder zum Reformationstag. Alles natürlich in öffentlichen Gebäuden, nicht auf kirchlichem Territorium, da uns das untersagt wurde. Die aktiveren Gemeindeglieder nehmen auch an Gottesdiensten im Nachbarkirchenkreis Kyritz teil, wo [N.N.] inzwischen für elf Dörfer zuständig ist. Die gelegentlichen Gottesdienstangebote durch die Gesamtgemeinde werden eigentlich nicht von Ortsansässigen besucht. Vielmehr werden Events veranstaltet, die dann Besucher von anderswo anziehen.
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Wir können nur allen kleinen Gemeinden raten, frühzeitig christliche Vereine zu gründen, um dann, wenn die eigene Gemeinde abgewickelt wird, weiterhin als Gemeinde vor Ort bestehen zu bleiben. Geld braucht man dafür fast keines, alle helfen sowieso ehrenamtlich mit und Dorfgemeinschaftshäuser sind meist auch preiswert zu benutzen. Es klingt vielleicht seltsam aber : Es ging uns viel verloren, wir haben aber auch eine neue Qualität gewonnen. Im Sinne von Gemeinschaft und aktivem Mittun vieler. Das ist im besten Sinne evangelisch.« (Christlicher Verein Manker-Temnitztal e.V., 2012b)
Zurzeit werden in Berlin-Marzahn etliche Gemeinden von Migranten neu gegründet. Schon länger existierende russlanddeutsche Gemeinden bauen Gemeindezentren. Die Gebäude sind bestens ausgestattet für die Nutzung als Gebets- und Gemeinschaftsraum, für gemeinsames Essen und Feiern. An die Kinder ist gedacht und entsprechende Räume sind für sie eingerichtet. Die neueste Tontechnik ist vorhanden und Jugendliche dadurch einladen. Menschen, die wir integrieren wollten, als sie nach Deutschland kamen, machen uns heute vor, wie Gemeinden in der heutigen deutschen Gesellschaft lebensfähig sind: selbständig, selbst finanziert, deutschland- und weltweit vernetzt, offen und mit viel Zeit für Kinder und Jugendliche, Ferienfahrten, eigene Chöre und Orchester, gegenseitige Hilfe und Beratung und vor allem gemeinsames Gebet und Schriftauslegung. An unseren Kriterien der Effizienz gemessen, ist das alles nicht finanzierbar, und doch sprühen sie von Leben. Wenn wir auch ihre Theologie nicht in allem übernehmen können und sollten, so doch ihr Gottvertrauen.
Literatur Becker, D. (2012). Kirche in Raum und Zeit. Zukunftsgestaltung angesichts der Endlichkeit. Zugriff am 15. 11. 2012 unter http://www.agentur-aim.com/downloads/kirche/DBKirche_in_Raum_und_Zeit.pdf. Christlicher Verein Manker-Temnitztal (o. J.). Protokoll der Ereignisse. Zugriff am 15. 11. 2013 unter www.manker-temnitztal.de/ChristlicherVerein/Protokoll_der_Ereignisse. html. Christlicher Verein Manker-Temnitztal e.V. (2012a). Wir Kirchenältesten von MankerTemnitztal geben bekannt. Kirchengemeinde-Brief Evangelische Kirchengemeinde Manker-Temnitztal, S. 2. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.mankertemnitztal. de/ChristlicherVerein/aktuelle_Dokumente_files/Gemeinde-Brief%2010.2013.pdf. Christlicher Verein Manker-Temnitztal e.V. (2012b). Newsletter des Christlichen Vereins Manker-Temnitztal. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.manker-temnitztal.de/ ChristlicherVerein/Newsletter_files/Newsletter%2006. 10. 2013.pdf. Die mündige Gemeinde. Eine protestantische Zeitung, hrsg. vom Gemeindebund in der EKBO, Nr. 1 v. 31. 10. 2013. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.gemeindebundonline.de/material/die-muendige-gemeinde.pdf.
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Dibelius, O. (1961). Ein Christ ist immer im Dienst. Stuttgart: Kreuz-Verlag, S. 271 f. EKBO (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) (2003). Grundordnung der EKBO. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.kirchenrecht-ekbo.de/showdocument/id/361. EKBO (Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) (2007). Salz der Erde. Perspektivprogramm der EKBO. Berlin. EKBO (Kirchenleitung Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) (2012). Drucksache 09. Vorlage der Kirchenleitung betreffend Zweites Kirchengesetz zur Änderung der Grundordnung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz. Zugriff am 02. 12. 2013 unter http://www.ekbo.de/docu ments?id=57339. EKBO (Kirchenleitung Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz) (2013). Rechtsverordnung zur Änderung der Strukturanpassungs- und Erprobungsverordnung u¨ ber Finanz- und Haushaltsfragen fu¨ r den Evangelischen Kirchenkreis Berlin Nord-Ost vom 19. April 2008 vom 14. Dezember 2012. Kirchliches Amtsblatt der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, 1/2013, 7. EKBO (2013b). Beschluss der Landessynode betr. Leistungsbeschreibung und Finanzierung der Kirchlichen Verwaltungsämter. Drucksache 11.1 B. Zugriff am 11. 11. 2013 unter http://www.ekbo.de/documents?id=59982. EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) (2006). Kirche der Freiheit. Perspektiven für die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert. Impulspapier des Rates der EKD. Hannover. epd (Evangelischer Pressedienst) (2013). Berliner Protestanten scheitern mit Reformplänen. Berliner Zeitung, 25. 10. 2013, S. 15. Freunde der Petri-Kirche (o. J.). St. Petri-Kirche in Berlin-Cölln. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.petrikirche-berlin.de. Gemeindebund in der EKBO (2007). Gründung eines »Gemeindebundes« diskutiert. Zugriff am 10. 11. 2013 unter http://www.gemeindebund-online.de/inhalt/bericht01. php. Gemeindebund in der EKBO (o. J.a). Drei Glaubenssätze. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.gemeindebund-online.de/inhalt/grundlage.php. Gemeindebund in der EKBO (o. J.b). Theologische Thesen des Gemeindebundes in der EKBO mit Konsequenzen. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.gemeindebundonline.de/material/thesen.pdf. Herbstsynode der EKBO (2012). Zweites Kirchengesetz zur Änderung der Grundordnung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 21./ 24. November 2003, Zugriff am 11. 11. 2013 unter http://www.ekbo.de/synode/beschluesse/1073065/. Hoffmann, G. (2013). Organisierte Erweckung in Berlin-Brandenburg, Deutsches Pfarrerblatt 2/2013, Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.pfarrerverband.de/pfarrerblatt/archiv.php?a=show& id=3321 Maset, P. (2013). Wörterbuch des technokratischen Unmenschen. Stuttgart: RadiusVerlag. Kirchengesetz über die Gesamtkirchengemeinden (Gesamtkirchengemeindegesetz – GKGG) (2012). Kirchliches Amtsblatt der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburgschlesische Oberlausitz. 12/2012, 240 f.
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Müller, H. (2013). Wie es auch mit uns weitergehen könnte – Erfahrungen aus Frankreich. Die mündige Gemeinde. Eine protestantische Zeitung, 1/2013, 10. Passauer, M.-M. (2007). »Die Mitte finden«. Bericht über die Generalkirchenvisitation des Kirchenkreises Lichtenberg-Oberspree vom 24. Februar bis 11. März 2007. Berlin. Rouet, A. (2012). Ein Gespräch mit Denis Gira. Aufbruch zum Miteinander. Wie Kirche wieder dialogfähig wird. Aus dem Französischen übersetzt von Thomas Philipp, Freiburg im Breisgau: Herder. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2004). Monitoring Soziale Stadtentwicklung Berlin 2004. Zugriff am 15. 11. 2013 unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/ planen/basisdaten_stadtentwicklung/monitoring/download/2004/endbericht_moni2004.pdf. Strukturanpassungs- und Erprobungsverordnung für den Evangelischen Kirchenkreis Wittstock-Ruppin (StrErpVO Wittstock-Ruppin) vom 31. August 2007, Kirchliches Amtsblatt, Nr. 9, 2007, S. 139 f. ZusammenLEBEN e.V. (2006). Gerechte Teilhabe. Befähigung aller in der Gesellschaft zu Verantwortung und Solidarität. Zugriff am 11. 11. 2013 unter http://www.zusammenleben-berlin.de/index.php/dokumentation/geld-zum-leben.
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Alles hat seine Zeit: Fusion zweier Diakonischer Werke zur Diakonie Hessen
Mit der Eintragung der Diakonie Hessen – Diakonisches Werk in Hessen und Nassau und Kurhessen-Waldeck e.V. in die betreffenden Vereinsregister im Sommer 2013 ist ein bisher einmaliges Konstrukt gelungen: die Bildung eines Diakonisches Werkes, welches das Gebiet zweier evangelischer Landeskirchen umfasst. Mit dieser Eintragung fand ein Prozess sein vorläufiges Ende, dessen Anfänge im Jahre 2003 liegen, als erste Schritte hin zu einer Kooperation der beiden Diakonischen Werke gegangen wurden. Eine besondere Dynamik gewann der Prozess jedoch erst, als sich die Möglichkeit einer sehr weitgehenden Kooperation oder gar einer Fusion immer deutlicher abzeichnete. Die nachfolgenden Ausführungen fokussieren auf die Hauptaspekte dieses gut zehnjährigen Prozesses, die ab diesem Zeitpunkt zu bewältigen waren: Ausgehend von der Identifizierung trennender und vereinender Voraussetzungen (1 und 2) waren rechtliche Fragen (3) wie auch strukturelle Herausforderungen (4) zu lösen, begleitet von der Notwendigkeit eines neuen und gemeinsamen inneren Aufbaus (5). Hinzu traten die wichtigen Fragen nach einer gemeinsamen Kultur (6) und einer transparenten Kommunikation im Verlauf des Prozesses (7). Dabei werden auch Hürden und kritische Punkte des Prozesses benannt, die aber im Ganzen nicht das Erreichte schmälern: ein Diakonisches Werk in Hessen, das sich durch die Fusion Freiräume und Perspektiven für die Zukunft geschaffen hat, um die zunehmenden Herausforderungen der Sozialpolitik im Sinne seines Auftrages anzunehmen.
1.
Die Ausgangslage – Vergleichbarkeit trotz greifbarer Unterschiede
In der Diakonie Hessen sind zwei Diakonische Werke miteinander verschmolzen, die vor allem aufgrund der geografischen Verortung ihrer Hauptgebiete im Bundesland Hessen in diesen Prozess eingetreten sind: das Diakonische Werk in
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Kurhessen-Waldeck e.V. (DWKW) und das Diakonische Werk in Hessen und Nassau e.V. (DWHN). Sowohl im Aufbau als auch im Selbstverständnis beider Werke waren gewichtige Unterschiede vorhanden, was insbesondere historische Gründe hat. So handelte es sich beim DWHN, anders als beim DWKW, nicht um einen reinen Spitzen- und Mitgliederverband, sondern auch um einen bedeutenden Träger diakonischer Einrichtungen: Sämtliche regionalen Diakonischen Werke (rDW) in Hessen und Nassau befanden sich in Trägerschaft des DWHN. Dies spiegelte sich naturgemäß im Haushaltsvolumen, der Zahl der Mitarbeitenden und dem Selbstverständnis wider. Sobald der Bereich der rDW ausgeklammert wird, stellten das DWKW und das DWHN durchaus vergleichbare Größen dar. Diese trotz Unterschieden vorhandene Vergleichbarkeit in ihren Details herauszuarbeiten und darzustellen, war einer der ersten wichtigen Schritte im Annäherungsprozess. Sie musste auch in Entscheidungsgremien immer wieder ins Bewusstsein gerufen werden, um der Angst vor einer Relation ungleicher Geschwister auf beiden Seiten die Grundlage zu entziehen. Weitere Unterschiede lagen im Bereich des Arbeitsrechtes, der inneren Organisation und der Zuordnung bestimmter Arbeitsgebiete. Schließlich zeigten sich sehr greifbare Unterschiede in der geografischen Situation: Während das DWKW – von der kleinen Enklave im thüringischen Schmalkalden abgesehen – ausschließlich im Bundesland Hessen lag, traf dies für das DWHN so nicht zu: Ein Drittel des Gebietes befand sich jenseits des Rheines im Bundesland Rheinland-Pfalz. Entsprechend groß ist nun auch der geografische Raum der Diakonie Hessen.
2.
Gründe und Ziele des Prozesses – mit einer starken Stimme in Hessen
Trotz dieser geografischen Unterschiede stellte der Bezugsrahmen der sozialpolitischen Arbeit beider Werke das Bundesland Hessen dar. Dies galt im Hinblick auf die politische und gesellschaftliche Situation und insbesondere für den Großteil öffentlicher Auftritte wie auch für die interne Organisation der Wohlfahrtsverbände in der LIGA Hessen. Ein hoher Einsatz von Ressourcen war für Abstimmungsprozesse der beiden Werke untereinander notwendig, um gegenüber dem Land Hessen, den Kostenträgern und anderen Verwaltungsorganen möglichst geschlossen auftreten zu können. Die »Aktion Sichere Zukunft« im Jahre 2003 der damaligen Landesregierung unter Ministerpräsident Koch, die einen massiven Eingriff in die bisherige Finanzierung der Sozialen Arbeit in Hessen bedeutete, führte dies erneut vor Augen. Angesichts der großen Herausforderungen durch den Umbau
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des Sozialstaates gerade auch auf der Ebene der Bundesländer und Kommunen reifte die Überzeugung, dass ein Werk auf solche politischen Erschütterungen besser reagieren und als dann größter Wohlfahrtsverband in Hessen mit dem nötigen Gewicht auftreten könne. Der Wunsch beider Werke, mit einer starken Stimme in Hessen zu sprechen, wurde einer der Motoren des Prozesses. Dass zunehmend insbesondere große und mittlere diakonische Einrichtungen über die Grenzen der jeweiligen Werke hinaus in Hessen aktiv waren, war ein weiterer Punkt, der diese Haltung bestärkte. Hinzu kam, dass die beiden Evangelischen Landeskirchen zeitgleich in einen Prozess eintraten, an dessen Ende eine Form der Kooperation stehen sollte, auf die hier nicht weiter einzugehen ist. In den Rahmen dieses kirchlichen Gesamtprozesses sollte die Kooperation der beiden Diakonischen Werke eingebettet werden, um so unterstützt und vorangetrieben zu werden. Im Rückblick lässt sich sagen, dass sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Verläufe beide Prozesse zunehmend entkoppelt und letztlich verschiedene Ziele verfolgten. Dabei haben sich Ängste, dass der Verlauf des kirchlichen Prozesses eine Fusion der beiden diakonischen Werke gefährden könnte, als unbegründet herausgestellt, da auch in beiden Synoden die Haltung vorherrschte, die Prozesse der beiden Diakonischen Werke und der Landeskirchen getrennt zu betrachten und zu bewerten. Der dritte Punkt, aus dem sich der Wille zu einem Kooperations- bzw. Fusionsprozess letztlich speiste, war die Erkenntnis, dass mittel- und langfristig mit einem Rückgang der finanziellen Ausstattung der Werke insbesondere im Bereich der kirchlichen Mittel zu rechnen war bzw. erste größere Kürzungen bereits vorgenommen waren. Angesichts dessen konnte eine substanzielle Gefährdung der Arbeit der Werke auf längere Sicht, trotz aller internen Einsparungsmaßnahmen, nicht ausgeschlossen werden. Hier reifte die Überzeugung, durch den Abbau von Doppelstrukturen gerade auch im Bereich der Verwaltung und Organisation Synergien zu erzeugen, die nicht nur langfristig die Handlungsfähigkeit sichern, sondern auch Spielräume zur Profilierung der inhaltlichen Arbeit und Beratung der Mitglieder schaffen würden. Zusätzlich bestärkend wirkte die Einsicht, dass zu diesem frühen Zeitpunkt noch eine relativ freie und eigenständige Gestaltung einer Kooperation bzw. Fusion möglich war, zu einem späteren Zeitpunkt aber mit einem höheren finanziellen Druck zu rechnen wäre, der diese Freiheiten stark einschränken würde. »Jetzt können wir fusionieren, in zehn Jahren werden wir fusioniert«, entwickelte sich zum geflügelten Wort dieser Überzeugung, das kritische Stimmen gegenüber einer Fusion zunehmend für sich gewinnen konnte. Letztlich ist zu sagen, dass diese Gründe in unterschiedlich starker Ausprägung von allen Beteiligten mitgetragen wurden. Deutlich zeigte sich dies an der Frage der Konsequenzen: Sollte am Ende des Prozesses eine weitgehende Ko-
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operation oder eine Fusion stehen? Die Entscheidung über diese Frage fiel erst im Laufe des Prozesses zugunsten einer Fusion. So war aber auch durch die Unklarheit in diesen Punkten ein Freiraum entstanden, der es erlaubte, trotz teilweiser Widerstände von außen und innen erste Schritte zu gehen, sich argumentativ mit diesen Widerständen auseinanderzusetzen und sie zu entkräften. Hierzu waren aber Erkenntnisse und Überlegungen notwendig, zu denen es ohne den Freiraum des Vagen, Ungefähren nicht gekommen wäre. Eine der Haupterkenntnisse des gesamten Prozesses ist hiermit benannt: Viele, um nicht zu sagen die meisten Punkte sind erst auf dem Wege, also im Laufe des Prozesses identifiziert worden. Als hilfreich hat sich hierbei herausgestellt, nicht unbedingt eine schnelle Lösung dieser Punkte zu forcieren, sondern zunächst einzuschätzen, ob eine zeitnahe Entscheidung für einen erfolgreichen Prozess überhaupt notwendig ist. Diese Strategie, insbesondere durch den externen Moderator sowie den externen Projektmanager getragen, hat zu einer starken Beschleunigung des Gesamtprozesses beigetragen und wird unter Punkt 4 beispielhaft erläutert. Es ist an dieser Stelle der unschätzbar wichtige Beitrag des externen Moderators zum Gelingen des Prozesses hervorzuheben. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die genannte Lösungsstrategie, sondern insbesondere für die Moderation der Sitzungen der handelnden Vorstände, zwischen denen ein Interessensausgleich und tragfähige Kompromisse zu finden waren. Ganz abgesehen von der besonderen Herausforderung, Sitzungen der vier Vorstände mit ihrem jeweiligen Vorstellungen und Überzeugungen so zu moderieren, dass das Ziel nicht aus den Augen gerät und eine lösungsorientierte Gesprächsatmosphäre herrscht.
3.
Der äußere Rahmen – neue Wege gehen
Als sich im Verlauf der Gespräche zunehmend die Fusion beider Werke als Ziel des Prozesses herauskristallisierte, gewann insbesondere die juristische Perspektive an Gewicht. Denn gerade juristische Überlegungen sprachen für eine Fusion, mit der die höchstmögliche Form der Verbindlichkeit gemeinsamer Arbeit in einem festen Rahmen abgesichert ist. Dies ist bei einer Kooperation so nicht gegeben. Aus rechtlicher Sicht bedurften drei große Themenbereiche einer Lösung, die teils mit politischer Brisanz verbunden waren: die Frage des Arbeitsrechtes, die Frage nach dem juristischen Prozess einer Fusion und schließlich die Gestaltung des rechtlichen Rahmens für ein gemeinsames Werk beider Landeskirchen. Ein Schritt auf diesem Weg war zunächst die öffentlichkeitswirksame Gründung der Diakonie Hessen GmbH, unter deren Dach sukzessive Arbeitsgebiete aus den beiden Werken zusammengefasst und die zur gemeinsamen Außen-
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darstellung genutzt werden sollte. Dieser Weg einer sukzessiven Zusammenführung unter Zuhilfenahme der gegründeten Gesellschaft wurde jedoch zugunsten einer Fusion der beiden bestehenden Diakonischen Werke im Ganzen insbesondere aus Gründen der Praktikabilität wieder verlassen. Als rechtliche Form der Fusion der beiden beteiligten Werke wurde die im sogenannten Umwandlungsgesetz geregelte Verschmelzung gewählt, wobei im konkreten Fall das DWKW (als übertragender Verein) auf das DWHN (als aufnehmender Verein) verschmolzen wurde. Die Verschmelzung in Form der Aufnahme des DWKW durch das DWHN erzeugte zunächst auf Seiten des DWKW eine gewisse psychologische Hürde, da der Prozess immer als Fusion unter Gleichen verstanden und gehandhabt wurde. Ausschlaggebend für diese Fusion waren letztlich steuerrechtliche Aspekte und die leichtere Durchführbarkeit. Hinzu kam die Einsicht, dass sich eine Fusion unter Gleichen nicht in der äußeren Rechtskonstruktion zeigt, sondern vor allem in der inneren Ausgestaltung. Zur inneren Ausgestaltung zählt in rechtlicher Hinsicht vor allem die gemeinsame neue Satzung einschließlich des dort geregelten neuen Namens des fusionierten Werkes. Bei der Gestaltung der Satzung wurde als leitendes Prinzip darauf geachtet, dass die Gremienzusammensetzungen und Verfahrensregelungen derart gestaltet sind, dass keine der beiden Seiten befürchten musste, von der jeweils anderen dominiert zu werden. Das Denken und Handeln in Seiten ist zwar bereits vor den eigentlichen Fusionsbeschlüssen zunehmend zugunsten einer gemeinsamen Sicht für das neue Ganze mehr und mehr zurückgetreten. Den Mitgliedern von DWKW und DWHN, die in ihrer jeweils entscheidenden Fusionsmitgliederversammlung der Fusion zustimmen mussten, hat diese Satzungsstruktur die Zustimmung jedoch erleichtert. Ein weiterer vor allem kirchenpolitisch anspruchsvoller Aspekt der neuen Satzungsgestaltung betraf die Regelungen zu den konfessionellen Anstellungsvoraussetzungen für die Mitarbeitenden in der Diakonie. Es bestanden in beiden Landeskirchen für ihre bisher jeweils eigenen Diakonischen Werke unterschiedliche Regelungen und grundsätzliche Haltungen. Die neuen und einheitlichen Grundsätze sind für das fusionierte Werk (und dessen Mitglieder) nicht kirchengesetzlich geregelt worden, sondern ebenfalls in der Satzung des fusionierten Werks. Die kirchenrechtliche Legitimation dieser Grundsätze ist über die Genehmigung der Satzung durch die zuständigen Gremien beider Landeskirchen hergestellt worden. Im Bereich der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen fanden sich für beide zu fusionierenden Werke unterschiedliche Regelungen zum Mitarbeitervertretungsrecht sowie zum Arbeitsvertragsrecht. Zur Vereinheitlichung des Mitarbeitervertretungsrechts hat man sich für das fusionierte Werk auf die Übernahme des Mitarbeitervertretungsrechts der EKD verständigt und hat auf diese Weise ein kompliziertes und langwieriges Angleichungsverfahren der bisheri-
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gen Regelungen im Detail vermieden. Bei der Frage eines gemeinsamen Arbeitsvertragsrechts war der erklärte politische Wille beider Kirchen und ihrer Diakonischen Werke, dieses weiterhin im Rahmen des sogenannten Dritten Weges zu gestalten. Für das fusionierte Werk wurde eine eigenständige Arbeitsrechtliche Kommission vorgesehen, während die bisherigen Kommissionen der Kirchen ihre Zuständigkeit nur noch für ihre jeweilige Kirche behalten. Die neue Arbeitsrechtliche Kommission für die fusionierte Diakonie Hessen wird zunächst beide bislang unterschiedlichen Arbeitsvertragsrechte des bisherigen DWKW bzw. des bisherigen DWHN weiter pflegen und parallel dazu ein neues für die Diakonie Hessen einheitliches Arbeitsvertragsrecht schaffen. Damit wurde auch hier der oben beschriebene methodische Lösungsweg beschritten: Die Schaffung eines einheitlichen Arbeitsvertragsrechts wurde von der Fusion entkoppelt. Mit der Fusion erfolgte lediglich die Verabschiedung eines Arbeitsrechtsregelungsgesetzes, welches die Schaffung dieser eigenen Arbeitsrechtlichen Kommission für die Diakonie Hessen vorsieht. Ebenso wurde die politische Frage nach der Zukunft des Dritten Weges von dem juristischen Prozess der Fusion entkoppelt. Eine Auseinandersetzung mit dieser Frage innerhalb des Fusionsprozesses hätte zu weiteren Verzögerungen der Fusion geführt. So wurden auch alle Versuche, insbesondere von Gewerkschaftsseite, diese Frage in den Fusionsprozess hineinzutragen, abgewehrt. Die Gestaltung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens in beiden Landeskirchen für ihr künftig gemeinsames Werk war davon geprägt, dass beide Kirchen zahlreiche bisher unterschiedliche Regelungen in Bezug auf ihr Diakonisches Werk für das künftig gemeinsame Werk anpassen mussten. Von den zahlreichen Einzelaspekten sind insbesondere die Vereinheitlichung der sogenannten Zuordnungskriterien und eine gemeinsame Finanzierungsvereinbarung hervorzuheben. Die unterschiedlichen Zuordnungskriterien, die beschreiben, unter welchen Voraussetzungen eine Mitgliedschaft im Diakonischen Werk und damit eine Zuordnung von eigenständigen Rechtsträgern zum Rechtskreis der Kirche möglich ist, wurden dadurch vereinheitlicht, dass sich beide Kirchen auf die Übernahme der sogenannten Zuordnungsrichtlinie der EKD geeinigt haben. Hinsichtlich der Finanzierung ihres gemeinsamen Werks haben sich beide Kirchen auf vertraglicher Basis über einheitliche und feste Grundsätze verständigt. Insgesamt ist für den juristischen Prozess festzuhalten, dass eine genaue Planung des gesamten Ablaufes zwischen dem zuständigen leitenden Juristen, den Juristen in den einzelnen Arbeitsgruppen und dem externen Projektmanagement erheblich zum Erfolg beigetragen haben, gerade auch angesichts der Vielzahl von zu beteiligenden Gremien in beiden Werken und Landeskirchen. Um übereinstimmende Ergebnisse von Erörterungen und Beschlussfassungen in beiden Landeskirchen sicherzustellen, wurde durch die Landessynoden
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beider Kirchen ein Fusionsausschuss aus Mitgliedern der Synoden gebildet, der die zu beschließenden Rechtstexte gemeinsam für die Sitzungen der jeweiligen Synoden vorbereitete. Dies erleichterte im hohen Maße den Abstimmungsprozess sowohl der Diakonischen Werke mit den beiden Synoden als auch der Synoden untereinander. Dass hier der Wille zur Fusion der beiden Diakonischen Werke auf allen Seiten vorhanden war, hat grundlegend zum Gelingen beigetragen.
4.
Die sogenannten unregelmäßigen Verben – ein Hindernisparcours
Als Hürde stellten sich bereits in der Anfangsphase die sogenannten unregelmäßigen Verben heraus, die sich im Laufe des Prozesses immer wieder als Hemmnisse eines schnellen Voranschreitens erwiesen. Bei diesen unregelmäßigen Verben handelte es sich um Arbeitsgebiete, die nur in einem Werk vorhanden waren, da sie im anderen dem Bereich der verfassten Kirche zugeordnet wurden. Dies hatte unterschiedliche historische und kirchenpolitische Gründe: diese kennenzulernen und nachzuvollziehen, trug auch zu einer Annäherung der beiden Partner bei. Im Detail handelte es sich dabei um folgende Arbeitsgebiete: – ökumenische Diakonie (angesiedelt im DWKW und der EKHN) – Fachberatung der Evangelischen Kindertagesstätten (angesiedelt in der EKHN und im DWKW) – Flüchtlingsarbeit, Migration (Zum Teil war dieser Bereich Teil beider Diakonischen Werke, hinzu kam aber die Arbeitsstelle Migration der EKKW.) – Freiwilligendienste (Hier gab es mit dem Zentrum für Freiwilligen-, Friedensund Zivildienst eine große Arbeitsstelle der EKKW, während es in Hessen und Nassau einen Bereich Freiwilligendienste innerhalb des Diakonischen Werkes gab.) – regionale Diakonische Werke (Diese sind in Kurhessen-Waldeck Teil der verfasst-kirchlichen Diakonie, in Hessen und Nassau war das DWHN Träger aller rDW.) Eine sachgerechte Lösung für diese unregelmäßigen Verben im Sinne einer einheitlichen künftigen Zuordnung zu einem fusionierten Werk bzw. zu den beiden Landeskirchen erforderte die Einbeziehung der und die Abstimmung mit beiden Landeskirchen. Hierfür war ein dreistufiges Vorgehen notwendig, das einige Zeit in Anspruch nahm: Zunächst war Einigkeit unter den Gesprächspartnern der beiden Diakonischen Werke herzustellen, dann Einigkeit
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mit der jeweiligen Landeskirche und schließlich Einigkeit der Landeskirchen untereinander. Dieser zeitintensive Prozess war schließlich erfolgreich, als die einzelnen unregelmäßigen Verben voneinander getrennt betrachtet und unterschiedlichen Lösungen zugeführt wurden bzw. Lösungsprozesse mit unterschiedlichen Zeithorizonten auf den Weg gebracht werden konnten. Dies bedeutet, dass das Ziel, alle unregelmäßigen Verben vor einer Fusion bereits einheitlich zuzuordnen, aufgegeben wurde. Allerdings wurden Zeithorizonte und Verfahren vor der Fusion beschlossen, sodass eindeutig geklärt war, dass und wie alle Arbeitsgebiete einer Lösung zugeführt werden sollten. Ein solcher Schritt setzt ein hohes Maß an Vertrauen der Gesprächspartner voraus – vermutlich war die zusätzliche Zeit notwendig, damit dieses auf allen Seiten wachsen konnte. Dieser durch den Moderator der zweiten Hälfte des Prozesses angestoßene, oben bereits erwähnte Lösungsweg trug in hohem Maße zum Gelingen bei. Dies gilt insbesondere für die Frage nach der Zuordnung der rDW, da dies von großer Bedeutung sowohl für das Selbstverständnis als auch für Befürchtungen auf Seiten der Mitglieder, Gremien und Mitarbeitenden des DWKW war. Stand dem DWKW mit dem DWHN und seinen rDW doch ein Werk mit circa 1300 Mitarbeitenden gegenüber, das damit etwa zehnmal größer war als das eigene. Auf der anderen Seite hatte sich für das DWHN die zentrale Steuerung und Leitung der rDW als Modell herausgestellt, das nicht unerheblich zum Wachstum und Erfolg der rDW und der Diakonie in Hessen und Nassau beigetragen hat. Zugleich bedeutete die Einbettung in den Landesverband eine große Sicherheit für die regionale Diakonie. Diese Ausgangssituation und das starke Interesse zu Beginn, diese elementare Frage vor einer Fusion zu lösen, führte zu zähen Verhandlungen der Partner, die sich immer wieder im Kreis drehten und so den Gesamtprozess verlangsamten. Bedingt hierdurch bot der Prozess auf diese Weise zugleich eine offene Flanke, die Anlass zum Widerstand gegen den Prozess gab und Argumente für diesen Widerstand lieferte. Ein Durchbruch gelang schließlich auch hier mit dem beschriebenen Weg: Die Frage wurde nicht vor der Fusion endgültig gelöst, sondern ein entsprechender Lösungs- und Zeithorizont festgelegt. Aufgrund der hohen Bedeutung dieser Frage wurde dieser Lösungsund Zeithorizont letztlich sogar Bestandteil der Satzung der DH, um hier ein höchstmögliches Maß an Verlässlichkeit und Sicherheit für alle Partner zu gewährleisten. So konnte schließlich auch kritischen Stimmen begegnet werden, die sich an dem Eindruck entzündet hatten, hier gäbe es »einen großen Bruder und eine kleine Schwester«.
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5.
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Der Kern der Fusion: der innere Aufbau des Neuen
Als Lehre aus dem Fusionsprozess lässt sich eine wichtige Erkenntnis festhalten, die selbst den Beteiligten in ihrer praktischen Dimension erst im Verlauf in aller Deutlichkeit vor Augen trat: Solche Prozesse benötigen die Einbeziehung der Mitarbeitenden mit ihrer Geschichte, ihrem Wissen und Können. Die neuen Aufgabenfelder sind nur mit der Expertise der Fachleute zu gestalten. Zugleich erhöhen Beteiligungsformen die Transparenz und minimieren auf diese Weise Ängste und Befürchtungen, die naturgemäß angesichts einer angestrebten Fusion entstehen. Die prozessuale Beteiligung der Mitarbeitenden führte dazu, die Entwicklung des inneren Aufbaus des neuen Werkes in drei Arbeitsschritten zu organisieren und diese Organisation durch den externen Projektmanager von außen sicherzustellen. Auf der Ebene der zukünftigen Arbeitsbereiche wurden sogenannte Bereichsprojektgruppen aus Vertreterinnen und Vertretern der jeweiligen Werke gebildet, die zunächst den Ist-Zustand der Bereiche in beiden Werken erheben mussten. Danach erfolgte die Entwicklung von Modellen der zukünftig einheitlichen Bereiche. Die Leitung dieser Projektgruppen gaben die Vorstände denjenigen Personen in die Hand, die sie auch für die spätere Leitung der Bereiche bereits ins Auge gefasst hatten. Die Ergebnisse der Bereichsprojektgruppen wurden in einer Projektbegleitgruppe vorgestellt, zu der neben den Vorständen auch Mitglieder der betroffenen Mitarbeitendenvertretungen (MAV) sowie die Pressesprecherin und der Pressesprecher der Werke gehörten. Hierdurch sollte eine durchgehende Information der MAV im Vorfeld der rechtlich vorgeschriebenen Wege sichergestellt werden. Die dritte Ebene war schließlich die sogenannte Vorstandsrunde, in der die Vorstände über die vorgestellten Modelle abschließend berieten und die notwendigen Beschlüsse fassten. Der Kommunikationsweg zwischen allen drei Ebenen wurde durch den Projektmanager sichergestellt, der an den Sitzungen aller Ebenen teilnahm. Dieses Verfahren führte letztlich zu einem guten Ergebnis. Als konflikthaft erwiesen sich allerdings Abstimmungen über Schnittstellen zwischen einzelnen Bereichen. Hier stellte es sich als sehr hilfreich heraus, dass der Moderator sowohl ein System zur Identifikation und zur Einordnung dieser Schnittstellen in den Prozess einbrachte als auch persönlich zu den Gesprächen über diese Schnittstellen zwischen den Leitungen betroffener Bereichsprojektgruppen hinzugezogen werden konnte. Beides beschleunigte das Auffinden von Lösungen. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass es eine enorme Herausforderung war und bis heute ist, einen Fusionsprozess dieser Größe neben dem laufenden Geschäft zu vollziehen. Die Gefahr, dass die fortwährende Befassung mit dieser Thematik zur Vernachlässigung aller übrigen Aufgaben gegenüber den Mit-
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gliedern, der Kirche und der Gesellschaft führt, ist nicht zu unterschätzen. Ihr wurde jedoch erfolgreich begegnet, indem der Zeithorizont des Prozesses so weit gezogen wurde, dass die Arbeitskraft und -zeit der Mitarbeitenden nicht vollständig für den Fusionsprozess aufgewendet werden musste. Die hier nötige Balance kann nicht durch den Vorstand verordnet werden, sondern konnte und kann nur mit den Mitarbeitenden, insbesondere der mittleren Leitungsebene, zusammen gefunden werden.
6.
Von zwei Kulturen zu einer gemeinsamen Kultur
Im Verlauf des Prozesses, und dies gilt über die formale Fusion hinaus bis heute, richtete sich das Augenmerk immer stärker auf die Entwicklung einer gemeinsamen Kultur. Dies lag nicht nur an prominenten Beispielen von gescheiterten Fusionen, bei denen dieser Frage nicht genügend Raum gegeben wurde. So wurde auf Anregung der ersten externen Begleitung eine professionelle Kulturanalyse durchgeführt, die schließlich in schonungsloser Präzision und Offenheit festhielt, was bereits vermutet wurde: Es waren zwei Werke, die insbesondere im Hinblick auf die innere Überzeugung und Motivation der Mitarbeitenden viele Gemeinsamkeiten hatten, in ihrem Selbstverständnis und ihrer Kultur aber von starken Unterschieden geprägt waren. Dies war zunächst der bereits beschriebenen unterschiedlichen Ausrichtung geschuldet, entweder ausschließlich ein Mitglieder- und Spitzenverband (wie das DWKW) oder darüber hinaus ein Trägerverband (wie das DWHN) zu sein. Weitergehende und bedeutende Unterschiede zeigten sich im Leitungsstil, dem Miteinander und dem Umgang mit Fehlern. Die Ergebnisse der Kulturanalyse wurden in einer aufbereiteten Form allen Mitarbeitenden durch das damalige Beratungsinstitut vorgestellt und erläutert. Eine abschließende Bewertung dieses Schrittes einer Kulturanalyse ist auch heute, vier Jahre danach, nur schwer vorzunehmen. Einerseits wurden auf diese Weise klar und transparent Kulturunterschiede benannt, die vorher nur als Vermutungen und Behauptungen im Raum standen. Dadurch, dass diese nun klar identifiziert und benannt waren, wurden Konfliktlinien im Prozess verständlicher und lösbar. Auch konnten so Aufgaben im Bereich der Organisations- und der damit verbundenen Kulturentwicklung benannt werden, die zum Gelingen der Fusion beitragen sollten. Andererseits ist jedoch zu bedenken, dass durch die Kulturanalyse und ihre Präsentation nun konkrete Anhaltspunkte für eigene Widerstände gegen die Fusion gefunden werden konnten und bestehende Ängste bei Mitarbeitenden verstärkt wurden. Im kritischen Rückblick ist anzumerken, dass solche Befürchtungen verhindert worden wären oder zumindest hätten gemildert werden können, wenn es in einem weiteren Teil nach der Analyse auch eine offensive
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Handlungsstrategie gegeben hätte, statt bei der analytischen Feststellung stehen zu bleiben. Letztlich muss aber festgestellt werden, dass im weiteren Verlauf des Prozesses mit den Anforderungen, die sich bei der Schaffung des juristischen und wirtschaftlichen Rahmens und des Aufbaus der Struktur des fusionierten Werkes stellten, die Frage der Kultur in den Hintergrund rückte, sodass dieser Frage jetzt nach Abschluss der Fusion nun endgültig genügend Raum gegeben werden muss. Dies soll in einem geordneten Verfahren geschehen, weshalb dafür Personalkapazitäten geschaffen wurden. Deutlich wurde nämlich auch in den letzten Monaten, wie bedeutsam die Kulturfrage für die Festlegung von Führungsverhalten, Strategieentwicklung, Handlungszielen und Arbeitsabläufen ist und, dass es insbesondere dort zu Missverständnissen und Konflikten kam, wo dieser Frage nicht genügend Raum gegeben wurde. Dies gilt in besonderem Maße für vermeintliche Kleinigkeiten des Arbeitsalltages, die aber zum Teil mit einer hohen Identifikation versehen sind. Daher bleibt festzuhalten, dass nicht nur für inhaltliche Fragen, sondern gerade auch für Fragen der Verwaltung und Organisation die Beachtung und Entwicklung der Organisationskultur von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Allerdings wurden in dem Prozess Voraussetzungen zur Entwicklung einer neuen gemeinsamen Kultur geschaffen. So wurde die Errichtung einer mittleren Leitungsebene, die vorher nur im Bereich des DWKW vorhanden war, bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt beschlossen. Hinzu tritt die Bildung eines regelmäßig tagenden Gremiums, das sich aus den Leitungskräften und den Vorständen zusammensetzt. Ziel ist die transparente Entwicklung einer Leitungskultur. Um dies zu gewährleisten, wurde ein Verfahren unter Beteiligung einer externen Moderation festgelegt. Wichtig für die Frage der Kultur ist auch die Festlegung, dass die Diakonie Hessen an den beiden bisherigen Orten der Werke angesiedelt ist. Dies ermöglicht die Entwicklung einer gemeinsamen Kultur frei von der Angst, den Arbeitsort wechseln zu müssen. Es bleibt allerdings naturgemäß die Gefahr einer gewissen Beharrlichkeit der beiden unterschiedlichen Kulturen und eines Wirund-Ihr-Denkens, auch wenn alle Arbeitsbereiche mit zwei Ausnahmen in beiden Geschäftsstellen vertreten sind. Es ist davon auszugehen, dass bei einer Ansiedlung an einem neuen und gewissermaßen neutralen gemeinsamen Standort dieses Risiko in dieser Weise nicht bestehen würde. Auch dieser Gefahr soll durch das oben genannte Verfahren begegnet werden, wobei hiermit auch Fragen des informellen bzw. des halbformellen Zusammenkommens der Mitarbeitenden sowohl auf Ebene des gesamten Werkes als auch auf Bereichsebene adressiert sind. Abschließend ist festzuhalten: Die innere Fusion kann nur gelingen, wenn die Entwicklung der Kultur der DH fester Bestandteil eines Gesamtprozesses bleibt,
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zu dem auch die Entwicklung einer gemeinsamen neuen Strategie für das DH gehört.
7.
Reden ist Silber, Schweigen ist gar nichts – die Kommunikation
Dieser Punkt ist der vielleicht kritischste des Fusionsprozesses: Es galt einen Kommunikationsprozess zu gestalten, der ein höchstmögliches Maß an Transparenz allen Beteiligten gegenüber schaffen und sicherstellen sollte, dass alle Beteiligten gleich gut informiert sind. Dies ist, so ist im Rückblick festzuhalten, nur in Ansätzen gelungen und hat nie die Stufe eines geordneten Prozesses erreicht, obwohl der Anspruch seitens der Vorstände sowie der Leitungskräfte immer wieder formuliert wurde. So gelang es nur zum Teil, Ergebnisse zügig in einer solchen Form zu präsentieren, dass der Abbau von Ängsten und Widerständen zeitnah möglich war. Hier wäre ein offensiveres und nicht auf Defizite orientiertes Vorgehen mit hoher Wahrscheinlichkeit von höherem Nutzen gewesen. Dies konnte erst im Laufe des Prozesses zunehmend umgesetzt werden und nahm vor allem im Jahr vor der Fusion Gestalt an. Ein besonderes Augenmerk soll in diesem Zusammenhang auch auf die Wortwahl und Semantik gerichtet werden. Es war im Verlauf des Prozesses zu beobachten, dass bestimmte Formulierungen schnell in den Verdacht des Phrasenhaften gerieten. Dies gilt insbesondere für Wörter und Formulierungen, die dem Bereich der Wirtschaft entliehen wurden und bereits eine Entwertung in der Öffentlichkeit erfahren haben. Hier gilt es auch die Besonderheit der diakonisch-kirchlichen Kultur zu beachten, die zu einem gewissen Grad von einem Misstrauen bzw. einer Ablehnung gegenüber »der Wirtschaft« bestimmt ist. Der Selbstanspruch ist von einer gewissen Abgrenzung gegenüber dem geprägt, was unter dem Begriff »Wirtschaft« gefasst wird. Werden Formulierungen aus diesem Bereich verwendet, können diese schnell als hohle Phrase abqualifiziert werden und Misstrauen wecken. Hier war und ist die Erfahrung, dass der Kommunikationsprozess von mehr Erfolg gekrönt ist, wenn einerseits stets die Empathie für die Situation der Beteiligten deutlich wird und andererseits anstelle von phrasenhaften Formulierungen präzise erklärende und verständliche Worte gewählt werden. Um es ganz praktisch darzustellen: Anstelle eines einzelnen Begriffes wird der Sachverhalt in einem oder mehreren Sätzen dargestellt und präzise benannt. So kann die gern verwendete Formulierung einer Fusion auf Augenhöhe schnell in den Verdacht der Phrasenhaftigkeit geraten, wenn nicht im zweiten Atemzug präzise
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benannt und beschrieben wird, worin dies nachvollziehbar zum Ausdruck kommt, wie zum Beispiel in der paritätischen Besetzung aller Gremien der Diakonie Hessen. Allerdings ist zu bemerken, dass die Kommunikation mit den Aufsichtsgremien von so hoher Qualität geprägt war, dass der Fusionsprozess hier kaum auf Widerstände traf und eine große Unterstützung auch gerade in heiklen Phasen erhalten hat.
8.
Eine Zwischenbilanz: Zwischen geglückter äußerer Fusion und innerem Zusammenwachsen
Mit dem Abschluss der formalen Fusion ist der äußere und damit vor allem der wirtschaftliche und juristische Teil des Fusionsprozesses zu einem erfolgreichen Ende gebracht worden. Dies ist insbesondere auf die Begleitung durch das externe Projektmanagement, die präzise Planung des Prozesses und die hohe Einsatzbereitschaft aller Beteiligten zurückzuführen. Auch die Bereitschaft beider beteiligten Landeskirchen und ihrer Synoden, sich hier auch auf neue Wege einzulassen, hat dazu in einem hohen Maße beigetragen. Dies gilt gerade auch angesichts des Verlaufes des Kooperationsprozesses beider Landeskirchen. Inwieweit dies auch für das Gebiet des Arbeitsrechtes gilt, wird sich erst noch zeigen, allerdings kann auch hier gesagt werden, dass die Trennung der politischen Frage nach der Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechtes von dem Fusionsprozess eine Verzögerung verhindert hat. Auch die Einzellösungen für die sogenannten unregelmäßigen Verben haben letztlich zu einer Beschleunigung des Prozesses beigetragen. Angesichts der ungewöhnlichen Dauer des Prozesses kann dennoch die Frage laut werden, warum dieser Zeitaufwand notwendig war. Gewiss können im Nachgang Punkte identifiziert werden, die zu einer unnötigen Verzögerung geführt haben, aber im Großen und Ganzen muss festgehalten werden, dass der lange Zeitraum mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr stark zum Erfolg beigetragen, wenn ihn nicht sogar grundsätzlich ermöglicht hat. Auch wenn dies mit einer zweifachen Revidierung des vorgesehenen Fusionstermins verbunden war, wurden so Räume geschaffen, um gerade auch konflikthafte Phasen von einem verschärfend hinzutretenden Zeitdruck freizuhalten. Hinzu tritt ein bisher noch nicht benannter sehr bedeutender Punkt für das Gelingen gerade auch der äußeren Fusion: das Wachsen des Vertrauens auf allen beteiligten Ebenen, das dieses Gelingen überhaupt erst ermöglicht und gerade auch die Schaffung von Strukturen zuließ, die zum Erreichen der genannten Ziele des Fusionsprozesses notwendig waren. Denn dies kann nur in neuen Strukturen gelingen, die in sich den Geist des
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gegenseitigen Vertrauens tragen. Auch der Aufbau einer tragfähigen inneren Organisationsstruktur kann bisher als erfolgreich bezeichnet werden. Die Grundlagen für das Erreichen der Fusionsziele sind damit also gelegt. Entscheidend wird nun der zweite Schritt sein: die Weiterführung der inneren Fusion und hier insbesondere der klar umrissene Prozess der Entwicklung einer gemeinsamen Kultur, eines gemeinsamen Selbstverständnisses und einer Strategie der DH. Hier gilt es, aus den Versäumnissen der Vergangenheit zu lernen, gerade auch in Fragen der Kommunikation der einzelnen Ebenen. Auch dieser Schritt der Fusion wird noch einmal ein hohes Maß an Kraft aller Beteiligten fordern. Von Vorteil dabei ist aber, dass die von einem hohen Grad an Vertrauen geprägte äußere Fusion keinen übermäßigen Kräfteverschleiß erforderte. Daher besteht die Hoffnung, dass auch dieser zweite Schritt, die zweite Phase der Fusion zu einem erfolgreichen Abschluss geführt werden kann. Über all dem stehen aber zwei Grunderkenntnisse: Die Fusion wäre ohne den Willen und die Bereitschaft, sich von externer Seite beraten und moderieren zu lassen, so nicht gelungen. Prozesse dieser Art benötigen die Begleitung durch kompetente und flexible externe Moderatorinnen und Moderatoren und ein ebenso qualifiziertes Projektmanagement, so wie es in dem Prozess der Fusion zur Diakonie Hessen der Fall war. Zum zweiten kann bereits zum jetzigen Zeitpunkt, trotz all der auch kritisch dargestellten Punkte, gesagt werden, dass die Aussage »Jetzt können wir noch fusionieren, später werden wir fusioniert« sich bewahrheitet hat: Der dargestellte Prozess der Fusion der beiden Diakonischen Werke in Hessen zur Diakonie Hessen fand in einem solchen Rahmen und unter solchen Bedingungen statt, dass die Schaffung des Neuen in großer Selbstbestimmung der Diakonischen Werke vonstattenging. Nur so konnte das Ziel erreicht werden, auch in Zukunft in einem größtmöglichen Maß dem diakonischen Auftrag der Evangelischen Kirchen in Hessen gerecht zu werden. Durch die Fusion stehen nun die dafür notwendigen Kräfte auch in Zukunft zur Verfügung.
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Glaube vernetzt leben in Europa: Eurodiaconia
1.
Das Mandat »Eurodiaconia vertritt eine dynamische, europaweite Gemeinschaft von Organisationen, die, im christlichen Glauben begründet, in der Tradition der Diakonie arbeiten und die einem Europa der Solidarität, der Gleichheit und der Gerechtigkeit verpflichtet sind.« (Auftrag von Eurodiaconia). »Als das führende Netzwerk für diakonische Arbeit in Europa unterstützen wir die Entwicklung von Dialog und Partnerschaft zwischen den Mitgliedern ebenso wie die Vertiefung von Einfluss und Engagement gegenüber der breiten Gesellschaft. Wir tun dies, um Inklusion, Sorge für und Empowerment der am meisten Verwundbaren und Ausgeschlossenen zu ermöglichen sowie um Würde für alle sicherzustellen.« (Vision von Eurodiaconia, Eurodiaconia, 2013a).
2.
Historie
Die Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband, vormals Diakonisches Werk der EKD, war Vorreiterin und Mitbegründerin von Eurodiaconia. Denn früh sah die Diakonie in Deutschland, dass es einen Sozialraum in Europa gibt, der Einflüssen seitens der Europäischen Union unterliegt, der sich mit künftigen EU-Beitritten noch ausweiten würde. Dieser Sozialraum verlangt nach Koordination und Einflussnahme. Eurodiaconia wurde 1992 als Verband von evangelischen Kirchen, freien diakonischen Wohlfahrtseinrichtungen und ökumenischen Nichtregierungsorganisationen gegründet, die in Europa auf nationaler oder internationaler Ebene arbeiten und in mehr als 20 europäischen Staaten vertreten sind. Die Mitgliedschaft stand von Beginn an protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Organisationen offen, deren Mandat diakonisch ist und der Zielsetzung und Identität von Eurodiaconia entspricht. Zudem war die Mitgliedschaft nicht
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auf den Raum der Europäischen Gemeinschaft (heute EU) beschränkt. Der Europabegriff wurde weiter gefasst und im geografischen Sinn verstanden. Eurodiaconia bestand zunächst neben dem Internationalen Verband für Innere Mission und Diakonie mit Sitz in Zürich, einer Vereinigung, die während des Ost-West-Konflikts eine bedeutende Rolle bei Kontakten über den Eisernen Vorhang hinweg spielte. Die Gründungsinitiative für Eurodiaconia ging von den diakonischen Organisationen in Deutschland, den Niederlanden und Frankreich aus. Sie schuf eine relativ flexible Struktur, mit lediglich einer Vertreterin oder einem Vertreter aus jedem Land ihrer Mitgliedsorganisationen, unabhängig von deren Größe. Diese Person nahm eine zentrale Rolle in der Diakonie des jeweiligen Landes ein (Torkelund, 2009).1 1996 schlossen sich die beiden Vereinigungen, Eurodiaconia und Internationaler Verband, zum »Europäischen Verband für Diakonie – Eurodiaconia zusammen« (Eurodiaconia, 2013b), was die einsetzende Erweiterung des Mitgliederkreises nahelegte.2 Das Züricher Büro wurde nach dem Ausscheiden des damaligen Generalsekretärs aufgelöst.3 Ein Integrationsschritt der damaligen Europäischen Gemeinschaft mit wesentlicher Bedeutung für die Arbeit von Eurodiaconia fiel in den Gründungszeitraum. Beschlossen mit der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 startete am 1. 1. 1993 der EG-Binnenmarkt: Nicht nur die Warenkontrollen an den Binnengrenzen sollten abgeschafft, sondern auch die vier Grundfreiheiten verwirklicht werden. Neben den Grenzen für Waren sollten auch die Grenzen für Personen, Dienstleistungen und Kapital fallen. Bereits die Gründer von Eurodiaconia haben erkannt, dass der Binnenmarkt die transnationale diakonische Zusammenarbeit stark beeinflussen wird. Brüssel als Sitz der Organisation war eine logische Entscheidung. Eurodiaconia als Verband ist politisch ausgerichtet und verfolgt als zentrale Aufgabe die Kommunikation mit den verschiedenen Stellen der Europäischen Union und der an ihrem Sitz repräsentierten Gruppen der Zivilgesellschaft. Diese Verortung schafft eine wichtige Voraussetzung für die zweite Hauptaufgabe von Eurodiaconia: Sie stärkt und koordiniert die Verbindungen der diakonischen Organisationen Europas untereinander, um durch Austausch Identität zu stiften und wechselseitig zu lernen. Hier folgt 1 Die Gründungsmitglieder kamen letztlich aus neun Ländern: den Niederlanden, Frankreich, Dänemark, Belgien, Portugal, Italien, England und der Schweiz. 2 1996 hatte die ursprüngliche Eurodiaconia Mitglieder aus 13 Ländern. Zu den Gründungsmitgliedern hinzugekommen waren Organisationen aus Finnland, Österreich, der Tschechischen Republik, Spanien und Schottland. 3 Dazu Torkelund, 2009: »Of course, it was irrational to have two general secretariats. However, from a human point of view, it made sense. Paul Haug [Generalsekretär in Zürich, M.L.] was a most kind man, who had been Secretary General of the ›Internationaler Verband für Innere Mission‹ for years and was approaching the age of retirement – to dismiss him shortly after the merger in Salzburg in 1996 would have been a cruel and unchristian thing to do. After a couple of years, he retired, and the office in Zürich was closed down.«
Glaube vernetzt leben in Europa: Eurodiaconia
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Diakonie dem Leitbild des Menschen als Ebenbild Gottes. Den Menschen in seiner Würde zu achten, ihn vor sozialen Härten und Ausgrenzung zu schützen und seine Lebensbedingungen positiv zu beeinflussen ist ihr ureigener Auftrag. Diesen Auftrag hat Eurodiaconia bereits bei seiner Gründung ins Zentrum seiner Arbeit gestellt.
3.
Struktur und Funktionen von Eurodiaconia
Eurodiaconia ist eine Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht nach belgischem Recht (AISBL)4. Die Organisation finanziert sich im Wesentlichen durch Mitgliedsbeiträge und Zuschüsse der EU. Ihre Organe sind die Generalversammlung, der Vorstand und der Generalsekretär oder die Generalsekretärin. Die Geschäftsstelle führt die laufenden Aufgaben und Geschäfte im Einklang mit der Satzung, die das anwaltschaftliche Engagement für benachteiligte und ausgegrenzte Menschen als Leitbild voranstellt. Die Mitglieder werden von der Geschäftsstelle darin unterstützt, sich auszutauschen und zu vernetzen. Dem Vorstand kommen die strategische Planung und die Aufsicht über die Erfüllung der Verbandszwecke zu. Er fungiert in diesem Sinn als Exekutivorgan für Eurodiaconia entsprechend dem in der Satzung begründeten Mandat. Durch ein dichtes Netzwerk zwischen den Mitgliedern wird die Identitätsbildung der europäischen Diakonie gefördert. Dies soll auch zu einer größeren Authentizität der eigenen Arbeit einzelner Mitglieder sowie der nach außen getragenen Positionierungen beitragen. Regionalgruppen, ein Informationssystem, Expertennetze und Projekte sichern dabei die europäische Vereinigung und die Meinungsbildung unter den Mitgliedern. Die Vernetzung von Eurodiaconia mit weiteren europäischen Organisationen der Zivilgesellschaft, die sich ebenfalls für eine solidarische und sozial gerechte Gesellschaft engagieren, macht einen weiteren wesentlichen Teil der Arbeit von Eurodiaconia aus. Zu diesen NGOs gehören unter anderen Caritas Europa, EAPN (European Anti Poverty Network), European Platform of social NGOs (Social Platform), FEANTSA (F¦d¦ration Europ¦enne des Associations Nationales Travaillant avec les Sans-Abri – Europäische Organisation gegen die Ausgrenzung von Wohnungslosen), Churches Commission on Migrants in Europe (CCME), Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) und der Europäische Verband protestantischer Entwicklungsorganisationen (APRODEV). 2013 wurde die Generalsekretärin von Eurodiaconia zur Präsidentin der Social Plat4 Association internationale sans but lucratif = Internationale Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht, entspricht einer gemeinnützigen Organisation nach deutschem Recht.
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form gewählt, eines für die sozialpolitische Entwicklung der EU bedeutenden Zusammenschlusses europäischer Netzwerke. Thematische Netzwerke zu unterschiedlichen Fragen der Diakonie und sozialen Diensten sind ein wichtiger und umfangreicher Teil der inneren Struktur von Eurodiaconia. Eine in übergreifender Weise gestaltende Rolle für die Verbandsarbeit nimmt die Steuerungsgruppe »Europa 2020« ein. Ihr gehören neben der Generalsekretärin derzeit Vertreterinnen und Vertreter aus Mitgliedsorganisationen Dänemarks, Finnlands, Frankreichs, Österreichs und Deutschlands an. Ursprünglich hatte sich die Gruppe zum Monitoring der sozialpolitisch relevanten Aspekte der Strategie Europa 2020 gebildet. Mittlerweile haben ihre Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein weiteres Spektrum europäischer Sozialpolitik aufgegriffen. Dazu gehört zum Beispiel die Vorbereitung von themenspezifischen Workshops zur Mitgliederversammlung 2013 in Berlin. Dabei ging es um die Weiterführung der »Erklärung von Novi Sad« aus dem Jahr 2012 (Eurodiaconia, 2013c), in der die Mitglieder versuchen, eine Antwort auf die Krise in Europa zu geben und deren soziale Dimension hervorzuheben.
3.1
Voneinander lernen, miteinander handeln – zu einzelnen thematischen Netzwerken
Eurodiaconia hat sich für den Austausch zwischen seinen Mitgliedsorganisationen neu strukturiert: Hierfür wurde eine Steuerungsgruppe eingerichtet und Netzwerktreffen wurden verstetigt. Die Netzwerke sind thematisch untergliedert und decken die folgenden Politikfelder ab: Marginalisierung und Exklusion, Gesundes Altern und Pflege, Glaube in der sozialen Arbeit, Beschäftigung im sozialen Sektor und Inklusion der Roma. Die Netzwerktreffen finden ein- bis zweimal im Jahr statt, wobei die jeweilige Zusammensetzung der Teilnehmenden wechselt. Die nach spezifischen Fragestellungen ausgerichteten Netzwerktreffen sprechen Interessierte an, die als Expertinnen und Experten unter anderem in der Langzeitpflege, der Armutsbekämpfung (soziale Rechte von Migranten aus der EU, Kinderarmut, Wohnungslosigkeit, Mindesteinkommen) oder der theologischen Grundsatzarbeit tätig sind. Für 2014 ist ein weiterer Fokus vorgesehen; die Inklusion von Jugendlichen in die Verbandsarbeit. Mit dieser Form der Vernetzung wird eine breite Partizipation der Mitglieder gewährleistet. Diese Treffen dienen mithin dem gegenseitigen Austausch und der Weiterbildung in diakonischen Arbeitsfeldern. Zugleich bilden sie eine Grundlage für die regelmäßige anwaltschaftliche Tätigkeit von Eurodiaconia. In den Netzwerktreffen lassen sich praktische Ansätze auch zu politischen Positionen und Forderungen verdichten. Die politischen Ergebnisse, die zum Teil aus den Netzwerktreffen oder auch Seminaren generiert werden, dienen der Advo-
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cacy-Arbeit nicht nur auf der europäischen Ebene, sondern auch auf der nationalen. Zwei Beispiele sollen dies näher erläutern: 3.1.1 Das Europa-2020-Seminar 2013 Das gemeinsam mit der Konferenz europäischer Kirchen (KEK) ausgerichtete Seminar informierte über den Umgang diakonischer und kirchlicher Untergliederungen mit dem Europäischen Semester,5 den von den jeweiligen Regierungen verfassten Nationalen Reformprogrammen (NRP) und den vom Europäischen Rat in der Folge verabschiedeten länderspezifischen Empfehlungen. Durch die Teilnahme von kirchlichen und diakonischen Vertreterinnen und Vertretern aus einer Vielzahl von europäischen Ländern entstand ein umfassendes Bild davon, was die Regierungen in die jeweiligen Nationalen Reformprogramme schreiben, was die diakonisch-kirchlichen Organisationen zur Krisenbewältigung vorschlagen und mit welchen Empfehlungen sich die EUKommission an die mitgliedstaatlichen Regierungen wendet. Die Bedeutung von zivilgesellschaftlicher Beteiligung in diesem komplexen Verfahren wird in jedem Land anders gesehen, obgleich es eine klare Vorgabe der EU gibt, der Zivilgesellschaft Partizipationsmöglichkeiten zu eröffnen. Die österreichische Diakonie hat eine Partizipationscharta entworfen und vorgestellt (Bundeskanzleramt / Lebensministerium Österreich, 2009). Sie wurde als Good Practice in der Diskussion aufgegriffen und kann bei entsprechender Verwendung dazu beitragen, dass auch in anderen Ländern eine strukturiertere und transparentere Beteiligung nachdrücklich gefordert wird. Die Unterstützung der Mitglieder bei der Beteiligung am Verfahren des Europäischen Semesters spiegelt sich insbesondere in diesem Seminar wider. Die Teilnehmenden formulierten alternative länderspezifische Empfehlungen für ihre Heimatstaaten, die an die Kommission und an EU-Parlamentarier weitergegeben wurden. Die Diakonie Deutschland forderte darin ein ganzheitliches und umfassendes Konzept zur Armutsüberwindung, anstelle der rein statistisch angelegten Berichte der Bundesregierung zur Senkung der Langzeitarbeitslosigkeit.
5 Beim Europäischen Semester handelt es sich um die jährliche Abfolge einer Berichterstattung über die wirtschafts- und sozialpolitisch relevanten Strukturreformen der EU-Mitgliedstaaten gegenüber der EU-Kommission. Diese bewertet die Berichte (»Nationale Reformprogramme«) und verfasst entsprechende länderspezifische Empfehlungen, die der Europäische Rat an die Mitgliedstaaten richtet. In den Empfehlungen werden Strukturdefizite benannt, die von dem jeweiligen Mitgliedstaat ausgeglichen werden sollen. Dieses Verfahren soll dem Haushaltsmonitoring dienen und erstreckt sich über die ersten sechs Monate eines jeden Jahres.
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3.1.2 Marginalisierung und Exklusion In diesem Workshop trafen Teilnehmende aus europäischen diakonischen Organisationen zusammen, die sich unter anderem mit Migration innerhalb der EU beschäftigen. Umfang und Wahrnehmung von sozialen Rechten der Migranten waren wichtige Gesprächsinhalte. In der gesamten EU gilt das Verbot der Diskriminierung von EU-Bürgern aufgrund der Staatsangehörigkeit. Dennoch stellt sich für viele EU-Migranten, die zur Arbeitsuche in einen anderen Mitgliedstaat ziehen, das Problem des gleichberechtigten Bezugs von Sozialleistungen. Nichterwerbsfähige und Nichterwerbstätige, die sich mangels Bezug zum Arbeitsmarkt nicht auf die Grundfreiheiten des Binnenmarkts berufen können, können ihr Recht auf Freizügigkeit innerhalb der EU oftmals nicht verwirklichen. Da das Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV sowie die Unionsbürgerschaft aus Art. 20 AEUV europaweit gültige Grundsätze abbilden, ist der Austausch zu deren rechtlicher Umsetzung in verschiedenen Ländern sehr hilfreich, auch um die Beratungsarbeit und die Lobbyarbeit im nationalen Bereich zu verbessern. Eurodiaconia fußt auf den beiden Säulen Austausch und Anwaltschaft.
3.2
Fazit aus Sicht der Diakonie Deutschland
Für die Europaarbeit der Diakonie Deutschland ist Eurodiaconia Ausgangspunkt und Ergänzung für zahlreiche Initiativen und Interventionen auf europäischer und nationaler Ebene. Sie ist inhaltlich fundierte Gesprächspartnerin, als Forum für den Austausch mit Peers aus anderen europäischen Ländern und als Katalysator für die Verbreitung von diakonischen Positionen im europäischen Rahmen. Eurodiaconia tritt als »soziale Stimme« in Europa auf. Dies stärkt zum Beispiel die Bemühungen der Diakonie Deutschland, innerhalb des Europäischen Semesters an Einfluss zu gewinnen und dort im Rahmen der Erstellung und Kommentierung des Nationalen Reformprogramms mehr Berücksichtigung mit Konzepten zur Armutsüberwindung zu finden. Auch wenn sich innerhalb des europäischen Verbands eine andere Position bildet als bei der Diakonie Deutschland, trägt dies zur Vergewisserung über die deutsche Positionierung bei. Die Position kann dann zum Beispiel im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) weitertransportiert werden, sei es auf der nationalen oder der europäischen Ebene. Eine solche Situation trat 2013 ein. Die EU-Kommission beabsichtigte, einen Hilfsfonds zur Unterstützung der Ärmsten einzurichten und dafür Mittel des Europäischen Sozialfonds (ESF) einzuplanen. Für die meisten der EurodiaconiaMitglieder war diese Initiative eine willkommene Unterfütterung ihrer Bemü-
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hungen, Armen und Ausgegrenzten materiell zu helfen. Für die Diakonie Deutschland war hingegen wichtig, die ESF-Mittel für strukturelle Verbesserungen und nicht für materielle Hilfe einzusetzen. Die Diakonie Deutschland löste den Zielkonflikt ihrer Mitgliedschaft bei Eurodiaconia, die den Hilfsfonds von Beginn an befürwortet hatte, indem diese spezifisch national gelagerte Position über die deutsche BAGFW (Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege) in Brüssel transportiert wurde. Eurodiaconia bestärkte in ihrer Positionierung wiederum den Aufbau auch von Strukturen, der für die Nachhaltigkeit der Hilfe besonders wichtig ist. In der Diskussion der Mitglieder von Eurodiaconia wurde die Bedeutung von kontinuierlichen und verlässlichen Strukturen deutlich, wie zum Beispiel das System eines Grundeinkommens. Die unterschiedlichen Positionierungen konnten produktiv zusammengeführt werden, nachdem im Rat der Europäischen Union eine Optionslösung gefunden wurde, die ebenfalls strukturelle Hilfen zur sozialen Eingliederung zulassen sollte.6
4.
Ziele und Strategie
Welche Strategie verfolgt Eurodiaconia, welche Ziele und welche Instrumente zur Umsetzung dieser Ziele setzt sich Eurodiaconia, um authentische Ergebnisse erarbeiten zu können? Zunächst lassen sich die Aktivitäten Eurodiaconias unter drei große Ziele fassen: – Wandel durch Praxis – Wandel durch Anwartschaft – Wandel durch Identität und Werte Allen Zielen ist gemeinsam, dass sie sich in der Struktur von Netzwerken und Plattformen wiederfinden und inhaltlich durch eine intensive Einbeziehung der Mitglieder verfolgt werden. Zudem versteht Eurodiaconia unter »Wandel«, die Inhalte ihres Auftrags und ihrer Vision, wie insbesondere Solidarität, Gerechtigkeit und Gleichheit, in der täglichen Arbeit umzusetzen.
6 Eine endgültige Entscheidung über die konkrete Ausgestaltung bzw. Finanzierung des Hilfsfonds lag zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Manuskripts noch nicht vor.
236 4.1
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Wandel durch Praxis
Hiermit ist in erster Linie gemeint, dass Mitglieder darin unterstützt werden sollen, sich im Sinne des Eurodiaconia-Auftrags zu engagieren und sich auf dem Wege von innerdiakonischen und externen Partnerschaften zu vernetzen, um ihre praktischen Erfahrungen weiterzuentwickeln und die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen auszubauen. Die Instrumente im Einzelnen sind: vertieftes Kennenlernen der Arbeit der Mitglieder, um Partnerschaften zu erleichtern; Kenntnisse über den Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten sammeln, um Partnerschaften und den Austausch von Best Practice zu ermöglichen; effektive Kommunikationsinstrumente und -systeme entwickeln; die Expertise von Eurodiaconia und ihren Mitgliedern bewusst machen. Entscheidend für den Wandel ist vor allem die Vernetzung unter den Mitgliedern. Das geschieht zum Beispiel im Rahmen der Europa-2020-Strategie, in der es auch um die Einbeziehung der zivilgesellschaftlichen Akteure in die von den Regierungen zu erstellenden Wirtschafts- und Sozialberichte geht (Nationales Reformprogramm und Nationaler Sozialbericht). Eine solche Einbeziehung war zwar ursprünglich ein erklärtes Ziel der EU-Staats- und Regierungschefs, ist aber in der Routine des politischen Alltags in den meisten Staaten wieder prinzipiell hintangestellt worden. Hier ist die Zusammenarbeit in der Mitgliedschaft von Eurodiaconia ein probates Mittel, um die eigene Regierung mit Erfahrungen anderer diakonischer Akteure aus anderen Ländern zu konfrontieren. In einem ganz anderen Bereich, dem der Öffentlichkeitsarbeit, hat die Diakonie Deutschland ein Konzept erarbeitet, das auch für andere Mitglieder Eurodiaconias ein Ausgangspunkt für eine diakonische Kommunikationsstrategie sein kann. Die Diakonie in Tschechien hat ihre umfangreichen Arbeitsergebnisse beim Qualitätsmanagement den Partnerorganisationen zur Verfügung gestellt. Zur Wissensvermittlung zwischen den Mitgliedern verknüpft die Geschäftsstelle von Eurodiaconia Themenbereiche und regt die Bildung von themenbezogenen Netzwerken an. Die thematischen Schwerpunkte werden in regelmäßiger Rückkopplung mit den Mitgliedern identifiziert. Zu den Netzwerktreffen kommen die entsprechenden Expertinnen und Experten aus den nationalen Diakonien zusammen. Zu einer breiten Basis von Expertise und Ressourcen gehört letztlich auch die Identifizierung von potenziellen neuen Mitgliedern für den europäischen Verband. Ebenso wichtig ist die Fortführung der Partnerschaften mit ökumenischen Stellen und weiteren sozialen NGOs. Aus diesen Zusammenhängen ergeben sich zusätzliche Impulse für die Praxis, aber auch die Möglichkeit, in Koalitionen stärker für gemeinsame Anliegen aufzutreten.
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Welche Ergebnisse will Eurodiaconia auf diesem Wege erreichen? In erster Linie entsteht durch den Austausch unter den Mitgliedern in themenspezifischen Netzwerken eine erhöhte Verbreitung von Good Practice; ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Qualität der diakonischen Arbeit. Ressourcen aller diakonischen Organisationen in Europa können genutzt werden. Nicht jeder muss das Rad neu erfinden.
4.2
Wandel durch Anwaltschaft
Dieses Ziel bedeutet, ein Kompetenznetzwerk zu schaffen, um einzelne Strömungen von Sozialpolitiken auf nationaler und europäischer Ebene zu beeinflussen. Dazu gehört das Empowerment (etwa: Bemächtigung zur eigenen Handlungsfähigkeit) ihrer Mitglieder und der Menschen, mit denen sie arbeiten. Eurodiaconia will auf diesem Weg ihre Mitglieder in der Zielsetzung unterstützen, ihre Arbeit für alle zugänglich, inklusiv und anwaltschaftlich auszurichten. Diese Haltung ist mitgliederzentriert, sodass die gesamten politischen und anwaltschaftlichen Initiativen ihren Ausgangspunkt in den Erfahrungen und dem Expertenwissen der Mitglieder haben. Dies verstärkt sich durch besonders vertiefte Partnerschaften mit einzelnen Mitgliedern, wenn es etwa um die Expertise in der Schuldnerberatung geht, wo Kerk in Actie (Kirche in Aktion) aus den Niederlanden eine Good Practice entwickelt hat. Ein Schwerpunkt der Arbeit von Eurodiaconia liegt in der Begleitung der Mitglieder bei der Entwicklung sozialer Dienste, insbesondere vor dem Hintergrund des europäischen Wettbewerbsrechts, dem gesetzten Rahmen im Beihilfe- und Vergaberecht, aber auch im Zusammenhang mit dem Freiwilligen Europäischen Qualitätssicherungsrahmen für Sozialdienstleistungen (Social Protection Committee, 2010). Um dessen Umsetzung wird es auch bei den künftigen Aktivitäten von Eurodiaconia gehen. Dabei ist ein zentraler Aspekt, dass vor allem auch soziale Abläufe und Beziehungen ihren Wert an sich haben, nicht allein die Ergebnisorientierung. Besonders herausragend für Träger und Erbringer von Sozialdienstleistungen ist seit 2011 die von der EU-Kommission lancierte Social Business Initiative (SBI),7 bei der es durch die vorgesehene Stärkung der Sozialunternehmen um ein sozial fokussiertes Gegensteuern der EU-Kommission in der vorrangig wirt7 Bei dieser Initiative zum sozialen Unternehmertum handelt es sich um ein Paket mit elf Vorschlägen der EU-Kommission, wie die Anerkennung, die Sichtbarkeit, der bessere Zugang zur Finanzierung sowie der rechtliche Rahmen für Sozialunternehmen in der EU verbessert werden können.
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schaftlich ausgeprägten Krisenbewältigung geht. Hier ist Eurodiaconia eng mit der deutschen Diakonie verknüpft, da Letztere über ein Mandat der BAGFW im EU-Expertengremium zum sozialen Unternehmertum (GECES)8 vertreten ist. Damit bestehen gute Möglichkeiten des Austauschs zum Beispiel zum politischen Rahmen der Finanzierung von sozialen Diensten, einem Thema, dem sich die BAGFW im Rahmen der GECES besonders widmet. Für Eurodiaconia gründet sich Anwaltschaft zum einen auf theologisch-biblischen Maßstäben für das Handeln seiner Mitglieder, zum anderen auf einen rechtebasierten Ansatz, der sich aus sozialen Rechten speist, wie sie in der Europäischen Sozialcharta, in der Europäischen Grundrechtecharta und in weiteren Menschenrechtsübereinkommen verankert sind. So spiegeln die Qualitätsbestrebungen der diakonischen Unternehmen das unveräußerliche Recht des Schutzes der Menschenwürde wider : ein Wert, der eng mit dem Schöpfungsgedanken und der christlichen Vorstellung verbunden ist, dass der Mensch ein Ebenbild Gottes ist. Es ist Aufgabe von Eurodiaconia, eine solche Verknüpfung herzustellen und in europäische Politik umzusetzen. Dazu gehört zentral das Recht auf generellen Zugang zu sozialen Diensten. Mit dieser Zielsetzung wurde auch das Eurodiaconia-Projekt Qu/A/SI (Qualität und Zugänglichkeit sozialer Dienste für Inklusion) durchgeführt, an dem unterschiedliche Erbringer sozialer Dienste aus dem NGO-Sektor, aus dem kommunalen Bereich und aus der Wissenschaft sowie eine Kirchengemeinde teilgenommen haben. Eine wichtige Schlussfolgerung dieses Projekts betraf das prozessuale Verständnis von sozialen Diensten: Diese sind Gegenstand von Beziehungen, Gesprächen und Verhandlungen in der Gesellschaft. Die Weiterentwicklung von sozialen Diensten hat sich Eurodiaconia auch im Austausch mit anderen europäischen Vereinigungen zum Ziel gesetzt und dafür das europäische Netzwerk »Social Services Europe« mit begründet.
4.3
Wandel durch Identität und Werte
Globalisierungswirkungen, Modernisierung der Gesellschaft und Singularisierung der Menschen führen zu Identitätsverlusten. In der Schrift »To be and to do« heißt es: Glaubens-, Wertvorstellungen und Lebensorientierungen werden aus ihrem traditionellen sozialen Umfeld herausgelöst. Identität durch selbstverständlich gelebte Werte zu finden wird schwieriger. Dem Menschen wird 8 EU-Sachverständigengruppe für soziales Unternehmertum. Dieses Gremium setzt sich aus Vertretern der nationalen Regierungen, Wohlfahrtssektoren und der Wissenschaft zusammen. Für die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege wurde Pfarrer Christian Dopheide aus der Diakonie, Stiftung Hephata Mönchengladbach, benannt.
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gleichzeitig abverlangt, sich durch mehrere Identitäten zu begreifen, sei es auf lokaler, regionaler, nationaler oder europäischer Ebene oder sei es in Bezug auf unterschiedliche Lebenswelten. Zur Identität von Eurodiaconia gehört ein klares Bild von dem, was Diakonie ausmacht. Dafür hat eine Arbeitsgruppe eine Ergänzung zum ersten theologisch basierten Papier »To be and to do« aus dem Jahr 2004 entwickelt: »Diaconal Identity – Faith in Social Care«. Dieses 2010 fertiggestellte Dokument ist eine Antwort auf den aus der Mitgliedschaft geäußerten Wunsch, die Werte der Diakonie zu definieren und zu fördern sowie die Bande zwischen Diakonie und Kirche zu stärken. Die Verknüpfung der theologisch-spirituellen Ebene mit den Untergliederungen in den einzelnen sozialen Diensten ist eine stete Herausforderung für alle diakonischen Organisationen in Europa. Ausgehend von dieser Gemeinsamkeit, den christlichen Glauben in der Erfüllung konkreter Bedarfe von Menschen in schwierigen Lebenslagen zu leben, ruft das Papier »Diaconal Identity« zur Reflexion und Diskussion des diakonischen Selbstverständnisses auf. Warum beschäftigt sich eine Organisation wie Eurodiaconia mit Identitätsfragen und was haben Antworten darauf zum Beispiel mit einer guten anwaltlichen Vertretung von Menschen zu tun, deren Perspektiven häufig Einschränkungen erfahren? Dazu sagt das erste Kapitel: »Our identity can define us and make us recognizable in terms of possessing certain qualities or characteristics that distinguish us from individuals of a different nature.« (Diaconal Identity, 2010: 4). Da Identitätsbildung auch von Faktoren wie zum Beispiel dem sozioökonomischen Umfeld in den verschiedenen europäischen Ländern und persönlichen Überzeugungen abhängt, ist es für die Selbstvergewisserung innerhalb einer wertebasierten Organisation wie Eurodiaconia von besonderer Wichtigkeit, dass sich ihre Mitglieder über diese identitätsbestimmenden Faktoren im Klaren sind. Erst dann ist es möglich, kohärente anwaltliche Aktivitäten und politische Interventionen zu unternehmen. Zugleich spielt es gerade für eine diakonische Vereinigung eine Rolle, dass sich Träger und Einrichtungen von diakonischen Diensten in einer doppelten Funktion befinden: Zum einen bieten sie soziale Dienste in einer offenen Gesellschaft für alle an, zum anderen verkörpern sie den spirituellen Rahmen eines sozialen Dienstes der Kirchen – den gelebten christlichen Glauben. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu sonstigen Organisationen und Unternehmen, die ihre Identität erkunden bzw. nach außen tragen. Das Papier bildet gemeinsam mit dem vorausgehenden Dokument »To be and to do« den theologischen Rahmen für die anwaltliche und die netzwerkende Arbeit von Eurodiaconia. Eurodiaconia entwickelt konkrete ethische Forderungen gerade bei der
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Umsetzung von Strategien, die sich unter anderem mit der Weiterentwicklung der Europäischen Union als Ganzes befassen. Armutsüberwindung, soziale Eingliederung, Beschäftigungspolitik und inklusives Wachstum sind wesentliche Elemente dieser Strategie. Für ihre Realisierung sucht Eurodiaconia nach transnationaler Vergleichbarkeit und einem gemeinsamen Verständnis von sozialen Diensten in der EU. Hierfür veranstaltet sie Konsultationen und Projekte, welche die EU-Kommission zum Teil fördert und die den Austausch zwischen den Beteiligten an der Entwicklung von sozialen Diensten EU-weit ermöglichen.
5.
Aktuelle Herausforderungen und Themen
Die Entwicklung von Eurodiaconia ist ein Lernprozess in einem sich wandelnden Umfeld. Ihre Zusammensetzung, länderübergreifend und konfessionell, hat sich gewandelt. Verschiedene diakonische Traditionen trafen aufeinander, ebenso das generelle Verständnis von Diakonie. Der europäischen Staatengemeinschaft war in den letzten zwanzig Jahren die Aufgabe gestellt, die überwundene Ost-West-Spaltung Europas nicht durch eine erneute Spaltung entlang der Trennlinie von Insidern und Outsidern in Bezug auf die EU zu ersetzen. Zudem wirkt es sich auf die Mitglieder aus, ob eine Mehrheits- oder Minderheitskirche ihren Hintergrund bildet. In den vergangenen Jahren versandte Eurodiaconia umfangreiche Fragebögen an alle Mitglieder. Gefragt wurde unter anderem nach ihrer Einschätzung der sozialen Gerechtigkeit und sozialen Sicherheit im jeweiligen Land. Die Antworten zeigten, dass sich beide Begriffe nach Einschätzung der Befragten wesentlich unterscheiden. So wird soziale Sicherheit überwiegend mit der wirtschaftlichen Stärke eines Landes verbunden. Soziale Gerechtigkeit wird hingegen primär mit dem Handeln der politisch Verantwortlichen verknüpft.
5.1
Wie entsteht Innovation?
Nach Hans Jørgen Torkelund habe seit dem Ende des Ost-West-Konflikts in den postkommunistischen Ländern stets die gleiche Erwartungshaltung vorgeherrscht. Eurodiaconia müsse mit aller Kraft auf die Etablierung von robusten Strukturen hinwirken. Hingegen seien kleine, verstreute Projekte – hier eine Klinik, dort ein Seniorenheim – wenig zielführend. Diese Argumentation sei ihm zunächst plausibel erschienen, heute lehne er sie ab. Denn noch nie wurde nachhaltige Diakonie im Top-down-Verfahren errichtet. Vielmehr brauche ihre Etablierung Zeit und müsse von der untersten Ebene ausgehen. Ansonsten erweise sich ihre Arbeit als kurzlebig (Torkelund, 2013). Diese pragmatische
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Denkweise, die mehr an konkreten Aufgaben als an abstrakten Zielen orientiert ist, bringe mehr Erfolg (Torkelund, 2013). Dieser Ansatz spielt auch in der heutigen Innovationsdebatte eine Rolle, denn die gute Idee alleine unabhängig von ihrer strukturellen Nachhaltigkeit, kann nicht zu einer verlässlichen und kontinuierlichen Verbesserung des sozialen Dienstes beitragen.
5.2
Lebensqualität
Lebensqualität für alle in einem sozialen Europa bedeutet, Menschenwürde und soziale Integration zu verwirklichen und die Bekämpfung von Armut in den Mittelpunkt des Engagements zu rücken. Dies sind grundlegende Ziele von Eurodiaconia (Eurodiaconia, Strategic Plan, 2004 – 2006: 5). Gemeinsam mit verwandten NGO und den Kirchen will Eurodiaconia die Grundversorgung der Menschen so sicherstellen, dass sie Spiegel der Menschenwürde und nicht nur Gegenstand von Effizienzmessungen und Gegenstand von Berechnungen wird. Denn dies läuft unweigerlich darauf hinaus, nur noch auf dem Niveau des geringsten Preises Sozialdienstleistungen erbringen zu können. Hier setzte ein wichtiger Teil der anwaltschaftlichen Arbeit der diakonischen Vereinigung an und begleitete den Reformprozess des EU-Vergaberechts seit 2012. Eurodiaconia versucht, den Gesetzgebungsprozess aus einer gesamteuropäischen Perspektive zu beeinflussen, das heißt, sich auf Punkte zu konzentrieren, die alle Mitglieder betreffen können, wie die Aufrechterhaltung eines gesonderten, eingeschränkten Vergaberechts für Sozialdienstleistungen oder die Möglichkeit, nicht nur den niedrigsten Preis, sondern auch Qualitätskriterien für den Zuschlag zu berücksichtigen. Die Diakonie Deutschland hat ergänzend dazu besonderen Wert auf die Verankerung des sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses in den revidierten Richtlinien gelegt.
5.3
Strategie
Eurodiaconia erarbeitet für die Dauer von jeweils zwei Jahren einen strategischen Plan, den sie ihrem Handeln zugrunde legt. Diese Strategie wird auf der Mitgliederversammlung regelmäßig diskutiert und verabschiedet. Damit hat sie einen Mainstream-Charakter für die diakonische Arbeit in allen europäischen Ländern, in denen Eurodiaconia durch ihre Mitglieder vertreten ist. Zudem ist sie Ausgangspunkt und Basis für die Beteiligung an EU-Förderprogrammen, die europäische Netzwerke unterstützen. Eurodiaconia handelt auf einer Wertegrundlage, die sich aus dem christlichen Glauben herleitet, und ist deshalb insbesondere den folgenden Werten ver-
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pflichtet: Würde und Gleichheit jedes Menschen, Nichtdiskriminierung und Grundrechte für jeden Einzelnen, Solidarität und soziale Gerechtigkeit, Transparenz, Offenheit und eine inklusive Einstellung bei allen Belangen der diakonischen Arbeit.
5.4
Aktion
Eurodiaconia begreift sich nicht ausschließlich als europäisches Netzwerk von Anbietern oder Verbänden diakonischer Dienste. Vielmehr stehen mit den politisch umzusetzenden Werten der Solidarität und sozialen Gerechtigkeit Inhalte auf der Agenda, welche die diakonischen Akteure europaweit beim Aufbau, der Weiterentwicklung und der Reform der Sozialschutzsysteme in ihren jeweiligen Ländern vertreten und in die Debatten einbringen wollen. Dies ist auch Auftrag für ihr europäisches Netzwerk, das selbst und über seine Mitglieder an sozialen und wirtschaftlichen Strukturen ansetzt, die letztlich für die individuellen Lebenslagen, Nöte und Bedarfe der Menschen ausschlaggebend sind. Die Vernetzung auf europäischer Ebene ist gerade mit der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 und ihren drastischen Folgen in einigen Ländern der EU bei der diakonischen Anwaltschaft von fundamentaler Bedeutung. Es ist nicht nur so, dass sich soziale Verwerfungen in einem Land auch auf die Gesellschaftssysteme anderer in der EU miteinander verbundener Länder auswirken. Ebenso gehen von den Institutionen der EU Initiativen aus, die die soziale Landschaft in den einzelnen Mitgliedstaaten deutlich verändern können. Als neueres Beispiel soll hier das sogenannte Sozialinvestitionspaket genannt werden, das Anfang 2013 von der EU-Kommission lanciert wurde (EU-Kommission, 2013). Als eine Antwort auf die sozialen Folgen der Krise wurden die Mitgliedstaaten der EU mit diesem Paket anhand von Arbeitspapieren, einer Mitteilung sowie einer Empfehlung dazu aufgerufen, ihre Sozialausgaben nicht mehr als Kosten ihres politischen Handelns zu verbuchen, sondern als Investitionen in die Menschen. Zugleich enthält die Mitteilung eine Richtschnur für sozial- und gesundheitspolitisches Handeln der Mitgliedstaaten, die sich an Begriffen wie Effizienz, Effektivität, Konditionalität, vorübergehendem Leistungsbezug und auch Prävention ausrichtet. Bei Umsetzung dieses Pakets – insbesondere über das Europäische Semester – könnten die Wirkungen auf die europäischen Sozialsysteme in eine Richtung gehen, die mit den sozialpolitischen Neuorientierungen der »Agenda 2010« in Deutschland vergleichbar sind. Dazu gehört die Überprüfung von nicht konditionierten Transferleistungen im Rahmen des bestehenden Sozialschutzes. Diese sollten nach Sicht von Eurodiaconia durch Maßnahmen zur Stärkung und Inklusion der Benachteiligten, nicht in erster Linie durch Negativanreize ersetzt werden.
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Ein Netzwerk wie Eurodiaconia dient auch hier zur Bündelung der gesammelten politischen Erfahrungen der einzelnen Diakonien und ihr Einbringen in den Politikprozess der Institutionen auf Unionsebene. Für viele EurodiaconiaMitglieder besteht eine der Hauptsorgen darin, dass neue Formen der Armut entstehen, welche diejenigen, die solche Armut erfahren, mehr und mehr an den Rand drängen, bis sie überhaupt nicht mehr am eigentlichen gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Effektive Wiedereingliederung und Wiederteilhabe sind deshalb Ziel und Aufgabe für diakonische Dienste und darauf aufbauend auch Gegenstand politischer Aktivität. Diese unterstützt Eurodiaconia durch inhaltliche Verdichtung, europaweite Kommunikation unter ihren Mitgliedern in verschiedenen Austauschplattformen und durch Veranstaltungen, bei denen Entscheidungsträger der EU, Wissenschaftler und diakonische Praktiker zusammentreffen, um Lösungsoptionen zu diskutieren. Dies wird in jüngster Zeit auch durch Seminare unterstützt, die auf nationale Erfordernisse zugeschnitten sind. So soll zum Beispiel ein Seminar in Straßburg zur Umsetzung des Europäischen Semesters und der Europa-2020-Ziele in Frankreich stattfinden. Zudem soll die Kommunikation in der Zukunft auch mehr auf Adressaten außerhalb des diakonischen Netzwerkes ausgedehnt werden, um die politische Wirkung verstärken zu können. Das hier beispielhaft angeführte Sozialinvestitionspaket wird gewiss noch häufig im Fokus dieses Austausches stehen. Anhand von vier Leitfragen diskutiert Eurodiaconia derzeit diese soziale Dimension: 1. Wie gestaltet sich die Rolle und Bedeutung von gemeinnützigen Erbringern von Sozialdienstleistungen und wie lässt sich ihre Anerkennung in den unterschiedlichen nationalen Systemen verbessern? 2. Was bedeutet soziale Marktwirtschaft angesichts der Ausprägungen und Folgen der Krise sowie vor dem Hintergrund eines sozialen Europas? 3. Wie kann ein Sozialinvestitionsstaat im Einzelnen aussehen? 4. Wie können die europäischen Steuersysteme zu mehr Gerechtigkeit beitragen? Was kann eine Finanztransaktionssteuer insoweit leisten?
5.5
Forschung zur Weiterentwicklung
Die Aktivitäten von Eurodiaconia erstrecken sich in der täglichen Arbeit über eine Vielzahl von forschenden Betätigungen und informatorischen Angeboten sowie Veranstaltungen, die dem gegenseitigen Lernen dienen, wie zum Beispiel Studienfahrten zu Good-Practice-Einrichtungen in mehreren europäischen Ländern. Unter das Stichwort Forschung lässt sich die Sammlung von Daten aus den Ländern der Mitglieder fassen, die insbesondere seit 2008 fundierte Er-
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kenntnisse ermöglichen, wie sich die soziale Lage der Menschen und ihr Bedarf nach sozialen Diensten entwickelt hat. Hierzu unternahm Eurodiaconia zwei Umfragen unter ihren Mitgliedern und stellte fest, dass im Zuge der Krise eine deutliche Zunahme des Bedarfs an bestimmten sozialen Diensten in den meisten Ländern aus der Mitgliedschaft zu verzeichnen ist: So entstand größerer Bedarf bei der Schuldnerberatung und der Wohnungslosenhilfe (Eurodiaconia, 2012). Forschung ist darüber hinaus Gegenstand des Netzwerks ReDi, Research in Diaconia. Dort sind sowohl zahlreiche Aktive der diakonischen Forschung in Europa wie auch Praktiker vertreten. Sie tragen mit ihren Publikationen dazu bei, dass politikrelevante Beiträge von Eurodiaconia und ihren Mitgliedern mit starken Argumenten auftreten können. Auf diesem Gebiet sieht sich Eurodiaconia noch in einer Aufbauphase, die einen Ausbau von Kapazitäten verlangt.
6.
Ausblick
Die Arbeit der Diakonie kann durch diese Erfahrungen mit Projekten heute und auch mit dem Bewusstsein um ihre Arbeit in ihren Anfängen dazu beitragen, dass in Europa ein besseres Gleichgewicht zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik erreicht wird. Dazu gehört die Frage, wie das europäische Sozialmodell aus diakonischer Sicht weiterentwickelt werden kann. Die gesellschaftliche Verantwortung der Diakonie für den Menschen in seiner Ganzheit kann auch Wirkung auf die Finalität der Europäischen Union entfalten. Für die Zukunft der Diakonie in Europa ist Eurodiaconia die Plattform. Sie versteht sich als die Stimme der christlichen sozialen Arbeit in Europa und unterstützt die EU als Sozialunion. Wichtig ist dabei, dass unterschiedliche Erfahrungen aus Ost und West sowie von innerhalb und außerhalb der EU weiter im produktiven Austausch miteinander stehen, um die Einheit in der Vielfalt zu erfassen.
Literatur Bundeskanzleramt Österreich, Lebensministerium Österreich, unter Beteiligung der Diakonie Österreich (Hrsg.) (2008). Standards der Öffentlichkeitsbeteiligung – Empfehlungen für die gute Praxis. Wien. EU-Kommission (2013). Social Investment Package. Mitteilung KOM (2013) 83, 20. 02. 2013. Brüssel. Eurodiaconia (2004). Strategic Plan 2004 – 2006. Jahresmitgliederversammlung von Eurodiaconia. Revfülöp/Ungarn.
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Eurodiaconia (2010). Diaconal Identity – Faith in Social Care. Brüssel. Eurodiaconia (2013a). »Our Mission. Our Vision«: Eurodiaconia Strategic Plan 2011 – 2013. Brüssel. Zugriff am 09. 11. 2013 unter http://eurodiaconia.org/images/stories/ AGM_2013/background_document_Eurodiaconia_Strategic_Plan_2011_-_2013.pdf. Eurodiaconia (2013b). Our history. Brüssel. Zugriff am 09. 11. 2013 unter http://eurodia conia.org/about-us/who-we-are/organisation. Eurodiaconia (2013c). Erklärung von Novi Sad. Zum Schutz Europas wertvollster Ressourcen in Zeiten der Krise. Novi Sad/Serbien. Zugriff am 06. 10. 2013 unter http:// www.eurodiaconia.org/files/AGM/AGM_2012/Declaration_DE.pdf. Eurodiaconia (2012). Policy Recommendations for Social Services in Times of Crisis. Brüssel. Zugriff am 06. 10. 2013 unter http://www.eurodiaconia.org/images/stories/Pu blications/policy%20recommendations%20for%20social%20 services%20in%20times%20of%20crisis.pdf. Social Protection Committee (EU-Sozialschutzausschuss) (2010). A Voluntary European Quality Framework for Social Services, SPC/2010/10/8 final. Zugriff am 10. 12. 2013 unter http://ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=6140& langId=en. Torkelund, H. J. (2008). An Outline of the early history of Eurodiaconia, Ulstrup/Dänemark. Zugriff am 21. 09. 2013 unter http://kirkjan.is/di/skraarsofn/di/2009/02/eurodiaconia_history.pdf
Thomas Katzenmayer
Wenn das Marktumfeld zum Fusionstreiber wird: Ziele und Abläufe von Fusionen am Beispiel der Evangelischen Kreditgenossenschaft eG
Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht in der Wirtschaftspresse eine Fusion angekündigt wird. Laut einem aktuellen Bericht des Handelsblattes vom Oktober 2013 »brummt das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen wie schon seit Jahren nicht mehr«. Im Jahr 2013 konnte in Deutschland das höchste Fusionsvolumen seit 2007, also ein Jahr vor dem Höhepunkt der Finanzkrise, erzielt werden. Veränderte Rahmenbedingungen auf den Märkten begünstigen diesen Trend, sodass auch für die nächste Zukunft mit einer Welle von Fusionen gerechnet wird. Grundsätzlich kann die Frage gestellt werden, warum es überhaupt zu Fusionen kommt. Welche Motive und wesentlichen Treiber stehen hinter einer Fusion? Auf diese Frage werden zunächst einige allgemeine Antworten gegeben, bevor anschließend auf zwei Fusionen von Kirchenbanken eingegangen wird – Hintergründe, Motivation, Ziele und Ablauf dieser Fusionen werden anhand der Praxisfälle näher beleuchtet. Aufgrund der Beschleunigung des dynamischen Veränderungsprozesses in der Wirtschaft erhöht sich der Druck auf Unternehmen, diesem Wandel standzuhalten. Ziel ist es, das eigene Unternehmen gut zu platzieren und eine erfolgsversprechende Wettbewerbsposition einzunehmen. Um dies zu erreichen, ist eine ausführliche Unternehmens- und Marktanalyse erforderlich. Ist das Unternehmen alleine nicht imstande, die Herausforderungen zu stemmen, wird ein ergänzender Partner benötigt, um weiterhin eine adäquate Teilnahme am Markt zu ermöglichen und mit den Veränderungen des Marktes Schritt zu halten. Auch eine eigene kritische Unternehmenssituation kann Anlass für eine mögliche Fusion sein. Fusionen können als strategisches Instrument betrachtet werden, um das eigene Unternehmen in einem sich ständig wandelnden Markt zu etablieren. Strategische Motive können somit als Grundbaustein einer Fusionsentscheidung angesehen werden. Durch Fusionen werden idealerweise Synergien und Wachstumsraten geschaffen, die durch internes Unternehmenswachstum nicht in dem Maße zu erzielen sind. Das heißt, dass durch die Fusion ein größerer Erfolgsbeitrag erzielt werden kann als durch die Summe der Einzelwirkungen.
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Hierbei spielt die mögliche Nutzung von Skaleneffekten (Economies of Scale) eine große Rolle, indem sich Vorteile aus der gewachsenen Betriebsgröße ergeben. Auch Verbundwirkungen (Economies of Scope) sind nicht zu vernachlässigen, indem zum Beispiel Investitionen in neue Geschäftsfelder erfolgen, Diversifikationseffekte erzielt werden oder ein höheres Risikoübernahmepotenzial erreicht werden kann. Die Verbesserung der Marktposition kann als weiterer Nutzen der Fusion angesehen werden. Synergien ergeben sich aber nicht nur aus betriebswirtschaftlicher Sicht, sondern zum Beispiel auch aus Ansprüchen an die Unternehmenskultur und die ethische Unternehmensführung. Die Zusammenführung von zwei unterschiedlichen Unternehmensmodellen kann sich positiv auswirken, indem aus den beiden Modellen der fusionierenden Unternehmen jeweils die erfolgreichen Bestandteile herausgezogen werden, um daraus ein neues, besseres Modell für das neu entstandene Unternehmen zu entwickeln.
1.
Phasen einer Fusion
Eine Fusion kann in den folgenden vier chronologisch ablaufenden Phasen erfolgen (siehe Abbildung 1). Die 1. und 2. Phase können dabei als Vorphase einer Fusion betrachtet werden.
Abbildung 1: Die 4 Phasen einer Fusion (eigene Darstellung)
In der Willensbildungsphase (1. Phase) geht es zunächst um die Frage, ob eine Fusion als erstrebenswert erachtet werden kann. Das wird besonders dann der Fall sein, wenn sich die strategische Position des Unternehmens durch eine Fusion verbessern lässt. Um dies beurteilen zu können, erfolgt eine Analyse der eigenen Wettbewerbsposition im Hinblick auf die Frage, ob eine Fusion den mittel- bis längerfristigen Unternehmenszielen dient und zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens passt. Die Fusion als solches ist allerdings keine Strategie, sondern ein Teil der Strategieumsetzung eines Unternehmens. Neben ökonomischen Gründen, die für eine Fusion sprechen, kann man eine Fusion auch aus der Perspektive der unterschiedlichen Stakeholder betrachten (z. B. der Kundinnen und Kunden, der Mitarbeitenden sowie der Eigentümer). Worin liegt der Nutzen für die einzelnen Stakeholder? Oder gibt es auch Stakeholder, für die eine Fusion nachteilig sein könnte? Die Beurteilung der Fusion durch die einzelnen Stakeholder kann folglich je nach Perspektive variieren. Die Interessen
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der Mitarbeitenden liegen in erster Linie in der Sicherung der eigenen Arbeitsplätze, der Steigerung des eigenen Einkommens, in Entwicklungsperspektiven und Aufstiegschancen. Die Kundinnen und Kunden sind an einer stabilen Geschäftsbeziehung und an einem adäquaten Leistungsspektrum interessiert. Die Eigentümer möchten in der Regel eine Wertsteigerung ihrer Investition erzielen sowie den Einfluss auf das Management verstärken. In einem weiteren Schritt erfolgt die Auswahl eines strategischen Partners. Hierzu erfolgt zunächst eine detaillierte Marktanalyse, um potenzielle Partner zu identifizieren. Mögliche Partner werden anschließend bewertet und mögliche Hindernisse werden begutachtet. Neben der strategischen Bedeutsamkeit jedes möglichen Partners wird insbesondere auch die Kompatibilität mit dem eigenen Unternehmen betrachtet. Hierbei spielt die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle. Untersucht wird die Frage, wie groß die kulturellen Unterschiede sind und ob beide Unternehmenskulturen überhaupt zusammenpassen. Abschließend werden in dieser Phase erste strategische Eckpfeiler definiert, die die wesentlichen strategischen Überlegungen der möglichen Fusion beinhalten sollten. Nur wenn man in der 1. Phase zu dem Ergebnis kommt, dass eine Fusion sinnvoll ist, starten die nachfolgenden Phasen (2. bis 4. Phase). In der Konzeptphase (2. Phase) werden die in der 1. Phase definierten Eckpfeiler konkretisiert. Hierzu erfolgt eine detaillierte Analyse des Marktes, um anschließend eine Positionierung des Unternehmens im Markt vorzunehmen. Darauf aufbauend folgt eine konzeptionelle Phase mit der Festlegung von strategischen Geschäftsfeldern und Strukturen, um eine wirkungsvolle, der Geschäftstätigkeit angemessene Ablauf- und Aufbauorganisation sicherzustellen. Im Rahmen dieser Phase soll auch eine Antwort auf die Frage gegeben werden, ob die Fusion mehr ist als die Addition beider Unternehmen. Dies ist, wie eingangs bereits erwähnt, ein wichtiges Motiv für eine Fusion. Es geht darum, neue Konzepte zu kreieren, die der Strahlkraft des neuen Unternehmens in einer Ausgewogenheit sowohl ökonomischer als auch kulturprägender Maßnahmen und Entscheidungen Rechnung tragen. In der Umsetzungsphase (3. Phase) werden die in der 2. Phase entwickelten strategischen Konzepte in die Praxis übertragen. Man kann diese Phase auch als technisch-organisatorischen Zusammenschluss bezeichnen. Es müssen konkrete personalwirtschaftliche Regelungen getroffen werden, ein einheitlicher Marktauftritt muss umgesetzt und die Ablauforganisation zusammengeführt werden. Ebenfalls erfolgt in dieser Phase die Migration der Datenbestände. Die Wirkungsphase (4. Phase) beschäftigt sich mit der Kontrolle der Strategieumsetzung und des Erfolgs. Anhand von verschiedenen Meilensteinen wird überprüft, ob das neue Unternehmen sich wie gewünscht entwickelt. Auch die Veränderungen beim operativen Geschäft werden kontinuierlich gemessen und ausgewertet.
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Um die Fusion auch auf »emotionaler« Ebene zum Erfolg zu führen, gilt es, phasenübergreifend den Fokus auf die Kundinnen und Kunden sowie vor allem auf die Mitarbeitenden zu richten. Nach einer Studie des Instituts for Merges & Acquisitions an der Universität Witten/Herdecke ist der wesentliche Erfolgsfaktor für das Gelingen einer Fusion die Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Gelingt die Einbindung der Mitarbeitenden und die Auseinandersetzung mit der neuen Situation, ist ein wichtiger Baustein für den weiteren Fusionsverlauf gegeben. Ein ganzheitliches Fusionsmanagement ist daher notwendig, um die Fusion zum Erfolg zu führen. Wenn man von Fusion spricht, steht aus kapitalmarktorientierter Sicht oftmals der Übernahme-Gedanke dahinter. In vielen anderen Gesellschaftsformen hängt die Art der Fusion stärker von den Eigentümerstrukturen und den Eigentümern im Einzelnen ab, sodass die Form der Fusion auch die Unternehmenskultur und Historie berücksichtigt. Daher geht der Anspruch an die Fusionspartner deutlich über ökonomische Fragestellungen hinaus. Der Shareholder Value nimmt einen anderen Stellenwert ein, als das bei kapitalmarktorientierten Unternehmen der Fall ist. Daher wird die Erfolgswahrscheinlichkeit in diesem Fall nicht durch den Fusionsprozess, sondern durch die Ist-Situation der Unternehmen bestimmt. Anhand dieser zunächst theoretisch ausgeführten Phasen einer Fusion werden nachfolgend zwei Fusionen von Kirchenbanken als Best-Practice-Beispiel näher betrachtet.
2.
Die Fusion der Evangelischen Kreditgenossenschaft eG und der Acredobank eG
2.1
Vorstellung der Fusionspartner
Bevor auf die Fusion näher eingegangen wird, werden zunächst die beiden Fusionsunternehmen kurz vorgestellt. Die Evangelische Kreditgenossenschaft eG (EKK) mit Sitz in Kassel ist eine genossenschaftlich organisierte Kirchenbank. Christliche Werte bilden die Basis der Geschäftsbeziehungen. Die EKK wurde 1969 auf Initiative der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck gegründet. Für die Mitglieder sowie Kundinnen und Kunden wird durch ein nachhaltiges Geschäftsmodell Verantwortung übernommen. Für die EKK drücken sich christliche Werte besonders im Ziel aus, Nachhaltigkeit mit den drei Säulen der ökonomischen, ökologischen und sozialethischen Verantwortung in der Bank langfristig zu verankern. Zu ihren Kunden gehören neben institutionellen Kunden aus Kirche und Diakonie auch Privat-
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kunden. Damit ist die EKK in den Geschäftsfeldern der Gesundheits- und Sozialwirtschaft tätig, wie zum Beispiel Krankenhaus/Rehabilitation, Alten-, Behinderten- und Jugendhilfe sowie im Bildungsbereich. Mitglieder können ausschließlich kirchliche und diakonische Einrichtungen werden – abgesehen vom Vorstand und Aufsichtsrat. Die Acredobank eG wurde 1922 als »Wirtschaftsverband der evangelischen Geistlichen Bayerns« gegründet; 1969 erfolgte die Umbenennung in Spar- und Kreditbank (SKB) in der evangelischen Kirche in Bayern eG und im Jahr 2000 die Umbenennung in Acredobank eG. Die Acredobank war vorwiegend eine Privatkundenbank. Mitglieder konnten ebenfalls Privatpersonen sein. Die ökonomische Ausgangssituation der Acredobank galt seit 2001 als äußerst angespannt. In dieser schwierigen wirtschaftlichen Lage trat die EKK sozusagen als Retter auf. Im Jahr 2005 schlossen sich die EKK und die Acredobank zu einem gemeinsamen Kreditinstitut zusammen. Im Folgenden wird diese Fusion näher beleuchtet.
2.2
Motivation für die Fusion
Durch die angespannte wirtschaftliche Situation der Acredobank konnte die Erfüllung des genossenschaftlichen Förderauftrags nicht mehr vollumfänglich sichergestellt werden. Durch die Fusion sollte dies wieder gewährleistet werden. Begleitet von auch damals schon umfassenden Änderungen der Marktbedingungen für Finanzinstitute, beispielsweise durch einen steigenden Wettbewerbsdruck und eine zunehmende Regulierung, war die Wirtschaftlichkeit der Kreditinstitute stark beeinträchtigt. Genossenschaftsbanken sind von diesem Strukturwandel besonders betroffen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben und sich den gesetzlichen Anforderungen zu stellen, ist eine Fusion daher eine Möglichkeit, den veränderten Marktbedingungen zu begegnen. Bedingt durch den größeren Konkurrenzdruck und erhöhte rechtliche Anforderungen an Kreditinstitute befindet sich auch der Markt der Kirchenbanken im Umbruch. Hinzu kommt, dass die Kirchenbanken, wie bereits erwähnt, neben Kirchen, Pensionskassen und Versorgungswerken der Kirche schwerpunktmäßig im Geschäftsfeld der Gesundheits- und Sozialwirtschaft tätig sind. Konzentrationsprozesse auf dem Gesundheits- und Sozialmarkt stellen die Kirchenbanken einerseits vor die Herausforderungen eines sich stark verändernden Marktes. Es gilt, im Wandel der Marktbedingungen erfolgreich zu agieren. Möglichkeiten bieten sich durch die Ausweitung der Geschäfte, durch die Arrondierung des Geschäftsgebietes und durch die Vergrößerung des Geschäftsvolumens. Andererseits kann beobachtet werden, dass sich kirchliche, diakonische und caritative Einrichtungen in einem Wachstumsprozess befinden
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oder sich zusammenschließen. Um als Dienstleister für diese Einrichtungen leistungsfähig zu bleiben, müssen auch die Kirchenbanken wachsen. Dabei hatten die EKK und die Acredobank eine gemeinsame, verbindende Grundphilosophie. Sie verstehen ihre Kunden und deren Umfeld. Aufgrund der großen Bedeutung dieser Marktveränderungen im Bereich der Gesundheits- und Sozialwirtschaft für die Kirchenbanken wird hierauf im Folgenden näher eingegangen. Sozialwirtschaftliche Unternehmen sind zunehmend wandelnden Anforderungen ausgesetzt: Sie reichen vom größer werdenden Konkurrenzkampf über einen steigenden Innovationsdruck bis hin zu neuen Herausforderungen in den Bereichen Migration und Demografie. Die Mittelknappheit im öffentlichen Sektor führt dazu, dass Kosten gesenkt und Synergien genutzt werden müssen. Bei der Gestaltung des Wandels stellt sich die Frage: Was ist zu tun, um als Sozialunternehmen in Zukunft erfolgreich zu sein? Fusionen, strategische Allianzen oder Unternehmensverbünde bieten die Chance, die Steuerungsfähigkeit zu erhalten und gemeinsam strategisch zu agieren. Unternehmensverbünde ermöglichen Synergieeffekte, eigene Leistungsgrenzen können ausgeglichen, Angebote verbessert und kundenfreundlich gestaltet werden. Mit mehr finanziellen Mitteln und geteilten Kernkompetenzen wird die Überlebensfähigkeit gemeinsam gesichert. Zusammenschlüsse erweisen sich mehr und mehr als Instrument des strategischen Managements in der Sozialwirtschaft. Für Organisationen des sozialwirtschaftlichen Bereichs ist der Veränderungsdruck immens. Immer neue gesetzliche Bestimmungen und ein zunehmender Konkurrenzdruck zwingen viele, strukturelle Veränderungen durchzuführen, um überleben zu können. Neben den freigemeinnützigen und kommunalen Trägern drängen zunehmend gewerbliche Unternehmen in den Markt. Der Ökonomisierungsdruck steigt. Die veränderten Rahmenbedingungen für sozialwirtschaftliche Unternehmen machen die Einführung professioneller Managementsysteme nötig. Vor allem der Zusammenschluss mit anderen Unternehmen kann im Einzelfall das »Überleben« sichern. Die Organisation sozialer Dienste ist wesentlich komplexer geworden. Dies gilt für die Trägerstrukturen wie für die Geschäftsführung und die Tragweite wirtschaftlicher Entscheidungen. Für die einzelnen Dienstleistungsbereiche gelten in der Regel jeweils unterschiedliche und oftmals unübersichtliche Vorgaben hinsichtlich des Betriebes, der Leistungen und deren Finanzierung, die zudem einem ständigen Wandel durch Reformen des Sozial- und Steuerrechts ausgesetzt sind. Die Veränderung der sozialstaatlichen Rahmenbedingungen, die Öffnung des europäischen Binnenmarktes und die Einführung von Wettbewerb in den Sozialsystemen stellen zusätzliche Herausforderungen für soziale Dienste dar, die
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durch bedarfsorientierte und wirtschaftlich tragfähige Konzepte bewältigt werden müssen. In der Gesundheits- und Sozialwirtschaft entwickelt sich zunehmend eine pluralistische Trägerlandschaft: Freigemeinnützige Einrichtungen sind in weiten Bereichen rechtlich den privaten gewerblichen Einrichtungen gleichgestellt. Bei der öffentlichen Vergabe von Aufträgen soll vielfach nur noch das preisgünstigste Leistungsangebot entscheiden. Dies verschärft den Wettbewerb mit gewerblichen Trägern in jeder Hinsicht. Insbesondere in der Behindertenhilfe führt das neue Instrument des trägerübergreifenden Persönlichen Budgets zu einer Verschärfung des Wettbewerbs unter den Leistungsanbietern. Die Ursache liegt darin, dass die Hilfsbedürftigen flexibler zwischen den einzelnen Angeboten wählen können. Besonders stark von Umbrüchen infolge der demografischen Entwicklung ist der Bereich der Altenhilfe betroffen. Dies sollen folgende Zahlen verdeutlichen: Im Jahr 2035 wird jeder dritte Deutsche älter als 65 Jahre sein. Nach Prognosen des Statistischen Bundesamtes steigt die Zahl der über 65Jährigen von derzeit etwa 16 Millionen bis 2035 auf circa 23 Millionen an. Die Zahl der Pflegebedürftigen wird von derzeit 2,1 Millionen auf mindestens 3 Millionen ansteigen. Soziale Dienste sind einem steigenden Kostendruck ausgesetzt. Einerseits müssen sie sich im Wettbewerb behaupten und andererseits sind sie auf eine leistungsgerechte Finanzierung durch den Staat und die Sozialversicherungen angewiesen. Die zur Verfügung stehenden Mittel des Staates werden jedoch tendenziell sinken. Die Umstellung vom Kostendeckungsprinzip auf Leistungsentgelte ist ein Beispiel dafür. Die dargestellten Veränderungen fordern eine hoch komplexe Organisation sozialer Dienste. Die Träger sozialer Dienste reagieren mit einer wachsenden Tendenz zu Fusionen und Ausgründungen sowie mit einem verstärkten Ausbau regionaler Angebote. Ziel ist eine erhöhte Wettbewerbsfähigkeit durch die Stärkung und Bündelung finanzieller, personeller und fachlicher Ressourcen. Diese erläuterten Rahmenbedingungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sind für die Banken Anlass für eine strategische Neuausrichtung. Der Wachstumstrend im Bereich der Gesundheits- und Sozialwirtschaft erfordert auch ein Wachsen der Banken. Beispielsweise kann damit erreicht werden, dass bei einem großvolumigen Kredit nicht auf andere Banken als Konsortialpartner zurückgegriffen werden muss.
2.3
Ziele der Fusion
Wie bereits erwähnt, war das übergeordnete Ziel der Fusion der EKK mit der Acredobank, die Ausweitung des Marktgebietes und die Festigung der Markt-
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position mit Blick auf eine zukunftsorientierte Kirchenbank, die in Zeiten der wachsenden Anforderungen des Marktes gut aufgestellt ist. Besonders auch durch die oben beschriebenen veränderten Rahmenbedingungen in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sollte sichergestellt werden, dass eine leistungsfähige Kirchenbank entsteht. Darüber hinaus war es Ziel, als Kirchenbank selbständig zu bleiben und die Unternehmensexistenz langfristig zu sichern. Die Stärken beider Banken können zum Vorteil der Kunden gebündelt werden. Durch verschiedene Maßnahmen sollte ein nachhaltiges Wachstum erzielt werden, zum Beispiel durch eine ganzheitliche Geschäftsprozessoptimierung, verbunden mit Kostensenkungs- und Ertragssteigerungspotenzialen. Ziel war es weiterhin, Synergieeffekte durch mögliche Kostensenkungspotenziale zu identifizieren, um die Kostenstruktur insgesamt zu optimieren. Dies kann beispielsweise durch die Einsparung von internen Kosten, wie zum Beispiel der Kosten für die Prüfung und Beratung, für die Erstellung des Jahresabschlusses, für das IT- und Rechenzentrum und für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit erfolgen. Auch der zunehmende bürokratische Aufwand kann damit besser bewältigt werden. Auf der Ertragsseite sollten Potenziale im Kundengeschäft ausgeschöpft werden, neue Marktpotenziale gehoben sowie die Marktbearbeitung verbessert und intensiviert werden. In diesem Zusammenhang galt es, auch die Nähe zum Kunden zu verbessern und eine noch höhere Beratungsqualität zu erreichen, indem zum Beispiel die persönliche Beratung vor Ort sichergestellt wird und die Mitarbeitenden sich weiter spezialisieren. Ein weiteres Ziel war es, die Vertriebsleistung zu erhöhen, insbesondere durch einen kontinuierlichen Ausbau des Leistungsangebotes und einem Ausbau der Vertriebsstrategie mit Schwerpunkten in den Filialen in Bayern und Mecklenburg.
2.4
Ablauf der Fusion
Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Acredobank war diese in ihrer eigenen Willensbildung und Umsetzungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Diese Ausgangssituation in Verbindung mit dem unausgewogenen Größenverhältnis beider Banken führte bereits in der Frühphase der Fusion zu einer höchst unterschiedlichen Bewertung der beiden Banken. Einschränkend ist festzuhalten, dass die Darstellung und Bewertung größtenteils aus dem größeren Haus, der EKK, erfolgt ist. Größere Häuser verfügen häufig über Konzeptionskompetenz, die übertragen bzw. angewandt werden kann. Die Prüfungsberichte beider Banken lagen vor. Dies schaffte die Grundlage für eine heterogene Erwartung an die Erfolgsaussichten der Fusion sowie an die sonst
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üblicherweise stattfindende Auseinandersetzung über Ziele und Zweck der Fusion. Die 1. Phase (Willensbildungsphase) ist bei dieser Fusion im Prinzip entfallen. Auslöser war stattdessen der gesetzliche Prüfungsverband, der die Zukunftsfähigkeit der Acredobank durch eine Fusion sicherstellen wollte. Der Fusionsprozess war geprägt von formalen Vorgaben, sodass zu einem gefühlt frühen Zeitpunkt auf Grundlage nur wenig abgestimmter Ansätze die Fusion formaljuristisch beschlossen wurde. Erst im Nachgang haben sich die beiden Häuser mit einem inhaltstiefen Konzept und dem organisatorischen Zusammenwachsen beschäftigt. Bis dahin blieben sowohl unternehmenskulturelle Aspekte als auch die Berücksichtigung der nicht gegebenen Fusionsfähigkeit außen vor. Das wiederum stellte eine enorme Anforderung an das Management des neuen Hauses bzw. die Führungskräfte dar. Ab diesem Zeitpunkt begann die Überzeugungsarbeit, insbesondere wurde nach getroffenen Beschlüssen deren Sinnhaftigkeit dargestellt, um das Geschäftsmodell zu erarbeiten. Im Zuge der 2. Phase (Konzeptphase) lotete der Kooperationsausschuss in einem ersten Schritt die Rahmenbedingungen einer möglichen Fusion aus. Es wurden sowohl die wesentlichen Erfolgsfaktoren als auch die Erwartungshaltungen für den Fusionsprozess definiert. In einem zweiten Schritt erfolgte die Analyse der Ist-Situation, indem alle relevanten Unternehmensbereiche detailliert betrachtet und aufbau- und ablauforganisatorische Regelungen der beiden Häuser gewürdigt wurden. Die unterschiedlichen Geschäftsmodelle und die in beiden Häusern heterogenen Prozesse erforderten eine grundsätzliche organisatorische Neuausrichtung. Die Prozesse wurden nicht nur vereinheitlicht, sondern gleichzeitig auch optimiert. Die Vereinheitlichung der Vertriebsstrategien erfolgte durch eine neue Selektion des Kundenstamms unter Berücksichtigung des Marktpotenzials und einheitlicher Segmentierungskriterien. Wichtig im Fusionsprozess waren die Aspekte Transparenz und Vertrauen. Die Mitglieder mussten vom Sinn der Fusion überzeugt werden. Eine transparente Vorabinformation aller Gremien war zwingend erforderlich. Es fand eine Reihe von Gremiensitzungen und Informationsveranstaltungen mit Stakeholdern beider Banken statt. Dies sorgte für Rückhalt in den Gremien beider Banken und bei den anderen Beteiligten. Mit dem Ziel, die Ängste der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abzubauen, wurden Betriebsräte und Mitarbeitende frühzeitig in Fusionsbemühungen eingebunden. In diesem Zusammenhang war der Aufbau einer gemeinsamen Unternehmenskultur enorm wichtig. Das Anliegen, Transparenz herzustellen, sollte durch die Entwicklung eines gemeinsamen Leitbildes und Selbstverständnisses sowie durch gemeinsam definierte Führungsgrundsätze unterstützt werden. Tenor sollte sein, dass die fusionierte Bank ihrem christlichen Anspruch verpflichtet ist und bleibt und als
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ein verlässlicher Partner für ihre Mitglieder, Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeitende auftritt. Im Rahmen der 3. Phase (Umsetzungsphase) erfolgte die technische Fusion gemeinsam mit dem Rechenzentrum beider Banken durch die Umstellung auf die systemische Landschaft der EKK sowie die Zusammenführung der Kundendaten beider Banken. Die Fusion wurde durch ein Ausgliederungsmodell umgesetzt. Hierbei wurde das Bankgeschäft (Aktiv- und Passivvermögen) der Acredobank an die EKK ausgegliedert. So war es möglich, die bisherigen privaten Mitglieder der Acredobank wirtschaftlich am Erfolg der EKK zu beteiligen. Die institutionellen Mitglieder der Acredobank hatten die Möglichkeit, über die Unterzeichnung einer Beitrittserklärung direkt Mitglied der EKK zu werden. Ende August 2005 haben die Gremien der EKK und der Acredobank dem Zusammenschluss beider Banken mit Wirkung zum 1. Januar 2005 zugestimmt. Am 25. August 2005 wurde notariell vereinbart, den gesamten Geschäftsbetrieb der Acredobank auszugliedern und handelsrechtlich mit Wirkung zum 1. Januar 2005 auf die EKK zu übertragen. Die Acredo Beteiligungsgenossenschaft eG besteht weiter und ist mit ihrem Eigenkapital an der EKK beteiligt. Die Eintragung des Zusammenschlusses (juristische Fusion) erfolgte im zuständigen Genossenschaftsregister in Nürnberg und Kassel. Dem neuen Aufsichtsrat gehörten zwölf Mitglieder der EKK und drei Vertreter der Acredobank an. Am 19. Juni 2006 fand in der Stadthalle Kassel die erste gemeinsame Generalversammlung der EKK statt. 2013 wurde der endgültige einheitliche Marktauftritt der EKK umgesetzt. Alle Filialen firmieren seitdem unter Evangelische Kreditgenossenschaft eG. Nach erfolgter Fusion wurde im Rahmen der 4. Phase (Wirkungsphase) kontinuierlich überprüft, inwieweit die mit der Fusion verbundenen Ziele auch erreicht wurden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl der Fusionsprozess an sich als auch der Umsetzungsprozess untypisch waren. Eine frühzeitige Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter war nur bedingt möglich. Wirtschaftliche und formale Restriktionen erforderten ein rasches Handeln, um die Fusion nicht zu gefährden. Die Unsicherheit bei Mitarbeitern der Acredobank war stark ausgeprägt und eine Gewinner-Verlierer-Haltung machte sich bemerkbar. Unter Verzicht eines im Vorfeld ausgehandelten Sozialplans mitsamt seiner negativen Wirkungen konnte nach und nach das gegenseitige Vertrauen zurückgewonnen werden. Die im Nachgang eingeleiteten Maßnahmen zur Findung einer neuen gemeinsamen Unternehmenskultur sowie einer Vielzahl betriebswirtschaftlicher und ordnungspolitischer Erfordernisse führten zu einem nachhaltigen Verbesserungsprozess und entsprechend positiven Ergebnissen. Die hier sehr strukturierten und systematisch geschilderten Abläufe sollen
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nicht über die herausfordernde und komplexe Problemstellung hinwegtäuschen. Der zuletzt geschilderte Prozessabschnitt hat die meiste Zeit in Anspruch genommen und alle mitarbeitenden Gremien der Bank stark gefordert, verlief dank einer bemerkenswerten Teamleistung aber erfolgreich. Jetzt kann man davon sprechen, dass die Fusion erfolgreich geglückt ist. Die neu entstandene Bank hat sich den geänderten Marktanforderungen sehr erfolgreich gestellt und ist als ein verlässlicher Partner für Kirche und Diakonie auch für die dynamischen Veränderungsprozesse in der Zukunft gut aufgestellt. Im folgenden Kapitel wird auf die 2014 aktuelle Fusion der Evangelischen Kreditgenossenschaft eG und der Evangelischen Darlehnsgenossenschaft eG eingegangen.
3.
Die Fusion1 der Evangelischen Kreditgenossenschaft eG und der Evangelischen Darlehnsgenossenschaft eG
2013 haben sich die Evangelische Kreditgenossenschaft eG und die Evangelische Darlehnsgenossenschaft eG (EDG) entschlossen, in Fusionsverhandlungen einzutreten. Zum aktuellen Zeitpunkt befinden sich die beiden Banken mitten im Fusionsprozess. Aus diesem Grund ist keine abschließende Darstellung der Fusion möglich. Aufgrund der Aktualität werden jedoch nachfolgend Hintergründe, Motivation, Zielsetzung und Ablauf dieser Fusion dargestellt.
3.1
Vorstellung des Fusionspartners
Die Evangelische Darlehnsgenossenschaft eG (EDG) mit Sitz in Kiel ist eine genossenschaftlich organisierte Kirchenbank. Die EDG wurde am 9. Februar 1968 für Schleswig-Holstein und Hamburg gegründet. Christliche Werte bilden die Basis der Geschäftsbeziehung. Weiterhin spielen nachhaltige Sozial- und Umweltstandards eine wichtige Rolle. Zu ihren Kunden gehören institutionelle Kunden aus Kirche, Diakonie, Caritas, sonstiger freier Wohlfahrtspflege und privaten Trägern sowie diesen Institutionen nahestehenden Privatkunden. Anders als bei der EKK dürfen bei der EDG auch Privatpersonen Mitglieder sein.
1 Im engeren Sinne wird hier unter Fusion eine Ausgliederung des Bankgeschäfts im Sinne des Umwandlungsgesetzes verstanden. Im Folgenden wird der Begriff Fusion verwendet.
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Motivation für die Fusion
Die eingangs erwähnten Herausforderungen gelten auch aktuell. Eine weiter zunehmende Regulierung, eine deutliche Verschärfung des Aufsichtsrechts, ein steigender Wettbewerbsdruck sowie die demografischen Entwicklungen stellen die Banken in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen. Darüber hinaus ist aufgrund der aktuellen Niedrigzinsphase ein Rückgang der Erträge aus Fristentransformation zu erwarten. Die Kirchenbanken sind zudem von der voranschreitenden Konsolidierung und Zusammenlegung von Landeskirchen, Kirchengemeinden und Diakonien betroffen. Ferner haben institutionelle Kunden steigende Anforderungen an Bankdienstleistungen, was zu einem zunehmenden Bedarf an Spezialistenwissen führt.
3.3
Ziele der Fusion
Die geplante Fusion der beiden Häuser führt zwei starke Partner mit vielen Gemeinsamkeiten zusammen: Christliche Werte, gleiche Zielgruppen sowie die Gründungsgeschichten und die Verankerung im kirchlich-diakonischen und sozialen Umfeld verbinden die beiden Kirchenbanken. Mit der Fusion der EDG und der EKK würde ein Fusionshaus mit circa 7,7 Mrd. Euro Bilanzsumme entstehen und damit die größte Kirchenbank in Deutschland. Ziel der Fusion ist die Bündelung von Kräften aus einer Position der Stärke heraus. Die herausfordernden Umfeldbedingungen können gemeinsam angegangen werden, sodass die nachhaltige gemeinsame Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit gestärkt wird. Die fusionierte Kirchenbank kann somit eine langfristige und verbesserte Marktposition sichern. Auch bei der Kreditvergabe ist durch das größere Haus ein Einstieg in eine neue »Größenklasse« möglich. Hinsichtlich der Stakeholdergruppen geht es um die Erschließung neuer Kunden-/Geschäftspotenziale, die Verbesserung der Kundenbetreuung durch die Etablierung von Produktspezialisten bzw. Zielgruppenbetreuern und die Bindung von Mitarbeitenden. Aus betriebswirtschaftlicher Perspektive werden die Optimierung der Risikotragfähigkeit und die Realisierung von Kostenpotenzialen angestrebt. Zudem sollen neue Marktpotenziale gehoben und das Geschäftsgebiet ausgedehnt werden.
3.4
Ablauf der Fusion
Im Rahmen der Sondierungsphase wurden zunächst betriebswirtschaftliche Transparenz zwischen beiden Häusern geschaffen sowie die Mittelfristplanun-
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259
gen ausgetauscht. Darauf aufbauend wurden in einer konzeptionellen Phase Eckpfeiler der möglichen Fusion definiert, die die wesentlichen strategischen Überlegungen beinhalten. Anschließend wurde ein grober »Fahrplan« für den Fusionsprozess festgelegt. Im Dezember 2013 haben die Aufsichtsräte beider Häuser die offizielle Aufnahme von Fusionsgesprächen beschlossen. Seitdem hat die eigentliche Fusionsarbeit begonnen. In regelmäßigen Treffen zwischen den Vorständen beider Häuser werden nach und nach alle relevanten Entscheidungen erarbeitet. Hierzu zählt unter anderem die Entwicklung einer Strategie und eines Geschäfts- und Organisationsmodells des gemeinsamen Hauses. Der gesamte Fusionsprozess wird vom Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und vom Genossenschaftsverband begleitet. Sehr viel Wert wird auf eine offene Kommunikation gegenüber allen Stakeholdern gelegt. Es werden regelmäßige Informationsveranstaltungen mit Stakeholdern beider Banken durchgeführt. Sowohl die Betriebsräte als auch die Mitarbeitenden werden frühzeitig in den Fusionsprozess eingebunden. Entscheidend für die Fusion ist die Zustimmung der Mitglieder auf der Generalversammlung beider Banken. Die ersten Schritte zu einer gemeinsamen Bank sind vollzogen. Der weitere Weg zur größten Kirchenbank in Deutschland ist durch eine zeitlich und inhaltlich intensive Arbeit gekennzeichnet. Erst nach der Generalversammlung beider Häuser im Juni 2014 werden die Arbeitsteams in den unterschiedlichen Bereichen ihre Arbeit aufnehmen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist es wichtig, die Mitglieder von der Sinnhaftigkeit der Fusion zu überzeugen.
4.
Fazit
Beide hier vorgestellten Fusionen waren vom Fusionsprozess sehr unterschiedlich. Gleichwohl wurde mit beiden Fusionen dasselbe Ziel verfolgt: der Aufbau einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Bank. Die Fusion mit der Acredobank führte zu sehr positiven Ergebnissen, welche durch die folgenden Auszeichnungen der heutigen Bank untermauert werden. Die EKK wurde als erste Kirchen- und Genossenschaftsbank mit dem anspruchsvollsten europäischen Nachhaltigkeitsstandard EMASplus ausgezeichnet. Die EKK verfügt damit über ein exzellentes Nachhaltigkeitsmanagement und engagiert sich in hohem Maße für alle drei Säulen der Nachhaltigkeit – die sozialethische, die ökologische und die ökonomische. Zudem wurde die EKK 2013 aufgrund ihrer hohen Professionalität und Qualität mit dem portfolio institutionell Award als »Beste Bank« für einen erfolgreichen Umgang mit den veränderten Anforderungen im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ausgezeichnet.
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Thomas Katzenmayer
Weiterhin erhielt die EKK die Auszeichnung »Top Arbeitgeber Deutschland/ Mittelstand 2014«. Die Fusion mit der EDG hat das Ziel, an diese Erfolge anzuknüpfen und sich den Herausforderungen des Marktes erfolgreich zu stellen und auch in Zukunft ein verlässlicher Partner für die Kunden zu sein.
Markus Horneber
Erfolgreicher Zusammenschluss von evangelischen Krankenhäusern: proDiako und Agaplesion
Wirtschaftsprüfer und Beratungsunternehmen im Gesundheitsmarkt haben Hochkonjunktur. Die Zahl der Transaktionen in dieser Wachstumsbranche steigt von Jahr zu Jahr. Besonders im Fokus stehen die 2017 Krankenhäuser in Deutschland. Sie befinden sich in privater (697), kommunaler (601) oder freigemeinnütziger (719) Trägerschaft (Statistisches Bundesamt, 2012). Die Gründungsidee von Agaplesion im Jahr 2002 war es, konfessionelle Krankenhäuser in einen dauerhaft tragfähigen Verbund zu überführen. So soll der Dritte Sektor als Alternative zu privaten Konzernen gestärkt werden. Die Gründungsidee war außerordentlich erfolgreich – in nur zehn Jahren hat sich der fünftgrößte deutsche Gesundheitskonzern formiert und zugleich das größte diakonische Unternehmen Deutschlands. Den größten Wachstumsschub erfuhr Agaplesion im Jahr 2012, als sich die niedersächsische proDiako mit dem Konzern verband: Fünf Krankenhäuser, zwei stationäre und zwei ambulante Pflegeeinrichtungen, zahlreiche Medizinische Versorgungszentren, die Ausbildung an vier Gesundheits- und Krankenpflegeschulen, insgesamt rund 4500 Mitarbeitende und ein Jahresumsatz von etwa 300 Mio. Euro kamen dazu.
1.
Zunehmende Konzentration im Krankenhausmarkt
Die Konzentration auf dem Krankenhausmarkt wird sich in den nächsten Jahren weiter beschleunigen. Am Ende steht eine überschaubare Anzahl von erfolgreichen Verbünden und Konzernen, die ihre Wertschöpfungskette durchgängig aufgebaut haben (Prognos AG, 2012: 27). Voraussichtlich werden sich drei Formen von Zusammenschlüssen herauskristallisieren: 1. Regional begrenzte Verbünde, welche die Gesundheitsversorgung in einer zusammenhängenden Raumschaft übernehmen. Das Leistungsspektrum wird ausgehend von der akut-stationären Versorgung auch in den ambulanten Bereich ausgreifen und SGB-XI-Leistungen beinhalten.
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Markus Horneber
2. Überregionale, hoch spezialisierte Anbieter oder Spezialkliniken mit spezifischem Schwerpunkt. 3. Überregionale, breit aufgestellte Gesundheitskonzerne, die das gesamte Spektrum medizinischer und pflegerischer Leistungen als Generalisten abdecken. Krankenhäuser, die nicht in feste Verbünde integriert sind, werden künftig eher die Ausnahme als die Regel sein. Das gilt auch für (defizitäre) kommunale Häuser. Denn der Diskussionsstand stellt sich heute eindeutig so dar, dass ein defizitäres Krankenhaus nicht aus Steuermitteln subventioniert werden darf, es sei denn, die Defizite sind auf Sonderaufgaben zurückzuführen (Neubauer, 2013: 487). Grund für die fortschreitende Konzentration ist das rapide zunehmende Know-how, das zur qualitativ und wirtschaftlich erfolgreichen Führung eines Krankenhauses oder einer Wohn- und Pflegeeinrichtung erforderlich ist. Die notwendige Kompetenz kann nicht mehr durch die Experten in einem singulären Krankenhaus abgedeckt werden. Durch die immer ausdifferenzierteren medizinischen Disziplinen wird für die Patienten eine lückenlose, durchgängig aufeinander abgestimmte Versorgung von der ersten Beratung über den akutstationären Aufenthalt bis hin zu allen erforderlichen nachsorgenden Aktivitäten immer wichtiger. Dafür muss ein auf sie zugeschnittener, logistisch perfekt organisierter Behandlungsablauf ohne unnötige Wartezeiten oder kostspielige Mehrfachuntersuchungen organisiert werden (Horneber, 2013b: 19). Um den dafür notwendigen einheitlichen und durchgängigen Informations- und Kommunikationsfluss zu organisieren, haben feste Verbünde mit einheitlichen Strukturen (z. B. im Bereich IT und Krankenhausinformationssysteme) die besseren Voraussetzungen.
2.
Kooperation, Fusion oder Verbundstruktur
Die positive Entwicklung von Agaplesion hat gezeigt, dass der Schlüssel für den Erfolg von Verbundstrukturen im Sinne von Netzwerken in einem ausgewogenen Mix aus Zentralisierung und Dezentralisierung besteht, in einem ausgewogenen Mix aus Disziplin und Freiheit: Die Funktion von Managern in solchen Verbundstrukturen besteht darin, die Netzwerke im Spannungsfeld von Kontingenz und Konsistenz, von Flexibilität und Legitimität zu organisieren. Netzwerkstrukturen erfordern vonseiten des Managements eine effektive Allokation von Autonomie. Statt geplanten Wandel von oben nach unten durchzusetzen, müssen Transformationsprozesse angestoßen und so aufrechterhalten werden, dass das Netzwerk den Wandel selbst realisiert. Netzwerke erfordern
Erfolgreicher Zusammenschluss von evangelischen Krankenhäusern
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eine strukturelle und kulturelle Integration, die eine solch fragile, polyzentrische Organisationsform vor der totalen Desintegration bewahrt (Sydow, 2005: 307 ff.). Agaplesion wird so lange erfolgreich bleiben, wie es gelingt, den richtigen Pfad zwischen hoher Selbständigkeit und Autonomie der örtlichen Gesellschaften und klaren zentralen Strukturen zu gehen. Kooperationen, mithin lose, relativ unverbindliche Verbundstrukturen wie Einkaufszusammenschlüsse oder Verbünde ohne Verbindlichkeit helfen zwar, die Effizienz punktuell zu verbessern. Für eine prinzipielle Veränderung sind sie jedoch zu labil und unverbindlich. Sie brechen schnell auseinander, wenn sich das wirtschaftliche Gefälle zwischen den beteiligten Partnern vergrößert. Das hat sich auch an der proDiako-Verbundstruktur gezeigt: Sie war grundsätzlich richtig angelegt, doch konnte an manchen Stellen die notwendige Verbindlichkeit nicht schnell genug hergestellt werden. Wissensbündelung, Know-howTransfer, aber auch die Realisierung wirtschaftlicher Verbundvorteile haben mehr Zeit in Anspruch genommen, als die Liquiditätslage des Verbunds erlaubte. Bei Fusionen – dem anderen Extrem der Verbindlichkeit – werden Unternehmen miteinander verschmolzen. Dies führt dazu, dass ein Partner die Selbständigkeit verliert. Nach der Fusion ist dann zwar klar, wer die Richtung vorgibt, doch dafür muss ein Akteur seine Gestaltungsmöglichkeiten nahezu vollständig aufgeben. Diese Situation wählen gerade die Entscheidungsträger christlicher Krankenhäuser selten, da viele Einrichtungen über eine große Tradition und eine starke Einbindung in die örtlichen Strukturen und Prozesse verfügen. Beides ist nicht nur für die aktuellen Gesellschafter wichtig und wertvoll, sondern es bietet auch für die Zukunftsgestaltung der Kliniken eine hervorragende Ausgangslage und eine sehr tragfähige Basis. Bei dem Zusammenschluss von Agaplesion mit den proDiako-Einrichtungen handelt es sich nicht um eine Fusion, denn die ursprünglichen Gesellschaften wurden nicht mit der Agaplesion gAG verschmolzen. Sie bleiben vielmehr als Gesellschaften innerhalb des Konzerns weiter bestehen. Im Hinblick auf die Beteiligungsform geht Agaplesion jenseits von unverbindlicher Kooperation oder einer die Selbständigkeit beendenden Fusion einen dritten Weg. Dieser Weg respektiert die Tradition und die Leistungen der bisherigen Entscheidungsträger. Er bewirkt aber auch den Anschluss an tragfähige, verbindliche und für die Zukunft existenziell wichtige Konzernstrukturen. Ausgangspunkt hierfür ist ein förderliches Beteiligungsmodell; das heißt: eine geeignete gesellschaftsrechtliche Organisation. Verstärkend wirkt die Netzwerkorganisation im Konzern.
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3.
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Das Agaplesion-Beteiligungsmodell
Agaplesion wurde als gemeinnützige Aktiengesellschaft gegründet. Diese für den christlichen Gesundheitssektor absolut außergewöhnliche Rechtsform hat anfangs in kirchlichen Kreisen viel Widerstand ausgelöst. Es musste erklärt werden, dass die gemeinnützige AG nicht das Ziel verfolgt, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren oder gar Aktionären eine hohe Dividende auszubezahlen, wie dies private börsennotierte Gesundheitskonzerne praktizieren. Ziel ist es im Gegenteil, Erträge und Überschüsse, die letztlich aus Krankenversicherungsbeiträgen generiert werden, ohne Abstriche im Bereich der Gesundheitsdienstleistungen zu behalten und zu reinvestieren. Die Aktiengesellschaft bietet eine ganz besondere, innovative Form der Beteiligung: So haben die jeweiligen Gesellschafter von proDiako 60 Prozent ihrer Gesellschaftsanteile an die Aktiengesellschaft überführt. Dafür haben sie eine adäquate Anzahl an Aktien des Konzerns erhalten. Die genaue Aktienanzahl wurde auf der Grundlage einer definierten Kombination von Substanz- und Ertragswertverfahren ermittelt. Dadurch bleiben die früheren proDiako-Gesellschafter gleich auf doppelte Weise mit ihrem Krankenhaus verbunden: Zum einen mit einem gewichtigen 40-Prozent-Anteil und dem damit verbundenen Vorsitz in der örtlichen Gesellschafterversammlung und zum anderen über ihren Aktienanteil, der ihnen in der Hauptversammlung die entsprechenden Mitwirkungsmöglichkeiten im Gesamtkonzern eröffnet. Darüber hinaus wurde eine Beteiligung im Aufsichtsrat von Agaplesion vereinbart. Der große Vorteil dieser spezifischen Beteiligungsform liegt darin, dass kein Kaufpreis für den Mehrheitsanteil an der Gesellschaft bezahlt wird. Aus dem Gesamtverbund fließt kein Geld an Dritte, das durch die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erst wieder erwirtschaftet werden müsste. Dies hat positive Implikationen auf den Ausbau und die Erweiterung des medizinischen und pflegerischen Leistungsspektrums, stärkt die Substanz und fördert die Möglichkeit der Innenfinanzierung von Investitionen. Noch wichtiger als die gesellschaftsrechtliche Verbindung im Rahmen des Tauschs von 60 Prozent der Gesellschaftsanteile gegen Aktien von Agaplesion war im Rahmen des Zusammenschlusses mit proDiako, dass beide Partner von derselben christlichen Grundhaltung ausgehen. Das christliche Profil, die hieraus entspringenden gemeinsamen Werte und die Gemeinnützigkeit haben einen Zusammenschluss auf Augenhöhe ermöglicht. Ein Zusammenschluss ist für die Verantwortlichen und für alle Mitarbeitenden gleichermaßen ein Zeitpunkt, zu dem sich Fragen der Identität und der Zugehörigkeit in ganz besonderer Weise stellen. Für den Erfolg einer Integration ist es entscheidend, dass die bislang gelebte Unternehmenskultur an diejenige des neuen Partners anschlussfähig ist.
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Die früheren Alleingesellschafter und jetzigen Mitgesellschafter geben die operative Verantwortung für ihr Krankenhaus – für ihre Einrichtung – an Agaplesion ab. Dies bedeutet eine Neuorientierung im Hinblick auf den Zweck der Gesellschaft, vor allem dann, wenn keine weiteren Einrichtungen, wie etwa Wohn- und Pflegeeinrichtungen oder Schulen, in der Gesellschaft verblieben sind. Die reine Konzentration auf die ideelle und wirtschaftliche Förderung ist für die einen Gesellschafter genau die richtige Lösung, für andere zu wenig. Zur langfristig erfolgreichen, nachhaltigen und stabilen Gestaltung der 60/40-Verbundstruktur ist daher eine dauerhafte enge Verknüpfung zwischen den Partnern erforderlich.
4.
Integrative Managementstruktur von Agaplesion
Neben dem besonderen Beteiligungsmodell sind eindeutige Abläufe und die Netzwerkorganisation im Konzern eine weitere wichtige Erfolgsdeterminante. Klare Strukturen und Prozesse bieten den Geschäftsführern der ehemaligen proDiako-Einrichtungen Orientierung und verbindliche Absprachen im Hinblick auf die eigenen Spielräume. Bereits bei der Verhandlung des Konsortialvertrags im Vorfeld der Integration wurde transparent und wertschätzend miteinander besprochen, welche zentralen Vorgaben umzusetzen sind. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Einrichtung vor Ort – aber auch für den Konzern – ist es, dass vor allem die konkreten Dienstleistungen in hohem Maße flexibel und kundenorientiert in der regionalen Gesellschaft ausgestaltet und verantwortet werden können. Die bestehenden Netzwerke zu niedergelassenen Ärzten, Sozialstationen, aber auch zu Partnern in Kirche, Politik oder bei den Krankenkassen werden weiterhin primär von den Akteuren vor Ort gepflegt und ausgebaut. Ziel der im Konzern entwickelten sogenannten Integrativen Managementstruktur (siehe Abbildung 1) ist es, den Konzern wirksam für alle Einrichtungen zu entfalten, indem das im Verbund inkorporierte Wissen gezielt nutzbar gemacht und multipliziert wird. Der erste und wichtigste Schritt bei der Integration der proDiako-Einrichtungen war daher die Verknüpfung der Know-howTräger mit der Integrativen Managementstruktur. Die Integrative Managementstruktur besteht aus drei Komponenten: 1. engagierten und gut ausgebildeten Menschen (Zentrale Dienste), 2. einer lebendigen, sich ständig verändernden und verbessernden Organisation, die eine produktive Verknüpfung der Menschen sicherstellt (ausdifferenziertes Konferenzsystem) und 3. schriftlich niedergelegten Regelungen, die die Zusammenarbeit modellieren (Richtlinien, Rahmenkonzeptionen, Musterkonzeptionen).
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Abbildung 1: Integrative Managementstruktur (eigene Darstellung)
4.1
Wissen teilen: die Zentralen Dienste
Agaplesion verfügt über 16 Zentrale Dienste. Das sind im Konzern etablierte Referate, deren Experten als Netzwerkarbeiter die Gesellschaften vor Ort mit ihrem Spezial-Know-how unterstützen und stärken. Sie praktizieren kollegiale Beratung und helfen, die hohe Kompetenz der Mitarbeitenden in den einzelnen Gesellschaften für den gesamten Konzern zu erschließen. Das Themenspektrum reicht vom Spezialwissen zu Entgeltverhandlungen über Medizincontrolling, Controlling, Finanzen und Steuern, Unternehmenskommunikation, Informationstechnologie, Personal, Recht, Innovationsmanagement und Integrationsmanagement bis hin zum Einkauf. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus allen Gesellschaften, aus allen Berufsgruppen und aus allen Hierarchieebenen erweitern und verbreitern das zentral verankerte Wissen.
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4.2
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Am Prozess beteiligen: ausdifferenziertes Konferenzsystem
Aufgabe der Zentralen Dienste ist es aber auch, die Umsetzung zentraler Vorgaben (die in aller Regel dezentral erarbeitet und vorgeschlagen wurden) zu fördern und zu kontrollieren. Und das funktioniert über ein ausdifferenziertes Konferenzsystem, in das die entsprechenden Experten von proDiako bereits ganz zu Beginn des Integrationsprozesses eingebunden wurden. Das Konferenzsystem ist mehrstufig angelegt und leitet die Ergebnisse der Praktiker aus den verschiedenen Arbeitsbereichen in die relevanten Entscheidungsgremien auf den Führungsebenen weiter. Mithilfe dieses Konferenzsystems wird das enorme Wissen des Konzerns erschlossen, permanent aktualisiert, ergänzt und erweitert und allen zugänglich gemacht. Beispielsweise treffen sich regelmäßig alle geriatrischen Chefärzte in einem sogenannten Agaplesion Arbeitsbereich (AAB), um sich über neue Entwicklungen auszutauschen, sich kollegial zu beraten und Standards zu setzen, zum Beispiel für geriatrische Assessments oder Verbesserungen der Dokumentation im Krankenhausinformationssystem. Ihre Vorschläge für die Weiterentwicklung ihrer Disziplin richten sie dann an den Vorstand. Einmal im Jahr tritt der mehrtägige AAB Ärztliche Direktoren zusammen. Bei dieser Konferenz treffen sich standortübergreifend die Ärztlichen Direktoren mit dem Vorstand, um über strategische Themen und Innovationen zu sprechen, aber auch, um die sozialen und persönlichen Kontakte zu pflegen. AABs gibt es nahezu für jede medizinische Disziplin, für die Pflege, das Qualitätsmanagement und für zahlreiche verwaltungsorientierte Bereiche. Die jeweiligen Experten aus den ehemaligen proDiako-Einrichtungen haben schnell erkannt, dass Transparenz und Wertschätzung in unseren AABs großgeschrieben werden. Jeder Teilnehmer ist aufgefordert, sein Wissen einzubringen, mitzudiskutieren und zu lernen. Einmal im Jahr findet die größte Konzernkonferenz statt, die Agaplesion Managementkonferenz (AMK). Hier trifft sich deutschlandweit das Topmanagement in der Frankfurter Zentrale. Am ersten Tag werden profilbildende ethische Themenstellungen reflektiert, am zweiten Tag wird die Konzernausrichtung für das nächste Jahr miteinander erarbeitet und verabschiedet und am dritten Tag stehen gemischte Fragen von allgemeiner Relevanz zur Diskussion. Es bleibt genügend Zeit, um sich kollegial auszutauschen und sich miteinander zu vernetzen. Seit dem ersten Tag der Integration sind die Geschäftsführer, Ärztlichen Direktoren, Pflegedirektoren, Kaufmännischen Direktoren und Theologischen Leiter von proDiako voll in dieses tragfähige Netzwerk integriert. Alle Konferenzen sind über Personen miteinander vernetzt und an Geschäftsführer und den Vorstand angebunden. Über alle Konferenzen werden Protokolle erstellt und über Verteiler so gesteuert, dass die jeweils relevanten
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Informationen zeitnah beim richtigen Empfänger ankommen. Außerdem sind die Zusammenkünfte effektiv mit der Unternehmenshierarchie gekoppelt, sodass permanent Entscheidungen vorbereitet und ausgelöst werden. So wird die kontinuierliche Weiterentwicklung des Konzerns unter Einbindung der jeweils maßgeblichen Experten gewährleistet. Durch die Integration von proDiako hat der Konzern hervorragendes Knowhow hinzugewonnen, sodass der Zusammenschluss allein schon aus dieser Perspektive betrachtet erfolgreich ist. Zudem wurde die kritische Masse erreicht, um einige neue AABs zu starten. Auf der anderen Seite hat sich die Teilnehmerzahl der bestehenden AABs zum Teil deutlich erhöht und manche Konferenz an die Grenze einer effizienten und produktiven Kommunikation gebracht. Dennoch legen die AAB-Teilnehmer großen Wert darauf, eine denkbare Regionalisierung möglichst lange hinauszuschieben, da der überregionale Austausch sehr geschätzt wird und sich zudem viele persönliche Kontakte entwickelt haben, die unter einer Teilung der Konferenz leiden würden.
4.3
Qualität sichern: Richtlinien, Rahmenkonzeptionen, Musterkonzeptionen
Durch Experten in Zentralen Diensten und durch Konferenzen allein lässt sich ein Konzern der Größenordnung von Agaplesion nicht suffizient steuern. Intakte Netzwerke von Personen ersetzen zwar vielfach Anweisungen und Vorgaben, doch ein Konzern entfaltet seine Wirkkraft erst dann vollständig, wenn bestimmte Regeln verbindlich eingehalten werden. Offensichtlich wird dies zum Beispiel bei der Standardisierung von Verbrauchsmaterialien und der damit verbundenen Möglichkeit, sehr gute Einkaufskonditionen zu erzielen. Durch das Hinzukommen von proDiako konnte in diesem Bereich ein siebenstelliger Betrag eingespart werden, nachdem in mühevoller Kleinarbeit die unterschiedlichen Artikelkataloge auf den Konzernstandard umgestellt worden waren. Im Agaplesion-Konzern schafft ein dreistufiges System von Richtlinien, Rahmenkonzeptionen und Musterkonzeptionen eine hohe Verbindlichkeit. 1. Richtlinien sind von allen Einrichtungen ohne Abweichungsmöglichkeit vollständig umzusetzen. Die etwa 50 Richtlinien betreffen neben dem Einkauf die Buchhaltung, das Qualitätsmanagement und auch einen besonders wichtigen Punkt, nämlich den Markenauftritt. Der einheitliche Markenauftritt aller Agaplesion-Einrichtungen hat zwei Gründe: Zum einen haben einheitliche Markenauftritte grundsätzlich einen Wiedererkennungswert. Das Wiedererkennen ist in der Kommunikation von zentraler Bedeutung, weil es Vertrauen schafft. Das liegt an kognitiven
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menschlichen Strukturen, die auf das Fremde mit Angst und das Bekannte mit Vertrauen antworten. Zum anderen hebt die Marke Agaplesion einzelne Einrichtungen über ihren regionalen Fokus hinaus und dokumentiert visuell die Teilhabe an einem großen Verbund mit allen seinen Möglichkeiten, medizinische und pflegerische Exzellenz zu realisieren. Sie steht für klare Versprechen und bildet für Patienten und Bewohner im großen Möglichkeitsraum der Angebote einen Vertrauensanker. Nach innen ist der Markenaufbau die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass ein gemeinsames Verständnis und die Identität aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelebt werden. Nur durch die Mitarbeitenden kann es gelingen, den Kunden über alle Kontaktpunkte mit dem Krankenhaus oder der Wohn- und Pflegeeinrichtung hinweg ganzheitliche, positive Erlebnisse zu vermitteln. Dies erzeugt Kohärenz und unterscheidet erfolgreiche von weniger erfolgreichen Unternehmen. Agaplesion verfolgt eine konsequente Dachmarkenstrategie, deren wichtiger Baustein die Agaplesion Bildwelt ist. Auf allen Medien wie Unternehmensliteratur, Werbemaßnahmen oder im Internet sind statt austauschbarer Models durchgängig eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter abgebildet. Auch das ist ein Ausdruck von Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitenden und visualisiert den Claim: »Unsere Werte verbinden«. In einer wert(e)vollen Marke stecken exzellente Qualitäten, die aber nicht immer offensichtlich sind. Daher müssen sie durch das tägliche Handeln sichtbar gemacht werden. Mit einem systematischen Wertemanagement sorgt Agaplesion dafür, die Werte der Marke mit Leben zu erfüllen. Bereits im Konsortialvertrag mit proDiako wurde geregelt, dass von allen Einrichtungen die Agaplesion-Dachmarkenstrategie umgesetzt werden muss. In der Konsequenz wird Agaplesion der Firmierung aller Häuser hinzugefügt, wobei in der Regel der eingeführte und häufig sehr traditionsreiche Name erhalten bleibt. Auch das Agaplesion-Logo wurde eingeführt und der neue Markenauftritt innerhalb weniger Monate konsequent umgesetzt. 2. Rahmenkonzeptionen sind ebenfalls inhaltlich umzusetzen. Die Art und Weise der Realisierung steht jedoch im Gegensatz zu den Richtlinien im Dispositionsspielraum der jeweiligen Geschäftsführung vor Ort. Beispiele sind das Ideenmanagement, Werteworkshops oder die in jeder Einrichtung vorzuhaltende Palliativversorgung. 3. Musterkonzeptionen sind die am wenigsten verbindliche Form von Standards: Sie beinhalten den enormen Erfahrungsschatz des Konzerns und geben Beispiele und Anregungen für gute Praxis.
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5.
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Vertragsverhandlung: Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Die erfolgreiche Anbindung der proDiako-Einrichtungen an Agaplesion konnte nur gelingen, weil im Vorfeld der Transaktion eine systematische Prüfung des Unternehmens im Rahmen einer Due Diligence und eine verbindliche vertragliche Abwicklung vorgenommen wurden. In der anschließenden, professionell gesteuerten, systematischen, schnellen und umfassenden Integration liegt eine weitere wesentliche Erfolgsdeterminante. Grundsätzlich legt Agaplesion großen Wert darauf, das vorhandene Know-how intern aufzubauen und zu nutzen. Nur bei kartellrechtlich schwierigen oder größeren Verbünden wie dem Zusammenschluss mit proDiako werden punktuell externe Berater beauftragt. Agaplesion hat seit 2007 die Stabsstelle für Mergers & Acquisitions (M& A) etabliert. Sie ist dem Vorstandsvorsitzenden direkt zugeordnet. Ihr obliegt die Koordination und Organisation des gesamten M& A-Prozesses von der Umsetzung der Akquisitionsstrategie/Sondierung über die Due Diligence und die Verhandlungen bis zum Prozessende. Das Ende bedeutet entweder Abbruch der Gespräche oder Übergabe des Projekts an das Integrationsmanagement. Die Stabsstelle berät den Vorstand in einzelnen Sachfragen bezüglich M& A. Sie leitet das Due-Diligence-Team, welches in der Regel aus den jeweils benötigten Referatsleitern der Zentralen Dienste besteht. Des Weiteren erstellt die Stabsstelle Verträge (z. B. Vertraulichkeitsvereinbarungen, Letter of Intents, Konsortialverträge) und bearbeitet die verschiedenen Fragestellungen inhaltlich. Im M& A-Prozess ist sie neben dem Vorstand Ansprechpartner für Externe. Zusätzlich ist die Stabsstelle verantwortlich für die Bearbeitung der kartellrechtlichen Erfordernisse, insbesondere die Anmeldung von Zusammenschlüssen nach § 35 ff. GWB.
5.1
Sondierung und Kurz-Due-Diligence
Der Aufsichtsrat der proDiako kam im August 2011 auf Agaplesion zu, um die Möglichkeiten eines Zusammengehens auszuloten. Schnell wurde klar, dass die Herausforderungen, vor denen proDiako stand, äußerst vielfältig waren. Sie reichten von Liquiditätsengpässen über das Management komplexer Neubauprojekte, erforderliche medizin-strategische Neuausrichtungen an einzelnen Standorten bis hin zu Fragestellungen in der versuchten Konzernbildung von proDiako. Für Agaplesion bestand die Herausforderung darin, proDiako mit seiner Größe von 28 Gesellschaften und einem Umsatz von circa 300 Mio. Euro pro Jahr vollständig in den Konzern zu integrieren. Die Krankenhäuser der proDiako sind trotz aller Herausforderungen attraktiv, weil sie eine zukunfts-
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fähige Größe aufweisen und Agaplesion in Niedersachsen noch nicht vertreten war. So erfolgte im Herbst 2011 zunächst eine Kurz-Due-Diligence der proDiako in den Bereichen medizinisches Leistungsspektrum, Marktumfeld, Finanzen und rechtlicher Gesamtüberblick. Da jede Due Diligence bei Agaplesion entsprechende Managementkapazitäten bindet, hat sich diese vorgeschaltete Kurz-DueDiligence anhand ausgewählter Dokumente bewährt. Die zu einem späteren Zeitpunkt erfolgende umfangreichere Due Diligence bestätigt und konkretisiert erfahrungsgemäß die Ergebnisse der Kurz-Due-Diligence. Nur wenn aus medizinischer, kaufmännischer und rechtlicher Sicht ein Zusammenschluss für den Vorstand sinnvoll erscheint, wird nach der Kurz-Due-Diligence der Prozess fortgeführt. Die Ergebnisse der Kurz-Due-Diligence wurden dem Aufsichtsrat präsentiert, der dadurch bereits frühzeitig in den Prozess eingebunden war.
5.2
Letter of Intent
Anfang 2012 wurde ein Letter of Intent (LOI) von beiden Seiten unterzeichnet. Im LOI wurden die Eckpunkte eines möglichen Zusammenschlusses festgelegt. Hierzu gehörten die Beschreibung der zukünftigen Transaktionsstruktur, der zukünftigen gesellschaftsrechtlichen Struktur, die Art der Einbindung in den Konzern Agaplesion, die Durchführung einer Due Diligence, der Umgang mit Betriebsgrundstücken sowie die Kapitalausstattung. Die bereits sehr konkrete Beschreibung dieser Punkte erleichterte die nachfolgenden Verhandlungen, da die gemeinsame zukünftige Basis von Anfang an feststand.
5.3
Due Diligence unter Einbindung der Referatsleitungen
Nach der Unterzeichnung des LOI wurde eine umfangreiche Due Diligence durchgeführt. Seitens proDiako wurde ein virtueller Datenraum eingerichtet, der sukzessive innerhalb von circa vier Monaten mit rund 3000 Dokumenten für die 28 Gesellschaften der proDiako gefüllt wurde. Die je nach Analyseobjekt in das Due-Diligence-Team aufzunehmenden Referatsleitungen der Zentralen Dienste als Fachexperten führten für ihre jeweiligen Aufgabengebiete ihre spezifische Due Diligence durch. Dieses Vorgehen hat mehrere Vorteile: Die Referatsleitungen erkennen im Vergleich zu den bereits vorhandenen 100 Einrichtungen von Agaplesion sofort die Schwachstellen und »Knackpunkte«. Durch die wiederkehrende Einbindung in das Due-Diligence-Team haben sie Knowhow über die typischen Probleme potenzieller Verbundpartner gesammelt. Zudem sind die Referatsleitungen im späteren Integrationsprozess auch für die
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Integration in ihrem Zuständigkeitsbereich (z. B. Anbindung an die zentrale ITPlattform) verantwortlich. Vorteilhaft an diesem Vorgehen ist, dass bei der Due Diligence von vornherein der spätere Integrationsbedarf der analysierten Einrichtung im Fokus der Referatsleitungen steht und Wissen aus der Due Diligence bei der späteren Integration nicht verloren geht. Andersherum haben die Referatsleitungen direkt und unmittelbar Best-practice-Ansätze bei proDiako kennengelernt und machen diese für den Gesamtkonzern nutzbar. Zeitgleich zur Due Diligence bei proDiako erfolgte eine Due Diligence mit externer Unterstützung seitens proDiako bei Agaplesion hinsichtlich der Finanzkraft, der Leistungsfähigkeit als Konzern und der Steuerungsmechanismen der einzelnen Einrichtungen. Die proDiako-Einrichtungen und deren Berater vergewisserten sich, dass sie zukünftig in einen leistungsfähigen und damit zukunftsfähigen Konzern kommen.
5.4
Vertragsverhandlungen
Parallel zur Due Diligence wurden in zahlreichen Gesprächen weitere Einzelheiten des Zusammenschlusses abgestimmt sowie der Anteilstausch- und Konsortialvertrag ausgearbeitet. Dieser regelt insbesondere die Zielstruktur, die Umsetzungsschritte, den Umgang mit Grundstücken und Gebäuden, zukünftige Gesellschaftsverträge, die finanzielle Ausstattung der proDiako-Einrichtungen, die Einbindung in den Konzern Agaplesion, besondere Fragestellungen zu einzelnen Einrichtungen, Anteilsübertragung und Aktienausgabe sowie allgemeine Grundsätze der Zusammenarbeit. Grundsätzlich besteht das Verhandlungsteam aus dem Vorstand und der Stabsstelle M& A. Aufgrund der Größe der Transaktion wurden erstmalig auch zwei Berater zur Unterstützung in das Verhandlungsteam aufgenommen. In dieser Aufstellung konnten die komplexen Vertragsverhandlungen in weniger als sechs Wochen abgeschlossen werden. Danach wurden die notwendigen Gremienzustimmungen auf beiden Seiten eingeholt. Zeitgleich zu den Verhandlungen liefen mehrere Prozesse parallel: Es wurde die Anmeldung des Zusammenschlusses nach § 35 ff. GWB fertiggestellt und das Vorhaben beim Bundeskartellamt angemeldet. Aufgrund des Umfangs der Transaktion wurde auch hier externe Unterstützung hinzugezogen. Das neu etablierte Integrationsmanagement hatte zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Planung der Integration ab Tag eins nach Freigabe des Zusammenschlusses durch das Bundeskartellamt begonnen. Des Weiteren wurden differenzierte Informationen für die Mitarbeiter in den Einrichtungen der proDiako und Agaplesion sowie eine gemeinsame Pressemitteilung ausgearbeitet. Am 14. August 2011 wurde der Vertrag dann notariell beurkundet. Anschließend
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wurden die Mitarbeiterinformationen sowie die Pressemitteilung herausgegeben, in der die erfolgreiche Transaktion bekannt gegeben wurde. Bald darauf kam vom Bundeskartellamt die Freigabe im Vorprüfungsverfahren.
6.
Integrationsmanagement
Bei Transaktionen werden viele Fehler gemacht, die häufig mit ungenügender Information und Kommunikation und einem langwierigen Integrationsprozess zusammenhängen. Da die proDiako-Integration alle bislang bei Agaplesion eingeübten Transaktionen in den Schatten stellen sollte, wurde für das Integrationsmanagement eine neue Organisationsform entwickelt.
6.1
Integrationsteams
Im Zusammenhang mit dieser Integration und auch, um für weiteres externes Wachstum gut gerüstet zu sein, wurde der Zentrale Dienst Integrationsmanagement neu geschaffen und mit einer erfahrenen Leiterin besetzt. Denn dem Integrationsmanagement kommt eine Schlüsselaufgabe zu. Im Nachhinein betrachtet war diese Organisationsüberlegung ein maßgeblicher Erfolgsfaktor. Mitarbeiter und Öffentlichkeit müssen von der Sinnhaftigkeit des Vorhabens überzeugt und manche Widerstände aufgelöst werden (Geißler-Nielsen, 2013). Man benötigt leistungsfähige Integrationsteams, um die kulturelle und die organisatorische Integration voranzubringen und eine zügige Wirtschaftlichkeitsund Liquiditätsbesserung zu erreichen. Dabei geht es auch um Schnelligkeit, denn unserer Erfahrung nach korrelieren Integrationsgeschwindigkeit und Integrationserfolg positiv miteinander. Bereits nach kurzer Zeit fanden an jedem proDiako-Standort zielgruppenspezifische Informationsveranstaltungen statt. Der Vorstand von Agaplesion, die bisherige Geschäftsführung von proDiako, die Integrationsmanagerin und als Moderatorin die Referatsleiterin der Unternehmenskommunikation stellten sich und Agaplesion zuerst den Führungskräften vor. Ziel war es, in einer Gesprächsrunde einen Dialog herzustellen und eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Teilnehmenden zu Fragen ermutigt sehen. Im Anschluss galt es, die Mitarbeitenden zu informieren. Jeweils zwischen 60 und 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter folgten den Einladungen zu den Veranstaltungen. Folgende Fragen wurden thematisiert: Wer ist Agaplesion? Was sind Gemeinsamkeiten von Agaplesion und proDiako? Hat Agaplesion Geld für proDiako bezahlt? Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Agaplesion und den Einrichtungen?
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Wer begleitet uns? Wie geht es weiter? Wie werden wir auf dem Laufenden gehalten? Dass es dem Integrationsteam auch in dieser großen Runde gelang, eine offene Atmosphäre zu schaffen, zeigte sich daran, dass die Mitarbeitenden sehr direkt die sie bewegenden Fragen stellten: Bekommen wir neue Verträge? Bleiben unsere Arbeitsplätze erhalten? Wie werden wir heißen? Können wir uns in den Konzern einbringen? Müssen wir zukünftig eine andere Dienstkleidung tragen? Es ist entscheidend, neben den Kernbotschaften ehrliche und umfassende Informationen zu geben und auch schwierige Themen anzusprechen. Diese Themen offen anzusprechen ist besser, als die Mitarbeitenden im Ungewissen zu lassen. Als weiteren Schritt hat der Vorstand von Agaplesion die Führungskräfte der neuen Einrichtungen schnell in alle Gremien eingebunden. Die neuen Kolleginnen und Kollegen von proDiako wurden offen und mit hoher Wertschätzung in das Konzernnetzwerk integriert. Integrationsmanagement heißt auch, die Mitarbeitenden aktiv in den Integrationsprozess einzubeziehen, ihre Ideen, Bedürfnisse und Wünsche, wo möglich, zu berücksichtigen und dafür Feedbackmöglichkeiten zu schaffen. Hierfür ist es entscheidend, dass die Integrationsmanagerin regelmäßig vor Ort ist, an Besprechungen teilnimmt und den persönlichen Kontakt zu den Kollegen aufnimmt.
6.2
Integrationskultur
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für das bereits nach einem Jahr erfolgreich gelungene Zusammenwachsen der beiden großen Unternehmen liegt in der gemeinsamen christlichen Identität und in der besonderen Integrationskultur. Die Haltungen und Einstellungen, die handlungsleitend waren, sind im Unternehmensleitbild von Agaplesion in sechs Kernwerten verankert. Dabei steht die Nächstenliebe an erster Stelle: Beim Zusammenschluss konfessioneller Kliniken besteht eine hohe Identität im Proprium: die Ausrichtung am Profil der Christlichkeit. Kompass kirchlicher Krankenhäuser ist ihr werteorientiertes Leitbild (Horneber u. Kesberger, 2013: 54). Dies erleichtert den Integrationsprozess einerseits sehr, stellt aber andererseits auch hohe Anforderungen an das Fingerspitzengefühl. Der gesamte Prozess war von großer gegenseitiger Wertschätzung geprägt, die ebenfalls als Kernwert von Agaplesion unser Handeln bestimmt. Es war ein Zusammenschluss auf Augenhöhe. In jeder proDiako-Einrichtung wurden einzigartige Aspekte, Ansätze und Best-practice-Beispiele identifiziert, die im Wesentlichen initiiert durch die Integrationsmanagerin und die Zentralen
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Dienste in den Konzern weitergetragen wurden. Wissensvermittlung und Wissensaustausch standen hoch im Kurs; nicht die Diskussion von Defiziten. Die Frage war : Was kann der gesamte Verbund aus der Integration lernen? Der dritte Kernwert von Agaplesion heißt Transparenz. Transparenz bedeutet schonungsloses Offenlegen der wirtschaftlichen Situation, der Probleme, aber auch Identifizierung der Chancen. Transparenz heißt auch, darüber zu informieren, welch enormer Umstellungsaufwand (z. B. die Krankenhaus-Informationssysteme betreffend, die Materialwirtschaft oder auch den Markenauftritt) zu leisten ist. Zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit ist neben einer differenzierten Analyse der Möglichkeiten eine klare Kommunikation der anstehenden Sanierungsmaßnahmen und der damit verbundenen, manchmal einschneidenden Handlungsnotwendigkeiten und Veränderungen erforderlich. Es musste immer wieder erklärt werden, dass Agaplesion nicht Ursache der wirtschaftlichen Schieflage war, sondern deren Lösung. Als fünfter Kernwert bedeutet Professionalität, die hohe Qualität der Versorgung weiter zu sichern und auszubauen. Fachlich, diakonisch und sozial. Und schließlich bedeutet Verantwortung für Agaplesion, den Integrationsprozess mit Augenmaß und Sorgfalt unter Berücksichtigung des christlichen Profils und der Tradition voranzubringen. Die Verantwortung erstreckt sich nicht nur auf Patienten und Mitarbeiter, sondern auch auf die Stadt, den Landkreis, mithin den Sozialraum, in den die entsprechenden proDiako-Einrichtungen eingebunden sind.
6.3
Lessons learned – was wir künftig besser machen werden
Vorstände, Geschäftsführer und alle Beteiligten sind hoch zufrieden mit dem Ablauf und den Ergebnissen des Integrationsprozesses, vor allem auch darüber, dass es keine Fusionsverlierer gegeben hat. Dennoch haben wir uns in großer Runde und in vielen Einzelgesprächen intensiv damit beschäftigt, was künftig noch besser gemacht werden kann und was wir aus unseren Erfahrungen gelernt haben: Für die nächste Integration haben wir bereits die Schnittstelle zwischen Due Diligence und späterem Integrationsmanagement verbessert. Denn bereits während der Prüfungsphase entstehen sehr viele Dokumente und Informationen, die gleich für die nachfolgende Integration aufbereitet und systematisiert werden können. So kann wichtige Zeit gespart werden. Trotz sehr guter Vorbereitung und schlagkräftiger Organisation blieb es nicht aus, dass die Kapazitäten der Zentralen Dienste sehr stark in den proDiakoEinrichtungen gebunden waren. Dadurch konnten einige wichtige Projekte, die
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in anderen Gesellschaften anstanden, nicht weiter verfolgt werden. Nach kurzer Zeit wuchsen dort die Ungeduld und auch die Unzufriedenheit mit der Zentrale. Dieser Unzufriedenheit begegneten wir, indem wir intensive Gespräche führten, neue zeitliche Vereinbarungen trafen und etwas mehr Know-how-Träger in der Zentrale einsetzten. Ein ganz anderes Problem bestand darin, dass die proDiako-Geschäftsführer bei der Vielzahl der Integrationsaktivitäten nicht alles selbst steuern konnten. Sie mussten sich daran gewöhnen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Frankfurter Konzernzentrale direkt mit ihren Kollegen vor Ort die Projekte bearbeiteten und Entscheidungen trafen. Mancher Geschäftsführer fühlte sich dadurch nicht ausreichend eingebunden und informiert. Wir haben daraus gelernt, dieses Thema künftig aktiv anzusprechen und die Geschäftsführer vor dem Start der Integration besser an ihre Rolle heranzuführen. Obwohl wir sorgfältig informierten, haben viele direkt von der Umstellung betroffene Mitarbeitende – zum Beispiel die der IT-Systeme – den Arbeitsaufwand und die Umsetzungsschnelligkeit unterschätzt. Künftig werden wir noch intensiver im Vorfeld aufklären. Alle Auffälligkeiten und Probleme wurden in einem abschließenden Integrationsbericht zusammengestellt und den Beteiligten zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise wurde das Verbesserungswissen gesichert.
7.
Ausblick
In diesem Sinne war das Ziel der Integration der proDiako-Einrichtungen in den Agaplesion-Verbund von Anfang an die Herstellung ihrer strategischen und wirtschaftlichen Zukunftsfähigkeit und damit die Sicherung der medizinischen Versorgung in der jeweiligen Region. Unser gemeinsames Interesse lag darin, trotz der vielfach als schwierig empfundenen Rahmenbedingungen der Krankenhäuser in Deutschland innovative Wege zu finden, um den Patienten mit den gegebenen Mitteln ein Maximum an medizinischer Qualität bereitzustellen. Es geht um die optimale Allokation der knappen verfügbaren Mittel. Während kommunale Häuser zumeist hoch defizitär sind und in großem Umfang auf Steuermittel der Städte, Kommunen und Länder zurückgreifen, gelingt es privaten Anbietern und vor allem den großen Gesundheitskonzernen derzeit, Gewinne zu erzielen. Wenn diese jedoch ausgeschüttet werden, gehen sie dem Gesundheitswesen verloren. Krankenhäuser müssen aber liquide Mittel bereithalten, um investieren zu können. In den für die Behandlungen angesetzten Fallpauschalen sind jedoch keine Investitionskosten, keine Zinsaufwendungen und Abschreibungen einkalkuliert. Kleine Krankenhäuser ohne
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Anschluss an einen großen Verbund können den notwendigen Umbau ihrer Organisationen nicht leisten, weder finanziell noch organisatorisch. Auch vor diesem Hintergrund konnte der Zusammenschluss von proDiako und Agaplesion eine zukunftsfähige Struktur herstellen, in der die traditionsreichen Einrichtungen vom Know-how und von der Finanzkraft eines starken Verbundes profitieren. Modernes Management und der Mitteltransfer untereinander ermöglichen es, dass auch in Zukunft kirchliche Krankenhäuser und Einrichtungen ihren Versorgungsauftrag nicht auf Renditeziele oder wechselnde kommunalpolitische Interessen verkürzen müssen.
Literatur Geißler-Nielsen, B. (2013). Eine unterschätzte Disziplin. f& w, 2/2013, 147 – 149. Horneber, M. (2013). Zeit für einen Perspektivwechsel. f& w, 1/2013, 18 – 21. Horneber, M., Kesberger, F. (2013). Kirchliche Träger. In J. F. Debatin, A. Ekkernkamp, B. Schulte (Hrsg.), Krankenhausmanagement. Strategien, Konzepte, Methoden (S. 53 – 56). Berlin: MWV. Neubauer, G. (2013). Im Nebel der Subventionen. f& w, 5/2013, 486 – 488. Prognos AG (2012). Krankenhauslandschaft 2020 – im Verbund stärker! Basel: Eigenverlag. Sydow, J. (2005). Strategische Netzwerke. Evolution und Organisation (6. Nachdruck). Wiesbaden: Gabler.
Die Autorinnen und Autoren
Peter Abel, Dr. theol., Diplom-Pädagoge, Ständiger Diakon, ist Leiter der Arbeitsstelle für pastorale Fortbildung und Beratung im Bistum Hildesheim. Nach dem Studium der Theologie und Erziehungswissenschaften an verschiedenen Hochschulen und einem pastoraltheologischen Aufbaustudium in Gemeinwesenarbeit an der St. Paul Universität in Ottawa wurde er 1993 in Caritaswissenschaften in Freiburg promoviert. Nach Tätigkeit in Ausbildung und Lehre baute er in seiner Diözese den Arbeitsbereich Gemeinde- und Organisationsentwicklung auf und arbeitete dort in Leitbild- und Fusionsprozessen, zu Gemeindewesen- und Stadtteilentwicklung, Teamentwicklungen und Fragen der Pastoralstrategie. Gegenwärtige Schwerpunkte sind die diözesane Pastoral der Lokalen Kirchenentwicklung und Aspekte kirchlicher Führung. Peter Abel engagiert sich, inspiriert von der benediktinischen Spiritualität, als Kursleiter im Führungsprogramm der Abtei Münsterschwarzach. Peter Abel veröffentlichte zahlreiche Studien zu kirchlicher Organisationsentwicklung, Pastoral und Spiritualität, unter anderem »Gemeinde im Aufbruch« (2007), Spirituelle Wege aus dem Burnout (2009), Keine Zeit für Burnout (2012), Taufspiritualität (2014), alle im Vier-Türme-Verlag/Münsterschwarzach. Andr¦ Armbruster, M.A., studierte Soziologie in Bielefeld und Johannesburg, Südafrika. Im Jahr 2013 schloss er sein Studium mit einer interaktionstheoretischen Arbeit zur Ermöglichung von Gewalt ab. Seitdem ist Andr¦ Armbruster wissenschaftlicher Mitarbeiter am Evangelische Bank Institut für Ethisches Management an der CVJM-Hochschule in Kassel. Dort koordiniert er den Master-Studiengang »Management, Ethik und Organisation« und führt unterschiedliche Studien im Rahmen der Organisation von Kirche, Diakonie und Sozialwirtschaft durch, unter anderem zum Führungshandeln in Diakonieunternehmen. 2014 hat Andr¦ Armbruster eine Promotion zur Soziologie religiöser Gewalt an der Universität Duisburg-Essen begonnen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Konflikt- und Gewaltsoziologie, den soziologischen Theorien sowie in der Organisations- und Religionssoziologie.
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Die Autorinnen und Autoren
Robert Bachert, Diplom-Sozialpädagoge (BA), Diplom-Betriebswirt (BA), Sozialmanager (M.A.), ist Finanzvorstand des Diakonischen Werks der evangelischen Kirche in Württemberg e.V., Stiftungsvorstand und Geschäftsführer zweier Tochterfirmen der Diakonie Württemberg. Ferner ist er Geschäftsführer der Diakonie Baden-Württemberg gGmbH und Aufsichtsratsvorsitzender einer Non-Profit-Gesellschaft. Robert Bachert ist Beiratsmitglied der Evangelischen Bank und Curacon Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Darüber hinaus ist er Mitglied der Schiedsstellen SGB VIII und XII, stellvertretender Vorsitzender der Pflegesatzkommission und stellvertretender Vorsitzender der LIGA der freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg. Robert Bachert lehrt an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg und hat verschiedene Fachbücher veröffentlicht. Matthias Benad, Prof. Dr. phil. habil, geboren 1951, studierte von 1971 bis 1976 Evangelische Theologie und Germanistik und war von 1979 bis 1982 und dann wieder von 1987 bis 1992 als evangelischer Pfarrer tätig. 1981 wurde er mit einer regionalgeschichtlichen Dissertation zum Problem der Glaubensfreiheit im Deutschland des frühen 18. Jahrhunderts an der Universität Frankfurt am Main promoviert. Ab 1982 war er dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig und wurde 1987 mit einer Untersuchung zur Ketzerinquisition in Südfrankreich um 1300 (Domus und Religion in Montaillou) für das Fach Kirchengeschichte habilitiert. 1992 wurde er als Professor für Neuere Kirchengeschichte an die Kirchliche Hochschule Bethel in Bielefeld berufen, wo er das Institut für Diakonie und Sozialgeschichte gründete. Seither liegt sein Forschungsschwerpunkt in der Diakoniegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Er ist Mitglied der Historischen Kommission für Westfalen und der Kommission für kirchliche Zeitgeschichte der Evangelischen Kirche von Westfalen. Seit 2002 wirkte er am Aufbau der diakoniewissenschaftlichen Studiengänge in Bethel mit, die heute vom Institut für Diakoniewissenschaft und DiakonieManagement (IDM) der Kirchlichen Hochschule Wuppertal-Bethel verantwortet werden, dessen Direktor er seit 2013 ist. Katharina Dang, Dr. sc. theol., Pfarrerin der EKBO, ist in dem französischreformierten Dorf Groß Ziethen im Süden der Uckermark aufgewachsen. Als Tochter eines Pfarrers war es ihr in der ehemaligen DDR trotz ausgezeichneter schulischer Leistungen nicht gestattet, das Abitur abzulegen. So absolvierte sie in Angermünde eine Lehre als Apothekenfacharbeiterin. Nachdem sie eine Sonderreifeprüfung bestanden hatte, konnte sie doch noch an der HumboldtUniversität Theologie studieren (1975 – 1980). Im Anschluss erhielt sie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald die Möglichkeit, zum Thema »Weltanschauung und Ideologie in den Predigten der Berliner Hof- und Dom-
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prediger (1539/40 – 1817)« eine Dissertation A (äquivalent zur Form der Promotion) zu schreiben. Es folgte das Vikariat an der Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde Berlin-Prenzlauer Berg, das zweite kirchliche Examen und 1986 die Ordination. Von 1986 bis 1991 war Katharina Dang Assistentin für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität und schrieb ihre Dissertation B (vergleichbar mit der Habilitation) mit dem Titel »Sozialer Kampf und Predigt – insbesondere im Spiegel der Evangelischen Kirchenzeitung (1827 – 1848/49) und von Predigten der Berliner Hofprediger«. Seit 1992 ist sie Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Berlin-Marzahn/Nord. 2012 trat ihre Gemeinde dem »Gemeindebund in der EKBO« bei. 2013 wurde Katharina Dang in den Vorstand des Gemeindebundes gewählt. Johannes Eurich, Prof. Dr. theol., ist seit 2009 Professor für Praktische Theologie/Diakoniewissenschaft und Direktor des Diakoniewissenschaftlichen Instituts der Universität Heidelberg. Nach fünfjähriger Pastorentätigkeit promovierte er in Praktischer Theologie (2000) und habilitierte sich in Systematischer Theologie (2007), beides an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Von 2007 bis 2009 war er als Professor für Ethik in der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Fachhochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum tätig. Johannes Eurich ist seit 2013 Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg. Im Jahr 2011 wurde er als Gastprofessor an die Stellenbosch University in Südafrika berufen. Er ist Mitglied der Kammer für Soziale Ordnung der EKD und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD. Zurzeit leitet er auch den Beirat des »Labors für diakonisches Unternehmertum« und ist Mitglied des Kuratoriums des Centre for Social Investment (CSI) an der Universität Heidelberg. Stefan Friedrichs, Manager bei den Nordlicht Management Consultants, berät seit mehr als 15 Jahren die Entwicklung von Steuerungs-und Kommunikationsstrukturen in Netzwerken, Clustern und institutionellen Kooperationen. Stefan Friedrichs ist Diplom-Verwaltungswissenschaftler (Universität Potsdam) und Ökonom (MBA, OU Business School, UK) und kombinierte schon in seiner Ausbildung die Perspektiven des öffentlichen und privaten Sektors. Zusätzlich ist er als »Executive Business Coach« und als systemischer Managementberater aktiv. Neben seiner beratenden Tätigkeit ist Stefan Friedrichs Dozent für Management und Public Governance an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin und Trainer für Führungskräfteseminare im In- und Ausland. Vor seiner Tätigkeit bei Nordlicht Management Consultants war er 8 Jahre lang geschäftsführender Gesellschafter bei Public One Governance Consulting in Berlin, wo er derzeit Mitglied im Advisory Board ist.
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Die Autorinnen und Autoren
Cornelia Füllkrug-Weitzel, M.A., Pfarrerin, war nach ihrem Studium der evangelischen Theologie und Politikwissenschaft als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin, Menschenrechtsreferentin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) (1990 – 1992) und als Leiterin der Inlandsarbeit bzw. stellvertretende Direktorin des Berliner Missionswerkes tätig (1992 – 1999). Im Januar 2000 wurde die gebürtige Bad Homburgerin zum Vorstand der Ökumenischen Diakonie im Diakonischen Werk der EKD mit Sitz in Stuttgart berufen. Sie war in dieser Funktion Direktorin von Brot für die Welt und der Diakonie Katastrophenhilfe. Im Mai 2011 wurde sie zusätzlich zur Vizepräsidentin des Diakonischen Werkes der EKD ernannt. Seit September 2012 ist Pfarrerin Füllkrug-Weitzel Präsidentin von Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst und Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe im Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung e.V., dessen Vorstandsvorsitz sie im Mai 2014 übernahm. Jürgen Hädrich, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Diakoniewissenschaftlichen Institut der Universität Heidelberg. Er hat Philosophie und Kulturwissenschaft studiert, zum Themenfeld Technik- und Medizingeschichte promoviert und war langjähriger Programmleiter Wissenschaft der Jungen Akademie in Berlin. Am Diakoniewissenschaftlichen Institut ist er Projektleiter von Forschungsprojekten zum Thema Altern und Technik. Darüber hinaus beschäftigt er sich mit den Themen Leadership und Organisationsentwicklung, war in der Schweiz als Berater zum Thema Change Leadership tätig und ist Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg im Weiterbildungsmasterstudiengang »Management, Ethik und Innovation im Nonprofit-Bereich« für Führungskräfte der Diakonie sowie freiberuflich systemischer Coach. Thomas Hoebel, M.A., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Schwerpunkt Organisationssoziologie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld. Er hat langjährige Erfahrung in der Public-Sector-Beratung und ist Lehrbeauftragter an der Leibniz Universität Hannover und der CVJM-Hochschule in Kassel. Jüngste Veröffentlichungen: (zusammen mit C. Dorn, 2013) Mafias als organisierte Dritte. Behemoth. A Journal of Civilization, 6, 74 – 97; Prophezeiungen, die Organisationen zerstören. Northern Rock und DaimlerChrysler im Vergleich. In M. Vogel (Hrsg.) (2013), Organisation außer Ordnung (S. 197 – 222). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Markus Horneber, Dr. rer. pol., ist seit April 2012 Vorstandsvorsitzender Agaplesion gAG. Er wurde 1965 in Nürnberg geboren, studierte an der FriedrichAlexander-Universität Erlangen-Nürnberg Betriebswirtschaftslehre und promovierte am Lehrstuhl für Industriebetriebslehre im Jahr 1990. Der Beginn
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seiner beruflichen Laufbahn führte den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler zu Siemens, wo er als Kaufmännischer Leiter des Geschäftszweigs Standard Derivate des Geschäftsbereichs Halbleiter erste Managementerfahrungen sammeln konnte. Im Anschluss daran war Horneber 14 Jahre leitender Verwaltungsdirektor des traditionsreichen Evangelisch-Lutherischen Diakoniewerks Neuendettelsau. Vor seiner Tätigkeit bei Agaplesion fungierte Horneber als Kaufmännischer Geschäftsführer der Klinikum Chemnitz gGmbH und als Aufsichtsratsvorsitzender von zehn Tochtergesellschaften des Unternehmens. Stefan Jung, Prof. Dr. rer. pol., Diplom-Ökonom, ist Professor für Management und Organisation an der Internationalen CVJM-Hochschule in Kassel. Dort leitet er das Evangelische Bank Institut für Ethisches Management. Zudem ist er Mitglied der Hochschulleitung und als Kanzler für den Bereich Organisationsund Hochschulentwicklung zuständig. An der Universität Witten/Herdecke wurde Stefan Jung 2007 mit einer reformtheoretischen Arbeit promoviert (»Die Form der Reform«). Seit 2006 ist er im Bereich »Wandel und Entwicklung von Organisationen« Lehrbeauftragter der Wirtschaftsfakultät an der Leibniz Universität in Hannover. Darüber hinaus ist er einer der Gründer sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Managementberatung Public One, Governance Consulting in Berlin, wo er sich auf die Beratung politischer und privater Entscheidungsträger spezialisiert hat. Er berät seit über zehn Jahren international und national öffentliche Organisationen in den Bereichen Good Governance und Capacity Development. Bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH ist er Mitglied im Facharbeitskreis Governance. Zudem ist er Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V. sowie im Wissenschaftlichen Beirat des Christlichen Jugenddorfwerkes Deutschland. Stefan Jung lebt mit seiner Familie in der Evangelischen Kommunität Kirubai in Essen und engagiert sich dort im CVJM e/motion e.V., zu deren Mitgründern er gehört. Thomas Katzenmayer, Diplom-Bankbetriebswirt, CMB, Bankdirektor, ist Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Bank eG. Er verantwortet die Bereiche Vorstandsstab, Personal, Revision, Strategie/Unternehmensentwicklung, Vertriebsmanagement und das Privatkundengeschäft. Ferner ist er verantwortliches Mitglied des Vorstandes für Nachhaltigkeit. Darüber hinaus ist Thomas Katzenmayer Mitglied diverser Aufsichtsorgane. Sein Expertenwissen vermittelt er im Rahmen von Fachvorträgen zu aktuellen Entwicklungen in Kirche und Diakonie aus der Bankenperspektive. Maria Loheide, geboren 1958, ist Diplom Sozialarbeiterin, Heilpädagogin und Diplom-NPO-Verbandsmanagerin. Im Oktober 2011 übernahm sie den Posten
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Die Autorinnen und Autoren
des sozialpolitischen Vorstands des Diakonischen Werkes der EKD. Im neu gegründeten Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung ist sie Vorstand Sozialpolitik des Teilwerkes Diakonie Deutschland – Evangelischer Bundesverband. Die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer Arbeit lagen, bis zum Wechsel in den Vorstand der Bundesdiakonie, in den Bereichen Kinder, Jugend, Familie, Frauen, Bildung, Arbeit und Migration. So war sie unter anderem wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Gesellschaft für Familienforschung, in der Sozialpädagogischen Pflegekindervermittlung und Erziehungsberatung in Trägerschaft des Paritätischen sowie als Referentin für Familienbildung, Frau und Familie im Diakonischen Werk Westfalen tätig. 1994 übernahm Maria Loheide die Abteilungsleitung für den Bereich Kinder, Jugend, Familie und Frauen und 2001 bis 2008 schließlich die Geschäftsführung Familie – Bildung – Arbeit im Diakonischem Werk Westfalen. Nach dem Zusammenschluss der Diakonischen Werke Rheinland, Westfalen und Lippe leitete sie von 2008 bis 2011 den Geschäftsbereich Familie, Bildung und Erziehung der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Maria Loheide ist Mitglied im Präsidialausschuss und Präsidium des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. und Vorstandsmitglied des AFET – Bundesverband für Erziehungshilfe e.V. Sie engagiert sich ehrenamtlich für das Institut für soziale Arbeit e.V. in Münster. Christoph Meyns, Dr., ist Pastor der Ev.-Luth. Kirche in Norddeutschland und Gemeindeberater (GfGO). Von 1992 bis 2007 war er fünfzehn Jahre lang als Gemeindepfarrer in Nordfriesland tätig und hat seit 1999 nebenamtlich zahlreiche Gemeinden und Einrichtungen beratend begleitet. Von 2007 bis 2012 evaluierte er im Auftrag der Kirchenleitung den nordelbischen Reformprozess. Parallel dazu setzte er sich im Rahmen eines von Isolde Karle betreuten Dissertationsprojekts mit der Frage nach der Wirksamkeit betriebswirtschaftlicher Methoden im Kontext kirchlicher Veränderungsprozesse auseinander. Dabei zeigte er, dass Ansätze, die auf dem ökonomischen Verhaltensmodell und seiner Vorstellung nutzenmaximierender, von Präferenzen und Restriktionen gelenkter Individuen aufbauen, nicht in der Lage sind, die kirchliche Wirklichkeit angemessen zu erfassen. Systemtheoretisch orientierte Konzepte enthalten dagegen sehr wohl brauchbare Anregungen. Seine Dissertation erschien im Sommer unter dem Titel »Kirchenreform und betriebswirtschaftliches Denken. Modell, Erfahrungen, Alternativen«. Von 2012 bis 2014 verantwortete er zusammen mit dem Betriebswirt Thorsten Kock die Einführung eines zielorientierten Planungs- und Controllingverfahrens für die landeskirchlichen Dienste und Werke der Nordkirche. Seit dem 1. Juni 2014 ist Christoph Meyns Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche in Braunschweig.
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Sven Pernak, Pfarrer, ist Persönlicher Referent des Theologischen Vorstandes der Diakonie Hessen, Herrn Landeskirchenrat Horst Rühl. Bis zur Fusion gehörte er dem Vorstandsstab Grundsatzfragen und Kommunikation des Diakonischen Werkes in Kurhessen-Waldeck e.V. an. Er hat in dieser Funktion ab 2008 den Fusionsprozess der beiden hessischen DW in der entscheidenden Phase begleitet und war in die unterschiedlichen Prozesse der Fusion mit einbezogen. Bereits während seiner Vikariatszeit hat er den Fusionsprozess zweier Kirchengemeinden begleitet. Während der Schul-, Zivildienst- und Studienzeit war er über zehn Jahre als Pflegehilfskraft in einem diakonischen Krankenhaus im Ruhrgebiet tätig. Seit 2013 nimmt er unterschiedliche Lehraufträge zu diakonischen Themen wahr. Annette Rabe, Prof. Dr. jur., ist Rechtsanwältin, Mediatorin und Professorin für Recht der Sozialen Arbeit an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg. Ihre fachlichen Schwerpunkte in Forschung, Lehre und Weiterbildung sind Arbeitsund Sozialrecht, Arzthaftungsrecht sowie Konfliktmanagement und Mediation. Seit 2010 ist sie als Rechtsanwältin in einer Anwaltskanzlei für Medizinrecht in Sindelfingen tätig und berät dort insbesondere Ärzte, Gemeinschaftspraxen und Krankenhäuser in arbeitsrechtlichen Fragestellungen. In den Jahren 2007 bis 2010 war sie als Personalleiterin und Justitiarin eines neu gegründeten Klinikverbundes mit neun Rehakliniken und über 1.200 Mitarbeitenden tätig. Zuvor gehörte sie der Geschäftsführung eines Diakonischen Werkes an und leitete dort die Abteilung Gesundheit, Rehabilitation und Pflege. Annette Rabe lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Pforzheim. Christian Scharff, B.A., ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Evangelische Bank Instituts für Ethisches Management der Internationalen CVJM-Hochschule in Kassel. Er hat Soziologie und Wirtschaftspsychologie an den Universitäten Bielefeld und Bremen studiert und interessiert sich für Organisationssoziologie, soziologische Theorie und qualitative Methoden der Sozialforschung. Er ist Mitautor der Studien »Diakonische Unternehmensführung« und »Perspektiven der Behindertenhilfe«. Laura Wagner studierte BWL-Dienstleistungsmanagement für Non-Profit-Organisationen an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart. Seit 2012 ist sie Vorstandsassistentin im Diakonischen Werk Württemberg. Das Diakonische Werk Württemberg hat ein breites Dienstleistungsangebot für seine Mitglieder. Unter anderem gehören im betriebswirtschaftlichen Bereich die Gehaltsabrechnungsstelle dazu, ferner das Risikomanagement (Frühwarnung, Prävention und Sanierung) und die Wirtschaftsberatung, welche die Mitglieder in Entgelt-, Vergütungs- und Pflegesatzverhandlungen berät. An
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Die Autorinnen und Autoren
durchlaufenden Geldern disponiert das Diakonische Werk Württemberg rund 1 Milliarde Euro. Das Bilanzvolumen beläuft sich auf 70 Millionen Euro und es werden zusätzlich rund 110 Millionen Euro an Fondsmitteln verwaltet. Kristina Willjes, B.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Internationalen CVJM-Hochschule in Kassel. Sie studierte Soziologie an der Universität Bielefeld und der University of Gothenburg, Schweden, und schreibt derzeit ihre Masterarbeit zum Thema »Organisationaler Stress – Zwischen Ressourcenknappheit und Erwartungsdruck. Eine organisationssoziologische Studie zu der sich wandelnden Nutzerzusammensetzung der Tafeln«. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Organisationssoziologie, soziologischer Theorien und qualitativer Methoden der Sozialforschung. In verschiedenen organisationssoziologischen Studien hat sie sich unter anderem eingehend mit dem Kundenreaktionsmanagement der Bundesagentur für Arbeit, der Einführung von Unternehmenssoftware in Universitäten und der wechselseitigen Anpassung von Organisation und Software sowie diakonischer Unternehmensführung und der Zukunft der Behindertenhilfe in Deutschland befasst.