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German Pages 290 [292] Year 2014
Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609 Herausgegeben von Jaroslava Hausenblasová Jiří Mikulec Martina Thomsen
Franz Steiner Verlag
Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen
GEISTESWISSENSCHAFTLICHES ZENTRUM GESCHICHTE UND KULTUR OSTMITTELEUROPAS E.V. AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa Herausgegeben von Winfried Eberhard Adam Labuda Christian Lübke Heinrich Olschowsky Hannes Siegrist Petr Sommer Stefan Troebst Band 46
Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609 Herausgegeben von Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec und Martina Thomsen
Franz Steiner Verlag
Gedruckt mit Unterstützung des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig. Übersetzung der Beiträge mit Unterstützung des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Das dieser Publikation zugrunde liegende Vorhaben wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Förderkennzeichen 01UG0710 gefördert. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.
Umschlagabbildung: Ausschnitt aus dem Einblattdruck Böhmische Friedenfahrt, s. l. 1618 Lektorat: Robert Giesel Redaktion: Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec, Martina Thomsen Übersetzung der tschechischen Beiträge: Anna Ohlidal Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014 Druck: Laupp & Göbel GmbH, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10609-2 (Print) ISBN 978-3-515-10594 (E-Book)
Vorwort Dieses Buch geht auf eine Konferenz zurück, die vom 24. bis zum 26. September 2009 unter dem Titel „Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609 – ein Meilenstein in der Geschichte Europas?“ in der Vila Lanna in Prag stattfand. An der Konzeption der Tagung, deren Erträge in diesem Band präsentiert werden, waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag sowie der am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig angesiedelten Projektgruppen „Hofkultur in Ostmitteleuropa vom 14.–18. Jahrhundert: Kulturelle Kommunikation und Repräsentation im Vergleich“ und „Religionsfrieden und Modi der Bewältigung religiöser/konfessioneller Konflikte in Ostmitteleuropa (16.–19. Jahrhundert)“ beteiligt. Auf dem Weg von den ersten Planungen für die Tagung bis zur Drucklegung der Beiträge haben wir viel Unterstützung erfahren. Wir möchten uns bei allen Beteiligten für ihr Engagement bedanken, im Besonderen bei Prof. PhDr. Svatava Raková, CSc., die 2009 als Direktorin des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik durch die Bereitstellung von Finanzmitteln für die Realisierung der Tagung gesorgt hat. Großer Dank gebührt auch Anna Ohlidal, die die professionelle Übersetzung der Beiträge der tschechischen Autorinnen und Autoren ins Deutsche besorgte. Unser Dank gilt weiterhin Robert Giesel, der die Texte einer sorgfältigen Korrektur unterzogen hat, sowie Anna Knorr, die ebenfalls Korrekturen sowie die Gestaltung der Zeittafel übernommen hat. Dem Direktor des GWZO, Prof. Dr. Christian Lübke, danken wir für die Aufnahme des Buches in die Reihe „Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa“. Der neuen Direktorin des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Prof. PhDr. Eva Semotanová, DrSc., sei gedankt, weil sie uns stets Unterstützung und Gesprächsbereitschaft signalisierte. Nicht zuletzt danken wir dem Franz Steiner Verlag für die freundliche und professionelle Betreuung des Bandes. Ohne die finanzielle Unterstützung seitens des GWZO, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik hätte die Publikation nicht entstehen können. Auch ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Kiel/Prag, im August 2013 Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec und Martina Thomsen
Inhalt Vorwort.....................................................................................................................5 Jaroslava Hausenblasová, Jiří Mikulec und Martina Thomsen Der rudolfinische Majestätsbrief: Entstehungsgeschichte, Forschungsstand und konzeptionelle Überlegungen .........................................................................11 Vorgeschichte und Vorbilder Winfried Eberhard Konfessionelle Polarisierung, Integration und Koexistenz in Böhmen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert ........................................................25 Ines Rößler Die Confessio Bohemica als Basis des Majestätsbriefs Rudolfs II. – Ausdruck konstituierten Rechts oder „neuer Toleranz“? .......................................45 1609 und die europäische Politik Tomáš Černušák Die päpstliche Politik in Mitteleuropa vor und nach dem Majestätsbrief – Wandel oder Kontinuität? ......................................................................................55 Jaroslava Hausenblasová Die diplomatischen Aktivitäten des sächsischen Kurfürsten Christians II. in Prag 1609 .....................................................................................63 Ständische Interessen und Strategien Václav Bůžek Die Glaubensfreiheit im Denken und Alltagsleben des Peter Wok von Rosenberg................................................................................85 Tomáš Knoz Das Žerotín’sche Mähren – ein „anderes Konzept“ des Majestätsbriefs .............103
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Inhalt
Pavel Marek Die Rezeption des rudolfinischen Majestätsbriefs im Milieu des böhmischen katholischen Adels.....................................................................117 Petr Vorel Die Fiskal- und Währungsstrategie der böhmischen Stände in den Jahren 1609–1618 .....................................................................................133 Ideal, Norm und Realität – die Alltagspraxis Jiří Just Die Neuordnung der nichtkatholischen Kirchenverwaltung in Böhmen nach dem Majestätsbrief: Ziele und Probleme.....................................................143 Pavel Kůrka Rudolfs Majestätsbrief und die Prager Pfarreien .................................................155 Wulf Wäntig Politische Rhetorik, religiöse Praxis, konfessionelle Identität – der Majestätsbrief in seinen Wirkungen an der Peripherie des Königreichs Böhmen .....................................................................................161 Martin Holý Vereitelte Hoffnungen? Der rudolfinische Majestätsbrief und das nichtkatholische höhere Schulwesen in Böhmen.................................................171 Spuren in zeitgenössischer Propaganda und Mentalität Antonín Kostlán Der böhmische Calvinismus zwischen Majestätsbrief und der Schlacht am Weißen Berg .......................................................................183 Jana Hubková Der Majestätsbrief Rudolfs II. und seine Rolle in den Flugblattpolemiken des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts ...............................................................195 Petr Hlaváček Rudolfs Majestätsbrief, Comenius und die Exklusivität der Tschechen in der Heilsgeschichte ..........................................................................................215 Jiří Mikulec Der Majestätsbrief im Denken der katholischen Barockgesellschaft in Böhmen ............................................................................................................225
Inhalt
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Formen der Rezeption Jaroslav Pánek Der Majestätsbrief zur Religionsfreiheit von 1609 als historiographisches Problem ..........................................................................239 Martina Thomsen Religionsfrieden als Gegenstand der Erinnerungskultur: ein Vergleich zwischen Böhmen, Polen-Litauen und dem Alten Reich ..............261 Zeittafel ................................................................................................................275 Autorinnen und Autoren ......................................................................................278 Ortsregister...........................................................................................................283 Personenregister ...................................................................................................286
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Der rudolfinische Majestätsbrief: Entstehungsgeschichte, Forschungsstand und konzeptionelle Überlegungen Die europaweiten religiösen Veränderungen seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert und ihre Folgen seien – so die allgemein gültige Meinung der Frühneuzeithistoriker und der Kirchenhistoriker – ein signifikantes Merkmal der Frühen Neuzeit gewesen.1 Die Entstehung verschiedener Konfessionen erforderte Schritte, die potentiellen Konflikten vorbeugen oder bereits bestehende beseitigen sollten, um den politischen, religiösen und sozialen Frieden in den Territorien zu wahren. Neben praktischen Arrangements, die das tägliche Leben in konfessionell-gemischten Gesellschaften erleichterten, existierten schriftliche Vereinbarungen zwischen unterschiedlichen Bekenntnisgruppen, die auf eine Duldung der neuen Glaubensrichtungen abzielten. Unter diesen ragen die allseits bekannten Religionsfriedensregelungen, wie z. B. der Augsburger Religionsfrieden von 1555 oder das Edikt von Nantes aus dem Jahr 1598, hervor. Sie nehmen in der Perspektive der jeweiligen Nationalhistoriographie eine bedeutende Rolle ein. Schriftlich fixierte Konfliktregelungen aus Ostmitteleuropa gerieten ‒ obwohl sie bereits viel früher existierten, wie der Kuttenberger Religionsfrieden von 1485 zeigt, oder auffallend zeitnah entstanden waren, wie das 1568 in Siebenbürgen erlassene Edikt von Turda belegt ‒ erst sehr spät und teilweise auch nur sporadisch in den Fokus westeuropäischer Historiker.2 Als sich im Jahr 2009 zum 400. Mal das Erscheinen des 1609 von Kaiser Rudolf II. in Böhmen und Schlesien erlassenen Majestätsbriefs jährte, bot sich die Möglichkeit, neue Forschungsergebnisse zusammenzutragen und sie der internationalen 1 2
S. etwa Holzem, Andreas: Katholische Konfessionalisierung – ein Epochenphänomen der Frühneuzeit zwischen Spätmittelalter und Aufklärung. In: Die Frühe Neuzeit als Epoche. Hg. v. Helmut NeuHaus. München 2009, 251–289, hier 285. Für die französische Historiographie z. B. Cottret, Bernard: 1598. LʼÉdit de Nantes. Paris 1998. Zum Forschungsstand CHristiN, Olivier: LʼÉdit de Nantes. Bilan historiographique. In: Revue historique 123 (1999), 127‒135. ‒ Für die deutsche Historiographie z. B.: Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden. Hg. v. Carl A. HoffmaNN. Regensburg 2005. – Kritik an der geringen Beachtung ostmitteleuropäischer Konfliktarrangements und der Idealisierung des Augsburger Religionsfriedens übten zuletzt BaHlCke, Joachim: Religionsfreiheit und Reichsbewusstsein. Deutungen des Augsburger Religionsfriedens im böhmisch-schlesischen Raum. In: Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Wissenschaftliches Symposium aus Anlaß des 450. Jahrestages des Friedensschlusses. Hg. v. Heinz sCHilliNg. Gütersloh 2007, 389–413, und müller, Michael G.: Toleranz vor der Toleranz. Konfessionelle Kohabitation und Religionsfrieden im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. In: Kommunikation durch symbolische Akte. Religiöse Heterogenität und politische Herrschaft in Polen-Litauen. Hg. v. Yvonne kleiNmaNN. Stuttgart 2010, 59–75, hier 60 f.
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Fachwelt bekannt zu machen. Die wissenschaftliche Konferenz, die vom 24. bis zum 26. September 2009 in Prag veranstaltet wurde und deren Beiträge in diesem Sammelband vereint sind, wollte darüber hinaus die Ereignisse von 1609 in einen europäischen Kontext einbetten. Der Majestätsbrief gilt bis heute in der tschechischen Historiographie als eine bedeutende legislative Norm zur Religionsfreiheit im Königreich Böhmen und in veränderter Form auch im Herzogtum Schlesien. In Böhmen wurde hierdurch die Gleichberechtigung der sich zur Confessio Bohemica bekennenden Glaubensgruppen und der römisch-katholischen Kirche gesetzlich verankert, in Schlesien erhielten die Lutheraner die Religionsfreiheit. Der Majestätsbrief garantierte den Nichtkatholiken die freie Ausübung ihrer religiösen Praktiken sowie eine unabhängige Kirchenverwaltung.3 Seine Entstehung hing eng mit zwei Prozessen zusammen, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts das politische Klima in den böhmischen Ländern und in der gesamten Habsburgermonarchie stark beeinflussten: Dabei handelte es sich zum einen um die Auseinandersetzung zwischen der böhmischen Ständeopposition und dem Herrscher um den Anteil der Stände an der politischen Macht. Dieser Konflikt war zugleich ein konfessioneller, denn die überwiegende Mehrheit der oppositionellen Stände war nichtkatholisch, während die Habsburgerdynastie seit der Spaltung der Christenheit in Westeuropa die katholische Position vertrat. In den böhmischen Ländern, die dank des Hussitentums eine eigene bedeutende Reformationstradition besaßen, begann die Verflechtung des politischen und des religiösen Konflikts sehr früh und verstärkte sich im 16. Jahrhundert. Nach der Besteigung des böhmischen Throns durch die Habsburger im Jahr 1526, dem Beginn der Reformation im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation und der katholischen Reaktion durch die Beschlüsse des Konzils von Trient steigerte sich die Intensität der religiösen und politischen Auseinandersetzung in den böhmischen Ländern. Der Disput in Böhmen entwickelte sich allmählich zu einem Bestandteil des gesamteuropäischen Konflikts um die Vormachtstellung der konfessionellen Lager. Ein großer Teil der böhmischen Nichtkatholiken (besonders die sogenannten Neuutraquisten und die Angehörigen der Brüderunität) hatte sich 1575 auf einen Kompromiss einigen können: auf das Glaubensbekenntnis der Confessio Bohemica.4 Die nichtkatholischen Stände legten ihr Bekenntnis auf dem Landtag dem Kaiser und König Maximilian II. zur Bestätigung vor und boten ihm im Gegenzug finanzielle Unterstützung, politische Zugeständnisse sowie die Wahl Rudolfs II. zum böhmischen König an. Der Herrscher gab jedoch lediglich seine mündliche Zustimmung. Diese schützte die unter der Confessio Bohemica versammelten Gläubigen 3
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Der folgende Überblick über die Ereignisse rund um den Erlass des Majestätsbriefs wurde unter Berücksichtigung der neuesten Literatur erstellt: Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Der Majestätsbrief Rudolfs II. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19). – Čechura, Jaroslav: 5.5.1609 – Zlom v nejdelším sněmu českých dějin. Generální zkouška stavovského po vstání [5.5.1609 – Ein Wendepunkt im längsten Landtag der böhmischen Geschichte. Generalprobe für den Ständeaufstand]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 18). – Vorel, Petr: Velké dějiny zemí Koruny české [Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone]. Bd. 7: 1526–1618. Praha-Litomyšl 2005, 395–453. S. zum Folgenden die Zeittafel im Anhang.
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allerdings nicht vor möglichen Verfolgungen durch den Herrscher bzw. durch andere Glaubensgruppen, so dass die schriftlich fixierte Verankerung des Bekenntnisses zu den langfristigen Zielen der nichtkatholischen Ständeopposition zählte. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert setzte in Böhmen auf politischer und religiöser Ebene eine katholische Offensive ein. 1599 wurde der ehrgeizige und unnachgiebige Katholik Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz Oberstkanzler des Königreichs Böhmen. In den folgenden Jahren stellte er sein Amt vollkommen in den Dienst der katholischen Politik und scharte etliche Adelige um sich, die, wie er selbst, dem päpstlichen Nuntius und dem spanischen Gesandten nahe standen sowie programmatisch vor allem die gegenreformatorische Politik des Herrschers unterstützten. Neben Lobkowitz bemächtigten sich auch andere Katholiken bedeutender Landesämter. Christoph Popel von Lobkowitz z. B. wurde Obersthofmeister, Wenzel Berka von Dubá Oberstkämmerer und Adam von Sternberg Oberstlandrichter. Die katholische Partei besaß somit gegen Ende des 16. Jahrhunderts in den entscheidenden Ämtern eine deutliche Übermacht. 1602 gab Rudolf II. dem Drängen der katholischen Partei nach und erneuerte das sogenannte St. Jakobsmandat aus dem Jahr 1508. Wladislaw II. Jagiello hatte dieses seinerzeit speziell gegen die Anhänger der Brüderunität erlassen. Die Erneuerung des Mandats zu Beginn des 17. Jahrhunderts führte zur Schließung von Brüdergemeinden und zur Verfolgung der Mitglieder dieser Kirche. Im Rahmen der erwähnten katholischen Offensive um 1600 kam es auf der Prager Synode von 1605 auch zur Verkündung der Beschlüsse von Trient. Einige katholische Adelige begannen auf ihren Herrschaften mit der Rekatholisierung ihrer Untertanen. Verständlicherweise löste der katholische Druck auf nichtkatholischer Seite eine Gegenreaktion aus, die in den böhmischen Ländern im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts das religiöse und politische Klima verschärfte. Die zweite Entwicklung, die den Erlass des Majestätsbriefs beeinflusste und im Prinzip als dessen unmittelbares Vorspiel gelten darf, war der Bruderzwist in der Habsburgerdynastie. Die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Rudolf II. und seinem jüngeren Bruder Matthias steuerten zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf ihren Höhepunkt zu. Zur Zuspitzung trugen nicht nur die langwierigen außenpolitischen Konflikte bei, zu denen besonders die Türkenkriege zählten, sondern auch der Umstand, dass Rudolf II. ohne legitime Nachkommen geblieben war. Negativ wirkte sich zudem seine Geisteskrankheit aus. Der Konflikt zwischen den beiden Brüdern eskalierte im Jahr 1608, als Matthias mit einem Heer in Böhmen einfiel. Diese Aktion verlangte von den oppositionellen Ständen in den einzelnen Ländern der Habsburgermonarchie (und damit auch im Böhmischen Königreich), für einen der beiden Rivalen Partei zu ergreifen. Während sich die mährische, die österreichische und die ungarische Ständeopposition für Matthias entschieden, blieben die böhmischen Stände Rudolf II. treu. Die Vermutung, dass sie Rudolf II. durch ihr Handeln zumindest einen Teil seiner Herrschaft retteten, ist nicht übertrieben. In ihrer Politik zeigte sich sicherlich auch die Überlegenheit, die die böhmische Ständegemeinde gegenüber den Nebenländern der Böhmischen Krone empfand. Zugleich ließ sie sich von einem politischen Kalkül leiten, das sich grundsätzlich von den Überlegungen der Mährer unterschied. Die böhmischen Stände nutzten ihre
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Treue zu Rudolf II. u. a. als Instrument, das ihm politische und religiöse Zugeständnisse entlocken sollte. Unter den 25 Forderungen, mit denen die nichtkatholischen Stände auf dem Landtag auftraten und die sie dem Kaiser bei einer Massenaudienz am 28. Mai 1608 vorlegten, befanden sich auch Artikel, die die Zustimmung des Herrschers zur Confessio Bohemica und eine Garantie der Religionsfreiheit für die sich zu dieser Konfession bekennenden Nichtkatholiken verlangten. Während Rudolf II. versprach, die politischen Forderungen zu erfüllen, verhielt er sich den religiösen Forderungen gegenüber reserviert. Da aber sein Bruder mit einem Heer in Richtung Prag zog, konnte es sich der Herrscher nicht erlauben, einen bedeutenden Verbündeten zu verlieren. Deshalb verschob er die Behandlung der religiösen Forderungen auf den nächsten Landtag. Der schnelle Verlauf der Ereignisse veranlasste die Stände, dem Aufschub zuzustimmen. Am 28. Januar 1609 wurde auf der Prager Burg ein Landtag eröffnet, der sich zum Schauplatz einer neuen Runde im Ringen um die Religionsfreiheit für die Anhänger der Confessio Bohemica entwickeln sollte. Die nichtkatholische Ständeopposition stieß hier mit einem Herrscher zusammen, auf den starker Druck durch die katholische Partei ausgeübt wurde, etwa von den radikalen Katholiken um Zdeněk Popel von Lobkowitz, von dem päpstlichen Nuntius Antonio Caetani, dem Gesandten des spanischen Königs Philipp II., Baltasar Zúñiga, und dem Prager Erzbischof Karl von Lamberg. Der Kaiser fand sich faktisch zwischen zwei Lagern wieder: Einerseits konnte er die Interessen der Katholiken nicht ignorieren, andererseits musste er sich die Unterstützung der böhmischen Stände gegen seinen jüngeren Bruder bewahren. Der Landtag, der den gesamten Februar und März andauerte, erfüllte die Erwartungen der Ständeopposition nicht. Der Herrscher lehnte ihre Forderungen ab, so dass die Verhandlungen an einen toten Punkt gelangten. Die katholische Partei verlegte sich zusehends darauf, die Einheit der nichtkatholischen Stände zu spalten, indem sie die Stadtbürger einschüchterte und versuchte, einen Keil zwischen die Neuutraquisten und die Böhmischen Brüder zu treiben. Es gelang ihnen zwar nicht, die Brüderunität und die Neuutraquisten zu entzweien, aber am 1. April 1609 löste Rudolf II. den Landtag unerwartet auf. Die Reaktion der oppositionellen Stände folgte schnell: Noch am selben Tag beriefen sie – ohne Erlaubnis des Herrschers bzw. sogar gegen dessen ausdrückliches Verbot – für den 4. Mai einen neuen Landtag ein. Die Ständeopposition näherte sich mit dieser Entscheidung dem offenen Widerstand gegen den Herrscher. Anfang Mai versuchte sie daher noch, ihren Landtag durch Verhandlungen auf der Prager Burg zu legalisieren. Als diese scheiterten, berief sie einen Ständetag in das Neustädter Rathaus ein und begann am 9. Mai 1609 mit den Beratungen über die weiteren Schritte. Auf diese Weise zeigten die Stände öffentlich ihren Widerstand gegen Rudolf II., denn ordentliche böhmische Landtage konnten zu dieser Zeit nur auf der Prager Burg mit Zustimmung und unter dem Schutz des Königs stattfinden. Die gesamten Bemühungen der Stände waren darauf ausgerichtet, von Rudolf II. die Erlaubnis für einen neuen, legalen Landtag zu erzwingen, auf dem sie ihre Forderungen durchsetzen wollten. Für ein überraschendes militärisches Einschreiten gegen die oppositionellen Stände war es zu spät; die Stände verfügten in Prag über eine Vielzahl von Bewaffneten, und zwar
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sowohl eigene Untertanen als auch angeworbene Söldner. Der Herrscher fürchtete ein Bündnis zwischen den böhmischen Ständen und seinem verhassten Bruder Matthias, so dass er allmählich den unversöhnlichen Standpunkt der katholischen Partei aufgab und einen Kompromiss ins Auge fasste. Indiz einer solchen Kompromisslösung war die erneute Einberufung eines ordentlichen Landtags für den 25. Mai 1609. Die Verhandlungen des neuen Landtags spitzten sich allerdings rasch zu. Der Kaiser geriet von neuem unter den Einfluss der radikalen Katholiken und lehnte es ein weiteres Mal ab, über die religiösen Forderungen der Stände zu diskutieren. Die gemäßigten Katholiken suchten auf dem Landtag zwar nach einem Kompromiss, stießen jedoch auf die Unnachgiebigkeit des radikalen Flügels der katholischen Partei. Auch die nichtkatholischen Stände waren unnachgiebig. Die Audienz am 13. Juni 1609, bei der Joachim Andreas Schlick dem Kaiser das Konzept des Majestätsbriefs vorlegte und die Ständedelegierten es ablehnten, in Anwesenheit des Herrschers ihre persönlichen Waffen abzulegen, endete im Streit und mit Rudolfs Rückzug aus dem Audienzsaal. Im Juni schlossen sich auch die Schlesier den Forderungen der böhmischen Stände an. Der offene Aufstand drohte, als die Ständeopposition am 26. Juni 1609 30 Direktoren zur neuen Ständeregierung wählte. Das Direktorium berief das Landesheer ein und zeigte auf diese Weise die Bereitschaft der nichtkatholischen Stände, ihre Forderungen mit Waffengewalt durchzusetzen. Kaiser Rudolf II. lehnte den Weg des offenen Konflikts ab und entschloss sich, den Forderungen nach Religionsfreiheit zuzustimmen, selbst wenn er damit die Durchsetzung der katholischen Religion gefährdete, zu der sich die Habsburger verpflichtet hatten. Ende Juni begannen die Arbeiten an der Endredaktion des neuen Gesetzes, und am 9. Juli wurde der Majestätsbrief von Rudolf II. unterschrieben und gesiegelt – gegen den Widerstand der radikalen Katholiken. Oberstkanzler Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz lehnte es ab, das Dokument gegenzuzeichnen, obwohl dies zu seinen Amtspflichten gehörte. Am selben Tag wie der Majestätsbrief wurde von Vertretern der beiden konfessionellen Lager auch der Ausgleich (Porovnání) unterschrieben, der die Beziehungen zwischen der katholischen und der nichtkatholischen Partei regelte. Am 22. Juli erfolgte die Aufnahme des Majestätsbriefs in die Landtafel, am 5. September geschah dasselbe mit dem Ausgleich. Beide Dokumente erlangten dadurch landesweite Rechtskraft.5 Die schlesischen Stände hatten mit den Böhmen am 13. Juli ein Defensivbündnis geschlossen, in dem sie sich zu gegenseitiger militärischer Hilfe verpflichteten, 5
Der Majestätsbrief Rudolfs II. befindet sich heute im Národní archiv Praha (Nationalarchiv Prag) [im Folgenden: NA Praha], Archiv České koruny (Archiv der Böhmischen Krone), Inv. Nr. 2293. Das Original des Ausgleichs ist nicht erhalten geblieben. Von den verschiedenen Editionen des Majestätsbriefs und des Ausgleichs ist besonders krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909, 34–43, zu nennen, der mehrere Kopien erwähnt. Eine deutsche Übersetzung beider Dokumente befindet sich bei giNdely, Anton: Böhmen und Mähren im Zeitalter der Reformation. Abt. 1: Geschichte der Böhmischen Brüder. Bd. 2. Prag 1868, 447–457, sowie sCHultz, Hans: Der Dreißigjährige Krieg. Bd. 1: Bis zum Tode Gustav Adolfs. Leipzig-Berlin 1917, 20–30.
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falls es zu einer Bedrohung für die Religionsfreiheit kommen sollte. Nun profitierten sie von ihrem Engagement in den entscheidenden Momenten des Ringens um den Majestätsbrief: Am 20. August 1609 erließ Rudolf II. auch einen Majestätsbrief für Schlesien, in dem den Anhängern des Augsburger Bekenntnisses die Religionsfreiheit garantiert wurde. Der Majestätsbrief Rudolfs II. war in politischer und besonders in religiöser Hinsicht ein großer Sieg für die böhmische Ständeopposition. Mit seinem Erlass fand der Konflikt zwischen den Ständen und dem Herrscher jedoch kein Ende. Die Konfessionsstreitigkeiten im Böhmischen Königreich spitzten sich anschließend sogar zu. Neun Jahre später, im Jahr 1618, sollten Beschwerden über die Verletzung des Majestätsbriefs durch die katholische Partei – hierbei ging es um den Abriss der evangelischen Kirchen in Klostergrab (Hrob) und Braunau (Broumov) – zum Katalysator werden, der das politische und religiöse Ringen im Böhmischen Königreich in einen offenen Ständeaufstand gegen den Herrscher verwandelte. Der Verlauf der historischen Ereignisse, die Umstände, die zum Majestätsbrief führten, und das angestrengte Bemühen Rudolfs II., diesen zu verhindern oder zumindest hinauszuzögern, sind unwiderlegbare Beweise für die Relevanz des Dokuments. Umso auffälliger ist es, dass die tschechische Historiographie dem Majestätsbrief zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich viel Aufmerksamkeit schenkte. Für den Zeitraum von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zur Besetzung der Tschechoslowakei durch deutsche Truppen 1939 darf man von einer Konjunktur des Themas sprechen. Diese hing nicht nur mit den neu gesteckten Aufgaben der tschechischen Historiographie, sondern vornehmlich mit dem politischen Wandel zusammen, der die Aufnahme neuer Forschungsprogramme ermöglichte. In der Tschechoslowakei der Nachkriegszeit beobachten wir dagegen im Kontext der antikirchlich ausgerichteten kommunistischen Ideologie, und besonders nach Einführung der Zensur, einen Bedeutungsverlust von religionsgeschichtlichen Themen, und damit auch des Majestätsbriefs. Obwohl sich die Kontrolle der Geschichtswissenschaft durch den Staat allmählich lockerte und nach der Samtenen Revolution von 1989 günstigere Bedingungen für die historische Forschung auf praktisch allen Themengebieten bestanden, gelang es bis heute nicht vollständig, an die früheren Untersuchungen anzuknüpfen, neue Fakten aufzudecken und damit zur Neuinterpretation der Ereignisse von 1609 und ihrer Verortung in der böhmischen Geschichte beizutragen. Daher sind Historikerinnen und Historiker bei der Suche nach einem detaillierten, ereignisgeschichtlichen Abriss auch heute noch immer auf die einzige Monographie von Anton Gindely aus dem Jahr 1858 angewiesen.6 Sucht man nach den Ursachen für diesen Zustand, muss man wohl konstatieren, dass die Bemühungen der böhmischen Stände um Religionsfreiheit während der Frühen Neuzeit nicht nur für viele moderne Historikerinnen und Historiker, sondern insbesondere für die historisch interessierten Leserinnen und Leser an Attraktivität verloren haben, was zweifellos an der geringen Bedeutung liegt, die der Religionsproblematik durch die heutige Gesellschaft und ihre politische Elite beigemessen wird. 6
Zum Forschungsstand s. den Beitrag von Jaroslav PáNek in diesem Band.
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Allerdings gibt es noch einen anderen Grund. Um wirklich neue Erkenntnisse über den Majestätsbrief und Kaiser Rudolfs II. Politik im Jahr 1609 gewinnen zu können, fehlt es nämlich an einer umfassenden Erschließung der Quellen. Diese hatte ursprünglich niemand Geringerer als der Historiker Anton Gindely im Rahmen seiner großzügig angelegten Editionsvorhaben am 1862 neu gegründeten Landesarchiv des Königreichs Böhmen vorangetrieben. Zu seinen Editionen zählte u. a. die zunächst parallel in tschechischer und deutscher Sprache veröffentlichte Reihe Sněmy české od léta 1526 až po naši dobu/Die böhmischen Landtagsverhandlungen und Landtagsbeschlüsse vom Jahre 1526 an bis auf die Neuzeit. Diese Reihe hatte die Aufgabe, alle Quellen, „die sich auf alle öffentlichen Verhältnisse, [...] [insbesondere] auf die politische und Rechtsentwicklung des Landes beziehen“,7 durch Abschriften aus böhmischen und ausländischen Archiven zusammenzutragen und für jedermann zugänglich zu machen. Im Ergebnis sollten die Voraussetzungen für eine Fortführung von František Palackýs Werk Dějiny národu českého (Geschichte des tschechischen Volkes) geschaffen werden, das mit der Besteigung des böhmischen Throns durch die Habsburger im Jahr 1526 endete.8 Bis 1900 erschienen unter Mitarbeit vieler Archivare und Historiker insgesamt zehn Bände der böhmischen Landtagsverhandlungen, danach teilte man die Betreuung der einzelnen Bände konkreten Herausgebern zu. Die Bearbeitung der letzten Regierungsjahre Rudolfs II. wurde zwei Historikern anvertraut, die die bedeutende Schule von Jaroslav Goll fortführten: Kamil Krofta (Bde. 11–14, Zeitraum 1605– 1610) und Jan Bedřich Novák (Bde. 15–20, Zeitraum 1611–1620). Die Editionsarbeiten, an die jetzt hohe wissenschaftliche Ansprüche gestellt wurden, gingen jedoch nur langsam voran, obwohl in der neu entstandenen, unabhängigen Tschechoslowakei mit dem Staatlichen Historischen Verlagsinstitut (Státní historický ústav vydavatelský) 1921 eine weitere Institution gegründet wurde, zu deren Aufgaben auch die Vorbereitung der Edition der böhmischen Landtagsverhandlungen gehörte. Novák konnte bis zu seinem Tod im Jahr 1933 zwei Bände herausgeben,9 Krofta nur einen.10 Die Editionsarbeiten wurden 1939 durch die Besetzung der Tschechoslowakei behindert und kamen 1941 gänzlich zum Erliegen, als die Gestapo den Direktor des Landesarchivs, Bedřich Jenšovský, verhaftete; er starb ein Jahr später in Auschwitz. Nach der Befreiung der Tschechoslowakei 1945 wurden die Arbeiten an der Edition der böhmischen Landtage erneut aufgenommen – diesmal am 14. Teil, der die Jahre 1609–1610 umfassen sollte. Dieser Band, dessen Fertigstellung man František Beneš anvertraute und der noch 1953 zusammen mit den anderen 7 8 9
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Sněmy české od léta 1526 až po naši dobu. Bd. 1: 1526–1545 [Die böhmischen Landtage von 1526 bis auf unsere Zeit. Bd. 1: 1526–1545]. Praha 1877, III. PalaCký, František: Dějiny národu českého w Čechách a w Morawě [Geschichte des tschechischen Volkes in Böhmen und Mähren]. 5 Bde. Praha 1848–1867. Sněmy české od léta 1526 až po naši dobu. Bd. 15/1,2: Sněmy roku 1611. Generální sněm na Hradě pražském [Die böhmischen Landtage von 1526 bis auf unsere Zeit. Bd. 15/1,2: Die Landtage des Jahres 1611. Der Generallandtag auf der Prager Burg]. Hg. v. Jan Bedřich NoVák. Praha 1917–1929. Sněmy české od léta 1526 až po naši dobu. Bd. 11: Sněmy roku 1605 [Die böhmischen Landtage von 1526 bis auf unsere Zeit. Bd. 11: Die Landtage des Jahres 1605]. Hg. v. Kamil krofta. Praha 1910.
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nicht mehr erschienenen Bänden im Editionsprogramm des Archivs des Landes Böhmen (Archiv země české) in Zusammenarbeit mit dem Historischen Institut der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften auftauchte,11 erblickte jedoch nie das Licht der Welt und fiel ebenso wie die Institution, die ihn vorbereitete, nämlich das Archiv des Landes Böhmen, der politischen Entwicklung in der sozialistischen Tschechoslowakei zum Opfer. Nicht nur die Quellenforschung, sondern auch das „goldene Zeitalter“ der böhmischen Geschichte, das heißt die Regierungszeit Rudolfs II., waren randständige Themen der offiziellen tschechoslowakischen Geschichtsschreibung. Dies änderte sich zwar nach der Wende 1989, doch galt die Aufmerksamkeit der Forscherinnen und Forscher auch dann fast ausschließlich der Sozial- und Kulturgeschichte während der rudolfinischen Zeit.12 Und so gestaltete sich das Gedenken an den Majestätsbrief im Jahr 2009 ganz anders als noch 1909: Damals stellten die Feierlichkeiten in gewisser Weise ein Politikum dar, als das historische Dokument der Fachöffentlichkeit – wenn auch um eine objektive Wertung bemüht – vorgestellt wurde.13 Die Veranstalterinnen und Veranstalter der Konferenz standen also vor einer schwierigen Aufgabe: Es ging nicht nur um eine Würdigung des Majestätsbriefs für die Entwicklungen in der Politik-, Religions- und Kulturgeschichte Böhmens, sondern auch um seine Einbettung in den europäischen Kontext. Eine Verknüpfung von nationaler und europäischer Geschichtsschreibung war erwünscht. Das ursprüngliche Konzept der Konferenz war interdisziplinär angelegt. Es sollten neben Vertreterinnen und Vertretern der (Kultur-)Geschichte, Kirchengeschichte und Kunstgeschichte auch Theologinnen und Theologen zu Wort kommen. Ihnen offerierten die Veranstalterinnen und Veranstalter insgesamt vier Themenbereiche bzw. Fragenkomplexe. So war gewünscht, dass die Entstehungsgeschichte des Majestätsbriefs und die Folgen thematisiert werden sollten: Welche politischen und konfessionellen Entwicklungen führten in Böhmen und Schlesien zum Majestätsbrief? Veränderten sich diese Konstellationen nach dem Erlass des Majestätsbriefs? Welches Gewicht kam dem Majestätsbrief im Vorfeld des Böhmisch-Pfälzischen Krieges zu? Gab es außenpolitische Ereignisse, die die Entstehung des Majestätsbriefs beeinflussten? Wie reagierte das europäische Ausland auf den Majestätsbrief? Ein zweiter Bereich sollte den Majestätsbrief als Modell für die Bewältigung konfessioneller Konflikte untersuchen: Was bedeutete die Religionsfreiheit in Bezug auf das Zusammenleben der verschiedenen Konfessionen? Gab es in den Ländern der Böhmischen Krone bzw. in anderen Territorien Ostmitteleuropas und Mitteleuropas Vorbilder für den Majestätsbrief? Diente er als Vorlage für spätere konfessionelle/ religiöse Arrangements? Ein dritter Fragenkomplex galt den Auswirkungen des 11
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NA Praha, Archiv země české 1862–1954 (Archiv des Landes Böhmen 1862–1954), Inv.Nr. 360, Kart. 184: Sněmy české (Böhmische Landtage) (1905–1953): 22.01.1953, Brief des Böhmischen Landesarchivs an das Historische Institut der Akademie der Wissenschaften (Kopie). Zu den bedeutendsten Ergebnissen zählt die Ausstellung Rudolf II. und Prag – s. Rudolf II. und Prag. Kaiserlicher Hof und Residenstadt als kulturelles Zentrum Mitteleuropas. Ausst.-Kat. Hg. v. Eliška FuČíková u. a. Prague-London-Milan 1997. krofta (wie Anm. 5), unpag. Vorwort.
Der rudolfinische Majestätsbrief
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Majestätsbriefs in der alltäglichen Praxis: Wie sahen die unmittelbaren Folgen des Majestätsbriefs für das Alltagsleben der Bevölkerung aus? Wie arrangierten sich Katholiken und Protestanten auf lokaler Ebene? Konnten die Bestimmungen des Majestätsbriefs überall in den Ländern der Böhmischen Krone umgesetzt werden oder gab es Unterschiede zwischen Zentrum und Peripherie? Der vierte und letzte Bereich sollte die kulturellen Auswirkungen des Majestätsbriefs in den Blick nehmen: Wurde durch den Majestätsbrief der Bau neuer Kirchen gefördert? Hat der Majestätsbrief die Sakralarchitektur, die Kirchenmalerei und die Sakralplastik beeinflusst? Existierten Einflüsse auf die Liturgie und die Kirchenmusik? Lassen sich Spuren des Majestätsbriefs in der humanistischen und böhmischen Literatur nachweisen? Die aufgeworfenen Fragen konnten auf der Konferenz leider nicht vollständig behandelt werden, da es nicht möglich gewesen war, Beiträgerinnen und Beiträger aus der Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte zu gewinnen. Die Veranstalterinnen und Veranstalter mussten die anvisierte Interdisziplinarität daher teilweise aufgeben und sahen sich zudem mit einem enttäuschend geringen Interesse ausländischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Konferenzthema konfrontiert. Daher wurde beispielsweise der schlesische Majestätsbrief nicht thematisiert, die religiöse und politische Entwicklung in den böhmischen Ländern konnte nicht in angemessener Weise in den Prozess der Konfessionalisierung im Heiligen Römischen Reich eingeordnet werden, und auch die außenpolitischen Beziehungen im Vorfeld des Majestätsbriefs blieben auf Sachsen und den Vatikan beschränkt. Die pfälzischböhmischen Beziehungen in diesem Kontext mussten ebenfalls unbeachtet bleiben. Für eine umfassende Betrachtung fehlte beispielsweise auch der Blick der österreichischen Geschichtsforschung auf den Majestätsbrief. Die auf der Konferenz gehaltenen Vorträge wurden für dieses Buch zu mehreren Themenblöcken zusammengefasst, die die skizzierten Forschungsfragen beantworten oder zumindest Lösungen andeuten; in einigen Fällen gehen die Beiträge sogar über die angeschnittenen Problemkreise hinaus. Die Entstehungsgeschichte und Vorläufer des Majestätsbriefs werden von zwei Beiträgen thematisiert. Winfried Eberhard behandelt die Vorgeschichte des Majestätsbriefs vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. Er stellt die religionsgeschichtlichen Entwicklungen während dieser Zeitspanne als einen kontinuierlichen Prozess dar, in dessen Verlauf sowohl die Widersprüche zwischen den einzelnen Konfessionen als auch deren Bemühungen um ein friedliches Zusammenleben deutlich zutage traten. Ines Rößler interpretiert den Text des Majestätsbriefs als das Ergebnis langjähriger Bemühungen um die gesetzliche Verankerung der Confessio Bohemica und vergleicht ihn mit den Grundsätzen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 bzw. Philipp Melanchthons Confessio Augustana. Mehrere Beiträge fragen nach der europäischen Dimension des Jahres 1609. Tomáš Černušák präsentiert die Aktivitäten der päpstlichen Politik, indem er die nach Rom gesandten Berichte des päpstlichen Nuntius Antonio Caetani aus dem Jahr 1609 sowie die Instruktionen, mit denen der päpstliche Stuhl die Tätigkeit des Nuntius in Prag lenkte, einer Analyse unterzieht. Jaroslava Hausenblasová beschäftigt sich mit dem Einfluss des sächsischen Kurfürsten Christian II. auf die Ereig-
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nisse in Böhmen im Jahr 1609. Sie zeigt, dass der Kurfürst mittels seiner Gesandten in Prag in die wichtigen Verhandlungen zwischen den beteiligten Parteien und sogar in die Diskussion über den endgültigen Wortlaut der Urkunde eingreifen konnte. Die politische Situation zur Zeit des Majestätsbriefs in Böhmen, insbesondere die Ständepolitik, steht im Fokus gleich mehrerer Beiträge. Sie bieten einen komplexen Blick auf das politische und konfessionelle Spektrum in den böhmischen Ländern. Václav Bůžek zeichnet ein Porträt von Peter Wok von Rosenberg, der den konservativen Flügel vertrat, über eine außerordentliche Autorität sowie Kontakte zu den führenden böhmischen und ausländischen Politikern bzw. Kirchentheoretikern jener Zeit verfügte. Der Autor betont dessen Absicht, das auf die Glaubensfreiheit gestützte Gemeinwohl im Land zu erhalten, und seine Bereitschaft, zu diesem Zweck außergewöhnlich hohe Summen zu investieren. Einen anderen Typ des adeligen Politikers stellt Tomáš Knoz vor: Karl d. Ä. von Žerotín. Dieser verkörperte die Bemühungen, eine vollkommen andere Lösung zur Beseitigung der Religionsstreitigkeiten im Land zu suchen. Žerotíns Versuche, ein legales und langfristiges Arrangement herbeizuführen, hatten aber in erster Linie zum Ziel, Mähren aus der verfassungsrechtlichen und politischen Unterordnung unter Böhmen zu befreien. Im Gegensatz zu den zuvor genannten Beiträgerinnen und Beiträgern wendet sich Pavel Marek der Uneinigkeit unter dem böhmischen katholischen Adel zu. Sein Beitrag verweist auf die Zweigleisigkeit der katholischen Politik, deren Akteure in einen radikalen und einen versöhnungsbereiten Flügel gespalten waren. Die Beziehungen zwischen diesen beiden Flügeln sowie deren Verhandlungen mit der protestantischen Partei beeinflussten letztlich auch die Entscheidung Kaiser Rudolfs II. während der stürmischen Ereignisse des Jahres 1609. Einen ganz anderen Blick auf die Verhandlungen der Ständerepräsentation bietet Petr Vorel. Seiner Ansicht nach war der großzügig aufgefasste Rechtsraum in Böhmen, zu dem der Majestätsbrief beitrug, nicht nur vom politischen Konsens, sondern längerfristig gesehen auch vom ökonomischen Potential der einzelnen Parteien abhängig. Seine Argumente leitet der Verfasser aus wirtschaftlichen und insbesondere fiskalischen Zusammenhängen ab, die bisher im Schatten des Forschungsinteresses standen. Ideal, Norm und Realität stehen im Mittelpunkt jener Beiträge, die sich mit den Folgen des Majestätsbriefs beschäftigen. Jiří Just analysiert die auf der Basis des Majestätsbriefs errichtete nichtkatholische Kirchenverwaltung in Böhmen und gelangt zu dem Schluss, dass die durch eine kleine Gruppe von Ständepolitikern erzwungene Vereinigung auf inhaltlicher und institutioneller Ebene auf zahlreiche Schwierigkeiten stieß. Dazu gehörten auch die unterschiedlichen Vorstellungen, die die Geistlichen der beteiligten Konfessionen von der neuen Kirchenverwaltung besaßen. Pavel Kůrka untersucht die Auswirkungen des Majestätsbriefs auf das Leben in den Prager Pfarreien aus politischer, religiöser und vor allem kirchenadministrativer Sicht. Wulf Wäntig wählt einen mikrohistorischen Ansatz, indem er am Beispiel der kleinen Bergstadt St. Georgenthal (Jiřetín pod Jedlovou) im Grenzgebiet zwischen Böhmen, der Oberlausitz und Sachsen mögliche Rezeptionsprobleme der politischen und religiösen Veränderungen aufzeigt, die vom Machtzentrum ausgingen und ihre Wirksamkeit unter den Bedingungen der lokalen Peripherie entfalten mussten. Martin Holý beschäftigt sich mit dem Einfluss des Majestätsbriefs und
Der rudolfinische Majestätsbrief
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seiner Artikel über das nichtkatholische höhere Schulwesen in Böhmen auf die weitere Entwicklung der Prager Universität und einiger Lateinschulen. Die Auswirkungen des Majestätsbriefs auf die zeitgenössische Mentalität und Propaganda sind ebenfalls Gegenstand mehrerer Beiträge. Antonín Kostlán befasst sich mit den Besonderheiten der Entwicklung und des Wirkens der calvinistischen Lehre in Böhmen nach 1609. Er verweist darauf, dass der Calvinismus in der böhmischen und mährischen Konfessionslandschaft zwar immer eine Randstellung eingenommen, jedoch in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg die Ansichten eines bedeutenden Teils der politischen und intellektuellen Eliten in Böhmen und Mähren erheblich beeinflusst habe. Die Publizistik aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts, die den Majestätsbrief sowie den Ausgleich und deren Inhalte polemisierte, behandelt Jana Hubková. Aus dem breiten Spektrum wählt sie zur Demonstration der verschiedenen Sichtweisen die ständische und böhmisch-pfälzische auf der einen sowie die pro-kaiserliche Polemik auf der anderen Seite. Die Niederschlagung des böhmischen Ständeaufstands, die Aufhebung des Majestätsbriefs und die Einführung der Verneuerten Landesordnung von 1627, die nur noch die katholische Religion erlaubte, werden im Beitrag von Petr Hlaváček als Ursachen für eine grundsätzliche Wende im Selbstbewusstsein der tschechischen Nation angeführt. Am Beispiel ausgewählter Texte von Johann Amos Comenius zeigt er auf, wie die Tschechen sich selbst wahrnahmen und wie die Rolle des tschechischen Volkes und des Böhmischen Königreichs im christlichen Europa sowie deren Anteil an der Heilsgeschichte von Anderen wahrgenommen wurden. Jiří Mikulec beschäftigt sich mit den Werken führender Historiker des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und fragt, auf welche Weise die barocke Historiographie mit dem Majestätsbrief umgegangen ist. Über das ursprüngliche Konzept der Konferenz hinaus beinhaltet der Sammelband auch Beiträge, die sich mit der Resonanz des Majestätsbriefs in der Historiographie und Erinnerungskultur beschäftigen. Jaroslav Pánek analysiert den Majestätsbrief von 1609 als Gegenstand der tschechischen Historiographie und liefert eine komplexe Übersicht über die Interpretationen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Er unterscheidet dabei mehrere, vom jeweiligen politischen Kontext abhängige Sichtweisen: eine nationale, eine liberale sowie eine konservative, eine demokratische, die Ständewesen und Majestätsbrief gleichermaßen in den Blick nimmt, sowie schließlich eine marxistische. Martina Thomsen unternimmt erstmals einen Vergleich des Majestätsbriefs mit anderen Religionsfriedensregelungen in Polen-Litauen und dem Heiligen Römischen Reich. Sie stellt mehrere Thesen auf, die den bemerkenswerten Widerspruch zwischen der Bedeutung des Majestätsbriefs in der Geschichte der böhmischen Länder und seinem Platz in der tschechischen Erinnerungskultur erklären. Obwohl es leider nicht gelungen ist, die ursprüngliche Absicht der Konferenz vollständig umzusetzen und einige Fragen nicht beantwortet werden konnten, darf man doch sagen, dass die wissenschaftliche Begegnung 2009 in der Vila Lanna in Prag ihren Zweck erfüllte. Der vorgelegte Sammelband ist nicht nur eine würdige Erinnerung an ein bedeutendes Ereignis in der böhmischen Geschichte, sondern liefert zugleich die Grundlage für künftige Forschungen, indem u. a. auf Desiderata
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und neue Fragestellungen hingewiesen wird. Positiv darf man die Tagung auch im Hinblick auf die gegenwärtige Entwicklung der tschechischen und der mitteleuropäischen Geschichtsschreibung werten. Sichtbar wurde nämlich das sehr vielfältige und breite Themenspektrum, das moderne Historikerinnen und Historiker abdecken und zu dem anscheinend auch wieder die während der letzten 20 Jahre vernachlässigte Religionsgeschichte zählt. Für die Frühneuzeitforschung im deutschsprachigen Raum bietet der Band die Möglichkeit, aktuelle Ergebnisse und Tendenzen der tschechischen Forschung zu rezipieren und die eigene Perspektive auf Ostmitteleuropa zu erweitern. Eine Antwort auf die ursprünglich formulierte Frage der Veranstalterinnen und Veranstalter, ob der von Rudolf II. erlassene Majestätsbrief zur Religionsfreiheit als ein Meilenstein in der Religionsgeschichte Europas verstanden werden kann, ist auch nach der Lektüre der hier vorliegenden Texte nicht einfach. Sicherlich darf man der Ansicht zustimmen, dass der Majestätsbrief aufgrund seiner kurzen Lebensdauer und seiner regionalen Spezifik die Entwicklung Europas auf dem Weg zu einer universalen religiösen Toleranz nicht grundlegend beeinflussen konnte. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass der Majestätsbrief mit seiner großzügigen Auffassung von einer Religionsfreiheit ohne Rücksicht auf ständische oder soziale Zugehörigkeit ebenso wie der Ausgleich zu den wenigen Versuchen in Europa gehörte, einen umfassenden Konsens zwischen den verschiedenen Konfessionen herbeizuführen und Konflikte zu lösen oder zu verhindern. Der Majestätsbrief war in Böhmen der Höhepunkt erbittert geführter Auseinandersetzungen, und seine Aufhebung leitete eine dauerhafte Phase der Rekatholisierung ein. Den kurzen Zeitraum seiner Gültigkeit darf man daher durchaus als einen Wendepunkt bezeichnen, denn der Majestätsbrief zeigte einerseits für einen Moment einen möglichen Ausweg aus den bestehenden konfessionellen Konflikten in Böhmen auf und trennte andererseits zwei bedeutende, jeweils eng in den europäischen Kontext integrierte Phasen der böhmischen Religions- und Politikgeschichte voneinander. *** Die Beiträgerinnen und Beiträgern verwenden Orts- und Personennamen in der Regel in der im Deutschen gebräuchlichen Form. Zur leichteren Orientierung folgt bei unbekannteren Orten nach der ersten Nennung in Klammern die jeweilige landessprachliche Variante.
Vorgeschichte und Vorbilder
Winfried Eberhard
Konfessionelle Polarisierung, Integration und Koexistenz in Böhmen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert Der Gesamtzusammenhang der böhmischen Reformationsepoche von der hussitischen Revolution bis zum Ständeaufstand 1618/20 wurde in der Tradition der tschechischen Historiographie immer wieder problematisiert und keineswegs einheitlich beurteilt. Widersprüche sind hier bereits bei František Palacký zu erkennen.1 Einerseits bewertete er die Epoche vom Anfang des 15. Jahrhunderts bis 1620 als die erfolgreichste Phase der böhmischen Geschichte, „in der unsere Nation den Gipfel der historischen Bedeutung erlangte“,2 und hob immer wieder die ideellen Entwicklungserfolge dieser Zeit hervor, so vor allem die Toleranz.3 Andererseits betrachtete er die Ständegesellschaft für die Phase von 1453 bis 1620 zwar als geschichtsbildendes Subjekt, beurteilte sie aber insgesamt skeptisch,4 zum einen weil das Ständesystem mit dem Sieg bei Lipany aus seiner Sicht den demokratischen Faktor in der tschechischen Nation ablöste,5 zum anderen weil es die von Palacký als fortschrittlich postulierte Zentralisierung der Nation verhinderte.6 Schon bei ihm ist daher das Urteil vorgeprägt, der Ständeaufstand von 1618/20 sei durch egoistische, der Nationalgesellschaft fremde Interessen des Adels getragen gewesen.7 Diese moralische Kategorie des standesbezogenen Egoismus des Adels und der Stände ist gewiss aus dem zeitbedingten romantischen Ideal der Nation zu verstehen.8 Palackýs Urteil wurde bei Václav V. Tomek, Antonín Rezek und Ernest Denis noch verschärft und ausgeweitet.9 Dagegen betonte Anton Gindely die Konflikte 1
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PáNek, Jaroslav: František Palacký jako zakladatel moderního českého bádání o raném novověku [Franz Palacky als Begründer der modernen tschechischen Forschung über die frühe Neuzeit]. In: František Palacký. 1798/1998. Dějiny a dnešek. Sborník z jubilejní konference. Hg. v. František ŠmaHel. Praha 1999, 153–164. Ebd., 161. So etwa beim Kuttenberger Religionsfrieden (1485), in dem er „die erfreuliche Frucht der neueren Bildung, Verträglichkeit und christlichen Liebe“ aufblühen sah. PalaCky, Franz: Geschichte von Böhmen. 5 Bde. Prag 1836–1867, hier Bd. 5. Prag 1865, 272 (in der tschechischen Version 245). PáNek (wie Anm. 1), 159 f. Štefek, Karel: Spory o pojetí českých dějin [Die Auseinandersetzungen über das Verständnis von der tschechischen Geschichte]. Hradec Králové 1986, 52. PáNek (wie Anm. 1), 160. Ebd., 161. Štefek (wie Anm. 5), 50. So bei Pekař, Josef: O smyslu českých dějin [Über den Sinn der tschechischen Geschichte]. Prag 1990 [Neuausgabe], 166. – Zur Entwicklung der tschechischen Historiographie, wie sie sich in der Deutung des Majestätsbriefs von 1609 spiegelt und damit die Bewertung von Ständekonflikten und Religion erkennen lässt PáNek, Jaroslav: Majestát z roku 1609 jako téma novodobé české historiografie [Der Majestätsbrief aus dem Jahr 1609 als Thema der neuzeitlichen
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der Stände ganz entschieden positiv, nämlich als Kampf um Religionsfreiheit, ein Aspekt, dem dann Josef Pekař wiederum zu große Einseitigkeit und die Vernachlässigung staatsrechtlicher Probleme vorwarf.10 Das Urteil Palackýs über die egoistischen Standesinteressen des Adels scheint eine gewisse Kontinuität gebildet zu haben. Es wurde – auch aus grundsätzlichen ideologischen Prämissen – von der marxistischen Historiographie wieder aufgenommen, zumal diese die Konflikte unter den Ständen und mit dem Königtum als bloße innerfeudale Machtkämpfe abqualifizierte.11 Dennoch hat die tschechische Historiographie, vor allem der letzten 40 Jahre, zur positiven Deutung der Konflikte des 15. und 16. Jahrhunderts und ihres Zusammenhangs sehr viel beigetragen – dank den Forschungen von František Šmahel, Josef Macek, Josef Petráň, Josef Válka, Josef Janáček und Jaroslav Pánek.12
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tschechischen Historiographie]. In: Český časopis historický 108 (2010), 220–243. – Zu Ernest Denis eBerHard, Winfried: Ernest Denis’ Konzeption der böhmischen Geschichte und ihre Funktion in der tschechischen Geschichtswissenschaft. In: Frankreich und die böhmischen Länder im 19. und 20. Jahrhundert. Beiträge zum französischen Einfluß in Ostmitteleuropa. Hg. v. Ferdinand seiBt und Michael Neumüller. München 1990, 49–66. Pekař (wie Anm. 9), 167. eBerHard, Winfried: Monarchie und Widerstand. Zur ständischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. in Böhmen. München 1985 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 54), 29. – ders.: Konfessionsbildung und Stände in Böhmen 1478–1530. München-Wien 1981 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 38), 28. – ders.: Konfession, Stände und Nation 1400–1620. In: Deutsch-tschechische Beziehungen in der Schulliteratur und im populären Geschichtsbild. Hg. v. Hans lemBerg und Ferdinand seiBt. Braunschweig 1980 (Studien zur internationalen Schulbuchforschung. Schriftenreihe des Georg-Eckert-Instituts 28), 110–117, hier 114 f. Hier nur beispielhaft: ŠmaHel, František: Die Hussitische Revolution. 3 Bde. Hannover 2002 (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 43/1–3). – ders.: Das böhmische Ständewesen im hussitischen Zeitalter: Machtfrage, Glaubensspaltung und strukturelle Umwandlungen. In: Die Anfänge der ständischen Vertretungen in Preußen und seinen Nachbarländern. Hg. v. Hartmut BooCkmaNN. München 1992 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 16), 219– 246. – ders.: Pax externa et interna. Vom Heiligen Krieg zur Erzwungenen Toleranz im hussitischen Böhmen (1419–1485). In: Toleranz im Mittelalter. Hg. v. Alexander PatsCHoVsky und Harald zimmermaNN. Sigmaringen 1998 (Vorträge und Forschungen 45), 211–273. – maCek, Josef: Jean Hus et les traditions hussites (XVe –XIXe siècles). Paris 1973. – ders.: Víra a zbožnost jagellonského věku [Glaube und Frömmigkeit im JagiellonenZeitalter]. Praha 2001. – Petráň, Josef: Stavovské království a jeho kultura v Čechách (1471–1526) [Das ständische Königreich und seine Kultur in Böhmen, 1471–1526]. In: Pozdně gotické umění v Čechách (1471–1526). Praha 1978, 13–72. – JanáČek, Josef: Doba předbělohorská 1526–1547 [Die Zeit vor dem Weißen Berg, 1526–1547]. Praha 1984 (České dějiny I/II). – ders.: Rudolf II. a jeho doba [Rudolf II. und seine Zeit]. Praha 1987. – Válka, Josef: Dějiny Moravy [Geschichte Mährens]. 2 Bde. Brno 1991–1995. – ders.: Die Stellung Mährens im Wandel des böhmischen Lehensstaates. In: Europa 1500. Integrationsprozesse im Widerstreit Staaten, Regionen, Personenverbände, Christenheit. Hg. v. Ferdinand seiBt und Winfried eBerHard. Stuttgart 1987, 292–309. – PáNek, Jaroslav: Proměny stavovství v Čechách a na Moravě v 15. a první polovině 16. století [Wandlungen des Ständewesens in Böhmen und in Mähren im 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts]. In: Folia Historica Bohemica 4 (1982), 179–217. – ders.: Stavovská opozice a její zápas s Habsburky 1547–1577. K politické krizi feudální třidy v předbělohorském českém státě [Die Ständeopposition und ihr Kampf mit den Habsburgern
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Den Versuch einer Gesamtkonzeption der Epoche von 1420 bis 1620 hat aber meines Wissens nur Robert Kalivoda vorgelegt – in einem Beitrag für die Studia Comeniana et Historica 1983.13 Man kann diesem Modellversuch seinen teleologischen Grundzug vorwerfen, ihn auch in Einzelbewertungen kritisieren, aber er regt doch zum Nachdenken an. Zu einer monographischen Durchführung dieser Konzeption ist Kalivoda allerdings nicht mehr gekommen. Es geht bei ihm keineswegs um die Vorstellung eines zweihundertjährigen Verlaufs einer Revolution, auch nicht um eine genetisch kontinuierliche Entwicklung, sondern um „konkrete Dialektik“ (im Gegensatz zur deterministischen historisch-materialistischen Dialektik) von immer wieder neuen Konfliktlagen und neu zu erringenden Integrationslösungen, somit um ständige Transformation und zugleich Identitätswahrung des Hussitismus. In einem ersten Schritt dieser Transformation musste das Problem der Beendigung der Revolution unter Bewahrung von deren wesentlichen politisch-gesellschaftlichen und religiösen Ergebnissen gelöst werden, also die Überführung der Revolution in eine neue Ordnung. Die Niederlage der Taboriten bei Lipany war dafür eine der Voraussetzungen, da sie den Verzicht auf revolutionäre Gewalt und die grundsätzliche Einsicht der hussitischen gemäßigten Mitte in die Notwendigkeit einer Reintegration der Gesellschaft implizierte. Diese Sicht, mit der Kalivoda Lipany geradezu als Weg zum Sieg des Hussitismus in einem konstitutionellen Programm sieht,14 steht dem Bedauern über die taboritische Niederlage bei Palacký ebenso wie bei den Marxisten diametral entgegen. Den Weg zu dieser Neuintegration, deren Voraussetzung eine Koexistenzlösung für Katholiken und Hussiten war, bildeten die mehrjährigen Kompaktatenverhandlungen. Das Problem lag hier darin, gleicherweise für Katholiken und Hussiten die kirchlich-religiöse ebenso wie die politische Existenz und gesellschaftliche Partizipation zu ermöglichen.15 Denn zunächst erstrebten beide Seiten für sich die Exklusivität.16 Die Konzilslegaten zielten auf die volle Rückkehr Böhmens und Mährens unter die päpstliche Obödienz; sie waren nur bereit, den Laienkelch dort, wo er praktiziert wurde, gleichsam als liturgische Lizenz zu akzeptieren, nicht aber als
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1547–1577. Zur politischen Krise der Feudalklasse im böhmischen Staat vor dem Weißen Berg]. Praha 1982. kaliVoda, Robert: Husitství a jeho vyústění v době předbělohorské a pobělohorské [Das Hussitentum und seine Ausprägung in der Zeit vor und nach dem Weißen Berg]. In: Studia Comeniana et Historica 25/XIII (1983), 3–44; erneut publiziert in: Husitská epocha a J. A. Komenský. Hg. v. Jan kaliVoda. Praha 1992, 9–60. Ebd., 32. eBerHard, Winfried: Der Weg zur Koexistenz: Kaiser Sigmund und das Ende der hussitischen Revolution. In: Bohemia 33 (1992), 1–43. – ŠmaHel, Pax (wie Anm. 12), 245–255. – ders., Revolution (wie Anm. 12), 1641–1690. – krchňák, Alois: Čechové na basilejském sněmu [Die Böhmen auf der Basler Versammlung]. SvitavyŘím 1997. – Sborník příspěvků k 555. výročí vyhlášení basilejských kompaktát v Jihlavě [Sammlung der Beiträge zum 555. Jahrestag der Verkündigung der Basler Kompaktaten in Iglau]. Hg. v. Zdeněk měřínský. Brno-Jihlava 1991. – Válka, Josef: Cesta Moravy ke kompaktátům [Der Weg Mährens zu den Kompaktaten]. In: Jižní Morava 24 (1988), 91–112. – ders.: Zikmund a husité. Jak zakončit (husitskou) revoluci [Sigismund und die Hussiten. Wie die (hussitische) Revolution beenden?]. In: Časopis Matice moravské 128 (2009), 3–33. eBerHard (wie Anm. 15), 13–25.
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eine im hussitischen Sinne dem Evangelium gemäße „Heilsnotwendigkeit“17 und daher allgemeine Vorschrift. Im Gegensatz dazu gingen die Hussiten von dem Postulat aus, ganz Böhmen und Mähren auf den Laienkelch zu verpflichten. Ein Landtag im Herbst 1434 nahm zwar davon Abstand und war bereit, Katholiken dort zu tolerieren, wo der Laienkelch bislang nicht in Gebrauch war. Aber für die Akzeptanz eines religiösen Dualismus stellten die Hussiten dann im März 1435 im Entwurf der Wahlkapitulation die Bedingung ihrer politischen Exklusivität: Alle Ämter des Landes und der Städte sollten ihnen vorbehalten bleiben, Katholiken sollten nur mit Zustimmung der Stadtgemeinden das Bürgerrecht und ihre Güter zurückbekommen sowie keinen Zugang zu städtischen Ämtern und Räten erhalten.18 Diese Gegensätze in eine Übereinkunft zu bringen, war die Aufgabe der Verhandlungen zwischen Kaiser, Konzilslegaten und Hussiten in Brünn 1435.19 In deren Ergebnis waren weniger die Kompaktaten mit dem Konzil entscheidend; deren Bedeutung sahen die Hussiten künftig ohnehin vorwiegend nicht in ihrem restriktiven Wortlaut, sondern in ihrer formalen Funktion der Anerkennung der Hussiten durch die Universalkirche. Zukunftsweisend wurde vielmehr der Majestätsbrief, den Kaiser Sigismund den böhmischen Ständen ausstellte und den noch Anfang des 16. Jahrhunderts der utraquistische Administrator die „kaiserlichen Kompaktaten“ nannte.20 Darin nahm der Kaiser das Angebot des St. Gallus-Landtags von 1434 auf, Katholiken an den Orten zu dulden, wo der Laienkelch bisher nicht in Gebrauch war. Das bedeutete die lokale Trennung der Konfessionen nach Gemeinden, aber auch ihre Koexistenz. Fixiert war damit nicht die individuelle Religionsfreiheit, sondern das konfessionelle Gemeindeprinzip. Der zweite wesentliche Punkt des Majestätsbriefs bestand in der Wahl des Prager Erzbischofs durch die böhmischen Stände, dem dann der gesamte böhmische Klerus unterstehen sollte. Angesichts des hussitischen Übergewichts unter den Ständen kam es zwar erwartungsgemäß zur Wahl des hussitischen Magisters Jan Rokycana, nicht aber zu dessen päpstlicher Approbation und damit auch nicht zur Unterordnung der katholischen Geistlichkeit. Letztlich lag hierin der Grund für die Entwicklung von zwei getrennten Kir-
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Dazu ebd., 20 f. – Nodl, Martin: Česká reformace [Die Böhmische Reformation]. In: Umění české reformace (1380–1620). Hg. v. Kateřina horníČkoVá und Michal Šroněk. Praha 2010, 17–33, hier 18, behauptet, die hussitischen Geistlichen hätten in den Kompaktatenverhandlungen auf die Heilsnotwendigkeit des Kelchs verzichtet, da sie den Kelch nicht mehr für die ganze Christenheit forderten, sondern seine Begrenzung auf die hussitischen Gemeinden hinnahmen. Dies ist schon an sich ein Fehlschluss. Überdies hielten die Utraquisten für sich auch um 1500 mit der Kinderkommunion, an der Verhandlungen mit Rom bis 1525 immer wieder scheiterten, durchaus an der Heilsnotwendigkeit des Kelchs fest. eBerHard (wie Anm. 15), 23 f. Ebd., 26–35. eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11), 99. – Zum Gesamtkomplex der Kompaktaten, der mehrere Urkunden umfasste, und ihrer schriftlichen Überlieferung jetzt detailliert ŠmaHel, František: Epilog jedné kauzy. Osudy listin basilejských kompaktát [Epilog einer Causa. Das Schicksal der Urkunden der Basler Kompaktaten]. In: Zrození mýtu. Dva životy husitské epochy. Hg. v. Robert NoVotNý u. a. Praha-Litomyšl 2011, 121–138.
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chenverwaltungen.21 Entsprechend den hussitischen Forderungen akzeptierte Sigismund überdies, dass die Übertragung geistlicher Ämter in Böhmen und Mähren nur dem König und einheimischen Instanzen zustehe und dass gerichtliche Vorladungen auch von Geistlichen durch Instanzen außerhalb des Königreichs auszuschließen seien. Diese offene und ausdrückliche Einschränkung der päpstlichen Jurisdiktion, ferner die von den Hussiten in den Kompaktaten erstrittene Relativierung päpstlicher Anordnungen an deren Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift sowie die biblizistische Lehre vom Laienkelch bildeten wesentliche Kriterien für den Charakter des hussitischen „Utraquismus“ (wie man die hussitische Hauptrichtung nun minimalistisch nennt) als eigenständige Konfession. Ebenso wie der östlichen Orthodoxie strukturell die Qualität einer Konfession nicht abgesprochen werden kann, war durch diese Elemente der Utraquismus rechtlich und theologisch als Konfession abgegrenzt, zumal er sich in der Folgezeit auch organisatorisch formierte.22 Die so in Brünn 1435 erreichte Koexistenzlösung zweier konfessioneller Systeme bedeutete für sich allein allerdings noch keine gesellschaftliche Integration. Eine Voraussetzung dafür war, dass Sigismund den hussitischen Anspruch auf politische Exklusivität in den Landesämtern abwehren konnte. Die Integration der katholischen Stände musste aber auch in der Praxis durchgeführt werden. Sigismunds Politik im letzten Lebensjahr wird in der Historiographie als Restauration, Reaktion, bestenfalls als Machiavellismus gedeutet. Ich sehe in ihr dagegen eine notwendige Integrationspolitik angesichts der quantitativen und politischen Dominanz der Hussiten.23 Dominanz erzeugte jedoch, wie die weitere Entwicklung zeigt, in konfessionell pluralistischen Gesellschaften die Gefahr des Scheiterns der Koexistenz und neuer Konflikte. Die Elemente von Sigismunds Ausgleichspolitik sollen nur kurz genannt werden: die Besetzung der Landesämter mit hussitischen, aber verständigungsbereiten Adeligen, zum Teil auch mit Katholiken; die konfessionell paritätische Besetzung der Richterstellen im Landrecht unter Vorsitz des führenden Katholiken Ulrich von Rosenberg; die Einsetzung kompromissbereiter Stadträte, so dass etwa Katholiken und sogar Mönche nach Prag und Kuttenberg zurückkehren konnten; aber auch die Verdrängung Jan Rokycanas aus Prag, da dieser noch immer dem Koexistenzziel entgegenstand. Auf diese Weise brachte der Kaiser beide Kon21 22
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Theologisch lag der Grund dafür darin, dass die Hussiten die Obödienz gegenüber der römischen Kirche am Kriterium von deren Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift relativierten und man sich darüber letztlich im Text nicht einigte. eBerHard (wie Anm. 15), 27 f. Nodl (wie Anm. 17), bes. 18 f., 28 f., zeichnet den nachrevolutionären Utraquismus als theologisch degenerierte und erstarrte Erscheinung – im Stil einer älteren, konfessionalistischen Historiographie, die letztlich auf der apologetisch-polemischen Geschichtsschreibung der Brüderunität beruhte und gegen die sich bereits Kamil Krofta, Ferdinand Hrejsa und František Hoffmann gewandt hatten. – Zur bleibenden Lebendigkeit des Utraquismus eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11), 22–26, 63 f.; ebd. 71 f. speziell zur Theologie des bedeutenden Administrators Václav Koranda in Abgrenzung zur katholischen Kirche. – Zur Theologie des traditionalistischen KompaktatenUtraquismus im 16. Jahrhundert vor allem daVid, Zdeněk V.: Finding the Middle Way. The Utraquists’ Liberal Challenge to Rome and to Luther. Baltimore London 2003. eBerHard (wie Anm. 15), 36–41.
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fessionen wieder zur notwendigen gesellschaftlichen und politischen Kooperation und in eine gewisse politische Balance – eine beachtliche Leistung im Rückblick auf die extreme Polarisierung der revolutionären Jahre. Sie war jedoch nur dadurch möglich, dass die politischen Interessen in den Vordergrund traten und die religiöse Wahrheitsfrage auf beiden Seiten nicht mehr die politischen Entscheidungen bestimmte. Der Tod Kaiser Sigismunds verhinderte die Verstetigung dieser Integrationsstrategie, so dass die Gegensätze bald neu aufbrachen. Es zeigte sich, dass beide konfessionellen Ständeparteien eben immer noch nach Hegemonie strebten. Die pro-katholische Integrationspolitik Sigismunds provozierte nun durch ihre Stärkung des katholischen Adels im Nachhinein eine neue Dynamik. In den de facto königslosen Zeiten konkurrierten die Parteien wieder um Dominanz. Deutliche Indizien dafür sind die gespaltenen Königswahlen 1438 und 1440 sowie die Konkurrenz um den Thronkandidaten Ladislaus Postumus.24 Von der ostböhmischen Machtbasis aus errang der entschiedene Utraquismus der Richtung Jan Rokycanas schließlich den Sieg. Mit der Statthalterschaft und dem Königtum Georgs von Podiebrad war die politische Hegemonie der Utraquisten wieder erreicht. Als König praktizierte Georg eine deutliche Koexistenz- und Integrationspolitik, etwa durch Verleihung wichtiger Ämter an katholische Adelige, Förderung der Franziskanerobservanten oder familiäre Beziehungen zu katholischen Fürstenhäusern.25 Das Prinzip dieser Politik brachte sein Kanzler, der Katholik Prokop von Rabstein, bei den Verhandlungen um die päpstliche Approbation der Kompaktaten in Rom 1462 schließlich auf den Punkt: Der König regiere über „zweierlei Volk“ und könne keines davon bevorzugen, wenn er sich nicht das andere zum Feind machen wolle.26 So gewann er auch die Loyalität katholischer Prälaten, wie etwa des
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ŠmaHel, Revolution (wie Anm. 12), 1822–1843. – ČorneJ, Petr/BartloVá, Milena: Velké dějiny zemí Koruny české [Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone]. Bd. 6: 1437–1526. Praha-Litomyšl 2007, 44–57, 64–67, 77–87. Ebd., 152–272. – ŠmaHel, Revolution (wie Anm. 12), 1846–1860. – odložilík, Otakar: The Hussite King. Bohemia in European Affairs, 1440–1471. New Brunswick 1965. – HeymaNN, Frederick G.: George of Bohemia, King of Heretics. Princeton 1965. – BouBín, Jaroslav: Česká „národní“ monarchie. K domácím zdrojům a evropskému kontextu království Jiřího z Poděbrad [Die böhmische „nationale“ Monarchie. Zu den heimischen Quellen und zum europäischen Kontext des Königtums Georgs von Podiebrad]. Praha 1992 (Práce Historického ústavu ČSAV. Řada A – Monographia 5). – Zu den Ausgleichs und Außenbeziehungen Georgs: Eger 1459. Fürstentreffen zwischen Sachsen, Böhmen und ihren Nachbarn: dynastische Politik, fürstliche Repräsentation und kulturelle Verflechtung. Hg. v. André tHieme und Uwe tresP. Wettin-Löbejün 2011 (Saxonia. Schriften des Vereins für sächsische Landesgeschichte e.V. 13). – Zu den Franziskanerobservanten unter König Georg hlaváČek, Petr: Die böhmischen Franziskaner im ausgehenden Mittelalter. Studien zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostmitteleuropas. Stuttgart 2011 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 40); die nicht völlig identische tschechische Version: ders.: Čeští františkáni na přelomu středověku a novověku. Praha 2005. Die Aussage in dem Gesandtschaftsbericht über die Verhandlungen in Rom: Archiv český. Bd. 8. Hg. v. Josef kalousek. Praha 1888, 324. – Zur toleranten konfessionellen Koexistenzpolitik Georgs ŠmaHel, Pax (wie Anm. 12), 264–269.
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Bischofs von Olmütz oder des Propstes von Wyschehrad,27 bis in den künftigen Krieg hinein. Dennoch blieben die utraquistischen Stände die Hauptbasis seiner Macht, während ein Teil des katholischen Adels sich schließlich in der politischen Partizipation an den Rand gedrängt fühlte. Diese Gruppe formierte sich daher im Widerstand und nahm den päpstlichen Bann über Georg zum Anlass für den Krieg gegen den König, der angeblich dem allgemeinen Wohl des Landes zuwiderhandelte.28 Der verheerende, lang dauernde Krieg verschärfte die konfessionelle Polarisierung in und zwischen den böhmischen Ländern erneut, nicht zuletzt unter dem Druck der römischen Kurie, die königstreue Katholiken mit dem Bann bedrohte und den Gegenkönig Matthias von Ungarn unterstützte. Ein Friedensschluss war erst unter dem katholischen Nachfolger Georgs, dem Jagiellonen Wladislaw II., möglich. Danach verkehrte sich die politische Position der Konfessionsparteien wieder.29 Während Georg und die Utraquisten sich im Krieg in Böhmen gut behaupteten und damit ihre Dominanz aufrechterhalten konnten, wurden nun nach dem Frieden von 1478 die katholischen Adeligen wieder in Landtag, Landrecht und Landesämter integriert und begannen beim Wiederaufbau ihrer Herrschaften auch eine Rekatholisierungspolitik, zum Teil mit illegaler Verdrängung utraquistischer Geistlicher. Da der König die ihm – als Gegenkönig zu Matthias Corvinus – bislang verweigerte päpstliche Anerkennung anstrebte, versuchte auch er in den Städten, die radikalen Utraquisten zu unterdrücken, und besetzte Landesämter überwiegend und zunehmend mit katholischen Adeligen. Der utraquistische Widerstand, der sich in Bündnissen formierte, gipfelte 1483 in einem Aufstand der Prager Stadtgemeinden gegen ihre romfreundlichen Ratsherren, die sich sogar mit der katholischen Adelspartei verbündet hatten.30 Die zunehmende katholische Dominanz als Gefährdung der ausbalancierten Koexistenz hatte hier erneut zum Konflikt geführt.
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Zum Propst von Wyschehrad, Johann von Rabstein, der den Krieg gegen die Häretiker ablehnte, eBerHard, Winfried: Toleranz und Religionsfreiheit im 15.–17. Jahrhundert in Mitteleuropa. Probleme und Prozesse. In: Bruncvík a víla. Přemýšlení o kulturní a politické identitě Evropy – Bruncwik und die Nymphe. Überlegungen zur kulturellen und politischen Identität Europas. Hg. v. Petr hlaváČek. Praha 2010, 55–72, hier 60. – Zum Verhältnis des Olmützer Bischofs, Protasius von Boskowitz, zum König eBerHard, Winfried: Boskowitz und Černohora, Protasius von (Tas/Protáz Černohorský z Boskovic). In: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448–1648. Ein biographisches Lexikon. Hg. v. Erwin gatz. Berlin 1996, 70 f. – Válka, Dějiny Moravy (wie Anm. 12), 191 f. eBerHard, Winfried: Gewalt gegen den König im spätmittelalterlichen Böhmen. Adeliger Widerstand und der Ausbau der Herrschaftspartizipation. In: Königliche Gewalt – Gewalt gegen Könige. Macht und Mord im spätmittelalterlichen Europa. Hg. v. Martin kiNtziNger und Jörg rogge. Berlin 2004 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 33), 101–118, hier 114– 116. Zur folgenden Epoche unter den Jagiellonen-Königen maCek, Josef: Jagellonský věk v českých zemích (1471–1526) [Das JagiellonenZeitalter in den böhmischen Ländern, 1471–1526]. 4 Bde. Praha 1992–1999. – Zur konfessionellen Entwicklung ders., Víra (wie Anm. 12). – eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11). ŠmaHel, František: Epilog husitské revoluce. Pražské povstání 1483 [Ein Epilog der hussitischen Revolution. Der Prager Aufstand 1483]. In: Acta reformationem bohemicam illustrantia.
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Da der katholische Adel aber an einer neuen militärischen Auseinandersetzung offensichtlich nicht interessiert war, sah sich der König zu Verhandlungen mit Prag und den utraquistischen Ständen genötigt. Sie mündeten 1485 in den berühmten Kuttenberger Religionsfrieden.31 Wenig überraschend, aber auf Grund der Rekatholisierungsversuche katholischer Grundherren notwendig, wurde darin der konfessionelle Status quo der Pfarrgemeinden ohne Rücksicht auf den Glauben des Grundherrn festgelegt und so die Koexistenzlösung von 1435 erneuert. Adelige Patronatsrechte konnten damit nicht für eine obrigkeitliche Religionshoheit und -vereinheitlichung genutzt werden, obwohl dies in der Folgezeit – vor allem im weiteren 16. Jahrhundert – immer wieder versucht wurde.32 Eine im Sinne der Religionsfreiheit entscheidende Neuerung bestand jedoch in der individuellen Konfessionsfreiheit der Untertanen und Bürger. Konkretisiert und erweitert wurde diese Freiheit sogar durch ein königliches Urteil von 1497, nach dem entlaufene Untertanen ihren Herren nicht zurückgegeben werden mussten, wenn sie wegen ihres Glaubens ausgewiesen worden waren. Die Bedeutung des Religionsfriedens für die Stabilisierung der konfessionellen Koexistenz und für die Entwicklung der individuellen Religionsfreiheit sowie für die praktische Toleranz in Böhmen kann nicht genug betont werden.33 Allerdings verkündete der Religionsfrieden keine allgemeine Religionsfreiheit, da er nur Utraquisten und Katholiken betraf. Die inzwischen entstandenen Gemeinden der Böhmischen Brüder wurden in ihn ebenso wenig einbezogen wie später das sich ausbreitende Luthertum. Daher bot der Kuttenberger Religionsfrieden keine Lösung für die konfessionelle Ausdifferenzierung und Dynamik, die die nächsten 50 Jahre beherrschten.
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Příspěvky k dějinám utrakvismu. Hg. v. Amedeo molNár. Praha 1978, 45–127; erneut in: Pražský sborník historický 19 (1986), 35–102. eBerHard, Winfried: Entstehungsbedingungen für öffentliche Toleranz am Beispiel des Kuttenberger Religionsfriedens von 1485. In: Communio Viatorum 29 (1986), 129–154. – ŠmaHel, Pax (wie Anm. 12), 270–272. – maCek, Víra (wie Anm. 12), 394–397. – Der Text ediert in: Archiv český. Hg. v. František PalaCký. Bd. 4, Praha 1846, 512–516, und Bd. 5, Praha 1862, 418–427. skýBoVá, Anna: K politickým otázkám dvojvěří v Českém království doby předbělohorské [Zu den politischen Fragen der Bikonfessionalität im Böhmischen Königreich der Zeit vor dem Weißen Berg]. In: Husitský Tábor 4 (1981), 145–157, hier 150 f., 154 f. – Die Möglichkeiten einer Konfessionalisierung der adeligen Herrschaften unter moderner Fragestellung untersucht hrdliČka, Josef: Konfesijní politika šlechtických vrchností a šlechtická konfesionalizace v Čechách a na Moravě v 16. a 17. století [Die Konfessionspolitik der adeligen Obrigkeiten und die Adelskonfessionalisierung in Böhmen und Mähren im 16. und 17. Jahrhundert]. In: Český časopis historický 108 (2010), 406–442. kaliVoda (wie Anm. 13 [1992]), 23–25. – maCek, Víra (wie Anm. 12), 401–409, betont für die unmittelbare Folgezeit bis 1525 die positive Wirkung des Religionsfriedens gerade bei bedeutenden adeligen Herren. Zum königlichen Urteil von 1497, das auch in die Landesordnung übernommen wurde, ebd., 402. – Vladislavské zřízení zemské a navazující prameny [Die Wladislawsche Landesordnung und mit ihr verbundene Quellen]. Hg. v. Petr kreuz und Ivan martiNoVský. Hradec Králové 2007, Nr. 302; ebd., Nr. 463 beinhaltet auch die Pflicht zur allgemeinen konfessionellen Friedenswahrung und das Verbot der Unterdrückung aus Glaubensgründen.
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Diese konfessionelle Ausdifferenzierung vollzog sich im 16. Jahrhundert auf beiden Seiten, im Utraquismus und in der katholischen Kirche Böhmens, im Utraquismus sogar in doppelter Form. Erstens öffnete sich die zwar pazifistische, aber auf die taboritische Tradition zurückgreifende Brüderunität, die sich schon in den sechziger Jahren von der utraquistischen Kirche losgesagt hatte, seit den neunziger Jahren des 15. Jahrhunderts neuen, besonders bürgerlichen Gesellschaftsschichten und profilierte unter dem Senior Bruder Lukas von Prag ihre theologische Identität.34 Ihre dadurch veranlasste Ausbreitung konnte auch durch ein königliches Mandat zum Verbot ihrer Gemeinden (1508) kaum gebremst werden, da sie von katholischen und utraquistischen Adeligen auf ihren Herrschaften protegiert wurde. Von diesen traten einige 1530 sogar öffentlich der Unität bei, so dass sie seither im Landtag auch eine konfessionelle Ständepartei bildete.35 Zweitens: Unter dem Druck der fortgesetzten politischen Dominanz des katholischen Adels in Landesämtern und königlichem Rat (verstärkt noch durch die ungarischen Räte Wladislaws) differenzierte sich der Utraquismus: Gegen die romnahen KompaktatenUtraquisten, die den durchaus katholischen Wortlaut der Kompaktaten respektierten und auf dieser Grundlage immer wieder eine Verständigung mit Rom suchten, bildete sich allmählich seit Anfang des 16. Jahrhunderts – vor allem in Prag – eine radikale Richtung aus, die in Abendmahlsverständnis, Liturgie und puritanischer Ethik auf die taboritisch-hussitischen Wurzeln zurückgriff und sich so der Brüderunität annäherte.36 In der Dynamik der böhmischen Reformation wird hier die hussitische Kontinuität besonders greifbar. Dieser radikale utraquistische Flügel trat seit 1519 überdies in Beziehungen zu Wittenberg.37 Ferdinand Hrejsa prägte für diese „fortschrittliche“ Richtung seit ihrer Begegnung mit Luther den Begriff „NeuUtraquismus“, den er dem traditionalistischen „AltUtraquismus“ gegenüberstellte.38 Obwohl er die Entstehung dieser Richtung bereits vor 1519 einräumte, wurde „NeuUtraquismus“ in der tschechischen Historiographie geradezu zum Standardbegriff für einen lutherischen Utraquismus. Das entspricht aber weder seiner Entstehung noch seiner theologisch differenzierten Entwicklung. Daher halte 34
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Am ausführlichsten zur Geschichte der Böhmischen Brüder immer noch müller, Joseph Th.: Geschichte der Böhmischen Brüder. 3 Bde. Herrnhut 1922–1931, hier Bd. 2, 233–268, 289– 293. – BroCk, Peter: The Political and Social Doctrines of the Unity of Czech Brethren in the Fifteenth and early Sixteenth Centuries. ’s-Gravenhage 1957, 103–240. – molNár, Amedeo: Bratr Lukáš, bohoslovec Jednoty [Bruder Lukas, Theologe der Unität]. Praha 1948. eBerHard, Monarchie (wie Anm. 11), 100–110. eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11), 83, 86 f., 103–105, 125–127. Diese Richtung entwickelte sich geradezu durch die damals ständig virulente Frage des Verhältnisses zu den Böhmischen Brüdern. In dieser Hinsicht ist sie zunächst hauptsächlich beim Adel der utraquistischen Ständepartei zu beobachten, dann aber auch bei Geistlichen und Bürgern in Prag. – Die Entstehung der romkritischen Polemik des hussitischen Jenaer Codex in dieser Zeit ist ein sprechendes Indiz für die Radikalisierung des Utraquismus. Jenský kodex [Der Jenaer Codex]. Faksimile. Hg. und komm. v. Kamil BoldaN. Praha 2009. eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11), 127–131. HreJsa, Ferdinand: Česká konfese, její vznik, podstata a dějiny [Die Confessio Bohemica, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Geschichte]. Praha 1912, 4. Gekürzte deutsche Fassung in: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 35 (1914), 81– 123; 37 (1916), 33–54; 38 (1917), 96–174.
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ich – nach wie vor39 – den offeneren Begriff „Reformutraquismus“ für geeigneter. In ihm verbanden sich somit die theologisch eigentlich nicht zu vereinbarenden40 Positionen zunächst der Brüderunität und danach auch Luthers. Nach einem politischen Machtwechsel 1523 in Prag und in den Landesämtern fand dieser Reformutraquismus seinen deutlichsten Ausdruck in den „LichtmeßArtikeln“41 einer utraquistischen Synode von 1524; sie wurden später auch eine der Grundlagen der Confessio Bohemica.42 Als wichtigste Stichworte sind zu ihrem Inhalt anzuführen: Das „reine Wort Gottes“, die Begrenzung der Sakramente auf Taufe und Abendmahl, die Ablehnung der Messe als Opfer. Drittens: Schon seit Anfang der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts wurde das Luthertum auch in den bislang katholischen Regionen Nord- und Nordwestböhmens rezipiert, ausgehend von den Herrschaften der Grafen Schlick, die sehr früh evangelische Prediger statt katholischer Priester einsetzten und in Elbogen (Loket) bereits 1522 eine lutherische Kirchenordnung verfassen ließen. Weitere Herrschaften, die das Luthertum früh annahmen, waren Tetschen (Děčín) und Bensen (Benešov nad Ploučnicí) sowie Böhmisch Kamnitz (Česká Kamenice) unter den Saalhausens, Schlaggenwald (Horní Slavkov) unter den Pflugs von Rabstein, Böhmisch Leipa (Česká Lípa) unter den Wartenbergs sowie Reichenberg (Liberec) und Friedland (Frýdlant) unter den Bibersteins. So wurde die katholische Kirche auch in Böhmen durch die deutsche Reformation gespalten. Für diese deutschen Lutheraner galt die Freiheit des Religionsfriedens so wenig wie für die Böhmischen Brüder. Aber wie diese entfalteten sie sich unter der Protektion – ja, in diesem Fall sogar auf Initiative – des Adels, der mit Sachsen in enger Verbindung stand oder gar von dort stammte.43 Diese Konstellation blieb für die nächsten Jahrzehnte im Grundsatz bestimmend. Auf lange Sicht vermochte die Religionspolitik König Ferdinands I. daran wenig zu ändern, sie verschärfte die Differenzierung eher. Sie konzentrierte sich 39 40 41 42 43
Zur genaueren Begründung eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11), 144–149, 166. – Auch ČorNeJ/BartloVá (wie Anm. 24), 551, 689 f., sehen die Entwicklung eines radikaleren Utraquismus seit dem 15. Jahrhundert. Dies wird an der Auseinandersetzung zwischen dem Brüdersenior Lukas und Luther recht deutlich. eBerHard, Monarchie (wie Anm. 11), 97 f. – molNár, Amedeo: Luther und die Böhmischen Brüder. In: Communio Viatorum 24 (1981), 47–67. eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11), 139–144. – ders.: Ständepolitik und Konfession. In: Bohemia sacra. Das Christentum in Böhmen 973–1973. Hg. v. Ferdinand seiBt. Düsseldorf 1974, 222–235, 569–571, hier 225–228, 232 f. – ČorneJ/BartloVá (wie Anm. 24), 697 f. HreJsa (wie Anm. 38), 10 f., Anm. 5, 34. Einen guten Überblick über die Entwicklung des Luthertums in Böhmen und Mähren sowie über den Forschungsstand bietet Just, Jiří: Luteráni v našich zemích do Bílé hory [Die Lutheraner in unseren Ländern bis zum Weißen Berg]. In: Luteráni v českých zemích v proměnách staletí. Hg. v. dems., Zdeněk R. NeŠPor, und Ondřej MatěJka. Praha 2009, 23–126. – Eine sehr gute, differenzierende Sicht auf die konfessionellen Verhältnisse des Luthertums bei hlaváČek, Petr: Otazníky nad luteránskou kulturou v předbělohorských Čechách [Fragezeichen zur lutherischen Kultur in Böhmen vor dem Weißen Berg]. In: Umění české reformace (wie Anm. 17), 263–278, hier bes. 264 f., zu den Schlick 273–278. – eBerHard, Winfried: Die deutsche Reformation in Böhmen 1520–1620. In: Deutsche in den Böhmischen Ländern. Hg. v. Hans rotHe. Köln-Weimar-Wien 1992 (Studien zum Deutschtum im Osten 25/1), 103–123.
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zunächst darauf, die Utraquisten auf die strikte Einhaltung des Wortlauts der Konzilskompaktaten zu verpflichten, in der Hoffnung, damit auch den anderen Konfessionen eine Brücke zur katholischen Kirche anzubieten.44 Das blieb jedoch eine Illusion. Die von Luther unterstützte Konfessionsschrift der Brüderunität, die man dem König zur Approbation vorlegte, ignorierte er. Und in der Ämterpolitik drängte er die Reformutraquisten in Konsistorium, Landesämtern und Stadträten in den Hintergrund.45 Die quantitative Dominanz46 der Nichtkatholiken blieb infolge der politischen Dominanz des Hofes und des seine rechtlichen Möglichkeiten voll ausschöpfenden Königs für ihre Durchsetzung wirkungslos, zumal sie ja gespalten waren. Es sollte in der Zukunft alles darauf ankommen, wieweit die nichtkatholischen Konfessionsgruppen der Stände sich zu solidarisieren und gemeinsam zu agieren vermochten. Um 1540 jedoch ist eine personelle Neuformierung der Reformutraquisten in der Universität, im Konsistorium und in den Prager Stadträten zu beobachten. Wie es eine Synode von 1539 zeigt, ist dieser Reformutraquismus nun – anders als in den zwanziger Jahren – recht deutlich von der Theologie Melanchthons inspiriert, nicht mehr von der Brüderunität.47 Dies mag mit den Kontakten zur Universität Wittenberg zusammenhängen, deren Besuch aus Böhmen gerade in den dreißiger Jahren deutlich zunahm, oder auch mit dem langfristigen Eindruck des Augsburger Bekenntnisses als Legitimationsgrundlage der Protestanten im Reich. Jedenfalls wagte es eine utraquistische Synode 1543, zentrale lutherischreformatorische Fragen zur Diskussion zu stellen: die Ablehnung der Messe als Opfer, die Anrufung der Heiligen und die Rechtfertigung allein aus dem Glauben.48 Hier könnte man schon von einem evangelischen Reformutraquismus sprechen. Eine Entscheidung konnte jedoch noch nicht getroffen werden. Danach wurde nämlich die Durchsetzung dieses neuen Reformutraquismus vom König durch rigide Bestrafung von dessen geistlichen Führern beendet. Das Verhältnis zwischen den Geistlichen des Reformutraquismus und denen der Brüderunität war in diesen Jahren – im Gegensatz zu dem zu Wittenberg – tiefgreifend durch Konkurrenz gestört. Sie äußerte sich in einer Reihe von Streitschriften beider Seiten und zielte auf eine bislang nicht gekannte Polarisierung, die der44 45 46
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eBerHard, Konfessionsbildung (wie Anm. 11), 244–248. – ders., Monarchie (wie Anm. 11), 209–212. Ebd., 200–207. Der Utraquismus war seit der hussitischen Revolution in Böhmen ohnehin die Mehrheitskonfession. Infolge der Ausbreitung des Luthertums verlor das katholische Erzbistum überdies bis 1531 schon 150 Pfarreien und bis 1539 weitere 100. Bis in die dreißiger Jahre nahmen von 34 katholischen Städten 15 das Luthertum an. BretHolz, Berthold: Neuere Geschichte Böhmens. Bd. 1. Gotha 1920, 92 f., 96. – WiNter, Zikmund: Život církevní v Čechách. Kulturněhistorický obraz z XV. a XVI. století [Kirchliches Leben in Böhmen. Ein kulturhistorisches Bild aus dem 15. und 16. Jahrhundert]. Praha 1895–1896, 96. eBerHard, Monarchie (wie Anm. 11), 271–315. Zur Synode und dem mit ihr verbundenen utraquistischen Ständetag ebd., 365–374; hier waren die Reformutraquisten schon bereit, auf die Kompaktaten zu verzichten. – hlaváČek (wie Anm. 43), 265. – Vorel, Petr: Velké dějiny zemí Koruny české [Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone]. Bd. 7: 1526–1618. Praha-Litomyšl 2005, 152–156.
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jenigen zwischen Kompaktaten und Reformutraquisten nicht nachstand. Gerade der reformutraquistische Adel, an dessen Spitze der auch ohne Landesamt politisch bedeutende Johann von Pernstein stand,49 versuchte auf dem Ständetag von 1543, eine Verständigung mit den Brüdern herbeizuführen, da er die Notwendigkeit der Solidarisierung erkannte. Mit dem Scheitern der Synode kam aber auch diese Absicht nicht zum Ziel.50 Eine Wende in diesem Prozess der Desintegration der Nichtkatholiken erbrachte der Ständeaufstand von 1547.51 Obwohl dessen Programm ausschließlich politisch ausgerichtet war, wirkte die Konfession doch als motivierende und formierende Kraft. Erstmals kooperierten hier die Stände der Brüder, Lutheraner und Reformutraquisten auf ganz neue, politische Weise. Die Führung lag eben nicht bei den streitenden Geistlichen, sondern bei Stadtbürgertum und Adel, die auf oppositionellen Konsens zielten und die im ersten Artikel ihrer Forderungen nach einer Verfassungsreform daher auch die Geistlichen für ihre Polemik kritisierten. Die Aktionsgemeinschaft der drei bislang voneinander distanzierten evangelischen Richtungen ebenso wie die Erfahrung der gemeinsamen Bestrafung durch den König haben wohl den Weg zu einer Integration der reformatorischen Konfessionen vorbereitet – gleichsam in „konkreter Dialektik“ (Kalivoda) zwischen Ausdifferenzierung und Neusolidarisierung, Desintegration und Neuintegration. Für die Nichtkatholiken bedeutete nämlich die Niederlage des Aufstands allenfalls eine kurzfristige Schwächung. Brüdergemeinden fanden weiterhin den heimlichen Schutz des Adels, notfalls in Mähren. Die utraquistischen Stände und Universitätsmagister widersetzten sich schon 1549 dem Versuch des Königs, durch rekatholisierende Glaubensartikel dem Reformutraquismus eine definitive Barriere zu setzen.52 Und das Luthertum in Nord- und Nordwestböhmen nahm gerade seit den fünfziger Jahren einen sichtlichen Aufschwung, der an der Zahl der berufenen evangelischen Prediger und Lehrer zu erkennen ist.53 Sichtbar wird er auch 1554/55 in der Vorla49 50 51
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Vorel, Petr: Páni z Pernštejna. Vzestup a pád rodu zubří hlavy v dějinách Čech a Moravy [Die Herren von Pernstein. Aufstieg und Fall der Familie mit dem Auerochsenkopf in der Geschichte Böhmens und Mährens]. Praha 1999, 156–183. eBerHard, Monarchie (wie Anm. 11), 249–263, 367–369. Ebd., 399–501. – JaNáČek, Doba předbělohorská (wie Anm. 12), 173–298. – vyBíral, Zdeněk: Politická komunikace aristokratické společnosti českých zemí na počátku novověku [Die politische Kommunikation der aristokratischen Gesellschaft der böhmischen Länder am Anfang der Neuzeit]. České Budějovice 2005, 138–149. – Stavovský odboj roku 1547. První krize habsburské monarchie. Sborník příspěvků z vědecké konference konané v Pardubicích 29. – 30.9.1997 [Der Ständeaufstand des Jahres 1547. Die erste Krise der Habsburgermonarchie. Sammlung von Beiträgen aus der wissenschaftlichen Konferenz in Pardubitz 29. – 30.9.1997]. Hg. v. Petr Vorel. Pardubice-Praha 1999. – Zur politischen Konzeption des Aufstands auch eBerHard, Winfried: Landesfreiheiten und Freiheit der Krone in den böhmischen Ländern 1547 und 1619. Zur Innovationsfähigkeit ständischen politischen Denkens. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 57 (2008), 62–80, hier 66–70. Vorel (wie Anm. 48), 255. – eBerHard, Winfried: Entwicklungsphasen und Probleme der Gegenreformation und katholischen Erneuerung in Böhmen. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 84 (1989), 235–257, hier 236. Just (wie Anm. 43), 70–75. – Zur weiteren Ausbreitung des Luthertums – auch in tschechischen Städten – hlaváČek (wie Anm. 43), 265–267. – PáNek, Stavovská opozice (wie Anm.
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dung von nordböhmischen Adeligen mit ihren lutherischen Pfarrern vor das Gericht des Statthalters Erzherzog Ferdinand, in deren Folge zahlreiche Geistliche ausgewiesen, bald aber durch neue ersetzt wurden.54 Der seit den sechziger Jahren erkennbare Weg zu einer neuen Solidarisierung dieser reformatorischen Konfessionen in Böhmen und damit zur Confessio Bohemica von 1575 dürfte andererseits aber auch durch den Druck der Rekatholisierungspolitik König Ferdinands erzwungen worden sein. Als dieser mit dem Versuch einer Union der utraquistischen mit der katholischen Kirche nicht durchdrang, konzentrierte er sich wenigstens auf die Kontrolle der utraquistischen Kirchenleitung.55 Er entzog in der Folgezeit den Ständen die Wahl von Administrator und Konsistorium, um diese Ämter mit romfreundlichen KompaktatenUtraquisten zu besetzen. Adelige Defensoren der Utraquisten, die seit 1478 üblich gewesen waren, wurden nun überhaupt nicht mehr bestellt. Im Ergebnis spaltete er damit aber den Utraquismus zunehmend und schwächte die Autorität der Kirchenleitung bei den reformutraquistischen Geistlichen und Patronatsherren, die nun ihrerseits, ebenso wie die Lutheraner, über keine von ihnen anerkannte kirchenorganisatorische Führung mehr verfügten. Ende des 16. Jahrhunderts sollen von etwa 1600 böhmischen Pfarreien nur noch ca. 200 durch das offizielle, traditionalistische utraquistische Konsistorium besetzt worden sein – neben ebenfalls 200 katholischen, die dem Erzbistum unterstanden.56 Der Mehrheit der übrigen Pfarreien mit reformutraquistischen oder lutherischen Geistlichen blieb jedoch die institutionelle Formierung verwehrt.57 Mehr zukunftsweisenden Erfolg als alle Abwehrversuche gegen „Neuerungen“ erbrachten dagegen Ferdinands Maßnahmen zur inneren katholischen Erneuerung:
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12), 56. – eCkert, Alfred: Die deutschen evangelischen Pfarrer der Reformationszeit in Westböhmen. Kirnbach 1974–1976 (Biographisches Handbuch zur böhmischen Reformationsgeschichte 2). – ders.: Die deutschen evangelischen Pfarrer der Reformationszeit in Nord- und Ostböhmen. Rappenau 1977 (Biographisches Handbuch zur böhmischen Reformationsgeschichte 3). – sieBer, Siegfried: Geistige Beziehungen zwischen Böhmen und Sachsen zur Zeit der Reformation. Teil 1: Pfarrer und Lehrer im 16. Jahrhundert. In: Bohemia 6 (1965), 146– 172; ders.: Geistige Beziehungen zwischen Böhmen und Sachsen zur Zeit der Reformation. Teil 2: Pfarrer und Lehrer im 17. Jahrhundert. In: Bohemia 7 (1966), 127–198. eBerHard (wie Anm. 43), 113. – BretHolz (wie Anm. 46), 256–258. – PáNek, Stavovská opozice (wie Anm. 12), 52. – Die Quellen dazu in: Jednání a dopisy konsistoře katolické i utrakvistické [Verhandlungen und Briefe des katholischen und utraquistischen Konsistoriums]. 2 Bde. Hg. v. Klement BoroVý. Praha 1868–1869, hier Bd. 1: Akta konsistoře utrakvistické [Akten des utraquistischen Konsistoriums], Nr. 707, 711, 713–715, 718–720, 722–747, 750. krofta, Kamil: Boj o konsistoř podobojí v letech 1562 až 1575 a jeho historický základ [Der Kampf um das utraquistische Konsistorium in den Jahren 1562 bis 1575 und seine historische Grundlage]. In: Český časopis historický 17 (1911), 28–57, 178–199, 283–303, 383–420. – rak, Jiří: Vývoj utrakvistické správní organizace v době předbělohorské [Die Entwicklung der utraquistischen Verwaltungsorganisation in der Zeit vor dem Weißen Berg]. In: Sborník archivních prací 31 (1981), 179–206. WiNter, Eduard: Tausend Jahre Geisteskampf im Sudetenraum. Das religiöse Ringen zweier Völker. München 1938, 184. Die Ansätze zur institutionellen Zusammenfassung auf den lutherischen Herrschaften Nordböhmens blieben vereinzelt. hlaváČek (wie Anm. 43), 264. – Eine stringente Selbstorganisation besaß nur die Brüderunität.
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die Berufung der Jesuiten 1556 nach Prag und die Privilegierung ihrer Akademie im Clementinum 1562 sowie die Neubesetzung des Erzbistums mit Anton Brus von Müglitz 1561.58 Dessen Jurisdiktion sollte sich auch auf die utraquistische Geistlichkeit erstrecken, so dass das utraquistische Konsistorium zunehmend unter den Druck und den Anspruch des Erzbischofs geriet.59 Dieser neue Versuch der katholischutraquistischen Union delegitimierte jedoch das utraquistische Konsistorium ein weiteres Mal bei den Reformutraquisten. Angesichts dieses Drucks durch die Religionspolitik des Königs und des institutionellen Defizits mussten sich vor allem die Reformutraquisten umso dringender um die Anerkennung ihrer Eigenständigkeit und Freiheit bemühen. Einen ersten Schritt ihrer konfessionellen Formierung vollzogen sie aus der Defensive gegen eine Anklage traditionalistischer Geistlicher gegen 21 Reformutraquisten vor dem König. Sie veröffentlichten zur Verteidigung ein Glaubensbekenntnis, das auf hussitischen Artikeln von 1421 sowie auf den Lichtmeß-Artikeln von 1524 aufbaute.60 Bei Gelegenheit dieses innerutraquistischen Konflikts wird an der Herkunft der inkriminierten Geistlichen die Ausdehnung des Reformutraquismus in den meisten böhmischen Regionen – auch in Städten – recht deutlich. Ein zweiter Schritt und eine Voraussetzung für seine Eigenständigkeit war die Streichung der Kompaktaten aus der Landesordnung, die die reformutraquistischen Stände 1567 bei Maximilian II. erreichten.61 Der nächste Schritt war 1571 die Bitte um Bewilligung der Augsburger Konfession, mit Berufung auf Maximilians Religionskonzessionen in Österreich. Nach der Ablehnung dieses Antrags mussten nun die Vorbereitungen zu einem eigenständigen und gemeinsamen Bekenntnis beginnen, das alle Nichtkatholiken integrieren konnte. Die politisch motivierte Einsicht in die Notwendigkeit der Integration aller Protestanten wurde insbesondere vom Adel und den reformutraquistischen Geistlichen getragen. Das Ergebnis, die Confessio Bohemica von 1575, hatte – angesichts der Vorgeschichte verständlich – die Confessio Augustana zur Grundlage, verband mit ihr aber auch die hussitischen Vorstellungen des tätigen Glaubens, das heißt des in Ethos und Gesellschaft umzusetzenden „Gesetzes Gottes“ (Evangelium).62 Die Brüderunität blieb zwar bei ihrem eigenen Bekenntnis, 58
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Vorel (wie Anm. 48), 259 f. – Zur Einführung der Jesuiten eBerHard (wie Anm. 52), 237 f. – Die neueste, herausragende Publikation zur Geschichte und Kultur der böhmischen Jesuitenprovinz bringt auch mehrere Beiträge zu ihren Anfängen. Bohemia Jesuitica 1556–2006. 2 Bde. Hg. v. Petronilla Cemus. Praha 2010. – kaVka, František/skýBoVá, Anna: Husitský epilog na koncilu tridentském a původní koncepce habsburské rekatolisace Čech. Počátky obnoveného pražského arcibiskupství 1561–1580 [Ein hussitischer Epilog auf dem Trienter Konzil und die ursprüngliche Konzeption der habsburgischen Rekatholisierung Böhmens. Die Anfänge des erneuerten Prager Erzbistums 1561–1580]. Praha 1969 (mit ausführlicher deutscher Zusammenfassung), 35–56. eBerHard (wie Anm. 52), 238 f., Anm. 26–39. CHalouPeCký, Václav: Pře kněžská z roku 1562 [Ein Streit der Priester von 1562]. Praha 1926. – PáNek, Stavovská opozice (wie Anm. 12), 64. – HreJsa (wie Anm. 38), 10–12. – Jednání a dopisy (wie Anm. 54), Nr. 538–541, 544–545. ŠmaHel (wie Anm. 20), 132 f. Zum Gesamtprozess der Entstehung der Confessio Bohemica am ausführlichsten immer noch HreJsa (wie Anm. 38), 86–255, 276–323. – otter, Jiří: Ökumenische Aspekte der Böhmischen Konfession aus dem Jahre 1575. In: Communio Viatorum 18 (1975), 13–26. – PáNek, Sta-
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das sie 1535 dem König überreicht hatte, und übernahm diese Konfessionsschrift nicht unmittelbar; aber beide Seiten anerkannten ihre Konfessionen gegenseitig als rechtgläubig. Völlig ablehnend hatten sich die utraquistischen Traditionalisten des Konsistoriums verhalten. Der Kaiser bestätigte bekanntlich die Confessio Bohemica nur mündlich und akzeptierte sie nicht für die königlichen Städte; auch die erstrebte gemeinsame Kirchenordnung als notwendige organisatorische Umsetzung wurde nicht bewilligt. Lediglich der Wahl von Defensoren stimmte er zu, die immerhin zu einem wichtigen politischen Formierungsinstrument der nun vereinigten Religionspartei der Evangelischen wurden und in der Zukunft bis 1619 an Bedeutung noch erheblich zunehmen sollten. Obwohl der Kaiser die Publikation verboten hatte, wurde die Confessio Bohemica mehrmals gedruckt.63 Trotz der genannten Einschränkungen stellte sie eine entscheidende ideelle Grundlage für die weitere konfessionelle Integration der reformatorischen Stände und Gemeinden dar. Ihre Bedeutung sieht Kalivoda erstens in subtiler Deutung in der „antiaugsburgischen“ Umkehrung der Rechtfertigung allein aus Glauben in den hussitischen „tätigen Glauben“, zweitens in einem „ausgereiften Ökumenismus“, das heißt im Ausschluss der Verurteilung anderer reformatorischer Richtungen, sowie drittens in der Theologie Melanchthons, die sich hier durchsetzte, nachdem seine Schüler im Jahr zuvor aus Wittenberg vertrieben worden waren.64 Die genannten Mängel und Beschränkungen wurden bekanntlich erst durch den Majestätsbrief von 1609 beseitigt. Der Weg zum Majestätsbrief führte ein weiteres Mal über konfessionelle Polarisierung, diesmal zwischen den in der Confessio Bohemica integrierten evangelischen Ständen und den erstarkenden Katholiken. Seit die Nuntiatur 1583 nach Prag verlegt worden war, wurde sie – zusammen mit den Jesuiten und dem Erzbischof – zu einem strategischen Zentrum für die Rekatholisierung. Bei einer Besprechung in diesem Sinne im Prager RosenbergPalais verpflichteten sich 1584 der Oberstburggraf Wilhelm von Rosenberg und der Obersthofmeister Georg Popel von Lobkowitz gegenüber dem Nuntius zur Förderung der katholischen Religion.65 Prompt wurden dann auch 1584 in Böhmisch Krumau (Český Krumlov), 1590 in Komotau
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vovská opozice (wie Anm. 12), 101–119. – Just (wie Anm. 43), 76 f. – Vorel (wie Anm. 48), 298–302. – vyBíral (wie Anm. 51), 167–171. – Der tschechische Text bei HreJsa (wie Anm. 38), 695–717, sowie in: Čtyři vyznání [Vier Bekenntnisse]. Hg. v. Rudolf říČaN. Praha 1951, 265–306. – Die neueste tschechischdeutschlateinische Ausgabe von Jiří Just und Martin rotHkegel: Confessio Bohemica, 1575/1609. In: Reformierte Bekenntnisschriften. Bd. 3/1: 1575–1599. Hg. v. Andreas müHliNg und Peter oPitz. Neukirchen-Vluyn 2012, 47–176. Vorel (wie Anm. 48), 302. – Zur Ausgabe von 1610: Umění české reformace (wie Anm. 17), 36 f. kaliVoda (wie Anm. 13), 16 f. stloukal, Karel: Papežská politika a císařský dvůr pražský na předělu XVI. a XVII. věku [Die päpstliche Politik und der Prager Kaiserhof an der Wende des 16. und 17. Jahrhunderts]. Praha 1925, 155–159. – JanáČek, Rudolf II. (wie Anm. 12), 297. – Zum Wandel der konfessionellen Einstellung Wilhelms von Rosenberg PáNek, Jaroslav: Poslední Rožmberkové. Velmoži české renesance [Die letzten Rosenberger. Magnaten der böhmischen Renaissance]. Praha 1989, 103 f., 217–220. – ders./ŠiMůNek, Robert/vaníČek, Vratislav: Páni z Rožmberka. Nástin historie rodu [Die Herren von Rosenberg. Abriss der Familiengeschichte]. In: Rožmberkové. Stručný průvodce výstavou. Hg. v. Martin Gaži. České Budějovice 2011, 24–110, hier 97.
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(Chomutov) und 1594 in Neuhaus (Jindřichův Hradec) weitere Jesuitenkollegien gegründet. Und kurz nach dem Gespräch legte der Nuntius einen weitgreifenden Plan zur Rekatholisierung vor. Kaiser Rudolf, der bislang in seiner Ämterpolitik keine konfessionellen Präferenzen gezeigt hatte, konnte schließlich 1599 durch Nuntius Spinelli zu einem entschiedenen katholischen Ämterwechsel veranlasst werden.66 Alle Landesämter verlieh er nun an Mitglieder der bedeutendsten katholischen Familien. Durch Konversionen im Hochadel verschoben sich überdies auch hier die Gewichte. In der neuen Regierung war es vor allem die Kanzlei unter dem Oberstkanzler Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz, die im Sinne der Rekatholisierung wirkte und auch in die Nebenländer hineinregierte.67 Es folgten 1602 ein Mandat gegen die Brüderunität und 1607 die spektakuläre Landesexekution gegen die protestantische Stadt Troppau (Opava) – wohl ein Auslöser für den Übergang Mährens in das Lager von Erzherzog Matthias.68 Auf der anderen Seite hatte sich die Brüderunität schon seit den siebziger Jahren dem Calvinismus angenähert, und ihr Adel besuchte zahlreich insbesondere die calvinistischen Hochschulen Heidelberg, Herborn, Leiden oder gar Genf. So kam er auch mit der calvinistischen politischen Theologie und mit dem internationalen calvinistischen Netzwerk nicht zuletzt in den Niederlanden in Verbindung.69 Beides inspirierte die Politisierung der böhmischen evangelischen Stände, deren Zusammengehörigkeitsbewusstsein unter dem wachsenden katholischen Druck über die Grenzen der einzelnen Kronländer hinweg griff.70 Ihre Formierung als Opposition der Stände der Confessio Bohemica und ihre Selbstorganisation und Militanz im Jahr 1609 waren die nahezu zwangsläufige Antwort auf die kämpferische konfessionspolitische Entschlossenheit und wachsende gesellschaftliche Dominanz der katholischen Politiker. Das Postulat der Religionsfreiheit war wiederholt auf den Landtagen vorgebracht worden, so etwa ganz entschieden 1603 durch den Führer der konfessionellen Opposition, Wenzel Budowetz von Budow.71 Die Gelegenheit, sie nun vom 66 67
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eBerHard (wie Anm. 52), 241 f., mit Anm. – Vorel (wie Anm. 48), 390–411. Die ausufernde Praxis der böhmischen Oberstkanzler, ihre Kompetenzen auch auf die anderen Kronländer auszudehnen und sich zum obersten Regierungsorgan der gesamten Krone Böhmen zu erheben, hatte bereits zuvor eingesetzt. BaHlCke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994, 206–212, 224–227. Ebd., 232–235, 248–250, 254. Ebd., 279–295. – PeŠek, Jiří/ŠamaN, David: Les étudiants de Bohême dans les universités et les académies d’Europe centrale et occidentale entre 1596 et 1620. In: Les Universités européennes du XVIe au XVIIIe siècles. Histoire sociale des populations étudiantes. Bd. 1: Bohême, Espagne, États italiens, Pays germaniques, Pologne, ProvincesUnies. Hg. v. Dominique Julia, Jacques reVel und Roger CHartier. Paris 1986 (Recherches d’histoire et de sciences sociales 17), 89–111. – HruBý, František: Étudiants tchèques aux écoles protestantes de l’Europe occidentale à la fin du 16e et au début du 17e siècle. Brno 1970. – reJCHrt, Luděk: Bratrští studenti na reformovaných akademiích před Bílou horou [Studenten der Brüderunität an reformierten Akademien vor dem Weißen Berg]. In: Acta Universitatis Carolinae/Historia Universitatis Carolinae Pragensis 13 (1973), 43–82. BaHlCke (wie Anm. 67), 227. reJCHrtoVá, Noemi: Václav Budovec z Budova [Wenzel Budowetz von Budow]. Praha 1984.
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Kaiser erfolgreich einzufordern, war allerdings nicht der Einsicht, sondern dem innerhabsburgischen Machtkonflikt geschuldet. Der Kaiser stand unter dem doppelten Druck der Konkurrenz von Erzherzog Matthias und seiner Konföderation der ungarischen, österreichischen und mährischen Stände ebenso wie der politischen und militärischen Drohung der böhmischen evangelischen Stände, die mit den schlesischen gerade in dieser Zeit der Verhandlungen eine eigene Konföderation eingingen. Auf diese Weise erreichten die evangelischen Stände Böhmens mit dem Majestätsbrief Rudolfs II. endlich die feierliche Deklaration ihrer korporativen und individuellen Religionsfreiheit samt einer entsprechenden Kirchenordnung, und somit auch die organisatorische Integration aller Nichtkatholiken unter Einschluss der traditionalistischen Utraquisten in einem Konsistorium und einem Defensorenkollegium.72 Die hohe Qualität der im Majestätsbrief durchgesetzten Religionsfreiheit sowie die dabei erkennbare Integrationskraft und institutionelle Formierung der evangelischen Stände ist im europäischen Vergleich außerordentlich. Weder in Polen noch in Siebenbürgen – den beiden anderen klassischen Ländern friedlicher konfessioneller Koexistenz – hatten die protestantischen Konfessionen zu einer solchen Solidarisierung mit einer gemeinsamen Bekenntnisschrift oder gar zu einer institutionellen Einigung gefunden.73 Die Religionsfreiheit des Kuttenberger Friedens von 1485, der freilich ebenso wie die Kompaktaten durch die konfessionelle Differenzierung in der Praxis schon lange überholt war, wurde mit dem Majestätsbrief auf eine neue, höhere Stufe gestellt.74 Dies gilt zum einen dafür, dass nun alle faktisch existierenden religiösen Gruppen Böhmens in diese Koexistenzordnung einbezogen waren, zum anderen dass die nichtkatholischen Gruppen nicht nur in einer Be72
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Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608–1611). Hg. v. Václav Bůžek. České Budějovice 2010 (Opera Historica 14). – krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909 mit dem tschechischen Text; der deutsche Text bei giNdely, Anton: Geschichte der Böhmischen Brüder. Bd. 2. Prag 21861 [11857–1858], 447–454. – sVátek, Rudolf: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Třebíč 2003. – vyBíral (wie Anm. 51), 171–176. – Zur Entwicklung der Konföderationsbewegung bis 1609 ausführlich BaHlCke (wie Anm. 67), 309–360. – Zur Dynastiekrise der Habsburger („Bruderzwist“), zur Konföderationsbewegung und zum Majestätsbrief Vorel (wie Anm. 48), 411–446. Zur Bewertung der polnischen Entwicklung pluralistischer konfessioneller Koexistenz müller, Michael G.: „Dissidentes de religione Christianae“ in Polen-Litauen: Vom Interim (1552) zur Warschauer Konföderation (1573). In: Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Wissenschaftliches Symposium aus Anlaß des 450. Jahrestages des Friedensschlusses, Augsburg 21. bis 25. September 2005. Hg. v. Heinz sCHilliNg und Heribert smoliNsky. Münster 2007 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 150), 377–388. – Zu Siebenbürgen zaCH, Krista: Nation und Konfession im Reformationszeitalter. In: Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte. Hg. v. Joachim BaHlCke und Konrad güNdisCH. Münster 2004 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 16), 17–47. – Zur vergleichenden Deutung eBerHard, Winfried: Reformatorische Gegensätze, reformatorischer Konsens, reformatorische Formierung in Böhmen, Mähren und Polen. In: Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert. Hg. v. Joachim BaHlCke, Hans-Jürgen BömelBurg und Norbert kerskeN. Leipzig 1996, 187– 215. kaliVoda (wie Anm. 13), 28, nennt den Majestätsbrief „die neuen Kompaktaten“.
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kenntnisschrift, sondern auch in einer Kirchenordnung – trotz aller verbleibenden Spannungen – zusammengefasst waren. Große Bedeutung erlangten dabei, wie erwähnt, bald die Defensoren, die ein politisches Führungsorgan der evangelischen Stände bildeten. Gewiss war der Majestätsbrief unter erheblichem politischen und militärischen Druck gegen den lange hinhaltenden Widerstand des Kaisers bewilligt worden – infolge der Konföderationsbewegung unter Erzherzog Matthias und infolge des Beschlusses der evangelischen Stände zur militärischen Defension sowie zur Bildung eines ständischen Direktoriums. Darin unterscheidet sich der Majestätsbrief von 1609 als Koexistenzlösung aber weder von den Kompaktaten (1435) noch vom Kuttenberger Religionsfrieden (1485) oder gar vom Augsburger Religionsfrieden (1555) und vom Edikt von Nantes (1598). All diesen Koexistenzlösungen war zum Teil erhebliche und lang dauernde Gewaltanwendung vorausgegangen, bis die Koexistenz durch Resignation der Gewalt erzwungen wurde.75 Auch 1609 ging es um „Toleranz aus Notwendigkeit“, diesmal jedoch nicht um den Religionskrieg zu beenden, sondern um ihn zu vermeiden. Dies gilt auch für die „Warschauer Konföderation“ (1573) und ihr Motiv der Friedenswahrung in einem kritischen Moment des Interregnums und angesichts eines Thronkandidaten, der das Odium der „Bartholomäusnacht“ mitbrachte.76 Zum Majestätsbrief als Koexistenzlösung gehört unerlässlich auch der „Ausgleich“ mit den katholischen Ständen.77 Erst indem diese die Religionsfreiheit der Evangelischen ausdrücklich anerkannten und in einigen Punkten noch präzisierten, war die konfessionelle Koexistenz im Konsens unter den Ständen erreicht. Der Konsens wies jedoch ein entscheidendes Defizit auf. Denn eine politisch bedeutende Minderheit des katholischen Adels, an der Spitze der Oberstkanzler, lehnte den Majestätsbrief und damit auch den Ausgleich entschieden ab. Diese Landesbeamten, der Hof und selbstverständlich die katholischen Prälaten, im konfessionellen Selbstbewusstsein gestärkt durch den Aufschwung der katholischen Erneuerung im vergangenen Jahrzehnt, verzichteten nicht auf die Politik der konfessionellen Dominanz. Ein Fanal dafür war der Einfall der Truppen des Passauer Bischofs 1611. In Böhmen wie im Reich nahm in dieser Zeit die Anerkennung „der Anderen“ im Interesse des politischen Landeswohls – wie sie Ende des 15. und im 16. Jahrhundert noch die Praxis eines „überkonfessionellen Christentums“78 gewesen war 75 76 77
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Zur Resignation der Gewalt als Voraussetzung für den Koexistenzkonsens eBerHard, Weg zur Koexistenz (wie Anm. 15), 2 f., 8, 12 f., und ders., Toleranz (wie Anm. 27), 58. eBerHard, Toleranz (wie Anm. 27), 68. Der deutsche Text bei giNdely (wie Anm. 72), 455–458; der tschechische bei krofta (wie Anm. 72), 40–43. – glüCkliCH, Julius: Koncept Majestátu a vznik Porovnání [Das Konzept des Majestätsbriefs und die Entstehung des Ausgleichs]. In: Český časopis historický 23 (1917), 110–128. Válka, Josef: Politika a nadkonfesijní křesťanství Viléma a Jana z Pernštejna [Die Politik und das überkonfessionelle Christentum Wilhelms und Johanns von Pernstein]. In: Pernštejnové v českých dějinách. Hg. v. Petr Vorel. Pardubice 1995, 173–183. – ders.: Die „Politiques“: Konfessionelle Orientierung und politische Landesinteressen in Böhmen und Mähren (bis 1630). In: Ständefreiheit und Staatsgestaltung (wie Anm. 73), 229–241. – ders.: Tolerance či koexis-
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– immer mehr ab. Das Prinzip der Priorität des Politischen vor der Religion wich daher wieder einer neuen Identifizierung des politischen Interesses mit der Religionsfrage. Persönlichkeiten wie Karl d. Ä. von Žerotín, oder früher Wilhelm und Johann von Pernstein sowie Wilhelm von Rosenberg, die den Religionskonflikt im Landesinteresse hintanstellen wollten, ohne ihre eigene religiöse Überzeugung aufzugeben, solche Persönlichkeiten waren zur Ausnahmeerscheinung geworden oder Teil einer Minderheit.79 Die Koexistenzlösung des Majestätsbriefs und des Ausgleichs trug daher auch nur kurze Zeit. Der Zusammenhang der böhmischen Reformationsepoche sollte hier in ihrer „konkreten Dialektik“ von Konflikt und Integration erläutert werden. Bei aller Veränderung der konfessionellen und politischen Situation zwischen 1435 und 1609 sind die Impulse des Hussitentums – immer wieder neu interpretiert – sowie das lange Gedächtnis von dessen Ständegesellschaft ein nicht zu verkennender Faktor. Die hussitische Kontinuität in diesem dialektischen Prozess soll hier noch an zwei Komponenten verdeutlicht werden, zunächst an einem symbolisch-medialen Indiz. Nicht nur der jährliche Hus-Feiertag hielt das hussitische Bewusstsein wach und gehörte zur Erinnerungskultur. Auch das hussitische revolutionäre Zeichen des Fenstersturzes von 1419 wurde nicht nur 1618 bewusst symbolisch wieder aufgegriffen, sondern auch in der Zwischenzeit eröffnete ein Fenstersturz die Prager Stadtrevolte von 1483,80 und auch später wurden zumindest Drohungen laut, dieses Umsturzsymbol zur Anwendung zu bringen. 1609 gab es Überlegungen unter den evangelischen Ständen, gegen den dem Majestätsbrief widerstrebenden Oberstkanzler, Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz, den Fenstersturz anzuwenden.81 Ein weiteres mediales Indiz für das lebendige hussitische Gedächtnis und Selbstverständnis war es, als eine Gruppe von Bürgern 1619 den neuen König Friedrich
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tence? (K povaze soužití různých náboženských vyznání v českých zemích v 15. až 17. století) [Toleranz oder Koexistenz? (Zum Charakter des Zusammenlebens verschiedener religiöser Bekenntnisse in den böhmischen Ländern im 15. bis 17. Jahrhundert)]. In: Studia Comeniana et Historica 18 (1988), 27–29, 82–85. – Eine „überkonfessionelle“ Einstellung scheint im 16. Jahrhundert auch im Stadtbürgertum feststellbar zu sein. Jedenfalls deuten Testamente darauf hin, in denen zugleich sowohl katholische als auch utraquistische Kirchen mit Vermächtnissen bedacht wurden. HruBá, Michaela: „Zur Ehre und zum Lob Gottes“. Die bürgerliche Frömmigkeit in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg am Beispiel königlicher Städte Nordwestböhmens. In: Bohemia 48 (2008), 3–28, hier 24. Válka, Tolerance (wie Anm. 78), 82–85. – kNoz, Tomáš: Konfessionelle Pluralität und religiöse Konflikte im Umkreis Karls d. Ä. von Žerotín in den zwanziger und dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts. In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Hg. v. Joachim BaHlCke, Karen lamBreCHt und Hans-Christian maNer. Leipzig 2006, 459–475. – Zur fehlenden Kompromissbereitschaft der Führung der katholischen Erneuerung eBerHard (wie Anm. 52), 242 f. – ČernuŠák, Tomáš: Nuncius Caetani a jeho obrana katolických zájmů v době před vydáním Majestátu Rudolfa II. (1608–1609) [Nuntius Caetani und seine Verteidigung der katholischen Interessen in der Zeit vor der Aushändigung des Majestätsbriefs Rudolfs II. (1608– 1609)]. In: Časopis Matice moravské 128 (2009), 35–46. ŠmaHel (wie Anm. 30), 64 f. HreJsa (wie Anm. 38), 460, Anm. 3.
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bei seinem Prager Einzug in alttschechischen Kostümen und hussitischen Waffen begrüßte.82 Einen gewichtigeren, weil strukturellen Faktor der politischen Kontinuität sehe ich positiv – anders als die eingangs erwähnte ältere Historiographie – schließlich und vor allem im Ständesystem, das sich aus der hussitischen Revolution entwickelt hatte und sich bis 1500 immer deutlicher formierte und konsolidierte, das im 16. Jahrhundert zwar unter königlichen Druck geriet, sich aber bis 1620 behauptete83 – ja, zum Schluss, 1619, sogar in einer innovativen Konföderationsverfassung der böhmischen Kronländer zu einer neuen Ausprägung fand.84 Dieses Ständesystem eignete sich für Integration und Koexistenzlösungen grundsätzlich – das heißt von seiner Struktur her – besser als ein bloßes monarchisches Befehlssystem, da es prinzipiell auf Konsensfindung beruhte.85 Konsens bedeutet hier allerdings nicht Konfliktlosigkeit, sondern schließt Auseinandersetzungen ein. Entscheidend war dabei, dass die Ständegemeinde als Ganze in sich ebenso wie gegenüber dem Herrscher letztlich auf eine Konfliktlösung orientiert war – im Interesse ihres künftigen politischen Zusammenhandelns – und ihr zustimmte.86 Eine solche Zustimmung – wie auch immer von Interessen geleitet – bildete ein integratives Verfahren des Aushandelns, wie es 1435, 1485 und 1575 zu beobachten war. Dieses Konsensverfahren zur politischgesellschaftlichen Integration prägte auch die konfliktgeladenen Landtagsverhandlungen von 1609 und führte nicht nur zum Majestätsbrief, sondern auch zum „Ausgleich“ mit der Mehrheit der katholischen Stände.
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ŠmaHel, František: Die „große“ Geschichte kleiner Völker: die hussitische Revolution in drei Akten. In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung (wie Anm. 79), 183–200, hier 190. ders.: Das böhmische Ständewesen (wie Anm. 12), 219–246. – ders.: Nástin proměn stavovské skladby Českého království od konce 14. do počátku 16. století [Ein Abriss der Wandlungen der Ständestruktur des Königreichs Böhmen vom Ende des 14. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts]. In: Vladislavské zřízení zemské a počátky ústavního zřízení v českých zemích (1500–1619). Sborník příspěvků z mezinárodní konference konané ve dnech 7. – 8. prosince 2000 v Praze. Hg. v. Karel malý und Jaroslav PáNek. Praha 2001, 71–84. – keJř, Jiří: Počátky a upevnění stavovského zřízení v Čechách [Anfänge und Festigung der Ständeordnung in Böhmen]. In: Právněhistorické studie 34 (1997), 63–95. – PáNek, Jaroslav: Das Ständewesen und die Gesellschaft in den Böhmischen Ländern in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg (1526–1620). In: Historica 25 (1985), 73–120. – ders., Proměny stavovství (wie Anm. 12). – Zum Zusammenhang der konfessionellen und ständischen Entwicklung eBerHard, Winfried: Zur Religionsproblematik in der böhmischen Landesverfassung der Reformationsepoche. In: Vladislavské zřízení zemské (wie oben), 249–266. eBerHard, Landesfreiheiten (wie Anm. 51), 70–78. – staNka, Rudolf: Die böhmische Conföderationsakte von 1619. Berlin 1932. – Válka, Josef: Konfederace z roku 1619 ve vývoji teritoriální a náboženské struktury České koruny. In: Vladislavské zřízení zemské (wie Anm. 83), 193–202. eBerHard, Winfried: Konflikt und Integration: Die Dynamik in den Ergebnissen der Hussitenrevolution. In: Studia Comeniana et Historica 22 (1992), 31–56, hier 35. eBerHard, Winfried: Herrscher und Stände. In: Pipers Handbuch der politischen Ideen. Bd. 2. Hg. v. Iring fetsCHer und Herfried müNkler. München-Zürich 1993, 467–551, hier 485–491. – ders.: Zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Theorie ständischer Repräsentation und Herrschaftsbeteiligung in Europa. In: Právněhistorické studie 34 (1997), 97–108. – vyBíral (wie Anm. 51), 122–126.
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Die Confessio Bohemica als Basis des Majestätsbriefs Rudolfs II. – Ausdruck konstituierten Rechts oder „neuer Toleranz“? Nach wie vor wird in der Literatur zur allgemeinen Reformationsgeschichte die durch die Regelungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 anerkannte Confessio Augustana Philipp Melanchthons (Confessio Augustana invariata, 1530)1 als Ausgangsbasis für die Bekenntnisschrift Confessio Bohemica (1575)2 sowie in deren Nachfolge für den Majestätsbrief Rudolfs II. (1609)3 betrachtet. Grundsätzlich war der von Deutschland ausgehende Anteil des reformatorischen Prozesses für Böhmen aber eher die Fortsetzung der bereits seit dem 14. und 15. Jahrhundert existenten, nach dem Reformator Jan Hus benannten Reformbewegung. Schon damals kamen die später auch in der gesamteuropäischen Reformation gestellten Forderungen nach umfassenden Freiheiten in der Religionsausübung auf, insbesondere im Bezug auf den Laienkelch, der für die hussitischen Bewegungen als Symbol prägend geworden ist. Sicherlich bedeutete das bloße Erkennen der Reformbedürftigkeit der katholischen Kirche noch keine Reformation. Der Hussitismus ging jedoch weiter und versuchte, die geforderten Grundsätze, darunter das Abendmahl sub utraque specie, tatsächlich umzusetzen. Noch bevor es zu einer Legitimierung der utraquistischen Forderungen, sei es durch Kompaktaten, mündliche Zusagen oder Landesgesetzgebung, kam, wurde vielerorts durch Laienprediger eine reformierte Variante der Messe praktiziert, wie sie in den Vier Prager Artikeln4 beschrieben worden war. 1
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WeBer, Michael: Confessio Augustana eaque invariata ex editione Melanchthonis principe accurate reddita, Halis 1830. Confessio Augustana. Das Augsburgische Bekenntnis (1530). In: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Hg. v. Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss. Göttingen 1930, 50–137. Čtyři vyznání. Vyznání Augsburské, Bratrské, Helvetské a České se čtyřmi vyznáními staré církve a se čtyřmi články pražskými [Die vier Konfessionen. Die Augsburgische, Brüderische, Schweizerische und Böhmische Konfession mit den vier Bekenntnissen und den vier Prager Artikeln.]. Hg. v. Rudolf říČan u. a. Prag 1951, 265–306. – Böhmische Konfession 1575 = Confessio Bohemica XVLXXV. Hg. v. Alfred eCkert. Wolfach-Kirnbach (Schwarzwald) 1976 (Studien und Dokumente 23/24). Bezug genommen wird hier auf die das Königreich Böhmen betreffende Urkunde vom 09.07.1609: giNdely, Anton: Geschichte der Ertheilung des Böhmischen Majestätsbriefes von 1609. Prag 1858, 182–189. – Die den Ständen gegebene Versicherung für die freie Ausübung ihrer Religion fand im Majestätsbrief u. a. wie folgt Bestätigung: „[...] welche auch, wie Wir aus sicheren darüber eingezogenen Nachrichten, so wie aus dem von Sr. Kaiserlichen Majestät Unserm geliebtesten Herrn Vater eigenhändig geschriebenen Briefe zu ersehen geruht, ja selbst aus einigen bei der Landtafel vorgefundenen glaubwürdigen Urkunden erhellt, von Sr. Majestät sofort bewilligt worden [...].“ Ebd., 182. ŠmaHel, František: Die Hussitische Revolution. 3 Bde. Hannover 2002 (Schriften der Monu-
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Winfried Eberhard stellt diese mit der Ausbreitung des Hussitismus beginnende Bewegung als eine von 1420 bis 1620 in zwei Phasen stattfindende böhmische Reformation dar, die zwar nicht völlig unabhängig von derjenigen im Alten Reich, aber doch eigenständig verlief.5 Er distanziert sich von der gängigen Vorstellung, der Beginn der Reformation sei gleichzusetzen mit dem Auftreten Luthers, und die hussitischen Bemühungen um eine Erneuerung der katholischen Kirche seien lediglich ein Vorspiel der eigentlichen gesamteuropäischen Reformation gewesen.6 Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung der Ereignisse im beginnenden 15. Jahrhundert. Auf dem Konstanzer Konzil (1414–1418) wurde als Reaktion auf die hussitischen Forderungen erstmals der Laienkelch verboten (1415). In der Folgezeit, die von sozialen und militärischen Unruhen geprägt war, hat aber die katholische Kirche in Böhmen an Einfluss verloren. Vor allem die Stände, insbesondere der zahlenmäßig stark vertretene niedere und höhere Adel, waren weit von der katholischen Richtung abgewichen und hatten sich überwiegend zum Hussitismus bekannt, wenngleich einige der vor allem dem Hochadel angehörenden Familien (u. a. Rosenberg, von Neuhaus, Berka von Dubá) weiterhin einen entschiedenen Katholizismus praktizierten und auch nach außen vertraten.7 Bereits auf dem Basler Konzil (1431–1449) erreichten die Utraquisten mit den Iglauer Kompaktaten vom 5. Juli 1436 zwar keine umfassende Anerkennung der im Juli 1420 erstmals vorgelegten Vier Prager Artikel,8 aber doch eine Wiederzulassung der Kelchkommunion in Böhmen. Im Zuge der Verhandlungen kam es durch geschicktes Taktieren der Diplomaten des Konzils zum Zerwürfnis zwischen den gemäßigten Utraquisten und den radikaleren Taboriten und infolgedessen zur Niederlage der taboritischen Streitmacht bei Lipany.9 Dennoch sollten sich einige As5
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menta Germaniae Historica, Schriften 43/1–3), hier Bd. 1, 636–639. eBerHard, Winfried: Ständepolitik und Konfession. In: Bohemia sacra. Das Christentum in Böhmen 973–1973. Hg. v. Ferdinand seiBt. Düsseldorf 1974, 222–235, hier 222. – Zur Einteilung der böhmischen Reformation in zwei Phasen vgl. auch molNár, Amedeo: Husovo místo v evropské reformaci [Hus´ Platz in der europäischen Reformation]. In: Český časopis historický 14 (1966), 1–14; kaliVoda, Robert: K otázkám myšlenkového modelu tzv. „první“ a „druhé“ reformace [Zu den Fragen des Denkmodells der sog. „ersten“ und „zweiten“ Reformation]. In: Bratrský sborník. Hg. v. Rudolf RíČan. Prag 1967, 120–126. Dies wird in der modernen Forschung kontrovers diskutiert. Georg Plasger etwa vertritt die Auffassung, dass Jan Hus für die (religiöse) Entwicklung und besonders die militärischen Auseinandersetzungen nach ihm nicht oder nicht ausschließlich verantwortlich gewesen sei. Er sei also kein vorweggenommener Reformator gewesen. Plasger, Georg: Die Confessio Augustana als Grundbekenntnis der Evangelischen Kirche in Deutschland? In: Zeitschrift für Theologie und Kirche 105 (2008), 315–331. – František Šmahel sieht in Hus und seinen Anhängern zwar die Wegbereiter für die Veränderungen innerhalb der bestehenden Kirchenordnung, wertet sie aber nicht als Initiatoren der Reformation. ŠmaHel, Die Hussitische Revolution (wie Anm. 4). eBerHard, Winfried: Die deutsche Reformation in Böhmen 1520–1620. In: Deutsche in den böhmischen Ländern. Hg. v. Hans rotHe. Köln-Weimar-Wien 1992 (Studien zum Deutschtum im Osten 25/1), 103–123, hier 105. Schon am 07.07.1421 wurde diese erste Formulierung des hussitischen Bekenntnisses vom Landtag in Czaslau (Čáslav) als Landesgesetz bestätigt. Es besaß allerdings nur für den Zeitraum der böhmischen Thronvakanz Rechtsgültigkeit. ŠmaHel, Die Hussitische Revolution (wie Anm. 4), 655. molNár, Amedeo: Der Hussitismus als christliche Reformbewegung. In: Bohemia sacra (wie
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pekte der taboritischen Sichtweise, die alle bisher erreichten Ziele nur als Ausgangspunkt einer umfassenden hussitischen Reformation betrachtete, sukzessiv auch im gemäßigten Lager durchsetzen. Schnell war erkennbar geworden, dass in den Zugeständnissen des Basler Konzils keinesfalls eine umfassende Anerkennung der reformatorischen Forderungen, sondern eher eine Beschränkung des Hussitismus auf die Kelchkommunion und damit eine gewissermaßen bequeme Unterordnung und Anpassung an die Gesamtkirche erreicht worden war. Zudem erstreckte sich alle Duldung und Akzeptanz lediglich auf Katholiken und Utraquisten, alle anderen Reformglaubensrichtungen wurden als Sekten abgelehnt. Betrachtet man all diese Gesichtspunkte, so erstaunt es nicht, dass die an Jan Hus orientierten Strömungen nach mehr als einem Jahrhundert zäher und unbefriedigender Verhandlungen mit Kirche und Krone froh waren, mit dem Beginn der Reformation im Alten Reich auch außerhalb Böhmens Unterstützung für eine Erneuerung der Kirche gefunden zu haben. Das Verhältnis zur deutschen Reformation blieb von böhmischer Seite aus jedoch gespannt. Nach 100 Jahren Bemühungen um Anerkennung der hussitischen Ideen konnte eine bloße Rezeption des Luthertums nicht das Ziel der Utraquisten sein. Dennoch erkannten sie gerade in Martin Luther einen Mitstreiter, der einer an der Heiligen Schrift orientierten Kirchenreform zum Durchbruch verhelfen konnte.10 Unterstrichen wird dies auch durch eine Passage im Briefverkehr Luthers mit dem Propst des Collegium Carolinum in Prag, Václav Rožďalovský, in der es heißt: „[…] quod olim Iohannes Huss in Bohemia fuerat, hoc tu, Martine, es in Saxonia.“11 Rožďalovský sah in Martin Luther eher ein Werkzeug für den Durchbruch des Hussitismus als einen voranschreitenden Reformator. Luther selbst erkannte alsbald die Nützlichkeit eines Zusammenwirkens mit den benachbarten reformatorischen Kräften: „Es ist hoch zeit, das wir auch einmal ernstlich und mit wahrheit der Behemen sach fürnehmen, sie mit uns und uns mit ihnen zu vereinigen.“12 Angesichts des auf beiden Seiten existierenden Bedarfs an Unterstützung verwundert es nicht, dass nach den in Augsburg erfolgreich verlaufenen Verhandlungen die Confessio Bohemica trotz all ihrer hussitisch geprägten Forderungen starke Ähnlichkeiten mit der Confessio Augustana aufwies. Das Ansehen des Böhmischen Bekenntnisses als Folgeschrift der Confessio Augustana findet sogar in einer Passage des Majestätsbriefs Rudolfs II. Ausdruck: „Alle drei Stände unsers Königreichs Böhmen, welche den Leib und das Blut unsers Herrn Jesu Christi unter beiderlei Gestalt empfangen, [...] haben [...] ergebenst angesucht: es möchte ihnen die allgemeine Böhmische Konfession, von einigen auch die Augsburgische genannt,
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Anm. 5), 92–109, hier 99. eBerHard (wie Anm. 7), 107. lutHer, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Briefwechsel. Bd. 1. Weimar 1930, 419 f. lutHer, Martin: An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. In: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 6. Weimar 1888, 404–469, hier 454.
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welche auf dem allgemeinen Landtage im Jahr 1575 verfasst13 und Seiner Majestät dem Kaiser Maximilian [...] überreicht worden [...]“14 gegeben werden. Da es, wie oben gezeigt, in Böhmen aber bereits vor den Regelungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 adäquate Bestimmungen gab, soll im Folgenden untersucht werden, ob diese partiell zu einer überformten Religionspraxis führten, ob sich also bereits hussitische Forderungen, etwa im Abhalten der Gottesdienste, konsolidieren konnten. Es soll festgestellt werden, ob sich schon in diesen Regelungen ein frühzeitig und allmählich gewachsenes Recht erkennen lässt. Tatsächlich wurden bereits seit den Anfängen der hussitischen Reformation Messen abgehalten, in denen das Abendmahl in beiderlei Gestalt, Brot und Wein, gespendet wurde und die Predigt einen im Vergleich zur katholischen Messe erheblichen Raum einnahm. Außerdem kam es zunehmend zu einer „Tschechisierung“ der Gottesdienste: Lieder waren übersetzt worden, Predigttexte wurden in der Landessprache verlesen und tschechische Katechismen sollten das Volk den neuen Glauben lehren. Problematisch war angesichts der immer stärker wachsenden Anhängerschaft nur die Frage der Priesterweihe.15 Laienprediger fanden sich in ausreichender Zahl, aber eine ordnungsgemäße Weihe erforderte nach Meinung etlicher Prediger weiterhin eine Anbindung an die katholische Kirche, von der man sich mit all diesen Neuerungen doch gerade loszusagen versuchte. Als sich dann die römische Kirche unter dem Druck der sich mittlerweile europaweit ausbreitenden Reformationsbewegungen endlich dazu bereitfand, Priesterweihe und Kelchkommunion zu bewilligen, wurde der in den Prager Kompaktaten mühsam erkämpfte Freiraum bereits als zu enger Hemmschuh auf dem Weg zu einer umfassenden Reformation und einer evangelischen tschechischen Einheitskirche empfunden.16 Löst man sich von der Vorstellung, die in der Folge dieser Ereignisse 1575 vorgelegte Confessio Bohemica sei lediglich als Weiterführung der Confessio Augustana und als Grundlage für den Majestätsbrief zu betrachten, so lohnt eine Gegenüberstellung der beiden Confessiones. Ziel eines solchen Vergleiches ist es, anhand der Gewichtung der Inhalte bzw. des Umfangs der einzelnen Passagen Rückschlüsse auf den ihnen beigemessenen Stellenwert zu ziehen. Auf diese Weise lassen sich Unterschiede darstellen, welche die Schlussfolgerung zulassen, dass sich in Böhmen schon seit Beginn der hussitischen Bewegung konfessionelle Neuregelungen im Kirchenalltag manifestiert hatten, die in Augsburg noch der Aushandlung bedurften. Die Möglichkeit einer reformatorischen Überformung der Religionspraktiken soll hier exemplarisch anhand eines wortgenauen Vergleichs ausgewählter Artikel der Confessio Bohemica und der Confessio Augustana dargestellt werden. Schnell 13
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Richtig ist, dass die Confessio Augustana in Mähren von Jakub Kamenický ins Tschechische übersetzt und auf dem oben genannten Landtag verlesen (nicht verfasst) worden war. Dies stellte allerdings einen weiteren Anstoß für die Formulierung eines eigenen, böhmischen Bekenntnisses dar, welches mit dem Augsburgischen, wie später noch gezeigt werden wird, anders als die Formulierung der zitierten Passage vermuten lässt, nicht identisch ist. giNdely (wie Anm. 3), 182. molNár, Der Hussitismus als christliche Reformbewegung (wie Anm. 9), 101 f. Ebd., 101 f.
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zeigt sich dabei, dass etliche Passagen inhaltlich oder sogar im (lateinischen) Wortlaut übereinstimmen. Obwohl beide Confessiones in der Artikelabfolge differieren, lassen sich 23 der insgesamt 25 Artikel umfassenden Confessio Bohemica in der Confessio Augustana mit 28 Artikeln inhaltlich nachweisen. Allerdings wird ebenso schnell deutlich, dass die beiden Glaubensbekenntnisse keineswegs deckungsgleich sind; bei eingehender Betrachtung zeigen sich gravierende Unterschiede. So wurden zunächst in der Confessio Bohemica die Artikel 3, 5 und 6, in der Confessio Augustana die Artikel 24 und 27 ausgespart. Im umfangreichen Artikel 27 „De Votis Monachorum – Von den Mönchsgelübden“ wird das beklemmende und wenig lehrreiche Klosterleben beklagt: „Quid fiebat postea in monasteriis? Olim erant scholae sacrarum litterarum et aliarum disciplinarum, quae sunt utiles ecclesiae, et sumebantur inde pastores et episcopi: nunc alia res est; nihil enim opus est recitare nota.“17 Zwar habe es Zeiten gegeben, da man im Kloster Bildung erfahren konnte, nun aber erhebe die Ordensschwestern und -brüder allein die Tatsache, einem Kloster zuzugehören, über alle anderen von Gott eingesetzten Stände: „[…] nunc fingunt institutum esse vitae genus ad promerendam gratiam et iustitiam, immo praedicant, esse statum perfectionis, et longe praeferunt omnibus aliis vitae generibus a deo ordinatis.“18 Die Confessio Augustana fordert nun, dass Mädchen und Jungen bzw. Frauen und Männer nicht mehr aus finanziellen Gründen, aus Prestigegründen oder um eine Zuflucht zu suchen, ins Kloster gehen sollten, sondern ausschließlich, um ihr Leben Christus zu weihen.19 Der ebenfalls sehr umfangreiche Artikel 24 „De Missa – Von der Messe“ beabsichtigt, die Häufigkeit der abgehaltenen Messen zu reduzieren. Auch sollen damit nicht mehr die begangenen Sünden „ungeschehen“ gemacht, sondern die Gläubigen neben den lateinischen mit deutschen Texten und Gesängen unter ansonsten weitgehender Beibehaltung der bisherigen Zeremonien unterrichtet werden, damit sie gemäß Gottes Geboten leben.20 In der Confessio Bohemica finden sich diese Artikel nicht gesondert aufgeführt. „De Votis Monachorum – Von den Mönchsgelübden“ [Artikel 27] und „De Missa – Von der Messe“ [Artikel 24] wurde nicht bzw. nur marginal gesprochen; die in der Confessio Augustana gleich zu Beginn angeführten Abschnitte „De Filio Dei – Von dem Sohne Gottes“ [Artikel 3], „De Ministerio Ecclesiastico – Vom Predigtamt“ 17 18 19
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Weber (wie Anm. 1), 28. Ebd. „Qui sic irretiti erant, cogebantur manere, etiamsi quidam beneficio canonum liberari possent. Et hoc accidit magis etiam in monasteriis virginum quam monachorum, cum sexui imbecilliori magis parcendum esset. Hic rigor displicuit multis bonis viris ante haec tempora, qui videbant puellas et adolescentes in monasteria detrude propter victum, videbant, quam infeliciter succederet hoc consilium, quae scandala pareret, quos laqueos conscientiis iniceret.“ Ebd., 27. „[…] id quoque auget reverentiam ac religionem publicarum caeremoniarum. Nulli enim admittuntur nisi antea explorati et auditi. Admonentur etiam homines de dignitate et usu sacramenti, quantam consolationem afferat pavidis conscientiis, ut discant Deo credere et omnia bona a Deo exspectare et petere. Hic cultus delectat deum, talis usus sacramenti alit pietatem erga Deum. Itaque non videntur apud adversarios missae maiore religione fieri quam apud nos.“ Ebd., 19.
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[Artikel 5] und „De Nova Obedientia – Vom neuen Gehorsam“ [Artikel 6] finden sich allenfalls als kurze Erwähnung am Rande eines anderen Artikels.21 Unter den ersten acht Abschnitten der Confessio Bohemica beschäftigen sich drei mit der Beschreibung Gottes, der Dreifaltigkeit und Gottes Geboten. Damit legt das Böhmische Bekenntnis einen klaren Schwerpunkt auf die Darstellung des Glaubens und auf Dogmatik, und versucht auf diese Weise, alle nun folgenden Artikel anhand der Heiligen Schrift zu belegen. Mehr als die Confessio Augustana ist die Confessio Bohemica bestrebt, die Gläubigen vom Makel der Häresie zu befreien. Liegt beim Augsburger Bekenntnis der Fokus auf der akribischen Beschreibung der zum Glauben gehörenden Abläufe und Regeln sowie der detailgenauen Schilderung der Befugnisse von Kirche, Predigern und Bischöfen, so weist die Confessio Bohemica diesen Bestimmungen eine eher untergeordnete Rolle zu. Betrachtet man an dieser Stelle die dem Böhmischen Bekenntnis vorausgegangenen Entwicklungen, stößt man wieder auf die Lehren von Jan Hus. In seinen Schriften erklärte er die Rolle der Kirche, legte die Rolle der Prediger fest, forderte das Abhalten der Messen auf Tschechisch und verlangte den Laienkelch. Auch der Begriff des Ketzertums wurde von ihm erläutert. Hus kritisierte den Ablasshandel, erfundene Reliquien, Bilderverehrung und erdachte Wunder. 1413 schrieb Hus das Werk De Ecclesia.22 Darin vertrat er die Ansicht, dass die Kirche eine hierarchiefreie Gemeinschaft sei, in der nur Christus das Oberhaupt sein könne. Ausgehend vom augustinischen Kirchenbegriff definierte er die Kirche als Gemeinschaft der Prädestinierten, also aller von Gott erwählten Menschen, er forderte die Ausgewogenheit der Drei-Stände-Ordnung und beanstandete die Lasterhaftigkeit und Habgier des Klerus. Sämtliche Gesichtspunkte spiegeln sich auch in den Vier Prager Artikeln von 1420 wider. Obwohl das Abendmahl sub utraque specie für Laien im Mittelpunkt steht, ist auch hier die Tatsache, dass weder die Basler noch die Iglauer Kompaktaten dem gesamten hussitischen Forderungskatalog entsprechen, auf die katholische Kirche zurückzuführen, die lediglich zu partiellen Zugeständnissen bereit war. Die Utraquisten hinderte dies dennoch nicht an der unaufhörlichen Wiederholung bzw. sogar der weitgehenden Umsetzung ihrer Forderungen im Kirchenalltag, was einerseits eine Verankerung im Reformdenken der böhmischen Stände mit sich brachte und andererseits dazu führte, dass alle bereits ausgehandelten oder zumindest wiederholt als Prämisse formulierten Aspekte in der Confessio Bohemica in deutlich reduzierter Weise, zum Teil gar nicht, angesprochen werden. In der Confessio Augustana erfolgte hingegen eine nachdrückliche Hervorhebung eben dieser Passagen. Es wird hierdurch der Eindruck erweckt, dass in Böhmen bereits eine unumkehrbare Konsolidierung der reformierten Kirchenpraxis stattgefunden habe. Die an der Abfassung der Bohemica beteiligten Stände23 sahen also keine Notwendig21 22 23
Artikel 3 „De Filio Dei“ thematisiert die Rolle Jesu Christi und die Vergebung der Sünden ausschließlich durch Gott; Artikel 5 „De Ministerio Ecclesiastico“ und Artikel 6 „De Nova Obedientia“ fordern, dass die Prediger dieses lehren sollen. Mistr Jan Hus. Tractatus de ecclesia. Hg. v. Samuel Harrison tHomsoN. Prag 1958. Ein Konsortium von 20 Mitgliedern erstellte die Confessio Bohemica, wobei der Prager Universitätsprofessor Pavel Přáza (Pressius) als hauptverantwortlich für den Wortlaut gilt. Die
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keit mehr, bereits ausgehandelte und praktizierte Glaubensgrundsätze ihrem Forderungskatalog hinzuzufügen. Diese Passagen wurden ausgespart bzw. gingen als kurze Anmerkungen in anderen Artikeln unter. Diesem Gedanken folgend war es wichtiger, Passus, die der Abgrenzung von anderen Religionen und Konfessionen dienten, zu betonen. Obwohl die utraquistischen Stände also das Böhmische Bekenntnis diplomatisch geschickt stark am äußeren Erscheinungsbild der Confessio Augustana angelehnt hatten, differierten beide inhaltlich und sind auf diese Weise Ausdruck zweier fast parallel verlaufender, sich durchaus auch gegenseitig beeinflussender, aber dennoch voneinander unabhängiger Reformationsbewegungen. Trotz all dieser Aspekte, die eher auf ein allmählich konstituiertes Recht denn auf eine neue Toleranz24 hindeuten, darf eine Besonderheit nicht übersehen werden, die dem Majestätsbrief Rudolfs II. ein Alleinstellungsmerkmal verleiht. Erstmals in der böhmischen Reformationsgeschichte war es gelungen, ein verbrieftes Nebeneinander der zu jener Zeit im Königreich Böhmen am weitesten verbreiteten Glaubensrichtungen zu erwirken. Dies schloss neben Katholiken und Utraquisten nun auch Lutheraner, Böhmische Brüder sowie Calvinisten ein und führte auf diesem Weg über konstituiertes Recht zu neuer Toleranz. Toleranz im Sinne von Ertragen ließ sich in Böhmen bereits vor der Verschriftlichung bzw. Verrechtlichung der reformierten Forderungen beobachten. Ausdruck dessen waren u. a. die Duldung der hussitisch geprägten Laienprediger, Predigten in der Landessprache, ins Tschechische übersetztes Liedgut u. v. m. Dieser Beitrag hat sich der Frage angenommen, ob die in der Confessio Bohemica und die später im Majestätsbrief manifestierten Zugeständnisse eine neue Qualität der Toleranz erkennen lassen, ob sie aus freiwilliger Duldung resultierten oder nur mittels einer schriftlich niedergelegten Rechtsordnung ermöglicht werden konnten. Es wurde gezeigt, dass diese neue Qualität der Toleranz ohne eine Rechtsetzung nicht zu erreichen gewesen wäre. Abschließend ist zu erläutern, inwieweit dem Zeitraum zwischen der Abfassung der Confessio Augustana und der Confessio Bohemica eine Bedeutung zuzumessen ist. Auswahl, Gewichtung und Reihenfolge der Artikel allerdings lediglich
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Vorrede an Kaiser Maximilian II. wurde von 17 Adeligen des Herrenstandes und von 142 Adeligen des Ritterstandes unterzeichnet. eCkert, Alfred: Confessio Bohemica 1575. In: Ostmitteleuropas Bekenntnisschriften der evangelischen Kirchen A. und H. B. des Reformationszeitalters III/1, 1564–1576. Hg. v. Peter F. BartoN und László makkai. Budapest 1987, 309–360, hier 339 f.; ebenfalls dazu: molNár, Der Hussitismus als christliche Reformbewegung (wie Anm. 9), 103. Bei Toleranz im Sinne von geduldigem Entgegenkommen, Arrangement handelt es sich um ein der Gegenwart zuzuordnendes Wortverständnis. Im hier diskutierten Zeitraum müssen das zugrunde liegende Substantiv toleratio sowie das dazugehörige Verb tolerare mit Duldung, Ertragen bzw. erdulden, ertragen übersetzt werden, was die in Glaubensfragen allgemein herrschende Stimmung besser verdeutlicht. Zum Toleranzbegriff vgl. auch Walzer, Michael: Über Toleranz. Von der Zivilisierung der Differenz. Berlin 1998. – forst, Rainer: Toleranz im Konflikt: Geschichte. Gehalt und Gegenwart eines umstrittenen Begriffs. Frankfurt am MainNew York 2003. – Besier, Gerhard/sCHreiNer, Klaus: Toleranz. In: Geschichtliche Grundbegriffe: Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. 8 Bde. Hg. v. Otto BruNNer, Werner CoNze und Reinhart koselleCk. Stuttgart 1972–1997, hier Bd. 6, 445–605.
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Ines Rößler
auf einen zeitlichen Abstand zurückzuführen, erscheint eine gar zu banale Erklärung, zumal gerade ein schlichtes Übertragen des Wortlautes der Confessio Augustana die wohl bequemere Lösung gewesen wäre. Andererseits sind eine zeitbedingt veränderte Gewichtung der Artikel wie auch eine zufällige „Umverteilung“ wenn auch unwahrscheinlich, so doch nicht völlig auszuschließen. Künftige Untersuchungen mögen zur Klärung dieser Frage überdies andere, etwa zeitgleich entstandene Bekenntnisschriften, wie beispielsweise die Confessio Scotica (1560),25 die Confessio Helvetica Posterior (1566)26 sowie die Confessio Sendomiriensis (1570),27 in den Vergleich einbeziehen, um vor allem auch der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es sich hier um keine rein religionspolitische bzw. abstrakt ideologisch-religiöse und erst recht um keine regional begrenzte Entwicklung handelte. Sowohl wirtschaftliche, politische als auch soziale Ursachen würden in einem europäischen Kontext stärkere Beachtung finden müssen.
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Reformierte Bekenntnisschriften. Eine Auswahl von den Anfängen bis zur Gegenwart. Hg. v. Georg Plasger und Matthias freudeNBerg. Göttingen 2005, 124–150. Die mit 30 Artikeln umfangreichste reformatorische Bekenntnisschrift Confessio Helvetica Posterior entstand bereits in den Jahren 1561–1564, wurde aber erst 1566 als lateinischer Text mit dem Titel Confessio et expositio simplex orthodoxae fidei et dogmatum Catholicorum syncerae religionis Christianae gedruckt und Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz übergeben: Reformierte Bekenntnisschriften (wie Anm. 25), 187–220. – BöHl, Eduard: Confessio Helvetica posterior olim ab Henrico Bullingero conscripta, nunc denuo ad fidem editionis principis Anni Domini MDLXVI […] continet et praefationem adjecit Eduardus Böhl. Wien 1866. Basierend auf der 1569 ins Polnische übersetzten Confessio Helvetica Posterior wurde die Confessio Sendomiriensis (auch: Konfesja sandomierska) der 1570 in Sandomierz tagenden Synode vorgelegt, konnte sich aber u. a. wegen Streitigkeiten zwischen Lutheranern und Böhmischen Brüdern in Grundsatzfragen der Bekenntnisauslegung letztendlich nicht durchsetzen: BrüNiNg, Alfons: Unio non est unitas: Polen-Litauens Weg im konfessionellen Zeitalter (1569– 1648). Wiesbaden 2008, 172 f.
1609 und die europäische Politik
Tomáš Černušák
Die päpstliche Politik in Mitteleuropa vor und nach dem Majestätsbrief – Wandel oder Kontinuität? Die päpstliche Nuntiatur spielte besonders seit der Übersiedlung des Kaiserhofes nach Prag im Jahr 1583 eine bedeutende Rolle im Rekatholisierungsprozess der böhmischen Länder.1 Bereits unter dem damaligen Nuntius Francesco Bonomi wurde ein wichtiges Rekatholisierungsprogramm ausgearbeitet, das sich in den Aktivitäten seiner Nachfolger an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert deutlich widerspiegelte.2 Während der Nuntius Cesare Speciano nur einen geringen Teil seiner Pläne umsetzen konnte,3 beeinflusste Filippo Spinelli, der dieses Amt in den Jahren 1598–1604 innehatte, mit Hilfe eingefädelter Intrigen den umfangreichen Personalaustausch in den oberen Landesämtern zugunsten der radikalen böhmischen Katholiken; außerdem erreichte er ein energischeres Vorgehen gegen die Brüderunität.4 Sein Nachfolger Giovanni Ferreri setzte 1605 die Einberufung ei1
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Zur Bedeutung der Prager Nuntiatur s. köHler, Jochen: Der Beitrag der Prager Nuntiatur zur Festigung des Katholizismus in Ostmitteleuropa. In: Historisches Jahrbuch 93 (1973), 336– 346. – koller, Alexander: Die böhmischen Länder im Spiegel der Berichte der Nuntien und kurialen Instruktionen. In: Společnost v zemích habsburské monarchie a její obraz v pramenech (1526–1740). Hg. v. Václav Bůžek und Pavel král. České Budějovice 2006 (Opera historica 11), 175–191. Die neueste knappe Bewertung der Prager Nuntiatur und ihrer Bedeutung findet sich bei CatalaNo, Alessandro: Zápas o svědomí. Kardinál Arnošt Vojtěch z Harrachu (1598–1667) a protireformace v Čechách [Der Gewissenskonflikt. Kardinal Ernst Adalbert von Harrach (1598–1667) und die Gegenreformation in Böhmen]. Praha 2008, 62–63. stloukal, Karel: Počátky nunciatury v Praze. Bonhomini v Čechách v letech 1581–1584 [Die Anfänge der Nuntiatur in Prag. Bonhomini in Böhmen 1581–1584]. In: Český časopis historický 34 (1928), 1–24, 237–279. Zur Nuntiatur von Cesare Speciano s. PazderoVá, Alena: Instrukce pražského nuncia Caetaniho pro jeho nástupce Speciana [Die Instruktion des Prager Nuntius Caetani für seinen Nachfolger Speciano]. In: Facta probant homines. Sborník příspěvků k životnímu jubileu prof. dr. Zdeňky Hledíkové. Hg. v. Ivan hlaváČek und Jan HrdiNa. Praha 1998, 351–361. – PazderoVá, Alena: La Boemia multiconfessionale e la nunziatura di Cesare Speciano a Praga. In: Kaiserhof – Papsthof (16. – 18. Jahrhundert). Hg. v. Richard Bösel, Grete kliNgeNsteiN und Alexander koller. Wien 2006, 25–32. – matouŠek, Josef: Kurie a boj o konsistoř pod obojí za adminis trátora Rezka [Die Kurie und der Kampf um das utraquistische Konsistorium unter dem Administrator Rezek]. In: Český časopis historický 37 (1931), 16–41, 252–292. Zu Spinellis Nuntiatur s. stloukal, Karel: Papežská politika a císařský dvůr pražký na předělu XVI. a XVII. věku [Die päpstliche Politik und der Prager Kaiserhof an der Wende vom XVI. zum XVII. Jahrhundert]. Praha 1925, 103–210. – BoroviČka, Josef: Pád Želinského. Obsazení zemských úřadů v Čechách v letech 1597–1599 [Želinskýs Sturz. Die Besetzung der Landesämter in Böhmen 1597–1599]. In: Český časopis historický 28 (1922), 277–304. Zum Mandat gegen die Brüderunität s. glüCkliCH, Julius: Mandát proti Bratřím z 2. září 1602 a jeho provádění v letech 1602–1604 [Das Mandat gegen die Brüder vom 2. September 1602 und seine Durchführung in den Jahren 1602–1604]. Praha 1904.
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ner kirchlichen Synode durch, in deren Verlauf der Klerus der Prager Diözese die Dekrete des Konzils von Trient annahm.5 Ihre Bedeutung behielt die Prager Nuntiatur auch unter dem päpstlichen Nuntius Antonio Caetani,6 dessen diplomatische Tätigkeit in Prag in die Zeit zwischen Mai 1607 und Januar 1611 fiel. Die neuesten Forschungen deuten an, dass die päpstliche Politik am Beginn des Pontifikats von Papst Paul V. (1605–1621)7 in Mitteleuropa – im Unterschied zu früheren Zeiten – eher zu einer defensiven Taktik überging.8 Eine interessante Informationsquelle für die Ereignisse in Mitteleuropa sind die von Caetani nach Rom gesandten Berichte aus dem Jahr 1609, die derzeit für eine Edition bearbeitet werden. Wichtig sind zudem die Weisungen, die Caetani damals von dem Kardinalnepoten Scipione Borghese aus Rom erhielt, der die Außenpolitik des Heiligen Stuhls leitete. Diese Quellen werfen die Frage auf, ob und auf welche Weise sich die päpstliche Politik im Hinblick auf den rudolfinischen Majestätsbrief veränderte. Bei der Untersuchung der Korrespondenz aus der Zeit vor dem Majestätsbrief, das heißt aus der ersten Hälfte des Jahres 1609, stellt man fest, dass Nuntius Caetani zunächst mit Skepsis, aber doch nicht gänzlich hoffnungslos auf die Verhandlungen des böhmischen Landtags und die religiösen Forderungen der böhmischen Stände blickte. Wenn es gelänge, die Uneinigkeit unter den Nichtkatholiken zu schüren, die politische Macht in Prag zu bewahren sowie die Ansichten des Kaisers zu stützen, seien die Aussichten für die katholische Partei nicht schlecht.9 Als päpstlicher 5
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Zu Ferreris Wirken in Böhmen s. NoVák, Jan Bedřich: Über die Bedeutung der Nuntiaturberichte für „Die böhmischen Landtagsverhandlungen“. In: Mitteilungen aus dem Landesarchive des Königreiches Böhmen 1 (1906), 75–116, bes. 78–85. Zur Synode von 1605 s. VaCek, František: Diecézní synoda pražská z r. 1605 [Die Prager Diözesansynode von 1605]. In: Sborník historického kroužku 5 (1896), 25–45. Zur Persönlichkeit des Nuntius Antonio Caetani s. Le istruzioni generali di Paolo V. ai diplomatici pontifici 1605–1621. Hg. v. Silvano giordaNo. Tübingen 2003, 162–164. – Epistulae et acta Antonii Caetani 1607–1611. Bd. 1. Hg. v. Milena liNHartoVá. Praha 1932, I–XVI. – Dizionario Biografico degli Italiani. Bd. 16. Roma 1973, 120–125. Zur Außenpolitik des Heiligen Stuhls unter Paul V. neuerdings: Die Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V. Borghese (1605–1621). Hg. v. Alexander koller. Tübingen 2008. Von Bedeutung ist immer noch Pastor, Ludwig: Geschichte der Päpste im Zeitalter der katholischen Restauration und des Dreißigjährigen Krieges. Bd. 12: Leo XI. und Paul V. (1605–1621). Freiburg i. B. 1927. S. dazu ČernuŠák, Tomáš: Nuncius Caetani a jeho obrana katolických zájmů v době před vydáním Majestátu Rudolfa II. (1608–1609) [Nuntius Caetani und seine Verteidigung der katholischen Interessen in der Zeit vor dem Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs (1608–1609)]. In: Časopis Matice moravské 128 (2009), 35–46. – ders.: La riconciliazione tra gli Asburgo – parte del programma della diplomazia papale nell’anno 1608. In: Roma – Praga/Praha – Řím. Omaggio a Zdeňka Hledíková. Hg. v. Kateřina BoBkoVá-ValeNtoVá u. a. Praga 2009 (Bollettino dell’Istituto Storico Ceco di Roma, supplemento 2008), 339–344. – ders.: Pražská nuncia tura a počátky Katolické ligy [Die Prager Nuntiatur und die Anfänge der Katholischen Liga]. In: Český časopis historický 108 (2010), 114–126. – ders.: Papežská politika v českých zemích za nunciatury Antonia Caetaniho (1607–1609) [Die päpstliche Politik in den böhmischen Ländern während der Nuntiatur des Antonio Caetani (1607–1609)]. In: Folia historica bohemica 25/1 (2010), 7–22. Archivio Segreto Vaticano [im Folgenden: ASV], Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 40r–41r:
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Diplomat wusste er jedoch, dass die Möglichkeiten, seinen Einfluss auf dem Feld der Landespolitik stärker geltend zu machen, äußerst begrenzt waren. Deshalb gab er eher indirekten Aktivitäten den Vorzug: Er ermutigte die katholischen Herren, unter den Nichtkatholiken Unfrieden zu säen und rief die Minister auf, den Kaiser in seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Forderungen der Nichtkatholiken zu bestärken.10 Außerdem bemühte er sich, den Herrscher direkt zu beeinflussen: Zwar erhielt er keine Privataudienz, aber er arbeitete zu jeder Forderung der Nichtkatholiken ein eigenes schriftliches Memorandum aus, das er mit Hilfe seiner Verbündeten bei Hof – besonders des Geheimen Rats Johann Barvitius – dem Kaiser zuzustellen versuchte.11 Caetanis Haltung blieb bis zum Erlass des Majestätsbriefs unverändert: auf keinen Fall den Forderungen der Stände nachgeben und alle Kompromissvorschläge ablehnen. Diesen Ton schlugen auch die ständig wiederholten Instruktionen aus Rom an.12 Der Grund für die radikale Haltung dürfte in der Tatsache zu sehen sein, dass für den Heiligen Stuhl jede Beteiligung von Katholiken an Vereinbarungen mit Protestanten inakzeptabel war.13 Im August 1609 drückte Kardinal Borghese dies recht treffend mit den Worten aus, dass „nichts etwas entschuldigen kann, das die katholische Religion einschränkt und beschädigt“.14 Aus diesem Grund äußerte Caetani mehrfach seine Unzufriedenheit über einige Katholiken, vor allem über den Oberstburggrafen Adam von Sternberg. Ihn störte deren geringer Eifer im katholischen Glauben und die übertriebene Bereitschaft zu Verhandlungen mit den Nichtkatholiken.15 In der ersten Hälfte des Jahres 1609 wuchs Caetanis Skepsis. Es gab zwar Augenblicke, in denen sich die Situation für die katholische Partei besser zu
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„Primieramente si procura, quanto più si può, la disunione de gl’Ussiti con gl’altri e questa non riesce difficile, pur che gli Ussiti havessero più fermo capo. Tra Luterani e Piccardi v’è anco qualche discordia, la qual si cerca di accrescere.“ Ähnlich auch ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 57r–58v. ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 68r–73v: „Io per mia parte non posso far più ch’essortar questi signori Cattolici a pugnar valentemente e che vogliano ricordar a i Luterani, che in loco d’introdurre la dottrina di Lutero introdurrano quella di Calvino ogni volta, che si allarghi più la religione in questi paesi, propositione quando fosse ben capita da loro più che vera, e del resto pregar i ministri di Sua Maestà a tenerla svegliata e salda in quello che conviene, il che lo faccio quanto posso, [...].“ Beispielsweise ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 96r–99v, 147r–150r, 161r–164r, 189r– 192r. Beispielsweise ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 437r, 438v. S. dazu auch koller, Alexander: Prudenza, zelo e talento. Zu Aufgaben und Profil eines nachtridentinischen Nuntius. In: Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Hg. v. Rudolf leeB, Susanne Claudine Pils und Thomas WiNkelBauer. Wien-München 2007, 45–59, bes. 57 f. ASV, Segr. Stato, Germania 23, fol. 9r–10r: „[...] veramente niuna scusa può difendere quello, che si fa con diminutione et danno della religione cattolica [...].“ ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 139r–140r: „Io non mi affligo tanto degli heretici, quanto della poca fermezza de i nostri Cattolici, tra quali il Burgravio ch’è capo tituba et hora tratta di voler fare un impiastro d’un interim, hor vorrebbe, che Sua Maestà concedesse qualche cosa oretenus, in somma vacilla, e non sta saldo allegando, che gli heretici siano delle case di Baroni 150 e de’ Nobili 400 e di i nostri i Baroni soli 19 et i Nobili solo 30, et essagera anco il pericolo dell’union di costoro con gli Austriaci et il poco modo di difesa, che ha l’Imperatore
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entwickeln schien, z. B. während der Unterbrechung des Landtags,16 jedoch zeigen seine Berichte deutlich, dass er sich der beschränkten Möglichkeiten des im Prinzip wehrlosen Kaisers hinreichend bewusst war.17 Der Verlauf der Geschehnisse sollte seine Befürchtungen bestätigen, und am 29. Juni 1609 informierte Caetani Rom über die Entscheidung Rudolfs II., den religiösen Forderungen der Nichtkatholiken nachzugeben.18 Will man die Zeit vor und nach dem Erlass des Majestätsbriefs beurteilen, so sei festgehalten, dass die wesentlichen Leitlinien der päpstlichen Politik auch nach dem Erlass des Majestätsbriefs unverändert blieben: Der katholische Einfluss musste erhalten werden, was übrigens schon in der für Caetani erlassenen Generalinstruktion anlässlich seines Amtsantritts im Jahr 1607 formuliert worden war.19 Ein weiteres wichtiges Merkmal war die Reflexion der Ereignisse in Böhmen, die – sofern es sich um das Streben nach Religionsfreiheit handelte – nicht unabhängig, sondern immer im Rahmen des konfessionellen Ringens in ganz Mitteleuropa wahrgenommen wurden: in Österreich, Schlesien und vor allem im Heiligen Römischen Reich. Dieses kontextualisierte Verständnis des Geschehens in Mitteleuropa zeigt sich bereits in den Berichten vom Herbst 1608, als Caetani die beunruhigenden Nachrichten über die Aktivitäten der unzufriedenen österreichischen Stände kommentierte. Die Situation in Böhmen, in Schlesien und im Alten Reich hing seiner Ansicht nach unmittelbar davon ab, wie die Ereignisse in Österreich ausgingen – so formulierte er es in einem Bericht vom 15. September.20 Das Vorgehen der böhmischen Stände in der ersten Hälfte des Jahres 1609 stellte Caetani zufolge eine Gefahr für die Länder der deutschen katholischen Fürsten, und darunter besonders für die geistlichen Herrscher, dar. Es könnte nämlich als Vorbild für die dortigen Protestanten dienen, ebenfalls religiöse Freiheiten zu erzwingen.21 Noch deutlicher zeigt sich die Wahrnehmung der Ereignisse in Böhmen im Rahmen der
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circondato da malinconia e da tante altre miserie.“ S. ähnlich auch ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 147r–150r; serie II, 169, fol. 60r–63r. ASV, Fondo Borghese, serie II, 169, fol. 11r–14r, Bericht vom 4. Mai: „Par finalmente che queste cose di Boemia comincino a pigliar miglior piega, di che non se ne può veramente recar la causa ad altro che alla misericordia di Dio benedetto.“ ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 161r–164r, 209r–212v. ASV, Fondo Borghese, serie II, 169, fol. 141r–145v. Le istruzioni (wie Anm. 6), 438–458. ASV, Fondo Borghese, serie II, 148, fol. 37r–37v: „Del resto non entro intorno alla dieta a farne giuditio nessuno, perché non dipenderà l’esito di essa da i motivi di questo regno solo. Le perturbationi dell’Austria, secondo che saranno cresciute o cessate, si faranno sentire anco qua, ma se la Slesia con quella ostination, che si teme, verrà anch’essa di fianco a percuoterci, et farà le medesime dimande e protestarà altrimenti levar l’obedienza, non veggo, come con tante nostre debolezze saremo potenti a difenderci. Dio benedetto nondimeno può dar rimedio al tutto.“ S. ähnlich ASV, Fondo Borghese, serie II, 148, fol. 134r–135r, 152r–153r, Berichte vom 3. und 10. November 1608. ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 68r–73v: „[...] la materia è degna da essere riferita a Vostra Signoria Illustrissima con i suoi particolari, non solo per esser per stessa grave, ma anco per le conseguenze pericolisissime che ne possono nascere, poiché se i sudditi dall’Imperatore istesso estorqueno la libertà della conscienza ne i suoi stati medemi, che farrano gli altri heretici per l’Imperio verso i Principi cattolici e massime gli ecclesiastici?“
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mitteleuropäischen Zusammenhänge in einem Chiffren-Bericht vom 29. Juni 1609, in dem der Nuntius seine Ansichten zu den möglichen Folgen des Majestätsbriefs zusammenfasste. Er fürchtete zwei große Gefahren: Zum einen könnte es nach dem Tod Rudolfs II. Bemühungen geben, den Habsburgern die Herrschaft über die böhmischen Länder zu entreißen und einen Protestanten zum böhmischen König zu wählen, womit für die Katholiken eine Kurfürstenstimme verloren ginge. Die zweite Gefahr sah er in der Möglichkeit, dass der Kaiser wie ein Gefangener gehalten und zur Unterzeichnung eines Dokuments zugunsten der protestantischen Kurfürsten gezwungen werden könnte.22 Eine ähnliche Einordnung der böhmischen Problematik zeigte sich auch in den die Katholische Liga betreffenden Briefen. Als Caetani am 29. Juni Rom über die Entscheidung des Kaisers informierte, den böhmischen Nichtkatholiken nachzugeben, reagierte der Heilige Stuhl am 18. Juli 1609 mit einem chiffrierten Sonderschreiben. Darin wurde konstatiert, dass die einzige Abhilfe in der Formierung einer Katholischen Liga zu sehen sei,23 die dann auch tatsächlich noch im selben Monat in München gegründet wurde.24 Dabei hatte sich die päpstliche Diplomatie ursprünglich gegenüber dieser Initiative des bayrischen Herzogs Maximilian sehr reserviert bis ablehnend verhalten. Der Grund hierfür dürfte wahrscheinlich in einer vorsichtigen und abwartenden Taktik zu sehen sein: Der Heilige Stuhl wollte durch eine Unterstützung der Liga offensichtlich keinen Anlass für ein weiteres Anwachsen der Spannungen im Alten Reich liefern. Erst als im April 1609 der pfälzische Kurfürst Friedrich IV. einige Besitzungen des Speyrer Bischofs besetzte, kam es zu einem Stimmungswandel. Caetani initiierte im Mai und Juni eine eigenständige Unterstützung für die Liga, und er gehörte zu den Personen, die eine Reise des Kapuzinerpredigers Laurentius von Brindisi nach Spanien anregten, wo dieser den spanischen König Philipp III. für den Gedanken der Liga gewinnen sollte. Im Oktober 1609 hatte er damit Erfolg.25 Zwei Monate später führte Caetani mit dem Speyrer Koadjutor Philipp Christoph von Sötern, der die geistlichen Kurfürsten vertrat, wichtige Gespräche über die neuen, größeren 22
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ASV, Fondo Borghese, serie II, 157, fol. 262r–263r: „Con la rebellione di questo regno si cor reno due manifesti pericoli; l’uno che non si camini a fine d’escludere in perpetuo la Casa d’Austria da questi stati et mandarvi dopo la morte di Sua Maestà Cesarea un re heretico, il che più manifestamente apparirebbe se fosse chiamato per Generale il Conte d’Analt, o quel di Nassau, donde, oltre la perdita di questo regno, si perderebbe anco un voto elettorale et per conseguenza l’Imperio; il secondo che detenendosi Sua Maestà come prigione, potrebbono questi heretici ad instanza dei tre Elettori protestanti farli sottoscrivere per forza qualche foglio in favor di qualche soggetto heretico, che approvato poi da loro si complirebbe il numero di quattro voti, né basterebbono li tre Ecclesiastici ad impedirlo.“ ASV, Fondo Borghese, serie III, 110–111, sine fol.: „Rimedio delle rovine è la lega cattolica tra secolari et ecclesiastici Cattolici, ma la secretezza è l’unico mezo e però è necessario concluderla prima che venga alla notitia d’heretici.“ Zu den Anfängen der Katholischen Liga s. beispielsweise litzeNBurger, Andrea: Kurfürst Johann Schweikard von Kronberg als Erzkanzler. Mainzer Reichspolitik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges (1604–1619). Stuttgart 1985, 219–236. – alBreCHt, Dieter: Maximilian I. von Bayern 1573–1651. München 1998, 391–418. – Neuer-laNdfried, Franziska: Die Katholische Liga. Gründung, Neugründung und Organisation eines Sonderbundes 1608–1620. Kallmünz 1968, 12–96. Genauer dazu ČernuŠák, Pražská nunciatura (wie Anm. 8).
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Möglichkeiten der Katholischen Liga. In Reaktion auf das Entgegenkommen des spanischen Königs fiel hier der Vorschlag, die Liga auch zu nutzen, um die Stellung der österreichischen Habsburger zu stärken – z. B. für den Fall, dass die böhmischen Stände nach Rudolfs Tod einen Protestanten zum König wählen sollten.26 Man kann allerdings nicht behaupten, dass die päpstliche Politik nach dem Erlass des Majestätsbriefs gänzlich unverändert blieb. Eine deutliche und meiner Ansicht nach grundsätzliche Wende zeigt sich in den Weisungen, die in der zweiten Hälfte des Jahres 1609 aus Rom gesandt wurden. In ihnen wird vor allem ein Wandel im Verhältnis zu Kaiser Rudolf II. deutlich. Der Heilige Stuhl war zwar schon früher bis zu einem gewissen Maß kritisch gegenüber dem Kaiser eingestellt gewesen. Dabei ging es nicht nur um die langfristig ungelöste Frage der Nachfolge im Alten Reich, die auch 1609 immer wieder in der Nuntiaturkorrespondenz auftauchte.27 Die päpstliche Diplomatie störte an Rudolf außerdem dessen häufige Unent schlossenheit,28 seine Weigerung, sich mit seinem Bruder Matthias zu versöhnen sowie die damit verbundenen Absichten, die 1608 verlorenen Länder, insbesondere Mähren, wiederzugewinnen.29 Solange der Kaiser jedoch den Forderungen der böhmischen nichtkatholischen Stände widerstand, wurde er aus Rom gelobt, indem man seine Umsicht (prudenza) und seinen Eifer (zelo) für den katholischen Glauben betonte.30 Nach dem Erlass des Majestätsbriefs hörte man aus Rom allerdings keine derartigen Elogen mehr. Eine Veränderung in der Beurteilung des Kaisers lässt sich in der Nuntiaturkorrespondenz bereits Anfang Juli 1609 beobachten. Damals sandte Rudolf II. seine Geheimen Räte Leopold Stralendorf und Hermann Attems zum Nuntius, damit sie sich in seinem Namen beim Papst für den Erlass des Majestätsbriefs entschuldigten. Caetani antwortete ihnen bei dem Treffen recht scharf, dass dem Kaiser und allen, die sich am Erlass des Majestätsbriefs beteiligt hatten, die Exkommunizierung drohe.31 Auch in Rom fand man für das Handeln des Kaisers keine Entschuldigung. Dem Heiligen Stuhl zufolge war Rudolf II. seinem 26
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ASV, Fondo Borghese, serie I, 540–542, fol. 47r–48r: „Similmente non vedo ripugnanza al dar ogni honesta satisfattione al Re Cattolico in stringere i collegati ad una obligatione reciproca nelle cose giuste et honeste in servitio della Casa d’Austria et che spettano alla conservatione della religione in Alemagna, come sarebbe a dire in dar appoggio a Ferdinando caso che fosse travagliato per causa di religione, et Matthias, morto l’Imperatore quando i Boemi eleggessero un re heretico.“ Beispielsweise ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 14r–15r, Bericht vom 5. Januar; ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 430r–430v, Weisung vom 7. Februar; ASV, Fondo Borghese, serie II, 160, fol. 198r–199r, Bericht vom 30. März. Zum Beispiel ASV, Fondo Borghese, serie II, 148, fol. 37r–37v. Zu dieser Frage: ČernuŠák, Tomáš: Die Papstpolitik und die Entwicklung des Bruderzwistes in der Korrespondenz des Nuntius Antonio Caetani (September 1608 – Juni 1609). In: Bruderzwist im Hause Habsburg. Hg. v. Václav Bůžek u. a. České Budějovice 2009 (Opera historica 14), 211–224. ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 432v–433r: „Da le attioni di Cesare non si può congetturar, che pronta et pia voluntà di conservare et accrescere la santa religione in coteste parti et le diligenze fatte per disunir gl’heretici mostrano la molta prudenza di Sua Maestà.“ Ähnlich auch ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 445v–446r, 448r. Národní archiv Praha (Nationalarchiv Prag), Sbírka opisů – cizí archivy (Abschriftensammlung – ausländische Archive), Simancas, Kart. 1, Baltasar de Zúñiga an den König (Praga,
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Schwur untreu geworden, bis zum Vergießen des eigenen Blutes für den katholischen Glauben zu kämpfen.32 In den nächsten Monaten wurde der Kaiser in den Weisungen aus Rom wiederholt als sehr schwacher Herrscher ohne Autorität bezeichnet, so beispielsweise in jener vom 8. August33 bzw. vom 3. Oktober, in der stand, dass „er in allen Dingen langsam und unentschieden ist, mit Ausnahme der Erteilung von Privilegien zur Unterstützung der Häretiker“.34 Ähnliches findet sich auch in der Weisung vom 7. November.35 Neue Brisanz erhielt jetzt zudem die Frage nach Rudolfs Nachfolger im Heiligen Römischen Reich. In einem Bericht vom 6. Juli übermittelte Caetani die Ansicht des spanischen Gesandten Baltasar Zuñiga, es sei unerlässlich, jetzt einen römischen König zu wählen.36 In einem chiffrierten Begleitbrief vom selben Tag informierte er dann sogar über einen Vorschlag, der Zuñiga sehr gefallen habe: Falls Rudolf II. sich in dieser Frage unwillig zeige, solle man ihn durch die Androhung der Exkommunizierung wegen des Majestätsbriefs unter Druck setzen.37 In Rom wurde Caetanis Idee jedoch als zu riskant abgelehnt.38 Die Lösung des Problems blieb in den folgenden Monaten aus, und noch Anfang November 1609 musste der Heilige Stuhl unzufrieden konstatieren, dass hinsichtlich der Wahl des römischen Königs weiterhin Stille herrsche.39 Vor dem Hintergrund der Nuntiaturkorrespondenz aus der zweiten Hälfte des Jahres 1609 wirkt es so, als sei der Majestätsbrief von der päpstlichen Diplomatie nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem es zur Formierung der Katholischen Liga und einer Verschiebung der Machtverhältnisse kam, als eine Katastrophe bewertet worden. Letztlich war also Kaiser Rudolf II. der Einzige, der im Licht dieser Korrespondenz als Besiegter erschien.
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18.07.1609). Für diese Information bin ich Mgr. Pavel Marek, PhD. zu Dank verpflichtet. Ähnlich auch ASV, Segr. Stato, Germania 23, fol. 11v–12r. ASV, Segr. Stato, Germania 23, fol. 9r–10r: „[...] veramente nissuna scusa può difendere quello, che si fa con diminutione et danno della religione cattolica, per la quale Sua Maestà dovrebbe pugnare conforme al debito et al giuramento, che ne tiene sino all’effusione del proprio sangue, [...].“ ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 12r–13r. ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 51r–52r: „L’Imperatore in ogni altra cosa è lento et inresoluto, fuorché a privilegi et concessioni a favor d’heretici et come, che si veda il castigo, che gli ne segue per la gran perdita d’auttorità et di reputatione et di evidente pericolo di perdere il tutto.“ ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 81v–82v. ASV, Fondo Borghese, serie II, 169, fol. 153r–154v. ASV, Fondo Borghese, serie II, 157, fol. 260r–260v: „[...] io ho proposta, e all’Ambasciatore piace, che per mia parte mi potria incuter timore all’Imperatore di dichiararlo scommunicato per la concessione fatta a i Boemi ogni volta, che la Maestà Sua non dia a Sua Santità questo gusto di risolversi circa l’elettione.“ ASV, Segr. Stato, Germania 16, fol. 480r–480v. ASV, Fondo Borghese, serie I, 953, fol. 86r–87r.
Jaroslava Hausenblasová
Die diplomatischen Aktivitäten des sächsischen Kurfürsten Christians II. in Prag 1609 In der Geschichte der sächsischen Außenpolitik verkörpern die Ereignisse rund um den Erlass des Majestätsbriefs nur eine Etappe in der Entwicklung der Beziehungen zwischen dem sächsischen Kurfürsten und den benachbarten böhmischen Ländern bzw. dem Kaiser. Die Kontakte der Wettiner und der Habsburger, die im Verlauf des 16. Jahrhunderts an Intensität gewannen, lassen sich besonders seit Mitte des 16. Jahrhunderts knapp als beidseitig verstandenes Bedürfnis nach gegenseitiger Hilfe charakterisieren. Die beiden regierenden Dynastien verband – obwohl sie auf entgegengesetzten Seiten des konfessionell gespalteten Europa standen – eine gewisse pragmatische Kalkulation. Die habsburgischen Herrscher brauchten als Verteidiger der katholischen Religion für ihre Reichspolitik einen starken Verbündeten im protestantischen Lager; es war gerade die Allianz zwischen dem sächsischen Kurfürsten und Kaiser Karl V. gewesen, die 1555 einen religiösen Konsens in Form des Augsburger Religionsfriedens ermöglicht hatte. Die sächsischen Kurfürsten, die als Haupt der protestantischen Partei im Reich galten, nutzten auf ähnliche Weise die Autorität des Kaisers bei der Durchsetzung ihrer Machtinteressen und der Geltendmachung potentieller Gebietsansprüche aus. Erschwerend wirkten sich auf diese nur scheinbar einfache, für beide Seiten vorteilhafte Beziehung die politischen Entwicklungen in der dem Kaiser als Machtbasis dienenden Habsburgermonarchie sowie im Reich und in Sachsen aus. Die politische Atmosphäre wurde gerade in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts stark durch den sich immer mehr vertiefenden Konfessionalisierungsprozess beeinflusst, der praktisch den gesamten Bereich des öffentlichen Lebens erfasste; die daraus hervorgehenden ideologischen Richtungen lieferten genügend Instrumente für die Durchsetzung der ehrgeizigen Pläne aller Parteien, die sich auf das entscheidende Kräftemessen vorbereiteten.1 Von allen Ländern des Habsburgerreiches, in dem die Entwicklung immer stärker auf eine Konfrontation zwischen den protestantischen Ständen und dem katholischen Herrscher zusteuerte, schien für Sachsen in erster Linie die Situation im Königreich Böhmen wichtig zu sein, da beide nicht nur durch eine geographische Grenze, sondern auch durch bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts zurückreichende Erbeinigungen2 und nicht zuletzt durch eine verflochtene Wirtschafts, Politik 1
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S. zum Verhältnis der sächsischen Kurfürsten zum Kaiser im 16. und 17. Jahrhundert gottHard, Axel: „Politice seint wir bäpstisch“. Kursachsen und der deutsche Protestantismus im frühen 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1993), 276–319. – ott, Thomas: Präzedenz und Nachbarschaft. Das Albertinische Sachsen und seine Zuordnung zu Kaiser und Reich im 16. Jahrhundert. Mainz 2008 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz; Abteilung für abendländische Religionsgeschichte 217). Zum Abschluss des ersten Vertrags über Erbansprüche im Falle des Aussterbens einer der Herrscherdynastien und über gegenseitige militärische Hilfe zur Abwehr einer Bedrohung kam es
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und Kulturgeschichte miteinander verbunden waren. Einen bedeutenden Faktor, der die nachbarschaftlichen Beziehungen beeinflusste, stellten auch die Stände der beiden Länder dar. Gerade der böhmische protestantische Adel sah im nördlichen Nachbarn einen möglichen Verbündeten in seinem langwierigen politischen Kampf gegen den eigenen Herrscher, um dessen formale Anerkennung des gegenwärtigen religiösen Status quo in Böhmen er sich bemühte. Der sächsische Kurfürst als Verteidiger und Unterstützer der böhmischen nichtkatholischen Stände, mit dessen potentieller Hilfe man argumentieren konnte, wurde damit zu einem Druckmittel gegen den Kaiser und böhmischen König in einer Person.3 In der Geschichte der böhmisch-sächsischen Beziehungen des 16. Jahrhunderts lassen sich einige Beispiele finden, die diese Tatsache bestätigen. So erlebte Kurfürst Johann Friedrich im Jahr 1535 bei der Reise nach Wien durch Prag eine derart begeisterte Begrüßung, dass sie den Unwillen König Ferdinands I. erregte, der die Verbreitung des Luthertums in den böhmischen Ländern einzuschränken bemüht war. Dieser ließ die ganze Angelegenheit von den königlichen Beamten untersuchen und erzwang in den Verhandlungen mit dem Kurfürsten das Versprechen, dass die sächsische Partei in Böhmen keine lutherische Propaganda unterstützen werde. Obwohl der Kurfürst das Versprechen formal einhielt, entwickelten sich mit seiner stillen Zustimmung intensive Kontakte zwischen böhmischen und sächsischen Geistlichen.4 Die Unterstützung durch die sächsischen Theologen zeigte sich u. a. auch nach dem niedergeschlagenen Aufstand gegen Ferdinand I. im Jahr 1547, als
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zwischen dem sächsischen Herzog und dem böhmischen König im Jahr 1348; es folgten zahlreiche erneuerte Verträge. Rudolf II. bestätigte den Vertrag als böhmischer König in den Jahren 1579 und 1587. Einen Überblick über die Erbeinigungen und Hinweise zu Quellen und älterer Literatur liefert JeNŠoVský, Bedřich: Politika kurfiřta saského v Čechách v posledních letech vlády Rudolfa II. [Die Politik des sächsischen Kurfürsten in Böhmen in den letzten Regierungsjahren Rudolfs II.]. Praha 1913 (Rozpravy České akademie císaře Františka Josefa pro vědy, slovesnost a umění I/49), 2 f. Neuerdings befassen sich mit dieser Problematik: tresP, Uwe: Nachbarschaft zwischen Erbeinung und Hegemoniestreben: Die Wettiner und Böhmen 1471–1482. In: Grenzraum und Transfer. Perspektiven der Geschichtswissenschaft in Sachsen und Tschechien. Hg. v. Miloš řezník. Berlin 2007 (Chemnitzer Europastudien 5), 33–67, und ott (wie Anm. 1), bes. 27–29. Zu den politischen Beziehungen zwischen Sachsen und den böhmischen Ländern existiert außer der Studie von JeNŠoVský (wie Anm. 2) eine umfangreiche moderne Literatur: müller, Frank: Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618–1622. Münster 1997 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte e.V. 25). – BlasCHke, Karlheinz: Alte sächsisch-böhmische Nachbarschaft und reichspolitische Begegnung zwischen Moritz von Sachsen und Ferdinand 1546/47. In: Kaiser Ferdinand I. Aspekte eines Herrscherlebens. Hg. v. Martina fuCHs und Alfred koHler. Münster 2003 (Geschichte in der Epoche Karls V. 2), 167– 176. – tresP (wie Anm. 2). – WäNtig, Wulf: Alltag, Religion und Raumwahrnehmung – der böhmisch-sächsische Grenzraum in den Migrationen des 17. Jahrhunderts. In: Grenzraum und Transfer (wie Anm. 2), 69–81. – ott (wie Anm. 1), bes. 437–506. WiNter, Zikmund: Život církevní v Čechách. Kulturněhistorický obraz z XV. a XVI. století [Das kirchliche Leben in Böhmen. Ein kulturhistorisches Bild aus dem 15. und 16. Jahrhundert]. 2 Bde. Praha 1895–1896, hier Bd. 1, 101. – tomek, Wácslaw Wladiwoj: Dějepis města Prahy [Geschichte der Stadt Prag]. Bd. 11. Praha 1897, 154 f. – JanáČek, Josef: České dějiny. Doba předbělohorská 1526–1547 [Geschichte der böhmischen Länder. Die Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg 1526–1547]. Bd. I/2. Praha 1984, 147 f.
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eine Schrift zur Tröstung, Stärkung und Aufmunterung der evangelischen Prediger in Böhmen herausgegeben wurde.5 1575 sind in Prag Gesandte Augusts von Sachsen belegt, deren Anwesenheit sicherlich mit den Verhandlungen zwischen den böhmischen Ständen und Kaiser Maximilian II. über die Confessio Bohemica – das heißt über die Anerkennung der bisher formal nicht erlaubten nichtkatholischen Bekenntnisse in den böhmischen Ländern – zusammenhing. Obwohl unklar ist, auf wessen Initiative ihr Besuch zurückging oder ob sie auf irgendeine Weise in die Verhandlungen eingriffen, handelt es sich vermutlich um einen der ältesten Belege für diplomatische Aktivitäten des sächsischen Kurfürsten in Prag im Hinblick auf die religiösen Konflikte in Böhmen.6 Die böhmisch-sächsischen Kontakte blieben auch unter Rudolf II., der die Außenpolitik seines Vaters Maximilian II. kontinuierlich fortführte, auf allerhöchster Ebene bestehen. Maximilian hatte sogar eine Verschwägerung der beiden Dynastien durch die Heirat seines ältesten Sohnes mit der sächsischen Prinzessin Dorothea, der Tochter Kurfürst Augusts, in Erwägung gezogen.7 Obwohl die Eheschließung letztlich nicht zustande kam, blieben die Beziehungen zu dem nördlichen Nachbarn weiterhin sehr gut, wobei die Intensität der politischen und diplomatischen Kontakte auch die innenpolitische Situation in Sachsen beeinflusste. Die Verbindung zum Kaiser verstärkte oder lockerte sich oft im Kontext einer neuen Kurfürstenwahl. Ein Herrscher, dessen Außenpolitik sich durch die bedingungslose Unterstützung des Habsburgerkaisers auszeichnete, war Kurfürst Christian II. (1583– 1611).8 Noch vor seiner Volljährigkeit, als Herzog Friedrich Wilhelm I. von Sach5
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melaNCHtHoN, Philipp: Eine Trostschrifft der Theologen inn Meißen an die Pfarrherren, welche in Böhemischen unnd Laußnitzern grentzen vmb der reinen Lehr willen des Heiligen Euangelij Christi jetzt verfolget und verjagt werden (Eine Trostschrift der sächsischen Reformatoren an die evangelischen Prediger in Böhmen aus dem Jahre 1555). Leipzig 1900. HreJsa, Ferdinand: Česká konfese, její vznik, podstata a dějiny [Die Confessio Bohemica, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Geschichte]. Praha 1912, 177, Anm. 4. Über eine mögliche Eheschließung wurde 1575 anlässlich des Besuchs von Maximilian II. und Rudolf II. am sächsischen Hof in Dresden verhandelt. S. turBa, Gustav: Venetianische Depeschen vom Kaiserhofe (Dispacci di Germania). Bd. 3. Wien 1895, 562–565, Nr. 212: Vincezo Tron an den Dogen, 1. April 1575. – moritz, Hugo: Die Wahl Rudolfs II. Der Reichstag zu Regensburg (1575) und die Freistellungsbewegung. Marburg 1895, 95. – HreJsa (wie Anm. 6), 139. – VoCelka, Karl: Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II. (1576–1612). Wien 1981 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs 9), 122, 174. – kNöfel, Anne-Simone: Dynastie und Prestige. Die Heiratspolitik der Wettiner. Köln-Weimar-Wien 2009, 99, zufolge wurde 1577 über eine doppelte Verbindung verhandelt, nämlich über eine Heirat zwischen dem künftigen Kurfürsten Christian I. und einer Schwester Rudolfs II. sowie zwischen Dorothea und Erzherzog Matthias. Zur Persönlichkeit des Kurfürsten Christian II. s. flatHe, Heinrich Theodor: Christian II. In: Allgemeine Deutsche Biographie. Bd. 4. Leipzig 1876, 172 f. – sCHille, Christa: Christian II. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 3. Berlin 1956, 231 f. – NiClas, Thomas: Christian I. (1586– 1591) und Christian II. (1591–1611). In: Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Könige (1089–1918). Hg. v. Frank-Lothar kroll. München 22007 [12004], 126–136, hier 133– 136. – Mit der Außenpolitik des sächsischen Kurfürsten beschäftigte sich die quellengestützte ältere Arbeit von zeissler, Gerhard: Kursachsens Politik in den letzten Regierungsjahren
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sen-Weimar und Kurfürst Johann Georg von Brandenburg mit der Regentschaft betraut waren, kam es zu einer Abwendung vom Kryptocalvinismus, den der Vater des Kurfürsten Christian I. als Staatsreligion durchgesetzt hatte, und zu einer Annäherung an das orthodoxe Luthertum.9 Damit entfernte sich Kursachsen jedoch von den Interessen der protestantischen Reichsstände und geriet in das Lager der Gegner des pfälzischen Kurfürsten, der das calvinistische Bekenntnis unterstützte. Die politische Rivalität mit dem pfälzischen Gegner ließ Christian II., den man als schwachen, von den Entscheidungen seines Geheimen Rates abhängigen Herrscher bezeichnen darf, daher häufig eine Allianz mit den Katholiken eingehen10 und brachte ihn 1601, als er im Alter von 18 Jahren die Regierung übernahm, in einen engen Bund mit Rudolf II. Dieses Bündnis, in dem zu Anfang der Kaiser nicht nur in der Rolle des hierarchisch höher stehenden Staatsmannes, sondern zugleich auch als älterer und erfahrener Politiker auftrat, erhielt jedoch bald eine vollkommen andere Dimension. Im Zusammenhang mit der schnell voranschreitenden persönlichen und politischen Krise Rudolfs II. ab 1600 war es jetzt immer häufiger der Kurfürst, von dem Hilfe erwartet wurde und dessen Ratgeber und Diplomaten sich mit den Problemen der rudolfinischen Innen und Außenpolitik auseinandersetzten; sie griffen auch energisch in das Geschehen rund um den Erlass des Majestätsbriefs zur Religionsfreiheit von 1609 ein. Der vorliegende Beitrag möchte die Rolle beleuchten, die diese sächsischen Politiker im Verlauf der Ereignisse spielten, die in die Kapitulation des Kaisers mündeten. Es sollen ihre Motive, in das Geschehen einzugreifen, und Ziele ergründet sowie die Strategien analysiert werden, die diese Personen bei der Gestaltung der diplomatischen Beziehungen anwandten. Obwohl Christian II. als Staatsmann von den Historikern insgesamt negativ beurteilt wird, lassen sich für seine Regierungszeit doch einige positive Momente finden. Zu diesen zählen sicherlich die effektive Staatsverwaltung und der gut funktionierende Hofapparat mit seinen Ratgeberkollegien, auf die sich der Kurfürst stützen konnte.11 Eine wichtige Position unter den Beratern nahm ab 1603 der Geheimrat und Vorsitzende des Appellationsgerichts Caspar von Schönberg ein, der auch hinter dem sächsischen Szenario der dem Erlass des Majestätsbriefs vorangehenden Ereignisse stand.12 Einen nicht geringen Anteil am Geschehen hatten jedoch auch die übrigen Mitglieder des Geheimen Rates: Christoph von Loß d. J., Bernhard von Pöllnitz, Esaias von Brandenstein, Joachim von Loß,13 der Hofrat Johann Georg Gödelmann und schließlich der Doktor der Rechte, Hofrat und ab 1610 Geheimrat Marcus Gerstenberg (1553–1613).
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Christians II. (1608–1611). Weida i. Th. 1910, die jedoch die Rolle dieses Herrschers stark überschätzte. ott (wie Anm. 1), 460–467. gottHard (wie Anm. 1), bes. 286. sCHirmer, Uwe: Kursächsische Staatsfinanzen (1456–1656). Strukturen – Verfassung – Funktionseliten. Stuttgart 2006 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 28), 741. Zur Persönlichkeit Caspar von Schönbergs s. ebd., 735 f. Zu seiner Rolle während der Regierungszeit des Kurfürsten Johann Georg s. müller (wie Anm. 3), bes. 60–63. Zur Zusammensetzung des Geheimen Rates nach 1601 s. sCHirmer (wie Anm. 11), 741 f.
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Im Vorfeld sowie während der Verhandlungen über die Gestaltung des Majestätsbriefs veränderte sich allmählich die Intensität des Engagements der sächsischen Regierung in diesem Konflikt. Obwohl die Kontakte zwischen dem Kaiser und dem sächsischen Kurfürsten bereits seit den neunziger Jahren des 16. Jahrhunderts gepflegt wurden, kam es in den Jahren 1604–1606 zu einer sichtbaren Intensivierung. Diese Zeit darf für den Kaiser als kritisch bezeichnet werden, denn es vertiefte sich nicht nur der Konflikt zwischen ihm und seinem Bruder Erzherzog Matthias, auf dessen Seite sich jetzt weitere Mitglieder des Habsburgergeschlechts stellten, sondern der Kaiser musste zugleich auch etliche andere innen- und außenpolitische Probleme lösen. Unter diesen standen zweifellos die Folgen des langjährigen, seit 1593 andauernden Türkenkriegs an vorderer Stelle, zu denen noch die Unruhen in Ungarn hinzukamen, die sich in den Jahren 1604–1606 zu einem Aufstand unter Führung von Stefan Bocskai auswuchsen. Alle erwähnten Ereignisse wurden bei den Verhandlungen der Gesandten beider Länder thematisiert, die fast ständig zwischen Prag – der Residenz des Kaisers – und Dresden – der Residenz des Kurfürsten und seines Geheimen Rates – hin und her reisten. Aus den überlieferten Quellen geht hervor, dass diese Treffen bis 1606 hauptsächlich vom Kaiser angeregt wurden, der den Kurfürsten für militärische oder finanzielle Unterstützung bei der Kriegsführung gewinnen wollte. Seine Bemühungen stießen beim nördlichen Nachbarn zumeist auf eine positive Resonanz. Von sächsischer Seite erhielt der Kaiser sowohl 1592 und 1601 als auch 1604 und 1606 militärische Hilfe. Aus der Korrespondenz, die von den Verhandlungen überliefert ist, wird deutlich, dass der sächsische Kurfürst seine Hilfe an das Versprechen band, der Kaiser werde die „Augsburger Confessionsverwandten“ weder im Alten Reich noch im Habsburgerreich verfolgen, was Rudolf II. auch ohne zu zögern versprach.14 Im Jahr 1606 mündeten die Streitigkeiten um die Nachfolge in der Habsburgerdynastie in einen offenen Konflikt, den sogenannten Bruderzwist. Dass die sächsische Regierung die Situation als sehr kritisch einschätzte, bezeugt schon allein die Tatsache, dass sie den Hofrat und Juristen Johann Georg Gödelmann (1559–1611)15 nach Prag entsandte, dessen Aufgabe es war, die Lage am Kaiserhof einzuschätzen und entsprechende Berichte nach Dresden zu schicken.16 Auf Grund seines Gutachtens äußerte sich der Kurfürst anschließend in der Korrespondenz mit dem Kaiser zu einer möglichen Lösung des Bruderzwistes. Gödelmann war nicht zum ersten Mal in Prag: Ein Aufenthalt ist bereits für 1595 belegt, als er hier die Verhandlungen über die kaiserliche Erteilung des sächsischen Lehens nach dem Tod des Kurfürsten Christian I. führte;17 auch danach besuchte Gödelmann Prag sehr häu-
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kaemmel, Otto: Kur-Sachsen gegenüber der Revolution in Ungarn 1604–1606. In: Archiv für Sächsische Geschichte NF 6 (1880), 1–56, bes. 4–10. Zur Persönlichkeit Johann Georg Gödelmanns s. distel, Theodor: Godelmann, Johann Georg. In: Allgemeine deutsche Biographie. Bd. 9. Leipzig 1878, 316‒317. – merzBaCHer, Friedrich: Godelmann, Johann Georg. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 6. Berlin 1963, 497‒498. Er war ein Schwiegersohn des Hofpredigers des sächsischen Kurfürsten Christian II., Polycarp Leyser. zeissler (wie Anm. 8), 17. ott (wie Anm. 1), 495, Anm. 250 f.
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fig und unterhielt hier intensive Kontakte zum böhmischen Adel.18 Das Hauptthema seiner Verhandlungen waren seit Ende der neunziger Jahre mögliche Ansprüche Sachsens auf die vereinigten Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg und weitere angrenzende Territorien, da der letzte lebende Herzog Johann Wilhelm keine Nachkommen besaß.19 Auf diese Herzogtümer konzentrierte sich praktisch das Interesse ganz Europas: Neben dem sächsischen Kurfürsten beanspruchten u. a. der brandenburgische Kurfürst, der französische König und andere Herrscher diese Territorien, die nicht nur wegen ihrer wirtschaftlichen Prosperität attraktiv waren, sondern auch die Möglichkeit boten, strategisch günstig gelegene Gebiete für eines der sich formierenden konfessionspolitischen Lager, die Union oder die Liga, zu gewinnen.20 Das Bestreben, im Kreis der Prätendenten den ersten Rang einzunehmen, veranlasste Kurfürst Christian II. u. a. dazu, im Juli 1607 gemeinsam mit seinem Bruder Johann Georg persönlich nach Prag zu reisen und mit dem Kaiser über mögliche Lösungen zu verhandeln. Die Frage der Erteilung der erwähnten Herzogtümer als Lehen war für den Kaiser zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht aktuell. Er interessierte sich sehr viel mehr für eine mögliche Unterstützung im nächsten Krieg gegen die Türken, denn die Bedingungen des Friedensvertrags, den er auf Druck von Matthias hatte unterschreiben müssen, hielt er für schändlich. Der Interessenkonflikt zwischen Kaiser und Kurfürst war einer der Gründe, warum es zu keiner Vereinbarung kam und der Kurfürst aus Prag in erster Linie Eindrücke von fröhlichen Banketten und Jagdgesellschaften mit nach Hause brachte.21 Die innenpolitische Krise des Habsburgerreiches und der Jülicher Erbfolgestreit wurden in der folgenden Korrespondenz zwischen dem kaiserlichen und dem sächsischen Hof permanent angesprochen. Während Caspar von Schönberg durch den Kurfürsten weitere mögliche Lösungen in der Causa Jülich vorschlagen ließ, konzentrierte sich der Kaiser immer stärker auf den näher rückenden, offenen Konflikt mit dem Bruder und auf seine persönlichen Probleme. Am 5. Mai 1608, als 18 19 20
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Deník rudolfinského dvořana. Adam mladší z Valdštejna 1602–1633 [Das Tagebuch eines rudolfinischen Höflings. Adam d. J. von Waldstein 1602–1633]. Hg. v. Marie koldiNská und Petr Maťa. Praha 1997, 132, 139. ritter, Moritz: Sachsen und der Jülicher Erbfolgestreit (1483–1610). München 1873 (Abhandlungen der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften, Historische Classe 12), 15 f. Allgemein zum Jülicher Erbfolgestreit s. ollmaNN-kösliNg, Heinz: Der Erbfolgestreit um Jülich-Kleve (1609–1614). Ein Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg. Regensburg 1996 (Theorie und Forschung: Geschichte 5). – mostert, Rolf-Achim: Der jülich-klevische Regiments- und Erbfolgestreit – ein Vorspiel zum Dreißigjährigen Krieg? In: Der Dreißigjährige Krieg im Herzogtum Berg und in seinen Nachbarregionen. Hg. v. Stefan eHreNPreis. Neustadt an der Aisch 2002 (Bergische Forschungen. Quellen und Forschungen zur bergischen Geschichte; Kunst und Literatur 28), 26–64. ritter (wie Anm. 19), 19. – JanáČek, Josef: Rudolf II. a jeho doba [Rudolf II. und seine Zeit]. Praha 21997 [11987], 412 f., beschreibt das entgegenkommende Handeln Rudolfs II. und dessen Sorge um die Gäste. Der Kurfürst habe drei Audienzen beim Kaiser gehabt, die Adam d. J. von Waldstein erwähnt. S. Deník rudolfinského dvořana (wie Anm. 18), 142. Der Kurfürst erreichte beim Kaiser die Zustimmung zu einer öffentlichen Predigt seines Hofpredigers, des Lutheraners Leyser, auf der Prager Burg: leyser, Polycarp: Zwo Christliche Predigten: Eine, Von den guten Wercken [...] Die Andere, Von dem Artickel: Wie der Sündige Mensch für Gott gerecht vnnd ewig selig werde. Zu Prag gehalten [...] Leipzig 1607.
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Matthias’ Armee von Czaslau (Čáslav) auf Prag zog, vertraute Rudolf dem Kurfürsten als seinem „einzigen aufrichtigen Freund“ in einem Brief an, dass er sich in Böhmen nicht mehr sicher fühle, und fragte, ob er in der Dresdner Festung einen sicheren Zufluchtsort finden könne. Die sächsische Regierung bemühte sich, dem Kaiser die Abreise auszureden, empfahl jedoch zugleich, er solle im Fall der Notwendigkeit doch lieber in die Reichsstadt Nürnberg fliehen – damit hätte der Kurfürst sich in diesem Konflikt eine neutrale Position bewahrt. Dass die nördlichen Nachbarn die Lage auf keinen Fall unterschätzten, belegt schon allein die Tatsache, dass sie zur Bewaffnung schritten.22 Außerdem versuchten die Gesandten des Kurfürsten, den Streit zwischen den Brüdern zu schlichten und die Schmach zu mindern, die dem Kaiser drohte. In Wirklichkeit gelang es ihnen nur, den Verzicht Rudolfs II. auf die österreichischen Länder, das Königreich Ungarn und die Markgrafschaft Mähren hinauszuzögern, die er schließlich doch mit der Unterschrift unter den sogenannten Frieden von Lieben am 25. Juni 1608 an Matthias abtrat. Da sich die Situation danach beruhigte und die sächsische Delegation keine Aufgabe mehr hatte, verließen Gödelmann und seine Mitarbeiter bald darauf die kaiserliche Residenz.23 An der Jahreswende 1608/1609 lassen sich Veränderungen in der sächsischen Einstellung beobachten. Sie waren nicht nur ein Ergebnis des vorangegangenen Treffens der Kurfürsten in Fulda im Juli und August 1608, sondern ergaben sich auch aus der Furcht vor den weiteren zu erwartenden Ereignissen.24 Noch Ende 1608 war Gödelmann erneut nach Prag gereist,25 um bei der Eröffnung des Landtags anwesend zu sein, auf dessen Programm insbesondere die religiösen Forderungen der böhmischen Stände stehen sollten. In dieser Zeit, als die katholische und die nichtkatholische Partei in Böhmen ihre Kräfte mobilisierten, gaben die sächsischen Räte endgültig die Politik des passiven Abwartens auf und beschlossen, in das Geschehen einzugreifen. Ihre Argumentation stützte sich von nun an auf die Behauptung, der Kaiser sei in Gefahr, denn er sei von schlechten Beratern umgeben, die sich um seine Absetzung bemühten. Deshalb müsse man mit allen Mitteln der Gewalt vorbeugen, damit im Reich der Status quo bestehen bleibe und gemeinsam mit diesem auch ihr Verbündeter, der Kaiser, seine Position bewahre. Am 22. Februar riet Christian II. auf Anregung seiner Räte dem Kaiser, den Forderungen der Stände nachzugeben, da sonst die Gefahr bestünde, sie könnten zu Matthias überlaufen. 22
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zeissler (wie Anm. 8), 18. Nachrichten über Bewaffnungen in Sachsen und Brandenburg 1608: Briefe und Acten zur Geschichte des Dreissigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher. Bd. 6: Vom Reichstag 1608 bis zur Gründung der Liga. Hg. v. Felix stieVe. München 1895, 355, 406. Nach zeissler (wie Anm. 8), 19 f., erhielten sie keine Audienz beim Kaiser. In den Depeschen nach Dresden beschwerte sich Gödelmann, er sei praktisch ohne Informationen, in Prag fänden nur Bankette statt und nichts deute auf den Ernst der Situation hin. – JeNŠoVský (wie Anm. 2), 12. zeissler (wie Anm. 8), 20–27. Die Aufenthalte Gödelmanns in Prag in den Jahren 1606–1607 erwähnt Adam d. J. von Waldstein, der intensive Kontakte zu ihm unterhielt. S. Deník rudolfinského dvořana (wie Anm. 18), 132, 139. – Zu Gödelmanns Geschäften in Prag an der Wende 1608/1609 s. Briefe und Acten (wie Anm. 22), 429, 543, 557, 584 (Anm. 1).
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Der Kaiser, der zu diesem Zeitpunkt nur noch ein passives Ziel für die Angriffe oder Ratschläge einzelner Hofcliquen und Ständepolitiker war, beschwerte sich gegenüber dem Kurfürsten: „Auf der einen seit plagen die Katholischen, auf der anderen die Hussiten und Pikarden, auf der dritten die Lutherischen; ich wolt, ich were tod.“26 In seinem weiteren Entscheidungsprozess siegte jedoch der Einfluss der Partei, die einen kompromisslosen katholischen Standpunkt einnahm und zu der hauptsächlich der päpstliche Nuntius Antonio Caetani, der spanische Gesandte Baltasar de Zúñiga und der böhmische Kanzler Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz gehörten; der Kaiser kam den Forderungen der Stände nicht nach und löste den böhmischen Landtag am 1. April 1609 auf. Die Reaktion der Stände auf diesen Schritt ist hinreichend bekannt: Sie beschlossen, in vier Wochen einen neuen Landtag einzuberufen, und schickten in der Zwischenzeit Boten mit der Bitte um Unterstützung an die Höfe des ungarischen Königs Matthias, des pfälzischen Kurfürsten Friedrich IV., des sächsischen Kurfürsten Christian II., des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund, des Pfalzgrafen Philipp Ludwig und des Herzogs Heinrich Julius von Braunschweig. Während König Matthias die böhmischen Stände auf die Entscheidung des Kaisers verwies,27 der pfälzische28 und der brandenburgische Kurfürst29 sowie der Pfalzgraf und der braunschweigische Herzog30 den Kaiser aufforderten, den Forderungen der nichtkatholischen Stände eindeutig zu entsprechen, wählte die sächsische Regierung den Mittelweg des Kompromisses und riet zur Versöhnung und Übereinkunft der beiden Parteien auf friedliche Weise.31 Sie nutzte die Bitte der Stände zu einer neuen Intervention und trat als Vermittlerin in dem Streit zwischen den zu diesem Zeitpunkt bereits stark radikalisierten böhmischen nichtkatholischen Ständen und dem Kaiser auf, bei dem sie keinen Willen zur Konfliktlösung und kein eigenes Programm erkennen konnte. Es ist unbekannt, wann die böhmischen Stände ihre Supplik, die das Datum des 1. April 1609 trug, in Dresden zustellten. Anscheinend waren jedoch Caspar von Schönberg, und damit auch der Kurfürst, auf die kommenden Ereignisse bereits vorbereitet. Sie ließen nicht nur für die böhmischen Gesandten sofort eine Resolution ausfertigen, in der sie ihnen ihre Unterstützung versprachen,32 sondern entsandten bereits einen Monat später weitere Diplomaten in die kaiserliche Residenz, die den anwesenden Gesandten Gödelmann stärken und Verhandlungen mit dem Kaiser und den Ständen aufnehmen sollten. Es handelte sich um Hans Melchior von Wittau und den bereits erwähnten Marcus Gerstenberg, Hofrat des sächsischen 26 27 28 29 30 31 32
zeissler (wie Anm. 8), 32. skála ze zhoře, Pavel: Historie česká [Böhmische Geschichte]. Bd. 1: 1602–1616. Hg. v. Karel tieftruNk. Praha 1865 (Monumenta historiae Bohemica 2), 187. Ebd., 187–189. Ebd., 191–194. Ebd., 194 f. Ebd., 189–191. Diese Resolution vom 14. April wurde den böhmischen Gesandten Georg Friedrich von Hollach, Joachim Andreas Schlick, Christoph Fictum und Anderen übergeben, die sie nach Prag brachten und am 10. Mai den böhmischen Ständen überreichten. S. JeNŠoVský (wie Anm. 2), 13.
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Kurfürsten und Professor des römischen Rechts an der Universität Jena, der schließlich zu einem der Protagonisten der Prager Ereignisse in den stürmischen Monaten Mai, Juni und Juli 1609 werden sollte. Von Gerstenberg war bekannt, dass er ein hervorragender Jurist und zugleich ein ausgezeichneter Redner war, womit er für diese diplomatische Mission als bestens geeignet erschien. Seine Aufgabe wurde ihm jedoch durch seine Zugehörigkeit zum orthodoxen Luthertum erschwert, das ihn daran hinderte, bei den Verhandlungen mit den Vertretern der Stände, unter denen sich auch Repräsentanten anderer nichtkatholischer Bekenntnisse – besonders der Brüderunität – befanden, einen flexibleren Standpunkt einzunehmen.33 Über den Verlauf der Mission Gestenbergs und seiner Mitarbeiter sind wir detailliert durch die Korrespondenz informiert, die zwischen den sächsischen Gesandten in Prag und dem Kurfürsten bzw. dessen Geheimräten in Dresden geführt wurde und die sich heute im Handschriftenkonvolut „Böhmische Stände sub utraque“ im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden befindet. Dieses Konvolut enthält außer den Gesandtschaftsberichten aus Prag noch weitere Materialien verschiedener Art: Instruktionen und Anweisungen des Kurfürsten bzw. des Geheimrats Caspar von Schönberg, der ihre Tätigkeit persönlich dirigierte und die Informationen an den Kurfürsten weiterleitete, Abschriften wichtiger Dokumente, die den Diplomaten bei den Verhandlungen bekannt geworden waren, sowie die Korrespondenz zwischen Christian II. und den anderen protestantischen Kurfürsten und Fürsten im Reich zu diesem Thema. Die größte Bedeutung haben für uns die Gesandtendepeschen, die fast jeden Tag geschickt wurden, manchmal sogar zwei Mal täglich. Zumeist war Gerstenberg ihr Autor, der sie zu Anfang auch eigenhändig geschrieben hatte. Später wurde die Korrespondenz wohl von einem Sekretär oder Schreiber aufgezeichnet und von den Diplomaten unter dem Text unterschrieben.34
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Biographische Daten zu Marcus Gerstenberg (Gerstenberger) liefern zedler, Johann Heinrich: Grosses vollstendiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste. Bd. 10. Halle-Leipzig 1730, 612, und sCHirmer (wie Anm. 11), 742. Gerstenberg verfasste die Schriften Acclamatio Votiva Cum sub Rectoratu Magnifici [...] Valentini Riemeri U.J.D. Prof. P. & Dicasterii Juridic. Assess. digniss. Ex Decreto [...] Martino Mendio Budstadiensi; Consilarioi apud [...] Principes Lin. Altenburg. meritissimo. Summus in U. J. gradus, quem Doctoratum vocamus, conferebatur/ Gerstenberg, Marcus. Jenae: Typis Weidnerianis, 1624 und Divi Iustiniani Institutionum Iuris Civilis Synopsis: Exercitii Gratia Publice recitata in Academia Ienensi 20. Feb. An. 1601/ Gerstenberger, Marcus. Ienae: Steinmannus, 1601. Er gehörte dem Kreis des sächsischen Hofpredigers Matthias Hoë von Hoënegg an – s. Anm. 72. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden [im Folgenden: HStA Dresden], Geheimer Rat, Loc. 7220/10: Böhmische Stände sub utraque [Utraquisten] schicken an den Kurfürsten [Christian II.] zu Sachsen, suchen Interzession an Kaiserliche Majestät wegen des liberi exercitii religionis [der freien Religionsausübung], erhalten beides und erlangen darüber einen Majestätsbrief, 1609, dabei ist der Majestätsbrief, welchen die Schlesier erlangt, item königliche Bewilligung wegen des Oberamtes und Bistums Breslau, 1609/1610 (27.02.1609–24.02.1610), fol. 1–480 (bzw. 478v). Da diese Quelle nur noch als schwer lesbarer Mikrofilm zugänglich ist, gewinnt die Tatsache an Bedeutung, dass einige Dokumente bereits in der Vergangenheit transliteriert wurden; diese Abschriften befinden sich im Nationalarchiv Prag im Bestand der Abschriftensammlung Dresden (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany), der auch in einigen Fällen für diese Studie genutzt wurde.
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Eine Quelle, die uns nicht nur über die Grundsätze informiert, die von den Gesandten in der Ausübung ihrer Mission in Prag zu beachten waren, sondern vor allem mit den wichtigsten politischen Einstellungen und Argumenten der sächsischen Regierung in der Causa Religionsfreiheit in Böhmen vertraut macht, ist die Instruktion, die Schönberg am 1. Mai 1609 ausfertigen ließ.35 Ihr Text erläuterte den erwähnten Gesandten die Gründe, die die sächsische Regierung zur Intervention veranlasst hatten, das heißt, er betonte, dass die diplomatische Mission auf Bitten der böhmischen Stände unternommen werde, wobei sich der Kurfürst seiner Verpflichtungen bewusst sei, die sich aus den in der Vergangenheit zwischen beiden Ländern geschlossenen Erbeinigungen ergaben.36 Gleich in der Einleitung forderte die Instruktion die Gesandten auf, sich so bald wie möglich nach der Ankunft beim Kaiser zu melden. Die wichtigsten Punkte enthielten genaue Anweisungen, wie sie bei der Audienz vorgehen sollten. Nach ersten Höflichkeitsbezeugungen und Gesundheitswünschen waren die Gesandten angehalten, dem Kaiser einen Brief des Kurfürsten zu überreichen und zu betonen, dass der sächsische Kurfürst von den böhmischen nichtkatholischen Ständen um Hilfe gebeten worden sei, und dass der Grund, warum der Kurfürst die Fürsprache gewährte, auf keinen Fall in der Absicht liege, sich dem Widerstand gegen den Kaiser anzuschließen, sondern im Gegenteil: Man wolle zur Erhöhung seiner Ehre und Reputation beitragen37 und ihn auf die schädlichen „jesuitischen“ Ratgeber aufmerksam machen, von denen er umgeben sei und die den Religionshass im Land anstachelten, den Frieden störten und den Konflikt nicht nur in Böhmen, sondern auch in den Nachbarländern und im gesamten Reich schürten, so dass Krieg und Blutvergießen drohe.38 Die Gesandten sollten den Kaiser bitten, diese schädlichen Ratgeber zu entfernen, die ganze Angelegenheit selbst in die Hand zu nehmen und sie mit höchstem Verstand zu behandeln. Er möge bedenken, dass es den Ständen nicht um Geld und Güter gehe, sondern um die freie Verbreitung des göttlichen Wortes, auf die sie ein Recht hätten und die ihnen der Kaiser übrigens bereits im Jahr zuvor versprochen habe.39 Von einer vernünftigen Absprache würden nicht allein die Stände profitieren, sondern auch der Kaiser, denn Ruhe trete ein und er werde besser regieren können als früher.40 Den Inhalt ihrer Rede sollten die Gesandten vorher aufschreiben und am Schluss der Audienz dem Kaiser übergeben.41 Die Antwort des Kaisers und alles, was sich aus den Verhandlungen mit den böhmischen Ständen ergebe, die man zu Gehorsam und Achtung gegenüber
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HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 76–80, Konzeptabschrift, korrigiert durch Caspar von Schönberg, fol. 81–84, eigenhändiges Konzept Schönbergs, s. auch NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 215. Hier war die Pflicht zu militärischer Hilfe gemeint, die in der Erbeinigung vom 24.10.1587 genau definiert wurde. S. JeNŠoVský (wie Anm. 2), 44. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 77r–77v. Ebd., fol. 78r. Sie dachten hier an das unbestimmte, auf dem Landtag im Mai 1608 gegebene Versprechen des Kaisers, über die Forderungen der protestantischen Stände zu verhandeln. S. giNdely, Anton: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätsbriefes von 1609. Prag 1858, bes. 23 f. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 78r–79r. Ebd., fol. 79v.
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dem Herrscher auffordern müsse, sollten die Gesandten unverzüglich dem Geheimen Rat in Dresden melden und dann auf weitere Anweisungen warten.42 Die Sachsen kamen wohl am 7. Mai 1609 in Prag an und schickten gleich am folgenden Tag einen Bericht über die Lage in der böhmischen Hauptstadt nach Dresden, die sie als sehr angespannt beurteilten. Im Text beschrieben sie die Vorbereitungen der Stände auf einen möglichen bewaffneten Zusammenstoß sowie das militärische Aufgebot, das den Ständen zur Verfügung stand. Sie teilten mit, dass es ihnen gelungen sei, Kontakt zu den Anführern der nichtkatholischen Stände zu knüpfen – besonders zu Joachim Andreas Schlick. Sie informierten auch über das weitere politische und gesellschaftliche Geschehen in der böhmischen Hauptstadt. Aus ihren Briefen geht hervor, dass die Ereignisse in Prag allgemein im Zentrum des Interesses standen und viele Herrscher ihre Diplomaten und Korrespondenten hierher entsandt hatten. Von den unzähligen Gesandtschaften, die sich um eine Audienz beim Kaiser bemühten, erwähnten sie besonders die persische Gesandtschaft, mit der sie näheren Umgang pflegten. Es wurde auch die Ankunft eines Gesandten des pfälzischen Kurfürsten erwartet, dem sie jedoch aus verständlichen Gründen lieber nicht begegnen wollten.43 Über eigene Korrespondenten in Prag verfügten damals auch der bayerische Herzog Maximilian und der Statthalter des spanischen Königs in Brüssel, Erzherzog Albrecht. Aus ihrer Korrespondenz wird deutlich, dass man in absehbarer Zeit die Abdankung Rudolfs II. und die mögliche Wahl eines neuen römisch-deutschen Königs erwartete.44 Aus den nächsten Depeschen geht hervor, dass die Kommunikation mit den böhmischen Ständen sehr gut funktionierte. Dagegen beschwerten sich die Diplomaten in mehreren Briefen über die Probleme am Hof, wo sie sich einige Tage vergeblich bemüht hatten, eine Audienz beim Kaiser zu erhalten. Als Kontaktperson nutzten sie insbesondere den kaiserlichen Geheimrat Andreas Hannewald, der in den Jahren zuvor in Dresden hauptsächlich in der Jülich-Frage tätig gewesen war, und der sich bemühte, die Gesandten über den Oberstkämmerer Ulrich Desiderius Pruskovský zum Kaiser zu führen.45 Trotz der Hilfe einflussreicher Höflinge war ihre Aufgabe alles andere als einfach. Zugang zum Kaiser zu erhalten, war in dessen letzten Regierungsjahren sehr schwierig, da Rudolf II. sich in seine 42 43 44 45
Ebd., fol. 79v–80r. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10: 1609 05 08, Prag, fol. 94–96 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 222). Briefe und Acten (wie Anm. 22), 645. Dies wird aus allen Depeschen deutlich, die von den sächsischen Gesandten zwischen dem 9. und dem 16. Mai 1609 nach Dresden geschickt wurden. S. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 99–100 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 223). – Ebd., fol. 101–102 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 224). – Ebd., fol. 108–109 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 226). – Ebd., fol. 110–111 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 227). – Ebd., fol. 112–113 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 229). – Ebd., fol. 123 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 231). – Ebd., fol. 123 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 231). – Ebd., fol. 121–122 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 232). S. auch den Bericht des Peter de Vischere in Briefe und Acten (wie Anm. 22), 645, dass die sächsische Delegation bei ihrem Bemühen um eine Audienz an jenem Tag bis in die Antekammer des Kaisers gelangt sei, von dort aber erneut unverrichteter Dinge abziehen musste.
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private Welt zurückgezogen hatte und fast ausschließlich mit einigen wenigen Personen aus den Reihen der Kämmerer, Kammerdiener und Geheimräte kommunizierte, denen er vertraute. Für seine Art der Problemlösung war die Schilderung des Geheimrats Johann Anton Barvitius bezeichnend, wonach der Kaiser in diesen Tagen die meiste Zeit in seinen Gemächern verbrachte, um seinen Kummer im Alkohol zu ertränken.46 Die Bemühungen der Diplomaten wurden schließlich am 17. Mai 1609 belohnt, als es ihnen gelang, eine Anhörung bei Rudolf II. zu erwirken. Der Inhalt der Rede, die von den Gesandten vor dem Kaiser gehalten wurde, spricht dafür, dass sie sich auf diesen Augenblick gut vorbereitet hatten. Bei der Abfassung berücksichtigten sie nicht nur die Anweisungen in der Instruktion Caspar von Schönbergs, sondern nutzten auch die zugänglichen Dokumente zur Causa auf eine Weise, die ihrer Argumentation große Überzeugungskraft verlieh. Sie betonten insbesondere die Tatsache, dass der sächsische Kurfürst Christian II., dessen Botschaft und Fürsprache für die böhmischen Stände in Sachen „liberum exercitium religionis“ sie vermittelten, nur von der Sorge um das Wohl des Kaisers und dessen Reputation geleitet sei; auf keinen Fall wolle er die Stände zu Unruhen anstacheln, sondern sie im Gegenteil zum Gehorsam auffordern. Die Diplomaten erinnerten den Kaiser daran, dass es den Ständen hauptsächlich darum gehe, „dass sie in ihren Gewissen nicht beschweret und ihnen das Wort Gottes nach Inhalt prophetischer und apostolischer Schriften zu hören und zu treiben freigelassen werden möge“. Sie verwiesen darauf, dass das Böhmische Königreich ein Bestandteil des Reichs sei und seine Einwohner daher dieselben Rechte bezüglich des religiösen Bekenntnisses besäßen wie die übrigen Reichsstände. Sie hätten zudem in den vergangen Jahren treu zu ihrem Herrscher gestanden und verdienten daher vom Kaiser eine Garantie der Glaubensfreiheit. Weiter verwiesen die Redner darauf, dass die stürmischen Ereignisse der letzten Jahre in Ländern wie Frankreich, den Niederlanden, Ungarn und Österreich gezeigt hätten, wozu religiöse Unterdrückung führe, und sie baten den Kaiser, solche unseligen Folgen wie Unruhen und Gewalt rechtzeitig zu vermeiden. Zugleich forderten sie ihn auf, sich der schädlichen Ratgeber zu entledigen, die dauerhaft zu Konflikten anstachelten. Das Böhmische Königreich werde Kaiser Rudolf II. für diese Taten auf ewig dankbar sein.47 Auf der Tagesordnung des Treffens standen aber nicht nur die Forderungen der böhmischen Stände, sondern auch die Causa Jülich. Den Berichten der Gesandten 46 47
Ebd., 642–646, Nr. 404: Vischere an Erzherzog Albrecht, Prag den 16. Mai 1609, hier 643: „[…] sonst thuen sie [I. Mt.] fast alle tag starke excess im trinken, meinen damit ihr Laid zu vergessen.“ Den Text der gehaltenen Rede schickten die Gesandten am 23. Mai 1609 an Caspar von Schönberg. S. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 167–169; s. auch NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 237. Der Wortlaut dieser Rede wurde ebenfalls abgedruckt bei giNdely (wie Anm. 39), 199–201, Anm. 87, Nr. A (der Text unter Nr. B, den Gindely weiter anführt, ist vermutlich eine anonyme Ergänzung zu diesem Memorandum und entstand erst später). Den Inhalt der Rede gibt auch skála ze zhoře (wie Anm. 27), 211–214, wieder, der sie jedoch irrtümlich erst auf Mitte Juni 1609 datiert, das heißt auf die Zeit, als eine weitere, von Christoph von Loß geführte Gesandtschaft des sächsischen Kurfürsten in Prag angekommen war.
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zufolge verhielt sich der Kaiser ruhig und entgegenkommend. Er versprach, alle Argumente abzuwägen und seine Entscheidung auf dem Landtag bekanntzugeben, der in acht Tagen einberufen werden sollte.48 In den nächsten Depeschen beschrieben die Diplomaten die Spannung, mit der in Prag die Eröffnung dieses Landtags erwartet wurde. Damals kam es auch am Kaiserhof zu Veränderungen. So wurde beispielsweise der Geheimrat Hermann Attems entlassen. Seinen Platz nahm der Landgraf Georg Ludwig von Leuchtenberg ein, der Verhandlungen gegenüber positiver eingestellt war als sein Vorgänger und auch Gespräche mit den sächsischen Gesandten aufnahm.49 Zu diesem Zeitpunkt war bereits klar, dass jede der beiden konkurrierenden Parteien – die katholische wie die nichtkatholische – in weitere Faktionen aufgespalten war, deren unterschiedliche Ansichten und Forderungen die Verhandlungen erschwerten.50 Als sehr schädlich für den weiteren Verlauf bezeichneten die Diplomaten in ihren Depeschen das Handeln des böhmischen Vizekanzlers Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz. In gleicher Weise urteilten sie über Erzherzog Leopold, der nach Prag gereist war, Kardinal von Dietrichstein sowie den päpstlichen Nuntius und den spanischen Gesandten, die dem Kaiser rieten, den Forderungen der Nichtkatholiken nicht nachzugeben, auch wenn dies zu einem bewaffneten Konflikt führen sollte. Hierdurch kam es zu weiteren Verzögerungen und die Verhandlungen hatten einen toten Punkt erreicht.51 Aus den Berichten wird zudem deutlich, dass die Diplomaten auch in diesen Tagen die Jülich-Frage nicht aus den Augen verloren, die jedoch vom Kaiser auf die Zeit nach dem Ende des Landtags vertagt worden war.52 Mitte Juni 1609 begann für die sächsische Delegation eine weitere anstrengende Phase, die nicht nur durch die immer komplizierter werdenden Verhandlungen mit beiden Parteien, sondern auch durch eine bisher ungeklärte Krise in den eigenen Reihen erschwert wurde. Seit Anfang Juni beschwerte sich Gerstenberg in den Depeschen immer häufiger über die Situation in Prag, wo es gefährlich sei, und erwähnte seine Müdigkeit sowie die mit seiner Mission verbundenen Schwierigkeiten. Die Gesandten waren gezwungen, sich an dem umfangreichen gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, das mit den politischen Verhandlungen verknüpft war, und so bekamen sie bald auch finanzielle Engpässe zu spüren.53 Könnten diese Gründe, die zusammen mit der schwindenden Hoffnung, dass bezüglich der Religionsforderungen der böhmischen Stände und der Causa Jülich eine Übereinkunft erzielt werde, den Befehl an die Diplomaten verursacht haben, nachhause zurückzukehren? Während Gödelmann der Anweisung entsprechend am 18. Juni 1609 48
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HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 143–144 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.-Nr. 236). Die Audienz der sächsischen Gesandten beim Kaiser erregte in Prag Aufmerksamkeit, wie sich auch anhand der Tagebucheinträge des Adam d. J. von Waldstein zeigt. S. Deník rudolfinského dvořana (wie Anm. 18), 160. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 207 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv. Nr. 253). – JanáČek (wie Anm. 21), 456. krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909, bes. 17–20. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 189–190 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 248). – Ebd., fol. 207 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 253). Ebd., fol. 204 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 252). zeissler (wie Anm. 8), 35.
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Prag verließ,54 bat Gerstenberg den Kurfürsten, noch einige Tage bleiben und in den Verhandlungen zwischen den Ständen und dem Kaiser vermitteln zu dürfen.55 Über das Schicksal des dritten Gesandten Melchior von Wittau ist nichts bekannt. An Gödelmanns Stelle kam am 17. Juni der kurfürstlich-sächsische Hofmarschall Christoph von Loß mit großem Gefolge nach Prag.56 Seine Aufgabe war es in erster Linie, über die Jülich-Frage zu verhandeln. Im März 1609 war nämlich in diesem mit Kleve und weiteren Territorien vereinigten Herzogtum der Erbfall eingetreten, und der Erbfolgestreit drohte sich zu einem militärischen Konflikt von gesamteuropäischer Dimension auszuweiten.57 Loß sollte vermutlich die Belehnung des sächsischen Kurfürsten mit diesen Territorien vorbereiten und hierfür einflussreiche Fürsprecher am Kaiserhof gewinnen. Aus der Korrespondenz mit der sächsischen Seite geht jedoch hervor, dass die beiden Gesandten, Loß und Gerstenberg, sich auch weiterhin in den Verhandlungen über die Religionsfreiheit für die nichtkatholischen Stände engagierten. Interesse daran hatten nach Loß’ Worten insbesondere die Geheimräte des Kaisers, die ihn sogar baten, die Führer der böhmischen Stände zur Annahme der sogenannten kaiserlichen Resolution zu bewegen – jenes Urkundenentwurfs, der zahlreiche Zugeständnisse von Seiten des Kaisers enthielt. Loß und Gerstenberg lehnten diese Aufgabe jedoch mit dem Hinweis ab, sie besäßen für solche Verhandlungen keine Instruktionen des Kurfürsten.58
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Ebd. Gerstenberg wurde direkt von den Ständen um diesen Dienst gebeten. Sie schickten am 17. Juni 1609 auch einen entsprechenden Brief an den Kurfürsten. S. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 230 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 258). Gerstenberg bat noch am 19. Juni 1609 um eine weitere Verlängerung seines Aufenthalts in Prag. S. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 227 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 260). Briefe und Acten (wie Anm. 22), Nr. 444, 707–709: Hartger Hennot an den Churfürsten von Köln, Prag den 20. Junii 1609, hier 709: „[…] Der Marschall [Christoph von Loß] des Chf. von Sachsen ist am 17. angekommen und hat u. a. ein stattliches Geschirr von Jaspis gebracht […].“ Zur Persönlichkeit des Christoph von Loß neuerdings sCHattkoWsky, Martina: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich. Die Lebenswelt des kursächsischen Landadligen Christoph von Loß auf Schleinitz (1574–1620). Leipzig 2007. In der Literatur wird der Besuch des Christoph von Loß im Jahr 1609 in Prag mit der Ankunft von Gerstenberg und Wittau verwechselt. S. skála ze zhoře (wie Anm. 27), 211–214; diesen Irrtum übernimmt auch JeNŠoVský (wie Anm. 2), 14. Ebd., bes. 18–20. – ollmaNN-kösliNg (wie Anm. 20), bes. 64–88. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 237–241 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 261). Vgl. auch ebd., fol. 254–256 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 269). Die Rolle der sächsischen Gesandten bei der Suche nach einem Konsens und bei der Vermittlung in den Verhandlungen zwischen Kaiser und Ständen registrierten auch die anderen in Prag anwesenden Gesandten. S. Briefe und Acten (wie Anm. 22), 694–697, Nr. 435: Donnerberg an Hz. Maximilian, Prag den 13. Junii 1609, hier 695: „[…] Es sind zwei chursächsische Gesandte hier, Dr. Gödelmann und Dr. Gerstenberg, um zu vermitteln […].“ – Ebd., Nr. 452, 715: Hartger Hennot an den Churfürsten von Köln, Prag den 27. Junii 1609: „[…] Der chursächsische Gesandte [Gerstenberg] hat durch Vorschlag etlicher, jedoch beschwerlicher Artikel alte Unruhe zu stillen gesucht und der Ks. hat gestern Abend auf ungestümes Anhalten der Böhmen ihme ,die lang begerte behemische confession cum gemitu catholicorumʽ bewilligt […].“
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Mitte Juni 1609, als sich die Verhandlungen zwischen dem Kaiser und den Ständen erneut an einem toten Punkt befanden, verließ Gerstenberg die Rolle des passiven Vermittlers und konzipierte einen eigenen Entwurf des künftigen Majestätsbriefes, der einen Kompromiss für beide Parteien, den Kaiser und die böhmischen Stände, darstellen sollte. Dieser Vorschlag enthielt die Punkte des Landtagsabschieds von 1608, in denen die Forderungen der Confessio Bohemica von 1575 berücksichtigt wurden, und den Text des Mandats vom 20. Mai 1609, mit dem der Kaiser den böhmischen Landtag einberufen und den Ständen mitgeteilt hatte, dass er ihre Bitte, „ihre Religion ohne Hindernisse und Bedrückung von allen Leuten [...] ausüben zu können [...] gebührend besorgen“ werde.59 Inhalt des Gerstenbergʼschen Entwurfs war also eine Garantie für die evangelischen Stände, dass ihnen kein Hindernis bei der Ausübung ihrer Religion in tschechischer, deutscher oder einer anderen Sprache in den Weg gestellt werde, dass sie das Recht auf Einrichtung von Schulen und Kirchen besäßen und keine Konfessionspartei die andere schmähen oder ihren Gottesdienst behindern solle. Den Klöstern und Kirchen sollte kein Schaden zugefügt, geistliche Güter und Stiftungen sollten nicht säkularisiert werden. Die Untertanen erhielten das Recht, die gewünschte Konfession frei wählen zu können. Universität und Konsistorium sollten weiterhin der Machtbefugnis des Kaisers unterstehen, aber den Ständen wurde das Recht zugestanden, Pfarrer von anderswo zu beziehen; sie mussten nur belegen, dass diese ordnungsgemäß ordiniert waren. Auch Altäre, Kirchenschmuck und Ornate sowie christliche Festtage und Zeremonien sollten beibehalten werden.60 Am 23. Juni 1609 übergab Gerstenberg seinen Entwurfstext zur Beurteilung an Leuchtenberg, der darin Korrekturen vornahm und ihn danach dem königlichen Rat vorlegte; dieser hatte keine größeren Einwände.61 Anders sah es bei den böhmischen Ständen aus, bei denen der Entwurf auf grundsätzlichen Widerspruch stieß. Die Stände ließen zunächst eine tschechische Übersetzung anfertigen und setzten danach eine Kommission ein, die den Entwurf untersuchte. Die größten Vorbehalte lösten die Aussagen zu Universität und Konsistorium aus, denn die Stände konnten sich nur schwer an den Gedanken gewöhnen, dass sie hier keine Aufsicht führen sollten. Sie glaubten, dass diese Einschränkung auch praktische Probleme nach sich ziehen werde. Unter den Anwesenden tauchte sogar die Vermutung auf, der sächsi59
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Text des Mandats vom 20.05.1609 in: NA Praha, Registra (Registerbücher Landtagsverhandlungen), Bd. 27, fol. 120v–123r, hier 121r: náboženství své beze všech překážek a útiskův ode všech lidí […] vykonávati mohli […] náležitě opatřiti“. Zum Erlass des Mandats: Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Rudolfs Majestätsbrief. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19), 63. glüCkliCH, Julius: Koncept Majestátu a vznik Porovnání [Das Konzept des Majestätsbriefs und die Entstehung des Ausgleichs], in: Český časopis historický 23 (1917), 110–128, hier 114 f. Gerstenbergs Entwurfstext, wahrscheinlich schon mit den von Leuchtenberg eingetragenen Korrekturen: HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 264–271 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 197). Die Erklärung Gerstenbergs zu den Verhandlungen mit Leuchtenberg und mit den böhmischen Ständen: Ebd., fol. 247, 250 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv. Nr. 266). – Ebd., fol. 278 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 267). Dazu auch glüCkliCH (wie Anm. 60), 115, Anm. 5.
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sche Vorschlag wolle die Nichtkatholiken absichtlich um die Universität bringen, damit die Studenten aus Böhmen gezwungen seien, die Hohen Schulen in Leipzig oder Wittenberg zu besuchen und dort ihre Ausbildung zu absolvieren.62 Martin Fruwein, ein Mitglied der Brüderunität, unterzog Gerstenbergs Entwurf vor den versammelten böhmischen Ständen einer grundsätzlichen Kritik. Eindringlich forderte er, dass der Wortlaut des künftigen Majestätsbriefs Artikel über die Aufhebung derjenigen Mandate enthalten solle, die die Tätigkeit der Brüderunität verboten hatten; das letzte dieser Mandate stammte von Rudolf II. aus dem Jahr 1602. Fruwein verwies auch darauf, dass es an Bestimmungen fehle, die gerade den Mitgliedern der Brüderunität die Religionsfreiheit vorbehaltlos garantiere. Weiter forderte die Versammlung – und trug dies auch als Korrektur in Gerstenbergs Entwurf ein – das Recht für die Lutheraner (NeuUtraquisten), eine eigene Kirchenordnung zu formulieren, nach der sich die Geistlichen richten sollten; sie bestand zudem auf zusätzlichen Artikeln, die Universität und Konsistorium betrafen.63 Der von den Ständen korrigierte Text wurde erneut den sächsischen Gesandten übergeben, die ihn an die Hofbeamten weiterleiteten. Die neue kaiserliche Resolution vom 26. Juni 1609, die allerdings die meisten dieser Korrekturen nicht berücksichtigte und deren Text unterschiedliche juristische Auslegungen zuließ, war für die Stände eine erneute Enttäuschung. Die grundlegenden Mängel wurden von Wenzel Budowetz von Budow, einem der Hauptautoren der ständischen Version des künftigen Majestätsbriefs, öffentlich kritisiert.64 In diesem Moment wandten sich die Stände von weiteren Entwürfen Gerstenbergs ab und traten den Weg der Konfrontation an: Sie setzten ein dreißigköpfiges Direktorium ein und begannen mit den Vorbereitungen für eine militärische Durchsetzung ihrer Forderungen. In dem Bemühen, einen bewaffneten Konflikt zu vermeiden, übernahm nun die Partei der gemäßigten Katholiken um Adam von Waldstein65 und Adam von Sternberg die Initiative. Nach mehrtägigen Verhandlungen mit den Anführern der nichtkatholischen Stände erreichte sie einen Kompromiss in Gestalt des späteren definitiven Wortlauts des Majestätsbriefs und legte diesen dem Kaiser vor. Diese endgültige Version ging in erster Linie von den Forderungen der nichtkatholischen Stände aus. Die katholische Partei ließ sich hierauf nur unter der Bedingung ein, dass zugleich mit dem Majestätsbrief eine Urkunde ausgestellt werde, die einen Vergleich zwischen den beiden gegnerischen Parteien – den katholischen und den nichtkatholischen böhmischen Ständen – vorsah. Dieser Ausgleich (Porovnání), der sich hauptsächlich auf die in Gerstenbergs Entwurf für den Wortlaut des Majestätsbriefs vom 62
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Ebd., 115 f. Die Verhandlungen über Gerstenbergs Entwurf beschrieb in ähnlichem Geist auch Wilhelm Slawata: Paměti nejvyššího kancléře Království českého Viléma hraběte Slavaty […] od l. 1608 do 1619 [Die Erinnerungen des Oberstkanzlers des Böhmischen Königreichs Wilhelm Graf Slawata [...] von 1608 bis 1619]. Bd. 1. Hg. v. Josef JireČek. Praha 1866, 319– 322. GiNdely (wie Anm. 39), 88–92. – glüCkliCH (wie Anm. 60), 117. Ebd., 118 f. Adam d. J. von Waldstein war den sächsischen Diplomaten schon aus früherer Zeit bekannt, denn in den Jahren 1602, 1604, 1605 und 1607 wurde er zum sächsischen Hof entsandt, um hier in Vertretung des Kaisers politische Verhandlungen zu führen: Deník rudolfinského dvořana (wie Anm. 18), 46–49, 90 f., 107, 139.
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23. Juni 1609 enthaltenen Punkte stützte, sollte künftigen Konflikten vorbeugen.66 Der Autor der Versöhnungsprinzipien trat in dieser Phase wiederum nur in der Rolle des Vermittlers zwischen Kaiser und Ständen auf.67 Den tatsächlichen Erlass der Urkunde, die den böhmischen Nichtkatholiken die Religionsfreiheit garantierte, kommentierte er mit den Worten: „Die Böhmen haben fürwahr ein großes erhalten, vielmehr als die Österreicher oder Mähren, ja mehr denn sie selbst anfangs gewünscht oder begert haben. Wenn sie nur selbst untereinander eins blieben und die große gnaden nicht wider verscherzten“.68 Bald nach Erlass des Majestätsbriefs verließ Marcus Gerstenberg Prag, blieb der Stadt aber nicht lange fern. In die kaiserliche Residenz kehrte er bereits im September 1609 zurück, um die unterbrochenen Gespräche über die sächsischen Ansprüche auf die Jülicher Lehen fortzusetzen. Von Prag aus begab er sich gemeinsam mit anderen sächsischen Gesandten nach Paris, London, Brüssel, Haag und in weitere Städte, um Unterstützung für die Außenpolitik der Wettiner einzuwerben. Im Frühjahr 1610 triumphierte die sächsische Diplomatie, und am 7. Juli 1610 wurden Christian II. anlässlich des Konvents der Reichsfürsten und Mitglieder des Habsburgerhauses in Prag die Lehen verliehen.69 Damit endete diese Causa jedoch nicht. Der Streit um die genannten Territorien ging auch in den nächsten Jahren weiter und wurde zu einem von vielen spannungsgeladenen Konfliktpunkten, die zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges beitrugen. Der Konflikt sollte sich jedoch in Zukunft vor dem Hintergrund anderer Ereignisse als dem Kampf um die Religionsfreiheit der böhmischen Stände weiter zuspitzen. Der sächsische Kurfürst erhielt allerdings noch eine Gelegenheit, Rudolf II. seine unerschütterliche Treue zu beweisen. Dazu kam es gegen Ende der Regierung beider Herrscher im Frühjahr 1611. Nach dem misslungenen Versuch des Kaisers, die Ereignisse der letzten Jahre mit Hilfe des sogenannten Passauer Einfalls gewaltsam umzukehren – die Truppen hatte sein Vetter Erzherzog Leopold angeworben und sie sollten ursprünglich in Jülich eingesetzt werden –, nahm das Geschehen einen rasanten Verlauf. Der Überfall der Passauer Truppen auf Prag am 15. Februar 1611 und die anschließende Plünderung der Stadt, zu der es mit Stillschweigen des Kaisers kam, überzeugte die böhmischen Stände endgültig von der Unzuverlässigkeit und Unfähigkeit ihres Herrschers. Die Einberufung eines Generallandtags aller Stände der Länder der Böhmischen Krone, auf dem Matthias zum böhmischen König proklamiert wurde, besiegelte Rudolfs Schicksal. Die schnelle Ankunft der sächsischen Gesandten Marcus Gerstenberg und Wolf von Lüttichau in Prag am 25. April 1611 und ihre Verhandlungen mit den böhmischen Ständen und dem ungarischen König Matthias, in denen sie die Abdankung Rudolfs II. abzuwenden suchten, konnten nichts mehr retten. Matthias wurde am 23. Mai zum böhmischen Kö66 67 68 69
glüCkliCH (wie Anm. 60), 119–122, 128. zeissler (wie Anm. 8), 36. HStA Dresden, Geheimer Rat, Loc. 7220/10, fol. 354 (NA Praha, Sb. přepisů Drážďany, Inv.Nr. 283). ritter (wie Anm. 19), 42–54; zu Programm und Ergebnis der Verhandlungen der Kurfürsten in Prag s. NoVák, Jan Bedřich: Rudolf II. a jeho pád [Rudolf II. und sein Niedergang]. Praha 1935 (Knihovna sněmů českých 1), 71–76.
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nig gekrönt, und am selben Tag zwang man Rudolf II. zur Ausstellung einer Urkunde, mit der er die böhmischen Stände aus ihren Pflichten und ihrer Dienstbarkeit entließ. Die Bedingungen, unter denen der Kaiser auch weiterhin seine Herrschaft im Reich ausüben konnte, waren mehr als schmählich. Es gehört sicherlich zu den Verdiensten der sächsischen Diplomatie, dass Rudolf II. u. a. bis zu seinem Lebensende die Residenz auf der Prager Burg nutzen durfte und den Mitgliedern des Kaiserhofes ebenso wie den fremden Gesandten freie Bewegung im Böhmischen Königreich garantiert wurde.70 Während der Verhandlungen mit den böhmischen Ständen, die sich während des Passauer Einfalls erneut mit der Bitte um Hilfe an den sächsischen Kurfürsten gewandt hatten, blieb Christian II. eindeutig auf der Seite des Kaisers, und auch die aggressive Politik des neuen Königs Matthias konnte keinen Richtungswechsel herbeiführen. In diesem Sinn instruierte der führende kurfürstliche Berater Caspar von Schönberg die beiden sächsischen Diplomaten während ihrer Prager Mission.71 Die Gesandten verabschiedeten sich nach dem Ende der für sie erfolglosen Verhandlungen vom Kaiser und verließen Prag am 4. Juni 1611. Keiner der Hauptprotagonisten dieser böhmisch-sächsischen Ereignisse überlebte das Ende der Verhandlungen dauerhaft. Der sächsische Kurfürst Christian II. starb bereits am 3. Juli desselben Jahres an den Folgen übermäßigen Alkoholgenusses und eines schwelgerischen Lebens; Kaiser Rudolf II. folgte ihm am 20. Januar 1612, nachdem seine letzten Tage von Depressionen und schweren gesundheitlichen Problemen gekennzeichnet gewesen waren; im folgenden Jahr starb auch Marcus Gerstenberg. In der Leichenpredigt, die sein Freund Matthias Hoë von Hoënegg, Hofprediger des sächsischen Kurfürsten, an seinem Sarg hielt, wurden seine unbestreitbaren Verdienste um den Religionsfrieden und die Entwicklung der nichtkatholischen Kirche in Böhmen betont.72 Die Rolle des sächsischen Kurfürsten Christian II. und seiner Ratgeber in den politisch-religiösen Streitigkeiten der böhmischen Stände mit ihrem Herrscher wurde von mehreren Faktoren beeinflusst. Zu diesen zählte in erster Linie die außenpolitische Orientierung Sachsens zu einer Allianz mit Kaiser Rudolf II.: Aus diesem Blickwinkel bewertete die sächsische Regierung die innenpolitische Krise der Habsburgermonarchie und die Ereignisse in den Ländern der Böhmischen Krone, die dem Erlass des Majestätsbriefs vorangingen, vor allem als reichspolitische Angelegenheit. Im Vordergrund ihres Interesses stand die Verteidigung der Institution des Kaisertums, deren Bestandteil Christian II. als Kurfürst des Reiches war und deren Bedrohung auch den Stabilitätsverlust seiner Regierung bedeutet 70 71 72
Ebd., 501. Ebd., 227–238. Ehrenpreiß und vielfaltiger Nutz der wahren Gottseligkeit/ Bey der Leich/ des weiland Ehrenvesten/ Großachtbaren/ und Hochgelarten Herrn/ Marci Gerstenbergers/ auff Schwerstedt, Drackendorff/ Schiebelan/ und Leutenthal/ beyder Rechten Doctoris, Churf. Sächsischen geheimbten Rahts und wolverdienten Cantzlers zu Altenburg/ seligen: Welcher den 22. Augusti/ im Jahr 1613. [...] verschieden/ und den 29. Augusti/ in der Kirchen zu S. Sophia in Dreßden [...] zur Erden bestattet worden, außgeführet und auff begehren der hinderlassenen löblichen Freundschafft in Druck verfertiget von Matthia Hoe von Hoenegg, der H. Schrift Doctor, Churf. Sächsischen Oberhofprediger etc. daselbst […] Lipsiae: […] Lamberg, Anno 1613.
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hätte. Das Bemühen, Rudolf II. zu unterstützen und zugleich gute Beziehungen zu den böhmischen Ständen zu pflegen, die mit ihren politischen und religiösen Forderungen die politische Situation in Mitteleuropa immer stärker beeinflussten, bestimmte die Hauptstrategie der sächsischen diplomatischen Aktivitäten. Es erscheint daher logisch, dass die sächsische Seite während der Verhandlungen um das „liberum exercitium religionis“ in Böhmen einen Kompromiss auf friedlichem Weg anstrebte. Bei den Verhandlungen mit dem Kaiser wurden die sächsischen Diplomaten nicht müde, ihn der Unterstützung ihres Kurfürsten zu versichern, während sie die böhmischen Stände wiederum zu Gehorsam und Respekt gegenüber der kaiserlichen Majestät aufforderten. Dies waren die grundsätzlichen Bedingungen für eine eventuelle Hilfe von Seiten des sächsischen Kurfürsten. Zugleich entschärfte diese Vorgehensweise potentielle Konflikte in unmittelbarer Nähe zu Sachsen. Obwohl man die Rolle, die sächsische Politiker und Diplomaten im Verlauf der zum Erlass des Majestätsbriefs führenden Ereignisse spielten, keinesfalls überschätzen sollte, darf man deren Wirken positiv beurteilen. Sie führten beide Parteien auf friedlichem Weg zu einem Ausgleich und bemühten sich, eine einvernehmliche Lösung zu finden, obwohl sie im entscheidenden Moment ihren voreingenommenen Standpunkt nicht aufgeben konnten. Dies zeigte sich nicht nur in der direkten Unterstützung der lutherisch orientierten böhmischen Politiker, sondern insbesondere bei den Verhandlungen über die Forderungen der Brüderunität, in denen sie das Wirken ihres politischen Feindes, des pfälzischen Kurfürsten, erkannten, dessen Einfluss sie zu unterdrücken bestrebt waren. In der Praxis zeigten die bisherigen Erfahrungen der sächsischen Regierung, dass die Art der Konfliktlösung davon abhängig war, welche Hofclique in der Umgebung des Kaisers die Oberhand gewann. Sie beschloss daher, alle Kraft dafür aufzuwenden, den wachsenden Einfluss der extremen Katholiken zu neutralisieren, da sie darin das Haupthindernis für eine versöhnliche Lösung sah. Zu Beginn der Verhandlungen trat sie als Fürsprecherin einer freien Ausübung der Confessio Augustana auf; diesen Standpunkt musste sie jedoch gegen Ende der Verhandlungen als nicht durchsetzbar aufgeben und auch die Forderungen der Brüderunität respektieren. Der sächsische Kurfürst konnte ohne Probleme die vorteilhafte Rolle eines „objektiven“ Dritten spielen, der bei Bedarf in den Streit eintreten, dadurch einen der Gegner stärken und selbst von dem Konflikt profitieren konnte. Die Hilfe für den Kaiser erfolgte nämlich keinesfalls ohne Eigeninteresse. Die politischen und diplomatischen Aktionen, die die sächsischen Politiker in den letzten Regierungsjahren Rudolfs II. zu dessen Unterstützung unternahmen, waren zugleich auch durch das Bestreben motiviert, das eigene Prestige zu stärken und machtpolitische sowie territoriale Ambitionen im Reich zu erfüllen. Hierbei war die Loyalität zum Kaiser bzw. die Unterstützung von protestantischen Glaubensbrüdern in den benachbarten Ländern häufig nur ein willkommener Vorwand. Dies bestätigt auch die weitere Entwicklung der politischen Allianzen mit den böhmischen Ständen und dem Kaiser unter Christians Nachfolger Johann Georg zur Zeit des Ständeaufstandes 1618–1620 und im Laufe des Dreißigjährigen Krieges.
Ständische Interessen und Strategien
Václav Bůžek
Die Glaubensfreiheit im Denken und Alltagsleben des Peter Wok von Rosenberg Als Peter Wok von Rosenberg wegen der wachsenden Verschuldung seines Besitzes den ehrwürdigen Familiensitz in Böhmisch Krumau (Český Krumlov) an Kaiser Rudolf II. verkauft hatte, übersiedelte er Anfang April 1602 in das im RenaissanceStil umgebaute Schloss in Wittingau (Třeboň),1 das bis zu seinem Tod im November 1611 als Hauptresidenz des Geschlechts dienen sollte.2 Unter Betonung der geschichtlichen Tradition formte der letzte Rosenberger Regent in Wittingau das Vermächtnis seiner Vorfahren, das sich in den symbolischen Medien der materiellen, geistigen und politischen Kultur widerspiegelte. Die um vier Höfe konzentrierten Schlossgebäude besaßen mehr als 90 Räume, die zum Wohnen, zur Repräsentation und für den Alltagsbetrieb bestimmt waren. Zur Residenz gehörte auch ein umfangreicher Garten mit Lustschloss und geometrisch angelegten Beeten voller Blumen und Stauden.3 Der Hof des Peter Wok von Rosenberg zählte ungefähr 220 Höflinge und Diener, die sich in den Räumen des Schlosses an 20 Speise tischen verpflegten.4 Die künstlerisch anspruchsvolle manieristische Ausgestaltung der Innenräume enthielt Motive aus der römischen Geschichte und heraldische Symbole der fünfblättrigen roten Rosen, die an die Hochadeligkeit der Rosenberger und ihre exklusive Stellung in der Ständegemeinde des Böhmischen Königreichs erinnerten.5 Ein eigenes Gebäude wurde für die Bibliothek, die Galerie und die 1
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Die Studie ist die erweiterte Fassung des Beitrags von Bůžek, Václav: Die politische Rolle der Residenz Peter Woks von Rosenberg in Třeboň/Wittingau zur Zeit des Bruderzwists. In: Ein Bruderzwist im Hause Habsburg 1608–1611. Hg. v. dems. České Budějovice 2010 (Opera historica 14), 307–330. Březan, Václav: Životy posledních Rožmberků [Die Leben der letzten Rosenberger]. 2 Bde. Hg. v. Jaroslav PáNek. Praha 1985, 562–563. – PáNek, Jaroslav: Poslední Rožmberkové – velmoži české renesance [Die letzten Rosenberger – Magnaten der böhmischen Renaissance]. Praha 1989, 295. Bůžek, Václav u. a.: Dvory velmožů s erbem růže. Všední a sváteční dny posledních Rožmberků a pánů z Hradce [Die Höfe der Magnaten mit dem Wappen der Rose. Alltag und Festtage der letzten Rosenberger und der Herren von Neuhaus]. Praha 1997, 39–41. Státní oblastní archiv Třeboň (Staatliches Regionalarchiv Wittingau) [im Folgenden: SOA Třeboň], Cizí rody – registratura (Fremde Geschlechter – Registratur), z Rožmberka (von Rosenberg), Sign. 10, Fasz. II. Näher dazu hrdliČka, Josef: Hodovní stůl a dvorská společnost. Strava na raně novověkých aristokratických dvorech v českých zemích (1550–1650) [Der Speisetisch und die höfische Gesellschaft. Die Verpflegung an frühneuzeitlichen Aristokratenhöfen in den böhmischen Ländern (1550–1650)]. České Budějovice 2000 (Monographia historica 1), 161. Zur symbolischen Bedeutung der heraldischen Ausschmückung näher Bůžek, Václav: Paměť v heraldické výzdobě předmětů hmotné kultury šlechtických sídel 16. a 17. století [Die Erinnerung in der heraldischen Ausschmückung von Objekten der materiellen Kultur in Adelssitzen
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Kunstkammer des letzten Regenten des Hauses Rosenberg errichtet, der sich zum Glauben der Brüderunität bekannte.6 Den Anstoß zum langfristigen Aufbau einer öffentlichen Bibliothek, die Václav Březans Katalog zufolge 11.000 Bände mit theologischer, juristischer, medizinischer, naturwissenschaftlicher, historischer und philosophischer Literatur enthielt, gab der Wunsch von Peter Wok von Rosenberg und seinen Vorgängern, sich genauer im religiösen, politischen und gesellschaftlichen Geschehen der Gegenwart zu orientieren.7 Die der Öffentlichkeit nicht zugängliche Kunstkammer barg wohl zehn Schränke und Truhen, in denen sich ca. 200 luxuriös gestaltete Objekte in Futterale befanden; diese waren einem zeitgenössischen Inventar zufolge vier Themenkomplexen zugeordnet.8 Im manieristischen Weltbild des alternden Rosenbergs spielten die Adeligkeit, die unerfüllte Sehnsucht nach einem Nachkommen, die Vergänglichkeit der irdischen Zeit und der näher rückende Tod eine wichtige Rolle. Dem entsprachen auch die Sammlungen, in denen sich Wachsplastiken der Vorfahren, Modelle der Rosenberger Residenzen, mechanische Instrumente zur Messung der Zeit und der Windgeschwindigkeit bzw. zur Beobachtung der Sterne und der Bestimmung der geographischen Position, vergoldete Menschenknochen und Gebetbüchlein befanden. Auch eine vollständige Druckereiausstattung mit Buchstabensatz, Papierpaketen und Pergament hatte in der Kunstkammer ihren Platz. Diese Objekte lassen die Ansicht verlockend erscheinen, dass sich Peter Wok in Wittingau ein Umfeld zur Herstellung von Flugblättern schuf, in denen er seine politischen und religiösen Ansichten verbreiten konnte. Die propagandistische Bedeutung der zeitgenössischen Flugblätter und allegorischen Werke mit religiösem und politischem Inhalt kannte er aus eigener Erfahrung. Unter den Dokumenten des Rosenberger Familienarchivs befinden sich kurze Werke anonymer Autoren aus den Jahren 1607 und 1608, die durch die Brille der böhmischen Nichtkatholiken Zeugnis über die religiösen Konflikte in Venedig und im Reich ablegen.9 Wegen des zunehmenden Gefühls der Bedrohung schritt Peter Wok zu einer umfangreichen Militarisierung seines Dominiums, dessen Verschuldung trotz der erzwunge-
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des 16. und 17. Jahrhunderts]. In: Paměť urozenosti. Hg. v. dems. und Pavel král. Praha 2007, 37–57. PáNek, Poslední Rožmberkové (wie Anm. 2), 227–229. Veselá, Lenka: Knihy na dvoře Rožmberků [Bücher am Hof der Rosenberger]. Praha 2005, 135–167. steJskal, Aleš: Rožmberská a švamberská kunstkomora na počátku 17. století a její inventář [Die Rosenberger und Schwanberger Kunstkammer zu Beginn des 17. Jahrhunderts und ihr Inventar]. In: Archivum Trebonense 9 (2001), 66–85. Näher dazu und mit Quellenverweisen Bůžek, Václav: Der Heilige Stuhl und die böhmischen Länder während des Pontifikats Pauls V. In: Die Außenbeziehungen der römischen Kurie unter Paul V. Borghese (1605–1621). Hg. v. Alexander koller. Tübingen 2008 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 115), 121–141, hier 127–134. – Bůžek, Václav: Obraz konfliktu papeže a benátského dóžete z let 1606 až 1607 v očích české a moravské šlechty [Das Bild des Konflikts zwischen dem Papst und dem Dogen von Venedig in den Jahren 1606 bis 1607 in den Augen des böhmischen und mährischen Adels]. In: Angelus pacis. Sborník prací k poctě Noemi Rejchrtové. Hg. v. Pavel B. kůrka, Jaroslav PáNek und Miloslav Polívka. Praha 2008, 341–351. – VoCelka, Karl: Die politische Propaganda Kaiser Rudolfs II. (1576–1612). Wien 1981, bes. 301–324.
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nen Abverkäufe zahlreicher Herrschaften seit 1602 ungefähr 20 % des festgestellten Wertes des unbeweglichen Besitzes betraf.10 Dabei legte er nicht nur auf die Modernisierung der veralteten Artillerie Wert, sondern konzentrierte in zwei Wittingauer Zeughäusern Waffen und Ausrüstung für annähernd 2.500 Untertanen.11 Obwohl Peter Wok seine Teilnahme an den Landtagssitzungen in Prag nach dem Umzug nach Wittingau einschränkte, gehörte er im Hinblick auf die Situation in Mitteleuropa zu den bestinformierten böhmischen Adeligen.12 Seine Erkenntnisse über religiöse und politische Konflikte bezog er aus den Nachrichten der geschriebenen Wochenzeitungen. Ihre Aussagen wurden noch durch Berichte eigener Höflinge und Agenten, Briefe der obersten Landesbeamten und den persönlichen Umgang mit geladenen Gästen ergänzt.13 Als der Bruderzwist zwischen Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias ausbrach, reisten adelige Gäste aus dem Reich, den österreichischen und den böhmischen Ländern nach Wittingau, um dort über ein gemeinsames Vorgehen in Glaubensfragen und über die Lösung der Krise in der Habsburgerdynastie zu verhandeln.14 Gemeinsam mit dem kinderlosen Peter Wok ließen sich an der gedeckten Tafel die böhmischen Adeligen nieder, die sich um sein Erbe bemühten: der gemäßigte Katholik Wolf Novohradský von Kolowrat,15 der einflussreiche Vertreter des evangelischen Adels, Johann Georg von Schwanberg,
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Bůžek, Václav: Úvěrové podnikání nižší šlechty v předbělohorských Čechách [Kreditunternehmen des niederen Adels in Böhmen in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg]. Praha 1989, 29 f. Flinten, Hellebarden, Rüstungen und Helme kaufte die Rosenberger Kammer bei Waffenschmieden in den Städten auf dem Dominium des letzten Rosenberger Regenten. Näher dazu steJskal, Aleš/Bůžek, Václav: Výzbrojní program Petra Voka z Rožmberka (Příspěvek k poznání mentality raně novověkého velmože) [Das Aufrüstungsprogramm des Peter Wok von Rosenberg (Ein Beitrag zur Erkenntnis der Mentalität eines frühneuzeitlichen Magnaten)]. In: Folia historica bohemica 15 (1991), 179–268. PáNek, Jaroslav: Spor o Petra Voka z Rožmberka [Der Streit um Peter Wok von Rosenberg]. In: Jihočeský sborník historický 56 (1987), 169–185, hier 178. ŠiMeČek, Zdeněk: Linz und seine Nachrichtenvermittlung nach Böhmen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1969, 269–290. – ders.: Osmanská expanze v českém zpravodajství 16. a počátku 17. století [Die osmanische Expansion im böhmischen Nachrichtenwesen des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts]. In: Osmanská moc ve střední Evropě. Bd. 2. Praha 1977, 310–373. – Pražáková, Kateřina: Obraz livonské války v psaných novinách rožmberského zpravodajství [Das Bild des Livländischen Krieges in den geschriebenen Zeitungen des Rosenberger Nachrichtenwesens]. In: Člověk a sociální skupina ve společnosti raného novověku. Hg. v. Václav Bůžek und Jaroslav diBelka. České Budějovice 2007 (Opera historica 12), 13–32. – kuBeŠ, Jiří: Jan Libra ze Soběnova – rožmberský hospodář v Praze a jeho každodenní život (1604–1609) [Jan Libra von Soběnov – ein Rosenberger Verwalter in Prag und sein Alltagsleben (1604–1609)]. In: Pražský sborník historický 31 (2000), 93–148. PáNek, Poslední Rožmberkové (wie Anm. 2), 306–336. Zu den politischen und religiösen Einstellungen des Wolf Novohradský von Kolowrat näher Bůžek, Václav: Aliance Rožmberků, Zrinských ze Serynu a Novohradských z Kolovrat na počátku 17. století [Die Allianz der Rosenberger, Zrinský von Seryn und Novohradský von Kolowrat zu Beginn des 17. Jahrhunderts]. In: Jihočeský sborník historický 65 (1996), 10–25.
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sowie Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg, der zum Katholizismus konvertiert war.16 Als die Vertreter der ungarischen und österreichischen Stände am 1. Februar 1608 in Pressburg einen Konföderationsvertrag schlossen, in dem sie sich zur gemeinsamen Bestätigung der Friedensschlüsse von Wien und Zsitvatorok sowie zur Verteidigung der gemeinsamen Interessen mit Erzherzog Matthias verpflichteten, rechneten sie mit Unterstützung aus den übrigen Ländern des Habsburgerreiches.17 Die ungarischen Stände argumentierten in Schreiben an Adam von Sternberg und Peter Wok von Rosenberg, die persönliche Erfahrungen auf dem ungarischen Schlachtfeld gesammelt hatten, mit der permanenten Bedrohung durch die Türken im östlichen Teil der Monarchie.18 Peter Wok hatte 1594 an der Spitze des Feldzugs der böhmischen Stände gegen die Türken gestanden.19 Wohl zur Erinnerung an diese Expedition brachte er in der Waffenkammer auf dem Schloss in Wittingau türkische Säbel, Sättel und Stiefel unter, die er aus Ungarn mitgebracht hatte. Er befahl, auf den türkischen Gegenständen sein Besitzzeichen in Gestalt des Wappens mit der fünfblättrigen roten Rose anzubringen.20 Die erbeuteten türkischen Fahnen stellte er sogar in den Wohnräumen seines Schlosses aus, um die Erinnerung an die christlichen Ritter zu beleben, deren Heldentaten in den Kämpfen gegen die Andersgläubigen aus der symbolischen Ausstattung der Rosenberger Residenzen sprachen.21 Adam von Sternberg hatte den Feldzug der böhmischen Stände gegen die
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WiNkelBauer, Thomas: Konfese a konverze. Šlechtické proměny vyznání v českých a rakouských zemích od sklonku 16. do poloviny 17. století [Konfession und Konversion. Adelige Glaubenswechsel in den böhmischen und österreichischen Ländern vom Ende des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts]. In: Český časopis historický 98 (2000), 476–540, hier 513–523. Mit Verweisen auf die ältere Literatur vor allem vyBíral, Zdeněk: Stavovská Morava mezi Rudolfem II. a Matyášem (Vztahy mezi českou a moravskou stavovskou reprezentací a konfederace z roku 1608) [Das ständische Mähren zwischen Rudolf II. und Matthias (Die Beziehungen zwischen der böhmischen und der mährischen Ständerepräsentation und die Konföderation von 1608)]. In: Časopis Matice moravské 116 (1997), 347–386, hier 349–355. – kNoz, Tomáš: Karel st. ze Žerotína. Don Quijote v labyrintu světa [Karl d. Ä. von Žerotín. Ein Don Quijote im Labyrinth der Welt]. Praha 2008, 212–216. – Zum mitteleuropäischen Kontext sturmBerger, Hans: Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns. Linz 1953, 143–150, und bes. stroHmeyer, Arno: Konfessionskonflikt und Herrschaftsordnung. Das Widerstandsrecht bei den österreichischen Ständen (1550–1650). Mainz 2006 (Veröffentlichung des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung für Universalgeschichte 201), 130–148. Näher SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6120: Paměti strany arciknížete Matyáše léta 1608 (Erinnerungen der Partei des Erzherzogs Matthias vom Sommer 1608). Bůžek, Václav: Protiturecké tažení z roku 1594 (Hospodářské a politické aspekty generalátu Petra Voka z Rožmberka) [Der Feldzug gegen die Türken im Jahr 1594 (Wirtschaftliche und politische Aspekte des Generalats von Peter Wok von Rosenberg)]. In: Jihočeský sborník historický 58 (1989), 53–66. Dazu steJskal/Bůžek (wie Anm. 11), 210 f. – PrCHal, Vítězslav: Obraz křesťanského rytíře? Turcika ve šlechtických zbrojnicích raného novověku [Das Bild des christlichen Ritters? Turcica in den adeligen Waffenkammern der Frühen Neuzeit]. In: Theatrum historiae 2 (2007), 123–136, hier 127. Bůžek, Václav/JakuBeC, Ondřej/král, Pavel: Jan Zrinský ze Serynu. Životní příběh synovce
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Türken in Ungarn im Jahr 1605 angeführt.22 In der gleichen Zeit, in der die österreichischen und ungarischen Stände über den Konföderationsvertrag verhandelten, befahl er, den großen RenaissanceSaal im Schloss zu Bechin (Bechyně), das er 1596 vom letzten Rosenberger Regenten gekauft hatte, mit Szenen von den Sitzungen des Land-, Hof-, Kammer- und Burggrafengerichts des Böhmischen Königreichs auszumalen.23 In der symbolischen Ausschmückung spiegelte sich die tief verwurzelte Tradition der politischen Machtteilung im Böhmischen Königreich zwischen Herrscher und Ständen wider, zu der sich die beiden Adressaten der Schreiben der ungarischen Stände ohne Rücksicht auf ihre abweichenden religiösen Überzeugungen bekannten. Berichte über die Einberufung einer nicht genehmigten Versammlung der mährischen Stände nach Eibenschitz (Ivančice) drangen auf mehreren Wegen zum Rosenberger Regenten in Wittingau vor. Obwohl Peter Wok am 1. Februar 1608 von Wenzel Budowetz von Budow und am 24. März 1608 von Georg Erasmus Tschernembl besucht worden war,24 überwogen unter seinen Gästen im Frühjahr 1608 die katholisch gesinnten obersten Landesbeamten des Böhmischen Königreichs, die nach den überlieferten Zeugnissen des Rosenberger Chronisten die Verhandlungen der mährischen Stände verurteilten und die Interessen Rudolfs II. verteidigten.25 Das Bild der ungehorsamen mährischen Stände spiegelte sich in den schriftlichen Mitteilungen von Wilhelm Slawata wider, der sich wiederholt in Mähren aufhielt.26 Wenn er von seinen Reisen nach Neuhaus (Jindřichův Hradec) zurückkehrte, fuhr er in das unweit gelegene Wittingau, wo er lange mit Peter Wok über die politischen Positionen der mährischen Stände sprach.27 Aus dem ebenfalls in der Nähe liegenden Weitra kam wiederum Friedrich von Fürstenberg nach Wittingau, der nach einer erfolgreichen Karriere im Heer des Erzherzogs Matthias zeit-
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posledních Rožmberků [Johann Zrinský von Seryn. Die Lebensgeschichte des Neffen der letzten Rosenberger]. Praha 2009, 126–133. Sněmy české od léta 1526 až po naši dobu [Die böhmischen Landtage vom Sommer 1526 bis in unsere Zeit]. Bd. 11. Praha 1910, 212–214. In breiterem Kontext und mit einer Zusammenfassung der älteren Literatur žitný, Miroslav: Deník Šťastného Václava Pětipeského z Chýš z roku 1605 [Das Tagebuch des Felix Wenzel Pětipeský von Chýše aus dem Jahr 1605]. In: Šlechta raného novověku pohledem českých, francouzských a španělských historiků. Hg. v. Václav Bůžek. České Budějovice 2009 (Opera historica 13), 187–262. krČálová, Jarmila: Renesanční nástěnné malby zámku Bechyně [RenaissanceWandmalereien auf Schloss Bechin]. In: Umění 11 (1963), 29–45. Březan (wie Anm. 2), 589, 592. Vgl. die Besuche von Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg, Adam d. J. von Waldstein und Wolf Novohradský von Kolowrat in Wittingau. Näher Březan (wie Anm. 2), 591 f. Zu den Berichten aus Mähren vgl. Moravský zemský archiv Brno (Mährisches Landesarchiv Brünn), G 12, Cerroniho sbírka II, Nr. 207 (Hs. mit dem Titel: Rozličné věci, které v tomto roku 1608 v Čechách i v Moravě zašly a Jeho Milosti pánu, panu Petru Vokovi z Rožmberku od některých pánův odeslané byly a originální knihy rožmberské vypsané... [Verschiedene Dinge, die sich in jenem Jahr 1608 in Böhmen und in Mähren zutrugen und Seiner Gnaden Herrn, Herrn Peter Wok von Rosenberg von einigen Herren gesandt und in die originalen Rosenberger Bücher eingeschrieben wurden…]). – vyBíral (wie Anm. 17), 353 f. Březan (wie Anm. 2), 592.
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weise als Obersthofmeister und Geheimer Rat am Hof Rudolfs II. wirkte.28 Da Karl d. Ä. von Žerotín im Frühjahr 1608 seine Korrespondenz mit dem Rosenberger Regenten eingeschränkt hatte, schickte sein Prediger, der Unitätsgeistliche Jindřich Daniel Švarc von Semanín, der früher am Hof von Peter Wok tätig gewesen war, Nachrichten aus Rossitz (Rosice) nach Wittingau. Neuigkeiten aus Mähren erreichten Wittingau auch über Matthias Timin von Ottenfeld. Der Leibarzt von Peter Wok übergab die Nachrichten nicht nur dem letzten Rosenberger, sondern sie gingen auch über dessen deutschen Sekretär Theobald Hock weiter nach Amberg zu Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg.29 Dessen Gesandter Oswald Croll überzeugte Peter Wok, die Tätigkeit der Protestanten im Reich mit Krediten zu unterstützen.30 Als die mährischen Stände am 19. April 1608 in Eibenschitz dem Konföderationsvertrag der österreichischen und ungarischen Stände beigetreten waren, wandten sie sich zugleich in zwei Schreiben an Peter Wok in Wittingau mit der Bitte, die böhmischen Stände sollten das neu entstandene Bündnis mit Erzherzog Matthias unterstützen.31 Dessen Kern war die gegenseitige Zusicherung militärischer Hilfe bei einem Angriff durch einen äußeren Feind, der auf symbolischer Ebene eine türkische Gestalt besaß. Türkenhäupter schmücken nicht nur das Rathaus in Eibenschitz, sondern sie tauchen auch in den Höfen der Schlösser von Ladislaus Velen von Žerotín in Mährisch Trübau (Moravská Třebová) bzw. von Hanuš Petřvaldský von Petřvald in Ratschitz (Račice) auf; der Letztgenannte hatte an der Versammlung der mährischen Stände teilgenommen.32 Das gewählte Programm der Selbstrepräsentation der beiden Adeligen als christliche Ritter strahlte eine deutliche Botschaft aus: Die mährischen Adeligen evangelischen Bekenntnisses waren auf Grund ihrer eigenen Erfahrungen mit den Türken auf die Verteidigung der christlichen Werte und der ständischen Freiheiten im Land vorbereitet. Der tatsächliche Feind der österreichischen, ungarischen und mährischen Stände war Rudolf II., der es ablehnte, die Gültigkeit des Wiener Friedens zu bestätigen. Peter Wok von Rosenberg leitete die beiden Schreiben an die obersten Landesbeamten nach Prag weiter. Er selbst ließ sie anscheinend unbeantwortet.33 In der Zeit der Zuspitzung der dynastischen Krise schickte Wolf Novohradský von Kolowrat, der die Hoffnung auf das Rosenberger Erbe nicht aufgegeben hatte, umfangreiche Berichte über den Feldzug des Erzherzogs Matthias in das Böhmische Königreich sowie über das Auftreten seiner Gesandten bei der Sitzung des böhmischen Landtags am 24. Mai 1608 von Prag nach Wittingau.34 In seinen 28 29 30 31 32
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ebd., 591–596. – Der Hof Kaiser Rudolfs II. Eine Edition der Hofstaatsverzeichnisse 1576– 1612. Hg. v. Jaroslava HauseNBlasoVá. Praha 2002 (Fontes historiae artium 9), 203 f. Genauer vyBíral (wie Anm. 17), 361. PáNek: Poslední Rožmberkové (wie Anm. 2), 315. – Bůžek, Václav: Rytíři renesančních Čech [Ritter in Böhmen in der Zeit der Renaissance]. Praha 1995, 56–64. Genauer vyBíral (wie Anm. 17), 364 f. Im breiteren Kontext Bůžek, Václav: Türkische Motive in der Selbstdarstellung von Adligen in den böhmischen Ländern zu Beginn der Neuzeit. In: Repräsentationen der islamischen Welt im Europa der Frühen Neuzeit. Hg. v. Gabriele Haug-moritz und Ludolf Pelizaeus. Münster 2010, 95–126. vyBíral (wie Anm. 17), 365. Die wichtige Funktion des gemäßigten Katholiken Wolf Novohradský von Kolowrat als Be-
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Kommentaren zur politischen Situation malt er das Bild des Kaiserbruders als grausamer Kriegsherr, der bei seinem Feldzug Landschaft und Häuser zerstörte und die Bevölkerung tötete. Als Wolf Novohradský von Kolowrat Peter Wok schilderte, dass Matthias über seine Gesandten Rudolf II. während der Landtagssitzung ausrichten ließ, er solle auf die Böhmische Krone verzichten und den Rest seines Lebens auf einem Gut in Tirol oder in irgendeinem Kloster verbringen, war er sehr empört. Wolf Novohradský hielt unter Verweis auf den Brief des Heiligen Paulus an die Römer sowohl eine „gute“ als auch eine „böse“ Obrigkeit für unantastbar und lehnte daher jeden Widerstand gegen die königliche Macht ab, wie ihn etwa die gemeinsame Konföderation der österreichischen, ungarischen und mährischen Stände demonstrierte.35 Für Rudolf II. verspürte Wolf Novohradský Mitleid. Der Kaiser sei so geschwächt, dass er nicht die Treppen hinaufgehen könne, um auf dem Landtag vor die böhmischen Stände zu treten. Wolf Novohradský von Kolowrat teilte Peter Wok mit, dass der Erzherzog durch seine Gesandten auf dem böhmischen Landtag den Kaiser als „schlechtesten Menschen“ zeichnen ließ, der nicht in der Lage sei, eine Ehe einzugehen und einen gesunden Sohn zu zeugen, damit dieser die Regierung vom Vater übernehmen könne. Die Argumente von Erzherzog Matthias waren nicht zufällig gewählt, denn im Böhmischen Königreich waren noch die Nachrichten über den brutalen Mord an einem Bürgermädchen präsent, den der uneheliche Sohn des Kaisers Don Julius Cesare d´Austria im Februar 1608 auf dem Schloss in Böhmisch Krumau begangen hatte.36 Das Ereignis hatte zu Überlegungen über einen Zusammenhang zwischen der Geisteskrankheit des Kaisers und den Wahnsinnsanfällen seines unehelichen Sohnes geführt. Es lässt sich nicht ausschließen, dass Wolf Novohradský von Kolowrat in diesem Brief an den letzten Rosenberger auf dessen eigene persönliche Tragödie anspielte, die an das Schicksal des Habsburgerkaisers erinnerte. Die wiederholten persönlichen Begegnungen mit Peter Wok in Wittingau nutzte Wolf Novohradský von Kolowrat zur Übergabe von Nachrichten, die er „Tinte und Papier nicht anvertrauen konnte“.37 Sein Zeugnis belegt, dass mündliche Verhandlungen bei der Verbreitung politischer Nachrichten in Wittingau eine wichtigere Rolle spielten als schriftliche Mitteilungen in Briefen. In der Religionsfrage identifizierte sich Peter Wok mit der Position des Wenzel Budowetz von Budow und anderer nichtkatholischer Adeliger, die die Sitzungen des böhmischen Landtags im Mai und Juni 1608 ausnutzen, um erneut Druck auf
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richterstatter und sein Einfluss auf Peter Wok von Rosenberg in der Zeit der dynastischen Krise zwischen Rudolf II. und Matthias blieb trotz der überlieferten Korrespondenz lange Zeit unbeachtet. Vgl. BaHlCke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3), 309– 360. – vyBíral (wie Anm. 17), 366. SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6134 (Brief des Wolf Novohradský von Kolowrat an Peter Wok von Rosenberg, 27.05.1608). Březan (wie Anm. 2), 590 f. – SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6156. Vgl. das Schreiben des Wolf Novohradský von Kolowrat an Peter Wok von Rosenberg (03.11.1606) in SOA Třeboň, Cizí rody – registratura (Fremde Geschlechter – Registratur), Novohradský z Kolovrat, ohne Sign.
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Rudolf II. auszuüben, damit dieser die Confessio Bohemica als Ausgangspunkt für Verhandlungen über die Glaubensfreiheit anerkannte. Die böhmischen Stände erhörten jedoch nicht die dringenden Aufforderungen Karls d. Ä. von Žerotín, sich der Konföderation der österreichischen, ungarischen und mährischen Stände anzuschließen und Matthias als König anzunehmen.38 Berichte über die Verhandlungen zwischen den böhmischen Ständen und den Vertretern der Konföderation sowie des Erzherzogs in der zweiten Junihälfte 1608 erhielt Peter Wok vor allem von Wilhelm Slawata,39 der in Wittingau mit größter Wahrscheinlichkeit seinen eigenen Nachrichtenagenten hatte.40 Als Erzherzog Matthias nach der Unterzeichnung des Liebener Friedens über Pyšely, Konopiště, Miličín, Tábor und Neuhaus nach Mähren zog, verbrachte er am 4. Juli 1608 die Nacht in Sobieslau (Soběslav).41 Der Stadtrat bereitete ihm mit finanzieller Unterstützung von Peter Wok und unter persönlicher Beteiligung von dessen engen Mitarbeitern einen großzügigen Empfang. Die Ausdrucksformen der symbolischen Kommunikation auf dem Marktplatz von Sobieslau belegten keineswegs Sympathien des letzten Rosenberger Regenten für den Herrscher über Ungarn, Österreich und Mähren, sondern sie zeigten den persönlichen Zeugnissen des Stadtrates zufolge die „gnädige und väterliche“ Sorge des Peter Wok für die eigenen Untertanen, denen er die Güte „der christlichen Liebe“ erwies.42 Das großzügige Handeln des Rosenbergers verhinderte in der Umgebung von Sobieslau gewaltsame Zusammenstöße zwischen Matthias’ militärischem Gefolge und der hiesigen Bevölkerung sowie größere Sachschäden, deren Beschreibung in den schriftlichen Quellen der meisten böhmischen Stände ein stereotypes Bild von Matthias’ Feldzug nach Böhmen liefert.43 Die unterschiedlichen Interessen der Länder der Konföderation und des übrigen Habsburgerreiches wurden langfristig durch die gemeinsame Verteidigung gegen 38 39 40
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Neuerdings die für ein breites Publikum geschriebene Arbeit von Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Rudolfs Majestätsbrief. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19), 36–45. vyBíral (wie Anm. 17), 376, Anm. 104. Der Nachrichtenagent Wilhelm Slawatas könnte Burian Celerin Bramhauzský von Roštejn gewesen sein, der zeitweilig in Wittingau als Sekretär bei Peter Wok von Rosenberg tätig war. Vgl. dazu das Schreiben von Burian Celerin Bramhauzský an Wilhelm Slawata (10.07.1607) in SOA Třeboň, Außenstelle Jindřichův Hradec, Rodinný archiv Slavatů (Familienarchiv Slawata), Inv.-Nr. 111, Sign. III A 2 b, Kart. 15 (für den Hinweis auf diesen Brief danke ich Josef Hrdlička). Zu Leben und Karriere des Burian Celerin Bramhauzský näher Bůžek u. a. (wie Anm. 3), 247–251. Näheres im Brief von Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg an Peter Wok von Rosenberg (28.06.1608) in SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6138. Vgl. das Schreiben des Stadtrats von Sobieslau an Peter Wok von Rosenberg (06.07.1608) in SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6139. Am 27.05.1608 schrieb Wolf Novohradský von Kolowrat an Peter Wok von Rosenberg (SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6134) u. a.: „Im Tschaslauer Kreis und in anderen bis nach Prag haben sie alles geplündert und große beachtliche Schäden angerichtet, ob dies zum Schutz des Königreichs und unserer Privilegien geschah, soll jeder für sich selbst entscheiden. [...] Vom Volk sind auch schon viele Tausend bei Prag und immer mehr zieht dorthin. Falls Gott der Herr sich nicht der Barmherzigkeit mehr als unseren Sünden zuzuneigen geruht, wird daraus nicht Gutes hervorgehen.“
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die Türken bestimmt. Auf symbolischer Ebene belegen die bereits erwähnten türkischen Motive in der Ausschmückung der mährischen Arkadenschlösser die angedeutete Denkweise. Die moderne Forschung zeigt, dass die zeitweilige Aufteilung der Länder der Böhmischen Krone unter zwei Herrschern die Folge lang andauernder Konflikte zweier gegensätzlicher ständischer Mentalitäten war.44 Die Mentalität der mährischen Stände basierte auf dem politischen Regionalismus, der den Adeligen genügend Raum zur Selbstrepräsentation der eigenen politischen und religiösen Einstellungen lieferte. Die Zusammenarbeit von politisch gleichberechtigten Einheiten des Staates konnte in ihren Vorstellungen einen Schutzwall gegen die Bestrebungen des habsburgischen Zentralismus errichten. Die böhmischen Stände verteidigten dagegen eine Politik der ungeteilten Länder der Böhmischen Krone. Obwohl die Treffen auf Schloss Wittingau zur gegenseitigen Weitergabe von Nachrichten über die politische Entwicklung in Böhmen, Mähren, Oberösterreich und teilweise in Ungarn beitrugen, ergibt sich aus einer Analyse der Korrespondenz, dass Peter Wok in Übereinstimmung mit seinem konservativen politischen Denken eher ein unbeteiligter Beobachter der politischen und religiösen Zusammenstöße sowie ein guter Gastgeber und Finanzier war.45 In der Zeit der dynastischen Krise der Habsburger wandte sich der kinderlose letzte Rosenberger Regent in der Abgeschiedenheit des Wittingauer Schlosses eher der Suche nach einem Ausweg aus der Krise seines eigenen Geschlechts zu, die ihn stärker fesselte als die Kämpfe um die Glaubensfreiheit im Böhmischen Königreich. Nach der Eheschließung seines Neffen Johann Zrinský von Seryn mit Maria Magdalena Novohradská von Kolowrat, die Anfang November 1600 in Böhmisch Krumau erfolgt war, erwartete er einen Nachkommen.46 Die manieristische Ausschmückung der Tafelstube auf Rosenberg, wo das junge Ehepaar im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts wohnte, verweist auf den Zusammenhang der ikonographischen Symbole von Ehe, Fruchtbarkeit, Vergänglichkeit menschlichen Lebens und Tod. In der Ausgestaltung der Tafelstube zeigen sich die Tugenden des christlichen Ritters, der, ähnlich wie seine adeligen Vorfahren, dem böhmischen König die Treue hielt und das Gemeinwohl des Landes rettete.47 Bei den Rosenbergern waren die Tugendsymbole der christlichen Ritter erstmals im Ausstattungsprogramm des Deckengewölbes im Schlafzimmer von Peter Wok auf Schloss Bechin an der Wende der achtziger und neunziger Jahre des 16. Jahrhunderts deutlicher zum Ausdruck gebracht worden.48 Die Symbole stellen hier anschaulich ein wertvolles Zeugnis über die Veränderungen in der Gedankenwelt des Peter Wok dar, der die Welt der Trinkgelage verlassen hatte, sich der End44 45 46 47 48
Válka, Josef: Dějiny Moravy. Morava reformace, renesance a baroka [Geschichte Mährens. Mähren in Reformation, Renaissance und Barock]. Brno 1995, 86–89. – vyBíral (wie Anm. 17), 370. PáNek (wie Anm. 2), 316–319. Ähnlich Just (wie Anm. 38), 66–68. Bůžek (wie Anm. 15), 10–25. Näher Bůžek/JakuBeC/král (wie Anm. 21), 61–140. leJskoVá-matyáŠoVá, Milada: Program štukové výzdoby tzv. soudnice zámku v Bechyni [Das Programm der Stuckverzierung der sog. Gerichtsstube auf Schloss Bechin]. In: Umění 21 (1973), 1–17.
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lichkeit des menschlichen Lebens bewusst geworden war und durch den Eintritt in die Brüderunität seine Sehnsucht nach der Erkenntnis der „reinen und wahren Lehre“ erfüllt hatte.49 Auch gegen Ende seines Lebens fand der letzte Rosenberger in den Gedanken an die Vergänglichkeit des eigenen Seins und in der Sehnsucht nach dem ewigen Heil geistlichen Trost in Gebeten, wie die Worte des Unitätspredigers Matěj Cyrus andeuten: „[...] denn Seiner Gnaden ist es in diesem hohen ehrwürdigen Alter bereits ein Bedürfnis, oft mit den Boten Christi über sein Heil zu sprechen, Predigten, Gespräche und das Wort des Herrn sowie die Sakramente der heiligen Lossprechung und des Abendmahls zur Bestätigung des wesentlichen Christus pro viatico zu genießen [...].“50 Seine Ansichten über die Glaubensfreiheit als „Geschenk Gottes“ hatte Peter Wok Anfang des 17. Jahrhunderts in Briefen an Adelige, Bürger und Geistliche enthüllt, die sich zur Brüdergemeinde in Jungbunzlau (Mladá Boleslav) mit ihrem umfangreichen Netzwerk persönlicher Beziehungen in Nordwestböhmen bekannten: „[...] damit Ehre und Ruhm Gottes vermehrt, seine reine Lehre und Wahrheit ausgebildet und gefestigt werde [...]“, schrieb der Rosenberger Regent Mitte März 1610 an Šťastný Wenzel Pětipeský von Chýše und Johann Milner von Milhaus.51 Die Sorgen um das Aussterben seines Geschlechts ließen Peter Wok in Erinnerungen an die Vergangenheit verweilen, in denen die Tugenden der christlichen Ritter als Verteidiger des Gemeinwohls im Böhmischen Königreich gegenwärtig waren; diese wurden zu einem verständlichen Symbol für die Selbstpräsentation des Regenten und erfüllten das Vermächtnis der Vorfahren. Als Karl d. Ä. von Žerotín, Georg Erasmus Tschernembl und Reichard von Starhemberg Anfang Juli 1608 Böhmen verließen, besuchten sie Peter Wok in Wittingau. Aus der Notiz von Václav Březan wird deutlich, dass die Begegnung in kühler Atmosphäre verlief.52 Kaum hatte Wolf Novohradský vom Treffen der evangelischen Adeligen in Wittingau erfahren, warnte er Peter Wok vor vorschnellen Schritten: „Die Menschen sind merkwürdig böse. Auch kann nicht alles immer so gehen, wie manche es annehmen. Gott der Herr geruhe es[,] ins Gute zu wenden.“53 Anfang September 1608 lud er Peter Wok zu Verhandlungen mit den obersten Landesbeamten auf sein Schloss in Schlüsselburg (Lnáře) ein, um nach Wegen für ein Abkommen zwischen Rudolf II. und den evangelischen Ständen im Königreich Böhmen bezüglich der Religionsfreiheit zu suchen. Zwar kam auch der evangelisch gesinnte Hofrichter Johann Georg von Schwanberg nach Schlüssel49 50
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Mit den Umständen von Peter Woks Übertritt zur Brüderunität befasste sich PáNek (wie Anm. 2), 214 f. Das Schreiben von Matěj Cyrus an Peter Wok von Rosenberg (25.02.1604) veröffentlichte salaBa, Josef: Korrespondence kněze br. Matěje Cyra s Václavem Březanem a Petrem Vokem z Rožmberka [Die Korrespondenz des Unitätspriesters Matěj Cyrus mit Václav Březan und Peter Wok von Rosenberg]. In: Věstník Královské české společnosti nauk, třída filosoficko historicko-jazykozpytná 1900, 14 f. Státní oblastní archiv Litoměřice (Staatliches Regionalarchiv Leitmeritz) [im Folgenden: SOA Litoměřice], Zweigstelle Žitenice, Lobkovicové roudničtí – rodinný archiv (Raudnitzer Zweig der Lobkowitz – Familienarchiv), Sign. P 10/10 (17.03.1610). Březan (wie Anm. 2), 595. Näheres in einem Schreiben des Wolf Novohradský von Kolowrat an Peter Wok von Rosenberg (17.07.1608) in SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6140.
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burg, aber die übrigen Teilnehmer – Oberstburggraf Adam von Sternberg, Oberstlandrichter Adam d. J. von Waldstein und Oberstlandkämmerer Wolf Novohradský von Kolowrat – verteidigten die Interessen der gemäßigten Katholiken.54 In den Herbstmonaten 1608 erreichten Wittingau Nachrichten über Konflikte zwischen Erzherzog Matthias und den österreichischen Ständen, die es ablehnten, dem neuen Landesherrn zu huldigen, solange dieser ihnen nicht die alten Ständeprivilegien und die Religionsfreiheit bestätigt habe.55 Kommentierte Berichte über die Entstehung des Bundes der evangelischen Stände im niederösterreichischen Horn erhielt der Rosenberger Regent vor allem von Wolf Novohradský von Kolowrat.56 Dagegen leitete der gut informierte Karl d. Ä. von Žerotín, der dank der detaillierten Kommentare des Reichard von Starhemberg das Vorgehen der österreichischen Protestanten geradezu in einer Direktübertragung verfolgte, keine Nachrichten nach Wittingau weiter.57 Das Verhältnis zwischen Wenzel Budowetz von Budow und Peter Wok war im Herbst 1608 angespannt, was mit dem erwarteten Kampf um das Rosenberger Erbe in Zusammenhang gestanden haben mag. Wenzel Budowetz nahm an, dass Peter Wok Johann Georg von Schwanberg von den Ansprüchen auf das Erbe ausgeschlossen habe, womit der Zusammenhalt aller evangelischen Stände im Böhmischen Königreich, um den sich die beiden der Unität zugewandten Adeligen in der näher rückenden Konfrontation mit Rudolf II. um eine Religionsfreiheit nach den Grundsätzen der Confessio Bohemica bemühten, in Frage gestellt gewesen wäre.58 Die Einheit der nichtkatholischen Konfessionen war nach der Überzeugung von Wenzel Budowetz von Budow eine unverzichtbare Voraussetzung, um die Religionsfreiheit im Land zu erreichen.59 Eine mögliche gegen die Habsburger gerichtete Allianz der böhmischen, mährischen und österreichischen Stände evangelischen Bekenntnisses mit den Calvinisten im Reich sollte durch ein Treffen zwischen Christian von Anhalt-Bernburg, Georg Erasmus Tschernembl, Bernhard von Puchheim, Karl d. Ä. von Žerotín und Peter Wok Mitte November 1608 auf dem Schloss in Wittingau ausgelotet werden.60 Der mährische Magnat konnte letztlich nicht an der Begegnung teilnehmen. Die politische Bedeutung des Ständetreffens blieb weit hinter den Erwartungen zurück.61 Peter Wok hatte kein Interesse, als Vermittler zwischen den mitteleuropäi54 55 56 57
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PáNek (wie Anm. 2), 318. stroHmeyer (wie Anm. 17), 174–185. Vgl. das Schreiben des Wolf Novohradský von Kolowrat an Peter Wok von Rosenberg (28.10.1608) in SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6134. Näheres in den Briefen Karls d. Ä. von Žerotín an Reichard von Starhemberg (22.09.1608, 01.10.1608, 23.10.1608, 04.11.1608, 18.11.1608, 29.12.1608) – s. Dopisy Karla st. z Žerotína 1591–1610 [Die Briefe Karls d. Ä. von Žerotín]. Hg. v. František dVorský. Praha 1904 (Archiv český 27), 368–370, 375–378, 386, 390, 395 f., 404–407. Just (wie Anm. 38), 67 f. Vgl. die Korrespondenz des lutherisch gesinnten Joachim Andreas Schlick mit Wenzel Budowetz von Budow (09.09.1608, 18.09.1608) – s. Václava Budovce z Budova korrespondence z let 1579–1619 [Die Briefe des Wenzel Budowetz von Budow aus den Jahren 1579–1619]. Hg. v. Julius glüCkliCH. Praha 1908, 68–73. Březan (wie Anm. 2), 598. Die ältere österreichische Literatur überschätzte die Bedeutung dieses Treffens erheblich. Dazu
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schen Ständen aufzutreten. Seinen Sympathien für die oberösterreichischen evangelischen Stände verlieh er durch ein Darlehen Ausdruck.62 Nach der Beschlagnahmung der Korrespondenz von Oswald Croll begann sich vor Ende 1608 eine königliche Untersuchungskommission für den Inhalt der politischen Verhandlungen in Wittingau zu interessieren. Die obersten Landesbeamten mit Adam von Sternberg an der Spitze versuchten herauszufinden, ob Peter Wok die verbotene Brüderunität unterstützte63 und ob er nicht mit Hilfe von Christian von Anhalt-Bernburg und den österreichischen evangelischen Adeligen eine Verschwörung gegen den Kaiser vorbereitete.64 Als Wolf Novohradský von Kolowrat nach Wittingau mitteilte, dass am 19. November 1608 in Pressburg die Krönung von Erzherzog Matthias zum ungarischen König stattgefunden habe, schilderte er Peter Wok die Erwartungen, die der neue Herrscher erfüllen sollte. Von Matthias versprach er sich „Ordnung und Eintracht“ in Ungarn, was auch den umliegenden Ländern zugutekäme.65 Ähnliche Erwartungen verknüpfte auch Karl d. Ä. von Žerotín mit dem neuen ungarischen König, als er seine Vorstellungen von dessen Regierung in Ungarn in einem Brief an Wenzel Budowetz von Budow schilderte.66 Aufmerksamkeit verdient eine semantische Analyse der Sprache in den epistolographischen Aussagen dieser beiden Akteure des religiösen und politischen Geschehens, weil sie uns einen Einblick in die Werte ihrer Gedankenwelten erlauben.67 Die beiden unterschiedlichen Konfessionen zuneigenden Adeligen sahen in dem neuen ungarischen König eine Sicherheitsgarantie („Ordnung“) gegen einen Einfall der Türken. Ihre Vorstellungen vom Gemeinwohl („Eintracht im Lande“) unterschieden sich in Abhängigkeit von ihrer religiösen Überzeugung und ihrem politischen Denken. Karl d. Ä. von Žerotín nahm an, dass Matthias sich im Ungarischen Königreich um das Gemeinwohl verdient mache, wenn er den ungarischen Ständen die Religionsfreiheit bestätige. Das Böhmische Königreich hielt er dagegen für das abschreckende Beispiel eines Lan-
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sturmBerger (wie Anm. 17), 182 f. Březan (wie Anm. 2), 598. glüCkliCH, Julius: Mandát proti Bratřím z 2. září 1602 a jeho provádění v letech 1602–1604 [Das Mandat gegen die Brüderunität vom 2. September 1602 und seine Durchführung in den Jahren 1602–1604]. In: Věstník Královské české společnosti nauk 1904. Praha 1905, 1–28. PáNek (wie Anm. 2), 318 f. SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6144 (Schreiben des Wolf Novohradský von Kolowrat an Peter Wok von Rosenberg, 30.11.1608). Vgl. das Schreiben Karls d. Ä. von Žerotín an Wenzel Budowetz von Budow (16.12.1608) – s. Dopisy Karla st. z Žerotína (wie Anm. 57), 403 f. Eine semantische Analyse der Argumentationsmuster, die verwendet wurden, um das Widerstandsrecht der österreichischen Stände zu bestätigen, unternahm stroHmeyer (wie Anm. 17), 48–61. Ein vergleichbarer Diskurs der Intellectual History hat in der tschechischen Geschichtswissenschaft bisher nur am Rande Fuß gefasst. Im Hinblick auf die politische Geschichte der Ära vor der Schlacht am Weißen Berg bildet die folgende methodisch anregende Arbeit eine Ausnahme: vyBíral, Zdeněk: Politická komunikace aristokratické společnosti českých zemí na počátku novověku [Die politische Kommunikation der aristokratischen Gesellschaft der böhmischen Länder zu Beginn der Neuzeit]. České Budějovice 2005 (Monographia historica 6); der Autor beschäftigt sich hier mit der politischen und religiösen Mentalität auf der öffentlichen und der privaten Ebene der politischen Kommunikation.
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des, in dem der König wegen seiner „abartigen“ Taten keine Garantie für das erwartete Gemeinwohl sein könne. Im Hinblick auf die schwache Regierung Rudolfs II. sagte Karl d. Ä. von Žerotín in einem Brief an Wenzel Budowetz von Budow sogar den baldigen Untergang seines Heimatlandes voraus. Dagegen teilte Wolf Novohradský von Kolowrat in einem seiner letzten Briefe an Peter Wok von Rosenberg mit,68 dass das Gemeinwohl im Böhmischen Königreich immer nur ein solcher König verkörpere, der nach den altehrwürdigen Traditionen des Landes regiere. Da Rudolf II. das Land so verwalte, „wie es vor langer Zeit zu sein pflegte“, trage er durch seine Regierung zum Wohl des Böhmischen Königreichs bei, in dem Wolf Novohradský sein „liebes Heimatland“ sah. Zugleich erinnerte Wolf Novohradský von Kolowrat Peter Wok daran, dass gemeinsam mit dem König auch die Vertreter der traditionsreichen Adelsfamilien („führende Personen“), unter denen die Rosenberger den ersten Platz einnahmen, eine Garantie für das Gemeinwohl im Böhmischen Königreich seien. Einen traditionsreichen Pfeiler der „Eintracht“ bildete im Böhmischen Königreich die Glaubensfreiheit.69 In ihr sah der letzte Rosenberger eine „kostbare und erstrangige Gottesgabe“, die sich ohne demonstrative Vermittlung „im menschlichen Herzen niederlässt“.70 Der Unitätsprediger Matěj Cyrus forderte Peter Wok wiederholt auf, durch Anhören des göttlichen Wortes den Weg der Hoffnung auf ein „seliges Leben“ in der komplizierten irdischen Welt zu finden und die Gnade des ewigen Heils zu erwarten.71 Dem Maß der Verantwortung, die Peter Wok für den Erhalt des Gemeinwohls im Land verspürte, und seiner konservativen Wertewelt entsprach die Ablehnung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der Religionsfreiheit. Der Rosenberger Regent stellte das ständische Interesse am Gemeinwohl in seinem christlichen Verständnis über die engen Interessen der einzelnen nichtkatholischen Konfessionen. Eine ähnliche Auffassung der Religionsfreiheit vertrat auch Wenzel Budowetz von Budow, der besonders in den ersten Monaten des Jahres 1609 enorme Anstrengungen unternahm, damit die utraquistisch gesinnten Stände auf dem eröffneten böhmischen Landtag nicht die verbotene Brüderunität von den 68 69
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SOA Třeboň, Cizí rody – registratura (Fremde Geschlechter – Registratur), z Rožmberka (von Rosenberg), Sign. 26 (Brief des Wolf Novohradský von Kolowrat an Peter Wok von Rosenberg, 05.12.1608). Bůžek, Václav: From a compromise to the rebellion. Religion and political power of the nobility in the first century of the Habsburgs’ reign in Bohemia and Moravia. In: Journal of Early Modern History 8 (2004), 31–45. – Bůžek, Václav/vyBíral, Zdeněk: Freiheit in Böhmen und Mähren zwischen Hussitismus und Dreißigjährigem Krieg. In: Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850). Hg. v. Georg sCHmidt, Martin VaN geldereN und Christopher sNigula. Frankfurt am Main-Berlin-Bern-Bruxelles-New York-Oxford-Wien 2006 (Jenaer Beiträge zur Geschichte 8), 239–250. Vgl. näher dazu die Argumentation des Peter Wok von Rosenberg in einem Schreiben an Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg (05.03.1610) in SOA Třeboň, Zweigstelle Jindřichův Hradec, Rodinný archiv Slavatů (Familienarchiv Slawata), Inv.Nr. 111, Sign. III A 2 b, Kart. 15. Ansichten dieser Art gingen von dem Bewusstsein aus, dass man den Glauben niemandem aufzwingen könne. Dazu Just (wie Anm. 38), 42. Näheres in einem Brief des Matěj Cyrus an Peter Wok von Rosenberg (03.07.1607), erschienen bei salaBa (wie Anm. 50), 28 f.
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Verhandlungen über die Religionsfreiheit ausschlossen.72 Zur Durchsetzung seiner Ansichten suchte er Unterstützung bei Christian von Anhalt-Bernburg, der Anfang 1609 Peter Wok dazu bewegen wollte, sich ebenfalls persönlich auf dem Landtag in Prag für die Religionsfreiheit der Böhmischen Brüder einzusetzen.73 Obwohl der Rosenberger Regent Wittingau nicht verließ, beeinflusste er gemeinsam mit Wenzel Budowetz von Budow und Přech Hodějovský von Hodějov die Einstellungen der böhmischen nichtkatholischen Stände, die bei den Sitzungen des böhmischen Landtags wiederholt vom Kaiser die Bestätigung der Religionsfreiheit nach dem Wortlaut der Confessio Bohemica für die Anhänger des Utraquismus und der Brüderunität verlangten.74 Den inneren Zusammenhalt der nichtkatholischen Stände stärkte im Frühjahr 1609 schließlich auch Peter Woks Entscheidung in der Erbfrage: Nach dem plötzlichen Tod des Wolf Novohradský von Kolowrat erneuerte der Rosenberger Regent die Gültigkeit der älteren Verträge, in denen er den einflussreichen evangelischen Adeligen Johann Georg von Schwanberg zum Erben seiner meisten Güter einsetzte; zwei Güter vermachte er seinem Neffen Johann Zrinský von Seryn.75 Das Selbstbewusstsein der böhmischen Nichtkatholiken bei den Verhandlungen in Wittingau wurde im März 1609 durch Hans Wilhelm von Zelkings Nachrichten gestärkt, dass Erzherzog Matthias den österreichischen evangelischen Ständen die religiösen Freiheiten bestätigt habe.76 Obwohl Peter Wok die zugespitzte Situation zwischen Rudolf II. und den nichtkatholischen Ständen auf dem böhmischen Landtag in den Frühjahrsmonaten 1609 aus dem weit entfernten Wittingau verfolgte, sprach er nicht nur persönlich mit Wenzel Budowetz von Budow,77 sondern unterhielt zugleich eine Korrespondenz mit dem Oberstburggrafen Adam von Sternberg; dieser gehörte in der Landesregierung zu den gemäßigten Katholiken, die von den päpstlichen Diplomaten im Hinblick auf die angespannten religiösen Verhältnisse in Böhmen als sehr unzuverlässig eingeschätzt wurden.78 Nachrichten über das Verhalten des Oberstburggrafen und über dessen religiöse Ansichten forderte auch Wilhelm Slawata an, der Adam von Sternberg offensichtlich schon längere Zeit misstraute.79
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Just (wie Anm. 38), 57 f. – reJCHrtoVá, Noemi: Václav Budovec z Budova [Wenzel Budowetz von Budow]. Praha 1984, 72–87. Vgl. das Schreiben des Wenzel Budowetz von Budow an Christian von Anhalt-Bernburg (11./18.02.1609) – s. Nová korrespondence Václava Budovce z Budova z let 1580–1616 [Neue Korrespondenz des Wenzel Budowetz von Budow aus den Jahren 1580–1616]. Hg. v. Julius glüCkliCH. Praha 1912, 15 f. – reJCHrtoVá (wie Anm. 72), 86. Březan (wie Anm. 2), 601, 603. Bůžek/JakuBeC/král (wie Anm. 21), 153 f. Březan (wie Anm. 2), 603. – stroHmeyer (wie Anm. 17), 162–177. Březan (wie Anm. 2), 603. – Im April 1609 hielt sich Wenzel Budowetz von Budow zehn Tage in Wittingau auf. Le istruzioni generali di Paolo V ai diplomatici pontifici 1605–1621. 3 Bde. Hg. v. Silvano giordaNo. Tübingen 2003 (Instructiones Pontificum Romanorum), hier Bd. 2, 726 f. Vgl. das Schreiben des Burian Celerin Bramhauzský an Wilhelm Slawata (10.07.1607) in SOA Třeboň, Zweigstelle Jindřichův Hradec, Rodinný archiv Slavatů (Familienarchiv Slawata), Inv.-Nr. 111, Sign. III A 2 b, Kart. 15.
Die Glaubensfreiheit im Denken und Alltagsleben des Peter Wok von Rosenberg
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Wegen der andauernden ablehnenden Haltung Rudolfs II. verfassten die nichtkatholischen Stände einen Entwurf für einen Majestätsbrief über die Religionsfreiheit und gingen zu offenem Druck auf den Herrscher über: Am 23. Juni 1609 verkündeten sie eine Regierung der 30 Direktoren mit Peter Wok an der Spitze, schrieben Steuern aus und versammelten Truppen.80 Von Peter Wok erwarteten sie, dass dieser durch die natürliche Autorität des Regenten über das alte Geschlecht der fünfblättrigen roten Rose und durch seine Besonnenheit zur Verteidigung des Gemeinwohls im Böhmischen Königreich („zu Frieden und Ruhe unseres lieben Heimatlandes“) beitragen werde, da es durch die religiösen Spannungen bedroht sei – so erklärten sie ausführlich in einem Schreiben vom 27. Juni 1609 nach Wittingau.81 Zur Festigung des Gemeinwohls im Land sollte nach den Worten Peter Woks und anderer Ständedirektoren gerade die „Freiheit in der christlichen Religion unter beiderlei Gestalt für einen jeden“ beitragen, die zum ewigen Heil „dieses lieben Heimatlandes“ führen werde.82 Obwohl der letzte Rosenberger einen hohen Finanzbetrag für die Ausrüstung der Truppen der nichtkatholischen Stände bereitstellte, widersprach ein offener Angriff auf den böhmischen König seinem konservativen politischen Denken zutiefst. Vor allem durch das Verdienst des Rosenberger Regenten nahm das Auftreten der nichtkatholischen Stände gegen den Kaiser keine militärische Gestalt an.83 In die angespannte Situation bei den Verhandlungen der nichtkatholischen Stände mit Rudolf II. über die Glaubensfreiheit griffen in den letzten Junitagen unerwartet die gemäßigten Katholiken mit dem Oberstburggrafen Adam von Sternberg an der Spitze ein. Sie waren damit einverstanden, dass der Kaiser den Nichtkatholiken die Religionsfreiheit bestätigte, sofern der katholische Glauben dadurch nicht bedroht werde. Die anschließenden Verhandlungen der gemäßigten Katholiken mit den Vertretern der nichtkatholischen Stände fanden vom 1. bis zum 8. Juli im Prager Haus des Adam von Sternberg am Újezd statt.84 Rudolf II. unterschrieb nach langem Hin und Her am 9. Juli 1609 den Majestätsbrief über die Religionsfreiheit in der Fassung, die Wenzel Budowetz von Budow in Zusammenarbeit mit Peter Wok von Rosenberg nach der Confessio Bohemica vorbereitet hatte.85 Anstelle des 80 81 82 83 84
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Just (wie Anm. 38), 65 f. SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6161 (Brief der Ständedirektoren an Peter Wok von Rosenberg, 27.06.1609). SOA Třeboň, Historica Třeboň, Sign. 6159 (Erklärung des Peter Wok von Rosenberg und der anderen Ständedirektoren, 27.06.1609). PáNek (wie Anm. 2), 322 f. Der gleichen Ansicht ist Just (wie Anm. 38), 67 f. Ein indirektes Zeugnis legte Adam d. J. von Waldstein, der an den Verhandlungen mit den nichtkatholischen Ständen teilnahm, in seinem Tagebuch ab. Dazu Deník rudolfinského dvořana. Adam mladší z Valdštejna 1602–1633 [Das Tagebuch eines rudolfinischen Höflings. Adam d. J. von Waldstein 1602–1633]. Hg. v. Marie koldiNská und Petr Maťa. Praha 1997, 162 f. Die Karriere Adam von Sternbergs und seine Rolle in der ständischen Politik und Kultur gegen Ende der Ära vor der Schlacht am Weißen Berg erfordern jedoch noch weitere Untersuchungen. Just (wie Anm. 38), 69–104. – krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909. – glüCkliCH, Julius: Koncept Majestátu a vznik Porovnání [Das Konzept des Majestätsbriefs und die Entstehung des Ausgleichs]. In: Český časopis historický 23 (1917), 110–128.
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Oberstkanzlers, des überzeugten Katholiken Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz, der es ablehnte, seiner Amtspflicht nachzukommen und seine Unterschrift unter die königliche Urkunde zu setzen, was unter den nichtkatholischen Ständen im Böhmischen Königreich einen Sturm des Unwillens hervorrief, unterzeichneten zwei Tage später der Oberstburggraf Adam von Sternberg und der Sekretär der Böhmischen Hofkanzlei, Paul Michna von Vacínov.86 Nach dem Erlass des Majestätsbriefs nahm die schriftliche Kommunikation zwischen Peter Wok und Wenzel Budowetz an Intensität zu. Wenzel Budowetz forderte den Rosenberger Regenten auf, zum Vorteil der Verhandlungen über die Ordnung des Unteren Konsistoriums bei der Schlichtung einiger kleinerer Streitigkeiten zwischen der Brüderunität und den übrigen nichtkatholischen Konfessionen in Fragen des Gottesdienstzeremoniells zu helfen.87 Der letzte Rosenberger suchte an Stelle von Unterschieden in den nichtkatholischen Religionen nach deren überkonfessioneller christlicher Dimension, wie vor allem im August 1609 seine Vermittlertätigkeit in den Verhandlungen zwischen der Brüderunität und den anderen nichtkatholischen Konfessionen bewies. In der versöhnlichen Haltung des Rosenberger Regenten spiegelte sich erneut dessen Mitverantwortung für den Erhalt der „Eintracht“ im Lande wider, zu der diesmal die Einheit der Nichtkatholiken beitrug.88 Im September 1609 wurde die Ruhe des Alltagslebens auf Schloss Wittingau durch die Ankunft des Fürsten Christian von Anhalt-Bernburg gestört.89 Der Führer der Calvinisten im Reich versuchte, den Rosenberger Regenten zu überzeugen, dass eine engere Zusammenarbeit mit den evangelischen Ständen in Mitteleuropa notwendig sei. Obwohl Peter Wok diese Ansichten teilte, widmete er dem Neubau seiner Bibliothek, in die Václav Březan zu diesem Zeitpunkt die Sammlungsbestände verlagern wollte, weitaus größere Aufmerksamkeit.90 Ab den ersten Monaten des Jahres 1610 erreichten den Rosenberger Regenten in Wittingau Nachrichten über die Versammlung eines Söldnerheeres auf dem Gebiet des Passauer Bistums, das Erzherzog Leopold zu den Waffen gerufen hatte.91 Peter Wok forderte die obersten Landesbeamten zur Sicherung der Landesgrenze 86
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Vgl. das bemerkenswerte Zeugnis des Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg: „[...] Fürst von Lobkowitz, damals Oberstkanzler des Böhmischen Königreichs bei seiner Kaiserlichen Gnaden, trug seine demütige Entschuldigung vor, dass er es als gegen sein Gewissen erkenne, wenn er sich in diesem dem heiligen katholischen Glauben so grob schädlichen Majestätsbrief unterschreiben sollte.“ Dazu Paměti nejvyššího kancléře Království českého Viléma hraběte Slavaty od l. 1608 do 1619. I. díl 1608–1609, pak 1618–1619 [Erinnerungen des Oberstkanzlers des Böhmischen Königreichs Wilhelm Graf Slawata von 1608 bis 1619. I. Teil 1608–1609, dann 1618–1619]. Hg. v. Josef JireČek. Praha 1886, 147. Gestützt auf neu interpretierte Quellen bes. Čechura, Jaroslav/Černá, Alena M.: Stavy kontra Popel z Lobkovic – letní spor roku 1609 [Die Stände gegen Popel von Lobkowitz – ein Sommerstreit des Jahres 1609]. In: Časopis Národního muzea – řada historická 176 (2007), 194–215. Vgl. den Brief des Wenzel Budowetz von Budow und anderer der Unität zuneigender Adeliger an Peter Wok von Rosenberg (12.08.1609) – s. Václava Budovce z Budova korrespondence z let 1579–1619 (wie Anm. 59), 77 f. Just (wie Anm. 38), 87–90. Březan (wie Anm. 2), 608. Ebd., 609. NoVák, Jan Bedřich: Rudolf II. a jeho pád [Rudolf II. und sein Sturz]. Praha 1935. Vgl. die
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auf. Große Aufmerksamkeit widmete er der Sicherheit seiner Residenz in Wittingau, die er systematisch in einen Ort des symbolischen Gedenkens an das Geschlecht der fünfblättrigen roten Rose verwandelt hatte. Unter der Aufsicht des Militärfachmanns Jan Lukán und seines Bruders Egidius errichtete man in der Umgebung des Schlosses rasch mehrere Wälle, auf denen bei der Verteidigung der Residenz des Rosenberger Regenten schwere Geschütze aus der Rüstkammer platziert werden sollten. Einige leichte Geschütze wurden an den Türmen innerhalb der Stadt angebracht. Auf Terrainerhöhungen in der weiteren Umgebung baute man Feuerstellungen der Artillerie. Die Stadttore wurden befestigt, die Bastionen repariert, die Fenster vergittert, die Türen mit neuen Schlössern versehen.92 In den Sommer- und Herbstmonaten des Jahres 1610 reisten evangelisch wie katholisch gesinnte Adelige zu Peter Wok in das gut befestigte Wittingau, um dort über die Verteidigung des Landes gegen einen Einfall der Passauer Truppen zu beraten. Als Ende Januar und Anfang Februar 1611 das Heer des Erzherzogs Leopold tatsächlich über Böhmisch Krumau, Böhmisch Budweis (České Budějovice) und Tábor auf Prag zog, begannen die böhmischen Stände, mit Matthias über die Verteidigung des Landes zu verhandeln. In dieser Zeit wurde Peter Wok in Wittingau wiederholt von Georg Erasmus Tschernembl besucht.93 Vergeblich drängte dieser den Rosenberger Regenten, eine gemeinsame militärische Verteidigung für Südböhmen und Oberösterreich zu schaffen. Obwohl die Wittingauer Verteidiger Mitte März 1611 einen plötzlichen Angriff des Passauer Heeres abwehren konnten, fürchtete Peter Wok, dass die Söldner die Dämme der großen Teiche durchstechen könnten, um mit dem Wasser das Wittingauer Becken zu fluten und seine Residenz zu zerstören. Der Rosenberger Regent stellte Matthias eine großzügige finanzielle Anleihe zur Verfügung, damit dem Passauer Heer der zurückgehaltene Sold ausgezahlt werden konnte. Er befahl, die zur Auszahlung an die Soldaten bestimmten Münzen aus dem Silberschatz seiner Vorfahren prägen zu lassen.94 Mit dieser Tat bewies er erneut, dass er im Einklang mit früheren Generationen Rosenberger Regenten eine Mitverantwortung für die Wahrung des Gemeinwohls im Land trug. Diese Verbundenheit stellte im Denken der böhmischen Stände einen traditionsreichen Wert dar, der bei der Verteidigung ihrer politischen und religiösen Haltungen als Argument diente.95 Das Passauer Heer wurde zum Sommeranfang 1611 nach entsprechenden Absprachen tatsächlich aufgelöst.96 Der Rosenberger Regent verteidigte Wittingau als Ort, an dem er unter Verweis auf die historische Tradition im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts bedachtsam
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Briefe Karls d. Ä. von Žerotín an Erasmus von Starhemberg (28.04.1610) und Matthias Timin von Ottenfeld (30.04.1610) – s. Dopisy Karla st. z Žerotína (wie Anm. 57), 497 f. steJskal/Bůžek: Výzbrojní program Petra Voka z Rožmberka (wie Anm. 11), 214–216. Březan (wie Anm. 2), 620–622. – sturmBerger (wie Anm. 17), 224–226. PáNek (wie Anm. 2), 331–336. Vgl. den Brief des Wenzel Budowetz von Budow an Peter Wok von Rosenberg (20.09.1611): „[...] aber meine Fortuna möchte, dass ich nur ein Pilger sei und von meiner Wirtschaft nicht viel bliebe, wenn dies so sein muss, und unsere privata commoda vernachlässigt wurden, Hauptsache dem publicum bonum geht es gut, ohne das die privata commoda nicht lange gut stehen können.“ Das Schreiben veröffentlichte reJCHrtoVá (wie Anm. 72), 259 f. PáNek (wie Anm. 2), 335 f.
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das Vermächtnis des Wappens der fünfblättrigen roten Rose aufgebaut hatte; dieses Vermächtnis sollte sich in den symbolischen Milieus der geistigen, materiellen und politischen Kultur widerspiegeln. Der Historismus des Peter Wok sollte die überlegene Position des alten Rosenberger Geschlechts im Böhmischen Königreich öffentlich demonstrieren. Mit der gesellschaftlichen Exklusivität war die Mitverantwortung des Rosenberger Regenten für den Schutz des Gemeinwohls im Land verbunden, wie die konkreten Taten Peter Woks zur Zeit des Bruderzwistes zwischen Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias belegen, als die nichtkatholischen böhmischen Stände vom Herrscher die gesetzliche Verankerung der Glaubensfreiheit forderten.
Tomáš Knoz
Das Žerotín’sche Mähren – ein „anderes Konzept“ des Majestätsbriefs Wenn wir die heraldische Aussage des verfassungsrechtlichen Zustands Mährens verfolgen, wie ihn die Landeswappen auf den einzelnen Bänden der Landesordnungen und Landtagsdrucke aus der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg symbolisieren, entdecken wir zwei unterschiedliche Versionen: In der ersten ist der mährische Adler allein abgebildet, in der zweiten drücken Schildträger in Gestalt des böhmischen Löwen die Integration in das Böhmische Königreich aus. Obwohl diese Darstellungen noch einer genaueren Untersuchung bedürfen, so lässt sich doch bereits jetzt sagen, dass sie die Entwicklungstendenzen innerhalb der Länder der Böhmischen Krone am Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts widerspiegeln.1 Aus mitteleuropäischer Sicht ist die Lösung des politisch-konfessionellen Konflikts durch den rudolfinischen Majestätsbrief eher ein regionales als ein allgemeines Phänomen. Der Majestätsbrief bezog sich nur auf Böhmen bzw. Schlesien, während die übrigen Länder der Habsburgermonarchie – darunter auch Mähren – nach anderen Lösungen suchten. Der Majestätsbrief war eine „Sofortlösung“, die in Mähren politisch als unglaubwürdig galt. Nach Ansicht der mährischen Ständerepräsentation bot die Person Rudolfs II. nicht genügend Garantien für eine langfristige religiöse und politische Toleranz. Infolgedessen begünstigte der Kaiser die böhmischen Stände, verkörpert durch Wenzel Budowetz von Budow, gegenüber den Ständen der übrigen Länder der Wenzelskrone bzw. der gesamten Habsburgermonarchie.2 1
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Verschiedene Abbildungstypen des mährischen Adlers lassen sich für den Untersuchungszeitraum auf den Frontispizen der mährischen Landesordnungen bzw. der gedruckten Fassungen der Landtagsbeschlüsse verfolgen. Es handelt sich um die wichtigsten verfassungsrechtlichen Dokumente des Landes gegen Ende des 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in denen das mährische Landeswappen die legislative Souveränität der Markgrafschaft symbolisiert; Moravský zemský archiv Brno (Mährisches Landesarchiv Brünn), A 6, Sněmovní tisky (Landtagsdrucke), Inv.-Nr. (Ktn.) 12, Bände aus den Jahren 1594–1602 und 1603–1606. In der letzten Zeit zum Thema Majestätsbrief bes. Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Rudolfs Majestätsbrief. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19). Hier findet sich auch die weitere Literatur zusammengefasst, darunter vor allem krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909. – glüCkliCH, Julius: Koncepce Majestátu a vznik Porovnání [Das Konzept des Majestätsbriefs und die Entstehung des Ausgleichs]. In: Český časopis historický 25 (1917), 110–128. – ders.: Majestát Rudolfa II. z roku 1608 o nekonfiskování statků [Der Majestätsbrief Rudolfs II. von 1608 über die Nichtkonfiskation der Güter]. In: Od pravěku k dnešku. Bd. 2. Praha 1930, 15–29. – BuriaN, Ilja: Rudolfův Majestát. Některé jeho příčiny a důsledky [Rudolfs Majestätsbrief. Ursachen und Folgen]. Praha 1984. – sVoBoda, Milan: Majestát Rudolfa II. ve sbírkách ChristianWeiseBibliothek v Žitavě [Der Majestätsbrief Rudolfs II. in den Sammlungen der Christian-Weise-Bibliothek in Zittau]. In: Fontes
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Tomáš Knoz
Abb. 1: Wappen der Markgrafschaft Mähren. Mährisches Landesarchiv Brünn, A6, Landtagsdrucke, Brünner Landtag 1593, fol. 123v (Foto T. Knoz)
Abb. 2: Wappen der Markgrafschaft Mähren. Mährisches Landesarchiv Brünn, A6, Landtagsdrucke, Olmützer Landtag 1594, fol. 1v (Foto T. Knoz)
In Mähren wurde das „andere Konzept“ durch Karl d. Ä. von Žerotín repräsentiert, der sich in der Vorbereitungsphase des Majestätsbriefs dem Gipfel seiner politischen Macht näherte (trotz einer zeitweiligen Krise und des durch den Konflikt mit Siegmund II. von Dietrichstein ausgelösten „Abgangs in die Opposition“) und seine Partner in Böhmen zudem durch seine juristische Bildung überragte. Obwohl es in Mähren eigentlich keine feste Gruppe von Gefolgsleuten unter den Politikern gab, besaß Karl d. Ä. von Žerotín eine erhebliche Autorität innerhalb der gesamten Adelsgemeinde, die er durch Verhandlungen mit den Anführern der (nichtkatholischen) Stände in den übrigen Ländern des Habsburgerreiches zu stärken versuchte.3
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Nissae 3 (2002), 160–168. Zu Wenzel Budowetz und seinem Verhältnis zu Žerotín vgl. reJCHrtoVá, Noemi (Hg.): Václav Budovec z Budova. Antialkorán [Wenzel Budowetz von Budow. Der Anti-Alkoran]. Praha 1989. Im Zusammenhang mit dem Jubiläum des Majestätsbriefes 2009 wurden mehrere Publikationen veröffentlicht: Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608–1611). Hg. v. Václav Bůžek. České Budějovice 2010 (Opera historica 14). – zemek, Petr: Mezi konfrontací a smírem [Zwischen Konfrontation und Versöhnung]. Uherský Brod 2009 (Studia Comeniana et historica 91/92). Hier auch Hinweise zur weiteren Literatur. Karl d. Ä. von Žerotín wurden zwar zahlreiche Monographien und Studien gewidmet, dennoch wird er als Persönlichkeit wahrgenommen, die außerhalb der Hauptströmung der böhmischen Geschichte stand. CHlumeCky, Peter: Carl von Zierotin und seine Zeit 1564–1615. Bd. 1. Brünn 1862. – odložilík, Otakar: Karel starší ze Žerotína (1564–1636). Praha 1936. – HruBý, František: Filip du PlessisMornay a Karel Žerotín v letech 1611–1614. (Morava v zrcadle hugenotského zpravodaje) [Philippe du PlessisMornay und Karl Žerotín in den Jahren 1611–1614.
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Das ausgeprägte Misstrauen gegenüber einer gemeinsamen Lösung mit den böhmischen Ständen personifizierte sich seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert in Karl d. Ä. von Žerotín. Damals kam es zu einem Gerichtsstreit wegen der Verletzung der Rechte des mährischen Landesrichters bzw. wegen des crimen laesae maiestatis, als Žerotín den Italiener Giovanni Battista Pierio verhaften ließ, der sich mit einem Geleitbrief des Kaisers ausgewiesen hatte. Karl von Žerotín gewann während des Streits in den Jahren 1598–1602 den Eindruck, dass das von der manieristischen Atmosphäre des rudolfinischen Hofes beeinflusste böhmische Umfeld weder seiner Person noch den von ihm vertretenen religiösen und politischen Einstellungen wohlgesonnen sei. In die Auseinandersetzung mischten sich nämlich einige Adelige ein, die dem Kaiser und seiner Politik nahe standen, und deren Ziel es Žerotín zufolge war, ihn in weitere Streitigkeiten zu verwickeln, falls sich die Klage wegen des Zwischenfalls mit Giovanni Battista Pierio als unbegründet erweisen sollte.4 Žerotíns Misstrauen, das er in zahlreichen Briefen vor weiteren Angehörigen der mährischen Aristokratie und einem breiten Freundeskreis in ganz Europa kundtat, verstärkte sich noch nach der Ankunft einer Gruppe jüngerer katholischer Adeliger aus Böhmen um 1600. Mähren war damals nicht nur ein Raum für die Integration des Adels aus den umliegenden Ländern, sondern auch aus wesentlich weiter entfernten Regionen, und es gehörte zu den üblichen Aufgaben des mährischen Landtags, fremden Adeligen das Inkolat zu erteilen und sie als Bewohner des Landes aufzunehmen.5 Da die Vertreter des böhmischen Adels in Mähren kein Inkolat benötigten, sollte die Ankunft einzelner Personen aus Böhmen eigentlich kein größeres Problem darstellen. Karl d. Ä. von Žerotín und einige seiner Verbündeten nahmen jedoch an, dass es sich in Wirklichkeit um ein entscheidendes Moment für den
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(Mähren im Spiegel eines hugenottischen Berichterstatters)]. In: Od pravěku k dnešku – Pekařův sborník. Bd. 2. Praha 1930, 39–69. – Válka, Josef: Karel starší ze Žerotína (1564–1636). In: Z kralické tvrze 13 (1986), 1–7. – fukala, Radek: Karel starší ze Žerotína. Ostrava 1996. – kNoz, Tomáš: Mecenáš Labyrintu. Karel starší ze Žerotína 1564–1636 [Der Mäzen des Labyrinths. Karl d. Ä. von Žerotín 1564–1636]. In: Osobnosti moravských dějin. Hg. v. Libor JaN. Brno 2006, 203–218. – ders.: Karel starší ze Žerotína. Don Quijote v labyrintu světa [Karl d. Ä. von Žerotín. Ein Don Quijote im Labyrinth der Welt]. Praha 2008. Zum Žerotín’schen Prozess vor allem CHlumeCky (wie Anm. 3), bes. 183–255; vgl. weiter odložilík (wie Anm. 3), 97–108. – Válka, Josef: Dějiny Moravy [Geschichte Mährens]. Bd. 2: Morava reformace, renesance a baroka [Mähren in Reformation, Renaissance und Barock]. Brno 1995, 84 f. – miCHNa, Pavel: Hrdelní proces Karla staršího ze Žerotína. K 360. výročí smrti velkého Moravana, ochránce českého jazyka a přítele J. A. Komenského [Der Halsgerichtsprozess Karls d. Ä. von Žerotín. Zum 360. Todestag eines großen Mährers, Patrons der tschechischen Sprache und Freundes von J. A. Comenius]. In: Vlastivědný věstník moravský 48 (1996), 354–369. – kNoz, Tomáš: Dietrichstein contra Žerotín. Osobní pře jako předzvěst obecného konfliktu [Dietrichstein contra Žerotín. Persöhnliche Streitigkeiten als Vorstufe zu einem allgemeinen Konflikt]. In: Studia Comeniana et historica 39/81–82 (2009), 25–45. WiNkelBauer, Thomas: Krise der Aristokratie? Zum Strukturwandel des Adels in den böhmischen und niederösterreichischen Ländern im 16. und 17. Jahrhundert. In: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 100 (1992), 328–353. – Válka (wie Anm. 4), 142–145. – kNoz, Tomáš: Moravská barokní šlechta [Der mährische Barockadel]. In: Morava v době baroka. Hg. v. dems. Brno 2004, 45–54.
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Erhalt des Status quo in den religiösen und politischen Verhältnissen handelte. Sie befürchteten, dass diese Gruppe, der beispielsweise Ladislaus Berka von Dubá oder Ladislaus von Lobkowitz angehörten, das Kräfteverhältnis zu Lasten der ständischen Freiheiten und zu Gunsten der Gegenreformation in Mähren verändern wollte.6 Die Krisenstimmung verschärfte sich in den Jahren 1604–1606 durch Bocskais Einfall in Mähren und den ersten ernsthaften Angriff der türkischen Armee auf mährisches Territorium. Bocskai erwartete, dass sich die mährischen nichtkatholischen Stände seinen Truppen anschlössen. Dies geschah jedoch nicht, stattdessen erklärten die Mährer Bocskai, ungeachtet seiner Konfession, für gottlos und stellten sich seiner Armee mit allen Mitteln entgegen. Allerdings konnten sie sich niemals des Gefühls erwehren, dass sowohl der böhmische König als auch die Vertreter der böhmischen Stände die Gefahr durch die Türken als zu gering erachteten und die zur Verteidigung gesammelten Gelder für andere Zwecke nutzten.7 Das Misstrauen gegenüber Kaiser Rudolf II. nahm seit 1605 allgemein zu. Die mährischen nichtkatholischen Stände gewannen den Eindruck, dass er ihrem Land keine Freiheiten garantiere und es nicht vor äußeren Feinden schütze. In der bekannten Apologie von 1606 warf Georg von Hoditz Karl d. Ä. von Žerotín vor, dass er sich in dieser Zeit aus dem öffentlichen Leben zurückgezogen und es versäumt habe, die mährische Ständegesellschaft gegenüber dem Herrscher, dem Hof und den böhmischen Ständen eindeutig zu positionieren.8 Zur gleichen Zeit änderte sich die kulturelle Orientierung des mährischen Adels, und die mediterranen Regionen gewannen an Anziehungskraft. Obwohl das mitteleuropäische Zentrum mit der kaiserlichen Residenz zusammen nach Prag transferiert worden war, wurde für die Mährer (einschließlich der mährischen Nichtkatholiken) nun Wien zum Vermittler der südeuropäisch geprägten Renaissance und des Manierismus.9 In Wien residierten die Agenten vieler mährischer Adeliger, die ihren Arbeitgebern nicht nur Waren des täglichen Bedarfs, sondern auch Luxusobjekte lieferten; aus Wien kamen Handwerker und Künstler in die 6 7
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CHlumeCky (wie Anm. 3), 183–200. – odložilík (wie Anm. 3), 94–100. Prameny k vpádům Bočkajovců na Moravu [Quellen zu den Einfällen der BocskaiTruppen in Mähren]. Hg. v. František kaMeníČek. Praha 1894. – ders.: Vpády Bočkajovců na Moravu a ratifikace míru vídeňského od zemí koruny české roku 1605–1606 [Die Einfälle der Bocskai Truppen in Mähren und die Ratifizierung des Wiener Friedens durch die Länder der Böhmischen Krone 1605–1606]. In: Časopis Českého musea 68 (1894), 88–106, 257–274, 378–397, 534–556. Karel starší ze Žerotína a jeho Apologia [Karl d. Ä. von Žerotín und seine Apologia]. Hg. v. Milan koPeCký. In: Z kralické tvrze 8 (1975/1976), 1–19. Zu Überlegungen zum rudolfinischen Manierismus und seiner Zeit vgl. eVaNs, Robert J. W.: Rudolf II. a jeho svět [Rudolf II. und seine Welt]. Praha 1997. – Válka, Josef: Manýrismus a baroko v české kultuře 17. a první poloviny 18. století [Manierismus und Barock in der böhmischen Kultur des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts]. In: Josef Válka. Myšlení a obraz v dějinách kultury. Brno 2009, 39–92 – ders.: Myšlenkové ovzduší české společnosti na přelomu 16. a 17. století [Die Gedankenwelt der böhmischen Gesellschaft an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert]. In: Ebd., 129–142. – ders.: Otázky interpretace barokní kultury v Čechách a na Moravě [Fragen zur Interpretation der Barockkultur in Böhmen und Mähren]. In: Ebd., 93–109.
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mährischen Städte und an die Höfe der mährischen Adeligen. Die Karriere Albrechts von Wallenstein belegt eindrucksvoll, dass sich der Hof der österreichischen Erzherzöge zu einer bedeutenden Konkurrenz für den Kaiserhof entwickelte.10 Die Erfahrungen aus der Zeit des BocskaiEinfalls sowie der Einfluss ungarischer Adeliger, die um 1600 über großen Grundbesitz, vor allem in Ost- und Südostmähren, verfügten (Illésházy, Forgács), veranlassten die mährischen Stände, ihren Blick auch nach Osten und Südosten zu lenken. Der Bruder Kaiser Rudolfs II., Matthias von Habsburg, entwickelte sich daher für eine bedeutende Gruppe unter den mährischen Ständen zu einer interessanten Alternative zu dem unzuverlässigen Rudolf II.11 Die Vorzeichen und Ursachen der künftigen Krise, die u. a. auch zu einer Zuspitzung im Verhältnis zwischen der böhmischen und der mährischen Ständerepräsentation führte, wurden während des „Bruderzwists“ und der Verhandlungen über den rudolfinischen Majestätsbrief in vollem Umfang deutlich. Einige Motive, die später die Einstellung der Mährer charakterisieren sollten, hatte Karl d. Ä. von Žerotín übrigens bereits im Jahr 1606 in der oben erwähnten Apologie gegen Georg von Hoditz formuliert.12 Auch in den folgenden Jahren bemühte er sich vergeblich, durch zahlreiche persönliche Verhandlungen und Briefe Wenzel Budowetz von Budow als einflussreichsten Vertreter der böhmischen Stände aus dem Umfeld der Brüderunität für seinen Plan zur Unterstützung von Matthias zu gewinnen.13 Den Mährern ging es nämlich um die Bewahrung ihres Landesrechts und die faktische Selbstständigkeit ihres Landes, was jedoch weder dem Kaiser noch den böhmischen Ständen genehm war. Žerotíns Vision entsprach höchstwahrscheinlich auch nicht dem damaligen Zustand der mitteleuropäischen politischen Gesellschaft. Im Augenblick wachsender Spannungen innerhalb der Habsburgerdynastie kehrte Žerotín zu seiner bisherigen Taktik zurück: den diplomatischen Verhandlungen mit den calvinistisch orientierten Ständeführern der Nachbarländer (Peter Wok von Rosenberg, Georg Erasmus Tschernembl, Reichard Starhemberg, Wenzel Budowetz von Budow, Stephan Illesházy). Diese waren Anhänger der Tradition Friedrichs d. Ä. von Žerotín, ihr Anführer war Smil Osovský von Doubravice, Žerotíns großes Vorbild und zugleich sein alter Freund.14 Das Ergebnis dieser Verhandlungen war 10 11 12 13
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JanáČek, Josef: Valdštejn a jeho doba [Wallenstein und seine Zeit]. Praha 1979, 59–70. – ders.: Valdštejnova pomsta [Wallensteins Rache]. Praha 1992, 55–81. Pokluda, Zdeněk: Majetek uherské šlechty v českých zemích v 15. – 20. století [Der Besitz des ungarischen Adels in den böhmischen Ländern im 15. – 20. Jahrhundert]. In: Časopis Matice moravské 98 (1979), 296–325. Karel starší ze Žerotína (wie Anm. 8), 1–19. Spisy Karla staršího z Žerotína. Listové psané jazykem českým [Die Schriften Karls d. Ä. von Žerotín. In tschechischer Sprache verfasste Briefe]. Bd. 3. Hg. v. Vincenc BraNdl. Brno 1872, 18–57. – Dopisy Karla st. z Žerotína 1591–1610 [Briefe Karls d. Ä. von Žerotín 1591–1610]. Hg. v. František dVorský. Praha 1904 (Archiv český 27), 268–407. – Karel starší ze Žerotína. Z korespondence [Karl d. Ä. von Žerotín. Aus der Korrespondenz]. Hg. v. Noemi reJCHrtoVá. Praha 1982, 224–258. Pokora, Timoteus: Fridrich starší ze Žerotína na Židlochovicích. Životopisný nástin a kritický rozbor některých zpráv [Friedrich d. Ä. von Žerotín auf Židlochovice. Biografische Skizze und kritische Analyse einiger Berichte]. Brno s. d. [unpublizierte Diplomarbeit]. – kNoz, Tomáš:
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eine Konföderation der nichtkatholischen Stände aller relevanten Länder des Habsburgerreiches sowie das gemeinsame Vorgehen gegen Rudolf zu Gunsten von Matthias. Nach Žerotíns juristischer Interpretation handelten sie legal, da sich ihre Maßnahmen nicht gegen die gesamte Dynastie, sondern nur gegen eines ihrer Mitglieder richteten, das seinen Verfassungspflichten untreu geworden war. Zusätzlich stützten sie sich auch auf das Landesrecht, das heißt auf die Verfassung in den einzelnen Ländern. Kaiser Rudolf II. unterstand nämlich als Landesherr der einzelnen Länder den verfassungsmäßig gewährten Rechten und Pflichten; er musste daher die politischen und religiösen Ständefreiheiten schützen und einhalten – der Erlass des Majestätsbriefs war demzufolge in Žerotíns Augen ein völlig überflüssiger Akt, der jedoch belegte, dass Rudolf II. die Freiheiten bisher nicht gewährleistet hatte. Ein politisches oder sogar bewaffnetes Auftreten gegen den Herrscher sollte in einem solchen Fall nicht als crimen laesae maiestatis gewertet werden, da der König die Rechtsnormen nicht eingehalten hatte. Seine Absetzung und die Wahl eines neuen Herrschers, besonders eines legitimen Thronfolgers, sei folglich als Rückkehr zum wahren Rechtszustand zu interpretieren.15 Die Verhandlungen über eine Konföderation scheiterten jedoch am unterschiedlichen Zustand der politischen Freiheiten und an den verschiedenen Interessen der einzelnen Ständegemeinden bzw. der oligarchischen Entscheidungsträger innerhalb dieser Gemeinden. Besonders enttäuschend war für Žerotín das Vorgehen einer Gruppe böhmischer Aristokraten mit Wenzel Budowetz von Budow an der Spitze, die sich hinter Kaiser Rudolf II. stellten – vielleicht bereits mit der Vision von künftigen religiösen und politischen Garantien, wie sie später der Majestätsbrief bringen sollte. Žerotín und die mährischen Stände brachen unter diesen Umständen die Verhandlungen mit Böhmen ab und unterstützten zusammen mit Tschernembl und den oberösterreichischen Ständen Matthias. Dieser Zusammenstoß endete mit der Niederlage Rudolfs II. und dem Liebener Frieden von 1608, der
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Državy Karla staršího ze Žerotína po Bílé hoře. Osoby, příběhy, struktury [Die Besitzungen Karls d. Ä. von Žerotín nach dem Weißen Berg. Personen, Geschichten, Strukturen]. Brno 2001, 107–118. Zum Bruderzwist z. B. VoCelka, Karl: Matthias contra Rudolf. Zur politischen Propaganda in der Zeit des Bruderzwistes. In: Zeitschrift für Historische Forschung 10 (1983), 341–351. In der tschechischen Geschichtsschreibung in letzter Zeit im Zusammenhang mit dem Majestätsbrief Rudolfs II. der oben zitierte Just (wie Anm. 2), 31–52; vgl. auch vyBíral, Zdeněk: Stavovská Morava mezi Rudolfem II. a Matyášem. (Vztahy mezi českou a moravskou stavovskou reprezentací a konfederace 1608) [Der Ständestaat in Mähren zwischen Rudolf II. und Matthias. (Die Beziehungen zwischen der mährischen und böhmischen Ständerepräsentation und die Konföderation 1608)]. In: Časopis Matice moravské 116 (1997), 347–386; kNoz, Tomáš: Morava roku 1608 mezi Rudolfem a Matyášem [Mähren im Jahr 1608 zwischen Rudolf und Matthias]. In: Ein Bruderzwist (wie Anm. 2), 331–362. – Zum crimen laesae maiestatis erläutert die zeitgenössische juristische Schrift des Francesco Ferdinando de Serponte: „Ist, so jemand wider Ihr Königl[ichen] Majest[ät] Dero Erben, oder dero Königl[ichen] Ständ, etwas gefährliches maschiniren wurde.“ de serPoNte, Franciscus Ferdinandus: Promptuarium, dass ist ein leichter Einfund in die Königl[iche] Verneuerte Böhmische und Mährische LandsOrdnung […]. Prag 1678, pag. 64. Bezüglich der Verhältnisse in Mähren verweist de Serponte auf die Verneuerte Landesordnung, fol. 7, fol. 219.
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einen Sieg der Žerotín’schen Partei in Mähren und die Trennung der beiden Länder in allen grundlegenden religiösen und verfassungsrechtlichen Fragen bedeutete.16 Böhmen steuerte weiterhin auf den Majestätsbrief zu, den sich die dortigen Stände von Rudolf II. nicht nur für ihre Loyalität in den entscheidenden Momenten des Konflikts, sondern auch wegen der schwächer werdenden Macht des Herrschers erzwangen. Mähren ging einen vollkommen anderen Weg. Unter zwar legalen, aber doch sehr ungewöhnlichen Umständen wurde Žerotín zum mährischen Landeshauptmann gewählt bzw. ernannt; wegen seiner bisherigen Verdienste nahm er jetzt die Vermittlerrolle zwischen den mährischen Ständen und Matthias ein, und zwar gegen den beständigen Widerstand des Wiener Bischofs Khlesl.17 Seine Verbindung zu Matthias war so eng, dass er später sogar, obwohl er ein Nichtkatholik war, die einzigartige Möglichkeit hatte, am Sterbebett des Herrschers anwesend zu sein.18 Der 1608 in Olmütz abgehaltene Landtag, bei dem Žerotín zum Landeshauptmann gewählt wurde, unternahm grundsätzliche Schritte, um eine scharfe verfassungsrechtliche und politische Grenze zwischen Böhmen und Mähren zu ziehen. Während Böhmen gemeinsam mit Schlesien unter der Herrschaft des geschwächten und alternden Rudolf II. verblieb, bemühte sich Mähren um ähnliche mündliche Religionsgarantien und wurde verfassungsrechtlich von Böhmen getrennt – wie einst unter König Matthias Corvinus – sowie lose an Matthias’ Ungarisches Königreich angegliedert. Žerotíns Autorität im Milieu der „Politiker“ und auch bei einem Teil des radikalen nichtkatholischen Adels nahm zeitweise enorm zu. Er konnte einige verfassungsrechtliche Schritte verwirklichen, die er bereits früher geplant hatte und die Mähren praktisch zu einer unabhängigen oligarchischen Adelsrepublik machten. An deren Spitze standen dank der Garantien, die den Freiheiten des rudolfinischen Majestätsbriefs glichen, neben Žerotín auch einige andere bedeutende Vertreter des nichtkatholischen Adels bzw. des Brüderadels, einschließlich des Pertold Bohobud von Lipá. Für eine gewisse Zeit konnten die Vertreter der katholischen Partei, die zuvor nach Mähren gekommen und dort in die höchsten Ämter eingesetzt worden waren, wie z. B. Ladislaus Berka von Dubá, Lev Burian Berka von Dubá oder Ladislaus von Lobkowitz, verdrängt werden. Mit der neuen Situation musste sich auch Kardinal Dietrichstein abfinden, der ehrgeizige Olmützer Bischof und Vertreter der nachtridentinischen katholischen Gegenreformation.19 16
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adamoVá, Karolína: K otázce konfederačních snah v českém státě na počátku 17. století [Zur Frage der Konföderationsbemühungen im böhmischen Staat zu Beginn des 17. Jahrhunderts]. In: Právněhistorické studie 27 (1986), 57–96. – Válka, Josef: Morava ve stavovské konfederaci roku 1619. (Pokus o vytvoření paralelních církevních a politických struktur v Čechách a na Moravě) [Mähren in der Ständekonföderation 1619. (Ein Versuch zur Schaffung paralleler kirchlicher und politischer Strukturen in Böhmen und in Mähren)]. In: Folia Historica Bohemica 10 (1986), 333–349. kNoz, Karel starší ze Žerotína (wie Anm. 3), 212–216. reJCHrtoVá (wie Anm. 13), 322–327. „Über die Versorgung des Landes. Es ist sicher allgemein bewusst und allen Einwohnern der Markgrafschaft Mähren bekannt, aus welchen bemerkenswerten anständigen Ursachen dieser Landtag von uns, den zuvor in der Stadt Austerlitz in diesem Jahr 1608 am Montag nach dem Sonntag Oculi versammelten Ständen, in die Stadt Eibenschitz einberufen und gehalten wurde. Nämlich: Weil die Herren Stände wegen einiger wesentlicher Gründe dem Herrn Ladislaus
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Obwohl es 1608 zu der erwähnten Trennung von Böhmen und Mähren kam, verlief die Entwicklung, dank der Garantien von Matthias und des Majestätsbriefs Rudolfs II., in beiden Ländern in den nächsten Jahren nahezu parallel. Es war ein gewisses Maß an Freiheit für die nichtkatholischen Konfessionen, besonders für die Neuutraquisten und die Lutheraner, erreicht worden. Die Brüderunität profitierte weder in Böhmen noch in Mähren von diesen Freiheiten, wurde faktisch jedoch toleriert. Die erwähnte Toleranz zeigte sich vor allem in Mähren, wo vielleicht auch wegen des Fehlens der Fraktion der „Spanier“ am Hof einige einflussreiche Unitätsmitglieder an die Spitze des Geschehens rückten. Sicherlich nicht zufällig fiel ein Höhepunkt in der biblischen Editionstätigkeit des Brüderzentrums in Kralitz (Kralice) in die Amtszeit des Landeshauptmanns Karl d. Ä. von Žerotín: 1613 erschien hier eine große einteilige Bibelausgabe.20 Im Hinblick auf die politischen und religiösen Umstände lässt sich die Kralitzer Druckerei in diesen Jahren kaum als Geheimdruckerei bezeichnen. Die Tätigkeit der Unität in Mähren entfaltete sich zudem auch an anderen Orten, da eine neue Generation von Brüdergeistlichen, wie z. B. Jan Lanecký, Jiří Erastus, Vavřinec Justýn oder Johann Amos Comenius, heranwuchs.21 Auf Grund der Landtagsbeschlüsse von 1608 trat noch in demselben Jahr erneut eine Kommission zusammen, deren Aufgabe es sein sollte, die mährische Landesordnung „durchzusehen und zu korrigieren“, sie also neu herauszugeben.22 Karl
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Berka, dem jetzigen Statthalter dieser Markgrafschaft, nicht vertrauen und sich in verschiedenen, besonders jetzt in dieser Situation des Landes schweren und komplizierten Dingen (worüber auch Seiner Kaiserlichen Majestät, unser aller gnädigstem Herrn, hinreichend geschrieben und bekannt gegeben wurde) nicht auf ihn vertrauen und sicher sein können [...].“ Moravský zemský archiv Brno (Mährisches Landesarchiv Brünn), A 3, Stavovské rukopisy (Handschriften der Stände), Inv.Nr. 5, Památky sněmovní (Landtagsdenkmäler) 5, fol. 350r–351r. Kralice. Hg. v. Vlasta fialoVá. Brno 1959. říČan, Rudolf: Dějiny Jednoty bratrské [Geschichte der Brüderunität]. Praha 1957, bes. 289– 337. – ders.: Jednota bratrská na Moravě [Die Brüderunität in Mähren]. In: Z kralické tvrze 1 (1967), 8–12. „Über die Besserung und Korrektur der Landesordnung. Da sich in der jetzigen Landesordnung große Mängel befinden und nicht geringer Besserung bedürfen, hatten wir vier Stände der Markgrafschaft alle diese Absicht und einigten uns, dies alles nach Möglichkeit, wie Bedarf sein sollte, zu bessern und darüber mit Seiner königlichen Majestät ein Abkommen zu schließen. Aber wir erkannten, dass Seine königliche Majestät aus dieser Markgrafschaft eilig abreisen musste und auch mit vielen anderen Dingen beschäftigt zu sein pflegt. Dies haben wir bis zum künftigen Brünner Landgericht, das am Montag nach dem Fastensonntag Reminiscere gehalten werden soll, vertagt und uns auf gewisse weiter beschriebene Personen geeinigt. Diese sollen in der genannten Zeit an einem bestimmten Tag diese Ordnung sorgfältig studieren und was sie darin nach sorgfältiger Überlegung für notwendig anerkannten, das sollten sie bessern und einige nötige und wichtige Artikel – entweder aus dem Buch des Herrn Tovačovský oder aus den Landtagsbeschlüssen – darin aufnehmen, danach dies alles Ihren Gnaden den obersten Herren Landesbeamten und Landesrichtern vortragen. So dass Ihre Gnaden es durchsehen und bedenken und sich danach mit Seiner königlichen Majestät darüber einig werden könnten. Falls dann ein Einwohner etwas Notwendiges bei sich fand, das in diese Landesordnung eingefügt und eingeschrieben werden könnte, solle er dies den unten genannten und dazu von uns bestimmten Personen frühzeitig in schriftlicher Form senden. Und falls sie diese Notwendigkeit anerkannten, sollten sie geruhen, es in diese Ordnung einzufügen und mit den anderen Artikeln
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d. Ä. von Žerotín war bereits an der Vorbereitung der 1604 erschienenen Landesordnung in erheblichem Maße beteiligt gewesen. Damals wurde er in den entsprechenden Landtagsbeschlüssen noch nicht als ordentliches Mitglied der verfassungsgebenden Kommission genannt, sondern vertrat faktisch nur den obersten Landesrichter Joachim Haugwitz von Biskupitz, der sofort nach der Ernennung zum Kommissionsvorsitzenden auch Landeshauptmann geworden war. 1608 war die Situation so außergewöhnlich, dass Karl d. Ä. von Žerotín – Landeshauptmann, Verfassungsjurist und dazu sehr selbstbewusst – sich selbst zum Mitglied der Kommission für den Herrenstand und damit faktisch zu deren Vorsitzenden ernannte. Die neue Landesordnung sollte den gerade eingetretenen verfassungsrechtlichen Zustand, das heißt die Personalunion mit dem Ungarischen Königreich und die religiöse „Toleranz und Koexistenz“, verankern.23 Wegen der Laxheit vieler Kommissionsmitglieder und den bekannten Ereignissen der Jahre 1611–1612, als Matthias böhmischer König wurde und Mähren in den Bund der Länder der Wenzelskrone zurückkehrte, kam es nicht zur Umsetzung der Žerotín’schen Pläne. Zumindest fand jedoch der bekannte „im Jahr 1612 gehaltene [Brünner] Landtag“ statt, den wir als Höhepunkt der 1594 aufgenommenen und 1608 durch den Kampf um ein „anderes Konzept des Majestätsbriefs“ stark beeinflussten verfassungsrechtlichen Bemühungen Karls d. Ä. von Žerotín ansehen dürfen.24 Die Jahre 1613–1614 (bzw. 1615), also die Jahre bis zu Žerotíns Verzicht auf das Amt des Landeshauptmanns, waren eher durch einen erneuten Rückzug und wachsende Skepsis gekennzeichnet. Unter anderem zeigte sich nämlich, dass die Rückkehr in den Bund der Länder der Böhmischen Krone auch alte Konflikte aufleben ließ. Im Anschluss an eine Welle von Konversionen bedeutender Adeliger und die Stärkung ihrer Macht (so wurde Karl von Liechtenstein beispielsweise 1608 in den Fürstenstand erhoben und 1614 mit
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Ihren Gnaden vorzutragen.“ Moravský zemský archiv Brno (Mährisches Landesarchiv Brünn), A 3, Stavovské rukopisy (Handschriften der Stände), Inv.Nr. 5, Památky sněmovní (Landtagsdenkmäler) 5, fol. 404r–404v. kNoz, Tomáš: Žerotínovy glosy k moravskému zemskému zřízení z roku 1562. Osobní prvky v zemské legislativě a příprava zemských zřízení v prostředí žerotínské Moravy [Žerotíns Glossen zur mährischen Landesordnung von 1562. Persönliche Elemente in der Landeslegislative und die Vorbereitung der Landesordnung im Umfeld des Žerotín’schen Mährens]. In: Ad iustitiam et bonum cammunae. Proměny zemského práva v českých zemích ve středověku a raném novověku. Hg. v. Libor JaN und Dalibor JaNiŠ. Brno 2010 (Země a kultura ve střední Evropě 13), 107–154. Mit den Begriffen „Toleranz und Koexistenz“ hat Válka, Josef: Tolerance či koexistence? K povaze soužití různých náboženských vyznání v českých zemích v 15. až 17. století [Toleranz und Koexistenz. Zur Art des konfessionellen Zusammenlebens in den böhmischen Ländern vom 15. bis zum 17. Jahrhundert]. In: Studia Comeniana et historica 18/35 (1988), 63–75, die konfessionelle Situation in Mähren vor der Schlacht am Weißen Berg charakterisiert. ze žerotína, Karel starší: Sněm držaný roku 1612 [Der im Jahr 1612 gehaltene Landtag]. Hg. v. Vincenc BraNdl. Brno 1864; das Zitat, das Žerotíns Zweifel an den offiziellen Landtagsmaterialien belegt, befindet sich auf S. 1. – Číhálík, Martin: „Sněm držaný roku 1612“. Rozbor jednání moravského zemského sněmu na počátku 17. století [„Der im Jahr 1612 gehaltene Landtag“. Eine Analyse der Verhandlungen des mährischen Landtags zu Beginn des 17. Jahrhunderts]. Brno 1997 [Diplomarbeit, Philosophische Fakultät MasarykUniversität]. – kNoz, Karel starší ze Žerotína (wie Anm. 3), 216.
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dem Troppauer Herzogtum ausgestattet – in diesem Fall wurde ähnlich wie bei Žerotín die Wahl der richtigen Partei im „Bruderzwist“ belohnt) setzte eine neue Phase der Gegenreformation ein. Žerotín begann zu verstehen, dass das verfassungsrechtliche und politische System (nicht nur) in Mähren langfristig von innen her kränkelte und dass die einzelnen Teilnehmer der Landtage, Versammlungen und Gerichtstage eher ihre eigenen politischen und wirtschaftlichen Ziele verfolgten, als das Landesrecht als Garanten für das Gleichgewicht der Kräfte in der Gesellschaft zu verteidigen (dass Žerotín mit diesem skeptischen Urteil nicht irrte, belegen ähnliche Formulierungen seines politischen Gegners Ladislaus von Lobkowitz).25 Die Situation spitzte sich in beiden Ländern zu – in Böhmen mit dem Majestätsbrief, der auch nach Rudolfs Tod und der Thronbesteigung durch Matthias weiterhin gültig blieb, und in Mähren mit seinen mündlichen Garantien, die den Majestätsbrief, der hier bislang nicht in Kraft getreten war, ersetzen mussten. Die Beziehungen zwischen der katholischen und der protestantischen Partei steuerten auf jene Krise zu, die in vollem Ausmaß in den Jahren 1618–1619 ausbrechen sollte und die für gewöhnlich mit dem Begriff „böhmischer Ständeaufstand“ bezeichnet wird. Es erweist sich als recht kompliziert, die langfristigen oder zumindest mittelfristigen Folgen des Fehlens des Majestätsbriefs in Mähren bzw. des „anderen Konzepts des Majestätsbriefs“ einzuschätzen. Die ersten Konsequenzen der Jahre 1608–1609 zeigten sich jedoch bereits zur Zeit des Aufstands. Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass in dieser Zeit die Bedeutung Karls d. Ä. von Žerotín in Mähren erneut zunahm und einige Aspekte der früheren erfolglosen Verhandlungen mit Wenzel Budowetz von Budow wieder aktuell wurden. Karl d. Ä. von Žerotín setzte in seiner Korrespondenz, in den persönlichen Auftritten sowie in den offiziellen Verhandlungen auf dem Landtag erneut seine ursprüngliche Idee durch, die diesmal um die negative Erfahrung der gescheiterten Gespräche mit den böhmischen Ständen im Jahr 1608 angereichert war. Sein Konzept stützte sich dabei auf folgende Thesen: 1) Die Habsburger seien die legitimen Herrscher, Kaiser Matthias unter den gegebenen Umständen ein im Großen und Ganzen zuverlässiger Partner; jede Ablehnung der Politik des Hofes könne daher nur auf legalen Weg, vor allem durch politische Verhandlungen, kundgetan werden, um eine Verschlechterung der Situation zu vermeiden. 2) Die beste Vorgehensweise sei die Unterordnung unter den Herrscher, von dem dann solche Garantien gefordert werden sollten, wie sie sich aus dem legitimen Rechtsverhältnis der beiden Parteien ergäben – das heißt einschließlich der Religionsfreiheit. 3) Auf keinen Fall komme eine gewaltsame und im Widerspruch zu den Rechtsgewohnheiten stehende Lösung in Frage. 4) Die mährischen Stände sollten in Zukunft nicht mehr gemeinsam mit den böhmischen Ständen handeln, sondern müssten separat auftreten, um eine verfassungsrechtliche oder zumindest politische Unterordnung Mährens unter Böhmen zu verhindern; außerdem hätten die Erfahrungen des Jahres 1608 gezeigt, dass auf die böhmischen
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kNoz, Tomáš: Světla a stíny moravského stavovství [Licht und Schatten des mährischen Ständewesens]. In: Dějiny a současnost 25 (2003), Nr. 3, 17–22.
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Stände kein Verlass sei, weil sie in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgten, die allerdings nicht mit den Wünschen Mährens identisch seien.26 Die Kluft zwischen Böhmen und Mähren in der Frage des Majestätsbriefs zeigte sich schließlich auch bei der rechtlichen Begründung der Strafen für die Aufständischen. In der Begründung der Anklage gegen die böhmischen Stände wegen ihres Aufstands gegen den Kaiser wurde u. a. auch die Verletzung des Majestätsbriefs aufgeführt. Die böhmischen Stände hätten den kaiserlichen Juristen zufolge den Besitz kirchlicher Institutionen und weltlicher politischer Gegner konfisziert. Dies sei eine Verletzung des Majestätsbriefs, in dem beide Seiten für die Zukunft die Einhaltung der Konfiskationsverfügung bestätigt hatten (dies war ein Ergebnis der Erfahrungen aus dem Jahr 1547 und von einigen anderen Fällen, in denen diese Sanktion angewendet worden war). In der Diktion der kaiserlichen Dokumente bedeutete dies eine Verletzung des Majestätsbriefs durch die Stände, der dadurch ungültig wurde. Dies berechtige Kaiser Ferdinand II. nicht nur dazu, die Konfiszierung von Besitz wegen des crimen laesae maiestatis anzuordnen, sondern auch durch entsprechende Dekrete die ursprünglich durch den Majestätsbrief garantierten religiösen und politischen Freiheiten einzuschränken.27 Die Situation in Mähren, wo der Majestätsbrief keine Gültigkeit besaß, war in dieser Hinsicht komplizierter. Vor allem in offiziellen juristischen Dokumenten konnte das Vorgehen der radikalen Stände (obwohl es dem Vorgehen der Stände in Böhmen ähnelte) nicht als Verletzung des Majestätsbriefs interpretiert werden. Man argumentierte mit einem einfachen crimen laesae maiestatis. Das Vorgehen Karls d. Ä. von Žerotín war während des Aufstands und nach dessen Ende legal, so dass es vom Hof nicht als Aufkündigung der Loyalität der gesamten nichtkatholischen Ständegemeinde wahrgenommen werden konnte.28 Deshalb verzichtete der Kaiser in den folgenden Jahren auf die Interpretation des Aufstands als Widerstand der Nichtkatholiken gegen die katholische Konfession des Herrschers. Allerdings wurde diese Auslegung ungefähr seit 1625 von Kardinal Dietrichstein in seinen Rechtsakten verfolgt. Praktisch blieben bis 1628 für die nichtkatholischen Mitglieder der Ständegemeinde, die sich nicht am Aufstand beteiligt hatten, die religiösen und die politischen Freiheiten in einem ähnlichen Umfang wie vor dem Aufstand bestehen. Außerdem erfolgte auch die Bestrafung der radikaleren, am Aufstand beteiligten Mitglieder der Ständegemeinde in Mähren in wesentlich milderer Form als in Böhmen. Dies lag an dem abweichenden Vorgehen der Mährer und deren wiederholter Distanzierung von den Böhmen. Sie argumentierten, dass die Böhmen sich gegen 26
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Válka, Josef: Die „Politiques“: Konfessionelle Orientierung und politische Landesinteressen in Böhmen und Mähren (bis 1630). In: Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16. – 18. Jahrhundert. Hg. v. Joachim BaHlCke, Hans-Jürgen BömelBurg und Norbert kerskeN. Leipzig 1996 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 4), 229–242. glüCkliCH, Julius: Majestát Rudolfa II. z roku 1608 o nekonfiskování statků (wie Anm. 2), 15–29. – kNoz, Tomáš: Pobělohorské konfiskace. Moravský průběh, středoevropské souvislosti, obecné aspekty [Die Konfiskationen nach dem Weißen Berg. Verlauf in Mähren, mitteleuropäische Zusammenhänge, allgemeine Aspekte]. Brno 2006, 542–568. MatěJek, František: Morava za třicetileté války [Mähren während des Dreißigjährigen Krieges]. Praha 1992, 1–28.
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den Herrscher gestellt und die religiösen und politischen Freiheiten von Rudolf erzwungen hätten, während die Mährer sie wiederum freiwillig in Matthias’ Hände gelegt und so im Prinzip ihre Unterordnung und ihren Gehorsam gegenüber dem Herrscher erklärt hatten.29 Das Funktionieren dieser grundsätzlichen Postulate aus den Jahren 1622 und 1628 lässt sich in der „longue durée“ verfolgen, als sich beispielsweise in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einige bedeutende ursprünglich nichtkatholische Adelsgeschlechter um ihre Rehabilitierung bemühten. Nicht zufällig zeigt sich dies bei den Žerotíns auf Groß Ullersdorf (Velké Losiny), die sich von dem Jesuiten Georg Crugerius (1669) und später von dem Genealogen Franciscus Dominicus Calin von Marienberg (1683) eine Apotheose ihrer Familie schreiben ließen. Ein wichtiges Motiv dieser Elogien ist die damnatio, das heißt die Entfernung der Radikalen aus der Zeit des Aufstands (in diesem Fall des Ladislaus Velen von Žerotín), bei gleichzeitiger Neuinterpretation der „Politiker“ – also Karls d. Ä. von Žerotín. Diese Neuinterpretation folgte dem Grundsatz, dass dieser zwar ein Nichtkatholik, ein Häretiker gewesen, aber immer dem Herrscher treu geblieben sei. Žerotíns Konzept des Majestätsbriefs, das heißt die Überordnung von Recht und Politik über die Konfession, erfuhr somit seine Erfüllung.30 Eine andere langfristige Folge des untersuchten Prozesses dürfte die eindeutige politische und kulturelle Orientierung des mährischen Adels auf Wien als entstehendes Zentrum der Habsburgermonarchie und natürliche kulturelle Metropole Mitteleuropas gewesen sein, die für die gesamte Barockzeit kennzeichnend blieb. Gleichzeitig herrschte Desinteresse an einer Ausrichtung auf Prag bzw. an einem einheitlichen politischen und kulturellen Wirken im Rahmen der Länder der Wenzelskrone.31 Die Vorzeichen der kriselnden Beziehungen zwischen der mährischen und der böhmischen Ständerepräsentation, die 1608 deutlich wurden und zu denen auch die Differenzierung im „Konzept des Majestätsbriefs“ gehörte, waren bereits um die Jahrhundertwende wahrnehmbar. Als unmittelbare Ursachen der genannten Differenzierung dürfen trotzdem die unterschiedlichen Erfahrungen bei der Behandlung der Türkenfrage und die langfristigen Meinungsunterschiede gelten, die bezüglich der politischen und religiösen Freiheiten und der Möglichkeiten herrschten, einen Kompromiss innerhalb der Ständegemeinde sowie zwischen Ständegemeinde und Herrscher zu erzielen. Ein nicht zu unterschätzender Faktor war auch die Anwesen29 30
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kNoz (wie Anm. 27), 622–657. kNoz, Tomáš: Středověký původ moravské šlechty v Zrcadle Bartoloměje Paprockého [Der mittelalterliche Ursprung des mährischen Adels in Bartholomäus Paprockis Werk „Zrcadlo/ Spiegel“]. In: Ad vitam et honorem: profesoru Jaroslavu Mezníkovi přátelé a žáci k pětasedmdesátým narozeninám. Hg. v. Tomáš BoroVský, Libor JaN und Martin WiHoda. Brno 2003, 149–166. – Zemský archiv Opava (Landesarchiv Troppau), pracoviště Olomouc (Außenstelle Olmütz), Rodinný archiv Žerotínů (Familienarchiv Žerotín), Ktn. 5. – CaliN VoN marieNBerg, Dominicus Franciscus: Virtus Leonina, Viennae 1683 (Exemplar der Mährischen Landesbibliothek Brünn [Moravská zemská knihovna Brno], Sign. St 3–1239), 57 f. – kNoz, Karel starší ze Žerotína (wie Anm. 3), 22–36 (Kap. Damnatio et laudatio). eVaNs, Robert J. W.: Vznik habsburské monarchie 1550–1700 [Die Entstehung der Habsburgermonarchie 1550–1700]. Praha 2003, bes. 232–276.
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Abb. 3: Verneuerte Landesordnung, kaiserliches Wappen, Mährisches Landesarchiv Brünn, G21, Sammlung der alten Bücher, Titelblatt (Foto T. Knoz)
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Abb. 4: Verneuerte Landesordnung, Mähren, Wappen Markgrafschaft Mähren, 1628, Mährisches Landesarchiv Brünn, G21, Sammlung der alten Bücher, Sig. II/261. Frontispiz (Foto T. Knoz)
heit des Herrscherhofs in Prag – nicht jedoch in Mähren –, wodurch Probleme unterschiedlich analysiert wurden. Während sich die böhmischen Stände zu Zeiten des „Bruderzwists“ loyal gegenüber Rudolf verhielten und danach politischen Druck auf ihn ausübten, der in den Erlass des Majestätsbriefs mündete, ging das von Žerotín geführte Mähren sogar militärisch gegen Rudolf vor, wobei es sein Vorgehen auf die Autorität des Habsburgers Matthias stützte, den es als seinen legitimen Landesherrn ansah. Damit sicherte sich Mähren nicht nur politische und religiöse Freiheiten sowie die Souveränität des Landesrechts, sondern auch Autonomie gegenüber Böhmen, dessen Konzept von der Überordnung über die „Nebenländer“ in Mähren seit langer Zeit negativ wahrgenommen wurde. Die erwähnten Konzepte – das böhmische wie das mährische – waren jedoch zeitlich befristet. Ein wichtiger Unterschied zwischen Bruderzwist und Majestätsbrief war auch die grundsätzliche Differenzierung zur Zeit des Ständeaufstands und bei der Bestrafung der Aufständischen. Die kompromissorientierte Strömung innerhalb der mährischen Adelsgemeinde misstraute der böhmischen radikalen Lösung und versuchte (unter Schwierigkeiten, die auf dem radikalen „Zwischenspiel“ von 1619 basierten), auf Kaiser Ferdinand II. zumindest einen Teil der Verpflichtungen zu übertragen, die Matthias 1608 Mähren gegenüber eingegangen war. Dies gelang zwar nur sehr eingeschränkt, aber die Bestrafung der Aufständischen fiel in Mähren wesentlich milder aus als in Böhmen. Mähren ging den Weg der Rekatholisierung, was sich in
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mehrfacher Hinsicht noch im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges als prägend erweisen sollte.32
32 Diese Abhandlung entstand im Rahmen des Projekts MSM0021622426 „Výzkumné středisko pro dějiny střední Evropy: Prameny, země, kultura [Forschungszentrum für die Geschichte Mitteleuropas: Quellen, Länder, Kultur]“ an der Masaryk-Universität in Brünn.
Pavel Marek
Die Rezeption des rudolfinischen Majestätsbriefs im Milieu des böhmischen katholischen Adels* Die langwierigen Verhandlungen vor dem Erlass des Majestätsbriefs über die Religionsfreiheit machten die innere Differenzierung der beiden sich gegenüberstehenden Lager deutlich, in denen die Radikalen immer stärker die Oberhand über die Anhänger der traditionellen konservativen Politik gewannen. Im Fall der Protestanten handelte es sich besonders um die ehrgeizigen lutherischen Adeligen, die von Leonhard Colonna von Fels, Joachim Andreas Schlick bzw. Heinrich Matthias von Thurn angeführt wurden; den radikalen Flügel des katholischen Lagers repräsentierten vor allem Angehörige der Geschlechter Popel von Lobkowitz, Berka von Dubá, Dietrichstein sowie einiger anderer Familien, die sich größtenteils mit den gegenreformatorischen Plänen der päpstlichen Nuntien und der spanischen Gesandten am Kaiserhof identifizierten.1 Die zuletzt erwähnte Gruppe hatte nach * 1
Diese Studie entstand dank der finanziellen Unterstützung der Förderagentur der Tschechischen Republik GAČR P405/10/0347 und des Projekts VC/2011/UHE. Einen Einblick in das gegenreformatorische Wirken der päpstlichen Nuntien am Kaiserhof unter Rudolf II. liefert vor allem stloukal, Karel: Počátky nunciatury v Praze. Bonhomini v Čechách v l. 1581–1584 [Die Anfänge der Nuntiatur in Prag. Bonhomini in Böhmen 1581– 1584]. In: Český časopis historický 34 (1928), 1–24, 237–279, hier 2. – ders: Papežská politika a císařský dvůr pražský na předělu XVI. a XVII. věku [Die päpstliche Politik und der Prager Kaiserhof an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert]. Praha 1925. – köHler, Jochen: Der Beitrag der Prager Nuntiatur zur Festigung des Katholizismus in Ostmitteleuropa. In: Historisches Jahrbuch 93 (1973), 336–346. – PazderoVá, Alena: La Boemia muilticonfessionale e la nunziatura di Cesare Speciano a Praga. In: Kaiserhof – Papsthof (16.–18. Jahrhundert). Hg. v. Richard Bösel, Grete KliNgeNsteiN und Alexander koller. Wien 2006, 25–32. – ČernuŠák, Tomáš: Nuncius Caetani a jeho obrana katolických zájmů v době před vydáním Majestátu Rudolfa II. (1608–1609) [Nuntius Caetani und seine Verteidigung der katholischen Interessen in der Zeit vor dem Erlass des Majestätsbriefs Rudolfs II. (1608–1609)]. In: Časopis Matice moravské 128 (2009), 35–46. – ČernuŠák, Tomáš: Taktika prosazování záměrů papežských diplomatů v Čechách v jednáních z let 1608–1609 [Die Taktik der Vorhabendurchsetzung der päpstlichen Diplomaten in Böhmen in den Verhandlungen 1608–1609] In: Časopis Matice moravské 130 (2011), 29–40. – ders.: Die Papstpolitik und die Entwicklung des Bruderzwistes in der Korrespondenz des Nuntius Antonio Caetani. In: Bruderzwist im Hause Habsburg (1608– 1611). Hg. v. Václav Bůžek. České Budějovice 2010 (Opera historica 14), 211–224. – ders.: Papežská politika v českých zemích za nunciatury Antonia Caetaniho (1607–1609) [Die päpstliche Politik in den böhmischen Ländern während der Nuntiatur Antonio Caetanis (1607– 1609)]. In: Folia Historica Bohemica 25 (2010), 7–22. Ähnlich die Edition der päpstlichen Relationen und Instruktionen: Epistulae et acta Johannis Stephani Ferrerii 1604–1607. Bd. 1. Hg. v. Zdeněk kristeN. Pragae 1944. – Antonii Caetani nuntii apostolici apud imperatorem epistulae et acta 1607–1611. 3 Bde. Hg. v. Milena liNHartoVá. Pragae 1932–1946. – Le istruzioni generali di Paolo Vai diplomatici pontifici 1605–1621. 3 Bde. Hg. v. Silvano giordaNo. Tübingen 2003, hier Bd. 2, 713–773, bes. 715 f. Zur gegenreformatorischen Tätigkeit der spanischen Gesandten vgl. bes. goNzález CuerVa, Rubén: Baltasar de Zúñiga. Una encrucijada de
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1599, als es zur Besetzung der höchsten Landesämter mit katholischen Adeligen kam, den größten machtpolitischen Einfluss im Land erobert.2 Obwohl man unter den Repräsentanten der neu ernannten Landesregierung auch weiterhin Männer finden konnte, die die Linie der traditionellen gemäßigten Politik verfolgten, hatte nun Oberstkanzler Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz das entscheidende Wort. Vielleicht wurde Lobkowitz’ Einstellung gegenüber den Nichtkatholiken gerade deshalb vielfach zu Unrecht als Standpunkt der gesamten katholischen Partei präsentiert.3 Auf die Uneinigkeit des böhmischen katholischen Adels hatte schon Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg hingewiesen, der in seinen Erinnerungen davon sprach, dass es römische Katholiken gebe, „die sie [die Protestanten – Anm. P. M.] und ihre Religion nicht verfolgen, sondern nach der damaligen Landesordnung und dann nach dem über die Religion getätigten Majestätsbrief und Ausgleich einer Meinung mit ihnen sind“, und spanische Katholiken, „die sie und ihre Religion unter beiderlei Gestalt verfolgen“.4 Diese Zweigleisigkeit der katholischen Politik möchte auch der folgende Beitrag näher analysieren, dessen Ziel es ist, die Positionen der böhmischen katholischen Repräsentanten zum rudolfinischen Majestätsbrief über die Religionsfreiheit sowie allgemein zu den stürmischen Ereignissen des Jahres 1609 festzuhalten. Noch 1608 lässt sich wohl von einem einheitlichen politischen Kurs des böhmischen katholischen Adels sprechen. Als die von Wenzel Budowetz von Budow angeführten böhmischen evangelischen Stände im Juni 1608 mit einem Memorandum vor Rudolf II. traten, das ein Gesuch zur Genehmigung der Religionsfreiheit enthielt, rieten die böhmischen Katholiken dem Kaiser übereinstimmend, seine Zustimmung zur böhmischen Konfession zu versprechen und sich so die Herrschaft über das Böhmische Königreich zu sichern. Dieser überraschende Schritt von Seiten der Katholiken war jedoch nur ein politischer Schachzug, durch den sie Zeit für längere Verhandlungen gewinnen wollten. Die Genehmigung dieser Konfession sollte der Kaiser nämlich auf die Zeit der Verhandlungen des nächsten Landtags verschieben. Niemand unter den katholischen Radikalen erwartete damals wohl,
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la Monarquía Hispana (1599–1622). Madrid 2012 [Dissertation der Universidad Autónoma de Madrid]. – ders.: La embajada de Praga de Baltasar de Zúñiga (1608–1612). In: Relaciones checo-españolas: viajeros y testimonios. Hg. v. Josef oPatrNý. Prag 2008 (Iberoamericana Pragensia, Supplementum 22), 59–79. Die Koordination der gegenreformatorischen Politik Spaniens und des Kirchenstaates behandelt marek, Pavel: La diplomacia española y la papal en la corte imperial de Fernando II. In: Studia historica. Historia moderna 30 (2008), 109–143. – ders: Politický vliv Španělska a papežského státu na císařském dvoře Ferdinanda II. [Der politische Einfluss Spaniens und des Kirchenstaates am Kaiserhof Ferdinands II.]. In: Časopis Matice moravské 126 (2007), 285–318. Dazu hauptsächlich BoroviČka, Josef: Pád Želinského. Obsazení nejvyšších zemských úřadů v Čechách v letech 1597–1599 [Der Sturz des Želinský. Die Besetzung der höchsten Landesämter in Böhmen 1597–1599]. In: Český časopis historický 28 (1922), 277–304. – stloukal, Papežská politika (wie Anm. 1), bes. 180–191. Beispielsweise Husa, Václav: Dějiny Československa [Geschichte der Tschechoslowakei]. Praha 1962, 127–143. Paměti nejvyššího kancléře Království českého Viléma hraběte Slavaty [Die Erinnerungen des Oberstkanzlers des Böhmischen Königreichs Wilhelm Graf Slawata]. 2 Bde. Hg. v. Josef JireČek. Praha 1866–1868, hier Bd. 1, 143.
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dass Rudolf II. sein den böhmischen protestantischen Ständen gegebenes Versprechen halten würde. Aber nur der Konsens der ganzen böhmischen Ständegemeinde gab dem Kaiser die Hoffnung, sich akzeptable Bedingungen für die weiteren Verhandlungen mit seinem Bruder zu erkämpfen. Die Ablehnung von Matthias’ Vorschlägen durch die Ständegemeinde sollte garantieren, dass Rudolf II. sich in den nächsten Jahren die böhmische Krone bewahren konnte und die gegenwärtigen Vertreter der Landesregierung auch weiterhin ihre Machtposition behielten. Nicht zuletzt sollte die Ablehnung der Forderungen des Erzherzogs auch dem Böhmischen Königreich helfen, sich seine exklusive Stellung gegenüber den anderen Ländern der Böhmischen Krone und eine bedeutende Position im Komplex des Habsburgerreiches zu bewahren.5 Rudolfs Versprechen, die Religionsfreiheit zu garantieren, nahmen die Katholiken nicht ernst. Sie glaubten damals, dass der Kaiser – sobald die Kriegsdrohung abgewendet und die Ordnung im Land erneuert sei – Mittel finden werde, um sich seiner Verpflichtung zu entziehen. Diese Erwartungen sollten sich jedoch nicht erfüllen. Nach dem Abschluss des Liebener Vertrags blieb die Stellung des Kaisers und mit ihm auch der radikalen Katholiken äußerst schwach. Rudolf II. gelang es zwar, die Genehmigung der Ständeforderungen zu verzögern, indem er den Landtag nicht zum vereinbarten Termin einberief, aber diese Lösung hatte nur kurzfristig Erfolg. Bereits Ende Januar 1609 war der Kaiser gezwungen, den Forderungen der böhmischen Stände entgegenzukommen und der Eröffnung des Landtags zuzustimmen. Die Ständeopposition legte den Erwartungen entsprechend gleich zu Beginn der Verhandlungen ihre kompromisslosen Forderungen vor. Darin ersuchte sie den Kaiser, das gegen die Brüder gerichtete Mandat von 1602 aufzuheben, den Gebrauch der Confessio Bohemica für alle nichtkatholischen Bekenntnisse im Land gesetzlich zu verankern sowie den Nichtkatholiken das utraquistische Konsistorium und die Aufsicht über die Prager Universität abzutreten. Kaiser Rudolf II. geriet in eine wenig beneidenswerte Position. Wenn er den protestantischen Ständen entgegenkam, würde er seiner religiösen Überzeugung und der Rekatholisierungspolitik untreu werden, die er bisher in Böhmen mit Erfolg betrieben hatte. Außerdem hätte er den letzten Kredit verspielt, der ihm in den Augen der katholischen Welt noch geblieben war. Zugleich bestand jedoch die Gefahr, dass seine eventuelle Unnachgiebigkeit die böhmischen Stände dazu trieb, sich mit den Ungarn, Österreichern und Mährern zu verbinden und Matthias auf den Thron zu berufen.6 Ob5
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Die detaillierteste Schilderung der damaligen Ereignisse bietet teNora, Jan: Účast kardinála z Dietrichštejna za boje mezi arciknížetem Matyášem a Rudolfem II. roku 1608 [Die Beteiligung des Kardinals von Dietrichstein am Kampf zwischen Erzherzog Matthias und Rudolf II. im Jahr 1608]. In: Hlídka 31–34 (1914–1917). Zu der von den böhmischen Katholiken auf dem Landtag 1608 vertretenen Haltung s. VáVra, Josef: Katolíci a sněm český r. 1608 a 1609 [Die Katholiken und der böhmische Landtag 1608 und 1609]. In: Sborník Historického Kroužku 1 (1893), 3–28. Das Handeln eines Teils des böhmischen katholischen Adels reflektiert auch marek, Pavel: Die Rolle der spanischen Klienten aus den Reihen des böhmischen und mährischen Adels bei der Lösung des Bruderzwistes. In: Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608– 1611). Hg. v. Václav Bůžek. České Budějovice 2010 (Opera historica 14), 179–209. Die Ereignisse, die sich zwischen dem Abschluss des Liebener Friedens im Juni 1608 und dem Erlass des Majestätsbriefs über die Religionsfreiheit im Juli 1609 zutrugen, beschreiben im
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wohl diese Vision für Rudolf II. sehr unangenehm gewesen sein musste, verhielt er sich zunächst wie ein treuer Katholik. In seiner ersten Antwort lehnte er das Gesuch der protestantischen Stände ab. Dafür war sicherlich auch die Tatsache verantwortlich, dass er diese zuvor mit dem päpstlichen Nuntius Antonio Caetani, dem Prager Erzbischof Karl von Lamberg und einigen Theologen abgestimmt hatte. Nicht geringe Bedeutung hatte für den Kaiser aber auch die Unterstützung, die er von Seiten des radikalen theologischen Lagers mit Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz an der Spitze erhielt.7 Gerade Lobkowitz wurde vom spanischen Gesandten Baltasar de Zúñiga einige Tage später als Hauptstütze der böhmischen Katholiken bezeichnet. In einem damals nach Madrid gesandten Schreiben forderte er den spanischen König Philipp III. sogar auf, über eine Belohnung der Dienste des Kanzlers durch die Verleihung der höchsten habsburgischen Auszeichnung nachzudenken – gemeint war der Orden vom Goldenen Vlies. In seinem Bemühen, seiner Supplik Gewicht zu verleihen, zählte Zúñiga die Hauptgründe auf, die seiner Ansicht nach die Verleihung des Ordens vom Goldenen Vlies an Lobkowitz rechtfertigten. Zunächst erwähnte er dessen Verwandtschaft mit den Pernsteinern, deren Name am Madrider Hof dank den Schwestern von Lobkowitz’ Frau Polyxena, Johanna Herzogin von Villahermosa und Luisa de las Llagas, einen guten Klang besaß. Die spanischen Herrscher erinnerten sich außerdem immer noch an Lobkowitz’ Schwiegervater Wratislaw von Pernstein, der ähnlich wie Zdeněk Adalbert das Amt des Oberstkanzlers innegehabt und zu den bedeutendsten Anhängern der spanischen Politik in Mitteleuropa gehört hatte. Schließlich nannte Baltasar de Zúñiga das Geschlecht der Popel von Lobkowitz, das seinen Worten zufolge zu den wichtigsten und zahlenmäßig größten Adelsfamilien im Böhmischen Königreich zählte und dessen Angehörige zudem fast alle katholisch waren. Das schlagkräftigste Argument war jedoch die Tätigkeit von Zdeněk Adalbert selbst. Der spanische Gesandte betonte, dass es in der momentanen Situation absolut unverzichtbar sei, Lobkowitz auf der eigenen Seite zu
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Detail: Čechura, Jaroslav: 5.5. 1609 – Zlom v nejdelším sněmu českých dějin. Generální zkouška stavovského povstání [5.5.1609 – Ein Wendepunkt im längsten Landtag der böhmischen Geschichte. Generalprobe für den Ständeaufstand]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 18). – JanáČek, Josef: Rudolf II. a jeho doba [Rudolf II. und seine Zeit]. Praha 1987, 429–448. Vgl. außerdem giNdely, Anton: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätbriefes von 1609. Prag 1858. – ders.: Rudolf II. und seine Zeit 1600–1612. 2 Bde. Prag 1863–1865. – krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909. Wichtige Informationen bieten auch Editionen zeitgenössischer Quellen, wie z. B. Pavla Skály ze Zhoře Historie česká od r. 1602 do r. 1623 [Die böhmische Geschichte von 1602 bis 1623 des Pavel Skála von Zhoř]. Hg. v. Karel tiefruNk. 5 Bde. Praha 1865, hier Bd. 1. – Paměti (wie Anm. 4), hier Bd. 1, 152–405. – Václava Budovce z Budova korespondence z let 1579– 1619 [Die Korrespondenz des Wenzel Budowetz von Budow aus den Jahren 1579–1619]. Hg. v. Julius glüCkliCH. Praha 1908. – Epistulae (wie Anm. 1). – Antonii Caetani (wie Anm. 1). – Briefe und Acten zur Geschichte des dreissigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher. Bde. 5–6. Hg. v. Felix stieVe. München 1870. Über das Handeln des Kaisers zur Zeit der Landtagseröffnung informiert ein Brief des spanischen Gesandten Baltasar de Zúñiga an den spanischen König Philipp III. Národní archiv Praha (Nationalarchiv Prag), Sbírka opisů – cizí archivy (Abschriftensammlung – ausländische Archive) [im Folgenden: NA Praha, Sb. op. c. a.], Simancas, Kart. 1 (Prag, 14.02.1609).
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wissen, da er nicht nur ein entschiedener Vertreter der Gedanken der Gegenreformation sei, sondern auch dank seines Amtes die notwendige Macht in Händen halte, um diese Ideen zu verwirklichen.8 Das Vertrauen, das der spanische Gesandte in Lobkowitz’ Fähigkeiten setzte, war durchaus angebracht. Es war der Oberstkanzler, der den Kaiser überzeugte, die Ständeversammlung am 1. April erneut ohne jede Entscheidung zugunsten der nichtkatholischen Opposition auflösen zu lassen.9 Die Beendigung des Landtags war die letzte energische Antwort Rudolfs II. auf das Auftreten der böhmischen protestantischen Stände, aber sie beruhigte die Situation im Land nicht. Angeregt durch die Erfolge der Ständeopposition in den Nachbarländern, beriefen die Nichtkatholiken gleich nach der Auflösung eine neue Versammlung ein. Diese sollte am 4. Mai 1609 in Prag im Neustädter Rathaus tagen. Zugleich begannen sie mit der Organisation eigener bewaffneter Truppen; dies verlagerte den bisherigen Machtdiskurs auf eine gänzlich neue Ebene. Von diesem Moment an hatte der ständische Kampf um die Religionsfreiheit offensichtlich den Charakter eines Aufstands.10 Während die böhmische Ständeopposition auch weiterhin fest hinter ihren Forderungen stand und entschlossen war, ihren Kampf bis zum Letzten zu führen, wuchs im katholischen Lager der Zwiespalt zwischen den Anhängern der traditionellen konservativen Politik und den Angehörigen der „jungen“ bzw. „neuen“ katholischen Generation mit Lobkowitz an der Spitze. Die Vertreter der gemäßigten Katholiken um Oberstburggraf Adam von Sternberg waren schon zu diesem Zeitpunkt bereit, den Aufrührern bestimmte Zugeständnisse zu machen, denn nur so könne der Kaiser die böhmische Königskrone 8 9
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NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 14.02.1609) Baltasar de Zúñiga an den spanischen König Philipp III. Die wichtige Rolle, die Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz im Frühjahr 1609 spielte, belegen sowohl Nachrichten aus dem katholischen Lager als auch Dokumente aus den Reihen der Ständeopposition. Vgl. beispielsweise die Berichte der spanischen Diplomaten im Nationalarchiv Prag und im Archivo General de Simancas, z. B. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 14.02.1609) Baltasar de Zúñiga an den spanischen König Philipp III. – Ebd., Kart. 1, (Prag, 11.04.1609) Francisco de Losu an den spanischen Staatssekretär Andrés de Prada; AGS, Secretaría de estado – Alemania, leg. 709, fol. 72, (Madrid, 18.04.1609) spanischer Staatsrat an König Philipp III. Ähnlich die Berichte des päpstlichen Nuntius Antonio Caetani und der römischen Diplomaten im Archivio Segreto Vaticano. Vgl. beispielsweise ASV, Segr. Stato – Germania, Sign. 16, fol. 435–436 (Rom, 07.03.1609). – Ebd., Fondo Borghese, Serie II, 160, fol. 106–109 (Prag, 16.02.1609). – Ebd., Fondo Borghese, Serie II, 160, fol. 147–150 (Prag, 09.03.1609). – Ebd., Fondo Borghese, Serie II, 160, fol. 244–246 (Prag, 20.04.1609). Ich danke Dr. Tomáš Černušák, der mir freundlicherweise diese Quellen zur Verfügung gestellt hat. Die führende Rolle von Lobkowitz spiegelte sich auch in dem sogenannten Beschwerdebrief wider, den die Vertreter der protestantischen Opposition im Sommer 1609 dem Kaiser vorlegten. – Vgl. Archiv Národního muzea Praha (Archiv des Nationalmuseums Prag) [im Folgenden: ANM Praha], Hs. 280, fol. 661–673. Von den Erfolgen der nichtkatholischen Opposition in Österreich und Ungarn spricht beispielsweise JaNáČek (wie Anm. 6), 433–437. Jüngst beschäftigte sich mit der Problematik der damaligen politischen Verhandlungen vyBíral, Zdeněk: Politická komunikace aristokratické společnosti českých zemí na počátku novověku [Die politische Kommunikation der aristokratischen Gesellschaft in den böhmischen Ländern zu Beginn der Neuzeit]. České Budějovice 2005, 171–178.
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retten. Oberstkanzler Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz vertrat die entgegengesetzte Ansicht und forderte zusammen mit dem kaiserlichen Obersthofmeister Hermann von Attems den Kaiser auf, den Aufstand der böhmischen nichtkatholischen Stände mit militärischer Gewalt zu unterdrücken.11 Die Siegesvision war für Lobkowitz derart verlockend, dass sie in seinen Augen die durch einen Krieg ausgelösten menschlichen und materiellen Verluste vollkommen in den Schatten stellten. Im Fall einer erfolgreichen Unterdrückung der Opposition wäre die Religionsfrage in den böhmischen Ländern ein für alle Mal gelöst worden. Jedes Zugeständnis an die Rebellen bedeutete dagegen dem Oberstkanzler zufolge eine starke Beschädigung der katholischen Kirche und eine Bedrohung der kaiserlichen Autorität. Sein energisches Auftreten gegen die Opposition mag auch durch Lobkowitz’ Sorge um die eigene Position verstärkt worden sein. Denn in erster Linie war es der Oberstkanzler, der im Frühjahr 1608 Matthias’ Pläne bezüglich des Erwerbs der böhmischen Königskrone unmöglich gemacht hatte, und wenn die Nichtkatholiken jetzt den ungarischen König auf den böhmischen Thron beriefen, musste er zu Recht die Ungnade dieses Habsburgers fürchten.12 Das Handeln des Oberstkanzlers folgte im Frühjahr 1609 gänzlich den Intentionen der gegenreformatorischen Politik, die der spanische Gesandte Baltasar de Zúñiga am Prager Hof durchsetzte. Bereits im April informierte Zúñigas Sekretär Francisco de Losu den spanischen Staatssekretär Andrés de Prada, dass es günstiger wäre, militärische Mittel gegen die Aufständischen einzusetzen. Zugleich kritisierte er Kaiser Rudolf II. scharf dafür, dass er sich weigerte, aus seiner Kasse 200.000 Gulden zur Verfügung zu stellen, die problemlos für die Anwerbung einer Truppe von 20.000 Männern ausgereicht hätten. Mit einem solchen Heer könne Rudolf II. leicht die böhmischen Rebellen bestrafen und auch noch ihren Sympathisanten im Reich Angst einjagen. In den folgenden Wochen nahm die Entschlossenheit der spanischen Diplomaten noch zu, die Armee zur Unterdrückung der Opposition zu verwenden.13 Als sich Anfang Mai in der Prager Neustadt das Ständeheer versammelte und die Vertreter der Opposition ihre Verhandlungen im Neustädter Rathaus aufnahmen, forderte Baltasar de Zúñiga den Kaiser auf, sich von den in Prag ansässigen italienischen Kaufleuten ausreichende finanzielle Mittel zu leihen und mit der Aufrüstung zu beginnen. Im Namen des spanischen Königs Philipp III. versprach er ihm weitere Gelder und militärische Hilfe. Seinem Monarchen sandte Zúñiga ein Schreiben, in dem er ihn bat, sich so schnell wie möglich an den Mailänder Statthalter Pedro Enríquez de Acevedo, den Grafen de Fuentes und den Brüsseler Vize11 12 13
Zu dem Vorschlag von Lobkowitz und Attems, militärische Mittel gegen die böhmische Opposition einzusetzen, vgl. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 11.04.1609) Francisco de Losu an Andrés de Prada. Mehr zu Lobkowitz’ Handeln im Jahr 1608 bei marek (wie Anm. 5). Zu den Befürchtungen, die Lobkowitz und Attems bezüglich des ungarischen Königs Matthias hegten, s. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 11.04.1609) Francisco de Losu an Andrés de Prada. Ebd., (Prag, 11.04.1609) Francisco de Losu an Andrés de Prada. Die militärische Unterdrückung der Ständeopposition bevorzugte auch der spanische Gesandte Zúñiga. Ebd., (Prag, 16.05.1609) Zúñiga an den spanischen König Philipp III.
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könig Erzherzog Albrecht zu wenden und diese aufzufordern, Truppen auszuheben und nach Böhmen zu schicken. Zúñiga zufolge war es angebracht, einen schnellen Krieg gegen das ungeübte und schlecht gerüstete Heer der böhmischen Stände zu führen und „das Feuer zu löschen, bevor es irreparable Schäden anrichtet.“14 Während seine Kriegspläne bei den radikalen böhmischen Katholiken auf große Zustimmung stießen, fand Zúñiga weder beim spanischen König noch beim Kaiser Unterstützung. Philipp III. setzte unter dem Einfluss seines führenden Ratgebers, des Herzogs von Lerma, auch weiterhin seine bisherige Friedenspolitik (Paz hispánica) fort und hatte nicht vor, Spanien in ein weiteres Kriegsabenteuer zu involvieren.15 Der verängstigte Rudolf II. äußerte sich zwar zunächst befriedigt über Zúñigas militärisches und finanzielles Hilfsangebot, aber bald gewannen Zweifel an der Richtigkeit eines solchen Vorgehens erneut die Oberhand und der Kaiser trat den Rückzug an. Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Rudolfs Ansichten zur Lösung der Krise spielte eine Änderung, zu der es in der entscheidenden Phase im Geheimen Rat des Kaisers gekommen war. An dessen Spitze stand jetzt statt Hermann von Attems der Landgraf Georg Ludwig von Leuchtenberg, ein Vertreter der Versöhnungspolitik, der von Rudolfs neuem Günstling, dem Sekretär des Geheimen Rates Andreas Hannewald von Eckersdorf, intensiv unterstützt wurde.16 Zum zweiten Mal geriet der von Lobkowitz geführte radikale Flügel des katholischen Lagers mit den übrigen Mitgliedern der Landesregierung in der Frage des für den Mai einzuberufenden Landtags in Konflikt. Während Adam von Sternberg und die anderen gemäßigten Politiker den Kaiser drängten, für den 25. Mai einen Landtag nach Prag einzuberufen, der dem illegalen Treffen der Ständeopposition im Neustädter Rathaus Einhalt gebieten und die Aufrührer bewegen sollte, mit ihnen einen politischen Dialog auf der Basis der Gesetze zu führen, redete Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz dem Kaiser eine solche Lösung hartnäckig aus. Er fürchtete nämlich, dass die Einberufung des Landtags nur der Opposition dienen könnte, da sie ihren Handlungen den Anschein der Rechtmäßigkeit verlieh. Indem Rudolf II. die Landtagsverhandlungen erneuerte, gab er den Anführern der nichtka14
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Zu Zúñigas Einstellung vgl. seinen Brief an den spanischen König, ebd., (Prag, 16.05.1609) Baltasar de Zúñiga an König Philipp III. Zúñiga schrieb wortwörtlich: „Bien veo que el empeñar a Vuestra Majestad en una guerra auxiliaria como podría ser esta tiene mucha consideración y que no se deve entrar en ella sin mucho tiento, pero si llegase el agua a la boca y se viese la perdición manifiesta y urgentísima la necesidad mucho se ganaría en acudir al remedio con presteza como se podría hacer teniendo dispuestas y trazadas las ayudas y con poco quizá se apagaría un fuego que después sería inremediable“ [Unterstreichung durch P. M.]. Zur Politik der Pax Hispanica zuletzt García García, Bernardo José: La pax hispanica. Política exterior del Duque de Lerma. Leuven 1996. – alleN, Paul C.: Felipe III y la Pax Hispánica, 1598–1621. El fracaso de la gran estrategia. Madrid 2001. In der tschechischen Forschung beschäftigte sich mit der spanischen Politik jener Zeit forBelský, Josef: Španělé, Říše a Čechy v 16. a 17. století. Osudy generála Baltasara Marradase [Die Spanier, das Reich und Böhmen im 16. und 17. Jahrhundert. Das Schicksal des Generals Baltasar Marradas]. Praha 2006. Zu Rudolfs Einstellung und zum Einfluss von Hannewald vgl. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 16.05.1609) Baltasar de Zúñiga an König Philipp III. Ähnlich ebd., (Prag, 21.05.1609) Baltasar de Zúñiga an König Philipp III. Zum Einfluss von Andreas Hannewald und Georg Ludwig von Leuchtenberg auch JanáČek (wie Anm. 6), 446.
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tholischen Stände die Gelegenheit, sich in den Augen des legitimistischen Europas und vor den Gesetzen des eigenen Landes zu reinigen, wodurch er eine der wenigen Waffen einbüßte, die ihm im Kampf gegen die Forderungen der Stände noch geblieben waren. Auf Grund des böhmischen Landrechts wäre es nämlich möglich gewesen, die Versammlung im Neustädter Rathaus als Rebellion gegen den legal gewählten Herrscher zu verstehen, denn die alte Landesordnung verbot ausdrücklich, einen Landtag ohne Wissen des Königs einzuberufen. Falls die Stände unter diesen Umständen dem Kaiser ihren Willen aufdrängten, hätte dies die Gültigkeit aller Privilegien, die er ihnen zur gleichen Zeit gewährte, ernsthaft gefährdet.17 Die Tatsache, dass der Kaiser in diesem Moment die von den Gemäßigten durchgesetzte Lösung bevorzugte, ließ erahnen, welche Richtung die Entwicklung im Böhmischen Königreich einschlagen sollte. Obwohl immer offensichtlicher wurde, dass Rudolf II. den Ständen schließlich nachzugeben gedachte, fiel es den radikalen Katholiken um Lobkowitz nicht ein aufzugeben. Ihre vom päpstlichen Nuntius Caetani und dem spanischen Gesandten Zúñiga unterstützte Fraktion wurde übrigens Ende Mai 1609 noch um den Erzherzog und Passauer Bischof Leopold verstärkt, der sich als eines von wenigen Mitgliedern der Habsburgerdynastie noch des Vertrauens von Rudolf II. erfreute. Möglicherweise war es auch Leopold zu verdanken, dass der Kaiser Anfang Juni erneut die Bitte der Stände ablehnte, die Confessio Bohemica zu genehmigen. Aus der Reaktion der Anführer der Ständeopposition geht jedoch eindeutig hervor, dass den Hauptanteil an der Resolution des Kaisers vom 5. Juni 1609 wiederum Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz trug. Wenzel Budowetz von Budow forderte den Oberstkanzler ausdrücklich auf, dem Beispiel der übrigen Mitglieder der Landesregierung zu folgen und seine Zustimmung zum Vorgehen der Ständeopposition zu geben. Als er von den Ständen eindringlich gebeten wurde, sich von der Resolution des Kaisers entweder zu distanzieren oder sich zu ihrer Urheberschaft zu bekennen, gab er den Ständen nur eine ausweichende Antwort.18 Besonders deutlich zeigten sich die Widersprüche im katholischen Lager zweifellos im Zusammenhang mit dem Erlass des Majestätsbriefs über die Religionsfreiheit und des sogenannten Ausgleichs zwischen den Ständen unter beiderlei und unter einer Gestalt, der dieses Dokument um zahlreiche genauere Bestimmungen ergänzte.19 Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg zufolge forderte Kaiser Rudolf II. kurz vor der Unterschrift der beiden Dokumente Gutachten von den vier höchsten Beamten des Böhmischen Königreichs an: von Oberstburggraf Adam 17
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Über Lobkowitz’ ablehnende Haltung zur Erneuerung des Landtags informiert ein Brief des päpstlichen Nuntius Caetani an den Staatssekretär des Heiligen Stuhls Scipione Borghese. ASV, Fondo Borghese, Serie II., 160, fol. 244r–246r (Prag, 20.04.1609). Für die Information über den Inhalt dieses Briefs danke ich Dr. Tomáš Černušák. Zu den Ständeversammlungen aus Sicht des Landrechts vgl. beispielsweise kalousek, Josef: České státní právo [Das böhmische Staatsrecht]. Praha 1871, 128–138 und 303–308. Dazu vyBíral (wie Anm. 10), 175. – Paměti (wie Anm. 4), hier Bd. 1, 299 f. – Národní knihovna České republiky Praha (Tschechische Nationalbibliothek Prag), Sbírka rukopisů a starých tisků (Sammlung Handschriften und Alte Drucke), Sign. XVII E 74, fol. 149v–150v. Den vollständigen Wortlaut beider Dokumente veröffentlichte beispielsweise krofta (wie Anm. 6).
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von Sternberg, Oberstlandrichter Adam d.J. von Waldstein, Oberstlandschreiber Johann Klenowsky von Klenowa und Oberstkanzler Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz. Er erhielt jedoch zwei vollkommen gegensätzliche Ratschläge. Der erste stammte von Oberstburggraf Adam von Sternberg und wurde auch von Adam von Waldstein und Johann Klenowsky von Klenowa unterstützt. Sie setzten sich dafür ein, dass „Seine Kaiserliche Majestät ohne größeres Zögern sich zu unterschreiben geruhe, da Seiner Kaiserlichen Majestät Herr Bruder König Matthias den Ständen unter beiderlei Gestalt in Niederösterreich in der Sache ihrer Religion ihr Gesuch zu genehmigen geruhte; wenn also Seine Kaiserliche Majestät dies nicht zu unterschreiben geruht, ist zu befürchten, dass die Stände unter beiderlei Gestalt dieses Königreichs zu Seiner Kaiserlichen Majestät Herrn Bruder flüchten, von ihm eine ähnliche Erlaubnis erhalten und ihn als ihren König und Herrn annehmen werden.“20 Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz vertrat dagegen weiterhin den unversöhnlichen Standpunkt des katholischen Radikalen und riet dem Kaiser, die Bitte der ständischen Opposition abzulehnen. Statt den Argumenten des Oberstburggrafen Adam von Sternberg betonte er vor allem das Gewissen eines katholischen Herrschers und die Erlösung seiner Seele. Vor den Versammelten sagte er damals angeblich: „Wenn Seiner Kaiserlichen Majestät Herr Bruder mit seiner Genehmigung in die Hölle kommen wolle, dann hoffe er doch nicht, dass Seine Kaiserliche Majestät ihm darin nachzufolgen geruhe.“21 Aus dem gleichen Grund lehnte es Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz ab, seiner Kanzlerpflicht nachzukommen und seine Unterschrift unter den Majestätsbrief zu setzen. Ihn überzeugten damals weder das Drängen des Kaisers noch die Drohungen, die von den nichtkatholischen Ständen geäußert wurden. Zu seinem Entschluss, fest zu seinen Grundsätzen zu stehen, verhalfen ihm wohl auch Konsultationen mit dem päpstlichen Nuntius, dem spanischen Gesandten und mit Prager Theologen, die ihm versicherten, dass ihm Gott und dessen Stellvertreter auf Erden weiterhin ihre Gunst gewährten. Ihre Unterstützung war aber für Lobkowitz’ Entscheidung wohl nur zweitrangig. Eine wahrscheinlichere Erklärung für das Verhalten des Kanzlers bieten die Aussagen von Wilhelm Slawata und Baltasar de Zúñiga, die übereinstimmend die Ursache für Lobkowitz’ furchtlose Haltung in dessen Religionseifer sahen. „Fürst von Lobkowitz, damals Oberstkanzler des Böhmischen Königreichs, trug bei Seiner Kaiserlichen Majestät seine untertänigste Entschuldigung vor, dass er dies als gegen sein Gewissen empfinde, falls er sich unter diesen dem wahren heiligen katholischen Glauben so grob schädlichen Majestätsbrief unterschreiben sollte.“, vermerkte Wilhelm Slawata später in seinen Erinnerungen.22 20
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NA Praha, Gindelyho sbírka (Sammlung Gindely) [im Folgenden: NA Praha, Gind. sb.], Kart. 6, Výpisky z listu Slavatova ku kancléři Martinicovi diktovaného na lodi cestou do Vídně a dat. 24.9.1640 (Exzerpte aus einem Schreiben von Slawata an Kanzler Martinitz, diktiert auf einem Schiff auf der Reise nach Wien und datiert auf den 24.9.1640), fol. 33–36. Ebd. Paměti (wie Anm. 4), hier Bd. 2, 147. Ähnlich informierte über die ganze Angelegenheit auch der spanische Gesandte Zúñiga: „Mandó al baron Popel Gran Canciller que lo subscriviese y por tres o cuatro veces siempre se escusó de hacerlo diciendo que su conciencia le dictava que no lo podía hacer y los teologos con quien lo avía comunicado se lo decían así“ [Drei oder vier Mal befahl er dem Oberstkanzler Baron Popel, er solle ihn (= den Majestätsbrief) unterschrei-
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Den Majestätsbrief über die Religionsfreiheit musste schließlich anstelle des Kanzlers der Oberstburggraf Adam von Sternberg gegenzeichnen.23 Für Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz war seine Entscheidung jedoch bei weitem nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Indem er dem Befehl des Herrschers nicht gehorchte, verstieß er grob gegen seine Kanzlerpflichten und musste so zu Recht mit der Ungnade des Kaisers rechnen. Auch die Warnungen, die er von den Vertretern der nichtkatholischen Stände erhielt, konnte er nicht auf die leichte Schulter nehmen. Denn es war klar, dass sie wegen ihres militärischen Übergewichts auch weiterhin das Handeln des Kaisers würden beeinflussen und bei dem schwachen Rudolf II. leicht eine Bestrafung des Oberstkanzlers durchsetzen können. Von den katholischen Radikalen im Land wurde Lobkowitz’ Entscheidung dagegen sehr begrüßt. Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg und Jaroslaw Bořita von Martinitz lehnten es nach dem Vorbild des Kanzlers ab, die Existenz des Ausgleichs zwischen den Katholiken und den Protestanten zur Kenntnis zu nehmen.24 Das Handeln des Kanzlers würdigten auch die Vertreter Spaniens und des Papsttums, deren gegenreformatorische Politik durch den Erlass des Majestätsbriefs einen schweren Schlag erlitten hatte.25 Während Lobkowitz in ihren Briefen als Held gefeiert wurde, verlor Kaiser Rudolf II. in den Augen der katholischen Welt den letzten Rest an Vertrauen und wohl auch Respekt. Baltasar de Zúñiga teilte Mitte Juli 1609 nach Madrid mit, dass es gut wäre, Rudolf II. auf dem böhmischen Königsthron durch seinen Bruder Matthias zu ersetzen, da Gesundheitszustand und Autoritätsverlust es dem Kaiser ganz unmöglich machten, sich erfolgreich der Verwaltung des Königreichs zu widmen und das Amt eines Kurfürsten des Reiches auszuüben. Ebenso wie der spanische Gesandte distanzierte sich auch der apostolische Nuntius Antonio Caetani vom Kaiser. Als Rudolf II. wenige Tage nach dem Erlass des Majestätsbriefs seine Geheimen Räte Hermann von Attems und Peter Heinrich von Stralendorf mit dem Befehl zu Caetani schickte, diesem die Gründe zu erklären, die ihn zum Erlass des Majestätsbriefs bewogen hatten, zögerte der erbitterte Nuntius nicht, dem Kaiser mit der Exkommunizierung zu drohen. Die gleiche Drohung sprach Caetani gegenüber allen Personen aus, die an der Entstehung des Gesetzes beteiligt gewesen waren.26 Die Juristen im Dienst
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ben. Dieser redete sich jedoch immer darauf heraus, dass ihn sein Gewissen daran hindere, und dass ihn darin auch die Theologen bestätigt hätten, mit denen er die Angelegenheit konsultiert hatte]. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 18.07.1609) Baltasar de Zúñiga an König Philipp III. krofta (wie Anm. 6), 20. Ebd., 21. – NA Praha, Gind. sb., Kart. 6, Výpisky z listu Slavatova ku kancléři Martinicovi diktovaného na lodi cestou do Vídně a dat. 24.9.1640 (Exzerpte aus einem Schreiben von Slawata an Kanzler Martinitz, diktiert auf einem Schiff auf der Reise nach Wien und datiert auf den 24.9.1640), fol. 33–36. Dazu beispielsweise das Zeugnis des spanischen Gesandten Baltasar de Zúñiga. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 18.07.1609) Baltasar de Zúñiga an König Philipp III.; AGS, Secretaría de estado – Alemania, leg. 709, fol. 78–79, (Madrid, 23.08.1609) spanischer Staatsrat an König Philipp III. In ähnlichem Geist auch Paměti (wie Anm. 4), hier Bd. 2, 147. Dazu hauptsächlich der Brief von Baltasar de Zúñiga: NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 18.07.1609) Baltasar de Zúñiga an König Philipp III.
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der päpstlichen Kurie dachten in der Zwischenzeit darüber nach, wie die Existenz jenes Dokuments angegriffen werden könnte, das der vom Heiligen Stuhl über lange Jahre erfolgreich am Kaiserhof verfolgten Politik eine solch schmerzhafte Niederlage beigebracht hatte. Schließlich behaupteten sie, dass der Majestätsbrief dem Kaiser unter Zwang abgerungen worden sei. Diese Tatsache ließ ihrer Ansicht nach ernsthafte Zweifel an dem tatsächlichen Willen Kaiser Rudolfs II. und an der Gültigkeit der Bestimmungen zum Religionsfrieden zu.27 Die Existenz von zwei Flügeln in der böhmischen katholischen Repräsentation bestätigten auch die Ereignisse, die sich kurz nach dem Erlass des Majestätsbriefs abspielten. Die Anführer der böhmischen Ständeopposition beschlossen damals, ihr machtpolitisches Übergewicht auszunutzen, um sich ihrer Gegner aus den Reihen der radikalen Katholiken zu entledigen. Sie riefen deshalb alle Einwohner des Königreichs dazu auf, in den nächsten Tagen ihre sämtlichen Beschwerden über Mitglieder der Landesregierung dem Landtag zur Untersuchung vorzulegen, und sie versprachen eine unvoreingenommene und gerechte Erledigung. Von Anfang an war dabei klar, dass sich dieser Aufruf hauptsächlich gegen den Oberstkanzler Lobkowitz richtete. Kein anderer der damaligen höchsten Landesbeamten hatte sich in den vergangenen Jahren so sehr in der gegenreformatorischen Politik engagiert wie der Oberstkanzler, und niemand wurde so sehr gehasst wie er. Der Oberstlandhofmeister Christoph Popel von Lobkowitz und der Oberstlandkämmerer Wolf Nowohradský von Kolowrat waren noch vor der Kapitulation des Kaisers verstorben, und der Oberstburggraf Adam von Sternberg sowie der Oberstlandrichter Adam d. J. von Waldstein waren gemäßigte Katholiken und erfreuten sich in der böhmischen Ständegesellschaft allgemeiner Beliebtheit.28 Am 24. Juli 1609 legten die protestantischen Stände dem Kaiser ein mehr als zwanzigseitiges Memorandum vor, das Beschwerden über angebliche oder tatsächliche Fehlgriffe von Lobkowitz aus den letzten Jahren enthielt.29 Viele Artikel in der Beschwerdeschrift betrafen dessen normale Amtstätigkeit. Die Verfasser be27 28
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Zur Ansicht der päpstlichen Diplomaten über die Gültigkeit des Majestätsbriefs vgl. die abschließende Relation des päpstlichen Nuntius Antonio Caetani. Le istruzioni (wie Anm. 1), hier Bd. 2, 713–773, bes. 715 f. Die Informationen über den Aufruf der Stände und dessen Spitze gegen Oberstkanzler Lobkowitz beunruhigten die politischen Kreise in Rom und Madrid sehr. Vgl. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Rom, 19.08.1609) Francisco de Castro an den spanischen König Philipp III. Der spanische Gesandte in Rom Francisco de Castro informierte Philipp III. in seiner Relation darüber, dass sich die böhmischen Ketzer mit allen Mitteln bemühten, die Autorität des Kaisers zu schwächen. Eines dieser Mittel sei ein Mandat, in dem die Vertreter der böhmischen Stände dazu aufriefen, die Beschwerden über Mitglieder des kaiserlichen Hofstaates und der Landesregierung aufzuschreiben und sie zur Verhandlung auf dem Landtag vorzulegen. Auf Grund der Nachrichten aus Prag teilte Francisco de Castro mit, dass der Oberstkanzler Lobkowitz sich mehr als dreißig Anschuldigungen ausgesetzt gesehen habe. Vgl. dazu die Einträge in: Deník rudolfínského dvořana. Adam mladší z Valdštejna 1602–1633 [Das Tagebuch eines rudolfinischen Höflings. Adam d. J. von Waldstein 1602–1633]. Hg. v. Marie koldiNská und Petr Maťa. Praha 1997, 163 f. Der komplette Wortlaut der Beschwerdeschrift ist überliefert in: ANM Praha, Hs. 280, fol. 661r–673r. Eine Edition dieser Quelle publizierten unlängst Čechura, Jaroslav/Černá, Alena M.: Stavy kontra Popel z Lobkovic – letní spor v roce 1609 [Die Stände gegen Popel von Lob-
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schwerten sich darüber, dass er Einwohner des Königreichs ohne Grund in die Böhmische Hofkanzlei vorgeladen und sie einige Wochen lang in Prag festgehalten habe, dass er Anordnungen über die Schließung protestantischer Kirchen im Land erlassen und Protestanten gezwungen habe, an katholischen Prozessionen teilzunehmen. Außerdem warfen sie ihm vor, dass er sich in seinem Amt mit Personen umgebe, die von den Jesuiten erzogen worden seien, womit er bewusst den machtpolitischen Einfluss der Gesellschaft Jesu stärke. Die Autoren der Beschwerdeschrift erwähnten natürlich auch Lobkowitz’ Weigerung, seine Unterschrift unter Rudolfs Majestätsbrief über die Religionsfreiheit zu setzen, womit er sich – ihren Worten zufolge – an der Autorität des Kaisers versündigt habe: „Den Majestätsbrief, von Seiner Kaiserlichen Majestät den Ständen unter beiderlei Gestalt erlaubt und unterzeichnet, wollte er, obwohl er seines Amtes wegen dazu verpflichtet war und von Seiner Kaiserlichen Majestät besonders dazu aufgefordert wurde, nicht unterschreiben; er sagte, dass er dies gegen sein Gewissen und gegen den Rat einiger geistlicher Personen nicht tun könne, und er ließ sich auch nicht überzeugen, dem Landtag eine Relation über die Landtafel zu geben und diesen Majestätsbrief in die Landtafel einzuschreiben, und so setzte er Seine Kaiserliche Majestät herab (als ob er selbst ein besseres Gewissen besäße als Seine Kaiserliche Majestät) und stellte sich gegen die Stände des Böhmischen Königreichs unter beiderlei Gestalt als Feind ihrer Religion und entledigte sich so seiner Kanzlerpflicht.“30 Die Aufzählung der Vergehen, die Lobkowitz während seiner Tätigkeit in der Kanzlei begangen haben sollte, nahm den größten Teil des Beschwerdeschreibens ein. Alle vorgetragenen Klagen sollten vor allem zwei Tatsachen belegen: Lobkowitz’ bewusstes Überschreiten der Kompetenzen gegenüber dem Oberstkanzler und seine parteiische Amtsführung zugunsten der Katholiken und der katholischen Reformation. Alle Argumente hatten das Ziel, Kaiser Rudolf II. zur unverzüglichen Entlassung von Lobkowitz aus dem Amt des Oberstkanzlers zu bewegen. Ihre tatsächliche Absicht verbargen die Stände übrigens keineswegs, sondern sie riefen den Herrscher gegen Ende des Schreibens direkt dazu auf, Lobkowitz abzuberufen und ihm nie mehr ein Landesamt anzuvertrauen: „Daher ersuchen die Stände in aller Demut untertänigst, dass Seine Kaiserliche Majestät gnädigst in Erwägung ziehe, dass es den Ständen unmöglich ist, unter seiner Verwaltung noch länger zu bleiben, und das Amt mit einer anderen Person zu besetzen geruhe, und ihn dann in kein anderes Landesamt in diesem Königreich einzusetzen geruhe.“31 Dabei drohten sie dem Kaiser, dass ein eventuelles Verweilen von Lobkowitz in der Böhmischen Hofkanzlei dem Land und der königlichen Autorität nur Schaden bringen werde, und dass es den erneuerten Dialog zwischen der Ständegemeinde und ihrem Herrscher erheblich stören könne. Da Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz seine Unterschrift weder unter den Majestätsbrief über die Religionsfreiheit noch unter den Ausgleich zwischen den protestantischen und den katholischen Ständen gesetzt
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kowitz – ein Sommerstreit im Jahr 1609]. In: Časopis Národního Muzea. Řada historická 176 (2007), 194–216, hier 206–216. ANM Praha, Hs. 280, fol. 661r–673r. Ebd.
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hatte, befürchteten sie zu Recht, dass er sich nicht an deren Regelungen halten und sein Amt auch weiterhin im unversöhnlichen Geist der katholischen Reformation führen werde. Obwohl Lobkowitz in seiner Antwort, die er dem Kaiser einige Tage später vorlegte, etliche der gegen ihn vorgebrachten Vorwürfe widerlegen konnte, bedrohte die ganze Angelegenheit seine Position erheblich,32 denn der launische Kaiser hatte sich in den letzten Jahren wegen weitaus geringerer Vergehen seiner früher allmächtigen Ratgeber Wolfgang Rumpf zum Wielross oder Paul Sixt Graf Trautson entledigt.33 Und kurz zuvor war eine Ständekampagne gegen einen anderen Anhänger der katholischen Reformation, Kardinal Franz von Dietrichstein, erfolgreich gewesen.34 Dietrichstein, den der ehemalige spanische Gesandte Guillén de San Clemente als reines, mit wahrhafter und großer Liebe dem Kaiser dienendes Täubchen bezeichnet hatte, war bereits im Mai 1608 bei Rudolf II. in Ungnade gefallen, hatte seine führende Position im Geheimen Rat verloren und musste sich auf seine mährischen Güter zurückziehen.35 Die Beschwerden der Stände über Lobkowitz zielten jedoch auf viel gravierendere Folgen: Falls der Kaiser ihre Richtigkeit anerkannte, drohte Lobkowitz nicht nur die Entlassung aus dem Amt des Oberstkanzlers, sondern im Extremfall auch die Konfiskation seines Besitzes oder sogar Haft und Hinrichtung, denn sein Verhalten könne als Tatbestand der Majestätsbeleidigung (crimen laesae majestatis) gewertet werden.36
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Die Antwort von Lobkowitz befindet sich ebd., fol. 673r–684r. Ihr Konzept hat sich auch im NA Praha, SM (Alte Manipulation), Inv.-Nr. 3009, Kart. 1978, R 109/1, fol. 189–197 erhalten. Ähnlich wie der Beschwerdebrief der Stände wurde auch Lobkowitz’ Antwort publiziert in Čechura/Černá, Stavy kontra Popel z Lobkovic (wie Anm. 29), 211–216. Die im Nationalarchiv Prag verwahrten Konzepte veröffentlichten Čechura, Jaroslav/Černá, Alena M.: 1609 – letní spor českých stavů a kancléře Lobkovice 2 [1609 – der sommerliche Streit zwischen den böhmischen Ständen und Kanzler Lobkowitz 2]. In: Časopis Národního Muzea. Řada historická 177 (2008), 125–141, hier 129–141. Den Sturz von Wolfgang Rumpf und Paul Sixt Trautson behandelt edelmayer, Friedrich: Wolf Rumpf de Wielross y la España de Felipe II y Felipe III. In: Revista Pedrables 16 (1996), 133–163 – ders.: „Manus manum lavat“. Freiherr Wolf Rumpf zum Wielross und Spanien. In: Die Fürstenberger. 800 Jahre Herrschaft und Kultur in Mitteleuropa. Hg. v. Erwein H. eltz und Arno stroHmeyer. Korneuburg 1994, 235–252. Angaben zu der feindlichen Kampagne gegen Dietrichstein bei teNora (wie Anm. 5), hier 33 (1916), 464. Vgl. ähnlich oPoČenský, Hynek: Pasquilly z posledních let vlády Rudolfa II. [Pasquille aus den letzten Regierungsjahren Rudolfs II.]. In: Český lid 1907, 423–428. Guillén de San Clemente. Correspondencia inédita de don Guillén de San Clemente, embajador en Alemania de los Reyes don Felipe II y III, sobre la intervención de España en los sucesos de Polonia y Hungría 1581–1608. Hg. v. Marqués de ayerBe. Zaragoza 1892, 279. Zum Verlust des politischen Einflusses, den Dietrichstein im Zusammenhang mit dem Bruderzwist erlitt, vgl. teNora (wie Anm. 5), hier 33 (1916) und 34 (1917). Dass Lobkowitz mit dieser Variante tatsächlich rechnete, belegt die Tatsache, dass er bereits 1608 seine Herrschaft Hoch Chlumetz (Vysoký Chlumec) auf seine Frau Polyxena übertragen hatte. Vgl. dazu Svědectví o ztrátě starého světa. Manželská korespondence Zdeňka Vojtěcha Popela z Lobkovic a Polyxeny Lobkovické z Pernštejna [Ein Zeugnis über den Verlust der alten Welt. Die eheliche Korrespondenz zwischen Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz und Polyxena Lobkowitz von Pernstein]. Hg. v. Pavel marek. České Budějovice 2005, 63 f.
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Die protestantischen Stände hatten zudem in diesem Moment ein klares militärisches Übergewicht gegenüber dem Kaiser und konnten sich ihren Willen durch Stärke erzwingen. Dabei war klar, dass Lobkowitz’ Apologie sie überhaupt nicht zufrieden stellte. Bereits einige Tage nach deren Veröffentlichung versuchten die Stände, sie in einer ebenso umfangreichen Replik anzugreifen, die sie am 22. August 1609 an den Kaiser adressierten.37 Dem ständischen Druck zum Trotz erwies Rudolf II. jedoch Lobkowitz weiterhin seine Gunst und erkannte die Verteidigung des Kanzlers als ausreichend an. Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz, der sich kurz zuvor dem Befehl des Kaisers bezüglich der Unterschrift unter den Majestätsbrief widersetzt und so offensichtlich seine Gehorsamspflicht gegenüber dem Herrscher verletzt hatte, konnte daher auch in den folgenden Jahren in seinem Amt bleiben. Obwohl Rudolfs nachsichtiges Handeln gegenüber Lobkowitz viele nicht eingeweihte Beobachter überraschen musste, darf man es kaum als bloße Sympathiebekundung des Kaisers für einen Mann ansehen, der ihm mehr als fünfzehn Jahre ergeben gedient hatte. Anscheinend baute Rudolf II. während seiner gesamten Regierungszeit keine persönliche Beziehung zu einem seiner Höflinge auf. Selbst seine größten Günstlinge konnte der Kaiser innerhalb kürzester Zeit verstoßen. Wohl auch deshalb verglich Baltasar de Zúñiga den alten Monarchen mit einem Labyrinth, das zwar von vielen betreten wurde, aber in dem sich niemand orientieren konnte.38 Die Sprunghaftigkeit von Rudolfs Verhalten verwirrte sogar die erfahrensten Diplomaten. Kein Höfling konnte sich unter diesen Umständen seiner Stellung sicher sein, und niemand blieb von Rudolfs Anfällen und dem Entzug der kaiserlichen Gunst verschont. Mit der Unbeständigkeit des Herrschers musste sich verständlicherweise auch Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz auseinandersetzen. Noch im Juli 1607 warf ihm Rudolf II. seinen Übereifer vor, mit dem er in der Böhmischen Kanzlei die Politik der Gegenreformation durchgesetzt hatte. Der päpstliche Nuntius Caetani spekulierte in diesem Zusammenhang sogar, dass der Kaiser Lobkowitz nicht möge und ihn seines Amtes entheben wolle. Zwanzig Monate später informierte derselbe Nuntius Rom mit Begeisterung darüber, dass der Kaiser dem Oberstkanzler Lobkowitz vor allen Landesbeamten ein öffentliches Lob erteilt habe, weil dieser in der Verteidigung des katholischen Glaubens so unerschrocken vorgehe.39 Man darf daher vermuten, dass Rudolfs Ablehnung des Beschwerdebriefs mit dem Hinweis, dass die Gravamina unberechtigt seien, wohl eher auf der politischen Situation als auf seinen persönlichen Sympathien oder Rücksichten beruhte. Nach dem Erlass des Majestätsbriefs konnte sich der Kaiser einfach keinen weiteren 37 38 39
Die Reaktion der Stände auf Lobkowitz’ Verteidigung befindet sich im ANM Praha, Hs. 280, fol. 684r–700r. Vgl. ihre Edition bei Čechura/Černá, 1609 – letní spor (wie Anm. 32), 129– 141. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 26.09.1609) Baltasar de Zúñiga an Erzherzog Albert. Vgl. Antonii Caetani (wie Anm. 1), hier Bd. 1, 75. – ASV, Fondo Borghese, Serie II, 148, fol. 230r–231v. (Prag, 22.12.1608) Antonio Caetani an Scipione Borghese. Für die Überlassung dieses Dokuments danke ich Dr. Tomáš Černušák.
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Schritt gegen die von seinen katholischen Verbündeten Spanien und der Kurie verfolgte Politik erlauben. Falls Rudolf II. die Forderung der protestantischen Stände erhört und Lobkowitz für schuldig befunden hätte, wäre er in den Augen der katholischen Welt noch stärker diskreditiert gewesen. In der Folge hätte er riskiert, dass diese sich offen hinter Erzherzog Matthias und dessen Bemühen, seinen Bruder zur Anerkennung seiner Thronfolge im Reich zu zwingen, gestellt hätte. Denn sowohl der spanische König als auch der Papst schätzten die Begeisterung, mit der sich der böhmische Oberstkanzler in den vergangenen Monaten der Durchsetzung der Interessen des römischen Glaubens gewidmet hatte, und in Lobkowitz’ Verbleib im Kanzleramt sahen sie eine Hoffnung für die Wiederaufnahme der gegenreformatorischen Politik im Böhmischen Königreich.40 Während sich die Ansichten des Kaisers durch Sprunghaftigkeit und Unbeständigkeit auszeichneten, wussten der Papst und der spanische Herrscher die treuen und ergebenen Dienste ihrer Klienten entsprechend zu würdigen. Sie dachten nicht nur mit verschiedenen materiellen Entlohnungen und gesellschaftlichen Ehren an Lobkowitz, sondern konnten ihm auch im Bedarfsfall ihren Schutz anbieten. Vor allem der spanische König Philipp III. erwies sich in diesem Zusammenhang als ein zuverlässiger Schutzherr. Noch bevor Rudolf II. Lobkowitz von den Anschuldigungen freisprach, hatte er dem böhmischen Oberstkanzler eine Zuflucht im Mailänder Herzogtum angeboten, falls er ins Exil gehen müsse.41 Obwohl Lobkowitz dieses großzügige Angebot letztlich nicht annehmen musste, steht fest, dass ihn die Einstellung des katholischen Königs noch stärker in seinen früheren Ansichten festigte und ihn fest an die gegenreformatorische Politik Spaniens band. Abschließend sei festgehalten: Die Ansichten des böhmischen katholischen Adels zum rudolfinischen Majestätsbrief waren bei weitem nicht einheitlich. Noch während der Verhandlungen im Frühjahr 1609 zeigten sich Widersprüche zwischen dem insbesondere durch den Oberstburggraf Adam von Sternberg und den Oberstlandrichter Adam d. J. von Waldstein repräsentierten gemäßigten Flügel der böhmischen Katholiken und den Radikalen mit Oberstkanzler Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz an ihrer Spitze. Gerade der zuletzt Genannte nutzte 1608–1609 seine Machtposition für offensichtliche Manipulationen im Umfeld Rudolfs II. aus und stand einem Abkommen zwischen den böhmischen protestantischen Ständen und dem Herrscher im Weg. Vor allem wegen des Einflusses von Lobkowitz trat Rudolf II. im Frühjahr 1609 als treuer Anhänger der gegenreformatorischen Politik auf und lehnte es ab, den Forderungen der protestantischen Stände nachzugeben. Erst die drohende militärische Auseinandersetzung mit der böhmischen Opposition und die Furcht vor einem neuen Eingreifen Erzherzogs Matthias in Böhmen zwangen den 40 41
Zu den Verbindungen von Lobkowitz zu den beiden katholischen Großmächten vgl. marek, Politický vliv (wie Anm. 1), bes. 310–312. – ders., La diplomacia española (wie Anm. 1), 136–138. Philipp III. reagierte damit auf ein Gesuch, das der spanische Gesandte Baltasar de Zúñiga nach Madrid gesandt hatte. NA Praha, Sb. op. c. a., Simancas, Kart. 1, (Prag, 18.07.1609) Baltasar de Zúñiga an König Philipp III. Philipps Zustimmung zu diesem Schritt befindet sich in einem Vermerk zum Gutachten des spanischen Staatsrates: AGS, Secretaría de estado – Alemania, leg. 709, fol. 78–79, (Madrid, 23.08.1609) spanischer Staatsrat an König Philipp III.
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Kaiser zum Erlass des Majestätsbriefs. Während Oberstburggraf Adam von Sternberg und die gemäßigten Katholiken in einer solchen Konzession an die protestantische Opposition die einzige Möglichkeit sahen, Kaiser Rudolf II. die böhmische Königskrone zu bewahren, verstanden Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz und die anderen Vertreter der sogenannten neuen katholischen Generation den Majestätsbrief als schweres Vergehen gegen den katholischen Glauben. Aus diesem Grund lehnte es Lobkowitz ab, den Majestätsbrief durch seine Unterschrift zu bekräftigen, und bemühte sich auch in den folgenden Jahren darum, die Ziele der Gegenreformation zu verwirklichen.
Petr Vorel
Die Fiskal- und Währungsstrategie der böhmischen Stände in den Jahren 1609–1618 Der Majestätsbrief zur Religionsfreiheit von 1609,1 den die böhmische Ständeopposition dank der vorangegangenen machtpolitischen Entwicklung durchsetzen konnte, schuf im damaligen Mitteleuropa in konfessioneller Hinsicht ein ungewöhnlich freies rechtliches Umfeld. Er bildete den krönenden Abschluss der älteren einheimischen Traditionen des überkonfessionellen Christentums. Die tatsächliche Ausnutzung dieses großzügig angelegten Rechtsraumes war jedoch nicht nur vom aktuellen politischen Konsens abhängig, sondern in einem längerfristigen Prozess auch vom ökonomischen Potential der einzelnen Interessengruppen. In den bisherigen Forschungen zu der Zeit, die dem böhmischen Ständeaufstand unmittelbar vorausging, betonte die einheimische wie die ausländische Geschichtswissenschaft verständlicherweise die religiösen und politischen Aspekte der historischen Entwicklung.2 Ökonomische Zusammenhänge standen abseits der Forschungsinteressen, was zum einen ihrer Kompliziertheit und Unübersichtlichkeit,3 zum anderen den anscheinend eindeutigen Interpretationen geschuldet war, die sich in einigen Fällen anboten. Ich denke hier vor allem an den Beschluss des böhmischen Landtags von 1615 in der Steuerfrage, der meiner Ansicht nach in der bisherigen Geschichtsforschung vollkommen falsch interpretiert wurde; diese unrichtige Interpretation verzerrt die abschließende Bewertung der machtpolitischen Ausgangspositionen am Vorabend des böhmischen Ständeaufstandes. Der Regierungsantritt des Habsburgers Matthias in Böhmen 1611 stellt im Hinblick auf das Steuersystem eine wesentliche Veränderung dar, denn auch der 1
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Als neuesten Überblick über die Entwicklung der Interpretationen dieser bedeutenden Rechtsquelle s. PáNek, Jaroslav: Majestát z roku 1609 jako téma novodobé české historiografie [Der Majestätsbrief von 1609 als Thema der neuzeitlichen tschechischen Historiographie]. In: Český časopis historický 108 (2010), 220–243. BaHlCke, Joachim: Konfessionalisierung der Außenpolitik? Die Rolle der Konfession für die Außenbeziehungen der böhmischen Stände im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. In: Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Hg. v. Friedrich BeiderBeCk, Gregor HorstkemPer und Winfried sCHulze. Berlin 2003, 265– 283. – WiNkelBauer, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Bd. 2. Wien 2003 (Österreichische Geschichte 1522–1699). Mit der Frage der finanziellen Hintergründe der frühneuzeitlichen Monarchie befasst sich grundlegend WiNkelBauer, Thomas: „Das Geld ist sanguis corporis politici.“ Notizen zu den Finanzen der Habsburger und zur Bedeutung des Geldes im 16. und 17. Jahrhundert. In: Geld – 800 Jahre Münzstätte Wien. Hg. v. Wolfgang Häusler. Wien 1994, 143–159. S. auch Vorel, Petr: Frühkapitalismus und Steuerwesen in Böhmen (1526–1648). In: Anzeiger der philosophisch-historischen Klasse, Österreichische Akademie der Wissenschaften 137 (2002), 167– 182.
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Schwerpunkt des Machtkampfes zwischen dem Herrscher und der Ständeopposition verschob sich zeitweise vom religiös-politischen Bereich (in dem die protestantischen Stände in den Jahren 1608–1611 eindeutig die Oberhand gewonnen hatten) auf das Feld der Ökonomie. Vereinfacht gesagt: Die politischen Ausgangspositionen waren durch den Majestätsbrief vorgegeben, aber es entbrannte ein Kampf um die ökonomischen Ressourcen, denn wer Zugang zur Nutzung der stärksten Wirtschaftsinstrumente, in diesem Fall das Steuer- und Währungssystem hatte, besaß eine größere Chance, seine politischen Interessen entweder auf diplomatischem oder auf militärischem Feld durchzusetzen. Diese Vorgehensweise hatte im Rahmen der böhmischen Ständemonarchie allgemeine Geltung. Die Ausdrucksformen dieses Kampfs waren jedoch zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts andere als in der rudolfinischen Zeit, so dass sie auch anders beurteilt werden müssen. In meinem Beitrag konzentriere ich mich auf zwei Themen, die sehr eng miteinander verbunden sind: auf die Veränderungen in der Währungspolitik und im Steuersystem unter König Matthias. Die hohe Verschuldung war Anfang des 17. Jahrhunderts an allen europäischen Herrscherhöfen ein großes Problem. Der Ausgleich der Zahlungsbilanz konnte auf mehreren Wegen erreicht werden, die den damaligen Ökonomen gut bekannt waren. Zwei dieser Wege waren besonders effizient: die Erhöhung der direkten Steuern und die inflationäre Abwertung der Währung, die den realen Wert der Schulden verringerte. Das Steuersystem war traditionell ein bedeutendes Instrument in der Beziehung zwischen Herrscherhof und Ständegemeinde, und im 16. Jahrhundert hatte auch die böhmische Ständegemeinde die Abhängigkeit des Herrschers von den Landtagsbeschlüssen als Druckmittel eingesetzt. Besonders deutlich wird dies bei den Verhandlungen über die konkrete Höhe der Steuern, die in der Frühen Neuzeit eine wichtige Quelle für Einkünfte der königlichen Kammer darstellten, und die Art der Eintreibung. Dabei handelt es sich um ein im Großen und Ganzen bekanntes Modell.4 Eine nahezu gleichrangige Rolle spielte auch das Währungssystem, denn durch die Abwertung der Währung konnte der Herrscher auf einfache Weise ein Haushaltsdefizit decken. Diesen Vorgang kennen wir bereits aus dem Mittelalter in Gestalt der bekannten renovatio monetae. Im 16. Jahrhundert war die Situation in dieser Hinsicht infolge der Preisrevolution komplizierter. Hier ist nicht der Platz, um die konkreten Mechanismen des Geldumlaufs zu erklären, so dass ich mir eine vereinfachende Zusammenfassung erlaube: Seit 1573, als in Böhmen eine grundsätzliche Währungsreform durchgeführt wurde, die das Reichskreuzer-System wieder durch die einheimische Groschenwährung ersetzte, oblag die Herstellung der einheimischen Zahlungsmittel der Kontrolle durch die Stände. Mehr als vierzig 4
Vorel, Petr: Landesfinanzen und Währung in Böhmen. Finanz und Münzpolitik im Spannungsfeld von Ständen und Königtum während der Regierung Ferdinands I. und Maximilians II. In: Finanzen und Herrschaft. Zu den materiellen Grundlagen fürstlicher Politik in den habsburgischen Ländern und im Heiligen Römischen Reich im 16. Jahrhundert. Hg. v. Friedrich edelmayer, Maximilian laNziNNer und Peter rausCHer. München-Wien 2003 (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 38), 186–214.
Die Fiskal- und Währungsstrategie der böhmischen Stände
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Jahre lang bestand der Landtag konsequent auf der Einhaltung der metrologischen Parameter bei allen gängigen Zahlungsmitteln der böhmischen Währung, obwohl der Herrscher die Verringerung des Silberanteils gefordert hatte.5 Diese langfristige Einstellung verhinderte einerseits eine offensichtliche inflationäre Entwertung der einheimischen Währung ohne Rücksicht auf die allgemeine Steigerung des Preisniveaus, andererseits machte sie es dem Herrscher unmöglich, proinflationäre Stimulanzien zur Verringerung des Haushaltsdefizits zu nutzen. Zu Beginn des zweiten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts konnten die böhmischen Stände auf das Beispiel des Nachbarlandes Polen verweisen, wo gerade die gezielte Verringerung des Silberanteils in den gängigen Münzen nach 1608 zu einer der Hauptursachen für den schnellen Fall des Wechselkurses der polnischen Währung auf den europäischen Finanzmärkten geworden war.6 Die Stärkung der böhmischen Ständemonarchie in den Jahren 1608–1611 machte es König Matthias unmöglich, Steuer- oder Währungsinstrumente anzuwenden, durch die er aus dem damals noch relativ reichen Böhmischen Königreich weitere finanzielle Ressourcen gewinnen konnte. Deshalb kam es in den ersten Jahren seiner Herrschaft zu einem schnellen Wachstum der versteckten Verschuldung, die aus umfangreichen, durch den Kammerbesitz in Böhmen oder durch Bürgen aus den Reihen des einheimischen Adels abgesicherten direkten Krediten bestand. Schuldverschreibungen des Herrschers waren ein gängiges Objekt des Finanzmarktes, und sofern sie formal hinreichend durch Besitz oder Bürgen abgesichert waren, konnten sie anstelle von Bargeld zur Begleichung der Schulden verwendet werden. Auf diese Weise kam es innerhalb relativ kurzer Zeit zu einer Steigerung des Volumens von Zahlungsmitteln, die nur virtuell vorhanden waren und keine tatsächliche Deckung besaßen. Die Königliche Kammer war nicht fähig, die Forderungen oder die ständig steigenden Zinsen zu bezahlen. Die Gläubiger begannen auf gerichtlichem Weg, ihre Raten entweder in Form von Ansprüchen auf Kammerbesitz oder als Bargeld von den Bürgen einzufordern. In der Praxis waren diese Rechtsansprüche aber nur schwer einzutreiben, denn viele Gläubiger gerieten in sekundäre Zahlungsunfähigkeit, und die ungedeckten Schuldverschreibungen der Regierung begannen, an Wert zu verlieren. Auf dem Budweiser Landtag von 1614 forderte der König zur Begleichung seiner Schulden eine außergewöhnlich hohe finanzielle Hilfe in Form von Sondersteuern, die von der Ständegemeinde allerdings prinzipiell abgelehnt wurden. Ein Jahr später genehmigte der Prager Landtag dem Herrscher jedoch die Steuererhebung für ganze fünf Jahre im Voraus, also bis 1620. Diese Entscheidung wird in der
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Šimek, Eduard: Česká mince v prvých desetiletích 17. století [Die böhmische Münze in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts]. In: Sborník Národního musea, řada A, Historie 31 (1977), 201–272, hier 245 f. Trotzdem kam es in den Münzstätten, wohl ohne offizielle Zustimmung der Stände, zu einer leichten Verringerung des Edelmetallanteils in den gängigen böhmischen Münzen. Vorel, Petr: Stříbro v evropském peněžním oběhu 16.–17. století (1472–1717) [Silber im europäischen Geldumlauf des 16.–17. Jahrhunderts]. Praha 2009, 214–216.
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älteren tschechischen Geschichtsschreibung als klare Niederlage der Ständeopposition und deren strategisches Versagen interpretiert.7 Auf diesem Landtag ging es um außerordentlich hohe Geldbeträge, so dass es unlogisch erscheint, dass die Stände plötzlich gegenüber dem König ein solches Entgegenkommen zeigten. Misstrauen im Hinblick auf die traditionelle Interpretation ist wahrlich angebracht,8 denn durch eine Analyse des tatsächlichen Inhalts des vom Landtag genehmigten Steuermodells erhalten wir ein ganz anderes Bild. Der Teil des Landtagsbeschlusses, der die Steuererhebung in den Jahren 1616– 1620 betrifft,9 ist meiner Meinung nach nichts anderes als die Verkündung des 7
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kořán, Josef u. a.: Dějiny Čech a Moravy nové doby [Geschichte Böhmens und Mährens in der Neuzeit]. Bd. 1: 1526–1609. Praha 1939, 25 f.: „[...] König Matthias hatte mit seinen Forderungen größeres Glück. Als nämlich über die von ihm geforderte Steuer verhandelt wurde, erlaubten ihm die Stände nicht nur eine sehr hohe Steuer, sondern verpflichteten sich auch, einen Teil der königlichen Schulden zu zahlen. Die böhmischen Stände übernahmen Schulden in Höhe von 2.700.000 Talern und beschlossen, die Schulden so früh wie möglich durch große, auf mehrere Jahre im Voraus auferlegte Steuern zu begleichen. Es wurden also Steuern für 5 Jahre im Voraus bewilligt, die so hoch waren, dass nur im Kriegsjahr 1596 noch höhere Steuern gezahlt wurden. Der jährliche Steuerertrag umfasste an die 800.000 Taler, so dass die gesamten Schulden innerhalb von 5 Jahren beglichen und noch ein erheblicher Teil an Matthias abgeführt werden konnten. Die böhmischen Stände bewiesen also damals Bereitwilligkeit und Opferbereitschaft, die der Anfang einer Übereinstimmung zwischen König und Ständen hätten sein können, wenn Matthias tatsächlich am Wohl des Landes und dessen ruhiger Entfaltung gelegen hätte [...].“ Vorsichtiger formulieren kaVka, František/Válka, Josef: Dějiny Československa [Geschichte der Tschechoslowakei]. Bd. 2: 1437–1781. Praha 1965, 141: „[…] Die Ständeopposition erlitt aus bis heute nicht völlig geklärten Ursachen einen völligen Misserfolg und konnte keine ihrer Forderungen durchsetzen. Aus unverständlichen Gründen erlaubten die Stände Matthias Steuern für fünf Jahre im Voraus, womit sie auf ihre wirksamste politische Waffe verzichteten [...].“ Diese Bewertung wurde zur Grundlage aller jüngeren Interpretationen, sofern sich die mit der Problematik der böhmischen Geschichte in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg befassten Autoren mit der Bedeutung des Landtags von 1615 auseinandersetzen. Um die grundsätzliche Formulierung einer anderen Beurteilung des Landtags von 1615 habe ich mich im Rahmen einer breiter angelegten Synthese bemüht, s. Vorel, Petr: Velké dějiny zemí Koruny české [Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone]. Bd. 7: 1526–1618. Praha 2005, 510–512. Der Text des Landtagsbeschlusses von 1615 liegt bisher nicht in Form einer modernen Edition vor. Der Landtagsbeschluss erschien – wie damals üblich – kurz nach dem Landtag im Druck, aber die Originale dieses Drucks von 1615 (in tschechischer und deutscher Version) sind sehr selten. S. Tito artikulové na sněmu obecném generálním, který držán byl na Hradě pražském léta Páně tisícího šestistého patnáctého v pondělí po svaté Trojici, a zavřín téhož léta v sobotu po svatém Jeronýmu, při přítomnosti nejjasnějšího knížete a pána, pana Matyáše, římského císaře, uherského a českého krále etc., ode všech tří stavův Království českého, svoleni a zavříni jsou [Diese Artikel wurden auf dem allgemeinen Generallandtag, gehalten auf der Prager Burg im Jahr 1615 ab Montag nach Dreifaltigkeit bis Sonntag nach dem hl. Hieronymus in Anwesenheit des erlauchtesten Fürsten und Herrn, Herrn Matthias, römischer Kaiser, ungarischer und böhmischer König etc., von allen drei Ständen des böhmischen Königreichs beschlossen und verabschiedet]. Praha 1615. Eine konkrete Aufschlüsselung der Steuerbelastung nach den vom Landtag beschlossenen Propositionen steht in einer älteren Edition zur Verfügung, s. Rozvržení sbírek a berní roku 1615 dle uzavření sněmu generálního nejvyššími berníky učiněné [Verteilung der Sammlungen und Steuern des Jahres 1615, gemäß dem Beschluss des
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Staatsbankrotts und die Übernahme des staatlichen Steuersystems durch die Gläubigerverwaltung; außerdem wurde der Wiener Hof vollständig vom Zugriff auf die Einkünfte aus dem Böhmischen Königreich abgeschnitten. Die Stände hatten weiterhin die Kontrolle über die Erträge der Kammerherrschaften und andere Aktiva des königlichen Regals sowie die gesamte Steuererhebung in ihren Händen, und sie machten einen Anstieg der Verschuldung durch in Böhmen abgesicherte Geldkredite unmöglich. Die nicht steuerbare Verschuldung des Herrscherhaushalts war keine böhmische Anomalie, denn die meisten mitteleuropäischen Länder sahen sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit Haushaltsproblemen und einer unlösbaren Verschuldung konfrontiert. Gerade diese Umstände (nicht die unmittelbaren Folgen der sogenannten „Preisrevolution“) verursachten meiner Ansicht nach einen ausgedehnten Finanzkollaps und Geldverwirrungen, die den mitteleuropäischen Geldumlauf im Verlauf des zweiten Jahrzehnts des 17. Jahrhunderts stark beeinflussten.10 Der böhmische Weg zur Beseitigung der mangelnden Fiskal- und Kreditdisziplin des Herrscherhofs hatte aber dennoch einige Besonderheiten, die in ihren Konsequenzen auf die Erhaltung der Währungs- und Haushaltsautonomie des Böhmischen Königreichs abzielten und damit die sehr wackelige Existenz des Habsburgerreiches noch weiter schwächten. Es handelte sich um ein sehr gut durchdachtes System, an dem in der Zeit zwischen den oben erwähnten Landtagen eine umfangreiche Gruppe interessierter Ständepolitiker oder -ökonomen gearbeitet haben musste. Die 1615 erfolgte Genehmigung der neuen Steuern auf längere Zeit verdeutlichte die Absicht der Ständegemeinde, das zerrüttete Kreditsystem zu stabilisieren, keine weitere versteckte Verschuldung des Landes zuzulassen und das Abfließen finanzieller Mittel aus Böhmen ins Ausland auf diesem Weg gänzlich unmöglich zu machen. Im Mittelpunkt stand das Bemühen, die Auszahlung der Forderungen an eine ausgewählte Gruppe von Gläubigern sicherzustellen – und zwar in Form einer außerordentlichen steuerlichen Belastung aller Bevölkerungsschichten, einschließlich derjenigen, die von den früher erhobenen direkten Besitzsteuern nur am Rande oder überhaupt nicht betroffen gewesen waren. So war beispielsweise die Besteuerung des Angestelltenlohns in einer Höhe von 3,3 % für die damalige Zeit tatsächlich sehr hoch. Die komplizierten administrativen Maßnahmen, an die eine Auszahlung von Bargeld aus dem Steuerertrag gebunden war, belegen ebenfalls das tiefe Misstrauen der Ständegemeinde im Hinblick auf den Umgang mit den abgeführten Steuern, besonders da es in den Jahren zuvor häufig zu Unterschlagungen und unerklärlichen Verlusten gekommen war. Hier sollte die neue, durch mehrfache Kontrollebenen gesicherte Methode der Geldauszahlung Abhilfe schaffen. Die wesentlichen Prinzipien des neu genehmigten Systems lauteten wie folgt:
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Generallandtags durch die höchsten Steuerbeamten festgelegt]. Hg. v. August sedláČek. Praha 1870. Zu den europäischen Zusammenhängen s. Vorel (wie Anm. 6), 251–254.
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1) Die Stände übernahmen die Kontrolle über die Verwaltung des Kammerbesitzes, so dass die ordnungsgemäße Bezahlung der Steuern auch aus dem unmittelbaren Besitz des Königs einschließlich der rückwirkenden Eintreibung der Landessteuern ab 1597 gesichert war. Der Kammerbesitz durfte zukünftig nicht mehr mit Schulden belastet werden. 2) Von den eingenommenen Geldern wurde weder dem König noch den Erzherzögen mehr ausgezahlt als der vom Landtag genehmigte symbolische Betrag.11 3) Aus den neu verkündeten Steuern wurden nur Forderungen von Einwohnern des Böhmischen Königreichs beglichen. Etwaige Ansprüche ausländischer Gläubiger, mit denen König Matthias die Böhmische Kammer belastet hatte, wurden nicht anerkannt; König Matthias sollte sie aus anderen Finanzquellen begleichen. Inwieweit die Annullierung aller ausländischen Forderungen gegenüber dem böhmischen König (auch derjenigen, die unter Rudolf II. entstanden waren) die machtpolitischen Verhältnisse am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges beeinflusst haben könnte, kann einstweilen noch nicht abschließend geklärt werden. 4) Den Landessteuerbeamten wurde eine außerordentliche Vollmacht für die Eintreibung von Schulden (rückwirkend bis 1597) und den neu erlassenen Steuern zugestanden. Der Landtag genehmigte das Recht auf eine beschleunigte Exekution des Besitzes im Fall säumiger Zahlungen. Und obwohl der Majestätsbrief den Besitz der anerkannten religiösen Parteien schützte,12 ermöglichte der Beschluss des Landtags von 1615 auch in diesem Fall unmittelbare Güterkonfiskationen bei Steuerrückständen ab 1597. 5) Der Landtag verabschiedete ein namentliches Verzeichnis der Gläubiger, denen die Schulden in acht halbjährlichen Raten zwischen Herbst 1616 und Frühjahr 1620 zurückgezahlt werden sollten, und arbeitete einen konkreten Rückzahlungsplan aus. In dem erwähnten Verzeichnis fanden sich die Namen von 230 Personen, deren Forderungen sich auf insgesamt 1.442.657 Schock Meißner Groschen und 1.000 Dukaten beliefen. Unter diesen Gläubigern befanden sich Vertreter der pro-habsburgischen wie der Oppositionspartei; einen wesentlichen Teil bildeten jedoch Personen, die sich nicht öffentlich in der Politik engagierten, aber Gläubiger bedeutender Politiker waren. In vielen Fällen ging es um Forderungen, die noch aus der Regierungszeit Rudolfs II. herrührten. Eine konkrete Analyse dieses Verzeichnisses „bevorzugter“ Gläubiger sollte Aufgabe der künftigen Forschung sein und könnte die Interpretation der Interessenund Machtverhältnisse im frühneuzeitlichen Böhmen beeinflussen. Des Weiteren wurden in der Liste die Forderungen von 48 königlichen Städten genannt, aber der Betrag in Höhe von 150.000 Schock, der ihnen ausgezahlt werden sollte, entsprach im Prinzip der Summe der steuerlichen Belastung dieser Städte für die kommenden vier Jahre. Eher symbolischen Charakter hatte die 11 12
In acht Raten an König Matthias 20.000 und an die übrigen Erzherzöge 34.000 Schock Meißner Groschen; diese Beträge sind im Hinblick auf den Gesamtumfang des veranschlagten fünfjährigen Steuerertrags als geringfügig anzusehen. glüCkliCH, Julius: Majestát Rudolfa II. o nekonfiskování statků [Der Majestätsbrief Rudolfs II. über die Nichtkonfiszierung von Gütern]. In: Od pravěku k dnešku. Bd. 2. Praha 1930, 15–29.
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Forderung der jüdischen Gemeinde (3.000 Schock) – man darf wohl mit gutem Grund vermuten, dass die Aktiva der jüdischen Gläubiger bedeutend höher waren. Die Gesamtsumme der vom Landtag exakt kalkulierten Geldraten betrug 1.595.657 Schock Meißner Groschen und 1.000 Dukaten. 6) Der Landtag stellte fest, dass neben diesen namentlich aufgeführten und bevorzugten Gläubigern auch weitere Forderungen einheimischer Gläubiger berechtigt seien. Ihnen sollte das Geld ausgezahlt werden, falls die Steuereinnahmen höher sein sollten, als vom Landtag in dem oben erwähnten Verzeichnis festgelegt worden war. Das Verzeichnis dieser anerkannten, in der Zukunft fälligen Forderungen wurde genehmigt, aber es gehört nicht zu den Bestandteilen des Landtagsbeschlusses. Falls also ein Gläubiger nicht namentlich im Text des Landtagsbeschlusses aufgeführt war, musste er damit rechnen, dass seine Forderungen bis zum Jahr 1620 ausgesetzt würden. 7) Für das erste Jahr der Steuererhebung behielten sich die Stände für ihren nicht näher bestimmten Bedarf ein Drittel der eingenommenen Gelder vor, so dass der Rückzahlungsplan nicht eingehalten werden konnte. 8) Bei dringendem Bedarf konnten die eingenommenen Gelder von der Ständegemeinde auch zu anderen Zwecken als der Schuldenbegleichung genutzt werden. Diese Möglichkeit machten sich die Stände sofort nach Ausbruch des Ständeaufstandes im Jahr 1618 zunutze. Die geschilderte Form eines vollständig der ständischen Kontrolle untergeordneten Steuersystems lässt sich nur schwer als Erfolg der Herrscherpolitik interpretieren. Die Stände übernahmen die volle Kontrolle über die Erhebung und Auszahlung der Gelder, und sie schufen sich Instrumente, mit denen sie auf legalem Weg Besitzexekutionen durchführen und die Bereitstellung großer Summen sowohl von grundbesitzenden Magnaten als auch von Wucherern13 oder Unternehmern in Regiewirtschaft erzwingen konnten. Der Versteuerung unterlagen dabei auch Finanzaktiva in Gestalt verzinster Kredite. Die außerordentliche Steuerbelastung für die Jahre 1616–1620 erscheint auf den ersten Blick sehr hoch. Sie war jedoch von den Vertretern der böhmischen Stände und in deren Interesse vorgeschlagen worden. Deshalb darf man sie meiner Meinung nach auch als Beleg für das hohe wirtschaftliche Potential eines Landes verstehen, das seit mehr als 100 Jahren ohne einen größeren militärischen Konflikt existierte. Den Landtagsbeschluss von 1615 konnten die oppositionellen Stände zur vollständigen Beherrschung des Kredit- und Währungssystems im Land zu Friedenszeiten sowie zur Mobilisierung von Ressourcen in Krisenzeiten nutzen. Dies geschah bei den Steuern in vollem Umfang 1618 und im Fall des Währungssystems 13
Einer Besteuerung in Höhe von 0,6 % jährlich unterlag ein Finanzaktivum über 2.000 Schock Meißner Groschen, sofern der Gläubiger keinen Grundbesitz hatte. Berücksichtigt man den damals amtlich festgesetzten höchsten legalen Zinssatz (6 %), so wurden Zinseinkünfte in Wirklichkeit am höchsten besteuert, nämlich mit 10 % (das heißt aus einem Aktivum in Höhe von beispielsweise 4.000 Schock erhielt der Gläubiger jährlich einen Zins von 240 Schock, für den wiederum eine Steuer in Höhe von 24 Schock fällig war).
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ein Jahr später (1619).14 Ich plädiere dafür, dass diesem bahnbrechenden Erfolg der gut vorbereiteten Ständeopposition auf dem Landtag 1615 (als den ich den Beschluss in Fiskalfragen deuten möchte) auch im Rahmen einer breiter angelegten Interpretation der Machtverhältnisse in Böhmen am Vorabend des Ständeaufstandes Rechnung getragen werden sollte.
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Vorel, Petr: Od pražského groše ke koruně české 1300–2000. Průvodce dějinami peněz v českých zemích [Vom Prager Groschen zur tschechischen Krone 1300–2000. Ein Führer durch die Geschichte des Geldes in den böhmischen Ländern]. Praha 22004 [12000], 178–188.
Ideal, Norm und Realität – die Alltagspraxis
Jiří Just
Die Neuordnung der nichtkatholischen Kirchenverwaltung in Böhmen nach dem Majestätsbrief: Ziele und Probleme Im Juli 1609 wurde nach erheblichem Druck der nichtkatholischen Ständegemeinde und anschließender Vereinbarung mit den gemäßigten Vertretern der katholischen Partei den Einwohnern des Böhmischen Königreichs durch einen Majestätsbrief des Herrschers die Bekenntnisfreiheit garantiert.1 Diese bedeutete jedoch keine allgemeine Toleranz für alle damals in Böhmen vertretenen Glaubensrichtungen, sondern sie setzte das Bekenntnis zu der im Jahr 1575 Kaiser Maximilian II. vorgelegten Confessio Bohemica voraus.2 Deren Anhängern garantierte der Majestätsbrief die Verwaltung durch eine eigene Pfarrerschaft und eine eigene Kirchenordnung. Einschränkungen durch die Kompaktaten blieben in Zukunft aus. Die utraquistischen Stände erhielten das Untere Konsistorium und durften es einer Erneuerung unterziehen. Die Hauptaufgabe dieser höchsten kirchlichen Institution war die Ordination und Verwaltung der tschechisch- und deutschsprachigen nichtkatholischen Geistlichkeit und deren Einsetzung in geistliche Stellen (Kollatur). Eingriffe durch den Erzbischof waren nicht mehr möglich. Auf der Grundlage des Majestätsbriefs wurde den Ständen außerdem die Prager Universität „mit all ihrem Zubehör“ übergeben. Der Herrscher erlaubte es, für beide Institutionen Defensoren – gewählte Vertreter der Ständegemeinde – als Hüter der neuen Ordnung einzuführen.3 1
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giNdely, Anton: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätsbriefes von 1609, Praha 1858. – krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909. – HreJsa, Ferdinand: Česká konfesse, její vznik, podstata a dějiny [Die Confessio Bohemica, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Geschichte]. Praha 1912, 433–572. – glüCkliCH, Julius: Koncept Majestátu a vznik Porovnání [Das Konzept des Majestätsbriefs und die Entstehung des Ausgleichs]. In: Český časopis historický 23 (1917), 110–128. – sVoBoda, Milan: Majestát Rudolfa II. ve sbírkách ChristianWeiseBibliothek v Žitavě [Der Majestätsbrief Rudolfs II. in den Sammlungen der Christian-Weise-Bibliothek in Zittau]. In: Fontes Nissae. Prameny Nisy 3 (2002), 160–168. – Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Rudolfs Majestätsbrief. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19). Der Majestätsbrief, der am 20. August 1609 für Schlesien erlassen wurde, erlaubte die freie Religionsausübung auf der Basis der „Augsburger Konfession“. Chrestomatie k dějinám Slezska [Chrestomathie zur Geschichte Schlesiens]. Hg. v. Dan gaWreCki. Opava 1995, 67. – goll, Jaroslav: O slezském majestátě Rudolfa II. [Über den schlesischen Majestätsbrief Rudolfs II.]. In: Časopis Musea Království českého 48 (1874), 3–22. glüCkliCH, Julius: O pravomoci dané defensorům na sněmu roku 1609 [Über die den Defensoren auf dem Landtag 1609 verliehenen Kompetenzen]. Praha 1913. – ders.: O defensorech a českém povstání 1618–1620 [Über die Defensoren und den böhmischen Aufstand 1618–1620]. In: Český časopis historický 27 (1921), 63–93. – rak, Jiří: Karlova univerzita v
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Jiří Just
Der Majestätsbrief bestätigte zugleich die Rechte der nichtkatholischen Obrigkeiten, die sich aus der neuen Religionsfreiheit ergaben. Allen drei Ständen erlaubte er, nach Bedarf auf ihren Herrschaften, „in Städten, Flecken, Dörfern oder wo auch immer“, neue Kirchen zu erbauen und Schulen einzurichten.4 Die Obrigkeiten erlebten nicht nur die gesetzliche Anerkennung ihres Patronatsrechts, um das sie sich bereits während der Verhandlungen über die Confessio Bohemica und später auf dem Landtag von 1603 bemüht hatten, sondern sogar dessen Erweiterung. Die Erlaubnis zum Bau neuer Kirchen bedeutete nämlich einen Eingriff in die ursprünglichen Strukturen der Pfarrverwaltung. In den königlichen Städten mit konfessionell gemischter Bevölkerung konnten beide Parteien frei und ungestört ihre Religion ausüben. Der Majestätsbrief ordnete des Weiteren an, dass niemand unter den Ständen oder den Untertanen wegen seines Bekenntnisses unterdrückt oder zur Konversion gezwungen werden sollte. In diese Freiheiten nahm er ausdrücklich „auch das Bauernvolk“ auf und knüpfte mit dieser im europäischen Vergleich außergewöhnlich sozialen Spannweite an die ältere böhmische Tradition der religiösen Toleranz an, die bereits in den Kompaktaten und im Kuttenberger Frieden von 1485 ihren Ausdruck gefunden hatte. Im Zusammenhang mit Rudolfs Majestätsbrief entstand auch der sogenannte Ausgleich – eine Absprache, in der die gegenseitigen Beziehungen zwischen der katholischen und der utraquistischen Partei geregelt wurden.5 Das Dokument legt einige Bestimmungen des Privilegs aus und konkretisiert die Kompetenzen der beteiligten Fraktionen. Der Ausgleich besaß stabilisierenden Charakter, da er für die Zukunft den zwischen beiden Parteien damals bestehenden Zustand festhielt. Die Beteiligten verpflichteten sich, gegenseitig ihre „Kirchen, Gottesdienste, Zeremonien, Kollaturen, Klöster, Kollegien, Privilegien, Stiftungen, Zehnten, Zahlungen, Einkommen, Renten und traditionellen Ordnungen, [...] so wie sie jede Partei bisher besitzt“ anzuerkennen.6 Ähnlich wie der schlesische Majestätsbrief bestimmte auch der Ausgleich, dass die Zugehörigkeit sakraler Objekte und kirchlicher Institutionen zu einer Religion unveränderbar sei, und schloss Änderungen zugunsten des einen oder anderen Bekenntnisses aus. Der Zeitdruck im Vorfeld des Ausgleichs spiegelte sich in der ungenügenden Ausarbeitung strittiger Fragen und Modellfälle wider, die potentiellen Konflikten hätten vorbeugen können. Nichtkatholischen Untertanen in königlichen Städten und auf königlichen Gütern wurde ausdrücklich erlaubt, sich eine eigene Kirche zu bauen und einen Friedhof einzurichten. Dieses Recht gestand der Ausgleich jedoch den nichtkatholischen Ansässigen auf den Gütern geistlicher Obrigkeiten, der Klös-
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pravomoci defenzorů (1609–1622) [Die Karlsuniversität unter der Verwaltung der Defensoren (1609–1622)]. In: Acta Universitatis Carolinae – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 17/1 (1977), 33–46. – sVatoŠ, Michal: Pokus o reformu a zánik karolinské akademie [Reformversuch und Untergang der Karolinischen Akademie]. In: Dějiny Univerzity Karlovy. Bd. 1. Hg. v. František kaVka und Josef Petráň. Praha 1995, 269–289. Just, Rudolfův Majestát (wie Anm. 1), 139. Der Ausgleich zwischen der katholischen und der utraquistischen Partei („Porovnání mezi stranou podjednou a podobojí“) wurde herausgegeben von krofta (wie Anm. 1), 40–43. Ebd., 40.
Die Neuordnung der nichtkatholischen Kirchenverwaltung in Böhmen
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ter oder des Prager Erzbischofs nicht zu, obwohl er es nicht ausdrücklich verweigerte. Hier ist eine gewisse Ähnlichkeit mit der Regelung des Augsburger Religionsfriedens von 1555 erkennbar, die in dieser Hinsicht ebenfalls die Frage der geistlichen Güter unbehandelt ließ. Aus dem Wortlaut des Ausgleichs ergab sich also für nichtkatholische Untertanen kein Recht, auf diesen Territorien eine eigene Kirche zu bauen und eine Schule einzurichten. Der schlesische Majestätsbrief bot dagegen ausdrücklich eine solche Möglichkeit. Die böhmischen Utraquisten sahen zwar die geistlichen Güter als Königsgut an (so dass theoretisch der Artikel über die Rechte der Untertanen auf königlichen Herrschaften Anwendung finden konnte), aber eine solche Interpretation, mit der die Stände wohl auch die Sympathie des Königs zu erringen hofften, war zumindest strittig. Der Ausgleich enthielt auch keine Regelung bezüglich der Pflichten der geistlichen Obrigkeiten gegenüber ihren nichtkatholischen Untertanen, und das Fehlen dieser Bestimmungen sollte später zu erheblichen Komplikationen führen.7 Die Schlüsselstellung in der erneuerten nichtkatholischen Kirchenverwaltung war für das utraquistische Konsistorium vorgesehen, das in den Jahrzehnten zuvor vollständig von der Macht des Herrschers und dem Amt des Prager Erzbischofs abhängig gewesen war und unter diesen Umständen in weiten Teilen Böhmens seine Autorität eingebüßt hatte.8 Die Verwirklichung der angestrebten Reform war nicht einfach. Sie ging von der Beteiligung mehrerer religiöser Parteien aus, die jedoch zögerten, die Besonderheiten ihrer Kircheninstitutionen und ihrer Glaubenspraktiken mindestens teilweise aufzugeben. Das Konsistorium sollte zum obersten Organ der Utraquisten im weitesten Sinne werden, das heißt sowohl der Lutheraner verschiedener Richtungen als auch der mehr oder weniger offensichtlichen Sympathisanten der Schweizer Reformation; außerdem rechnete man mit einer Beteili7
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Ein Beispiel stellen die Ereignisse dar, die mit dem Bau der lutherischen Kirche in Klostergrab (Hrob) verbunden waren. kiliáN, Jan: 11.12.1617 – Zboření kostela v Hrobu. Na cestě k defenestraci [11.12.1617 – Die Zerstörung der Kirche in Klostergrab. Auf dem Weg zum Fenstersturz]. Praha 2007 (Dny, které tvořily české dějiny 16). tomek, Václav V.: O církevní správě strany podobojí v Čechách od r. 1415 až 1622 [Über die Kirchenverwaltung der Utraquisten in Böhmen von 1415 bis 1622]. In: Časopis Českého Museum 22 (1848), 365–383, 441–468. – krofta, Kamil: Boj o konsistoř podobojí v letech 1562–1575 a jeho historický základ [Der Kampf um das utraquistische Konsistorium in den Jahren 1562–1575 und sein historisches Fundament]. In: Český časopis historický 17 (1911), 28–57, 178–199, 283–303, 383–420. – matouŠek, Josef: Kurie a boj o konsistoř pod obojí za administrátora Rezka. Příspěvek k dějinám katolické obnovy v Čechách [Die Kurie und der Kampf um das utraquistische Konsistorium zur Zeit des Administrators Rezek. Ein Beitrag zur Geschichte der katholischen Erneuerung in Böhmen]. In: Český časopis historický 37 (1931), 16–41, 252–292. – vanČata, Vladimír: Konsistoř podobojí v 70. letech 16. století [Das utraquistische Konsistorium in den 70er Jahren des 16. Jahrhunderts]. Phil. Diss., Praha 1969. – sMrČková, Věra: Konsistoř podobojí na přelomu 16. a 17. století a její písemnosti [Das utraquistische Konsistorium an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert und sein Schriftgut]. Phil. Diss., Praha 1973. – zahradník, Zdeněk: Studie o církevní správě v předbělohorském období [Eine Studie zur Kirchenverwaltung in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg]. Phil. Diss., Praha 1980. – rak, Jiří: Vývoj utrakvistické správní organizace v době předbělohorské [Die Entwicklung der utraquistischen Verwaltungsorganisation in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg]. In: Sborník archivních prací 31 (1981), 179–206.
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gung der Brüderunität. Die Verhandlungen über die neue Ordnung der Kirchenverwaltung eröffneten die Direktoren am 1. August 1609 mit der Einberufung einer zu diesem Zweck zusammengestellten Kommission.9 Sie bestand aus vier altutraquistischen, vom Erzbischof geweihten Priestern, die sich in der Zeit des Ringens um den Majestätsbrief zur Confessio Bohemica bekannt hatten, aus vier Geistlichen der Unität, fünf im Reich ordinierten Pfarrern und vier Professoren der Prager Universität. Bei den Verhandlungen waren auch drei Laien aus jedem Stand anwesend, die Konflikten vorbeugen sollten. Das Gespräch über die Zukunft einer gemeinsamen Kirchenverwaltung scheiterte trotzdem rasch. Die anwesenden Geistlichen waren nicht in der Lage, Widersprüche in zahlreichen Fragen der kirchlichen Praxis, z. B. im Hinblick auf die Art der Ordination oder die Verwendung von Ornaten im Gottesdienst, zu beseitigen, so dass die Stände die Initiative ergreifen mussten. Den Inhalt dieser Unstimmigkeiten erhellt die überlieferte Korrespondenz. Wenzel Budowetz von Budow berichtete Peter Wok von Rosenberg am 12. August 1609 von den unterschiedlichen Meinungen bezüglich der „Ordnungen und Zeremonien“ und verwies auf die kompromisslose Haltung der Geistlichen der Brüderunität, die vom Herrn über Münchengrätz zur Teilnahme an der Erneuerung der Kirchenverwaltung überredet worden waren.10 Budowetz bat den Rosenberger Regenten um ein Gutachten, überließ jedoch nichts dem Zufall und schickte einen Entwurf, „auf welche Art und Weise dieses Schreiben formuliert sein sollte“.11 Peter Wok antwortete den Direktoren bereits am 16. August in einem umfangreichen Brief.12 Sein Schreiben zeichnet sich durch einen versöhnlichen Ton und eine überkonfessionelle Sichtweise aus, obwohl wir zumindest für einen Teil des Texts – im Hinblick auf die Budowetz’sche Initiative – berechtigte Zweifel an Woks Autorenschaft hegen dürfen. Das Gutachten ist der Aufgabe der Zeremonien im Gottesdienst gewidmet, die der Verfasser aus Rücksicht auf das einfache Volk zugelassen hatte, obwohl sie eigentlich eingeschränkt werden sollten. Er lehnt es in dem Schreiben ab, adiaphora zum Gegenstand von Zerwürfnissen werden zu lassen. Vielmehr äußert er den Wunsch, „dass wir uns untereinander nicht zugrunde richten, sondern uns lieber als Landsleute unserer Nation und Liebhaber des Vaterlandes ertragen sollten und einer sich den anderen durch christliche Liebe gewogen mache“.13 Wok schlägt vor, der Unität ein großes Maß an Eigenständigkeit zuzuerkennen, die ihren Ausdruck in der Vertretung der Brüdergeistlichen im Konsistorium und in der Zuerkennung einer erheblichen Autonomie für ihre Kirchenverwaltung finden sollte.
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Den Verlauf der Verhandlungen zwischen den Vertretern der nichtkatholischen Parteien schildert HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 467–480. Václava Budovce z Budova korrespondence z let 1579–1619 [Die Korrespondenz des Wenzel Budowetz von Budow aus den Jahren 1579–1619]. Hg. v. Julius glüCkliCH. Praha 1908, 77 f. Ebd., 77. HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 476. – Woks Antwort findet sich in einem Band des Archivs des Nationalmuseums Prag: Archiv Národního muzea Praha [im Folgenden: ANM Praha], Hs. 280, fol. 940a–952a. ANM Praha, Hs. 280, fol. 944a.
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Das Abkommen der verhandelnden Parteien, das durch Vermittlung von Mitgliedern der Ständegemeinde und Kompromissbereitschaft in allen Streitfragen ermöglicht wurde, fand trotz des Widerstands einiger Konservativer und Lutheraner seinen Niederschlag in dem Dokument „Beschluss aller drei das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangenden und sich zur böhmischen Konfession bekennenden Stände“.14 Es stellte ein neues Konzept für die Besetzung des zwölfköpfigen Konsistoriums vor, in dem für die Utraquisten der Administrator mit fünf Pfarrern, für die Unität der Senior mit zwei Brüdergeistlichen und außerdem drei Professoren der Prager Universität sitzen sollten. Die Ordinationsordnung für die Geistlichen umfasste zwei Varianten der Zeremonie: eine für die utraquistischen Pfarrer, die andere für die Unitätsgeistlichkeit. Die Besetzung des neuen Konsistoriums Anfang Oktober 1609 war von Streitigkeiten zwischen den Prager und den auswärtigen Geistlichen geprägt. Verursacher waren die Geistlichen der drei Prager Städte, die die Anerkennung der Ordination ihrer Kollegen vom Land ablehnten, wenn sie in den protestantischen Teilen des Reichs durchgeführt worden war. Die Verhandlungen wurden zusätzlich durch die deutschsprachigen Geistlichen erschwert, die mit ihrer Pflicht gegenüber der Confessio Augustana argumentierten und deshalb zögerten, sich zur Confessio Bohemica zu bekennen. Dem Abkommen schlossen sie sich erst an, nachdem ihnen Radslaw Wchinsky d. Ä. von Wchynitz im Namen der Direktoren versichert hatte, dass die Confessio Bohemica „echt augsburgisch“ sei.15 Zum ersten Administrator des erneuerten Konsistoriums wurde nach kleineren Zwischenfällen mehrheitlich Eliáš Šúd von Semanín, Pfarrer an der Teynkirche, gewählt. Unter den Beisitzern tauchte auch der Kuttenberger Erzdekan Václav Štefan auf, dessen Orientierung am Calvinismus den Widerstand der anwesenden Lutheraner auslöste. Für die Brüderunität kam Matěj Cyrus, der ehemalige Seelsorger von Katharina von Ludanitz und Peter Wok von Rosenberg, als Senior in das Konsistorium. Die Zahl der Assessoren wurde einige Wochen später durch die Professoren der Prager Universität ergänzt. Die neue Kirchenordnung, die zeitlich mit dem Beginn des erneuerten Konsistoriums zusammenfiel, bestimmte in 21 Artikeln dessen Pflichten und Kompetenzen im Bereich der Kirchenverwaltung.16 Der Administrator erhielt die Aufsicht über die Glaubenslehre und die Pastoral über die Geistlichkeit. Eine der wichtigsten Aufgaben des Konsistoriums war die Ordination der Pfarrer, mit der die Nichtkatholiken in Böhmen den Prozess der Emanzipation ihrer Kirchenorganisation von der katholischen Kirche krönten.17 Der Ordination sollte eine Prüfung der Adepten 14
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Vyznání víry svaté křesťanské, všech tří stavů království českého z víry tělo a krev Krista Pána pod obojí přijímajících [Bekenntnis des heiligen christlichen Glaubens aller drei Stände des böhmischen Königreichs, die aus dem Glauben Leib und Blut des Herrn Christus unter beiderlei Gestalt empfangen], s. l. [Praha?] 1609, 71–81 (Knihopis 1594). Verwendet wurde das Exemplar der Bibliothek des Nationalmuseums in Prag, Sign. 37 B 11. HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 483. Vyznání víry svaté křesťanské (wie Anm. 14), 82–90. BeráNek, Karel: Pokus o rekonstrukci katalogu ordinací pražské stavovské evangelické konsistoře v letech 1609–1619 [Versuch einer Rekonstruktion des Ordinationskatalogs des Pra-
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vorangehen, der sich nachträglich auch die außerhalb des Böhmischen Königreichs ordinierten Pfarrer zu unterziehen hatten. Diese wurden erst dann in ihrem Amt bestätigt, wenn sie sich zur Confessio Bohemica bekannt und dem Konsistorium Gehorsam versprochen hatten. Die Einsetzung der Pfarrer sollte der Administrator erst nach der Wahl und auf Gesuch des Kollators durchführen, und gegen dessen Willen durfte er auch keinen Pfarrer abberufen. Die Ordnung ermöglichte die Einrichtung von Oberdekanaten und lokalen Konsistorien, die die Pfarrer in den einzelnen Kreisen beaufsichtigen sollten. Eine wichtige Kompetenz des Konsistoriums stellte die Schlichtung von Ehestreitigkeiten dar. Gegen ihre Schlichtungssprüche gab es in diesem Fall keine Berufungsmöglichkeit. Streitigkeiten theologischer Art sollten mit Hilfe der Professoren der (noch nicht existierenden) theologischen Fakultät gelöst werden – die Einrichtung einer entsprechenden Fakultät erhoffte man zumindest in den ersten Jahren nach dem Erlass des Majestätsbriefs, aber bis zu den Ereignissen am Weißen Berg war diese Absicht nicht in die Tat umgesetzt worden. Dem Konsistorium sowie der Fakultät sprach die Ordnung auch die Kontrolle über die Verbreitung der religiösen Literatur zu. Artikel 20 definierte die Stellung der Geistlichen im Rahmen der rechtlichsozialen Beziehungen zur Obrigkeit: „[...] jeder Pfarrer soll mit seiner Ehefrau, seinen Kindern und seinem Besitz frei sein und bleiben [...]“.18 Im letzten Unterpunkt bestimmte die Ordnung eine sechsmonatige Kündigungsfrist für den Fall, dass der Pfarrer seine Wirkungsstätte ändern oder die Obrigkeit ihren Pfarrer nicht dulden wollte. Der zweite Teil der Ordnung zu den „kirchlichen Zeremonien“ befasste sich mit Fragen der Gottesdienstpraxis. Darin wurde u. a. angeordnet, sich nicht mehr nach den vom Prager Erzbischof herausgegebenen liturgischen Handbüchern zu richten und bestimmte katholische Riten aufzugeben. Die Reform der böhmischen nichtkatholischen Kirchenverwaltung zeichnete sich von Anfang an durch bestimmte Schwierigkeiten aus, die den weiteren Verlauf des religiösen Lebens im Jahrzehnt vor der Schlacht am Weißen Berg vorwegnehmen sollten. Allgemein lässt sich diese Spannung als ein Konflikt zwischen inte grativen und abweichenden Kräften definieren, der sich auf zwei Ebenen abspielte. Im ersten Fall ging es weniger um direkte Zusammenstöße, sondern eher um die Interaktion zwischen dem Konsistorium als kirchlicher Institution mit landesweitem Wirkungsbereich und der Seelsorge, die den lokalen Obrigkeiten unterstand. Die Obrigkeiten hatten in der Zeit der Abhängigkeit des utraquistischen Konsistoriums vom Prager Erzbischof auf ihren Herrschaften selbst die Organisation des geistlichen Lebens übernommen, indem sie konsequent ihr Kollaturrecht ausübten, das zwischen den Ständen und dem Herrscher umkämpft war. Das Handeln der Obrigkeiten wurde in erheblichem Ausmaß durch ihr Interesse an religiösen Angelegenheiten beeinflusst, so dass man annehmen darf, dass sie in den meisten Fällen die Sorge um die Pfarreien nur als notwendigen Bestandteil der Regulierung der sozialen bzw. sozialrechtlichen Verhältnisse auf ihren Herrschaften auffassten. Dieses Vorgehen schlug sich beispielsweise in der begrenzten Anzahl von Verord-
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ger ständischen evangelischen Konsistoriums in den Jahren 1609–1619]. In: Paginae historiae 10 (2002), 5–39. Vyznání víry svaté křesťanské (wie Anm. 14), 90.
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nungen religiösen Inhalts für die Untertanen nieder. Diesen wurde befohlen, an den Sonntagen und den Hauptfeiertagen des Kirchenjahres die Kirche zu besuchen, statt in den Wirtschaften herumzusitzen: Man verbot ihre Untugenden, die den Zorn Gottes heraufbeschwören konnten, wie z. B. Schmähen, Fluchen, Lästern und unflätige Reden.19 Die Erneuerung der nichtkatholischen Kirchenverwaltung nach dem Erlass des Majestätsbriefs erleichterte zwar das Bemühen der Obrigkeiten, einen ordnungsgemäß ordinierten Pfarrer zu finden, setzte sie aber zugleich dem Druck aus, ihren Pflichten als Kollator konsequent nachzugehen – besonders im Bereich der materiellen Absicherung der Pfarrer. Die Kopialbücher der Konsistoriumskorrespondenz enthalten zahlreiche Fälle, in denen diese Institution gezwungen war, zugunsten der Geistlichen einzugreifen und die regelmäßige Abführung des zur Pfarrei gehörenden Zehnten zu fordern, den die Obrigkeiten nicht selten ihrem eigenen Etat zurechneten.20 Die vom unteren Konsistorium erlassene Kirchenordnung ließ den Obrigkeiten zugleich relativ viel Raum für die Organisation der religiösen Verhältnisse auf lokaler Ebene. Dabei kam bereits seit dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts die konfessionelle Orientierung der Kollatoren immer deutlicher zum Ausdruck, wie sich auch an der inhaltlichen Zusammensetzung der steigenden Anzahl von Kirchenordnungen zeigt.21 Albrecht Wenzel Smiřický (gest. 1614) erließ 1613 eine „Anordnung [...], wie sich die Priester und Schulverwalter bei den Kirchendiensten auf seinen Herrschaften verhalten sollten“, die die Konsistorialordnung um Richtlinien zur Agenda ergänzte.22 Vor allem den Predigern und Schulverwaltern lieferte sie 19
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Von den vielen obrigkeitlichen Instruktionen, die das religiöse Leben der Untertanen reflektierten, erschienen beispielsweise als Edition: „Zápověď neřádů“ na panství Valečovském z r. 1603 [Das „Verbot der Untugenden“ auf der Herrschaft Valečov von 1603]. Hg. v. Josef V. Šimák. In: Agrární archiv 4 (1917), 111‒112 – Řád selský daný od vrchnosti Citolibské pro Chlumčany a Lišťany z r. 1608 [Die Bauernordnung der Obrigkeit von Citoliby, 1608 erlassen für Chlumčany und Lišťany]. Hg. v. František Štědrý. In: Sborník historického kroužku 20 (1919), 146– 154. – Ein größeres Interesse der Obrigkeit am religiösen Leben der Untertanen belegt: Pana Ladislava staršího z Lobkovic a na Ledči nad Sázavou instrukcí svým poddaným z r. 1599 [Die Instruktion des Herrn Ladislaus d. Ä. von Lobkowitz auf Ledetsch für seine Untertanen von 1599]. Hg. v. Karel J. HraŠe. In: Památky archeologické a místopisné 16 (1893–1895), 153– 158. Dopisy konsistoře podobojí z let 1610–1619 [Briefe des utraquistischen Konsistoriums aus den Jahren 1610–1619]. Hg. v. František tisCHer. Praha 1917–1925 (nach dem Sachregister). – Viele Belege über das Verhältnis zwischen Kollator und Geistlichem (sowie über die Einkünfte der Pfarrer) erfasste WiNter, Zikmund: Život církevní v Čechách. Kulturněhistorický obraz z 15. a 16. století [Kirchliches Leben in Böhmen. Ein kulturhistorisches Bild aus dem 15. und 16. Jahrhundert]. Bd. 2. Praha 1896, 499–530 und 531–595. – Zugleich muss betont werden, dass das Einbehalten des Zehnten während des ganzen 16. Jahrhunderts eine gängige Praxis war und nicht nur für die Zeit nach dem Erlass des Majestätsbriefs als charakteristisch gelten darf. Deren Bedeutung und Funktion behandelte im Zusammenhang mit der Joachimsthaler Ordnung Wriedt, Markus: Kirchen- und Schulordnungen. Dokumente des kulturellen Wandels im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung am Beispiel der Kirchen-, Spital- und Schulordnung des Johann Mathesius von 1551. In: Kommunikation und Transfer im Christentum der frühen Neuzeit. Hg. v. Irene diNgel und Wolf-Friedrich sCHäufele. Mainz 2007, 69– 94, hier 69–71. Příspěvky k dějinám církevním v Čechách. Nařízení Albrechta Václava Smiřického ze Smiřic,
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– bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Konsistorium die entsprechende Agenda formulierte – eine gründliche Anleitung, wie bei der Durchführung von Gottesdiensten, der Feier des Abendmahls, bei Taufen, Eheschließungen und Beerdigungen vorzugehen sei. Die konfessionelle Orientierung der Obrigkeit lässt sich auch an den Stellen nicht übersehen, wo der Verzicht auf überflüssige und schädliche Zeremonien, aber auch die allmähliche Beseitigung des „Läutens in der Kirche, der schädlichen, den göttlichen Geboten widersprechenden Bilder, der Fahnen und überflüssigen Statuen“ gefordert wird.23 Die Anordnung berief sich trotz calvinistischer Tendenzen wiederholt auf die „Böhmische Konfession“ und untersagte es, deren Rahmen zu überschreiten. Eine Instruktion ähnlicher Art, jedoch ohne die ikonoklastischen Passagen, erließ im Juli 1616 Johann Rudolf Trčka von Lípa und auf Opočno auf Bitten des Bürgermeisters und der Ratsherren für die Stadt Gutenfeld (Dobruška).24 Bemerkenswert ist der Nachtrag, in dem den Stadtbewohnern das Recht zugesprochen wird, die Abführung der Untertanenabgabe in Höhe von 600 Schock Meißner Groschen jährlich zu verweigern, falls die Obrigkeit sie zu einem anderen Bekenntnis oder zu einer ihnen widerstrebenden neuen Kirchenordnung zwingen wollte. Während die Ordnung der religiösen Verhältnisse innerhalb des utraquistischen Lagers – mit Ausnahme der Brüderunität – nach dem Erlass des Majestätsbriefs in der Kirchenverwaltung auf formaler Ebene keine ernsthafteren Komplikationen mit sich brachte, wurde sie auf theologischer Ebene von ständigen Spannungen begleitet, die sich in einer erhöhten Produktion von Schriften der Kontroverstheologie niederschlugen. Sie beschränkten sich nicht nur auf gegenseitige Zusammenstöße im Rahmen der traditionellen protestantisch-katholischen Rivalität, die in den hinreichend bekannten Ereignissen in Braunau (Broumov) und Klostergrab (Hrob) gipfelte. Vielmehr führte die Stärkung der konfessionellen Identität bei den einzelnen Strömungen der Reformation auch zu hektischen Zusammenstößen innerhalb des protestantischen Lagers.25 Gegen die Vereinigung aller böhmischen Nichtkatholiken auf der Grundlage der Confessio Bohemica sprachen sich besonders einige Lutheraner aus. Sie erfreuten sich der Unterstützung des Hofpredigers des sächsischen Kurfürsten Polycarp Leyser, der noch im Sommer 1609 den Erlass des Majestätsbriefs begrüßt hatte, sich jedoch bereits im Oktober desselben Jahres bei Joachim Andreas Schlick beschwerte, dass sich alle möglichen „Ketzereien“ unter den Schutz des Privilegs
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jak by se kněží, správcové školní při službách církevních na panstvích jeho chovati měli. Leta 1613 [Beiträge zur Kirchengeschichte in Böhmen. Die Anordnung des Albrecht Wenzel Smiřický von Smiřice, wie sich Priester und Schulverwalter bei den Kirchendiensten auf seinen Herrschaften verhalten sollten. Aus dem Jahr 1613]. Hg. v. František dVorský. In: Sborník historický 2 (1884), 23–31. Ebd., 25 und 31. Trčkův řád bohoslužebný z r. 1616 [Trčkas Gottesdienstordnung von 1616]. Hg. v. Antonín flesar. In: Sborník historického kroužku Vlast 4 (1895), 131–133. Zur Polemik zwischen den Konfessionen vgl. diNgel, Irene: Streitkultur und Kontroversschrifttum im späten 16. Jahrhundert. Versuch einer methodischen Standortbestimmung. In: Kommunikation und Transfer im Christentum der frühen Neuzeit. Hg. v. ders. und Wolf-Friedrich sCHäufele. Mainz 2007, 95–111.
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gestellt hätten und sich im Konsistorium Anhänger der wahren Lehre mit „Pikarden und Calvinisten“ mischten.26 Die Stände waren über das Handeln des sächsischen Predigers und seine unverblümten Eingriffe empört und vergaßen nicht, in ihrer Antwort auf die „verlogene und blasphemische Verunglimpfung der böhmischen Konfession und der Erneuerung des Konsistoriums“ selbstbewusst anzuführen, dass die böhmische Reformation Vorrang vor der deutschen habe, da Gott „geruht habe, seine Wahrheit zunächst den Böhmen zu enthüllen und bei ihnen die Erneuerung der Kirche durchzuführen“. Zugleich machten sie Leyser darauf aufmerksam, dass derjenige, der das Konsistorium schmähe, auch den Majestätsbrief diffamiere und daher gegen ihn als offenen Feind des Böhmischen Königreichs vorgegangen werden könne.27 Im Dezember 1609 ordinierte der Administrator Eliáš Šúd von Semanín für die neu gegründete Prager Lutheranergemeinde als ersten Pfarrer Caspar Wagner (gest. 1619). Der neue Geistliche leistete unter Berufung auf die Augustana nicht einmal den vorgeschriebenen Eid auf die Confessio Bohemica. Da dieses Handeln auf einer Genehmigung durch Joachim Andreas Schlick beruhte, die ohne Rücksicht auf die gerade angenommene Ordnung erteilt worden war, musste dieser freigiebige Mäzen der Prager Lutheraner sein Ehrenamt als Direktor des ständischen Defensoriums aufgeben.28 Einen konfessionellen Hintergrund hatte möglicherweise auch der Personalwechsel im Konsistorium, zu dem es im Januar 1610 kam: Damals verließ Václav Štefan aus Kuttenberg als Beisitzer diese Institution und wurde durch den bereits genannten Pfarrer der Kleinseitner lutherischen Gemeinde ersetzt. Zu den Hauptthemen der Polemiken zählte die Interpretation der Confessio Bohemica – jenes dogmatischen Texts, auf dessen Grundlage es zur Vereinigung der Nichtkatholiken gekommen war – und deren Übereinstimmung mit der Confessio Augustana. Die Lutheraner waren nur dann bereit, die Bohemica anzuerkennen, wenn ihr Wortlaut in Übereinstimmung mit der Augustana ausgelegt wurde; auf dieses Ziel richteten sie ihre gesamten Anstrengungen aus. 1614 ließ der lutherisch orientierte utraquistische Pfarrer Viktorin Vrbenský die Schrift Konfesí česká, pravá augšpurská drucken.29 Ein Exemplar erhielt auch der Prager Arzt Matthias Borbonius, der 1610 an erster Stelle unter den „Richtern“ der Jungbunzlauer Brüdergemeinde genannt wurde.30 Er versah den Druck mit zahlreichen Zuschriften, 26
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HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 490 und 492. – Zur Rezeption von Leysers Schriften in Böhmen HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 411. Auf Widerhall stieß Leysers Werk auch in Mähren: Just, Jiří/NeŠPor, Zdeněk R./MatěJka, Ondřej: Luteráni v českých zemích v proměnách staletí [Die Lutheraner in den böhmischen Ländern im Wandel der Jahrhunderte]. Praha 2009, 112. HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 489–492. – JeNŠoVský, Bedřich: Politika kurfiřta saského v Čechách v posledních letech vlády Rudolfa II. [Die Politik des sächsischen Kurfürsten in Böhmen in den letzten Regierungsjahren Rudolfs II.]. Praha 1913, 15. Den führenden Platz unter den Defensoren nahm Joachim Andreas Schlick seit der Wahl des Defensoriums am 10. Oktober 1609 ein. HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 489. [Confessio Bohemica, Vera Augustana in Quaestiones et Responsiones Resoluta.] Praha 1614 (Knihopis 1597). „Registra zboru boleslavského, obnovená leta 1610 při Památce sv. Trojice [Register der Bunz-
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wobei er gleich zum Titel anmerkte: „[…] ‚einige‛ nennen sie ‚Augsburger‛ […]“. Das kommentierte Buch geriet später in die Hände des Unitätspriesters und Assessors des Prager Konsistoriums Jan Cyrill und kehrte über diesen zu seinem Autor zurück. Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob es sich um einen Zufall, eine Provokation oder den aufrichtig gemeinten Versuch handelte, eine theologische Diskussion auszulösen. Allein die vier Worte, die zum Titel der Polemik hinzugefügt worden waren, gaben Vrbenský den Anlass zu einer literarischen Reaktion, deren Ziel der Nachweis war, dass die Confessio Bohemica in ihren Intentionen mit der Augustana identisch sei.31 Die neue Ordnung der Kirchenverhältnisse betraf wohl am stärksten die Brüderunität, deren Beschützer und Mitglieder aus den Reihen der Stände unter Führung von Wenzel Budowetz von Budow zu wichtigen politischen Akteuren vor der Schlacht am Weißen Berg wurden.32 Innerhalb weniger Monate verwandelte sich eine religiös verfolgte Gruppe in eine privilegierte Gemeinschaft, die im Konsistorium durch eine Anzahl von Beisitzern vertreten war, die – verglichen mit den übrigen Konfessionen – den prozentualen Anteil der Unitätsanhänger unter der böhmischen Bevölkerung deutlich übertraf. Und gerade diese Statusveränderung in der Gesellschaft und das plötzliche Fehlen des äußeren Drucks, der eine Mentalität der Auserwähltheit heraufbeschworen hatte – die der Brüderunität seit ihren Anfängen
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lauer Gemeinde, erneuert im Jahr 1610 am Tag der hl. Dreifaltigkeit]“. Muzeum Mladoboleslavska (Museum der Region Jungbunzlau) [im Folgenden: MM Mladá Boleslav], Sign. A 3254/ Mladá Boleslav/O/1610, fol. 2a. Ein Jahr später ist Borbonius’ Name, der erneut an erster Stelle unter den „Richtern“ der Bunzlauer Gemeinde eingetragen wurde, in den Registern gestrichen. Dies hing wohl mit seinem Weggang nach Prag zusammen, denn Mitte 1609 war Borbonius zum Landesmedicus ernannt worden und am 7. Juli 1612 erwarb er das Bürgerrecht in der Prager Neustadt. „Registra sboru boleslavského, obnovená leta 1611 při začátku nového roku [Register der Bunzlauer Gemeinde, erneuert im Jahr 1611 zu Beginn des neuen Jahres]“. MM Mladá Boleslav, Sign. A 3254/Mladá Boleslav/O/1611, fol. 4a. HeJNiC, Josef/Martínek, Jan: Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě [Handbuch der humanistischen Dichtung in Böhmen und Mähren]. Bd. 1. Praha 1966, 218–223, hier 219. Beide Register der Bunzlauer Gemeinde stammen aus dem Archiv von Matouš Konečný, das 2006 im ehemaligen Areal der Brüderunität auf dem Karmel in Jungbunzlau (Mladá Boleslav) entdeckt wurde. Just, Jiří: Neue Quellen zur Geschichte der Brüderunität in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg. Der Fund des Archivs von Matouš Konečný in Mladá Boleslav. In: Acta Comeniana 22–23 (2009), 249–286. HreJsa, Česká konfesse (wie Anm. 1), 522. – Vrbenskýs literarische Reaktion auf Borbonius’ Kommentare, die die „lutherische Ehre“ berührten, wurde ein Jahr später gedruckt: „Obrana Konfesí české, pravé Aušpurské, […] od D. Borbonina na lehkost pravdy Boží kommenty drblavými potupené [Verteidigung der böhmischen, echten Augsburgischen, Konfession, [...] die von D. Borbonius zur Schande der Göttlichen Wahrheit mit lästerlichen Kommentaren geschmäht wurde]“. Dobrovice 1615 (Knihopis 16680). Weiteres zur Beteiligung der Brüderunität an der gemeinsamen nichtkatholischen Verwaltung und zu den damit verbundenen Problemen bei Just, Jiří: Multikonfesní soužití v době náboženské svobody. Čeští a moravští nekatolíci mezi Majestátem a stavovským povstáním ve světle zpráv archivu Matouše Konečného [Multikonfessionelles Zusammenleben in der Zeit der Religionsfreiheit. Böhmische und mährische Nichtkatholiken zwischen Majestätsbrief und Ständeaufstand im Licht der Nachrichten aus dem Archiv von Matouš Konečný]. In: Studia Comeniana et Historica 39/81 (2009), 249–266.
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zuverlässig bei der Wahrung der Disziplin und der Aufnahme von Konvertiten behilflich gewesen war –, sollte plötzlich eine Krise wegen der Legalität auslösen.33 Die Initiative der Stände, die die Unitätsführung der böhmischen Diözesen zur Teilnahme an einer gemeinsamen Kirchenverwaltung angeregt hatten, stieß in Mähren kaum auf Verständnis. Besonders skeptisch äußerte sich in dieser Hinsicht Karl d. Ä. von Žerotín, der bereits den Erlass des Majestätsbriefs sehr reserviert zur Kenntnis genommen hatte. Die Ursache der Krise, von der die Unität im letzten Jahrzehnt vor dem Weißen Berg erfasst wurde, sah er gerade in der neuen Ordnung der Kirche. Im Juni 1612 schrieb er an Wilhelm von Ruppau: „Was unseren Brüdern geschieht, das habe ich ihnen vor drei Jahren prophezeit, als diese Sachen über ihre Vereinigung in Prag verhandelt wurden. Die böse Gesellschaft mit den falschen Brüdern, der ungleiche Bund mit jenen, die Christus voller Neid predigen und deren Gott der Bauch ist, [...] dies wird der Nutzen des Chorrocks und dieser berühmten Einführung in die Bethlehemskapelle sein“.34 Eine ähnliche Meinung vertrat auch sein jüngerer Bruder Johann Diviš von Žerotín. Der Eibenschützer Bischof Jiří Erastus teilte in einem Schreiben an den Jungbunzlauer Bischof Matouš Konečný die Befürchtung des Seelowitzer Herrn, dass sich die Unität in Böhmen „dem Untergang nähert wegen des Ausgleichs, des Konsistoriums und des Chorrocks und dass bereits vieles untergegangen ist, nicht von Seiten der Lehre, sondern von Seiten der Ordnung und des Gehorsams“.35 Dass es sich nicht um vereinzelte Stimmen handelte, belegt der Unwillen der mährischen Bischöfe, an der Ordination in Prag neuer Unitätspriester teilzunehmen, die nach der neuen Konsistorialordnung durchgeführt wurde.36 Indes existierte gerade unter den mährischen Unitätsgeistlichen eine Gruppe, die mit der böhmischen Ordnung der nichtkatholischen Verwaltung sympathisierte. Um eine weitere Zersplitterung der Kirche zu verhindern, forderte diese jüngere Generation der Geistlichen eine ähnliche Vereinigung, für die es auch in Mähren in Teilen der nichtkatholischen Geistlichkeit vielversprechende Voraussetzungen gab.37 33
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Mit den Ursachen der Unitätskrise im letzten Jahrzehnt vor der Schlacht am Weißen Berg befasste sich innovativ Halama, Jindřich: The Crisis of the Union of Czech Brethren in the Years Prior to the Thirty Years War or On the Usefulness of Persecution. In: Communio viatorum 44 (2002), 51–68. Karel starší ze Žerotína. Z korespondence [Karl d. Ä. von Žerotín. Aus der Korrespondenz]. Hg. v. Noemi reJCHrtoVá. Praha 1982 (Živá díla minulosti 93), 295. Brief von Jiří Erastus an Matouš Konečný vom 17. September 1613. MM Mladá Boleslav, Sign. A3251/Erastus. Der Brief stammt ebenso wie die beiden folgenden, in Anm. 36 genannten Schreiben aus dem Archiv von M. Konečný. Der Prerauer Bischof Jan Lanecký erläutert die Gründe, warum die bei den Ordinationen des Konsistoriums eingeführten „Neuheiten“ abzulehnen seien, in einem Brief an Matouš Konečný vom 31. Dezember 1611. MM Mladá Boleslav, Sign. A3251/Lanecký. Auf Laneckýs skeptische Einstellung reagierte M. Cyrus, der sich – vor allem aus pragmatischen Gründen – für eine Zusammenarbeit mit den Utraquisten einsetzte. Brief von Matěj Cyrus an Matouš Konečný vom 10. Januar 1612. MM Mladá Boleslav, Sign. A/3251/Cyrus. Detaillierter mit Quellenauszügen Just, Multikonfesní soužití (wie Anm. 32). „Spis mladých kněží bratrských v Markrabství moravském starším jejich předložený, mělili by Bratří s evangelíky se sjednotiti [Schrift der jungen Unitätsgeistlichen in der Markgrafschaft Mähren, ihren Bischöfen vorgelegt, ob die Brüder sich mit den Evangelischen vereinigen sol-
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Jiří Just
Im Hinblick auf die genannten Tatsachen darf man abschließend festhalten, dass der Versuch einer Vereinigung der böhmischen Nichtkatholiken, der 1609 auf der Grundlage der Confessio Bohemica durchgeführt wurde und aus der älteren einheimischen Tradition der Toleranz unter den Konfessionen erwachsen war, eine interessante Lösung in einer Zeit bot, in der sich die Hauptströme der europäischen Reformation voneinander trennten. Zugleich lässt sich nicht übersehen, dass die durch die Aktivität einer begrenzten Gruppe von Ständepolitikern erzwungene Vereinigung auf der formal-institutionellen Ebene auf zahlreiche Hindernisse stieß. Ein solches Hindernis waren auch die unterschiedlichen Vorstellungen der Geistlichen der jeweiligen Konfessionen, die für eine zunehmende Konfessionalisierung des religiösen Umfelds in Böhmen sprechen.
len]“, abgedruckt in: Jana Amosa Komenského na spis proti Jednotě bratrské od Sam. Martinia z Dražova sepsaný Ohlášení [Die Verwahrung des Johann Amos Comenius auf die von Samuel Martinius von Dražov verfasste Schrift gegen die Brüderunität]. Hg. v. Joseph Th. müller. Praha 1898 (Spisy Jana Amosa Komenského 3), 41–51.
Pavel Kůrka
Rudolfs Majestätsbrief und die Prager Pfarreien Dieser Beitrag möchte anhand einiger Beispiele aufzeigen, welche Folgen die durch den Majestätsbrief von 1609 ausgelösten politischen, religiösen und vor allem kirchlich-administrativen Veränderungen für das religiöse Leben und die religiöse Praxis in den Prager Pfarreien hatten. Untersucht werden die Verwaltungen der Prager Pfarreien in der Zeit zwischen dem Erlass des Majestätsbriefs und dem Ausbruch des Ständeaufstandes. Im Ringen des Landtags um eine neue konfessionelle Ordnung Böhmens gehörten die Prager Städte 1609 als politische Repräsentanten des Altutraquismus zu den Verlierern.1 Ihre Niederlage betraf weniger die Legalisierung der Bekenntnisse von Lutheranern und Brüdern und nicht einmal die Tatsache, dass deren Anhänger den entscheidenden Einfluss auf das utraquistische Untere Konsistorium gewannen. Wichtig ist vielmehr, dass sich im Entstehungsprozess des Majestätsbriefs im Hinblick auf die Ständepolitik das Übergewicht des Herrenstandes und die Bedeutungslosigkeit der Städte bestätigten; diese waren bisher eng mit dem Altutraquismus verflochten gewesen und hatten seine kirchenpolitische Orientierung mit der altutraquistischen Kirchenverwaltung verbunden.2 Sieht man jedoch von den politischen Aspekten ab, handelte es sich in religiöser Hinsicht nicht um eine grundsätzliche Niederlage. Auch in den städtischen Eliten gab es Anhänger der neuen Konfessionen, die jetzt öffentlich aktiv werden konnten, während sich Anhänger des Utraquismus, die jedem Kompromiss abgeneigt waren, wohl nur in den Reihen der Geistlichkeit finden ließen. Die tiefgreifende, auf einer Vereinbarung der radikaleren Utraquisten und der Böhmischen Brüder beruhende Umgestaltung des Unteren Konsistoriums – des Zentralorgans der utraquistischen Kirchenverwaltung – stand für einen konfessionellen Umbruch, der sich wohl am deutlichsten in der Frage der Priesterordination zeigte. Während das Konsistorium früher darauf bestanden hatte, die ihm unterstellten Pfarreien nur mit Priestern zu besetzen, die in der apostolischen Sukzession 1
2
Soweit die traditionelle Ansicht der tschechischen Historiographie. Vgl. z. B. tomek, Wácslav W.: O církevní správě strany podobojí v Čechách od r. 1415 až 1622 [Über die Kirchenverwaltung der Utraquisten in Böhmen von 1415 bis 1622]. In: Časopis českého museum 22 (1848), 462– 464. – WiNter, Zikmund: Zlatá doba měst českých [Die goldene Zeit der böhmischen Städte]. Praha 1989, 142. Eine andere Ansicht vertritt jedoch daVid, Zdeněk V.: Finding the Middle Way. The Utraquists´ Liberal Challenge to Rome and Luther. WashingtonBaltimoreLondon 2003, 302–307. Er vergleicht das Verhältnis zwischen Utraquisten und Lutheranern mit der Einstellung der Böhmischen Brüder, die sich der Allianz unter Bewahrung ihrer Eigenständigkeit anschlossen; dabei betont er, dass die Utraquisten 1609 die Legalisierung der übrigen nichtkatholischen Konfessionen in dem Bewusstsein unterstützten, dass deren Verfolgung auch für den Utraquismus eine Bedrohung darstellen werde. JanáČek, Josef: Královská města česká na zemském sněmu r. 1609–1610 [Die böhmischen königlichen Städte auf dem Landtag 1609–1610]. In: Sborník historický 4 (1956), 222–251.
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Pavel Kůrka
geweiht worden waren (obwohl es sehr schwer war, eine solche Weihe zu erhalten), wurde nun die protestantische Ordination zur Norm. Alles sprach dafür, dass die Pfarreien früher oder später allein aufgrund des Generationenwechsels mit einer nicht nur protestantisch ordinierten, sondern auch protestantisch ausgebildeten Pfarrerschaft besetzt sein würden.3 In den elf Jahren, in denen der Majestätsbrief Gültigkeit besaß (1609–1620), zeigten sich allerdings noch nicht alle möglichen Folgen; der Wechsel von Menschen und Meinungen erfolgte eher im langsamen Tempo des allmählichen Generationenwandels. Völlig unbeeinflusst vom Majestätsbrief blieb die wirtschaftliche Absicherung der einzelnen Kirchen, denn hier waren die Regeln bereits durch die Entwicklung vor 1609 festgelegt worden. Wir können für den Untersuchungszeitraum wegen der großen Bandbreite von „Zwischenansichten“ zwar bei den Lutheranern und Altutraquisten nicht von eindeutig getrennten Lagern sprechen, aber es wird doch deutlich, dass es Reibungsflächen gab. Allerdings kann man nicht behaupten, dass alle Ratsherren oder sogar alle Bürger konservative Ansichten vertreten hätten. Mit den durch den Majestätsbrief legalisierten konfessionellen Strömungen sympathisierten zahlreiche Prager Bürger, die ihren Glauben frei leben konnten und in vielen Pfarreien Veränderungen veranlassten. An einigen Ereignissen, die sich nach 1609 in den Prager Pfarreien abspielten, soll verfolgt werden, wie sich der Majestätsbrief im Pfarrmilieu auswirkte. Die erste konkrete Prager Causa nach Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs, die hier analysiert werden soll, betrifft die überwiegend bekannten Ereignisse rund um die Wahl von Jiří Dikast Miřkovský zum Pfarrer an der Marienkirche vor dem Teyn. Im Sommer 1614 bot die Pfarrgemeinde dieser bedeutendsten Prager utraquistischen Kirche die genannte Position Jiří Dikast an, der damals Pfarrer zu St. Stephan in der Prager Neustadt und zugleich Mitglied, später auch Administrator des utraquistischen Konsistoriums war. Dikast stimmte zu, bedingte sich jedoch aus, dass er die Zeremonien nicht im Ornat halten oder andere Dinge tun müsse, mit denen er sich nicht identifizieren könne. Diesen Verpflichtungen sollte sein Kaplan nachkommen. Die Pfarrältesten der Teyn-Pfarrei zögerten, diese Ausnahmen zu akzeptieren. Die Verhandlungen gerieten ins Stocken und Jiří Dikast war bereit, seinen Anspruch auf diese Stelle aufzugeben; letztlich konnten sich jedoch beide Parteien einigen.4 Die Causa endete im Oktober 1614 mit der Bestätigung Dikasts durch das Untere Konsistorium, das keine weiteren Bedingungen an den neuen Pfarrer stellte.5 Dagegen ermahnte es den Priester Matěj Janda Čechtický, der zugleich als Kaplan an der Teynkirche bestätigt wurde, die Ansprüche des konservativeren Teils der Pfarrge3 4 5
rak, Jiří: Vývoj utrakvistické správní organizace v době předbělohorské [Die Entwicklung der utraquistischen Verwaltungsorganisation in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg]. In: Sborník archivních prací 31 (1981), 197–205. teige, Josef: Základy starého místopisu pražského [Grundzüge der alten Prager Topographie]. 2 Bde. Praha 1905–1915, hier Bd. 1, 517 f. Národní archiv Praha (Nationalarchiv Prag), Archiv pražského arcibiskupství (Archiv des Prager Erzbistums), I B 3/2, Kopiář konzistoře pod obojí (1614–1619) (Kopialbuch des utraquistischen Konsistoriums [1614–1619]), fol. 29v–30r.
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meinde an Ornate und andere Zeremonien zu befriedigen: „[…] seine Zuhörer nach dem Wort Gottes und der Böhmischen Konfession zu unterrichten und sich in frommer und vorbildhafter Lebensweise nach den uns von Ihren Gnaden, denn Herren Ständen, erlassenen Kirchenordnungen zu richten und sich ihnen unterzuordnen“.6 In diesem Zusammenhang soll nicht nur auf die Abfolge der Ereignisse, sondern auch auf einige überraschende Tatsachen hingewiesen werden, die in den Quellen unerwähnt bleiben. Zunächst fällt auf, dass der Altstädtische Rat anscheinend überhaupt nicht in den Verlauf der Wahl und der anschließenden Verhandlungen eingegriffen hatte. Dies lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass er volles Vertrauen in die Pfarrältesten besaß, deren Gremium sich aus führenden Bürgern der Altstadt – Ratsmitglieder eingeschlossen – zusammensetzte. Auch die Kirchenpfleger wurden zu dieser Zeit vom Stadtrat eingesetzt und kontrolliert.7 Trotzdem ist das Schweigen der Ratsherren in einer Situation, in der indirekt über die konfessionelle Ausrichtung der bedeutendsten Kirche in der Stadt entschieden wurde, zumindest überraschend. Des Weiteren beschwerte sich anscheinend niemand darüber, dass Jiří Dikast keine Weihe durch einen Bischof in apostolischer Sukzession erhalten hatte, sondern in Wittenberg lutherisch ordiniert worden war. Dies zeigt, dass die Gemeindemitglieder und die Vertreter der Stadt bereit waren, sich mit einer pragmatischen, auf der Reform des Unteren Konsistoriums und der allgemeinen Toleranz der protestantischen Pfarrerordination basierenden Lösung abzufinden – eventuell spielte dabei aber auch der Mangel an geeigneten Kandidaten, die in apostolischer Sukzession geweiht worden waren, eine Rolle. Dagegen hatten die Altstädter größtenteils nicht vor, auf die altutraquistischen Traditionen und das, was sie als Wesen des Utraquismus ansahen, zu verzichten, selbst wenn dies im Widerspruch zu der nun auch für sie geltenden Confessio Bohemica stehen mochte. Es lässt sich beobachten, dass für den durchschnittlichen Gläubigen nicht die Weihe in apostolischer Sukzession, sondern die Frage der liturgischen Gewänder wichtig war. Sie betraf nämlich die liturgische Alltagspraxis und verdeutlichte das Gesetz lex orandi, lex credendi.8 Die Wahl von Jiří Dikast können wir auch als eine Folge der Altstädter Loyalität gegenüber dem neu organisierten Konsistorium, der Ständemehrheit und der neuen Entwicklung des Utraquismus interpretieren. Stadt und Pfarrei erkannten indirekt die Gültigkeit der Confessio Bohemica an, da das Konsistorium deren Einhaltung auch – vermutlich im Interesse der Einheit unter den böhmischen evangelischen Ständen – von Kaplan Čechtický verlangte. Außerdem knüpfte man an die über zweihundertjährige Tradition an, die Mitgliedern des Unteren Konsistoriums Pfarrpfründe an den bedeutendsten Prager Kirchen erlaubte. Mit der Pfarrpfründe 6 7 8
Ebd., fol. 30r. kůrka, Pavel: Kostelníci, úředníci, měšťané. Samospráva farnosti v utrakvismu [Kirchendiener, Beamte, Bürger. Die Selbstverwaltung der Pfarreien im Utraquismus]. Praha 2010, 96– 101. Vgl. Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 6. Freiburg u. a. 1997, Sp. 871–872; zur Verwendung der Ornate WiNter, Zikmud: Život církevní v Čechách [Das kirchliche Leben in Böhmen]. Bd. 2. Praha 1896, 847.
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Pavel Kůrka
an der Marienkirche vor dem Teyn wurde Dikast nicht nur eine sehr gute materielle Absicherung geboten, sondern auch eine Kanzel von hohem Renommee mit der Möglichkeit, die städtischen Eliten zu beeinflussen. Jiří Dikast bewies im Gegenzug ein nicht selbstverständliches Maß an Toleranz, da er bereit war, in seiner Pfarrei alte Zeremonien zu dulden, die er persönlich ablehnte. Der zweite Ort, an dem einige Folgen des Majestätsbriefs im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Stadt und Kirchenverwaltung aufgezeigt werden können, ist die Bethlehemskapelle. Ihre Besonderheit ergab sich nicht nur aus der Rolle am Beginn der böhmischen Reformation, sondern auch aus dem Patronatsrecht, das sich die Prager Universität mit der Altstadt teilte. Der Streit zwischen Universität und Stadt um die Kapelle und die Möglichkeit, Pfarrer und Beamte einzusetzen, war Mitte des 16. Jahrhunderts ausgebrochen und erst 1606 durch ein Abkommen beendet worden. Während es der Universität im Verlauf des Konflikts gelungen war, die Besetzung der Predigerstelle an der Kapelle zu kontrollieren oder zumindest von der Stadt favorisierte Persönlichkeiten zu verhindern, behielt die Stadt die Kontrolle über den Besitz der Kapelle; der Kompromiss von 1606 garantierte beiden Parteien eine Mitbeteiligung sowohl bei der Bestellung des Pfarrers als auch bei der Ernennung der Kirchenpfleger.9 1612 änderte sich die Verwaltung erneut, als die Universität diese Kapelle der Brüderunität überließ – der Unitätssenior Matěj Cyrus wirkte allerdings schon seit 1609 an der Kapelle.10 Dieses Ereignis hing mit der allgemeinen politischen und religiösen Entwicklung in Böhmen zusammen. Die Eingliederung der Brüderunität in die vereinigte Kirche ermöglichte ihr zu agieren, die vorhandenen Infrastrukturen zu nutzen und für einen breiteren Interessentenkreis als bisher zu predigen. So konnte die Unität auch an die Universität vordringen. Zugleich musste sie jedoch eine Niederlage im Bildungswesen hinnehmen.11 Auch in diesem Fall zeigten sich die Korporationen der Altstadt eher passiv. Dabei hatten sie in den Jahrzehnten zuvor viel Energie in den zähen Streit zwischen Universität und Stadt über das Patronatsrecht in der Bethlehemskapelle investiert und waren darin als die aktivere Partei erschienen, der es vor allem um den Erhalt der Gottesdienste in der Kapelle und um die Bewahrung der Dienstleistungen für die Bewohner der Nachbarschaft ging. Es waren auch die Vertreter der Altstadt gewesen, die kurz nach dem Erlass des Majestätsbriefs aktiv die Berufung von Matěj Cyrus an die Kapelle unterstützt hatten, womit sie jenem Teil der Bürgerschaft entgegenkam, der sich in Prag eine Vertretung der Brüderunität wünschte. Mit Cyrus erhielt wiederum ein Konsistoriumsmitglied eine Prager Pfründe von hohem Prestige. Danach trat der Stadtrat jedoch in den Hintergrund. Er nahm an den Verhandlungen über die Übergabe der Kapelle im Jahr 1612 nicht teil und griff auch später nicht in deren Alltagsbetrieb ein. Probleme im Zusammenhang mit der 9 10
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teige (wie Anm. 4), Bd. 2, 849 f., Nr. 208. – kůrka (wie Anm.7), 91–95. Den Überlassungsvertrag der Kapelle von 1612 publizierte und analysierte unlängst sVatoŠ, Michal: Smlouva o užívání Betlémské kaple z r. 1612 [Der Vertrag über die Nutzung der Bethlehemkapelle von 1612]. In: Mezi Baltem a Uhrami. Hg. v. Lenka řezníková und Vladimír urBáNek. Praha 2006, 209–222. Ebd., 215.
Rudolfs Majestätsbrief und die Prager Pfarreien
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Tatsache, dass die Bethlehemskapelle die Rechte einer Pfarrkirche besaß, gestand der Stadtrat sich nicht ein. Nur die Wahl von Cyrus’ Nachfolgern an der Kapelle wurde von denselben Eingriffen durch die Stadt begleitet wie in den Jahren zuvor – allerdings spielten sich diese Konflikte eher auf persönlicher Ebene ab, denn die Ratsherren bekundeten keine Absicht, den Böhmischen Brüdern die Kapelle zu entziehen. Diese mangelnde Aktivität war aber wohl kein Ausdruck der Resignation vor dem Altutraquismus und seinen Anhängern. Eher kam die Altstadt der Unität entgegen und arrangierte sich mit der Multikonfessionalität, ähnlich wie es die Stände auf Landesebene taten. Ein weiterer Fall, den wir hier betrachten wollen, betrifft die Koexistenz von zwei Glaubensgemeinschaften in einer Kirche. Noch im Verlauf des Jahres 1609 bildete sich eine Gemeinde deutschsprachiger evangelischer Prager und bat den Bürgermeister und die Ratsherren der Altstadt um Nutzung der St.-Leonhard-Kirche oder der benachbarten Kirche Maria an der Lake zu den Zeiten, in denen dort keine tschechischen Gottesdienste stattfänden. Dabei zeigten sich die deutschen Protestanten auch gewillt, sich an den Kosten für die Renovierungsarbeiten in diesen Kirchen zu beteiligen, die sich beide in schlechtem baulichem Zustand befanden. Das Gesuch löste bei den Gemeindemitgliedern der beiden Kirchen sehr reservierte Reaktionen aus.12 Die deutschen Protestanten gingen auf die Forderung der Pfarrei der Kirche Maria an der Lake ein und überließen die Hälfte der Kollektengelder aus ihren Gottesdiensten für Unterhalt und Reparatur der Kirche. Dies war jedoch nicht die einzige Einschränkung, mit der sich die deutschen Gläubigen abfinden mussten. Aus ihren Beschwerden an den Stadtrat geht hervor, dass weitere finanzielle Forderungen an sie gestellt wurden, man ihren Zutritt zur Kirche einschränkte und es zunehmend zu Konflikten kam. Die tschechischen Gemeindemitglieder hingegen ließen sich selbst von den Defensoren, an die sie sich gewendet hatten, nicht überzeugen, sondern beschwerten sich vielmehr, dass die Lutheraner ihnen die versprochene Hälfte ihres Sammlungserlöses vorenthalten würden.13 In den genannten Kirchen fanden nicht etwa jeden Sonntag Gottesdienste statt, denn die Gemeinden hatten es zuvor abgelehnt, einen eigenen Pfarrer zu unterhalten, und sich mit der zeitweiligen Aushilfe eines Geistlichen aus einer fremden Pfarrei zufriedengegeben. Als sie jedoch den Verlust der eigenen Kirche befürchteten, bemühten sich die tschechischen Gläubigen mit Nachdruck – letztlich aber erfolglos – um einen eigenen Pfarrer, um so die Aktivitäten der deutschen Protestanten zu beschränken. Die deutsche Gemeinde begann daher bald mit dem Bau ihrer eigenen Kirche, der Salvatorkirche, um nach deren Vollendung (1614) von den Beschränkungen durch ihre Prager Nachbarn unabhängig zu sein.14 Den Bau der Kirche begleiteten 12 13 14
teige (wie Anm. 4), Bd. 2, 51 f. Ebd., 52–54. HreJsa, Ferdinand: U Salvatora. Z dějin evangelické církve v Praze (1609–1632) [Zum Salvator. Aus der Geschichte der evangelischen Kirche in Prag (1609–1632)]. Praha 1930, 17–21, 40–45.
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Pavel Kůrka
verschiedene Konflikte mit den Eigentümern der benachbarten Gebäude sowie mit Handwerkern um die Bezahlung durchgeführter Arbeiten.15 Das Verhältnis zwischen der Prager Stadtbevölkerung und der Gemeinde der deutschen Lutheraner war eher durch ethnische als konfessionelle Momente bestimmt. Die Salvatorkirche taucht in den Quellen städtischer Provenienz sowie in anderen zeitgenössischen tschechischsprachigen Nachrichten zumeist als „Deutsche Kirche (Německý kostel)“ auf.16 Im Unterschied zu den vorherigen Fällen, in denen wir den Stadtrat in der Rolle des handelnden Akteurs sahen, waren hier die Einwohner selbst Träger der negativen Stimmungen, während sich der Stadtrat eine solche Konfrontation im Hinblick auf die politischen Beziehungen nicht erlaubt hätte. Aus Sicht der Prager Bewohner handelte es sich hierbei um einen Konflikt von zwei gesellschaftlichen Gruppen, die sich nicht nur durch Konfession und Sprache, sondern auch durch die soziale Stellung unterschieden: Kleine Handwerker stießen mit Angehörigen der Eliten zusammen, die keine gemeinsamen Interessen hatten und sich kaum miteinander verständigen konnten. Die gemeinsame Nutzung einer Kirche löste – obwohl nur für kurze Zeit – zahlreiche Streitigkeiten aus. Auch die neu gebaute Salvatorkirche und die Gemeinde, die sich in ihr versammelte, stellten im Leben der Stadt einen Fremdkörper dar, der Verbindungen zu den höchsten gesellschaftlichen Schichten, nicht aber zu den einfachen Bürgern hatte. Abschließend sei gefragt, was die drei geschilderten und in vielerlei Hinsicht spezifischen Fälle gemeinsam hatten. Aus der Entwicklung der erwähnten Pfarreien nach 1609 lassen sich einige Schlussfolgerungen ableiten. Der Majestätsbrief beeinflusste das Funktionieren der Pfarreien nicht grundsätzlich. Die Pfarrei als unterste Ebene der utraquistischen Kirchenverwaltung existierte ohne Rücksicht auf die gravierenden Veränderungen auf der höchsten Ebene weiter. Selbst die konfessionellen Veränderungen, die sich in Folge des Majestätsbriefs auch auf der Pfarrebene auswirken sollten, schlugen sich nicht unmittelbar auf die Verwaltung der Pfarreien nieder. Die Gemeinden der Böhmischen Brüder und der Lutheraner, deren Existenz bisher nicht rechtlich abgesichert war, gliederten sich nun in die bestehenden kirchlichen Strukturen ein. Allerdings existierten sie nicht als normale Pfarreien, sondern sie waren in gewisser Weise Teil einer Parallelstruktur. In den traditionellen utraquistischen Pfarreien, beispielsweise der Gemeinde der Marienkirche vor dem Teyn, zeigte sich, dass die mit dem Majestätsbrief verbundenen Neuerungen eher langsam umgesetzt wurden – häufig erst nach einem Personalwechsel. Die politische Repräsentation der königlichen Städte bemühte sich in der Zeit nach dem Erlass des Majestätsbriefs, mit den neuen Verhältnissen konform zu gehen und den Forderungen des reorganisierten Konsistoriums sowie der evangelischen Stände entgegenzukommen. Auf diese Weise entfernte sie sich vom konservativen Utraquismus, mit dem sie in den vorherigen Jahrzehnten eng verflochten gewesen war.
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teige (wie Anm. 4), Bd. 1, 372, Nr. 2; 376, Nr. 8–10. Ebd.
Wulf Wäntig
Politische Rhetorik, religiöse Praxis, konfessionelle Identität – der Majestätsbrief in seinen Wirkungen an der Peripherie des Königreichs Böhmen Wer im Sommer 1611 nach einer Abwesenheit von fünf, zehn oder zwanzig Jahren in die ehemalige Bergstadt St. Georgenthal (Jiřetín pod Jedlovou), 20 Kilometer westlich von Zittau im Böhmischen Niederland (České Nizozemí) gelegen, zurückkehrte, dem dürfte eine einschneidende Veränderung ins Auge gesprungen sein: Anstelle der Bauruine am Marktplatz, dem heutigen Náměstí Jiřího, stand eine schmucke, zunächst turmlose Renaissance-Kirche – statt baumbewachsener Mauern ein vollständig eingerichtetes Gotteshaus, das das Zentrum der Stadt dominierte.1 Dass der Bau der Kirche, ursprünglich kurz nach 1587 begonnen, rasch zum Erliegen gekommen war, ist auf das Ende des Bergbaus in den 1590er Jahren zurückzuführen.2 Auch die raschen Besitzerwechsel auf der Grundherrschaft Tollenstein-Rumburg (Tolštejn-Rumburk) in dieser Zeit spielten eine Rolle.3 Dass der Bau schließlich nach 20 Jahren wieder aufgenommen wurde, scheint auf den ersten Blick in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Majestätsbrief Rudolfs II. zu stehen.4 Am 9. Juli 1609 wurde der Majestätsbrief unterzeichnet; um diese Zeit beschloss auch der Besitzer der Herrschaft Rumburg, Radslaw Wchinsky von Wchynitz, die Fortsetzung des Kirchenbaus.5 Und doch erklärt der Majestätsbrief den Bau und die Bedeutung, die die neue Kirche hatte, nur zum Teil. Ein ebensolcher Anteil an der Bauentscheidung, dem Verlauf der Arbeiten sowie am Schicksal der Kirche in den kommenden Jahrzehnten kam den besonderen Gegebenheiten des Grenzraums zwischen Böhmen, der Oberlausitz und Sachsen zu: zum einen den Bedingungen, unter denen sich Alltag und konfessionelle Entwicklung in dieser Region im 16. und frühen 17. Jahrhundert gestalteten, und zum anderen der Tatsache, dass sich dieser äußerste Rand des Königreichs wie auch des Kurfürstentums 1
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Zur Stadtgeschichte vgl. Státní okresní archiv Děčín (Staatliches Regionalarchiv Tetschen), Archiv města Jiřetín (Stadtarchiv Georgenthal) [im Folgenden: SOA Děčín, AM Jiřetín], Inv. Nr. 41. – küHN, Jiří: Jiřetín pod Jedlovou [St. Georgenthal]. In: http://www.luzickehory.cz/ mista/index.php?pg=objired (Zugriff: 31.08.2010). Ebd. kNotHe, Hermann: Geschichte des Schleinitzer Ländchens. In: Neues Lausitzisches Magazin 39 (1862), 401–417. – WolkaN, Rudolf: Studien zur Reformationsgeschichte Nordböhmens. Tl. 5. Wien-Prag 1884. Grundlegend zur Vorgeschichte BaHlCke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3), 343–360, 382–400. SOA Děčín, AM Jiřetín, Inv.Nr. 40, p. 41 f.
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Wulf Wäntig
mit den jeweiligen Zentren in Prag, Wien und Dresden in ein sehr spezifische Gegenüber gestellt sah.6 Beide Perspektiven, das Leben im Grenzraum und der Blick auf das jeweilige Machtzentrum, bestimmten den Umgang der Menschen vor Ort mit den Herausforderungen des Alltags, die in unterschiedlichem Maße auch die konfessionelle Zuordnung einschlossen. Dabei war für die böhmischen Untertanen in den Dörfern des Grenzraums das unmittelbar benachbarte Zittau bestimmender als das ferne Prag. Für die gebildeten Schichten der Grenzgesellschaften war zur gleichen Zeit selbstverständlich, dass neben dem Sitz der eigenen Grundherrschaft nicht nur Prag oder Leitmeritz (Litoměřice) (mit dem Kreisamt), sondern ebenso Bautzen (Budyšín) (als Hauptort der Oberlausitz) oder Dresden für den Gang des eigenen Lebens von Bedeutung waren.7 Beide Perspektiven bestanden im Alltag nebeneinander. Sie beeinflussten einander, ohne sich im Normalfall notwendig zu berühren. Lediglich dann, wenn Entscheidungen der Zentralen direkt in das Leben im Grenzraum eingriffen, kam es zur Synthese aus beiden Sichtweisen und den aus ihnen resultierenden Weltdeutungen. Dies sollte wenige Jahre nach der Einweihung der Georgenthaler Kirche der Fall sein, als mit der in Prag und Wien dekretierten Rekatholisierung eine konfessionelle Herausforderung in die Welt an der Grenze hineingetragen wurde, in der sich aus dem Blick auf die Politik der Zentralen Handlungsstrategien vor Ort entwickelten. Auf deren Ausgestaltung, das heißt auf den Umgang der protestantischen Bewohner mit der Rekatholisierung, soll hier nicht eingegangen werden.8 Im Folgenden ist vielmehr zu fragen, inwiefern auch der Majestätsbrief von 1609 eine solche zentrale Entscheidung darstellt, die den Deutungshorizont der Menschen an der Grenze vereinnahmte und ihrer eigenen, lokal geprägten Weltsicht eine von außen diktierte Komponente hinzufügte. In Hinblick auf die Bedeutung, die der Majestätsbrief für die Entwicklung in Böhmen und Mitteleuropa hatte, hat sich in den letzten Jahren ein zunehmend vielfältiges Forschungsfeld eröffnet, wie nicht zuletzt der vorliegende Band erweist. Der Einfluss des Majestätsbriefes auf das Verhältnis der Konfessionsparteien im Königreich Böhmen, und damit seine Bedeutung auf der Makroebene der Entwicklung, kann an dieser Stelle als gut ausgeleuchtet gelten. Dies betrifft die politischen Deutungen ebenso wie den religiösen Aspekt: Für die protestantischen Zeitgenossen stand in dieser Hinsicht die Wahrnehmung im Vordergrund, wonach hier ein Meilenstein für den Aufbruch zu institutioneller Entfaltung der eigenen Konfessionen gesetzt worden sei.9 Auf der gleichen Ebene deuteten ihn die Katholiken als Auslöser weiterer konfessioneller Zerfaserung des Königreichs und einer dauerhaften Zementierung dieses Zustandes.10 Entfaltung oder Zerfaserung: Beide Vorgänge setzen einen Blick auf ein Ganzes voraus, auf das Königreich Böhmen als 6 7 8 9 10
WäNtig, Wulf: Grenzerfahrungen. Böhmische Exulanten im 17. Jahrhundert. Konstanz 2007; zu den theoretischen Überlegungen in Bezug auf dieses Gegenüber bes. ebd., 37–39. Ebd., 235–281, 496–581. Ebd., 248–281. In Übernahme der zeitgenössischen Publizistik PesCHeCk, Christian Adolph: Geschichte der Gegenreformation in Böhmen. Bd.1: Vorgeschichte bis 1621. Dresden-Leipzig 1844, 122–145. Vgl. entsprechend sCHleNz, Johann Ev.: Geschichte des Bistums und der Diözese Leitmeritz. Bd. 1. Warnsdorf 1912, 6 f.
Politische Rhetorik, religiöse Praxis, konfessionelle Identität
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Betrachtungsrahmen – dies definiert die Beschäftigung mit dem Majestätsbrief als Teil der Makrogeschichte. Und doch erwächst diesem Dokument Bedeutung gerade auf der Mikroebene, dort, wo die von ihm angeregten Kirchen gebaut und die freie Religionszuordnung praktiziert wurden. An dieser Stelle entscheidet sich im Eigentlichen, welche Tragweite der Majestätsbrief als solcher hatte, und in welchem Verhältnis Ereignis, Deutung und Folgen tatsächlich zueinander standen. Nicht zuletzt wird so die Auseinandersetzung mit dem Majestätsbrief aus der Perspektive des Grenzraums zu einem Exempel für die Position der Mikrohistorie im historischen Prozess.11 Am 31. Oktober 1611 wurde die neue Kirche in St. Georgenthal feierlich geweiht. Sie sollte ihre materielle und personelle Ausstattung dadurch erhalten, dass die bis dahin bestehende Pfarrei im benachbarten Dörfchen Niedergrund (Dolní Podluží) hierher, in die Stadt transferiert wurde.12 Daher war es der langjährige Niedergrunder Pfarrer Joachim Schönfelder, der die Einweihungspredigt hielt:13 ein Mann, der in besonderem Maße mit den Gegebenheiten der Region verflochten war. Ausgebildet in Sachsen, hatte er erste Erfahrungen auf Pfarrstellen in Rumburg und Zittau gesammelt, bevor er um die Jahrhundertwende ins Böhmische Niederland auf die Herrschaft Rumburg gekommen war.14 Seine Predigt erwuchs also einerseits aus dem regionalen Kontext an Erfahrungen und Deutungen, in den er gestellt war. Andererseits war Schönfelder über verschiedene Kanäle Teil eines überregionalen Netzwerks, das die Basis für die eben zitierten übergeordneten Deutungen bildete, nach denen in Böhmen ein Kampf der Konfessionen tobte, der – von lokalen Gegebenheiten losgelöst – das Schicksal des Königreichs in geistlicher und weltlicher Sicht bedrohte. Man könnte sagen: Pfarrer Schönfelder markierte in persona einen Schnittpunkt zwischen Makro- und Mikrogeschichte. Dass er seine Predigt in einem zentralen Aspekt auf die Erteilung des Majestätsbriefes aufbaute, lässt den Moment der Kircheneinweihung zum Vergrößerungsglas werden, unter dem die Bedeutung des Majestätsbriefes in der Perspektive des Grenzraums zu sehen ist.15 11
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Grundsätzlich zu dieser Position nach wie vor die Beiträge in: Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie. Hg. v. Winfried sCHulze. Göttingen 1994; dazu grundlegend giNzBurg, Carlo: Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß. In: Historische Anthropologie 1 (1993), 169–192. – leVi, Giovanni: On Microhistory. In: New Perspectives on Historical Writing. Hg. v. Peter Burke. Cambridge 1991, 93–113. – reVel, Jacques: L’histoire au ras du sol. In: Le pouvoir au village. La carrière d’un exorciste dans le Piémont du XVIIe siècle. Hg. v. Giovanni leVi. Paris 1989, 1–33. – mediCk, Hans: Mikro-Historie als Historikererfahrung und als Geschichtsarbeit. Rede zur Verleihung des RenéKuczynskiPreises 1997. In: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 14/1 (1999), 190–200. Zu diesem Vorgang: SOA Děčín, AM Jiřetín, Inv.Nr. 41, p. 60–62. – Sächsisches StaatsFilialarchiv Bautzen, Oberamt des Markgraftums Oberlausitz, Nr. 4278, fol. 116–119. Zum Folgenden SOA Děčín, AM Jiřetín, Inv.Nr. 40, p. 41 f. laHmer, Robert: Gedenkbuch der Stadt Schönlinde. Böhmisch Leipa 1900, 84. – Evangelisches Pfarramt Seifhennersdorf, Kirchenbuch, Bd. 1, Taufeintrag zu 1632. Zum Bild des Vergrößerungsglases oder aber Mikroskops als zentraler Ansatz zum Beitrag der Mikrogeschichte zur historischen Erkenntnis leVi, Giovanni: The Origins of the Modern State and the Microhistorical Perspective. In: Mikrogeschichte – Makrogeschichte: komplementär
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Pfarrer Joachim Schönfelder legte den Text seiner Einweihungspredigt in einer Parallelführung von zwei aufwärts weisenden Entwicklungen an, deren Analogie seiner Darstellung zufolge im Symbol des Georgenthaler Kirchenbaus sinnfällig werde. Da sei auf der einen Seite ein seit wenigen Jahren in der Umgebung und der Stadt aufblühendes Gewerbe zu beobachten, das der Phase des Dahinsiechens als unvollendete Bergbaustadt in einer Region spärlicher Landwirtschaft ein Ende bereitet habe: die Leinenweberei.16 Von Zittau aus vorangetrieben, hatte dieser Wirtschaftszweig tatsächlich in den beiden Jahrzehnten um die Jahrhundertwende eine wahrnehmbare Ausdehnung erfahren – Handelshäuser aus Oberdeutschland, den Niederlanden und Hamburg hatten die Oberlausitz und das nördliche Böhmen als Produktionsstätte für Garne und Leinwand im Verlagssystem entdeckt; sie hatten ein zunehmend engmaschiges Netz von Leinwandfaktoren auszubauen begonnen, das auf dem Weg über Zittau und die Elblinie an den entstehenden Weltmarkt angebunden wurde.17 Der aus diesem Vordringen in den Grenzraum entstandenen Dynamik für Wirtschaft und Gesellschaft schrieb Pfarrer Schönfelder eine Aufbruchstimmung zu, die er als über die Maßen positiv und allgemein in der Region wahrnehmbar herausstellte. Und diese Aufbruchstimmung hatte eine seiner Meinung nach augenfällige Parallele: In genau dem Augenblick, in dem sich die Wende im Wirtschaftlichen und damit Weltlichen gezeigt habe, kündigte der Majestätsbrief eine ebensolche Wende im Geistlichen an. Unter seinem Vorzeichen sei der Georgenthaler Kirchenbau zu verstehen, aufgrund seiner Weichenstellung ein Aufblühen protestantischer Frömmigkeit zu beobachten, in seinem Licht auch ein Phänomen zu deuten, das sich gerade im Umfeld des Kirchenbaus gezeigt habe: das Wirksamwerden grenzüberschreitender evangelischer Solidarität. Zahllose Spenden, die den Bau gestützt und seine Umsetzung in diesem Umfang erst ermöglicht hatten, stammten aus sächsischen und oberlausitzischen Städten, allen voran aus dem wohlhabenden Zittau, dessen vornehmste Bürger besonderen Anteil an der Finanzierung hatten.18 Schönfelder zeichnete das Bild eines protestantischen Kosmos gegenseitiger Solidarität, und dieser Kosmos galt dem Pfarrer gleichzeitig als
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oder inkommensurabel? Hg. v. Jürgen sCHlumBoHm. Göttingen 1998 (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 7), 53–82, hier 55. Zur Bedeutung dieses Wirtschaftszweiges in der Region CermaN, Markus: Protoindustrialisierung und Grundherrschaft. Sozialstruktur, Feudalherrschaft und Textilgewerbe in Nordböhmen (15. bis 17. Jahrhundert). In: Protoindustrie in der Region. Europäische Gewerbelandschaften vom 16. bis 19. Jahrhundert. Hg. v. Dietrich eBeliNg und Wolfgang mager. Bielefeld 1997 (Studien zur Regionalgeschichte 9), 157–198. – ders.: Soziale Differenzierung, proto-industrielle Entwicklung und Gutsherrschaft in Frýdlant und Liberec, 16.–18. Jahrhundert. In: Soziale Strukturen in Böhmen. Ein regionaler Vergleich von Wirtschaft und Gesellschaft in Gutsherrschaften, 16.‒19. Jahrhundert. Hg. v. dems. und Hermann zeitlHofer. Wien-München 2002 (Sozial- und wirtschaftshistorische Studien 28), 174–191. – auBiN, Gustav: Aus der Entstehungsgeschichte der nordböhmischen Textilindustrie. In: Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 1 (1937), 353–377. – ders.: Zur Geschichte des Verlagssystems in der Periode des Frühkapitalismus. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 127 (1927), 336–342. auBiN, Gustav/kuNze, Arno: Leinenerzeugung und Leinenabsatz im östlichen Mitteldeutschland zur Zeit der Zunftkäufe. Stuttgart 1940. – kuNze, Arno: Zittaus Weg in die Welt. Festschrift zur 700-Jahrfeier der Stadt Zittau. Zittau 1955. SOA Děčín, AM Jiřetín, Inv.Nr. 40, p. 41.
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Frucht aus der Erteilung des Majestätsbriefes und, weil durch dieses Dokument königlicher Weitsicht getragen, als nachhaltige Option auf die Zukunft. Dabei werden schon aus der Tatsache, dass und unter welchen Bedingungen das Einweihungsfest stattfand, Widersprüche zur Lesart Schönfelders und mit ihm der in konfessionellem Kampf engagierten zeitgenössischen Welt deutlich. Zunächst bedeutete der Majestätsbrief hier, an der Grenze seines Geltungsbereichs, mitnichten den Auftakt für die Entstehung eines offen als evangelisch gekennzeichneten Gemeindelebens. Ein solches war vielmehr seit Jahrzehnten gewachsen. Joachim Schönfelder war lange vor 1609 lutherischer Pfarrer im Grenzraum gewesen, und er stand nicht allein. Auf den zehn Pfarrstellen, die auf den drei Grundherrschaften des Böhmischen Niederlands bestanden, hatten seit spätestens 1560 durchgängig evangelische Pfarrer amtiert.19 Von diesen wiesen über 80 % Karrieren auf, die sie wechselweise auf sächsische, oberlausitzische oder böhmische Pfarrstellen des Grenzraums gebracht hatten.20 Die Anbindung an die lutherische Kirchenorganisation des Nachbarlandes beschränkte sich dabei mitnichten auf die Pfarrerausbildung und den Pfarreraustausch, das heißt auf informell-personelle Kontinuitäten: Auf der östlich benachbarten Herrschaft Friedland-Seidenberg hatte der Herrschaftsbesitzer, Melchior von Redern, schon 1588 die Organisation seiner Pfarrstellen vollständig am sächsischen Beispiel ausgerichtet, mit entsprechender Gottesdienstordnung, hierarchischer Verantwortlichkeit seiner Pfarrer im Geistlichen und Weltlichen und einem Superintendenten sächsischen Musters an der Spitze.21 Des Weiteren wurde auch der Bau der neuen Kirche in Georgenthal, wie bereits erwähnt, nicht erst durch den Majestätsbrief angestoßen. Die Idee, am Georgenthaler Markt, keine drei Kilometer von der bestehenden Kirche in Niedergrund entfernt, einen sakralen Neubau zu beginnen, stammte vielmehr aus der Phase einer Expansion des erst 1554 gegründeten Bergbaustädtchens und ist als Teil der Siedlungs- bzw. Stadtgründungspolitik des damaligen Herrschaftsbesitzers, Georg von Schleinitz, zu sehen.22 Dieser war dezidiert katholisch, verfolgte aber die kirchliche Versorgung als Voraussetzung für den Erfolg seiner Gründung ungeachtet dessen, dass diese unter protestantischem Vorzeichen zu verlaufen hatte.23 Dass der Bau dann zum Erliegen kam, lag umgekehrt ebenso wenig an einem Rückgang evangelischer Frömmigkeit, sondern am Niedergang des Bergbaus auf der Herrschaft.24 Insgesamt lässt sich für diesen Teil des Grenzraums weder in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild protestantischen Kirchenlebens noch auf dessen Institutionen und Bauten eine initiatorische Bedeutung des Majestätsbriefes ableiten. Auch Pfarrer Schönfelders Darstellung, wonach sich in Folge des Majestätsbriefes eine weitreichende Solidarität aller Protestanten entwickelt habe, stellt eine 19 20 21 22 23 24
WäNtig (wie Anm. 6), 639. Ebd., 263 f. meNde, Friedrich Wilhelm Ernst: Chronik der Standesherrschaft, Stadt und Kirchengemeinde Seidenberg, mit Bezugnahme auf die Herrschaft Friedland. Görlitz 1857, 100, XXV (Beilage Nr. 14). kNotHe (wie Anm. 3), 409 f. WäNtig (wie Anm. 6), 284 f. Vgl. Anm. 2.
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aus seiner Sicht zweckmäßige, aber im Grunde wahrheitswidrige Verkürzung der Umstände dar. Untersucht man Netzwerke im böhmisch-sächsischen Grenzraum des 17. Jahrhunderts, stellt sich heraus, dass die Spendensolidarität, die den Georgenthaler Kirchenbau unterstützte, nicht in erster Linie mit rein konfessionellen Beweggründen zu erklären ist. Vielmehr zeigt sich, dass die Region von einem Netz verwandtschaftlicher Verbundenheit überzogen war, auch grenzüberschreitend.25 Neben den Heiratsverbindungen sind in dieser Hinsicht besonders Patenschaften interessant, die die Beziehungen der Beteiligten einmalig, sozusagen beiläufig und damit alltagsbezogen beleuchten. So zeigt etwa die Auswertung der bis an die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert zurückreichenden Kirchenbücher des oberlausitzischen Seifhennersdorf und des böhmischen Warnsdorf (Varnsdorf) Taufen bäuerlicher und unterbäuerlicher Einwohner beider Seiten, zu denen Bewohner der jeweils umliegenden Orte jenseits der Grenze geladen waren.26 Für die dörflichen und städtischen Oberschichten dagegen lassen sich zusätzlich Taufen nachweisen, die Vertreter der weltlichen Obrigkeit, der Geistlichkeit und der lokalen Wirtschaft zu gemeinsamer Patenschaft zusammenführten: So standen etwa bei den sieben Kindern des Warnsdorfer Dorfrichters ebenso die Schulmeister der lausitzischen und böhmischen Nachbarschaft Pate wie der Seifhennersdorfer Pfarrer, mehrere Zittauer Leinwandverleger, der Hauptmann der Herrschaft Rumburg und die Frau des Richters im zittauischen Großschönau.27 Auch Pfarrer Joachim Schönfelder war in diese Kreise eingebunden. Es war die hier versammelte grenzüberschreitende bessere Gesellschaft, die sich nicht zuletzt in Bezug auf das gemeinsame kirchliche Leben engagierte. So kamen die Beteiligten wenige Jahre später gemeinsam – und unverändert grenzüberschreitend – für die Anschaffung eines neuen Taufsteins in Großschönau, also auf oberlausitzischer Seite, auf.28 In der Perspektive auf den Grenzraum liegt dabei die Analogie zwischen diesem Taufsteinerwerb und den Spenden für die Georgenthaler Kirche näher als die Annahme, hier habe der kurz zuvor verkündete Majestätsbrief eine lange verhinderte protestantische Solidarität neu entfalten lassen. Ähnlich unscharf gegenüber der Lesart, die Pfarrer Schönfelder in seiner Georgenthaler Einweihungspredigt vorsah, stellt sich nicht zuletzt die Diagnose konfessioneller Selbstzuordnung in der Region dar. Während Schönfelder den Umstand feierte, dass mit dem Majestätsbrief die dezidiert evangelische Frömmigkeit in der Region aufgeblüht sei, lässt sich die tatsächliche religiöse Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner weit weniger den Erfordernissen des Konfessionalisierungsparadig25 26 27 28
WäNtig (wie Anm. 6), 350–394. Ebd., 270–282. – Generell zu diesen Verwandtschafts- und Sozialbeziehungen WäNtig, Wulf: Zusatzmaterial zu ders. (wie Anm. 6). In: http://www.exulanten.de (Zugriff: 31.08.2010). WäNtig (wie Anm. 6), 226 f. Vgl. hierzu WäNtig, Wulf: Der Taufbrunnen jenseits der Grenze. Alltagserfahrung, kirchliche Praxis und religiöse Flucht im böhmisch-sächsisch-oberlausitzischen Grenzraum des 17. Jahrhunderts. In: Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive. Hg. v. Joachim BaHlCke und Rainer BeNdel. Köln-Weimar-Wien 2008 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 40), 203–222.
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mas unterwerfen.29 Es gibt insbesondere hier, im Dreieck zwischen Böhmen, Sachsen und der Oberlausitz, nicht nur Anzeichen dafür, dass sich – deutlich länger als für gewöhnlich vorausgesetzt – katholische und evangelische Formen der Religionsausübung nebeneinander halten konnten. Auch innerhalb derjenigen Bevölkerungsteile, die sich selbst als evangelisch bezeichneten, finden sich zu dieser Zeit Hinweise auf gemeinhin als katholisch benannte Frömmigkeitspraktiken.30 Offenbar muss also in Bezug auf die Rolle, die der Majestätsbrief im Böhmischen Niederland spielen konnte, zwischen Rhetorik und deren Wirkung einerseits und seiner tatsächlichen Bedeutung für die Selbstvergewisserung der Konfessionsverwandten sowie für ihre Abgrenzung gegen den Katholizismus andererseits unterschieden werden. Wie oben ausgeführt, befand sich Joachim Schönfelder als Geistlicher, der in enger Verbindung und regelmäßiger Korrespondenz mit Kollegen wie weltlichen und geistlichen Vorgesetzten stand, an der Schnittstelle zwischen großer und kleiner Welt. Seine Überzeichnung des Majestätsbriefes in dessen Bedeutung für den konfessionellen Alltag vor Ort war Teil einer Deutungspolitik, die auf allen Ebenen der Entwicklung griff. Diese Deutungspolitik entwickelte ein Eigenleben, und der wütende Schnitt, mit dem Kaiser Ferdinand II. nach dem Sieg am Weißen Berg 1620 das Dokument zerstörte, zeugt letztlich – nur auf einer anderen Ebene – davon, wie sich Symbolik und Ereignisgeschichte miteinander verwoben. Schönfelder hielt seine Rede in einem Umfeld, in dem protestantische Selbstvergewisserung in ihrer Breite nicht von konkret konfessionellen Inhalten und nicht von den Unterschieden in den Dogmen abhing. Als in den Jahrzehnten zwischen 1620 und 1660 die kaiserliche Rekatholisierungspolitik versuchte, auch den nordböhmischen Grenzraum konfessionell zu disziplinieren, stieß sie auf Widerstände unterschiedlichster Art.31 Vor allem die Landbevölkerung wehrte sich nachhaltig gegen einen Übertritt zum Katholizismus und konnte ihn – mit welchen Strategien im Einzelnen, kann an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden – um mehr als ein Vierteljahrhundert hinauszögern.32 In den seltensten Fällen aber begründete sich dieser Widerstand mit dem überzeugten Festhalten an theologisch-dogmatischen Elementen der lutherischen Lehre, mit dem Signum des dezidiert EvangelischSeins. Mal waren es der Glaube der Väter, dann auch die klare Zuweisung bestimmter Rituale oder die oft zitierte Gottesdienstsprache, für die gestritten wurde. Zuletzt blieb das Seelenheil, das noch dann den eigenen Übertritt verhinderte, wenn die Unterrichtung der Kinder im katholischen Glauben längst hingenommen wurde: Evangelisch-Sein zeigte sich im konkret Erfahrbaren des Alltags, nicht in sprachlich-kategorisierender Zuweisung oder im Kampf für die Zukunft des besseren konfessionellen Dogmas.33 In der Rückschau aus der Zeit der Verfolgung aber stellt die Phase, in der Joachim Schönfelder seine Einweihungspredigt hielt, den Moment dar, auf den sich alle Widerständigkeit und protestantische Gewissheit der folgen29 30 31 32 33
WäNtig (wie Anm. 6), 282–318. Ebd., 285. Ebd., 248–281. Ebd., 395–399. Ebd., 315–318.
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den Jahrzehnte stützen sollte: einen Moment gewachsener evangelischer Normalität. Deren religiöse Praxis konstituierte für die dritte und vierte Generation nach der lutherischen Reformation die „Religion der Väter“,34 für die es zu kämpfen galt. Für die ländlichen Untertanen, die Bauern und unterbäuerlichen Schichten auf den Dörfern, spielte dabei der Majestätsbrief keine weitere Rolle. Den Pfarrern aber und den gebildeten Einwohnern in den Städten der Grenzherrschaften erschloss sich der Horizont der politischen und konfessionellen Auseinandersetzungen des Zeitalters in der Deutung des „großen Welttheaters“.35 Ihnen konnte der Majestätsbrief genau denjenigen äußeren Impuls konfessioneller Vergewisserung bieten, als welchen ihn Schönfelder in seiner Predigt einsetzte. Diese Vergewisserung bildete den Hintergrund, vor dem etwa die Geistlichen, auch nach ihrer Vertreibung Ende der 1620er Jahre, weiter im Untergrund und von Sachsen bzw. der Oberlausitz aus ihre Gemeinden versorgten36 und vor dem die gebildeten Stadtbürger auch dann noch gegen die Rekatholisierung vorgingen, als der Majestätsbrief selbst längst Geschichte war.37 An dieser Stelle schließt sich ein Kreis. Auch wenn für die Landbewohner der Majestätsbrief an sich keine Rolle gespielt hatte – innerhalb des ganzheitlich wahrgenommenen religiösen Kosmos im Grenzraum fanden sie sich an der Seite von Pfarrern, Schulmeistern und Stadtbewohnern, als die Konfrontation mit der Rekatholisierungsforderung in die Peripherie des Königreichs getragen wurde. Über die Symbolik vertriebener Pfarrer, gemaßregelter Schulmeister, bedrängter herrschaftlicher Beamter und Dorfrichter, also derer, die zuvor für die Normalität evangelischen Alltagslebens gestanden hatten und für die ihrerseits diese Normalität aus der Gewissheit verbriefter Religionsausübung entstanden war, kehrt auch für die Breite der Gesamtbevölkerung des Grenzraums die Bedeutung des Majestätsbriefes zurück – jenseits von Dogmen, Urkunden und Reichstagsbeschlüssen. Im Fazit erweist sich, dass der Majestätsbrief, den Rudolf II. 1609 in Prag, im Zentrum der Macht, unterzeichnete, durchaus seine Spuren an der Peripherie hinterließ, so auch im Böhmischen Niederland um Georgenthal. Diese Spuren allerdings lassen sich nicht eins zu eins aus den Beobachtungen von Zeitgenossen und Historikern hoch- bzw. herunterrechnen, die mit Blick auf das Königreich Böhmen als Ganzes vom Aufschwung protestantischen Kirchenbaus und der Beschleunigung evangelischer Konfessionalisierung ausgingen. Zwar zeigt sich der Majestätsbrief als ein Teil der großen Welt, die sich in der kleinen materialisierte. Sein Leben vor Ort erhielt er aber nicht aus der juristischen Konstruktion, die er darstellte, sondern aus dem Engagement der Menschen an der Schnittstelle zwischen beiden Welten: Es waren Geistliche wie Pfarrer Schönfelder, die im Religiösen als Mittler zwischen der Lebenswelt an der Grenze und den globalen Deutungen des gelehrten und politischen Streites der Konfessionen wirkten. Sie trugen die Wirkung des Majestätsbriefes in eine Welt, in der Konfession weit weniger dominant und scharf 34 35 36 37
Ebd., 288. Vgl. CalderóN de la BarCa, Pedro: El gran teatro del mundo. Madrid 1655; dazu auch WeBer, Christian: Theatrum Mundi. Zur Konjunktur der Theatrum-Metapher im 16. und 17. Jahrhundert. In: metaphorik.de 14 (2008), 333–360. WäNtig (wie Anm. 6), 147–154. Ebd., 166–168, 257 f.
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umrissen war als es die Vorstellung vom Konfessionellen Zeitalter nahe legt. Zwischen politischer Rhetorik, religiöser Praxis und konfessioneller Identität lagen Brüche, und die Wirkung des Majestätsbriefes an der Peripherie des Königreichs Böhmen ist nicht zu verstehen ohne deren Kenntnis.
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Vereitelte Hoffnungen? Der rudolfinische Majestätsbrief und das nichtkatholische höhere Schulwesen in Böhmen Der Majestätsbrief Rudolfs II. spiegelte sich nicht nur in der Politik- und Religionsgeschichte der böhmischen Länder wider, sondern wirkte sich direkt oder indirekt auch auf zahlreiche andere Bereiche des gesellschaftlichen Lebens aus. Dazu gehörte die Entwicklung des nichtkatholischen höheren Schulwesens in Böhmen, auf das die Protestanten um 1609 nicht geringe Hoffnungen gesetzt hatten. Konnten diese jedoch erfüllt werden? Der vorliegende Beitrag möchte eine Antwort auf diese Frage finden. Das Thema kann an dieser Stelle nicht komplett dargestellt werden; es sollen lediglich die wesentlichen Grundzüge behandelt werden. Für das Studium der genannten Problematik, die von der bisherigen Forschung – trotz einiger wertvoller Teilergebnisse – nicht umfassend bearbeitet worden ist, existieren zahlreiche Quellen unterschiedlichen Typs. Es handelt sich um schriftliche Überlieferungen diplomatischen Charakters (amtliche Korrespondenzen, Testamente, Schulordnungen usw.), Ego-Dokumente (Tagebücher, Erinnerungen, private Korrespondenzen u. Ä.) und literarische Quellen.1 Wertvolle Informationen liefern einige Abhandlungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die auf heute nicht mehr erhaltenen Quellen beruhen und diese auch teilweise abdrucken: Genannt seien die Arbeiten von Pavel Stránský,2 Matthäus Merian,3 Bohuslaus Balbin4 oder Nikolaus Adauctus Voigt.5 Das nichtkatholische höhere Schulwesen in Böhmen, zu dem nicht nur die Institutionen der universitären Bildung zählten, sondern auch die höheren Lateinschulen (mit drei oder mehr Klassen), für die sich ab dem 16. Jahrhundert immer stärker die Bezeichnung Gymnasium durchsetzte, erlebte in der Zeit unmittelbar vor dem Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs eindeutig keinen Niedergang. Auch wenn dies teilweise angezweifelt wird, gilt die Aussage meines Erachtens ebenfalls für die einzige nichtkatholische Universität in Böhmen: die Prager Karolinische Aka1 2 3 4
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Verweise auf konkrete Quellen folgen im weiteren Verlauf des Beitrags. stráNský, Pavel: O státě českém [Über den böhmischen Staat]. Hg. v. Bohumil ryBa. Praha 1953. meriaN, Matthäus: Topographia Bohemiae, Moraviae et Silesiae. Frankfurt 1650. Es handelt sich besonders um sein Werk Bohemia docta, das erst im 18. Jahrhundert – dann allerdings gleich zwei Mal – im Druck erschien: BalBiNus, Bohuslaus: Bohemia docta opus posthumum editum, notisque illustratum ab Raphael Ungar. T. I–II. Pragae 1776–1778. – BalBiNus, Bohuslaus: Bohemia docta […] edidit P. Candidus a S. Theresia. Pragae 1777 (das zweite Exemplar, das hier verwendet wurde, ist im Internet zugänglich unter http://www.clavmon.cz/bbbd/; Zugriff: 07.03.2013). Voigt, Adauctus: Acta litteraria Bohemiae et Moraviae. T. I–II. Pragae 1774–1776 (verwendet wurde das Exemplar der Bibliothek des Historischen Instituts der Tschechischen Akademie der Wissenschaften/Knihovna Historického ústavu AV ČR, Sign. B 4674 und B 4675).
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demie, die in Folge der Hussitenbewegung auf eine Artistenfakultät reduziert worden war.6 Ein positives Kennzeichen des einheimischen lateinischen Partikularschulwesens war u. a. dessen für europäische Verhältnisse weite Verbreitung, die breiten Bevölkerungsschichten den Erwerb elementarer Fertigkeiten, besonders des Lesens und Schreibens, und der Grundlagen der humanistischen Bildung ermöglichte.7 Die Entwicklung des nichtkatholischen Schulwesens, das im Rahmen der hier erforschten Bildungseinrichtungen eine eindeutige Vorrangstellung besaß, wurde im Untersuchungszeitraum allerdings durch verschiedene Umstände gebremst. In den Ländern der Böhmischen Krone zeigten sich diese Einschränkungen besonders deutlich in Böhmen selbst. Betroffen waren vor allem die Lateinschulen der Brüderunität, deren nicht sonderlich guten Entwicklungsbedingungen vor 1609 besonders auf der illegalen Stellung und Verfolgung dieser Minoritätenkirche beruhte.8 6
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Vgl. zur Geschichte dieser Universität für den Untersuchungszeitraum sVatoŠ, Michal u. a.: Dějiny Univerzity Karlovy 1347/48–1622 [Geschichte der Karlsuniversität 1347/48–1622], Bd. 1. Praha 1995, bes. 211–246 und 269–289 (neben Michal Svatoš hat ein Großteil der Texte zur Geschichte der Prager Universität Jiří Pešek verfasst). Dort finden sich auch Verweise auf die ältere Literatur und Quellen. Partikularschulen waren Bildungseinrichtungen, die im Unterschied zu den zeitgenössischen Universitäten nur Wissen in bestimmten Bereichen (also eine Partikularbildung) ermöglichten. Obwohl sie sich individuell unterschieden, bestand das Hauptziel dieser Schulen darin, ihren Schülern aktive Lateinkenntnisse einzuimpfen und den Lernstoff zu unterrichten, der für das spätere Studium an einer Universität beherrscht werden musste. Es handelte sich vor allem um den Teil der sieben freien Künste (septem artes liberales), der bereits seit dem Mittelalter als Trivium bezeichnet wurde (Grammatik, Rhetorik, Dialektik), und um die Grundzüge des sogenannten Quadriviums (Arithmetik, Geometrie, Astronomie, Musik). Zur Geschichte der böhmischen Partikularschulen vgl. WiNter, Zikmund: Život a učení na partikulárních školách v Čechách v XV. a XVI. století. Kulturněhistorický obraz [Leben und Lehre an den Partikularschulen in Böhmen im 15. und 16. Jahrhundert. Ein kulturhistorisches Bild]. Praha 1901. zouBek, František Jan: Vychování a vyučování v Jednotě bratrské [Erziehung und Lehre in der Brüderunität]. Praha 1883. – Die deutschen Katechismen der Böhmischen Brüder. Kritische Textausgabe mit kirchen- und dogmengeschichtlichen Untersuchungen und einer Abhandlung über das Schulwesen der Böhmischen Brüder. Hg. v. Joseph müller. Berlin 1887. – Ball, Hermann: Das Schulwesen der böhmischen Brüder. Berlin 1898. – kratochvíl, Augustin: Bratrská šlechtická škola (gymnasium) v Ivančicích [Die adelige Brüderschule (Gymnasium) in Eibenschitz]. Ivančice 1905. – cvrČek, Josef: Bratrská škola v Ivančicích (Doplněk k dějinám školským na Moravě) [Die Brüderschule in Eibenschitz (Eine Ergänzung zur Schulgeschichte in Mähren)]. In: Časopis Matice moravské 31 (1907), 193–203, 313–325. – urBáNek, Rudolf: Jednota bratrská a vyšší vzdělání až do doby Blahoslavovy [Die Brüderunität und die höhere Bildung bis zur Zeit des Jan Blahoslav]. Brno 1923. – HaVelka, Emanuel: Blahoslav předchůdcem Komenského [Blahoslav als Vorgänger des Comenius]. Praha 1924. – ProkeŠ, Jaroslav: Paměti B. Jana Efreima o bratrském sboru v Tuchoměřicích [Die Erinnerungen des Bruders Jan Efreim an die Brüdergemeinde in Tuchoměřice]. In: Časopis Národního musea 107 (1933), 205–221. – sCHmidtmayer, Alfred: Über das Schulwesen der Böhmischen Brüder. In: Zeitschrift für Geschichte der Erziehung und des Unterrichts 26 (1936), Nr. 1/2, 56–71. – Českobratrská výchova před Komenským [Die Erziehung der Böhmischen Brüder vor Comenius]. Hg. v. Amedeo molNár. Praha 1956. – říČan, Rudolf: Několik pohledů do českobratrského vyššího školství za mladých let Jana Amose Komenského [Einige Einblicke in das höhere Schulwesen der Böhmischen Brüder während der frühen Jahre des Johann Amos Comenius].
Der rudolfinische Majestätsbrief und das nichtkatholische höhere Schulwesen
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Daneben erwiesen sich bei den Bildungseinrichtungen der Unität ebenso wie bei den meisten anderen nichtkatholischen Lateinschulen noch weitere Faktoren als Entwicklungsbremse: Erstens reichten die für Gründung bzw. Reform der Institutionen oder für die Aufrechterhaltung ihres Alltagsbetriebs unabdingbaren finanziellen Mittel nicht aus. Zweitens verkomplizierte die hohe Mobilität der Lehrenden die in Quantität und Qualität ungenügende personelle Absicherung des Unterrichts. Drittens war das Bildungssystem uneinheitlich, was bei den städtischen Lateinschulen nicht einmal durch die Prager utraquistische Universität behoben werden konnte, obwohl sich diese besonders im letzten Viertel des 16. und in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts recht intensiv darum bemühte.9 Viertens hing die Prosperität der Schule von den wechselhaften Interessen des Gründers ab. Fünftens war die mit den Schulen verbundene Infrastruktur mangelhaft; dies drückte sich etwa in der zu geringen Zahl an Konvikten für die Unterbringung und Verpflegung der Schüler aus. Und schließlich mangelte es den Schulen an Attraktivität über die Landesgrenzen hinaus: Keine der böhmischen nichtkatholischen Partikulareinrichtungen, von denen nur ein Teil zu den höheren Lateinschulen zählte, konnte das Niveau und den Ruf der Gymnasien in Görlitz oder Goldberg erreichen.10 Betrachten wir den Wortlaut des rudolfinischen Majestätsbriefs, stoßen wir auf zwei Punkte, die das untersuchte Problem direkt berühren: Erstens: „[…] die seit alter Zeit der utraquistischen Partei gebührende Prager Akademie, die wir den Ständen mit all ihrem Zubehör ebenfalls gnädigst in ihre Macht zu geben geruhen, damit sie sie mit würdigen und gelehrten Männern besetzen, gute lobenswerte Ordnungen einführen und darüber [...] aus ihrer Mitte Personen als Defensoren bestimmen können.“11
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In: Archiv pro bádání o životě a díle Jana Amose Komenského 21 (1962), 114–151. – Moravské bratrské školství a jeho protějšky v 16. až 18. století [Das mährische Brüderschulwesen und sein Widerpart vom 16. bis 18. Jahrhundert]. Hg. v. Boris uHer u. a. Přerov 1979. – uhlířová, Jana: Bratrské školství v Čechách a na Moravě [Das Brüderschulwesen in Böhmen und Mähren]. In: Studia Comeniana et Historica 34 (2004), Nr. 71–72, 54–61. – Holý, Martin: Die Schulen der Brüderunität in Böhmen und Mähren als Objekt adliger Studieninteressen in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg. In: Acta Comeniana 24 (2010), 43–72. Im Umfeld der Prager nichtkatholischen Universität entstand bereits in den achtziger Jahren die ausgefeilte Schulordnung des Peter Codicillus, die gerade für die böhmischen Partikularschulen bestimmt war. Sie erfuhr jedoch keine allgemeine Annahme. Vgl. M. Petra Codicilla z Tulechova Řád školám městským v Čechách a na Moravě léta 1586 akademií pražskou vydaný [Die Ordnung für die städtischen Schulen in Böhmen und Mähren des M. Peter Codicillus von Tulechov, 1586 von der Prager Akademie herausgegeben]. Hg. v. František Jan zouBek. Praha 1873. – WerNer, Karl: Die Studien-Ordnung des M. Peter Codicillus von Tulechova für Böhmen, Mähren und Schlesien. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte des Deutschen in Böhmen 3 (1865), 33–54. S. auch WiNter (wie Anm. 7), 87 f., 608–658. Vgl. zu diesen beiden Gymnasien mit Verweisen auf die ältere Literatur Holý, Martin: Zrození renesančního kavalíra. Výchova a vzdělávání šlechty z českých zemí na prahu novověku (1500–1620) [Die Geburt des RenaissanceKavaliers. Erziehung und Bildung des Adels aus den böhmischen Ländern an der Schwelle zur Neuzeit (1500–1620)]. Praha 2010, 203–214, 218–223. Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Rudolfs Majestätsbrief. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19), 138.
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Martin Holý
Zweitens: „Wenn jemand [...] aus allen utraquistischen vereinigten drei Ständen dieses Königreichs [...] entweder in Städten, Flecken, Dörfern oder wo auch immer [...] Schulen zur Unterrichtung der Jugend erbauen lassen will, dürfen dies der Herrenstand, der Ritterstand, die Prager, die Bergleute und anderen Städte, alle gemeinsam oder jeder für sich, frei und unabhängig zu jeder Zeit tun.“12
Die Unterstellung der Prager Universität unter die Stände und die von ihnen gewählten Defensoren, die zum Teil den Universitätsprivilegien widersprach und die Autonomie dieser Einrichtung ernsthaft einschränkte, war das Ergebnis der ambivalenten Bemühungen der Karlsuniversität und ihrer Vertreter, jene politische Unterstützung zu finden, die für einen ordentlichen Betrieb der Hochschule, und besonders für die geplante Reform, mehr oder weniger notwendig war. Eine Schlüsselrolle spielten vor allem die Verhandlungen des Rektors Martin Bacháček, die u. a. mit Vertretern der nichtkatholischen Stände auf den Landtagen der Jahre 1608 und 1609 geführt wurden.13 Es ging dabei nicht nur um die Erneuerung der im 15. Jahrhundert untergegangenen Fakultäten (Medizin, Rechtswissenschaften und Theologie), für die in erster Linie unverzichtbare finanzielle Mittel eingeworben werden mussten, sondern auch um die freie Verfügung über den Immobilienbesitz, dessen bessere Verwaltung (1609 wurde die sogenannte Quästur eingerichtet), oder die Rückerstattung der von der Böhmischen Kammer beschlagnahmten Finanzen einiger Studienstiftungen. Zu den Kernpunkten der Reform gehörte weiterhin, begabte Studenten aus der Untertanenschaft zu entlassen, den Zustand der sogenannten Musterklassen an der Uni12 13
Ebd., 139. Zum Versuch der Universitätsreform und den Ereignissen, die den Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs in Bezug auf die Prager utraquistische Universität begleiteten, vgl. etwa tomek, Václav Vladivoj: Paměti kollegiátů koleje Karlovy [Erinnerungen der Kollegiaten des Karlskollegs]. In: Časopis českého musea 21 (1847), bes. 500–529. – ders.: Geschichte der Prager Universität. Prag 1849, 207–240. – WiNter, Zikmund: Děje vysokých škol pražských od secessí cizích národů po dobu bitvy bělohorské (1409–1622) [Geschichte der Prager Hochschulen von der Sezession der fremden Nationen bis zur Zeit der Schlacht am Weißen Berg (1409–1622)]. Praha 1897, 83–146. – HreJsa, Ferdinand: Česká konfese, její vznik, podstata a dějiny [Die Confessio Bohemica, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Geschichte]. Praha 1912, 506 f. – sVatoŠ u. a. (wie Anm. 6), 231, 236 f., 244, 269–289. Um den Stellenwert der Universitätsreform in den Verhandlungen des Jahres 1609 richtig einschätzen zu können, sind auch Wilhelm Slawatas Angaben wertvoll – s. Paměti nejvyššího kancléře království českého Viléma hraběte Slavaty z Chlumu a Košumberka [...] od l. 1608 do 1619 [Die Erinnerungen des Oberstkanzlers des böhmischen Königreichs Wilhelm Graf Slawata von Chlum und Koschumberg [...] von 1608 bis 1619]. Bd. 1. Hg. v. Josef JireČek. Praha 1866, passim; eine detaillierte Analyse liefert rak, Jiří: Karlova univerzita v pravomoci defenzorů 1609–1622 [Die Karlsuniversität in der juristischen Kompetenz der Defensoren 1609–1622]. In: Acta universitatis Carolinae Pragensis – Historia universitatis Carolinae Pragensis 17 (1977), Nr. 1, 35, 41–44. S. auch Paměti o školách českých. Listář školství českého v Čechách a na Moravě od l. 1598 do 1616 s doklady starší i pozdější doby [Erinnerungen an die böhmischen Schulen. Quellenbuch des böhmischen Schulwesens in Böhmen und Mähren von 1598 bis 1616 mit Belegen aus der älteren und der jüngeren Zeit]. Hg. v. František dVorský. Praha 1886, bes. 469–500, 513–518, 525–527.
Der rudolfinische Majestätsbrief und das nichtkatholische höhere Schulwesen
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versität zu verbessern,14 die Rolle der Universität bei der Leitung der Lateinschulen in Böhmen zu stärken, den Zölibat der Professoren aufzuheben usw. Von diesen ehrgeizigen Reformplänen, die insbesondere neue Studenten anlocken sollten, konnte jedoch nicht allzu viel verwirklicht werden. Obwohl beispielsweise Vorlesungen aus den Fächern Medizin und Rechtswissenschaften intensiviert wurden, kam es dennoch nicht zur faktischen Erneuerung der drei Fakultäten, wofür u. a. die andauernden Probleme rund um die Finanzierung der Professorengehälter verantwortlich waren. Auch das akademische Mustergymnasium sah sich weiterhin mit fehlenden Geldern und einer geringen Attraktivität konfrontiert. Selbst die für das Gymnasium erlassene neue Schulordnung, die für alle der Universität unterstehenden Lateinschulen verbindlich sein sollte, erreichte in der Praxis keine allgemeine Gültigkeit.15 Die Gründe für den Misserfolg der Reform, auf die man so große Hoffnungen gesetzt hatte, waren zahlreich. Verantwortlich waren nicht nur ein lang anhaltendes Desinteresse der Stände und der Defensoren an der Universität und ihr Unwillen, finanzielle Opfer zu deren Gunsten in Kauf zu nehmen, sondern auch die Uneinheitlichkeit der einzelnen Reformpläne, unterschiedlich motivierte Streitigkeiten der Professoren, die insgesamt schlechte materielle Absicherung der Reform u. Ä. Die Unterordnung der Karlsuniversität unter die Stände und das Bemühen ihrer Vertreter, diesen so weit wie möglich entgegenzukommen, hatten für die Universität letztlich eher negative Folgen. Sie führten u. a. zu ihrer Einbindung in den Aufstand der Jahre 1618–1620 – erinnert sei an dieser Stelle an die Rolle des Doktors der Medizin, Johannes Jessenius, der in den Jahren 1617–1620 Rektor der Universität war –16 und nach dessen Niederschlagung zu Vergeltungsschlägen von Seiten 14 15
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Zu diesen bes. Ball (wie Anm. 8), 135–139. – WiNter (wie Anm. 7), 88–94. Zunächst erschien die Ordnung „Classes quinque in Academia Pragensi pro pueris et adolescentibus cujusvis conditionis ac dignitatis, domesticis et peregrinis erectae, Pragae typis Paulis Sessii 1609“, Strahovská knihovna/Bibliothek Strahov, Sign. AG XIII 133, Nr. 25; im 18. Jahrhundert abgedruckt bei Voigt (wie Anm. 5), Bd. 1, 321–336), später folgte die „Intimatio paedagogii academici, trilinguis, trivii [...]. Pragae 1612“ – Národní knihovna České republiky Praha (Nationalbibliothek der Tschechischen Republik Prag) [im Folgenden: NK ČR Praha], Sign. 45 A 11, Beibl. 8), verfasst von Mikuláš Albrecht z Kaménka. Vgl. zu Jessenius beispielsweise PoliŠeNský, Josef: K politické činnosti Jana JesenskéhoJessenia [Zur politischen Tätigkeit des Johannes JesenskýJessenius]. In: Acta universitatis Carolinae – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 2 (1961), Nr. 2, 87–128. – ders.: Jan JesenskýJessenius. Studie s ukázkami z díla [Johannes JesenskýJessenius. Eine Studie mit Auszügen aus dem Werk]. Praha 1965. – BokesoVá-uHeroVá, Mária: Ján Jessenius. 1566– 1621. Bratislava 1966. – sousedík, Stanislav: Jan Jesenský as the Ideologist of the Bohemian Estates’ Revolt. In: Acta Comeniana 11/35 (1995), 13–24. – NeJesCHleBa, Tomáš: Jan Jessenius v kontextu renesanční filosofie [Johannes Jessenius im Kontext der RenaissancePhilosophie]. Praha 2008. S. auch rak (wie Anm. 13), 45 (der Autor marginalisiert die Beteiligung der Prager utraquistischen Universität am Aufstand u. a. mit dem Hinweis darauf, dass Jessenius bei seiner politischen Tätigkeit nicht als Repräsentant der Universität, sondern als Vertreter der Stände aufgetreten sei; ich bin mir jedoch unsicher, ob diese These haltbar ist). – sVatoŠ u. a. (wie Anm. 6), 238 f., 286–288 und passim. Aus Sicht der Geschichte der Prager Universität und der Bemühungen um ihre Reform ist bemerkenswert: Pragensia II. Denkschrift des Rektors Johannes Jessenius von Gross-Jessen an den Generallandtag von 1619 über Erneuerung der Prager
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Martin Holý
des Staates. Man darf jedoch davon ausgehen, dass die Maßnahmen gegen die Karlsuniversität auch dann hart ausgefallen wären, wenn sie sich nicht an der Rebellion beteiligt hätte.17 Die zweite zitierte Klausel des rudolfinischen Majestätsbriefs bot zumindest aus juristischer Sicht gute Bedingungen für die Entwicklung des nichtkatholischen höheren Schulwesens. Ihre Formulierung war eine Reaktion auf das frühere Vorgehen landesherrlicher Behörden, besonders der Böhmischen Hofkanzlei, gegen einige Schulen in den böhmischen Ländern, von dem nicht nur die Bildungseinrichtungen der Brüderunität betroffen gewesen waren. Bald nach dem Erlass des Majestätsbriefs kam es tatsächlich zu neuen Schulgründungen. Hier sollen drei der wichtigsten kurz vorgestellt werden: die Gründung der Brüderschule bei der Bethlehemskapelle in Prag, die Einrichtung des lutherischen Gymnasiums bei St. Salvator in der Prager Altstadt und schließlich die Stiftung der Rosenberger Schule in Sobieslau (Soběslav). Obwohl alle diese Schulen als unmittelbare Reaktion auf den Majestätsbrief entstanden, lassen sich in den Gründungsumständen, der weiteren Entwicklung und ihrem Charakter gewisse Unterschiede feststellen. Als die Bethlehemskapelle, die bisher eng mit der Geschichte der Prager Universität verbunden war, zur Nutzung an die Brüderunität abgetreten wurde, verursachte dies einige Probleme. Streitgegenstand war dabei nicht nur die Besetzung der entsprechenden Pfarrstelle, die auf Druck von Wenzel Budowetz und anderen politisch aktiven Nichtkatholiken, wie z. B. Joachim Andreas Schlick, im Dezember 1609 mit dem bekannten Unitätspriester Matěj Cyrus (1566–1618),18 Mitglied des utraquistischen Konsistoriums, besetzt wurde. Auseinandersetzungen wurden auch um die Brüderschule geführt, die im Gebäude des Nazareth-Kollegs, in dem sich auch Cyrus’ Unterkunft befand, entstand.19 Die Universität wollte zumindest eine gewisse Integration in ihre eigenen Strukturen erreichen. Um weiteren Streitigkeiten vorzubeugen, wurde im März 1612 zwischen der Karlsuniversität und den utraquistischen Ständen ein Kompromiss über die Nutzung der Bethlehemskapelle
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Universität. Hg. v. Friedl PiCk. Prag 1920, 45–74 (auch zur Tätigkeit von Jessenius während des Aufstands). tomek (wie Anm. 13), Geschichte, 244–250. – WiNter (wie Anm. 13), 173–216. – sVatoŠ u. a. (wie Anm. 6), 287 f. – ČorneJová, Ivana u. a.: Dějiny Univerzity Karlovy [Geschichte der Karlsuniversität]. Bd. 2: 1622–1802. Praha 1996, bes. 23–27. Vgl. z. B. Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě [Handbuch der humanistischen Dichtung in Böhmen und Mähren] [im Folgenden: RHB], Bd. 1, 524 f., und Voit, Petr: Cyrus, Matěj. In: Biografický slovník českých zemí C, Bd. 9. Hg. v. Pavla voŠahlíková u. a. Praha 2010, 485. Beide zitieren weiterführende Literatur. Zur Geschichte der Bethlehemskapelle und der dort entstandenen Schule vgl. Ball (wie Anm. 8), 133–140. – WiNter (wie Anm. 7), 95 f., 104, 106. – WiNter (wie Anm. 13), 91 f., 148. – HreJsa (wie Anm. 13), 492, 499, 508. – ders.: Betlém od roku 1516 [Die Bethlehemskapelle seit 1516]. In: Betlémská kaple. O jejích dějinách a zachovaných zbytcích. Praha 1922, 64–77, 99–102. – rak (wie Anm. 13), 44 f. – sVatoŠ, Michal: Smlouva o užívání Betlémské kaple z roku 1612 [Der Vertrag über die Nutzung der Bethlehemskapelle aus dem Jahr 1612]. In: Mezi Baltem a Uhrami. Komenský, Jednota bratrská a svět středoevropského protestantismu. Sborník k poctě Marty Bečkové. Hg. v. Vladimír urBáNek und Lenka řezníková. Praha 2006, 209– 222.
Der rudolfinische Majestätsbrief und das nichtkatholische höhere Schulwesen
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und des Nazareth-Kollegs unterzeichnet. Da dieser Vertrag unlängst von Michal Svatoš behandelt wurde, der auch eine moderne Edition erstellte,20 werde ich hier auf eine detaillierte Analyse verzichten. Im Hinblick auf die Brüderschule erhielt die Universität das Recht, deren Rektor und Lehrer einzusetzen. Den Studenten der Unität wurde vorgeschrieben, neben dem Studium im Nazareth-Kolleg auch den Unterricht in den Musterklassen der Universität zu besuchen. In welchem Maß dies geschah und welche Fächer sie dort absolvierten, bleibt unklar. Genauso wenig weiß man über den Charakter des Unterrichts an der Brüderschule, über deren personelle Absicherung, die Anzahl und Struktur der Schüler sowie ihre wirtschaftliche Basis. Die zweite neu entstandene Lateinschule aus der Zeit nach dem Erlass des Majestätsbriefs war das Gymnasium an der Kirche St. Salvator, das von den deutschen Lutheranern mit Hilfe von zu diesem Zweck nicht nur in Prag, sondern auch andernorts in Böhmen und im Ausland veranstalteten Spendensammlungen errichtet worden war. Das Gymnasium öffnete im November 1611 seine Pforten. Dank der überlieferten Schulordnung sowie anderer Quellen weiß man, dass es sich um eine höhere Lateinschule mit sechs Klassen und einem Rektor an der Spitze handelte; dieser unterstand dem Ältestenrat der Gemeinde und deren Seelsorger. Bis 1613 war der berühmte Matthias Hoë von Hoënegg Rektor.21 Die rasche Entwicklung der Salvatorschule und ihr über die Region hinausreichender Ruf, der bald nach ihrer Eröffnung fast 200 Studenten aus den böhmischen Ländern und aus dem Ausland anlockte, lösten den Unmut der Prager Universität aus. Wie bereits erwähnt, nahm diese für sich das Recht auf Beaufsichtigung der Lateinschulen in Böhmen in Anspruch.22 Sie spürte in Prag nun eine bisher nicht 20 21
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sVatoŠ (wie Anm. 19), 216–220. ailBerus, Petrus: Ratio docendi et discendi in singulis Instituti Paedagogii Evangelici Nationis germanicae Palaeo Pragae Classibus. In: ders.: Oratio Panegyrica […] dicta 14. Novembr. […], s. l., fol. O1b–R2b (NK ČR Praha, Sign. 35 D 119, Beibl. 11). – Publicatio et Introductio scholae novae evangelicae Pragensis. Das ist Eröffnung und Einführung der newen Evangelischen Schul in der königlichen Alten Hauptstadt Prag. Es werden allhie die Predigt/Oration und Beschreibung des gantzen Actus befunden. Leipzig In verlegung Abraham Lambergs Im Jahr 1612 (NK ČR Praha, Sign. 35 D 119, Beibl. 10). – zimmermaNN, Johann Nepomuk: Diplomatische Geschichte der aufgehobenen Klöster, Kirchen und Kapellen in der königlichen Hauptstadt Prag. Prag-Leitmeritz-Teplitz 1832, bes. 97–110. – NoVák, Jan Václav: Die Schulordnung des deutschen „Gymnasium illustre“ bei St. Salvator in Prag. In: Jahrbuch der Gesellschaft für Geschichte des Protestantismus in Österreich 27 (1906), 123–150. – Pragensia 2 (wie Anm. 16), 94–98. – HreJsa, Ferdinand: U Salvátora. Z dějin evangelické církve v Praze 1609–1632 [Zum Salvator. Aus der Geschichte der evangelischen Kirche in Prag 1609–1632]. Praha 1930, bes. 21–26, 49–51. – Das Spenderbuch für den Bau der protestantischen Salvatorkirche in Prag (1610– 1615). Hg. v. Rudolf sCHreiBer, Salzburg 1956. – Holý (wie Anm. 10), 136 f. – Vgl. zu Hoë: RHB (wie Anm. 18), Bd. 2, 322–324. – Bautz, Friedrich Wilhelm: Hoë von Hoënegg, Matthias. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 2. Hamm 1990, Sp. 919–921. Vgl. dazu neben der in Anm. 6 genannten Literatur auch PeŠek, Jiří: Univerzitní správa městských latinských škol v Čechách a na Moravě na přelomu 16. a 17. století [Die Universitätsverwaltung der städtischen Lateinschulen in Böhmen und Mähren an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert]. In: Acta universitatis Carolinae – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 30 (1990), Fasz. 2, 41–58. – ders.: Pražská univerzita, městské latinské školy a měšťanské elity předbělohorských Čech (1570–1620) [Die Prager Universität, die städtischen Lateinschulen und die
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Martin Holý
erlebte Konkurrenz, die nicht nur ihr eigenes Gymnasium, sondern auch das Interesse an ihren Vorlesungen bedrohte. Der Unterrichtsstoff der höheren Klassen des Salvator-Gymnasiums näherte sich zum Teil der an Artistenfakultäten gängigen Lehre an. Der Universitätsleitung gefiel es außerdem nicht, dass am SalvatorGymnasium eine eigene Schulordnung konzipiert worden war und man dort nicht die von der Karlsuniversität erlassenen Studienvorschriften anwandte.23 Nach komplizierten Verhandlungen kam es zu einem Kompromiss: Rektor und Lehrer des Salvator-Gymnasiums unterstellten sich formal der Universitätsleitung, wurden damit zu deren „Gliedern“ und disputierten gelegentlich auch auf universitärem Boden.24 Trotz der vielversprechenden Anfänge geriet das Salvator-Gymnasium nach einigen Jahren in Schwierigkeiten. Das größte Problem war das fehlende Geld, besonders für das Gehalt des Rektors und der anderen Lehrer. Hierdurch wurden nicht nur die Auswahlmöglichkeiten eingeschränkt, sondern auch die Kontinuität der Personalentwicklung war gefährdet. Allein in der Schulleitung wechselten sich in den elf Jahren ihrer Existenz bis zur endgültigen Schließung 1622 mindestens fünf Personen ab (Peter Ailberus, Michael Gebhard, Elias Ursinus [gest. 1627], Wilhelm Nigrinus, Gerson Gruneus), die nach relativ kurzer Zeit das Gymnasium verließen, um anderswo eine Beschäftigung zu suchen – entweder an einer Lateinschule in den Ländern der Böhmischen Krone bzw. jenseits ihrer Grenzen oder an einer der europäischen Universitäten.25 Dies geschah jedoch auch an anderen zeitgenössischen Lateinschulen häufiger. Die letzte höhere Lateinschule, die in Anknüpfung an den Majestätsbrief entstand, war das Gymnasium in Sobieslau. Zu seiner Gründung kam es auf Grund des Testaments Peter Wok von Rosenbergs vom April 1610.26 Für den Unterhalt der Schule legte der Stifter eine Summe von 4.000 Schock Meißner Groschen fest, die jährlich aus den Einkünften der Herrschaft Gratzen (Nové Hrady) abgeführt werden sollte. Die Aufsicht über sein Erbe vertraute Peter Wok einem sechsköpfigen Kollegium an. Obwohl der Gründer eine bestimmte Vorstellung von der Schule hatte,
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bürgerlichen Eliten in Böhmen vor der Schlacht am Weißen Berg (1570–1620)]. In: Český časopis historický 89 (1991), 336–355. S. Anm. 15 und 21. Vgl. neben der in Anm. 21 zitierten Literatur auch WiNter (wie Anm. 7), 97–102, 650–653 und passim. – ders. (wie Anm. 13), 109 f., 123, 140, 168. Archiv Univerzity Karlovy (Archiv der Karlsuniversität), Sign. A14b, 4. – HreJsa (wie Anm. 21), 21–26, 49–51, 60, 73. – RHB (wie Anm. 18), Bd. 1, 61 (Ailberus stand während der faktischen Nichtbesetzung der Rektorenstelle als collega primarius an der Spitze des Gymnasiums). – RHB (wie Anm. 18), Bd. 2, 199. – RHB (wie Anm. 18), Bd. 5, 422. Das Testament befindet sich im Staatlichen Regionalarchiv Wittingau (Státní oblastní archiv Třeboň), Registratur Fremde Geschlechter (Cizí rody – registratura), Urkunde 27/21. Sein Text, der in tschechischer Sprache in die Landtafel eingetragen wurde (Národní archiv Praha [im Folgenden: NA Praha], Desky zemské větší [Größere Landtafel] 135, fol. M 20r‒N 19r), erschien auch auf Deutsch – vgl. sCHaller, Jaroslaus: Topographie des Königreichs Böhmen, hier Bd. 13. Prag-Wien 1790, 53–91. S. auch ryBiČka, Antonín: Poslední Rožmberkové a jejich dědictví [Die letzten Rosenberger und ihr Erbe]. In: Časopis českého musea 55 (1881), 187– 190. – PáNek, Jaroslav: Poslední Rožmberkové. Velmoži české renesance [Die letzten Rosenberger. Magnaten der böhmischen Renaissance]. Praha 1989, 325 f.
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erließ er keine Studienordnung; diese sollte erst später folgen.27 Trotzdem traf er in seinem Testament eine Reihe konkreter Bestimmungen. Die Schüler, die für das Studium nichts zahlten und deren Kenntnisse halbjährlich überprüft wurden, sollten sich nur in eingeschränktem Maß mit der Lektüre antiker vorchristlicher Autoren beschäftigen. Die Schule diente vielmehr hauptsächlich „der Erkenntnis der reinen Wahrheit Gottes [...] nach der hl. Schrift und dem wahren christlichen Glauben [...] nach unserer böhmischen Konfession von 1575.“28 Den letzten Rosenberger veranlassten jedoch auch andere Gründe zu seiner Schulstiftung, wie z. B. das Bemühen, nach dem Aussterben des Geschlechts ein Denkmal zu hinterlassen, das nicht nur durch Wissen weitergeben, sondern bereits durch die Bezeichnung (gymnasium Rosenbergense) an die Familie erinnern sollte.29 Einen untrennbaren Bestandteil der Stiftung sollte die Schenkung der Rosenberger Familienbibliothek an das Gymnasium bilden, zu der es aber letztlich nicht kam.30 Zusätzlich zur Schule wurden auch ein Spital sowie ein Konvikt eingerichtet; letzteres bot neben freier Unterkunft auch Verpflegung an. Man rechnete mit ca. 40 Stipendiaten, von denen zwölf aus Rosenberger Herrschaften stammen sollten. Studierte einer dieser Stipendiaten bis zu seinem 25. Lebensjahr, war er aus der Untertanenschaft zu entlassen. Einkalkuliert wurden aber auch Studenten aus entfernteren Regionen sowie aus dem Ausland. Die Stiftung umfasste außerdem die Schenkung des verfallenen Burgareals in Sobieslau, auf dem das neue Schulgebäude errichtet werden sollte. Die keineswegs problemlos aus den Erträgen der Rosenberger Herrschaften finanzierten Arbeiten dauerten mehrere Jahre an. Obwohl sie niemals abgeschlossen wurden, fand im Herbst 1614 die feierliche Eröffnung des Gymnasiums statt. Trotz der großzügigen Stiftung, die die Prager Universität vergeblich zu ihren Gunsten auszunutzen versuchte,31 und des zweifellos langfristigen Interesses der Testamentsvollstrecker 27
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Der Text der 1613 erlassenen sogenannten „Instructio et ratio docendi in illustri Rosenbergensi gymnasio Sobieslaviae“ ist nur in der im 18. Jahrhundert von Nikolaus Adauctus Voigt herausgegebenen Fassung veröffentlicht worden. – Voigt (wie Anm. 5), Bd. 2, 282–290. Vgl. auch Českobratrská výchova před Komenským (wie Anm. 8), 260–262. NA Praha, Desky zemské větší 135, fol. M 30r. Vgl. aus der bisherigen Literatur zum Rosenberger Gymnasium in Sobieslau Ball (wie Anm. 8), 106–119. – WiNter (wie Anm. 7), 79–84, 440 f., 650 und passim. – liNtNer, Josef: Škola Rožmberská v Soběslavi [Die Rosenberger Schule in Sobieslau]. In: Sborník historického kroužku 8 (1899), Nr. 1, 77–84. – CikHart, Roman: Nadání soběslavské školy [Die Stiftung der Sobieslauer Schule]. In: Jihočeský sborník historický 22 (1953), 69 f. – Českobratrská výchova před Komenským (wie Anm. 8), 258–263. – NoVotNý, Miroslav u. a.: Dějiny vyššího školství a vzdělanosti na jihu Čech od středověkých počátků do současnosti [Die Geschichte des höheren Schulwesens und der Gelehrsamkeit in Südböhmen von den mittelalterlichen Anfängen bis zur Gegenwart]. České Budějovice 2006, 45 f. – Holý, Martin: Bildungsmäzenatentum und Schulgründungen des Adels für Protestanten in Böhmen und Mähren (1526–1620). In: Schulstiftungen und Studienfinanzierung. Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern, 1500–1800. Hg. v. Joachim BaHlCke und Thomas WiNkelBauer. WienMünchen 2011, 102–105. Zur Rosenberger Bibliothek vgl. jetzt Veselá, Lenka: Knihy na dvoře Rožmberků [Bücher am Hof der Rosenberger]. Praha 2005. Paměti o školách českých (wie Anm. 13), 518–523. – Ball (wie Anm. 8), 111 f. – liNtNer (wie
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hatte die Schule neben den Bauproblemen von Anfang an auch andere Schwierigkeiten. Der ehemalige Rosenberger Archivar Václav Březan sah diese im Jahr 1616 gleich in mehreren Bereichen.32 Er bemängelte beispielsweise das Fehlen einer sogenannten Alphabetisierungsklasse, das die Attraktivität der Schule mindere. Im Unterschied zu zahlreichen anderen Partikularschulen wurden hier nämlich nur Schüler aufgenommen, die den Alphabetisierungsprozess bereits erfolgreich durchlaufen hatten. Problematisch waren auch die schlechten Bedingungen im Konvikt, die einige Eltern dazu veranlassten, ihre Kinder mit nach Hause zu nehmen, oder die nationale Zusammensetzung der Lehrer, unter denen es Březan zufolge zu viele Deutsche gab (sie kamen vielfach aus den Nebenländern der Böhmischen Krone, so z. B. Melchior Agricola, Michael Gehler (1587–1619) oder Benjamin Ursinus [1587–1633/1634]).33 Das Rosenberger Gymnasium entwickelte sich also ebenfalls nicht den Erwartungen entsprechend und ging wie die anderen hier behandelten Schulen in Folge der Ereignisse nach der Schlacht am Weißen Berg unter. Obwohl der durch den Majestätsbrief bestimmte rechtliche Rahmen die Entstehung neuer lateinischer Bildungseinrichtungen in Böhmen bzw. die mehr oder weniger ungestörte Existenz der alten Institutionen ermöglichte, lässt sich nicht behaupten, dass es unmittelbar nach 1609 im Untersuchungsraum in quantitativer wie qualitativer Hinsicht zu einer intensiven Entwicklung des nichtkatholischen höheren Schulwesens gekommen wäre. Die hohen Erwartungen, die man auf diese Entwicklung gesetzt hatte, erfüllten sich definitiv nicht. Hierbei spielte nicht nur der kurze Zeitraum für die Umsetzung eine Rolle, sondern auch noch zahlreiche andere Faktoren. Besonders gravierend war meiner Ansicht nach der Mangel an Finanzmitteln, der langfristig nicht nur die Prager utraquistische Universität, sondern auch die Mehrheit der Partikularschulen belastete. Wie wir jedoch am Beispiel des Rosenberger Gymnasiums beobachten konnten, führte selbst eine ausreichende materielle Absicherung nicht automatisch zu einer positiven Entwicklung.
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Anm. 29), 80, 83 f. – WiNter (wie Anm. 13), 125. – ders. (wie Anm. 7), 82. – HaNzal, Josef: Poslední Rožmberkové a Karlova univerzita [Die letzten Rosenberger und die Karlsuniversität]. In: Jihočeský sborník historický 32 (1963), 153–158. Die im Jahr 1616 an Johann Georg von Schwanberg gesandten Vorschläge Březans wurden herausgegeben in: Českobratrská výchova před Komenským (wie Anm. 8), 262 f. S. auch Ball (wie Anm. 8), 109 f. – WiNter (wie Anm. 7), 649, 661 f. S. zu den drei genannten Personen die Biogramme in RHB (wie Anm. 18), Bd. 1, 56 f., Bd. 2, 200–202 und Bd. 5, 421 f.
Spuren in zeitgenössischer Propaganda und Mentalität
Antonín Kostlán
Der böhmische Calvinismus zwischen Majestätsbrief und der Schlacht am Weißen Berg „Es befindet sich aber beim Liecht, dass hievon Fürsten und Herren vi[e]l ein andere Meynung haben unnd ihre Gedancken vi[e]l zu ein andern Zweck richten, als die Calvinischen Predicanten.“ Dies stellte 1616 Christian Gottlieb von Friedberg in seiner Schrift Newer Calvinischer Modell des heiligen Reichs fest.1 Hinter diesem Pseudonym verbarg sich der oberpfälzische Autor Kaspar Schoppe – ein Lutheraner, der zum Katholizismus konvertiert war. Er galt als ein bedeutender zeitgenössischer Kritiker sowohl des Calvinismus als auch des zu der Zeit mit Rom verbundenen Jesuitenordens. Die calvinistischen Fürsten waren seiner Ansicht nach nämlich Vertreter der Oligarchie, während die calvinistischen Prediger sich nach Demokratie oder sogar nach Ochlokratie, das heißt der Herrschaft des Pöbels, sehnten.2 Beides widersprach den Bedürfnissen des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, dem die bisherige ausgeglichene Form der sogenannten monarchia aristocratica perfekt entgegen kam.3 Auch wenn Schoppes Interpretation zweifellos von einer propagandistischen Schärfe gezeichnet war, lässt sich ihm zumindest in einer Hinsicht eine gewisse Hellsichtigkeit nicht absprechen: Gemeint ist seine Diagnose der unterschiedlichen Ansichten, die von den intellektuellen Anführern des calvinistischen Bekenntnisses und den Vertretern der Reichspolitik, die sich zu dieser Konfession bekannten, vertreten wurden. Man darf wohl konstatieren, dass sich der europäische Calvinismus über zwei relativ eigenständige Zweige verbreitete: zum einen als intellektuell attraktive religiöse Bewegung und zum anderen als mit machtpolitischen Ambitionen verknüpfte politische Ideologie. Diese beiden Zweige waren zwar vielfach miteinander verflochten und überdeckten sich teilweise, aber in ihren Zielen und Vorstellungen waren sie sich bei weitem nicht einig. Die Lehre des Genfer Predigers Johannes Calvin war ursprünglich nur eine der konfessionellen Strömungen, die zur Spaltung der europäischen Christenheit in der Zeit der spätmittelalterlichen Krise der universalistischen Weltanschauung und ihrer frühneuzeitlichen Überwindung geführt hatten.4 Von der zweiten Hälfte des 1
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Von friedBerg, Christian Gottlieb [= Caspar Schoppe]: Newer Calvinischer Modell des heiligen Reichs. S. l. 1616, 121. Der Druck ist im Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts unter den Sign. VD17 23:237843U und 12:111824D registriert. Ich verwende das Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. 435.10 Theol. (1) in der digitalisierten Form, die über den DFG-Viewer zugänglich ist: http:// dfg-viewer.de/. Zum Autor s. altmaNN, Hugo: Schoppe Kaspar. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. Bd. 18. Herzberg 2001, Sp. 1261–1297. – JaitNer, Klaus: Schoppe, Kaspar. In: Neue deutsche Biographie. Bd. 23. Berlin 2007, 475–477. friedBerg (sCHoPPe) (wie Anm. 1), 126. Ebd., 1. Die Literatur zur Entwicklung des europäischen Calvinismus wurde zuletzt zusammengefasst
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16. Jahrhunderts an bildete der Calvinismus jedoch – wenn wir die spezifische englische Entwicklung außer Acht lassen – zusammen mit dem Katholizismus und dem Luthertum die drei Hauptlinien, deren gegenseitige Konkurrenz in der sogenannten frühneuzeitlichen Konfessionalisierung enden sollte. In ihrem Rahmen erhielten die genannten Konfessionen nicht nur im Hinblick auf ihre Rituale und dogmatischen Inhalte (nachtridentinischer Katholizismus, von den Melanchthon’schen Übergriffen befreites „diszipliniertes“ Luthertum und reformierter Glaube in der Kodifikation, die Theodor Beza geprägt hatte) eine feste Gestalt, sondern wurden auch zu den gegenüber der Gesellschaft und dem Staat gebrauchten Instrumenten der Sozialdisziplinierung. Unter diesen Konfessionen verkörperte der Calvinismus bzw. das reformierte Bekenntnis die ursprünglich in der Frühen Neuzeit radikalste Strömung. Erst in späteren Jahrhunderten sollte die Zahl der radikalen Reformationsbewegungen steigen. Das Wetteifern der Konfessionen dynamisierte die europäische Gesellschaft in mehreren Schüben. Die erste Phase deckte sich mit den Anfängen der sogenannten (ersten) Reformation, beschränkte sich räumlich auf Mittel- (bzw. Mittel- und Nord-)Europa und endete 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden, der einen machtpolitischen Kompromiss zwischen dem Katholizismus und dem Luthertum darstellte. Das auf diese Weise hergestellte Gleichgewicht wurde jedoch später in der Zeit der sogenannten zweiten Reformation durch die expansive Verbreitung des reformierten Bekenntnisses in Frage gestellt, das nicht nur den Westen und die Mitte Europas erfasste, sondern auch einige Länder im Osten Europas, wie Ungarn oder Polen-Litauen. Diese Expansion trug zum Ausbruch zahlreicher militärischer Konflikte bei und wurde erst durch den Westfälischen Frieden im Jahr 1648 beendet.5 Das Vordringen des Calvinismus machte auch vor den böhmischen Ländern nicht Halt. Bereits 1546 war in Nürnberg auf Kosten des reichen Prager Bürgers und Bakkalaureus Zigmund Ziga dessen tschechische Übersetzung von Calvins Ermahnung Kaiser Karls V. auf dem Reichstag in Speyer (Supplex Exhortatio ad [...] Caesarem Carolum Quintum [...]) gedruckt worden,6 und im selben Jahr erschien auch die tschechische Übersetzung von Calvins Zwei Episteln über in dieser Zeit
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in: Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Hg. v. Ansgar reiss und Sabine Witt. Dresden 2009, 410–437. Stellvertretend für die heute bereits unübersehbare Literatur zur europäischen Religionsentwicklung möchte ich wenigstens auf folgende Werke verweisen: Die Zeit der Konfessionen (1530–1620/30). Hg. v. Marc VeNard und Heribert smoliNsky. Freiburg-Basel-Wien 1992. – Calvinism in Europe, 1540–1620. Hg. v. Andrew Pettegree, Alastair duke und Gillian leWis. Cambridge 1994. – BeNediCt, Philip: Christ’s Churches Purely Reformed. A Social History of Calvinism. New Haven 2002. – The Reformation World. Hg. v. Andrew Pettegree. LondonNew York 2000. – A Companion to the Reformation World. Hg. v. Ronnie Po-CHia Hsia. Oxford 2004. kalvín, Jan: Pokorné a ponížené napomínání k nejnepřemoženějšímu císaři Karlovi Pátému a k nejosvícenějším kniežatuom i jiným stavům nynie v Špejru sněm říšský držícím. Norimberk 1546. S. Knihopis českých a slovenských tisků od doby nejstarší až do konce XVIII. století II/2 [Verzeichnis der tschechischen und slowakischen Drucke von der ältesten Zeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts II/2]. Praha 1941, 226, Nr. 1408.
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sehr notwendige Dinge.7 Die tschechische Öffentlichkeit erhielt also sehr aktuelle Informationen nicht nur über die konkreten dogmatischen Ansichten des Genfer Predigers, sondern auch über dessen politische Einstellung. Die Originale der genannten Werke waren damals echte Neuheiten, die nur wenige Jahre zuvor in Westund Mitteleuropa eine lebhafte Diskussion ausgelöst hatten: die erste erwähnte Schrift erschien 1543, die zweite erstmals 1537. Wir wissen wenig über die Absichten, die den Nürnberger Verleger Christoph Gutknecht zur Herausgabe der tschechisch geschriebenen, religiösen Drucke motivierten,8 aber wir dürfen festhalten, dass ein Großteil der tschechischen Gesellschaft in der Blütezeit vor der politischen und wirtschaftlichen Krise gegen Ende der vierziger Jahre des 16. Jahrhunderts für neue Geistesströmungen offen war. Das Vordringen des Calvinismus in die böhmischen Länder stellte eine Form der „Europäisierung“ bzw. „Internationalisierung“ des dortigen religiösen Lebens dar. Diese zeigte sich sehr deutlich in der allmählichen Transformation des böhmischen Utraquismus, welcher der hussitischen Tradition entstammte, zu einem Bekenntnis, das dogmatisch und institutionell mit dem deutschen Luthertum vereinbar war. Der Charakter dieser „Europäisierung“ wird ebenfalls offensichtlich, als der traditionelle und mit dem heimischen Milieu verwachsene Katholizismus einem zentralisierten Rekatholisierungsmodell mit international gültigen Parametern weichen musste. In Böhmen und Mähren spielte der Calvinismus zwar nur eine nebensächliche Rolle, aber in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg beeinflusste er die Ansichten und Einstellungen eines bedeutenden Teils der mährischen und böhmischen politischen und intellektuellen Eliten doch erheblich.9 7 8
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Jana Kalvína kazatele genevenského dvě epištoly o věcech toho času znáti velmi potřebných. Norimberk 1546. S. Knihopis (wie Anm. 6), 222, Nr. 1407. Neben Calvins Werken verlegte er im selben Jahr auch tschechische Übersetzungen eines antipäpstlichen Angriffs von Melanchthon und des in die gleiche Richtung zielenden Theaterstücks Pammachius, das von Thomas Naogeorgus-Kirchmeyer stammte. S. Knihopis (wie Anm. 6), Nr. 5488 und 6009. Zu Gutknechts tschechischem Verlagsbetrieb s. BoHatCoVá, Mirjam: Erasmus, Luther, Melanchthon und Calvin in gedruckten tschechischen Übersetzungen aus dem 16. und 17. Jahrhundert. In: Gutenberg-Jahrbuch 49 (1974), 163. Für Fragen der böhmischen und mährischen religiösen Entwicklung vor der Schlacht am Weißen Berg ist bis heute von zentraler Bedeutung: HreJsa, Ferdinand: Česká konfesse, její vznik, podstata a dějiny [Die Confessio Bohemica, ihre Entstehung, Wesen und Geschichte]. Praha 1912. Wichtig war auch der Meinungsaustausch zwischen Ferdinand Hrejsa und František Hrubý, zu dem es in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts kam. S. hierzu HruBý, František: Luterství a kalvinismus na Moravě před Bílou horou [Luthertum und Calvinismus in Mähren vor dem Weißen Berg]. In: Český časopis historický 40 (1934), 265–309, 41 (1935), 1–49, 237–268. – HreJsa, Ferdinand: Luterství, kalvinismus a pod obojí na Moravě před Bílou horou [Luthertum, Calvinismus und Utraquismus in Mähren vor dem Weißen Berg]. In: Český časopis historický 44 (1938), 298–326, 474–485. – HruBý, František: Luterství a novoutrakvismus v českých zemích v 16. a 17. století [Luthertum und NeoUtraquismus in den böhmischen Ländern im 16. und 17. Jahrhundert]. In: Český časopis historický 45 (1939), 31–44. Die Ansichten der jüngeren Literatur fasst folgender Sammelband zusammen: Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Hg. v. Robert J. W. eVaNs und Trevor V. tHomas. London 1991. Einen kommentierten Überblick über die zeitgenössische Literatur zu diesen Fragen liefert Palmitessa, James R.: The Reformation in Bohemia and Poland. In: Po-CHia Hsia (wie Anm. 5), 185–204. Aus der Pers-
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Die intellektuelle Anziehungskraft des Calvinismus zeigte besonders unter den Mitgliedern der Brüderunität Wirkung. War zu Calvins Lebzeiten, das heißt bis 1564, die Kommunikation mit den Konfessionen in den böhmischen Ländern noch durch den Austausch von Traktaten und deren wechselseitiger Kommentierung geprägt gewesen, kamen unter Calvins Nachfolger Theodor Beza und später andere, persönlichere Arten der intellektuellen Kommunikation zur Anwendung. Als Wendepunkt darf hierbei zweifellos die Ankunft böhmischer und mährischer Studenten an calvinistischen höheren Schulen und Universitäten nicht nur in Genf, sondern auch in anderen schweizerischen, holländischen, deutschen und französischen Städten gelten.10 Unter den Studenten der Brüderunität waren es vor allem zwei Gruppen, die sich eng an die neu eröffneten Horizonte banden: der junge Adel, dessen Erziehung auf europäischem Spitzenniveau aus der Ferne sorgfältig von dem mährischen Adelsführer Karl d. Ä. von Žerotín koordiniert wurde, sowie eine neue Generation von Unitätsgeistlichen, die, wie der polnische Adelige Andrzej Rej von Naglowitz 1612 in einem Brief an den bedeutenden französischen Hugenotten Philippe du Plessis-Mornay beißend bemerkte, u. a. der einfachere Lebensunterhalt der calvinistischen Prediger lockte. Diese erfuhren nämlich durch ihre Gemeinde eine wirtschaftliche Absicherung, so dass sich ihre Zeit für Studium und Weiterbildung nicht durch die Sicherung des Lebensunterhalts mittels eigener physischer Arbeit verkürzte.11 Die Sympathien für die Lehre der Genfer Prediger wurden jedoch von den Verfechtern der offiziellen dogmatischen Linie der Brüderunität mit Unwillen
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pektive der Kunstgeschichte zum Vordringen des Calvinismus s. ŠroNek, Michal: Kalvinisté v Čechách [Calvinisten in Böhmen]. In: Umění české reformace. Hg. v. Kateřina horníČková und Michal Šroněk. Praha 2010, 355–383. Pionierfunktion über die Beziehungen der Brüderunität zum europäischen Calvinismus hatten die Arbeiten von Otakar Odložilík und František Hrubý. S. odložilík, Otakar: Jednota bratrská a reformovaní francouzského jazyka [Die Brüderunität und die Reformierten französischer Sprache]. Philadelphia 1964. – HruBý, František: Etudiants Tchèques aux écoles protestantes de l´Europe occidentale à la fin du 16e et au début du 17e siêcle. Brno 1970. Zum Studium der Unitätsstudenten in Genf und an anderen europäischen calvinistischen Schulen s. außerdem molNár, Amadeo: Českobratrská výchova před Komenským [Die Erziehung in der Brüderunität vor Comenius]. Praha 1956. – reJCHrt, Luděk: Bratrští studenti na reformovaných akademiích před Bílou horou [Unitätsstudenten an reformierten Akademien vor dem Weißen Berg]. In: Acta Universitatis Pragensis – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 13, fasc. 1–2 (1973), 43–82. Zu den neu gefundenen Quellen aus dem Archiv des Bischofs Matouš Konečný s. růČková, Markéta: Studium kněžského dorostu Jednoty bratrské v letech 1610–1618 [Studium der zukünftigen Priester der Brüderunität in den Jahren 1610–1618]. In: Studia Comeniana et Historica 39 (2009), Nr. 81–82, 200–215. Allgemein wird die Problematik der Bildungsreisen böhmischer Studenten ins Ausland zusammengefasst bei sVatoŠ, Michal: Akademická peregrinace a cesty za vzděláním [Akademische Peregrination und Bildungsreisen]. In: Cesty a cestování v životě společnosti. Hg. v. Lenka BoBkoVá und Michaela NeudertoVá. Ústí nad Labem 1995, 241–250. – Holý, Martin: Ausländische Bildungsreisen böhmischer und mährischer Adeliger an der Schwelle zur Neuzeit. In: Historica 11 (2004), 65–90. Zu den Reisen von Studenten aus Schlesien s. zoNta, Claudia A.: Schlesische Studenten an italienischen Universitäten. Eine prosopographische Studie zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte. Köln-Weimar-Wien 2004. S. HruBý: Luterství a kalvinismus na Moravě (wie Anm. 9), 38.
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verfolgt. Zwar musste die Unität in Polen zur Sicherung ihrer Existenz eine Koexistenz mit den dortigen calvinistischen Strömungen, manchmal sogar mit Arianern und anderen radikalen Gruppen, eingehen,12 aber auf böhmischem Territorium grenzte sie sich gegenüber dem Calvinismus ebenso vehement ab wie die dortigen Katholiken und Lutheraner. „Er pflegt, sich auf dem Schloss aufzuhalten, disputiert vor jedermann und verteidigt die Calvinisten, woraus nicht wenige Verleumdungen gegen uns folgen, dass wir uns zu den Calvinisten bekennen.“, so klagten die Unitätssenioren 1592 über Jan Lanecius, einen der jüngeren und freiheitsliebenderen Geistlichen.13 Sechs Jahre später bestärkte Bruder Simeon den Rat der Bischöfe in der Ansicht, dass „[…] wir, wenn wir vom heiligen Sinn der Unität, so wie er in unserer Konfession niedergeschrieben steht, abgehen werden, der Titulierung als Taboriten, Habrowaner, Calvinisten auf keinen Fall entgehen werden.“14 Diese Einstellung wurde durch Schutzmechanismen geprägt, welche die Brüderunität aufgrund der früheren Verfolgungen entwickelt hatte, denn als sogenannte „pikardische“ Kirche bewegte sie sich in den böhmischen Ländern, auch in der Epoche vor dem Weißen Berg, nicht auf dem Boden der Legalität. Außerdem gründete ihre Selbstidentifikation auf der Vorstellung, die Unität baue unmittelbar auf den Wurzeln des Urchristentums auf. Der oben erwähnte Bruder Simeon hatte schließlich 1598 verkündet: „Unsere Unität ist kein ständig lernendes altes Weib; sie wuchs unter unseren Vätern und in unserer Erinnerung innerhalb von hundert Jahren nach ihrer Errichtung in die Perfektion der Lehre Christi, und sie erreichte bereits eine solche Perfektion im gesunden Geist der Heiligen Schrift bei allen Artikeln und in der heiligen Ordnung, dass sie nichts von anderen Unitäten lernen muss, sondern selbst diese Unitäten belehren könnte.“15 Als im Umkreis der Brüderunität der Gedanke an eine Übersetzung von Calvins im Hinblick auf die Gesellschaftslehre bedeutendstem Werk Institutiones 12
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Zum Zusammenleben der Brüderunität mit calvinistischen Strömungen im polnischen Umfeld s. bes. BeČková, Marta: Jan Amos Komenský a Polsko [Johann Amos Comenius und Polen]. Praha 1983. – gmiterek, Henryk: Bracia Czesczy a kalwini w Rzeczypospolitej. Połowa XVI – połowa XVII wieku. Studium porównawcze [Die böhmischen Brüder und die Calvinisten in Polen. Mitte des 16. bis Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine komparatistische Studie]. Lublin 1987. – ders.: Irénismus českobratrské církve v Polsku v XVI.–XVII. století [Der Irenismus der Kirche der Böhmischen Brüder in Polen im 16. – 17. Jahrhundert]. In: Acta Universitatis Palackianae Olomucensis. Facultas philosophica. Historica 27 (1996), 13–21. – dWorzaCkoWa, Jolanta: Bracia Czescy w Wielkopolsce w XVI i XVII wieku [Die böhmischen Brüder in Großpolen im 16. und 17. Jahrhundert]. Warszawa 1997. – PetkuNas, Darius: Consensus of Sandomierz – a Unique Ecumenical Document in 16th Century PolishLithuanian Christianity. In: Tiltai, University of Klaipėda 30/1 (2005), 85–104. „Na zámku bývá, dišputuje se před leckýms a kalvinistů zastává, z čehož nemalé pomluvy na nás jdou, že se ke kalvinistům hlásíme.“ Dekrety Jednoty bratrské [Dekrete der Brüderunität]. Hg. v. Antonín giNdely. Praha 1865, 255. „[…] od posvátného smyslu Jednoty v konfesí naší zapsaného budemeli odstupovati, tytule táboritův, habrovanův, kalvinistův žádným způsobem bychom neušli.“ Ebd., 268. „Jednota naše nejní babou vždycky se učící; dorostla za otcův našich a paměti naší ve stu letech po svém nastání v dokonalosti učení Kristova, a došla již takové perfekcí v zdravém smyslu písma svatého při všech artikulích, i v řádu svatém, že se jí ničeho netřeba od jiných jednot učiti, ale ona jiné jednoty učiti již by mohla.“ Ebd., 268.
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Christianae religionis aufkam, stieß er bei den offiziellen Vertretern dieser Konfession daher keineswegs auf Verständnis. Jiří StrejcVetter, Unitätspsalmist und ehemaliger Unterhändler bei der Abfassung der Confessio Bohemica, bereitete die Übersetzung mehr oder weniger heimlich vor. Er übersetzte alle vier Bücher der Institutiones, und diese Leistung stellt zusammen mit den beiden bereits erwähnten Calvin’schen Drucken, die 1546 in tschechischer Sprache in Nürnberg erschienen, den einzigen Versuch aus der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg dar, die tschechische Öffentlichkeit mit Calvins Gedanken in Reinform vertraut zu machen. Strejc selbst schrieb 1595 im Vorwort der handschriftlichen Version seiner Übersetzung, sie sei in erster Linie als Dienst an den jungen Theologen gedacht, die noch nicht hinreichend mit fremden Sprachen vertraut seien, um die Schrift im Original lesen zu können. Zugleich empfahl er jedoch seine Übersetzung jedem Interessenten aus den Reihen der Unitätsöffentlichkeit, ohne dabei auf die theologischen Differenzen zwischen den Calvinisten und den Böhmischen Brüdern hinzuweisen.16 Auch in der Unität galt also damals das gängige Bild des Calvinisten als eines Sektierers und Verschwörers, wie es ikonographisch in einem späteren lutherischen Flugblatt dargestellt wird: Dort ist ein Calvinist abgebildet, der mit einem Jesuiten und dem Wiener Kardinal Melchior Khlesl die zeitgenössischen Konspirationsspielchen spielt.17 Mit dieser Distanz zum Calvinismus reihte sich die Unität in den allgemeinen Diskurs in Böhmen vor der Schlacht am Weißen Berg ein, der die Calvinisten bis 1618 als eine von vielen gefährlichen Sekten bezeichnete, deren Einfluss man einschränken müsse. In diesem Sinn erstreckte sich die legendäre „Toleranz aus Notwendigkeit“, die in den böhmischen Ländern in jener Zeit gepflegt wurde, vor 1609 überhaupt nicht auf die calvinistische Lehre. In den in religiöser Hinsicht angespannten Jahren nach dem Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs bis zur Schlacht am Weißen Berg wurde sie nur in stark eingeschränktem Maß toleriert. Lediglich eine Handvoll Adeliger und Intellektueller wagte es, sich offen zum Calvinismus zu bekennen und keine Zugehörigkeit zur Brüderunität vorzuschützen. Diese Personen fanden sich in sehr viel größerer Zahl in Mähren, in dessen Gesellschaft – ähnlich wie in Ungarn und in Polen-Litauen – die Interessen der Magnaten eine weitaus bedeutendere Rolle spielten als in Böhmen, denn dort unterstand das religiöse Leben einer sehr viel konsequenteren Kontrolle durch das katholische bzw. das utraquistische Konsistorium.18
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S. Moravský zemský archiv (Mährisches Landesarchiv), Bestand G10, Sign. 209. Die Handschrift hat eine neue Bindung aus den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts, verfügt über eine durchgehende Blattnummerierung und zählt insgesamt 684 Blätter. S. dazu doBiáŠ, František M.: Calvinova Instituce v češtině [Calvins Institutiones in tschechischer Sprache]. In: Český bratr 13 (1936), 114–115. – urBáNkoVá, Emma: Několik poznámek k českému vydání Kalvínovy Instituce [Einige Anmerkungen zur tschechischen Ausgabe von Calvins Institutiones]. In: Literární archiv 1 (1966), 237–246, hier 244 f. Custos, Raphael: Böhmischer Unrüh Schauspiegel. S. l. [Augsburg] s. d. [1619] – s. VD17 14:007782T. Die Figur des Calvinisten befindet sich auf einem Bild, das den zweiten Akt darstellt und mit dem Buchstaben F bezeichnet ist. Eine Aufzählung dieser Persönlichkeiten bietet HruBý: Luterství a kalvinismus na Moravě (wie Anm. 9), 37 f.
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Zu Illustrationszwecken sei auf zwei Persönlichkeiten hingewiesen, die ein offenes und geradezu proklamatisches Bekenntnis zum Calvinismus in der Zeit vor dem Weißen Berg eint. Johann d. J. von Würben und Freudenthal (1590–1642) stammte zwar aus einem schlesischen, lutherisch gesinnten Adelsgeschlecht, aber Studien in Basel und Genf hatten ihn zum calvinistischen Bekenntnis geführt. Er wurde zum führenden Exponenten des Ständeaufstandes im schlesischen und mährischen Raum und hatte als Mitglied des mährischen Direktoriums und Hauptmann des Troppauer Fürstentums bedeutende Funktionen inne, so dass ihm nach der Niederlage am Weißen Berg nur der Weg ins Exil blieb.19 Mit Mähren ist durch seine Herkunft auch Jan Opsimathes, eigentlich Morkovský oder Mrkvička (um 1568 – nach 1620), verbunden. Seine radikalen Einstellungen veranlassten diesen Theologen, Drucker und Präzeptor von Adelssöhnen sogar zum Austritt aus der Brüderunität. In zahlreichen Drucken propagandistischen und theologischen Charakters warb er für die Lehre des Johannes Calvin, und in die gleiche Richtung deuteten auch seine Aktionen, die dem Gewinn von internationaler Unterstützung bei der Verbreitung calvinistischen Gedankengutes in den böhmischen Ländern dienten; wohl deshalb erwartete auch ihn schließlich das Schicksal eines Exulanten.20 In den böhmischen Ländern konnten außerdem – wenn auch nur am Rande – calvinistische Modelle der Kirchenorganisation zur Geltung kommen, die das presbyterianische Prinzip bevorzugten. Bekannt ist eigentlich nur ein solcher Versuch: die Kirchenordnung von 1603, die sechs in verschiedenen Pfarreien in Ungarisch Ostra (Uherský Ostroh) und dessen Umgebung tätige Pfarrer vereinte.21 Die Brüderunität bewahrte sich dagegen auch später im Exil ihre eigene Organisationsstruktur, die auf der zentral gelenkten und strengen Sozialdisziplinierung der Mitglieder und dem Bischofsprinzip beruhte. In die höheren bürgerlichen Schichten, die als gesellschaftliche Basis für die Verbreitung dieses Bekenntnisses in seinem Ursprungsland gelten dürfen, drang der Calvinismus nur in Prag vor. Dies geschah allerdings nur oberflächlich und unter der Einwirkung einer zugewanderten und mit dem höfischen Milieu verflochtenen Gemeinschaft.22 19
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S. zu seiner Person fukala, Radek: Třicetiletá válka (Konflikt, který změnil Evropu) [Der Dreißigjährige Krieg. Ein Konflikt, der Europa veränderte]. Opava 2001, 97–99. – ders.: Stavovská politika na Opavsku v letech 1490–1631 [Die Ständepolitik in der Region Troppau in den Jahren 1490–1631]. Opava 2004, 82–84. Zuletzt zu dieser Persönlichkeit: kostláN, Antonín/HadraVoVá, Alena: Carmina propemptica in honorem Johannis Opsimathis. Herbornská pocta pro moravského učence z roku 1607 [Carmina propemptica in honorem Johannis Opsimathis. Die Herborner Ehrung für den mährischen Gelehrten aus dem Jahr 1607]. In: Sborník k životnímu jubileu PhDr. Michala Svatoše, CSc. Acta Universitatis Carolinae – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 47/1–2 (2007), 117– 159. – kostláN, Antonín: Jiří Strejc a Jan Opsimathes – apoštolové českého kalvinismu [Jiří Strejc und Jan Opsimathes – die Apostel des böhmischen Calvinismus]. In: Historie – Otázky – Problémy 1 (2009), 35–55. – ders.: ‚Kto Bogu wiernie służy, temu wiek szczęśnie płuzy‘. Czech-Polish Relations in Light of the Album Amicorum of the Moravian Calvinist Jan Opsimathes. In: Acta Comeniana 22–23 (2009), 59–97. Dazu HruBý: Luterství a kalvinismus na Moravě (wie Anm. 9), 37 f. Hierzu bes. mout, Nicolette: The International Calvinist Church of Prague, the Unity of Brethern and Comenius 1609–1635. In: Acta Comeniana 4/1 (1979), 65–77.
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Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun dem politischen Calvinismus zu, dem Kaspar Schoppe einen Drang zur oligarchischen Regierungsform unterstellte, die er folgendermaßen erklärte: „Oligarchia ist eine solche Form zu regiren, wann etliche vorneme reiche Herren das Hefft im Händen haben, unnd alles nit nach den ordenlichen rechten, sondern nach ihrem Lust oder gefallen handlen, noch die Regierung zu Erhaltung und Mehrung der gemeinen Wolfarth, sondern zu ihren eignen PrivatNutz und Vortheil zurichten pflegen.“23 Seinen Vorwurf gegen das von calvinistischen Fürsten und Herren durchgesetzte politische Modell, das für ihn besonders durch den pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. – er selbst stammte aus einem Ort bei Amberg in der Oberpfalz – sowie in dieser Zeit schon auch durch den brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund verkörpert wurde (seine Schrift wurde 1616 publiziert), konkretisierte Schoppe also vor allem in der Willkür, die gegenüber dem Machtzentrum des Alten Reiches zum Ausdruck gebracht wurde. Calvins „politische Theologie“, wie sie besonders in seiner bereits erwähnten Schrift über die Fundamente der christlichen Religion dargestellt wurde, lieferte mit ihrer zurückhaltenden Einstellung gegenüber der Monarchie als einzig richtiger Regierungsform und mit der Betonung der Pflichten der Herrscher gegenüber der höchsten „Majestät“ – Gott – genügend Inspiration,24 um die gegenseitige Beziehung der beiden höchsten Ebenen in der Machtstruktur des Reiches, das heißt des Kaisertums mit seinen universalistischen Ansprüchen und der realen Macht der Kur bzw. Reichsfürsten, neu zu definieren. Vor allem deshalb kam sie in zahlreichen hitzigen sachverständigen und publizistischen Debatten über die Fragen, wer im Reich eigentlich wessen Richter sei, ob der Kaiser über die Kurfürsten oder die Kurfürsten über den Kaiser richteten, und ob es möglich sei, einem schlechten Herrscher, einem Herrscher mit anderer Konfession oder sogar einem herrschenden Tyrannen nicht zu gehorchen, zur Anwendung. Ihre Argumentation war für zahlreiche weitere Anhänger von Calvins Lehre außerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, sowohl in Westeuropa, z. B. in Holland oder Schottland, als auch im Osten, etwa in Ungarn, Polen-Litauen und teilweise auch in Mähren, attraktiv. Man sollte jedoch nicht wie Josef Polišenský oder einige andere Autoren der Illusion erliegen, dass eine solche Theorie dem Calvinismus immanent und er daher für eine gewisse „Fortschrittlichkeit“ oder das „Revolutionäre“ unmittelbar prädestiniert war,25 denn ähnlich wie im Luthertum oder im Katholizismus wurde auch im Fall der calvinistischen Autoren die dogmatische Lehre instrumentalisiert und mit einer gehörigen Dosis Finalität versehen. Dies galt ebenfalls für das von den pfälzischen und brandenburgischen Kurfürsten durchgesetzte politische Modell, das sich zwar unter Verwendung der Calvin’schen Ansichten auf eine politische Ungebundenheit gegenüber dem Kaiser berief, zugleich aber seine ideologische Schärfe gegen die pfälzische und brandenburgische lutherische Binnenopposition 23 24 25
friedBerg (sCHoPPe) (wie Anm. 1), 121. Vgl. dazu die einführende Studie in: HöPfl, Harro: Luther and Calvin on Secular Authority. Cambridge 1991, XVI–XXIII. S. beispielsweise Josef PoliŠeNský: Třicetiletá válka a evropské krize 17. století [Der Dreißigjährige Krieg und die europäische Krise des 17. Jahrhunderts]. Praha 1970.
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kehrte. Ihr gegenüber nahm man im Grunde den Standpunkt cuius regio, eius religio ein. Die calvinistischen Autoren im Dienst des englischen Königs Jakob I. arbeiteten eine derart überzeugende Verteidigung der absolutistischen Ansprüche des Herrschers aus, dass sie damit anderen calvinistischen Autoren, die in pfälzischen oder böhmischen Diensten um eine Verteidigung der Absetzung des böhmischen Königs aus der Habsburgerdynastie bemüht waren, die Arbeit erheblich erschwerten.26 Die eigenwillige calvinistische Gemeinde in der ostfriesischen Stadt Emden musste wiederum gegen die calvinistische Verteidigung der absolutistischen Ansprüche der deutschen Fürsten argumentieren, da sie selbst sich dem Druck des dortigen lutherischen Landesherrn ausgesetzt sah.27 Während bis 1609 in erster Linie der intellektuelle Calvinismus in die böhmischen Länder vordrang, kann man nach dem Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs von einem gewissen Gleichgewicht zwischen dem intellektuellen und dem politischen Calvinismus in seiner oben angedeuteten Pfälzer Version sprechen. Parallel dazu verschob sich das Zentrum des calvinistischen Einflusses von Mähren nach Böhmen – genauer gesagt nach Prag. In welchem Maß der politische Calvinismus bereits damals das politische Geschehen in den böhmischen Ländern beeinflusste, zeigt besonders eindringlich das Schicksal der Strejc’schen tschechischen Übersetzung von Calvins Institutiones, die in Etappen und möglicherweise unvollständig in den Jahren 1612–1617 im Druck erschien und damals immer noch als derart verwegene und kühne Tat galt, dass die gesamte Arbeit daran anonym und heimlich hinter dem Rücken der Landesbehörden und der Unitätsführung stattfand. Mehr erfährt man aus der Widmung an den englischen König Jakob I., die zuhause in Böhmen verheimlicht wurde und in der der Herausgeber Jan Opsimathes 1616 bekannte: „Und als ich in Amberg, der Stadt des erlauchtesten Kurfürsten, zu dieser gegebenen Sache wohnte, und den führenden Männern bekannt war, vertraute er mir diese Arbeit an und gebot, dass ich sie ans Licht bringen, überhaupt bekannt machen sollte. Was mir von dem erlauchtesten Kurfürsten heiligen Angedenkens und dem jetzigen Eurer königlichen Majestät Herrn Schwiegersohn mit besonderer Gnade erlaubt, genehmigt und bestätigt wurde“.28 Ein paar Jahre vor dem böhmi26
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Dazu WoottoN, David: Divine Right and Democracy. An Anthology of Political Writing in Stuart England. Harmondsworth 1986. – sommerVille, Johann P.: James I and the Divine Right of Kings. English Politics and Continental Theory. In: The Mental World of the Jacobean Court. Ed. by Linda Levy PeCk. Cambridge u. a. 1991, 55–70. – Burgess, Glenn: The Divine Right of Kings Reconsidered. In: The English Historical Review 107 (1992), 837–861. – King James VI and I. Political Writings. Hg. v. Johann P. sommerVille. Cambridge 1994. – Burgess, Glenn: Absolute monarchy and the Stuart Constitution. New Haven-London 1996. S. „Die Emder Revolution“ von 1595. Kolloquium der OstfrieslandStiftung am 17. März 1995 in Emden. Hg. v. Hajo van leNgeN. Aurich 1995. „A když sem já v Amberce, nejjasnějšího kurfiřta městě, k tej věci případném bydlel, a předním mužům znám byl, tu práci mně svěřil a poručil, abych ji na světlo vydaje, vůbec v známost uvedl. Což mi vykonati od nejjasnějšího kurfiřta svaté paměti i nynějšího Vaší královské milosti pana zetě s zvláštní milostí povoleno, schváleno i utvrzeno bylo.“ Eine Edition dieses Vorworts bei kostláN: Jiří Strejc (wie Anm. 20), 52–55, Anhang Nr. 2, hier 53. Zum Druck der tschechischen Übersetzung der Institutiones auch BoHatCoVá, Mirjam: Korektury k tvorbě Jana Opsimata [Korrekturen zum Schaffen des Jan Opsimathes]. In: Listy filologické 5 [80] (1957), 74–82. – dies.: Zbývající „spisek“ Opsimatův [Eine ausstehende „kleine Schrift“ des
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schen Aufstand ging es also nicht mehr um den eigentlichen Beitrag von Calvins bedeutendem Werk zum Prozess der Kultivierung jedes Einzelnen und der Erziehung des neuen Priesternachwuchses der Brüderunität, sondern die Herausgabe der Übersetzung wurde zu einer politischen Tat, die mit Zustimmung der bedeutenden calvinistischen Herrscher erfolgte, des bereits verstorbenen pfälzischen Kurfürsten Friedrich IV. und seines Sohnes Friedrich V., des künftigen böhmischen „Winterkönigs“. Die Jahre 1618–1620 sind dann mit dem gewaltsamen Aufstieg des politischen Calvinismus verbunden, der zugleich die Gleichberechtigung und vollständige Legalisierung dieses Bekenntnisses in den böhmischen Ländern mit sich brachte. Die Stadt Prag verwandelte sich in gewisser Weise in die Hauptstadt der „Schweizerischen Reformation“ und stellte durch ihren Ruhm für eine Weile sogar die im Niedergang befindlichen bisherigen Zentren in den Schatten, die nach dem Tod der ersten Nachfolger der Gründerväter an Attraktivität verloren hatten. Einflussreich war sicherlich auch die Zuwanderung der französischen Hugenotten, denen eine der beschlagnahmten Jesuitenkirchen zugeteilt worden war, und der deutschen theologischen Ratgeber, die der neue König aus Heidelberg oder anderen Reichsterritorien mitgebracht hatte. Die zentrale Persönlichkeit unter ihnen war Abraham Scultetus, dessen Predigten – zumindest einer Abbildung auf einem zeitgenössischen spöttischen Flugblatt zufolge – Friedrich V. manchmal Kopfschmerzen bereiteten.29 Angriffslustig auch gegenüber der Brüderunität trug damals eine Gruppe pro-calvinistischer Geistlicher ihre Forderungen vor, und die Informiertheit über die Grundlagen ihres Glaubens wuchs durch die Herausgabe einer tschechischen Übersetzung des Heidelberger Katechismus, die Jakub Akanthido-Mitis, damals Geistlicher in Škramníky bei Poděbrady, angefertigt hatte.30 Die Beliebtheit des jungen Königs unter dem einfachen Volk ließ bei einem Teil der Beobachter die Überzeugung wachsen, dass Böhmen trotz einiger für die Einheimischen schwer verständlicher Exzesse, wie dem Bildersturm im Veitsdom, in
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Jan Opsimathes]. In: Listy filologické 6 [81] (1958), 125–126. – urBáNkoVá (wie Anm. 16), 237–245. S. den anonymen Einblattdruck Calvinischer Ruef vor deß Sculteten Predig zu singen. S. l., s. d. [1621] – VD17 1:089891G. Zu der Publizistik s. HuBkoVá, Jana: Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky. Letáky jako pramen k vnímání a vývoji české otázky v letech 1619–1632 [Friedrich von der Pfalz im Spiegel der Flugblattpublizistik. Flugblätter als Quelle zur Entwicklung und Wahrnehmung der böhmischen Frage in den Jahren 1619–1632]. Praha 2010. – Zu Scultetus’ Wirken in den böhmischen Ländern s. HreJsa: Česká konfese (wie Anm. 9), 546–553. – Šroněk (wie Anm. 9), 360–362. Zum mit Scultetus verbundenen Bildersturm im Prager Veitsdom s. kraMář, Vincenc: Zpustošení Chrámu sv. Víta v roce 1619 [Die Verwüstung des Veitsdoms im Jahre 1619]. Hg. v. Michal Šroněk. Praha 1998. Zur allgemeinen Verlagerung hin zum Calvinismus in den Jahren 1618–1620 s. HruBý, František: Švýcarský svědek Bílé hory [Ein Schweizer Zeuge der Schlacht am Weißen Berg]. In: Český časopis historický 37 (1931), 42–78. Katechismus náboženství pravého křestʼanského pro dítky křestʼanské obojího pohlaví jazykem české vyložené. Praha 1619 (Knihopis Nr. 3846 und 3847). Zum Übersetzer: Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě I [Handbuch der humanistischen Dichtung in Böhmen und Mähren I], Praha 1966, 26. Zu den Umständen der Herausgabe der Schrift HreJsa: Česká konfesse (wie Anm. 9), 570.
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einigen Jahren ein durch und durch calvinistisches Königreich sein werde. Das Schicksal des intellektuellen Calvinismus in den böhmischen Ländern – und eigentlich auch aller anderen evangelischen Bekenntnisse – wurde also vollständig in die Hände des politischen Calvinismus gelegt. Dieser fand jedoch in den böhmischen Ländern bei bedeutenden Teilen der dortigen Ständegemeinde eine deutlich eingeschränkte und häufig nur zugesagte denn umgesetzte Unterstützung. Für die überwältigende Mehrheit des böhmischen und mährischen Adels, der sich zum Aufstand gegen die Habsburger bekannte, basierte ihr sehr viel nüchterneres Verhältnis zum Calvinismus auf ihren politischen Zielen, während sie persönlich immer noch Abstand zu diesem Bekenntnis hielt. Dies galt auch für die meisten Persönlichkeiten, die den Aufstand rechtlich, diplomatisch, medial und intellektuell abzusichern suchten. Ein gutes Beispiel sind die Ansichten des Saazer Bürgers Pavel Skála von Zhoř, der während des Aufstands in der Kanzlei Friedrichs V. tätig war und dem Ständedirektorium nahe stand. In seiner Kirchengeschichte (Historie církevní), die er später bereits als Exulant verfasste, schrieb er u. a.: „Es ist das Bedürfnis groß, größere Vorsicht als bisher gegenüber den Druckern in den Prager Städten walten zu lassen, die alle möglichen unedlen sakramentarischen Bücher und Schriften unter Auslassung ihres Namens und Ortes ohne Wissen des Konsistoriums drucken. Dazu sollen zwei Beispiele zum besseren Verständnis gegeben werden. Im Jahr 1609, als der Administrator Eliáš Šúd von Semanín guten Angedenkens von den Ständen gewählt und bestätigt wurde, gab gleich der Erzcalvinist Jan Optimates [sic!] auf das große Patent in tschechischer Sprache den ,Spiegel aller christlichen Religion‘ heraus, und durfte darin diesen Artikel über das Abendmahl gegen die Version der Confessio Bohemica schamlos abändern und den Ständen zuschreiben.“31 In der wichtigsten dogmatischen Frage, nämlich der Frage des Abendmahls, verurteilte Skála also scharf Calvins Auffassung – ohne Rücksicht darauf, dass sich nach dieser auch der König richtete, dem er während des Aufstands treu diente. Für das Vordringen der Calvin’schen Ansicht machte er jedoch nicht den Herrscher verantwortlich, sondern dessen böhmische Glaubensgenossen. Um sie von den Trägern des politischen Cal-
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„Veliká toho potřeba jest, aby větší pozor než předešle na impresory v městech Pražských dán byl, kteří všelijaké nešlechetné sakramentářské knihy a spisy s vypuštěním jména svého a místa bez vědomí konsistoře tisknou. Čehož dva příklady toliko pro lepší vyrozumění předestřeny býti mohou. Léta 1609 když administrator Eliáš Sud dobré paměti od stavův volen a stvrzen byl, tu hned Jan Optimates [sic!] arcikalvinista vydal na patentu velikém v českém jazyku ,Zrcadlo všeho křesťanského náboženství‘, a v něm ten artikul o večeři Páně proti znění Konfesí české nestydatě zjinačiti a stavům připsati směl.“ S. Pavla Skály ze Zhoře Historie česká od r. 1602 do r. 1623. Bd. 2: 1617 a 1618 [Die Böhmische Geschichte von 1602 bis 1623 des Pavel Skála von Zhoř. Bd. 2: 1617 und 1618]. Hg. v. Karel tieftruNk, Karel. Praha 1866, 47 f. Der zweite erwähnte Übeltäter war der Drucker Jiřík Dačický, der Skála zufolge angeblich „vydav nedávno slabikáře české, netoliko do nich rozdělení zákona božího spůsobem evangelickým vlepil, ale i otázky proti Konfesí české čelící o večeři Páně položil [unlängst tschechische Fibeln herausgebend, nicht nur eine Einteilung des göttlichen Gesetzes auf evangelische Art einklebte, sondern auch gegen die Confessio Bohemica gerichtete Fragen zum Abendmahl stellte]“.
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vinismus zu unterscheiden, verwendete er den zugespitzten Begriff „Erzcalvinisten“. Die Schlacht am Weißen Berg im November 1620 sollte bestätigen, dass der böhmische Calvinismus in der Geschichte des Landes tatsächlich nur Episodencharakter besaß. Er erfuhr auch im Rahmen des damaligen religiös motivierten Exils keine markantere Fortsetzung, da die Ambitionen des pfälzischen Exilhofs sich allmählich so weit reduzierten, dass sie sich nur auf die Frage nach dem Rückgewinn der Macht in der Pfalz konzentrierten,32 und die Träger des intellektuellen Calvinismus sich in der Regel den calvinistischen Autoritäten an ihren neuen Wirkungsorten anpassten. Die Brüderunität trug ebenfalls nicht zum Erhalt bei, da sie im Exil zu ihren anticalvinistischen, eng mit der intellektuellen Atmosphäre der Ära vor der Schlacht am Weißen Berg verbundenen Ausfällen zurückkehrte. Dies belegt u. a. die Einstellung des damaligen Unitätsbischofs Johann Amos Comenius, der in der späteren Phase der Emigration 1635 in seiner Antwort auf die Schrift des Samuel Martinius von Dražov gegen die Brüderunität folgendermaßen argumentierte: „Er sagt, es sei nicht seine Absicht gewesen, jemanden von den Nahestehenden im Geringsten zu beleidigen. [...] Wie: Aus seinen Mitvereinigten und ständig an der Confessio Bohemica Beteiligten Calvinisten, Sakramentarier, Schwärmer, Arianer, Sektierer, Kirchendiebe zu machen, das ist wohl keine Beleidigung?“33 Der böhmische intellektuelle Calvinismus kehrte zu seinen europäischen Wurzeln zurück und verlor auf diese Weise bald seine ehemalige Authentizität.
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Zum Milieu der pfälzischen Exilhöfe in Den Haag und Leiden s. groeNVeld, Simon: Könige ohne Staat. Friedrich V. und Elisabeth als Exilierte in Den Haag 1621–1631–1661. In: Der Winterkönig Friedrich V. Der letzte Kurfürst aus der oberen Pfalz, Amberg, Heidelberg, Prag, Den Haag. Hg. v. Peter Wolf u. a. Augsburg 2003, 162–186. „Praví, že nebyl úmysl jeho koho z bližních v nejmenším urážeti. […] Co, z svých spolusjednocených a Konfesí české stalých účastníků dělati kalvinisty, sakramentáře, švermery, ariány, sektáře, svatokrádce, předce to není urážeti?“ komeNský, Jan Amos: Na spis proti Jednotě bratrské od M. Samuele Martinia […] ohlášení z roku 1635 [Meldung von 1635 auf die Schrift gegen die Brüderunität von M. Samuel Martinius (...)]. In: Veškerých spisů Jana Amose Komenského XVII. Hg. v. Josef Th. müller. Praha 1912, 409.
Jana Hubková
Der Majestätsbrief Rudolfs II. und seine Rolle in den Flugblattpolemiken des ersten Drittels des 17. Jahrhunderts Der rudolfinische Majestätsbrief und die Religionsfreiheit tauchen auf vielen Flugblättern und Flugschriften aus dem ersten Drittel des 17. Jahrhunderts auf. Deren Aussagen veränderten sich im Laufe der Zeit in Abhängigkeit von den Absichten ihrer Urheber. Die Reflexion dieser Problematik lässt sich in drei Zeitabschnitten verfolgen: 1) in der Nachrichtenpublizistik der Jahre 1609–1610; 2) in den Polemiken der Jahre 1618–1621; 3) in den Polemiken der Jahre 1622–1632. Die Flugblätter und Flugschriften des ersten Zeitabschnitts erfüllten vor allem eine informative Funktion. Die Anzahl der polemischen Konfrontationen stieg zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges steil an, und diese Diskussionen bewahrten bis zum ersten publizistischen Höhepunkt des langjährigen Konflikts im Jahr 1621 ihre zugespitzte Form. Im Verlauf des dritten Zeitabschnitts ließ zwar die Intensität der polemischen Aktionen und Reaktionen nach, aber trotzdem verschwanden diese Themen nicht aus den Flugblättern und Flugschriften, auch wenn der Krieg der Federn ein wenig in den Schatten des Krieges der Waffen geriet. Wortverbindungen wie „Freiheit der Religion“, „freies exertitium religionis“, „Glaubens Freiheit“ oder „Religion und Libertät“ tauchten im gedruckten Nachrichtenwesen bereits seit 1608 auf, als die böhmischen Stände mit den Verhandlungen über die Religionsfreiheit begannen. Später wurden sie in den Diskussionen und Polemiken des Dreißigjährigen Krieges zu den am häufigsten verwendeten Wortverbindungen.1 Informationen über die Verhandlungen der böhmischen Stände mit Kaiser Rudolf II. lieferten auch die gedruckten Wochenzeitungen des Jahres 1609. Ihre Leser, die bereits über den Verlauf des Landtags im Januar 1609 informiert worden waren, konnten in der Ausgabe vom 25. Februar desselben Jahres u. a. lesen: „[...] die Piecarder und andere ihre heimliche Bundesgenossen/ so sich auch sub utraque nennen/ haben gestern bey ihr Keyß Maytt: audientz gehabt/ und ihre freye Religions Exercitia begehrt/ das haben ihr Maytt: bißhero noch in Bedencken genommen/ […].“2 Für Leser in Regionen, in denen das Prinzip cuius regio, eius religio galt, präzisierte die Ausgabe vom 20. Februar 1609 die unge1 2
Wolter, Beatrice: Deutsche Schlagwörter zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Frankfurt am Main u. a. 2000, 231 f. sCHöNe, Walter: Der Aviso des Jahres 1609. In: Faksimiledruck. Leipzig 1939, Ausgabe vom 5. Februar, 4. Meldung, Auß Prag von ultimo dito.
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wöhnliche Reichweite der geforderten Freiheiten: „Jetzt vernemblich/ das die Behemischen Stendt/ ihrer Mayet. ein Schrifft über geben/ darinnen sie unter anderen begehren/ die Religion in gemein durch und durch/ das ein jeder/ ja so gar der Bawersmann/ was er selbst in seinem Gewissen befinde/ ohn einige Molestation glauben möge.“3 Nachdem der Majestätsbrief am 9. Juli 1609 vom Kaiser unterzeichnet, am 12. Juli den Ständen übergeben und am 22. Juli in die Landtafel eingetragen worden war,4 brachte die 31. Ausgabe der Wochenzeitung vom 16. August einen Auszug aus diesem Dokument.5 Periodisch erscheinende Zeitungen wie auch Gelegenheitsberichte informierten über die neue Organisation des Religionslebens der Lutheraner, Utraquisten und Angehörigen der Brüderunität, die sich zur Confessio Bohemica bekannten.6 Eine weitere Präzisierung brachte die 40. Ausgabe der Wochenzeitung mit Nachrichten aus Prag vom 10. August.7 Auf den Flugblättern wurden Auszüge aus dem Majestätsbrief (Abb. 1)8 wie auch der Text des sogenannten Ausgleichs mit den böhmischen Katholiken veröffentlicht. Der Majestätsbrief wurde separat in voller Länge publiziert. Auf die erste tschechische Ausgabe aus der Prager Šuman’schen Druckerei9 folgten im selben Jahr noch zwei deutsche 3 4 5
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Ebd., Ausgabe vom 20. Februar 1609, 3. Meldung, Auß Praag von 9. dito. Zu den Verhandlungen im Vorfeld des Majestätsbriefs, einschließlich der Überführung nach Karlstein und des späteren Schicksals dieses Dokuments s. krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909, 29–31. sCHöNe (wie Anm. 2), Beilage zur 31. Ausgabe vom 16. August 1609: „Extract Aus dem von Der Röm. Kay. May. etc. als König in Böhmen/ und Dero Böhmischen Evangelischen dreyen Landstständen Allergnedigst ertheilten Mayestat Brieff […] Die freystellung der Religion/ unnd andere deroselben anhengige Puncten betreffend. Gedruckt im Jahr nach Christi Geburt 1609.“ Ebd., Zeitungs-Nr. 33, Siebte Meldung, Prag vom 21. August 1609: „Gestern haben sich die Böhmischen Stendt/ samptlichen darin verglichen und beschlossen/ daß sie nemblich bey I: M: ubergebenen […] Confeßion/ einhelliglich/ und ohne zerstreuung/ verbleiben wollen/ und derselben Namen/ als Böhmisch Confession gegeben werden/ nach solcher Vergleichung haben die Stendt einander die handt geboten/ und darbey zu bleiben und zu halten gelobt/ darauff solle das Consistorium auffgericht/ und mit 7 geistlichen Persohnen bestellet werden/ und ob woln der Administrator Lutherisch/ der ander dritt/ und vierdte/ einer andern Religion seyn wird/ so solle doch keiner weder Lutherisch/ hußitisch/ Piccardisch/ Brüderisch/ oder dergleichen Nahmen/ sondern allein Böhmisch Evangelisch gegeben/ und durch dem Administratorn/ und seine mit Collegen/ die Priester ordinirt werden […].“ Ebd., Zeitungs-Nr. 40, Vierte Meldung, Prag vom 10. Oktober 1609: „Und ist unter ihnen auch die Vergleichung beschehen/ das die sub utraque sie sein reich vorhin Lutter: Calvin: Hussit: oder Piccar: und dergleichen genennt worden/ hinfüro nicht mehr also sondern nur insgemein Evangelisch wollen genennet werden […].“ „Extract Auß dem/ von Der Röm. Kay. etc. als Königs in Böhmen/ etc. Dero Böhmischen Evangelischen dreyen Landständen Allergnädigst ertheilten Mayestat Brieff: Die freystellung der Religion/ vnnd andere deroselben anhängige Puncten betreffend […]“, s. l. 1609, 10 S., 4°. VD17 14:017082H. Vgl. „Zwey Sendtschreiben/ Vom Böhmischen Landtage: […] Sampt einem Extract/ Auß dem von der Röm. Keys. unnd Königl. Majest. in Böhmen/ […] allergnädigst ertheilten Majestatbrieff“, s. l. 1609. VD17 23: 235646X. „Přípis majestátu J. M.ti. císaře Římského Rudolfa toho jména druhého, jakožto krále Českého, pána nás všech nejmilostivějšího, všem třem stavům království Českého, z víry tělo a krev pána Ježíše Krista pod obojí přijímajícím a k konfessí české se přiznávajícím, milostivě daného. Vytištěno v Starém městě Pražském v impressí Šumanské. [Abschrift des Majestätsbriefes
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Abb. 1: „Extract Auß dem […] ertheilten Majestat Brieff […]“, s. l. 1609
Drucke.10 Diese Texte fanden auf unterschiedlichen Wegen in ganz Europa Verbreitung: So sandte Wenzel Budowetz von Budow bereits am 8. September 1609 ein Exemplar an seinen Freund Johann Jakob Grynaeus in Basel. Die Texte des Majestätsbriefs und des Ausgleichs mit den Katholiken wurden außerdem in die gedruckte Fassung der Confessio Bohemica aufgenommen. Der Wortlaut des Majestätsbriefs gewann zu Beginn des Ständeaufstandes im Jahr 1618 zusätzlich an Bedeutung. Damals wurden Auszüge aus diesem Dokument nach der Vorlage aus der Šuman’schen Druckerei nicht nur im Böhmischen Königreich, sondern auch in den Reichsstädten gedruckt, z. B. in den Offizinen der Verleger Abraham Lamberg und Kaspar Kloseman in Leipzig.11
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S. M. des römischen Kaisers Rudolf seines Namens des Zweiten wie auch böhmischen Königs, unser aller gnädigster Herr, allen drei Ständen des böhmischen Königreichs, die Leib und Blut des Herrn Jesus Christus aus dem Glauben unter beiderlei Gestalt empfangen und sich zur Confessio Bohemica bekennen, gnädig gegeben. Gedruckt in der Prager Altstadt in der Šuman’schen Offizin.]“ (Nationalbibliothek Prag 54 G 3063). Die deutsche Übersetzung des Majestätsbriefs war auf den 03.06.1609 datiert; der Übersetzer hatte den Text wohl auf der Basis des ständischen Entwurfs bereits vor der Genehmigung des Dokuments durch den Kaiser übersetzt. Zu den beiden ältesten deutschen Druckversionen (Bibliothek des Nationalmuseums 42 C 62a, 42 C 62b) s. krofta (wie Anm. 4), 32. Václava Budovce z Budova korespondence z let 1579 až 1619 [Die Korrespondenz des Wenzel
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Die Publizistik zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges zeigt das Aufeinanderprallen verschiedener Sichtweisen. Die Standpunkte der kaiserlichen Partei und ihrer unmittelbaren Verbündeten, das heißt Bayerns, der geistlichen Kurfürsten und radikalen böhmischen Katholiken, stimmten in erheblichem Maß mit der Anschauung einiger dem Kaiser treu ergebener Lutheraner, z. B. in Sachsen, überein. Abweichende Ansichten vertrat die protestantische ständische und böhmisch-pfälzische Propaganda, an der sich viele Lutheraner, Utraquisten oder Calvinisten beteiligten, in der Annahme, dass die sächsische Unterstützung für den Kaiser negative Folgen für den Protestantismus in Europa haben werde. Im folgenden Beitrag konzentriere ich mich zwar auf die Konfrontation zwischen der ständischen und böhmisch-pfälzischen Meinung mit der pro-kaiserlichen Ansicht vom Majestätsbrief, aber man sollte sich bewusst machen, dass es insgesamt ein viel breiteres Meinungsspektrum gab. Ich habe diese beiden Gruppen deshalb gewählt, weil sich an ihnen der Verlauf von Aktion und Reaktion – als Beispiele sollen einzelne Drucke dienen – demonstrieren lässt. Der Majestätsbrief war insbesondere zu Beginn des Ständeaufstandes Thema der Flugblätter und Flugschriften. Im Fokus der böhmisch-pfälzischen Publizistik stand die Gewinnung potentieller Verbündeter im Reichsgebiet. Deshalb wurde ein Großteil dieser Texte nicht nur in tschechischer, sondern auch in deutscher oder lateinischer Sprache sowie auf Französisch, Englisch und Niederländisch gedruckt. In vielen Fällen kann man daher mit parallelen Varianten in verschiedenen Sprachen arbeiten. Die böhmischpfälzische Partei sprach mit Hilfe offizieller, durch Juristen konzipierter Flugblätter und Flugschriften bzw. illustrierter Einblatt-, Quart- bzw. Oktavdrucke mit Liedern in bekannten Melodien unterschiedliche Zielgruppen an. Gedruckt wurde diese Propaganda sowohl in Offizinen auf dem Territorium des Böhmischen Königreichs als auch in offensichtlicher oder geheimer Zusammenarbeit mit Druckern in den Reichsstädten (Nürnberg, Augsburg)12 bzw. mit Druckern, die unter dem Schutz positiv gesonnener Obrigkeiten (Amberg, Liegnitz)13 arbeiteten. Mit der Bedrohung der Religionsfreiheit und dem Recht auf ihre im Majestätsbrief verankerte Verteidigung wurden das Vorgehen der Stände gegenüber den Statthaltern, die Ausweisung der Jesuiten, die Absetzung König Ferdinands und die Wahl eines neuen Königs begründet. Der gleichen Argumentations-
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Budowetz von Budow 1579–1619]. Hg. v. Julius glüCkliCH. Praha 1908, 79. – „MayestatBrieff/ […] uber das freye Exertitium ihrer Christlichen Religion […]“, Leipzig 1618. Druck: Abraham Lamberg und Caspar Kloseman. VD17 14:007469S. Zum konkreten Druck der Propaganda s. sCHilliNg, Michael: Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700. Tübingen 1990, 180–182. Zur Produktion der Amberger Drucker s. PasCHeN, Christine: Buchproduktion und Buchbesitz in der frühen Neuzeit: Amberg in der Oberpfalz. Frankfurt am Main 1995, 66–69. – Ähnlich wie Christian Anhalt in Amberg unterstützten auch die schlesischen Fürsten von Brieg und Liegnitz oder die Fürsten von Münsterberg die böhmisch-pfälzische Publizistik. – HuBkoVá, Jana: Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky. Letáky jako pramen k vnímání a vývoji české otázky v letech 1619–1632 [Friedrich von der Pfalz im Spiegel der Flugblattpublizistik. Flugblätter als Quelle zur Entwicklung und Wahrnehmung der böhmischen Frage in den Jahren 1619‒1632]. Praha 2010, 888, vgl. 146–189.
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linie folgten die böhmisch-pfälzische Festpublizistik mit ihrer Krönungsthematik und alle offiziellen sowie inoffiziellen Verteidigungsschriften der Regierung Friedrichs von der Pfalz. Bei der Konzeption dieser tschechischen, deutschen bzw. lateinischen Drucke spielte ein Kreis von Autoren im Umfeld der Prager Universität eine wichtige Rolle, darunter besonders der Prorektor Peter Fradelius. Der Majestätsbrief wurde als Bestandteil von Argumentationsstrategien, deren Ziel die Verteidigung des bedrohten Protestantismus war, publizistisch instrumentalisiert. Die Ausgangsposition unmittelbar vor dem Ausbruch des Konflikts zeigt der illustrierte Einblattdruck Böhmische Friedenfahrt (Abb. 2) sehr anschaulich. Der Religionsfrieden im Böhmischen Königreich ist hier als eine auf einem Löwen reitende Frau dargestellt, die in der rechten Hand einen Kelch und in der linken Hand eine Monstranz hält. Die personifizierte Aufrichtigkeit breitet ein Tuch vor dem Löwen aus und bemüht sich, das fragile Gleichgewicht zu stützen. Der kaiserliche Adler schwebt noch als Schutz über dem Religionsfrieden, aber die Anhänger des Teufels versuchen, ihn mit Seilen auf ihre Seite zu ziehen. Die göttliche Vorsehung in Gestalt eines Engels setzt sich gegen den Angriff des personifizierten jesuitischen Doppelsinns (Aequivocatio) zur Wehr. Die gleichen Argumentationsmuster verwendete bereits Martin Fruwein in der Ersten ständischen Apologie vom Mai 1618, in der die gleichen Gefahren benannt werden: die Intrigen der Jesuiten, des katholischen Klerus in Person von Kardinal Melchior Khlesl, der Statthalter und der Personen in der Umgebung König Matthiasʼ, die den Herrscher negativ beeinflussten. Beide Drucke gehen noch nicht von einem endgültigen Zerwürfnis mit dem Haus Habsburg aus. Radikalere Standpunkte fanden sich in einem Zyklus von frei aneinander anknüpfenden deutschen Flugschriften namens Variorum Discursuum Bohemicorum Nervi, die sich auf ihre böhmische Herkunft beriefen und als Übersetzung aus dem Tschechischen bezeichnet wurden. Die einzelnen Fortsetzungen, von denen Rudolf Wolkan 13 registrierte,14 erschienen in den Jahren 1618–1620, häufig wiederholt unter dem gleichen oder einem ähnlichen Titel. Der Einführungsdruck des Zyklus – Variorum Discursuum Bohemicorum Nervus, Oder Hußiten Glock – sollte vor der Gefahr warnen und die Reihen der Nichtkatholiken zur gemeinsamen Verteidigung schließen. Die nächste Fortsetzung – Variorum Discursuum Bohemicorum Nervi Continuatio II. Oder Behmischer Ohrlöffel – hatte die Aufgabe, Hindernisse zu beseitigen, damit die warnende Botschaft die Leser erreichte. Der anonyme Autor arbeitete mit den imaginären Gestalten Jan Hus, Hieronymus von Prag und Jan Žižka, die von den Toten auferstanden waren und als Verteidiger des Majestätsbriefs den bedrohten Glaubensgenossen zur Hilfe eilten. Zur Verteidigung des Majestätsbriefs rief beispielsweise Žižkas Mandat (Žižkův mandát) auf; in einigen Fortsetzungen rechnete der auferstandene Hus mit den Jesuiten ab. Das zuletzt genannte Motiv kehrt in mehreren Fortsetzungen wieder, und man kann seinen Wandel von der einfachen Prosaerzählung zur publizistisch dankbareren gereimten Form Adhortatio ad Bohemos in der 11. Fortsetzung verfolgen.15 Diese Version 14 15
WolkaN, Rudolf: Deutsche Lieder auf den Winterkönig. Prag 1898, 331–334, 347. Variorum disCursuum BoHemiCorum NerVi CoNtiNuatio Xi. siVe aureum BoHemorum seCulum. Prag 1619, Druck: Lorentz Emmerich. VD17 23:290575B (digitalisiert).
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Abb. 2: „Böhmische Friedenfahrt“, s. l. 1618
Jana Hubková
Der Majestätsbrief Rudolfs II. und seine Rolle in den Flugblattpolemiken
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erzählt, wie der auferstandene Hus nach Prag zurückkehrt, um seinen Landsleuten Hilfe zu leisten, und im Collegium Clementinum Gäste vorfindet, die zu seiner Zeit nicht dort waren – die Jesuiten. Er beobachtet deren unlautere Machenschaften, erschreckt sie mit dem Klang der Hussitenglocke und rügt sie streng dafür, dass sie die Böhmen um die durch den Majestätsbrief garantierte Religionsfreiheit bringen wollen: Was habt ihr Patres für ein Ordn? Seidt ihr Papistisch oder Spannisch/ Weil ihr seydt so mächtig Tyrannisch?/ Warum wolt ihr mit disputirn, Den Mayestatbrieff pertubirn? Welcher mich und mein Zischka gut/ Gestanden/ Gott erbarms/ viel Blut?
Für ihre destruktive Tätigkeit misst er ihnen schließlich die gleiche Strafe zu, die ihnen die Direktoren erteilten: Sie sollen auf ewig das Böhmische Königreich verlassen. Gegen Ende des Gedichts wird auf die alte Prophezeiung verwiesen, mit der Hus Luthers Ankunft vorausgesagt16 und die Nichtkatholiken in Böhmen aufgerufen haben soll, sich ein Beispiel an seinem Märtyrertod zu nehmen und tapfer für den Majestätsbrief zu kämpfen: Folg meiner Lehr/ und hör den Schwan/ Der 100. Jahr nach mir ankam./ Kriegstu vielleicht und siegest nicht/ Murr nicht/ denn Gott den handel richt. Kriegstu/ und siegest/ schreibs nicht zu dir/ Wiß, daß aller Sieg Gott gebür.
In diesem Druck finden sich auch eine Abbildung von Hus, der für das Gelingen der Herrschaft Friedrichs von der Pfalz betet, und weitere Texte, die den neuen König begrüßen und eine einheitliche nichtkatholische Front von Utraquisten, Böhmischen Brüdern, Lutheranern und Calvinisten zum Schutz des bedrohten Protestantismus unterstützen. Der illustrierte Einblattdruck Böhmischer Vnruh-Schauspiegel17 (Abb. 3) von 1618, dessen Abbildungsteil der Augsburger Stecher Rafael Custos in elf Teile (Actus I–XI) gliederte, ist auch deshalb interessant, weil er die Verbreitung der einzelnen Fortsetzungen der erwähnten Variorum Discursuum verdeutlicht. Ein in Akt IV dargestellter Wanderkrämer bietet diese einem böhmischen Bauern an, wobei er auch die Titel der einzelnen Fortsetzungen nennt.18 Das illustrierte Flugblatt schildert die Anfangsphase des Konflikts in der Regierungszeit von König Matthias. Zu 16 17 18
HauffeN, Adolf: Huß eine Gans – Luther ein Schwan. In: Prager Deutsche Studien 9 (1908), 1–28; vgl. komeNský, Jan Amos: Stručná historie církve slovanské [Kurze Geschichte der slawischen Kirche]. In: Vybrané spisy Jana Amose Komenského. Bd. 6. Praha 1972, 341. Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts. 7 Bde. Hg. v. Wolfgang Harms. Tübingen 1985–1997, hier Bd. 4, Nr. 102. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 89 f., 555 (Abb. 41). „Ich trag bey mir Hussiten glockn/ Böhmisch Ohrlöffel dicke knockn/ Jesuitn Decretenerschrockn. Pest Artzney/ sowoln Nebelkappn/ Fallstrick/ Fallbruck vnd seltzam Lappn/ Meynst nicht/ ich werd dich auch erdappn?“
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Abb. 3: „Böhmischer Unruh-Schauspiegel“, Augsburg 1618, Bildteil
den Feinden, gegen die man sich verteidigen muss, gehören neben den Jesuiten auch die Intriganten im Prager und Wiener Lager, die den Löwen auf dem Thron (das heißt König Matthias) gegen die böhmischen Stände aufbringen. Neben Slawata, Martinitz und Fabricius wird hier auch Kardinal Melchior Khlesl erwähnt, den eine Reihe anderer protestantischer Drucke für das sich verschlechternde Verhältnis zwischen den böhmischen Ständen und dem Kaiser ebenfalls verantwortlich macht. Akt I illustriert ein Gespräch zwischen einem Löwen auf dem Thron (König Matthias), einem Fuchs (Melchior Khlesl) und einem Wolf (ein Jesuit). Der Löwe ist überzeugt, dass das Böhmische Königreich in Frieden und in gutem Zustand sei, aber der Fuchs Khlesl überzeugt ihn, dass die Religion der verfluchten Ketzer schlecht auf das Land wirke. Der Wolf Jesuit pflichtet bei, dass es im Land kein Glück und kein Gemeinwohl geben könne, solange die Ketzer nicht mit dem
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Abb. 4: „Böhmischer Jesuiten Kehrauß/ vnd Teutsche WeckUhr“, s. l. 1618, Bildteil
Schwert ausgerottet worden seien. Rudolfs Majestätsbrief, auf den ein Dialog in Akt II eingeht, ist ihnen ein Dorn im Auge: Bischoff Clesel spricht: Den Mayestätbrieff welchen gebn Der vorig König bei seim leben Den wollen wir außtilgen ebn. Ein Jesuit sagt: Ja, freylich (Herr) warumb das nicht? Denn man den Ketzern so entwicht Darff gar nicht halten Eyd und Pflicht.
Ihrem Gespräch lauscht ein Calvinist, der seinen Vorteil aus der Situation ziehen möchte. Auch vier Bürger, die in Akt VIII über die Ursachen des Unglücks im Böhmischen Königreich philosophieren, schreiben die Schuld nicht nur dem Wirken der spanischen Jesuiten, sondern auch dem „Heimischwerden“ des Calvinismus im
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Land zu. An ihre Überlegungen knüpft die Klage des gemeinen Volkes an, auf die Žižka redivivus antwortet und sich zum Verteidiger der Religionsfreiheit für die untersten Gesellschaftsschichten erklärt. Das Mittelfeld der Graphik (Akt VI) schildert die Rache der Jesuiten als neue Verbrennung der böhmischen Reformatoren Jan Hus und Hieronymus von Prag. Nach und nach sprechen die personifizierten Laster (Ambitio, Arrogantia, Superbia, Avaritia, Mendacio, Adulatio, Invidia, Calumnia, Simulatio), der Teufel und Khlesl, das Schlusswort haben hingegen die beiden Märtyrer und die Vorsehung, die mit Wasser die brennenden Scheiterhaufen zu löschen versucht und dem kaiserlichen Heer das Verderben prophezeit. Eine noch deutlichere bohemikale Sichtweise besitzt das illustrierte Flugblatt Böhmischer Jesuiten Kehrauß/ vnd Teutsche WeckUhr19 (Abb. 4), in dem die Ausweisung der Jesuiten aus Böhmen und die Verteidigung der Religionsfreiheit mit einem Appell an die Protestanten in Nürnberg verbunden werden. Die Anfangsszenen gehen von der tschechischen Vorlage aus, dem gereimten Pasquill Volání a prosba jezuvitův k svatému Václavovi a Christoforovi (Ruf und Bitte der Jesuiten an den hl. Wenzel und Christophorus),20 in dem sich die Jesuiten mit der Bitte um Hilfe an den Erben der böhmischen Länder, den Heiligen Wenzel, an andere Heilige und an Christus selbst wenden. Statt Hilfe erfahren sie jedoch eine strenge Rüge. Der Text des Flugblatts erweitert den Kreis der Angesprochenen ein wenig, die Jesuiten müssen sich aber schließlich ebenfalls auf eine Wallfahrt zu den Heiligen Raspinus und Ponus, den Patronen des Amsterdamer Zuchthauses, begeben. Im Hinblick auf die Problematik der Religionsfreiheit sind Abbildung und Text von Akt VIII besonders interessant. Der Heerführer Jan Žižka und der ehemalige böhmische König Wladislaw II. Jagiello sprechen hier mit dem Löwen auf dem Thron, der den böhmischen König Friedrich von der Pfalz symbolisiert, und versuchen, ihm ihre Lebenserfahrung zu vermitteln. Žižka lenkt die Aufmerksamkeit des Herrschers auf das Emblem der Laute als Symbol der Einheit der konföderierten Länder,21 die ähnlich wie die Saiten des Instruments eine unverzichtbare Bedeutung für den harmonischen Klang besitzen. König Wladislaw gibt wiederum die Lehre weiter, die er aus seiner erfolgreichen Regierung gezogen hat: Wenn der Herrscher jedem seine Religion lasse, festige er damit den Frieden im Land und seinen Thron.22 Diese Ansicht akzeptiert der Löwe auf dem Thron und verkündet, dass er die Forderungen der Wahlkapitulation einhalten wolle, in denen die Religionsfreiheit verankert worden war. Im Schlussteil fordern auch die Vertreter des deutschen 19
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Deutsche illustrierte Flugblätter (wie Anm. 17), Bd. 2, Nr. 141. Der hier angeführte Kommentar interpretiert den Heiligen Wenzel jedoch irrtümlich als König Wenzel IV. und erwähnt nicht die tschechische Vorlage des ersten Teils des ikonografischen Programms. Vgl. HuBkoVá (wie Anm. 13), 90–92, 556 (Abb. 42). Eine kommentierte Edition der tschechischen Vorlage wurde herausgegeben von kolár, Jaroslav: Satirické volání jezuitů z r. 1618 v křivoklátském rukopise [Ein satirischer Ruf der Jesuiten von 1618 in einer Pürglitzer Handschrift]. In: Strahovská knihovna 2 (1967), 89–108. Die gleiche Symbolik tauchte auch im ikonographischen Programm der Ehrenpforte der Stadt Breslau auf, durch die Friedrich 1620 bei der Huldigungsfahrt in die Stadt einfuhr. HuBkoVá (wie Anm. 13), 160 f. Textkommentar zu Akt VIII: „Ach lieber Löw bewahr dich wol/ Dein Königreich mach Friedens voll/ Laß jedem sein Religion/ Damit der Thron auch vest bleib stahn.“
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Protestantismus im 16. Jahrhundert zur Verteidigung der bedrohten Religionsfreiheit auf. Dies spiegelt die besondere Sichtweise der böhmischen Protestanten wider, denen die Analogie zwischen der aktuellen Situation und den Ereignissen zu Zeiten des Schmalkaldischen Krieges bewusst war, als sich die deutschen Protestanten mit gedruckten Solidaritätsforderungen in tschechischer Sprache an die Einwohner des Böhmischen Königreiches gewandt hatten.23 Als offensichtlich wurde, dass die Situation in Böhmen durch die Wahl eines neuen Königs gelöst werden konnte, erschien in Prag und in Dortmund die Flugschrift Böhmische Bibel/ Oder Schawspiegel,24 deren Autor die böhmische Frage im Kontext des konfessionell gespaltenen Europas präsentierte. Er wählte die Form eines Gesprächs zwischen Herrschern, Kurfürsten, Ländern, Reichsstädten, Ständen, Personengruppen, wie z. B. Jesuiten und imaginärem populus, und Individuen; Gott selbst kam das Schlusswort zu. Jeder Ausspruch paraphrasiert einen Bibeltext, der in der Replik angeführt wird und der den Leser zum Nachdenken über die Situation veranlassen soll, die als Spiegelbild der Bibelpassage erscheint. Die Unterdrückung der Religionsfreiheit, zu der die Jesuiten und Kardinal Khlesl den Kaiser verleiten, bildet eine Parallele zu König Nebukadnezar, der seine Untertanen unter Androhung des Todes im Feuerofen zur Anbetung eines goldenen Götzen nötigt und der von seinen Räten listig zum Zorn über jene verführt worden war, die sich nicht am Götzendienst beteiligen wollten. Als Parallele zur negativen Antwort auf das Gesuch der Böhmen, der Kaiser möge in der Frage der Religionsfreiheit seinen Vorgängern Maximilian und Rudolf folgen, dient die Antwort von Salomos stolzem Sohn Rehabeam, dessen unweise Regierung zum Zerfall Israels und zur Wahl eines neuen Königs führte. Der Autor des Konzepts legitimiert mit Hilfe der Bibel das Recht auf einen Aufstand gegen den Tyrannen, und die Wahl eines neuen Königs wird als logischer Ausweg dargestellt. Das Geschehen gipfelt in der Parallele zwischen dem alttestamentarischen Gleichnis aus dem 9. Kapitel des Buchs der Richter, das davon handelt, wie die Bäume untereinander einen König wählen. So wie die einzelnen Bäume – der Ölbaum, der Feigenbaum, der Weinstock – dazu aufgerufen werden, die Herrschaft über die übrigen Bäume zu übernehmen, wenden sich die Böhmen an die drei protestantischen Kurfürsten mit der Aufforderung: „Sei unser König!“ Das Angebot nimmt schließlich der sächsische Kurfürst an, der von Gott gesandt ist, um – ähnlich wie der alttestamentarische Gideon – die Böhmen aus den Händen der Feinde zu befreien. Die Wirklichkeit sah allerdings anders aus. In der zweiten Hälfte des Jahres 1619 erschien in der Prager Druckerei Lorenz Emmerich die Flugschrift Trinum vel Omne Trinum […],25 in der eine Instruktion für die Gesandten der Stände veröffentlicht wurde, die mit Friedrich von der Pfalz über die Annahme der böhmischen Krone und die Bedingungen der Wahlkapitulation verhandelten. Nach der Über23 24 25
BoHatCoVá, Mirjam: Wittenberger Flugschriften aus der Zeit des Schmalkaldischen Krieges und die Probleme ihrer tschechischen Ausgaben. In: Gutenberg-Jahrbuch 58 (1983), 195–213. Böhmische Bibel/ Oder Schawspiegel. Prag 1619. Druck: Johann Armgart. VD17 1:068552M. – Böhmische Bibel Oder Schaw-Spiegel. Dortmund 1619. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 557– 559. Digitalisierung: VD17 14: 006883B.
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gabe einer schriftlichen Begründung, in der die Gehorsamsverweigerung gegenüber Ferdinand thematisiert wird, wurde Friedrich der Inhalt des Eides und des Reverses erläutert, um deren Einhaltung sich Ferdinand nicht bemüht hatte. Des Weiteren wurde er mit dem Inhalt des Majestätsbriefs und den Motiven für die Wahl eines neuen Königs vertraut gemacht. Außerdem erhielt er ein Verzeichnis, das die Erwartungen an den künftigen König enthielt, wobei der erste Punkt die Bewahrung der durch den rudolfinischen Majestätsbrief garantierten Freiheiten „nach dem Wortlaut und dem Sinn, ohne Restriktionen“ verlangte. Friedrich von der Pfalz, der die Wahlkapitulation annahm und sie anschließend durch den Krönungseid bestätigte, wurde von der böhmisch-pfälzischen Publizistik von Beginn an als Garant der Religionsfreiheit präsentiert. In nicht geringem Maß waren hierfür die Mitglieder der „literarischen Gruppe des Carolinums“ verantwortlich: Universitätsmagister, Studenten und Lehrer an städtischen Schulen, die von der Universität beaufsichtigt wurden.26 In ihren Arbeiten finden sich Elemente und Schemata, die aus dem Zyklus Variorum Discursuum bekannt sind. Die führende Rolle spielte in dieser Gruppe der gelehrte und weitgereiste Prorektor Peter Fradelius. Während seiner Zusammenarbeit mit dem damals auf der Prager Kleinseite ansässigen Stecher Peter Rollos entstanden die erfolgreichsten böhmisch-pfälzischen illustrierten Flugblätter. Aus ihrer Autorenwerkstatt stammen etliche illustrierte Einblattdrucke, von denen die zwei wichtigsten hier erwähnt seien. Das erste Flugblatt ist der Abrieß deß Böhmischen Löwens27: Es schildert die Geschichte des verletzten böhmischen Löwen, den der Kavalier Friedrich heilt; dafür folgt ihm der Löwe dann treuherzig. Die Geschichte des böhmischen Löwen in Bedrängnis ist mit ähnlichen auktorialen Konzepten verwandt, in denen der böhmische Löwe, das Land Böhmen oder die geplagten Einwohner dem neuen König den unerfreulichen Zustand des von fremden Heeren geplünderten und seiner Religionsfreiheit beraubten Königreichs schildern. Das primäre Ziel ist die Begrüßung des neuen Königs, aber die Bedrohung der Religionsfreiheit wird stets zusätzlich hervorgehoben. Die Bearbeitung zeichnet sich durch einen freudig-optimistischen und einen elegischen Ton aus. Optimistisch wirkt das witzige Gespräch des böhmischen Löwen mit König Friedrich, das auf die Melodie des bekannten Liedes Utěšený den nám nastal (Ein erfreulicher Tag ist für uns angebrochen) gesungen wurde und das Bestandteil des tschechischen Flugblatts des lutherischen Geistlichen Christoph Megander war, welches über Ankunft und Krönung des neuen Königs informierte.28 Der Löwe schildert dem König, dass sich zwar viele bemüht hätten, die religiöse Freiheit im Land zu beseitigen, er selbst aber seinen Glauben nicht aufgeben wolle. Das Gespräch endet mit der Versicherung des Königs, dass der Löwe künftig im Einklang mit dem Wort Gottes und mit dem Majestätsbrief 26 27 28
Den Begriff „literární skupina Karolina (literarische Gruppe des Carolinums)“ verwendete erstmals PoliŠeNský, Josef: Jan JesenskýJessenius. Praha 1965. Zur Prager Akademie als Zentrum der böhmisch-pfälzischen Propaganda HuBkoVá (wie Anm. 13), 121–146. Deutsche illustrierte Flugblätter (wie Anm. 17), Bd. 2, 153. VD17 39:124413K. megaNder, Kryštof: Písnička o šťastném a slavném příjezdu a korunování […] pana Fridricha […] [Das Lied vom glücklichen Einzug und von der Krönung […] des Herrn Friedrich]. Praha 1619, Druck: Jan Stříbrský. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 117.
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leben könne. Ernsthafter präsentieren dieses Schema die tschechische und die lateinische Version der Klage des Landes Böhmen von Václav Klement Žebrácký29 oder das Gedicht des Šimon Lomnický Selské vítání (Bäuerlicher Gruß), das in Vertretung der geplagten Bauern dem neuen König den unerfreulichen Zustand des Landes schildert.30 Ein weiteres Schlüsselwerk aus der Werkstatt des universitären Zentrums der böhmisch-pfälzischen Propaganda ist die emblematische Huldigung der Prager Universität anlässlich Friedrichs Krönung; das Flugblatt trägt den Titel A DOMINO FACTUM31 (Abb. 5). Hier wird der unauflösliche Ehebund des böhmischen und des pfälzischen Löwen als göttliche Tat präsentiert, deren Grund erneut in der Verteidigung des bedrohten Glaubens zu suchen ist. Nachdem der böhmische und der pfälzische Löwe gemeinsam die feindlichen Raubtiere verjagt haben, ruhen sie sich, verbunden durch die Fesseln der Liebe, auf einem Ehebett aus. In einer Wiege liegen die Früchte ihres Bundes – die Symbole von Fülle, Frieden, Gerechtigkeit, der Blüte der Wissenschaften und der Künste. Alle freuen sich, nur der Feind und Anstifter des Zwistes, ein Jesuit, flieht entsetzt vor der neuen Wirklichkeit. Bildzitate aus diesem Flugblatt tauchten im Umfeld der böhmisch-pfälzischen illustrierten Einblattdrucke auf, die Friedrich gegen den Spottnamen „Winterkönig“ verteidigten,32 und auch die kaiserliche Publizistik reagierte gereizt auf das Werk. Die effektivste Waffe der kaiserlichen Publizistik war natürlich die Veröffentlichung der über Friedrich von der Pfalz und die Protagonisten des ständischen Widerstands verhängten kaiserlichen Acht. Große Bedeutung hatte auch eine Serie von Flugschriften, in denen kompromittierendes Material aus der nach der Schlacht am Weißen Berg in die Hände des Kurfürsten Maximilian von Bayern gefallenen Anhaltischen Kanzlei – dem Archiv des Fürsten Christian von Anhalt – publiziert wurde. Das Ziel der kaiserlichen Publizisten war die Diskreditierung und Abwertung der ständischen Argumente. Hinsichtlich der Religionsfreiheit wichen sie jeder Diskussion aus und verkündeten, dass der Kampf um diese Freiheit nur ein Mäntelchen sei, hinter dem sich die Machtgier der Stände verberge. Die Böhmen seien Aufrührer und Rebellen, die wie die Niederländer ohne König sein wollten. In Kürze erfasst dies der Textteil des illustrierten Einblattdrucks Extract der Anhalti-
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žeBrácký, Václav Klement: fuNestis agitata fatis BoHemia, s. l. 1619. – ders.: Tužebné a žalobolestné naříkání slavného, starožitného a nejkřesťanštějšího Království českého [Sehnsüchtige und kummervolle Klage des berühmten, altehrwürdigen und allerchristlichsten Böhmischen Königreichs]. Praha 1619, Druck: Jan Stříbrský. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 119– 121, 575 (Abb. 57). Die tschechischen Dichtungen des Šimon Lomnický, Selské vítání (Bäuerlicher Gruß) und Korunování (Krönung), erschienen 1619 auch in deutscher Sprache in dem anonymen Druck Zwey Böhmische Lieder verdeutscht. HuBkoVá, Jana: Gelegenheitsdichtung von Šimon Lomnický von Budeč aus den Jahren 1619–1621. Von der Krönung Friedrichs von der Pfalz zu den ersten Reaktionen auf die Schlacht am Weißen Berg. In: Acta Comeniana 15–16/39–40 (2002), 183–226. Deutsche illustrierte Flugblätter (wie Anm. 17), Bd. 4, 104. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 132 f., 581 (Abb. 63). HuBkoVá (wie Anm. 13), 133–137.
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Abb. 5: „A DOMINO FACTUM“, Prag 1619. – Gratulation der Prager Universität zur Krönung Friedrichs von der Pfalz
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schen Kanzley33, Trewhertzige Warnung genannt. Das Feuer des Aufruhrs schlummerte unter der Asche, bis es anlässlich der böhmischen Rebellion entflammt wurde. Diejenigen, die den Brand gelegt hatten, täuschten listig Frömmigkeit vor und redeten Anderen ein, es gehe um die Religion, obwohl sie nur ihre eigenen Ambitionen im Sinn hatten: Die so diß Fewer eingelegt Habn andere dahin bewegt/ Und ganz listiglich beredt Als obs ein Schein der Andacht hett/ Als seys vmb die Religion Vnd war doch nur ambition […].
Die Ursache allen Übels sei der böse Geist Calvins, der sich hinter der Augsburger Konfession verstecke, ein Verbündeter des Türken, der nicht nur die Katholiken, sondern auch die Gläubigen der anderen nichtkatholischen Konfessionen in Böhmen vernichten wolle. Der Durchsetzung eines einzigen, nämlich des katholischen Glaubens im Land entsprach die Allegorie der Verwaltung des Staates, die wir bereits auf dem illustrierten Einblattdruck Rota fortunae regia34 des kaisertreuen böhmischen Katholiken Michal Pěčka von Radostice35 und des Stechers Tobias Bidenharter sehen. Das Flugblatt wurde als Glückwunsch zur Kaiserwahl Ferdinands II. (1619) und als Begrüßung nach seiner Rückkehr aus Frankfurt konzipiert. Der Herrscher ist als Steuermann am Rad der Fortuna abgebildet, dessen zwölf Speichen die Namen der Länder tragen, über die er regiert: Germania, Hungaria, Bohemia, Dalmatia, Croatia, Sclavonia, Austria, Burgundia, Styria, Moravia, Sylesia, Tyrolis. Diese Speichen sind durch Eisennägel, die die kaiserlichen Ämter symbolisieren, mit Nabe und Kranz verbunden. Die Aufzählung, die dem Kaiser auch Germania – in Pěčkas Auffassung handelte es sich hierbei um die deutschen Gebiete des Heiligen Römischen Reiches – als geerbtes oder durch Ständewahl erworbenes Territorium unterordnet, zeugt von einer Tendenz in der habsburgischen Politik, die Dominanz des 33 34 35
Der Bildteil wurde herausgegeben von BoHatCoVá, Mirjam: Irrgarten der Schicksale. Praha 1968, Nr. 65. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 242 f., 646 (Abb. 117a), 647 (Abb. 117b). Deutsche illustrierte Flugblätter (wie Anm. 17), Bd. 2, 162. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 138 f., 587 (Abb. 69). Der Prager Bürger Michal Pěčka von Radostice (ca. 1575–1623), Autor des Konzepts der erfolgreichen kaiserlichen illustrierten Einblattdrucke und beliebter Verfasser neulateinischer Poesie, war vor 1617 zum katholischen Glauben konvertiert. Nach dem Ausbruch des Ständeaufstands ging er nach Rom. Am 4. Juli 1618 widmete er Papst Paul V. einige Verse, in denen er sich über die Teilnehmer am antihabsburgischen Aufstand beschwerte und ein strenges Vorgehen gegen sie forderte. Nach seiner Rückkehr nach Prag wurde er von den Direktoren des Landes verwiesen. Er ging nach Wien, wo er sich seinen nicht abgeschlossenen Studien widmete und die Gunst des Hofes zu erlangen versuchte. Nach der Schlacht am Weißen Berg wurde er Bergmeister mit Aufsicht über die Weinberge, er war Mitglied des Gerichtstribunals über die Teilnehmer am Aufstand und bis 1622 auch kaiserlicher Verwalter des Besitzes der Prager Universität. HeJNiC, Josef/Martínek, Jan: Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě/Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae. 5 Bde. Praha 1966–1982, hier Bd. 4, 123–132.
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Kaisers künftig auch in den deutschen Reichsgebieten durchzusetzen. Zuvor musste jedoch die ständische Opposition im Königreich Böhmen, in Ungarn und in den österreichischen Ländern beseitigt werden. Die kaiserlichen Publizisten arbeiteten auch in der Folgezeit mit dem propagandistischen Schema des Kontrasts zwischen der gottgefälligen Regierung des Herrschers und der egoistischen Anarchie der Rebellen, zu denen die böhmischen Stände und Friedrich von der Pfalz zählten. Sie gingen von der Annahme aus, dass Wohlergehen und Blüte eines Landes nur mit einer Ordnung sichergestellt werden könnten, die sich durch die Einheit von Königsherrschaft und kirchlicher Lehre auszeichne. Nur dies könnte den Gehorsam der Bürger und den Fleiß der Bauern bewirken und das Land dem Paradies ähnlich werden lassen, in dem guter Wille, Fülle und Freude herrschen würden.36 Diese gesegnete und wohltätige Ordnung sei jedoch durch Ehrgeiz, Willkür, Stolz, Eitelkeit, Geiz und Bosheit sowie durch den schlechten Rat der böhmischen Stände und ihrer Verbündeten in Österreich und Ungarn zerstört worden. Das verdrängte Thema der Religionsfreiheit weckte allerdings trotzdem erhebliche Animositäten. Dies belegen Passagen aus weiteren illustrierten Flugblättern und Gedichten von Michal Pěčka von Radostice.37 Als Mitglied des Gerichtstribunals über die böhmischen Stände setzte er die strengsten Urteile über die Verhafteten durch und trug auch durch seine scharfe Feder zur Verschlechterung ihrer Situation bei. Dies belegen zwei illustrierte Einblattdrucke, die vor der Altstädter Exekution in Prag erschienen. Der erste Druck, THRONUS JUSTICIAE38 mit dem tschechischen Text Trůn spravedlnosti (Thron der Gerechtigkeit), war für den Statthalter Karl von Liechtenstein bestimmt und enthielt einen Appell, dieser möge nicht den Gnadengesuchen der Beschuldigten und ihrer Verwandten nachgeben, sondern vielmehr die Größe ihrer Schuld in Betracht ziehen. Er solle nicht aus zu großer Nachgiebigkeit erlauben, dass jemand – Tscheche oder Deutscher – „die reine Jungfrau Justicia schändet“. Der Stich (Abb. 6) enthält außerdem eine Bildparaphrase des Universitätsflugblatts A Domino Factum mit dem böhmischen und dem pfälzischen Löwen auf dem Ehebett, die durch die Fesseln der Liebe miteinander verbunden sind. Die Wiege mit den Früchten ihres Bundes wird jedoch jetzt vom habsburgischen Adler verwüstet, und die fliehende Gestalt trägt statt eines Jesuitenhutes ein calvinistisches Birett. Der Text prangert nicht nur den böhmisch-pfälzi-
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„Christlich und recht würd das erkenndt/ Wann Einigkeit im Regiment, Gleichheit der Lehr in Kirchen schwebt/ Der Burger in Gehorsamb lebt, Der Bauer den Pflug fleissig regt/ Vor sein Haushaltung Sorg auch tregt. Diß ding befesten alle Reich/ und macht uns dem Paradeyß gleich.“ Anonymer illustrierter Einblattdruck „Vrsachen und Vrsprung alles Jamers vnd Elends“, s. l. 1623. Deutsche illustrierte Flugblätter (wie Anm. 17), Bd. 4, 138. PěČka z radostic, Michal: Petri Ribaldi Peruani Satyrarum liber. Praga 1621. Hier auch die satirischen Gedichte auf alle Ständedirektoren und die Ausfälle gegen die Schöpfer der böhmisch-pfälzischen Propaganda aus dem Umfeld der Universität. Martínek, Jan: Pamfletistická činnost Michala Pěčky z Radostic a její předbělohorské kořeny [Die pamphletistische Tätigkeit von Michal Pěčka von Radostice und ihre Wurzeln in der Ära vor der Schlacht am Weißen Berg]. In: Strahovská knihovna 18–19 (1983–1984), 117–124. Nur der Bildteil erschien bei BoHatCoVá (wie Anm. 33), Nr. 103. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 142–144, 594 f. (Abb. 72 a, b).
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Abb. 6: Michal Pěčka von Radostice: „THRONUS IUSTICIAE“, Praha 1621, Bildteil
schen Bund an, sondern macht sich auch über die vertriebenen nichtkatholischen Geistlichen lustig, indem er die Not schildert, die diese im Exil erwartete. Mit dem zweiten Einblattdruck wandte sich Pěčka direkt an Ferdinand II. Dieses illustrierte Flugblatt erschien in lateinischer Fassung unter dem Titel Victoria contra victorem nulla est und trug in deutscher Sprache die Bezeichnung Sieg/ wider Den großen Kayser Ferdinandt/ ist keiner (Abb. 7).39 Beide Texte werden mit einem fast identischen Stich illustriert. Vor den Augen Kaiser Ferdinands wird die Bestrafung von fünf gedemütigten Löwen durchgeführt, die die einzelnen Kronländer des Böhmischen Königreichs repräsentieren. Einer der Löwen wird gehäutet, einem anderen ein Zaumzeug angelegt und ein dritter erhält einen Maulkorb, damit er mit seinen giftigen Bissen kein Gift mehr verbreiten und andere Länder verführen könne.40 Der Text fordert Ferdinand zur Verkündung der strengsten Urteile auf und prangert die leeren, arglistigen und nichtigen Bündnisse der böhmischen Auf39 40
Ebd., 140–142, 590–593 (Abb. 71 a–d). Die Rolle der böhmischen Stände als Anstifter des Aufruhrs in den übrigen Ländern beurteilt er mit den Worten: „O böhmische rebellerey […] Tyrannisch hertz durch dich angstifft/ Auß dein Maul speyest grewlich gifft. Hör, durch dein schedliche zwytracht/ Hast ander Lende zu grund gebracht/ Und erbärmlich ins fewer gsteckt/ Durch dich die Mährer sein bewegt/ Daß sie Kasendte worden sein/ Als die Ungern all in gemein: Oesterreich hast an dich gezogen/ Die Schlesier hast du betrogen./ Wer hat die tollen Laußnitzer/ Zu fridens zeit gebracht ins gwehr?“
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ständischen an, die auf dem Universitätsflugblatt abgebildet sind. Es folgen Verse, die Pěčka an den Kaiser adressiert und die eine der zeitgenössischen Auffassungen zu den Fragen der Religionsfreiheit präsentieren: So nimb/ o Kayser FERDINAND/ Die Eyserne Ketten und band/ Zeuch zur Straff die Böhmischen Thorn/ So newe Freyheit ihn erkorn/ Und Kriegt erregt New/ unerhört/ Vergiß nicht zunehmen das Schwerd/ Und die hochgwachsen Mohn heubt/ Im Böhmischen garten abschneidt/ Schlag ab die hohen Federbisch/ Diesen grewel auch gantz abwisch/ Die Abschewlich seuch von uns kehr: In Böheimb nicht Regiere mehr Dergleichen schädliche Freyheit […] Ein jedenVölcklein nicht steht an Zuhaben frey Scepter und Cron. Freyheit ein jeden nicht gezimbt: Freyheit dem Pöfel schaden bringt.
Pěčkas Verse entsprechen verständlicherweise der Sichtweise der kaiserlichen Publizistik. Aus ihnen klingt Verachtung für die Andersgläubigen, die kleinen Völker und das Recht des Einzelnen auf eine eigene Überzeugung. Sie repräsentieren Auffassungen, die in eklatantem Widerspruch zum gedanklichen Inhalt des rudolfinischen Majestätsbriefs und des Ausgleichs mit den böhmischen Katholiken stehen. Der Majestätsbrief und die Religionsfreiheit waren zudem Thema der Polemiken in der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg, in denen es um die Rechtskraft der kaiserlichen Acht über Friedrich von der Pfalz ging, sowie der Gesamt- oder Teilausgaben der umfangreichen ständischen Deductio41 und einer Reihe von Schriften, die in den zwanziger Jahren des 17. Jahrhunderts im Rahmen der kaiserlichen Anhaltischen Kanzlei und der pro-pfälzischen Spanischen Kanzlei publiziert wurden.42 Thematisiert werden diese Fragen auch in den Polemiken nichtkatholischer Geistlicher aus dem Milieu des böhmischen Exils, beispielsweise bei Jan Korvín und Samuel Martinius von Dražov.43 Obwohl die Begriffe „Freiheit der 41 42 43
geBauer, Johannes: Die Publicistik über den böhmischen Aufstand von 1618. Halle 1892, 46–50. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 219–223. koser, Reinhold: Der Kanzleistreit. Ein Beitrag zur Quellenkunde des dreissigjährigen Krieges. Halle 1874. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 240 f., 291–298. Zu Korvíns Schriften s. HreJsa, Ferdinand: Česká konfese, její vznik, podstata a dějiny [Die Confessio Bohemica, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Geschichte]. Praha 1912, 551, Anm. 5, 552. – kraMář, Vincenc: Zpustošení Chrámu svatého Víta v roce 1619 [Die Verwüstung des Veitsdoms im Jahr 1619]. Hg. v. Michal Šroněk. Praha 1998 (Fontes historiae artium 6), 89 f. – HuBkoVá (wie Anm. 13), 197, Verzeichnis Nr. 221, 265. – Martinius z dražova, Samuel: Obrana proti ohlášení starších kněží bratrských na ten čas v Lešně se zdržujících [Verteidigung gegen die Ansage der älteren Unitätspriester, die sich zu dieser Zeit in Lissa aufhalten]. S. l. 1636.
Der Majestätsbrief Rudolfs II. und seine Rolle in den Flugblattpolemiken
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Abb. 7: Michal Pěčka von Radostice: „Sieg/ wider Den großen Kayser Ferdinandt/ ist keiner“, Prag 1621, Bildteil
Religion“, „freies exertitium religionis“ oder „Glaubens Freiheit“ zu den meistverwendeten Ausdrücken in den Diskussionen und Polemiken des Dreißigjährigen Krieges wurden, nahm man sie allgemein doch nicht in der Dimension wahr, die dem Wortlaut des Majestätsbriefs entsprochen hätte. Die Vorstellung der damaligen Leser, die aus verschiedenen Territorien in Mittel- und Westeuropa stammten, basierte auf der Praxis, die in ihrem Lebensumfeld gängig war. Der Majestätsbrief als Dokument hatte in den Flugblättern böhmisch-pfälzischer Herkunft, die die Ansprüche der böhmischen Stände, Friedrichs von der Pfalz und der böhmischen Exulanten verteidigten, sicherlich auch weiterhin seine Gültigkeit, aber die kaiserliche Publizistik erwähnte ihn nicht, sondern bevorzugte – wenn sie sich überhaupt auf eine sachlichere Polemik einließ – andere Themen, z. B. das Infragestellen des Rechts der böhmischen Stände, den König zu wählen. Wenn wir die enorme Zunahme der kaiserlichen Schmähpamphlete über die böhmischen Stände und Friedrich von der Pfalz verfolgen, die 1621 den ersten publizistischen Höhepunkt während des Dreißigjährigen Krieges erreichten, wird deutlich, dass die Art und Weise der Marginalisierung der Ständeforderungen und der Herrschaft Friedrichs von der Pfalz vor allem auf der Verwendung irrealer Elemente und auf der Konstruktion von Komik beruht.44 Mit den Interessen und Bedürfnissen der 44
HuBkoVá (wie Anm. 13), 243–289, 461–463.
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Jana Hubková
kaiserlichen bzw. der bayerischen Propaganda harmonierten weder eine sachliche Betrachtung der Problematik des Majestätsbriefs noch eine wie auch immer geartete Diskussion über die Religionsfreiheit.
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Rudolfs Majestätsbrief, Comenius und die Exklusivität der Tschechen in der Heilsgeschichte Zu den konstitutiven Elementen des gemeinsamen europäischen Bewusstseins, das heißt der europäischen Identität, gehört auch das Phänomen des nationalen Messianismus der historischen europäischen Völker. Ihre christianisierten Eliten nahmen seit dem Mittelalter die Rolle des religiös und politisch auserwählten Volkes, des „neuen Israels“, auf sich. Auf diese markante kirchenpolitische Selbststilisierung stoßen wir beispielsweise bei den Franzosen und den Deutschen, bei den Schweden und den Polen.1 In Böhmen setzte sich dieses Konzept bereits seit dem 13. Jahrhundert durch, als sich der přemyslidische Herrscherhof und die Vertreter der böhmischen politischen Nation um eine neue Definition der böhmischen Rolle in der kirchenpolitischen Ordnung Europas und der Christenheit sowie in der Heilsgeschichte bemühten. So sind wir Zeugen eines Prozesses, in dessen Rahmen der böhmische König Přemysl Ottokar II. als „neuer Alexander der Große“, Verteidiger Europas und der Christenheit vorgestellt wurde und sein Sohn Wenzel II. ernsthaft nach der „translatio imperii ad Bohemos“ strebte.2 Dieses böhmische Reichsdenken wurde durch den böhmischen König und Kaiser Karl IV. dann tatsächlich verwirklicht, indem er bewusst an die ehemaligen Ambitionen der Přemysliden anknüpfte und Prag zur kaiserlichen Residenz und zum wichtigsten Zentrum des Heiligen Römischen Reiches machte. Damals wurde ein neues böhmisches (oder eigentlich tschechisches) Selbstbewusstsein geboren – jener besondere tschechische Messianismus, der die „sacrosancta natio bohemica“ als das „neue Israel“ ansah,
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smitH, Anthony D.: Chosen Peoples. Sacred Sources of National Identity. Oxford 2003. Zum böhmischen Messianismus im Mittelalter s. ŠmaHel, František: Idea národa v husitských Čechách [Die Idee der Nation im hussitischen Böhmen]. Praha 2000, 90–143. – Vgl. hlaváČek, Petr: Böhmen, Europa und die Christenheit in den kirchenpolitischen Vorstellungen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. In: Bruncvík a víla. Přemýšlení o kulturní a politické identitě Evropy/Bruncwik und die Nymphe. Überlegungen zur kulturellen und politischen Identität Europas. Hg. v. dems. Praha 2010 (Europaeana Pragensia 2), 40–54. hlaváČek, Petr: Role Českého království ve středověkém křesťanstvu aneb dialog Evropy a Asie v literárních dílech české provenience (1300–1400) [Die Rolle des Böhmischen Königreichs in der mittelalterlichen Christenheit oder der Dialog zwischen Europa und Asien in den literarischen Werken böhmischer Provenienz (1300–1400)]. In: Odorik z Pordenone: Z Benátek do Pekingu a zpět. Setkávání na cestách starého světa ve 13.–14. století. Hg. v. Petr sommer und Vladimír liŠČák. Praha 2008 (Colloquia mediaevalia Pragensia 10), 173–184. – hlaváČek, Petr: Cor Europae. Církevněpolitické a teologickogeografické představy o roli českých zemí v Evropě 13.–17. století [Cor Europae. Kirchenpolitische und theologischgeographische Vorstellungen über die Rolle der böhmischen Länder in Europa im 13.–17. Jahrhundert]. In: Korunní země v dějinách českého státu IV – Náboženský život a církevní poměry v zemích Koruny české ve 14.–17. století. Hg. v. Lenka BoBkoVá und Jana konviČná. Praha 2009, 460–472.
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Petr Hlaváček
das für die Erneuerung der Kirche und der Welt vorbestimmt war.3 Das Ergebnis war schließlich die vielschichtige und gedankenreiche Strömung der böhmischen Reformation und die Ausnahmestellung der Böhmen als exemplarische „Ketzer“, die aus dem politischen Zentrum Europas an dessen mentale Peripherie verdrängt wurden. Die „Causa Bohemica“ räsonierte in ganz Europa als Problem und Appell, als Herausforderung zur Reflexion.4 Zu Zeiten der europäischen Reformationen des 16. Jahrhunderts wurde das „ketzerische“ Böhmen erneut als zentraler Teil des Kontinents wahrgenommen. So schuf beispielsweise 1537 Johannes Bucius eine Bildallegorie Europas „in forma virginis“, die unzählige Male reproduziert und modifiziert wurde. Das Königreich Böhmen war darauf als kostbare Medaille gestaltet, die auf der Brust der personifizierten Königin Europa ruhte. „Bohemia“ und „Praga“ wurden als das tatsächliche Herz Europas – „cor Europae“ – präsentiert. So wurde Böhmen erneut zu einem wichtigen Thema der theologischgeographischen und politischen Reflexionen der europäischen Intellektuellen. Die Ikonographie Europas als Jungfrau – Frau – Königin erlebte gerade in der Frühen Neuzeit eine große Blüte und verbreitete sich in der genannten kartographischen Gestalt über das gesamte Heilige Römische Reich von den Niederlanden bis nach Böhmen, aber auch nach England, Dänemark und Schweden. Seit ihrer Entstehung enthielt sie eine bedeutende geo- bzw. kirchenpolitische Botschaft.5 Das Konzept Böhmens als Herz Europas tauchte immer häufiger bei Protestanten und Katholiken auf, z. B. bei Heinrich Bünting, Philippus Clu3
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hlaváČek, Petr: Christianity, Europe, and (Utraquist) Bohemia: The Theological and Geographic Concepts in the Middle Ages and Early Modern Times. In: The Bohemian Reformation and Religious Practice 7 (Filosofický časopis: Supplementum 1). Hg. v. Zdeněk V. daVid und David R. HoletoN. Prague 2009, 19–41. Im damaligen politischen Diskurs sind als die „Bohemi“ vorzugsweise die tschechischsprachigen Böhmen präsentiert, das heißt die Tschechen. Die Sprache spielte in der tschechischen/böhmischen mittelalterlichen Nationsbildung eine wichtige Rolle. Die landespatriotische Konzeption von den Böhmen als einer Nation zweier Sprachen entstand erst im 17. und 18. Jh.; vgl. František ŠmaHel: Idea národa v husitských Čechách [Die Nationsidee im hussitischen Böhmen]. Praha 2000. Dazu beispielsweise hlaváČek, Petr: Praha jako centrum Evropy a křesťanstva? M. Pavel Židek (†1471) a jeho představy o obnově rezidenční funkce hlavního města Českého království [Prag als Zentrum Europas und der Christenheit? M. Pavel Židek (†1471) und seine Vorstellungen über die Erneuerung der Residenzfunktion der Hauptstadt des Böhmischen Königreichs]. In: Rezidence a správní sídla v zemích České koruny ve 14. – 17. století (Korunní země v dějinách českého státu 3). Hg. v. Lenka BoBkoVá und Jana konviČná. Praha 2007 (Opera Facultatis philosophicae Universitatis Carolinae Pragensis 4), 113–125. – ders.: Respublica Christiana aneb spiritualita a církevněpolitické představy Bohuslava Hasištejnského z Lobkowicz [Respublica Christiana oder Spiritualität und kirchenpolitische Vorstellungen des Bohuslaus Hassenstein von Lobkowicz]. In: Bohuslav Hasištejnský z Lobkovic a kultura jeho doby. Hg. v. Marta vaculínová. Praha 2007 (Sborník Národního muzea v Praze, Řada C – literární historie 52/1–4), 5–7. – ders: Die Christenheit oder Europa. Zu konfessionell-geographischen Vorstellungen im Böhmen des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Formierungen des konfessionellen Raumes in Ostmitteleuropa. Hg. v. Evelin Wetter. Stuttgart 2008 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 33), 319–331. sCHmale, Wolfgang: Europäische Identität und EuropaIkonografie im 17. Jahrhundert. In: Studien zur europäischen Identität im 17. Jahrhundert. Hg. v. Wolfgang sCHmale u. a. Bochum 2004, 88–94.
Rudolfs Majestätsbrief, Comenius und die Exklusivität der Tschechen
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verius, Johann Amos Comenius, Bohuslaus Balbin oder auch bei dem Prager Erzbischof Johann Friedrich von Waldstein.6 1584 verfasste Wenzel Budowetz von Budow sein eschatologisches Werk Kurze Schrift über das goldene künftige und bereits angebrochene Zeitalter, in dem er an das „goldene Zeitalter“ der Tschechen unter Magister Jan Hus erinnerte und allen aktuellen Krisen zum Trotz eine Erneuerung Europas und der Christenheit herannahen sah.7 Zum Symbol dieser Erneuerung wurde für ihn der rudolfinische Majestätsbrief, wie er Johann Grynaeus am 8. September 1609 nach Basel schrieb: Ganz Europa blicke auf Böhmen, das so ein wirkliches „spectaculum Europiacis“ darstelle.8 Adam Rosacius, Professor an der Prager Universität, pries in seiner Oratio panegyrica de Boemiae reviviscentia von 1615 ebenfalls die Konfessionsfreiheit in Böhmen nach dem Erlass des Majestätsbriefs an. Zugleich erinnerte dieser protestantische Gelehrte ein wenig unerwartet an die „ruhmreiche Zeit“ der Regierung Kaiser Karls IV., als die Prager die „Herren der Welt“ und Prag die „Hauptstadt der Welt“ gewesen seien. Diese überaus ruhmvollen Zeiten kehrten mit Kaiser Rudolf II. zurück, der als neuer Salomo zum Begründer des goldenen Zeitalters für Böhmen, Europa und die ganze Christenheit wurde.9 Den Höhepunkt dieser böhmischen Interpretation der Heilsgeschichte bildeten die Jahre 1618–1620, jene böhmische kirchenpolitische Krise zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, als Böhmen als Hauptachse des protestantischen Europas galt, um die herum in Zusammenarbeit mit England, den Niederlanden und der Pfalz das corpus evangelicorum entstand. Nach der Schlacht am Weißen Berg im Jahr 1620 verwandelte sich der glorifizierte „Triumphus Bohemicus“ jedoch in die Böhemische Tragödie, wie es die Titel der zeitgenössischen Flugblätter zur böhmischen Situation so treffend kommentierten.10
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hlaváČek, Petr: A Reflection on the Political and Religious Role of Bohemia in Christianity (1200–1700). In: East-Central Europe in European History. Themes & Debates. Hg. v. Jerzy kłoczowski und Hubert łaszkiewicz. Lublin 2009, 131–155. BudoVeC z BudoVa, Václav: Krátkej spis o zlatém budoucím a již nastávajícím věku. In: Václav Budovec z Budova. Hg. v. Noemi reJCHrtoVá. Praha 1984, 208–213. – Vgl. Lucie ŠtorCHoVá: Der eschatologische Ton in den Vorworten der Drucke Veleslavíns. Zur Position der Eschatologie als Quelle der Ethik im späthumanistischen Diskurs. In: Acta Comeniana 18 (2004), 7–41. Václava Budovce z Budova korespondence z let 1579–1619 [Die Korrespondenz des Wenzel Budowetz von Budow aus den Jahren 1579–1619]. Hg. v. Julius glüCkliCH. Praha 1908, 78. rosaCius, Adam: Oratio de Boemiae reviviscentia. Hg. v. Dana Martínková. Praha 2000, 174 f., 218 f. miller, Jaroslav: Falcký mýtus. Fridrich V. a obraz české války v raně stuartovské Anglii [Der pfälzische Mythos. Friedrich V. und das Bild des böhmischen Krieges im England der frühen Stuarts]. Praha 2004, 63–81. – Vgl. Vladimír urBáNek: Eschatologie, vědění a politika. Příspěvek k dějinám myšlení pobělohorského exilu [Die Eschatologie, das Wissen und die Politik]. České Budějovice 2008. – ders.: The Comet of 1618: Eschatological Expectations and Political Prognostications during the Bohemian Revolt. In: Tycho Brahe and Prague: Crossroads of European Science. Hg. v. John Robert CHristiaNsoN u. a. Frankfurt am Main 2004, 282–291. – HuBkoVá, Jana: Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky. Letáky jako pramen k vývoji a vnímání české otázky v letech 1619–1632 [Friedrich von der Pfalz im Spiegel der Flugblattpublizistik]. Praha 2010.
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Der rudolfinische Majestätsbrief und seine Konsequenzen nahmen auch im theologischen und politischen Denken um den böhmischen Exulanten Johann Amos Comenius einen wichtigen Platz ein. Adam Hartmanns Historia persecutionum ecclesiae bohemicae, an der Comenius vermutlich mitarbeitete und die bereits in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts verfasst wurde, hielt sowohl den Jubel über die errungene Religionsfreiheit als auch das Bewusstsein der Tragödie des Weißen Berges fest: „Kirchen geöffnet, die Böhmen erfreut. Was Maximilian versprach, geruhte Rudolf zu erfüllen.“ So sei zwar die „reine Religion“ aufgeblüht, aber mit der „religiösen Freiheit“ auch eine gewisse „Willkür“ in die böhmische Kirche eingedrungen. Und aus diesem Grund bewirkte das „Ferdinandeische Donnerwetter“, wie die Historia persecutionum schreibt, ein solches Unheil. Kaiser Rudolf II. wurde in der böhmischen Exulantentradition als „Pius Rudolphus“ bezeichnet, der sich um die Versöhnung der Konfessionen im ganzen Reich und in Europa bemüht habe. Zu diesem Zweck habe er sogar einen „Ordo pacis“ gründen wollen. Dies sei jedoch nicht gelungen, denn der Krieg kam und „heute brennt ganz Europa“.11 In seinen späteren Clamores Eliae konstatierte Comenius ebenfalls lakonisch, dass die Böhmen die Freiheit des Majestätsbriefs „nicht gut genutzt“, sich in Prüfungen und Verfolgungen nicht bewährt hätten.12 Alle angeführten Beispiele aus dem 16. und 17. Jahrhundert haben eines gemeinsam: Die Böhmen, das heißt die Tschechen, wurden nämlich von ihren eigenen und den fremden Eliten als große und selbstbewusste Nation wahrgenommen, die autonom ihr eigenes Schicksal bestimmte und zugleich aktiv in die Heilsgeschichte sowie in die aktuellen politischen Angelegenheiten Europas und der Christenheit eingriff. Selbstbewusstsein war damals für die Böhmen als politische Nation eine absolute Selbstverständlichkeit. Doch gerade im 17. Jahrhundert kam es in der böhmischen Gesellschaft und ihrer Selbstreflexion zu einer radikalen Veränderung: An die Stelle des tschechischen Messianismus und des kirchenpolitischen Aktivismus traten eine Verteidigungshaltung und Gefühle von Verlassenheit und Kleinmütigkeit.13 Die chronologischen Parameter dieser Entwicklung sind leicht zu definieren. Die Bevölkerung war durch Krieg und Epidemien dezimiert worden, die Wirtschaft lag in Trümmern. Bedeutende Persönlichkeiten der böhmischen Eliten waren ins Exil gegangen, andere ließen sich korrumpieren, das Land war der sogenannten (Re-)Katholisierung ausgesetzt. Die stärkste Veränderung erfolgte jedoch durch einen Eingriff in das politische System des Königreichs Böhmen: durch die neue Verfassung, die Verneuerte Landesordnung von 1627.14 Ihre Konzeption beseitigte 11
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Historia o těžkých protivenstvích církve české [Geschichte von den schweren Drangsalen der böhmischen Kirche]. In: Johannis Amos Comenii Opera omnia 9/I. Hg. v. Amedeo molNár u. a. Praha 1989, 97–99, 103. – Vgl. Historia persecutionum ecclesiae Bohemicae. In: Johannis Amos Comenii Opera omnia 9/I. Hg. v. Amedeo molNár u. a. Praha 1989, 241 f., 246. komeNský, Jan Amos: Clamores Eliae. In: Johannis Amos Comenii Opera omnia 23. Hg. v. Julie NoVákoVá. Praha 1992, 69. hlaváČek, Petr: Bohemia Cor Europae. Die geopolitischen und theologischen Vorstellungen über die Rolle Böhmens und der Tschechen in der Reformationszeit. In: Religion und Naturwissenschaften im 16. und 17. Jahrhundert. Hg. v. Kaspar von greyerz u. a. Heidelberg 2010 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 210), 123–140. Bereits 1624 riefen die böhmischen Landesbeamten in einem sogenannten Memorium nach der
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programmatisch die böhmischen politischen Gepflogenheiten, die Ständemonarchie, sie eliminierte die Position des Landtags und damit auch die bisherige böhmische parlamentarische Tradition. Das Königreich Böhmen nahm de facto den Stand einer bloßen Provinz des Habsburgerreiches ein. Seine politischen, kirchlichen und gelehrten Eliten wurden zu Statisten ohne politischen Einfluss degradiert, die zu höfischen CouloirIntrigen verurteilt waren. Einer der Führer der böhmischen katholischen Partei, Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz, registrierte dies sehr früh und gab vorsichtig seine Unzufriedenheit über die Verletzung der alten Landesprivilegien zu verstehen.15 Auch andere katholische Patrioten, wie z. B. der Jesuit Bohuslaus Balbin, wiesen darauf hin, dass die ehemalige Größe der böhmischen Nation allmählich zur Vergangenheit wurde. Ihre Kommentare sind eine Wehklage auf eine europäische, zur politischen Bedeutungslosigkeit verurteilte Nation. Gerade Balbin artikulierte diese Einstellung mehrmals eindeutig in seiner Tractatio von 1672–1673, die Thomas Pešina von Čechorod, Kanoniker des Metropolitankapitels zu St. Veit in Prag, gewidmet war.16 Die gewaltsame (Re)Katholisierung oder religiöse Unifizierung Böhmens war im Kontext des damaligen Europa nicht ungewöhnlich, und wir dürfen darin einen exemplarischen Beweis für die Existenz des Konfessionalisierungsparadigmas sehen. Die immer neu auftauchenden Überlegungen, die Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg als eine erneute Anbindung Böhmens an die kulturellen Zentren der mediterranen Welt bzw. als Rettung der Tschechen vor der protestantischen Germanisierung zu sehen,17 sind ein merkwürdiger Versuch einer barockisierenden Ästhetisierung der böhmischen Tragödie, die Böhmen für mehr als 200 Jahre von der politischen Landkarte Europas streichen sollte. Der Kampf um den Erhalt der Rolle Böhmens in der europäischen politischen Realität wurde allerdings hauptsächlich im Exil geführt, wie an den auf gesamteuropäische Resonanz stoßenden Aktivitäten von Comenius zu sehen ist. Comenius, Bischof und Theologe der Brüderunität, sah die Bedeutung der Tschechen im Herzen Europas in deren einzigartiger religions-
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Respektierung der Landesrechte, aber niemand wagte, offen gegen das kaiserliche politische Konzept von den „verfallenen Rechten“ des Königreichs Böhmen zu opponieren. S. die zusammengefassten Informationen bei ČorneJová, Ivana/kaŠe, Jiří/mikuleC, Jiří: Velké dějiny zemí Koruny české [Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone]. Bd. 8: 1618–1683. Praha-Litomyšl 2008, 108–114. Svědectví o ztrátě starého světa. Manželská korespondence Zdeňka Vojtěcha Popela z Lobkovic a Polyxeny Lobkovické z Pernštejna [Zeugnis über den Verlust der alten Welt. Die eheliche Korrespondenz zwischen Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowicz und Polyxena von Lobkowicz geb. Pernstein]. Hg. v. Pavel marek. České Budějovice 2005, 118 f., 124 f. BalBiNus, Bohuslaus: Dissertatio apologetica pro lingua Slavonica, praecipue Bohemica. Pragae 1775, 36–43. Vgl. auch die tschechische Übersetzung: BalBín, Bohuslav: Rozprava krátká, ale pravdivá. Hg. v. Milan koPeCký. Brno 1997, 36, 42 passim. Diese Ansicht formulierte in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Josef Pekař. Vgl. Pekař, Josef: Bílá hora [Der Weiße Berg]. In: ders.: O smyslu českých dějin. Praha 1990, 157– 274, hier 273 f. Seit dieser Zeit tauchte sie hauptsächlich in der tschechischen politischen Publizistik und in der Reflexion der tschechischen intellektuellen Eliten auf; vgl. bes. HaVelka, Miloš: Spor o smysl českých dějin 2 (1938–1989). Posuny a akcenty české otázky [Der Streit um den Sinn der böhmischen Geschichte 2 (1938–1989). Verschiebungen und Akzente der böhmischen Frage]. Praha 2006.
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politischer Mission. Diese Interpretation der tschechischen Existenz klingt bereits deutlich in Comenius’ Korrespondenz mit Samuel Hartlieb aus dem Jahr 1638 an: „Blickt auf das Volk, auf das als Erstes unter den europäischen Völkern Christus zu blicken geruhte, indem er es dem Dunkel des Antichrist entriss, ein Volk, das früher als die übrigen Völker Erleuchtung erfuhr, das als einziges für ein ganzes Jahrhundert das Wüten des Antichrist aushielt.“18 In seiner Ecclesiae Slavonicae brevis Historiola von 1660 schrieb Comenius über die Slawen und Tschechen als die ersten „unter den europäischen Völkern“, die die Heilige Schrift in ihrer Muttersprache besaßen, und fügte hinzu: „Die slawische Kirche, und damit auch die tschechische Kirche, sind direkt von den Aposteln gegründet worden und damit gänzlich unabhängig von der römischen Kirche, die sich zur katholischen erklärt und über alle Christen herrschen möchte.“19 Das Ziel unserer Analyse ausgewählter Texte von Comenius ist keine neue Interpretation seiner irenischen und pansophischen Bemühungen. Vielmehr konzentrieren sich unsere Fragen auf eine Problematik, die bisher eher am Rand der komeniologischen Forschung stand: Wie sah Comenius die Rolle der Tschechen und des Böhmischen Königreichs in der Christenheit und in Europa, wie in der Heilsgeschichte? Bereits ein kurzer Blick in sein Werk führt uns zwangsläufig zur Frage nach dem tschechischen Messianismus oder Bohemozentrismus in der Frühen Neuzeit. Nicht unserer Aufmerksamkeit entgehen sollten auch seine Ansichten zur Rolle Europas und der Europäer bei der Christianisierung der Welt sowie allgemein bei der Realisierung einer weltweiten Panorthosie. Comenius, den sein Schicksal als Exulant in verschiedene europäische Regionen führte, fühlte sich als wirklicher Europäer, was für die damaligen intellektuellen Eliten allerdings nicht ungewöhnlich war. Zugleich taucht bei ihm jedoch eine neue Betonung des kollektiven europäischen „Wir“ auf – eine gemeinsame europäische Identität auf einer überkonfessionellen christlichen Basis. Der Europäer Comenius sprach durch seine Traktate programmatisch zu den Europäern und auch – zumindest literarisch – zu den Bewohnern der übrigen Kontinente. Dies tat er mit einem nüchternen, fast demütigen Europozentrismus, im Bewusstsein der wichtigen Rolle der Europäer in der Heilsgeschichte. In welchem Verhältnis steht Comenius’ Europozentrismus zu seinem christlichen Universalismus? Spricht er auch den Nichteuropäern eine aktive Rolle in der Heilsgeschichte zu oder nimmt er sie bloß als Objekt des Interesses der Europäer wahr, als Völker, denen das Licht des Evangeliums Christi verkündet werden musste? Wie soll jene von Comenius häufig verwendete Wortverbindung „Wir, die Europäer“ verstanden werden? Comenius war Europäer und definierte dies weniger über den geographischen oder demographischen Aspekt. Vielmehr handelte es sich aus seiner Sicht um die Verpflichtung und die Verantwortung derjenigen, die Einwohner des zentralen christlichen Kontinents waren, welcher gerade wegen seiner Sünden schwere Prüfungen erlebte. Die Europäer sollten sich in Buße üben und das Evangelium der 18 19
komeNský, Jan Amos: Listy přátelům a příznivcům [Briefe an Freunde und Gönner]. Hg. v. Bohumil ryBa. Praha 1970, 124 f. komeNský, Jan Amos: Stručná historie církve slovanské [Kurze Geschichte der slawischen Kirche]. Hg. v. Josef HeNdriCH. Praha 1941, 22 f.
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ganzen Welt verkünden. Comenius sprach stellvertretend für Europa als ein potentiell kompaktes Ganzes – jenes europäische „Wir“ wurde bei ihm deutlich artikuliert. In den Jahren 1644 und 1645 entstand das Fragment von Comenius’ Schrift Consultatio catholica, ein Text, der zu einem Leitfaden für die Vereinigung Europas und der Welt unter der Herrschaft Christi werden sollte. Seine Struktur ist recht kompliziert, wobei die Schlüsselrolle der Einleitung „Gruß an die gelehrten, frommen und erhabenen Männer, die Lichter Europas“ zufällt. Comenius beschwor hier die europäischen Eliten, gemeinsam seiner Stimme zu lauschen. Und er nannte auch die Gründe: „Wenn es erforderlich ist, im gemeinsamen Namen unserer europäischen Welt gerade diese Leuchtmittel anzubieten, mit deren Hilfe wir das gemeinsame Licht unseres Glaubens (in den Flämmchen des Wissens) denen anzubieten gedenken, die im Dunkel verbleiben, ist es notwendig, dass wir uns zunächst untereinander über die ganze Sache einig werden. […] Wir, die Europäer, schwimmen doch wie auf einem Schiff: Auf die Asiaten, Afrikaner, Amerikaner und die übrigen schauen wir, als ob sie mit ihren Schiffchen von dem einzigen gemeinsamen Ozean der Welt und Weltkatastrophen (Unwissen, Aberglaube und elendigste Sklaverei) durchgeschüttelt werden. Wenn uns also unser Christus, der jetzt mit uns auf unserem Schiff schwimmt, so vielfach gesegnet und unser Netz mit dem Reichtum aus den Tiefen seiner Geheimnisse gefüllt hat, können wir vielleicht an etwas Geeigneteres denken als den Gefährten auf den anderen Schiffen zu befehlen, uns zu Hilfe zu kommen? Wenn sie kommen, führen wir unser hoch mit Gottes Segen geladenes Schiff mit größerem Wohlergehen in den Hafen [...].“20 Das Schiff des Comenius – Europa, dessen oberster Kapitän Christus ist – hat als Hauptaufgabe, die übrigen Schiffe – Kontinente – und ihre Besatzungen – Völker – in den sicheren Hafen Gottes zu navigieren. Das Schiff Europa ist das Fahrzeug des Kommodore, der die übrigen durch Klippen und andere Gefahren leitet. Comenius macht Vorschläge, wie der europäische Frieden zu erreichen und zu erhalten sei. So ruft er insbesondere zur Beseitigung der unter den Europäern herrschenden Vorurteile auf: „Denn wir, die Europäer, sind durch die unendliche Vielfalt philosophischer, politischer und religiöser Ansichten derart zersplittert […].“ Er beschäftigt sich also damit, wie sich das „Licht“ des Friedens über die ganze Welt verbreiten könnte und zweifelt nicht an der wichtigen Rolle Europas: „Denn wir, die Europäer, sind die Seite gegen Mitternacht, die Stadt des großen Königs, von der die Freude des ganzen Landes ausgehen soll.“– so paraphrasiert Comenius Psalm 48, Vers 3. Bevor jedoch Europa tatsächlich zu jener „Seite gegen Mitternacht“ wird, muss ein „dritter Elias“ erscheinen, der endgültig die Macht des Antichristen zerstört. Für einen solchen Sieg ist die Welt politisch zu vereinigen – aber nicht in einem totalitären Imperium, wie der durch die Geschichte belehrte Comenius warnt: „Allerdings ist eine solche Ordnung der Beziehungen unter den Menschen, wo sich schließlich alle einem sichtbaren Führer unterwerfen, im Hinblick auf die Umstände unmöglich.“21 An den Schluss seiner Abhandlung setzt Come20 21
komeNský, Jan Amos: Obecná porada o nápravě věcí lidských [Allgemeine Beratung über die Besserung der menschlichen Sachen]. Bd. 1. Hg. v. Marta BeČková u. a. Praha 1992, 51–55. Ebd., 62. – komeNský, Jan Amos: Obecná porada o nápravě věcí lidských [Allgemeine Bera-
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Petr Hlaváček
nius ein umfangreiches, für die Völker der Welt bestimmtes Manifest der Europäer, Ein Gruß von Europa, in dem er zu einer geistigen, kulturellen und politischen Vereinigung aufruft: „Das, worüber wir, die Europäer, zu beraten begonnen haben, nämlich die Wege zum Gemeinwohl, betrifft in gleichem Maße alle. [...] Damit in dieser Sache die einen den anderen helfen können, teilen wir euch in Asien, euch in Afrika, euch in Amerika mit […] wozu wir, die Europäer, die Gott durch seine Strafen gedemütigt hat, in unseren Überlegungen gelangt sind. […] Ihr aus Asien schickt zu uns Duftstoffe, Seide und Edelsteine, ihr aus Afrika beliefert uns mit Papageien, Affen, Löwen und Elfenbein, ihr Amerikaner habt unser Europa mit eurem Gold und Silber angefüllt. Und wir haben also nichts zu verschenken? Wir können euch dies mit nichts vergelten? Seht, wir vergelten es mit unseren Gedanken über unsere und eure Erlösung und mit Funken zur Entzündung des Lichts der Weisheit zum gemeinsamen Nutzen.“22 Soweit Comenius in seinem Manifest. Comenius war nicht nur ein Theologe und Denker, der theoretische Pläne zur Besserung und Vereinigung Europas, der Christenheit und der Welt entwickelte. Einige seiner Texte sind sehr nüchterne Analysen der kirchenpolitischen Situation seiner Zeit, in denen sich auch konkrete Vorschläge für bestimmte Personen wiederfinden. 1667 fand im niederländischen Breda eine Friedenskonferenz statt, die den zweiten englisch-holländischen Krieg beendete. Comenius verfasste deshalb das Memorandum Angelus Pacis, mit dem er die Gesandten dazu bewegen wollte, sich für den „pacem inter nos in Europa“, das heißt für den „Frieden unter uns in Europa“, einzusetzen.23 In diesem Text taucht erneut Comenius’ spezifischer „demütiger Europozentrismus“ auf, der zwar die einzigartige Rolle der Europäer aus christlicher Perspektive reflektiert, dabei aber nicht in traditionelles Triumphieren verfällt. Es handelt sich eher um einen Ruf an die Europäer, ihrer Verantwortung für die Verkündung des Evangeliums gerecht zu werden, und einen Aufruf zur Buße. Selbstverständlich nimmt Comenius erneut eine globale Perspektive ein: „Aber weil wir, die christliche Welt, Europa, nicht die ganze Menschheit bilden, weil außer uns auf dem Antlitz der Erde an die hundert Völker verteilt sind, und weil es nicht genügt, dass Christus der Erlöser von nur einigen dieser Völker ist, sondern weil er das Licht der Völker und das Heil Gottes bis an die Enden der Welt sein soll, muss sicherlich erwogen werden, wie wir Christen untereinander Frieden schließen und so der übrigen Welt und allen Völkern unter der Sonne Licht, Frieden und Heil bringen können […].“24 Eine sehr expressive und ungewöhnlich offene Aussage über Comenius’ Denken stellen die bereits erwähnten Clamores Eliae dar – das Fragment eines geplanten Werks, das zu verschiedenen Zeiten in den Jahren 1665 bis 1670 als Ruf eines „dritten Elias“ abgefasst wurde. Comenius dachte hier erneut universell über alle
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tung über die Besserung der menschlichen Sachen]. Bd. 3. Hg. v. Jan PatoČka. Praha 1992, 428–430. komeNský: Obecná porada 3 (wie Anm. 21), 169–171. komeNský, Jan Amos: Angelus pacis. In: Johannis Amos Comenii Opera omnia 13. Hg. v. Josef BramBora u. a. Praha 1974, 197. Ebd., 198: „Verumenimverò, quia nos Christianus orbis, Europa, non totum absolvimus humanum genum [...].“
Rudolfs Majestätsbrief, Comenius und die Exklusivität der Tschechen
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Probleme der Welt, alle Kontinente und deren christliche Perspektiven nach. Die Hauptantriebskräfte waren für ihn die europäischen christlichen Völker, „Europaei“, darunter auch sein eigenes Volk, die Tschechen. Gerade die Tschechen sollten Gott besonders dankbar sein, sind sie doch in religiöser wie politischer Hinsicht ein auserwähltes Volk.25 In dem Kapitel „Ad Bohemiam“ wird die Bedeutung Böhmens und der Tschechen prägnant formuliert: „Orbis terrarum nucleus Europa est, Europae cor Germania, Germaniae Bohemia, Bohemiae Praga. Hier also sieben Collegii lucis zu gründen – oder etwas Ähnliches – wenn es Gott gefallen wird.“26 Im Denken dieses gelehrten Exulanten wächst so die ursprüngliche böhmische religiöse Reformation über den ehemaligen Bohemozentrismus und Europozentrismus hinaus und bietet mittels des christlichen Universalismus einen Interpretationsschlüssel für Reflexionen über globale Probleme an. Comenius’ Sentenz „Wir, die Europäer“ stellt zugleich einen konstitutiven Moment für die neu reflektierte europäische Identität dar, die sich in einem „demütigen“, auf das traditionelle christliche Triumphieren verzichtenden „Europozentrismus“ äußert. Es war das Rufen des „dritten Elias“, nämlich Comenius, das zur gegenseitigen Toleranz zwischen den europäischen Völkern und den Völkern aller Kontinente aufrief. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine „billige“, gegenüber der erkannten Wahrheit resignierende Toleranz, sondern um eine demütige und gewaltlose Erklärung der Wahrheit, in deren Zentrum Christus steht. Dies war eine grundlegende Prämisse von Comenius, die wir nicht vergessen dürfen.27
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komeNský: Clamores Eliae (wie Anm. 12), 185. Diese lateinisch-tschechische Glosse bei komeNský: Clamores Eliae (wie Anm. 12), 70 f. Dazu ebenfalls hlaváČek, Petr: My, Evropané? Národní mesianismus a Evropská identita v Čechách raného novověku [Wir, die Europäer? Der Nationalmessianismus und die europäische Identität im frühneuzeitlichen Böhmen]. In: (In)tolerance v evropských dějinách/(In)tolerance in European History. Hg. v. dems. Praha 2011 (Europaeana Pragensia 3), 223–233. – ders.: Reflection on the Religious and Political Roles of the Czechs in Europe in the Early Modern Age. In: The Bohemian Reformation and Religious Practice 8 (Filozofický časopis/Journal of Philosophy – Special Issue Number 3). Hg. v. Zdeněk V. daVid und David R. HoletoN. Prague 2011, 332–339.
Jiří Mikulec
Der Majestätsbrief im Denken der katholischen Barockgesellschaft in Böhmen Die Kontinuität des historischen Bewusstseins, zu dessen Bestandteil bald nach seinem Erlass auch der Majestätsbrief Rudolfs II. werden sollte, wurde in den böhmischen Ländern durch die Veränderungen der Gesellschaft und ihrer religiösen Struktur nach der Niederlage des Ständeaufstandes im Jahr 1620 außer Kraft gesetzt. Die einheimische Geschichtsschreibung des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die sich vollständig in den Händen katholischer Intellektueller befand, stand hinsichtlich des Majestätsbriefs vor einer schwierigen Aufgabe: Sie musste sich mit einem Ereignis auseinandersetzen, das für die katholische Partei eine zeitweilige Niederlage im langjährigen Ringen um die konfessionelle Einheit bedeutet hatte. Um die Wirkung dieses bedeutenden religiös-rechtlichen Dokuments und die Haltung der barocken Historiographie in Böhmen untersuchen zu können, ist ein Überblick über die Interpretation des Majestätsbriefs in den historischen Abhandlungen des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vonnöten. Wie jede Geschichtsschreibung in größerem oder geringerem Ausmaß schlossen auch die Arbeiten der Barockhistoriker nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die jeweilige Gegenwart mit ein. Sie sollten jene Sphäre des gesellschaftlichen Denkens formen, die wir heute in modernem Sinn als öffentliche Meinung bezeichnen. Die Beurteilungen des Majestätsbriefs in der Barockhistoriographie sind Teil der katholischen Auffassung von der böhmischen Geschichte. Die nach der Schlacht am Weißen Berg von 1620 einsetzende Konstruktion des historischen Gedächtnisses1 näherte sich der Vergangenheit auf komplexe Weise; ihr Zweck war die his1
Aus der umfangreichen Literatur, die sich mit den Ansichten der Barockhistoriographie zur böhmischen Geschichte beschäftigt, nenne ich hier eine Auswahl der wichtigeren Arbeiten: kuBíČek, Emanuel: Národní vědomí českých jesuitů až po dobu Balbínovu [Das Nationalbewusstsein der böhmischen Jesuiten bis zur Zeit Balbins]. In: Sedmnáctá výroční zpráva českého arcibiskupského gymnasia. Praha 1930, 3–19. – kalista, Zdeněk: Úvod do politické ideologie českého baroka [Einführung in die politische Ideologie des böhmischen Barocks]. In: Baroko. Praha 1934, 40–90, 171–183. – Válka, Josef: Politický smysl Balbínovy historiografie [Der politische Sinn der Balbin’schen Historiographie]. In: Česká literatura 36 (1988), 385–399. – vít, Jan: Poznámka k Balbínovu a vůbec baroknímu patriotismu [Eine Anmerkung zu Balbins Patriotismus und Patriotismus des Barocks im Allgemeinen]. In: Bohuslav Balbín a kultura jeho doby v Čechách. Hg. v. Zuzana PokorNá und Martin sVatoŠ. Praha 1992, 46–50. – urfus, Valentin: Český státoprávní patriotismus v prvé polovině 18. století a jeho nacionální rysy: merkantilista J. K. Bořek a strahovský opat Marian Herman [Der böhmische staatsrechtliche Patriotismus und seine nationalen Züge: Der Merkantilist J. K. Bořek und der Strahover Abt Marian Herman]. In: Ebd., 70–77. – Petráň, Josef: Na téma mýtu Bílé hory [Zum Thema des Mythos vom Weißen Berg]. In: Traditio et cultus. Miscellanea historica bohemica Miroslao Vlk, archiepiscopo Pragensi ab eius collegis amicisque ad annum sexagesimum dedicata. Hg. v. Zdeňka hledíková. Praha 1993, 141–162. – duCreuX, Marie-Elizabeth: Der heilige Wenzel als
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torische Begründung und Legitimierung der politischen und religiösen Verhältnisse, die in den böhmischen Ländern nach der Niederlage des Ständeaufstandes von 1620 eingeführt worden waren. Der Katholizismus wurde als etwas vollkommen Natürliches, als untrennbarer und bedeutender Bestandteil der Geschichte des böhmischen Staates interpretiert. Bei ihrem Blick in die Vergangenheit betonten die barocken Historiker die katholischen Traditionen seit dem frühen Mittelalter und suchten nach einer Kontinuität des Katholizismus bis in die Gegenwart. Die Epoche von der Hussitenzeit bis zum Weißen Berg, als in den böhmischen Ländern die nichtkatholischen Bekenntnisse überwogen, wurde als irrtümliche Abweichung der damaligen Gesellschaft vom traditionellen katholischen Pfad gedeutet. Diese Episode sei zwar von langer Dauer gewesen, habe jedoch bei weitem nicht die gesamte Bevölkerung betroffen. Die Geschichtsschreiber der Barockzeit bemühten sich hervorzuheben, dass der katholische Glaube in den böhmischen Ländern niemals ganz ausgelöscht worden sei. Durch den Sieg am Weißen Berg und die anschließenden Veränderungen im religiösen, politischen und gesellschaftlichen Leben sei der böhmische Staat, der im 15. und 16. Jahrhundert von seinem einzig richtigen Weg abwich, glücklich in seine natürlichen Bahnen zurückgekehrt. Mit einer solchen Auffassung näherten sich die katholischen Historiker des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts konkreten historischen Epochen und Ereignissen der böhmischen Geschichte. Positiv wahrgenommen wurde die frühe Přemyslidenzeit, in die die Anfänge des Christentums in den böhmischen Ländern fielen und in der die ersten einheimischen Heiligen und Landespatrone lebten, etwa Wenzel, Ludmilla, Adalbert oder Prokop. Der Rückblick auf die Geschichte der Přemysliden implizierte auch die Unterstützung der Kirche durch die damaligen Herrscher. Besonders stark in den Vordergrund gerückt wurde der böhmische König und römische Kaiser Karl IV., der mütterlicherseits zur Přemyslidendynastie und väterlicherseits zu den Luxemburgern gehörte.2 Die Regierungszeit dieses Herrschers aus dem 14. Jahrhundert ist im historischen Denken bis heute eindeutig positiv als „goldenes Zeitalter“ der böhmischen Geschichte besetzt. Dieses historische Stereotyp funktionierte natürlich auch im 17. und 18. Jahrhundert, und das Aufblühen des Landes und der Kirche unter Karl IV. wurde mit Vorliebe anhand überlieferter materieller Zeugnisse nachgewiesen: durch die Vielzahl gotischer Kirchen, Bilder, Reliquiare mit Heiligenreliquien, Handschriften und anderer religiöser Objekte, die zu Recht oder nicht Karl IV. zugeschrieben wurden. Die Betonung der positiven Aspekte seiner Regierung war für die katholische Argumentation na-
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Begründer der Pietas Austriaca: Die Symbolik der Wallfahrt nach Stará Boleslav (Alt Bunzlau) im 17. Jahrhundert. In: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Hg. v. Hartmut leHmaNN und Anne-Charlott trePP (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 152), Göttingen 1999, 597–636. – dies: Několik úvah o barokní zbožnosti a o rekatolizaci Čech [Einige Überlegungen zur Barockfrömmigkeit und zur Rekatholisierung Böhmens]. In: Folia Historica Bohemica 22 (2006), 143–177. mikuleC, Jiří: Historische Argumentation im konfessionellen Zeitalter. Kaiser Karl IV. und die Rekatholisierung Böhmens im 17. Jahrhundert. In: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt im Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag. Hg. v. Joachim BaHlCke, Karen lamBreCHt und Hans-Christian maNer. Leipzig 2006, 477–487.
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türlich auch wegen des wirkungsvollen Kontrasts von großem Wert: Die Bedeutung des böhmischen Staates, seine Blüte und wirtschaftliche Prosperität unter Karl IV. wurden als Folge der religiösen Eintracht unter dem Dach der katholischen Kirche interpretiert. Die stark hervorgehobene Zerrüttung von Land und Gesellschaft in der Hussitenzeit galt dann als unabdingbare Konsequenz der Abkehr von dieser Kirche und als Folge der religiösen Unruhen sowie der anschließenden Herrschaft der „Häresie“ in den böhmischen Ländern. Der Barockpatriotismus verstand also die katholische Rechtgläubigkeit als historisch verifizierte Bedingung für ein ruhiges und friedliches Leben der Gesellschaft in Prosperität. Dieser Gedanke taucht nicht nur in historiographischen Abhandlungen auf, sondern beispielsweise auch in einer Rechtsnorm, dem Patent Kaiser Ferdinands II. vom 31. Juli 1627, das dem nichtkatholischen Adel im Königreich Böhmen befahl, zum Katholizismus zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Die Notwendigkeit der Rekatholisierung erklärte der Herrscher u. a. mit dem Bemühen, „[...] damit nun gedachtes Unser Erbkönigreich Böhaimb widerumb zu dem Wohlstandt gelangen möge, darinnen es bei Zeiten wohlgedachtes Unsers Vorfahrers weiland Kaisers Carls des Vierdten gewesen [...]“.3 Die angeführten Tendenzen in der katholischen Auslegung der Geschichte des böhmischen Staates finden sich mehr oder weniger bei den meisten bedeutenden Barockhistorikern wieder − im 17. Jahrhundert beispielsweise bei Johann Tanner, Georg Krugerius und natürlich Bohuslaus Balbin, aber auch zu Beginn des 18. Jahrhunderts bei Johann Beckovský oder Johann Florian Hammerschmidt. Blicken wir gegen den Strom der Zeit, so stoßen wir bereits in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg auf viele dieser Themen – beispielsweise am Anfang des 17. Jahrhunderts im historisch-hagiographischen Schaffen des Kapitelpropstes zu St. Veit, Georg Bartholdus von Breitenberg (Pontanus), genauer gesagt in dessen Werk Bohemia pia.4 Pontanus darf man als Propagandisten der erwähnten katholischen Sicht auf die böhmische Geschichte verstehen, der die „Barockpatrioten“ in vielerlei Hinsicht inspirierte. Doch auch er formte seinen Blick auf die katholisch verstandene Geschichte unter Verwendung des großen Vorbilds der böhmischen Historiographie des 16. Jahrhunderts – der Chronik des Wenzel Hajek von Libotschan.5 Das 16. und den Beginn des 17. Jahrhunderts nahm die barocke Geschichtsschreibung als eine Zeit des Ringens wahr, in der treue Katholiken mit den habsburgischen Herrschern an der Spitze um die Rettung ihres Glaubens kämpften und einen Damm gegen die Expansion ihrer konfessionellen Gegner bildeten. In diesem 3
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Ein deutscher Druck des Patents Kaiser und König Ferdinands II. vom 31.07.1627 befindet sich im Národní archiv Praha (Nationalarchiv Prag), Patenty (Patente), Nr. 334; vgl. auch mikuleC, Jiří: 31.7.1627 – Rekatolizace šlechty v Čechách. Čí je země, toho je i náboženství [31.7.1627 – Die Rekatholisierung des Adels in Böhmen. Wessen Land, dessen Religion]. Praha 2005 (Dny, které tvořily české dějiny 11), 13–18. BartHoldus PoNtaNus a BraiteNBerg, Georgius: Bohaemia pia, hoc est historia brevis pietatem avitam Bohemiae e miraculis, ducibis et regibus, sanctisquoque, episcopis et archiepiscopis et ex aliis ostendens, quinque libris compehensa. Francofurti 1608. háJek z liBoČan, Václav: Kronika česká [Böhmische Chronik]. Praha 1541. Die von dem Kaadener Stadtschreiber Johann Sandel angefertigte deutsche Übersetzung wurde in den Jahren 1596 (in Prag), 1697 (in Nürnberg) und 1718 (in Leipzig) veröffentlicht.
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Kontext wurde auch Rudolfs Majestätsbrief beurteilt. Es muss jedoch angemerkt werden, dass nicht nur jene barocke katholische Konstruktion der Geschichte des böhmischen Staates ihre Wurzeln in der Epoche vor der Schlacht am Weißen Berg hatte, sondern dass auch die Einstellung der barocken Historiographen zum Majestätsbrief keinesfalls aus dem Nichts entstand. Die katholischen Eliten hatten natürlich bereits in dem Moment Stellung zum Majestätsbrief bezogen, in dem sich dessen Durchsetzung unter dem Druck der nichtkatholischen Ständemehrheit noch in Vorbereitung befand, aber bereits zum Gegenstand des politischen Kampfes geworden war. Bevor wir uns also dem Verhältnis der „Barockpatrioten“ zum Majestätsbrief und seiner Verwendung im skizzierten katholisch konstruierten historischen Gedächtnis zuwenden können, sollte kurz auf die Ansichten der katholischen Zeitgenossen jener Ereignisse eingegangen werden, in deren Verlauf das Rudolf II. abgerungene Dokument entstanden war. Am Gründonnerstag, dem 16. April 1609, hielt der Scholastiker des Domkapitels und Propst des Kollegiatkapitels auf dem Vyšehrad, Caspar Arsenius von Radbuza, im Prager Veitsdom nach dem Ritual der Fußwaschung eine Predigt.6 Zwei Wochen später, nach dem 30. April, gab er den Text seiner Rede in den Druck. Diese Predigt, die vor dem Prager Erzbischof Karl von Lamberg und hohen Vertretern des Klerus sowie des katholischen Herrenstandes gehalten wurde, behandelte die Frage der religiösen Eintracht in Böhmen. Ihr Titel lautete: De concordia religionis in regno Bohemiae constituenda.7 Eine Predigt zu einem solchen Thema, die in den Tagen gehalten und gedruckt wurde, als es zum bekannten Landtagszerwürfnis zwischen den nichtkatholischen Ständen und ihren katholischen Widersachern kam und die Anspannung in den Prager Städten spürbar anstieg,8 war sicherlich sehr aktuell. Natürlich trug der von einem katholischen Prediger in der Prager Kathedrale formulierte Aufruf zur Eintracht nicht zur Beruhigung der Lage bei, obwohl die vorgetragenen Argumente nach außen recht entgegenkommend und friedliebend wirkten. In Wirklichkeit unterstützte der Vortrag die Position der radikalen katholischen Politiker und stand somit in scharfem 6
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Zu Persönlichkeit, Leben und Werk dieses Prälaten vgl. krásl, František: Arnošt hrabě Harrach, kardinál sv. církve římské a kníže arcibiskup pražský. Historickokritické vypsání náboženských poměrů v Čechách od roku 1623–1667 [Ernst Graf Harrach, Kardinal der Hl. Römischen Kirche und Prager Fürsterzbischof. Historisch-kritische Beschreibung der religiösen Verhältnisse in Böhmen 1623–1667]. Praha 1886, 31, 448. – mikuleC, Jiří: Katolický zemský patriotismus Harantovy doby [Der katholische Landespatriotismus der HarantZeit]. In: Kryštof Harant z Polžic a Bezdružic a intelektuální život jeho doby. Historie – otázky – problémy 1 (2009), 57–67. arseNius a radBuza, Casparus: Oratio de concordia religionis in regno Bohemiae constituenda in Metropolitana Ecclesia Pragensi, feria quinta magna, quae fuit XVI. Mensis Aprilis, Anno Domini 1609, post lotionem pedum, habita ab ad modum reverendo Casparo Arsenio a Radbuza, Metropolitanae Ecclesiae Pragensis scholastico et collegiatae Wissegradensis praeposito. Pragae s. d. [1609], unpag. Ein Exemplar befindet sich in der Bibliothek Strahov in Prag, eingebunden in ein Druckkonvolut unter der Sign. AA VII 54/7. Čechura, Jaroslav: 5.5.1609 – Zlom v nejdelším sněmu českých dějin. Generální zkouška stavovského povstání [5.5.1609 – Ein Wendepunkt im längsten Landtag der böhmischen Geschichte. Generalprobe für den Ständeaufstand], Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 18).
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Widerspruch zu den Forderungen ihrer nichtkatholischen Gegner, die dann zum Erlass des Majestätsbriefs führen sollten. Caspar Arsenius betonte zunächst unter Verwendung zahlreicher historischer Verweise und Zitate aus der Bibel und den Schriften der Kirchenväter die Bedeutung der Eintracht für die menschliche Gesellschaft; er definierte sie als Bedingung für Glück, Frieden und Wohlstand, wie bereits Christus selbst betont habe. „Societatem humanam constituit concordia“, donnerte Arsenius von der Kanzel und erklärte die Eintracht weiter zur absoluten Notwendigkeit für ein ruhiges religiöses Leben – denn das sei es, woran es Böhmen mangele. Die Ursache der herrschenden Zwietracht sei natürlich die „Pestinfektion der Ketzerei“: „[...] quis locus ita conclusus, qui non pestifera haeresum labe infectus, aliquid alat discordiae in religione?“9 Danach instrumentalisierte der Prediger die böhmische Vergangenheit in jener Weise, wie wir es auch bei den späteren katholischen Patrioten beobachten können. Er pries also die Vorfahren, erinnerte an die mittelalterlichen böhmischen Heiligen, idealisierte die Vergangenheit und vergaß natürlich nicht, das „goldene Zeitalter“ Kaiser Karls IV. zu erwähnen. Dann fügte er noch eine allgemeine Klage über den Verfall der Sitten (mit dem obligatorischen o tempora! o mores!) hinzu und wandte sich an die eigenen Reihen: Er warf den Katholiken Zwietracht vor. Hier spielte er auf die Existenz versöhnlicher Einstellungen gegenüber den Andersgläubigen an. In seinem Text spiegelt sich die Uneinigkeit der damaligen katholischen Front wider, die vor allem denjenigen bewusst war, die gegenüber den Andersgläubigen eine radikale Haltung einnahmen. Arsenius differenzierte natürlich auch zwischen den Feinden: Er äußerte die Ansicht, dass die böhmischen Utraquisten, das heißt die Angehörigen der einheimischen, aus dem Hussitentum hervorgegangenen Kirche, eigentlich ein Bestandteil der „allgemeinen“, katholischen Kirche seien. Die tatsächlichen Todfeinde, die Häretiker, müssten anderswo gesucht werden: unter den Calvinisten und Lutheranern. In seinen Gedanken spiegelt sich also das alte Rekatholisierungskonzept wider, das bereits im zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts von Kaiser Ferdinand I. genutzt worden war.10 Es basierte auf einer Annäherung zwischen den traditionellen Utraquisten (den Altutraquisten der modernen Terminologie) und der katholischen Kirche. Eine Art Pointe in Arsenius’ Predigt stellt der Lösungsvorschlag für die religiöse Zwietracht im Königreich Böhmen dar. Es handelt sich um eine direkte und einfache Lösung: Man entledige sich der Häresie, die zur Teilung der Kirche und zur Zerrüttung der Gesellschaft geführt habe, und die Eintracht werde sich von selbst einstellen. Die Predigt propagiert im Prinzip den Grundsatz cuius regio, eius religio. Diese Rede, die ein Mitglied des Domkapitels vor den höchsten Vertretern der katholischen Kirche und vor der Elite des katholischen Adels vortrug, schürte unter dem Vorwand der Eintracht die religiöse Intoleranz. 9 10
arseNius a radBuza (wie Anm. 7), o. p. Zu diesem Rekatholisierungskonzept s. kaVka, František/skýBoVá, Anna: Husitský epilog na koncilu tridentském a původní koncepce habsburské rekatolizace Čech [Ein hussitischer Epilog auf dem Konzil von Trient und das ursprüngliche Konzept der habsburgischen Rekatholisierung Böhmens]. Praha 1968.
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Als er Ende April 1609 die Predigt für den Druck vorbereitete, verfasste Arsenius von Radbuza auch das Vorwort. Darin widmete er die kleine Schrift dem böhmischen Adeligen Wilhelm Slawata von Chlum und Koschumberg – also einem Politiker, der im Glauben der Brüderunität erzogen worden und nach reiflicher Überlegung im Erwachsenenalter zum Katholizismus konvertiert war.11 Slawata wirkte 1609 nicht nur direkt auf Seiten der katholischen Opposition gegen den Erlass des Majestätsbriefs, sondern war zugleich ein sorgsamer Beobachter des Geschehens. Seine Sicht der Ereignisse rund um den Majestätsbrief hielt er in Notizen fest, die Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Großteil unter der Bezeichnung Paměti (Erinnerungen) herausgegeben wurden.12 Slawatas Text war jedoch erst einige Jahrzehnte nach dem Erlass dieses Dokuments entstanden; er zeugt von einer subjektiven Perspektive und diente der späten Verteidigung der eigenen politischen Einstellungen und Handlungen. Trotzdem ist das Werk für uns von großem Nutzen, da es eine Vielzahl faktischer Informationen liefert und die Gedankenwelt eines Angehörigen der katholischen Elite zugänglich macht. Aus der Sicht der späteren Barockhistoriographie ist wichtig, dass diese Paměti mehreren Historikern – darunter vor allem Bohuslaus Balbin – bekannt waren und von ihnen benutzt wurden. Der Majestätsbrief taucht in Slawatas Erinnerungen an verschiedenen Stellen auf. Neben einer faktographischen Beschreibung der Ereignisse aus dem Blickwinkel eines katholischen Politikers findet sich dort auch eine Beurteilung des Kampfes um die Religion in Böhmen. Slawata verurteilte insbesondere die Wortbrüchigkeit der böhmischen nichtkatholischen Stände. Ihnen hätten die Zugeständnisse Rudolfs II. nicht genügt, die der Herrscher gemacht hatte, damit ihm die böhmische Ständegemeinde bei dem Streit mit seinem Bruder Matthias treu blieben. Die unersättlichen Nichtkatholiken verlangten laut Slawata vom Kaiser immer mehr Rechte, vor allem im Bereich der Religion. Und am schlimmsten seien die Böhmischen Brüder gewesen, in denen Wilhelm Slawata einen einheimischen Zweig des Calvinismus sah. Sie waren seiner Ansicht nach die wahren Triebkräfte der Veränderungen, die tatsächlichen und gefährlichen Feinde des katholischen Glaubens. Slawata beschrieb in seinen Erinnerungen das Vorgehen der Brüder, mit dem sie angeblich das katholische Bekenntnis in Böhmen hätten vernichten wollen. Es habe sich demnach um eine mehrstufige Strategie gehandelt, die auf einen starken Einfluss der Brüder unität auf die utraquistische Mehrheit der nichtkatholischen Gesellschaft abzielte. Die Brüderunität habe zu Beginn des 17. Jahrhunderts in Böhmen eine Methode verwendet, die charakteristisch für die Verbreitung des Calvinismus in Europa gewesen sei. Die einzelnen Phasen sahen laut Slawata folgendermaßen aus: Die Calvinisten bemühten sich zunächst, Freiheit für ihre Religion zu erreichen, so dass sie 11
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Slawatas Konversion zum Katholizismus, die 1597 erfolgte, findet sich im Rahmen einer Typologie der Konversionen eingeordnet bei WiNkelBauer, Thomas: Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 34). Wien-München 1999, 107–119. Paměti nejvyššího kancléře Království českého Viléma hraběte Slavaty [Die Erinnerungen des Oberstkanzlers des Böhmischen Königreichs Wilhelm Graf Slawata]. Hg. v. Josef JireČek. Bd. 1. Praha 1866, 266–268.
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von der Gesellschaft toleriert und zu keinem anderen Glauben gezwungen wurden. Nachdem sie diese Freiheit tatsächlich erhalten hatten, errichteten sie in der zweiten Phase zahlreiche Gebetshäuser und verbreiteten ihren Glauben weiter. Der dritte Schritt ihrer Strategie sei entscheidend gewesen: Sobald ihre Religion aufgeblüht war, lehnten sie Beziehungen auf Augenhöhe mit den anderen Konfessionen ab und wollten über diese herrschen. Die letzte Phase dieser „calvinistischen Perfidie“ bestehe darin, dass keine andere Religion mehr neben dem Calvinismus geduldet würde – hier verweist Slawata auf Beispiele aus anderen Ländern, wie z. B. England, Schottland, die Niederlande oder Frankreich. Damit die Böhmischen Brüder diese Vorgehensweise, die laut Slawata „calvinistische[r] Standard“ und die übliche heimtückische Methode gegen den Katholizismus sei, anwenden konnten, hätten sie sich 1575 hinterlistig mit den böhmischen Utraquisten in der Confessio Bohemica zusammengeschlossen. Diese wurde zur Basis für den Majestätsbrief, der ihnen die Religionsfreiheit verlieh. Damit seien sie jedoch nicht zufrieden gewesen. Slawata schilderte des Weiteren, wie sie ohne Ursache rebelliert, sich einen Calvinisten zum König erwählt, die Katholiken vertrieben und verfolgt hätten. Diese Interpretation der Ereignisse aus der Zeit vor dem Ständeaufstand und der Schlacht am Weißen Berg wurde durch ein interessantes Bild von Kaiser Rudolf II. ergänzt: Er sei ein guter, im Glauben fester Katholik gewesen, der um keinen Preis etwas habe tun wollen, was der katholischen Religion schaden konnte. Lieber habe er 1609 den Landtag geschlossen und sich so um die Steuereinnahmen gebracht, als den nichtkatholischen Ständen nachzugeben. Deren Forderungen nach dem Erlass des Majestätsbriefs sei er erst unter schwerem Druck und militärischen Drohungen nachgekommen.13 Die angeführten zwei Texte – Arsenius’ Predigt und Slawatas Erinnerungen – skizzieren im Prinzip das Meinungsspektrum, in dem sich die spätere katholische Historiographie bei der Behandlung des Majestätsbriefs bewegte. Dies zeigt auch eine kleine Umschau unter den historischen Arbeiten der „Barockpatrioten“. Aufgenommen wurden hier insgesamt sieben historische Abhandlungen, die in der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden sind. Es handelt sich um die Werke der Jesuitenhistoriker Georg Krugerius (Sacri pulveres)14 und Bohuslaus Balbin (Liber regalis; Epitome historica)15 sowie um das historischhagiographische Werk des Jesuiten Albrecht Chanovský (Vestigium Boemiae piae),16 bei dem jedoch zwei Drittel des Textes von dem Jesuitenhistoriker Johann Tanner stammen.17 Ebenfalls in die Analyse aufgenommen wurde das 13 14 15 16
17
Ebd. (wie Anm. 12), 267. Crugerius, Georgius: Sacri pulveres mensis julii. Pragae 1670, 49–61. BalBiNus, Bohuslaus: Miscellaneorum historicorum Regni Bohemiae decadis I. Liber VII. Regalis, seu de ducibus ac regibus Bohemiae. Pragae 1687, 253–261. – ders.: Epitome historica rerum Bohemicarum. Pragae 1677, 620 f. CHaNoWsky, Albertus: Vestigium Boemiae piae, seu res quaedam memoratu dignae, quae in Boemia praesertim in districtu Prachensi et Pilsnensi, vel ab hominibus sunt pie erga Deum gestae, vel a Deo hominibus singulari favore, aut etiam in poenam acciderunt. Pragae 21689 [11659], 160 f. Vgl. mikuleC, Jiří: Vestigium Boemiae Piae Albrechta Chanovského – krajina zázraků z časů pobělohorské rekatolizace [Das Vestigium Boemiae Piae des Albrecht Chanovský – eine Land-
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Buch Phosphorus septicornis des Dekans des Prager Domkapitels Thomas Pešina von Čechorod, das die Geschichte des Veitsdoms und des Domkapitels behandelt.18 Einer der sieben Teile, Radius III., widmete sich verhältnismäßig ausführlich (auf 100 Seiten im Folioformat) den böhmischen Herrschern sowie ihrer Beziehung zur katholischen Religion und hielt in diesem Zusammenhang auch die Ereignisse rund um den Erlass des rudolfinischen Majestätsbriefs fest. Ein weiterer bedeutender Historiker des Barocks war der katholische Priester Johann Florian Hammerschmidt, der gegen Ende seiner Laufbahn Pfarrer an der wichtigsten Altstädter Kirche, der Teynkirche, war. Er verfasste zahlreiche historische Abhandlungen und beschäftigte sich Anfang des 18. Jahrhunderts u. a. mit der Prager Stadtgeschichte. Sein zentrales Werk Historia Pragensis liegt bis heute nur als Handschrift vor,19 da es aber ursprünglich für den Druck vorbereitet worden war,20 habe ich es ebenfalls in meine Umschau aufgenommen. Das letzte Werk ist die anonyme Schrift Země dobrá, to jest země česká (Ein gutes Land, das ist das böhmische Land),21 hinter der sich eine interessante Kompilation der böhmischen Geschichte verbirgt, die aus Arbeiten älterer Autoren, hauptsächlich des 17. Jahrhunderts, zusammengestellt und in tschechischer Sprache Mitte des 18. Jahrhunderts herausgegeben wurde. Für die Analyse wurde absichtlich ein Querschnitt durch die Barockhistoriographie gewählt, zu der neben den für die Intellektuellen bestimmten lateinischen Arbeiten auch volksnahe Lektüre in tschechischer Sprache zählt. Es handelt sich um Werke unterschiedlichen Umfangs, weshalb sie sich auch in der Detailliertheit über die einzelnen Geschehnisse unterscheiden. Ihre Autoren sind Geistliche; die Mehrheit gehörte dem Jesuitenorden an (Chanovský, Tanner, Krugerius und Balbin), andere waren Angehörige des weltlichen Klerus (Pešina und Hammerschmidt). Aus der Feder eines Geistlichen stammt wohl auch das anonyme Werk Země dobrá, to jest země česká – als mögliche Autoren werden der Benediktiner Josef Bonaventura Pitr oder ein Mitglied des Prager Domkapitels genannt.22 Zu den bedeutenden His-
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schaft der Wunder aus den Zeiten der Rekatholisierung nach der Schlacht am Weißen Berg]. In: Husitství – Reformace – Renesance. Sborník k 60. narozeninám Františka Šmahela. Bd. 2. Hg. v. Jaroslav PáNek, Miloslav Polívka und Noemi reJCHrtoVá. Praha 1994, 767–779. PessiNa de CzeCHorod, Thomas Joannes: Phosphorus septicornis, stella alias matutina, hoc est Sanctae metropolitanae Divi Viti ecclesiae Pragensis majestas et gloria. Pragae 1673, 337–340. HammersCHmidt, Jan Florian: Historia Pragensis in duas partes divisa. Die Handschrift befindet sich in der Bibliothek der Katholischen Theologischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag, ohne Signatur (alte Signatur Ai 16). Die Ereignisse des Jahres 1609 sind im ersten Band enthalten, nach neuzeitlicher Paginierung auf S. 680–682. Ein kleiner Teil dieser Schrift erschien Ende des 19. Jahrhunderts im Druck – s. PodlaHa, Antonín (Hg.): Hammerschmidova Historia Pragensis (1691–1733) [Hammerschmidts Historia Pragensis (1691–1733)]. In: Věstník Královské České společnosti nauk 1891, Nr. 6, 105–256. Zu Hammerschmidts Leben und Werk s. kadleC, Jaroslav: Jan Florián Hammerschmidt. In: Časopis společnosti přátel starožitností českých 61 (1953), 94–104. – ders.: Ještě o rukopisech Jana Floriána Hammerschmidta [Zu den Handschriften des Johann Florian Hammerschmidt]. In: Časopis společnosti přátel starožitností českých 62 (1954), 61–65. Země dobrá, to jest země česká [Ein gutes Land, das ist das böhmische Land]. Hg. v. Ivona kuČerová und Lucie medoVá. Brno 1998, 154. Zu Pitr als Autor vgl. stiCH, Alexander: Od Karla Havlíčka k Františku Halasovi. Lingvoliterární studie [Von Karel Havlíček zu František Halas. Linguoliterarische Studien]. Praha 1996,
Der Majestätsbrief im Denken der katholischen Barockgesellschaft in Böhmen
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torikern der Generation nach Balbin gehörte selbstverständlich auch der Kreuzherr Johann Franz Beckovský, Autor der tschechischen Chronik Poselkyně starých příběhův českých. Während der erste Teil dieses umfangreichen Kompendiums zur böhmischen Geschichte von den mythischen Anfängen bis zum Beginn der habsburgischen Herrschaft 1526 im Jahr 1700 erschien, wurde eine Edition der überlieferten Handschrift des zweiten Teils (zur Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts) erst Ende des 19. Jahrhunderts gedruckt.23 Leider fehlen in der Handschrift des zweiten Teils drei Kapitel: Eines sollte die Ereignisse rund um den Majestätsbrief schildern und ein anderes die Anfänge des Ständeaufstandes enthalten, wo sich ebenfalls Hinweise auf den Majestätsbrief erwarten ließen.24 Daher erschien es wenig zweckmäßig, Beckovskýs Werk in die vorliegende Untersuchung mit einzubeziehen. Im Folgenden sollen die Hauptthemen zusammengefasst werden, die in den untersuchten Werken im Zusammenhang mit dem Majestätsbrief und seinem Erlass auftauchen. Zuvor sei darauf hingewiesen, dass der Majestätsbrief während der Barockzeit definitiv nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Historiker stand. Dies spricht in gewisser Weise dafür, dass die Autoren aus den Reihen der katholischen Geistlichkeit einerseits kein sonderlich großes Interesse daran hatten, einen Misserfolg der katholischen Politik in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg zu erwähnen, als den man den Majestätsbrief zweifellos ansehen kann. Andererseits waren sein Erlass und die damit verbundenen Ereignisse ein bedeutender historischer Moment, der den Ablauf des späteren Geschehens beeinflusste. Im Prinzip existieren in den untersuchten Texten zwei wesentliche Themenbereiche, in deren Rahmen der Majestätsbrief Erwähnung findet. Zum einen handelt es sich um die entsprechende Passage in der chronologischen Schilderung der Geschichte des Jahres 1609. Hier findet sich zumeist eine Beschreibung des Ereignisses, wobei in der Regel das politisch gewaltsame Verhalten der nichtkatholischen Stände betont wird. Damit die Nichtkatholiken den Majestätsbrief vom Herrscher erzwingen konnten, hätten sie nicht vor der Androhung von Gewalt zurückge-
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237; s. auch Země dobrá (wie Anm. 21), 318. Gegen diese Ansicht stellte sich Eduard Maur, der empfiehlt, den Autor der Schrift unter den Kanonikern des Domkapitels zu suchen – S. maur, Eduard: K autoru Země dobré [Zum Autor der Schrift „Ein gutes Land“]. In: Acta Universitatis Carolinae, Philosophica et Historica 1–2 (Z pomocných věd historických 16) 2002, 491–500. BeCkoVský, Jan: Poselkyně starých příběhův českých, aneb Kronika česká [Botin der alten böhmischen Begebenheiten oder Böhmische Chronik]. Bd. 1. Praha 1700. – ders.: Poselkyně starých příběhův českých [Botin der alten böhmischen Begebenheiten]. Bd. 2/1–3. Hg. von Antonín rezek. Praha 1879–1880. In der Edition fehlen die Kapitel Nr. 8, 9 und 11. Die Ereignisse des Jahres 1609 und damit auch der Erlass des Majestätsbriefs Rudolfs II. sollten in Kapitel 8 enthalten sein. Kapitel 11 behandelte angeblich die Anfänge des Ständeaufstandes einschließlich des Fenstersturzes der Statthalter am 23. Mai 1618. Es ist wahrscheinlich, dass die heute nicht mehr existierenden Kapitel geschrieben, später jedoch aus dem Werk herausgenommen wurden und dann verloren gegangen sind. Der Herausgeber Antonín Rezek vermutet, dass die Kapitel herausgerissen worden seien. – S. BeCkoVský: Poselkyně, Bd. 2/2 (wie Anm. 23), 47.
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schreckt. Dies schreiben beispielsweise Balbin,25 Pešina,26 Hammerschmidt27 sowie der unbekannte Autor der Schrift Země dobrá.28 Insgesamt lässt sich feststellen, dass Rudolfs Majestätsbrief dort, wo er erwähnt wird, eine eher knappe Behandlung erfährt. Zumindest gilt dies im Verhältnis zu anderen Informationen in den untersuchten Texten, z. B. im Vergleich zu den Nachrichten über die Zuspitzung des Bruderzwistes im Jahr 1608. Für dieses Desinteresse der zeitgenössischen katholischen Historiographie an dem Majestätsbrief ist die Tatsache bezeichnend, dass der Jesuitenhistoriker Georg Krugerius in seiner kalendarisch aufgebauten Schrift Sacri pulveres den Majestätsbrief für den Juli 1609 gänzlich ausspart.29 Der Erfolg der nichtkatholischen Opposition passte einfach nicht in das Konzept seines Werks. Seine Schrift konzentriert sich auf Geschehnisse, die aus katholischer Sicht positiv zu bewerten seien, und so findet man in dem Teil zu den Ereignissen des Monats November einen umfangreichen Bericht über den katholischen Sieg am Weißen Berg am 8. November 1620, während der Abschnitt zum Monat Mai den Prager Fenstersturz und die wundersame Rettung der katholischen Herren am 23. Mai 1618 behandelt.30 In der chronologischen Auslegung der Geschichte konnte der Majestätsbrief bei den zeitgenössischen Historikern noch an einer anderen Stelle auftauchen: bei der Schilderung der Ereignisse, die dem Ständeaufstand unmittelbar vorausgingen. Hier fassen sich die untersuchten Schriften noch kürzer als für das Jahr 1609. Allerdings hält beispielsweise Bohuslaus Balbin in seinem Werk Epitome den Erlass des Majestätsbriefs eindeutig für die Ursache des Ständeaufstandes.31 Für die katholischen Geschichtsschreiber der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg führte ein direkter Weg von der Religionsfreiheit für die Nichtkatholiken, wie sie durch den Majestätsbrief garantiert wurde, zur offenen Rebellion gegen die katholischen Herrscher. Die zweite Möglichkeit für die katholischen Historiker der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg, ihre Ansichten zum Majestätsbrief Rudolfs II. zu äußern, waren verschiedene historische Passagen über das Wirken bedeutender Persönlichkeiten. Es ging natürlich vor allem um die Beschreibung des Lebens und der Regierungszeit Kaiser Rudolfs II. Dass dieser Habsburger dem Druck der nichtkatholischen Stände nachgegeben und den Majestätsbrief erlassen hatte, stellte für die 25 26 27 28 29
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BalBiNus: Epitome (wie Anm. 15), 620. PessiNa de CzeCHorod, Phosphorus (wie Anm. 18), 338. HammersCHmidt, Historia Pragensis (wie Anm. 19), 680. Země dobrá (wie Anm. 21), 154. Für den 9. Juli nennt Krugerius den Tod des mährischen Herzogs Otto I. im Jahr 1086, das Privileg Přemysl Ottokars I. für das Prager Bistum im Jahr 1221, die Einrichtung des ewigen Lichts auf dem Vyšehrad durch Přemysl Ottokar II. im Jahr 1254, den Bau der steinernen Brücke in Prag durch Karl IV. im Jahr 1357 und die Plünderung des Ossegger Zisterzienserklosters während der Hussitenkriege im Jahr 1421. Crugerius, Georgius: Sacrorum pulverum mensis novembris R. P. Georgii Crugerii e Societate Jesu opus posthumum. Pragae 1761, 54–58. – ders., sacri Pulveres. Majales Triumphi Romano catholicae fortitudinis celebrandi etiam hodie a posteris Plsnensium. Pragae 1669, 141– 148. BalBiNus: Epitome (wie Anm. 15), 625.
Der Majestätsbrief im Denken der katholischen Barockgesellschaft in Böhmen
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katholischen Historiker schon an sich ein großes Problem dar. Die Autoren der Barockzeit wollten (und mussten) sich loyal gegenüber der Herrscherdynastie erweisen, so dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als die Tatsache, dass Rudolf durch den Erlass des Majestätsbriefs die Position der katholischen Kirche und der katholischen Gesellschaft de facto beschädigt oder zumindest geschwächt hatte, zu beschönigen oder zu kritisieren. Eine Lösung hatte bereits Wilhelm Slawata angedeutet – und gerade auf ihn verwies in dieser heiklen Angelegenheit auch Bohuslaus Balbin. In seinem Werk Liber regalis32 schrieb er, dass man Rudolf II. großes Unrecht täte, wenn man den Erlass des Majestätsbriefs als Zeichen der Schwäche seines Geistes oder Glaubens deute. Balbin präsentierte den Herrscher als frommen, sogar begeisterten Katholiken, der während der zum Majestätsbrief führenden Ereignisse lange Widerstand leistete und erst durch die aktuelle Gefahr einer totalen Zerrüttung und Zerstörung der katholischen Religion zu diesem schicksalhaften Schritt bewogen worden sei. Der Kaiser hatte Balbin zufolge das geringere Übel gewählt. Trotzdem spürte Balbin wohl, dass dessen Zustimmung als zögerliches Verhalten aufgefasst werden könnte, weshalb er zusätzlich eine Vielzahl von Taten erwähnte, durch die Rudolf II. während seiner Herrschaft die katholische Kirche und Religion unterstützt habe. Die zweite Persönlichkeit, die im Zusammenhang mit dem Majestätsbrief genannt wird, ist Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz. Bereits der Jesuitenhistoriker Johann Tanner, der Ende der fünfziger Jahre des 17. Jahrhunderts die Skizzen seines Ordensbruders Albrecht Chanovský (Vestigium Boemiae piae) herausgab und wesentlich ergänzte, nahm Lobkowitz in das Kapitel Pii homines auf und lobte ihn für seine Ablehnung des Majestätsbriefs, obwohl die Bestätigung des Dokuments zu seinen Amtspflichten gehörte.33 Auf diesen Umstand verwiesen auch andere untersuchte Werke. Die prinzipienfeste Einstellung des Oberstkanzlers Lobkowitz bei der Verteidigung der katholischen Interessen imponierte anscheinend und sollte das katholische historische Gedächtnis prägen. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts wird es in Země dobrá erwähnt, obwohl es sich hierbei um ein Werk handelt, dass sich meistens nur auf die bedeutenden historischen Ereignisse beschränkt. Offensichtlich hielt der Autor bzw. Kompilator der Schrift den Standpunkt von Lobkowitz für außergewöhnlich und vorbildlich.34 Zdeněk Adalbert Popel von Lobkowitz wurde zwar von den Barockhistorikern für seine Weigerung gefeiert, aber er war nicht der einzige, der sich am Tag des Erlasses des Majestätsbriefs derartig ablehnend verhielt. Einen sehr viel niedrigeren Stellenwert als Lobkowitz nahm im historischen Gedächtnis der Barockzeit der Sekretär der Böhmischen Kanzlei Johann Mencl ein, der ebenso wie der Oberstkanzler aus Gewissensgründen die Unterschrift unter den Majestätsbrief verweigerte (obwohl sie ebenfalls zu seinen Pflichten gehört hätte). Von unseren Autoren weist Thomas Pešina in seinem Werk Phosphorus septicornis auf diesen Beamten und seine Einstellung hin.35 32 33 34 35
BalBiNus, Miscellaneorum historicorum (wie Anm. 15), 253 f. CHaNoWsky, Vestigium Boemiae piae (wie Anm. 16), 161. Země dobrá (wie Anm. 21), 154. PessiNa de CzeCHorod, Phosphorus (wie Anm. 18), 339 f.
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Die hier präsentierte Auswahl macht deutlich, wie stark die Sicht der böhmischen Barockhistoriographie auf den Majestätsbrief durch verschiedene Überlegungen beeinflusst wurde. Der Majestätsbrief bedeutete für das katholische Milieu eine – wenn auch zeitlich begrenzte – Niederlage und gehörte daher zu den zwar meistens erwähnten, aber nicht besonders betonten Ereignissen; dies galt sogar dort, wo er als direkter Katalysator des Folgegeschehens fungierte. Aus der Sicht der behandelten Historiker passte der Majestätsbrief von 1609 einfach nicht in das oben erwähnte historische Konzept von der Kontinuität des Katholizismus. Denn die böhmische katholische Gesellschaft fühlte sich bedroht, und die Historiker der Barockzeit waren sich der Tatsache bewusst, dass die unter dem Dach der Confessio Bohemica vereinigten Nichtkatholiken für eine gewisse Zeit einen wesentlich größeren Einfluss im Land besessen hatten als je zuvor. Indes ließ sich der Majestätsbrief sehr gut in das katholische Konzept vom Jahrhunderte währenden Kampf gegen die Häresie einpassen. Da der Erlass des Majestätsbriefs aber zugleich als Versagen Rudolfs II. wahrgenommen werden konnte, versuchten die katholischen Barockhistoriker, den Kaiser von der Anklage zu befreien, er sei seiner Rolle als katholischer Herrscher und Verteidiger des Glaubens nicht gerecht geworden. Ihr Motiv dürfte nicht nur die angesprochene Loyalität gegenüber der Habsburgerdynastie gewesen sein, sondern auch die sehr gute Meinung der Historiker der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts von Rudolf II. als Mäzen der Künste und Wissenschaften. Unterstützend wirkte hierbei eine gewisse Nostalgie gegenüber jener Ära, in der Prag Residenzstadt, Zentrum des Habsburgerreiches und (als kaiserliche Residenz) zumindest teilweise Zentrum des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation gewesen war. Aus der Sicht der katholischen Barockhistoriographie stellte der Majestätsbrief einen Beweis für die Intrigen und Gewalttätigkeiten der Häretiker dar. Für die Landespatrioten war es nach der Mitte des 17. Jahrhunderts bereits eine in der Praxis erprobte Selbstverständlichkeit, dass sich religiöse Eintracht tatsächlich erzielen ließ, indem man die Einheit in der Religion einführte. Der Gedanke einer „monokonfessionellen Gesellschaft“, den Caspar Arsenius von Radbuza in seiner provokativen Predigt in den kritischen Tagen vor dem Erlass des Majestätsbriefs propagiert hatte, garantierte nach der Mitte des 17. Jahrhunderts die religiöse Eintracht in den meisten – katholischen wie protestantischen – Ländern Europas.
Formen der Rezeption
Jaroslav Pánek
Der Majestätsbrief zur Religionsfreiheit von 1609 als historiographisches Problem Der Majestätsbrief vom 9. Juli 1609, der die Religionsfreiheit und die Gleichberechtigung der Protestanten und Katholiken im Königreich Böhmen bestätigte, rief bereits bei seiner Entstehung nach Historisierung.1 Den Zeitzeugen der dramatischen Ereignisse gegen Ende der Regierung Rudolfs II. war bewusst, wie lange sich die evangelischen Stände um diese Zusicherung bemüht hatten und welchen Druck sie auf ihren König ausüben mussten. Die gesetzliche Verankerung der Confessio Bohemica von 1575, die Einführung einer eigenen Kirchenverwaltung und des Kollegiums aus Defensoren sowie die Überlassung der Prager Universität – dies alles erschien gleich nach der Bestätigung und noch stärker nach der Niederlage am Weißen Berg als enormer Erfolg des Protestantismus, weshalb evangelische Schriftsteller wie auch ihre katholischen Gegenspieler immer wieder den Majestätsbrief thematisierten. Der Majestätsbrief wurde zu einem Bestandteil des Mythos vom Weißen Berg:2 die Regierung Rudolfs II. und die gesamte Epoche vor der Schlacht am Weißen Berg erschienen den Protestanten als glückliches Zeitalter vor der tragischen Demütigung.3 In den folgenden Jahrhunderten verblasste die Bedeutung dieses Aktes und der mit ihm verbundenen Ereignisse;4 der Majestätsbrief trat erst 1
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Dieser Beitrag ist die überarbeitete Version meines Vortrags bei der Konferenz „Der Majestätsbrief Rudolfs II. von 1609 – ein Meilenstein in der Geschichte Europas?“, die vom 24. bis 26. September 2009 durch das Historische Institut der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und das Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig in Prag veranstaltet wurde. Durch eine Erweiterung entstand die Studie „Majestát z roku 1609 jako téma novodobé české historiografie [Der Majestätsbrief von 1609 als Thema der neuzeitlichen tschechischen Historiographie]“, die in der Zeitschrift Český časopis historický 108 (2010), 220–243, veröffentlicht worden ist. Der hier vorliegende Beitrag unterscheidet sich von der Studie in der ČČH nicht nur durch den geringeren Umfang, sondern auch durch die stärkere Betonung der ausländischen Literatur über Böhmen sowie kleinere bibliographische, faktographische und analytische Ergänzungen. Die grundlegende Studie zur Mythologisierung der Schlacht am Weißen Berg und der ihr vorangegangenen Ereignisse schrieb Petráň, Josef: Na téma mýtu Bílé hory [Zum Thema des Mythos’ vom Weißen Berg]. In: Traditio et cultus. Miscellanea historica Bohemica Miloslao Vlk, archiepiscopo Pragensi, ab eius collegis amicisque ad annum sexagesimum dedicata. Hg. v. Zdeňka hledíková. Praha 1993, 141–162; vgl. auch Petráň, Josef/Petráňová, Lydia: The White Mountain as a symbol in modern Czech history. In: Bohemia in History. Hg. v. Mikuláš teiCH. Cambridge 1998, 143–163; weitere Literatur findet sich zusammengefasst unter dem Stichwort „Bělohorský mýtus [Mythos vom Weißen Berg]“. In: Akademická encyklopedie českých dějin. Bd. 1: A–C. Hg. v. Jaroslav PáNek. Praha 2009, 172–174. Näher dazu Když císař odchází aneb Lidská tragédie a posmrtná sláva Rudolfa II. očima současníků [Wenn ein Kaiser abtritt oder Menschliche Tragödie und posthumer Ruhm Rudolfs II. in den Augen seiner Zeitgenossen]. Hg. v. Jaroslav PáNek. Praha 1997. Näher dazu der Beitrag von Jiří Mikulec in diesem Band.
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wieder in den Vordergrund, als das Bedürfnis offenbar wurde, eine komplexe Erzählung der Geschichte Böhmens zu formulieren. Den Anstoß dazu lieferte kein Geringerer als František Palacký, der ein weithin akzeptiertes, in seinen Grundlagen allerdings evangelisches Konzept der Geschichte Böhmens verfasste.5 Obwohl er sich als Sohn eines der Brüderunität angehörenden Lehrers für das Reformationsgeschehen nach 1526 interessierte und gelegentlich auch darüber schrieb, blieb die Aufgabe, diese Zeit und den Versuch der Legalisierung der Religionsfreiheit im Jahr 1609 zu bewerten, seinen Nachfolgern überlassen.6 Unter diesen Umständen wurde der Majestätsbrief erst um 1850 von der neuzeitlichen historischen Forschung – und zwar zeitgleich von der tschechisch- wie deutschsprachigen Geschichtsschreibung – thematisiert, als es in Anknüpfung an Palackýs Bearbeitung der mittelalterlichen Geschichte notwendig erschien, auch ein Konzept für die Geschichte der böhmischen Länder zu Beginn der Neuzeit zu formulieren. Wenn eine dynamische Interpretation der Epoche vor dem Weißen Berg gefunden werden sollte, die nicht nur auf dynastischen Ereignissen und Kriegsgeschehen basierte, musste vor allem die religiöse und verfassungsgeschichtliche Entwicklung der böhmischen Länder betont werden. Der Majestätsbrief bot sich als ideale Verknüpfung dieser Elemente an, wobei an seinem Beispiel auch die Dynamik des politischen Denkens und Handelns verfolgt werden konnte. Dieser Aspekt gewann um 1848 an Bedeutung, als die Bevölkerung der böhmischen Länder aus der langfristigen Erstarrung der politischen Verhältnisse erwachte und die Vergangenheit zu einem Instrument wurde, mit dem man das Streben nach Veränderung der bestehenden Ordnung in der Habsburgermonarchie rechtfertigen konnte. Es ist bemerkenswert, wie intensiv das Interesse an diesem Thema zur Zeit der ausklingenden Revolution und des Bach’schen Neoabsolutismus war: Führende Historiker und Publizisten griffen das neu entdeckte Thema auf. Das zeitliche Primat gebührt Jakub Malý, Historiker und Publizist aus Josef Jungmanns Schule der nationalen Wiedererweckung, der sich für die nationale 5
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Die Formierung von Palackýs Konzept zur Geschichte Böhmens behandelten in synthetischen Arbeiten kořalka, Jiří: František Palacký (1798–1876). Životopis [Franz Palacky (1798– 1876). Eine Biographie]. Praha 1998. – Štaif, Jiří: František Palacký. Život, dílo, mýtus [Franz Palacky. Leben, Werk, Mythos]. Praha 2009. Zu Palackýs Blick auf die Geschichte Böhmens vor der Schlacht am Weißen Berg PáNek, Jaroslav: František Palacký jako zakladatel moderního českého bádání o raném novověku [Franz Palacky als Begründer der modernen tschechischen Frühneuzeitforschung]. In: František Palacký 1798/1998. Dějiny a dnešek. Sborník z jubilejní konference. Hg. v. František ŠmaHel und Eva doležalová. Praha 1999, 153–164. Als Palacký eine knappe deutschsprachige Skizze der Geschichte Prags schrieb, die später in französischer Fassung für ausländische Gäste der böhmischen Hauptstadt vorgesehen war (PalaCký, František: Précis de l’histoire de Prague. In: Guide des étrangers à Prague. Prague 1836, 8–26), hielt er es bemerkenswerterweise überhaupt nicht für nötig, den Majestätsbrief zu erwähnen, obwohl gerade eine Betonung seiner Bedeutung Prag in den europäischen Kontext hätte einordnen können. In Palackýs Geschichtsanschauung spielte der Majestätsbrief damals noch nicht die Rolle, die mit der Anerkennung und der ersten wissenschaftlichen Thematisierung durch junge tschechische Historiker gleich nach Mitte des 19. Jahrhunderts vergleichbar gewesen wäre; vgl. PalaCký, František: Skizze einer Geschichte von Prag. Hg. v. Amedeo molNár. Praha 1983, 65–69; und PalaCký, František: Stručné dějiny Prahy/Skizze einer Geschichte von Prag. Praha 1998, 49 f.
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Richtung in der Literatur einsetzte.7 Obwohl später als konservativer Politiker tätig, hatte Malý Mitte der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts – mit der noch frischen Erfahrung des Jahres 1848 und als Vertreter der gemäßigten Strömung der tschechischen Politik sowohl im Nationalausschuss als auch auf dem Slawenkongress – den Höhepunkt seiner Schaffenskraft erreicht. Malý, der in Havlíčeks Národní noviny (Volkszeitung) die föderative Ordnung der österreichischen Monarchie propagierte, ließ diese Ideologie auch in seine kleine Schrift mit dem bezeichnenden Titel Vymožení Rudolfova majestátu od stavů českých r. 1609 (Die Erzwingung des rudolfinischen Majestätsbriefs durch die böhmischen Stände im Jahr 1609) einfließen, die in den Jahren 1850, 1862 und 1872 drei Auflagen erlebte. Der Autor versuchte gar nicht erst zu verbergen, dass er das historische Thema als politische Aktualität verstand und die Geschichte ihm vor allem als „Spiegel“ der Gegenwart diente.8 Das kleine, von patriotischem Geist erfüllte Werk basierte auf der Idee der Unveränderlichkeit des menschlichen Charakters und damit auch der Wiederholung geschichtlicher Phänomene. Unter diesen nahm laut Jakub Malý „unsere ehemalige nationale Selbstverwaltung“ eine Sonderstellung ein. Da der Begriff Selbstverwaltung in einer Zeit des Polizeiregimes die Mündigkeit der Tschechen und die einstige staatliche Eigenständigkeit Böhmens symbolisierte, versteckten sich hinter dem „Erzwingen“ des Majestätsbriefs offensichtlich Anklänge an die kurz zuvor erlebte Revolution. Die historische Szenerie wurde mit einer sehr offensichtlichen Schwarz-WeißMalerei konstruiert. Zu den Ursachen allen Übels erklärte die Interpretation Jakub Malýs den „überhandnehmenden Absolutismus“ und die „religiöse Reaktion“ bzw. die „eifrige Härte und zu allem entschlossene Verstocktheit der jesuitischen Partei“, während Heimat und Volk sowie die Verteidigung der „böhmischen Rechte“ Träger positiver Werte waren.9 Jakub Malýs Gesamtinterpretation mündete in die Überzeugung, dass ein Herrscher, der sich nicht auf das Volk stütze – in diesem Fall natürlich auf das tschechische Volk –, an Macht einbüße und seinen Kampf verliere, wozu es entweder wie im Jahr 1609 innerhalb einiger weniger Monate kommen könne oder aber über einen längeren Zeitraum, wie es heute der Fall sei, in dem sich die ungelösten Probleme „über viele Jahre hinziehen“.10 In Malýs Interpretation des Majestätsbriefs spielte die Religion keine wesentliche Rolle. Sie wurde auf ein zeitgenössisches Phänomen reduziert, das nur den permanenten Machtkampf – im konkreten Fall den Kampf um die Rechte des tschechischen Volkes – überdeckte. Jakub Malýs stark politisierende Skizze voll aktueller Probleme legte den Grundstein für eine Betrachtungsweise des Majestätsbriefs, die man als eine das Ereignis feiernde und nationale Interessen legitimierende Richtung bezeichnen darf.
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kusákoVá, Lenka: Jakub Malý. In: Lexikon české literatury. Osobnosti, díla, instituce. Bd. 3: M–Ř. Praha 2000, 84–87. malý, Jakub: Vymožení Rudolfova majestátu od stavů českých r. 1609 [Die Erzwingung des rudolfinischen Majestätsbriefs durch die böhmischen Stände im Jahr 1609]. LitomyšlPraha 1862. malý (wie Anm. 8), IV, 6. malý (wie Anm. 8), 65.
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Vollkommen anders näherte sich Anton Gindely, ein hervorragender Kenner der mitteleuropäischen Geschichte in der Frühen Neuzeit, dem behandelten Thema. Jakub Malý kannte zwar ebenfalls einige Quellen, aber Gindely ging von einer komplexen Quellenbasis aus, die er kritisch zu analysieren und gedanklich auf hohem wissenschaftlichem Niveau zu beherrschen verstand. Seine Monographie von 185811 ist bis heute das umfangreichste Werk über den Majestätsbrief geblieben, in dem keines der Völker hervorgehoben wird; stattdessen erfolgt eine Einordnung des Themas in die zivilisatorische Entwicklung des westlichen Christentums und in den Kontext des Hussitentums, das als revolutionäre Abweichung vom universellen Glauben galt. Gindely erwies sich vornehmlich deshalb als hervorragender Historiker, weil er die detaillierte Rekonstruktion der Ereignisse mit einem Sinn für die Sozialpsychologie in der Geschichte verband und aufzeigte, wie die religiöse Zersplitterung allmählich zu einer gewissen Toleranz und dann zur Gleichgültigkeit gegenüber konfessionellen Unterschieden führte. Der Kampf um den Majestätsbrief stellte für diesen Historiker den ersten Akt eines großen Dramas dar, das seinen Höhepunkt im Dreißigjährigen Krieg finden sollte. Als besonderes Kennzeichen hob er hervor, dass es sich zwar um eine religiöse Frage handelte, aber das gesamte Geschehen in den Händen von Laienpolitikern ruhte, und dass eine kleine, von der Brüderunität repräsentierte Minderheit hier enorme Organisationskraft bewies. Gindely waren die nicht überwundenen Gegensätze unter den Anhängern der nichtkatholischen Konfessionen genau bewusst und er gestand zu, dass bei der unklaren Grenzziehung zwischen der Macht des Herrschers und der Macht der Stände die Stärkung der Stände von 1609 nicht endgültig sein konnte. Zugleich eröffneten sich jedoch neue Perspektiven, die nicht notwendigerweise zu einem existentiellen Krieg zwischen den Habsburgern und den böhmischen Ständen führen mussten, sondern auch die Suche nach einem neuen Gleichgewicht zwischen den Mächten zum Ziel haben konnten. Das Problem des zweiten – und entscheidenden – Aktes im böhmischen Drama bestand in einer fehlerhaften Kalkulation der Stände, die nach dem Erlass des Majestätsbriefs ihren verhältnismäßig leichten Sieg über Rudolf II. überschätzten und neun Jahre später einen Konflikt mit Matthias und Ferdinand II. vom Zaun brachen, ohne sich bewusst zu machen, dass dieser Zusammenstoß eine gänzlich andere Dimension besaß. Gindelys vielseitige und sorgfältig strukturierte Betrachtung des Majestätsbriefs begründete eine ausgewogene liberale Auffassung, die relativen Abstand zur politischen Propaganda hielt und in der Lage war, auf Grund gewichtiger Argumente die gesamte böhmische Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts neu zu konzeptualisieren. Der Schöpfer des konservativen Blicks auf die ältere böhmische Geschichte, Václav Vladivoj Tomek,12 vertrat nach seiner Abkehr von den Ideen der 1848er Revolution einen grundsätzlich ablehnenden Standpunkt gegenüber den drei Ge11 12
giNdely, Anton: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätsbriefes von 1609. Prag 1858. Mit dem Majestätsbrief hatte sich V. V. Tomek auf faktographischer Ebene bereits in seiner Skizze zur Geschichte der Prager Universität knapp auseinandergesetzt: tomek, Wenzel Wladiwoj: Geschichte der Prager Universität. Prag 1849, 210.
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fahren, die seiner Ansicht nach einer geordneten Regierung und einer ruhigen Entwicklung des frühneuzeitlichen Staates drohten – gemeint waren übermäßige ständische Freiheiten, in denen er eine Quelle des Chaos sah, das evangelische „Ketzertum“ und das türkische „Heidentum“.13 Der Majestätsbrief symbolisierte nach Tomeks Auffassung zwei dieser Bedrohungen: die Destruktion durch die Stände und die Freiheit für die Ketzer. Wenn wir berücksichtigen, dass die Befürworter des Majestätsbriefs mit Wenzel Budowetz an der Spitze während des Ständeaufstandes von 1620 bereit waren, mit den Türken über ein Bündnis gegen die Habsburger zu verhandeln, verknüpften sich hier sogar alle drei Gefahrensituationen in der frühneuzeitlichen Entwicklung. Unter diesen Umständen konnte Tomek dem Majestätsbrief keinerlei positive Eigenschaften zusprechen. Er verurteilte ihn als gewaltsam von Kaiser Rudolf II. erzwungenen Akt, als „Erniedrigung der Herrscherwürde“ und als Absage an die Gerechtigkeit. Denn eine „im Grunde gerechte“ Lösung hätte laut Tomek nur die Einrichtung eines neuen Konsistoriums für die Anhänger der Confessio Bohemica sein können – unter Beibehaltung des bisherigen utraquistischen Konsistoriums, das weiterhin dem Herrscher unterstellt sein sollte.14 Die formale Respektierung der Altutraquisten hätte nach dieser Auffassung eine katholisch-protestantische Polarisierung verhindert sowie zugleich die nichtkatholischen Stände gespalten und den Herrscher gestärkt. Dem konservativen Blick auf die böhmische Geschichte hätte sicherlich die Vorstellung behagt, die abweichenden Kräfte zu schwächen und die langsame Rekatholisierung Böhmens fortzusetzen, was – zumindest im Rahmen dieses Idealmodells – zu einer ruhigen politischen Entwicklung, ähnlich wie in den rekatholisierten österreichischen Ländern, hätte führen können. Auf diese Weise wäre auch eine weitaus günstigere Stellung des böhmischen Staates und des tschechischen Volkes innerhalb der Habsburgermonarchie gesichert gewesen. In den Gedankenspielen über geschichtliche Alternativen, besonders im Kontext katastrophaler Niederlagen, denen man vielleicht hätte ausweichen können, besaß diese Vorstellung zweifellos eine innere Logik. Tomeks Nachfolger teilten ein derart hartes Urteil nicht, aber auch sie empfanden keine besondere Begeisterung für den Majestätsbrief. Insbesondere Zikmund Winter, ein Vorreiter der Kulturgeschichte, widmete dem Majestätsbrief in seiner faktographisch angelegten Kirchengeschichte über die Epoche vor der Schlacht am Weißen Berg nur wenig Aufmerksamkeit und erzeugte mit seiner eigenen Bewertung einen scharfen Kontrast zum Bild des „früheren goldenen Zeitalters“,15 wie es 13
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tomek, Wácslaw Wladiwoj: O synchronické methodě při dějepise rakouském [Über die synchronistische Methode in der österreichischen Geschichtsschreibung]. In: Časopis Musea Království Českého 28 (1854), 375–406. – ders.: O stavovských nepokojích v zemích mocnářství rakouského za panování Rudolfa II. a Matiáše (mezi léty 1594–1614) [Über die Ständeunruhen in den Ländern der österreichischen Monarchie unter Rudolf II. und Matthias (1594–1614)]. In: Časopis Musea Království Českého 28 (1854), 29 (1855), 30 (1856). tomek, Wácslaw Wladiwoj: Děje Králowstwí Českého [Geschichte des böhmischen Königreichs]. Praha 41876, 271. WiNter, Zikmund: Život církevní v Čechách. Kulturněhistorický obraz z XV. a XVI. století [Das kirchliche Leben in Böhmen. Ein kulturhistorisches Bild aus dem 15. und 16. Jahrhundert]. Bd. 1. Praha 1895, 245.
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einst Pavel Skála geprägt hatte.16 Bei Winter erfuhr der Majestätsbrief eher eine negative Beurteilung, da er niemanden zufriedengestellt und stattdessen nur weitere Streitigkeiten unter den Protestanten ausgelöst habe.17 Einen ähnlichen Standpunkt vertrat auch ein anderer Schüler Tomeks – der zu seiner Zeit bekannte Populärhistoriker Jaroslav Kosina: Er interpretierte den Majestätsbrief als einen großen Sieg der Stände, der jedoch keine geregelte Ausübung der kirchlichen und politischen Verwaltung garantieren konnte; daher sei er bereits als ein Vorzeichen der späteren Niederlage der Stände zu sehen.18 Der retrospektive, von der Schlacht am Weißen Berg ausgehende Blick siegte in den Arbeiten dieser Historiker eindeutig über die ausgewogene Beurteilung der Stärken und Schwächen des Majestätsbriefs. Einen grundsätzlichen Wandel in der Betrachtungsweise musste ein anderes Lager in der tschechischen Historiographie und im öffentlichen Leben herbeiführen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat eine Gruppe von Schülern Jaroslav Golls in den Vordergrund, von denen sich besonders Kamil Krofta, ein erstrangiger Kenner der frühneuzeitlichen Geschichte, der zugleich dem zeitgenössischen politischen Denken sehr nahe stand, und Julius Glücklich, Autor einer detaillierten Studie über die Quellen und Entstehungsumstände des Majestätsbriefs, mit dieser Problematik befassten. Die damals jungen Historiker wussten, wovon sie sich inspirieren lassen konnten. Bereits in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts hatte ihr Lehrer Goll eine bedeutende Studie über den schlesischen Majestätsbrief geschrieben, in der er im Gegensatz zu Tomek Verständnis für die Gesetze über die Religionsfreiheit und besonders für die Konföderationsbewegung, ohne die diese Privilegien niemals gegen den Willen der Habsburger durchgesetzt worden wären, äußerte.19 Außerdem hatten Golls Schüler als Heranwachsende in Vančuras neuer Übersetzung die pathetische Schilderung des Landtags von 1609 aus der Feder von Ernest Denis und dessen Bewunderung für das staatsmännische Werk des Wenzel Budowetz kennengelernt.20 Bereits damals verwandelte sich in der Sichtweise des 16 17
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Pavla Skály ze Zhoře Historie česká od r. 1602 do r. 1623. Bd. 1: 1602–1616 [Die böhmische Geschichte von 1602 bis 1623 des Pavel Skála von Zhoř. Bd. 1: 1602–1616]. Hg. v. Karel tieftruNk. Praha 1865, 331. – Když císař odchází (wie Anm. 3), 24–26. WiNter: Život církevní v Čechách. Bd. 1 (wie Anm. 15), 243–245. Vgl. PáNek, Jaroslav: Pojetí předbělohorských dějin ve vědeckém díle Zikmunda Wintra [Die Auffassung der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg im wissenschaftlichen Werk Zikmund Winters]. In: Studia Comeniana et historica XXIX/62 (1999), 85–98. kosiNa, Jaroslav: Velikáni našich dějin. Obrazy životopisné a kulturní [Große Persönlichkeiten unserer Geschichte. Biographische und kulturelle Bilder]. Praha 1903; ich zitiere nach der Neuauflage (Praha 1926), 416–445 (Kapitel „Ve víru bouře [Im Wirbel des Sturms]“, das Wenzel Budowetz gewidmet ist), bes. 428–430, 442. Einen ähnlichen Standpunkt vertrat auch ein anderer zeitgenössischer Populärhistoriker der tschechischen Vergangenheit: doleNský, Jan: Dějiny národa československého [Geschichte des tschechoslowakischen Volkes]. Praha 1920, 407 f. Beide Arbeiten belegen, dass noch zur Zeit der Ersten Tschechoslowakischen Republik in der Öffentlichkeit neben der demokratischen sehr starke Überreste der konservativen Auslegung des Majestätsbriefs präsent waren. goll, Jaroslav: O slezském majestátě Rudolfa II. [Über den schlesischen Majestätsbrief Rudolfs II.]. In: Časopis Musea Království Českého 48 (1874), 3–22; erneut abgedruckt in: goll, Jaroslav: Vybrané spisy drobné [Ausgewählte kleine Schriften]. Bd. 2. Praha 1929, 152–168. deNis, Ernest: Fin de lʼindépendance bohême II. Les premiers Habsbourgs, la défenestration de
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französischen Historikers und Hugenotten der Majestätsbrief, die „Magna Charta“,21 in den „letzten und reinsten Sieg“ der böhmischen Protestanten.22 Denis’ Bewunderung für den Majestätsbrief war stark emotional geprägt, denn er sah in ihm nicht nur eine Verkörperung des Patriotismus, der Toleranz und des Glaubens, sondern auch einen historischen Sieg der Liebe über den Hass.23 Anlässlich des Jubiläums „300 Jahre Erlass des Majestätsbriefs“ – wörtlich „zur Feier eines herausragenden Ereignisses unserer Nationalgeschichte“24 – folgte der damals bereits renommierte Wissenschaftler und Publizist Kamil Krofta dem Aufruf des Historischen Klubs und schrieb eine kleine Monographie über den Majestätsbrief. Kroftas Interpretation basierte auf einer sicheren Kenntnis der Realien, stand in der Bewertung jedoch Denis’ Überschwang recht nah. Im Majestätsbrief sah der Autor einen großen Sieg der evangelischen Stände, eine Garantie der uneingeschränkten Religionsfreiheit und zudem eine Wende in der ethischen Entwicklung des tschechischen Volkes, denn seit 1609 sei das Verbergen des tatsächlichen Glaubens nicht mehr notwendig gewesen.25 Als „das liberalste Religionsgesetz des 17. Jahrhunderts“, durchdrungen von den Grundsätzen der gegenseitigen Toleranz, war der Majestätsbrief für Krofta ein Zeugnis der „sittlichen und geistigen Überlegenheit“ der Evangelischen und auf Dauer ein herausragendes „Werk des tschechischen Geistes“, das im Gegensatz zum habsburgischen Absolutismus mit allen seinen „schrecklichen“ Schattenseiten die uneingeschränkte Sympathie des modernen Menschen weckte.26 Kroftas Buch über den Majestätsbrief stand an der Wiege der demokratischen Interpretation des Ständewesens und besonders des Majestätsbriefs – einer Auslegung, die an Gindelys liberale Auffassung anknüpfte, sich jedoch von ihr durch die einseitige Betonung der positiven Seiten dieser Phänomene unterschied. Das Konzept gewann Anhänger unter den Goll-Schülern, die den Majestätsbrief mit den Worten Bedřich Jenšovskýs als „das schönste Ergebnis, den hellsten Moment in der Geschichte der tschechischen Reformation“ verstanden,27 aber zugleich – besonders in den analytischen Studien eines Julius Glücklich28 – die Fähigkeit bewahrten, die machtpolitischen Voraussetzungen und die
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Prague. Paris 1890. – ders.: Konec samostatnosti české. Přeložil Jindřich Vančura [Das Ende der tschechischen Selbstständigkeit. Übersetzt von Jindřich Vančura]. Praha 1893. „[…] les Protestants tchèques avaient enfin conquis leur GrandeCharte.“ – deNis: Fin de lʼindépendance (wie Anm. 20), 469. – deNis: Konec samostatnosti (wie Anm. 20), 674. „Les Réformés lui durent leur dernier et leur plus pur triomphe.“ – deNis: Fin de lʼindépendance (wie Anm. 20), 475. deNis: Fin de lʼindépendance (wie Anm. 20), 474 f.; deNis: Konec samostatnosti (wie Anm. 20), 679. krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909, unpag. Vorwort. Ebd., 22 f. Ebd., 23–26. JeNŠoVský, Bedřich: Politika kurfiřta saského v Čechách v posledních letech vlády Rudolfa II. [Die Politik des sächsischen Kurfürsten in Böhmen in den letzten Regierungsjahren Rudolfs II.]. Praha 1913 (Rozpravy České akademie I/49), 13. glüCkliCH, Julius: O pravomoci, dané defensorům na sněmu 1609 [Über die den Defensoren auf dem Landtag 1609 verliehene Kompetenz]. Praha 1913. – ders.: Koncept Majestátu a vznik
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Widersprüchlichkeit der politischen Anwendung des Majestätsbriefs und des daran anknüpfenden Ausgleichs sachlich zu betrachten. Enorm gestärkt wurde die demokratische Sichtweise des Majestätsbriefs durch das 1912 erschienene Monumentalwerk des protestantischen Kirchenhistorikers Ferdinand Hrejsa über die Confessio Bohemica. Hrejsa ordnete den Majestätsbrief in eine neue Interpretation der Religionsgeschichte in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg ein. Er bewertete ihn nicht nach dem Ergebnis der Schlacht, sondern nach dem geistigen Vermächtnis, das diese Zeit bewahrte. Er deutete die Confessio Bohemica von 1575 als einen Brennpunkt in der Entwicklung und die böhmische Geschichte als ein Streben der Protestanten nach Vereinigung. In diesem Kontext stand der Majestätsbrief für den gesetzlichen Schutz der Rechte, die in der Confessio Bohemica formuliert worden waren, und für deren Umsetzung in die Alltagspraxis. „Durch den Majestätsbrief und den Ausgleich wurde in Böhmen verwirklicht, was in anderen Ländern noch jahrhundertelang ein bloßes Ideal bleiben sollte“, so Ferdinand Hrejsa.29 Der Majestätsbrief war ein wesentlicher Bestandteil des Vermächtnisses der tschechischen Vergangenheit für das beginnende 20. Jahrhundert – ein Appell an die Protestanten, sich neu zu vereinen und an die Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg anzuknüpfen. Ferdinand Hrejsa ging von einer so breiten Quellenbasis aus und lieferte eine derart überzeugende Interpretation, dass seine Auffassung der Religionsgeschichte in der Epoche vor der Schlacht am Weißen Berg von bedeutenden Teilen der tschechischen Historikergemeinde aufgegriffen wurde, die ihr – vor allem durch Kroftas Verdienst30 – Gültigkeit für die nächsten Generationen sicherte. Als Hrejsas Werk erschien, schrieb Kamil Krofta gerade sein Buch über den Weißen Berg, in dem er seine „Idee einer Trennung von der Habsburgerdynastie“ formulierte31 und solche Symbole wie der Majestätsbrief Bedeutung für die Legitimierung des unabhängigen tschechischen Staates gewannen – zunächst als Idee und später in Form der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Die demokratische Richtung der tschechischen Geschichtsschreibung, die sich in den Dienst des neuen Staates stellte, fand in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts mit dem Werk des mährischen Historikers František Hrubý einen Höhepunkt. Hrubýs grundsätzliche Überzeugung, dass der Kampf der evangelischen Stände gegen die Habsburger vor allem ein Ringen „um ideale Güter“ gewesen sei,32 spiegelte sich auch in der Bewertung des Majestätsbriefs wider. Er urteilte, dass „der Majestätsbrief den größten Erfolg darstellte, den die nichtkatholi-
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Porovnání [Das Konzept des Majestätsbriefs und die Entstehung des Ausgleichs]. In: Český časopis historický 23 (1917), 110–128. HreJsa, Ferdinand: Česká konfese, její vznik, podstata a dějiny [Die Confessio Bohemica, ihre Entstehung, ihr Wesen und ihre Geschichte]. Praha 1912, 467. krofta, Kamil: Nový názor na český vývoj náboženský v době předbělohorské (K Hrejsově „České konfesi“) [Eine neue Ansicht zur böhmischen Religionsentwicklung in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg (zu Hrejsas „Confessio Bohemica“)]. In: Český časopis historický 20 (1914), 1–19. – Wiederabdruck: krofta, Kamil: Listy z náboženských dějin českých [Blätter aus der böhmischen Religionsgeschichte]. Praha 1936, 373–390. krofta, Kamil: Bílá hora [Der Weiße Berg]. Praha [1914], 152. HruBý, František: Ladislav Velen ze Žerotína [Ladislaus Velen von Žerotín]. Praha 1930, 3.
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sche Partei je in den habsburgischen Ländern erlebt hatte“.33 Obwohl auf revolutionäre Weise erreicht, habe er nicht die Unparteilichkeit der Protestanten gegenüber den Katholiken verletzt und sei „zu einem schönen Beleg für das jahrhundertelange tschechische Streben nach Gerechtigkeit und Gewissensfreiheit für jedermann“ geworden.34 Nach Ansicht dieses herausragenden Kenners der mitteleuropäischen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts bewiesen die Ereignisse im Jahr 1609, dass sich die Entwicklung in Böhmen auf einem guten Weg hin zur „allgemeinen Gewissensfreiheit und Gerechtigkeit für alle auch in der Religionsfrage“ befand. Der Majestätsbrief und der Ausgleich verkörperten nach Hrubý „eine wunderbare Äußerung des tschechischen Geistes“, denn die evangelischen Tschechen wurden zu Verteidigern der Gewissensfreiheit und verbanden ihr Programm mit Bildung und Fortschritt.35 Verursacher ihrer Unterdrückung seien die Habsburger und deren katholische Anhänger gewesen, die mit ihrem Widerstand gegen die Religionsprivilegien einen Zusammenstoß provoziert und mit brachialem Vorgehen gesiegt hätten. Ein derart einseitiger Standpunkt, der das evangelische Element mit dem Tschechentum verknüpfte und im Kampf gegen die Habsburger eine Grundbedingung der nationalen Existenz sah, wurde nicht von allen zeitgenössischen Historikern geteilt. František Hrubý schrieb die oben erwähnte Apotheose in der Zeit der beginnenden deutschen Besatzung, und dennoch äußerte sogar Kamil Krofta Vorbehalte. In seinen geschichtsphilosophischen Überlegungen von 1940 pries Krofta zwar den Majestätsbrief und den Ausgleich als großen Sieg der böhmischen Stände, aber in einem Moment der akuten Bedrohung der nationalen Existenz sah er eine Schwäche dieser „bemerkenswerten Korrektur der kirchlichen und religiösen Verhältnisse“ darin, dass sie nur in Böhmen, nicht jedoch in Mähren Gültigkeit besessen habe.36 Für diesen Interpretationswandel waren offensichtlich die frischen Erfahrungen des Historikers und Diplomaten mit dem unaufhaltsamen Zerfall des tschechischen und tschechoslowakischen Staates sowie die Furcht vor einer weiteren Atomisierung des tschechischen ethnischen Territoriums verantwortlich. Obwohl er die Unterschiede in der religiösen Entwicklung der beiden historischen Länder berücksichtigte, gelangte Krofta zu der Überzeugung, dass unmittelbar vor der Schlacht am Weißen Berg auch in Mähren die Entwicklung auf eine einheitliche evangelische Kirche im Geist des Majestätsbriefs und des daran anknüpfenden ständischen Ausgleichs hinauslief.37 Während Kamil Krofta sich immer um einen verständnisvollen Standpunkt bemühte, der über den Streitigkeiten der historischen Schulen stand, hatte sein älterer 33 34 35 36 37
HruBý, František: Protireformace v Němcích a válka třicetiletá [Die Gegenreformation in Deutschland und der Dreißigjährige Krieg]. In: Dějiny lidstva od pravěku k dnešku. Bd. 5: V branách nového věku (1450–1650). Hg. v. Josef Šusta. Praha 1938, 556–624, hier 586. HruBý, František: Zápas Čechů s Habsburky o náboženskou toleranci [Der Kampf der Tschechen gegen die Habsburger um die religiöse Toleranz]. In: Co daly naše země Evropě a lidstvu. Hg. v. Vilém matHesius. Praha 1940, 156–167, hier 162. HruBý (wie Anm. 34), 163. krofta, Kamil: Nesmrtelný národ. Od Bílé hory k Palackému [Unsterbliche Nation. Vom Weißen Berg zu Palacký]. Praha 1940, 314. krofta (wie Anm. 36), 325.
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Zeitgenosse Josef Pekař eine zugespitztere Sichtweise auf den Majestätsbrief. Er hielt ihn ebenfalls für einen „ungewöhnlichen Triumph“ der evangelischen Stände, beurteilte das Gesetz selbst jedoch in erster Linie unter dem Aspekt seiner Kompatibilität mit der Verfassungsordnung und der eingeschränkten Reichweite der königlichen Macht.38 Seinen national gesinnten Blick und die ständige Furcht vor der fortschreitenden Germanisierung der böhmischen Länder brachte er in das folgende resümierende Urteil mit ein: Die tschechische Gesellschaft habe sich zwar im Kampf gegen die Deutschen „zu einer hohen Ansicht über die religiöse Toleranz“ vorgearbeitet und „diesen ihren fortschrittlichen Standpunkt recht glücklich im Majestätsbrief und im Ausgleich verteidigt“, aber die religiösen Freiheiten habe sie insbesondere deswegen verloren, weil „das deutsche reaktionäre Gesetz von 1555, ein Werk des siegreichen Luthertums, die religiöse ‚Freiheit’ mit der unsittlichen Formulierung ‚Cuius regio, eius religio’ verknüpft hatte […]“.39 Aus der Feder eines konservativen Historikers klang dieser Fortschrittlichkeitsvergleich, basierend auf dem Nationalprinzip und einer elementaren Abneigung gegenüber dem Luthertum, geradezu paradox, aber seine Rezeption beschränkte sich keineswegs nur auf die wissenschaftliche Literatur. Pekařs Ansicht gelangte in abgemilderter Form in das offizielle Lehrbuch der tschechoslowakischen Geschichte, aus dem mehrere Generationen von Gymnasiasten ihre Kenntnisse erwarben. Der Majestätsbrief wurde darin als ein im „liberalen und versöhnlichen Geist“ verfasstes Gesetz bewertet, das Böhmen vom Heiligen Römischen Reich gerade dadurch unterschied, dass es ein ius reformandi unmöglich machte.40 An diese Interpretation knüpften einige Schüler Pekařs ebenso an wie Autoren katholischer, einseitig apologetischer Texte, etwa der Jesuit Blažej Ráček.41 Eine besonders ausgeprägte nationale Sichtweise nahm allerdings der Kenner der spanischen Quellen zur böhmischen Geschichte Bohdan Chudoba ein, der sich an Pekařs Philosophie von der tschechischen Geschichte und an dessen Vorstellung einer Positionierung der Tschechen zwischen germanischen und romanischen Einflüssen anlehnte.42 Chudoba lehnte den Majestätsbrief und dessen Hauptinitiator Wenzel Budowetz grundsätzlich ab. Er wies dem gefeierten Nationalhelden die unwürdige Rolle eines Helfershelfers der deutschen Zuwanderer und lutherischen Pastoren zu. Das angeblich unversöhnliche und unlogische Vorgehen der Unitätspolitiker konnte laut Chudoba, der ein Anhänger des Katholizismus als Gegengewicht zur Germanisierung Mitteleuropas war, nur in die Katastrophe führen. Der Sieg der Protestanten „hätte für unser Land vor allem den Sieg der unsinnigen Verleugnung der Vernunft 38 39 40 41 42
Pekař, Josef: Bílá hora. Její příčiny a následky [Der Weiße Berg. Seine Ursachen und Folgen]. Praha 1920, 8, 21. Pekař (wie Anm. 38), 85. Pekař, Josef: Dějiny československé pro nejvyšší třídy škol středních [Tschechoslowakische Geschichte für die höchsten Mittelschulklassen], Praha 1921, 77; Nachdruck in: Dějiny československé [Tschechoslowakische Geschichte], Praha 1991, 96 f. ráČek, Blažej: Československé dějiny [Tschechoslowakische Geschichte]. Bd. 2. Praha 1933 [ergänzte Auflage], 372–377. Pekař, Josef: Smysl českých dějin. O nový názor na české dějiny [Der Sinn der tschechischen Geschichte. Zu einer neuen Ansicht über die tschechische Geschichte]. Praha 1929 [erweiterte Auflage].
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und zugleich den vollständigen Rückzug der tschechischen Volkskultur bedeutet“.43 Dieser an der Schwelle zum Zweiten Weltkrieg formulierte Standpunkt spiegelte zweifellos nicht nur die Begeisterung des damals noch jungen Historikers für die spanische Kultur wider, sondern belegte zugleich die tiefe Frustration über die Krise der Demokratie, den Zerfall der Tschechoslowakei und den Beginn der deutschen Besatzung. Die politischen Ereignisse der späten dreißiger und frühen vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts trugen maßgeblich dazu bei, dass gerade Bohdan Chudoba das wohl düsterste Bild vom Majestätsbrief und von seinen Initiatoren in der gesamten tschechischen Historiographie der Neuzeit lieferte.44 In der Zwischenkriegszeit war es zu einer teilweisen Transformation der alten Meinungsrichtungen gekommen: Die liberale Richtung ging in das demokratische Konzept, die konservativ-kritische in das nationale Konzept ein, wobei beide in gewisser Weise national-legitimierende Argumente übernahmen. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg brachte die programmatische oder nur verbal formulierte marxistische Historiographie einen radikalen Wandel. Einen interessanten Brückenschlag stellt das Werk Josef Polišenskýs dar, der in seiner frühen Zeit vom demokratischen Interpretationsansatz ausgegangen war und 1941 eine kleine, aber spannende Schrift über die rudolfinische Zeit verfasst hatte. Darin knüpfte er an die Ansichten Kamil Kroftas und František Hrubýs an, so dass auch für ihn der Majestätsbrief „den reinsten Geist der Reformbewegung“ verkörperte, „in dem das Ringen der evangelischen Stände mit den katholischen Herrschern seinen Höhepunkt fand“.45 Der Majestätsbrief und der Ausgleich sorgten seiner Ansicht nach für die Gleichheit beider Parteien; sie basierten auf dem Versöhnungsprinzip und stellten – besonders im Vergleich zum Augsburger Religionsfrieden und sogar zum Edikt von Nantes – einen „offensichtlichen Fortschritt“ dar. Bei der Suche nach europäischen Analogien gelangte Polišenský zu der Ansicht, dass eine ähnlich umfassende soziale Dimension der Religionsfreiheit erst wieder Ende des 17. Jahrhunderts bei John Locke erreicht wurde. Allerdings sei die tschechische, im Majestätsbrief ausgedrückte „Sorge um den Bauern, die Sorge darum, dass niemand um die Religion gebracht wurde, vollkommen einzigartig“.46
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CHudoBa, Bohdan: Španělé na Bílé hoře. Tři kapitoly z evropských politických dějin [Die Spanier am Weißen Berg. Drei Kapitel aus der europäischen Politikgeschichte]. Praha 1945, 196. Zuletzt zu diesem dezidiert katholischen Historiker PutNa, Martin C.: Česká katolická literatura 1918–1945 [Die tschechische katholische Literatur 1918–1945]. Praha 2010, 666–695, bes. 670 f. Sehr viel zurückhaltender blieb ein weiterer, katholisch orientierter Schüler Pekařs, Zdeněk Kalista, der den Majestätsbrief als „großen Sieg“ der Stände und der Religionsfreiheit anerkannte, aber nicht in einseitige Lobpreisungen verfiel; kalista, Zdeněk: Stručné dějiny československé [Kurze tschechoslowakische Geschichte]. Praha 21992 [11947], 175. Näher dazu PáNek, Jaroslav: Pojetí předbělohorských českých dějin v díle Zdeňka Kalisty [Die Auffassung der tschechischen Geschichte in der Epoche vor der Schlacht am Weißen Berg im Werk Zdeněk Kalistas]. In: Zdeněk Kalista a kulturní historie. Semily 2000 (Z Českého ráje a Podkrkonoší, Supplementum 6), 131–140. PoliŠeNský, Josef: Doba Rudolfa II. [Die Zeit Rudolfs II.]. Praha 1941, 28. PoliŠeNský (wie Anm. 45), 28 f.
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Anfang der fünfziger Jahre beteiligte sich Josef Polišenský an der Vorbereitung der ersten marxistischen Synthese zur tschechoslowakischen Geschichte und bearbeitete darin ebenfalls den betreffenden Zeitraum. Infolge der Diskussionen und Anmerkungen einheimischer, aber auch sowjetischer, polnischer und ungarischer Historiker entstanden zunächst offizielle Thesen,47 in denen Polišenský eine zeitbedingte Säkularisierung des Themas favorisierte. Der Majestätsbrief und der Ausgleich wurden in diesem Interpretationsansatz auf die (Macht-)Politik der Stände reduziert, die „ihre Machtposition stärkten“.48 Bald darauf erschien, betreut vom Historischen Institut der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, der erste Teil der „Vorlage“ für das umfangreiche Überblickswerk Přehled československých dějin (Überblick der tschechoslowakischen Geschichte), in dem sich Josef Polišenský zwar detaillierter, jedoch ausschließlich im Rahmen der zugelassenen Weltanschauung äußern konnte.49 Im Zusammenhang mit dem Majestätsbrief betonte er die institutionelle Stärkung der Ständemacht und gestand zu, dass die antihabsburgische Opposition die Möglichkeit erhalten habe, eine eigenständige kirchliche und politische Organisation aufzubauen, die das Bekenntnis zur Confessio Bohemica auch den Untertanen erlaubte. Da die Analyse der sozioökonomischen Entwicklung keinen Raum für eine tiefere Interpretation der religiösen Aspekte bot, lautete die offizielle Formulierung: „Der Majestätsbrief war ein bloßer Ausdruck der Tatsache, dass das politische Übergewicht auf die Seite der Opposition übergegangen war, als sich das feudal-katholische Lager durch Zwistigkeiten innerhalb der Dynastie geschwächt sah“.50 Diesen Standpunkt aus dem Jahr 1958 vertrat Polišenský auch in seinem ersten Buch über den Dreißigjährigen Krieg (1960).51 Ende der sechziger Jahre, in einer liberaleren Phase, äußerte er sich in einem weiteren Buch zum selben Thema (1970) jedoch vollkommen anders. Der Majestätsbrief wurde nun Ausdruck „einer vielversprechenden öffentlichen Entwicklung im religiösen Bereich“; er bewies „die innere Ausgewogenheit des böhmischen politischen Lebens, im Geist der alten und bewährten religiösen Toleranz“ und stand für den 200 Jahre währenden Vorsprung Böhmens gegenüber den übrigen Ländern Mitteleuropas.52 Das Bestreben, zu Beginn des 17. Jahrhunderts „die Toleranz – und damit auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit – zu erhalten“,53 galt auch 360 Jahre später als attraktive Handlungsmaxime in einem Land, das zwar von sowjetischen Truppen besetzt war, in dem die Zensur jedoch Arbeiten zur älteren 47 48 49 50 51 52 53
Přehled československých dějin. These. Bd. 1: Do roku 1848 [Überblick der tschechoslowakischen Geschichte. Thesen. Bd. 1: Bis 1848]. Praha 1954 (Československý časopis historický, Beiheft 2/2), 3. Přehled československých dějin (wie Anm. 47), 50. Přehled československých dějin. Bd. 1: Do roku 1848 [Überblick der tschechoslowakischen Geschichte. Bd. 1: Bis 1848]. Hg. v. Josef maCek, František graus und Ján tiBeNský. Praha 1958, 355 f. Přehled československých dějin (wie Anm. 49), 355. PoliŠeNský, Josef: Třicetiletá válka a český národ [Der Dreißigjährige Krieg und die tschechische Nation]. Praha 1960, 57. PoliŠeNský, Josef: Třicetiletá válka a evropské krize 17. století [Der Dreißigjährige Krieg und die europäische Krise des 17. Jahrhunderts]. Praha 1970, 57–59. PoliŠeNský (wie Anm. 52), 58.
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Geschichte kaum wahrnahm, da man sie für politisch unbedeutend hielt. Innerhalb von vier Jahrzehnten schloss sich für Josef Polišenský also ein Kreis, indem er zu seiner anfänglichen Bewertung des Majestätsbriefs zurückkehrte, die dem ehemaligen demokratischen Interpretationsmodell sehr nahe stand. Die offizielle Diktion des Werks Přehled československých dějin spiegelte sich in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in den damals herausgegebenen Lehrbuchtexten wider54 und reduzierte den Inhalt des Majestätsbriefs in gewisser Weise auf ein einziges Wort. Diese Vorgehensweise entsprang der Vorstellung, dass die Religion beim Wandel der sozioökonomischen Bedingungen keine geschichtsbildende Rolle gespielt habe. Allerdings war der Majestätsbrief bereits so stark im allgemeinen Bewusstsein verankert, dass man ihn nicht gänzlich übergehen konnte. So tauchte er 1961 in der richtungsweisenden Zusammenfassung der tschechischen Geschichte von Václav Husa als eine Art undefinierbares „Privileg religiöser Freiheiten“ auf, die „nicht von langer Dauer waren“.55 Kurze diesbezügliche Anmerkungen gingen neben den umfangreichen Passagen über die Ausbeutung der Untertanen durch die Feudalherren und über soziale Unruhen aller Art fast unter und bestätigten eigentlich nur die Tatsache, dass die Religionspolitik völlig an den Rand gedrängt werden müsse. František Kavka, der sich schon damals mit der frühneuzeitlichen Kirchengeschichte befasste, versuchte 1962 auf der Grundlage älterer Literatur die positiven Seiten des Majestätsbriefs herauszustellen: Er beschrieb ihn als „das zumindest in der Theorie liberalste Religionsgesetz des 17. Jahrhunderts“, das die Katholiken nicht unterdrückt und auf einzigartige Weise die Gewissensfreiheit der Untertanen respektiert habe. Kavka verschwieg aber auch nicht die Schattenseiten des Majestätsbriefs, die er in mangelnder Konsequenz und besonders in der unklaren Stellung der nichtprivilegierten Schichten und der kirchlichen Güter sah.56 Eine Synthese der böhmischen Frühneuzeitgeschichte aus der Feder von František Kavka und Josef Válka bezeichnete den Majestätsbrief 1965 als „liberalstes Religionsgesetz, das bisher überhaupt in Europa erlassen wurde“ und als „entschiedene Niederlage aller Rekatholisierungsbemühungen“.57 Mitte der sechziger Jahre zeigte sich, dass es auch in einer Zeit, in der die Forschung zu dieser Problematik ganz am Rand der Wissenschaft stand, möglich war, eine objektive Bewertung des Majestätsbriefs vorzunehmen. In den siebziger und achtziger Jahren änderte sich die Situation, da die Frühneuzeitgeschichte aus politischer Sicht so uninteressant erschien, dass Historiker auch detailliertere Analysen des Majestätsbriefs vornehmen konnten. Alois Míka interpretierte den Kampf um die Religionsfreiheit als bedeutendes Thema der tsche54
55 56 57
Beispielsweise in dem erweiterten Hochschullehrbuch kaVka, František/PoliŠeNský, Josef/ kutNar, František: Přehled dějin Československa v epoše feudalismu [Überblick über die Geschichte der Tschechoslowakei in der Epoche des Feudalismus]. Bd. 3. Praha 1963, 73. – kaVka, František: Příručka k dějinám Československa do roku 1648 [Handbuch zur Geschichte der Tschechoslowakei bis 1648]. Praha 1963, 286. Husa, Václav: Dějiny Československa [Geschichte der Tschechoslowakei]. Praha 1961, 121 f. kaVka, František: Bílá hora a české dějiny [Der Weiße Berg und die tschechische Geschichte]. Praha 1962, 74 f. kaVka, František/Válka, Josef: Dějiny Československa 1437–1781 [Geschichte der Tschechoslowakei 1437–1781]. Praha 1965, 137.
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chischen Geschichte während des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts und verkündete, dass „die sympathischste und fortschrittlichste Eigenschaft des Majestätsbriefs und des Ausgleichs der ungewöhnliche Sinn für religiöse Toleranz ist, der aus jeder Formulierung strahlt“. Dieses Urteil schwächte er jedoch durch die Behauptung ab, dass es sich lediglich um einen Kampf zwischen Protestanten und Katholiken gehandelt habe und dass die Toleranz „vor allem eine taktische Waffe“ gewesen sei. Míka gestand zu, dass der Majestätsbrief die Religionsfreiheit „in einem im damaligen Europa bisher ungesehenen Umfang“ garantierte, dass er die Stärke der Evangelischen demonstriert und dass er das katholische Lager in Europa zu intensiveren Bemühungen veranlasst habe. Aber das Ergebnis des militärischen Konflikts habe entschieden, dass der Majestätsbrief eine bloße „Episode von recht eingeschränkter Bedeutung“ bleiben sollte.58 Der bekannte Wirtschafts und Sozialhistoriker Josef Janáček bestätigte sowohl in seiner Synthese der böhmischen Frühneuzeitgeschichte59 als auch in seiner umfangreichen Biographie Rudolfs II. (1987) die Interpretation des Majestätsbriefs vor allem als Ergebnis politischer Kämpfe und nicht als Indiz des religiösen Wandels in der tschechischen Gesellschaft. Er interpretierte Rudolf II. als Herrscher, dem die religiöse Seite des Streits um die Glaubensfreiheit „völlig fremd“ gewesen sei, der den Konflikt ausschließlich als einen politischen verstand und dem es vorrangig darum ging, nicht der aggressiven Politik seines Bruders Matthias zu unterliegen.60 Dieser recht einseitigen Interpretation widerspricht jedoch die Behauptung, dass das „denkwürdige Dokument (památný dokument)“ − diese Bezeichnung taucht in der Literatur wiederholt auf − „in die europäische Geschichte unter der Bezeichnung Majestätsbrief einging und sofort neben das Edikt von Nantes und andere wichtige Dokumente aus der Geschichte der europäischen Reformation gestellt wurde“.61 Vom Standpunkt der Ideengeschichte ausgehend bekannte sich auch der sich lebenslang als Marxist verstehende Philosoph Robert Kalivoda zum Majestätsbrief. Seine Studie von 1986, die an eine ältere Monographie zur hussitischen Ideologie anknüpfte,62 ignorierte die Rolle der Religion und der Kirchen in der Geschichte nicht mehr. Kalivoda, dem ein Hang zum pathetischen Ausdruck nachgesagt wird, kehrte auf Umwegen zu der sehr positiven Beurteilung des Majestätsbriefs zurück, die die Argumentation der Historiker der demokratischen Richtung in der Zwischenkriegszeit gekennzeichnet hatte. Der Majestätsbrief war in seinen Augen die Vollendung der hussitischen Revolution – „der größte ideelle und politische Wert der Reformation in der Zeit nach der Schlacht von Lipany“ – und verkörperte „die neuen besseren und höheren Kompaktaten“. Aus Sicht des Marxismus als Philoso58 59 60 61 62
Míka, Alois: Stoletý zápas o charakter českého státu 1526–1627 [Der hundertjährige Kampf um den Charakter des böhmischen Staates 1526–1627]. Praha 1974, 152. JanáČek, Josef: České země v předbělohorské době (1526–1620) [Die böhmischen Länder in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg (1526–1620)]. In: Přehled dějin Československa. Bd. I/2: 1526–1848. Praha 1982, 91. JanáČek, Josef: Rudolf II. a jeho doba [Rudolf II. und seine Zeit]. Praha 1987, 438 f. JanáČek (wie Anm. 60), 448. kaliVoda, Robert: Husitská ideologie [Die hussitische Ideologie]. Praha 1961.
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phie – nicht als aufgezwungenes politisches Dogma – war dies eine doppelte Rehabilitierung: Sie betraf sowohl die Rolle der Religion als auch die Bedeutung der privilegierten Schichten, die hinter dem Majestätsbrief standen. Nach Kalivoda „bewiesen die führenden Persönlichkeiten des tschechischen reformierten Adels im Kampf um den Majestätsbrief große politische und staatsmännische Meisterschaft, wie sie in der Geschichte der tschechischen Politik nur selten erreicht wurde“.63 Mit dem religiösen Inhalt des Majestätsbriefs befasste sich trotz der ungünstigen politischen Umstände in den fünfziger Jahren auch die evangelische Kirchengeschichtsschreibung. Hier seien zwei führende Historiker dieser Richtung genannt: Amedeo Molnár bezeichnete den Majestätsbrief im Jahr 1952 als das Ergebnis des siegreichen Ringens um die Religionsfreiheit, wozu in erheblichem Maße die Tatsache beigetragen habe, dass sich die Brüderunität immer mehr der Confessio Bohemica annäherte.64 Rudolf Říčan pries fünf Jahre später die Bekenntnisfreiheit, weil sie für die Mehrheit galt, ohne dabei der Minderheit zu schaden: „[…] da sie mit dem Erreichen eines gerechten Ziels zufrieden war, um das sie jahrhundertelang gekämpft hatte“. Die gesetzliche Verankerung der religiösen Gleichberechtigung stellte Říčan zufolge „einen Höhepunkt der tschechischen Geschichte“ dar.65 Das Gewicht dieser Worte beruhte nicht auf der Originalität der präsentierten Erkenntnis, sondern darauf, dass sie in einer Zeit der gewaltsamen „Atheisierung“ und der Kirchenverfolgung ausgesprochen wurden. Noemi Rejchrtová hob mit ihrer bemerkenswerten Biographie über Wenzel Budowetz die evangelische Forschung zum Majestätsbrief auf eine neue Ebene. Sie sah im Majestätsbrief den „siegreichen Abschluss einer Etappe im Kampf der protestantischen böhmischen Stände um Eigenständigkeit“, wobei sie den „klaren und genauen“ Majestätsbrief, im Unterschied zum improvisierten Ausgleich, als „Werk sorgfältiger Überlegung und Reife“ bezeichnete.66 Ihre Monographie von 1984 wich in Auffassung, Stil und ideellem Hintergrund, der vom eschatologischen Denken des Wenzel Budowetz und der Autorin selbst ausging, deutlich von der tschechischen Historiographie jener Zeit ab und deutete eine Öffnung gegenüber neuen Sichtweisen auf den Majestätsbrief sowie auf die Geschichte der evangelischen Kirche in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg an.67 In den neunziger Jahren stellte die tschechische Frühneuzeithistoriographie erneut intensive Verbindungen zur ausländischen Forschung über die böhmischen Länder her und konnte hieraus wertvolle Anregungen schöpfen. Zahlreiche Histo63
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kaliVoda, Robert: Husitství a jeho vyústění v době předbělohorské a pobělohorské [Das Hussitentum und seine Ausprägung in der Zeit vor und nach der Schlacht am Weißen Berg]. In: Studia Comeniana et historica XIII/25 (1983), 3–44; Wiederabdruck in: kaliVoda, Robert: Husitská epocha a J. A. Komenský [Die hussitische Epoche und J. A. Comenius]. Praha 1992, 34. molNár, Amedeo: Boleslavští Bratří [Die Bunzlauer Brüder]. Praha 1952, 244. říČan, Rudolf: Dějiny Jednoty bratrské [Die Geschichte der Brüderunität]. Praha 1957, 344. reJCHrtoVá, Noemi: Václav Budovec z Budova [Wenzel Budowetz von Budow]. Praha 1984, 88. PáNek, Jaroslav: Noemi Rejchrtová historička [Noemi Rejchrtová als Historikerin]. In: Angelus Pacis. Sborník prací k poctě Noemi Rejchrtové. Hg. v. Pavel B. kůrka, Jaroslav PáNek und Miloslav Polívka. Praha 2008, 27–46.
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riker, die sich mit Böhmen befassten, trugen zur Erforschung des Majestätsbriefs moderne, teilweise auch komparatistische Betrachtungen aus dem deutschen, österreichischen, französischen, britischen und amerikanischen Umfeld bei. Anfang der neunziger Jahre lieferte die umfangreiche Monographie des deutschen Frühneuzeithistorikers Joachim Bahlcke einen neuartigen Blick auf den Majestätsbrief. Der Autor beschränkte sich nicht auf pauschale Feststellungen zur Entstehung des Majestätsbriefs und seinen Folgen, wie sie sich in den älteren deutschen Überblickswerken über die frühneuzeitliche böhmische Geschichte von Bertold Bretholz (1922),68 Eduard Winter (1940)69 oder Karl Richter (1974) finden, wobei Letzterer allerdings ein sehr positives Urteil über den Majestätsbrief als Instrument des Minderheitenschutzes gefällt hatte.70 Joachim Bahlcke setzte sich ein höheres Ziel und erarbeitete als Erster eine gründliche vergleichende Geschichte des Ständewesens unter Berücksichtigung der einzelnen Länder der Böhmischen Krone. Ähnlich wie lange vor ihm Jaroslav Goll und Julius Glücklich betonte auch er die gemeinsame Genese des „doppelten“ Majestätsbriefs – des böhmischen für die Anhänger der Confessio Bohemica und des schlesischen für die Lutheraner. Es ist interessant, dass in Bahlckes Auffassung von den Veränderungen im böhmischen Staatswesen der Majestätsbrief und sein Inhalt keine so gewichtige Rolle spielen wie die eng mit ihm zusammenhängende Konföderation, die zwischen den Ständen von zwei der drei Schlüsselländer – nämlich Böhmen und Schlesien – abgeschlossen wurde. Denn gerade in der Konföderationsbewegung sieht Bahlcke das entscheidende Motiv für die Verschärfung des antihabsburgischen Kurses der Ständeopposition und den Konflikt, der den protestantischen Ständen zwar einen großen Erfolg brachte, aber letztlich auch zur Aufhebung des Majestätsbriefs führte.71 Bemerkenswerte Anstöße kamen auch von anderer Seite. Der britische Historiker Robert John Weston Evans, Autor bahnbrechender Monographien über die rudolfinische Zeit72 und die Entstehung der Habsburgermonarchie,73 untersuchte bereits in den siebziger Jahren das intellektuelle Milieu und den konfessionspolitischen Rahmen, in dem der Majestätsbrief entstanden war. Die beiden wesentlichen Merkmale dieses normativen Akts waren für ihn zum einen die positiv hervorzuhe68 69 70
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BretHolz, Bertold: Geschichte Böhmens und Mährens. Bd. 2: Hussitentum und Adelsherrschaft bis 1620. Reichenberg 1922, 232. WiNter, Eduard: Tisíc let duchovního zápasu [Tausend Jahre Geisteskampf]. Praha 1940, 141. riCHter, Karl: Die böhmischen Länder von der Hochblüte der Ständeherrschaft bis zum Erwachen eines modernen Nationalbewusstseins. In: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder. Bd. 2. Hg. v. Karl Bosl. Stuttgart 1974, 190. Richter interpretierte den Majestätsbrief als „ein[en] volle[n] Sieg der Verfechter konfessioneller und ständischer Libertät“ und sah darin eine feste juristische Grundlage für die Bildung einer eigenen Kirchenorganisation. Bezeichnenderweise wurde auf Seiten der sudetendeutschen Historiographie damals die Toleranz gegenüber – nicht nur religiösen – Minderheiten hoch geschätzt: „Mit diesem großzügigen Versuch, die Minderheiten jener Zeit zu schützen, ging Böhmen den meisten Ländern voran.“ BaHlCke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994, 356–359. eVaNs, Robert J. W.: Rudolf II and His World. A Study in Intellectual History 1576–1612. Oxford 1973. eVaNs, Robert J. W.: The Making of the Habsburg Monarchy. An Interpretation. Oxford 1979.
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bende Tatsache, dass der Majestätsbrief die fehlende Gleichberechtigung der Protestanten beseitigt und ihnen gesetzliche Garantien geliefert hatte, und zum anderen die negativ zu bewertende Schwäche des erzielten politischen Sieges, der die tief verwurzelten Widersprüche zwischen den betroffenen Parteien nicht zu überwinden vermochte. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts widmete R. J. W. Evans dem Majestätsbrief eine treffende Charakterisierung in der repräsentativen modernen Enzyklopädie der Reformation. Obwohl er auf ein zugespitztes Urteil verzichtete, präsentierte er das Ringen um diese Urkunde als gerechtes Streben nach Religionsfreiheit im Interesse der Mehrheit der böhmischen Bevölkerung und würdigte das Bemühen um eine Konsolidierung der Verhältnisse im Jahrzehnt zwischen dem Erlass des Majestätsbriefs und dem böhmischen Ständeaufstand, dessen Ausbruch seiner Ansicht nach durch die Katholiken verursacht wurde.74 Die französische Historiographie, die durch die Werke von Ernest Denis und Victor Lucien Tapié über eine gewisse Tradition verfügte,75 meldete sich mit einer Studie von Olivier Chaline, in der der Majestätsbrief in den Kontext des Edikts von Nantes (1598) eingeordnet wird, erneut zu Wort.76 Diese Studie, die sich als eine der wenigen ausländischen Arbeiten speziell mit der Problematik des Majestätsbriefs beschäftigte, erfasste eher die Unterschiede als die Übereinstimmungen zwischen dem böhmischen und dem französischen Gesetz über die Religionsfreiheit. Diese Unterschiede beruhten nach Meinung des Autors zum einen auf der vollkommen anderen Einstellung des Herrschers zu diesem legislativen Akt und zum anderen auf der Tatsache, dass der Majestätsbrief die Ära der Toleranz nicht eröffnete, sondern eher abschloss. Der Majestätsbrief hatte Chaline zufolge eine erhebliche soziale Reichweite und schwächte die religiöse Autorität der Obrigkeit, litt jedoch unter begrifflichen Unschärfen und besaß nur eingeschränkt die Fähigkeit, die weitere Entwicklung günstig zu beeinflussen. Der Autor verglich im Prinzip ein Dokument, das als Ergebnis eines politischen Kompromisses entstanden war, mit dem Ideal vollendeter Gerechtigkeit in religiösen und politischen Beziehungen. Daher konnte er nur zu dem Schluss gelangen, dass der Majestätsbrief hinter diesem Ideal deutlich zurückblieb. Chaline stand in der Tradition der französischen Historiographie, die den starken zentralistischen Staat betont, indem er Fehler sowohl im Handeln der Stände als auch des Herrschers, der die moralische Autorität zu sehr vermissen ließ, um die gesetzlich verankerte Religionsfreiheit garantieren zu können, sah.77 Im Umfeld der nordamerikanischen Kirchengeschichtsforschung, die sich seit dem Ende des 20. Jahrhunderts auch der böhmischen Reformation widmete, ent74 75 76 77
eVaNs, Robert J. W.: Letter of Majesty. In: The Oxford Encyclopedia of the Reformation. Bd. 2. Hg. v. Hans J. HillerBraNd. New York-Oxford 1996, 420 f. taPié, Victor L.: La politique étrangère de la France et le début de la guerre de trente ans (1616–1621). Paris 1934. – Tschechische Fassung: taPié, Victor L.: Bílá hora a francouzská politika [Der Weiße Berg und die französische Politik]. Praha 1936, 39 f. CHaliNe, Olivier: La Lettre de Majesté de 1609 en Bohême. In: La Tolérance. Colloque international de Nantes, mai 1998. Quatrième centenaire de l´édit de Nantes. Hg. v. Guy sauPiN, Rémi faBre und Marcel lauNay. Rennes 1999, 153–159. Ebd., 158 f.
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stand die umfangreiche Monographie des „Tschechoamerikanersˮ Zdeněk V. David, die eine Neubewertung der Rolle des Utraquismus in der frühneuzeitlichen Geschichte vornimmt. In seiner originellen Betrachtung der konfessionellen Differenzierung hob David die unüberwindbaren theologischen Unterschiede zwischen den Strömungen hervor, die sich zur Confessio Bohemica bekannten, und relativierte auf diese Weise die Bedeutung des Majestätsbriefs als Instrument stabiler und toleranter Beziehungen zwischen Utraquisten, Lutheranern und Böhmischen Brüdern.78 An der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert kam es in der tschechischen Historiographie zu einem bedeutenden Wandel, da eine neue und in der Frühneuzeitforschung vielköpfige Historikergeneration antrat. Viele Historiker wandten sich neuen Interpretationsansätzen, etwa der Historischen Anthropologie und der Mikrogeschichte, zu. Diese methodische Wende hatte weitreichende Folgen für die Forschung zu den Anfängen der Neuzeit. Sie wirkte sich jedoch auch auf solche Themen wie den Majestätsbrief aus. Während die tschechische Historiographie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eindeutig zu Fragen der konfessionellen Entwicklung Böhmens vor der Schlacht am Weißen Berg tendiert hatte, fanden die meisten Historiker der Nachkriegsjahrzehnte nur wenig Interesse an diesem Thema. Zu einer Neubetrachtung des Majestätsbriefs trug insbesondere die Forschung zur politischen Kommunikation in den Arbeiten Zdeněk Vybírals bei. Die Dekonstruktion älterer Arbeiten und eine neue Lesart der Quellen lieferten vorzugsweise Erkenntnisse zum Konkurrenzverhalten der verschiedenen Parteien, zum Informationsaustausch, zu den Verhandlungspraktiken, zu den Sanktionsmöglichkeiten und zur Lösung der Konflikte, die sich um 1609 abspielten.79 Auf die Einordnung des Majestätsbriefs in breitere geschichtliche Zusammenhänge hatten diese Forschungsergebnisse keine Auswirkungen. Stattdessen hoben sie die problematischen Passagen dieses Dokuments hervor, die die habsburgische Politik nicht ernst nahm und nicht einmal den Protestanten bei der Verteidigung gegen spätere katholische Provokationen genügen sollten.80 Ein Teil der neueren tschechischen Geschichtsschreibung sieht einen Widerspruch zwischen den Intentionen der Verfechter des Majestätsbriefs und seinen tatsächlichen Folgen. Einige Forscher, wie z. B. Marie Koldinská, die anlässlich des Jahrestages einen Artikel verfasst hatte, betonen, dass es sich um einen „nahezu 78 79
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daVid, Zdeněk V.: Finding the Middle Way. The Utraquists’ Liberal Challenge to Rome and Luther. Washington-Baltimore-London 2003, 304–346. vyBíral, Zdeněk: Politická komunikace aristokratické společnosti českých zemí na počátku novověku [Die politische Kommunikation der aristokratischen Gesellschaft der böhmischen Länder zu Beginn der Neuzeit]. České Budějovice 2005, 171–176. – Zur dynastischen Krise der Habsburger in der Entstehungszeit des Majestätsbriefs veranstaltete die Südböhmische Universität in Böhmisch Budweis (Jihočeská univerzita v Českých Budějovicích) in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine internationale Konferenz, zu der folgende Publikation erschien: Ein Bruderzwist im Hause Habsburg (1608–1611). Hg. v. Václav Bůžek. České Budějovice 2010. Bůžek, Václav u. a.: Věk urozených. Šlechta v českých zemích na prahu novověku [Das Zeitalter der Adeligen. Der Adel in den böhmischen Ländern an der Schwelle zur Neuzeit]. PrahaLitomyšl 2002, 154.
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revolutionären Akt im Bereich der religiösen Toleranz“ und zugleich um den Epilog des langen Zusammenlebens der unterschiedlichen Konfessionen gehandelt habe. Koldinská versuchte, den Majestätsbrief in einen breiteren Kontext einzuordnen, und sah in ihm den Bestandteil eines idealisierten Bildes der rudolfinischen Zeit, das ihn als „Anfang ihres unabwendbaren Endes“ erscheinen ließ.81 Diese Interpretation bedeutete aber zwangsläufig eine gewisse Engführung, da sie sich hauptsächlich auf das Verhältnis zwischen dem Majestätsbrief und Rudolf II. konzentriert –, der die Entstehung des Majestätsbriefs nicht aktiv betrieb bzw. sogar Widerstand leistete. Es gab jedoch sehr viel mehr Akteure auf der historischen Bühne und gerade die Anderen, das heißt die Mehrheit der Ständegesellschaft und besonders die radikalen Vertreter der protestantischen Opposition, spielten eine entscheidende Rolle. Angemessener wäre daher die Einbettung in langfristige religiöse und politische Entwicklungen der tschechischen Gesellschaft. Um einen solchen Ansatz bemühten sich in komplexer Form die Autoren von zwei populärwissenschaftlichen Büchern, die anlässlich des 400. Jahrestags des Majestätsbriefs erschienen. Während Jaroslav Čechura die Landtagsverhandlungen der Jahre 1609–1610 schilderte und damit den Majestätsbrief in den Kontext des Wandels, der Taktik und der symbolischen Repräsentation der Ständeopposition stellte,82 thematisierte der Kirchenhistoriker Jiří Just die Verflechtung mit der langfristigen konfessionspolitischen Entwicklung in Böhmen.83 Er verfasste eine komplexe Studie über den Majestätsbrief, die Umstände seiner Entstehung und seine Bedeutung. Just erkannte die sozialen und konfessionellen Ziele der Religionsfreiheit an, die der Majestätsbrief verankern wollte, und hielt sie zu Recht für „einen letzten Versuch, dem böhmischen Nichtkatholizismus durch die Betonung gemeinsamer Merkmale statt Unterschiede eine überkonfessionelle Dimension zu verleihen“.84 Die Grenzen des Gesetzes sah er nicht nur in einem engeren Toleranzverständnis, wie es etwa in Mähren herrschte, sondern auch in seinem temporären Charakter – es handelte sich nämlich nur um einen „zeitweiligen Erfolg der böhmischen Ständeopposition in ihrem politischen Kampf“.85 Der Autor balanciert kunstvoll zwischen dem Bewusstsein von der Eklektizität der Confessio Bohemica, die der Majestätsbrief legalisierte, und der Logik der gesellschaftlichen Entwicklung, die sich selbst zu Beginn des 17. Jahrhunderts nicht nach der präzisen theologischen Terminologie richtete. Der Theologe Jiří Just würde hier wohl die Deutlichkeit der zeitgenössischen Formulierungen bevorzugen, zeigt als Historiker 81 82
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koldiNská, Marie: Náboženská tolerance z nutnosti. Rudolfův Majestát jako epilog zlatého věku [Religiöse Toleranz aus Notwendigkeit. Rudolfs Majestätsbrief als Epilog des goldenen Zeitalters]. In: Dějiny a současnost 31/7 (2009), 30–33, bes. 33. Čechura, Jaroslav: 5.5.1609 – Zlom v nejdelším sněmu českých dějin. Generální zkouška stavovského povstání [5.5.1609 – Ein Wendepunkt im längsten Landtag der böhmischen Geschichte. Generalprobe für den Ständeaufstand]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 18). Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Rudolfs Majestätsbrief. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19). Ebd., 104. Ebd., 129.
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jedoch Sinn für die Realität der zwischenmenschlichen Beziehungen. Diese Betrachtung von zwei Seiten ermöglichte ihm nicht nur ein gut durchdachtes Urteil über den Majestätsbrief und seine Initiatoren sowie über deren Schwächen, sondern auch ein Verständnis für die allgemeinen Kennzeichen – „Licht und Schatten“ – der Religionsfreiheit in der Zeit konfessioneller Konflikte.86 Jiří Just verfasste eine populärwissenschaftliche Monographie, wie es übrigens auch Krofta 100 Jahre zuvor mit seiner kleinen Schrift tat. Unlängst konnten wir jedoch auch die Einordnung des Majestätsbriefs in eine umfangreiche Synthese der böhmischen Geschichte in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg erleben. Geschrieben wurde diese erste moderne Synthese jener Epoche (2005)87 von Petr Vorel, einem der vielseitigsten unter den jüngeren tschechischen Frühneuzeithistorikern. Fast zeitgleich arbeitete auch der österreichische Historiker Thomas Winkelbauer an seiner monumentalen Geschichte der Habsburgermonarchie (2003). Während Winkelbauer den „berühmten Majestätsbrief“ im breiten mitteleuropäischen Kontext nur knapp erwähnte und die soziale Dimension der Religionsfreiheit würdigte,88 konnte sich Vorel viel detaillierter auf dieses Dokument und die mit ihm verbundenen Ereignisse konzentrieren. Im Einklang mit seinem Konzept von der ersten und zweiten Krise der Habsburgermonarchie ordnete er den Majestätsbrief als Teil der „neuen Konfrontationspolitik“ ein, in der sich die allmähliche Konfessionalisierung des öffentlichen Lebens und die verschärften politischen Spannungen zu Beginn des 17. Jahrhunderts widerspiegelten. In Vorels Interpretation ist der Majestätsbrief ein „Dokument von außerordentlichem Gewicht [...], das mit seinen Gedanken einer allgemeinen religiösen Toleranz, die auch den Untertanen zugestanden wurde, das zeitgenössische Europa weit übertrifft“.89 Petr Vorel spickt seine Interpretation nicht mit scholastischen Definitionen und Verweisen auf die momentan beliebten methodischen Vorbilder und verzichtet auch auf den anbiedernden Tonfall, der in der zeitgenössischen tschechischen Historiographie so häufig anzutreffen ist. Er zeigt vielmehr die profunde Kenntnis der Quellen und der Literatur auf, wobei er seinen Worten einen klaren distinktiven Sinn verleiht. Auch aus diesem Grund verwendet er nicht den gebräuchlichen, aber irreführenden Begriff „Majestätsbrief Rudolfs II.“, sondern spricht vom „Majestätsbrief über die 86
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Ähnlich wie Robert Evans in der oben zitierten Enzyklopädie – eVaNs (wie Anm. 74), 420 – ist auch Jiří Just die Problematik der Zuschreibung wie auch des Wortes Majestätsbrief bewusst, denn der Kaiser „war in Wirklichkeit eher eine Randfigur des Geschehens, die häufig nur passiv dem schwindelerregenden Lauf der Zeit zusah“. Just (wie Anm. 83), 129. Zuletzt erschien ein Überblick über die Geschichte der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg aus der Feder von Jaroslav Čechura; dieser wertet den Majestätsbrief als „grundsätzliches Dokument, das eine sehr breite Religionsfreiheit garantierte, die ihrem Umfang nach zumindest in Mitteleuropa nicht ihresgleichen besaß“. – Čechura, Jaroslav: České země v letech 1584–1620. První Habsburkové na českém trůně [Die böhmischen Länder 1584–1620. Die ersten Habsburger auf dem böhmischen Thron]. Bd. 2. Praha 2009 [2010], 96. WiNkelBauer, Thomas: Österreichische Geschichte 1522–1699. Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter. Bd. 2. Wien 2003, 26. Vorel, Petr: Velké dějiny zemí Koruny české [Große Geschichte der Länder der Böhmischen Krone]. Bd. 7: 1526–1618. Praha-Litomyšl 2005, 411f.
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Religionsfreiheit“, den Rudolf II. erlassen hatte. Er lehnt die Vorstellung eines wohlwollenden und toleranten Kaisers ab und betont stattdessen, dass es sich um ein „ultimativ erzwungenes Privileg“ gehandelt habe, ein „Werk sehr viel umsichtigerer und intelligenterer Politiker“, das in den letzten Jahren des Ständestaates zu einem „normativen Schlüsseltext“ geworden sei. Die Bedeutung dieses Gesetzes sieht er darin, dass es sich um den letzten Versuch gehandelt habe, das Zusammenleben verschiedener religiöser Strömungen zu regulieren und das Ende der Konfessionalisierung – sei sie katholisch, calvinistisch oder lutherisch – zu verhindern. Der Majestätsbrief wird hier nicht als ein Akt eingeschätzt, der die Beziehungen zwischen den Konfessionsgemeinschaften belastete, sondern als ein Aufruf zum Zusammenleben und als eine Chance, einen europäischen Krieg zwischen den konfessionspolitischen Lagern zu verhindern. Vorels Interpretation ist offen gegenüber Überlegungen zur Dynamik und alternativen Entwicklungsmodellen der Geschichte. Sie eröffnet kritische und zugleich positive Perspektiven nicht nur im Hinblick auf den Majestätsbrief, sondern auf die gesamte böhmische Geschichte der Frühen Neuzeit. Der Majestätsbrief wird hier zum würdigen Abschluss des langen Weges zu einer Koexistenz – der Autor betrachtet ihn also nicht nur aus Sicht der ein für alle Mal vergangenen Geschichte, wie es die „gut informierten“ Historiker im Rückblick gewöhnlich tun, sondern auch aus der Sicht derjenigen, die vor vier Jahrhunderten in ihrem Denken und öffentlichen Handeln Auswege aus dem Labyrinth suchten. Die Bewertung des Majestätsbriefs war und ist auf jeden Fall untrennbar mit der Entstehungszeit der Studie sowie der Weltanschauung des jeweiligen Historikers verbunden. Die konfessionspolitische Problematik hatte für den Menschen der Frühen Neuzeit und hat in gewisser Weise auch für den Historiker von heute eine stark ethische Dimension und spiegelt die Beziehung des wertenden Geschichtsschreibers zum Staat, zur Freiheit oder zur Religion wider. Historiker, die der Autorität des Staates und seinem Recht, über den Bürger und dessen Freiheiten zu entscheiden, den Vorzug geben, neigten in der Regel auch in der Frage des konfessionellen Absolutismus und der daraus folgenden Disziplinierung der Seite der Staatsmacht zu. Wer jedoch die Gewissensfreiheit bevorzugte, lehnte das Recht des Staates auf Zwang gegenüber den Ständen oder den Untertanen in Glaubensfragen ab. Dieser grundsätzliche Widerspruch durchzieht die böhmische Geschichte seit dem 15. Jahrhundert und prägt auch die neuzeitliche tschechische Historiographie. Die hier vorgenommene Analyse der Geschichtsschreibung zwischen der Mitte des 19. und dem Anfang des 21. Jahrhunderts kann helfen, eine Antwort auf die Frage nach der historischen Dimension des Majestätsbriefs zu finden, die sich im Titel der Konferenz verbirgt, für die dieser Beitrag entstand – „Der Majestätsbrief Rudolfs II. von 1609 – ein Meilenstein in der Geschichte Europas?“ Wenn wir den Meilenstein im ursprünglichen Sinn verstehen, nämlich als Stein, der den zurückgelegten Weg bezeichnet, dann war der Majestätsbrief tatsächlich ein Meilenstein, da er anzeigte, wohin die Bemühungen um ein überkonfessionelles Zusammenleben seit den Anfängen der hussitischen Revolution bis zur Schwelle des Dreißigjährigen Krieges gelangt waren. Von einer europäischen Dimension lässt sich jedoch nur sprechen, wenn wir bedenken, dass der Majestätsbrief zur Überwindung der
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langen Religionskonflikte und kriege führen sollte. In diesem Sinne handelte es sich um einen großen Moment in der Geschichte der europäischen Toleranz. Leider jedoch nur um einen „Moment“, denn der europäische Widerhall der Ereignisse hielt nur kurze Zeit an, und auch in Böhmen selbst hatten die Bestimmungen des Majestätsbriefs nicht lange Gültigkeit. In der Geschichte Europas ist er allerdings kein Meilenstein gewesen, da er lediglich den Abschluss einer auf Böhmen beschränkten Entwicklung bildete; es war also kein Ereignis von europäischer Tragweite. Bedeutung für Europa hätte der Majestätsbrief nur durch eine Umgestaltung Mitteleuropas nach dem Prinzip der 1619 geschlossenen Confoederatio Bohemica erlangen können.90 Das schnelle Scheitern dieses kühnen Projekts, das den Majestätsbrief zu einem seiner juristischen Ausgangspunkte erklärte, hatte zur Folge, dass der Majestätsbrief die Entwicklung Europas kaum beeinflusste und nur zu einem komparatistisch erfassbaren Thema der Historiographie wurde.
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Näher dazu PáNek, Jaroslav: Mitteleuropa in den politischen Vorstellungen der böhmischen Aristokratie in der frühen Neuzeit: Von der antiosmanischen Allianz zur evangelischen Konföderation. In: Anzeiger der philosophisch-historischen Klasse (Österreichische Akademie der Wissenschaften) 137 (2002), 133–146.
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Religionsfrieden als Gegenstand der Erinnerungskultur: ein Vergleich zwischen Böhmen, Polen-Litauen und dem Alten Reich Uwe Liszkowski zum 70. Geburtstag Armin Kohnles Feststellung, dass die Frühe Neuzeit eine Epoche religiös motivierter Gewalt, gleichzeitig aber auch „ein Laboratorium für die Erprobung von Friedensrezepten“1 gewesen sei, ist zunächst eine Aussage, die vor allem die konfessionellen Konflikte in Mittel und Westeuropa zum Maßstab nimmt. Sie gilt jedoch ebenfalls für das frühneuzeitliche, konfessionell heterogene Ostmitteleuropa. Im Königreich Polen-Litauen bzw. im Königreich Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren gab es bereits ausgangs des Mittelalters, das heißt früher als im Alten Reich, konfessionelle Separierungsbestrebungen, die das Aushandeln von Bedingungen für ein Nebeneinander mehrerer Konfessionen erforderten.2 Zumeist existierten neben praktischen Arrangements auch solche auf normativer Ebene: Schriftlich fixierte Religionsfrieden regelten die interkonfessionellen Beziehungen. Sie waren nicht nur Garant für die Akzeptanz verschiedener Konfessionen, sondern sicherten auch den politischen und sozialen Frieden in einem Territorium.3 Wenn jedoch religiöse Konfliktarrangements für den Fortbestand von Staaten, Gesellschaften und Glaubensgruppen von einer solchen fundamentalen Bedeutung gewesen sind,4 kann man zu Recht vermuten, dass sie einen gewichtigen Platz in der Erinnerungskultur der betreffenden Länder bzw. Nationen einnehmen. 1
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koHNle, Armin: Konfliktbereinigung und Gewaltprävention: Die europäischen Religionsfrieden in der frühen Neuzeit. In: Das Friedenspotential von Religion. Hg. v. Irene diNgel und Christiane tietz. Göttingen 2009 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 81), 1–19, hier 1. Zu Ostmitteleuropa jüngst: eBerHard, Winfried: Toleranz und Religionsfreiheit im 15.–17. Jahrhundert in Mitteleuropa. Probleme und Prozesse. In: Bruncvík a víla. Přemýšlení o kulturní a politické identitě Evropy – Bruncwik und die Nymphe. Überlegungen zur kulturellen und politischen Identität Europas. Hg. v. Petr hlaváČek. Praha 2010 (Europeana Pragensia 2), 55– 72. – müller, Michael G.: Toleranz vor der Toleranz. Konfessionelle Kohabitation und Religionsfrieden im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. In: Kommunikation durch symbolische Akte. Religiöse Heterogenität und politische Herrschaft in Polen-Litauen. Hg. v. Yvonne kleiNmaNN. Stuttgart 2010 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 35), 59–75. Zur Intention der Religionsfriedensregelungen BroCkmaNN, Thomas: Die frühneuzeitlichen Religionsfrieden – Normhorizont, Instrumentarium und Probleme in vergleichender Perspektive. In: Lʼart de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens. Hg. v. Christoph kamPmaNN u. a. Münster 2011 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 34), 575–611. Hierzu jüngst die Beiträge in: Reden und Schweigen über religiöse Differenz. Tolerieren in
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Die in diesem Beitrag miteinander zu vergleichenden Religionsfrieden sind im Alten Reich der Augsburger Religionsfrieden von 15555, in Polen-Litauen die Warschauer Konföderationsakte aus dem Jahr 15736 sowie in Böhmen der Majestätsbrief von 16097. Ziel dieses Beitrags wird sein, nach dem Stellenwert der drei Vereinbarungen im kollektiven Gedächtnis8 der jeweiligen Gesellschaft zu fragen sowie mögliche Diskrepanzen aufzuspüren und zumindest ansatzweise zu klären. Je länger einer der genannten Religionsfrieden Bestand hatte, desto größer, so die Annahme, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er Spuren im kollektiven Gedächtnis der jeweiligen Nation hinterlassen hat. Die sehr knappe Materialbasis sowie die vergleichsweise überschaubare Forschungsliteratur über die Warschauer Konföderationsakte9 und über den Böhmischen Majestätsbrief10 erleichtern die Verifikation der gewonnenen Eindrücke nicht und mögen an manchen Stellen auch mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben. Insofern sind die folgenden Ausführungen eher als Thesen, denn als gefestigte Ergebnisse zu verstehen. Der Augsburger Religionsfrieden vom 25. September 1555 wurde zwischen dem Bruder Kaiser Karls V., Ferdinand I., und den Reichsständen ausgehandelt. Er ermöglichte Katholiken und Lutheranern die freie Ausübung ihres Glaubens sowie den Erhalt ihrer Besitztümer. Des Weiteren sicherte der Augsburger Religionsfrieden den beteiligten Reichsständen den Landfrieden zu.11 Die Reichsstände konn-
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epochenübergreifender Perspektive. Hg. v. Dietlind HüCHtker, Yvonne kleiNmaNN und Martina tHomseN. Göttingen 2013. Text in: zeumer, Karl: Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung. Bd. 2: Von Maximilian I. bis 1806. Tübingen ²1913 [11904] (Quellensammlungen zum Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht 2/2), 341–370. Text in: Polish democratic thought from the renaissance to the great emigration: essays and documents. Hg. v. M. B. BiskuPski und James S. Pula. Boulder-New York 1990 (East European Monographs 289), 131–136; Konfederacja warszawska 1573 roku wielka karta polskiej tolerancji [Die Warschauer Konföderation als ein großer Akt polnischer Toleranz]. Hg. v. Mirosław korolko und Janusz tazBir. Warszawa 1980. Text in: giNdely, Anton: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätsbriefes von 1609. Prag 1858, 182–189. – krofta, Kamil: Majestát Rudolfa II. [Der Majestätsbrief Rudolfs II.]. Praha 1909, 34–39. Zu diesem Begriff soll der Hinweis auf folgendes Standardwerk genügen: HalBWaCHs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt am Main 1991. Immer noch grundlegend: sCHramm, Gottfried: Ein Meilenstein der Glaubensfreiheit. Der Stand der Forschung über Ursprung und Schicksal der Warschauer Konföderation von 1573. In: Zeitschrift für Ostforschung 24 (1975), 711–736. Jüngst: Just, Jiří: 9.7.1609 – Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody [9.7.1609 – Der Majestätsbrief Rudolfs II. Licht und Schatten der Religionsfreiheit]. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19). – PáNek, Jaroslav: Majestát z roku 1609 jako téma novodobé české historiografie [Der Majestätsbrief aus dem Jahr 1609 als Thema der modernen tschechischen Historiographie]. In: Český časopis historický 108 (2010), 220–243. „Und damit solcher Fried auch der spaltigen Religion halben […] erhalten werden möge, so sollen die Kayserl. Maj., Wir, auch Churfürsten, Fürsten und Stände des H. Reichs keinen Stand des Reichs von wegen der Augspurgischen Confession und derselbigen Lehr, Religion und Glaubens halb mit der That gewaltiger Weiß überziehen, beschädigen, vergewaltigen oder in andere Wege wider sein Conscientz, Gewissen und Willen von dieser Augspurgischen ConfessionsReligion, Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Ceremonien […] in ihren
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ten die Religion ihres Territoriums frei bestimmen (Ius reformandi), weshalb der Augsburger Religionsfrieden den Untertanen, die einen anderen Glauben pflegten, das Recht zur Abwanderung gewährte (Ius emigrandi). Der Westfälische Frieden vom 24. Oktober 1648, der die Beziehungen zwischen Katholiken und Protestanten neu regelte, bestätigte die Augsburger Vereinbarungen und sicherte als Reichsgrundgesetz langfristig die Existenz des Protestantismus im Alten Reich.12 In Polen-Litauen war die am 28. Januar 1573 besiegelte Warschauer Konföderationsakte (Konfederacja warszawska) das zentrale Dokument, das die Frage der Religionsfreiheit und des Friedens im Königreich zu regeln versuchte. In nur einem einzigen Artikel verpflichteten sich die Adeligen, den religiösen Frieden untereinander zu wahren. Katholiken und den dissidentes de religione, das heißt den Anhängern der reformatorischen Bekenntnisse: Lutheraner, Calvinisten, Böhmische Brüder und Unitarier,13 war die freie Religionsausübung gestattet. Zugleich erklärten alle Vertragsparteien, Widerstand gegen mögliche Repressalien durch andere Religionen zu leisten.14 Von einer umfassenden Religionsfreiheit konnte allerdings nicht die Rede sein, da sich die Vereinbarung einerseits auf Angehörige des Adels beschränkte und andererseits alle nichtchristlichen Bekenntnisse ausgeschlossen blieben. Ebenso blieb die katholische Exklusivität auf geistlichen Gütern erhalten. Noch im selben Jahr bestätigte der Thronprätendent Henri de Valois in den Articuli Henriciani15 alle Rechte und Privilegien des Adels und damit auch den Inhalt der Warschauer Konföderationsakte. Da bei der Krönung jeder neue König einen Eid auf die Articuli Henriciani leisten musste, bedeutete dies, dass auch die in der Konföderationsakte gewährte Glaubensfreiheit erneut bestätigt wurde. Die Dritte Teilung 1795 beseitigte den souveränen polnisch-litauischen Staat, so dass kein Monarch mehr zur Eidesleistung verpflichtet war. Der am 9. Juli 1609 von Kaiser Rudolf II. unterzeichnete Majestätsbrief, der wenige Tage später als Schlesischer Majestätsbrief auch im Herzogtum Schlesien erlassen wurde, unterschied sich von den anderen beiden Dokumenten zunächst insofern, als er nicht der erste Religionsfrieden in Böhmen gewesen ist. Mit dem Kuttenberger Religionsfrieden von 148516 stand ihm bereits ein Vorbild zur Seite,
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Fürstenthumen, Landen und Herrschafften tringen oder durch Mandat oder in einiger anderer Gestalt beschweren oder verachten […].“ § 15 in: zeumer (wie Anm. 5), 344. Art. V § 1 in: Ebd., 403. In der Warschauer Konföderationsakte werden die dissidentes de religione nicht näher spezifiziert. Dass es sich hierbei um die am 1570 zustande gekommenen Consensus Sendomiriensis beteiligten protestantischen Glaubensrichtungen gehandelt habe, ist gängige Forschungsmeinung. S. etwa sCHramm (wie Anm. 9), 729. – salmoNoWiCz, Stanisław: Konfederacja warszawska 1573 [Die Warschauer Konföderation 1573]. Warszawa 1985, 23–29. – augustyNiak, Urszula: Historia Polski 1572–1795 [Geschichte Polens 1572–1795]. Warszawa 2008, 171. − Umstritten ist, ob auch die Orthodoxen einbezogen gewesen sind. Schramm spricht angesichts der Unterzeichner von einem „Erfolg des kleinpolnischen Protestantismus“. sCHramm, Gottfried: Der polnische Adel und die Reformation 1548–1607. Wiesbaden 1965 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 36), 262. Art. V/4 in: korolko/tazBir (wie Anm. 6), Beilage. Text in: BiskuPski/Pula (wie Anm. 6), 139–155. Vgl. hierzu eBerHard, Winfried: Entstehungsbedingungen für öffentliche Toleranz am Beispiel des Kuttenberger Religionsfriedens von 1485. In: Communio Viatorum 29 (1986), 129–154.
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das Katholiken und Utraquisten die gleichen Rechte hinsichtlich ihrer Religionsausübung und die Konversion zur jeweils anderen Konfession gewährt hatte. Weitere Unterschiede bestanden darin, dass die durch ihn verbriefte Religionsfreiheit nicht, wie im polnischen Fall, auf den Adel beschränkt blieb und dass die konfessionelle Zugehörigkeit der Untertanen nicht, wie der Augsburger Religionsfrieden festschrieb, vom Bekenntnis des jeweiligen Territorialherrn abhängig war. Das im Alten Reich gültige Prinzip cuius regio, eius religio galt in den böhmischen Ländern nicht, so dass auch die Untertanen ihre Religion individuell und frei wählen konnten. Die im Majestätsbrief gewährte Glaubensfreiheit machte selbst vor den königlichen Städten und Gütern nicht Halt.17 Allerdings währten diese Privilegien nicht lange, da nach der Niederlage der böhmischen Stände in der Schlacht am Weißen Berg am 8. November 1620 der Majestätsbrief seine Gültigkeit verlor und Kaiser Ferdinand II. die Rekatholisierung Böhmens einleitete. In Erfolg und Dauer wichen die genannten Religionsvereinbarungen also stark voneinander ab. Ihnen allen lag jedoch dieselbe Absicht zu Grunde: sie sollten einen friedensbedrohenden und die Existenz des Staates in Frage stellenden Konflikt vermeiden oder beenden. Zu den Gemeinsamkeiten gehört auch, dass sie in einer für den jeweiligen (katholischen) Herrscher politisch instabilen Phase geschlossen wurden: Im Alten Reich profitierten die protestantischen Stände von den ständigen Unruhen und militärischen Konflikten mit der katholischen Partei, die 1546/47 zum Schmalkaldischen Krieg geführt hatten. In Polen-Litauen spielte das Interregnum und die Gefahr eines Religionskonflikts unter einem französischen König den Adeligen in die Hände und die böhmischen Stände, die sich bereits unter der Leitung des Direktoriums militärisch formiert hatten, wussten den Bruderzwist zwischen Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias geschickt für ihre Belange zu nutzen. Nicht selten wurden solche Vereinbarungen mit einer zeitlichen Befristung abgeschlossen, weil zumindest eine der Vertragsparteien, in der Regel die katholische, an die Überwindung der Religionsspaltung glaubte.18 In unserem Fall räumten sowohl der Augsburger Religionsfrieden als auch der Böhmische Majestätsbrief die Möglichkeit einer späteren Einigung der beteiligten Glaubensgruppen ein,19 aber
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„Und weil in vielen Unsern königlichen, auch Ihrer Majestät der Kaiserin Städten, als Königin von Böhmen, beide Religionsparteien Katholiken wie Utraquisten beisammen wohnen, so wollen und befehlen Wir insbesondere, daß zu Erhaltung der Liebe und Eintracht, jede Partei ihre Religion frei und uneingeschränkt ausübe, sich von ihrer eigenen Geistlichkeiten leiten und dirigiren lasse, und kein Theil dem andern in seiner Religion und deren Gebräuchen etwas vorschreibe, noch die Ausübung der Religion, Beerdigung der Leichen in Kirchen und Kirchhöfen oder das Geläute verwehre.“ Art. 3 in: giNdely (wie Anm. 7), 187. Wolgast, Eike: Religionsfrieden als politisches Problem der frühen Neuzeit. In: Historische Zeitschrift 282 (2006), 59–96, hier 60 f. Die zeitliche Befristung im Augsburger Religionsfrieden lautet: „[…] biß zu endlicher Vergleichung der Religion und GlaubensSachen […].“ § 25 in: zeumer (wie Anm. 5), 347. − Der Böhmische Majestätsbrief erlaubte den Anhängern der Confessio Bohemica die freie Religionsausübung „biß zur christlichen vollkommenen allgemeinen Vergleichung über die Religion im heiligen Römischen Reiche“. Art. 1 in: giNdely (wie Anm. 7), 186.
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sie konnten die Separierung in verschiedene Konfessionen genauso wenig aufhalten wie die Warschauer Konföderationsakte, die keine zeitliche Befristung enthielt.20 Eine Folge der Trennung in Katholiken und Protestanten war der Versuch, eigene Traditionslinien zu konstruieren. Durch die Konkurrenz beider Glaubensrichtungen entwickelte sich das Jubiläum, das der Inszenierung ihrer Gründungsgeschichte diente und auf diese Weise identitätsstiftend wirken sollte.21 Häufig konkurrierten katholische und protestantische Jubiläen miteinander, teilweise gab es Erinnerungsorte22, die von beiden Seiten beansprucht wurden und die zu miteinander konkurrierenden „Gegenjubiläen“ führten, wie z. B. der Westfälische Frieden. Mit der Entstehung eines Nationalbewusstseins während des 19. Jahrhunderts erlebte die religiöse Jubiläumskultur in den hier behandelten Staaten einen starken Aufschwung. Die meisten Hinweise auf eine ausgeprägte Erinnerungskultur finden sich für den Augsburger Religionsfrieden. Er war für die protestantischen Territorien des Alten Reichs von zentraler Bedeutung. Luthers Thesenanschlag im Jahr 1517, die Confessio Augustana von 1530 sowie der Augsburger Religionsfrieden bildeten die sogenannte „Memorial-Trias“ und sind Bestandteile des protestantischen Gründungsmythos. Später wurde diese Traditionslinie um den Westfälischen Frieden erweitert. Bereits um 1600 entwickelte sich eine protestantische Jubiläumskultur, die einen Zusammenhang zwischen den Ereignissen der Jahre 1517, 1530 und 1555 herstellte. Zeitgenössische Festpredigten aus dem Jahr 1655 zogen sowohl eine inhaltliche als auch eine gestalterische Verbindung zu den Jubiläen von 1617 und 1630. In den großen Städten Sachsens und Thüringens sowie in einigen großen Reichsstädten, wie z. B. Augsburg und Nürnberg, fanden 1655 Jubelpredigten und Jubelreden statt. Auch die Feierlichkeiten von 1755 zum 200-jährigen Jubiläum ähnelten dem Vorbild, nur mit dem Unterschied, dass nun auch der Westfälische Frieden eingebunden wurde. Die Festveranstaltungen erstreckten sich zu diesem Zeitpunkt auf annähernd 350 Orte im Alten Reich sowie einige deutsche Gemeinden im europäischen Ausland.23 Unter anderen Vorzeichen standen die Feierlichkeiten zum 300-jährigen Jubiläum im Jahr 1855, denn der Westfälische Frieden, und mit ihm die Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens, hatten durch die Auflösung des Alten Reichs im Jahr 1806 – wie auch alle übrigen Reichsgrundgesetze – ihre Berechtigung verloren. Dennoch fanden in einigen protestantischen Ländern des Deutschen Bundes 20 21 22 23
In der Warschauer Konföderationsakte bekräftigten die polnischen Adeligen, den Frieden zwischen den Religionsparteien für immer erhalten zu wollen. Art. V/1 in: korolko/tazBir (wie Anm. 6), Beilage. müller, Winfried: Vom ,papistischen Jubeljahrʼ zum historischen Jubiläum. In: Jubiläum, Jubiläum … Zur Geschichte öffentlicher und privater Erinnerung. Hg. v. Paul müNCH. Essen 2005, 29–44, hier 29. An dieser Stelle sei aus der Fülle an Literatur über Erinnerungsorte lediglich auf folgende Schriften verwiesen: Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Frankfurt am Main 1998. – Les lieux de mémoire. 7 Bde. Hg. v. dems. Paris 1984–1992. römmelt, Stefan W.: Erinnerungsbrüche. Die Jubiläen des Augsburger Religionsfriedens von 1655 bis 1955. In: Als Frieden möglich war. 450 Jahre Religionsfrieden. Hg. v. Carl A. HoffmaNN u. a. Augsburg 2004, 258–270, hier 260.
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öffentliche Gedenkfeiern statt, hauptsächlich in Sachsen, Thüringen und Württemberg. Der konfessionelle Gegensatz war allenthalben zu spüren: Die umfangreiche protestantische Jubiläumsliteratur24 war stärker als zuvor von einer scharfen antikatholischen Polemik bestimmt, und die katholische Presse polemisierte ihrerseits gegen den Augsburger Religionsfrieden.25 Mehr denn je bemühte sich die katholische Kirche um eine eigene Festkultur, in deren Mittelpunkt der Bonifatius-Kult26 stand. Eine Ausnahme bildet daher eine Meldung in der in Augsburg erscheinenden überregionalen Allgemeinen Zeitung vom 29. September 1855, in der von einer Gedenkfeier in Prag die Rede war, die neben Protestanten auch Katholiken und Juden besucht hatten.27 Das letzte, große Jubiläum im Jahr 1955 hatte dagegen nur noch lokalen Charakter und blieb auf Bayern und Baden-Württemberg begrenzt. Die Diskrepanz in der Bewertung des Religionsfriedens wirkte hingegen bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts nach, als selbst Papst Pius XII. die konfessionelle Spaltung Deutschlands durch den „sogenannten Augsburger Religionsfrieden“28 als schwerwiegendes Verhängnis für das christliche Europa bezeichnete. Unter anderen Vorzeichen standen 2005 die Feierlichkeiten zum 450-jährigen Jubiläum, die von der evangelischen und der katholischen Kirche in Deutschland gemeinsam begangen wurden und Ausdruck der Ökumene waren. In zeitlicher Nähe fanden mehrere Tagungen statt, diverse Monographien und Sammelbände erschienen,29 und die Deutsche 24
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Vgl. etwa PetermaNN, K[arl] G[ottlieb]: Der Augsburger Religionsfriede. Eine Festgabe für die evangelische Schuljugend Deutschlands zur dreihundertjährigen Jubelfeier den 25. September 1855. Dresden 41855; Der Augsburger Religionsfriede vom 25. Sept. 1555: der Grundpfeiler der Freiheit und Sicherheit der evangelischen Kirche in Deutschland nach seinen Ursachen und Folgen. Zur belehrenden und erbauenden Vorbereitung auf dessen 300jährige Jubelfeier 1855. Leipzig 1855. Zugleich mehrten sich jedoch auch in Reihen der protestantischen Historikerzunft Stimmen, die den Augsburger Religionsfrieden als einen „Schmachfrieden“ bezeichneten, weil er die deutsche Nation „zersplittert“ habe. Vgl. gottHard, Axel: Der Augsburger Religionsfrieden. Münster 2005 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 148), 625 f. Hierzu jüngst sCHolz, Stephan/JaNus, Eligiusz: Heiliger Bonifatius und Heiliger Adalbert: Vom Märtyrertod zum Symbol der europäischen Einigung. In: Deutsch-Polnische Erinnerungsorte. Bd. 3: Parallelen. Hg. v. Hans Henning HaHN und Robert traBa. Paderborn 2012, 128– 146. „[Am 23. September 1855] wurde auch in der hiesigen protestantischen Kirche, die im reichen Schmucke, wie vordem wohl nie, prangte, das Jubel- und Dankfest der Augsburger Confessionsgenossen in erhebender Weise gefeiert. Zeugte die Abhaltung der Feier überhaupt von der Maxime ächt christlicher Duldung, welche die glorreiche Regierung Franz Josephs auch in dieser Richtung auszeichnet, so mußte jeden ächten Anhänger der Lehre […] die allgemeine Betheiligung an dieser Feier höchst wohltuend berühren. Denn außer den zahlreichen versammelten Confessionsgenossen war das Gotteshaus auch von Katholiken und Isrealiten verschiedensten Alters und Standes überfüllt, und Hunderte hatten außerdem versucht, diesem erhebenden Freudenfest ihrer Mitbürger beizuwohnen, mußten aber am Eingang wegen Mangel an Raum umkehren. Es ist ein Beweis mehr, wie nunmehr auch in dem verschrieenen Oesterreich jeder nach den Worten des großen Friedrich ‚jeder nach seiner Façon‘ selig werden kann.“ Allgemeine Zeitung (Augsburg/Stuttgart), 29.09.1855, Nr. 272, 4349 f. Zit. nach römmelt (wie Anm. 23), 266. gottHard (wie Anm. 25); Als Frieden möglich war. 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden.
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Post gab eine Sonderbriefmarke heraus. 2005 wurde entgegen sonstiger Gepflogenheiten das alljährliche Augsburger Friedensfest am 8. August, das an den Westfälischen Frieden erinnern soll, mit den Feiern zum 450-jährigen Jubiläum des Augsburger Religionsfriedens zusammengelegt. Nur wenig ist über die Rezeptionsgeschichte der Warschauer Konföderationsakte bekannt, obwohl sie als eines der zentralen Verfassungsdokumente der Adelsrepublik Polen-Litauen gilt. Der Religionsartikel wurde, wenngleich er nicht alle nichtkatholischen Bekenntnisse, besonders nicht die Gesamtheit aller protestantischen Gläubigen einschloss, zu einem wesentlichen Bestandteil des Mythos von der toleranten Adelsrepublik.30 In einer Zeit, in der in anderen Ländern Europas die Rekatholisierung voranschritt, war im – wie insbesondere katholische Zeitgenossen Polen-Litauen nannten – Paradisus Hereticorum für viele Protestanten noch ein relativ unbehelligtes Leben möglich. Janusz Tazbir prägte für diese Zeit das Schlagwort Państwo bez stosów (Staat ohne Scheiterhaufen).31 Neuere Forschungen können inzwischen eine früher als bisher angenommen einsetzende Gegenreformation belegen.32 Feierlichkeiten zu Ehren der Warschauer Konföderationsakte sind nicht bekannt – den politischen Privilegien des Adels sowie Frieden und Sicherheit wurde offenbar mehr Aufmerksamkeit geschenkt.33 In der zeitgenössischen Publizistik, besonders im europäischen Ausland, ist allerdings ausgiebig über das „Toleranzedikt“ debattiert worden.34 Nach der Wahl des letzten Königs der Adelsrepublik PolenLitauen, Stanisław August Poniatowski, im Jahr 1764 verloren alle wesentlichen Verfassungsdokumente, auch die Warschauer Konföderationsakte und die Articuli Henriciani, ihre Bedeutung. Die populäre, jedoch nie dauerhaft zur Geltung gelangte Maiverfassung aus dem Jahr 1791 weitete die Religi-
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Hg. v. Carl A. HoffmaNN u. a. Regensburg 2005; Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Hg. v. Heinz sCHilliNg und Heribert smoliNsky. Münster 2007 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 150). S. hierzu tazBir, Janusz: Geschichte der polnischen Toleranz. Warszawa 1977. − Zur Bedeutung des Religionsartikels zuletzt: Preusse, Christian: Die Warschauer Konföderation von 1573 und die Ausdifferenzierung von Politik und Religion im frühneuzeitlichen Europa. In: Themenportal Europäische Geschichte (2011), URL: http://www.europa.clio-online.de/2011/ article=505 (Zugriff: 01.03.2013). tazBir, Janusz: Państwo bez stosów. Szkice z dziejów tolerancji w Polsce XVI do XVII wieku [Staat ohne Scheiterhaufen. Ein Abriss zur Geschichte der Toleranz im Polen des 16. und 17. Jahrhunderts]. Warszawa 22009 [11967]. S. bes. kemPa, Tomasz: Wobec kontrreformacji. Protestanci i prawosławni w obronie swobód wyznaniowych w Rzeczypospolitej w końcu XVI i w pierwszej połowie XVII wieku [Im Angesicht der Gegenreformation. Die Verteidigung der Glaubensfreiheit durch Protestanten und Orthodoxe in Polen-Litauen am Ende des 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts]. Toruń 2007. friedriCH, Karin: Konfessionalisierung und politische Ideen in Polen-Litauen (1570–1650). In: Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Hg. v. Joachim BaHlCke und Arno stroHmeyer. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 249– 265, hier 249. S. hierzu tazBir, Janusz: Polskie i obce opinie o konfederacji warszawskiej [Polnische und ausländische Meinungen über die Warschauer Konföderation]. In: Odrodzenie in Reformacja w Polsce 19 (1974), 151–160.
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onsfreiheit auf alle in Polen-Litauen existierenden Bekenntnisse aus, bestätigte allerdings zugleich den Vorrang des katholischen Glaubens und stellte Konversionen zu anderen Konfessionen bzw. Religionen unter Strafe.35 Aus heutiger Sicht ist die Bedeutung der Warschauer Konföderationsakte so erheblich, dass das Dokument im Jahr 2003 in das Weltdokumentenerbe der UNESCO aufgenommen wurde.36 Dieser Akt war von einer Festveranstaltung im Warschauer Königsschloss begleitet, auf der namhafte Referenten das Dokument würdigten.37 Der Umstand, dass die Feierlichkeiten auf eine Initiative des polnischen Sejm zurückzuführen sind, macht jedoch deutlich, dass es in erster Linie als Verfassungsdokument und nicht als ein interkonfessionelles Arrangement gesehen wird. Auch der Böhmische Majestätsbrief hat in der Erinnerungskultur lange Zeit keine Rolle gespielt, denn weder für 1709 noch 1809 sind öffentliche Gedenkfeiern belegt. Erst das 300-jährige Jubiläum im Jahr 1909 wurde in kleinem Rahmen feierlich begangen. Am 25. Juni 1909 hielt der tschechische Historiker Kamil Krofta im Historický klub in Prag einen Vortrag, den er dem Majestätsbrief widmete. Diese Rede und der Originaltext des Majestätsbriefs wurden im Jubiläumsjahr zu einer Publikation vereinigt.38 In Schlesien erschien im gleichen Jahr eine Festschrift, die das Breslauer Stadtkonsistorium, das seine Existenz den Bestimmungen des Schlesischen Majestätsbriefs von 1609 verdankte, in Auftrag gegeben hatte.39 Umfangreiche Gedenkfeiern, wie sie für den Augsburger Religionsfrieden abgehalten wurden, fanden weder in Prag noch in Breslau statt. Entsprechende Presseberichte sind nicht bekannt.40 Auch fehlen Denkmäler, Gedenkmedaillen, Gemälde oder Publikationen, die dem Majestätsbrief gewidmet sind – von den zitierten Darstellungen Kroftas und Konrads abgesehen –, vollständig. Dies steht in einem völligen Missverhältnis zu den zahlreichen auf uns gekommenen Schrift und Bildquellen, die an den Augsburger Religionsfrieden erinnern.41
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Art. 1 in: Historia ustroju i prawa w Polsce do 1772/1795. Wybór źródeł [Geschichte der Verfassung und des Rechts in Polen bis 1772/1795. Eine Quellenauswahl]. Hg. v. Sławomir godek und Magdalena WilCzek-karCzeWska. Warszawa 2006, 222. − Die Verfassung für das Königreich Polen vom 15./27.11.1815 wiederum griff auf die Warschauer Konföderationsakte zurück, indem sie nur den christlichen Bekenntnissen die volle Religionsfreiheit ermöglichte. Auch sie erkannte den Vorrang der katholischen Kirche an. Art. 11 in: Historia ustroju i prawa w Polsce 1772/1795–1918. Wybór źródeł [Geschichte der Verfassung und des Rechts in Polen 1772/1795–1918. Eine Quellenauswahl]. Hg. v. Marian kallas und Marek krzymkoWski. Warszawa 2006, 98. Vgl. hierzu http://www.unesco.org/new/fileadmin/multimedia/hq/ci/ci/pdf/mow/mow_warsaw_declaration_en.pdf (Zugriff: 01.03.2013). S. den Bericht in: Kronika Sejmowa 76 (557) IV Kadencja (31.01.2004), 29. krofta (wie Anm. 7). koNrad, Paul: Der schlesische Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. vom Jahre 1609 in seiner Bedeutung für das städtische Konsistorium und die evangelischen Kirchengemeinden Breslaus. Breslau 1909. Die in der Regel gut informierte, seit 1882 in München erscheinende Allgemeine Zeitung schweigt sich diesbezüglich aus. S. etwa römmelt, Stefan W.: Bilder des Augsburger Religionsfriedens. Skizzen zur frühneuzeitlichen Jubel-Ikonographie der Pax religiosa Augustana auf Papier und in Metall. In: Der
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Die Intensität, mit der einerseits im protestantischen Teil des Deutschen Bundes und in der protestantischen Diaspora des europäischen Auslands an den Augsburger Religionsfrieden gedacht wurde, und die Bedeutungslosigkeit, in die der Böhmische Majestätsbrief gefallen ist, verweisen auf signifikante Unterschiede im kollektiven Gedächtnis der deutschen und tschechischen Gesellschaft. Im Folgenden sollen die Ursachen dieses Ungleichgewichts erörtert werden. Warum ist der Majestätsbrief nicht Teil des kollektiven Gedächtnisses der tschechischen Bevölkerung geworden? Hierfür lassen sich aus meiner Perspektive mehrere Gründe anführen: Zum Ersten war der Majestätsbrief nicht das erste Arrangement zwischen den christlichen Konfessionen in Böhmen. Bereits der Kuttenberger Religionsfrieden aus dem Jahr 1485 hatte das Zusammenleben zwischen den Katholiken und den Utraquisten geregelt. Er wird als das erste gelungene Beispiel konfessionellen Konfliktmanagements in Ostmitteleuropa angesehen, da er nicht nur den Adeligen, sondern auch den Untertanen die individuelle Religionsfreiheit gewährte.42 Zum Zweiten war die Lebensdauer des Majestätsbriefs in Böhmen vergleichsweise kurz. Nach der für die böhmischen Stände verlorenen Schlacht am Weißen Berg 1620 fanden alle Freiheiten, die die Protestanten seit 1609 erreicht hatten, ein plötzliches Ende. Unverzüglich setzten umfangreiche und teilweise mit Gewalt durchgeführte Rekatholisierungsmaßnahmen ein. Die in elf Jahren religiöser Freizügigkeit erlangten Vorteile für die Protestanten, etwa im Kirchenbau, wurden rückgängig gemacht. Die wenigsten protestantischen Gläubigen verfügten über ein solch festes Bekenntnis, dass sie dem Rekatholisierungsdruck standhalten konnten. Ganz anders war die Situation im Alten Reich und in Polen-Litauen: Der Augsburger Religionsfrieden, ein „Ermattungsfriede“, der nur als Übergangslösung bis zur Wiederherstellung der Einheit des Christentums gedacht gewesen war, wurde durch den Westfälischen Frieden bestätigt und hatte insofern bis zur Auflösung des Staatenverbands im Jahr 1806 Gültigkeit. Die durch ihn vollzogene Spaltung der Pax Christiana existiert bis heute. Der Inhalt der Warschauer Konföderationsakte wiederum wurde bei jeder Königswahl, auch der letzten im Jahr 1764, erneuert. Die hier gewährte Religionsfreiheit führte neben einigen anderen Besonderheiten der Verfassung Polen-Litauens allerdings zu der paradoxen Situation, dass sich die Nachbarmächte, insbesondere Russland und Preußen, in die Innenpolitik der Adelsrepublik einmischten. Denn als „Schutzmächte“ setzten sie sich vorgeblich für die Belange der Dissidenten, wie die Protestanten in Polen-Litauen genannt wurden, gegen eine erstarkte katholische Kirche ein. Tatsächlich brachten sie das Land durch ihre Einmischung in eine Abhängigkeit, bis sie es schließlich 1795 gemeinsam mit Österreich vollends unter sich aufteilten. Drittens ist in Böhmen, anders als im Alten Reich, keine protestantische Traditionslinie konstruiert worden. Anknüpfungspunkte in der Vergangenheit gäbe es sicherlich zur Genüge – zu nennen wären hier die hussitischen Kriege 1419–1439, der Kuttenberger Religionsfrieden oder aber die Confessio Bohemica von 1575.
42
Augsburger Religionsfrieden. Seine Rezeption in den Territorien des Reiches. Hg. v. Gerhard graf u. a. Leipzig 2006 (Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 6), 181–212. eBerHard (wie Anm. 2), 61.
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Offensichtlich haben jedoch die mit aller Härte durchgeführten Rekatholisierungsmaßnahmen seit 1620 jegliche Versuche, eine Tradition zu schaffen, verhindert: Dass der protestantische Glauben nur noch im Geheimen praktiziert werden konnte, dass es zu (Re-)Konversionen zum Katholizismus kam, um einer Ausweisung zu entgehen, hat die Zahl der Protestanten in Böhmen und Mähren entschieden schrumpfen lassen. Darüber hinaus schwächte die massenhafte, freiwillige Abwanderung von Protestanten, die ihrem Glauben treu bleiben wollten, aus den böhmischen Ländern ins benachbarte Ausland die protestantische Seite wesentlich. Und auch die Vertreter der tschechischen Nationalbewegung, wie z. B. František Palacký, bezogen sich in ihrer Legitimation der tschechischen als eigenständiger Nation nicht auf die Religionsfreiheit im 17. Jahrhundert, sondern stellten stattdessen eine enge Verbindung zur Hussitenzeit her.43 Ein vierter Grund für den verhinderten Erinnerungsort Majestätsbrief liegt darin, dass während der habsburgischen Herrschaft in Böhmen, insbesondere in der Hochkonjunktur der bürgerlichen Festkultur im 19. Jahrhundert, hauptsächlich Feiern im Mittelpunkt standen, die mit der Person des Herrschers oder seinen Familienmitgliedern in Verbindung standen: Inthronisierungen, Geburtstage, Hochzeiten und Geburten. Zu den dynastischen Feiern kamen solche hinzu, die siegreichen Schlachten, Waffenstillständen und Friedensverträgen galten, in ihrer Wirkung aber oftmals mehr für Österreich als für Böhmen Bedeutung hatten.44 Zu den kirchlichen Feiertagen zählten Weihnachten, Ostern u. Ä. sowie Gedenktage zu Ehren katholischer Heiliger. Gedenktage für nichtkatholische Heilige fanden mit einer Ausnahme nicht statt: Jedes Jahr wurden Jan Hus zu Ehren am 6. Juli, seinem Todestag (1415), Gedenkfeiern veranstaltet, die starke antikatholische Züge trugen. Mit der Gründung der Ersten Tschechoslowakischen Republik 1918 endete die auf das österreichische Herrscherhaus ausgerichtete Festkultur; an ihre Stelle traten staatliche Feiern, die entweder in direktem Zusammenhang mit der souveränen Republik (28. Oktober Nationalfeiertag) oder der „nationalen Wiedergeburt“ der Tschechen standen (6./7. Juli Hus-Feiern). Kirchliche Feiern traten in den Hintergrund.45 Fünftens hatte der Majestätsbrief nicht nur damit zu kämpfen, nicht der erste Religionsfrieden in Böhmen gewesen zu sein, sondern sein Schicksal war es, zeitlich zwischen zwei Erinnerungsorten zu liegen, die für die Identität der Tschechen von größerer Bedeutung geworden sind: dem Märtyrertod von Jan Hus in Konstanz 1415 und der verlorenen Schlacht am Weißen Berg 1620. Während der Tod von Jan Hus im positiven Sinne als Opfer im Streben nach Wahrheit und freiem Glauben gewertet wurde, galt die schmerzliche Niederlage in der Schlacht am Weißen Berg bis zur Besetzung der Tschechoslowakei 1938/39 als die größte Tragödie des tsche43 44 45
Zum Majestätsbrief in der tschechischen Historiographie s. den Beitrag von Jaroslav PáNek in diesem Band. Als Beispiel können an dieser Stelle etwa die Feierlichkeiten im Gedenken an den Frieden von Preßburg 1805 oder die Enthüllung des Denkmals für den siegreichen Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky 1858 genannt werden. PokorNý, Jiří/rak, Jiří: Öffentliche Festtage bei den Tschechen. In: Der Kampf um das Gedächtnis. Öffentliche Gedenktage in Mitteleuropa. Hg. v. Emil BriX und Hannes stekl. Wien 1997, 171–187, hier 174 f.
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chischen Volkes.46 Für die habsburgische Herrschaft, die durch Gewalt gegen die böhmischen Aufständischen und Andersgläubigen gekennzeichnet war und als deren Höhepunkt das „Prager Blutgericht“ von 1621 gilt, wurde der Begriff Temno (Zeit der Finsternis)47 geprägt. Er ist zurückzuführen auf den gleichnamigen Roman von Alois Jirásek aus dem Jahr 1915.48 Historiker und Literaten bemühten diesen Begriff gleichermaßen.49 In der „nachweißenbergischen Zeit“, so ihre Deutung, habe Böhmen mitsamt seiner Bevölkerung einen kulturellen und nationalen Verfall erlebt: Das Land verlor seine Autonomie, das tschechische Volk seine Rechte und die Glaubensfreiheit. Im kollektiven Gedächtnis der Tschechen haben die Schlacht am Weißen Berg und ihre Folgen, das Temno, als negativer Erinnerungsort einen festen Platz. Allenfalls die im Nachhinein verklärte Herrschaft Kaiser Rudolfs II. (1576–1612) – die „Goldene Ära“ (Zlatý věk) – kann als positiver Erinnerungsort eine gewisse zeitliche Nähe zum Majestätsbrief bieten. Allerdings ist es wohl weniger das politische Geschick des Kaisers gewesen, das die positive Erinnerung bestimmte, als vielmehr die durch ihn geförderten kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen. Die Forschung betrachtet Rudolf II. auch heute noch vorwiegend als Kunstmäzen und Förderer der Wissenschaften, und nicht so sehr als toleranten Herrscher gegenüber anderen Konfessionen.50 Schließlich ist für die jüngere Vergangenheit die seit dem „Februarumsturz“ 1948 einsetzende Phase der Entkirchlichung in der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik ins Feld zu führen. Während der Herrschaft der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei waren weder in der Öffentlichkeit noch im Privaten religiöse Glaubenspraktiken erwünscht. Die verschiedenen Kirchen und Religionsgemeinschaften galten als politische Gegner.51 Insbesondere in den Jahren bis zum 46 47
48 49 50 51
VlNas, Vít/HoJda, Zdeněk: „Gönnt einem jeden die Wahrheit“. In: Mythen der Nationen. Ein europäisches Panorama. Hg. v. Monika flaCke. MünchenBerlin ²2001 [11998], 502–527, hier 520–525. BaHlCke, Joachim: Land und Dynastie: Böhmen, Habsburg und das Temno. In: Deutsche und Tschechen. Geschichte – Kultur – Politik. Hg. v. Walter kosCHmal, Marek Nekula und Joachim rogall. München ²2003 [12001], 57–66; außerdem HeymaNN, Frederick G.: Das Temno in der neueren tschechischen Geschichtsauffassung. In: Bohemia 9 (1968), 323–339. – ČorneJová, Ivana: Das „Temno“ im mitteleuropäischen Kontext: Zur Kirchen- und Bildungspolitik im Böhmen der Barockzeit. In: Bohemia 34 (1993), 342–358. – rakoVá, Svatava: Pobělohorské Temno v české historiografii 90. let: pokus o sondu do proměn historického vědomí [Das nachweißenbergische Temno in der tschechischen Historiographie der 90er Jahre: Bemerkungen zu den Wandlungen des historischen Bewusstseins]. In: Český časopis historický 99 (2001), 569– 588. Jirásek, Alois: Temno. Prag 1915. Der Autor thematisiert in diesem Roman die Rekatholisierung Böhmens. kotte, Eugen: Historienliteratur als nationale Mythografie: Gustav Freytags „Soll und Haben“, Henryk Sienkiewiczs „Die Kreuzritter“ und Alois Jiráseks „Chodische Freiheitskämpfer“. In: Nordost-Archiv NF 16 (2007), 181–238. S. etwa den Sammelband Rudolf II, Prague and the World. Hg. v. Lubomír koneČný. Prague 1998. – eVaNs, Robert J. W.: Rudolf II. Ohnmacht und Einsamkeit. Graz-Wien-Köln 1980. CuHra, Jaroslav: Staat und Kirchen in der Tschechoslowakei. In: Handbuch der Religions- und Kirchengeschichte der böhmischen Länder und Tschechiens im 20. Jahrhundert. Hg. v. Martin sCHulze Wessel und Martin züCkert. München 2009, 555–616, hier 557. − Zur Situation der protestantischen Kirchen kuNter, Katharina: Die evangelischen Kirchen. In: Ebd., 727–740.
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Prager Frühling 1968, in die das 350. Jubiläum des Majestätsbriefs fiel, verfolgten die staatlichen Behörden eine rigide Kirchenpolitik, die auch vor den Schulen nicht Halt machte. Der Religionsunterricht erlebte eine Herabstufung vom Pflicht zum Wahlfach, gottgläubige Lehrkräfte wurden entlassen und religiös praktizierende Eltern und Schulkinder beschuldigt, den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu verhindern. In dieser Atmosphäre der „fortschreitenden Entsakralisierung des gesamten gesellschaftlichen Lebens“52 war ein Gedenken an historische religiöse Ereignisse unerwünscht. Dies zeigte sich besonders im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 1000-jährigen Bestehen des Prager Bistums 1973, die entgegen den ursprünglichen Planungen der katholischen Kirche in einem politisch geprägten „Fest des Friedens“ endeten, das auf religiöse Riten weitgehend verzichtete. Mit Ausnahme zweier Messen blieb nichts von der anfänglichen Konzeption übrig, die religiöse Symbolik in der Öffentlichkeit wurde auf ein Minimum reduziert. Aus der Haltung der kommunistischen Regierung, die die Gründung des Bistums 973 als alleinige Angelegenheit der Prager Diözese betrachtete,53 lässt sich ableiten, dass auch für ein Gedenken an den Majestätsbrief kein Platz sein konnte: Weder der Glaube an Gott noch die Religionsfreiheit galten als erinnerungswürdig. Die Samtene Revolution im Jahr 1989 sorgte für einen grundlegenden Wandel. Mit dem Ende des Sozialismus verlor die repressive staatliche Kirchenpolitik ihren Sinn und es entwickelte sich ein Dialog zwischen der neuen, demokratisch gewählten Regierung sowie den bestehenden oder sich reorganisierenden Kirchen und Religionsgemeinschaften. Neue politische Systeme und Staaten fördern die Entstehung neuer bzw. Wiederentdeckung historischer Erinnerungsorte – kaum ein besseres Beispiel ließe sich finden als die postsozialistischen Staaten Ostmitteleuropas, die in den vergangenen 20 Jahren für den Sozialismus bedeutende Gedächtnisorte vollständig ausblendeten oder umdeuteten und auf diese Weise in ihrer Erinnerungspolitik an die vorsozialistische Zeit anknüpften. Die Ursachen für das bewusste Vergessen des Böhmischen Majestätsbriefs sind vielschichtig und zu einem großen Teil der jeweiligen politischen Situation geschuldet gewesen. Von entscheidender Bedeutung war das vergleichsweise frühe Scheitern des Religionsfriedens nach nur wenigen Jahren. Während die Religionsartikel im Heiligen Römischen Reich und in Polen-Litauen in ursprünglicher oder veränderter Form Aufnahme in langlebige Verfassungsdokumente (Articuli Henriciani 1573 bzw. Westfälischer Frieden 1648) gefunden hatten, bedeutete die nach der Schlacht am Weißen Berg einsetzende Rekatholisierung der böhmischen Länder das Aus für die durch den Majestätsbrief gewährten religiösen Freiheiten. Die „Verneuerte Landesordnungˮ vom 10. Mai 1627 zementierte die Exklusivität der katholischen Kirche in Böhmen und Mähren auf Dauer.54 Heutzutage wird die Erinnerung an 1609 ‒ stets in Verbindung mit der „Goldenen Ära“ ‒ vorwiegend in den tschechischen Schulen tradiert. Dabei könnte der Böhmische Majestätsbrief, der sich mühelos in die Reihe der anfangs zitierten 52 53 54
CuHra (wie Anm. 51), 567. Ebd., 586. Art. 23 in: Codex Juris Bohemici. Bd. 5/2: Constitutiones Regni Bohemiae Anno 1627 Reformatae. Hg. v. Hermenegildus JireČek. Prag-Wien-Leipzig 1888, 33–35.
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„Friedensrezepte“ einfügen lässt, aufgrund zweier Besonderheiten auch Anspruch erheben, als ein eigenständiger Erinnerungsort – und nicht nur als Teil des Gedächtnisortes „Rudolf II.“ bzw. „Goldene Ära“ – betrachtet zu werden: Erstens waren die Bestimmungen des Majestätsbriefs, indem sie die Religionsfreiheit auf die Untertanen und die königlichen Güter ausdehnten, weitreichender als die meisten anderen konfessionellen Arrangements im übrigen Europa. Zweitens kam der Majestätsbrief in einer Zeit zustande, als die Rekatholisierung bereits weite Teile Europas ergriffen hatte – er stellt somit einen der letzten Versuche dar, das Miteinander der Konfessionen auf normativer Ebene zu regeln.
Zeittafel 1575
1597–1599
21.02. 17.03.– 13.05. 18.05.
Eröffnung des böhmischen Landtags in Prag Abfassung der Confessio Bohemica, des Glaubensbekenntnisses der protestantischen Konfessionen, in Prag Vorlage der Confessio Bohemica zur Genehmigung beim Kaiser und böhmischen König Maximilian II. 06.09. Annahme Rudolfs II. als König durch den böhmischen Landtag 09.09. Mündliche Zustimmung Maximilians II. zur Confessio Bohemica bei einer Sonderaudienz der böhmischen Stände. Diese gilt auch für den zukünftigen König Rudolf II. 22.09. Krönung Rudolfs II. im Prager Veitsdom Stärkung der Position der katholischen Partei durch die Besetzung der wichtigsten Landesämter. Damit beginnt eine katholische „Offensive“, die mit verschiedenen Maßnahmen gegen die Protestanten verbunden ist
1602
02.09. Verbot der Tätigkeit der Brüdergemeinden durch ein Patent Rudolfs II. (Erneuerung des sogenannten St. Jakobsmandats von 1508). Die Gemeinden in Jungbunzlau (Mladá Boleslav) und Moldautein (Týn nad Vltavou) werden geschlossen
1606
25.04. Treffen der Mitglieder der österreichischen Habsburgerdynastie, die Erzherzog Matthias, den jüngeren Bruder Rudolfs II., als dessen Nachfolger anerkennen, in Wien
1607
Dez. Geheimtreffen der Ständevertreter Mährens, Österreichs und Ungarns in der Residenz Karls d. Ä. von Žerotín in Rossitz (Rosice). Es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Unterstützung für Erzherzog Matthias und zum Widerstand gegen Rudolf II.
1608
14.04. Beginn des Kriegszugs von Erzherzog Matthias nach Böhmen und Mähren 19.04. Beitritt der mährischen Stände zu der gegen Rudolf II. gerichteten österreichisch-ungarischen Konföderation auf dem Landtag in Eibenschitz (Ivančice) 23.05. Eröffnung des Landtags auf der Prager Burg durch Rudolf II. Die Stände legen ihm ihre in 25 Punkten formulierten Forderungen vor 26.05. Versuch des Anführers der mährischen Stände, Karls d. Ä. von Žerotín, auf dem böhmischen Landtag die Stände von einer Unterstützung für Erzherzog Matthias zu überzeugen. Die böhmischen Stände bleiben Rudolf II. jedoch treu 28.05. Präsentation der ständischen Forderungen während einer Massenaudienz. Rudolf II. akzeptiert die meisten, verschiebt aber die Verhandlungen über die Religionsartikel auf den nächsten Landtag 25.06. Unterzeichnung des sogenannten Liebener Friedens auf Schloss Lieben (Libeň) bei Prag zwischen Kaiser Rudolf II. und Erzherzog Matthias. Matthias gewinnt die Herrschaft über Mähren, die österreichischen Länder sowie Ungarn und wird offizieller Nachfolger Rudolfs II. auf dem böhmischen Thron
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Zeittafel 1609
28.01. Eröffnung des Landtags auf der Prager Burg. Die nichtkatholische Ständeopposition fordert eine umfassende Religionsfreiheit für die sich zur Confessio Bohemica bekennenden Glaubensgruppen 01.04. Auflösung des Landtags durch Rudolf II. Die nichtkatholischen Stände berufen ohne Erlaubnis des Kaisers einen neuen Landtag ein 09.05. Beginn eines Landtags im Neustädter Rathaus, an dem trotz Verbot des Königs die Angehörigen der Ständeopposition teilnehmen 25.05. Einberufung eines neuen Landtags auf der Prager Burg durch Rudolf II. 13.06. Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Religionsfreiheit für Nichtkatholiken während einer Audienz Rudolfs II. (Konzept des Majestätsbriefs) 23.06. Beschluss der oppositionellen Stände über die Einrichtung einer Ständeregierung (Direktorium) 25.06. Verteidigungsbündnis zwischen den böhmischen und schlesischen Ständen zum Schutz der Religionsfreiheit 26.06. Wahl der Mitglieder der Ständeregierung (Direktoren) 09.07. Erlass des Majestätsbriefs durch Rudolf II. Die katholische und die utraquistische Partei unterzeichnen den Ausgleich 22.07. Eintragung des Majestätsbriefs in die böhmische Landtafel 20.08. Erlass des Majestätsbriefs für Schlesien durch Rudolf II. 05.09. Aufnahme des Ausgleichs in die böhmische Landtafel
1611
15.02. Einmarsch der Passauer Truppen in Prag. Rudolf II. versucht vergeblich, mit Hilfe seines Vetters, des Passauer Bischofs Leopold, gegen die oppositionellen Stände und Matthias vorzugehen 27.04. Grundsteinlegung einer neuen protestantischen Kirche in Braunau (Broumov) 23.05. Rudolf II. wird zum Verzicht auf den böhmischen Thron gezwungen und Matthias zum böhmischen König gekrönt Sep. Baubeginn der protestantischen Kirche in Klostergrab (Hrob)
1612
20.01. Tod Kaiser Rudolfs II. in Prag
1617
11.12. Schließung und Abriss der protestantischen Kirche in Klostergrab auf Befehl des Prager Erzbischofs Johannes Lohelius
1618
Feb. – Eskalation des Streits um die protestantische Kirche in Braunau, die März ebenso wie die Kirche in Klostergrab auf dem Grund der katholischen Kirche errichtet worden war 06.03. Zusammenkunft der nichtkatholischen Stände in Prag. Sie beschweren sich bei König Matthias über die Verletzung des Majestätsbriefs, u. a. durch das Vorgehen gegen die Kirchen in Klostergrab und Braunau 23.05. Beginn des böhmischen Ständeaufstandes mit dem „Prager Fenstersturz“, bei dem drei königliche Beamte aus den Fenstern der Prager Burg geworfen werden
1620
08.11. Sieg der Truppen Ferdinands II. und der katholischen Liga über das Ständeheer in der Schlacht am Weißen Berg. Der Kaiser kann in den böhmischen Ländern die Macht an sich bringen, seine Stellung festigen und mit einer flächendeckenden Rekatholisierung beginnen
277
Zeittafel 1621
Transport des Majestätsbriefs und anderer ständischer Dokumente nach Wien sowie Zerstörung der Urkunde durch Einschnitte und Abtrennen des Siegels
1627
10.05. Erlass der Verneuerten Landesordnung für das Königreich Böhmen, die nur noch das katholische als das einzige christliche Bekenntnis erlaubt
1628
10.05. Erlass der Verneuerten Landesordnung für die Markgrafschaft Mähren mit denselben Regelungen über die Religion wie in Böhmen
Autorinnen und Autoren Václav Bůžek, Prof. PhDr., CSc., ist Direktor des Historischen Instituts der Philosophischen Fakultät an der Südböhmischen Universität in České Budějovice und hat dort die Professur für tschechische Geschichte inne. Er ist Herausgeber der Editionsreihe Opera historica. Zu seinen Publikationen zählen etliche Studien zu sozialen und kulturellen Aspekten der Adelsgeschichte in den böhmischen Ländern und in Mitteleuropa während des 16. und 17. Jahrhunderts. Zuletzt erschien von ihm die Monographie Ferdinand von Tirol zwischen Prag und Innsbruck. Der Adel aus den böhmischen Ländern auf dem Weg zu den Höfen der ersten Habsburger (2009). Derzeit arbeitet er an einem Buch über Ferdinand I. Tomáš Černušák, PhDr., Mgr., Ph.D., studierte Archivwesen, Geschichte und Katholische Theologie an den Universitäten in Brünn und in Olmütz. Seit 2001 arbeitet er im Mährischen Landesarchiv in Brno, derzeit als Verwalter der historischen Sammlungen sowie der Familien- und Personalbestände. Seit 2005 ist er Mitarbeiter des Tschechischen Historischen Instituts in Rom und bereitet eine Edition der Korrespondenzen des Prager Nuntius Antonio Caetani (1608–1611) vor. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Kirchen- und Ordensgeschichte, die Geschichte der päpstlichen Politik in den böhmischen Ländern während der Neuzeit und das Verhältnis der geistlichen Orden zur Konfessionalisierung in den böhmischen Ländern. Winfried Eberhard, Prof. Dr., Dipl. theol., promovierte und habilitierte sich (Monarchie und Widerstand. Zur ständischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. in Böhmen [1985]) an der Universität Bochum. Dort wie auch an den Universitäten Siegen, Hannover und Halle/S. war er in der Lehre tätig. In den Jahren 1992 bis 1995 leitete er den Forschungsschwerpunkt Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas in Berlin. Von 1996 bis 1999 war er zunächst Gründungsdirektor und anschließend bis 2007 Direktor des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig. Zugleich hatte er die Professur für Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig inne. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Spätmittelalters und der Reformation, insbesondere auch in Böhmen, Ständeverfassungen, Konfessionalisierung und Toleranz. Jaroslava Hausenblasová, PhDr., Ph.D., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Tschechische Geschichte und am Collegium Europaeum der Karlsuniversität Prag. In den Jahren 1989 bis 2005 übte sie eine Tätigkeit am Institut für Kunstgeschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik aus, ab 1994 war sie verantwortliche Redakteurin der Editionsreihe Fontes historiae artium. Von 2006 bis 2011 forschte sie in der Projektgruppe „Hofkultur in Ostmitteleuropa vom 14.–18. Jahrhundert. Kulturelle Kommunikation und Repräsentation
Autorinnen und Autoren
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im Vergleich“ am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die Sozial-, Kultur- und Verwaltungsgeschichte während der Frühen Neuzeit, Stadtgeschichte und Residenzenforschung. Sie hat mehrere Quelleneditionen zur Kunst- und Kulturgeschichte publiziert. Petr Hlaváček, PhDr., Ph.D., studierte Geschichte und Philosophie an der Karlsuniversität Prag und an der Universität Bern. Von 2000 bis 2001 war er am Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik tätig sowie von 2001 bis 2007 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig. In den Jahren 2006 und 2007 war er Prodekan der Hussitischen Theologischen Fakultät an der Karlsuniversität Prag. Seit 2008 ist er Koordinator des Collegium Europaeum, das an der Karlsuniversität und an der Akademie der Wissenschaften in Prag angesiedelt ist. Seine Forschungsschwerpunkte sind die böhmische Reformation, die Franziskaner und Fragen der europäischen Identität im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Martin Holý, Doz. PhDr., Ph.D., promovierte 2008 und habilitierte sich 2013 und ist derzeit stellvertretender Direktor des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Er ist außerdem Mitglied des Instituts für Tschechische Geschichte der Philosophischen Fakultät an der Karlsuniversität Prag, des Arbeitskreises Vormoderne Erziehungsgeschichte der Sektion Historische Bildungsforschung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Als stellvertretender Chefredakteur betreut er die Zeitschrift Folia Historica Bohemica. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Kultur-, Bildungs- und Sozialgeschichte der Länder der Böhmischen Krone in der Frühen Neuzeit sowie deren Bezug zu Europa. Jana Hubková, Mgr., Ph.D., arbeitet als Historikerin im Stadtmuseum in Ústí nad Labem. Sie ist Mitglied des Wissenschaftlichen Netzwerks „Historiographiegeschichte der Frühen Neuzeit“ (2006–2010), des Forschungsprojekts „Kronländer in der Geschichte des Böhmischen Staates“ des Instituts für Tschechische Geschichte an der Karlsuniversität Prag (2003–2013) und seit 2009 auch im Forschungsprojekt „Prophezeiungen und eschatologische Erwartungen im böhmischen evangelischen Denken des 17. Jahrhunderts“ des Philosophischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Sie hat eine Monographie über Flugblattpublizistik während des Dreißigjährigen Krieges verfasst, die 2010 unter dem Titel Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky erschienen ist. Jiří Just, Mgr., Th.D., ist seit 2010 wissenschaftlicher Assistent der Abteilung für die Erforschung und Herausgabe des Werkes von Johann Amos Comenius im Philosophischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Von 2007 bis 2010 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Kirchengeschichte an der Evangelischen Theologischen Fakultät der Karlsuniversität
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Prag. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte der nichtkatholischen Konfessionen während des 16. und 17. Jahrhunderts in den Ländern der Böhmischen Krone, vor allem die literarische Produktion der Brüderunität in Böhmen und Mähren und ihre Buchkultur, sowie die Geschichte der böhmischen Reformation im europäischen Kontext. Tomáš Knoz, Prof. PhDr., Ph.D., ist Professor für europäische Geschichte am Institut für Geschichte der Philosophischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn. Des Weiteren ist er Vizedekan der Philosophischen Fakultät für Forschung und Entwicklung. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Politik- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, adeliges Leben während der Frühen Neuzeit, Renaissance- und Frühbarockschlösser des Adels und die politischen Veränderungen nach der Schlacht am Weißen Berg. Zu seinen wichtigsten Monographien zählen Renesance a manýrismus na zámku v Rosicích (1996), Državy Karla staršího ze Žerotína po Bílé hoře (2001), Pobělohorské konfiskace. Moravský průběh, středoevropské souvislosti, obecné aspekty (2006), Karel starší ze Žerotína. Don Quijote v labyrintu světa (2008). Antonín Kostlán, PhDr., CSc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für Zeitgeschichte der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, Department für Wissenschaftsgeschichte, sowie Lehrbeauftragter an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag. Er war von 1995 bis 2001 Direktor des Archivs der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik und von 2000 bis 2004 Leiter des Forschungszentrums für Wissenschaftsgeschichte. In den Jahren 2003 bis 2005 leitete er die Archiv- und Registraturabteilung der Kanzlei des Präsidenten der Tschechischen Republik. Er ist außerdem hauptverantwortlicher Redakteur der Editionsreihe Práce z dějin vědy – Studies in the history of sciences and humanities. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Sozial-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, Wissenschaftsgeschichte und historische Prosopographie. Pavel Kůrka, PhDr., Th.D., ist Absolvent des Magisterstudiengangs Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag und des Doktorats in HistorischerTheologie und Kirchengeschichte an der Evangelischen Theologischen Fakultät ebendort. Seit 2004 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Historischen Instituts der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Seine Forschungen beschäftigen sich mit der böhmischen Reformation im 16. Jahrhundert, der utraquistischen Kirchenverwaltung, kirchlichen Manufakturen im städtischen Milieu, reformatorischer Ekklesiologie und religiös-literarischer Polemik. Pavel Marek, Mgr., Ph.D., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Philosophischen Fakultät der Südböhmischen Universität České Budějovice und an der Universität Pardubice. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Geschichte des böhmischen Adels in der Frühen Neuzeit, die Geschichte Spaniens sowie die böhmisch-spanischen Beziehungen. Seine wichtigste Veröffentlichung ist die 2005
Autorinnen und Autoren
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erschienene Quellenedition Svědectví o ztrátě starého světa: manželská korespondence Zdeňka Vojtěcha Popela z Lobkovic a Polyxeny Lobkovické z Pernštejna. Jiří Mikulec, Doz. PhDr., CSc., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag, Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit. Er unterrichtet zudem an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag und an der Philosophischen Fakultät der Universität Pardubice. Seine Forschungen gelten der böhmischen Religionsund Kirchensgeschichte in der Zeit nach der Schlacht am Weißen Berg (1620), vor allem der Rekatholisierung, Fragen der Spiritualität sowie religiösen und sozialen Aspekten. Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der böhmischen Gesellschaft im Barock und die politische Geschichte der Habsburgermonarchie während des 17. und 18. Jahrhunderts. Jaroslav Pánek, Prof. PhDr., DrSc., Dr.h.c., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik in Prag, Direktor des Tschechischen Historischen Instituts in Rom sowie Professor der Geschichte an der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Prag. Er ist Chefredakteur der Zeitschriften Český časopis historický – The Czech Historical Review und Bollettino dell’Istituto Storico Ceco di Roma. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Geschichte der Frühen Neuzeit, die Geschichte der modernen Historiographie und der tschechischen Forschung in Rom. Ines Rößler studierte Italienisch, Geschichte und Politikwissenschaften in Leipzig. Seit 2008 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Projektgruppe „Religionsfrieden und Modi der Bewältigung religiöser/konfessioneller Konflikte in Ostmitteleuropa (16.–19. Jhd.)“ am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören neben der Geschichte der Konfessionalisierung im Alten Reich insbesondere die Reformationsgeschichte der böhmischen Länder im ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhundert sowie politische Theorien und religiöse Bekenntnisschriften aus dieser Zeit. Martina Thomsen, Prof. Dr., ist Juniorprofessorin für die Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Kiel. Von 2008 bis 2010 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Projektgruppe „Religionsfrieden und Modi der Bewältigung religiöser/konfessioneller Konflikte in Ostmitteleuropa (16.–19. Jhd.)“ am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) in Leipzig. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Konfessionsmigration im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa und die Rezeption der Frühen Neuzeit in den postsozialistischen Staaten Ostmitteleuropas. Sie ist Mitherausgeberin des 2013 erschienenen Bandes Reden und Schweigen über religiöse Differenz. Tolerieren in epochenübergreifender Perspektive.
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Autorinnen und Autoren
Petr Vorel, Prof. Ph.Dr., CSc., ist Historiker und verwaltet seit 1986 die Münzsammlung des Ostböhmischen Museums in Pardubice. Seit 1994 ist er Gerichtssachverständiger für Numismatik. Weitere Tätigkeiten führten ihn an die Philosophische Fakultät der Karlsuniversität Prag (externes Mitglied 1994–2007), und 2000 an die Philosophische Fakultät der Universität Pardubice, deren Dekan er seit 2007 ist. In den Jahren 2005 bis 2011 war er Vorsitzender des Tschechischen Historikerverbandes. Seit 2011 hat er das Amt des Vorsitzenden des Tschechischen Nationalkomitees der Historiker inne. Er betreut als hauptverantwortlicher Redakteur die Editionsreihe Theatrum historiae. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Politik- und Wirtschaftsgeschichte Mitteleuropas während der Frühen Neuzeit, Kultur- und Sozialgeschichte, Numismatik und die Geschichte des Geldumlaufs. Wulf Wäntig, Dr. phil., studierte Geschichte, Politik und Romanistik in Göttingen und Besançon und promovierte an der Technischen Universität Chemnitz und am Göttinger Max-Planck-Institut für Geschichte über Konfession, Migration und Grenze im Dreieck zwischen Böhmen, Sachsen und der Oberlausitz. Seine Dissertation beschäftigt sich mit Rekatholisierungsflüchtlingen („Exulanten“) im böhmisch-sächsischen Grenzraum des 17. Jahrhunderts. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die sächsische und oberlausitzische Geschichte in der Frühen Neuzeit, die Geschichte der böhmisch-sächsischen Grenze sowie Historische Anthropologie, Lebensweltkonzepte und Selbstzeugnisforschung. Derzeit untersucht er die Aneignung kollektiven Gedächtnisses als Teil von Integration und Identität in multiethnischen Gesellschaften. Er lebt und arbeitet als Historiker und Gymnasiallehrer in Berlin.
Ortsregister Altes Reich → Heiliges Römisches Reich Amberg 90, 190 f., 198 Amsterdam 204 Augsburg 47 f., 198, 265 f. Auschwitz (poln. Oświęcim) 17 Austerlitz (tsch. Slavkov u Brna, Südmähren) 109 Baden-Württemberg 266 Basel 189, 197, 217 Bautzen (tsch. Budyšín) 162 Bayern 198, 266 Bechin (tsch. Bechyně, Südböhmen) 89, 93 Bechyně → Bechin Benešov nad Ploučnicí → Bensen Bensen (tsch. Benešov nad Ploučnicí, Nordböhmen) 34 Berg → JülichKleveBerg Böhmen 12 f., 15, 17 f., 20–22, 27–29, 31–37, 41 f., 45–48, 50 f., 58, 63–65, 69, 72, 76, 78, 80 f., 92–94, 98, 101, 103–105, 108–110, 112 f., 115, 119, 123, 131, 133–135, 137, 143, 151, 154 f., 158, 161–164, 166–169, 171 f., 175, 177, 180, 185, 187 f., 191 f., 196, 201, 204–207, 209 f., 212, 215–217, 219, 223, 225, 228, 230, 239–241, 243, 246–248, 250, 254, 256 f., 260 f., 263 f., 269–272, 275, 277 Böhmisch Budweis (tsch. České Budějovice, Südböhmen) 101 Böhmisch Kamnitz (tsch. Česká Kamenice, Nordböhmen) 34 Böhmisch Krumau (tsch. Český Krumlov, Südböhmen) 39, 85, 91, 93, 101 Böhmisch Leipa (tsch. Česká Lípa, Nord böhmen) 34 Böhmisches Niederland (tsch. České Nizozemí, Nordböhmen) 161, 163, 165, 167 f. Bratislava → Preßburg Braunau (tsch. Broumov, Ostböhmen) 16, 150, 276 Breda 222 Breslau (poln. Wrocław) 204, 268 Brno → Brünn Broumov → Braunau Brünn (tsch. Brno) 28 f. Brüssel 73, 79 Budyšín → Bautzen Čáslav → Czaslau
Česká Kamenice → Böhmisch Kamnitz Česká Lípa → Böhmisch Leipa České Budějovice → Böhmisch Budweis České Nizozemí → Böhmisches Niederland Český Krumlov → Böhmisch Krumau Chomutov → Komotau Czaslau (tsch. Čáslav, Ostböhmen) 46, 69 Dänemark 216 Děčín → Tetschen Den Haag (Haag) 79, 194 Deutschland 45, 186, 266 Dobruška → Gutenfeld Dolní Podluží → Niedergrund Dortmund 205 Dresden 67, 69, 71, 73, 80, 162 Eibenschitz (tsch. Ivančice, Südmähren) 89 f., 109, 275 Elbogen (tsch. Loket, Westböhmen) 34 Emden 191 England 216 f., 231 Frankfurt (am Main) 209 Frankreich 74, 186, 231 Friedland (tsch. Frýdlant, Nordböhmen) 34, 165 Frýdlant → Friedland Fulda 69 Genf 40, 185 f., 189 Georgenthal → St. Georgenthal Görlitz 173 Goldberg (poln. Złotoryja, Niederschlesien) 173 Gratzen (tsch. Nové Hrady, Südböhmen) 178 Groß Ullersdorf (tsch. Velké Losiny, Nordmähren) 114 Großschönau (Sachsen) 166 Gutenfeld (tsch. Dobruška, Ostböhmen) 150 Haag → Den Haag Hamburg 164 Heidelberg 40, 192 Heiliges Römisches Reich (Altes Reich, Reich) 12, 19, 21, 35, 46 f., 58–61, 63, 67, 80, 86, 122, 126, 131, 183, 190, 209, 215 f., 218, 236, 248, 262–265, 269, 272 Herborn 40 Hoch Chlumetz (tsch. Vysoký Chlumec, Mittelböhmen) Holland 186, 190 Horn (Niederösterreich) 95
284 Horní Slavkov → Schlaggenwald Hrob → Klostergrab Ivančice → Eibenschitz Jena 71 Jindřichův Hradec → Neuhaus Jiřetín pod Jedlovou → St. Georgenthal Jülich-Kleve-Berg 68, 73–76, 79 Jungbunzlau (tsch. Mladá Boleslav, Mittelböhmen) 94, 275 Kaaden (tsch. Kadaň, Nordwestböhmen) 227 Kadaň → Kaaden Karlstein (tsch. Karlštejn, Mittelböhmen) 196 Karlštejn → Karlstein Kleve → JülichKleveBerg Klostergrab (tsch. Hrob, Nordwestböhmen) 16, 145, 150, 276 Komotau (tsch. Chomutov, Nordwestböhmen) 39 Konopischt (tsch. Konopiště, Mittelböhmen) 92 Konopiště → Konopischt Konstanz 270 Kralice (nad Oslavou) → Kralitz Kralitz (tsch. Kralice nad Oslavou, Südmähren) 110 Kutná Hora → Kuttenberg Kuttenberg (tsch. Kutná Hora, Ostböhmen) 29, 151 Legnica → Liegnitz Leiden 40, 194 Leipzig 78, 197, 239 Leitmeritz (tsch. Litoměřice, Nordböhmen) 162 Libeň → Lieben Liberec → Reichenberg Lieben (tsch. Libeň, heute ein Teil Prags, Mittelböhmen) 275 Liegnitz (poln. Legnica, Niederschlesien) 198 Lipany (Mittelböhmen) 25, 27, 46 Litoměřice → Leitmeritz Lnáře → Schlüsselburg Loket → Elbogen London 79 Madrid 120, 126 f., 131 Mähren 20, 27–29, 34, 36, 40, 48, 60, 69, 89 f., 92 f., 103–107, 109–113, 115, 153, 185, 188–191, 247, 261, 270, 272, 275, 277 Mährisch Trübau (tsch. Moravská Třebová, Nordmähren) 90 Miličín (Mittelböhmen) 92 Mladá Boleslav → Jungbunzlau Mnichovo Hradiště → Münchengrätz
Ortsregister Moldautein (tsch. Týn nad Vltavou, Südböhmen) 275 Moravská Třebová → Mährisch Trübau München 59 Münchengrätz (tsch. Mnichovo Hradiště, Ostböhmen) 146 Neuhaus (tsch. Jindřichův Hradec, Südböhmen) 40, 89, 92 Niedergrund (tsch. Dolní Podluží, Nordböhmen) 163 Niederlande 40, 74, 164, 216 f., 222, 231 Nové Hrady → Gratzen Nürnberg 69, 184 f., 188, 198, 204, 265 Oberdeutschland 164 Oberlausitz 20, 161 f., 164, 166–168 Oberpfalz 190 Österreich 38, 58, 69, 74, 92 f., 101, 121, 125, 210, 266, 270, 275 Olmütz (tsch. Olomouc) 109 Olomouc → Olmütz Opava → Troppau Osek → Ossegg Ossegg (tsch. Osek, Nordwestböhmen) 234 Oświęcim → Auschwitz Paris 79 Pfalz 194, 217 Pischel (tsch. Pyšely, Mittelböhmen) 92 Polen 41, 135, 187 Polen-Litauen 21, 184, 188, 190, 261–263, 267–269, 272 Prag (tsch. Praha) 12, 14, 19–21, 29, 31–35, 38 f., 47, 55 f., 64 f., 67–76, 79 f., 87, 90, 98, 101, 114 f., 122, 127 f., 153, 155, 158, 162, 173 f., 176 f., 180, 189, 191–193, 196, 201, 205, 210 f., 215–217, 219, 223, 232, 234, 239, 266, 268, 276 Kleinseite 206 Prager Altstadt 157–159, 176, 196 f. Prager Burg 14, 68, 80, 275 f. Prager Neustadt 14, 156 Újezd 99 Vyšehrad 228, 234 Praha → Prag Preßburg (slowak. Bratislava) 88, 96 Preußen 269 Pyšely → Pischel Račice → Ratschitz Ratschitz (tsch. Račice, heute Račice Pístovice, Südmähren) 90 Reich → Heiliges Römisches Reich Reichenberg (tsch. Liberec, Nordböhmen) 34 Rom 19, 28, 30, 33, 56‒61, 127, 130, 183, 209 Rosenberg (tsch. Rožmberk, Südböhmen) 93
Ortsregister Rosice → Rossitz Rossitz (tsch. Rosice, Südmähren) 90, 275 Rumburg (tsch. Rumburk, Nordböhmen) 161, 163, 166 Rumburk → Rumburg Russland 269 Saaz (tsch. Žatec, Westböhmen) 193 Sachsen 19 f., 63–65, 68, 80 f., 161, 163, 167 f., 198, 265 f. Sandomierz (Südostpolen) 52 Schlaggenwald (tsch. Horní Slavkov, Westböhmen) 34 Schlesien 12, 16, 18, 58, 103, 254, 263, 268 Schlüsselburg (tsch. Lnáře, Südböhmen) 94 Schottland 190, 231 Schweden 216 Schweiz 186 Seelowitz (tsch. Židlochovice, Südmähren) 153 Seidenberg (poln. Zawidów, Niederschlesien) 165 Seifhennersdorf (Sachsen) 166 Siebenbürgen 11, 41 Skramníky (Mittelböhmen) 192 Škramníky → Skramníky 192 Slavkov (u Brna) → Austerlitz Soběslav → Sobieslau Sobieslau (tsch. Soběslav, Südböhmen) 92, 176, 178 Spanien 59, 118, 123, 131 St. Georgenthal (tsch. Jiřetín pod Jedlovou, Nordböhmen) 20, 161, 163–165, 168 Náměstí Jiřího 161 Tábor (Südböhmen) 92, 101 Tetschen (tsch. Děčín, Nordböhmen) 34
285 Thüringen 265 f. Tirol 91 Tollenstein (tsch. Tolštejn, Nordböhmen) 161 Tolštejn → Tollenstein Třeboň → Wittingau Troppau (tsch. Opava, Nordmähren) 40 Tschechoslowakei 16 f. Týn nad Vltavou → Moldautein Uherský Ostroh → Ungarisch Ostra Újezd → Prag Ungarisch Ostra (tsch. Uherský Ostroh, Südmähren) 189 Ungarn 69, 74, 88 f., 92, 96, 121, 184, 190, 210, 275 Varnsdorf → Warnsdorf Vatikan 19 Velké Losiny → Groß Ullersdorf Venedig 86 Vitoraz → Weitra Vyšehrad → Prag Vysoký Chlumec → Hoch Chlumetz Warnsdorf (tsch. Varnsdorf, Nordböhmen) 166 Warschau (poln. Warszawa) 268 Warszawa → Warschau Weitra (tsch. Vitoraz, Niederösterreich) 89 Wien 64, 106, 114, 162, 209, 277 Wittenberg 33, 35, 39, 78 Wittingau (tsch. Třeboň, Südböhmen) 85–96, 98–101 Wrocław → Breslau Württemberg 266 Wyschehrad → Vyšehrad Žatec → Saaz Židlochovice → Seelowitz Zittau 161–164, 166
Personenregister Acevedo, Pedro Enríquez de, Grafe de Fuentes 122 Adalbert, Hl. 226 Agricola, Melchior 180 Ailberus, Peter 178 Akanthido-Mitis, Jakub 192 Albrecht, Erzherzog von Österreich 73, 123 Alexander der Große, König von Makedonien 215 Arsenius von Radbuza, Caspar 228–231, 236 Attems, Hermann von 60, 75, 122, 126 August, Kurfürst von Sachsen 65 Austria → Julius Cesare d’Austria, Don Bacháček z Nauměřic, Martin 174 Bahlcke, Joachim 254 Balbin, Bohuslaus 171, 217, 219, 227, 230–235 Barvitius, Johann Anton 57, 74 Beckovský, Johann Franz 227, 233 Beneš, František 17 Berka von Dubá, Adelsfamilie 46, 117 Berka von Dubá, Ladislaus 106, 109 Berka von Dubá, Lev Burian 109 Berka von Dubá, Wenzel 13 Beza, Theodor 184, 186 Biberstein, Adelsfamilie 34 Bidenharter, Tobias 209 Bocskai, Stefan 67, 106 f. Bonifatius, Hl. 266 Bonomi, Francesco 55 Borbonius, Matthias 151 Borghese, Scipione 56 f. Bořita von Martinitz, Jaroslaw 126, 202 Boskowitz, Protasius von 31 Bramhauzský von Roštejn, Burian Celerin 92, 98 Brandenstein, Esaias von 66 Breitenberg, Georg Bartholdus von (Pontanus) 227 Bretholz, Bertold 254 Březan, Václav 86, 94, 100, 180 Brieg und Liegnitz von, Fürstenfamilie 198 Brindisi, Laurentius von 59 Brus von Müglitz (z Mohelnice), Anton, Erzbischof von Prag 38 Bucius, Johannes 216 Budowetz von Budow, Wenzel 40, 78, 89, 91,
95–101, 103 f., 107 f., 112, 118, 124, 146, 152, 176, 197, 217, 243 f., 248, 253 Bünting, Heinrich 216 Caetani, Antonio 14, 19, 56–61, 70, 120, 124, 126, 130 Calin von Marienberg, Franciscus Dominicus 114 Calvin, Johannes 183–193, 196, 209 Castro, Francisco de 127 Čechtický → Janda Čechtický, Matěj Čechura, Jaroslav 257 f. Chaline, Olivier 255 Chanovský, Albrecht 231 f., 235 Christian I., Fürst von Anhalt-Bernburg 90, 95 f., 98, 100, 198, 207 Christian I., Kurfürst von Sachsen 65 f. Christian II., Kurfürst von Sachsen 19, 65–72, 74, 79 f. Chudoba, Bohdan 248 f. Cluverius, Philippus 216 f. Codicillus, Peter 173 Colonna von Fels, Leonhard 117 Comenius, Johann Amos 21, 110, 194, 217–223 Corvinus, Matthias, König von Ungarn und Böhmen 31, 109 Croll, Oswald 90, 96 Crugerius, Georg 114 Custos, Rafael 201 Cyrill, Jan 152 Cyrus, Matěj 94, 97, 147, 158 f., 176 David, Zdeněk V. 256 Denis, Ernest 25 f., 244 f., 255 Dietrichstein, Adelsfamilie 117 Dietrichstein, Franz Seraph von, Kardinal 75, 109, 113, 129 Dietrichstein, Siegmund II. von 104 Dikast (Miřkovský), Jiří 156–158 Donnerberg, Joachim von 76 Dorothea, Prinzessin von Sachsen 65 Eberhard, Winfried 46 Emmerich, Lorenz 205 Erastus, Jiří 110, 153 Evans, Robert John Weston 254 f., 258 Fabricius, Philipp 202 Ferdinand I., Kaiser, König von Ungarn und Böhmen 34, 37, 64, 229, 262
Personenregister Ferdinand II., Erzherzog von Österreich (Graf von Tirol) 37 Ferdinand II., Kaiser, König von Ungarn und Böhmen 113, 115, 167, 206, 209, 211, 227, 242, 264, 276 Ferreri, Giovanni 55 f. Fictum, Christoph 70 Forgác, Adelsfamilie 107 Fradelius, Peter 199, 206 Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, Herzog von Lerma 123 Franz Joseph I., Kaiser von Österreich, König von Böhmen und Ungarn 266 Friedberg, Christian Gottlieb von → Schoppe, Kaspar Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz 52 Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz 59, 70, 192 Friedrich V., Kurfürst von der Pfalz, König von Böhmen 43, 190, 192 f., 199, 201, 204–208, 210, 212 f. Friedrich Wilhelm I., Herzog von SachsenWeimar 65 Fruwein, Martin 78, 199 Fuentes de → Acevedo, Pedro Enríquez de, Grafe de Fuentes Fürstenberg, Friedrich von 89 Gebhard, Michael 178 Gehler, Michael 180 Georg von Podiebrad, König von Böhmen 30 f. Gerstenberg, Marcus 66, 70 f., 75–80 Gideon 205 Gindely, Anton 16 f., 25, 74, 242, 245 Glücklich, Julius 244 f., 254 Gödelmann, Johann Georg 66 f., 69 f., 75 f. Goll, Jaroslav 17, 244 f., 254 Gruneus, Gerson 178 Grynaeus, Johann 197, 217 Gutknecht, Christoph 185 Habsburger, Herrscherdynastie 12 f., 15, 17, 41, 59, 63, 67, 79, 87, 93, 112, 191, 193, 199, 236, 242–244, 246 f., 256, 275 Hajek von Libotschan, Wenzel 227 Hammerschmidt, Johann Florian 227, 232, 234 Hannewald von Eckersdorf, Andreas 73, 123 Hartlieb, Samuel 220 Hartmann, Adam 218 Haugwitz von Biskupitz, Joachim 111 Havlíček Borovský, Karel 241 Heinrich Julius, Herzog von Braunschweig 70 Hennot, Hartger 76
287 Henri de Valois, König von Polen 263 Hieronymus von Prag 199, 204 Hock, Theobald 90 Hodějovský von Hodějov, Přech 98 Hoditz, Georg von 106 f. Hoë von Hoënegg, Matthias 71, 80, 177 Hoffmann, František 29 Hollach, Georg Friedrich von 70 Hrejsa, Ferdinand 29, 33, 246 Hrubý, František 186, 246 f., 249 Hus, Jan 43, 45‒47, 50, 199, 201, 204, 217, 270 Husa, Václav 251 Illésházy, Adelsfamilie 107 Illésházy, Stephan 107 Jakob I., König von England 191 Janáček, Josef 26, 252 Janda Čechtický, Matěj 156 f. Jenšovský, Bedřich 17, 245 Jessenius, Johannes 175 Jirásek, Alois 271 Johann Friedrich, Kurfürst von Sachsen 64 Johann Georg, Kurfürst von Brandenburg 66 Johann Georg, Kurfürst von Sachsen 68, 81 Johann Sigismund, Kurfürst von Brandenburg 70, 190 Johann Wilhelm, Herzog von Jülich-KleveBerg 68 Johanna, Herzogin von Villahermosa 120 JülichKleveBerg von → Johann Wilhelm, Herzog von Jülich-Kleve-Berg Julius Cesare d’Austria, Don 91 Jungmann, Josef 240 Just, Jiří 257 f. Justýn, Vavřinec 110 Kalista, Zdeněk 249 Kalivoda, Robert 27, 36, 252 f. Kamenický, Jakub 48 Karl IV., Kaiser, König von Böhmen 215, 217, 226 f., 229, 234 Karl V., Kaiser, König von Spanien 63, 262 Kavka, František 251 Khlesl, Melchior, Bischof von Wien, Kardinal 109, 188, 199, 202, 205 Kirchmeyer → NaogeorgusKirchmeyer, Thomas Klenowsky von Klenowa, Johann 125 Kloseman, Kaspar 197 Kohnle, Armin 261 Koldinská, Marie 256 f. Kolowrat von → Novohradská von Kolowrat, Maria Magdalena → Novohradský von Kolowrat, Wolf
288 Konečný, Matouš 153 Konrad, Paul 268 Koranda, Václav 29 Korvín, Jan 212 Kosina, Jaroslav 244 Krofta, Kamil 17, 29, 244–247, 249, 268 Krugerius, Georg 227, 231 f., 234 Ladislaus Postumus, König von Böhmen 30 Lamberg, Abraham 197 Lamberg, Karl von, Erzbischof von Prag 14, 120, 228 Lanecius, Jan 187 Lanecký, Jan 110, 153 Leopold, Erzherzog von Österreich, Bischof von Passau 42, 75, 79, 100 f., 124, 276 Lerma von → Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, Herzog von Lerma Leuchtenberg, Georg Ludwig von 75, 77, 123 Leyser, Polycarp 67 f., 150 f. Liechtenstein, Karl von 210 Lipá, Pertold Bohobud von 109 Llagas, Luisa de las 120 Lobkowitz, Adelsfamilie 117, 120 Lobkowitz, Christoph Popel von 13, 127 Lobkowitz, Georg Popel von 39 Lobkowitz, Ladislaus von 106, 109, 112 Lobkowitz, Polyxena von 120, 129 Lobkowitz, Zdeněk Adalbert Popel von 13–15, 40, 43, 70, 75, 100, 118, 120–132, 219, 235 Locke, John 249 Lohelius, Johann 276 Lomnický, Šimon 207 Loß, Christoph d.J. von 66, 74, 76 Loß, Joachim von 66 Losu, Francisco de 122 Ludanitz, Katharina von 147 Ludmilla, Hl. 226 Lüttichau, Wolf von 79 Lukán, Egidius 101 Lukán, Jan 101 Lukas von Prag, Bischof der Unität der Böhmischen Brüder 33 f. Luther, Martin 33‒35, 46 f., 196, 201, 265 Luxemburger, Herrscherdynastie 226 Macek, Josef 26 Malý, Jakub 240–242 Martinitz → Bořita von Martinitz, Jaroslaw Martinius von Dražov, Samuel 194, 212 Matthias, Kaiser, König von Ungarn und Böhmen, Erzherzog von Österreich 13–15, 40–42, 60, 65, 67–70, 79 f., 87–92, 95 f., 98, 101 f., 107–112, 114 f., 119, 122, 125 f.,
Personenregister 131, 133–136, 138, 199, 201 f., 230, 242, 252, 264, 275 f. Matthias von Ungarn → Corvinus, Matthias Maur, Eduard 233 Maximilian I., Herzog von Bayern 59, 73, 207 Maximilian II., Kaiser, König von Ungarn und Böhmen 12, 38, 48, 51, 65, 143, 205, 218, 275 Megander, Christoph 206 Melanchthon, Phillipp 19, 35, 39, 45, 184 f. Mencl, Johann 235 Merian, Matthäus 171 Michna von Vacínov, Paul 100 Míka, Alois 251 f. Mikulec, Jiří 239 Milner von Milhaus, Johann 94 Miřkovský → Dikast (Miřkovský), Jiří Mitis → AkanthidoMitis, Jakub Molnár, Amedeo 253 Morkovský → Opsimathes, Jan Mrkvička → Opsimathes, Jan Münsterberg von, Fürstenfamilie 198 Naogeorgus-Kirchmeyer, Thomas 185 Neuhaus, von, Adelsfamilie 46 Nigrinus, Wilhelm 178 Novák, Jan Bedřich 17 Novohradská von Kolowrat, Maria Magdalena 93 Novohradský von Kolowrat, Wolf 87, 89–92, 94–98, 127 Odložilík, Otakar 186 Opsimathes, Jan (Morkovský, Mrkvička, Optimates) 189, 191, 193 Optimates → Opsimathes, Jan Osovský von Doubravice, Smil 107 Otto I., Herzog von Mähren 234 Palacký, František 17, 25–27, 240, 270 Pánek, Jaroslav 26 Paul, Hl. 91 Paul V., Papst 56, 209 Pěčka von Radostice, Michal 209–213 Pekař, Josef 26, 219, 248 Pernstein, Adelsfamilie 120 Pernstein, Johann von 36, 43 Pernstein, Wilhelm von 43 Pernstein, Wratislaw von 120 Pešina von Čechorod, Thomas 219, 232, 234 f. Pětipeský von Chýše, Šťastný Wenzel 94 Petráň, Josef 26 Petřvaldský von Petřvald, Hanuš 90 Pflug von Rabstein, Adelsfamilie 34 Philipp II., König von Spanien 14
Personenregister Philipp III., König von Spanien 59, 120, 122 f., 127, 131 Philipp Ludwig, Pfalzgraf und Herzog von Pfalz-Neuburg 70 Pierio, Giovanni Battista 105 Pitr, Josef Bonaventura 232 Pius XII., Papst 266 Plasger, Georg 46 Plessis-Mornay, Philippe du 186 Pöllnitz, Bernhard von 66 Polišenský, Josef 190, 249–251 Poniatowski, Stanisław August, König von Polen 267 Pontanus → Breitenberg, Georg Bartholdus von Ponus, Hl. 204 Popel von Lobkowitz → Lobkowitz Prada, Andrés de 122 Prag, Lukas von → Lukas von Prag Přáza, Pavel (Pressius) 50 Přemysl Ottokar I., König von Böhmen 234 Přemysl Ottokar II., König von Böhmen 215, 234 Přemysliden, Herrscherdynastie 215, 226 Pressius → Přaza, Pavel Prokop, Hl. 226 Pruskovský, Ulrich Desiderius 73 Puchheim, Bernhard von 95 Rabstein, Prokop von 30 f. Ráček, Blažej 248 Radetzky, Josef Wenzel 270 Raspinus, Hl. 204 Redern, Melchior von 165 Rehabeam, König von Juda 205 Rej von Naglowitz, Andrzej 186 Rejchrtová, Noemi 253 Rezek, Antonín 25, 233 Říčan, Rudolf 253 Richter, Karl 254 Rokycana, Jan 28–30 Rollos, Peter 206 Rosacius, Adam 217 Rosenberg, von, Adelsfamilie 46, 86, 93, 97, 101 f., 179 Rosenberg, Peter Wok von 20, 85–102, 107, 146 f., 178 Rosenberg, Ulrich von 29 Rosenberg, Wilhelm von 39, 43 Rožd’alovský, Václav 47 Rudolf II., Kaiser, König von Ungarn und Böhmen 11–18, 20, 22, 40 f., 45, 47, 51, 57–61, 64‒66, 68‒70, 72–74, 78–81, 85, 87, 89–92, 94 f., 97–99, 101–103, 106–110,
289 112, 114 f., 117–124, 126–132, 138, 161, 168, 171, 195‒197, 203, 205, 217 f., 225, 228, 230 f., 233–236, 239, 242 f., 252, 257–259, 263 f., 271, 273, 275 f. Rumpf zum Wielross, Wolfgang 129 Ruppau, Wilhelm von 153 Saalhausen, Adelsfamilie 34 Salomo, König von Israel 205, 217 San Clemente, Guillén de 129 Sandel, Johann 227 Schleinitz, Georg von 165 Schlick, Adelsfamilie 34 Schlick, Joachim Andreas 15, 70, 73, 95, 117, 150 f., 176 Schönberg, Caspar von 66, 68, 70–72, 74, 80 Schönfelder, Joachim 163–168 Schoppe, Kaspar 183, 190 Schramm, Gottfried 263 Schwanberg, Johann Georg von 87, 94 f., 98, 180 Scultetus, Abraham 192 Serponte, Francesco Ferdinando de 108 Sigismund, Kaiser, König von Ungarn und Böhmen 28–30 Simeon, Bruder → Turnovský, Simeon Theophil Skála von Zhoř, Pavel 193, 244 Slawata von Chlum und Koschumberg, Wilhelm 78, 88 f., 92, 98, 100, 118, 124‒126, 202, 230 f., 235 Šmahel, František 26, 46 Smiřický von Smiřice, Albrecht Wenzel 149 Sötern, Philipp Christoph von 59 Speciano, Cesare 55 Spinelli, Filippo 40, 55 Starhemberg, Reichard von 94 f., 107 Štefan, Václav 147 Sternberg, Adam von 13, 57, 78, 88, 95 f., 98–100, 121, 123–127, 131 f. Stralendorf, Leopold von 60 Stralendorf, Peter Heinrich von 126 Stránský, Pavel 171 StrejcVetter, Jiří 188 Šúd von Semanín, Eliáš 147, 151, 193 Švarc von Semanín, Jindřich Daniel 90 Svatoš, Michal 177 Tanner, Johann 227, 231 f., 235 Tapié, Victor Lucien 255 Tazbir, Janusz 267 Thurn, Heinrich Matthias von 117 Timin von Ottenfeld, Matthias 90 Tomek, Václav Vladivoj 25, 242–244 Tovačovský z Cimburka, Ctibor 110
290 Trautson, Paul Sixt III. von, Graf von Falkenstein 129 Trčka von Lípa und auf Opočno, Johann Rudolf 150 Tschernembl, Georg Erasmus 89, 94 f., 101, 107 Turnovský, Simeon Theophil 187 Ursinus, Benjamin 180 Ursinus, Elias 178 Válka, Josef 26, 251 Vančura, Jindřich 244 Villahermosa von → Johanna, Herzogin von Villahermosa Vischere, Peter de 73 Voigt, Nikolaus Adauctus 171 Vrbenský, Viktorin 151 f. Vybíral, Zdeněk 256 Wagner, Tobias 151 Waldstein, Adam d.J. von 68 f., 75, 78, 89, 95, 99, 125, 127, 131 Waldstein, Johann Friedrich von 217 Wallenstein, Albrecht von 107 Wartenberg, Adelsfamilie 34 Wchinsky von Wchynitz, Radslaw d.Ä. 147, 161 Wenzel, Hl. 204, 226
Personenregister Wenzel II., König von Böhmen und Polen 215 Wenzel IV., römisch-deutscher König, König von Böhmen 204 Wettiner, Herrscherdynastie 63, 79 Winkelbauer, Thomas 258 Winter, Eduard 254 Winter, Zikmund 244 Wittau, Hans Melchior von 70, 76 Wladislaw II. Jagiello (Jagellonský), König von Böhmen und Ungarn 13, 31, 33, 204 Wok, Peter → Rosenberg, Peter Wok von Wolkan, Rudolf 199 Würben und Freudenthal, Johann d.J. von 189 Žebrácký, Václav Klement 207 Zelking, Hans Wilhelm von 98 Žerotín, Friedrich d.Ä. von 107 Žerotín, Johann Diviš von 153 Žerotín, Karl d.Ä. von 20, 43, 90, 92, 94–97, 104–115, 153, 186, 275 Žerotín, Ladislaus Velen von 90, 114 Ziga, Zigmund 184 Žižka, Jan 199, 204 Zrinský von Seryn, Johann 93, 98 Zúñiga, Baltasar 14, 61, 70, 120, 122–126, 130 f.
Welche Entwicklungen führten 1609 zum Majestätsbrief und der durch ihn proklamierten Religionsfreiheit? Konnten die Religionsbestimmungen ungehindert in die Praxis umgesetzt werden und wie sah dies in den Grenzregionen Böhmens aus? Welche Bedeutung maßen die Zeitgenossen dem Majestätsbrief bei? Inwiefern beeinflusste er die Mentalität und die Handlungsweisen der verschiedenen Akteure? Wie wurde er von späteren Historikern interpretiert? Und schließlich: Welche Rolle spielt der Majestätsbrief im kollektiven Gedächtnis der tschechischen Bevölkerung? Diese Fragen und etliche mehr beantworten die Autorinnen und Autoren dieses Buches, das auf eine Tagung zum 400-jährigen Jubiläum des Majestätsbriefs zurückgeht. Neben Historikerinnen und Historikern kommen auch Theologen zu Wort. Der Band verspricht eine Vielzahl neuer Forschungsergebnisse und wird die Diskussion über die Verflechtung von Religion und Politik während der Frühen Neuzeit sowie über konfessionelle Konfliktarrangements beleben. Nicht zuletzt wird angesichts neuer Ergebnisse auch die Geschichte Böhmens in der Periode vor der Schlacht am Weißen Berg 1620 neu bewertet werden müssen.
isbn 978-3-515-10609-2