Religion in der Altenpflege: Eine Studie in vier stationären Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen 9783839458006

Die Anzahl Pflegebedürftiger steigt - und damit auch die Vielfalt kultureller Hintergründe, religiöser Gewohnheiten und

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Religion in der Altenpflege: Eine Studie in vier stationären Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen
 9783839458006

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Susanne Stentenbach-Petzold Religion in der Altenpflege

Alter - Kultur - Gesellschaft  | Band 5

Für Paul Henry

Susanne Stentenbach-Petzold, geb. 1986, ist freiberufliche Dozentin und interkulturelle Trainerin im Gesundheitswesen. Sie studierte Religionswissenschaft an der Ruhr-Universität Bochum und war dort bis 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Sie wurde im Rahmen des interdisziplinären Forschungskollegs »Religiöse Pluralität und ihre Regulierung in der Region« an der Ruhr-Universität Bochum im Fach Religionswissenschaft promoviert.

Susanne Stentenbach-Petzold

Religion in der Altenpflege Eine Studie in vier stationären Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen

Die Publikation ist die Dissertationsschrift der Autorin, mit der sie 2020 unter dem Titel »Religion in Altenpflegeorganisationen. Eine empirische Untersuchung zum Umgang mit Religion in vier ausgewählten stationären Altenpflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen« im Rahmen des Forschungskollegs »Religiöse Pluralität und ihre Regulierung in der Region« (RePliR) an der Ruhr-Universität im Fach Religionswissenschaft promoviert wurde. Gutachter: Prof. Dr. Volkhard Krech und Prof. Dr. Jürgen Straub

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5800-2 PDF-ISBN 978-3-8394-5800-6 https://doi.org/10.14361/9783839458006 Buchreihen-ISSN: 2569-2615 Buchreihen-eISSN: 2703-0318 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Danksagung ........................................................................ 9 I 1.1 1.2 1.3

Religion in Altenpflegeorganisationen: Eine Einführung....................... 11 Hinführende Beobachtungen ................................................... 11 Untersuchungsgegenstand und Forschungsfragen ..............................13 Aufbau der Arbeit.............................................................. 15

Forschungsstand ............................................................. 17 Zum Setting der organisierten Altenpflege...................................... 17 2.1.1 Eine sehr kurze Geschichte der Altenpflege in Deutschland .............. 17 2.1.2 Organisierte Altenpflege aus rechtlicher Perspektive .................... 21 2.1.3 Strukturen der organisierten Altenpflege ............................... 26 2.2 Religion im Kontext von Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Migration ........... 31 2.3 Diskurse und Strategien im Umgang mit kultureller Pluralität .................. 34 2.3.1 Interkulturelle Öffnung................................................. 34 2.3.2 Transkulturelle und Kultursensible Pflege .............................. 36 2.3.3 Diversity-Management ................................................. 39

II 2.1

III 3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Untersuchungsdesign......................................................... 41 Vorüberlegungen .............................................................. 41 Feldzugang ................................................................... 42 Datenerhebung ............................................................... 44 Datenaufbereitung............................................................ 45 Datenauswertung............................................................. 46

IV Empirischer Teil ............................................................. 53 4.1 Einführende Bemerkungen und Fallauswahl ................................... 53 4.2 Religion in einem Leitbild ..................................................... 56

4.3 Pflege ........................................................................ 72 4.3.1 Gebet oder Gute-Nacht-Lied? .......................................... 73 4.3.2 Intimrasur und Waschgewohnheiten..................................... 81 4.3.3 Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege.................................. 90 4.3.4 Religion als Diagnose .................................................. 98 4.3.5 Von Neulingen und alten Hasen ....................................... 108 4.4 Sozialdienst .................................................................... 116 4.4.1 Der runde Stein........................................................ 116 4.4.2 Ein freier Mensch ..................................................... 123 4.5 Heimleitung ................................................................. 132 4.5.1 Das Raucherhäuschen ................................................ 132 4.5.2 Die Augen einer Krankenschwester.................................... 145 4.6 Religiöse Begleitung ......................................................... 154 4.6.1 Ein schwieriges Problem .............................................. 154 4.6.2 Ein Moment der Göttlichkeit ........................................... 164 4.7 Der Roboter .................................................................. 174 4.8 Zusammenfassung der Befunde .............................................. 188 4.8.1 Religion zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit .................... 189 4.8.2 Berufs(un)spezifische Blicke auf Religion.............................. 190 4.8.3 Fallgeneralisierende und -spezifizierende Umgangsformen mit Religion 191 4.8.4 Islam als ›Sonderfall‹ ................................................. 192 4.8.5 Religion als Herausforderung ......................................... 193 Analyse ...................................................................... 197 Integration von Religion in Altenpflegeorganisationen ......................... 197 5.1.1 Religion zwischen Profilbildung und rechtlicher Regulierung ........... 198 5.1.2 Religion vor dem Hintergrund systemtheoretischer Überlegungen ...... 202 5.1.3 Religion im Kontext wohlfahrtlicher Arbeit............................. 209 5.2 Berufshandeln und der Umgang mit Religion .................................. 217 5.2.1 Handlungsregeln....................................................... 217 5.2.2 Sinnhafte Handlungen im Kontext von Fallgeneralisierung und -spezifizierung ........................... 222 5.2.3 Berufsverständnisse .................................................. 225 5.2.4 Sozialbeziehungen.................................................... 229 5.3 Religionsverständnisse ...................................................... 234 5.3.1 Religionsverständnisse im empirischen Material ....................... 234 5.3.2 Religionswissenschaftliche Einordnung................................ 245

V 5.1

VI

Conclusio ................................................................... 257

Bibliografie....................................................................... 263 Anhang ........................................................................... 285 Grobsequenzierung der verwendeten Interviews ................................... 285 a) Interview mit Frau H. ...................................................... 285 b) Interview mit Frau A. ...................................................... 286 c) Interview mit Frau D. und Frau E. .......................................... 288 d) Interview mit Herrn B. ..................................................... 289 e) Interview mit Herrn K. ..................................................... 290 f) Interview mit Frau I. ....................................................... 292 g) Interview mit Herrn C. ..................................................... 295 h) Interview mit Frau M....................................................... 298 Abbildungsverzeichnis ........................................................... 307 Tabellenverzeichnis .............................................................. 309

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich all jenen meinen Dank aussprechen, die mich auf dem Weg zur Promotion begleitet haben: Meinen Betreuern: Volkhard Krech für den inspirierenden und wertschätzenden Austausch zu meinem Dissertationsprojekt und seine gewissenhafte Betreuung. Jürgen Straub für die Möglichkeit, an seinem aufgeschlossenen Kolloquium teilnehmen zu dürfen und für seine wertvollen Rückmeldungen zu meinem Projekt. Dem interdisziplinären NRW-Forschungskolleg Religiöse Pluralität und ihre Regulierung in der Region (RePliR) für die Möglichkeit, in einem strukturierten Doktorandenprogramm arbeiten zu dürfen: Dieser Dank gilt insbesondere den motivierten Koordinatorinnen Sarah Jahn, Judith Stander-Dulisch und Maren Freudenberg sowie meinen Kolleginnen und Kollegen Natalie Powroznik, Linda Hennig, Martina Loth, Anna Wiebke Klie, Heike Haarhoff, Dilek Tepeli, Anna Raneck, André Kastilan, Mathias Schneider und David Rüschenschmidt, in deren Kreis ich mich immer sehr wohlgefühlt habe. Auch danke ich den am Kolleg beteiligten PIs, insbesondere Christel Gärtner und Hinnerk Wißmann, für ihre wertvollen Hinweise und ihre Expertise. Den Mitgliedern meiner mehrjährigen Analysegruppe, insbesondere Linda Hennig und Anna Grabosch für die gegenseitige Motivation und Unterstützung in fachlichen, aber auch persönlichen Belangen. Den ehemaligen Kolleginnen und Kollegen am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien (CERES) für den fachlichen Austausch und die freundliche Arbeitsatmosphäre. Meiner Familie: Meinen Eltern, die meinen Werdegang auf ihre unterschiedliche Art stets unterstützt haben. Meinen Schwestern Jana, Lea und Maike für ihr Interesse an meiner Arbeit und ihre Rückmeldungen zu einzelnen Kapiteln der Arbeit. Meinem Ehemann Mark, der das Projekt in guten

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Religion in der Altenpflege

wie in schlechteren Phasen mitgetragen hat und mir insbesondere in der intensiven Phase des Schreibprozesses den Rücken freigehalten hat. Und schließlich: Meinen Interviewpartnerinnen und -partnern für ihre Gesprächsbereitschaft, ohne die ein Einblick in altenpflegerische Organisationen und ihren Umgang mit Religion nicht möglich gewesen wäre. Susanne Stentenbach-Petzold, April 2021

I

Religion in Altenpflegeorganisationen: Eine Einführung

1.1

Hinführende Beobachtungen

Die vorliegende Studie nimmt ihren Ausgangspunkt in der Beobachtung eines spannenden Phänomens: Neben ökonomischen und sozialpolitischen Fragestellungen scheint sich das deutsche Gesundheitssystem seit einiger Zeit vermehrt mit dem Thema Religion auseinanderzusetzen. Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass religiöse Institutionen in der Vergangenheit maßgeblich an der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung beteiligt waren und Träger des Gesundheitswesens teilweise bis heute ihr Handeln aus der Geschichte religiöser Fürsorge ableiten (vgl. Seidler/Leven 2003: 75ff.), ist Gesundheit bzw. Medizin in einer funktional differenzierten Gesellschaft grundsätzlich von Religion zu unterscheiden (vgl. Luhmann 2009a: 18). Diese Unterscheidung wird auch bei der World Health Organization deutlich, welche den Genuss des höchsten erreichbaren Gesundheitszustandes zu »one of the fundamental rights of every human being without distinction of race, religion, political belief, economic or social condition« (WHO 2020) macht. Ein Blick auf die Praxis hingegen offenbart eine Verzahnung von gesundheitlichen und religiösen Fragestellungen und Thematiken: So soll Ratgeberliteratur den ärztlichen und pflegerischen Umgang mit muslimischen Patienten1 in Krankenhäusern erleichtern (vgl. Becker et al. 2006, Köck et al. 2009). Verlage wie de Gruyter publizieren Zeitschriften zur sogenannten Spiritual Care in Gesundheitsberufen (vgl. Frick/Peng-Keller 2018) und auch architektonisch schlägt sich die Beschäftigung mit dem Thema Religion in Einrichtungen des Gesundheitswesens nieder: Mittlerweile verfügen nicht wenige Kran1

Mit Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.

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Religion in der Altenpflege

kenhäuser neben ihren traditionellen Kapellen über Räume der Stille2 , die den Patienten und Mitarbeitern unterschiedlicher Religionszugehörigkeit einen Raum für religiöse Praxis eröffnen sollen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist hier sicherlich das katholische St. Josef-Hospital in Bochum, dessen Raum der Stille kalligrafische Bilder mit Gebeten aus dem Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam zeigt. Weiterhin gibt es Kliniken, die Stationen speziell für muslimische Patienten einrichten – so auch die BertaKlinik in Hannover, welche dieses Angebot seit 2004 bereithält und trotz des Vorwurfs der Desintegration bestimmter Patientengruppen zum Vorbild für andere Einrichtungen wurde (vgl. Engel 2005). Nicht zuletzt nehmen Leistungserbringer im Gesundheitssystem die Berücksichtigung religiöser Vorstellungen und Bedürfnisse unter dem Leitbegriff der kultursensiblen Pflege in ihren Leistungskatalog auf: Von ambulanten Pflegediensten häufig angeboten werden dann spezifische Formen der Körperpflege, Sterbebegleitung und Totenwaschung für religiös sozialisierte Patienten (vgl. z.B. Deta-Med 2018). Einbetten lassen sich diese Beobachtungen in allgemeine Überlegungen zu demografischen und religiösen Wandlungsprozessen: Während erstere sich u.a. in einem Trend zur Alterung der Gesellschaft widerspiegeln, zeigen sich letztere in Individualisierungs3 - und Enttraditionalisierungstendenzen, die unter dem Stichwort der religiös-weltanschaulichen Pluralisierung diskutiert werden können (vgl. Jähnichen et al. 2016: 9). Zuwanderung darf dabei als ein wesentlicher Faktor betrachtet werden, der sich sowohl auf die demografische Entwicklung als auch auf die Veränderung der religiösen Landschaft in Deutschland auswirkt (vgl. Krech 2007: 33). Dass die Untersuchung dieser Wandlungsprozesse nicht nur aus wissenschaftlicher Perspektive interessant ist, sondern auch gesellschaftspolitische Relevanz besitzt, zeigt nicht zuletzt die Förderung anwendungsbezogener Forschung in 2

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So macht der Religionswissenschaftler Alexander-Kenneth Nagel in einem Sample von 70 Krankenhäusern der Region Rhein-Ruhr 14 Einrichtungen aus, die explizit über einen Raum der Stille verfügen (vgl. Nagel 2017: 156). Volkhard Krech schlägt eine weitergehende Unterscheidung zwischen Individualisierung in der Sozial- und in der Sachdimension vor: Während erstere auch als Privatisierungsprozess verstanden werden kann, indem Religion »mehr und mehr zur Sache des einzelnen« (Krech 1999: 66) und damit zur »Sache der subjektiven Überzeugung« (ebd.: 67) wird, meine Individualisierung in der Sachdimension, dass »das Selbst zentraler Gegenstand religiöser Sinnbildung« (ebd.) wird. Dies zeige sich u.a. in religiösen Praktiken, die Selbsterfahrung und Selbstverwirklichung zum Ziel hätten (vgl. ebd.).

I Religion in Altenpflegeorganisationen: Eine Einführung

den Forschungskollegs NRW durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Als Teil des Forschungskollegs RePLiR (Religiöse Pluralität und ihre Regulierung in der Region) wurde auch die vorliegende Studie dankenswerter Weise durch das Ministerium gefördert.4 Blickt man nun auf die gesundheitliche Versorgungslandschaft in Deutschland, fällt ein Setting ins Auge, welches sich in besonderer Weise mit sowohl demografischen als auch religiösen Wandlungsprozessen auseinanderzusetzen hat: das der organisierten Altenpflege. Während einerseits davon ausgegangen werden kann, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren kontinuierlich ansteigen wird (vgl. BiB 2019), muss andererseits damit gerechnet werden, dass diese pflegebedürftigen Menschen heterogene Lebensentwürfe und Deutungsmuster mit sich führen. Nicht zuletzt befinden sich unter ihnen auch immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Die größte Gruppe dürften dabei aktuell die im Rahmen von Anwerbeabkommen der 1950er bis 1970er Jahre immigrierten Menschen ausmachen, die mittlerweile ein Alter erreicht haben, welches eine Pflegebedürftigkeit wahrscheinlich macht (vgl. Tezcan-Güntekin et al. 2015: 4, Prätor 2008: 334f.).5 Betrachtet man die organisierte Altenpflege nun als Kristallisationspunkt der genannten Wandlungsprozesse, welche primär die Pflege und Betreuung hilfebedürftiger Menschen zur Aufgabe hat, stellt sich die Frage, wie in diesem Setting mit Religion umgegangen wird.

1.2

Untersuchungsgegenstand und Forschungsfragen

Auch wenn es mittlerweile zahlreiche Studien zu Einrichtungen der Altenpflege und darin relevanten Berufen gibt, liegt bisher noch keine Studie vor, die sich aus religionswissenschaftlicher Perspektive, d.h. bekenntnisunabhängig und methodisch kontrolliert, mit dem Thema Religion in gegenwärtigen Einrichtungen der Altenpflege in Deutschland beschäftigt. Nicht sel4

5

Hervorgegangen ist aus der Arbeit des Forschungskollegs weiterhin ein Praxishandbuch (vgl. Jahn/Stander-Dulisch 2021), das u.a. Fallstudien der Promovenden enthält. Der entsprechende Aufsatz der Autorin (»Stationäre Altenpflegeeinrichtungen«) baut auf ausgewählten Befunden und Themen dieser Dissertationsschrift auf. Genaue Zahlen zur Pflegebedürftigkeit von Migranten gibt es bisher nicht, da das Merkmal der Staatsangehörigkeit bzw. des Migrationshintergrundes bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) nicht erhoben wird (vgl. Kohls 2012: 92).

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I Religion in Altenpflegeorganisationen: Eine Einführung

den Forschungskollegs NRW durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Als Teil des Forschungskollegs RePLiR (Religiöse Pluralität und ihre Regulierung in der Region) wurde auch die vorliegende Studie dankenswerter Weise durch das Ministerium gefördert.4 Blickt man nun auf die gesundheitliche Versorgungslandschaft in Deutschland, fällt ein Setting ins Auge, welches sich in besonderer Weise mit sowohl demografischen als auch religiösen Wandlungsprozessen auseinanderzusetzen hat: das der organisierten Altenpflege. Während einerseits davon ausgegangen werden kann, dass die Anzahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren kontinuierlich ansteigen wird (vgl. BiB 2019), muss andererseits damit gerechnet werden, dass diese pflegebedürftigen Menschen heterogene Lebensentwürfe und Deutungsmuster mit sich führen. Nicht zuletzt befinden sich unter ihnen auch immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Die größte Gruppe dürften dabei aktuell die im Rahmen von Anwerbeabkommen der 1950er bis 1970er Jahre immigrierten Menschen ausmachen, die mittlerweile ein Alter erreicht haben, welches eine Pflegebedürftigkeit wahrscheinlich macht (vgl. Tezcan-Güntekin et al. 2015: 4, Prätor 2008: 334f.).5 Betrachtet man die organisierte Altenpflege nun als Kristallisationspunkt der genannten Wandlungsprozesse, welche primär die Pflege und Betreuung hilfebedürftiger Menschen zur Aufgabe hat, stellt sich die Frage, wie in diesem Setting mit Religion umgegangen wird.

1.2

Untersuchungsgegenstand und Forschungsfragen

Auch wenn es mittlerweile zahlreiche Studien zu Einrichtungen der Altenpflege und darin relevanten Berufen gibt, liegt bisher noch keine Studie vor, die sich aus religionswissenschaftlicher Perspektive, d.h. bekenntnisunabhängig und methodisch kontrolliert, mit dem Thema Religion in gegenwärtigen Einrichtungen der Altenpflege in Deutschland beschäftigt. Nicht sel4

5

Hervorgegangen ist aus der Arbeit des Forschungskollegs weiterhin ein Praxishandbuch (vgl. Jahn/Stander-Dulisch 2021), das u.a. Fallstudien der Promovenden enthält. Der entsprechende Aufsatz der Autorin (»Stationäre Altenpflegeeinrichtungen«) baut auf ausgewählten Befunden und Themen dieser Dissertationsschrift auf. Genaue Zahlen zur Pflegebedürftigkeit von Migranten gibt es bisher nicht, da das Merkmal der Staatsangehörigkeit bzw. des Migrationshintergrundes bei der Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) nicht erhoben wird (vgl. Kohls 2012: 92).

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Religion in der Altenpflege

ten wird zudem im Alltagsdenken davon ausgegangen, dass christliche Religion in Einrichtungen christlicher Trägerschaft stattfindet 6 , Pflegeeinrichtungen ohne konfessionelle Zugehörigkeit hingegen keinen oder kaum Raum für Religion bieten, Angehörige nicht-christlicher Traditionen – insbesondere muslimischen Glaubens – zuhause gepflegt werden, weil man in einer solchen Kultur seine pflegebedürftigen Eltern nicht in eine Pflegeeinrichtung abschiebe (vgl. etwa Schumacher 2011). Die vorliegende Studie möchte sich der Thematik differenzierter widmen und fragt deshalb übergeordnet nach dem Umgang mit Religion in Altenpflegeorganisationen. Untersucht werden Situationen im Arbeitsalltag, in denen Religion zutage tritt und von den Beschäftigten wahrgenommen wird, sowie sich daran anschließende Formen ihres Umgangs mit Religion. Ziel der Arbeit ist also die empirische Rekonstruktion einer sozialen Praxis innerhalb von Altenpflegeorganisationen mittels des Blickes auf das Handeln der Beschäftigten unter dem Gesichtspunkt der Relevanz von Religion. Verstanden wird das Setting organisierter Altenpflege dabei als modernes Phänomen, welches die Pflege hilfebedürftiger Menschen durch speziell dafür ausgebildete Menschen in einem spezifisch dafür eingerichteten Raum ermöglicht und den Bedingungen der Organisation unterordnet (vgl. Weber et al. 1997: 244f.). Für das Jahr 2017 wurden in Deutschland 14.480 Pflegeeinrichtungen gezählt (Destatis 2019a). Um einen differenzierten Einblick in die Umgangsformen mit Religion im altenpflegerischen Kontext zu erhalten, kann es nicht Ziel dieser Arbeit sein, eine quantitative Vollerhebung durchzuführen und in dieser Arbeit zu präsentieren. Generell erscheinen standardisierte Verfahren als wenig geeignet, um oben genannte offene Fragen an den Untersuchungsgegenstand heranzutragen. Dementsprechend nähert sich diese Arbeit aus einer nicht-standardisierten Perspektive. Präsentiert werden Untersuchungsergebnisse, die mittels qualitativer Datenerhebung gewonnen, rekonstruktionslogisch ausgewertet und anschließend im Hinblick auf generische Fragestellungen analysiert wurden. Einbetten lässt sich die Studie folglich in religionswissenschaftliche Diskurse zur Rolle von Religion in der Moderne und insbesondere im Hinblick auf Organisationskontexte. Sie verdeutlicht, wie Religion in einem nicht-religiösen Setting zur Bedeutung kommt und füllt damit empirisch, was unter dem abstrakten Begriff der religiös-weltanschaulichen Pluralisierung verstanden werden kann. Damit eröffnet die Studie Anknüpfungsmöglichkeiten 6

Für eine pointierte Kritik an dieser Annahme vgl. Drieschner 2018.

I Religion in Altenpflegeorganisationen: Eine Einführung

für soziologische, pflegewissenschaftliche und gerontologische Fragestellungen, die sich im weiteren Sinne mit kulturellen und im speziellen mit religiösen Sachverhalten auseinandersetzen möchten.

1.3

Aufbau der Arbeit

Nachdem innerhalb dieses Kapitels in die Thematik und Forschungsfragen eingeführt wurde, wird in Kapitel 2 der Forschungsstand zusammengefasst, welcher den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet: Dazu wird in einem ersten Schritt (Kap. 2.1) das Setting der organisierten Altenpflege vorgestellt. Ausgehend von einem Überblick zur geschichtlichen Entwicklung der Altenpflege, wird diese als Teil der Altenhilfe rechtlich verortet und im Hinblick auf Versorgungs-, Träger- und Arbeitsstrukturen charakterisiert. In einem zweiten Schritt (Kap. 2.2) werden wissenschaftliche Erkenntnisse präsentiert, die den Faktor Religion im Zusammenhang mit Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Migration beleuchten. So wird deutlich, wie sich das altenpflegerische Setting aus theoretischer Perspektive als Ort mit Potenzial für Erscheinungsformen von und Auseinandersetzungen mit Religion gestaltet. Mit einem Blick auf Diskurse zur sogenannten Interkulturellen Öffnung, zur transkulturellen bzw. kultursensiblen Pflege und zum Diversity-Management, wird anschließend (Kap. 2.3) dargelegt, wie Religion unter dem Gesichtspunkt kultureller Pluralisierung gegenwärtig noch einmal zu einem besonderen Thema im Gesundheitswesen werden kann. Kapitel 3 stellt die methodologischen und methodischen Überlegungen vor, auf denen die vorliegende Studie fußt. Dabei werden generelle Vorüberlegungen (Kap. 3.1), der Feldzugang (Kap. 3.2), die Datenerhebung (Kap. 3.3) und -aufbereitung (Kap. 3.4) sowie die Datenauswertung (Kap. 3.5) erläutert. Eine besondere Rolle spielt dabei die Objektive Hermeneutik, die nicht nur ein konkretes Verfahren in Form der Sequenzanalyse anbietet, sondern auch wichtige methodologische Überlegungen u.a. zum Sinn- und Textverständnis beinhaltet. Das Herzstück der Arbeit bildet die Präsentation der Untersuchungsbefunde in Kapitel 4: Anhand von 13 Fallanalysen, die der Datenerhebung in vier altenpflegerischen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen entstammen, wird der Umgang mit Religion seitens der Beschäftigten beleuchtet. Hierzu wird zunächst die Fallauswahl erläutert (Kap. 4.1). Den Einstieg in das Setting bildet die Interpretation eines Leitbildes (Kap. 4.2). Inhaltlich gegliedert ist die-

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I Religion in Altenpflegeorganisationen: Eine Einführung

für soziologische, pflegewissenschaftliche und gerontologische Fragestellungen, die sich im weiteren Sinne mit kulturellen und im speziellen mit religiösen Sachverhalten auseinandersetzen möchten.

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Aufbau der Arbeit

Nachdem innerhalb dieses Kapitels in die Thematik und Forschungsfragen eingeführt wurde, wird in Kapitel 2 der Forschungsstand zusammengefasst, welcher den Ausgangspunkt der Untersuchung bildet: Dazu wird in einem ersten Schritt (Kap. 2.1) das Setting der organisierten Altenpflege vorgestellt. Ausgehend von einem Überblick zur geschichtlichen Entwicklung der Altenpflege, wird diese als Teil der Altenhilfe rechtlich verortet und im Hinblick auf Versorgungs-, Träger- und Arbeitsstrukturen charakterisiert. In einem zweiten Schritt (Kap. 2.2) werden wissenschaftliche Erkenntnisse präsentiert, die den Faktor Religion im Zusammenhang mit Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Migration beleuchten. So wird deutlich, wie sich das altenpflegerische Setting aus theoretischer Perspektive als Ort mit Potenzial für Erscheinungsformen von und Auseinandersetzungen mit Religion gestaltet. Mit einem Blick auf Diskurse zur sogenannten Interkulturellen Öffnung, zur transkulturellen bzw. kultursensiblen Pflege und zum Diversity-Management, wird anschließend (Kap. 2.3) dargelegt, wie Religion unter dem Gesichtspunkt kultureller Pluralisierung gegenwärtig noch einmal zu einem besonderen Thema im Gesundheitswesen werden kann. Kapitel 3 stellt die methodologischen und methodischen Überlegungen vor, auf denen die vorliegende Studie fußt. Dabei werden generelle Vorüberlegungen (Kap. 3.1), der Feldzugang (Kap. 3.2), die Datenerhebung (Kap. 3.3) und -aufbereitung (Kap. 3.4) sowie die Datenauswertung (Kap. 3.5) erläutert. Eine besondere Rolle spielt dabei die Objektive Hermeneutik, die nicht nur ein konkretes Verfahren in Form der Sequenzanalyse anbietet, sondern auch wichtige methodologische Überlegungen u.a. zum Sinn- und Textverständnis beinhaltet. Das Herzstück der Arbeit bildet die Präsentation der Untersuchungsbefunde in Kapitel 4: Anhand von 13 Fallanalysen, die der Datenerhebung in vier altenpflegerischen Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen entstammen, wird der Umgang mit Religion seitens der Beschäftigten beleuchtet. Hierzu wird zunächst die Fallauswahl erläutert (Kap. 4.1). Den Einstieg in das Setting bildet die Interpretation eines Leitbildes (Kap. 4.2). Inhaltlich gegliedert ist die-

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Religion in der Altenpflege

se Präsentation daraufhin nach den typischerweise in der stationären Altenpflege anzutreffenden Arbeitsbereichen Pflege (Kap. 4.3), Sozialdienst (Kap. 4.4), Heimleitung (Kap. 4.5) und Religiöse Begleitung (Kap. 4.6). Kontrastierend abgebildet wird mit den verschiedenen Arbeitsbereichen ein breites Spektrum religiöser Erscheinungsweisen, Wahrnehmungs- und sich daran anschließender Umgangsformen, welches in Kapitel 4.7 eine inhaltliche Pointierung findet. Abschließend werden die Befunde deskriptiv zusammengefasst (Kap. 4.8). Kapitel 5 dient der systematischen Analyse der empirischen Befunde und befasst sich mit der Integration von Religion in Altenpflegeeinrichtungen (Kap. 5.1), dem Zusammenhang von Berufshandeln und dem Umgang mit Religion (Kap. 5.2) sowie der Frage nach ableitbaren Religionsverständnissen (Kap. 5.3). Dazu werden die Befunde u.a. mit systemtheoretischen Überlegungen verknüpft sowie aus handlungs- und professionstheoretischen Perspektiven beleuchtet. Eine Conclusio in Kapitel 6 rundet die Arbeit ab: Hier werden die empirischen Befunde und Analyseergebnisse zusammengefasst und in Beziehung zu den eingangs formulierten Überlegungen zu demografischen und religiösen Wandlungsprozessen gesetzt. Sich anschließende, offene Fragestellungen eröffnen Perspektiven für zukünftige Forschungsarbeiten.

II Forschungsstand

In der vorliegenden Arbeit geht es um die übergeordnete Frage, wie in Altenpflegeorganisationen mit Religion umgegangen wird. Da es zu dieser Fragestellung bis dato noch keine religionswissenschaftlichen Untersuchungen gibt, ist es Ziel dieses Kapitels, Relevanz versprechende Ansätze und Erkenntnisse unterschiedlicher disziplinärer Herkunft vorzustellen und auszuloten, auf welche Weise Religion, zumindest aus theoretischer Perspektive, eine Rolle im altenpflegerischen Setting zu spielen vermag. Dies geschieht in drei Schritten: Zunächst wird die organisierte Altenpflege historisch verortet und anhand ihrer heutigen Gestalt rechtlich und strukturell charakterisiert. Daraufhin wird Religion im Hinblick auf die das altenpflegerische Setting prägenden Faktoren Gesundheit, Krankheit, Alter(n) sowie Migration beleuchtet. In einem letzten Schritt werden Diskurse vor dem Hintergrund von kulturellen Pluralisierungserfahrungen vorgestellt, die gegenwärtig im deutschen Gesundheitswesen zu beobachten sind und sich etwa in Fragen der Organisations- und Angebotsentwicklung sowie des Personalwesens niederschlagen.

2.1 2.1.1

Zum Setting der organisierten Altenpflege Eine sehr kurze Geschichte der Altenpflege in Deutschland

Um den gegenwärtigen Umgang mit Religion in der organisierten Altenpflege zu verorten, ist ein Blick auf die historische Entwicklung altenpflegerischer Arbeit und ihrer entsprechenden Institutionen hilfreich. Dabei ist grundsätzlich zu berücksichtigen, dass die Geschichte der Altenpflege bisher kaum erforscht wurde und bis heute oft mit der Geschichte der Krankenpflege gleich-

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Religion in der Altenpflege

gesetzt wird, welche wiederum stark an die Medizingeschichte gebunden ist (vgl. Hanussek 2005: 83). Dass Altenpflege jedoch ein eigenständiges Berufsfeld mit entsprechender historischer Entwicklung ist, zeigen bereits Lehrbücher der altenpflegerischen Ausbildung. So halten etwa Pfleghar und Ehlers in ihrer Berufskunde fest: »Die Geschichte der Altenpflege ist lange mit der Geschichte der Krankenpflege gleichgesetzt worden. Inzwischen setzt sich jedoch die Erkenntnis durch, dass die Versorgung alter Menschen durchaus eine eigene Tradition besitzt.« (Pfleghar/Ehlers 2006: 2) Beginnen lassen die Autorinnen die Geschichte der institutionellen Versorgung alter Menschen im europäischen Mittelalter1 und verweisen auf verschiedene Altersversorgungsmodelle, etwa durch Zünfte, Klöster, Stifte und Spitäler.2 Als Motiv insbesondere kirchlicher Fürsorge wird das religiöse Gebot der Nächstenliebe angeführt (vgl. ebd.: 2-5). Mit einem Überblick über die darauffolgenden Epochen zeigen die Autorinnen auf, wie eng verknüpft die institutionelle Versorgung alter Menschen mit zeitspezifischen Altersbildern war.3 Indem sie deutlich machen, dass das Altern für einen großen Teil der Bevölkerung immer auch die Gefahr von Armut mit sich brachte4 und sich die institutionelle Versorgung dementspre1

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Dass es auch außerhalb Europas Formen der Fürsorge für Bedürftige gab, zeigt beispielsweise ein Blick auf die Spendenformen sadaqa und zakat in der islamischen Tradition sowie das jahrhundertelang funktionierende waqf -System, ein Stiftungswesen, welches sich durch die Annahme von Almosen zur Wohltätigkeit verpflichtete. So entstanden u a. zahlreiche Armenhäuser und Hospize im islamisch geprägten Raum (vgl. Ceylan/Kiefer 2016: 97-99). Vermutlich wurden hier auch alte Menschen versorgt. In diesem Zusammenhang verweisen die Autorinnen auch knapp auf eine spitalähnliche Einrichtung für alte Menschen in der Antike, das sogenannteGerokomeion (vgl. Pfleghar/Ehlers 2006: 5). Dass jedoch insbesondere Stifte und Spitäler als Wurzeln heutiger Altenpflegeeinrichtungen gelten, macht u.a. Heinzelmann in seinem Forschungsüberblick deutlich (vgl. Heinzelmann 2004: 15). Siehe etwa den Umgang mit alten und kranken Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus vor dem Maßstab sogenannten lebens- und lebensunwerten Lebens (vgl. Pfleghar/Ehlers 2006: 7). Dass ein Erreichen eines höheren Lebensalters auch heute noch mit finanziellen Risiken einhergeht, ja sogar ein enger Zusammenhang zwischen Einkommenssituation, Selbstständigkeit, Unabhängigkeit, Selbstbestimmung, sozialer Partizipation und Pflegebedürftigkeit besteht, macht die Pflegewissenschaftlerin Olivia Dibelius deutlich (vgl. Dibelius 2006: 19).

II Forschungsstand

chend insbesondere in Formen der Armenfürsorge zeigte, brechen Pfleghar und Ehlers mit dem ihrer Meinung nach bis heute bestehenden, verklärten Bild funktionierender Großfamilien, die in der Vergangenheit den alten und gebrechlichen Menschen wie selbstverständlich integrierten und versorgten (vgl. ebd.: 8f.).5 Verständlich wird in diesem Zusammenhang auch die große Bedeutung der Einführung einer Invaliditäts- und Altersversicherung im Jahr 1889, die die Grundlage einer staatlichen Altersversorgung bildete (vgl. ebd.: 6), sowie der Gründung erster staatlicher Wohlfahrtsorganisationen zwischen 1849 und 1925, die in unterschiedlichem Maße auch die ältere Bevölkerung im Blick hatten (vgl. Merchel 2003: 86-123). Während die Versorgung alter Menschen folglich auf eine lange Tradition zurückblicken kann, jedoch erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen spezifischen, auf die alte Klientel ausgerichteten Ort ‒ das sogenannte Altenheim ‒ fand6 , lässt sich der professionelle Altenpflegeberuf als Entwicklung des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Genauer gesagt war es die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die institutionelle Versorgung durch Diakonissen und Ordensfrauen mehr und mehr abnahm, Krankenpflegekräfte verstärkt in den Krankenhäusern arbeiteten und sich längst eine demografische Alterung samt begleitenden Alterserkrankungen abzeichnete. Pfleghar und Ehlers folgern: »Es musste zwingend jemand gefunden werden, der diese Lücke in der Versorgung alter Menschen schließen konnte. Der Blick der Politik und der gesellschaftlich Verantwortlichen fiel hierbei auf die Frau.« (Ebd.: 15) Waren die hier in den Blick geratenden Frauen7 zunächst häufig ungelernte Hilfskräfte, die die noch aktiven Ordensfrauen und Krankenschwestern in 5

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In eine ähnliche Richtung geht auch der Historiker Josef Ehmer, wenn er darauf verweist, dass ein sogenanntes Goldenes Zeitalter der Alten, welches der Antike oft zugeschrieben wird, wissenschaftlich nicht haltbar ist: »Die Kulturgeschichte hat sichtbar gemacht, dass Altersbilder und -stereotypen ebenso wie Einstellungen zum Alter zeitübergreifend ein Arsenal von vielfältigen, auch entgegengesetzten Positionen umfassen, die Verteidigung und Verdammung, Verehrung und Verachtung einschließen.« (Ehmer 2008: 151). Dabei sieht Heinzelmann eine deutliche Verwandtschaft zu den als Totale Institutionen bezeichneten Einrichtungen wie Kasernen, Gefängnissen oder sogenannten Irrenhäusern (vgl. Heinzelmann 2004: 17f.). Zum Zusammenhang von Emanzipationsbewegung und pflegerischer Berufstätigkeit der Frauen in kirchlicher Trägerschaft seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vgl. Kunter 2012.

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Religion in der Altenpflege

den Altenheimen unterstützten, gab es ab Ende der 1950er regelmäßige Schulungen durch Ärzte und Krankenpflegekräfte. Diese Schulungen hatten zwar noch keinen festen Stundenumfang und keine inhaltlichen Vorgaben, ermöglichten jedoch erstmals eine Qualifizierung im neuen Berufsfeld ›Altenpflege‹ (vgl. ebd.: 15f., Huber 2002: 95). 1965 kam es dann durch den Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge zum Entwurf eines Ausbildungskonzeptes speziell für die Altenpflege, welches eine Ausbildung von sechs Monaten vorsah. Begründet wurde diese mit der Ausdifferenzierung von Versorgungsbereichen seit der Ablösung der einstigen Armen- und Siechenhäuser, die eine Spezialisierung der Pflegekräfte notwendig machte (vgl. Eylmann 2015: 221). Während die sich daraus entwickelnde Ausbildung lange Zeit noch Ländersache war, führte erst das Altenpflegegesetz vom 1. August 2003 zu einer bundeseinheitlichen Regelung der Ausbildung. Zugleich wurde die Ausbildungsdauer von zwischenzeitlich zwei Jahren auf drei Jahre angehoben (vgl. Pfleghar/Ehlers 2006: 16).8 Im Laufe der Zeit änderte sich auch das Berufsverständnis: Galt Altenpflege in den Sechziger- und Siebzigerjahren noch als sozialpflegerischer Beruf, in dem vor allem die Betreuung und Beschäftigung im Fokus standen, wird Altenpflege heutzutage vermehrt als hochkomplexer Gesundheitsfachberuf aufgefasst (vgl. Stöcker 2002: 24) und auch unter dem Gesichtspunkt von Professionshandeln diskutiert (vgl. etwa Klement 2006, Hanussek 2005). Noch offen ist, wie sich das 2020 in Kraft getretene Pflegeberufegesetz zukünftig auf das altenpflegerische Berufsfeld auswirken wird: So sieht das Gesetz u.a. eine generalistische Pflegeausbildung vor, die die bisher separaten Ausbildungen in der Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Kinderkrankenpflege zusammenführt (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2018). Im Hinblick auf die übergeordnete Forschungsfrage zeigt dieser Kurzüberblick bereits, dass die Versorgung alter Menschen historisch gesehen immer auch Anknüpfungspunkte für kirchliche Institutionen und ihre entsprechenden Rollenträger bot.9 Deutlich wird dies insbesondere am Motiv der 8

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Gerade die Entwicklungen im 20. Jahrhundert zeigen, dass der Altenpflegeberuf national geprägt ist. Auf diese Spezifität macht auch Frank Schulz-Nieswandt aufmerksam, wenn er Altenpflegesysteme aus sozialpolitischer Perspektive international vergleicht (vgl. Schulz-Nieswandt 2006: 264-285). Einen kompakten Überblick zur Altenpflege in außereuropäischen Ländern gibt Jenrich 2008. Zum Einfluss christlich-kirchlicher Wertorientierungen auf den verwandten Krankenpflegeberuf vgl. Bischoff-Wanner 2002. Die Autorin zeigt hier mit Verweis auf Fliedner und Nightingale auf, wie unterschiedlich Krankenpflegesysteme in Deutschland und

II Forschungsstand

religiös begründeten Nächstenliebe in Form von Fürsorge, wobei sich an dieser Stelle nicht eindeutig klären lässt, inwieweit diese Vorstellung tatsächlich die Grundlage des damaligen Handelns bildete und auch heute noch bildet.10 Dass diese Anknüpfungspunkte jedoch überschaubar sind und sich mit der Entwicklung des Wohlfahrtsstaates teilweise ganz andere Fragestellungen und Herausforderungen auftaten, konnte bereits die Entwicklung des Altenpflegeberufes aufzeigen. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass mit dem Altenpflegeberuf in diesem Kapitel nur ein ausgewählter Beruf zur Sprache kam, der im altenpflegerischen Setting eine Rolle spielt. Statistiken verweisen auf die nicht zu unterschätzende Anzahl Beschäftigter in Altenpflegeeinrichtungen, die nicht-pflegerischen Tätigkeiten nachgehen (vgl. etwa Statista 2020a). Folglich muss davon ausgegangen werden, dass sich auch das Thema Religion im Arbeitsalltag der Beschäftigten auf ganz unterschiedliche Weise zeigen kann.11

2.1.2

Organisierte Altenpflege aus rechtlicher Perspektive

Auch wenn aus dem vorherigen Kapitel hervorgegangen sein dürfte, dass die Versorgung alter Menschen eine durchaus lange Tradition besitzt, können die heutige Form und das Ausmaß von Sorge und Pflege für alte Menschen vor dem Hintergrund einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft als etwas geschichtlich betrachtet Neuartiges bezeichnet werden (vgl. Klie 2014: 11). Dies lenkt den Fokus auf das Wo und Wie der heutigen Altenpflege aus zunächst rechtlicher Perspektive. Die gegenwärtige, organisierte Altenpflege in Deutschland lässt sich als Teilbereich eines umfassenden Konzeptes von Altenhilfe verstehen. Nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) soll Altenhilfe »dazu beitragen, Schwierigkeiten, die durch das Alter entstehen, zu verhüten, zu überwinden oder zu mildern und alten Menschen die Möglichkeit zu erhalten, am Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen.« (§ 71 Abs. 1 SGB XII)

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England durch religiöse Motive geprägt wurden und damit auch zu unterschiedlichen Berufsverständnissen führten. Vgl. hierzu etwa die sogenannte Leitbilddebatte und die Diskussionen zur Verortung der Kirche in der Moderne (z.B. Manderscheid/Hake 2006 oder Henkelmann et al. 2012). Vgl. hierzu den in Kapitel 2.1.3.2 skizzierten Überblick zu den Arbeitsstrukturen in stationären Altenpflegeeinrichtungen.

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Religion in der Altenpflege

Entsprechend kann Altenpflege definiert werden als »Gesamtheit aller kranken- und sozialpflegerischen Tätigkeiten für pflegebedürftige Menschen« (Pfleghar/Ehlers 2006: 9), welche sich in einem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen zu bewegen haben. An dieser Stelle spielt vor allem12 das Elfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI)13 mit seinen zahlreichen Einzelbestimmungen eine Rolle, von denen hier nur die wesentlichen benannt und im Hinblick auf religiöse Sachverhalte beleuchtet werden sollen: Grundlegend ist, dass die Pflegeversicherung die Aufgabe hat, »Pflegebedürftigen Hilfe zu leisten, die wegen der Schwere der Pflegebedürftigkeit auf solidarische Unterstützung angewiesen sind« (§ 1 Abs. 4 SGB XI). Unter dem Begriff der Pflegebedürftigkeit wiederum festgehalten sind Personen, »die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 1514 festgelegten Schwere bestehen.« (§ 14 Abs. 1 SGB XI) Festgelegt sind dementsprechend Art und Umfang von Leistungen (etwa Dienst-, Sach- und Geldleistungen), die z.B. die körperbezogenen Pflegemaßnahmen und pflegerischen Betreuungsmaßnahmen betreffen (vgl. § 4 SGB XI). Diese Leistungen sind in der häuslichen Pflege, Kurzzeitpflege, teilstationären und vollstationären Pflege zu erbringen, wobei die Pflegeversicherung erstere Pflegeform vorzieht (vgl. § 3 SGB XI).15 Für die in dieser Arbeit im Fokus stehenden vollstationären Einrichtungen ist zu ergänzen, 12

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Weitere Grundlagen zur Regulierung der stationären Pflege bilden das SGB XII (Sozialhilfe), das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz, die Heimmindestbauverordnung, die Heimpersonalverordnung, die verschiedenen Landespflegegesetze bzw. das Heimgesetz (vgl. auch Simon 2017:307ff., Hanussek 2012: 214-227). Aufschlussreiche Bezüge zum Themenfeld Religion gibt es in diesen Bestimmungen allerdings nicht. Gesetzliche Grundlage für die Altenhilfe durch das SGB schuf das Bundessozialhilfegesetz, welches von 1962 bis 2004 die Entwicklung einer Altenhilfe-Infrastruktur auf kommunaler Ebene einleitete (vgl. Schweppe 2012: 506). Der § 15 SGB XI regelt die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit anhand eines Punktesystems und entsprechender Pflegegrade, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Zur Differenzierung dieser Pflegeformen vgl. auch Kapitel 2.1.3.

II Forschungsstand

dass Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 Anspruch auf eine Pflege in diesen Einrichtungen haben, was die Übernahme von pflegebedingten Aufwendungen inklusive der Betreuung und medizinischen Behandlungspflege einschließt (vgl. § 43 SGB XI). Festhalten lässt sich an dieser Stelle bereits, dass der Begriff der Pflegebedürftigkeit offensichtlich große Auswirkungen darauf hat, was im altenpflegerischen Setting geschieht und was die rechtlichen Grundlagen altenpflegerischer Arbeit sind.16 In diesem Zusammenhang ist folglich auch der Faktor Religion zu betrachten. Einen expliziten Bezug zum Thema Religion stellen die ebenfalls im SGB XI formulierten Passagen zur Selbstbestimmung her, in denen es heißt: »(1) Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen, auch in Form der aktivierenden Pflege, wiederzugewinnen oder zu erhalten. (2) Die Pflegebedürftigen können zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen. Ihren Wünschen zur Gestaltung der Hilfe soll, soweit sie angemessen sind, im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden. Wünsche der Pflegebedürftigen nach gleichgeschlechtlicher Pflege haben nach Möglichkeit Berücksichtigung zu finden. (3) Auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ist Rücksicht zu nehmen. Auf ihren Wunsch hin sollen sie stationäre Leistungen in einer Einrichtung erhalten, in der sie durch Geistliche ihres Bekenntnisses betreut werden können. (4) Die Pflegebedürftigen sind auf die Rechte nach den Absätzen 2 und 3 hinzuweisen.« (§ 2 SGB XI)17 Angelehnt an die grundrechtlichen Vorgaben der Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie Art. 4 GG, formuliert dieser Paragraf zwar keine unmittelbaren Ansprüche der Pflegebedürftigen, »kann aber bei der Ausgestaltung der Leistungsansprüche und insbesondere im Rahmen erforderlicher Ermessenausübung [sic!]

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Dies zeigt sich nicht zuletzt in dem Umstand, dass die Gruppe der sogenannten Leistungsempfänger in den zu untersuchenden altenpflegerischen Einrichtungen nicht von vornherein auf alte Personen zu begrenzen ist. So werden in altenpflegerischen Einrichtungen teilweise auch behinderte oder schwer erkrankte Menschen jüngeren Alters versorgt (vgl. Brings/Rohrmann 2002: 146). Ähnliche Regelungen zum Selbstbestimmungsrecht und zu Wunsch- und Wahlrechten der Betroffenen finden sich auch in anderen Büchern des SGB (vgl. Gutzler 2013).

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Religion in der Altenpflege

Bedeutung erlangen« (Gutzler 2013). Insofern ist dieser Paragraf hinsichtlich seiner praktischen Bedeutung als überschaubar zu klassifizieren (vgl. ebd.). Indem Abs. 1 das Ziel der Leistungen der Pflegeversicherungen definiert, welches den Einschränkungen in der freien Gestaltung des Lebens Rechnung trägt und sich von einer sogenannten Verwahrpflege abgrenzen möchte, werden Selbstbestimmung und Selbstständigkeit(sförderung) zu zentralen Begriffen dieser Norm. Entsprechend dieser Zielvorstellung sind auch Abs. 2 (Begründung eines Wunsch- und Wahlrechts), Abs. 3 (Verpflichtung der Rücksicht auf religiöse Bedürfnisse durch Pflegekassen und Leistungserbringer) sowie Abs. 4 (Verpflichtung der Pflegekassen zur Aufklärung) zu verstehen (vgl. ebd.). Für die Religionsthematik im Speziellen ist es bedeutsam, dass religiöse Bedürfnisse grundsätzlich unter die sogenannten Wunschrechte fallen, diese jedoch nur zu berücksichtigen sind, sofern sie angemessen erscheinen: Dies schließt einen unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand bzw. unverhältnismäßige Mehrkosten aus. Gleichzeitig ist das Wirtschaftlichkeitsgebot (vgl. auch § 29 SGB XI) zu berücksichtigen. Als Beispiele für angemessene Wünsche können u.a. die in Abs. 2 formulierte gleichgeschlechtliche Pflege sowie die in Abs. 3 angeführten religiösen Bedürfnisse gelten.18 Auch wenn kein unmittelbarer Leistungsanspruch besteht, bezieht sich die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse auf alle Leistungsarten, d.h. beispielsweise die Pflegeplanung, den Gottesdienstbesuch oder die Verpflegung. Eine Verpflichtung, »für jedes religiöse Bekenntnis eine seelsorgerische Betreuung vorzuhalten« (Gutzler 2013) bzw. zusätzliche Räumlichkeiten (z.B. Gebetsräume) zu schaffen, besteht hingegen nicht (vgl. ebd.). Im Hinblick auf die Untersuchung stellt sich folglich die Frage, was in den jeweiligen zu untersuchenden Einrichtungen als angemessen erscheint und in welche Leistungsarten die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse überführt wird. Weiterhin aufschlussreich ist, dass gemäß Abs. 3 von den Pflegebedürftigen eine Einrichtung gewählt werden kann, die eine Betreuung durch Geistliche ihres Bekenntnisses ermöglicht. Ebenso wie andere Einrichtungen müssen aber auch diese bestimmte Zulassungsvoraussetzungen erfüllen. Dabei

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Die getrennte Nennung von gleichgeschlechtlicher Pflege und religiösen Bedürfnissen ist insofern aufschlussreich, als der Wunsch nach gleichgeschlechtlicher Pflege auch einem religiösen Bedürfnis entspringen könnte. Angelegt ist in der rechtlichen Formulierung jedoch die Möglichkeit zu einem religionsunabhängigen Wunsch nach dieser spezifischen Pflegeform.

II Forschungsstand

sind die Pflegekassen nicht verpflichtet, entsprechende Angebote vorzuhalten, gerade wenn es um Einrichtungen kleinerer Glaubensgemeinschaften geht (vgl. ebd.). Generell gilt, dass eine Spezialisierung von Leistungserbringern »auf einzelne religiöse Bekenntnisse unter Ausschluss anderer Glaubensgemeinschaften« (ebd.) nicht zulässig ist. Für die Praxis ist dementsprechend davon auszugehen, dass es aus Perspektive des SGB keine Einrichtungen geben kann, die z.B. nur katholische Bewohner aufnimmt und versorgt. Eine gewisse religiöse Pluralität in den Altenpflegeeinrichtungen ist also rein rechtlich immer schon vorgegeben. Berücksichtigt man weiterhin die Bestimmungen nach § 11 SGB XI, welche die Rechte und Pflichten der Pflegeeinrichtungen betreffen, wird eine bestimmte Pflegequalität19 zum Ausdruck gebracht (vgl. Bieback 2004: 17): So haben Pflegeeinrichtungen ihre Leistungen »entsprechend dem allgemein anerkannten Stand medizinisch-pflegerischer Erkenntnisse« (§ 11 Abs. 1 SGB XI) zu erbringen und »Inhalt und Organisation der Leistungen haben eine humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde zu gewährleisten« (ebd.). In Bezug auf die übergeordnete Forschungsfrage lässt sich folglich festhalten, dass z.B. religiöse Überzeugungen oder Deutungen nicht Maßstab der Qualitätssicherung in den Einrichtungen sein können, die geforderte humane und aktivierende Pflege unter Achtung der Menschenwürde aber durchaus aus religiösen Quellen abgeleitet werden könnte. Zu guter Letzt wird mit § 11 Abs. 2 SGB XI die Verpflichtung der Pflegeversicherung genannt, »die Vielfalt der Träger von Pflegeeinrichtungen zu wahren sowie deren Selbständigkeit, Selbstverständnis und Unabhängigkeit zu achten. Dem Auftrag kirchlicher und sonstiger Träger der freien Wohlfahrtspflege, kranke, gebrechliche und pflegebedürftige Menschen zu pflegen, zu betreuen, zu trösten und sie im Sterben zu begleiten, ist Rechnung zu tragen. Freigemeinnützige und private Träger haben Vorrang gegenüber öffentlichen Trägern.« (Ebd.) Für die Anlage der Untersuchung ergibt sich hieraus die Aussicht auf eine plurale Trägerlandschaft mit kirchlichen20 und nicht-kirchlichen Bezügen.

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Ausführlich nachzulesen sind die gesetzlichen Bestimmungen zur Qualitätssicherung im Elften Kapitel des SGB XI (§§ 112 bis 115a). Im Kontext kirchlicher Trägerschaft spielt zusätzlich das kirchliche Arbeitsrecht eine Rolle, insofern als die Religionsgemeinschaften aufgrund ihres Selbstbestimmungs-

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Religion in der Altenpflege

Auch gibt die Auftragsformulierung wichtige Hinweise auf das zu erwartende Aufgabenspektrum in den Einrichtungen, welches sich mit Pflege, Betreuung, seelsorglicher und/oder psychologischer Begleitung überschreiben ließe und zumindest ein Potenzial für religiöse Bezugnahmen eröffnet.

2.1.3

Strukturen der organisierten Altenpflege

Geht man davon aus, dass die skizzierten rechtlichen Bestimmungen Ausdruck in konkreten Formen und Räumen organisierter Altenpflege finden, lohnt sich ein vertiefender Blick auf ihre Strukturen. Diese lassen sich in Versorgungs- und Trägerstrukturen sowie Arbeitsstrukturen gliedern.

2.1.3.1

Versorgungs- und Trägerstrukturen

Grundsätzlich wird zwischen ambulanten, teilstationären und vollstationären Versorgungsformen unterschieden, die Pflege- und Betreuungsangebote in unterschiedlichem Umfang bereitstellen.21 Von den insgesamt 3,4 Millionen Pflegebedürftigen im Jahr 2017 wurden 24 Prozent in Pflegeeinrichtungen22 vollstationär gepflegt. Der Großteil der Pflegebedürftigen (76 %) wurde

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rechts (Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung) innerhalb der allgemeingültigen Gesetze über ihr eigenes kirchliches Arbeitsrecht verfügen können. Die betrifft u.a. die Loyalitätsverpflichtungen der Mitarbeiter gegenüber ihrem Arbeitgeber, welche nicht zuletzt in Debatten um etwa Anstellungsverhältnisse nach einer Scheidung oder das Kopftuchtragen während der Arbeit häufig auch medial aufgegriffen wurden. Laut Statistischem Bundesamt sind ambulante Pflegedienste »selbständig wirtschaftende Einrichtungen, die unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft Pflegebedürftige in ihrer Wohnung pflegen und hauswirtschaftlich versorgen. Es sind die Pflegedienste zu erfassen, die teilweise oder ausschließlich Leistungen nach SGB XI erbringen« (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2020a). Stationäre Pflegeeinrichtungen hingegen repräsentieren »die Grundgesamtheit der Pflegeeinrichtungen, in denen Pflegebedürftige unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft gepflegt werden und ganztägig (vollstationär) untergebracht und verpflegt werden können.« (Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2020b). Zu teilstationären Einrichtungen werden hingegen diejenigen Einrichtungen gezählt, die eine zeitlich befristete Pflege und Betreuung gewährleisten wie z.B. Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflege (vgl. ebd.). Je nach Angebot, d.h. dem Fokus auf den Pflege- bzw. Wohnaspekt, wird grundsätzlich zwischen Altenheimen und Pflegeheimen unterschieden. In der Praxis anzutreffen und Gegenstand der vorliegenden Untersuchung sind sogenannte Altenpflegeheime, die je nach Versorgungsbedarf in unterschiedlichem Maße Pflege gewährleisten und zugleich Wohnraum zur Verfügung stellen. Es liegt die Vermutung nahe, dass zwi-

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zu Hause versorgt, wovon 24,3 Prozent der zu Hause Gepflegten durch einen ambulanten Pflegedienst unterstützt wurden (vgl. Destatis 2019b). Setzt man diese Zahlen nun in Beziehung zur übergeordneten Fragestellung dieser Arbeit, kann vermutet werden, dass Religion, je nach altenpflegerischer Versorgungsform, auf unterschiedliche Weise sichtbar werden und dementsprechend unterschiedliche Umgangsformen zur Folge haben kann. Insbesondere für vollstationäre Einrichtungen, denen häufig immer noch der Verdacht der Totalen Institution23 anhängt (vgl. etwa Schweppe 2012: 514, Heinzelmann 2004, Klie 2014: 101), stellt sich die Frage, welche Rolle Religion vor dem Hintergrund der Wirkmächtigkeit altenpflegerischer Institutionen spielen kann: »Institutionen schaffen Sicherheit, Ordnung, Orientierung und Stabilität. Durch die in ihnen geltenden Normen werden bestimmte Handlungsabläufe erwartbar und kalkulierbar. Und auch für die im Alten- und Pflegeheim lebenden alten Menschen gilt, daß sie sich auf die an sie herangetragenen Erwartungshaltungen einstellen können. Alltägliche Handlungen werden typisiert, normiert, Gewohnheiten und Routinen werden entwickelt und habitualisiert. Die nunmehr auf Dauer gestellten Regelungen, die zu Institutionen geronnenen Handlungen und Rituale werden dann durch angedrohte Sanktionen abgesichert.« (Prahl/Schroeter 1996: 164f.) Es liegt nahe, dass Religion, in Gestalt religiös motivierter Akteure und ihrer Vorstellungen bzw. ihrer Praktiken, mit bestimmten Erwartungshaltungen seitens der Einrichtungen konfrontiert wird und insbesondere die rituelle, sichtbare Dimension von Religion der Beobachtung und ggf. der Regulierung im oben zitierten Sinne unterliegt. Es schließt sich gleichzeitig die Frage an, wodurch sich die von Prahl/Schroeter genannten Normen und Erwartungshaltungen bestimmen. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf die Trägerschaft, welche die Mittel zur Pflege und Versorgung pflegebedürftiger Menschen verwaltet und damit altenpflegerisches Handeln im organisatorischen Kontext erst ermöglicht.

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schen den genannten Begriffen alltagssprachlich häufig nicht unterschieden wird und sich der Begriff Altenheim als Oberbegriff etabliert hat. Metasprachlich wird in dieser Arbeit jedoch im Folgenden von Altenpflegeheimen bzw. -einrichtungen gesprochen, objektsprachliche Bezeichnungen (z.B. Altenheim oder Heim) werden beibehalten und entsprechend kenntlich gemacht. Zum Konzept der Totalen Institution vgl. Goffman 1973.

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Religion in der Altenpflege

In Deutschland geschieht organisierte Altenpflege unter drei Trägerschaften: den öffentlichen, den freigemeinnützigen sowie den gewerblichen Trägern. Den Trägern kommt dabei in zweierlei Hinsicht ein Akteursstatus zu: Zum einen sind sie Träger von konkreten Leistungen im Bereich der Altenhilfe, zum anderen sind sie an der Steuerung von Leistungen und Rahmenbedingungen beteiligt (vgl. Merchel 2003: 11). Von den insgesamt 14.480 im Jahr 2017 erfassten Pflegeeinrichtungen lassen sich 4,7 Prozent den öffentlichen, 42,6 Prozent den gewerblichen und 52,7 Prozent den freigemeinnützigen Trägern zuordnen (vgl. GBE Bund 2020c). Während Pflegeeinrichtungen in öffentlicher Trägerschaft von kommunalen Trägern unabhängig von ihrer Betriebsart unterhalten werden (vgl. GBE Bund 2020d), wird die gewerbliche Trägerschaft üblicherweise an der Bindung an Privatkapital, der Möglichkeit, private Gewinne zu erwirtschaften, und dem damit verbundenen personenbezogenen wirtschaftlichen Risiko festgemacht. Die Finanzierung altenpflegerischer Einrichtungen erfolgt dabei ausschließlich über Leistungsentgelte (vgl. Merchel 2003: 174). Ableiten lassen sich daraus die viel zitierten Termini wie Wirtschaftlichkeit, Rentabilität und Kundenfreundlichkeit, welche laut Merchel aber nicht (mehr) nur für gewerbliche Träger Bedeutung hätten: So müssten sich im Zuge von Modernisierungsanforderungen mittlerweile auch die freigemeinnützigen Träger immer häufiger mit diesen Anforderungen auseinandersetzen (vgl. ebd.: 125 und 173). Bündeln lassen sich unter diesen freigemeinnützigen Trägern die Wohlfahrtsverbände (Arbeiterwohlfahrt, Caritas-Verband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland), einzelne kleinere Verbände, Selbsthilfe- und Initiativgruppen sowie sonstige, z.B. gemeinnützige Stiftungen außerhalb der genannten Wohlfahrtsverbände (vgl. ebd.: 12). Vielversprechend für die vorliegende Untersuchung erscheinen die genannten Wohlfahrtsverbände nicht nur durch ihr nationales und regionales Auftreten, ihre Bereitstellung von sozialen Dienstleistungen in großem Umfang sowie ihre Anerkennung und Finanzierung durch staatliche Stellen, sondern insbesondere durch ihre Bindung an Weltanschauung und Werte (vgl. Heinze et al. 1997: 244). Als charakteristisch für Wohlfahrtsverbände und spannend für die Untersuchung darf weiterhin die Zusammenführung verschiedener Logiken betrachtet werden: So ständen Wohlfahrtsverbände neben der Bedienung ihrer unterschiedlichen Funktionssegmente und den damit verknüpften »strategischen Kalkülen« (Merchel 2003: 80) vor der Herausforderung, die

II Forschungsstand

betrieblich-ökonomische und politische Logik sowie die Mitgliedschafts- und Einflusslogik der institutionellen Umwelt auszubalancieren (vgl. ebd., vgl. auch Gabriel 2016: 26f.). Oft wird in diesem Zusammenhang von einer »Profilerosion« (Merchel 2003: 126) der Wohlfahrtsverbände gesprochen, welche sich nicht zuletzt in der sogenannten Leitbilddebatte widerspiegele.24 Dynamik verspricht auch die aktuelle Diskussion um eine spezifisch muslimische Wohlfahrtspflege, welche durch die Deutsche Islam Konferenz 2015 forciert wurde. Trotz »jahrhundertelange[r] muslimische[r] Tradition in der Fürsorge für sozialbedürftige Menschen und Personengruppen« (Ceylan/Kiefer 2016: 61) stehe die muslimische Wohlfahrtspflege noch in den Anfängen und habe auf Trägerebene bisher keinen Ausdruck25 gefunden. Laut Ceylan/Kiefer gilt es zu bedenken, dass konfessionell gebundene Wohlfahrtspflege kein »Artefakt aus einer vergangenen Zeit« (ebd.: 50) sei, sondern insbesondere im Kontext der Altenhilfe über Rituale und Gemeinschaft eine »ganzheitliche[] Lebensführung im letzten Lebensabschnitt« (ebd.) ermöglicht werden könne. In den kommenden Jahren gilt es also zu beobachten, ob es muslimischen Interessenvertretern gelingt, entsprechende Verbandsstrukturen und Einrichtungen aufzubauen. Es ist davon auszugehen, dass dies weitreichende Konsequenzen für das Kräfteverhältnis konfessionsgebundener und säkularer Wohlfahrtsverbände insgesamt haben wird (vgl. ebd.: 143). Ableiten lässt sich aus den genannten Charakteristika die besondere Stellung der Wohlfahrtsverbände, welche den Umgang mit Religion in der organisierten Altenpflege in einen ohnehin schon spannungsreichen Kontext unterschiedlicher Logiken setzt. In der vorliegenden Untersuchung gilt es deshalb auch zu eruieren, ob die genannten Herausforderungen eine Rolle im Umgang mit Religion spielen und wenn ja, wie sie sich jeweils in der Handlungspraxis niederschlagen.

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Dies bestätigt auch der Religionswissenschaftler Volkhard Krech, wenn er von einem Funktionsverlust religiöser Organisationen und einer Verlagerung dieser auf sekundäre Funktionen spricht. Ursache dieses Wandels sei eine durch Pluralisierung und vertikale Differenzierung ausgelöste Inkongruenz von Kirche und Religion (vgl. Krech 1999: 70). Zu nennen sind in diesem Zusammenhang verschiedene Initiativen, wie z.B. die Gründung eines Islamischen Wohlfahrtsverbandes (IWV) in Dortmund (vgl. Küpper 2016), welcher bis dato jedoch noch keine festen Strukturen ausbilden konnte.

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Religion in der Altenpflege

2.1.3.2

Arbeitsstrukturen

Unmittelbar verknüpft mit den rechtlich formulierten Vorgaben, den Versorgungs- und Trägerstrukturen sind die im betreffenden Setting zu beobachtenden Arbeitsstrukturen. Mit Blick auf die im Fokus stehenden vollstationären Einrichtungen ergibt sich folgendes Bild: Während die Heimleitung insbesondere mit dem Management einer Einrichtung beschäftigt ist, die Einrichtung nach innen und außen repräsentiert sowie die Gesamtverantwortung trägt, arbeiten die Fachkräfte des Pflegebereiches (examinierte Altenpfleger sowie Krankenpfleger) unter einer Pflegedienstleitung »selbstständig und eigenverantwortlich in der Betreuung und Pflege alter Menschen« (Belardi/Fisch 1999: 149). Sie führen u.a. die Behandlungs- und Körperpflege durch und betreuen die Pflegebedürftigen bei sozialen Fragestellungen und Problemen. Unterstützt wird der Pflegedienst häufig durch Altenpflegehelfer, Betreuungskräfte, Auszubildende und sogenannte Bundesfreiwillige. Während sich Beschäftigte im Bereich Hauswirtschaft um die Instandhaltung der Einrichtung (u.a. Küche, Reinigung, Hausgestaltung, Haustechnik) kümmern, erledigt die Verwaltung alle kaufmännischen Arbeiten und sorgt so für einen möglichst reibungslosen Organisationsablauf der Einrichtung. Integriert in altenpflegerische Einrichtungen ist in der Regel auch der Sozialdienst (u.a. Sozialarbeiter), welcher, je nach Ausrichtung und Größe der Einrichtung, unterschiedliche Aufgaben übernehmen kann: Während bis in die 1970er Jahre der Schwerpunkt oftmals noch in der Freizeitpädagogik und Beschäftigungstherapie lag, leistet der Sozialdienst heutzutage immer häufiger sozialarbeiterische und therapeutische Betreuung (z.B. psychosoziale Beratung von Bewohnern, betreuungsrechtliche Beratung, Begleitung von Ehrenamtlichen, Öffentlichkeitsarbeit). Ergänzt wird die Arbeit durch verschiedene Externe, die nicht fest in den Einrichtungen angestellt sind, in unterschiedlichem zeitlichem Maße jedoch zum Gesamtablauf beitragen (z.B. Ärzte, Pfarrer, Ehrenamtliche) (vgl. ebd.: 147-159). Dieser knappe Überblick zeigt, wie vielfältig das stationäre altenpflegerische Setting ist, und lässt vermuten, dass die Beschäftigten in unterschiedlichem Maße und auf ganz unterschiedliche Weise mit dem Thema Religion in Berührung kommen.

II Forschungsstand

2.2

Religion im Kontext von Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Migration

Nachdem das Setting organisierter Altenpflege skizziert wurde, in welchem Religion zum Tragen kommen kann, soll im Folgenden der Zusammenhang von Religion, Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Migration beleuchtet werden. Potenzielle Bedeutung gewinnt dieser Zusammenhang insofern, als es in den zu untersuchenden Einrichtungen um die professionelle Versorgung und Begleitung hilfebedürftiger, in der Regel älterer und oft schwer erkrankter Menschen geht und sich die Frage stellt, welche Rolle Religion in diesem Kontext zukommt bzw. zugerechnet wird. Untersuchungen unterschiedlicher Disziplinen haben zu den Wechselwirkungen von Religion, Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Migration teils vielversprechende Erkenntnisse hervorgebracht. Aufgrund der großen Menge an entsprechenden Studien26 sollen in diesem Kapitel lediglich zwei Fragestellungen fokussiert werden27 : Wie wirkt sich Religion auf Gesundheit, Krankheit und Alter(n) aus? Und: Wie hängen Religion und Migration zusammen? Ausgehend von den vorliegenden Untersuchungsergebnissen ist anzunehmen, dass Religion potenziell Einfluss auf den Gesundheits- bzw. Krankheitszustand und das Erleben des Alter(n)s nehmen kann. Bei der Beurteilung des Wirkungszusammenhanges lassen sich zwei grundsätzliche Tendenzen ausmachen: zum einen die problemzentrierte Betrachtung von Religion, insbesondere in Bezug auf krankmachende Wirkungen von Religiosität, zum anderen ressourcenorientierte Betrachtungen von Religion, respektive Religiosität, die zu einem Bestandteil vor allem psychologischer

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So verweisen Koenig et al. in ihrem Handbook of Religion and Health allein auf über 1.200 veröffentlichte Studien zum Wechselverhältnis von Religion und Gesundheit (vgl. Koenig et al. 2012). Diese Fragestellungen versprechen lediglich begrenzte, jedoch für das religionswissenschaftliche Untersuchungsvorhaben fruchtbar erscheinende Einblicke. Selbstverständlich können und müssen unter einer anderen Forschungsfrage auch die jeweiligen Wechselwirkungen der Bereiche Gesundheit, Krankheit, Alter(n) und Migration in den Blick genommen werden. Dass allein schon der Begriff ›Altern‹ eine Reihe von Prozessen beschreibt (u.a. Altern als biologisch/geschlechtsspezifisch/ökonomisch etc. bestimmter Prozess), die wiederum mit anderen Phänomenen zusammenhängen, machen Wahl/Heyl deutlich (vgl. Wahl/Heyl 2004: 42).

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Religion in der Altenpflege

und psychotherapeutischer Arbeit werden können. Während die problemzentrierte, oft pathologisierende Betrachtungsweise insbesondere Formen von Religiosität in den Blick nimmt, die eine Belastung im Umgang mit Krankheit darstellen können, wie z.B. ein negatives Gottesbild oder sich negativ auswirkende Formen der religiösen Vergemeinschaftung (vgl. z.B. Utsch 2012), haben ressourcenorientierte Ansätze in den vergangenen Jahren deutlich Aufschwung erfahren. Wegweisende Arbeit auf dem Gebiet der Psychologie hat Harold G. Koenig geleistet: Religion wird von ihm als multidimensionales Konstrukt verstanden (vgl. Koenig et al. 2012: 47), welches insbesondere im Alterungsprozess an Relevanz gewinne: »The spiritual needs of medically ill elders are similar to those of healthy older persons: however, the stress of physical illness, often chronic and irreversible, and the need to confront the reality of death, force certain spiritual concerns into awareness.« (Koenig 1994: 284) Dabei könne Glaube als Copingstrategie dienen, welche »[…] in particular may help to reframe situations in more positive and meaningful ways so that they are more easily integrated and accepted, or otherwise adapted to.« (Koenig et al. 2012: 80)28 Ähnlich argumentiert auch John H. Spreadbury, wenn er Glaubensinhalte und damit verknüpfte Rituale im Lebensverlauf betrachtet und zu dem Schluss kommt, dass sich diese – im Sinne von Copingstrategien – positiv auf die mentale Gesundheit alter Menschen auswirken können (vgl. Spreadbury 2013: 173-175).29 Hilfreich ist in diesem Zusammenhang sicherlich die von Lars Charbonnier formulierte Erkenntnis, dass religiöse Traditionen durchaus ein Angebot für die Beantwortung existenzieller Fragen insbesondere in »Schwellensituationen des Lebens« (Charbonnier 2014: 245) bieten, jedoch keinesfalls als selbstverständlich in der Sinndeutung betrachtet werden dürfen. Vielmehr werde die etwaige Bedeutsamkeit religiöser Deutungsangebote im Hinblick auf eine »individuelle Lebensdienlichkeit« (ebd.) bewertet, die

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Ähnliches gilt auch für den Zusammenhang von Religion und Minderheitenstatus (vgl. Koenig et al. 2012: 102), was durchaus eine Rolle in den zu untersuchenden Einrichtungen spielen könnte. Empirisch basierte Einblicke in positive, aber auch negative Wirkungen von Religion geben Baumann-Neuhaus et al. in ihrer Studie Religion im Heimalltag. Ältere Menschen erzählen (vgl. Baumann-Neuhaus et al. 2012).

II Forschungsstand

wiederum durch Individualisierung, Pluralisierung und Ästhetisierung der Lebenswelt geprägt sei. Trotz der potenziellen Bedeutsamkeit von Religion im Alter und in der Auseinandersetzung mit Krankheit, Sterben und Tod, machen Studien jedoch auch immer wieder deutlich, dass sich nur wenige Praktiker im medizinischen, pflegerischen und sozialen Bereich auf die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse vorbereitet fühlen und Belange dieser Art häufig auf den Seelsorger übertragen werden würden (vgl. etwa Heuft et al. 2006: 89). Dies legt die Vermutung nahe, dass Religion in den zu untersuchenden Einrichtungen zwar durchaus eine Relevanz besitzt, sich ihrer aber nur in eingeschränktem Maße und vornehmlich durch bestimmte Berufsgruppen angenommen wird. Diskutiert wird bis heute, ob Religiosität mit dem Alter zunimmt: Während etwa Coleman et al. davon ausgehen, dass das Level von Religiosität im Alter davon abhänge, wie religiös ein Mensch in jüngerem Alter war und die Religiosität dementsprechend nicht proportional ansteige (vgl. Coleman et al. 2013: 4), verweist das Sprichwort ›Mit dem Alter kommt der Psalter‹ auf einen häufig angenommenen Kausalzusammenhang zwischen Religion und Alter, der sich etwa durch den gehäuften Eintritt kritischer Lebensereignisse oder die Muße für religiöse Betätigung nach dem Erwerbsleben erklären lasse (vgl. Lois 2013: 12). Während die genannten Ansätze Religion in der Regel vor dem christlichen Hintergrund diskutieren und es im Einzelnen zu klären gilt, was überhaupt unter Religion und Religiosität verstanden wird, gibt es auch Ansätze, die der im Gesundheitswesen zunehmenden kulturellen und religiösen Pluralisierung Rechnung tragen: So macht Ina Wunn auf eine mögliche Sonderrolle der islamischen Religion im Untersuchungsfeld aufmerksam, welche sich etwa in einem Diskurs um »das spezifisch Islamische« (Wunn 2011: 143) innerhalb ethnisch-religiöser Interessengemeinschaften zeige und welche zu einer besonderen Berücksichtigung von »Sittlichkeit (geschlechtsspezifische Pflege), koscheren (halal) Mahlzeiten und Gebetsmöglichkeiten« (ebd.) in der Pflege geführt habe. Nicht zuletzt kann das Alter als Thema der Religionen selbst beleuchtet werden: So verweist etwa Frank Thieme auf die besondere Stellung alter Menschen insbesondere in den monotheistischen Religionen, indem diese, laut Altem Testament, mit einem biblischen Lebensalter gesegnet seien, in sehr hohem Alter noch Kinder gezeugt bzw. geboren hätten und damit ein Auserwähltsein durch Gott zum Ausdruck bringen würden. Thematisiert werde das Alter auch in Form göttlicher Gebote, die die jüngere Generation zu Achtung

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34

Religion in der Altenpflege

und Fürsorge gegenüber den Älteren verpflichte, wie es das 2. Buch Mose, Kap. 20 oder die Sure Isra, Ayat 20 nahelegen (vgl. Thieme 2008: 48f.). Ergänzt werden können die Überlegungen zum Zusammenhang von Religion, Gesundheit, Krankheit und Alter(n) abschließend durch migrationsspezifische Fragestellungen: Vor dem Hintergrund migrationsbedingter Veränderungen der Bewohner – und Personalstruktur (vgl. z.B. Afentakis/Maier 2014, Prätor 2008, von Winter 2003), welche mit einer Pluralisierung religiöser Ideen, Deutungen und Praktiken einhergehen können, gilt es zu eruieren, inwiefern die in der Soziologie immer wieder thematisierten Prozesse der »Um- und Neugestaltung religiöser Traditionen« (Baumann 2004: 21) infolge von Migrationserfahrungen sowie der »funktionale Aspekt der Unterstützung und Stabilisierung des Einzelnen durch Religion« (ebd.: 22) eine Rolle in den zu untersuchenden Einrichtungen spielen. Möglicherweise sind es aber auch die identitätsstiftenden Funktionen von Religion, die u.a. zur Erklärung von Abgrenzungen ethnischer Gruppen untereinander und sich daraus ergebenden Konflikten im altenpflegerischen Setting herangezogen werden können (vgl. Fuhse 2006: 57). Übergreifend stellt sich schließlich die Frage, wie bestimmte Sachverhalte im altenpflegerischen Setting gelabelt werden: Wird eine bestimmte Praktik als religiös gedeutet und entsprechend gekennzeichnet oder wird beispielsweise auf nationale Zugehörigkeit, ethnische Abstammung etc. rekurriert? Wann wird eine religiöse Etikettierung vorgenommen, wann eine mit Bezug auf Migration? Diese Fragestellungen versprechen insbesondere Relevanz im Kontext des Umgangs mit der islamischen Religionstradition (vgl. etwa Tezcan 2012).

2.3 2.3.1

Diskurse und Strategien im Umgang mit kultureller Pluralität Interkulturelle Öffnung

Mit dem unter anderem durch Migration bedingten demografischen Wandel gehen seit geraumer Zeit gesellschaftspolitische Diskurse darüber einher, wie soziale Dienste auf Veränderungen und entsprechende Bedarfslagen nachhaltig reagieren können. Gefasst werden die dazu entwickelten Konzepte und zunehmend auch handlungsleitenden Strategien häufig unter dem Begriff der Interkulturellen Öffnung von Organisationen (vgl. Griese/Marburger 2012: 1).

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Religion in der Altenpflege

und Fürsorge gegenüber den Älteren verpflichte, wie es das 2. Buch Mose, Kap. 20 oder die Sure Isra, Ayat 20 nahelegen (vgl. Thieme 2008: 48f.). Ergänzt werden können die Überlegungen zum Zusammenhang von Religion, Gesundheit, Krankheit und Alter(n) abschließend durch migrationsspezifische Fragestellungen: Vor dem Hintergrund migrationsbedingter Veränderungen der Bewohner – und Personalstruktur (vgl. z.B. Afentakis/Maier 2014, Prätor 2008, von Winter 2003), welche mit einer Pluralisierung religiöser Ideen, Deutungen und Praktiken einhergehen können, gilt es zu eruieren, inwiefern die in der Soziologie immer wieder thematisierten Prozesse der »Um- und Neugestaltung religiöser Traditionen« (Baumann 2004: 21) infolge von Migrationserfahrungen sowie der »funktionale Aspekt der Unterstützung und Stabilisierung des Einzelnen durch Religion« (ebd.: 22) eine Rolle in den zu untersuchenden Einrichtungen spielen. Möglicherweise sind es aber auch die identitätsstiftenden Funktionen von Religion, die u.a. zur Erklärung von Abgrenzungen ethnischer Gruppen untereinander und sich daraus ergebenden Konflikten im altenpflegerischen Setting herangezogen werden können (vgl. Fuhse 2006: 57). Übergreifend stellt sich schließlich die Frage, wie bestimmte Sachverhalte im altenpflegerischen Setting gelabelt werden: Wird eine bestimmte Praktik als religiös gedeutet und entsprechend gekennzeichnet oder wird beispielsweise auf nationale Zugehörigkeit, ethnische Abstammung etc. rekurriert? Wann wird eine religiöse Etikettierung vorgenommen, wann eine mit Bezug auf Migration? Diese Fragestellungen versprechen insbesondere Relevanz im Kontext des Umgangs mit der islamischen Religionstradition (vgl. etwa Tezcan 2012).

2.3 2.3.1

Diskurse und Strategien im Umgang mit kultureller Pluralität Interkulturelle Öffnung

Mit dem unter anderem durch Migration bedingten demografischen Wandel gehen seit geraumer Zeit gesellschaftspolitische Diskurse darüber einher, wie soziale Dienste auf Veränderungen und entsprechende Bedarfslagen nachhaltig reagieren können. Gefasst werden die dazu entwickelten Konzepte und zunehmend auch handlungsleitenden Strategien häufig unter dem Begriff der Interkulturellen Öffnung von Organisationen (vgl. Griese/Marburger 2012: 1).

II Forschungsstand

Einen konzeptionellen Ausgangspunkt findet die Interkulturelle Öffnung mit Wolfgang Hinz-Rommels Empfehlungen zur interkulturellen Öffnung sozialer Dienste, die er Mitte der 1990er Jahre aufstellte (vgl. Hinz-Rommel 1995a). Deutlich wird, dass die Interkulturelle Öffnung aus demografischer Perspektive nicht nur als ein sozialpolitisches Muss verstanden wird, sondern auch ein »Marketing-Plus für Unternehmen und Dienstleistungseinrichtungen« (Hinz-Rommel 1995b: 9) bilden kann. Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und vereinzelten Gesetzen auf Länderebene findet die Interkulturelle Öffnung zudem mittlerweile eine gesetzliche Verankerung (vgl. Griese/Marburger 2012: 17-21). Viel später als zum Beispiel die öffentliche Verwaltung (vgl. ebd.: 2) hat sich auch das Gesundheitswesen dem Thema Interkulturalität angenommen und auf Basis von Problemsondierungen nach und nach Strategien der Interkulturellen Öffnung entwickelt.30 Diese Strategien lassen sich verstehen als »gesundheitspolitische Antwort auf Ungleichgewichte in der Inanspruchnahme von medizinischer Versorgung, Pflege, Beratung und Vorsorge durch migrantische Bevölkerung« (Griese/Marburger 2012: 10). Als Gründe für diese Ungleichgewichte werden kommunikativ bedingte Zugangs- und Nutzungsbarrieren in Folge von (körper-)sprachlichen Verständigungsproblemen ebenso angeführt wie kulturell bedingte Schwellen, die etwa durch differente Gesundheits- und Krankheitsvorstellungen oder unzureichende Ausstattungen hinsichtlich religiöser Bedürfnislagen (Gebetsraum etc.) zustande kommen würden (vgl. ebd.). Auch wenn bzw. gerade, weil die Interkulturelle Öffnung mittlerweile zu einem geläufigen Begriff in der gesundheitlichen Versorgungslandschaft geworden ist, gibt es durchaus Kritik an ihm: So bezeichnet Andreas Foitzig ihn als typischen »Container-Begriff« (Foitzik 2008: 20), der ein kritisches gesellschaftspolitisches Potenzial verspreche, sich aufgrund seiner terminologischen Vagheit auf der Ebene der Handlungspraxis jedoch als wenig effektiv erweise. Illustrieren lässt sich diese Vagheit beispielsweise an dem vielen Ansätzen der Interkulturellen Öffnung zugrunde liegenden Verständnis von z.B. •

30

Kultur als einem kollektiven Phänomen,

Laut Griese/Rothe begann die Problemsondierung in Bezug auf die Gesundheitssituation von Migranten im deutschsprachigen Raum erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Konkrete Initiativen und Aktivitäten zur Interkulturellen Öffnung seien ab dem Jahr 2005 vermehrt festzustellen (vgl. Griese/Rothe 2012: 185ff.).

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Religion in der Altenpflege

• • •

Kultur als einem dynamischen Prozess, Kultur als einem Produkt gesellschaftlichen Handelns oder Kultur als einem symbolisch aufgeladenen Orientierungssystem (vgl. Griese/Marburger 2012: 13).

Zwar erwecken diese Begriffe den Anschein einer differenzierten Perspektive auf kulturelle Sachverhalte (etwa »Es gibt nicht die deutsche Kultur.«), doch bleibt es letztendlich dem Leser überlassen, was er in diese oder ähnliche Definitionen hineininterpretiert (z.B. »Was genau meint denn ein symbolisch aufgeladenes Orientierungssystem?«). Folglich ist davon auszugehen, dass altenpflegerische Einrichtungen, sofern sie sich denn als interkulturell geöffnet betrachten, ganz unterschiedliche Umgangsformen mit Kultur und eben auch Religion hervorbringen.

2.3.2

Transkulturelle und Kultursensible Pflege

Im pflegerischen Bereich wird Interkulturelle Öffnung häufig mit Konzepten Transkultureller bzw. Kultursensibler Pflege in Verbindung gebracht. Als Grundlage Transkultureller Pflege wird in der Regel Madeleine Leiningers Theorie der Transkulturellen Pflege angeführt, welche in den 1960er Jahren Fuß in der US-amerikanischen Pflegewissenschaft fassen konnte. Dabei macht Leininger den Begriff der cultural care stark, welche durch den Bezug auf vertraute Werte, Normen und Lebensweisen Wohlbefinden herstellen und so zu einem erleichternden Umgang mit Krankheit, Behinderung und Tod führen könne. Grundlage für diese Form von Fürsorge sei das Wissen über sogenannte Kulturspezifika, welche Leininger und Kollegen mittels der Methode des Ethnonursing in zahlreichen Ländern erhoben (vgl. Leininger 2001). Mittlerweile wird Leiningers Theorie jedoch kritisch betrachtet: So sei es laut Domenig das »klassische, essentialistische Kulturkonzept« (Domenig 2001: 157) Leiningers, welches gegenwärtig aufgrund zunehmender Globalisierung und Mobilität und damit verknüpfter Pluralisierung von Lebenswelten nicht mehr haltbar sei. Domenig hingegen bevorzugt ein Konzept, welches Transkulturelle Pflege als Erfassung und Berücksichtigung individueller, über das Kulturelle hinausgehender Lebenswirklichkeiten im Pflegeprozess versteht und so die Interaktion zwischen Pflegenden und zu pflegenden Migranten in den Fokus der Arbeit rückt (vgl. ebd.). Ableiten lässt sich aus diesem Verständnis die Forderung nach und Förderung von Transkultureller Kompetenz, welche, aufbauend auf den Schlüsselkompetenzen Selbstrefle-

II Forschungsstand

xion, Empathie, Wissen und Erfahrung, zu einem Leitbegriff gegenwärtiger Diskurse im Pflegebereich geworden ist (vgl. ebd.). Mit dem Konzept Kultursensible Pflege verknüpft wird vor allem eine Initiative des Arbeitskreises Charta für eine kultursensible Altenpflege, welcher den Vorläufer des heutigen Forums für eine kultursensible Altenhilf e bildete. Ziel des 1999 gegründeten Arbeitskreises, der sich aus Vertretern der Wohlfahrtsverbände, der Organisationen der Altenhilfe und der Migrationsarbeit zusammensetzte, war es, bestehende »Arbeitsansätze und Strukturen der Altenhilfe im Hinblick auf die Kultursensibilität neu zu überdenken und weiterzuentwickeln« (Forum für eine kultursensible Altenhilfe 2015: 3). Ein Ergebnis dieses Zusammenschlusses war die Veröffentlichung und Verabschiedung des sogenannten Memorandums für eine kultursensible Altenhilfe (vgl. Forum für eine kultursensible Altenhilfe 2009) sowie die Herausgabe einer Handreichung für eine kultursensible Altenhilfe (vgl. Arbeitskreis »Charta für eine kultursensible Altenpflege« 2002). Beide wurden gemeinsam mit dem Kuratorium Deutsche Altershilfe veröffentlicht. Im Memorandum für eine kultursensible Altenhilfe heißt es: »Wir, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des Memorandums, fordern Politik und Gesellschaft auf, allen in Deutschland lebenden alten Menschen unabhängig von ihrer sozialen, ethnischen und kulturellen Herkunft den Zugang zu den Institutionen der Altenhilfe zu ermöglichen und dort ein kultursensibles fachliches Handeln sicherzustellen. Die Pluralität unserer Gesellschaft muss sich auch in ihren Diensten und sozialen Einrichtungen widerspiegeln und bedarf deren interkultureller Öffnung.« (Forum für eine kultursensible Altenhilfe 2009: 3) Vor dem Hintergrund der Beobachtung einer weltanschaulich pluralen Gesellschaft und daraus resultierenden Bedarfslagen werden sieben »Marksteine auf dem Weg zu einer kultursensiblen Altenhilfe« (ebd.: 4) formuliert, die unter anderem auch das Thema Religion tangieren: Kultursensible Pflege trage dazu bei, »dass eine pflegebedürftige Person entsprechend ihrer individuellen Werte, kulturellen und religiösen Prägungen und Bedürfnisse leben kann« (ebd.: 5). In der Praxis sei es dabei wichtig, Migranten nicht bloß als neuen Kundenkreis zu gewinnen und eine Gleichbehandlung aller Kunden anzustreben. Das Forum fordert stattdessen eine »gleichwertige Behandlung« (ebd.), die jedoch Unterschiede hinsichtlich der Werte, Kultur und Religion berücksichtige und so eine »bedürfnis- und biografieorientierte Pflegebeziehung« (ebd.) ansteuere. Grundlegend sei, dass Interkulturelle Öffnung nicht

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38

Religion in der Altenpflege

als Zusatzangebot der jeweiligen Einrichtung verstanden werde, sondern die komplette Organisation betreffe und auf die Entscheidung des Trägers angewiesen sei (vgl. ebd.). Laut Selbstdarstellung wurde das Memorandum mittlerweile von über 300 Vertretern verschiedener Verbände, Migranten- und Selbsthilfeorganisationen sowie Pflegediensten unterzeichnet (Forum für eine kultursensible Altenhilfe 2015: 2). Wissenschaftlich beschäftigt hat sich mit diesen und weiteren Handreichungen bzw. Dokumenten zur Kultursensiblen Pflege auch die Pflegepädagogin Meggi Khan-Zvorničanin: In ihrer Dissertationsschrift geht sie der Frage nach, wie alte, kranke Menschen mit Migrationshintergrund in verschiedenen Einrichtungen der professionellen Altenhilfe beraten und versorgt werden. Ausgehend von einer Diskrepanz zwischen Programmatik und Umsetzungspraxis kombiniert Khan-Zvorničanin Diskursanalyse und dokumentarische Methode, um zu einer Rekonstruktion von Diskurs und Habitus im Feld der Altenhilfe zu gelangen (vgl. Khan-Zvorničanin 2016: 14). Ein wesentliches Ergebnis ist dabei die Herausarbeitung dreier habitueller Versorgungsstile, die auf unterschiedliche Weise das Spannungsverhältnis zwischen instrumentellen und sozial verstehenden Handlungslogiken bearbeiten (vgl. ebd.: 131). Khan-Zvorničanin kann auf der einen Seite aufzeigen, wie ein rollenförmiges Handeln und eine stereotypisierende Wahrnehmung des Gegenübers mit einem instrumentellen Versorgungsstil einhergehen und zu Konflikten in Versorgungssituationen führen können (vgl. ebd.: 243). Auf der anderen Seite kann sie einen Versorgungsstil herausarbeiten, der als professioneller Zugang auf Basis geteilter bzw. strukturäquivalenter Erfahrung eine »konjunktive Verbundenheit« (ebd.: 245) »jenseits rollenförmigen Handelns« (ebd.) ermögliche. Als Zwischentyp beschreibt sie einen Versorgungsstil, der sich um eine »Balance zwischen der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung« (ebd.: 244) bemühe und damit gleichzeitig eine Dienstleistungsorientierung zum Ausdruck bringe. Damit stellt die Autorin einen vielversprechenden Ansatz vor, welcher sich möglicherweise auch auf die Frage nach dem Umgang mit Religion in der organisierten Altenpflege beziehen lässt. Gleichzeitig macht ihre Rekonstruktion der Handlungspraxis aber auch noch einmal deutlich, dass Konzepte und Leitbilder des oben angedeuteten Fachdiskurses bisher kaum eine Relevanz für die Versorgungspraxis haben, da sie in der Regel keine Bewältigungsstrategie für das genannte Spannungsverhältnis zwischen sozialem Verstehen und instrumentellem Handeln bieten (vgl. ebd.: 284).

II Forschungsstand

2.3.3

Diversity-Management

Unter Diversity-Management wird ein Teilbereich des Personalmanagements verstanden, der darauf abzielt, die Vielfalt des Personals und die daraus ableitbaren Potenziale »als strategische Ressource zur Lösung komplexer organisationaler Probleme zu nutzen« (Aretz/Hansen 2002: 8) bzw. »den Profit qua Imagegewinn« (Großbölting 2016: 245) zu erhöhen. Als Beispiel lässt sich die Charta der Vielfalt anführen, welche seit 2006 unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Merkel »die Vielfalt der Gesellschaft innerhalb und außerhalb der Organisation anerkennen, die darin liegenden Potenziale wertschätzen und für das Unternehmen oder die Institution gewinnbringend einsetzen« (Charta der Vielfalt 2020) möchte. Ziel sei eine Wertschätzung aller Mitarbeiter in den jeweiligen unterzeichnenden Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen ‒ unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung bzw. Identität und eben auch Religion oder Weltanschauung. Dieser Wertschätzung liegt die Annahme zugrunde, dass Pluralität wirtschaftlich nutzbar gemacht werden kann, indem sie z.B. Vertrauen bei potenziellen Kunden aufbaut (vgl. ebd.). Anknüpfen lässt sich in diesem Zusammenhang an arbeitspsychologische Studien, die etwa die Leistungsfähigkeit multikultureller Teams beleuchten (vgl. etwa Adler 2008) oder die interkulturelle Kommunikation in Organisationen insbesondere im Hinblick auf verschiedene Kulturtypen (vgl. etwa Lewis 2000) oder Kulturdimensionen (vgl. etwa Hofstede 2001) diskutieren. Ob diese strategischen Überlegungen und Verständnisse eine Rolle in den zu untersuchenden Altenpflegeorganisationen spielen, wird das empirische Material zeigen.

39

III Untersuchungsdesign

3.1

Vorüberlegungen

Die Aufarbeitung des Forschungsstandes machte deutlich: Religion verspricht in unterschiedlichen Zusammenhängen in Altenpflegeorganisationen zum Thema zu werden und kann entsprechend aus verschiedenen Perspektiven (z.B. rechtlich, gesundheitswissenschaftlich, historisch) untersucht werden. Vor dem Hintergrund ihrer religionswissenschaftlichen Ausbildung besonders interessant erscheinen der Autorin Kontexte, in denen Religion zum Gegenstand der zwischenmenschlichen Begegnung wird, das religionsbezogene Handeln aber zugleich in größere Zusammenhänge bzw. Strukturen eingebettet ist. Abstrakter ausgedrückt: Im Fokus des Interesses steht die empirische Rekonstruktion einer sozialen Praxis innerhalb von Altenpflegeorganisationen mittels des Blickes auf das Handeln der Beschäftigten unter dem Gesichtspunkt der Relevanz von Religion. Ausdruck findet dieses Forschungsinteresse in der übergeordneten Fragestellung, wie sich der Umgang mit Religion in Altenpflegeorganisationen seitens der dort Beschäftigten gestaltet. Gefragt ist damit ein qualitatives Untersuchungsdesign, welches a) die spezifische Untersuchungsfrage beantworten hilft, d.h. gegenstandsangemessen ist (vgl. Flick 2010: 26), b) zugleich offen genug ist, um der Komplexität der sozialen Wirklichkeit gerecht zu werden (vgl. ebd.: 27), c) unterschiedliche Perspektiven der untersuchten Beteiligten einfängt und abbildet1 (vgl. ebd.: 28),

1

Vgl. hierzu die Überlegungen zur Datenerhebung (Kap. 3.3) und das Sample der vorliegenden Studie (Kap. 4.1).

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Religion in der Altenpflege

d) für Außenstehende transparent und nachvollziehbar ist2 (vgl. ebd.: 488500) und schließlich e) ethische Grundsätze berücksichtigt3 (vgl. ebd.: 63-66).

Im Folgenden wird das der Studie zugrunde liegende Forschungsdesign mit Blick auf den Feldzugang, die Datenerhebung, die Datenaufbereitung bzw. Transkription und die Datenauswertung vorgestellt. Ergänzt wird die Vorstellung des konkreten Vorgehens an geeigneter Stelle immer wieder durch methodologische Überlegungen. Dies betrifft insbesondere die Datenauswertung, welche sich am Verfahren der Objektiven Hermeneutik orientiert und damit zugleich ein bestimmtes Sinn- und Textverständnis zum Ausdruck bringt, welches es darzulegen gilt.

3.2

Feldzugang

Für die Datenerhebung in einem offenen Untersuchungsdesign stellt sich in der Regel zunächst die Herausforderung eines möglichen Feldzugangs (vgl. Flick 2010: 142ff.). Auf das vorliegende Projekt bezogen kam also die Frage auf, wie die Forscherin an Datenmaterial gelangen kann, welches im Setting der organisierten Altenpflege zu verorten ist. Mit der Fokussierung des Untersuchungsvorhabens auf stationäre Altenpflegeeinrichtungen in NordrheinWestfalen mussten entsprechend Einrichtungen gefunden werden, deren Beschäftigte bereit waren, sich an einer wissenschaftlichen Untersuchung zu beteiligen4 , und welche potenziell berufliche Berührungspunkte zum Themenkomplex Religion aufweisen. Das Auswahlkriterium ›Berührungspunkte 2

3

4

Angesprochen sind damit die klassischen Kriterien empirischer Sozialforschung: Reliabilität, Validität und Objektivität. Zu den Möglichkeiten ihrer Umsetzung und zur Kritik an diesen Kriterien vgl. Flick 2010: 487-500. Zur Relevanz dieser Kriterien für die vorliegende Studie vgl. die folgenden Ausführungen zum Untersuchungsdesign, insbesondere das Kapitel 3.5 (›Datenauswertung‹). Gemeint sind damit forschungspraktische Vorkehrungen, die den Schutz der Beteiligten und Teilnehmer an den durchgeführten Interviews gewährleisten sollen. Vgl. hierzu auch die Dokumente (›Informationsblatt zum Forschungsvorhaben‹ und ›Interviewvereinbarung‹) im Anhang sowie die Anmerkungen im Unterkapitel ›Datenerhebung‹. Als besonders relevant erwies sich in diesem Zusammenhang der Faktor Zeit, der die Bereitschaft zur Teilnahme, aber auch den Umfang der Teilnahme (z.B. Anzahl der möglichen Interviews in den Einrichtungen, Dauer der Interviews) aufseiten der Altenpflegeorganisationen maßgeblich beeinflusste.

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Religion in der Altenpflege

d) für Außenstehende transparent und nachvollziehbar ist2 (vgl. ebd.: 488500) und schließlich e) ethische Grundsätze berücksichtigt3 (vgl. ebd.: 63-66).

Im Folgenden wird das der Studie zugrunde liegende Forschungsdesign mit Blick auf den Feldzugang, die Datenerhebung, die Datenaufbereitung bzw. Transkription und die Datenauswertung vorgestellt. Ergänzt wird die Vorstellung des konkreten Vorgehens an geeigneter Stelle immer wieder durch methodologische Überlegungen. Dies betrifft insbesondere die Datenauswertung, welche sich am Verfahren der Objektiven Hermeneutik orientiert und damit zugleich ein bestimmtes Sinn- und Textverständnis zum Ausdruck bringt, welches es darzulegen gilt.

3.2

Feldzugang

Für die Datenerhebung in einem offenen Untersuchungsdesign stellt sich in der Regel zunächst die Herausforderung eines möglichen Feldzugangs (vgl. Flick 2010: 142ff.). Auf das vorliegende Projekt bezogen kam also die Frage auf, wie die Forscherin an Datenmaterial gelangen kann, welches im Setting der organisierten Altenpflege zu verorten ist. Mit der Fokussierung des Untersuchungsvorhabens auf stationäre Altenpflegeeinrichtungen in NordrheinWestfalen mussten entsprechend Einrichtungen gefunden werden, deren Beschäftigte bereit waren, sich an einer wissenschaftlichen Untersuchung zu beteiligen4 , und welche potenziell berufliche Berührungspunkte zum Themenkomplex Religion aufweisen. Das Auswahlkriterium ›Berührungspunkte 2

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Angesprochen sind damit die klassischen Kriterien empirischer Sozialforschung: Reliabilität, Validität und Objektivität. Zu den Möglichkeiten ihrer Umsetzung und zur Kritik an diesen Kriterien vgl. Flick 2010: 487-500. Zur Relevanz dieser Kriterien für die vorliegende Studie vgl. die folgenden Ausführungen zum Untersuchungsdesign, insbesondere das Kapitel 3.5 (›Datenauswertung‹). Gemeint sind damit forschungspraktische Vorkehrungen, die den Schutz der Beteiligten und Teilnehmer an den durchgeführten Interviews gewährleisten sollen. Vgl. hierzu auch die Dokumente (›Informationsblatt zum Forschungsvorhaben‹ und ›Interviewvereinbarung‹) im Anhang sowie die Anmerkungen im Unterkapitel ›Datenerhebung‹. Als besonders relevant erwies sich in diesem Zusammenhang der Faktor Zeit, der die Bereitschaft zur Teilnahme, aber auch den Umfang der Teilnahme (z.B. Anzahl der möglichen Interviews in den Einrichtungen, Dauer der Interviews) aufseiten der Altenpflegeorganisationen maßgeblich beeinflusste.

III Untersuchungsdesign

zu Religion‹ wurde dabei bewusst weit gefasst und nicht auf bestimmte religiöse Traditionen beschränkt. Ermöglicht werden sollte auf die Weise eine Thematisierung unterschiedlicher Religionsverständnisse aufseiten der Befragten sowie sich daraus entwickelnder Umgangsformen. Durch ihre öffentliche Sichtbarkeit und ihren in Selbstdarstellungen vermittelten religiösen bzw. kultursensiblen Wertebezug fiel der Blick rasch auf Einrichtungen der Wohlfahrtsverbände: Letztlich konnten Untersuchungen in vier freigemeinnützigen Altenpflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen realisiert werden, die vom Deutschen Roten Kreuz, dem Deutschen Caritasverband, dem Diakonischen Werk und einem freikirchlichen, dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband zugehörigen Träger unterhalten werden. Mit dem Wissen um eine notwendige Unterscheidung von verantwortlichen Personen, die den Zugang zu entsprechenden Einrichtungen genehmigen müssen, und Personen, die bereit sind, sich zu ihrem Arbeitsalltag befragen zu lassen (vgl. Flick: 145), wurden zunächst potenzielle Einrichtungen samt Ansprechpartnern ausfindig gemacht und über das Untersuchungsvorhaben informiert: Dies geschah im Fall der Einrichtungen A und D über eine Internetrecherche, die ein öffentlichkeitswirksames Auftreten und eine prinzipielle Offenheit der Einrichtungen gegenüber religionsbezogenen Untersuchungsvorhaben vermuten ließen. Zugang zu den Einrichtungen B und C konnte über den direkten Kontakt zu einem Fachbereichsleiter bzw. zu einer Einrichtungsleiterin auf einer gerontologischen Fachveranstaltung hergestellt werden. Nachdem eine Projektbeschreibung5 bei den einrichtungsleitenden Personen eingereicht worden war und diese teilweise noch eine notwendige Untersuchungsgenehmigung durch ihren Vorstand eingeholt hatten, war die Möglichkeit zum Kennenlernen der altenpflegerischen Settings eröffnet: Die vier ausgewählten Einrichtungen wurden zwischen 2016 und 2019 mehrmals besucht, Arbeits- und Wohnbereiche besichtigt, Beschäftigte und Bewohner kennengelernt, Informationsmaterial gesammelt (z.B. Einrichtungsbroschüren, Wochenpläne, Biografiebögen) und notwendige Absprachen für die Interviews getroffen.

5

Vgl. Anhang ›Informationsblatt zum Forschungsprojekt‹.

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Religion in der Altenpflege

3.3

Datenerhebung

Um einen ersten Überblick über das zu untersuchende Setting zu erhalten und potenziell religiöse Sachverhalte zu sondieren, wurden in den vier stationären Altenpflegeeinrichtungen zahlreiche Dokumente wie Leitbilder, Wochenpläne und Biografiebögen gesammelt und teilnehmende Beobachtungen6 durchgeführt. Spezifische Einblicke in den Umgang mit Religion gaben sukzessiv Interviews, die mit ausgewählten Beschäftigten in den Altenpflegeeinrichtungen geführt wurden. In den Vorgesprächen gab sich die Interviewerin als wissenschaftlich interessierte Person zu erkennen und klärte die Interviewteilnehmer über das Thema der Untersuchung7 und die zu gewährleistende Vertraulichkeit und Anonymität auf8 (vgl. Flick 2010: 65f.). Im Fokus ethischer Überlegungen standen dabei u.a. der Schutz der Daten und die Nichtweitergabe dieser an z.B. Vorgesetzte der Altenpflegeeinrichtungen. Die Interviews wurden mit einem Diktiergerät aufgenommen.9 Befragt wurden Beschäftigte unterschiedlicher Arbeitsbereiche (Pflege, Sozialdienst, Heimleitung, Religiöse Begleitung), unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Berufserfahrung, ihrer Religionszugehörigkeit oder ähnlichen Kriterien. Im Zentrum der Interviews standen Fragen nach Wahrnehmungs- und Berührungspunkten sowie dem konkreten Umgang mit Religion im Arbeitskon-

6

7 8 9

Möglich war die Beobachtung des Geschehens durch die Teilnahme an z.B. gemeinsamen Mahlzeiten mit den Beschäftigten und Bewohnern (z.B. türkisches Frühstück) sowie die Teilnahme an Gruppenangeboten (z.B. Spielenachmittag). Im Nachgang zur Beobachtung wurden kurze Protokolle angefertigt, die wichtige Gedanken und Ideen in einem Forschungstagebuch der Autorin festhielten, so etwa die Beobachtung, dass in einer Einrichtung das Mittagsessen durch ein gemeinsames Tischgebet eingeleitet wurde oder das Zeit bzw. Zeitmanagement ein ständiges Gesprächsthema unter den Beschäftigten ist. Auf diese Beobachtungen wurde dann an geeigneter Stelle in einzelnen Interviews Bezug genommen. Vgl. Anhang ›Informationsblatt zum Forschungsprojekt‹. Vgl. Anhang ›Interviewvereinbarung‹. Die Aufnahme und anschließende Transkription diente nicht nur der besseren Handhabbarkeit des Datenmaterials, sondern ist mit Blick auf die spätere Datenauswertung auch methodologisch begründet: So kann aus objektiv-hermeneutischer Perspektive all das zum Gegenstand der Erhebung werden, was sich in versprachlichten Dokumenten materialisieren lässt (vgl. Oevermann 2013: 73). Grundlage hierfür ist eine möglichst unverzerrte Wiedergabe der protokollierten Wirklichkeit mittels technischer Aufzeichnung (vgl. Oevermann 2000: 85).

III Untersuchungsdesign

text. Adressiert wurden die Beschäftigten in ihrer Rolle als Experten, wobei unter Experte eine Person verstanden wird, die über bestimmtes, nicht allgemein zugängliches Wissen im relevanten Forschungszusammenhang verfügt (in der wissenssoziologischen Unterscheidung zum Laien) und in ihrem Denken und Handeln auf sozial institutionalisierte Expertise aufbauen kann (vgl. Meuser/Nagel 2009: 466f.). Mit Meuser/Nagel kommen damit Personen zur Sprache, die Verantwortung tragen »für den Entwurf, die Ausarbeitung, die Implementierung und/oder die Kontrolle einer Problemlösung« (ebd.: 470) und entsprechend über einen »privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen, Soziallagen, Entscheidungsprozesse« (ebd.) verfügen. Generiert werden konnten durch die Interviews drei Dimensionen von Expertenwissen: Während technisches Wissen auf Fachwissen im engeren Sinne verweist (vgl. z.B. Wissen über geriatrische Krankheitsbilder), konnte mit dem auf Praxis beruhenden Erfahrungswissen sogenanntes Prozesswissen gewonnen werden, welches sich insbesondere in Routinen zeigt (z.B. Wissen über bestimmte Pflegeabläufe). Zu guter Letzt gaben die Interviews die Möglichkeit zur Entfaltung von Deutungswissen, in welches auch subjektive Sichtweisen und biografische Bezüge einfließen konnten (vgl. ebd.). Die für die vorliegende Untersuchung verwendeten Interviewleitfäden10 enthalten dementsprechend unterschiedliche Typen von Fragen und Erzählaufforderungen, wobei sie der jeweiligen Gesprächssituation (z.B. Antwortverhalten der Befragten, interessante Exkurse, Rückfragen der Befragten etc.) angepasst wurden und damit lediglich als grobe Vorstrukturierung der Gespräche zu verstehen sind.

3.4

Datenaufbereitung

Zum Zwecke der detaillierten Datenauswertung mittels Sequenzanalyse wurde das aufgezeichnete Interviewmaterial zunächst mehrfach abgehört und grob sequenziert.11 Diese Grobsequenzierung ermöglichte einen komprimierten Nachvollzug der jeweiligen Interviewverläufe in ihrer Gänze, von dem ausgehend ‒ entsprechend dem Verfahren der Objektiven Hermeneutik ‒ Segmente12 eines Falles für die Feinanalyse ausgewählt wurden.

10 11 12

Vgl. Anhang ›Beispiele für die verwendeten Interviewleitfäden‹. Vgl. Anhang ›Grobsequenzierung der verwendeten Interviews‹. Zum spezifischen Verfahren vgl. Kapitel 3.5 ›Datenauswertung‹.

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III Untersuchungsdesign

text. Adressiert wurden die Beschäftigten in ihrer Rolle als Experten, wobei unter Experte eine Person verstanden wird, die über bestimmtes, nicht allgemein zugängliches Wissen im relevanten Forschungszusammenhang verfügt (in der wissenssoziologischen Unterscheidung zum Laien) und in ihrem Denken und Handeln auf sozial institutionalisierte Expertise aufbauen kann (vgl. Meuser/Nagel 2009: 466f.). Mit Meuser/Nagel kommen damit Personen zur Sprache, die Verantwortung tragen »für den Entwurf, die Ausarbeitung, die Implementierung und/oder die Kontrolle einer Problemlösung« (ebd.: 470) und entsprechend über einen »privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen, Soziallagen, Entscheidungsprozesse« (ebd.) verfügen. Generiert werden konnten durch die Interviews drei Dimensionen von Expertenwissen: Während technisches Wissen auf Fachwissen im engeren Sinne verweist (vgl. z.B. Wissen über geriatrische Krankheitsbilder), konnte mit dem auf Praxis beruhenden Erfahrungswissen sogenanntes Prozesswissen gewonnen werden, welches sich insbesondere in Routinen zeigt (z.B. Wissen über bestimmte Pflegeabläufe). Zu guter Letzt gaben die Interviews die Möglichkeit zur Entfaltung von Deutungswissen, in welches auch subjektive Sichtweisen und biografische Bezüge einfließen konnten (vgl. ebd.). Die für die vorliegende Untersuchung verwendeten Interviewleitfäden10 enthalten dementsprechend unterschiedliche Typen von Fragen und Erzählaufforderungen, wobei sie der jeweiligen Gesprächssituation (z.B. Antwortverhalten der Befragten, interessante Exkurse, Rückfragen der Befragten etc.) angepasst wurden und damit lediglich als grobe Vorstrukturierung der Gespräche zu verstehen sind.

3.4

Datenaufbereitung

Zum Zwecke der detaillierten Datenauswertung mittels Sequenzanalyse wurde das aufgezeichnete Interviewmaterial zunächst mehrfach abgehört und grob sequenziert.11 Diese Grobsequenzierung ermöglichte einen komprimierten Nachvollzug der jeweiligen Interviewverläufe in ihrer Gänze, von dem ausgehend ‒ entsprechend dem Verfahren der Objektiven Hermeneutik ‒ Segmente12 eines Falles für die Feinanalyse ausgewählt wurden.

10 11 12

Vgl. Anhang ›Beispiele für die verwendeten Interviewleitfäden‹. Vgl. Anhang ›Grobsequenzierung der verwendeten Interviews‹. Zum spezifischen Verfahren vgl. Kapitel 3.5 ›Datenauswertung‹.

45

46

Religion in der Altenpflege

Die anschließende Transkription erfolgte in Anlehnung an Ralf Bohnsacks Überlegungen zu einer rekonstruktiven Sozialforschung (vgl. Bohnsack 2010: 235) und umfasst folgende Regeln: • • • • • • • • • • • •

3.5

(.): kurzes Absetzen bzw. kurze Pause (kürzer als 1 Sek.) (2): Dauer einer Pause in Sekunden nein-nein: schneller Anschluss bzw. Zusammenziehung des Gesagten jaaa: Dehnung; je mehr Vokale, desto länger ist die Dehnung nein: Betonung NEIN: Lautstärke viellei-: Abbruch (doch): Unsicherheit bei der Transkription @meinte der@: Das zwischen »@« Stehende wird lachend gesagt °Ach Herr K.?°: Das zwischen »°« Stehende wird flüsternd gesagt (lacht): Kommentar zu parasprachlichen, nonverbalen oder gesprächsexternen Ereignissen (z.B. Diensthandy klingelt) […]: Überlappung des Gesagten

Datenauswertung

Grundlage der Datenauswertung bildet die Objektive Hermeneutik nach dem Soziologen Ulrich Oevermann. Dabei stellt die Objektive Hermeneutik nicht nur ein konkretes Verfahren in Form der Sequenzanalyse zur Verfügung, sondern fußt ‒ im Gegensatz zu etwa reinen Kodierungs- und Kategorisierungsverfahren ‒ auf einem breiten Fundament methodologischer Vorüberlegungen, die im Folgenden zunächst umrissen werden sollen.13 Grundlage bildet die Annahme einer sinnstrukturierten Welt und damit auch einer Sinnstrukturiertheit sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlicher Gegenstandsbereiche, welche das Lesen dieser als Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge in den Fokus rückt (vgl. Oevermann 2001: 74). Doch was meint an dieser Stelle Sinn? Oevermann unterscheidet zwischen zwei Grundbedeutungen von Sinn: Während etwa die Frage nach dem Sinn des Lebens oder generell Sinnfragen als normativ zu verstehen sind, meint Sinn im Verständnis der Objektiven Hermeneutik eine deskriptiv-analytische Kategorie. Hiernach 13

Für eine Übersicht über die Entwicklung der Objektiven Hermeneutik als Methodenschule vgl. Franzmann 2016.

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Religion in der Altenpflege

Die anschließende Transkription erfolgte in Anlehnung an Ralf Bohnsacks Überlegungen zu einer rekonstruktiven Sozialforschung (vgl. Bohnsack 2010: 235) und umfasst folgende Regeln: • • • • • • • • • • • •

3.5

(.): kurzes Absetzen bzw. kurze Pause (kürzer als 1 Sek.) (2): Dauer einer Pause in Sekunden nein-nein: schneller Anschluss bzw. Zusammenziehung des Gesagten jaaa: Dehnung; je mehr Vokale, desto länger ist die Dehnung nein: Betonung NEIN: Lautstärke viellei-: Abbruch (doch): Unsicherheit bei der Transkription @meinte der@: Das zwischen »@« Stehende wird lachend gesagt °Ach Herr K.?°: Das zwischen »°« Stehende wird flüsternd gesagt (lacht): Kommentar zu parasprachlichen, nonverbalen oder gesprächsexternen Ereignissen (z.B. Diensthandy klingelt) […]: Überlappung des Gesagten

Datenauswertung

Grundlage der Datenauswertung bildet die Objektive Hermeneutik nach dem Soziologen Ulrich Oevermann. Dabei stellt die Objektive Hermeneutik nicht nur ein konkretes Verfahren in Form der Sequenzanalyse zur Verfügung, sondern fußt ‒ im Gegensatz zu etwa reinen Kodierungs- und Kategorisierungsverfahren ‒ auf einem breiten Fundament methodologischer Vorüberlegungen, die im Folgenden zunächst umrissen werden sollen.13 Grundlage bildet die Annahme einer sinnstrukturierten Welt und damit auch einer Sinnstrukturiertheit sozial-, kultur- und geisteswissenschaftlicher Gegenstandsbereiche, welche das Lesen dieser als Bedeutungs- und Sinnzusammenhänge in den Fokus rückt (vgl. Oevermann 2001: 74). Doch was meint an dieser Stelle Sinn? Oevermann unterscheidet zwischen zwei Grundbedeutungen von Sinn: Während etwa die Frage nach dem Sinn des Lebens oder generell Sinnfragen als normativ zu verstehen sind, meint Sinn im Verständnis der Objektiven Hermeneutik eine deskriptiv-analytische Kategorie. Hiernach 13

Für eine Übersicht über die Entwicklung der Objektiven Hermeneutik als Methodenschule vgl. Franzmann 2016.

III Untersuchungsdesign

stellt sich z.B. die Frage nach Sinn in dem Zusammenhang, mit dem ein Wort oder Ausdruck verwendet wird (vgl. Oevermann 2013: 71). Diese Kategorie ›Sinn‹ kann nun wiederum als subjektiv oder objektiv aufgefasst werden: Ersteres meint dabei das Verständnis von Sinn als subjektives bzw. mentales Phänomen, welches nach Oevermann, wenn überhaupt, nur über Umwege zu fassen sei (vgl. ebd.: 72). Objektiver Sinn hingegen verweist auf die von der Sprechakttheorie J. Searles14 abgeleitete Erkenntnis, dass Sinn stets durch angebbare Regeln erzeugt worden ist und diese Regeln als konstitutiv zu verstehen sind. Durch ihren aus sich heraus sozialen Charakter stellen Regeln objektive Gültigkeit her. Ziel einer auf der Objektiven Hermeneutik aufbauenden Forschung ist es sodann, den objektiven Sinn der mit der Datenerhebung zustande kommenden Ausdrucksgestalten15 zu rekonstruieren (vgl. ebd.: 7173) bzw. den abstrakten latenten Sinnstrukturen und objektiven Bedeutungsstrukturen auf die Spur zu kommen, welche »wir alle mehr oder weniger gut und genau ›verstehen‹ und ›lesen‹, wenn wir uns verständigen, Texte lesen, Bilder und Handlungsabläufe sehen, Tonund Klangsequenzen hören und alle denkbaren Begleitumstände menschlicher Praxis wahrnehmen, die in ihrem objektiven Sinn durch bedeutungsgenerierende Regeln erzeugt werden und unabhängig von unserer je subjektiven Interpretation objektiv gelten.« (Oevermann 2002: 2) Unter der Annahme, dass sich sinnstrukturierte Welt durch Sprache konstituiert und in versprachlichten Dokumenten materialisiert, gewinnt der Text als Träger latenter Sinnstrukturen besondere Bedeutung und macht den Zugang zur sozialen Lebenswelt erst möglich. Diese Bedeutsamkeit des Textes erklärt dann auch den im empirisch-methodischen Zugriff zustande kommenden hohen Stellenwert des Protokolls (vgl. Oevermann 2013: 73, Wernet 2009: 12).16

14 15

16

Zum Sprechen als höchst komplexe Form regelgeleiteten Verhaltens vgl. Searle 1971: 54-68. Unter Ausdrucksgestalt wird die Gesamtheit der Daten verstanden, »in denen sich die erfahrbare Welt der Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften präsentiert und streng methodisch – im Unterschied zu: praktisch – zugänglich wird« (Oevermann 2002: 3), respektive »die sinnstrukturierte menschliche Praxis in allen ihren Ausprägungen erforschbar wird« (ebd.). An anderer Stelle bezeichnet Oevermann diese Grundannahme auch als »methodologischen Realismus« (Oevermann 2002: 3).

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Religion in der Altenpflege

Intention des Verfahrens der Objektiven Hermeneutik, in dessen Zentrum die Sequenzanalyse steht, ist die Fallrekonstruktion, mittels derer eine Strukturgeneralisierung angestrebt wird (vgl. Oevermann 2000: 58). Im Gegensatz zu Fallbeschreibungen, die einem subsumtionslogischen Verständnis unterliegen und damit nach Oevermann »unaufschlußreich« (ebd.: 62) sind, möchte die Objektive Hermeneutik über die reine Beschreibung hinausgehen und durch Abduktion zur Erweiterung des Erkenntnisprozesses beitragen (vgl. ebd.: 118f.).17 Das Verfahren der Sequenzanalyse orientiert sich dabei an der Sequenzialität menschlicher Praxis, indem jegliches Handeln regelhaft und wohlgeformt an vorausgehendes Handeln anknüpft und damit die Möglichkeit für zukünftiges Handeln eröffnet (vgl. ebd.: 64). Oevermann unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen zwei Parametern, die die konkrete Lebenspraxis in ihrer Entstehung erklären: Während die »bedeutungserzeugenden, algorithmisch operierenden Regeln«18 (ebd.: 64) an entsprechender Sequenzstelle sinnlogisch mögliche Anschlüsse erzeugen und zur Auswahl stellen19 , trifft der Auswahl-Parameter die tatsächliche Entscheidung. Letzter besteht aus all den Dispositionsfaktoren, die die konkrete Lebenspraxis einer Person, Gruppe oder Organisation beeinflussen, seien es z.B. subjektiv angeeignete Habitusformationen oder psychologische Antriebe (vgl. Garz/Raven 2015: 56).20 Bündeln lässt sich dieses Ensemble von Faktoren, welches konkrete Lebenspraxis wiedererkennbar und systematisch strukturiert, als Fallstruktur (vgl. ebd.: 65). Diese Fallstruktur lässt sich als eigenlogischer Zusammenhang begreifen, der eben nicht einzelne Dispositionsfaktoren wissenschaftlichen Disziplinen (z.B. Psychologie, Soziologie) zuordnet und sie damit zerlegt. Stattdessen wird mit der Bildung, Reproduktion und Transformation 17

18

19

20

Zur Bildung einer erklärenden Hypothese durch das Verfahren der Abduktion vgl. Peirce/Turrisi 1997: 230. Nach Peirce ist die Abduktion die einzige logische Operation, die neue Ideen einführt. Unter Erzeugungsparameter bzw. Erzeugungsregeln werden universelle Strukturen (z.B. Sprache, Kognition, Moral) sowie »historisch geltende Normen, Regeln und Wertemuster« (Garz/Raven 2015: 56) verstanden. Typisches Beispiel ist die Begrüßung: Die Begrüßung durch A eröffnet B die Möglichkeit des Zurückgrüßens oder einer Grußverweigerung. Während das Zurückgrüßen die bindende Eröffnung einer gemeinsamen Praxis beschließt, verhindert eine Grußverweigerung die Eröffnung einer gemeinsamen Praxis (vgl. Oevermann 2000: 64). Auf die Grußsituation bezogen kann eine Grußerwiderung etwa als Ausdruck einer Höflichkeitsnorm verstanden werden oder dem Interesse an gemeinsamer Praxis entspringen.

III Untersuchungsdesign

von Fallstruktur der Blick auf eine spezifische Fallstrukturgesetzlichkeit gelenkt, die fallübergreifende Gesetzmäßigkeiten (z.B. psychologische, soziologische) absorbiert (vgl. ebd.: 69) und zugleich die Autonomie von Lebenspraxis in ihrer »widersprüchliche[n] Einheit von Entscheidungszwang und Begründungsverpflichtung« (Oevermann 2002: 11) zum Ausdruck bringt. Dies führt zu Oevermanns grundlegender Unterscheidung von Krise und Routine, indem das Verfahren der Sequenzanalyse stets vor Augen führt, dass jede Sequenzstelle über ein Krisenpotenzial verfügt, welches zur Veränderung eingeschliffener Fallstrukturen führen kann und damit methodologisch die Krise zum Normalfall und die Routine zum Grenzfall werden lässt (vgl. Oevermann 2013: 76)21 . Verbunden ist damit die permanente Möglichkeit zur Falsifikation, die das Verfahren der Sequenzanalyse fundiert (vgl. Oevermann 2002: 9) und damit zur Reliabilität der Interpretationen beiträgt (vgl. Flick 2020: 492). Doch wie wird nun, aufbauend auf den Grundlagen der Objektiven Hermeneutik, konkret in der Datenauswertung verfahren? Um die oben spezifizierte Fallstruktur rekonstruieren zu können, werden zunächst Segmente22 eines Falles23 ausgewählt, die für die Untersuchungsfrage besonders aufschlussreich erscheinen (vgl. Oevermann 2000: 98). Der Auswahl schließt sich eine ausführliche Sequenzanalyse (Feinanalyse) unter Berücksichtigung fünf wesentlicher Prinzipien an: 1. Kontextfreiheit, 2. Wörtlichkeit, 3. Sequenzialität, 4. Extensivität und 5. Sparsamkeit. Kontextfreiheit meint die zunächst stattfindende kontextunabhängige Bedeutungsexplikation während der Interpretation, welche von »künstlicher Naivität« (Wernet 2009: 24) geprägt sein sollte. Angestrebt wird damit eine Vermeidung von Zirkularität im Denkprozess. Methodisch werden dazu gedankenexperimentelle Kontexte konstruiert, in denen vorliegende Äußerungen wohlgeformt erscheinen. Durch Kontrastierung von Äußerungskontexten wird es sodann möglich, Besonderheiten des Falles herauszuarbeiten und nach und nach Lesarten zu bilden (vgl. ebd.: 21-23). Um ein möglichst breites Spektrum potenzieller Äußerungskontexte und Lesarten auszuschöpfen, empfiehlt es sich, die einzelnen Sequenzanalysen in einer Gruppe durchzuführen (vgl. Garz/Raven 2015: 144).

21 22 23

Zum Verhältnis von Krise und Routine vgl. ausführlich auch Oevermann 2016. Auf Erfahrungswerten basierend empfiehlt Oevermann hier die Auswahl von vier Segmenten mit je maximal zwei Seiten Länge (vgl. Oevermann 2000: 97). Als Fall gelten dabei jeweils alle zur Interpretation vorliegenden Materialien, respektive die in ihnen beinhalteten Ausdrucksgestalten (vgl. Garz/Raven 2015: 152).

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Religion in der Altenpflege

Das Prinzip der Wörtlichkeit bedeutet das unbedingte Ernstnehmen des Textes, auch wenn einzelne Äußerungen innerhalb des Protokolls aus dem Alltagsverständnis heraus falsch oder inadäquat erscheinen. Ein Beispiel hierfür ist der sogenannte Freud’sche Versprecher, der ‒ bei Ernstnehmen ‒ Zugang zur Erklärung der Differenz zwischen manifesten und latenten Sinnstrukturen erlaubt (vgl. ebd.: 23-27). Das Prinzip der Sequenzialität wiederum meint, die oben beschriebene Sequenzialität menschlicher Praxis zu berücksichtigen, welche im Protokoll Niederschlag findet. Dies bedeutet, dem Protokoll Schritt für Schritt zu folgen und nicht wahllos im Protokoll nach brauchbaren Stellen zu suchen. Weiterhin beinhaltet dieses Prinzip auch, den einer Sequenzstelle nachfolgenden Text bei der Analyse auszublenden (ebd.: 27-32). Extensivität bedeutet, Protokolle durch Feinanalyse extensiv und detailliert zu bearbeiten. Dabei entscheidet nicht die Quantität des einbezogenen Datenmaterials über die Qualität der Interpretation, sondern ihre Vollständigkeit hinsichtlich der Gedankenexperimente und Lesartenbildung, sodass die Interpretation abschließend »sinnlogisch erschöpfend« (ebd.: 33) sein sollte. Zu guter Letzt hält das Prinzip der Sparsamkeit zur Berücksichtigung nur der Lesarten an, die durch den Text erzwungen und damit überprüfbar sind. Eine rein assoziative, beliebige Interpretation und entsprechende vorschnelle Schlussfolgerung in Form einer Fallstrukturhypothese sollen somit unterbunden werden (vgl. ebd.: 35-37). Ziel der ersten, besonders detaillierten Analyse nach den oben genannten Prinzipien ist es, vorläufige Strukturgesetzlichkeiten des Untersuchungsgegenstandes herauszuarbeiten und erste Antworten auf die Untersuchungsfrage zu finden. Mit langsam abnehmender Ausführlichkeit der Analyse werden nach und nach weitere Fälle zur Kontrastierung eingeführt und analysiert. Schließlich sollten laut Oevermann zehn bis zwölf Fallrekonstruktionen ausreichen, um auch komplexere Untersuchungsfragen beantworten zu können (vgl. Oevermann 2002: 17). Konkret erfolgte die Interpretation des Datenmaterials stets in einer Gruppe, wie es auch Oevermann et al. zum Zwecke der Entfaltung von Gedankenexperimenten und Lesarten und somit einer Überwindung »individualspezifischer Beschränkungen« (Oevermann et al. 1979: 393) empfehlen. In der Regel arbeitete die Verfasserin der vorliegenden Studie mit einer festen Gruppe, die aus Forschern unterschiedlicher Disziplinen (u.a. Soziologie, Erziehungs- und Religionswissenschaft) bestand. Neben einer sich über die Zeit einspielenden Arbeitsroutine, die auf einem ähnlichen Kenntnisstand

III Untersuchungsdesign

hinsichtlich des Verfahrens aufbauen und zur Validierung und Objektivierung der Befunde beitragen konnte, ergab sich durch die fachlich heterogene Gruppe der Vorteil eines differenzierten Blicks auf den Untersuchungsgegenstand. Dies war insbesondere für die Auseinandersetzung mit dem in dieser Arbeit wesentlichen Begriff ›Religion‹ samt seinen verwandten Ausdrücken (u.a. Religiosität, Glaube, religiös) hilfreich. Die Arbeitsroutine hin und wieder unterbrechend, wurden einzelne Interpretationen auch mit anderen Forschern (etwa des Instituts bzw. des Graduiertenkollegs) durchgeführt. Dies hatte wiederum den Vorteil, dass Außenstehende an der Aufschließung des Materials mitwirken und fruchtbare Impulse geben konnten. Die einzelnen Interpretationen wurden stets aufgezeichnet und protokolliert, was zu einer sehr großen Ansammlung von detailliert ausgewertetem Material führte. Die im Laufe der Auswertung gewonnenen Hypothesen konnten so nach und nach überprüft werden. Wiedergegeben werden im empirischen Teil dieser Arbeit 13 ausgewählte Fälle, die mannigfaltige Einblicke in den Umgang mit Religion in Altenpflegeorganisationen geben.

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IV Empirischer Teil

4.1

Einführende Bemerkungen und Fallauswahl

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Umgang mit Religion in Altenpflegeorganisationen zu rekonstruieren. Dazu werden in diesem Kapitel ausgewählte Fälle präsentiert, die Einblicke in den altenpflegerischen Arbeitsalltag, die Wahrnehmung von und daraus abgeleitete Umgangsformen mit Religion seitens der Beschäftigten geben. Das zugrunde gelegte Datenmaterial wird dabei im Hinblick auf die in den Einrichtungen typischerweise anzutreffenden Arbeitsbereiche Pflege, Sozialdienst, Heimleitung und Religiöse Begleitung in Augenschein genommen. Dies entspricht zum einen der Erhebungsweise der Autorin, welche in den Interviews unterschiedliche Berufsgruppen zu ihrem Umgang mit Religion befragt hat. Zum anderen können so unterschiedliche Perspektiven auf Religion abgebildet werden, die sich aus den spezifischen Arbeitserfordernissen und -vorgängen ergeben und mit unterschiedlichen Nähe- und Distanzbeziehungen zwischen den einzelnen Einrichtungsmitgliedern einhergehen. Die durchgeführten Interpretationen mittels Sequenzanalyse werden in diesem Kapitel komprimiert dargestellt: So beginnt jede Falldarstellung mit einer knappen Beschreibung des verhandelten Themas, Kontrastierungsmöglichkeiten zum vorherigen Fall sowie etwaig notwendigen Informationen zum Entstehungskontext1 . Daraufhin wird die zu interpretierende Sequenz in ihrer Gänze wiedergegeben. Präsentiert wird anschließend die zusammengefasste Sequenzanalyse samt allmählicher Hypothesenbildung, wobei eine Zitation der im Fokus stehenden Protokollausschnitte ermöglichen soll, dem 1

Abgeleitet wurden diese zusätzlichen Informationen (z.B. Beruf, Hintergrund der Einrichtung) aus Sequenzanalysen, die nicht explizit Eingang in diesen Teil der Arbeit gefunden haben, selbstverständlich aber Teil der gesamten Datenauswertung waren (vgl. hierzu im Anhang die ›Grobsequenzierung der verwendeten Interviews‹).

54

Religion in der Altenpflege

Interpretationsvorgang mittels relevanter Gedankenexperimente und Lesartenbildung zu folgen. Nach jeder Sequenzanalyse werden die abgeleiteten Hypothesen zusammengefasst. Ein abschließendes Kapitel fasst die Befunde der einzelnen Interpretationen dann noch einmal in einer Gesamtschau zusammen. Einen thematischen Einstieg in das Untersuchungssetting bildet die Interpretation eines Leitbildes (Kap. 4.2), die verdeutlicht, was passieren kann, wenn Religion und altenpflegerische Strukturen bzw. Organisationslogiken aufeinandertreffen. Daraufhin werden fünf Fälle präsentiert, die sich im pflegerischen Arbeitsbereich ereignen und unterschiedliche Umgangsformen mit Religion zur Folge haben: Dabei geht es um alltägliche Beobachtungen von Religion im Pflegealltag (Kap. 4.3.1), spezifische Pflegeerfordernisse, die sich durch Religion ergeben (Kap. 4.3.2 und 4.3.3), Versuche der Deutung und Einordnung religiöser Sachverhalte (Kap. 4.3.4) sowie die Frage nach einer religionssensiblen Wissensaneignung durch das Pflegepersonal (Kap. 4.3.5). Im Arbeitsbereich des Sozialdienstes, der überwiegend mit der psychosozialen Betreuung und Beschäftigung der Bewohner beauftragt ist, erscheint das Thema Religion in einer anderen Facette: Am Beispiel zweier Fallanalysen wird illustriert, wie sich die Integration von Religion im Hinblick auf körperliche (Kap. 4.4.1) und soziale (Kap. 4.4.2) Abhängigkeiten sowie unterschiedlich stark ausgeprägte religionskundliche Wissensbestände gestalten kann. Mit dem Arbeitsbereich der Heimleitung angesprochen werden zwei Fälle, die der Perspektive von einrichtungsleitenden Personen entspringen: Sie zeigen, wie religiös und nicht-religiös geprägte Weltanschauungen zu einem Spannungsverhältnis zwischen Leitungsebene und Mitarbeiterschaft führen können: Während es in dem einen Fall (Kap. 4.5.1) um die Konfrontation religiöser Wertvorstellungen des Einrichtungsleiters mit zuwiderhandelnden, nicht-religiösen Verhaltensweisen der Mitarbeiter geht, muss sich die Einrichtungsleiterin im zweiten Fall (Kap. 4.5.2) mit religiösen Praktiken auseinandersetzen, die ihrem medizinisch geprägten Selbstverständnis widersprechen. Während Religion in den bisherigen Fällen i.d.R. ein Begleitumstand etwa pflegerischer Tätigkeiten bzw. sozialarbeiterischer Betreuung war, wird sie im Folgenden zum Kern des Handelns: Mit Blick auf die Religiöse Begleitung werden zwei Fälle präsentiert, die aufzeigen, wie unterschiedlich Gottesdienste vor dem Hintergrund einer körperlich eingeschränkten und geistig veränder-

IV Empirischer Teil

ten Klientel von einem Wortgottesdienstleiter (Kap. 4.6.1) und einer Pfarrerin (Kap. 4.6.2) gestaltet werden können. Abgeschlossen wird der empirische Teil dieser Arbeit mit einer Falldarstellung (Kap. 4.7), welche die zahlreichen Herausforderungen und Spannungen, die bereits in anderen Fällen thematisiert wurden, zuspitzt. Es stellt sich folglich die Frage, ob und wie Religion zukünftig überhaupt eine Rolle im altenpflegerischen Setting spielen kann bzw., im Fall gesprochen, ob ein Roboter die religiöse Begleitung von Bewohnern übernehmen könnte. Die nachfolgende Tabelle gibt einen komprimierten Überblick zur Fallauswahl: Tabelle 1: Fallauswahla Arbeitsbereich

Einrichtung

Fallname

Kapitel

---

B

Religion in einem Leitbild

4.2

Pflege

C

Gebet oder Gute-Nacht-Lied?

4.3.1

A

Intimrasur und Waschgewohnheiten

4.3.2

B

Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege

4.3.3

C

Religion als Diagnose

4.3.4

A

Von Neulingen und alten Hasen

4.3.5

A

Der runde Stein

4.4.1

C

Ein freier Mensch

4.4.2

D

Das Raucherhäuschen

4.5.1

B

Die Augen einer Krankenschwester

4.5.2

Religiöse Begleitung

B

Ein schwieriges Problem

4.6.1

B

Ein Moment der Göttlichkeit

4.6.2

---

B

Der Roboter

4.7

Sozialdienst

Heimleitung

a

Die Fallnamen wurden aus zentralen Inhalten der untersuchten Protokolle abgeleitet.

Repräsentiert werden durch die Fallauswahl unterschiedliche Umgangsformen mit Religion, die in den jeweiligen untersuchten Arbeitsbereichen Ausdruck finden. Diese Arbeitsbereiche charakterisieren wiederum das untersuchte Gesamtsetting organisierter Altenpflege, welches in dieser Studie von freigemeinnützigen Trägern mit entsprechenden Wertebezügen unter-

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Religion in der Altenpflege

halten wird und durch die stationäre Versorgungsform besondere Formen der Regulierung2 von Religion erwarten lässt.

4.2

Religion in einem Leitbild

Protokoll und Kontext Einen ersten, von außen leicht zugänglichen Einblick in das altenpflegerische Setting bieten Leitbilder. Definiert als Kodifizierung von Zweck, Auftrag, langfristigen Entwicklungszielen, Selbstverständnis und Werthaltungen einer Organisation (vgl. Hensen 2016: 86) übernehmen Leitbilder u.a. Funktionen für die Identifikation, Motivation und Orientierung der Adressierten sowie der profilbildenden Differenzierung gegenüber anderen Einrichtungen desselben Organisationstyps (vgl. ebd.: 87).3 Dementsprechend ist zu fragen, welche Rolle Religion in einem solchen Leitbild einnehmen kann und welche Umgangsformen mit Religion sich darin andeuten. Zum Kontext des Leitbildes ist zu sagen, dass das vorliegende Protokoll dem Internetauftritt eines kirchlichen Trägers entstammt, welcher u.a. seinen Fachbereich ›Senioren‹ innerhalb der Stadt D. vorstellt. Es ist also als Leitbild eines spezifischen Fachbereiches zu lesen. Gleichzeitig ist es das Leitbild der Einrichtung B, in welcher auch Beschäftigte für die vorliegende Studie interviewt wurden. Das Protokoll des ausgewählten Leitbildes lautet wie folgt: Altenheime »Geht so mit den Menschen um, wie ihr selbst behandelt werden möchtet«, sagt der Evangelist Matthäus.

2

3

Abgeleitet wurde das Regulierungspotenzial aus Prahls/Schroeters Ausführungen zur Wirkmächtigkeit altenpflegerischer Institutionen (vgl. Prahl/Schroeter 1996: 164f.). Mit Bezug auf Beckford/Richardson lässt sich Regulierung als Prozess verstehen, in welchem spezifische Sachverhalte im Hinblick auf Regeln gelenkt bzw. kontrolliert werden (vgl. Beckford/Richardson 2007: 398). In Altenpflegeorganisationen anzutreffen sind zwei Typen von Leitbildern: Während das vorliegende Protokoll eine Art betrieblich-institutionelles Leitbild darstellt (vgl. Müller 2001: 44), zielen Pflegeleitbilder auf die Darstellung »berufsständische[r] Auffassungen darüber, was Pflege ist, welchen Aufgaben und Zielen sie sich widmet, welche Rollen sie Pflegenden und zu Pflegenden zugesteht und auf welchen pflegetheoretischen Grundlagen sie sich möglicherweise begründet« (ebd.: 23).

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Religion in der Altenpflege

halten wird und durch die stationäre Versorgungsform besondere Formen der Regulierung2 von Religion erwarten lässt.

4.2

Religion in einem Leitbild

Protokoll und Kontext Einen ersten, von außen leicht zugänglichen Einblick in das altenpflegerische Setting bieten Leitbilder. Definiert als Kodifizierung von Zweck, Auftrag, langfristigen Entwicklungszielen, Selbstverständnis und Werthaltungen einer Organisation (vgl. Hensen 2016: 86) übernehmen Leitbilder u.a. Funktionen für die Identifikation, Motivation und Orientierung der Adressierten sowie der profilbildenden Differenzierung gegenüber anderen Einrichtungen desselben Organisationstyps (vgl. ebd.: 87).3 Dementsprechend ist zu fragen, welche Rolle Religion in einem solchen Leitbild einnehmen kann und welche Umgangsformen mit Religion sich darin andeuten. Zum Kontext des Leitbildes ist zu sagen, dass das vorliegende Protokoll dem Internetauftritt eines kirchlichen Trägers entstammt, welcher u.a. seinen Fachbereich ›Senioren‹ innerhalb der Stadt D. vorstellt. Es ist also als Leitbild eines spezifischen Fachbereiches zu lesen. Gleichzeitig ist es das Leitbild der Einrichtung B, in welcher auch Beschäftigte für die vorliegende Studie interviewt wurden. Das Protokoll des ausgewählten Leitbildes lautet wie folgt: Altenheime »Geht so mit den Menschen um, wie ihr selbst behandelt werden möchtet«, sagt der Evangelist Matthäus.

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Abgeleitet wurde das Regulierungspotenzial aus Prahls/Schroeters Ausführungen zur Wirkmächtigkeit altenpflegerischer Institutionen (vgl. Prahl/Schroeter 1996: 164f.). Mit Bezug auf Beckford/Richardson lässt sich Regulierung als Prozess verstehen, in welchem spezifische Sachverhalte im Hinblick auf Regeln gelenkt bzw. kontrolliert werden (vgl. Beckford/Richardson 2007: 398). In Altenpflegeorganisationen anzutreffen sind zwei Typen von Leitbildern: Während das vorliegende Protokoll eine Art betrieblich-institutionelles Leitbild darstellt (vgl. Müller 2001: 44), zielen Pflegeleitbilder auf die Darstellung »berufsständische[r] Auffassungen darüber, was Pflege ist, welchen Aufgaben und Zielen sie sich widmet, welche Rollen sie Pflegenden und zu Pflegenden zugesteht und auf welchen pflegetheoretischen Grundlagen sie sich möglicherweise begründet« (ebd.: 23).

IV Empirischer Teil

Gemäß dem christlichen Menschenbild ist uns, dem Caritas-Verband für die Stadt D.4 als Träger der Altenzentren E. in [Stadtteil Da], F. in [Stadtteil Db] und G. in [Stadtteil Dc], die Würde des menschlichen Lebens Maßstab unseres Handelns. Wir respektieren die Persönlichkeit aller alten Menschen, gehen auf seine [sic!] Bedürfnisse ein und fördern seine Fähigkeiten, um ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen. Qualifizierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfüllen diesen hohen Anspruch in ihrer täglichen Arbeit. Uns ist eine offene, freundliche Atmosphäre sehr wichtig. Bewohner, ihre Angehörigen, Freunde und Betreuer sowie die Nachbarschaft in den Stadtteilen sich in unseren Einrichtungen wohlfühlen. Sie sind jederzeit herzlich willkommen. Einschränkende Besuchszeiten zum Beispiel gibt es bei uns nicht. Wir sind offen für Neues, überprüfen kontinuierlich unsere Arbeit und passen sie an an [sic!] neue Erfordernisse an. Wer in einer unserer Einrichtungen lebt, braucht auf Gewohnheiten, liebgewordene Möbelstücke, Teppiche und Bilder selbstverständlich nicht zu verzichten. Schließlich sollen sich die Menschen bei uns wohlfühlen und so wohnen, wie sie es gern möchten. Der Tagesablauf ist nicht vorgegeben. Er orientiert sich weitgehend nach den persönlichen Wünschen der Bewohner, zum Beispiel bei den flexiblen Frühstückszeiten. Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Zum Wohlfühlen gehört daher der richtige Speiseplan. Den stimmen die Bewohner und die Küchenleitung miteinander ab. In der Küche freut man sich über Rezeptvorschläge oder Tipps und Tricks zur Zubereitung. Persönliche Festtage wie Geburtstage, Namenstage und Jubiläen können in den Begegnungsstätten der Einrichtungen mit Angehörigen und Freunden gefeiert werden. Die Bewohner bestimmen die Veranstaltungen im Jahreslauf mit. Aktivität ist Leben Die Vielzahl der Aktivitäten in unseren Einrichtungen sind Ausdruck der Lebensfreude und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Sie werden durch unsere Mitarbeiter sowie Ehrenamtliche aus den Kirchengemeinden und den Angehörigen getragen. So fahren jedes Jahr wechselnde Gruppen von Bewohnern mit Mitarbeitern einer Einrichtung für eine Woche gemeinsam in den Urlaub.

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Religion in der Altenpflege

Tagesausflüge zu Veranstaltungen und Besichtigungen in der näheren Umgebung bereichern den Alltag. Sommer- und Herbstfeste, Grillabende und Frühschoppen sind Angebote auch für Angehörige und die Nachbarschaft. In Koch- und Bastelgruppen, in Spielrunden und Singkreisen kommen die Bewohner zusammen und werden in ihren Fähigkeiten gestärkt. Durch Diavorträge und Dichterlesungen werden die Blicke weit über unsere Einrichtungen hinaus geöffnet und sorgen dafür, dass der Gesprächsstoff garantiert nicht ausgeht. Die Tages-/Begegnungsstätten in unseren Heimen bieten allen Bewohnern, Angehörigen und Nachbarn Raum, sich täglich in geselliger Runde zu treffen. Seelsorge und religiöses Leben Den Bewohnern und ihren Angehörigen bieten wir seelsorgliche Begleitung an und schaffen Räume für religiöses Leben. Die besonderen Gestaltungen der einrichtungseigenen Kapellen machen dies deutlich. Sonntage und kirchliche Feiertage werden besonders gestaltet. Auch hier heißen wir jeden Interessierten herzlich willkommen und laden die Nachbarschaft ein, mitzufeiern. In den Kapellen werden katholische und evangelische Gottesdienste gefeiert. Seelsorger beider Konfessionen sind in unseren Einrichtungen den Bewohnern sowie Angehörigen Gesprächspartner und auch unseren Mitarbeitern eine wichtige Stütze. Die Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Angehörigen erfahren so auch in schweren Stunden seelsorglichen Zuspruch und Begleitung. Die Fachstelle Demenz Die Caritas-Verband D. hilft an Demenz erkrankten Menschen und ihren Angehörigen. Wir lassen die Menschen in dieser schwierigen Lebenssituation nicht allein. Ob in der ambulanten Hausgemeinschaft, stationär, mit Betreungscafés [sic!], Angehörigengruppen oder einem anderen Angebot – die [Name des Verbands] hilft. Die Fachstelle Demenz im D. Caritas-Verband, informiert Sie gerne über die verschiedenen Hilfsangebote.

4

Die im Originalprotokoll verwendeten Städte- und Ortsbezeichnungen wurden anonymisiert, um Rückschlüsse auf die untersuchten altenpflegerischen Einrichtungen und die darin beschäftigten Personen zu verhindern.

IV Empirischer Teil

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Eingeleitet wird das Protokoll durch die fett gedruckte Überschrift »Altenheime«5 : Eröffnet werden mit diesem Begriff eine Reihe von Assoziationen, die die neutrale Bezeichnung für eine Wohneinrichtung für alte Menschen u.a. in Beziehung zu anderen institutionellen Formen der Unterbringung und Fürsorge (etwa Kinderheim oder Tierheim), medial thematisierten Missständen in Pflegeeinrichtungen und Fragen bezüglich autonomer Lebenspraxis am Lebensende setzen. Eng damit verknüpft sind Überlegungen zum Begriff ›Heim‹: Ist damit etwas ›Heimeliges‹ gemeint? Soll er für ein Behaglichkeit ausstrahlendes Zuhause stehen? Warum wird hier von Altenheimen und nicht etwa von Altersheimen, (Alten-)Pflegeheimen, Seniorenheimen, Seniorenresidenzen etc. gesprochen? Die Anschlussmöglichkeiten sind damit vielfältig: Es könnte im Folgenden beispielsweise eine Definition oder Bestandsaufnahme von Altenheimen des Trägers im Sinne eines Leistungskatalogs folgen oder es könnte erläutert werden, wie Altenheime das Leben von Menschen verändern. Denkbar wären auch problematisierende Beschreibungen wie »Altenheime. Immer häufiger stehen sie in der Kritik. […]«. Da das Protokoll jedoch zum Internetauftritt des Trägers gehört, ist davon auszugehen, dass diese mögliche Kritik im Folgenden entkräftet werden soll oder der Träger mit der Tradition stationärer Versorgung bricht und dementsprechend begründen möchte, warum er beispielsweise nur noch ambulante Pflege anbietet. Was folgt, ist das Zitat »›Geht so mit den Menschen um, wie ihr selbst behandelt werden möchtet‹, sagt der Evangelist Matthäus.« Dieser Appell an moralisches Handeln, der als Goldene Regel in verschiedenen religiösen Traditionen6 und insbesondere in seiner negativen Form als Sprichwort7 bekannt ist, setzt die Menschen, ganz allgemein und unspezifisch, in das Zentrum eines noch zu spezifizierenden Handelns. Formuliert wird damit ein hoher An-

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Um deutlich zu machen, was jeweils Grundlage der Sequenzanalyse ist, werden die untersuchten Sequenzausschnitte im Folgenden kursiv gedruckt und in Anführungszeichen gesetzt. Vgl. für die islamische Tradition z.B. die Aussage »Keiner von euch ist gläubig, solange er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht.« (al-Nawawī 2007: 108). Für den hinduistischen Kontext vgl. z.B. den Spruch »One should never do that to another which one regards as injurious to one’s own self. This, in brief, is the rule of Righteousness.« (The Mahabharata of Krishna-Dwaipayana Vyasa, Buch 13, Kap. 113). Vgl. das Sprichwort »Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.«

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spruch, der die Notwendigkeit einer Regulierung sozialer Beziehungen deutlich macht und zugleich durch die Zuschreibung zu Matthäus Legitimation zumindest in einem christlichen Kontext erfährt. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass das Zitat, welches vermutlich an Matthäus 7,12 angelehnt ist, dem genauen Wortlaut nach in keiner deutschen Bibelübersetzung zu finden ist. So heißt es beispielsweise in der Einheitsübersetzung: »Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen! [Darin besteht das Gesetz und die Propheten.]« In der Gute Nachricht Bibel hingegen ist zu lesen: »Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt [– das ist es, was das Gesetz und die Propheten fordern.]« Daraus kann abgeleitet werden, dass es vermutlich nicht auf eine einwandfreie, wissenschaftlichen Kriterien entsprechenden Zitation ankam, sondern der Inhalt im Fokus stehen und möglichst eingängig, im Sinne alltäglicher Sprache, sein sollte. An dieser Stelle erscheint es weiterhin nicht notwendig, sich durch eine bestimmte Bibelübersetzung einer bestimmten christlichen Konfession zuzuordnen bzw. von einer anderen abzugrenzen. Gelesen werden kann dieser Appell als Ausdruck einer Werthaltung innerhalb von Altenheimen, der sich die Mitarbeiter verpflichten sollen und die gewissermaßen zum Versprechen an (zukünftige) Bewohner wird. Damit ist der Appell als Aufruf zur Selbstregulierung zu verstehen. Eher unwahrscheinlich erscheint eine Aufforderung an (zukünftige) Bewohner, muss vor dem Hintergrund von Kontextwissen doch davon ausgegangen werden, dass der Träger hier öffentlichkeitswirksam und ansprechend seine Tätigkeitsbereiche präsentieren möchte. Eine solche Aufforderung an Bewohner erschiene unangebracht bzw. fast schon übergriffig. Die Lesart, dass es sich um eine von außen herangetragene Verpflichtung zur Selbstregulierung handelt, bestärkt sich im Folgenden: Gemäß dem christlichen Menschenbild ist uns, dem Caritas-Verband für die Stadt D. als Träger der Altenzentren E. in [Stadtteil Da], F. in [Stadtteil Db] und G in [Stadtteil Dc], die Würde des menschlichen Lebens Maßstab unseres Handelns. Geht man davon aus, dass sich das genannte, offensichtlich klar bestimmbare (vgl. »dem christlichen Menschenbild«), aber zugleich abstrakt anmutende Menschenbild an das Zitat nach Matthäus anschließt, kann das Zitat als wichtiger, vielleicht sogar primärer versprachlichter Ausdruck dieser Vorstellung vom Menschen verstanden werden. Der katholische Verband fühlt sich einheitlich einem bestimmten Bild vom Menschen verpflichtet bzw. wird durch

IV Empirischer Teil

dieses, da in christlicher Tradition von Fürsorge stehend, beeinflusst, sodass alles Handeln in seiner komplexen Organisationsstruktur (vgl. die angedeutete Trägerstruktur in den einzelnen Stadtteilen) auch konkret vor Ort an der Berücksichtigung der Würde des menschlichen Lebens zu bemessen sei. Das christliche Menschenbild kann somit als ordnungsstiftendes, möglicherweise idealisierendes Deutungselement in einer als komplex wahrgenommenen Welt verstanden werden. Mit der Würde des menschlichen Lebens angesprochen wird ein abstraktes und zugleich stark aufgeladenes Konzept, dem u.a. religiöse Wurzeln attestiert werden können8 und das in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie als Prinzip der Verfassungsordnung vieler Staaten, so etwa im Artikel 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland Ausdruck findet. Durch seine starke Aufladung erzeugt der Begriff einen Kommunikationsstopp: Wenn Handeln an der Berücksichtigung der Würde menschlichen Lebens bemessen werden kann und muss, ist umfassend für die Adressaten des Handelns gesorgt. Die Aussage steht für sich und bedarf im Prinzip keiner weiteren Erläuterung mehr. Gleichzeitig legt dieser hohe und umfassende Anspruch, den sich der Träger hier auferlegt, Fragen nahe, die in Richtung konkreter Umsetzung dieses abstrakten Konzeptes gehen. Möglicherweise ist der Anspruch leichter zu formulieren als tatsächlich und vollständig in der Praxis zu verwirklichen, was dann auch den Begriff »Maßstab« im Sinne der Norm einer Beurteilung erklären würde. Dies spräche für eine potenzielle Unsicherheit hinsichtlich der Umsetzbarkeit, welche sich im Protokoll niederschlägt. An dieser Stelle kann bereits die Hypothese aufgestellt werden, dass Handeln in altenpflegerischen Einrichtungen aus religiösen, in diesem Fall christlichen Ideen abgeleitet werden kann, indem diese über den Wert ›Menschenwürde‹ zur Selbstregulierung der Beschäftigten aufrufen. Dass der formulierte hohe moralische Anspruch jedoch nicht für sich stehen kann und einer Erläuterung bedarf, zeigt der weitere Verlauf des Protokolls. Dort heißt es: Wir respektieren die Persönlichkeit aller alten Menschen, gehen auf seine [sic!] Bedürfnisse ein und fördern seine Fähigkeiten, um ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen. Der Trägerverband als kollektives »Wir« bringt die Berücksichtigung der Würde menschlichen Lebens zunächst in seiner Entgegenbringung von 8

Vgl. etwa Starck, der die Grundlagen von Menschenwürde »aufs engste mit dem Christentum verbunden« (Starck 1995: 193) sieht.

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Respekt zum Ausdruck. Die Adressaten sind, wie oben schon vermutet, alte Menschen, die durch die Verallgemeinerung (vgl. »aller«) mehr umfassen als nur Bewohner bzw. Pflegebedürftige. Dies kann als ein genereller Respekt gegenüber Menschen mit einem höheren Alter gelesen werden, wobei zu fragen ist, was unter Persönlichkeit verstanden werden kann: Laut Duden meint Persönlichkeit die »Gesamtheit der persönlichen (charakteristischen, individuellen) Eigenschaften eines Menschen« (Duden 2018a) und kann synonym verwendet werden zu Charakter, (Eigen-)Art, Eigentümlichkeit, Natur und Wesen. Dies können also positive wie auch negative Eigenschaften sein. In Bezug auf alte Menschen sind somit neben z.B. optimistischen und umgänglichen auch launische oder störrische Menschen angesprochen, die außerhalb, aber auch innerhalb der genannten Altenheime möglicherweise für Herausforderungen sorgen können. Dementsprechend wird auch nur von »respektieren«, im Sinne von »als legitim anerkennen«, und nicht von z.B. »wertschätzen« gesprochen. Denkt man an die eingangs zum Begriff ›Altenheime‹ skizzierten Assoziationen zurück, kann das Respektieren von Persönlichkeit jedweder Ausprägung als Zugeständnis gelesen werden: Selbst, wenn ein alter Mensch irgendwann in ein Altenheim einzieht, darf und kann er seine Persönlichkeit behalten. Die Persönlichkeit wird somit zum unangreifbaren, innersten Kern eines Menschen, der ihn charakterisiert, von anderen unterscheidet und Auswirkungen auf die Gestaltung sozialer Beziehungen auch im Heim hat. Sie macht ihn zum Individuum und hebt ihn aus der Masse heraus. Auch wenn die Persönlichkeit gewissermaßen geschützt ist, führt die Erwähnung dieses eigentlich selbstverständlichen Respekts, da ja in der Ableitung von Menschenwürde stehend, vor Augen, dass der alte Mensch im Kontext von Altenheimen vermutlich sehr viel von seinem bisherigen Leben ablegen muss und sehr wenig behalten kann. Anschlussmöglichkeit böte im Folgenden also eine Spezifizierung dieser Problemstellung bzw. des Umgangs des Trägerverbandes mit dieser Herausforderung. Die Aussage »gehen auf seine [sic!] Bedürfnisse ein« fokussiert dann den einzelnen alten Menschen im Hinblick auf seine Bedürfnisse, die er mitbringt. Deutlich wird an dieser Stelle, dass sich das Gesagte nun auf Bewohner in den genannten Altenheimen des Trägers beziehen muss ‒ eine Berücksichtigung von Bedürfnissen aller alter Menschen weltweit erscheint utopisch. Dementsprechend ist auch der grammatikalische Wechsel vom Plural, im Sinne einer Verallgemeinerung (vgl. »aller alten Menschen«), hin zum Singular im Sinne des Einzelfalls (vgl. »seine Bedürfnisse«) zu verstehen.

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Der Anspruch der Fürsorge kann nur in einem begrenzten, überschaubaren Rahmen umgesetzt werden. An dieser Stelle ist zu fragen, auf welche Bedürfnisse im Altenheim denn eingegangen werden kann und muss. Hilfreich ist hier ein Blick auf aktuelle Pflegekonzepte: So kennt etwa das Modell der Fördernden Prozesspflege nach Krohwinkel 13 ›Aktivitäten und existentielle Erfahrungen des Lebens”9 , die grundlegende menschliche Bedürfnisse eines Menschen anzeigen und die zur Erfüllung ggf. fremder (professioneller) Unterstützung bedürfen. Hierzu zählen u.a. die Kategorien ›Kommunizieren‹, ›Essen und Trinken‹, ›Sich beschäftigen‹, ›Für eine sichere Umgebung sorgen‹ und ›Sich als Mann/Frau fühlen und verhalten‹. Beeinflusst werden diese Kategorien durch die Oberkategorie ›Mit existentiellen Erfahrungen des Lebens umgehen‹, welche existenzgefährdende (z.B. Angst, Hoffnungslosigkeit, Abhängigkeit) und existenzfördernde (z.B. Zuversicht, Vertrauen, Wohlbefinden) Erfahrungen beschreibt sowie Erfahrungen einschließt, die sich sowohl fördernd als auch gefährdend auf die menschliche Existenz auswirken können. Dazu werden insbesondere Aspekte gerechnet, die sich auf »kulturgebundene Erfahrungen, wie Weltanschauung, Glaube und Religionsausübung sowie lebensgeschichtliche Erfahrungen« (Stoll 2006: 148) stützen. Auch wenn an dieser Stelle nur Mutmaßungen darüber angestellt werden können, was im Protokoll unter Bedürfnissen verstanden werden kann und ob sich überhaupt an ein Pflegemodell angelehnt wird, ergibt sich die Lesart, dass Religion vor dem Hintergrund menschlicher Bedürfnisse zumindest als Bezugspunkt für Wohlbefinden mitgedacht werden muss. Ob daran tatsächlich angeknüpft wird, wird der weitere Verlauf des Protokolls zeigen. Eng verknüpft mit den Überlegungen zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse ist der Blick auf die im Altenheim potenziell anzutreffenden Sozialbeziehungen: Das Respektieren von Persönlichkeit und Eingehen auf Bedürfnisse versprechen soziale Nähe und Einzelfallbetrachtung in einem Setting, das nicht unbedingt dafür bekannt ist. Dies macht schon die umgangssprachliche Rede von einer ›Satt-Sauber-Trocken-Pflege‹ deutlich. Dementsprechend ist auch der dritte Teil der Aussage zu verstehen: »[…] und fördern seine Fähigkeiten, um ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen«. Of-

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Auch wenn dieses Modell aufgrund seiner den Pflegeprozess schematisierenden Wirkung nicht unumstritten ist (vgl. Planer 2012), findet es heutzutage in vielen Einrichtungen Anwendung und wird entsprechend auch in den Lehrbüchern der altenpflegerischen Berufsausbildung vermittelt (vgl. z.B. Waterboer 2006a: 98).

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fensichtlich in Widerspruch stehend ist das Altenheim zum einen ein Ort, der auf Abhängigkeit aufbaut, indem er spezifische Förderung zukommen lässt und so ein Leben in Würde erst ermöglicht. Zum anderen ist es ein Ort, der ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen soll, sodass zu fragen ist, wie viel Autonomie in einem solchen Setting denn überhaupt möglich und aus Perspektive der Organisation umsetzbar ist. Denkbar im Anschluss an diesen Dreischritt von Versprechen an (zukünftige) Bewohner ist eine Darlegung der praktischen Umsetzung durch ein konkretes Gegenüber, welches respektieren, auf Bedürfnisse eingehen und Fähigkeiten fördern kann. Mit der Aussage »Qualifizierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfüllen diesen hohen Anspruch in ihrer täglichen Arbeit« erfolgt der vermutete Hinweis auf die Umsetzung. Anstatt von »unseren« Mitarbeitern zu sprechen, werden hier in gendergerechter Sprache, jedoch berufsunspezifisch Mitarbeitende eingeführt, die zum einen beruflich qualifiziert sind ‒ im Sinne formaler bzw. standardisierter Anforderungen. Zum anderen sind sie engagiert, d.h. sie verfügen vermutlich über eine persönliche, intrinsische Motivation zum Handeln, welche sie in einem organisierten Kontext, nämlich den genannten Altenheimen, zum Ausdruck bringen können. Die Mitarbeiter werden somit zu Garanten der Umsetzung des anspruchsvollen Wertes ›Menschenwürde‹ auf konkreter Handlungsebene, die weit mehr umfasst als z.B. körperpflegerische Tätigkeiten. Fasst man das Gesagte zusammen, so lässt sich festhalten, dass das vorliegende Protokoll bereits an dieser Stelle auf grundlegende Widersprüche in der organisierten Altenpflege verweist: 1. Wir haben es mit Altenheimen zu tun, die in organisierter, von anderen Lebensbereichen räumlich separierter Form einer bestimmter Klientel Fürsorge zuteilwerden lassen. Diese Fürsorge baut auf Abhängigkeitsverhältnissen auf. Gleichzeitig verspricht das Protokoll autonome Lebenspraxis in den jeweiligen Einrichtungen. 2. Würde erscheint als zentrales Motiv, an dem das Handeln bzw. der Umgang mit der adressierten Klientel bemessen wird. Diese Würde bezeichnet damit etwas sehr Abstraktes und fragt gleichzeitig nach etwas ganz Konkretem bzw. Praktischem. 3. Abgeleitet wird die Würde menschlichen Lebens aus einem Bibelzitat, welches für ein klar umrissenes, christliches Menschenbild stehen soll. Damit ist der Appell zur Regulierung von sozialen Beziehungen religiös tradiert und auferlegt. Zugleich fordert er zur Selbstregulierung der

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Adressaten auf. Die Mitarbeiter gelten dabei als Garanten der Umsetzung und stehen somit zwischen Selbst- und Fremdanspruch. 4. Primärer Bezugspunkt des formulierten Anspruchs sind alte Menschen allgemein bzw. der alte Mensch im jeweiligen Altenheim. Indem die Mitarbeiter ihr Handeln auf einem fixierten und damit dem Anschein nach homogenen Menschenbild aufbauen und zugleich mit einer Diversität menschlicher Lebenspraxis konfrontiert werden, stehen sie in ihrer tagtäglichen Arbeit zwischen Verallgemeinerung und Einzelfallbetrachtung. Im weiteren Verlauf des Protokolls werden diese Aspekte noch einmal sehr deutlich und deshalb an dieser Stelle nur paraphrasierend zusammengefasst: Es wird eine »offene, freundliche Atmosphäre« in den Altenheimen des Trägers präsentiert, in der sich Bewohner, Angehörige, aber auch die Nachbarschaft10 »wohlfühlen« sollen. Dazu gehört auch eine Negierung »[e]inschränkende[r] Besuchszeiten« und die Möglichkeit zur flexiblen, an den Bewohnerwünschen ausgerichteten Gestaltung des Tagesablaufes. Ebenso wird den Bewohnern die Möglichkeit gegeben, »Gewohnheiten, liebgewordene Möbelstücke, Teppiche und Bilder« in die Einrichtung mitzubringen und sich selbstbestimmt etwa bei der Speiseplangestaltung einzubringen, damit sie sich »wohlfühlen und so wohnen, wie sie es gern möchten«. Dieser Betonung von Offenheit und Autonomie aufseiten der Lebensführung der Bewohner entspricht eine Flexibilität der Organisation, die ähnlich einem Werbeslogan verspricht: »Wir sind offen für Neues, überprüfen kontinuierlich unsere Arbeit und passen sie an an [sic!] neue Erfordernisse an.« Fasst man diese Äußerungen auf Protokollebene als manifeste Sinnstruktur auf, lässt sich fragen, was im Verborgenen liegt und von was sich der Träger hier möglicherweise abgrenzen möchte. Mit der wiederholten Betonung 10

Der Einbezug der Nachbarschaft mag an dieser Stelle irritieren, führt er doch vor Augen, wie wenig integriert in Deutschland viele Pflegeeinrichtungen in umliegende Stadtteile sind. Darauf verweisen auch Shimada und Tagsold in ihrer vergleichenden Studie zur Pflege in Deutschland und Japan: »In Deutschland scheint es, dass innovative Einrichtungen von Gerontologen, Alter(n)ssoziologen und anderen Fachleuten in erster Linie gemäß den Bedürfnissen der alten Menschen geplant und gebaut werden. Bei den zahlreichen Stadtteilinitiativen, die in Japan in den letzten Jahren entstanden sind, steht dieser Aspekt zwar auch im Mittelpunkt, wird aber durch eine umgekehrte Denkrichtung dominiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Alter zum Besten aller anderen Bewohner des Stadtteils nicht ausgeblendet werden darf, sondern aktiver Bestandteil des Lebensumfeldes bleiben muss.« (Shimada/Tagsold 2015: 139)

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von Würde, Persönlichkeit, Selbstbestimmung, Offenheit und Wohlbefinden erweckt das Protokoll den Eindruck, dass es der Eigenlogik der altenpflegerischen Organisation vermutlich erst einmal nicht entspricht so zu operieren ‒ geschweige denn dieses Verhalten zu versprachlichen, auf was wiederum der nicht fehlerfreie Text verweist. Es wird im Protokoll also ein Idealzustand zum Ausdruck gebracht, der nicht selbstverständlich ist und dementsprechend immer wieder betont werden muss. Dieser Umstand zeigt sich auch im weiteren Protokollverlauf, wenn unter der Überschrift »Aktivität ist Leben« das Programm der Altenheime vorgestellt wird und auch hier die Bewohner selbstbestimmt aus den mannigfaltigen Angeboten (z.B. gemeinsame Urlaube, Frühschoppen, Dichterlesungen) auswählen können, was wiederum als »Ausdruck von Lebensfreude und der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben« verstanden werden soll. Vom Umgang mit Passivität bzw. eingeschränkter Aktivität beispielsweise bei Krankheit ist hier nicht die Rede. Auch wird die pflegerische Unterstützung, von der man annehmen könnte, dass sie eine gewisse Rolle in einem Altenheim spielt, nicht erwähnt. Einen Hinweis auf Angebote bei weniger positiv besetzten Erfahrungen, die die Lebensfreude im Altenheim trüben, liefert erst der nachfolgende Sequenzausschnitt mit der Überschrift »Seelsorge und religiöses Leben«. Dieser soll im Folgenden wieder ausführlicher behandelt werden, wobei im Fokus die Frage steht, welche Rolle Religion denn überhaupt in den Einrichtungen ‒ abgesehen vom Eingangszitat ‒ spielt. Mit der Überschrift »Seelsorge und religiöses Leben« stellt sich zunächst die Frage, warum dieses Thema, welches Religion in einem weiten Sinne aufgreift, seinen Platz erst bzw. überhaupt an dieser Stelle des Protokolls findet ‒ begann das Protokoll doch mit einem durchaus anschlussfähigen Bibelzitat. Deutlich wurde, dass das Bibelzitat zwar Ausgangspunkt für moralisches Handeln war, auf der manifesten Ebene des Protokolls jedoch rasch in Fragen der Gestaltung von Lebenspraxis im Heim ohne religiöse Bezugnahme übersetzt wurde. Gelesen werden kann die Positionierung deshalb als ein Angebot unter anderen, welches dem Verständnis der Einrichtung (vgl. Überschrift »Altenheime«) und den darin erfolgenden Aktivitäten (vgl. Überschrift »Aktivität ist Leben«) jedoch nachgeordnet ist. Auch wenn es sich um einen kirchlichen Träger von Altenheimen handelt, scheint Religion nicht sein Kerngeschäft zu sein.11 11

An dieser Stelle sei auf Volkhard Krechs Überlegungen hinsichtlich des Verhältnisses zwischen religiösem Programm und professionellen Methoden im Bereich diakoni-

IV Empirischer Teil

Versteht man Seelsorge wortwörtlich als Sorge um die Seele und in diesem Sinne als eine Form der geistlichen Beratung oder des geistlichen Gesprächs, welches Hilfestellung in wichtigen Lebensfragen und insbesondere in Krisensituationen geben soll (vgl. Duden 2018b), lässt sich fragen, warum denn diese in einem der genannten Altenheime relevant werden könnte. Bisher erschien das Leben im Altenheim auf der manifesten Ebene durchweg positiv. Die zahlreichen Aktivitäten und Möglichkeiten zur autonomen Lebensgestaltung vermittelten den Eindruck eines kurzweiligen und geselligen Aufenthaltes für die Bewohner. Führt man sich jedoch vor Augen, dass in einem Altenheim alte Menschen leben, die aufgrund ihrer physischen und/oder psychischen Verfassung vermutlich nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zuhause leben können, ist es denkbar, dass diese einer medizinischen und/oder pflegerischen Unterstützung bedürfen. Zugleich ist es im Angesicht der zuvor als besonders bedeutsam herausgestellten Konzepte von Würde, Selbstbestimmung und Teilhabe durchaus vorstellbar, dass gerade diese zum Problem werden können, wenn sie eben nicht mehr so einfach umsetzbar sind. Denkt man an die Überlegungen zum Modell der ›Aktivitäten und existenziellen Erfahrungen des Lebens‹ nach Krohwinkel zurück, ist an dieser Stelle also ein idealer Ansatzpunkt für Religion gegeben, indem die Seelsorge ihre Wirkung beispielsweise im Gespräch mit einem alten Menschen entfalten und so z.B. seine Zuversicht stärken könnte. Offen bleibt an dieser Stelle, ob die Seelsorge das einzige Angebot ist, welches die Bewohner im Hinblick auf ihr psychisches Wohlbefinden unterstützt, und wie sich die Seelsorge ggf. zu psychologischen bzw. psychotherapeutischen Angeboten in den Heimen verhält. Gleichwertig neben die Seelsorge tritt das religiöse Leben im Altenheim. Es ist also nicht als Überbegriff zu verstehen, was auf den ersten Blick möglicherweise einleuchtend erscheint ‒ im Sinne der Lesart: »Im Altenheim kommt auch das religiöse Leben nicht zu kurz. Dazu gehört u.a. das regelmäßige Angebot zu einem seelsorglichen Gespräch mit unserem Pfarrer.« scher Dienstleistungseinrichtungen verwiesen: Nach Krech entfaltet sich das Verhältnis von religiöser Programmatik und therapeutischer, pflegerischer bzw. beratender Praxis zwischen den Polen völliger Kongruenz (»Religion ist Heilung.«) (Krech 2011: 105) und weitgehender bzw. völliger Indifferenz (»Soziale Dienstleistungen unterliegen ausschließlich den Kriterien der Professionalität und Rentabilität.«) (ebd.). Demnach ließe sich das vorliegende Protokoll im schwächeren Mittelbereich einordnen, in dem das religiöse Programm zwar für potenziell wichtig gehalten, anderen Programmpunkten jedoch nachgeordnet wird.

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Stattdessen steht das religiöse Leben auf einer Ebene mit der Seelsorge und ist im Gegensatz zu ihr sehr offen zu verstehen: Es gibt offensichtlich ein religiöses Leben im Altenheim, welches sich von anderen nicht-religiösen Lebensformen unterscheidet. Gleichzeitig ist es so unbestimmt, dass hier alle möglichen Aktivitäten und Handlungen denkbar sind, die irgendetwas mit Religion zu tun haben. Dies könnten z.B. gemeinsam gefeierte Gottesdienste oder Lesekreise zu religiösen Themen sein. Auch Rituale, die einzelne Personen durchführen, sind vorstellbar. Während die Seelsorge gleich an christliche Traditionen denken lässt12 , erscheint das religiöse Leben insgesamt offener und erlaubt Anschlussmöglichkeiten auch für nichtchristliche Traditionen. Hinzukommt, dass das religiöse Leben erst einmal kein Problem in dem Sinne anzeigt, wie es die Seelsorge tut. Gemäß dem Duktus des bisherigen Protokolls ist unter der Überschrift »Seelsorge und religiöses Leben« folglich ein Überblick über die Angebote des Trägers in dieser Hinsicht zu erwarten. Der Satz »Den Bewohnern und ihren Angehörigen bieten wir seelsorgliche Begleitung an und schaffen Räume für religiöses Leben« drückt im Groben das aus, was die Überschrift schon implizierte: Es gibt ein spezielles seelsorgliches Angebot, das jedoch über die Bewohner hinausgeht und ihre Angehörigen einschließt. Gleichzeitig schafft der Träger »Räume« für religiöses Leben. Der Begriff »Räume« verdeutlicht, was bereits angeklungen ist: Er ist bewusst offen zu verstehen, muss gewissermaßen von den Adressaten gefüllt und zum Leben erweckt werden. Dies kann sowohl tatsächliche Räume in einem Gebäude meinen (z.B. ein Gebetsraum oder eine Kapelle) als auch als zeitliche Dimension (vgl. Zeiträume) zu verstehen sein. Im letzteren Fall würde es bedeuten, dass bei all den oben angedeuteten Aktivitäten und Programmpunkten Zeit für religiöse Handlungen eingeplant wird. Trotz der Möglichkeit zur Gestaltung dieser Räume klingt auch hier wieder eine unterschwellige Abhängigkeit der Bewohner vom Träger der Heime an: Der Träger stellt die Räume bereit. Würde der Träger dies nicht tun, stellt sich die Frage, ob die Bewohner dann überhaupt eine Möglichkeit hätten, am religiösen Leben mitzuwirken. Möglicherweise ist dieser Umstand auch als Hinweis auf eine profilbildende Differenzierung von anderen Trägern zu lesen, die ihre Bewohner bei der Lebensgestaltung unterstützen, dabei jedoch das Thema Religion mehr oder

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Was nicht heißen soll, dass es in nicht-christlichen Traditionen keine Angebote gibt, die der Seelsorge nahekommen. Vgl. für den islamischen Kontext z.B. Aslan et al. 2015.

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weniger vernachlässigen. Der nachfolgende Satz »Die besonderen Gestaltungen der einrichtungseigenen Kapellen machen dies deutlich« könnte in diesem Sinne verstanden werden ‒ lädt er durch das Adjektiv »besonderen« ein zu einem Vergleich, bei dem sich die eigenen Kapellen in vermutlich positiver Weise von anderen bzw. üblichen Kapellen abheben. Denkbar wäre aber auch eine Lesart, in der die besondere Gestaltung als Erläuterung für die genannten Räume religiösen Lebens erscheint. Dies hieße, dass durch die besondere, z.B. barrierefreie Gestaltung der Kapellen religiöses Leben in den einzelnen Altenheimen ermöglicht wird, d.h. Religionspraxis inkludiert und nicht etwa in externe Einrichtungen (z.B. Gemeindekirchen) ausgegliedert wird. Mit dem Begriff »Kapelle« wiederum angesprochen wird der Umstand, dass sich religiöses Leben, parallel zur Seelsorge, eindeutig an einer christlichen Tradition orientiert. Dies unterstützt noch einmal die Selbstverortung des Trägers, dem eine Bereitstellung (d.h. Neubau) oder Erhaltung (d.h. ›Überbleibsel‹ z.B. eines Stifts) von Kirchenbauten dieser Art wichtig zu sein scheint. Unklar hingegen bleibt, wie in den beschriebenen Altenheimen mit anderen religiösen Traditionen umgegangen wird. Als Anschluss denkbar wäre im Folgenden eine Erläuterung der besonderen Gestaltungen: Sind die Kapellen tatsächlich barrierefrei gestaltet? Fallen sie durch eine besondere Architektur auf oder sind sie besonders ausgestattet (z.B. exklusives Mobiliar, auffallende Verzierungen)? Anstatt die Gestaltung zu spezifizieren, heißt es im Folgenden: »Sonntage und kirchliche Feiertage werden besonders gestaltet.« Auch hier wird wieder auf die Besonderheit hingewiesen. Möglicherweise im Gegensatz zu anderen Altenheimen wird der christlichen Tradition hier Ausdruck verliehen, indem das Leben im Altenheim zeitlich auch durch religiös begründete Ruhe- und Festtage strukturiert wird. Mit dem Verb »gestalten« (bzw. in den Sätzen vorher »schaffen« und »Gestaltungen«) erhält das Gesagte eine kreative Note. Dies könnte als Ausdruck einer christlichen Vorstellung vom Menschen als Abbild Gottes gelesen werden, die den Menschen, d.h. auch dem Träger der Heime, eine schöpferische Kraft zukommen lässt. Darüber hinaus wird wieder deutlich, dass sich die religiösen Angebote auf christliche Bewohner und Mitarbeiter beziehen. Da die besondere Gestaltung auch schon im Satz zuvor nicht erläutert wurde, ist davon auszugehen, dass auch im Folgenden keine Spezifizierung erfolgen wird und möglicherweise ein neuer Aspekt rund um das Thema Religion zur Sprache kommt. Die Aussage »Auch hier heißen wir jeden Interessierten herzlich willkommen und laden die Nachbarschaft ein, mitzufeiern« kann dann als unmittel-

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barer Anschluss an die Gestaltung der Sonn- und Feiertage verstanden werden. Gleichzeitig nimmt der Satz Bezug auf die bereits weiter oben formulierte Offenheit der Altenheime, die einem geschlossenen Bild entgegenwirken soll. In diesem Fall geht die Formulierung sogar noch einen Schritt weiter und schließt ausdrücklich »jeden Interessierten« ein. Dies geschieht auf eine persönlich anmutende und enthusiastische Weise, sodass der Eindruck entsteht, der Träger würde vor einer hauseigenen Kapelle stehen und jedem Besucher zur Begrüßung die Hand schütteln bzw. die Nachbarschaft regelmäßig z.B. per Post zu Gottesdiensten einladen. Dass der Gottesdienst für den Träger eine besondere Bedeutung hat und durchaus emotional besetzt zu sein scheint, zeigt auch das Verb »mitfeiern« anstelle von z.B. teilnehmen an. Was in den Kapellen tatsächlich geschieht und möglicherweise auch als Ausdruck der besonderen Gestaltung gelesen werden darf, wird in folgender Aussage deutlich: »In den Kapellen werden katholische und evangelische Gottesdienste gefeiert.« Überraschend ist an dieser Stelle nicht unbedingt das feierliche Abhalten von Gottesdiensten, welches sich in einer Kapelle anbietet, sondern das Angebot von Gottesdiensten zweier christlicher Konfessionen. Das bisher skizzierte religiöse Leben bezieht sich damit vornehmlich auf die katholische und evangelische Tradition. In den Altenheimen des kirchlichen Trägers leben also nicht nur katholische, sondern auch protestantische Bewohner, deren Anzahl so hoch sein muss, dass sich ein zusätzliches Gottesdienstangebot zu lohnen scheint. Auffällig ist auch, dass die Gottesdienste getrennt gehalten werden, d.h. offensichtlich zu verschiedenen Zeiten stattfinden. Von einer Zusammenführung im Sinne der ökumenischen Bewegung ist nicht die Sprache. Dies kann als ein Festhalten an bestimmten Traditionen und etablierten Strukturen gelesen werden, an dem die unterschiedlichen Beteiligten (Träger, Pfarrer bzw. Pastor, Bewohner, Nachbarschaft etc.) Interesse haben könnten. Diese Fokussierung auf und zugleich Trennung von beiden Konfessionen wird auch im weiteren Verlauf des Protokolls aufrechterhalten. So heißt es: »Seelsorger beider Konfessionen sind in unseren Einrichtungen den Bewohnern sowie Angehörigen Gesprächspartner und auch unseren Mitarbeitern eine Stütze.« Damit wird von der Schilderung religiösen Lebens, das sich in Gottesdiensten niederschlägt, zum Angebot der Seelsorge zurückgekehrt. Der Seelsorger übernimmt dabei die Rolle eines Gesprächspartners, was erst einmal wenig problemanzeigend wirkt, im Hinblick auf die zusätzliche Ergänzung der Mitarbeiter und ihres mentalen Aufbaus im Sinne einer »Stütze«

IV Empirischer Teil

jedoch auf Belastungen im Setting verweisen kann. Wie oben schon angedeutet, scheint in den Altenheimen nicht immer alles problemlos zu funktionieren, wie die Aufzählung der Aktivitäten einst vermuten ließ: Die in den Heimen lebenden, zu Besuch kommenden und arbeitenden Menschen bedürfen offensichtlich einer Anlaufstelle, die ‒ im wörtlichen, d.h. baulichen Verständnis von »Stütze« ‒ Lasten aufnimmt und weiterleitet. Vorstellbar sind hier vor allem Lasten im Kontext von Glaubens- und Lebensfragen, die einen Transzendenzbezug erlauben. Dabei ist der Seelsorger jedoch offensichtlich nicht der einzige (vgl. »eine Stütze«; Hervorh. SSP), jedoch ein wichtiger Ansprechpartner. Dies erlaubt wiederum Anknüpfungen zu Überlegungen hinsichtlich nicht-religiöser Beratungsangebote, die möglicherweise vom Träger im Sinne der Erfüllung seiner Fürsorgepflicht bereitgestellt werden. Abschluss findet der Sequenzabschnitt zum Thema ›Seelsorge und religiöses Leben‹ mit der Formulierung: »Die Bewohnerinnen und Bewohner und ihre Angehörigen erfahren so auch in schweren Stunden seelsorglichen Zuspruch und Begleitung.« Während also vorher noch die Mitarbeiter eingeschlossen wurden, stehen hier wieder die Bewohner in gendergerechter Formulierung im Fokus. Dies bestärkt noch einmal die bereits früher erwähnte Lesart, dass das Protokoll die (zukünftigen) Bewohner und ihre Angehörigen adressiert. Sie sollen im Mittelpunkt des in den Altenheimen stattfindenden Handelns stehen. Die Mitarbeiter gewährleisten nur die Umsetzung des eingangs formulierten Anspruchs in der Praxis und sind dementsprechend auch manchmal Empfänger der seelsorglichen Unterstützung, jedoch nicht Hauptzielgruppe dieses Angebots. Der Ausdruck »auch in schweren Stunden« kann dabei entweder so verstanden werden, dass es seelsorglichen Zuspruch und Begleitung auch in leichten Stunden gibt, d.h. Seelsorge ein reguläres Angebot ist, das nicht zwangsläufig krisenbehaftet ist. Oder es ist gewissermaßen als Versuch der Beruhigung zu lesen, dass auch in schweren Zeiten ein Ansprechpartner zur Seite steht und die Bewohner und Angehörigen niemals mit ihren Sorgen und Nöten allein gelassen werden. Dabei wird Seelsorge als etwas Erfahrbares, d.h. am eigenen Körper oder im Geist Erlebbares charakterisiert (vgl. »erfahren«), was kurzfristig Trost bzw. Aufmunterung spenden soll (vgl. »Zuspruch«) und längerfristig als eine Art Wegbegleitung aufgefasst werden kann (vgl. »Begleitung«). Im letzten Teil des Protokolls geht es um Angebote des Trägers im Hinblick auf Demenz, die in einer verbandseigenen Fachstelle gebündelt werden. Da lediglich knapp auf unterschiedliche Hilfsangebote verwiesen und somit

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Religion in der Altenpflege

das Angebot des Trägers komplettiert wird, wird an dieser Stelle auf eine weitere Sequenzanalyse verzichtet. Insgesamt dürfte deutlich geworden sein, dass bereits ein Leitbild wichtige Hinweise auf die Rolle von Religion im altenpflegerischen Setting liefern kann. Der vorliegende Fall legt entsprechend die Hypothesen nahe, dass 1. Religion, trotz historischer Nähe von kirchlichem und pflegerischem Handeln, nicht Kerngeschäft des Trägers und dementsprechend auch nicht selbstverständlich präsent zu sein scheint, 2. Religion, sofern vom Träger erwünscht, in die Anforderungen und Strukturen des altenpflegerischen Settings integriert werden muss und ihr dabei ein Platz zwischen nicht-religiösen Beschäftigungs- und Betreuungsangeboten zugeschrieben wird, die dem psychischen Wohlbefinden zuträglich sind, 3. Religion immer dann zu einem Thema werden kann, wenn es um moralisches Handeln, zeitliche Strukturierung oder die Beschäftigung mit existenziellen Fragen im altenpflegerischen Setting geht, 4. den Mitarbeitern eine besondere Rolle bei der Umsetzung moralischer Prinzipien zuzukommen scheint, die sich auch auf ihren Umgang mit Religion auswirken könnte. Relevanz verspricht dabei der Umstand, dass die Mitarbeiter in ihrem Berufshandeln in einem Spagat zwischen Verallgemeinerung und Einzelfallbetrachtung der Bewohner zu stehen scheinen und dies in einem Setting, welches autonome Lebenspraxis betont, zugleich aber auf Abhängigkeit und Fürsorge aufbaut, 5. der Persönlichkeit von Bewohnern besondere Berücksichtigung im altenpflegerischen Setting zuzukommen scheint, was je nach Religionsverständnis auch Auswirkungen auf den Umgang mit Religion haben könnte und schließlich 6. religiöse Vielfalt als innerreligiöse, d.h. in diesem Fall als innerchristliche Vielfalt in Form von katholischer und protestantischer Konfessionszugehörigkeit thematisiert wird.

4.3

Pflege

Nachdem im vorherigen Kapitel anhand der Interpretation eines Leitbildes ein erster Einblick in die organisierte Altenpflege gegeben wurde, soll im Fol-

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Religion in der Altenpflege

das Angebot des Trägers komplettiert wird, wird an dieser Stelle auf eine weitere Sequenzanalyse verzichtet. Insgesamt dürfte deutlich geworden sein, dass bereits ein Leitbild wichtige Hinweise auf die Rolle von Religion im altenpflegerischen Setting liefern kann. Der vorliegende Fall legt entsprechend die Hypothesen nahe, dass 1. Religion, trotz historischer Nähe von kirchlichem und pflegerischem Handeln, nicht Kerngeschäft des Trägers und dementsprechend auch nicht selbstverständlich präsent zu sein scheint, 2. Religion, sofern vom Träger erwünscht, in die Anforderungen und Strukturen des altenpflegerischen Settings integriert werden muss und ihr dabei ein Platz zwischen nicht-religiösen Beschäftigungs- und Betreuungsangeboten zugeschrieben wird, die dem psychischen Wohlbefinden zuträglich sind, 3. Religion immer dann zu einem Thema werden kann, wenn es um moralisches Handeln, zeitliche Strukturierung oder die Beschäftigung mit existenziellen Fragen im altenpflegerischen Setting geht, 4. den Mitarbeitern eine besondere Rolle bei der Umsetzung moralischer Prinzipien zuzukommen scheint, die sich auch auf ihren Umgang mit Religion auswirken könnte. Relevanz verspricht dabei der Umstand, dass die Mitarbeiter in ihrem Berufshandeln in einem Spagat zwischen Verallgemeinerung und Einzelfallbetrachtung der Bewohner zu stehen scheinen und dies in einem Setting, welches autonome Lebenspraxis betont, zugleich aber auf Abhängigkeit und Fürsorge aufbaut, 5. der Persönlichkeit von Bewohnern besondere Berücksichtigung im altenpflegerischen Setting zuzukommen scheint, was je nach Religionsverständnis auch Auswirkungen auf den Umgang mit Religion haben könnte und schließlich 6. religiöse Vielfalt als innerreligiöse, d.h. in diesem Fall als innerchristliche Vielfalt in Form von katholischer und protestantischer Konfessionszugehörigkeit thematisiert wird.

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Pflege

Nachdem im vorherigen Kapitel anhand der Interpretation eines Leitbildes ein erster Einblick in die organisierte Altenpflege gegeben wurde, soll im Fol-

IV Empirischer Teil

genden der pflegerische Arbeitsbereich im Hinblick auf die Rolle von und den Umgang mit Religion beleuchtet werden.

4.3.1

Gebet oder Gute-Nacht-Lied?

Protokoll und Kontext Der vorliegende Fall dient als Einstieg in den pflegerischen Arbeitsbereich und zeigt auf, wo einer Pflegerin während ihrer Arbeit Religion begegnet, wie sie diese deutet und wie sie mit ihr umgeht. Die ausgewählte Passage entstammt einem Interview mit der Altenpflegerin Frau H., die in einer konfessionell getragenen Altenpflegeeinrichtung tätig ist. Das Interview wurde mehrfach durch dienstliche Anrufe Frau H.s unterbrochen und musste dementsprechend frühzeitig beendet werden. Unmittelbar voraus ging eine Darstellung von Frau H.s Migrationsgeschichte und der für sie persönlich untergeordneten Rolle eines Glaubens. Grundlage der Sequenzanalyse bildet folgendes Protokoll: I: Was fällt Ihnen auf hier (1) wo wird Religion wichtig? (2) Im Heimalltag? (3) Oder gibt es noch bestimmte Situationen (.) wo Sie denken (.) ah ja da (.) war da irgendwie war Religion plötzlich nen großes Thema? (6) Frau H.: Es ist gut dass unser (.) also ich meine (.) also diese Gottesdienste (.) Feier (.) also (1). Das ist sehr wichtig für Bewohner. Und das wird ja auch (.) äh (.) regelmäßig statt (2) finden. (1). Ein Mal (.) monatlich oder zwei Mal (.) sogar (.) also im Wechsel. Das ist ja schon sehr sehr wichtig Bewohner. (2) I: Warum ist das so wichtig? Was meinen Sie? (4) Frau H.: Dass (.) die wirken irgendwie leichter da nach dem Gottesdienst. Zufriedener. (1) Die (.) wo ist ein Wohlbefinden vielleicht auch für (.) die nächsten zwei Stunden. So habe ich Gefühl. (2) Und dann kommt wieder mal Alltag (.) aber die gehen gerne dahin. (2) I: Also Gottesdienst ist was was nicht so alltäglich ist? Das ist was Besonderes? Frau H.: Das ist schon (.) das ist ja so ein großes Feier. Die (4) ziehen sich immer anders an. Die (.) also die Frauen die schmücken sich und so. (3) I: Ist dann ja auch schön das zu sehen. Frau H.: Das ist schön. Klar. Das ist schön. (4) Ich hab paar Bewohner die (.) ähm (3) an der Wand haben so (.) äh (2) wie sagt man (.) Papst? Darf ich @jetzt mich so ausdrücken?@ I: Ja. Klar. Frau H.: Und äh (2) paar Bewohner sprechen auch nachts Gebet. (2) Aber (2) man

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macht Bewohner fertig und man irgendwie (.) kriegt das auch nicht so viel mit (.) was::: (.) ob das jetzt so als Gewohnheit diesen Gebet ist oder ob das jetzt (.) ähm (.) warum sie das gesprochen haben (.) ist (.) das weiß ich jetzt nicht (.) äh (.) ob das jetzt einfach so (.) äh Vaterunser (.) für die Nacht und ob das jetzt ein GuteNacht-Lied ist. Das:: kann ich (.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür. Was Bewohner dann (.) in welchen Gedanken sie einschläft und ob das jetzt (.) äh (2) wie man sich fühlt wenn man so sich so (.) so ein Gebet ausgesprochen hat. I: Das können Sie nicht nachvo- wissen nicht was da passiert? Frau H.: Ähäh (.) ähäh. I: Mhm. (1) Aber Sie haben das Gefühl das tut den Bewohnern gut; Frau H.: Ja::. Ich hab nich Gefühl (.) man sieht das einfach. Man sieht. (6)

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Der Interakt beginnt mit einer Frage der Interviewerin: »Was fällt Ihnen auf hier (1) wo wird Religion wichtig? (2)« Die Interviewerin fokussiert dabei zunächst Auffälligkeiten, dann Wichtigkeiten von Religion an einem noch zu spezifizierenden Ort. Gleichzeitig wird vorausgesetzt, dass Religion an diesem Ort präsent werden kann, wobei ihre Ausdrucksformen weit zu verstehen sind (etwa Religion als Ritualpraxis, als spezifische Glaubensform). Dabei ist die Frage der Interviewerin personaladressiert, sodass eine Einschätzung samt Offenlegung von Frau H.s Religionsverständnis als Anschluss wahrscheinlich wird. Was folgt, ist eine Pause von zwei Sekunden, die Frau H. nicht zum Anschluss nutzt, woraufhin die Interviewerin ihre Frage spezifiziert: I.: Im Heimalltag? (3) Oder gibt es noch bestimmte Situationen (.) wo Sie denken (.) ah ja da (.) war da irgendwie war Religion plötzlich nen großes Thema? (6) Obwohl nicht nur der Ort, d.h. das Heim als Setting, geklärt wurde, und damit auch zum Ausdruck gebracht wurde, dass es hier um den Blick auf die Organisation und nicht etwa eine Einschätzung im privaten Umfeld geht, schließt Frau H. nicht an die Frage an. Die Interviewerin nimmt dies zum Anlass, den Fokus auf die unmittelbare Beobachtung zu verlassen und auf einen hypothetischen Zugriff zu setzen (vgl. »wo Sie denken […]«). Dem Heimalltag gegenübergestellt werden dann außeralltägliche und möglicherweise irritierende Situationen, die Frau H. die Möglichkeit zur Erinnerung an Besonderes ge-

IV Empirischer Teil

ben. Auch auf diese Frage folgt ein Schweigen der Pflegerin (vgl. sechs Sekunden), sodass bereits an dieser Stelle die Hypothese aufgestellt werden kann, dass Religion im Setting kein vordergründiger Sachverhalt zu sein scheint und eher im Bereich einer schwer zu fassenden Außeralltäglichkeit zu verorten ist. Nach der langen Pause schließt Frau H. dann doch an und kommt auf die Gottesdienste in der Altenpflegeeinrichtung zu sprechen: Frau H.: Es ist gut dass unser (.) also ich meine (.) also diese Gottesdienste (.) Feier (.) also (1). Das ist sehr wichtig für Bewohner. Die verzögerte und stotternde Antwort kann als empfundene Verpflichtung Frau H.s verstanden werden, nun zu antworten und das Gesagte auch noch mit einer positiven Wertung zu versehen. Die Frage nach Religion scheint also unterschwellig Stellungnahmen, im Sinne von persönlichen Bewertungen (vgl. »also ich meine«), zu provozieren. Der Sequenzausschnitt macht weiterhin deutlich, dass Frau H. sich mit der Einrichtung (vgl. Possessivpronomen unser [Haus? Altenheim?]«) zu identifizieren, von den religiösen Angeboten (vgl. Demonstrativpronomen »diese[n] Gottesdienste[n]«) jedoch zu distanzieren scheint. Interessanterweise belegt sie die Gottesdienste mit dem Substantiv »Feier«, was den festlichen und gemeinschaftlichen Charakter dieser Art von Veranstaltungen hervorhebt. Mit der Adressierung von Bewohnern (vgl. »Das ist sehr wichtig für Bewohner.«) wird auf eine angenommene Bedeutsamkeit der Gottesdienste verwiesen. Die Pflegerin Frau H. beurteilt hier also aus Perspektive der Organisation, was für die Bewohner wichtig ‒ im Sinne von gut oder hilfreich ‒ ist. Angesprochen wird damit auf latenter Ebene ein Spannungsverhältnis von Autonomie und Abhängigkeit im untersuchten Setting, welches bereits in der Interpretation des Leitbildes Thema war. Frau H. fährt fort, indem sie versucht, nähere Angaben zu den Gottesdiensten zu machen: Frau H.: Und das wird ja auch (.) äh (.) regelmäßig statt (2) finden. (1). Ein Mal (.) monatlich oder zwei Mal (.) sogar (.) also im Wechsel. Das ist ja schon sehr sehr wichtig Bewohner. (2) Auffällig auf stilistischer Ebene ist hier zunächst der Satzbau, der als Anakoluth gelesen werden kann und damit noch einmal die Unsicherheit Frau H.s unterstreicht. Während der erste Satz auf inhaltlicher Ebene noch nahelegt, dass Gottesdienste zum Alltag gehören und damit die bereits angedeutete Festlichkeit Routinecharakter erhält, grenzt der folgende Satz das Ange-

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bot zeitlich stark ein: Die vermutlich konfessionell getrennten Gottesdienste (vgl. »im Wechsel«) würden »[e]in Mal (.) monatlich oder zwei Mal« stattfinden, was für Frau H. nicht unbedingt selbstverständlich anzunehmen war (vgl. »sogar«). Auch an dieser Stelle betont sie wieder, in gesteigerter Form, die Wichtigkeit der Gottesdienste für die Bewohner (vgl. »Das ist ja schon sehr sehr wichtig Bewohner. (2)«), was die Interviewerin dazu ermutigt, nach Gründen für diese Wichtigkeit zu fragen: »Warum ist das so wichtig? Was meinen Sie? (4)« Auch an dieser Stelle schließt Frau H. nicht direkt an, was dafürsprechen könnte, dass sie sich über die Gründe nicht im Klaren ist. Nach vier Sekunden Pause antwortet sie: Frau H.: Dass (.) die wirken irgendwie leichter da nach dem Gottesdienst. Zufriedener. (1) Die (.) wo ist ein Wohlbefinden vielleicht auch für (.) die nächsten zwei Stunden. So habe ich Gefühl. (2) Und dann kommt wieder mal Alltag (.) aber die gehen gerne dahin. (2) Im Gottesdienst scheint etwas zu passieren, was Leichtigkeit, Zufriedenheit und im Endeffekt auch Wohlbefinden bei den Bewohnern (vgl. den distanzierten Ausdruck »die«) hervorruft und damit der Schwere bzw. Last im Einrichtungsalltag entgegenzuwirken scheint. Damit erhält Religion eine funktionale Bestimmung, macht aber auch noch einmal die Hypothese der Außeralltäglichkeit stark, indem Religion als Unterbrechung des Alltags erscheint und »irgendwie« zu Veränderungen des Gemütszustandes führt. Zusammen mit der Information, dass solche Gottesdienste nur ein bis zwei Mal im Monat stattfinden und eine Wirkdauer von »zwei Stunden« haben, wird die starke zeitliche Einschränkung dieses religiösen Angebots deutlich. Auch scheint Frau H. nicht direkt mit den Bewohnern über ihr Empfinden gesprochen zu haben, sodass sie sich bei ihrer Darstellung nur auf ihr »Gefühl« verlassen kann. Gleichzeitig scheint sie klarstellen zu müssen, dass die Bewohner gerne den Gottesdienst besuchen und nicht etwa ‒ wie die Interviewerin möglicherweise erwarten könnte ‒ dazu gezwungen werden. Mit der Nachfrage »Also Gottesdienst ist was was nicht so alltäglich ist? Das ist was Besonderes?« fokussiert die Interviewerin ihren Eindruck von der Außeralltäglichkeit des Gottesdienstes, was Frau H. dazu animiert, von den Vorbereitungen der Bewohner zu berichten: Frau H.: Das ist schon (.) das ist ja so ein großes Feier. Die (4) ziehen sich immer anders an. Die (.) also die Frauen die schmücken sich und so. (3)

IV Empirischer Teil

Diese Passage ist insofern aufschlussreich, als hier die Autonomie der Bewohner hervorgehoben und ein Szenario entworfen wird, welches an die Gestaltung großer Feiertage (etwa Weihnachten, Ostern) erinnert. Gottesdienste scheinen ein Highlight im monotonen Einrichtungsalltag zu sein und für eine selbstbestimmte Aktivität der Bewohner zu sorgen. Nachdem die Interviewerin im Folgenden auf die wohlwollende Beobachtung dieses Geschehens abstellt, führt Frau H. nach einer Bestätigung eine weitere Beobachtung an: I: Ist dann ja auch schön das zu sehen. Frau H.: Das ist schön. Klar. Das ist schön. (4) Ich hab paar Bewohner die (.) ähm (3) an der Wand haben so (.) äh (2) wie sagt man (.) Papst? Darf ich @jetzt mich so ausdrücken?@ I: Ja. Klar. Abseits der Außeralltäglichkeit religiöser Praktiken und damit verknüpften Vorbereitungen kommt es nun zu alltäglichen Beobachtungen: Frau H. gibt an, ein »paar Bewohner« zu haben, d.h. hier von einigen Personen zu sprechen, die in ihren Zuständigkeitsbereich als Pflegerin fallen. Diese Bewohner würden ihre Wände mit dem »Papst« (Bilder? Figuren?) dekorieren. Spätestens an dieser Stelle wird explizit, dass sich Frau H.s Beobachtungen auf die christliche und an dieser Stelle speziell auf die katholische Tradition beziehen, sie sich aber bei der Benennung religionsaffiner Sachverhalte sehr unsicher ist. Ihre Frage »Darf ich @jetzt mich so ausdrücken?@« kann als Ausdruck von Verlegenheit gelesen werden und spricht für ihr Bedürfnis, eine Sprache zu verwenden, die der Interviewerin angemessen erscheint. Dies könnte damit zusammenhängen, dass die Interviewerin sich zu Beginn des Interviews als an Kulturen und Religionen interessierte Wissenschaftlerin vorstellte. Deren betonte und zugleich saloppe Antwort »Ja. Klar.« kann dementsprechend als eindeutiges Einverständnis mit der von Frau H. eingebrachten Wortwahl verstanden werden. Nach dem Einholen des Einverständnisses scheint die Zurückhaltung überwunden zu sein. Frau H. beginnt ausführlich über das Thema Gebet zu berichten: Frau H.: Und äh (2) paar Bewohner sprechen auch nachts Gebet. (2) Aber (2) man macht Bewohner fertig und man irgendwie (.) kriegt das auch nicht so viel mit (.) was::: (.) ob das jetzt so als Gewohnheit diesen Gebet ist oder ob das jetzt (.) ähm (.) warum sie das gesprochen haben (.) ist (.) das weiß ich

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jetzt nicht (.) äh (.) ob das jetzt einfach so (.) äh Vaterunser (.) für die Nacht und ob das jetzt ein Gute-Nacht-Lied ist. Aufschlussreich an dieser Passage ist insbesondere die skizzierte Perspektive der Pflegefachkraft. Frau H. spricht in einer generalisierenden man-Form für die Pflegefachkraft, die abends bzw. nachts bei der Verrichtung pflegerischer Abläufe (vgl. »man macht Bewohner fertig«) auf religiöse Praktiken in Form von Gebeten aufmerksam wird. Während zu Beginn dieses Sequenzabschnittes noch ganz klar ist, was die Bewohner tun, nämlich ein Gebet sprechen, stellen sich mit der Rekonstruktion des Ablaufs Unsicherheiten ein: Dabei verweist die Aussage »man irgendwie (.) kriegt das auch nicht so viel mit (.) was:::« auf eine gewisse Zurückhaltung der Pflegefachkraft, insofern als sie darauf angewiesen ist, etwas »mitzukriegen«, was sich auch als ›auffangen‹ bzw. ›erhaschen‹ übersetzen ließe. Das Gebet als solches ist also nicht Bestandteil eines Gesprächs zwischen Pflegefachkraft und pflegebedürftiger Person. Dementsprechend kann die Pflegefachkraft auch nur mutmaßen, was die Bedeutung eines solchen Gebets (vgl. »was:::«) bzw. seine Gründe (vgl. »ob das jetzt […] warum sie das gesprochen haben«) sein könnten bzw. ob es sich eventuell sogar um ein Gute-Nacht-Lied ohne religiöse Semantik handelt. Zur Auswahl stehen folglich drei Erklärungsmöglichkeiten für das Verhalten der Bewohner. Erstens: Sie leben eine Gewohnheit ohne inhaltliche Aufladung aus. Zweitens: Sie haben das Bedürfnis nach expliziter Religionspraxis (vgl. das Sprechen des Vaterunsers als eine Art Bittgebet) oder drittens: Sie haben das Bedürfnis, ein Gute-Nacht-Lied zu singen. An dieser Stelle lässt sich fragen, warum nun gerade diese Erklärungen herangezogen werden, dessen Entscheidung sich Frau H. jedoch entzieht (vgl. »das weiß ich jetzt nicht«). Eine mögliche Begründung für die Erklärungsansätze könnte darin liegen, dass die Pflegefachkraft lediglich ein melodisches Sprechen vernehmen kann, zugleich aber nicht einschätzen kann, ob und welcher Sinn dem Gesprochenen bzw. Gesungenen zugetraut werden kann ‒ befindet sie sich doch in einer Einrichtung, in der geistige Veränderungen bei alten Menschen keine Seltenheit sein dürften. Dies verleitet zu den offenen Fragen, wer denn im altenpflegerischen Setting definiert, was Religion bzw. religiös ist und wie es um den (angenommenen) Zusammenhang von Religionspraxis und mentaler Gesundheit steht. Frau H. fährt fort: Frau H.: Das:: kann ich (.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür. Was Bewohner dann (.) in welchen Gedanken sie einschläft und ob

IV Empirischer Teil

das jetzt (.) äh (2) wie man sich fühlt wenn man so sich so (.) so ein Gebet ausgesprochen hat. Auch an dieser Stelle kommt es wieder zu Abbrüchen, wobei insbesondere der erste Satz aufschlussreich ist: »Das:: kann ich« könnte als Abbruch des Satzes »Das kann ich nicht beurteilen« o.Ä. gelesen werden, welcher jedoch durch ein »(.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür« ersetzt wird. Einer fehlenden Fähigkeit zur Beurteilung wird also ein Mangel an Interesse entgegengesetzt, wobei diesem Mangel kein explizites Subjekt (ich, man etc.) zugeordnet wird. Dies lässt sich als Versuch einer Objektivierung lesen. Es stellt sich folglich die Frage, wem es an Interesse an den Gedanken und Empfindungen der Bewohner fehlt bzw. ob es, wenn schon keine konkrete Person benannt wird, die Organisation, der Arbeitsbereich oder der Beruf an sich ist, die bzw. der kein Interesse an den Hintergründen und dem Erleben der Religionspraxis hat. Dies würde dafürsprechen, dass sich Frau H. als Vertreterin eines bestimmten Berufes und einer bestimmten Einrichtung versteht, die nicht in die Gedankenwelt der Bewohner eindringen kann und/oder möchte. Religion in Form von Glaubensvorstellungen wäre im Gegensatz zu äußerlich sichtbaren Praktiken (wie z.B. Gottesdienstbesuch und Gebet), etwas Innerliches, zu dem Frau H. als Pflegerin in einer altenpflegerischen Einrichtung keinen Zugang hat. Ihr Aufgabenbereich ist die reine Pflege, etwa in Form von körperpflegerischen Tätigkeiten. Denkt man jedoch an ihre Einschätzung zurück, nach der die Bewohner nach einem Gottesdienstbesuch Zufriedenheit und Leichtigkeit ausstrahlen, ist es nicht auszuschließen, dass die Folgen religiöser Praxis auch für Frau H. sichtbar sind, indem sie z.B. die Compliance in der Pflege erhöhen. Die Unmöglichkeit des Nachvollzugs innerer Abläufe und Beweggründe qua beruflicher bzw. organisatorischer Zuständigkeit, wird auch zum Ende des Interaktes noch einmal deutlich: I: Das können Sie nicht nachvo- wissen nicht was da passiert? Frau H.: Ähäh (.) ähäh. I: Mhm. (1) Aber Sie haben das Gefühl das tut den Bewohnern gut; Frau H.: Ja::. Ich hab nich Gefühl (.) man sieht das einfach. Man sieht. (6) Frau H. gibt zu verstehen, dass sie nicht nachvollziehen kann, was im und mit dem Gebet geschieht. Dass dies aber nichts mit Gefühlen bzw. einer emotionalen Einschätzung Frau H.s zu tun hat, wie die Interviewerin fälschlicherweise annahm, zeigt die abschließende Aussage: »Ich hab nich Gefühl (.) man

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sieht das einfach. Man sieht. (6)«. Zentraler Bezugspunkt der Wahrnehmung bildet also das Sehen, genauer gesagt der fachmännische Blick einer Pflegerin, der alle für den Arbeitsablauf relevanten Informationen freilegt. Religiosität, im Sinne spezifischer Empfindungen, bleibt diesem Blick notwendigerweise verborgen. Dieser spezifische Blick wiederum erinnert an Foucaults Ausführungen zum medizinischen Blick in seinem Werk Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blickes: »Der Raum der Erfahrung scheint mit dem Bereich des aufmerksamen Blicks identisch zu werden, mit dem Bereich jener empirischen Wachsamkeit, die nur für die Erscheinung sichtbarer Inhalte offen ist. Das Auge wird zum Hüter und zur Quelle der Wahrheit; es hat die Macht, eine Wahrheit an den Tag kommen zu lassen, die es nur empfängt, sofern es ihr das Tageslicht geschenkt hat; indem es sich öffnet, eröffnet es die Wahrheit […].« (Foucault 2011: 11) Überträgt man diesen klassifizierenden und verobjektivierenden Blick nun auf die Pflege, lässt sich auch von einem pflegerischen Blick sprechen, welcher »die Pflegestätte zum ›Panopticon‹ […], zu einem Überwachungssystem [macht], in dem der Patient vollständig erfasst, geprüft und unter pflegerische Kontrolle gestellt wird« (Schroeter 2004: 150). Zusammenfassend lassen sich für den vorliegenden Fall also folgende Hypothesen festhalten und einzelne Befunde bereits bestätigen: 1. Religion kann im pflegerischen Arbeitsalltag zwar in unterschiedlichen Situationen beobachtet werden, die sprachliche Kommunikation über religiöse Sachverhalte scheint jedoch schwierig zu sein. 2. Die Thematisierung von Religion scheint aufseiten der Beschäftigten Stellungnahmen und Einschätzungen insbesondere persönlicher Art zu provozieren. 3. Religiöse Angebote der altenpflegerischen Einrichtung, wie z.B. der Gottesdienst, unterliegen starken zeitlichen Einschränkungen und animieren durch ihren außeralltäglichen Charakter zu selbstbestimmtem Handeln der Bewohner.13

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Dies kann als Bestätigung der in Kapitel 4.2 (›Religion in einem Leitbild‹) aufgestellten Hypothesen gelesen werden, nach denen Religion immer dann zum Thema wird, wenn es um zeitliche Strukturierung geht und Religion zu einem Angebot neben nichtreligiösen Beschäftigungsmöglichkeiten wird.

IV Empirischer Teil

4. Religiöse Angebote können einer Beurteilung hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Bewohner unterliegen, die die Frage nach Autonomie und Abhängigkeit im altenpflegerischen Setting aufkommen lässt.14 5. Es kann zwischen sichtbaren und verborgenen Formen von Religion unterschieden werden, welche dem Pflegepersonal in unterschiedlicher Weise zugänglich sind bzw. verschlossen bleiben (vgl. sichtbarer Gottesdienstbesuch versus Intention eines ›Gebets‹). 6. Gefiltert und gelenkt wird die Wahrnehmung religiöser Sachverhalte durch den spezifischen, fachlichen Blick des Pflegepersonals bzw. der Organisation, welcher den Nachvollzug psychischer Zustände und Erlebnisse von Bewohnern bei ihrer Religionsausübung unmöglich zu machen scheint.

4.3.2

Intimrasur und Waschgewohnheiten

Protokoll und Kontext Der folgende Fall ergänzt den Blick auf die Rolle von und den Umgang mit Religion während der Pflege. Dabei geht es um spezifische Pflegeerfordernisse, die sich hinsichtlich religiös konnotierter Vorstellungen von Körperpflege ergeben können. Dabei kontrastiert er zum vorherigen Fall, insofern als Praktiken zum Gegenstand werden, die nicht der christlichen Tradition zuzurechnen sind. Auch gestaltet sich die Kommunikation über religiöse Sachverhalte hier als weitaus weniger herausfordernd. Zur Einbettung des Protokolls ist zu sagen, dass es einem Interview mit der Sozialpädagogin Frau A. entstammt, die im Sozialdienst eines nicht-konfessionellen Trägers der freien Wohlfahrtspflege tätig ist und dort u.a. Hausführungen im sogenannten multikulturellen Bereich der Pflegeeinrichtung durchführt. Da Frau A. sich in dieser Sequenz jedoch einer Thematik widmet, die eindeutig dem Bereich der Pflege zuzuordnen ist, wird der Fall entsprechend auch in diesem Kapitel verhandelt. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass Frau A. eben keine Pflegerin ist und das Protokoll aus der Perspektive einer Sozialpädagogin auf die Pflege zu lesen ist. Der Sequenz ging voraus, dass Frau A. zum Ausdruck brachte, dass ihre bisherige Vorstellung der Einrich-

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Auch dieser Befund deckt sich mit einer Hypothese aus Kapitel 4.2, insofern als dort bereits Autonomie und Abhängigkeit als latente Herausforderungen thematisiert wurden.

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tung nur wenig mit dem Thema Religion zu tun hatte, was die Interviewerin verneinte.15 Das zu untersuchende Protokoll gestaltet sich wie folgt: Frau A.: Es gibt natürlich so ein paar Sachen (.) so spezielle Sachen (.) zum Beispiel (.) die Intimrasur. (.) Ist ja ein Thema im islamischen Glauben (.) und wenn jemand das wünscht wird das auch gemacht. (1) Ist im Rahmen der Pflege UNTER Umständen sogar pflegeERLEICHTERND (.) weil wenn jemand bettlägerig ist und sich immer einnässt und einkotet (.) kann das natürlich auch hilfreich sein. (1) Und (.) ja (.) das mit dem Stein hatte ich ja schon gesagt. ACH SO (.) es wird zum Beispiel auch abgefragt (.) wenn jemand neu ins Haus kommt (1) bei der Pflege. Bei vielen Deutschen ist es so dass das Wasser (.) ins Waschbecken eingelassen wird und (.) man sich dann daraus wäscht. Ist hier in der Pflege auch nicht anders. Bei muslimischen Bewohnern ist es eher so (.) dass sie unter laufendem Wasser gewaschen werden möchten. (1) Und (2) ich kenne es von meinem Großvater auch. Der hat sich auch immer das Wasser einlaufen lassen und hat sich daraus gewaschen. Stammt natürlich aus einer Zeit (.) wo es noch nicht wirklich fließendes Wasser (.) in den Zimmern gab (.) oder im Haus selber. So aber hygienischer ist es natürlich wenn das Wasser fließt. So (.) und wenn jemand jetzt sagt (.) ich möchte aus fließendem Wasser heraus gewaschen werden (.) dann machen wir das natürlich (1) die Kollegen aus der Pflege. Also das sind so (.) einzelne Kleinigkeiten (1) die abgefragt werden (.) wenn jemand neu ins Haus kommt. (1) Kann natürlich genauso bei einem deutschen Bewohner sein. (1) Ob der jetzt eine Religion hat oder nicht.

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Der Einstieg Frau A.s mit der Aussage »Es gibt natürlich so ein paar Sachen (.) so spezielle Sachen (.)« knüpft an die Verneinung der Interviewerin bezüglich der untergeordneten Rolle von Religion an und kann als eine Art Eingeständnis gelesen werden, welche dem Thema Religion möglicherweise nun doch noch einen Stellenwert einräumen möchte. Dabei verweist der Gegensatz von »so ein paar Sachen (.) so spezielle Sachen« auf eine gegenständliche Vorstellung noch zu spezifizierender Sachverhalte, die zunächst vage (vgl. »so ein paar«), dann aber präziser (vgl. »so spezielle«) werden und am Beispiel der »Intimrasur« ihren Ausdruck finden. Die Intimrasur im Pflegekontext scheint 15

Dass Frau A. zuvor durchaus das Thema Religion aufgriff, zeigt auch der Fall ›Der runde Stein‹ (Kap. 4.4.1), der der jetzigen Sequenz zeitlich vorausging.

IV Empirischer Teil

also eine spezielle Sache, respektive Angelegenheit zu sein, die sich vermutlich von üblichen Formen der Körperpflege unterscheidet. Doch was meint üblich im pflegerischen Kontext? Generell kann das Rasieren in der Pflege als ein Aspekt von Körperpflege betrachtet werden, welche als sogenannte Grundpflege im Leistungskomplex der Pflegeversicherung (SGB XI) integriert ist (vgl. Hirschkorn 2014: 16f.). Dabei meint Rasieren »sämtliche[n] Hilfebedarf bei der Durchführung der Trocken- oder Nassrasuren« (ebd.: 19) und der damit verbundenen »Maßnahmen der Haut- und Gesichtspflege« (ebd.), die »i.d.R. Männern vorbehalten« (ebd.) sind. In der Praxis zeigt sich, dass die Rasur bei Frauen infolge der Entwicklung einer hormonell entstandenen Gesichtsbehaarung nicht unüblich ist (vgl. Bürger-Mildenberger 2006: 546). Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben zum Thema Rasieren kann an dieser Stelle bereits die Hypothese aufgestellt werden, dass Religion in der Pflege durch spezifische Vorstellungen von Körperpflege sichtbar wird, welche von vertrauten Pflegeabläufen abweichen und so zu einer Irritation pflegerischen Handelns führen können. Körperpflege ist also nicht gleich Körperpflege und könnte im Hinblick auf Religion durch spezifische Vorstellungen von Reinheit an Bedeutung gewinnen. Gestärkt wird diese Hypothese, indem Frau A. eine offensichtlich notwendige Erklärung für die abweichenden Vorstellungen und damit verbundenen Praktiken von Körperpflege liefert. Sie sagt: »Ist ja ein Thema im islamischen Glauben (.)« Dadurch, dass der islamische Glaube in der Einrichtung, in der Frau A. arbeitet, offensichtlich eine Rolle spielt, d.h. davon auszugehen ist, dass einzelne oder einige Bewohner diesem Glauben zugerechnet werden können und entsprechende religiöse Überzeugungen teilen, erhält die körperpflegerische Handlung eine explizit religiöse, in diesem Fall islamische Komponente. Wie die Intimrasur speziell zum Thema im islamischen Glauben wird, ist an dieser Stelle unklar. Klar hingegen ist, dass sie offensichtlich Bestandteil eines von Frau A. rezipierten Diskurses ist. Daraus kann abgeleitet werden, dass Frau A. sich mit dem islamischen Glauben beschäftigt hat und ‒ zumindest für sie ‒ die Intimrasur im Pflegekontext nicht mehr irritierend ist. Erwartbar ist deshalb eine eher verständnisvolle Haltung, die eine Intimrasur ermöglicht, selbst wenn sie von üblichen Pflegeroutinen abweicht. Weitergeführt wird das Protokoll dann entsprechend mit dem verbundenen Satz »und wenn jemand das wünscht wird das auch gemacht.« Die Intimrasur kann damit als Erfüllung eines speziellen Wunsches von muslimischen Bewohnern gelesen werden, ist durch das »jemand« aber so unspe-

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Religion in der Altenpflege

zifisch gehalten, dass potenziell auch nicht-muslimische Bewohner in dieser Form adressiert sein könnten. In jedem Fall interessant ist aber, dass Körperpflege zunächst in Verbindung mit religiösen Überzeugungen gebracht wird, um dann Ausdruck in der Äußerung eines Wunsches zu finden. Dabei lässt sich Wunsch als Synonym für ein Begehren verstehen, »das jemand bei sich hegt oder äußert, dessen Erfüllung mehr erhofft als durch eigene Anstrengungen zu erreichen gesucht wird« (Duden 2019). Dies legt die Vermutung nahe, dass der entsprechende Bewohner vermutlich mehr oder weniger stark auf eine Erfüllung seines Wunsches hofft, durch seine Pflegebedürftigkeit jedoch von Anderen abhängig ist und sich dementsprechend die Intimrasur nur wünschen und z.B. nicht einfordern kann. Folglich lässt sich die bereits oben aufgestellte Hypothese ergänzen, insofern als religiös konnotierte Vorstellungen und Praktiken von Körperpflege im Pflegesetting Abhängigkeitsverhältnissen unterliegen. Je nachdem, wie verständnisvoll und sensibel sich eine pflegende Person gegenüber der pflegebedürftigen zeigt, kann die Berücksichtigung religiöser Vorstellungen, respektive Praktiken also als Wunsch wahrgenommen und damit präsent oder gegenteilig ignoriert werden. Es ist also zu fragen, was Pfleger ‒ neben einer generellen positiven Haltung zur Erfüllung von Bewohnerwünschen ‒ ermutigen könnte, eine Intimrasur durchzuführen. Frau A. bringt folgenden Grund hervor: Frau A.: (1) Ist im Rahmen der Pflege UNTER Umständen sogar pflegeERLEICHTERND (.) weil wenn jemand bettlägerig ist und sich immer einnässt und einkotet (.) kann das natürlich auch hilfreich sein. In der Pflege kann eine Intimrasur also zu einer Erleichterung des Pflegeablaufes führen, wenn die zu pflegende Person 1. nicht in der Lage ist, über einen längeren Zeitraum zu sitzen bzw. zu stehen und dementsprechend immobil und auf ein Liegen im Bett angewiesen ist und 2. keine Kontrolle mehr über ihre Blasen- und Darmentleerung hat. Die Beurteilung »kann das natürlich auch hilfreich sein« ist dementsprechend so zu verstehen, dass eine Intimrasur durch die Entfernung von Genitalbehaarung eine leichter durchzuführende Körperpflege ermöglicht. Durch die Betonung (vgl. »UNTER Umständen« und »pflegeERLEICHTERND«) wird zugleich deutlich, dass von einer Arbeitserleichterung jedoch nicht generell auszugehen ist, sondern sie sich durch die besonderen Umstände (vgl. Bettlägerigkeit und Harn- und Stuhlinkontinenz) ergibt, sodass zu fragen ist, ob es vergleichbare pflegeerleichternde, religiös konnotierte Vorstellungen oder Praktiken gibt. Denkbar wären z.B. spezifi-

IV Empirischer Teil

sche, religiös konnotierte Speisevorschriften, die der Ernährung im Pflegekontext zuträglich sind und dementsprechend nicht als Mehraufwand bewertet werden. Wieder Bezug nehmend auf die oben entwickelte Hypothese lässt sich ergänzen, dass religiös konnotierte Vorstellungen und Praktiken insbesondere dann als Erfüllung eines Bewohnerwunsches in die Pflege integriert werden können, wenn sie selbst den Pflegeablauf erleichtern, indem sie mit pflegerischen Hygienevorstellungen konform gehen. Daran anschließend ermöglichen Gedankenexperimente auch Vorstellungen von religiös konnotierten Vorstellungen und Praktiken, die sich als störend, im Sinne eines pflegerischen oder organisatorischen Mehraufwandes, erweisen ‒ so z.B. das unbedingte Bestehen auf gleichgeschlechtliches Pflegepersonal in Zeiten eines Personalengpasses.16 Ob sich Religion also als störend oder gar förderlich erweist, scheint von den konkreten Umständen abzuhängen und ist dementsprechend von Fall zu Fall zu entscheiden. Nachdem die Intimrasur als ein Beispiel für die Rolle von Religion im Pflegekontext präsentiert wurde, ist davon auszugehen, dass Frau A. weitere »Sachen« zur Sprache bringt: Frau A.: (1) Und (.) ja (.) das mit dem Stein hatte ich ja schon gesagt. ACH SO (.) es wird zum Beispiel auch abgefragt (.) wenn jemand neu ins Haus kommt (1) bei der Pflege. Während ein Beispiel »mit dem Stein« offensichtlich schon früher im Interview ausgeführt wurde und innerhalb dieser Arbeit in Kapitel 4.4.1 ausführlich dargestellt wird, scheinen Frau A. überraschenderweise (vgl. das betonte »ACH SO«) noch weitere Situationen einzufallen, in denen Religion zum Thema wird. Dies betrifft bereits den Einzug in das neutral anmutende »Haus« (vgl. eben nicht »unser Heim« o.Ä.), der zum Anlass genommen wird, bestimmte, noch zu spezifizierende Dinge abzufragen. Das Abfragen vermittelt den Eindruck, als gebe es einen fixen Fragenkatalog, mit dem der gerade eingezogene Bewohner, möglicherweise während oder in Bezug auf die Pflege konfrontiert wird. Im Hinblick auf das Thema Religion wären hier Fragen nach der Religionszugehörigkeit, Religionspraxis und religiös konnotierten

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Zur Bedeutung von Gleichgeschlechtlichkeit in der Pflege vgl. den Fall ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹ (Kap. 4.3.3).

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Wertvorstellungen bzw. Verhaltensweisen denkbar.17 Wieder bezogen auf die entwickelte Hypothese hieße das, dass die altenpflegerische Einrichtung bestimmte Vorkehrungen trifft, um sich auf die Auswirkungen von Religion vorzubereiten. Religion passiert also nicht einfach in der Einrichtung, sondern wird immer schon als Einflussfaktor mitgedacht. An dieser Stelle lohnt sich ein vertiefender Blick auf das Instrument des Biografiebogens, welcher üblicherweise zur biografieorientierten Pflegeplanung und -dokumentation genutzt wird: Dazu werden bereits bei Einzug biografische Informationen gesammelt, die Familienverhältnisse, Bildung, Beruf, Freizeit, Gewohnheiten, Vorlieben, Abneigungen und eben auch Religion betreffen (vgl. Radenbach 2013: 57). Radenbach setzt den Biografiebogen, der von jeder Einrichtung selbst zu entwerfen sei, mit einem Gerüst gleich, »das helfen soll, interessante Fragestellungen oder Gesprächsthemen […] zu finden« (ebd.). Geht man davon aus, dass auch Frau A. oder ihre pflegenden Kollegen einen solchen Biografiebogen nutzen, um die neu eingezogenen Bewohner in Bezug auf Religion abzufragen, sind also nur Fragen vorstellbar, die relativ leicht zu beantworten sind. Denkbar wären hier Fragen nach Religionszugehörigkeit, der Durchführung von bestimmten religiösen Praktiken bzw. Ritualen, der Bedeutsamkeit von religiös konnotierten Ernährungsund/oder Kleidungsweisen oder eben auch religiösen Vorstellungen, die den Umgang mit z.B. dem anderen Geschlecht oder dem eigenen Körper beeinflussen. Damit verbunden ist jedoch die generelle Frage nach den Möglichkeiten zur Erhebung: Ist der Bewohner noch selbst in der Lage, die Fragen zu beantworten oder müssen Angehörige Auskunft geben? Und wie können Pfleger und Betreuer an Information gelangen, wenn sich weder der Bewohner sprachlich äußern kann noch Angehörige existieren?18 Aus dem nachfolgenden Protokollabschnitt abgeleitet werden kann dann eine solche, neu eingezogenen Bewohnern gestellte, biografieorientierte Frage nach Waschgewohnheiten: Frau A.: Bei vielen Deutschen ist es so dass das Wasser (.) ins Waschbecken eingelassen wird und (.) man sich dann daraus wäscht. Ist hier in der Pflege auch nicht anders. Bei muslimischen Bewohnern ist es eher so (.) dass sie unter laufendem Wasser gewaschen werden möchten. 17 18

Hier ist gerade aus religionswissenschaftlicher Perspektive zu fragen, wie diese Aspekte von Religion adäquat abgefragt werden können. Zur Sprach- und Sprechfähigkeit der Bewohner über religiöse Bedürfnisse vgl. auch den Fall ›Ein freier Mensch‹ (Kap. 4.4.2).

IV Empirischer Teil

Frau A. stellt zunächst die »Deutschen« vor: Ähnlich dem Zoom einer Kamera werden erst viele Deutsche in den Blick genommen, Wasser wird in das Waschbecken eingelassen und »man«, also irgendjemand oder die Allgemeinheit, wäscht sich aus dem Waschbecken. Diese Gewohnheit wird auch im Pflegesetting weitergeführt. Eine andere Gewohnheit zeige sich bei »muslimischen Bewohnern«, die das Waschen unter fließendem Wasser bevorzugen würden. Interessant dabei ist, dass der Gegensatz von den genannten Deutschen nicht in einer anderen Nationalität gesucht, sondern auf Religionszugehörigkeit abgezielt wird. Im Pflegesetting gibt es also Deutsche, die unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit eine bestimmte Reinigung vorziehen, und Muslime, die dies aufgrund ihrer Religion tun. Daraus lässt sich die oben genannte Hypothese fortführen und ableiten, dass Reinigungsrituale im Pflegesetting nicht zwangsläufig auf Religion verweisen, im Hinblick auf bestimmte Bewohnergruppen jedoch hoch religionsaffin zu sein scheinen. Dies betrifft insbesondere Angehörige der bzw. Zugerechnete zur islamischen Tradition, was ja auch schon der Umgang mit dem Thema Intimrasur deutlich gemacht hat. Dem Umgang mit dem Thema Intimrasur entsprechend, ist zu erwarten, dass Frau A. auch dieser Gewohnheit der muslimischen Bewohner positiv gegenüber steht und so auch das Waschen unter fließendem Wasser in ihrer Einrichtung ermöglicht wird: Frau A.: (1) Und (2) ich kenne es von meinem Großvater auch. Der hat sich auch immer das Wasser einlaufen lassen und hat sich daraus gewaschen. Stammt natürlich aus einer Zeit (.) wo es noch nicht wirklich fließendes Wasser (.) in den Zimmern gab (.) oder im Haus selber. Stattdessen wird zunächst mit Blick auf den Großvater ihr persönliches Verständnis für Waschgewohnheiten offenbart: Frau A. sei durch ihren Großvater das Waschen aus dem Waschbecken durchaus vertraut, wobei sie dieses als zeitlich überholt, aber dennoch nachvollziehbar charakterisiert. Übertragen auf die Bewohner, denen heutzutage fließendes Wasser durchaus zur Verfügung steht, kann Frau A. durch ihren persönlichen Bezug nachvollziehen, warum die Bewohner immer noch an dieser Tradition festhalten. Den heutigen Möglichkeiten entsprechend, müsste das Waschen mit fließendem Wasser jedoch zeitgemäßer sein, was Frau A. dann auch wie folgt zum Ausdruck bringt: »So aber hygienischer ist es natürlich wenn das Wasser fließt.« Das Waschen unter fließendem Wasser entspricht also nicht nur den zeitgemäßen Ausstattungsmöglichkeiten eines heutigen Wohnraumes, sondern

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Religion in der Altenpflege

hat auch den Vorteil der erhöhten Hygiene. Wiederum übertragen auf die Wahrnehmung der muslimischen Bewohner in der Pflegeeinrichtung, bedeutet dies, dass diese durch ihre Waschgewohnheiten heutigen pflegerischen Vorstellungen von Hygiene leicht gerecht werden und damit gewissermaßen zeitgemäßer sind als deutsche Bewohner, die an ihren überholten Gewohnheiten festhalten. Dementsprechend steht auch die Berücksichtigung dieses Bewohnerwunsches nicht zur Debatte: Frau A.: So (.) und wenn jemand jetzt sagt (.) ich möchte aus fließendem Wasser heraus gewaschen werden (.) dann machen wir das natürlich (1) die Kollegen aus der Pflege. Also das sind so (.) einzelne Kleinigkeiten (1) die abgefragt werden (.) wenn jemand neu ins Haus kommt. Deutlich wird an dieser Stelle die Position Frau A.s im Geschehen: Es ist nicht sie, die die Bewohnerwünsche in der Pflege umsetzt, sondern es sind die Pflegefachkräfte. Denkbar ist jedoch ihre Anwesenheit bei der Erhebung der Informationen in ihrer Rolle als Mitarbeiterin des Sozialdienstes, was auch erklären würde, warum sie überhaupt so nah an der Thematik ist und sich mit ihr beschäftigt hat. Aus ihrer Perspektive stellen die formulierten Bewohnerwünsche nur »einzelne Kleinigkeiten« dar, die im Prinzip nicht der Rede wert sind.19 Einen Abschluss findet das Protokoll schließlich in folgender Aussage: Frau A.: (1) Kann natürlich genauso bei einem deutschen Bewohner sein. (1) Ob der jetzt eine Religion hat oder nicht. Diese Formulierung kann entweder so verstanden werden, dass potenziell auch »Kleinigkeiten« bei dem deutschen Bewohner ‒ unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit ‒ abgefragt werden oder der Wunsch nach einem Waschen unter fließendem Wasser auch bei deutschen Bewohnern anzutreffen sei. Während Ersteres bedeuten würde, dass eine spezifische Erhebung von biografischen Informationen in der Einrichtung eher auf nicht-deutsche Bewohner bezogen ist, da man bei den sogenannten Deutschen gewissermaßen weiß, was zu erwarten ist, spräche letztere Lesart für eine Anpassung auch deutscher Bewohner an zeitgemäße Waschgewohnheiten. Auffällig ist jedoch,

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Diese Einschätzung könnte auch ein Grund sein, warum Frau A. im gesamten Interviewverlauf immer wieder erwähnte, dass Religion eine geringe Rolle in der Einrichtung spiele.

IV Empirischer Teil

dass dem deutschen Bewohner eine Religionszugehörigkeit potenziell offensteht, wohingegen sie bei dem muslimischen Bewohner von vornherein festgeschrieben zu sein scheint, da er über seine Religionszugehörigkeit erfasst und seine Gewohnheiten entsprechend thematisiert wurden. Dass Bewohner muslimischen Glaubens die Intimrasur oder das Waschen unter fließendem Wasser unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit bevorzugen, sondern weil sie es z.B. einfach lieber mögen, steht in Frau A.s Darlegung nicht zur Debatte.20 Zusammengefasst lassen sich aus dem Fall folgende Hypothesen ableiten und Befunde bestätigen: 1. Religion wird insbesondere im Kontext körperpflegerischer Aktivitäten sichtbar und fällt deshalb ins Auge, weil sie pflegerische Handlungen erzwingen kann, die von den üblichen, d.h. vertrauten Abläufen abweichen (vgl. Intimrasur, Waschgewohnheiten).21 2. Ob die Abweichungen von den Beschäftigten als be- oder entlastend wahrgenommen werden, scheint jeweils von der konkreten Pflegesituation abzuhängen und sich in der Beurteilung an pflegerischen Vorstellungen von Hygiene zu orientieren. 3. Religiös konnotierte Vorstellungen und Praktiken hinsichtlich der Körperpflege können als Bewohnerwunsch gedeutet werden, welcher einer Unterstützung durch ein dafür sensibles Pflegepersonal bedarf und gleichzeitig auf Abhängigkeitsverhältnisse in der Pflege verweist.22 4. Es zeigen sich bestimmten Vorkehrungen seitens der Organisation, die auf den Einzug von religiösen Personen und ihren entsprechenden Praktiken und Vorstellungen vorbereiten sollen. Religion und religiös konnotiertes Verhalten wird also als Einflussfaktor mitgedacht. 5. Im Vergleich zur Pflege sogenannter deutscher Bewohner erscheint die islamische Tradition in diesem Fall als Referenzrahmen, der gewisserma20 21

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Zur religiösen und nicht-religiösen Begründung von bestimmtem Verhalten vgl. auch den Fall ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹ (Kap. 4.3.3). Dieser Befund bestätigt die zum Fall ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied?‹ (Kap. 4.3.1) aufgestellte Hypothese, nach der zwischen sichtbaren und unsichtbaren Formen von Religion unterschieden wird. Dieser Befund kann als Bestätigung der in Kapitel 4.2 (›Religion in einem Leitbild‹) aufgestellten Hypothese gelesen werden, nach der den Beschäftigten eine besondere Rolle in der Vermittlung zwischen Verallgemeinerung und Einzelfall insbesondere in einem auf Fürsorge und entsprechend auf Abhängigkeit aufbauenden Setting zukommt.

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Religion in der Altenpflege

ßen naturwüchsig für bestimmte Bewohnerpräferenzen hinsichtlich der Körperpflege sorgt, sich aber leicht mit aktuellen pflegerischen Hygienevorstellungen vereinbaren lässt und so den Pflegeablauf nicht nachhaltig stört bzw. sich sogar positiv auf diesen auswirken kann.

4.3.3

Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege

Protokoll und Kontext Im vorherigen Fall bereits angeklungen ist die Frage nach Begründungen für spezifisches Bewohnerverhalten, welches von den Beschäftigten mit Religion in Verbindung gebracht wird. Der folgende Fall kann zur Verdeutlichung dieser Thematik herangezogen werden und zeigt auf, wie sich Kommunikation über Religion im Pflegekontext gestaltet. Grundlage ist ein Interview mit den Pflegerinnen Frau D. und Frau E., die in einer konfessionell getragenen Einrichtung tätig sind. In diesem Interview schilderten die Pflegerinnen u.a. ihren stark durchstrukturiert erlebten Arbeitsalltag. Daran anschließend gestaltet sich folgender Interakt: I: Wo bleibt denn da (.) komme ich direkt mal zu meinem Thema (.) wo bleibt denn da Raum für (.) Religion (.) für Glaube? (1) Sie haben gerade schon gesagt so Gottesdienst ist so ein (.) Punkt (.) relativ fix im Kalender. Aber gibt es noch andere (.) ähm (.) ja Situationen (.) auch gerade in der Pflege wo sie merken (.) da spielt (.) der Glaube eines Bewohners ne große Rolle? Frau D.: Ja (.) wir hatten auch zum Beispiel türkische Bewohner (1). Die waren zur Kurzzeitpflege. Da warst du noch nicht zurück. Di::e waren hier zur Kurzzeitpflege gewesen (.) wenn ich die Frage jetzt richtig verstanden habe ne. Ich antworte einfach drauf los ne. I: Gerne. Frau E.: (lacht) Frau D.: Die waren hier zur Kurzzeitpflege gewesen (.) und da war es auch dass man zum Beispiel (.) dass die Frau nicht vom Mann gepflegt wird. Also von keinem (.) nicht vom Pfleger. Das haben wir auch beibehalten. (1) Na also das ist (.) also das ist aber auch (.) das gilt hier nicht nur halt (.) in diesem (.) sag ich jetzt mal (.) hat ja viel mit Religion zu tun. Die Frau wurde gepflegt (.) also auch von uns Schwestern. Hat ihr Kopftuch aufgekriegt und so weiter. Der Mann wurde halt von dem Pfleger gepflegt (.) und wenig von uns. (1) Ich muss ganz ehrlich sagen nur wenn es sein musste. Aber halt (.) ne (.) er hat es aber auch akzeptiert.

IV Empirischer Teil

Muss man dazu sagen ne. Aber so (.) sag ich ganz ehrlich (.) also man versucht das schon alles (.) so im Rahmen zu halten. Wir haben auch (.) sag ich auch so (.) wir haben auch ähm (2) deutsche (.) ähm (.) Bewohner (.) also hauptsächlich. Aber es gibt auch @welche (.) wollt ich jetzt sagen@ die dann sagen (.) ich möchte nicht vom Pfleger gepflegt werden. (1) Muss auch akzeptiert werden. I: Wo man nicht sagen würde das hat jetzt unbedingt was mit Glaube zu tun? Sondern einfach mit Frau E.: Scham. Frau D.: Ja Scham. Aber ich finde das gehört auch ein bisschen so dieses (.) ne (.) ich möchte das nicht. Das kennen die nicht. Frau E.: Menschenwürde. Frau D.: Ja genau. Von der Menschenwürde. Und ich denke dass (.) dass diese Menschenwürde auch auch einiges mit der Religion zu tun hat auch. [Find ich] Frau E.: [Vieles.] Frau D.: persönlich so (.) ne. Wenn man dies (.) wenn dies nicht so (1) akzeptiert wird (.) ich sag jetzt mal auch in dem muslimischen Glauben (.) hat das ja auch noch was mit Religion zu tun (1) ähm (1) wo sind wir dann ne? (1) Also find ich dann so. Aber so wenn sie jetzt sagen (.) wo bleibt da (.) der Punkt für Religion (1) schöne Frage. (lacht) (1) Wie kann man das jetzt am besten beantworten?

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung An die Schilderung des Arbeitsalltags der beiden Pflegerinnen anschließend, beginnt der Interakt wie folgt: I: Wo bleibt denn da (.) komme ich direkt mal zu meinem Thema (.) wo bleibt denn da Raum für (.) Religion (.) für Glaube? (1) Sie haben gerade schon gesagt so Gottesdienst ist so ein (.) Punkt (.) relativ fix im Kalender. Aber gibt es noch andere (.) ähm (.) ja Situationen (.) auch gerade in der Pflege wo sie merken (.) da spielt (.) der Glaube eines Bewohners ne große Rolle? Obwohl der Gottesdienst als ein regelmäßiges Angebot im Einrichtungsalltag offensichtlich von den Pflegerinnen bereits thematisiert wurde, ist der Interviewerin zu diesem Zeitpunkt noch unklar, wo Religion zum Thema in der konkreten Pflege wird. Gleichzeitig verweist die Raummetapher (vgl. »Raum für Religion«), die sowohl zeitlich als auch räumlich verstanden werden kann, auf eine mögliche Konfrontationssituation, in der Religion potenziell Platz in einem primär nicht dafür vorgesehenen Setting beansprucht. Der Begriff »Glaube« dient dabei als Übersetzungshilfe, um einen individualisierenden,

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Religion in der Altenpflege

weniger an religiöse Institutionen erinnernden Einstieg in das übergeordnete Thema Religion zu schaffen. An dieser Stelle kann bereits die Hypothese aufgestellt werden, dass Religion in der pflegerischen Praxis nicht selbstverständlich präsent zu sein scheint und ihren Platz finden bzw. zugeordnet bekommen muss. Während die Fragestellung der Interviewerin offen ist und keinerlei Selektion hinsichtlich religiöser Traditionen vorlegt, bezieht sich die Antwort von Frau D. sofort auf »türkische Bewohner«: Frau D.: Ja (.) wir hatten auch zum Beispiel türkische Bewohner (1). Die waren zur Kurzzeitpflege. Da warst du noch nicht zurück. Di::e waren hier zur Kurzzeitpflege gewesen (.) wenn ich die Frage jetzt richtig verstanden habe ne. Ich antworte einfach drauf los ne. Ruft man sich die vorangegangene Frage nach Religion bzw. Glaube und entsprechenden Situationen ins Gedächtnis, werden zwei Aspekte deutlich: Zum einen kommt es zu einem Kategorienwechsel in Bezug auf Religion und Nationalität, indem die Frage nach Religion auf die nationale Herkunft der Bewohner bezogen wird. Zum anderen werden die türkischen Bewohner in Kurzzeitpflege selbst zu einer spezifischen Situation ‒ eine Situation, die offenbar so einprägsam war, dass sie Frau D. sofort einfällt und sie selbst über ihre direkte Antwort irritiert ist (vgl. »wenn ich die Frage jetzt richtig verstanden habe ne«). Die Ankündigung »Ich antworte einfach drauf los ne.« lässt daraufhin eine unverblümte bzw. spontane Ausführung des Gesagten vermuten. Angeschlossen wird wie folgt: I: Gerne. Frau E.: (lacht) Frau D.: Die waren hier zur Kurzzeitpflege gewesen (.) […] Während die Interviewerin mit dem angekündigten Vorgehen von Frau D. einverstanden ist, scheint Frau E. amüsiert über das Vorpreschen ihrer Kollegin zu sein und lacht, woraufhin Frau D. wiederholt die Kurzzeitpflege zur Sprache bringt. Möglicherweise erscheint diese Form der Pflege auch deshalb besonders nennenswert, da mit ihr Menschen in die Einrichtung gelangen, auf die man sich aufgrund der begrenzten Zeit nicht richtig bzw. intensiv einstellen kann. Sich dann auch noch auf ihren Glauben bzw. ihre Religion einzustellen, könnte eine zusätzliche Herausforderung für die Pflege bedeuten. Dies bestärkt die bereits formulierte Hypothese, indem Religion mit dem

IV Empirischer Teil

Einzug von Bewohnern in die Einrichtung gelangt und sich damit die Frage nach Möglichkeiten ihrer Integration stellt. Am Beispiel der türkischen Bewohner in Kurzzeitpflege (Ehepaar? Geschwister?) wird daraufhin ein Zusammenhang von Pflege und Geschlecht thematisiert, welcher besonderen, jedoch als typisch angenommenen Kriterien (vgl. »auch«) unterliegt: Frau D.: […] und da war es auch dass man zum Beispiel (.) dass die Frau nicht vom Mann gepflegt wird. Also von keinem (.) nicht vom Pfleger. Das haben wir auch beibehalten. (1) Na also das ist (.) also das ist aber auch (.) das gilt hier nicht nur halt (.) in diesem (.) sag ich jetzt mal (.) hat ja viel mit Religion zu tun. Die Frau wurde gepflegt (.) also auch von uns Schwestern. Hat ihr Kopftuch aufgekriegt und so weiter. Der Mann wurde halt von dem Pfleger gepflegt (.) und wenig von uns. (1) Ich muss ganz ehrlich sagen nur wenn es sein musste. Aber halt (.) ne (.) er hat es aber auch akzeptiert. Muss man dazu sagen ne. Aber so (.) sag ich ganz ehrlich (.) also man versucht das schon alles (.) so im Rahmen zu halten. Wir haben auch (.) sag ich auch so (.) wir haben auch ähm (2) deutsche (.) ähm (.) Bewohner (.) also hauptsächlich. Aber es gibt auch @welche (.) wollt ich jetzt sagen@ die dann sagen (.) ich möchte nicht vom Pfleger gepflegt werden. (1) Muss auch akzeptiert werden. Auf der manifesten Ebene zeigt sich hier zusammenfassend der Versuch, eine möglichst gleichgeschlechtliche Pflege zu gewährleisten und damit etwas für die Bewohner Gewohntes beizubehalten, was organisatorisch nicht immer möglich, für den Fall des Mannes aber auch nicht unbedingt nötig war (vgl. »er hat es aber auch akzeptiert«). Spannend in diesem Zusammenhang ist dabei insbesondere der plötzliche Bezug auf das Thema Religion: Während zuvor nur von den türkischen Bewohnern und damit verknüpfter Pflege gesprochen wurde, versucht Frau D. hier offensichtlich einen Anschluss zur Frage der Interviewerin herzustellen. Offen bleibt an dieser Stelle jedoch, was das »hat ja viel mit Religion zu tun« über die konkrete Wechselwirkung zwischen Religion und Pflegewunsch bzw. -bedürfnis aussagt. Möglicherweise ist dies auch Frau D. nicht klar, denn es scheint nicht deutlich kommuniziert worden zu sein, was genau warum gewünscht wurde. Diese Lesart würde die bereits angedeutete Problematik der Kurzzeitpflege bestätigen, welche die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse erschwert. Der Bezug auf Religion kann dann als Markierung von etwas Unausgesprochenem gelesen werden, welche eine verbindliche und zugleich einleuchtende Begründung für die spezifische Pflege liefern soll, von der aus-

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Religion in der Altenpflege

gehend nicht weiter nach Gründen gefragt werden muss. Unklar ist an dieser Stelle noch, welcher religiösen Tradition die türkischen Bewohner zugerechnet werden: Möglicherweise handelt es sich um muslimische Bewohner, die alltagssprachlich häufig mit türkischer Herkunft in Verbindung gebracht werden. Da die religiöse Zugehörigkeit an dieser Stelle jedoch nicht explizit genannt wird, kann davon ausgegangen werden, dass Frau D. annimmt, die Interviewerin wisse sofort, um welche Religion es sich handelt. Dies wiederum kann als Erweiterung der obigen Hypothese verstanden werden, indem die Integration von Religion mit einer über die nationale Zugehörigkeit vermittelten Identifizierung von Religionszugehörigkeit beginnt. Auch eine weitere Stelle dieses Protokollausschnittes ist besonders aufschlussreich: In unmittelbarer Nähe zur gleichgeschlechtlichen Pflege taucht das ›Kopftuch-Aufkriegen‹ der Bewohnerin auf (vgl. »Hat ihr Kopftuch aufgekriegt und so weiter.«). Während die Ausdrucksweise einen pragmatischen Umgang vermuten lässt ‒ ganz nach dem Motto »Dann kriegt die eben auch noch ihr Kopftuch auf« ‒ ist unklar, was sich hinter dem »und so weiter« verbirgt: Gibt es noch andere Bewohnerwünsche, die etwas mit Religion zu tun haben? Ist möglicherweise mit einem erhöhten Arbeitsaufwand in Folge religiös konnotierter Wünsche bzw. Bedürfnisse zu rechnen? Was an dieser Stelle bereits festgehalten werden kann, ist, dass so etwas wie ›Kopftuchaufkriegen‹ vermutlich nicht so schwer umzusetzen ist wie eine Gewährleistung gleichgeschlechtlicher Pflege für männliche Bewohner. Es ist davon auszugehen, dass die Einrichtung schlichtweg über wenig männliches Personal verfügt23 ‒ wird doch mehrfach von »dem«, d.h. einem bestimmten Pfleger gesprochen. Die Aussage »Ich muss ganz ehrlich sagen nur wenn es sein musste« kann in diesem Zusammenhang dann als Eingeständnis der Übertretung des Vorhabens gelesen werden, gleichgeschlechtliche Pflege vor dem Hintergrund religiöser Zuschreibung zu gewährleisten. Denkbar ist in diesem Fall eine für alle Beteiligten vermutlich unangenehme Situation, selbst wenn der genannte Bewohner vielleicht gar keinen Wert auf die spezifische Pflege legte und zugleich mit einer Zurückhaltung der weiblichen Pflegerinnen konfrontiert wurde. Religion in der Pflege ist also prinzipiell nicht überseh- bzw. übergehbar, allein schon deshalb nicht, weil sie mit Emotionen der Beteiligten verknüpft sein kann.

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Diese Vermutung deckt sich mit Statistiken, nach denen deutlich mehr Frauen als Männer einen Pflegeberuf ausüben (vgl. z.B. Statista 2020b).

IV Empirischer Teil

Die Aussage »Aber so (.) sag ich ganz ehrlich (.) man versucht das schon alles (.) so im Rahmen zu halten« formuliert dann sehr deutlich ein Bedürfnis nach Regulierung. Unklar ist hier jedoch, was im Rahmen gehalten werden muss: Sind es Übertretungen religiös konnotierter Verhaltensweisen und Vorstellungen (Bsp. gleichgeschlechtliche Pflege wird nicht berücksichtigt), Religion an sich oder allgemein Sonderwünsche von Bewohnern, die von der Pflegeroutine abweichen und Mehraufwand verursachen? Während erstes, die Vermeidung von Übertretungen, auf ein unbedingtes Ernstnehmen religiöser Bedürfnisse im Pflegekontext abzielen würde, verweisen die anderen beiden Lesarten auf eine befürchtete Vereinnahmung der Pflege durch Religion. Ergänzt wird der Versuch des ›Im-Rahmen-Haltens‹ durch die Anführung deutscher Bewohner, denen in der Einrichtung offensichtlich ein Mehrheitsstatus zukommt (vgl. »[…] wir haben auch ähm (2) deutsche (.) ähm (.) Bewohner (.) also hauptsächlich«). Konsequent in der primären Zuschreibungskategorie ›nationale Herkunft‹ bleibend, macht diese Anführung deutlich, dass Religion nicht immer als Begründung für die Ablehnung gegengeschlechtlicher Pflege dienen muss. Dabei kann die Aussage »muss auch akzeptiert werden« unterschiedlich gelesen werden: entweder als Zwang bzw. Verpflichtung aufgrund bestimmter Normen und Wertvorstellungen im Sinne von »Der Kunde (Bewohner) ist König.« oder gegenteilig als Ausdruck empfundenen Überdrusses im Sinne von »Jetzt fangen die Deutschen auch noch mit ihren Sonderwünschen an«. Für die Interviewerin ist an dieser Stelle unklar, ob die Aussage »Ich möchte nicht vom Pfleger gepflegt werden« eine hinreichende Begründung liefert oder einer zusätzlichen Erläuterung bedarf. Dem geht die Interviewerin nach, indem sie zur Ursachenbenennung ermuntert: I: Wo man nicht sagen würde das hat jetzt unbedingt was mit Glaube zu tun? Sondern einfach mit Frau E.: Scham. Frau D.: Ja Scham. Aber ich finde das gehört auch ein bisschen so dieses (.) ne (.) ich möchte das nicht. Das kennen die nicht. Frau E.: Menschenwürde. Mit Frau E., der zuvor eher schweigsamen Kollegin, gerät im Folgenden der Begriff »Scham« in den Fokus der Interaktion: Während Scham ein großes

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Bedeutungsspektrum hinsichtlich Körperlichkeit und Psyche eröffnet24 und damit ein vermutlich eher vertrautes Thema im Pflegealltag ist (vgl. KochStraube 2003: 211-216), ergänzt Frau D. das Schamempfinden um persönliche Vorlieben und Gewohnheiten (vgl. »auch ein bisschen so dieses (.) ich möchte das nicht. Das kennen die nicht.«). An dieser Stelle stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis Religion bzw. Glaube und Scham stehen. Ist ›deutsche‹ Scham das Pendant zur ›türkischen‹ und damit verknüpften religionsbedingten Pflegeverweigerung? Oder aber ist Scham eine für die Mehrheit der Bewohner und Pfleger vertraute Begründung und damit leichter nachzuvollziehen als religiöses Empfinden? Anschlussmöglichkeiten liegen also in einer Erläuterung des Verhältnisses von Religion und Scham oder aber in der Anführung weiterer Begründungen für die Verweigerung von gegengeschlechtlicher Pflege. Mit Frau E.s Einwurf »Menschenwürde« eröffnet sich dann der Versuch von Frau D., Pflegewünsche mit einem sehr abstrakten Begriff in Verbindung zu bringen, der weiter entfernt von der Praxis erscheint als der der Scham. Dass »Menschenwürde« offensichtlich schwierig zu fassen ist, zeigt sich dann auch in ihrem holprigen Sprachstil: Frau D.: Ja genau. Von der Menschenwürde. Und ich denke dass (.) dass diese Menschenwürde auch auch einiges mit der Religion zu tun hat auch. [Find ich] Frau E.: [Vieles.] Frau D.: persönlich so (.) ne. Wenn man dies (.) wenn dies nicht so (1) akzeptiert wird (.) ich sag jetzt mal auch in dem muslimischen Glauben (.) hat das ja auch noch was mit Religion zu tun (1) ähm (1) wo sind wir dann ne? (1) Also find ich dann so. Aber so wenn sie jetzt sagen (.) wo bleibt da (.) der Punkt für Religion (1) schöne Frage. (lacht) (1) Wie kann man das jetzt am besten beantworten? In seiner starken rechtlichen Aufladung (vgl. etwa GG Art. 1 »Die Würde des Menschen ist unantastbar.«) erscheint der Begriff »Menschenwürde« wie eine Art Kommunikationsstopp: Das Gesagte, d.h. in diesem Fall die Äußerung

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Zu unterschiedlichen Typen von Scham im Pflegekontext vgl. Gröning 2014: Mit Bezug auf Max Scheler unterscheidet sie u.a. Körperscham und Seelenscham und widmet sich mit Bezug auf Sighard Neckel Formen sozialer Scham im Alter. Übergreifend kann Schamempfinden auch als Ausdruck eines historischen Prozesses der Zivilisierung des Körpers verstanden werden, wie es Norbert Elias beschreibt (vgl. Elias 1976: 181f.)

IV Empirischer Teil

des Bewohners, ist an dieser Stelle nicht weiter erklärungsbedürftig, gewissermaßen Grundrecht ‒ eine stärkere Begründung für Pflegeverweigerung kann es nicht geben. Interessanterweise endet die Kommunikation hier jedoch nicht und wird stattdessen wieder mit dem Thema Religion in Verbindung gebracht (vgl. »dass diese Menschenwürde auch einiges mit der Religion zu tun hat auch«). Damit rückt Religion in unmittelbare Nähe des Kommunikationsstoppers ›Menschenwürde‹ und erfährt damit an argumentativer Gewichtung. An dieser Stelle lässt sich fragen, was Menschenwürde und Religion verbindet: Sind es normative Vorstellungen über den Umgang der Menschen miteinander oder ist es ihr Unbedingtheitsanspruch? Deutlich wird auf jeden Fall der hohe Stellenwert der beiden Begriffe, welcher bei NichtBerücksichtigung einen Abfall vom eigenen Selbstverständnis (vgl. »wo sind wir dann ne?«) bedeuten würde. Dazu gehört eben auch die unbedingte Berücksichtigung des nun explizierten muslimischen Glaubens ‒ als Teil von Religion ‒ im Pflegekontext. Betrachtet man die persönliche Perspektive Frau D.s (vgl. »ich denke«, »Find ich persönlich«, »Also find ich dann so«) und ihre Abschlussfrage »Wie kann man das jetzt am besten beantworten?« wird der durch das Interview angestoßene Reflexionsprozess deutlich, in dem Frau D. sich der Bedeutsamkeit von Religion in der Pflege erst bewusst und dadurch verunsichert zu werden scheint: War Religion, adressiert über nationale Zugehörigkeit, zu Beginn noch ein unkommunizierter, jedoch relativ einfach zu integrierender Zusatzaspekt in Pflegeabläufen, wird religiöse Bezugnahme zum Schluss, in der Anlehnung an ein Verständnis von Menschenwürde, zu einem Angelpunkt pflegerischen Selbstanspruches, wobei der Begriff ›Religion‹ nach wie vor schwer fass- und kommunizierbar erscheint (vgl. »mit Religion zu tun haben«). Zusammenfassend können folgende Befunde festgehalten werden: 1. Religion scheint zwar ein unterschwelliges Thema in der Pflege zu sein, da sie mit dem Einzug von Bewohnern in die Einrichtung gelangt und sich die Frage nach ihrer Integration in Pflegeabläufe stellt, eine explizite Kommunikation über sie scheint zwischen Pflegern und Gepflegten bzw. den Pflegern untereinander jedoch nicht Usus zu sein.25

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Dies kann als Bestätigung der entsprechenden Hypothesen zum Fall ›Gebet oder GuteNacht-Lied? › (Kap. 4.3.1) gelesen werden, nach denen sich die sprachliche Kommunika-

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2. Die Praxis verweist auf ein Bemühen seitens der Beschäftigten, religiös erscheinende Vorstellungen und Praktiken pragmatisch in gängige Arbeitsstrukturen einzugliedern, was ‒ abhängig von den Organisationsressourcen (z.B. Personal) ‒ recht unproblematisch zu gelingen scheint.26 3. Nationale Zugehörigkeit kann als Indikator für Religionszugehörigkeit dienen, aus welchem Rückschlüsse für entsprechendes, religionskonformes Pflegeverhalten gezogen werden, ohne dass hinterfragt werden muss, wie genau religiöse Vorstellung bzw. Praxis und bestimmtes Pflegebedürfnis zusammenhängen. Dies scheint insbesondere türkeistämmige Bewohner zu betreffen, die mit der islamischen Religionstradition in Verbindung gebracht werden, wohingegen sogenannte deutsche Bewohner zwar auch bestimmte Pflegepräferenzen mit sich bringen, diese aber vom Pflegepersonal nicht mit Religion begründet werden.27 4. Kompliziert erscheint die versprachlichte Reflexion über Religion, welche in diesem Fall unter Zuhilfenahme des Begriffes ›Menschenwürde‹ angegangen und mit dem persönlichen Selbstanspruch abgeglichen wird. Religiöse Bedürfnisse werden damit zu einem Sachverhalt, der nicht übergehund verhandelbar ist und welchen es in der Pflege unbedingt zu berücksichtigen gilt.28

4.3.4

Religion als Diagnose

Protokoll und Kontext Während es in den vorherigen beiden Fällen um spezifische Pflegeerfordernisse ging, die sich durch (angenommene) religiöse Bezugnahmen ergeben können, stehen im folgenden Fall Versuche der Deutung und Einordnung religiöser Sachverhalte im Fokus. Grundlage der Sequenzanalyse bildet ein In-

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tion über Religion als schwierig erweisen kann und bestimmte Dinge unausgesprochen bleiben. Dieser Befund bestätigt die zum Fall ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2) formulierte Hypothese, nach der die Arbeitsabläufe und die Wahrnehmung von Religion eng miteinander verwoben sind. Dies deckt sich mit der Hypothese zum Fall ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2), die auf eine angenommene Naturwüchsigkeit islamischer Pflegepräferenzen aufmerksam macht und diese den Gewohnheiten sogenannter deutscher Bewohner gegenüberstellt. Ähnliches zeigte sich bereits in der Interpretation des Leitbildes, welches Religion und Menschenwürde in Zusammenhang bringt und die Beschäftigten zu Garanten der Umsetzung moralischer Prinzipien macht (vgl. Kap. 4.2).

IV Empirischer Teil

terview mit der bereits bekannten Pflegerin Frau H., die in einer konfessionell getragenen Einrichtung tätig ist. Das nun im Fokus stehende Protokoll lautet wie folgt: I: Vielleicht noch eine Abschlussfrage. Sie haben ja vorhin gesagt (.) Sie denken dass das schon sich verändern wird (.) die Bewohner werden irgendwie anders. Die haben mittlerweile nen Handy (.) wollen nicht mehr so früh schlafen [und] Frau H.: [Mhm.] I: auch (.) wenn ich richtig verstanden habe dass (1) verschiedene Kulturen vermutlich hier (.) in Zukunft (.). Wie wie stellen Sie sich das denn vor? Wie könnte diese Einrichtung sich (.) darauf einstellen? Was müsste man hier machen noch (.) einrichten? Frau H.: Das muss man schonmal anpassen glaube ich (.) an jede Bewohner. Das ist genauso wie ein Bewohner (1) mit verschiedenen Diagnosen kommt. Dann muss man schon auch für diese Diagnosen sich äh (1) umstellen (.) und so behandeln was man (.) in Therapievorschlag steht. Genauso das ist auch (.) ich (.) ähm (1) für Religion auch (.) muss man sich (.) äh (.) anpassen. Auch so mit Essen (.) mit Ritualen (.) mit (.) äh (1) Beten auch. Also (1) weil sie da (2) vielleicht (.) müssen die (1) eine Stunde oder halbe Stunde oder (.) auf den Knien sitzen und dann (1). Da muss man das akzeptieren. Auf jeden Fall. I: Also ist das für Sie (.) sagen Sie (.) das ist wichtig für den Bewohner (.) also müssen wir (.) als Pflegende als Betreuende das auch [unterstützen?] Frau H.: [°Ja.°] I: Ja? Frau H.: Das ist genau- das ist (.) Mensch ist doch gleich. Nur das ist (.) sein (1) Religion ist anders. Und ich denke schon dass das (3) an uns liegt. Also sonst (2) wie soll sich da schon ein Mensch fühlen wenn er schon in einem Heim ist? Und wenn wir dann auch (.) äh (.) nochmal ihm schwierig machen (.). Das (2) ist nicht schön. (2) I: Mhm. (1) Ja (.) dass man son bisschen das was man vorher hatte (.) von Zuhause kennt (.) beibehalten kann (.) ne? Frau H.: Ja. (2) Die Leute die zu uns kommen (.) das ist schon sowieso erste Phase (.) diese (.) Einzugsphase ist schon so schwierig. (1) Und dann wenn man noch (3) die lassen alles (.) die die kommen zu uns und (.) die wissen selber nicht was die da erwartet. (4) I: Wie versuchen Sie damit umzugehen? Was machen Sie dann? (2) Wenn Sie sehen der Bewohner (.) der der leidet (.) der vermisst vielleicht sein (.) seine ge-

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wohnte Umgebung? (2) Wie gehen Sie damit um? Frau H.: (atmet tief aus) Ja:::. Es ist auch schwierig. Jeder Mensch ist ein Individuum. Wir müssen erst (.) also (1) aktiv zuhören (1) Zeit lassen für Bewohner auch (1) Bezugspflege haben wir. Also Blickkontakte müssen wir auch herstellen. Also wir müssen (1) auf Menschen zugehen (.) als erster. (3) Vertrauen irgendwie schenken (.) also das (.) äh (1) ist sowieso (3). Auch Angehörigen (.) müssen wir auch mit Angehörigen arbeiten wenn das auch für Mutter oder Vater besser (.) also wenn sie besser fühlt. Das ist nicht einfach nur ein Bewohner (.) auch Angehörige spielen große Rolle.

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Eröffnet wird der Interakt durch die Anknüpfung der Interviewerin an die von Frau H. zuvor geschilderten Beobachtungen hinsichtlich einer Veränderung von Bewohnergewohnheiten: I: […] Sie haben ja vorhin gesagt (.) Sie denken dass das schon sich verändern wird (.) die Bewohner werden irgendwie anders. Die haben mittlerweile nen Handy (.) wollen nicht mehr so früh schlafen […]. Daraufhin wird ein Zukunftsszenario vom Zusammenkommen verschiedener Kulturen (etwa die Lebensweise, Sprache, Religion etc. betreffend) in der Einrichtung angesprochen, welches nicht auf Religion beschränkt ist und zugleich die Praxis im Pflegesetting im Blick hat: I: [und] auch (.) wenn ich richtig verstanden habe dass (1) verschiedene Kulturen vermutlich hier (.) in Zukunft (.). Wie wie stellen Sie sich das denn vor? Wie könnte diese Einrichtung sich (.) darauf einstellen? Was müsste man hier machen noch (.) einrichten? Festgehalten werden kann zunächst, dass die angenommenen zukünftigen Veränderungen, die sich bereits jetzt schon in veränderten Verhaltensweisen und Gewohnheiten der Bewohner abzeichnen, aus diesen heraus entstehen bzw. mit ihnen Eingang in die Altenpflegeeinrichtung finden. Denkbar wären in dieser Lesart zusätzlich auch Beschäftigte, die ihre ›Kultur‹ mitbringen und das Leben und Arbeiten in der Altenpflegeeinrichtung kulturell pluraler machen. Unterstellt wird, dass die Einrichtung die ist, die sich an die Bewohner und ggf. Beschäftigten anpassen muss und nicht umgekehrt. Entsprechende Anschlussmöglichkeiten böten etwa die Darstellung von sich daraus ergebenden Konflikten, einem Mehraufwand für die Pflege, Veränderungen des

IV Empirischer Teil

Leitbildes der Einrichtung oder aber auch positive Szenarien in Form einer Bereicherung des Pflegealltags. Was tatsächlich folgt, ist der Entwurf einer durch die Einrichtung getragenen individuellen Betreuung und Pflege eines jeden Bewohners: »Das muss man schonmal anpassen glaube ich (.) an jede Bewohner.« Dies bedeutet jedoch auch, dass keine generellen Umstrukturierungsmaßnahmen der Einrichtung denkbar sind (z.B. in Form eines neuen Pflegeleitbildes), sondern gewissermaßen der Einzelfall in den Fokus rückt und entsprechend von Fall zu Fall entschieden werden muss, wie sich angepasst werden kann und muss. Deutlich wird auch, dass diese Ansicht nicht unbedingt in der Einrichtung geteilt wird bzw. möglicherweise auch noch gar nicht gemeinsam erörtert wurde, sodass das Gesagte die persönliche Meinung von Frau H. und damit gewissermaßen ihre Vorstellung von Diversitätsmanagement darstellt (vgl. »glaube ich«). An dieser Stelle kann bereits die Hypothese aufgestellt werden, dass der Umgang mit kultureller Vielfalt in der beobachteten Einrichtung noch nicht erprobt wurde und die Idee Frau H.s, eine einzelfallspezifische Anpassung an die Bewohner vorzunehmen, als eine Möglichkeit des Umgangs betrachtet werden kann, die sich zukünftig jedoch noch bewähren muss. Es ist davon auszugehen, dass Frau H. im Folgenden Beispiele gibt, wie eine Anpassung an die jeweiligen kulturellen Traditionen und Erfordernisse aussehen könnte. Anstatt jedoch fallspezifische Beispiele zu geben, schließt Frau H. mit einer generalisierenden Analogiesetzung medizinischer und kultureller bzw. explizit religiöser Befunde an: Frau H.: Das ist genauso wie ein Bewohner (1) mit verschiedenen Diagnosen kommt. Dann muss man schon auch für diese Diagnosen sich äh (1) umstellen (.) und so behandeln was man (.) in Therapievorschlag steht. Genauso das ist auch (.) ich (.) ähm (1) für Religion auch (.) muss man sich (.) äh (.) anpassen. Genau wie sich die Pfleger an verschiedene medizinische Diagnosen, vereint in der Person des Bewohners, anpassen und ggf. von pflegerischen Routinen abweichen müssten (vgl. »umstellen« im Sinne von »sich einer neuen Situation anpassen«), um so die entsprechende Behandlung gemäß dem »Therapievorschlag« durchführen zu können, verhalte es sich auch beim Thema Religion. Dies führt zunächst vor Augen, wie herausfordernd sich Pflege vor dem Hintergrund von Multimorbidität gestaltet. Auf latenter Sinnebene gewinnt der Begriff der Diagnose an Bedeutung, weshalb es sich lohnt, diesen genauer zu betrachten: Diagnose kann verstan-

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den werden als Feststellung bzw. Bestimmung einer körperlichen oder psychischen Krankheit durch den geschulten Blick eines Arztes (vgl. Duden 2018c). Zwischen Untersuchung und Behandlung verortet, steht die Diagnose stets zwischen dem Einzelfall, d.h. der mit dem Untersuchten verknüpften Lebensgeschichte, und einem ›Fall von‹, d.h. dem Katalog von Krankheitsbildern und Zuordnungsmöglichkeiten des Arztes. Bereits im Begriff der Diagnose angelegt ist also ein Kontinuum professioneller Betrachtungsweisen, welches sich zwischen den Polen der Einzelfallbetrachtung und der Kategorisierung erstreckt, d.h. auf die Fallspezifik abzielt und zugleich auf eine Fallgeneralisierung ausgerichtet ist. Versteht man Religion nun als eine mögliche Diagnose eines Bewohners, ist es Aufgabe der Pflegenden, diese auf jeden Fall ernst zu nehmen und entsprechend zu »behandeln«, was sich als »integrieren« bzw. »berücksichtigen« übersetzen ließe. Die Berücksichtigung trägt dabei zugleich fallspezifische und fallgeneralisierende Züge, sodass Bewohnerin XY z.B. als ›gläubige Christin‹ kategorisiert werden kann, ihre Religionspraxis aber fallspezifisch im Hinblick auf ihre Sozialisation beurteilt werden muss. Neben diesem Verständnis von Religion als eine Art von Diagnose (neben z.B. einer besonderen Sprache etc.) ließe sich eine weitere Lesart entwickeln: Dadurch, dass der Begriff der Diagnose im Plural erscheint, könnte Religion auch als Überbegriff verstanden werden, der im übertragenen Sinne unterschiedliche Diagnosen und entsprechende Krankheitsbilder mit sich führt. So würde beispielsweise dem Bewohner XY Religion übergreifend attestiert, was mit unterschiedlichen Diagnosen, d.h. Feststellungen im Hinblick auf bestimmte Ernährungs- und Kleidungsvorschriften, Wertvorstellungen und Rituale einherginge. Die bereits formulierte Hypothese lässt sich dementsprechend erweitern, insofern als Religion ‒ als ein Teil von Kultur ‒ mit dem Einzug von Bewohnern in die altenpflegerische Einrichtung gelangt und auf eine noch näher zu bestimmende Art diagnostizierbar sein muss. Die Möglichkeit zur Diagnose von Religion zeigt sich im weiteren Anschluss von Frau H.: Frau H.: Auch so mit Essen (.) mit Ritualen (.) mit (.) äh (1) Beten auch. Also (1) weil sie da (2) vielleicht (.) müssen die (1) eine Stunde oder halbe Stunde oder (.) auf den Knien sitzen und dann (1). Da muss man das akzeptieren. Auf jeden Fall. Religion in der Pflege ist also etwas, das sich vornehmlich in sichtbarer Praxis zeigt, indem bestimmtes Essen gegessen oder nicht gegessen, bestimmte Rituale durchgeführt werden und Beten stattfindet, was sich im religionswis-

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senschaftlichen Verständnis sicherlich unter Ritual fassen ließe, sich in der Beobachtung der Pflegerin jedoch additiv als eigenständige Praxis einreihen lässt. Dabei werden diese sichtbaren und damit beobachtbaren Ausformungen von Religion keiner religiösen Tradition zugeordnet, wohl aber mit einer Art Zwangscharakter versehen: Der Halbsatz »Also (1) weil sie da (2) vielleicht (.) müssen die« macht sehr deutlich, dass mit Religion bestimmte Praktiken zwangsläufig verknüpft zu sein scheinen, wobei Frau H. der Begründungszusammenhang nicht deutlich zu sein scheint, was sich in ihrer zögerlichen Aussage offenbart. Das auf den Knien-Sitzen kann dann als ein Beispiel für eine solche Folge von Religion betrachtet werden, welche zeitlich variabel oder für Frau H. unklar definiert ist (vgl. »eine Stunde oder halbe Stunde oder (.)«), im Hinblick auf gesundheitliche Fragestellungen jedoch durchaus als körperliche Belastung wahrgenommen werden könnte. Wohin das Ritual des auf den Knien-Sitzens führt, ist Frau H. nicht bewusst (vgl. »auf den Knien sitzen und dann (1).«), weswegen es dann auch zu einem Satzabbruch kommt. Klar hingegen ist, dass dieses Ritual unbedingt akzeptiert werden muss: »Da muss man das akzeptieren. Auf jeden Fall.« Dieser noch unpersönlich wirkende Umgang (vgl. »man«), der sich über die Ausprägungskraft religiöser Praxis bewusst und diese zu akzeptieren bereit ist, jedoch auf Begründungszusammenhänge (Warum wird ein Ritual wie ausgeführt?) weniger Wert legt, ließe sich möglicherweise auch wieder auf medizinische Diagnosen beziehen: Wie genau eine Krankheit entsteht und erklärt werden kann, ist für Pflegende vermutlich weniger bedeutsam als die Frage, wie ganz konkret in der Altenpflegeeinrichtung mit spezifischen Erkrankungen umgegangen werden kann. Es kann vermutet werden, dass dieser pragmatische Umgang nicht einer mangelnden Reflexionsfähigkeit der Pflegerin29 , sondern eher den vielfältigen Anforderungen ihres Tätigkeitsfeldes geschuldet ist (z.B. Pflege nach bestimmten Standards in einem fixen Zeitfenster, aber auch unplanmäßige Kommunikation mit einem deprimierten Bewohner). Der Umgang mit diesen Anforderungen und die Reflexionsfähigkeit zeigen sich auch im weiteren Verlauf der Interaktes als die Interviewerin den Bezug der Pflegenden und Betreuenden mit einer geschlossenen Frage fokussiert:

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Vgl. hierzu auch den verobjektivierenden Blick Frau H.s im Fall ›Gebet oder GuteNacht-Lied‹ (Kap. 4.3.1).

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I: Also ist das für Sie (.) sagen Sie (.) das ist wichtig für den Bewohner (.) also müssen wir (.) als Pflegende als Betreuende das auch [unterstützen?]  Frau H.: [°Ja.°]  I: Ja?  Frau H.: Das ist genau- das ist (.) Mensch ist doch gleich. Nur das ist (.) sein (1) Religion ist anders. Nachdem Frau H. zunächst kaum hörbar (vgl. »°Ja.°«) die Annahme der Interviewerin bestätigt, nimmt sie die erneute Nachfrage der Interviewerin zum Anlass, um über das Wesen von Menschen zu reflektieren: Der Halbsatz »Das ist genau-« kann dabei als abgebrochener Versuch eines Vergleiches (etwa »Das ist genauso wie […]«) gelesen werden, der jedoch durch eine grundsätzliche Feststellung korrigiert wird (vgl. »das ist (.) Mensch ist doch gleich.«). Ähnlich dem zuletzt vorgestellten Fall30 werden auch hier wieder ethische Überlegungen zum Bezugspunkt, wenn es um den Umgang mit Menschen in der Pflegeeinrichtung geht. Denn dass es sich dabei in erster Linie um Menschen und nicht um Personen in ihrer Rolle als Bewohner handelt, macht Frau H. stark, indem sie eben nicht sagt: »Der Bewohner ist doch gleich.« Frau H.s Aussage lässt sich dementsprechend auf unterschiedliche Weise verstehen: Sie könnte rechtlich aufgefasst werden, indem hintergründig auf z.B. den Art. 3 des Grundgesetzes abgehoben wird (»Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.«), welcher u.a. Diskriminierungen (auch in Bezug auf den Glauben) verbietet. Die Aussage könnte jedoch auch aus philosophischer oder religiöser Perspektive verstanden werden, in dem Frau H. dem Menschen eine Art inneren Wesenskern zuschreibt, der allen Menschen gemeinsam ist und damit einen Wert eines jeden Menschen und seine entsprechende Wertschätzung impliziert. Ausgehend von dieser Lesart kann der Anschluss »Nur das ist (.) sein (1) Religion ist anders.« dann als Rezeption einer Differenzierungsmöglichkeit von Menschen verstanden werden, wobei Religion als ein selbstverständliches Attribut angenommen wird. Dementsprechend kann Religion als eine Art Merkmal des Menschen aufgefasst werden, welches ihn, etwa neben Merkmalen wie Sprache, Hautfarbe, Herkunft etc., charakterisiert und zu einem Individuum macht. Im Sinne der Berücksichtigung des Menschen in seinem Ganzen wird so auch die Berücksichtigung von Religion zur Aufgabe der Pflegenden.

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Vgl. den Fall ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹ (Kap. 4.3.3), in dem über Menschenwürde im Pflegekontext reflektiert wird.

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Dass diese Berücksichtigung gerade im Angesicht des Lebens im Heim von besonderer Bedeutung ist, macht Frau H. im weiteren Verlauf deutlich: Frau H.: Und ich denke schon dass das (3) an uns liegt. Also sonst (2) wie soll sich da schon ein Mensch fühlen wenn er schon in einem Heim ist? Und wenn wir dann auch (.) äh (.) nochmal ihm schwierig machen (.). Das (2) ist nicht schön. (2) Im Gegensatz zur obigen nüchternen Ausführung der Analogiesetzung medizinischer und religiöser Befunde und Umgangsformen kommen an dieser Stelle Emotionen ins Spiel. Das Leben in einer Pflegeeinrichtung ist aus Perspektive Frau H.s negativ besetzt, indem mit ihrer rhetorischen Frage Assoziationen zum Themenkomplex ›Abschiebung‹, ›Verlusterfahrungen‹, ›Endstation des Lebens‹ und ›Warten auf den Tod‹ geweckt werden. Im Hinblick auf die Unterstützung der Bewohner sieht Frau H. sich und ihren Kollegstand (vgl. »wir«) in besonderer Verantwortung, da grundsätzlich das Potenzial bestehe, ihnen das Leben zusätzlich »schwierig [zu] machen«. Dies könnte bedeuten, die Bewohner zusätzlich zu belasten, ihnen Kummer zu bereiten oder sie traurig zu machen, was aus Frau H.s fürsorglicher Perspektive eben »nicht schön« sei. Dementsprechend kann Religion als eine Ressource betrachtet werden, die dem Wohlbefinden der Bewohner zuträglich ist und damit als unterstützenswert gilt.31 Diese ressourcenorientierte Lesart fokussiert dann auch die Interviewerin, wenn sie fragt: I: Mhm. (1) Ja (.) dass man son bisschen das was man vorher hatte (.) von Zuhause kennt (.) beibehalten kann (.) ne? Frau H.: Ja. (2) Die Leute die zu uns kommen (.) das ist schon sowieso erste Phase (.) diese (.) Einzugsphase ist schon so schwierig. (1) Und dann wenn man noch (3) die lassen alles (.) die die kommen zu uns und (.) die wissen selber nicht was die da erwartet. (4)

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Dies erlaubt Anknüpfungen an religionspsychologische Überlegungen zum Zusammenhang von Religiosität und Gesundheit: So gehen Copinghypothesen etwa davon aus, dass der Glaube an einen planvoll handelnden und fürsorglichen Gott »Sicherheit und Geborgenheit in einer krisengeschüttelten Welt« (Schowalter/Murken 2003: 150) vermitteln. In diesem Sinne können auch zahlreiche Studienergebnisse interpretiert werden, die davon ausgehen, dass Religiosität im Alter mit einer geringeren Angst vor dem Sterben, weniger Depressionen und einer besseren »Angepasstheit an die Lebensumstände (ebd.: 157) einhergehe.

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Die Situationen »vorher«, d.h. im eigenen Zuhause lebend, und das heutige Leben in der Einrichtung gegenüberstellend, kann die »Einzugsphase« als markanter Wendepunkt im Leben der Bewohner verstanden werden. Zeitlich nicht klar eingrenzbar (vgl. »Einzugsphase«; Hervor. SSP) wird mit dem Einzug in die Einrichtung eine Entwicklung eingeleitet, die als psychisch besonders belastend (vgl. »so schwierig«) dargestellt wird. Dabei kann sich die Belastung sowohl auf die neuen Bewohner als auch auf die in der Einrichtung Beschäftigten beziehen. Im Angesicht von Verlusten (vgl. »die lassen alles«), sei es materieller oder sozialer Natur, erscheinen die Bewohner bei ihrer Ankunft (vgl. »die die kommen zu uns«) mittel- und orientierungslos (vgl. »und (.) die wissen selber nicht was die da erwartet.«), sodass noch einmal deutlich wird, warum Religion als eines der letzten möglichen Überbleibsel des alten Lebens unbedingt zu schützen ist. Die sich in der Mittel- und Orientierungslosigkeit ausdrückende Hilflosigkeit spiegelt sich auch im auffälligen, durch Pausen gekennzeichneten Redefluss Frau H.s wider. Es ist also zu fragen, wie es trotz der Herausforderungen gelingen kann, diese hilfsbedürftigen Menschen bei ihrer Integration in die Pflegeeinrichtung zu unterstützen: I: Wie versuchen Sie damit umzugehen? Was machen Sie dann? (2) Wenn Sie sehen der Bewohner (.) der der leidet (.) der vermisst vielleicht sein (.) seine gewohnte Umgebung? (2) Wie gehen Sie damit um? Frau H.: (atmet tief aus) Ja:::. Es ist auch schwierig. Jeder Mensch ist ein Individuum. Wir müssen erst (.) also (1) aktiv zuhören (1) Zeit lassen für Bewohner auch (1) Bezugspflege haben wir. Also Blickkontakte müssen wir auch herstellen. Also wir müssen (1) auf Menschen zugehen (.) als erster. (3) Vertrauen irgendwie schenken (.) also das (.) äh (1) ist sowieso (3). Auch Angehörigen (.) müssen wir auch mit Angehörigen arbeiten wenn das auch für Mutter oder Vater besser (.) also wenn sie besser fühlt. Das ist nicht einfach nur ein Bewohner (.) auch Angehörige spielen große Rolle. An der Komplexität pflegerischen (vgl. »Bezugspflege haben wir«32 ) und insbesondere kommunikativen Handelns der Beschäftigten zeigt sich, wie der Bewohner als Individuum (vgl. »Jeder Mensch ist ein Individuum.«), d.h. als

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Unter Bezugspflege lässt sich eine länger andauernde Zuordnung einer Pflegekraft zu einer festen Gruppe von Bewohnern verstehen, um Vertrautheit zu befördern und den Planungs-, Steuerungs- und Durchführungsprozess der Pflege zu optimieren (vgl. Radenbach 2013: 51f.).

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anzuerkennendes Einzelwesen, in den Fokus der Pflege gerückt wird, zugleich aber nur ein begrenztes Set möglicher Kommunikationsmittel zur Verfügung steht, welches nach und nach zum Einsatz kommt (vgl. »Wir müssen erst (.) also (1) aktiv zuhören (1) Zeit lassen« usw.). Dies macht sehr deutlich, wie limitiert die Möglichkeiten eigentlich sind, um dem näher zu kommen, was unter »Vertrauen irgendwie schenken« gefasst werden kann. Berücksichtigt man, dass eben nicht nur der einzelne Bewohner, sondern auch seine Angehörigen in diesen Kommunikationszusammenhang einbezogen werden, ist es leicht nachvollziehbar, warum die Integration von Religion, insbesondere in Form einer Akzeptanz religiöser Praxis, wenig problembehaftet erscheint. Insgesamt lassen sich aus dem vorliegenden Fall folgende Befunde ableiten: 1. Religion scheint von den Beschäftigten insbesondere in ihrer sichtbaren Praxis bzw. Handlungsdimension (vgl. Rituale) wahrgenommen zu werden.33 2. Religion kann als eine Diagnose gedeutet werden, die ‒ ähnlich einer medizinischen Diagnose ‒ zwangsläufig zu bestimmten Bewohnerverhalten führt bzw. bestimmte Begleiterscheinungen hat, die es im pflegerischen Kontext zu berücksichtigen gilt.34 3. Im Modus der Diagnose gesprochen, bedarf der religiöse Bewohner stets einer fallgeneralisierenden und einer fallspezifischen Betrachtungsweise durch das Pflegepersonal: Er ist ein ›Fall von‹ einer bestimmten religiösen, medizinischen etc. Diagnose, die sich im pflegerischen Setting musterhaft abzubilden und zu reproduzieren scheint, zugleich ist er ein Einzelfall mit einer persönlichen Geschichte, die es insbesondere in der Phase des Einzugs in die Altenpflegeeinrichtung zu berücksichtigen gilt. Dabei wird Religion zu einem verbindenden und zugleich unterscheidenden Merkmal des Menschen, welches bei einer Berücksichtigung durch das Pflegepersonal zu einer Ressource für das Wohlbefinden in der Einrichtung werden kann.

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34

Dieser Befund passt zu den Ergebnissen des Falls ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied? › (Kap. 4.3.1), wonach die Pflegerin Frau H. bereits auf die Unterscheidung von sichtbaren und verborgenen Formen von Religion aufmerksam machte. Dieser Befund bestätigt die Hypothese von einer angenommenen Naturwüchsigkeit bestimmter Bewohnerpräferenzen, die sich etwa aus einer islamischen Religionszugehörigkeit ergeben kann (vgl. den Fall ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹, Kap. 4.3.2).

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Religion in der Altenpflege

4.3.5

Von Neulingen und alten Hasen

Protokoll und Kontext Während die vorherigen Fälle Aufschluss über mögliche Formen des Sichtbarwerdens von Religion und daraus abgeleitete Umgangsformen mit Religion im pflegerischen Setting gaben, wird im nächsten Fall der Frage nachgegangen, wie sich Pflegende überhaupt Wissen über Religion aneignen und was dies für ein Wissen ist. Das vorliegende Protokoll entstammt einem Interview mit der bereits bekannten Sozialpädagogin Frau A. An einen vorherigen Bericht Frau A.s zur Organisation der Essensausgabe während des Fastenmonats Ramadan schließt sich folgender Interakt an: I: Ja (1) das ist ein gutes Stichwort (.) Organisation. Was muss denn (.) ähm (.) Sie sprachen gerade von der Nachtwache oder eben die Pflegekräfte die auch tagsüber hier arbeiten (.) was müssen die mitbringen? (1) Gibts da so was wie ne Einführung? (.) Muss da (.) bestimmtes Wissen da sein? Oder geht es eben wirklich nur darum (.) man kriegt ne Anweisung (.) man hat’s im Protokoll stehen?  Frau A.: Inzwischen ist es tatsächlich so dass (.) äh (.) Neulinge in der Pflege (.) äh (.) von den alten Hasen angelernt werden. Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten. So wie auch ja bei jeder anderen Bewohnerin oder jedem anderen Bewohner. Weil jeder hat so seine Eigenarten. Und (.) äh (.) ja (.) bei den muslimischen Bewohnern (.) ähm (1) ist dann (.) äh (.) ja wird dann eben gesagt (.) da musst du (.) dieses beachten. Also zum Beispiel jetzt (.) diese Dame die diesen (.) St- Reinigungsstein hat (.) dann werden die Kollegen natürlich informiert. Frau Sowieso hat so einen Stein. Den benutzt sie vor dem Gebet. Der darf nicht außer Reichweite gelegt werden. So. (.) Das sind dann so (.) äh Informationen die dann (.) äh (.) in der Übergabe weitergegeben werden und (.) ähm (4) ist im Grunde genommen auch jetzt nicht so speziell religiös. Das sind einfach Informationen zu den bestimmten Bewohnern. Äh (.) der eine Bewohner isst (.) was weiß ich (.) verträgt (.) irgendein Nahrungsmittel nicht. So. Das ist ne genauso eine Information die weitergegeben wird von den älteren oder langjährigen (.) Mitarbeitern an neue (.) wie auch solche Geschichten mit diesem Stein. (1) Am Anfang (.) als das Konzept neu eingeführt wurde (.) da hatten die (.) äh (2) oder nein (.) nicht hatten die Möglichkeit (.) da haben die (.) äh (.) Mitarbeiter an einem (.) äh Türkischkurs teilgenommen und auch son (1) äh (.) ja so ne Fortbildung über kulturelle (.) Besonderheiten

IV Empirischer Teil

(.) über (.) religiöse Sachen (1) äh (.) Rituale. Es ist natürlich sinnvoll dass wenn man in so einem Haus arbeiten möchte sich auch damit auseinandersetzt. Das ist aber jetzt nichts (.) äh (.) wo man sagt (.) hier haben Sie nen Buch. Lesen lesen Sie sich das mal durch und dann frage ich (.) äh (.) nächste Woche ab (.) so ne Zusammenfassung über den Islam. Also das ist es nicht. (1) Ich mein so grundsätzliche Sachen (.) weiß eigentlich jeder. Moslems essen kein Schweinefleisch. Ist bekannt. Trinken keinen Alkohol. Ist bekannt. Ähm (.) letztendlich ist aber auch das eine individuelle Entscheidung. Wenn ein (.) äh (.) Bewohner (.) der offensichtlich in seinem Pass stehen hat (.) Moslem (.) wenn er aber sagt (.) ich möchte aber nen äh (.) Schweinebraten mitessen (.) ist das seine Entscheidung. (1) Also wir ste- stehen da jetzt nicht und sagen (.) ähäh. (1) Sie sind Moslem (.) Sie dürfen das nicht essen. [Frau A. begrüßt Kollegin] Wir wandern dann jetzt mal weiter. Weil jetzt wird es unruhig. [Frau A. und I. verlassen den Raum] (7) Ja (.) das sind letztendlich alles individuelle Entscheidungen.

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Anknüpfend an die Organisation der Essensausgabe im Ramadan, fokussiert die Interviewerin zunächst die notwendigen Fähigkeiten der in der Einrichtung tätigen Pflegenden: I: Ja (1) das ist ein gutes Stichwort (.) Organisation. Was muss denn (.) ähm (.) Sie sprachen gerade von der Nachtwache oder eben die Pflegekräfte die auch tagsüber hier arbeiten (.) was müssen die mitbringen?(1) Vorausgesetzt wird eine noch zu bestimmende Art des Wissens, die die Pflegenden zur spezifischen Arbeit befähigt. Anstatt jedoch eine Antwort abzuwarten, spezifiziert die Interviewerin ihre Frage, indem sie drei Möglichkeiten für diese Befähigung vorschlägt: I: Gibts da so was wie ne Einführung? (.) Muss da (.) bestimmtes Wissen da sein? (.) Oder geht es eben wirklich nur darum (.) man kriegt ne Anweisung (.) man hat`s im Protokoll stehen? Während erste Frage eine Art Einführungskurs in z.B. spezifisch muslimische Praktiken oder übergeordnet kultursensible Kompetenzen nahelegt, fokussiert die zweite Frage bereits vorhandene Kompetenzen zukünftiger Pflegender in der Art, dass z.B. in der Stellenausschreibung bestimmte Fähigkeiten vorausgesetzt werden könnten. Dies könnte sich auf bestimmte Sprachkenntnisse oder eben Wissen über bestimmte religiöse Traditionen beziehen. Der

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dritte Vorschlag ist pragmatisch zu verstehen, indem z.B. über Vorgesetzte konkrete Verhaltensanweisungen erteilt werden, die zu befolgen und entsprechend zu dokumentieren sind. Frau A.s Anschluss legt nahe, dass es sich um eine Mischung aus Szenario eins und drei handeln könnte: Frau A.: Inzwischen ist es tatsächlich so dass (.) äh (.) Neulinge in der Pflege (.) äh (.) von den alten Hasen angelernt werden. Ausgehend von einem länger andauernden, nun aber erfolgten Wandel (vgl. »Inzwischen ist es […]«), der für Frau A. einen nicht selbstverständlichen, jedoch nun faktischen Zustand (vgl. »tatsächlich«) zur Folge hat, erfolgt die spezifische Zusatzausbildung von Berufseinsteigern mittlerweile durch erfahrene Pflegende. Betrachtet man den Begriff »alter Hase« genauer, lassen sich Rückschlüsse auf die Redewendung ›Er ist ein alter Hase‹ ziehen: Da Hasen in der Regel bejagt und dementsprechend nicht besonders alt werden, ist die Bezeichnung »alter Hase« positiv zu verstehen, indem sie den so Bezeichneten als klug und erfahren charakterisiert (vgl. Frater 2018). Die »Neulinge« sind als das genaue Gegenteil zu verstehen, da sie eben über keine entsprechende Erfahrung verfügen und ‒ bezogen auf die Jagdmetapher ‒ dem Jäger leicht erliegen. Das Arbeiten in der Einrichtung ist also eine Herausforderung, die sich nur bestehen lässt, wenn man über bestimmte Strategien und Taktiken verfügt. Die Vermittlung dieser kann als Ziel der angedeuteten Anlern-Situation aufgefasst werden. Wie das Anlernen konkret abläuft, wird im Folgenden deutlich: Frau A.: Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten. Hatte man zuvor möglicherweise noch erwartet, dass sich Szenario eins stärker niederschlagen und auch so etwas wie Übung beinhalten würde, zeigt sich hier ein Fokus auf konkreten Anweisungen, die es unbedingt zu berücksichtigen gilt. Die Aussage »[B]ei der Bewohnerin musst du das und das beachten« stellt eine mögliche Aufforderung der erfahrenen Pflegefachkräfte an die Neulinge dar, die mit verschiedenen individuellen Bedürfnissen und Erfordernissen der entsprechenden, im Singular gefassten Bewohnerin, gefüllt wird. Denkbar sind hier beispielsweise bestimmte Wünsche bezüglich der Ernährung, der Wach- und Ruhezeiten oder anderer Vorlieben und Abneigungen. Die genannte Bewohnerin ist hier als ›Fall von‹ und gleichzeitig als Einzelfall zu verstehen, indem sie in der Rolle als Bewohnerin generell be-

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stimmte Anforderungen verkörpert, diese Anforderungen je nach konkreter Person aber noch einmal variieren können. Es lässt sich fragen, was passieren würde, wenn die genauen Anweisungen nicht berücksichtigt werden würden: Was würde eine Vernachlässigung der Anweisungen für die Bewohner, für das Personal und auf übergeordneter Ebene für die Organisation bedeuten? Wäre eine Vernachlässigung mit einer Imagebeschädigung nach außen hin gleichzusetzen oder würden innerorganisatorische Strukturen und Leistungszusammenhänge (z.B. Faktor ›Vertrauen‹) durch eine Nicht-Beachtung von individuellen Bedürfnissen kurzfristig oder nachhaltig gestört? Bezogen auf die Rolle von Religion kann an dieser Stelle bereits die Hypothese aufgestellt werden, dass sie potenziell als Spezifikum einzelner Bewohner wahrgenommen, unter andere Eigenschaften dieser Personen katalogisiert und entsprechend im Pflegeablauf berücksichtigt werden kann. Eine Nicht-Berücksichtigung von Religion ist dementsprechend kaum vorstellbar bzw. bedürfte einer besonderen Begründung. Warum eine Berücksichtigung von individuellen Bedürfnissen als so wichtig erachtet wird, wird im weiteren Protokollverlauf deutlich: Frau A.: So wie auch ja bei jeder anderen Bewohnerin oder jedem anderen Bewohner. Weil jeder hat so seine Eigenarten. Die bereits genannte, jedoch nicht näher spezifizierte Bewohnerin wird in Beziehung zu einer Vergleichsgruppe (vgl. »wie auch ja bei jeder anderen Bewohnerin«) gesetzt, ohne dies auf genderspezifische Bedürfnisse bzw. Veranlagungen zu begrenzen (vgl. »oder jedem anderen Bewohner«). Vielmehr sind es laut Frau A. »Eigenarten«, die die Interaktion zwischen Bewohner und Pfleger beeinflussen. Aufgrund seiner Semantik erhält der Begriff »Eigenarten« eine besondere Stellung: Eine Eigenart lässt sich verstehen als eher eigentümliche Wesensart eines Menschen, die ihn speziell und besonders macht, aber auch negative Konnotationen in Richtung ›Merkwürdigkeit‹, ›Schrulligkeit‹ bzw. ›Schrägheit‹ tragen kann (vgl. Duden 2018d). Es lässt sich an dieser Stelle also fragen, wie Frau A. die von den einzelnen Bewohnern mitgebrachten, anthropologisch gewissermaßen angelegten (vgl. »Weil jeder hat so seine Eigenarten«) Wesensarten beurteilt: Sind sie durchweg positiv zu betrachten, da sie ein Ausleben von Individualität im Pflegekontext zum Ausdruck brin-

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gen oder können sie zu einem Störfaktor werden, indem sie routinierte Pflegeabläufe möglicherweise unterbrechen?35 An dieser Stelle kommt nun Religion, im Sinne einer Zuschreibung von Religionszugehörigkeit, ins Spiel: Frau A.: Und (.) äh (.) ja (.) bei den muslimischen Bewohnern (.) ähm (1) ist dann (.) äh (.) ja wird dann eben gesagt (.) da musst du (.) dieses beachten. Als Beispiel für die bereits genannten Eigenarten wird also eine spezifische Gruppe, nämlich die der muslimischen Bewohner, herangezogen. Folglich erhielten Neulinge in der Pflege also auch im Umgang mit dieser Gruppe genaue Anweisungen, was zu beachten sei (vgl. den generisch zu lesenden Ausdruck »da musst du (.) dieses beachten«). Die bereits aufgestellte Hypothese kann nun bestätigt und ergänzt werden, insofern als Religion zwar über religiöse Zugehörigkeit wahrgenommen, jedoch als menschliche Eigenart chiffriert wird. Indem die sprachliche Verhandlung über persönliche Einstellungen und Verhaltensweisen verläuft, wird die Bedeutung von Religion als eigenständige Bezugsgröße gewissermaßen ausgeblendet. Dies kann als pragmatischer Versuch gedeutet werden, mit islamischer Religionszugehörigkeit umzugehen, welche potenziell eine Irritation im Pflegesetting darstellen kann. In genau dieses Argumentationsmuster reihen sich nun auch konkrete Beispiele ein, welche an dieser Stelle nur wiedergegeben und nicht tiefer analysiert werden sollen.36 Auffällig ist jedoch stets die Ausblendung religiöser Sachverhalte zugunsten der Herausstellung individueller Eigenschaften und Bedürfnisse: Frau A.: Also zum Beispiel jetzt (.) diese Dame die diesen (.) St- Reinigungsstein hat (.) dann werden die Kollegen natürlich informiert. Frau Sowieso hat so einen Stein. Den benutzt sie vor dem Gebet. Der darf nicht außer Reichweite gelegt werden. So. (.) Das sind dann so (.) äh Informationen die dann (.) äh (.) in der Übergabe weitergegeben werden und (.) ähm (4) ist im Grunde genommen auch jetzt nicht so speziell religiös. Das sind einfach Informationen zu den bestimmten Bewohnern. Äh (.) der eine Bewohner isst (.) was weiß ich (.) verträgt (.) irgendein Nahrungsmittel nicht. So. Das ist ne genauso eine Information die weitergegeben wird von den älteren 35 36

Eine ähnliche Frage stellte sich bereits bei der Interpretation des Leitbildes im Hinblick auf den Begriff ›Persönlichkeit‹ (vgl.Kap. 4.2). Eine ausführliche Interpretation zum erwähnten Reinigungsstein findet sich in Kapitel 4.4.1.

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oder langjährigen (.) Mitarbeitern an neue (.) wie auch solche Geschichten mit diesem Stein. Aufschlussreich für die Rekonstruktion der Argumentation Frau A.s ist dann wiederum nachfolgende Passage: Frau A.: (1) Am Anfang (.) als das Konzept neu eingeführt wurde (.) da hatten die (.) äh (2) oder nein (.) nicht hatten die Möglichkeit (.) da haben die (.) äh (.) Mitarbeiter an einem (.) äh Türkischkurs teilgenommen und auch son (1) äh (.) ja so ne Fortbildung über kulturelle (.) Besonderheiten (.) über (.) religiöse Sachen (1) äh (.) Rituale. Bezogen auf den eingangs beschriebenen Jetzt-Zustand kann diese Passage als Rückblick einer Entwicklung betrachtet werden, die aus der Einführung eines an dieser Stelle nicht explizierten, aber offensichtlich während des Interviews bereits thematisierten Konzeptes (vgl. »das Konzept«) hervorging. Verknüpft war dieses Konzept offensichtlich mit der verpflichtenden Teilnahme (vgl. »nicht hatten die Möglichkeit (.) da haben die […]«) der Mitarbeiter an bestimmten Weiterbildungen. Aus den inhaltlichen Themen (vgl. »Türkischkurs«, »kulturelle (.) Besonderheiten«, »religiöse Sachen (1) äh (.) Rituale«) kann geschlossen werden, dass das Konzept insgesamt eine Art kulturelle Sensibilisierung der Mitarbeiter, möglicherweise mit dem Ziel der interkulturellen Öffnung der Einrichtung anstrebte. Adressaten der Öffnung sind möglicherweise türkeistämmige pflegebedürftige Personen, welche sich der islamischen Tradition zurechnen lassen. Die von der Interviewerin eingangs formulierte Möglichkeit zur Befähigung durch Weiterbildungskurse war also tatsächlich Bestandteil früheren Vorgehens, wird aber zum Zeitpunkt des Interviews offensichtlich nicht mehr praktiziert. Es ist zu fragen, was Gründe für den Strategiewechsel gewesen sein könnten (z.B. mangelnder Praxisbezug, fehlendes Lehrpersonal, zu hohe Kosten?). Was hingegen deutlich wird, ist wiederum der besondere Sprachgebrauch hinsichtlich religiöser Sachverhalte, indem ganz dinglich von »religiöse[n] Sachen« gesprochen und zögerlich (vgl. »(1) äh (.)«) der unspezifische Begriff »Rituale« nachgereiht wird. Religion ist also nach wie vor ein Thema, dem es in der Pflege gerecht zu werden gilt. Eine intensive Auseinandersetzung mit ihren Hintergründen ist zu diesem Zwecke jedoch nicht vorgesehen, weswegen sich möglicherweise auch eine andere Strategie der Wissensvermittlung durchsetzen konnte. Dementsprechend ist auch die Weiterführung Frau A.s zu verstehen:

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Religion in der Altenpflege

Frau A.: Es ist natürlich sinnvoll dass wenn man in so einem Haus arbeiten möchte sich auch damit auseinandersetzt. Das ist aber jetzt nichts (.) äh (.) wo man sagt (.) hier haben Sie nen Buch. Lesen lesen Sie sich das mal durch und dann frage ich (.) äh (.) nächste Woche ab (.) so ne Zusammenfassung über den Islam. Also das ist es nicht. (1) Ausgehend von dem besonderen Charakter der Einrichtung (vgl. »in so einem Haus«) ist eine gedankliche Auseinandersetzung mit kulturellen und somit auch religiösen Sachverhalten unabdingbar. Das negativ formulierte Beispiel zeigt jedoch, wie diese Auseinandersetzung nicht aussehen sollte. Der an Schulunterricht erinnernde Ablauf (vgl. Buch lesen ‒ Überprüfung des Wissensstandes) lässt an die bereits formulierten Überlegungen zu Begründungen des Strategiewechsels anknüpfen. Ganz offensichtlich fehlte ein Bezug zur beruflichen Praxis der Pflegenden. Gleichzeitig gilt es zu berücksichtigen, dass bestimmtes Wissen bei den Pflegenden offensichtlich schon vorausgesetzt werden kann ‒ wie der weitere Protokollverlauf nahelegt: Frau A.: Ich mein so grundsätzliche Sachen (.) weiß eigentlich jeder. Moslems essen kein Schweinefleisch. Ist bekannt. Trinken keinen Alkohol. Ist bekannt. Ähm (.) letztendlich ist aber auch das eine individuelle Entscheidung. Zwischen »grundsätzlichen« und nicht grundsätzlichen »Sachen« unterscheidend werden abweichende Verhaltensweisen (vgl. kein Schweinefleisch essen, keinen Alkohol trinken) einer bestimmten religiösen Gruppe zugerechnet, bei den Pflegenden als bekannt vorausgesetzt (vgl. »Ist bekannt.«) und dementsprechend als handhabbar kategorisiert. Auch hier zu finden ist wieder das Erklärungsmuster, nach dem religiöse Erscheinungsformen als »individuelle Entscheidung« zu verstehen sind. Es stellt sich folglich die Frage, in welchem Verhältnis die Zuschreibung zu einer Gruppe und die immer wieder betonte Individualität von Entscheidungen stehen. Wie können bestimmte Personen so deutlich einer religiösen Gruppe zugeordnet werden, wenn doch auch sie nur ihre Eigenarten zum Ausdruck bringen? Was ist ihr Gemeinsames? Dass Frau A. offensichtlich genau vor dieser Frage steht, zeigt sich zum Ende der Sequenz: Frau A.: Wenn ein (.) äh (.) Bewohner (.) der offensichtlich in seinem Pass stehen hat (.) Moslem (.) wenn er aber sagt (.) ich möchte aber nen äh (.) Schweinebraten mitessen (.) ist das seine Entscheidung. (1) Also wir ste- stehen da jetzt nicht und sagen (.) ähäh. (1) Sie sind Moslem (.) Sie dürfen das nicht essen. (Frau A. begrüßt Kollegin) Wir wandern dann jetzt mal weiter.

IV Empirischer Teil

Weil jetzt wird es unruhig. (Frau A. und I. verlassen den Raum) (7) Ja (.) das sind letztendlich alles individuelle Entscheidungen. Konfrontiert mit der »offensichtlich[en]« Zuschreibungskategorie »Moslem«, welche laut Frau A. im Pass dokumentiert ist37 , müssten der Logik nach die oben beschriebenen abweichenden Verhaltensweisen zum Tragen kommen. Dass dies in der Realität nicht immer der Fall ist, macht das Beispiel des schweinebratenessenden muslimischen Bewohners deutlich. Die Reaktion Frau A.s (vgl. »Also wir ste- stehen da jetzt nicht und sagen (.) ähäh.«) zeigt, dass sie sich dennoch nicht irritieren lässt und durchaus in der Lage ist, zwischen Religionszugehörigkeit, damit verknüpften Ausdrucks- und konkreten Erscheinungsformen zu unterscheiden. Dies gelingt ihr gerade deshalb, weil sie auf das Erklärungsmuster ›individuelle Entscheidungen‹ zurückgreifen kann. Für die Praxis bedeutet dies, dass Religionszugehörigkeit stets nur ein Indiz für mögliches Verhalten sein kann, sich soziale Wirklichkeit im beobachteten Setting jedoch in vielfältiger Praxis manifestiert. Folglich ergibt sich für Religion das Problem als eigenständige Bezugsgröße wahrgenommen zu werden, die insbesondere für geteilte Sinnzusammenhänge steht. Zusammenfassend können folgende Befunde festgehalten und bereits aufgestellte Hypothesen bestätigt werden: 1. Religion kann zum Thema werden, wenn es um das Anlernen von neuen Mitarbeitern in einer sich interkulturell öffnenden Einrichtung geht, die eine kultursensible bzw. religionssensible Handlungskompetenz ihrer Mitarbeiter anstrebt. 2. Religion wird in diesem Zusammenhang insofern relevant, als sie als eine persönliche bzw. individuelle Einstellung und Verhaltensweise von Bewohnern verhandelt wird, die es unbedingt im Pflegeablauf zu berücksichtigen gilt. Dies wird besonders mit der Fokussierung auf die islamische Tradition deutlich, welche zunächst über die Zuordnung zu einer bestimmten Gruppe, nämlich ›muslimische Bewohner‹ und daraus ab-

37

Da in Deutschland eine Angabe der Religionszugehörigkeit in Ausweisdokumenten nicht vorgesehen ist, kann davon ausgegangen werden, dass der entsprechende Bewohner eine ausländische Staatsangehörigkeit hat. Möglicherweise meint das ›im Pass stehen haben‹ aber auch die offensichtliche Zurechnungsmöglichkeit, ähnlich der Redensart ›Jemandem steht etwas auf der Stirn geschrieben‹.

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Religion in der Altenpflege

geleiteten typischen Verhaltensformen geschieht38 , sich in der Realität jedoch auch mit abweichenden Erscheinungsformen auseinandersetzen muss (vgl. schweinefleischkonsumierender muslimischer Bewohner). 3. Religionssensible Kompetenz zeigt sich folglich in der Fähigkeit, zwischen formaler Religionszugehörigkeit, Idealformen von Religionspraxis und konkreter religiöser Praxis zu unterscheiden.39 4. Ein Wissen über spezifische religiöse Hintergründe und Details scheint zumindest aus pflegerischer Perspektive nicht nötig zu sein. Dies hat zur Folge, dass Religion im beobachteten Setting immer wieder ausgeblendet wird, ganz nach dem Motto: »Das ist ja nichts spezifisch Religiöses, sondern Ausdruck individueller Entscheidung.«

4.4 Sozialdienst Das vorherige Kapitel gab Einblicke in den Pflegebereich, der einen großen Teil der in Altenpflegeeinrichtungen anfallenden Arbeit ausmacht und Religion insbesondere im Kontext körperbezogener Verrichtungen und Aktivitäten sichtbar macht. Die nachfolgenden zwei Fälle illustrieren den Umgang mit Religion im Bereich der Betreuung und Beschäftigung, der in den untersuchten Einrichtungen vom Sozialdienst getragen wird.

4.4.1

Der runde Stein

Protokoll und Kontext Wie ein zunächst unbekanntes religiöses Ritual von einer Sozialpädagogin des Sozialdienstes gedeutet und dadurch letztlich eine pflegebedürftige Person im Hinblick auf ihre Handlungsautonomie gestärkt wird, soll im Folgenden gezeigt werden. Das dem Interakt zugrunde liegende Interview wurde

38

39

Dieser Mechanismus des Rückschlusses deckt sich mit Interpretationsergebnissen der Fälle ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹ (Kap. 4.3.3) und ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4). Angedeutet werden damit die Vorteile einer fallspezifizierenden Betrachtungsweise, die den Einzelfall und nicht die Gruppe vor Augen hat und welche sich in Ansätzen bereits in den Befunden zu den Fällen ›Religion in einem Leitbild‹ (Kap. 4.2) und ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4) zeigte.

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Religion in der Altenpflege

geleiteten typischen Verhaltensformen geschieht38 , sich in der Realität jedoch auch mit abweichenden Erscheinungsformen auseinandersetzen muss (vgl. schweinefleischkonsumierender muslimischer Bewohner). 3. Religionssensible Kompetenz zeigt sich folglich in der Fähigkeit, zwischen formaler Religionszugehörigkeit, Idealformen von Religionspraxis und konkreter religiöser Praxis zu unterscheiden.39 4. Ein Wissen über spezifische religiöse Hintergründe und Details scheint zumindest aus pflegerischer Perspektive nicht nötig zu sein. Dies hat zur Folge, dass Religion im beobachteten Setting immer wieder ausgeblendet wird, ganz nach dem Motto: »Das ist ja nichts spezifisch Religiöses, sondern Ausdruck individueller Entscheidung.«

4.4 Sozialdienst Das vorherige Kapitel gab Einblicke in den Pflegebereich, der einen großen Teil der in Altenpflegeeinrichtungen anfallenden Arbeit ausmacht und Religion insbesondere im Kontext körperbezogener Verrichtungen und Aktivitäten sichtbar macht. Die nachfolgenden zwei Fälle illustrieren den Umgang mit Religion im Bereich der Betreuung und Beschäftigung, der in den untersuchten Einrichtungen vom Sozialdienst getragen wird.

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Der runde Stein

Protokoll und Kontext Wie ein zunächst unbekanntes religiöses Ritual von einer Sozialpädagogin des Sozialdienstes gedeutet und dadurch letztlich eine pflegebedürftige Person im Hinblick auf ihre Handlungsautonomie gestärkt wird, soll im Folgenden gezeigt werden. Das dem Interakt zugrunde liegende Interview wurde

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Dieser Mechanismus des Rückschlusses deckt sich mit Interpretationsergebnissen der Fälle ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹ (Kap. 4.3.3) und ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4). Angedeutet werden damit die Vorteile einer fallspezifizierenden Betrachtungsweise, die den Einzelfall und nicht die Gruppe vor Augen hat und welche sich in Ansätzen bereits in den Befunden zu den Fällen ›Religion in einem Leitbild‹ (Kap. 4.2) und ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4) zeigte.

IV Empirischer Teil

mit der bereits bekannten Sozialpädagogin Frau A.40 geführt, die im Sozialdienst eines nicht-konfessionellen Trägers der Wohlfahrtspflege tätig ist. Eingebettet ist der vorliegende Interakt in Frau A.s Schilderung unterschiedlicher Situationen im Pflegealltag, in denen Religion zum Tragen kommt. Unmittelbar zuvor wurde eine Situation beschrieben, in der ein rollstuhlfahrender, stark übergewichtiger Bewohner des Hauses bei seinem Besuch einer Moschee unterstützt wird. Das nun im Fokus stehende Protokoll lautet wie folgt: Frau A.: Wir haben auch eine Bewohnerin (.) die hat einen Stein (.) irgendwie so einen runden Stein. Den benutzt sie (.) wenn sie (1) also um die rituelle Reinigung symbolisch durchzuführen. Es IST im Grunde genommen ja sowieso eine rituelle Reinigung (.) eine symbolische Reinigung diese rituelle Reinigung vor dem Gebet. Nur mit Wasser hat es natürlich einen anderen Charakter als wenn man (.) die Möglichkeit nicht so hat. (1) Und (.) SIE benutzt diesen Stein (.) fasst ihn an (.) so als würde sie Wasser nehmen und reinigt sich dann so (.) um dann ihr Gebet im Bett sitzend sprechen zu können. (1) Statt (.) Stein könnte man (.) wenn man jetzt zum Beispiel in der Wüste wäre als Moslem und (.) da ist ja nicht so viel Wasser (.) da könnte man auch Sand nehmen. AUCH als symbolisches Wasser. (1) Im Pflegebett ist das nicht so einfach.  I: @Das stimmt.@  Frau A.: Gut. DIE hat das aber mit (.) irgendeinem Hodscha geklärt. Die haben gefragt (.) geht das? (1) Wahrscheinlich ist das sowieso üblich (.) wenn man dann die andere Möglichkeit nicht hat. Und die haben sich noch einmal abgesichert und dieser Hodscha (.) also der muslimische Geistliche (.) hat dann wohl gesagt (.) ja (.) das ist okay. Kannst du so machen.

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung An die Schilderung der Unterstützung des rollstuhlfahrenden Bewohners anschließend und in Abgrenzung zur Gruppe der Bewohner (vgl. »Wir haben auch eine Bewohnerin […]«) positioniert sich Frau A. den Beschäftigten der Einrichtung zugehörig, aus dieser Rolle für die Einrichtung sprechend und gibt am Beispiel einer bestimmten Bewohnerin zunächst vage formulierte Einblicke in deren religiöse Ritualpraxis: »[…] die hat einen Stein, irgendwie so einen runden Stein«. Der Stein, der zunächst verschiedene Assoziationen 40

Vgl. hierzu die Fälle ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2) und ›Von Neulingen und alten Hasen‹ (Kap. 4.3.5).

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Religion in der Altenpflege

im Setting zulässt (z.B. Schmuckstein, Spielstein), wird daraufhin in seiner Form und Funktion genauer beschrieben und führt die Interviewerin damit ein in die anfangs verborgene und damit zugleich irritierende und faszinierende Bedeutung dieses Objektes. Die Aussage »Den benutzt sie (.) wenn sie (1) also um die rituelle Reinigung symbolisch durchzuführen« macht deutlich, dass Frau A. überlegen muss, wie sie das Verhalten der Bewohnerin wohl am besten beschreiben kann: Die Nutzung des Steins steht dabei unter bestimmten Vorzeichen (vgl. »wenn« bzw. »also um«), welche in einer beabsichtigten »rituellen Reinigung« Ausdruck findet. Dass der Stein zum Zweck der rituellen Reinigung jedoch nur eine Vertreterfunktion hat und für etwas anderes stehen soll, macht das Adjektiv »symbolisch« deutlich. Unterstützt und eingebettet wird das Gesagte durch die darauffolgende Aussage, »Es IST im Grunde genommen ja sowieso eine rituelle Reinigung (.) eine symbolische Reinigung diese rituelle Reinigung vor dem Gebet.«, mit der die rituelle und symbolische Reinigung zum Zwecke der Gebetsvorbereitung gleichgesetzt werden und austauschbar erscheinen: Die rituelle Reinigung vor dem Gebet wird von Frau A. selbst als symbolischer Akt interpretiert (vgl. »Es IST im Grunde genommen ja […]«) – eben genauso wie auch der dazu verwendete Stein nur Symbol für etwas anderes ist. Der runde Stein ist damit als Symbol für ein Symbol zu verstehen. Für welches ist an dieser Stelle noch offen. Gleichzeitig lässt die starke Betonung (vgl. »Es IST«) vermuten, dass sich Frau A. bereits intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt hat und davon überzeugt ist, zu wissen, wovon sie spricht. Das für Außenstehende möglicherweise Fremde bzw. Unverständliche ist für sie sinnhaft, verständlich und logisch erklärbar. Dementsprechend lässt sich fragen, woher dieses Verständnis rührt: Hat Frau A. einen persönlichen Bezug zu religiösen Ritualen solcher Art, weil sie z.B. selbst ein ähnliches praktiziert? Ist ihr Verständnis als eine Art Respekt gegenüber den Bewohnern zu verstehen, die unterschiedlichste materielle und immaterielle Güter in die Altenpflegeeinrichtung bringen und welche es dann etwa im Zuge der Wertschätzung von Individualität von den Pflegenden und Betreuern zu berücksichtigen gilt? Oder ist der runde Stein deshalb so besonders, weil er sich von Bekanntem unterscheidet und die Routinen der Einrichtung in positiver oder negativer Weise unterbricht? Auch wenn diese Fragen an dieser Stelle nicht beantwortet werden können, kann bereits folgende Hypothese aufgestellt werden: Religion zeigt sich im altenpflegerischen Setting in Form sichtbarer Ritualgegenstände und damit

IV Empirischer Teil

verknüpfter Praktiken, die es ‒ zumindest von bestimmten Beschäftigten ‒ zu deuten gilt. Bezüglich der Symbolik erfährt man im Protokollverlauf dann, für was der Stein eigentlich steht: Wasser (vgl. »Nur mit Wasser hat es natürlich einen anderen Charakter als wenn man (.) die Möglichkeit nicht so hat.«). Mit dieser Angabe lässt sich ein genaueres, nachvollziehbares Bild der Ritualpraxis zeichnen: Für das Gebet ist eine Reinigung erforderlich. Im besten Fall wird diese Reinigung mit Wasser durchgeführt und kann damit sowohl im körperlichen (im Sinne von Abwaschen von Verunreinigungen, z.B. Staub, Erde, Blut) als auch im seelisch-geistigen Sinne (im Sinne von Reinigen von z.B. ›schlechten‹ Gedanken) verstanden werden. Ziel der Reinigung ist also Reinheit im weitesten Sinne, die ein Gebet erst möglich macht bzw. gelingen lässt. Hier ließe sich die noch offene Frage anschließen, welcher religiösen Tradition das Reinigungsritual und das anschließende Gebet zugerechnet werden können. Denkbar wäre z.B. eine Anknüpfung an islamische oder esoterische Traditionen. Eine wahrscheinliche Anknüpfung an eine bestehende Tradition lässt sich immerhin daraus ableiten, dass offensichtlich unterschiedliche Weisen bekannt sind, diese Reinigungspraxis durchzuführen, um das Gebet vorbereitet sprechen zu können. Auch an dieser Stelle zeigt sich wieder der Wissensvorsprung von Frau A. gegenüber Anderen. Für sie ist es »natürlich«, dass die Reinigungspraxis mit Wasser »einen anderen Charakter« hat als die ohne Wasser. Während Wasser also das eigentliche, zu bevorzugende Medium der Reinigung ist und wir bereits erfahren haben, dass die genannte Bewohnerin jedoch stattdessen einen Stein benutzt, ist zu fragen, was sie dazu berechtigt. Diese Berechtigung zu erklären, ist auch für Frau A. von großer Bedeutung: Eingeleitet durch die Konjunktion »wenn« wird eine Bedingung aufgeführt, die das Symbol ›Stein‹ zum Symbol für Reinigung werden lässt: »wenn man (.) die Möglichkeit nicht so hat«. Die Bewohnerin ist also aus Perspektive Frau A.s gewissermaßen eingeschränkt ‒ denkbar sind hier gerade im Pflegekontext körperliche Einschränkungen, die eine Reinigung im üblichen Sinne nicht erlauben. Spannend ist im letzten Zitat auch der Ausdruck »man«. Hatte sich Frau A. zu Beginn der Sequenz noch eindeutig von der Gruppe der Bewohner abgegrenzt, wird diese Distanz nun aufgebrochen. Die Schilderung der Ritualpraxis erscheint Frau A. so selbstverständlich, dass vermutet werden kann, sie habe nicht nur beruflich, sondern auch privat einen Bezug zu diesem Thema. Alternativ könnte das Pronomen »man« aber auch als unpersönliches ›Jemand‹ oder als Einfühlung in die Situation ›als eingeschränkter Mensch‹ gele-

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Religion in der Altenpflege

sen werden. Auch bei diesen Lesarten bliebe die Vermutung stehen, dass sich Frau A. mit der spezifischen Situation auseinandergesetzt hat. Entsprechend lässt sich die bereits formulierte Hypothese insofern ergänzen, als eine Deutung von religiös konnotierten Ritualen durch ein empathisches Vermögen der Beschäftigten begünstigt wird. Um das für sie verständliche Handeln nun auch der Interviewerin deutlich zu machen, erfolgt eine erneute, detailliertere Beschreibung des Ablaufs des Reinigungsrituals: Frau A.: (1) Und (.) SIE benutzt diesen Stein (.) fasst ihn an (.) so als würde sie Wasser nehmen und reinigt sich dann so (.) um dann ihr Gebet im Bett sitzend sprechen zu können. Bildlich vorstellbar wird so eine ältere Frau im Pflegebett, der es trotz körperlicher Einschränkungen gelingt, selbstbestimmt Vorbereitungen für ein Gebetsritual zu treffen und dieses erfolgreich durchzuführen. Vom konkreten Einzelfall bzw. der individuellen Praxis der Bewohnerin (vgl. »SIE«) ausgehend wird daraufhin wieder in den verallgemeinernden Modus »man« gewechselt: Frau A.: (1) Statt (.) Stein könnte man (.) wenn man jetzt zum Beispiel in der Wüste wäre als Moslem und (.) da ist ja nicht so viel Wasser (.) da könnte man auch Sand nehmen. AUCH als symbolisches Wasser. Mit der Präsentation einer fiktiven Situation (vgl. »wenn man jetzt zum Beispiel in der Wüste wäre«) gibt Frau A. drei wichtige Hinweise für die Fallrekonstruktion: Zum einen wird ein klarer Religionsbezug hergestellt (vgl. »Moslem«), der die oben gestellte Frage nach der Anbindung an eine religiöse Tradition beantwortet. Zum anderen gibt Frau A. Hinweise auf eine mögliche (ursprüngliche) geografische Verortung dieser religiösen Tradition. Auch dies kann wieder als Bestätigung gelesen werden, dass Frau A. sich mit der Thematik beschäftigt hat. Weiterhin erscheint die Reinigungspraxis, ob nun mit einem Stein, Wasser oder Sand durchgeführt, in Frau A.s Rezeption sehr pragmatisch, da sie sich an den äußeren Gegebenheiten und Möglichkeiten des zum Gebet Reinigenden zu orientieren hat und nicht starr an bestimmten Vorgaben bzw. Dogmen der religiösen Tradition ausgerichtet zu sein scheint. Aus Perspektive Frau A.s ist die islamische Tradition also als eine pragmatische Religion zu charakterisieren, die eine Weiterführung religiöser Praxis auch im Pflegekontext erlaubt und damit die betroffene Person in ihrer Handlungsautonomie unterstützt.

IV Empirischer Teil

Nachdem Sand also zu einer weiteren Möglichkeit der Reinigungspraxis geworden ist, die im Pflegekontext und der damit einhergehenden Einschränkung des Aktionsradius der beobachteten Bewohnerin jedoch ungeeignet erscheint (vgl. »Im Pflegebett ist das nicht so einfach.«), lässt sich fragen, wonach sich die Angemessenheit bemisst: Sind es Vorgaben der Pflegeeinrichtung, welche Materialien zur rituellen Reinigung genutzt werden dürfen (z.B. in Bezug auf Hygienestandards)? Sind es persönliche Vorstellungen der Bewohnerin im Sinne von »Im Koran habe ich gelesen, dass …«? Oder gibt es andere, außenstehende Autoritäten, die Auskunft über die Angemessenheit bzw. Eignung geben können? Eine nähere Erläuterung und damit auch Begründung des Verhaltens scheinen auch für Frau A. erforderlich – lässt sie das Gesagte und die darauffolgende, durch eine lachende Intonation gekennzeichnete Bestätigung der Interviewerin nicht einfach im Raum stehen: I: @Das stimmt.@  Frau A.: Gut. DIE hat das aber mit (.) irgendeinem Hodscha geklärt. Die haben gefragt (.) geht das? Folgt man Frau A., spielt die Einrichtung offensichtlich keine Rolle. Entsprechend nennt sie keine expliziten Regeln bzw. verbindlichen Handlungsgrundsätze (z.B. Verweis auf die Hausordnung), die dem Umgang mit dieser Thematik in der Einrichtung zugrunde liegen. Vielmehr liegt die Antwort in einer Mischung aus Eigeninitiative und Abklärung mit einer außenstehenden Autorität. Im Fall der beobachteten Bewohnerin – und genau dieser (vgl. »DIE« als spezifischer Einzelfall) – habe ein Vorgespräch mit einem Hodscha stattgefunden. Gemeinsam mit einer oder mehreren, nicht näher spezifizierten, die Bewohnerin jedoch offensichtlich unterstützende(n) Person(en) sei das Gespräch mit einem nicht näher bestimmten Hodscha (vgl. »irgendeinem Hodscha«) gesucht worden. Je nach Herkunft oder kultureller Verbundenheit der Bewohnerin und ihres Unterstützers bzw. ihrer Unterstützer kann der Begriff ›Hodscha‹ unterschiedlich akzentuiert werden: So kann er z.B. als Anrede für einen Lehrer, Professor oder Geistlichen verwendet werden oder als Bezeichnung für einen islamischen Religionsgelehrten dienen. Weiterhin kann er einen traditionellen Heiler bezeichnen. Mit dieser Offenheit des Begriffs einhergehend fällt die relative Unbestimmtheit des Gesprächspartners in den Blick: Für die Klärung der saloppen Frage »Geht das?« (sprich: »Lässt sich Wasser durch einen bzw. den bestimmten Stein ersetzen?«) ist es z.B. nicht von Bedeutung, wo-

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Religion in der Altenpflege

her der Hodscha kommt oder in welcher muslimischen Gemeinde er tätig ist, sondern nur, dass er in seiner bestimmten Rolle auftritt und entsprechend Antwort geben kann. Ihm wird von den am Gespräch Beteiligten eine Befugnis unterstellt, die Frage korrekt beantworten zu können. Anknüpfend an die oben angestellten Überlegungen kann deshalb vermutet werden, dass der Hodscha hier in seiner Gelehrten-Funktion angesprochen wird. Schließlich soll er keine Heilungszeremonie durchführen, sondern lediglich bei der Klärung eines Sachverhaltes mit Religionsbezug behilflich sein. Der sich daran anschließende Satz »(1) Wahrscheinlich ist das sowieso üblich (.) wenn man dann die andere Möglichkeit nicht hat.« kann daraufhin zum einen wie eine Art eingeschobener Kommentar von Frau A. gelesen werden, in dem sie – hier wieder im verallgemeinernden ›man‹-Modus – die Angemessenheit der Frage an den offensichtlich mit hohem Ansehen besetzen Gelehrten verdeutlicht: Einen Gelehrten direkt um Rat zu fragen, sei in der von ihr beobachteten muslimischen Community durchaus üblich. Zum anderen könnte der Satz aber auch als pragmatische und vorausschauende Beurteilung Frau A.s selbst verstanden werden. Dabei würde der Artikel »das« dann nicht für die Frage an den Gelehrten stehen, sondern für das Reinigungsritual und den dazu verwendeten Gegenstand. In beiden Lesarten wird jedoch wieder eine gewisse Pragmatik zum Ausdruck gebracht, durch die die islamische Religionspraxis geprägt zu sein scheint. Mit der Aussage »Und die haben sich noch einmal abgesichert […]« kehrt Frau A. wieder in das vergangene Geschehen zurück und gibt zu erkennen, dass die Frage nach der Eignung (vgl. »geht das?«) eigentlich schon im Vorfeld beantwortet wurde und damit keine gänzlich offene war, sondern lediglich der Absicherung durch einen Hodscha bedurfte. In diesem Zusammenhang wird dann auch noch einmal die Funktion des Hodschas deutlich: Laut Frau A. handelte es sich, für Laien übersetzt, um einen »muslimische[n] Geistliche[n]«, der den Symbolcharakter des Steines und damit die vorgeschlagene rituelle Reinigungspraxis anerkannte. Mit der ihr überlieferten, salopp anmutenden Wortwahl des Geistlichen (vgl. »hat dann wohl gesagt (.) ja (.) das ist okay. Kannst du so machen.«) schließt Frau A. ihre Ausführungen zum Fall der Bewohnerin. Zusammenfassend lassen sich folgende Befunde festhalten:

IV Empirischer Teil

1. Religion wird im altenpflegerischen Setting durch die Beobachtung von Ritualgegenständen und damit verknüpften Praktiken sichtbar.41 Auch wenn diese auf den ersten Blick fremd anmuten mögen, scheinen sie potenziell in das Pflegesetting integrierbar zu sein. 2. Als hilfreich erweist sich hier ein empathischer, einzelfallbetrachtender Zugang bzw. Blick durch Beschäftigte, in diesem Fall verkörpert durch die Sozialpädagogin Frau A., der es gelingt, den Sinn eines einzelnen Ritualgegenstandes und der damit verknüpften Reinigungspraxis zu erkennen und zu vermitteln.42 3. Die islamische Tradition darf in diesem Zusammenhang als besonders leicht zu integrierende Religion betrachtet werden, ermöglicht sie doch eine relativ pragmatische Praxis, die selbst körperlich eingeschränkten Personen eine Fortführung ihrer Religionsausübung ermöglicht und so zur Handlungsautonomie pflegebedürftiger Personen beiträgt.43

4.4.2

Ein freier Mensch

Protokoll und Kontext Auch im Folgenden geht es um eine sozialarbeiterische Perspektive auf Religion, die die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse insbesondere im Hinblick auf Autonomiefragen als wichtig erachtet. Was jedoch passiert, wenn wenig Wissen über Religion vorhanden ist, zeigt ein Interakt, welcher einem Interview mit dem Sozialdienstleiter Herrn B. entstammt. Herr B. ist in einer konfessionellen Einrichtung tätig. Kurz zuvor beschrieb er die Rolle des christlichen Glaubens in der Einrichtung: I: Welche Rolle spielen denn hier nicht-christliche Religionen? (1) Wenn ich das (.) ich hab von katholischen und evangelischen Gottesdiensten gehört. Die Bewohner haben mir dann in den Interviews erzählt (.) aber eigentlich ist das auch egal (.) wir nehmen eigentlich jedes religiöse Angebot wahr. Wie ist es denn bei 41

42 43

Dies bestätigt noch einmal die besondere Relevanz sichtbarer Ausdrucksformen von Religion, wie sie bereits in den Fällen ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied?‹ (Kap. 4.3.1), ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2) sowie ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4) aufgezeigt wurde. Dieser Blick bzw. Zugang deutete sich bereits in den Fällen ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4) und ›Von Neulingen und alten Hasen‹ (Kap. 4.3.5) an. Dieser Befund passt zu Frau A.s früherer Einschätzung pflegeerleichternder Praktiken (vgl. Kap. 4.3.2).

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Religion in der Altenpflege

Bewohnern die vielleicht (.) äh (.) nicht christlich sozialisiert sind (.) ner anderen Religion zugehören?  Herr B.: Ja::. Also (.) aus der Erfahrung hatten wir mal (1) ähm (.) einen muslimischen Bewohner. (1) Ähm (.) also da wird auf jeden Fall auch (.) auf die Sachen geachtet. Zum Beispiel dass er kein Schweinefleisch (.) essen durfte. (1) Und ähm (.) wenn da auch Wünsche sind (.) dann sagen wir den Bewohnern auch (.) ähm (.) also da werden (.) es gibt ja zum Beispiel auch so`n Netzwerk (.) ähm (.) oder Nummern (.) sach ich mal (.) wo man auch anrufen kann. Das hat man zum Beispiel (.) wenn man (.) jetzt nochmal zum christlichen Glauben (.) wenn man wenn jemand vielleicht im Sterben liegt und nochmal den Pfarrer sprechen will (.) dass man dann beim Pfarrer anruft. (1) Und ähm (.) da wär halt auch die Möglichkeit zum Beispiel wenn jemand muslimischen Glaubens ist (.) dass man da vielleicht ne Kontaktperson (.) wenn die (.) einen da (.) ne Kontaktperson nennen (.) ähm (.) ja (.) anrufen kann. Wobei wir auch hier (.) ähm (1) wir waren zum Beispiel auch schon ein Mal inner (.) äh Moschee (.) hier in B-Stadt. Ähm (.) da war der Kontakt dass wir eingeladen wurden. Da waren wir mit einigen Bewohnern die sich dafür interessiert haben. (2) Dann haben wir auch einen (.) ähm (.) indischen (1) äh Bewohner. Da (.) wusste ich letztens noch wie die Religion genau heißt aber (.) @ist mir jetzt auch entfallen.@ (1) Ähm (.) aber da achten wir halt auch drauf (.) dem ist es halt durch seine Religion (.) so äußerlich sehr wichtig (.) zum Beispiel ähm (.) dass er sich den Turban (.) äh (.) fertig macht oder dann auch so (1) Gewänder hat und da wird natürlich auch drauf geachtet dass das dann immer (.) äh (.) alles ordentlich (.) ist (.) dass der das auch alles so (.) machen kann wie er sich das wünscht. (3) Also wenn`s da (.) so viel gab`s da jetzt in der Vergangenheit (.) also seitdem ich hier bin (.) noch nicht. Aber (.) ähm (.) also das wichtigste ist eigentlich so (.) dass der Bewohner so wertgeschätzt wird (.) äh (.) wie er ist und ähm (.) natürlich (.) ist er nen freier Mensch und darf die Sachen so ausleben wie er möchte (.) und wir gucken natürlich dass wir den Bewohnern dabei auch helfen können ne. (6)

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung In Abgrenzung zur offenbar relevanten christlichen Religion eröffnet die Interviewerin den zu untersuchenden Interakt mit einer Frage nach nichtchristlichen Religionen in der Einrichtung (vgl. »Welche Rolle spielen denn hier nicht-christliche Religionen?«). Auffällig dabei ist, dass zum einen abstrakt von Religionen und nicht etwa Glauben, Gläubigen etc. gesprochen wird. Zum anderen wird mit der Partikel »denn« (überhaupt, eigentlich)

IV Empirischer Teil

einer gewissen Selbstverständlichkeit Ausdruck verliehen, nach welcher auch diesen Religionen eine Rolle im Setting zukommen muss. Mit dem Ausdruck ›eine Rolle spielen‹ werden zugleich Assoziationen zum Theaterspiel geweckt, welches u.a. Ausdrucksformen und -möglichkeiten der Schauspieler festlegt. Deutlich wird so die Annahme, dass sich Religion nicht völlig losgelöst von den Rahmenbedingungen im altenpflegerischen Setting ereignen kann. Dass die erste Frage offensichtlich nicht ausreichend ist, um eine explizite Beschreibung Herr B.s hervorzurufen, zeigt der weitere Verlauf des Protokolls: »(1) Wenn ich das (.) ich hab von katholischen und evangelischen Gottesdiensten gehört.« Nach einer kurzen Pause setzt die Interviewerin zunächst mit einem Konditionalsatz ein, der dann jedoch zu einem Hauptsatz auf gewisser empirischer Grundlage (vgl. »ich hab von […] gehört«) gewandelt wird. Wurde zuvor noch nach nicht-christlichen Religionen gefragt, erscheint an dieser Stelle ein Rückbezug auf christliche Rituale notwendig, wobei eine konfessionelle Differenzierung vorgenommen wird. Das fast schon mysteriös anmutende Hörensagen legt nahe, dass die Interviewerin keine genaueren Informationen zu diesen Gottesdiensten hat und zum Zeitpunkt des Interviews selbst noch nicht an solchen teilgenommen hat. Wer ihre Informationsquelle ist, wird im Folgenden deutlich: »Die Bewohner haben mir dann in den Interviews erzählt (.) aber eigentlich ist das auch egal (.) wir nehmen eigentlich jedes religiöse Angebot wahr.« Die Interviewerin gibt zu verstehen, dass sie über ein Insider-Wissen verfügt und dieses mit einer wörtlichen Wiedergabe des von den Bewohnern Gesagten belegen kann. Die reproduzierten Aussagen der Bewohner können dabei so interpretiert werden, dass eine konfessionelle Differenzierung christlicher Angebote auf der Seite der Rezipienten unbedeutend ist und zugleich ein grundsätzliches Interesse an religiösen Angeboten besteht. Mit dem kaufmännisch geprägten Terminus »Angebot« wird ‒ ähnlich dem bereits oben gefallenen Begriff »Rolle« ‒ deutlich, dass die Interviewerin ein Setting voraussetzt, welches über klare Regulierungsmechanismen verfügt und damit auch die Grundlage für religiöse Ausdrucksformen schafft. Es ist zu erwarten, dass Herr B. zu dieser Aussage Stellung bezieht, indem er als Vertreter der Einrichtung etwa das Festhalten an konfessionell getrennten Gottesdiensten verteidigt oder erläutert. Was unmittelbar folgt, ist jedoch ein Rückbezug der Interviewerin auf ihre Ausgangsfrage: »Wie ist es denn bei Bewohnern die vielleicht (.) äh (.) nicht christlich sozialisiert sind (.) ner anderen Religion zugehören?« Damit wird die allgemein gehaltene Frage nach der Rolle von nicht-christlichen Religionen zu einer spezifischen Frage nach dem Verhalten bzw. der Präsenz

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Religion in der Altenpflege

bestimmter Bewohner, die nicht zu der üblichen und deshalb fokussierten christlich sozialisierten Gruppe gehören, und über welche die Interviewerin eben kein Insider-Wissen verfügt. Religion wird hier leicht zögerlich (vgl. »vielleicht (.) äh (.)«) als etwas Gewachsenes fokussiert, was mit dem Hineinwachsen eines Individuums in die Gesellschaft einhergeht bzw. sich in Zugehörigkeit und eben nicht Wahl äußert.44 Nach dieser Frage ergreift nun Herr B. die Möglichkeit zur Stellungnahme: »Ja::. Also (.) aus der Erfahrung hatten wir mal (1) ähm (.) einen muslimischen Bewohner.« Auf einem kollektiven Erfahrungsschatz der Einrichtung aufbauend bezieht sich Herr B. sofort auf einen einzelnen Fall, nämlich »einen muslimischen Bewohner«. Herr B. scheint also mit der Einschätzung der Interviewerin einverstanden zu sein und wird der Frage nach nicht-christlich sozialisierten Bewohnern gerecht. Der unmittelbare Blick auf den einzelnen Bewohner kann zudem als Hinweis auf die professionsförmigen Anteile in Herr B.s Arbeit als Sozialdienstleiter gelesen werden, deren Fokus auf dem zwischenmenschlichen Umgang und eben nicht auf der Verwaltung von Arbeitsabläufen liegt. In letzterem Fall wäre z.B. ein statistischer Überblick über die Belegung anhand von Religionszugehörigkeiten erwartbar gewesen. Ob die Erinnerung an den genannten muslimischen Bewohner, der nun offensichtlich nicht mehr in der Einrichtung ist, positiv oder negativ ist, bleibt an dieser Stelle offen. Herr B. fährt fort: »(1) Ähm (.) also da wird auf jeden Fall auch (.) auf die Sachen geachtet.« Während die Anführung des Fallbeispiels ›muslimischer Bewohner‹ Herrn B. noch schnell über die Lippen kam, wird es nun unspezifisch: Während das »da« nun verallgemeinernd für »bei muslimischen Bewohnern« stehen kann, erscheint der Ausdruck »Sachen« als sehr unpersönlicher Überbegriff bzw. etwas Gegenständliches, dessen Benennung nicht so einfach ist. Denkbar wären hier z.B. Aspekte, die die Religionspraxis betreffen (z.B. Ernährung, Kleidung). Während diese unspezifische Formulierung kurzzeitig die Frage aufwirft, ob Herr B. möglicherweise eine geringe Wertschätzung gegenüber dieser Religion oder Religionen allgemein empfindet, 44

Insgesamt passt diese Perspektive zu Ansätzen in der Alternsforschung, welche diskutieren, ob Religion einen Alterseffekt hat und wie dieser ggf. zu begründen ist (vgl. Ebertz 2007). Umstritten ist u.a., ob eine positive Korrelation zwischen christlicher Religiosität und Alter allein auf eine stärkere religiöse Sozialisation zurückzuführen ist, welche auch im höheren Lebensalter stabil bleibt, oder ob die Dynamik des Lebensverlaufes (z.B. Eintritt in den Ruhestand, vermehrte Verlusterfahrungen) ausschlaggebend ist (vgl. Lois 2013: 9-12).

IV Empirischer Teil

betont der Ausdruck »auf jeden Fall auch« die unbedingte Berücksichtigung »auch« religionsaffiner Sachverhalte, welche er als selbstverständliche Aufgabe der Einrichtung erachtet (vgl. »da wird auf jeden Fall auch […] geachtet«). Damit liefert Herr B. eine erste Antwort auf die Fragen der Interviewerin: Die Bedeutung von nicht-christlichen Religionen zeigt sich im Einrichtungsalltag zuallererst in der notwendigen Beachtung bestimmter »Sachen«, respektive religionsaffiner Sachverhalte durch die Einrichtung. Gleichzeitig verweist der Umweg über den Einzelfall des muslimischen Bewohners darauf, dass der Umgang mit diesem keineswegs einer Routine entsprang und sich vermutlich bis heute kein festes Schema im Umgang mit dieser Klientel herausgebildet hat. Die Klientel sorgt mit ihren religiösen Bedürfnissen bzw. Wünschen potenziell für Irritationen im Einrichtungsalltag. Ob dieser Umstand als negativ, im Sinne von belastend bzw. verunsichernd, oder als positiv betrachtet wird, ist an dieser Stelle noch unklar. Dass Herrn B. durchaus Beispiele für die sogenannten »Sachen« einfallen, zeigt sich im weiteren Verlauf: »Zum Beispiel dass er kein Schweinefleisch (.) essen durfte.« In der Logik von Sozialisation und gewissermaßen Zwang bleibend und als Abweichung von vermutlich christlich sozialisierten Bewohnern formuliert, bringt Herr B. hier nun ein Paradebeispiel für ›typisch‹ muslimisches Verhalten. Es eignet sich deshalb so gut, weil es besonders augenscheinlich ist, indem eben bestimmte Nahrung verweigert wird und dementsprechend schon bei der Zubereitung der Speisen in der Einrichtung auf Alternativen geachtet werden muss. Eine grundsätzliche Versorgung aller Bewohner mit den gleichen Lebensmitteln wird also unterbunden, wobei zu fragen ist, ob ein solche ‒ mit Blick auf bestimmte Krankheiten und eben auch nichtreligiös bedingte Vorlieben ‒ überhaupt denkbar wäre. Im Modus der Augenscheinlichkeit bleibend, ist zu vermuten, dass Herr B., wenn er denn weitere Beispiele für nicht-christliche Religionen bzw. Bewohner bringen wird, weniger auf unsichtbare Glaubensinhalte denn auf sichtbare Praxis abstellen wird. Die nachfolgende Passage ist dann insofern aufschlussreich, als sie den Umgang mit Religion in Beziehung zur beruflichen Praxis setzt: Herr B.: (1) Und ähm (.) wenn da auch Wünsche sind (.) dann sagen wir den Bewohnern auch (.) ähm (.) also da werden (.) es gibt ja zum Beispiel auch so`n Netzwerk (.) ähm (.) oder Nummern (.) sach ich mal (.) wo man auch anrufen kann. Gemäß dem Motto »Für jedes Problem gibt es eine Nummer« wird an dieser Stelle ein Netzwerkdenken präsentiert, welches immer dann zum Einsatz

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Religion in der Altenpflege

kommt, wenn Wünsche formuliert werden, die über die Kapazitäten der Einrichtung hinausgehen. Die Einrichtung ist sich also bewusst darüber, was ihre Aufgaben und Ziele sind ‒ man kann von ihr nicht erwarten, dass sie sich auch im Kleinsten mit den religiösen Wünschen ihrer Bewohner auseinandersetzt. Was sie jedoch garantieren möchte, ist die Möglichkeit einer lösungsorientierten Vermittlung, die wiederum ausgeführt wird von einem Mitarbeiter im z.B. Sozialdienst, so etwa Herrn B. Dabei bringt die Formulierung »wenn da auch Wünsche sind« ganz wesentliche Aspekte auf den Punkt: Ein Wunsch ist ein Begehren (vgl. Duden 2019) und damit etwas anderes als ein menschliches Grundbedürfnis. Die Erfüllung eines kommunizierten Wunsches ist damit eine Serviceleistung der Einrichtung, die auf einer asymmetrischen Beziehung zwischen Personal und pflegebedürftigen, d.h. abhängigen Bewohnern, und einem gleichzeitigen Fürsorgeauftrag fußt. Es stellt sich also übergeordnet die Frage nach Spiel- und Ermöglichungsräumen für nicht-standardisierbare, fallspezifische Vorkommnisse. Wie diese Vermittlungstätigkeit konkret ausgestaltet sein kann, zeigt der weitere Verlauf des Protokolls: Herr B.: Das hat man zum Beispiel (.) wenn man (.) jetzt nochmal zum christlichen Glauben (.) wenn man wenn jemand vielleicht im Sterben liegt und nochmal den Pfarrer sprechen will (.) dass man dann beim Pfarrer anruft. (1) Und ähm (.) da wär halt auch die Möglichkeit zum Beispiel wenn jemand muslimischen Glaubens ist (.) dass man da vielleicht ne Kontaktperson (.) wenn die (.) einen da (.) ne Kontaktperson nennen (.) ähm (.) ja (.) anrufen kann. Während Herr B. beim »christlichen Glauben« noch eine spezifische geistliche Person (vgl. »den Pfarrer«) nennen und entsprechend einfach kontaktieren kann, erscheint das Szenario beim »muslimischen Glauben« imaginär (vgl. »da wär halt auch die Möglichkeit zum Beispiel«) und von Unsicherheiten behaftet (»vielleicht ne Kontaktperson (.) wenn die (.) einen da (.) ne Kontaktperson nennen«). Herr B., aber vermutlich auch die Einrichtung insgesamt verfügen schlichtweg weder über ausgeprägtes Erfahrungswissen noch theoretisches Wissen, wie im Sterbefall mit einem muslimischen Bewohner zu verfahren ist. Noch dazu sind sie auf eine Initiative der Betroffenen angewiesen, was sich im konkreten Sterbefall möglicherweise als schwierig erweisen könnte. Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle also bereits die Hypothese aufstellen, dass Religion sozialisationsbedingt gedacht wird und

IV Empirischer Teil

dementsprechend bestimmte Besonderheiten und Praxiserfordernisse (vgl. Essen, Sterbebegleitung) mit sich zu bringen scheint. Religion scheint insbesondere dann sichtbar zu werden, wenn die eigene Arbeit tangiert bzw. irritiert wird, woraufhin im Falle Herr B.s ein sachliches und nüchternes Verfahren eingeleitet wird (vgl. Kontaktpersonen anrufen). Kennzeichnend für diese Umgangsform ist nicht die Beschäftigung mit den Hintergründen religiöser Wünsche, sondern ihre Berücksichtigung im Arbeitsalltag insofern sie Teil einer umfassenden Sorge für die Bewohner in der Einrichtung sind. Dass das Erfahrungswissen von Herrn B. und der Einrichtung gering, aber dennoch in Ansätzen vorhanden ist, zeigt der weitere Verlauf des Protokolls: Herr B.: Wobei wir auch hier (.) ähm (1) wir waren zum Beispiel auch schon ein Mal inner (.) äh Moschee (.) hier in B-Stadt. Ähm (.) da war der Kontakt dass wir eingeladen wurden. Da waren wir mit einigen Bewohnern die sich dafür interessiert haben. Präsentiert werden hier eine generelle Offenheit und ein Interesse an der islamischen Tradition, welche durch den gemeinschaftlichen Besuch einer Moschee symbolisiert werden. Dass der Besuch einer externen Einladung folgte und nicht der Initiative der Einrichtung entsprang, ähnelt dem bereits skizzierten Umgang im Sterbefall. Auch dort erschien der Umgang eher als Reaktion denn als geplante Eigeninitiative. Während die islamische Tradition als prinzipiell anders, aber in Ansätzen dennoch vertraut wahrgenommen wird, gibt es Angehörige anderer, nichtchristlicher Traditionen in der Einrichtung, für welche sogar die Bezeichnung fehlt: Herr B.: (2) Dann haben wir auch einen (.) ähm (.) indischen (1) äh Bewohner. Da (.) wusste ich letztens noch wie die Religion genau heißt aber (.) @ist mir jetzt auch entfallen.@ Gehörte der muslimische Bewohner dem Einrichtungsgedächtnis an, kann Herr B. aktuell von einem Bewohner berichten, welchen er zu seiner eigenen Beschämung (vgl. lachende Intonation) zunächst nur über seine nationale Herkunft benennen kann. Dem indischen Kontext entspringend könnte hiermit z.B. ein Hindu, Buddhist, Jaina oder Sikh gemeint sein. Ähnlich der Einführung des muslimischen Bewohners erscheint auch der indische Bewohner als Besonderheit, ja in diesem Fall fast schon Rarität, was unmittelbar die Frage nach dem Umgang mit diesem aufkommen lässt. Der Logik

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Religion in der Altenpflege

des Umgangs mit dem muslimischen Bewohner folgend erscheint eine Taktik denkbar, welche aufgrund äußerlich sichtbarer Erscheinungsformen von Religion konkrete Handlungen des Personals einleitet. So auch in diesem Fall: Herr B.: (1) Ähm (.) aber da achten wir halt auch drauf (.) dem ist es halt durch seine Religion (.) so äußerlich sehr wichtig (.) zum Beispiel ähm (.) dass er sich den Turban (.) äh (.) fertig macht oder dann auch so (1) Gewänder hat und da wird natürlich auch drauf geachtet dass das dann immer (.) äh (.) alles ordentlich (.) ist (.) dass der das auch alles so (.) machen kann wie er sich das wünscht. Während die Glaubensinhalte keine Rolle spielen, orientiert sich Herr B. auch hier wieder an äußerlich sichtbaren Merkmalen, die mit dem Verweis auf den Turban nahelegen, dass es sich um einen Angehörigen der Sikh-Religion handelt. Der Turban gilt als ein Erkennungsmerkmal vor allem männlicher Sikhs (vgl. Stukenberg 1995: 9). Zudem wird ein Bedürfnis nach einem gepflegten Äußeren zum Ausdruck gebracht, welches den Reinheitsvorstellungen dieser religiösen Tradition (vgl. ebd.) und/oder dem Wunsch der Einrichtung nach sorgfältiger Arbeit entspringen könnte. Aufschlussreich an dieser Passage ist weiterhin die beschriebene Autonomie des indischen Bewohners: Er ist es, der »sich den Turban (.) äh (.) fertig macht« und es soll ermöglicht werden, »dass der das auch alles so (.) machen kann wie er sich das wünscht«. Diese autonomiebejahende Einstellung lässt im Umkehrschluss jedoch die Frage entstehen, was denn mit nicht-christlichen Bewohnern passiert, die weniger selbstständig sind und möglicherweise ihre religiösen Bedürfnisse und Wünsche nicht (mehr) deutlich kommunizieren können. Die abschließende Passage fasst die bisherigen Analyseergebnisse zusammen: Herr B.: (3) Also wenn`s da (.) so viel gab`s da jetzt in der Vergangenheit (.) also seitdem ich hier bin (.) noch nicht. Aber (.) ähm (.) also das wichtigste ist eigentlich so (.) dass der Bewohner so wertgeschätzt wird (.) äh (.) wie er ist und ähm (.) natürlich (.) ist er nen freier Mensch und darf die Sachen so ausleben wie er möchte (.) und wir gucken natürlich dass wir den Bewohnern dabei auch helfen können ne. (6) Im Umgang mit nicht-christlichen Religionen bestätigt sich der geringe Erfahrungsschatz Herr B.s und vermutlich auch der Einrichtung insgesamt. Dennoch gilt es, auch diese Religionen zu berücksichtigen, weil eine Wertschätzung der Bewohner als »das wichtigste« erachtet wird: Als potenziel-

IV Empirischer Teil

ler Bestandteil eines menschlichen Wesens (vgl. »so wertgeschätzt wird (.) äh (.) wie er ist«) muss eben auch Religion mitbedacht werden. Neben die Wertschätzung tritt nun noch die Betonung einer als selbstverständlich angenommenen Freiheit und Selbstverwirklichungsmöglichkeit des Menschen (vgl. »natürlich (.) ist er nen freier Mensch und darf die Sachen so ausleben wie er möchte«). Hatte sich in der Analyse bereits eine gewisse Selbstständigkeit der Bewohner als Grundvoraussetzung für die Berücksichtigung von Religion herausgestellt, scheint eben diese Autonomie nun betonenswert. Nimmt man den letzten Satz des Protokolls hinzu, wird deutlich, warum diese Perspektive betont werden muss: »und wir gucken natürlich dass wir den Bewohnern dabei auch helfen können ne. (6)« Dadurch, dass diese Menschen in der Einrichtung leben und damit pflegebedürftige Bewohner sind, sind sie nicht so frei, wie es die ethische Devise Herr B.s vermittelt: Das Ausleben-Möchten der Bewohner steht in potenzieller Spannung zum Helfen der Einrichtung. Damit gerät Religion, als eine mögliche Facette von Autonomieäußerungen, spätestens mit dem Leben in der Einrichtung vor die Herausforderung, sich behaupten, d.h. wahrnehmbar äußern zu müssen. Es liegt die Vermutung nahe, dass sichtbare religiöse Praktiken bei einer Einstellung, wie Herr B. sie vertritt, ohne größere Probleme in das Setting eingebunden werden können. Vorteilhaft für diese Einbindung ist möglicherweise Herr B.s Offenheit gegenüber fremden Religionen, die mit einer tendenziellen religionskundlichen Unwissenheit einhergeht: Es muss stets im Einzelfall geprüft werden, welche Wünsche ein Bewohner hat, ohne jedoch nach den spezifischen Hintergründen zu fragen. Solange ein Bewohner seine religiös motivierten Wünsche äußern kann, ist diese Haltung sicherlich unproblematisch, doch was eben mit den stärker abhängigen Bewohnern und ihren Bedürfnissen passiert, bleibt ungewiss. Möglicherweise bleiben sie auf der Strecke. Zusammenfassend können also folgende Befunde festgehalten werden: 1. Die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse wird auch in diesem Fall als selbstverständliche Aufgabe der Einrichtung und des entsprechenden Personals betrachtet.45

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Dieser Befund deckt sich mit den entsprechenden Befunden zu den Fällen ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2), ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹ (Kap. 4.3.3), ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4) und ›Von Neulingen und alten Hasen‹ (Kap. 4.3.5).

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Religion in der Altenpflege

2. Das Wissen über unterschiedliche religiöse Hintergründe und daraus ableitbare Bedürfnisse auf Bewohnerseite scheint je nach religiöser Tradition unterschiedlich stark ausgeprägt zu sein.46 3. Religionskundliche Unwissenheit hinsichtlich bestimmter Traditionen kann sich als vorteilhaft erweisen, indem einzelfallbezogen religiöse Bedürfnislagen ermittelt werden müssen, ohne sich an festen Schemata bzw. Stereotypen abarbeiten zu können.47 4. Die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse scheint eine Kommunikationsfähigkeit der betreffenden Bewohner vorauszusetzen. Was passiert, wenn diese Fähigkeit nicht (mehr) gegeben ist, bleibt hingegen ungewiss. 5. Insgesamt erscheint das Ausleben von Religiosität als Teil menschlicher Autonomieäußerung, die im altenpflegerischen Setting in eine Spannung zum Fürsorgeauftrag der Einrichtung geraten kann.48

4.5

Heimleitung

Das vorherige Kapitel beleuchtete die Perspektive des Sozialdienstes und zeigte auf, wo sich Religion im Kontext von sozialarbeiterischer Betreuung und Begleitung zeigen kann und welche Umgangsformen mit ihr möglich sind. Eine besondere Bedeutung kam hierbei dem Zusammenhang von Religion und Autonomiefragen zu. Wie sich der Umgang mit Religion im Hinblick auf die Leitungsperspektive gestalten kann, sollen die nachfolgenden zwei Fälle illustrieren.

4.5.1

Das Raucherhäuschen

Protokoll und Kontext Als ein Beispiel für Herausforderungen, die sich aus dem Aufeinandertreffen von religiös und nicht-religiös geprägten Formen der Lebensführung erge46

47 48

Dieser Befund passt zu den Interpretationsergebnissen zum Fall ›Von Neulingen und alten Hasen‹ (Kap. 4.3.5) insofern als der religionssensible Wissenstransfer in diesem Fall aufgrund fehlender Erfahrungen noch nicht so weit fortgeschritten ist. Besonders deutlich wurde die Relevanz der einzelfallbezogenen Perspektive im vorherigen Kapitel. Dies bestätigt die entsprechenden Befunde zu den Fällen ›Religion in einem Leitbild‹ (Kap. 4.2), ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied?‹ (Kap. 4.3.1), ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2) sowie ›Der runde Stein‹ (Kap. 4.4.1).

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Religion in der Altenpflege

2. Das Wissen über unterschiedliche religiöse Hintergründe und daraus ableitbare Bedürfnisse auf Bewohnerseite scheint je nach religiöser Tradition unterschiedlich stark ausgeprägt zu sein.46 3. Religionskundliche Unwissenheit hinsichtlich bestimmter Traditionen kann sich als vorteilhaft erweisen, indem einzelfallbezogen religiöse Bedürfnislagen ermittelt werden müssen, ohne sich an festen Schemata bzw. Stereotypen abarbeiten zu können.47 4. Die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse scheint eine Kommunikationsfähigkeit der betreffenden Bewohner vorauszusetzen. Was passiert, wenn diese Fähigkeit nicht (mehr) gegeben ist, bleibt hingegen ungewiss. 5. Insgesamt erscheint das Ausleben von Religiosität als Teil menschlicher Autonomieäußerung, die im altenpflegerischen Setting in eine Spannung zum Fürsorgeauftrag der Einrichtung geraten kann.48

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Heimleitung

Das vorherige Kapitel beleuchtete die Perspektive des Sozialdienstes und zeigte auf, wo sich Religion im Kontext von sozialarbeiterischer Betreuung und Begleitung zeigen kann und welche Umgangsformen mit ihr möglich sind. Eine besondere Bedeutung kam hierbei dem Zusammenhang von Religion und Autonomiefragen zu. Wie sich der Umgang mit Religion im Hinblick auf die Leitungsperspektive gestalten kann, sollen die nachfolgenden zwei Fälle illustrieren.

4.5.1

Das Raucherhäuschen

Protokoll und Kontext Als ein Beispiel für Herausforderungen, die sich aus dem Aufeinandertreffen von religiös und nicht-religiös geprägten Formen der Lebensführung erge46

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Dieser Befund passt zu den Interpretationsergebnissen zum Fall ›Von Neulingen und alten Hasen‹ (Kap. 4.3.5) insofern als der religionssensible Wissenstransfer in diesem Fall aufgrund fehlender Erfahrungen noch nicht so weit fortgeschritten ist. Besonders deutlich wurde die Relevanz der einzelfallbezogenen Perspektive im vorherigen Kapitel. Dies bestätigt die entsprechenden Befunde zu den Fällen ›Religion in einem Leitbild‹ (Kap. 4.2), ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied?‹ (Kap. 4.3.1), ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2) sowie ›Der runde Stein‹ (Kap. 4.4.1).

IV Empirischer Teil

ben können, soll ein Fall dienen, der einem Interview mit dem Leiter einer konfessionell getragenen Altenpflegeeinrichtung entstammt. Dem vorliegenden Protokoll ging voraus, dass der Einrichtungsleiter Herr K. von regelmäßig stattfindenden Gottesdiensten berichtete, in denen die Bewohner und die Gemeinde zusammenkommen würden und die Bibel eine große Rolle spiele. Das zu untersuchende Protokoll lautet wie folgt: Herr K.: Ja (.) das ist das (.) was so im (.) strenger religiösen Bereich (.) äh (.) äh (.) so hier im Haus passiert. Wichtig ist mir eigentlich vielmehr dass (.) ja (.) wie wie leben wir denn als Christen. Ich kann viel erzählen (.) und aus der Bibel vorlesen oder die Bibel zitieren (.) das hat alles keinen Wert (.) wenn es sich nicht mit meinem Leben in irgendeiner Weise auch verbindet. (1) Äh (.) eins ist uns noch noch wichtig. Zu den (1) zu den Mitarbeitern vielleicht nochmal kurz (1) äh (.) und dann schließt sich vielleicht auch son Stück weit der Kreis. Äh ich sag (.) ich hatte ja gesagt (.) Mitarbeiter ist egal (.) sie müssen äh nur unsere Grundsätze im Prinzip akzeptieren. Wir haben auch rauchende Mitarbeiter. Wir haben mit Sicherheit Mitarbeiter die auch Alkohol trinken. Äh (.) das interessiert mich alles nich. Hier im Haus ist Alkohol sowieso (.) äh (.) für Mitarbeiter @sicherlich kein Thema@. Dann aus ganz anderen Gründen. Rauchen (.) äh ist hier nen Thema. Dass sie hier im Haus wissen hier dürfen sie nicht rauchen. Es gibt auch kein Raucherzimmer. Es gibt auf dem Gelände ein Raucherhäuschen (.) äh (.) wo sie sich dann zurückziehen können (.) mal (.) äh (1) wenn sie das wollen. Grundsätzlich sagen wir (.) und fragen wir jeden (.) sind Sie in der Lage (.) äh (.) sieben Stunden ihre Schicht auf Rauchen zu verzichten? Das wäre gut. (1) Äh (.) die Mitarbeiter wissen (.) es wird nicht unbedingt gern gesehen. Es wird aber auch niemand gekündigt oder (.) äh (.) verfolgt. Ich weiß genau welche Mitarbeiter (.) weil sie alle an meinem Fenster @vorbeigehen müssten@. Und ich weiß (.) aha (.) der hat Pause. Und der macht seine Pause draußen (.) @bei circa (.) äh (.) minus drei bis (.) plus fünf Grad@. Das macht keiner freiwillig. Der ist unterwegs (1) um mal kurz zu rauchen. Das ist seine Pause und der soll da machen was er will. Äh (.) äh (1) äh (.) aber (.) wenn er alle zehn Minuten rausgeht (.) was in anderen Häusern (.) so das (.) diese netten Raucherpausen mal eben schnell gemacht wird (.) da schreiten wir dann tatsächlich ein und sagen (.) stopp (.) so ist das nicht. Hier gibt es feste Pausen. An die halten Sie sich. Und da nehme ich auch auf Rauchen keine Rücksicht und sage (.) tut mir leid (.) is hier nicht so. Da haben Sie den falschen Platz erwischt. Auch das weiß jeder vorher und von daher hab ich auch kein schlechtes Gewissen dann (.) weil ich denke immer wenn

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Religion in der Altenpflege

man es vorher sagt (.) worauf man sich einlässt dann (.) und derjenige sich entscheidet (.) dann soll er auch dazu stehen. Und dann (.) äh (.) fühl ich mich da jetzt da also nicht wie der Diktator (.) sondern sag (.) tut uns leid. Das war (.) unsere Vereinbarung. Halten Sie sich dran. (1) Äh (3) wir ähm (.) was äh (.) was unseren Anteil (.) was wir den Mitarbeitern aber geben wollen ist (.) einmal (.) dass wir (.) alle Mitarbeiter die bei uns im Haus arbeiten (.) verpflichtet haben oder auch alle Zukünftigen verpflichten (.) dass sie einen (.) an einem Seminar zur adventistischen Unternehmenskultur teilnehmen. Äh (.) das (.) äh (.) machen wir aus dem Grund (.) dass wir sagen in som Vorstellungsgespräch äh (.) kann man Vieles anschneiden und die wichtigen Eckpunkte auch kurz darstellen (.) man kann aber überhaupt nicht in die Tiefe gehen. Wir führen eben keine Bibelgespräche in (.) als Vorstellungsgespräch. Das kann durchaus auch mal dahin driften wenn jemand Interesse hat erzählen wir gerne. Aber es ist natürlich das Ziel eines Bewerbungsgespräches (hustet). Aber es ist uns wichtig dass unsere Mitarbeiter die Hintergründe natürlich wissen (.) warum und wieso ist das denn so. Warum (.) wird denn hier nicht geraucht? Warum legen wir da so viel Wert drauf? (.) Warum gibt es hier manche Fleischsorten nicht? Warum (.) reden sich (.) äh (.) die Mitglieder der adventistischen Kirche (.) die Bewohner und die Mitarbeiter mit Du an (.) obwohl wir sonst grundsätzlich jeden Bewohner selbstverständlich siezen (.) und ich auch (.) ne (.) nicht jeden Mitarbeiter sieze (.) mit manchen duze ich mich auch (.) wenn ich die länger kenne. Aber sieze äh duze mich auch mit denen (.) die äh (.) die äh vielleicht morgen erst anfangen aber zu unserer adventistischen Kirche gehören (.) weil es bei uns so üblich ist (.) dass wir uns mit (.) äh (.) klingt auch etwas antiquiert (.) mit Bruder und Schwester (.) und dann eben mit Du anreden. Das Bruder und Schwester stirbt immer mehr aus (.) man wählt dann in der Regel dann den Vornamen (.) aber durchaus nicht immer (.) äh (.) das gehört zu unserer (.) kirchlichen muss ich da sagen (.) nicht christlichen (.) hat ja mit christlich erstmal nicht so viel zu tun (.) obwohl es was ausdrückt. Eben auch dieses Bruder und Schwester (.) dass man sagt (.) wir sind uns eigentlich nah (.) wir sind ein Stück seelenverwandt (.) und das soll sich auch in unserem Leben zeigen. Äh (.) wenn jemand aus unserer Kirche in Not gerät (.) dann gucken wir dass wir uns als Kirche auch für den (.) engagieren. Und das ist (.) hat was mit Brüderlichkeit oder Schwesterlichkeit (.) zu tun (.) und deshalb äh (.) finde ich (.) auch diesen Namen (.) wenn man sich mal dran gewöhnt hat (.) äh für mich ist es völlig normal (.) das dann so zu machen. Das weiß aber jeder andere nicht. Der denkt (.) was wo bin ich hier hingeraten? Äh und deshalb ist es gut wenn man dafür ne Erklärung kriegt.

IV Empirischer Teil

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Mit dem Anschluss »Ja (.) das ist das (.) was so im (.) strenger religiösen Bereich (.) äh (.) äh (.) so hier im Haus passiert.« schließt Herr K. seine Ausführungen zu den Gottesdiensten und zur Bibel, die er dem »strenger religiösen Bereich« zuordnet. Im Setting scheint es also nicht-religiöse und religiöse Bereiche zu geben, wobei sich Letztere noch einmal im Hinblick auf ihre Intensität unterscheiden. Religion kann damit als ein wesentlicher Bestandteil organisationsinterner Ordnung betrachtet werden, indem sie Bereiche strukturiert. Gleichzeitig ist die Lesart mitzuführen, dass religionsaffine Sachverhalte im Haus »passieren«, d.h. geschehen, ohne dass ein aktives Zutun Herr K.s erforderlich ist, was für eine potenzielle Eigendynamik religiöser Sachverhalte sprechen würde. Erwartbar ist, dass Herr K. im Folgenden Bereiche ausführt, die im weniger strengen religiösen Bereich zu verorten sind, gleichwohl aber einen Bezug zum Thema Religion erlauben. Herr K. schließt mit folgender Aussage an: Herr K.: Wichtig ist mir eigentlich vielmehr dass (.) ja (.) wie wie leben wir denn als Christen. Mit dieser persönlichen Stellungnahme rückt das Leben als Christ, also eine christliche Art der Lebensführung in den Fokus. Herr K. versteht sich als Teil einer noch unspezifizierten Gruppe (vgl. »wir«), an die er gleichsam seine Vorstellungen bzw. Erwartungen heranträgt. Der Bezug auf das Christentum ist spezifisch und unspezifisch zugleich, insofern als es hier nicht allgemein um das Leben als Mensch auf dieser Erde geht, gleichzeitig jedoch auch keine bestimmte Konfession adressiert wird. Mit der nun folgenden Aussage konkretisiert Herr K. seine Vorstellung von christlicher Lebensführung: Herr K.: Ich kann viel erzählen (.) und aus der Bibel vorlesen oder die Bibel zitieren (.) das hat alles keinen Wert (.) wenn es sich nicht mit meinem Leben in irgendeiner Weise auch verbindet. Während der Protokollausschnitt auf eine religiöse Kompetenz Herr K.s verweist (vgl. »Ich kann […]«) und damit unmittelbar an seine Funktion in den der Sequenz vorausgehend geschilderten Gottesdiensten anknüpft, kennzeichnet er das Leben als Christ als eine grundsätzliche Herausforderung: Als Christ leben müsse mehr bedeuten als das bloße Rezipieren der Bibel, was sich als eine kognitive Dimension von Religion auffassen lässt. Das Rezipierte müsse sich mit dem Leben des Einzelnen in einer noch zu bestimmenden Weise ver-

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Religion in der Altenpflege

knüpfen, indem es zu einer spezifischen Lebensführung animiert.49 Folglich kann angenommen werden, dass die christlich motivierte Lebensführung für Herrn K. wesentliches Leitmotiv seiner Führung der Altenpflegeeinrichtung ist. Es ist also zu fragen, ob und wie dieser Anspruch in der Praxis umgesetzt werden kann. Der nachfolgende Protokollverlauf kann als ein Beispiel für die Frage nach der Umsetzung betrachtet werden: Herr K.: (1) Äh (.) eins ist uns noch noch wichtig. Zu den (1) zu den Mitarbeitern vielleicht nochmal kurz (1) äh (.) und dann schließt sich vielleicht auch son Stück weit der Kreis. Äh ich sag (.) ich hatte ja gesagt (.) Mitarbeiter ist egal (.) sie müssen äh nur unsere Grundsätze im Prinzip akzeptieren. Wie ein spontaner Einwurf wirkend, spricht Herr K. nun aus der leitenden Wir-Perspektive, indem er dem Thema Mitarbeiter eine argumentative Wichtigkeit zukommen lässt. Dabei versprechen die noch ausstehenden Ausführungen zu dieser Thematik einen unmittelbaren Anschluss an das bisher Gesagte ‒ was aus sequenzanalytischer Perspektive weniger verwunderlich erscheint als es hier bewusst verbalisiert wird: Der Ausspruch »[ä]h ich sag (.) ich hatte ja gesagt (.) Mitarbeiter ist egal« wiederholt eine Aussage, die offenbar schon einmal im Laufe des Interviews getätigt wurde. In Bezug auf die Tatsache, dass es sich bei Mitarbeitern um menschliche Wesen handelt, wirkt die Aussage salopp, ja fast schon ›flapsig‹: Sie könnte so verstanden werden, dass die Akzeptanz von bestimmten Grundsätzen »im Prinzip«, d.h. grundsätzlich, wichtig sei ‒ egal um welche Art von Mitarbeitern es sich handelt (z.B. Pflegefachkräfte, Küchenpersonal). Die Aussage könnte jedoch auch so gelesen werden, dass die Berücksichtigung der Grundsätze das wichtigste sei, wohingegen Mitarbeiter an sich (in ihrer Persönlichkeit etc.), egal, im Sinne von ›austauschbar‹, für die Einrichtung erscheinen. Sehr wahrscheinlich ist aber eine Lesart, nach der die oben angedeutete christliche Lebensführung für die Mitarbeiter nicht bindend ist, solange diese sich an übergeordnete Grundsätze halten. Dies spräche für eine von Herrn K. akzeptierte Abstufung christlicher und nicht-christlicher Formen der Lebensführung, die etwa einem Mangel an Personal geschuldet sein könnte und seine Einrichtung insgesamt plural, aber auch herausfordernd macht.

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Dies erinnert an Max Webers Überlegungen zu Formen innerweltlicher Askese (vgl. Weber 2016).

IV Empirischer Teil

Herr K.: Wir haben auch rauchende Mitarbeiter. Wir haben mit Sicherheit Mitarbeiter die auch Alkohol trinken. Rauchende Mitarbeiter und Mitarbeiter, die Alkohol trinken, werden zum Sinnbild dessen, was Herr K. vermutlich aus seiner christlichen Lebensführung heraus ablehnt und dementsprechend fokussiert. Gleichzeitig gibt es diese Mitarbeiter in der Einrichtung (vgl. »Wir haben […]«), was dafürspricht, dass es zumindest auf Mitarbeiterseite kein generelles Rauch- und Alkoholverbot in Form der Akzeptanz von Grundsätzen geben kann. Während das Rauchen sichtbar ist (vgl. »rauchende Mitarbeiter«), kann Herr K. einen Alkoholkonsum nur vermuten, was mit arbeitsschutzgesetzlichen Vorgaben (etwa Alkoholverbot am Arbeitsplatz) zusammenhängen könnte. Es stellt sich also die Frage, wie Herr K. als Einrichtungsleiter mit der Konfrontation durch eine ihm fremde Lebensweise umgeht: Herr K.: Äh (.) das interessiert mich alles nich. Hier im Haus ist Alkohol sowieso (.) äh (.) für Mitarbeiter @sicherlich kein Thema@. Dann aus ganz anderen Gründen. Rauchen (.) äh ist hier nen Thema. Dass sie hier im Haus wissen hier dürfen sie nicht rauchen. Es gibt auch kein Raucherzimmer. Herr K. scheint auf den ersten Blick einen unproblematischen und unpersönlichen (vgl. »das interessiert mich alles nich«) Weg gefunden zu haben, kann er sich doch auf die bereits vermuteten arbeitsschutzgesetzlichen Vorgaben bzw. Verbote beziehen, was einen Alkoholkonsum unwahrscheinlich, ja fast schon unvorstellbar (vgl. lachende Intonation bei »@sicherlich kein Thema@«) macht. Da sich das Rauchen jedoch nicht auf diese Weise verhindern lässt, ist es zwangsläufig ein wiederkehrendes Thema, für das es anderer, d.h. interner Regelungen bedarf. Es scheint eine Vereinbarung zu geben, die das Rauchen im Haus explizit verbietet, wofür die Nicht-Bereitstellung eines spezifischen und sonst vermutlich üblichen Raucherzimmers Pate steht. Doch dass es irgendeine Räumlichkeit für den Tabakkonsum geben muss, damit die Mitarbeiter nicht etwa einfach vor dem Gebäude rauchen, zeigt der nachfolgende Protokollausschnitt: Herr K.: Es gibt auf dem Gelände ein Raucherhäuschen (.) äh (.) wo sie sich dann zurückziehen können (.) mal (.) äh (1) wenn sie das wollen. Grundsätzlich sagen wir (.) und fragen wir jeden (.) sind Sie in der Lage (.) äh (.) sieben Stunden ihre Schicht auf Rauchen zu verzichten? Das wäre gut. (1)

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Religion in der Altenpflege

Einer bewussten Ausgliederung der rauchenden Mitarbeiterschaft in ein weiter entfernt stehendes Raucherhäuschen auf dem Einrichtungsgelände wird hier ein Bild von einem freiwilligen Rückzugsort für Mitarbeiter entgegengesetzt. Die Einrichtungsleitung muss sich also nicht vorwerfen lassen, ihre rauchenden Mitarbeiter schlecht zu behandeln, denn zumindest ist für eine kleine, überdachte Möglichkeit zum Rauchen gesorgt. Gleichzeitig möchte man aus Leitungsperspektive eigentlich keine rauchenden Mitarbeiter, was sich auch in dem Satzbau »Grundsätzlich sagen wir (.) und fragen wir jeden« offenbart: Es gibt grundsätzliche Prinzipien der Einrichtung, die beispielsweise in einem Bewerbungsgespräch klar ausgedrückt werden könnten ‒ ganz nach dem Motto: »Rauchen? So etwas gibt es bei uns nicht. Fertig. Aus.« In der tatsächlichen Praxis kann dies aber offensichtlich nicht so einfach umgesetzt werden, weswegen dann auch an die Kompetenz und das Durchhaltevermögen des Mitarbeiters appelliert wird (vgl. »[…] fragen wir jeden (.) sind Sie in der Lage […]). Somit wird versucht, das Problem, welches Herr K. als Einrichtungsleiter mit dem Rauchen hat, zum Problem der Mitarbeiter werden zu lassen, welchen ein Rauchverzicht sehr nahegelegt wird (vgl. »Das wäre gut.«). Nun könnte davon ausgegangen werden, dass mit dem Raucherhäuschen und dem Versuch, in einem Gespräch den Rauchverzicht nahezulegen, das Thema beendet sein müsste. Dass dem nicht so ist, zeigt der weitere Verlauf des Protokolls, der nun zusammenfassend in größeren Passagen interpretiert wird: Herr K.: (1) Äh (.) die Mitarbeiter wissen (.) es wird nicht unbedingt gern gesehen. Es wird aber auch niemand gekündigt oder (.) äh (.) verfolgt. Ich weiß genau welche Mitarbeiter (.) weil sie alle an meinem Fenster @vorbeigehen müssten@. Und ich weiß (.) aha (.) der hat Pause. Und der macht seine Pause draußen (.) @bei circa (.) äh (.) minus drei bis (.) plus fünf Grad@. Das macht keiner freiwillig. Der ist unterwegs (1) um mal kurz zu rauchen. Das ist seine Pause und der soll da machen was er will. Die Passage führt sehr deutlich vor Augen, wie Herr K. immer wieder mit dem Thema Rauchen konfrontiert wird und versucht, die Angelegenheit nicht persönlich zu nehmen (vgl. die Passivkonstruktionen »es wird nicht unbedingt gern gesehen« und »Es wird aber auch niemand gekündigt oder (.) äh (.) verfolgt«). Er ist es jedoch, der genau beobachtet, die entsprechenden Mitarbeiter an seinem Fenster vorbeigehen sieht und genau weiß, was sie beabsichtigen. Dies scheint ihn zu ärgern, auch wenn er versucht, die Angelegenheit

IV Empirischer Teil

mit Humor zu betrachten (vgl. lachende Intonationen) und die Eigenverantwortlichkeit des Mitarbeiters zu betonen (vgl. »Das ist seine Pause und der soll da machen was er will.«). Folglich stellt sich die Frage, wie lange eine Konfrontation mit diesem unliebsamen Verhalten gut gehen kann: Herr K.: Äh (.) äh (1) äh (.) aber (.) wenn er alle zehn Minuten rausgeht (.) was in anderen Häusern (.) so das (.) diese netten Raucherpausen mal eben schnell gemacht wird (.) da schreiten wir dann tatsächlich ein und sagen (.) stopp (.) so ist das nicht. Hier gibt es feste Pausen. An die halten Sie sich. Und da nehme ich auch auf Rauchen keine Rücksicht und sage (.) tut mir leid (.) is hier nicht so. Da haben Sie den falschen Platz erwischt. Auch das weiß jeder vorher und von daher hab ich auch kein schlechtes Gewissen dann (.) weil ich denke immer wenn man es vorher sagt (.) worauf man sich einlässt dann (.) und derjenige sich entscheidet (.) dann soll er auch dazu stehen. Und dann (.) äh (.) fühl ich mich da jetzt da also nicht wie der Diktator (.) sondern sag (.) tut uns leid. Das war (.) unsere Vereinbarung. Halten Sie sich dran. Es scheint eine Absprache darüber zu geben, wie oft das Raucherhäuschen aufgesucht werden darf, ohne eine direkte Auseinandersetzung mit der Einrichtungsleitung zu provozieren. Auch hier spricht Herr K. zunächst wieder für ein Kollektiv, welches deutliche Ansagen in kritischen Situationen macht (vgl. »da schreiten wir dann tatsächlich ein und sagen (.) stopp«). Dann aber spricht er wieder für sich selbst (vgl. »Und da nehme ich […]« und »von daher hab ich […]« usw.), was als Ausdruck persönlicher Betroffenheit gelesen werden kann, insofern als sich Herr K. vom Bild eines Diktators abzugrenzen versucht, indem er auf Vereinbarungen in gegenseitigem Einverständnis verweist. Spätestens an dieser Stelle lässt sich fragen, was das Ganze denn nun mit dem Thema Religion zu tun hat. Zwar wurde zu Beginn eine christliche Lebensführung propagiert, doch könnte man das Gesagte nun auch als persönliche Abneigung Herr K.s und Anderer gegen Raucher bzw. das Rauchen an sich verstehen, die sich unter dem Deckmantel von Religion verbirgt. Dass die Situation in diesem Fall anders gelagert ist, offenbart der folgende Protokollausschnitt: Herr K.: (1) Äh (3) wir ähm (.) was äh (.) was unseren Anteil (.) was wir den Mitarbeitern aber geben wollen ist (.) einmal (.) dass wir (.) alle Mitarbeiter die bei uns im Haus arbeiten (.) verpflichtet haben oder auch alle Zukünfti-

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gen verpflichten (.) dass sie einen (.) an einem Seminar zur adventistischen Unternehmenskultur teilnehmen. Die Mitarbeiter sollen im besten Fall also nicht nur auf das Rauchen verzichten, sondern erhalten im Gegenzug auch etwas von der Einrichtung, dessen Annahme wiederum nicht freiwillig, sondern verpflichtend ist: eine Teilnahme »an einem Seminar zur adventistischen Unternehmenskultur«. Dieser Hinweis macht dreierlei deutlich: 1. Die Einrichtung ist adventistisch geprägt. Beim Adventismus handelt es sich um eine auf den Baptistenprediger William Miller (1782-1849) zurückgehende millenaristische Bewegung. Nach dem Ausbleiben der prophezeiten Wiederkunft Christi entwickelten sich ab 1844 mehrere adventistische Gruppierungen, deren bekannteste die heutige Freikirche der sogenannten Siebenten-Tags-Adventisten (STA) ist (vgl. Knight 1998: 127-130). Diese wird dem Protestantismus zugerechnet, enthält jedoch auch zentrale Vorschriften und Praktiken, die auf das Alte Testament zurückgehen (u.a. Sabbat-Gebot, Speisevorschriften, aus denen z.B. ein Alkohol- und Tabakverbot abgeleitet wird) (vgl. Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland 2018a). Da laut STA der Zeitpunkt der Wiederkunft Christi nicht prophezeit wurde, der Zustand der Welt jedoch auf sein baldiges Kommen verweise, seien die Gläubigen aufgefordert, sich bereit zu halten und ihr Leben entsprechend auszurichten (vgl. ebd. 2018b). 2. Verknüpft wird die religiöse Motivation der Einrichtung mit Konzepten, die der Wirtschaft zuzuordnen sind: So lässt sich ›Unternehmenskultur‹ verstehen als »Grundgesamtheit gemeinsamer Werte, Normen und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten der Organisationsmitglieder prägen« (vgl. Lies 2018). Dabei bilde sie den »handlungsprägenden Rahmen« (ebd.) von Unternehmenskommunikation innerhalb der Organisation und nach außen hin in Bezug auf die Fremdwahrnehmung durch Dritte. 3. Der Ausdruck ›adventistische Unternehmenskultur‹ macht also deutlich, dass die Einrichtung ein wirtschaftliches Unternehmen ist und entsprechend funktioniert, ihr Inhalt bzw. Programm jedoch idealerweise durch geteilte religiöse Vorstellungen und Verhaltensweisen geprägt sein soll. Diesen Inhalt gilt es in einem spezifischen Seminar zu vermitteln, da ja bereits deutlich wurde, dass bezüglich der Mitarbeiterschaft nicht von vornherein von einem solchen geteilten Wissensbestand ausgegangen

IV Empirischer Teil

werden kann. Dabei erscheint der Begriff ›adventistische Unternehmenskultur‹ besonders anschlussfähig für Personen, die weniger oder keinen Bezug zur Religion haben, da ja z.B. nicht von einem ›Seminar für adventistische Glaubensgrundlagen‹ gesprochen wird. Die grundsätzliche Orientierung am System ›Wirtschaft‹ wird dann auch im weiteren Verlauf deutlich: Herr K.: Äh (.) das (.) äh (.) machen wir aus dem Grund (.) dass wir sagen in som Vorstellungsgespräch äh (.) kann man Vieles anschneiden und die wichtigen Eckpunkte auch kurz darstellen (.) man kann aber überhaupt nicht in die Tiefe gehen. Wir führen eben keine Bibelgespräche in (.) als Vorstellungsgespräch. Das kann durchaus auch mal dahin driften wenn jemand Interesse hat erzählen wir gerne. Aber es ist natürlich das Ziel eines Bewerbungsgespräches (hustet). Vorstellungsgespräche haben einen relativ festen Ablauf, auch die Inhalte sind grob vorstrukturiert, sodass sie sich eindeutig von »Bibelgesprächen« abgrenzen lassen. In diesen Rahmen formaler Vorgaben reiht sich nun aber das große Interesse der Leitung, Religion zum Thema werden zu lassen. Abweichungen vom Kurs (vgl. »dahin driften«) sind also durchaus denkbar und werden gerne in Kauf genommen. Es ließe sich die Frage anknüpfen, ob Herr K., wenn es denn genügend an Religion interessierte und entsprechend kompetente Bewerber geben würde, ein Bibelgespräch als echte Alternative zum gängigen Vorstellungsgespräch betrachten würde. Was in einem gängigen Vorstellungsgespräch eben nicht in der Tiefe behandelt werden kann, für die Einrichtung aber bedeutsam, da identifikationsstiftend ist, macht Herr K. im Folgenden deutlich: Herr K.: Aber es ist uns wichtig dass unsere Mitarbeiter die Hintergründe natürlich wissen (.) warum und wieso ist das denn so. Warum (.) wird denn hier nicht geraucht? Warum legen wir da so viel Wert drauf? (.) Warum gibt es hier manche Fleischsorten nicht? Warum (.) reden sich (.) äh (.) die Mitglieder der adventistischen Kirche (.) die Bewohner und die Mitarbeiter mit Du an (.) obwohl wir sonst grundsätzlich jeden Bewohner selbstverständlich siezen (.) und ich auch (.) ne (.) nicht jeden Mitarbeiter sieze (.) mit manchen duze ich mich auch (.) wenn ich die länger kenne. Aber sieze äh duze mich auch mit denen (.) die äh (.) die äh vielleicht morgen erst anfangen aber zu unserer adventistischen Kirche gehören (.) weil es bei uns so üblich ist

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(.) dass wir uns mit (.) äh (.) klingt auch etwas antiquiert (.) mit Bruder und Schwester (.) und dann eben mit Du anreden. Das Spannende an dieser Passage ist, dass sich die Selbstbeschreibung an der Darstellung des Anderen abarbeitet, ohne jedoch das Andere als das Fremde zu markieren. In diesem Fall ist das Andere zunächst einmal das Gängige, gesellschaftlich eher Vertraute, wohingegen das Eigene eben besonders ist und einer besonderen Begründung bedarf: Nicht zu rauchen bedarf im Gegensatz zum Rauchen einer Erklärung, die Auswahl bestimmter Fleischsorten aus einem theoretisch viel größeren Angebot ebenso. Das Duzen adventistischer Kirchenmitglieder übergeht gängige Höflichkeitsformen, indem es auf andere Gesetzlichkeiten verweist (vgl. »weil es bei uns so üblich ist«). Der adventistischen Einrichtung lässt sich also eine gewisse Eigengesetzlichkeit unterstellen, die sich u.a. im Verzicht auf andere Möglichkeiten und dem Abweichen von gängigen Verhaltensweisen manifestiert. Dass einige Besonderheiten jedoch nicht ewig Bestand haben können und einem Wandel unterworfen sind, zeigt sich im weiteren Protokollverlauf: Herr K.: Das Bruder und Schwester stirbt immer mehr aus (.) man wählt dann in der Regel dann den Vornamen (.) aber durchaus nicht immer (.) äh (.) das gehört zu unserer (.) kirchlichen muss ich da sagen (.) nicht christlichen (.) hat ja mit christlich erstmal nicht so viel zu tun (.) obwohl es was ausdrückt. Eben auch dieses Bruder und Schwester (.) dass man sagt (.) wir sind uns eigentlich nah (.) wir sind ein Stück seelenverwandt (.) und das soll sich auch in unserem Leben zeigen. Äh (.) wenn jemand aus unserer Kirche in Not gerät (.) dann gucken wir dass wir uns als Kirche auch für den (.) engagieren. Und das ist (.) hat was mit Brüderlichkeit oder Schwesterlichkeit (.) zu tun (.) und deshalb äh (.) finde ich (.) auch diesen Namen (.) wenn man sich mal dran gewöhnt hat (.) äh für mich ist es völlig normal (.) das dann so zu machen. Das weiß aber jeder andere nicht. Der denkt (.) was wo bin ich hier hingeraten? Äh und deshalb ist es gut wenn man dafür ne Erklärung kriegt. Am Beispiel der Anredeformen macht Herr K. auf eine Art Verfallsgeschichte aufmerksam: Die immer seltener werdende Anrede mit Bruder bzw. Schwester habe eine kirchliche und auf den zweiten Blick auch christliche Tradition, da sie die Idee von Nähe und Seelenverwandtschaft versprachliche. Dass es aber nicht nur bei einer bloßen Idee bleiben soll, sondern ‒ wie Herr K. zu Protokollbeginn schon erwähnte ‒ ein innerweltlicher Ausdruck gefunden werden müsse, zeigt sich im Gebot des Engagements in Notsituationen (vgl.

IV Empirischer Teil

»wenn jemand aus unserer Kirche in Not gerät (.) dann gucken wir dass wir uns als Kirche auch für den (.) engagieren.«). An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob mit dem ›Aussterben‹ der Anrede potenziell auch ein Stück weit ein ›Aussterben‹ der kirchlich bzw. christlich empfundenen Nähe einhergeht, welchem Herr K. in seiner Einrichtung entschieden entgegentritt und eben genau aus der Befürchtung eines Verfalls umso beharrlicher auf die Beibehaltung von religiös konnotierten Verhaltensweisen und Vorstellungen besteht. Auch wenn diese Frage an dieser Stelle nicht geklärt werden kann, zeigt sich sehr deutlich, in welchem Dilemma sich der Einrichtungsleiter befindet: Er leitet eine Einrichtung, die vor allem wirtschaftlichen Gesetzlichkeiten folgt. Im Gegensatz zu anderen Einrichtungen ist ihm aber sehr an der Einbindung religiöser Normen und Verhaltensweisen gelegen, die im Einzelfall selbst innerkirchlichen Veränderungen unterliegen, stets jedoch im Hinblick auf ein nicht-religiöses Gegenüber behauptet werden müssen. Herr K. versucht dieser Herausforderung zu begegnen, indem er einerseits auf ein unbedingtes Festhalten an allen religiös motivierten Vorschriften und Verhaltensweisen verzichtet, was im sogenannten Raucherhäuschen seinen sichtbaren Ausdruck findet. Andererseits nutzt er Gelegenheiten zur geschickten Implementierung religiöser Inhalte, wo es die Rahmenbedingungen zulassen (vgl. Seminarverpflichtung und Bewerbungsgespräche). Religion, so lässt sich die Hypothese zuspitzen, hat es selbst in einem durch die Heimleitung entsprechend geförderten Setting nicht leicht, ihren Stellenwert vor nichtreligiösen Logiken, Strukturen und eben auch Lebensführungen zu behaupten. Gleichzeitig erscheint die adventistische Altenpflegeeinrichtung als eine Art Mikrokosmos, in der aktiv Lösungen dafür gesucht und gefunden werden, wie spezifisch religiöse Vorstellungen und Praktiken kultiviert werden können. Um diese Hypothese zu stärken, sei an dieser Stelle auf einen Sequenzausschnitt verwiesen, der zu einem früheren Zeitpunkt im Interview protokolliert wurde und in dem es um das Thema Ernährung geht: Herr K.: Wir haben auch Bewohnern schon wieder (.) schon angeboten (.) die gesagt haben (.) ja (1) wieso gibt`s hier eigentlich nie nen (.) äh (.) mal nen leckeres (.) Schweineschnitzel? Dass wir gesagt haben (.) tut uns leid (1) entspricht nicht unseren Grundregeln und (.) wenn sie`s vorher nicht gewusst haben (.) sondern nur ihr Betreuer oder (.) man hat sie da nicht informiert (.) dann tut mir das leid (.) und dann sind wir gerne behilflich zu gucken (1) wo man nen anderen Platz findet. Aber (.) zu unseren Regeln gehört`s dazu.

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Äh (.) die meisten Bewohner (.) äh (.) haben damit aber überhaupt gar keine Probleme. Denen fällt das (.) unter Umständen nicht mal auf (1) äh (.) wenn sie eben kein Schweinefleisch kriegen aber dafür Geflügel oder Rindfleisch oder was was sie auch kennen. Dann ist das für die meisten völlig okay. Diese Passage ist insofern aufschlussreich, als hier die Bewohner im Fokus stehen und auch sie sich bestimmten »Grundregeln« zu unterziehen haben. Während bei den Mitarbeitern noch Kompromisse gefunden wurden, um sie im Haus zu halten, wird hier ein Einrichtungswechsel aufgrund von Differenzen im Hinblick auf Ernährungsvorstellungen und -vorlieben nahegelegt und offensichtlich auch schon in der Praxis umgesetzt. Bezüglich der Bewohner hat die Heimleitung also durchaus Möglichkeiten wählerisch und strikt in der Befolgung religiöser Gebote zu sein, auch wenn sie damit sicherlich keinen direkten Einfluss auf deren Religiosität nehmen kann. Zusammenfassend können also folgende Befunde festgehalten werden: 1. Religion kann Thema in einer altenpflegerischen Einrichtung sein, insofern sie Bestandteil von Lebensführung und daraus abgeleiteter Unternehmensführung ist.50 2. Religiös geprägte Vorstellungen von Lebens- und Unternehmensführung können in Konflikt geraten zu andersgearteten Lebensweisen der Mitarbeiter und Bewohner sowie unternehmerischen Anforderungen, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen (z.B. Personalpolitik). 3. Um religiöse Werte in der Einrichtung zu wahren und zu vermitteln, kann die Einrichtungsleitung unterschiedliche Wege gehen: 1. Räumliche Ausgliederung unliebsamer Verhaltensweisen (Rauchen) bei gleichzeitigem Festhalten an der Mitarbeiterschaft, 2. Ausgliederung unliebsamer Verhaltensweisen bzw. Präferenzen (Konsum von Schweineschnitzel) samt entsprechender Bewohner, 3. Vermittlung von religionsbezogenem Wissen und entsprechenden Grundsätzen in einer Mitarbeiterschulung.51

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Damit bildet der vorliegende Fall gewissermaßen eine Ausnahme, indem es nicht bei einer bloßen Aufforderung zu moralischem Handeln durch religiöse Bezugnahmen bleibt (vgl. kontrastierend den Fall ›Religion in einem Leitbild‹, Kap. 4.2). Zu den Möglichkeiten und Strategien religionsbezogener Wissensvermittlung vgl. auch den Fall ›Von Neulingen und alten Hasen‹ (Kap. 4.3.5).

IV Empirischer Teil

4.5.2

Die Augen einer Krankenschwester

Protokoll und Kontext Auch der nächste Fall steht für eine einrichtungsleitende Perspektive, die den Umgang mit Mitarbeitern und die Rolle von Religion thematisiert. Er unterscheidet sich jedoch vom vorherigen Fall, insofern als hier nicht auf religiöser, sondern auf medizinischer Grundlage argumentiert wird. Das vorliegende Protokoll entstammt einem Interview mit Frau I., die eine konfessionell getragene Einrichtung leitet. In dieser Einrichtung sind auch die bereits bekannten Pflegerinnen Frau D. und Frau E., der später noch zu erwähnende Wortgottesdienstleiter Herr C. und die Pfarrerin Frau M. tätig. Unmittelbar voraus ging dem vorliegenden Protokoll eine Abschlussfrage der Interviewerin zur hypothetischen Verwendung einer Geldspende zur Förderung des religiösen Lebens in der Einrichtung, welche Frau I. mit der Erfüllung von lang gehegten Bewohnerwünschen (etwa Reise zum Vatikan, Wallfahrten) beantwortete. Der zu untersuchende Interakt lautet wie folgt:

I: Ja (.) ich bin mit meinen Fragen (.) soweit durch. Gibt es (.) auf Ihrer Seite noch weitere Anmerkungen (.) was (.) oder Themen die wir jetzt noch nicht besprochen haben? Frau I.: Vielleicht werde ich (.) ich weiß jetzt nicht (.) kommen Sie [nochmal oder] I: [Ja. GERNE.] Frau I.: oder gar nicht mehr? Ähm da würde ich gerne dass Sie mit der (.) Kollegin (.) von der anderen Seite muslimischen Glaubens äh (.) vielleicht ansprechen. I: Sehr gerne. Frau I.: Für mich auch ist etwas anderes von jemandem anderes zu hören (.) was vielleicht nicht so ist wie es sein sollte oder nicht so funktioniert wie es sich alle vorstellen. (1) Ähm (1) was ich schwierig finde immer wenn in Ramadanzeiten (.) hat gerade angefangen. (1) Ähm (1) dass sie tagsüber nicht essen. Und da merke ich diese Müdigkeit. (.) Aber ich ich kann:: (.) nicht so schaffen dass sie irgendwie @frei:: haben@ oder. Das schaff ich nicht. (3) Es ist (.) so nehme ich wahr (.) das ist meine Wahrnehmung (.) ähm (2) dass die Mitarbeiter müde sind und ein bisschen @agitierter@ als sonst. I: Ja. Ja. Wie gehen Sie dann damit um? (1) Also versuchen Sie das Gespräch oder? Frau I.: Ich habe versucht. Und dann habe ich auch die Antwort bekommen dass

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die nur abends essen und dass die (.) ein bisschen haben die Hunger (lacht). (3) Ich konnte nie fasten weil wenn ich Hunger habe muss ich essen. (3) Aber habe ich Verständnis dafür. Und da:: müssen wir (.). Und das schlimmste ist wenn die @nicht trinken.@ (1) Da (2) habe ich ein Problem von (.) sag ich mal mit (.) äh (.) den Augen einer Krankenschwester (lacht). I: Mhm. (1) Weil Sie das nicht gut vertreten können? Gerade jetzt wo es doch so [warm ist.] Frau I.: [RICHTIG. RICHTIG.] Genau. Das ist für mich nicht mehr an Glaube (.) zu knüpfen sondern die Gesundheit äh. (1) Damit habe ich richtig ein Problem. (.) Weil ich mir immer Gedanken mache jetzt hier wenn einer umkippt (1). Ähm (.) aber (1) die haben gelernt damit zu leben über die Jahre. Da muss ich auch akzeptieren (.) auch die Krankenschwester rauszunehmen und einfach so damit umzugehen wie die sich wünschen.

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Mit der Aussage »Ja (.) ich bin mit meinen Fragen (.) soweit durch.« gibt die Interviewerin zu erkennen, dass ihr vorbereiteter Fragenkatalog nun abgearbeitet ist und das Interview sich dem Ende neigt. Die Aussage eröffnet die Möglichkeit zur Ausweitung der bisherigen Gesprächsinhalte, indem Frau I. nun noch ihr wichtig erscheinende Perspektiven einbringen darf: »Gibt es (.) auf Ihrer Seite noch weitere Anmerkungen (.) was (.) oder Themen die wir jetzt noch nicht besprochen haben?« Dass es Anmerkungen oder Themen gibt, die Frau I. einbringen möchte, zeigt sich in ihrer unmittelbaren Antwort: »Vielleicht werde ich (.) ich weiß jetzt nicht (.) kommen Sie nochmal [I: Ja. GERNE.] oder gar nicht mehr?« Auffällig ist ihr zunächst zögerlicher Stil (vgl. »vielleicht« und »ich weiß nicht«), der als Ausdruck dessen gelesen werden kann, dass sich Frau I. hinsichtlich einer zukünftigen Kommunikationsmöglichkeit mit der Interviewerin unsicher zu sein scheint. Nachdem diese durch ein überlappendes und betontes »[I: Ja. GERNE.]« wie eine Einladung angenommen wurde, fährt Frau I. fort mit: »Ähm da würde ich gerne dass Sie mit der (.) Kollegin (.) von der anderen Seite muslimischen Glaubens äh (.) vielleicht ansprechen [I: Sehr gerne.].« In einer Mischung aus ›mit jemandem sprechen‹ und ›etwas ansprechen‹ bringt Frau I., auch hier weiter zögerlich (vgl. »Ähm«, »äh« und »vielleicht«), die »(.) Kollegin (.) von der anderen Seite muslimischen Glaubens« ein: Der Begriff Kollegin ist durch kurze Pausen abgesetzt und hervorgehoben so als würde Frau I. gedanklich Anführungszeichen setzen. Dies könnte darauf verweisen, dass

IV Empirischer Teil

es sich nicht um eine tatsächliche Kollegin im Sinne einer auf gleicher Hierarchieebene angesiedelten oder im gleichen Berufsfeld tätigen Person handelt. Ein kollegiales Verhältnis bestände nach dieser Lesart also nur nach oberflächlicher Betrachtung bzw. in der Außendarstellung eines hierarchiefreien Arbeitskontextes. Hinzukommt, dass die sogenannte Kollegin offensichtlich »von der anderen Seite muslimischen Glaubens« ist, also Frau I. sinnbildlich gegenüberzustehen scheint ‒ sei es durch ihren muslimischen Glauben, da Frau I. sich z.B. zum christlichen Glauben bekennt, oder durch ihren spezifischen muslimischen Glauben, indem sich Frau I. z.B. einer anderen muslimischen Glaubensrichtung zurechnet. Auf latenter Sinnebene wird also innerhalb des Arbeitskontextes religiös differenziert, wobei noch nicht expliziert wurde, ob es sich um eine inter- oder intrareligiöse Differenzierung handelt. Da unter Einbezug von Kontextwissen bereits angemerkt wurde, dass Frau I. Einrichtungsleiterin in einer konfessionellen Einrichtung52 ist, liegt es jedoch nahe, dass eine interreligiöse Abgrenzung vorgenommen wird. Es stellt sich anschließend die Frage, was unter Glauben verstanden wird ‒ spricht Frau I. doch explizit vom muslimischen Glauben und nicht etwa von einem muslimischen Hintergrund oder einer muslimischen Kollegin, was die religiöse Zugehörigkeit fokussieren würde. Möglicherweise ist also mit Glauben eine religiöse Überzeugung gemeint, die den Menschen in seiner inneren Haltung betrifft. Es handelt sich folglich um etwas, das für Außenstehende nicht so leicht zugänglich ist. Dass gerade Frau I. als Verantwortliche für reibungslose Arbeitsabläufe an zusätzlichen, möglicherweise auf den ersten Blick verborgenen Informationen gelegen ist, zeigt der weitere Verlauf: Frau I.: Für mich auch ist etwas anderes von jemandem anderes zu hören (.) was vielleicht nicht so ist wie es sein sollte oder nicht so funktioniert wie es sich alle vorstellen. Frau I. hat offensichtlich klare Vorstellungen darüber, wie etwas in der Einrichtung »sein sollte« bzw. legt Wert auf ein konsensbasiertes Verständnis von bestimmten Abläufen (vgl. »wie es sich alle vorstellen«). Gleichzeitig schwingt die Möglichkeit zur Abweichung mit (vgl. »vielleicht nicht so […]«) bezüglich derer die Interviewerin gewissermaßen durch die Hintertür Rückmeldung 52

Der Überblick zu den Trägern freigemeinnütziger Altenpflegeeinrichtungen machte deutlich, dass es bisher keine muslimische Wohlfahrtspflege in Deutschland gibt (vgl. Kap. 2.1.3.1).

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einholen soll. Mit der Kollegin angesprochen wird also indirekt ein potenzieller Konflikt im Arbeitskontext, den Frau I. offensichtlich selbst (noch) nicht klären konnte und für dessen Beurteilung sie sich ein Feedback der außenstehenden Interviewerin wünscht. Im Folgenden ist also zu erwarten, dass Frau I. konkretisiert, was die Interviewerin bei der Kollegin ansprechen bzw. erfragen soll: Frau I.: (1) Ähm (1) was ich schwierig finde immer wenn in Ramadanzeiten (.) hat gerade angefangen. Sich einem heiklen Thema vorsichtig annähernd und zugleich positionierend (vgl. »(1) Ähm (1) was ich schwierig finde […]«), bringt Frau I. eine zum Zeitpunkt des Interviews aktuelle Herausforderung zur Sprache, nämlich die »Ramadanzeiten«: Durch den im Plural gehaltenen Zusatz ›Zeiten‹ erhält die islamische Fastenzeit einen andauernden und häufiger wiederkehrenden Charakter ‒ anders als es z.B. die jährliche Weihnachts- oder Osterzeit charakterisiert. Es entsteht der Eindruck eines andauernden Zustandes, ähnlich wie es die Begriffe ›schwierige Zeiten‹ oder ›Krisenzeiten‹ nahelegen. Dementsprechend kann folgende Hypothese aufgestellt werden: Mit dem muslimischen Glauben bzw. einer entsprechenden Überzeugung der genannten Kollegin, gelangt eine spezifische Religionspraxis und damit auch ein bestimmter Zustand in die Einrichtung, der für Abweichungen von Arbeitsabläufen sorgen kann und insbesondere Frau I. irritiert. Die sich daraus ergebende Situation wird dementsprechend als heikles Thema problematisiert. Warum die Ramadanzeiten irritieren, wird nach und nach deutlich: »(1) Ähm (1) dass sie tagsüber nicht essen. Und da merke ich diese Müdigkeit.« Frau I. hat also nicht nur mit der einen Kollegin muslimischen Glaubens zu tun, sondern es scheint mehrere Personen in der Einrichtung zu geben, die fasten, indem sie auf das Essen zur Tageszeit verzichten. Die genannte Kollegin ist also, aus welchen Gründen auch immer, als Vertreterin einer spezifischen Gruppe und damit Ansprechpartnerin zu verstehen. Denkbar problematisch wird das Fastenverhalten, wenn es sich negativ auf die Arbeit auswirkt und so z.B. zu mangelnder Konzentrations- oder Belastungsfähigkeit führt. Dass die Folgen des Fastens an dieser Stelle jedoch nur imaginiert sind, zeigt sich in der bloßen Beobachtung von Müdigkeit (vgl. »ich merke«) und nicht etwa im Aufzeigen von konkreten Fehlleistungen. Die bereits angedeutete Selbstpositionierung im Argumentationsgang hält Frau I. auch im Folgenden bei, indem sie sich als fürsorgliche und verantwortliche Person verortet:

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Frau I.: (.) Aber ich ich kann:: (.) nicht so schaffen dass sie irgendwie @frei:: haben@ oder. Das schaff ich nicht. Es scheint, als ob Frau I. aus eigenem Antrieb versuche, den Dienstplan so zu gestalten, dass fastende Mitarbeiter nicht arbeiten müssten, möglicherweise aus Mitleid oder eben aus Sorge, dass sich das Fasten negativ auf ihre Arbeit auswirken könnte. In diesem Zusammenhang könnte die lachende Intonation (vgl. »@frei:: haben@«) als Ausdruck von Überforderung bzw. Resignation gelesen werden, denn letztendlich muss sie sich ein Scheitern eingestehen (vgl. »Das schaff ich nicht«). Berücksichtigt man die Dauer des Fastenmonats Ramadan von 29 bzw. 30 Tagen bei gleichzeitigem Personalmangel in der Pflege, ist dies nicht verwunderlich. Dass das Problem mit einer Resignation nicht gelöst ist, sondern Frau I. weiterhin zu beschäftigen scheint, zeigt der weitere Protokollverlauf: Frau I.: (3) Es ist (.) so nehme ich wahr (.) das ist meine Wahrnehmung (.) ähm (2) dass die Mitarbeiter müde sind und ein bisschen @agitierter@ als sonst. Betont in der Perspektive der Selbstwahrnehmung bleibend, ergänzt Frau I. die wahrgenommene Müdigkeit um das komparatistische Adjektiv »agitierter«, was mit ›erregter‹ oder ›unruhiger‹ übersetzt werden könnte (vgl. Duden 2018e). Dies stärkt noch einmal die Lesart, dass muslimische Fastenpraktiken in Frau I.s Deutung zu veränderten psychischen Zuständen führen können, welche sich wiederum negativ auf Arbeitsabläufe auswirken können. Die Interviewerin zeigt daraufhin Verständnis und möchte dem Umgang mit dieser Situation nachgehen, indem sie fragt: »Ja. Ja. Wie gehen Sie dann damit um? (1) Also versuchen Sie das Gespräch oder?« Das Einbringen einer alternativen Umgangsform bleibt der Interviewerin jedoch verwehrt, da Frau I. direkt anschließt mit: Frau I.: Ich habe versucht. Und dann habe ich auch die Antwort bekommen dass die nur abends essen und dass die (.) ein bisschen haben die Hunger (lacht). Auch an dieser Stelle muss Frau I. sich wieder ein Scheitern eingestehen, hat sie doch offensichtlich in der Vergangenheit nicht die Antwort erhalten, die sie sich erhoffte. Unklar ist, mit wem genau Frau I. gesprochen hat (vgl. weiterhin generalisierendes, unpersönliches »die«) und was ihre konkrete Frage war (z.B. »Warum esst ihr nicht? Warum esst ihr nur abends?«). Der Ausdruck »auch die Antwort bekommen« könnte darauf verweisen, dass Frau I.

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schon vorher eine gängige Antwort im Kopf hatte und ihr die Konsequenz in Form von Hunger klar war, weshalb sie auch auflacht. Diese Antwort reicht ihr aber offensichtlich nicht aus, was darin begründet liegen könnte, dass sie persönlich für solch ein Verhalten eine andere Begründung erwartet. Warum Frau I. mit der Begründung hadert, zeigt sich im weiteren Verlauf: Frau I.: (3) Ich konnte nie fasten weil wenn ich Hunger habe muss ich essen. Nach einer Pause setzt sie ein sehr persönliches Statement, welches die Neigung zum Ausdruck bringt, von sich auf andere zu schließen. Zugrunde liegen diesem Rückschluss entweder gescheiterte Versuche, selbst zu fasten (vgl. Präteritumform »konnte«) oder die reine Vorstellung an das Fasten, die von vornherein zum Scheitern verurteilt ist (potenzielle Konjunktivform ›könnte‹ anstelle von »konnte«). Gleichzeitig wird das Essen als körperliches Grundbedürfnis charakterisiert, welches unhintergehbar ist und dessen Befriedigung nach instinktiven Reiz-Reaktionsmustern abzulaufen scheint (vgl. Verspüren von Hunger ‒ Zwang zu essen). Während diese Stellungnahme auf den ersten Blick eine intolerante Haltung erwarten lässt ‒ im Sinne von »Deshalb kann ich nicht nachvollziehen, warum die das machen« ‒ demonstriert Frau I. im Folgenden das genaue Gegenteil: Frau I.: (3) Aber habe ich Verständnis dafür. Und da:: müssen wir (.). Auch diese Passage wird wieder eingeleitet durch eine auffällige Pause, die als Einleitung für ein gedankliches Fazit gelesen werden könnte. Hier lohnt sich ein näherer Blick auf den Ausdruck ›Verständnis haben‹: ›Verständnis haben‹ kann so viel bedeuten wie ›über ein Verstehen‹ verfügen, d.h. in der Lage sein, einen Sachverhalt geistig zu durchdringen. Es kann aber auch für die Fähigkeit stehen, sich in jemanden oder etwas hineinzuversetzen. Ein Synonym hierfür ist ›Einfühlungsvermögen‹ (vgl. Duden 2018f). Es stellt sich also die Frage, ob Frau I. den Sachverhalt, d.h. das Fasten bzw. die folgende Müdigkeit bzw. Erregtheit an sich nachvollziehen kann, oder sich in die Motivlage der Praktizierenden hineinversetzen kann. Möglicherweise gelingt ihr Ersteres ohne größere Herausforderungen und sie hat dementsprechend Verständnis für die Situation, tut sich aber schwer mit der zwischenmenschlichen Einfühlung (vgl. die Neigung von sich auf andere zu schließen), weswegen sie eben auch an einer Perspektiverweiterung durch die Interviewerin interessiert ist. Offen bleibt, was die angedeutete Konsequenz dieses Verständnisses für ein wie immer geartetes Kollektiv ist (vgl. »Und da:: müssen wir (.).«). Bezogen auf die oben formulierte Hypothese kann festgehalten werden, dass die durch

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das Fasten ausgelöste Irritation nicht einfach ausgehalten werden kann, sondern einer Deutung und darauf abgestimmten Reaktion bedarf. Die Deutung wird in diesem Fall insbesondere von persönlichen Vorstellungen bzw. Einstellungen geprägt, wobei das ›Verständnis haben‹ für fremde Verhaltensweisen besondere Gewichtung erfährt. Unterstrichen wird diese Annahme durch den weiteren Protokollverlauf, welcher zu einer inhaltlichen Zuspitzung führt: Frau I.: Und das schlimmste ist wenn die @nicht trinken.@ (1) Da (2) habe ich ein Problem von (.) sag ich mal mit (.) äh (.) den Augen einer Krankenschwester (lacht). Große Besorgnis äußernd (vgl. »Und das schlimmste ist […]«) fügt Frau I. dem Verzicht auf das Essen hier den Verzicht auf das Trinken hinzu. Diese Steigerung lässt sich möglicherweise damit erklären, dass aus biologischer Perspektive ein Verzicht auf Essen deutlich länger hinnehmbar ist als ein Verzicht auf Flüssigkeit. Die Fastenpraktik erhält damit eine potenziell lebensbedrohliche Komponente, welche die bereits angedeutete Sorge um Arbeitsfähigkeit übersteigt. Die Sorge um das Leben mag eine typische Haltung in sozialen Arbeitsbereichen sein, erfährt aber noch einmal besondere Bedeutung im Hinblick auf pflegerisch-medizinische Berufsgruppen, was an Frau I.s Identifikation mit dem Beruf der Krankenschwester deutlich wird: Mit dem Beruf der Krankenschwester ‒ und nicht in ihrer Rolle als Einrichtungsleiterin ‒ entsteht ein besonderer Blick auf den Sachverhalt ›Fasten‹ und letztlich auch Frau I.s Problem mit diesem. Bezogen auf die Hypothesenbildung bedeutet dies, dass das ›Verständnis haben‹ zwar durchaus als hoher Wert anerkannt wird, in der Realität jedoch mit berufsspezifischen Betrachtungsweisen und Wahrnehmungen in Konflikt geraten kann. Ein besonderes Konfliktpotenzial scheinen religiöse Praktiken zu bergen, die körperliche Grundbedürfnisse tangieren ‒ insbesondere in einem Setting, welches ohnehin schon durch gesundheits- und krankheitsbezogene Strukturen und Semantiken geprägt ist. An die Selbstverortung Frau I.s und die aktuelle Dringlichkeit des Problems anknüpfend, fokussiert die Interviewerin daraufhin den Gesprächsverlauf: I: Mhm. (1) Weil Sie das nicht gut vertreten können? Gerade jetzt wo es doch so [warm ist.] Frau I.: [RICHTIG. RICHTIG.]

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Die Interviewerin scheint Frau I.s Besorgnis verstanden zu haben, was sich in der überlappenden und betonten Äußerung Frau I.s »RICHTIG. RICHTIG.« widerspiegelt. Dies veranlasst Frau I., ihre Perspektive noch einmal auf den Punkt zu bringen: Frau I.: Genau. Das ist für mich nicht mehr an Glaube (.) zu knüpfen sondern die Gesundheit äh. (1) Damit habe ich richtig ein Problem. (.) Weil ich mir immer Gedanken mache jetzt hier wenn einer umkippt (1). Laut Frau I. gibt es unterschiedliche Systeme, an denen sich Handeln auszurichten hat und dementsprechend als legitim zu erachten ist. Islamische Fastenpraktiken, mit ihren deutlichen körperlichen Ausdrucksformen, übersteigen laut Frau I. gewissermaßen das System ›Glauben‹ und haben sich an Gesundheitsvorstellungen53 zu orientieren. Insbesondere der Verzicht auf das Trinken überschreitet eine Grenze, die Frau I. nicht nachvollziehen kann und die das Fasten insgesamt zu einem, respektive ihrem persönlichen Problem macht. Glaube ist für sie schlichtweg kein Argument, menschliche Grundbedürfnisse zu missachten und so den menschlichen Körper in Gefahr zu bringen. Es handelt sich also um einen inneren Konflikt, der aus einem beruflich erwachsenen Verständnis von Fürsorge und Gesundheitserhaltung und nicht etwa aus bestimmten Arbeitsvorstellungen oder einer mangelnden Ambiguitätstoleranz resultiert. Dementsprechend kann die erwähnte Dienstplangestaltung auch nur auf den ersten Blick als geeignete Lösung erscheinen, indem sie das Problem aus dem Blickfeld Frau I.s verbannen würde, jedoch praktisch nicht umsetzbar ist. Was bleibt, ist also die stetige Sorge, dass etwas passieren könnte (vgl. »Weil ich mir immer Gedanken mache […]«). Eine gewisse Art von Beruhigung bietet Frau I. die Vorstellung von Gewöhnung bzw. Anpassung der betreffenden Personen: »Ähm (.) aber (1) die haben gelernt damit zu leben über die Jahre.« Ähnlich der Gewöhnung an ein Leben mit einer Krankheit wird hier ein länger andauernder Lernprozess angesprochen, der von einer Unveränderbarkeit der Ursache (Krankheit bzw. Fastenverpflichtung) ausgeht. Dass die betreffenden Personen in Frau I.s Arbeitskontext freiwillig fasten und das Fasten für sie etwas anderes sein könnte als eine Anpassung an Gegebenheiten, wird an dieser Stelle nicht in Erwägung gezogen. Dass diese Vorstellung von Unveränderbarkeit in einer Resignation münden kann, zeigt das Ende des Protokolls: 53

Welches Konzept von Gesundheit und Krankheit genau dahintersteckt, bleibt offen.

IV Empirischer Teil

Frau I.: Da muss ich auch akzeptieren (.) auch die Krankenschwester rauszunehmen und einfach so damit umzugehen wie die sich wünschen. Frau I. sieht sich gezwungen, ihre innere Stimme der Krankenschwester auszuschalten und Verhaltensweisen zu akzeptieren, die gegen ihre persönlichen und gleichsam beruflichen Vorstellungen verstoßen. Dies kann als Weiterführung des oben abgebrochenen Satzes »Und da:: müssen wir (.).« gelesen werden, wobei sie hier noch einmal ihre persönliche Betroffenheit herausstellt. Denn möglicherweise ist sie die Einzige in der Einrichtung, die mit dem Fasten ein solches Problem hat. Dass die Idee »einfach so damit umzugehen wie die sich wünschen« leichter klingt als es tatsächlich für Frau I. ist, zeigte bereits ihr Hadern im gesamten Verlauf des Protokolls. Insgesamt können also folgende Befunde festgehalten werden: 1. Religion kann zum Thema im altenpflegerischen Setting werden, insofern sie Überzeugungen und daraus abgeleitete Verhaltensweisen der Mitarbeiter beeinflusst (vgl. Verzicht auf Essen und Trinken während der Arbeitszeit).54 2. Zur Herausforderung können diese religiös inspirierten Überzeugungen und Verhaltensweisen der Mitarbeiter werden, wenn sie von der Einrichtungsleitung als Abweichung von beruflichen Vorstellungen (vgl. ›Blick‹ der Krankenschwester55 ) und Unterminierung bestimmter Werte (Sorge um Gesunderhaltung) wahrgenommen werden. Dies scheint in einem ohnehin für Gesundheit und Krankheit sensibilisierten Setting insbesondere auf religiöse Praktiken zuzutreffen, die körperliche Grundbedürfnisse tangieren (vgl. Fasten). 3. Interessanterweise ist das angedeutete Problem, zumindest zum Zeitpunkt des Interviews, ein Fiktives: Es ist die Sorge, dass den Mitarbeitern etwas passieren könnte und nicht etwa der konkrete Vorfall, der die Einrichtungsleiterin umtreibt. Zugleich werden alternative Deutungen des Fastens, z.B. als gesundheitsfördernd in physischer und/oder psychischer

54

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Dies deckt sich mit den Befunden zum Fall ›Das Raucherhäuschen‹ (Kap. 4.5.1), wobei hier die Rollen bzw. Perspektiven der Einrichtungsleitenden gewissermaßen vertauscht sind. Die Relevanz eines berufsbedingten, gesundheitsorientierten Blickes auf Religion zeigte sich bereits im Fall ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied?‹ (Kap. 4.3.1).

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Religion in der Altenpflege

Hinsicht56 oder die Vorrangstellung religiöser Gebote vor gesundheitliche Überlegungen nicht in Erwägung gezogen. Mit den »Augen einer Krankenschwester« bringt die Einrichtungsleiterin also ein säkularisiertes Weltbild zum Ausdruck, welches auf naturwissenschaftlicher bzw. medizinischer Basis argumentiert, alternative Deutungen als nicht legitim einstuft und so letztendlich den Austausch mit der Mitarbeiterschaft erschwert, was zwangsläufig zu einer Resignation führen muss.

4.6 Religiöse Begleitung Neben Pflege, Sozialdienst und Heimleitung, die in unterschiedlicher Weise mit dem Thema Religion in Berührung kommen, soll im folgenden Kapitel der Bereich der religiösen Begleitung beleuchtet werden. Zur Sprache kommen darin Personen, die die Bewohner in mehr oder weniger unregelmäßigen Abständen mit religiösen Angeboten, z.B. Gottesdiensten oder seelsorglichen Gesprächen, versorgen. Während Religion in den bisherigen Fällen eine ›Begleiterscheinung”57 etwa körperpflegerischer Tätigkeiten oder sozialarbeiterischer Betreuung war, wird sie im Folgenden zum Kern des Handelns.

4.6.1

Ein schwieriges Problem

Protokoll und Kontext Wie sich der Gottesdienst im Hinblick auf die spezifische Klientel in einer Altenpflegeeinrichtung gestaltet, soll im Folgenden untersucht werden. Das hierzu ausgewählte Protokoll entstammt einem Interview mit dem katholischen Wortgottesdienstleiter Herrn C., der in der von Frau I. geführten Ein-

56

57

Vgl. z.B. die Ausführungen auf der Internetplattform Islamweb: »Das Fasten ist für die Gesundheit des Menschen genauso notwendig wie Essen, Atmen, Bewegung und Schlaf. […] Der Grund für die Wichtigkeit des Fastens für den Körper liegt darin, dass es diesem bei der Zerstörung alter Körperzellen hilft und den Körper von dessen überschüssigen Zellen befreit. Das Fastensystem, das mindestens 14 Stunden an Hunger und Durst und dann einige Stunden für das Fastenbrechen enthält, ist das vorbildliche System für die Aktivierung beider Verfahren, nämlich der Zerstörung und der Bildung von Zellen. Dies widerspricht der landläufigen Meinung, dass das Fasten zur Abmagerung und zur Schwäche führt. […]« (Islamweb 2014). Als Ausnahme darf hier sicherlich der Fall ›Das Raucherhäuschen‹ gelten, in dem die Unternehmensführung zum Teil auf religiösen Vorstellungen und Geboten fußte.

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Religion in der Altenpflege

Hinsicht56 oder die Vorrangstellung religiöser Gebote vor gesundheitliche Überlegungen nicht in Erwägung gezogen. Mit den »Augen einer Krankenschwester« bringt die Einrichtungsleiterin also ein säkularisiertes Weltbild zum Ausdruck, welches auf naturwissenschaftlicher bzw. medizinischer Basis argumentiert, alternative Deutungen als nicht legitim einstuft und so letztendlich den Austausch mit der Mitarbeiterschaft erschwert, was zwangsläufig zu einer Resignation führen muss.

4.6 Religiöse Begleitung Neben Pflege, Sozialdienst und Heimleitung, die in unterschiedlicher Weise mit dem Thema Religion in Berührung kommen, soll im folgenden Kapitel der Bereich der religiösen Begleitung beleuchtet werden. Zur Sprache kommen darin Personen, die die Bewohner in mehr oder weniger unregelmäßigen Abständen mit religiösen Angeboten, z.B. Gottesdiensten oder seelsorglichen Gesprächen, versorgen. Während Religion in den bisherigen Fällen eine ›Begleiterscheinung”57 etwa körperpflegerischer Tätigkeiten oder sozialarbeiterischer Betreuung war, wird sie im Folgenden zum Kern des Handelns.

4.6.1

Ein schwieriges Problem

Protokoll und Kontext Wie sich der Gottesdienst im Hinblick auf die spezifische Klientel in einer Altenpflegeeinrichtung gestaltet, soll im Folgenden untersucht werden. Das hierzu ausgewählte Protokoll entstammt einem Interview mit dem katholischen Wortgottesdienstleiter Herrn C., der in der von Frau I. geführten Ein-

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Vgl. z.B. die Ausführungen auf der Internetplattform Islamweb: »Das Fasten ist für die Gesundheit des Menschen genauso notwendig wie Essen, Atmen, Bewegung und Schlaf. […] Der Grund für die Wichtigkeit des Fastens für den Körper liegt darin, dass es diesem bei der Zerstörung alter Körperzellen hilft und den Körper von dessen überschüssigen Zellen befreit. Das Fastensystem, das mindestens 14 Stunden an Hunger und Durst und dann einige Stunden für das Fastenbrechen enthält, ist das vorbildliche System für die Aktivierung beider Verfahren, nämlich der Zerstörung und der Bildung von Zellen. Dies widerspricht der landläufigen Meinung, dass das Fasten zur Abmagerung und zur Schwäche führt. […]« (Islamweb 2014). Als Ausnahme darf hier sicherlich der Fall ›Das Raucherhäuschen‹ gelten, in dem die Unternehmensführung zum Teil auf religiösen Vorstellungen und Geboten fußte.

IV Empirischer Teil

richtung tätig ist. Zuvor beschrieb Herr C. verschiedene Angebote für christliche Bewohner (u.a. Tischgebet, Fronleichnamsprozession, Wallfahrt) und betonte die Bedeutsamkeit seiner Tätigkeit in Zeiten schwindender Präsenz religiöser Experten. Daraufhin kommt es zu folgendem Interakt: I: Haben Sie (.) auch mit anderen Religionen außer den christlichen zu tun in [Ihrem] Herr C.: [Ja.] I: Alltag? Herr C.: Ja und dann (.) wir haben einen (.) einen haben wir hier von den Neuapostolischen (.) der ist aber (.) der taucht auch mal beim Gottesdienst aber der will grundsätzlich (.) achso (.) das sag ich Ihnen ja auch ne. (1) Ich äh (.) bei Kommunion (.) is ja eigentlich normalerweise (.) ich frag ja nicht ob einer (.) ich weiß teil- teil- teilweise auch nicht ob einer jetzt katholisch oder evangelisch ist. Da ist jetzt (.) wird ein ganz schwieriges Problem is dat wieder ne. (1) Normalerweise darf ich wenn ich genau weiß ist evangelisch darf ich dem gar keine Kommunion geben. Aber wie wollen se den Leuten dat denn erklären? (.) Wenn einer dement ist. Erstens die kommen ja nicht zu:: mir. (1) In der in der Kirche is dat ja was anderes. Da gehen die ja (.) gehen (.) die gehen ja (.) zur (.) zur (.) zur Kommunion. Gehen die zum Altar. Das können die ja nicht weil se (.) weil se (.) weil se da am Stuhl kaum laufen können (.) mit Rollator kommen oder teilweise im Rollstuhl sitzen. Das heißt ich muss ja zu denen hingehen dann ne. (.) Wie soll ich dat? Und außerdem kann ich den eine einen jetzt keine (.) den kann ich ja nicht keine Kommunion geben weil der evangelisch ist. Erstens wenn der dement ist (.) versteht der dat gar nicht. Der denkt dann (.) ich hätte wat gegen ihn und so weiter dann nech. Er würde zurückgesetzt und so weiter. Protestiert dann und so dann da. Sind da ganz wenige (.) die die selbst im Kopp dann noch so klar sind und dann mit dem Kopf schütteln und so weiter (.) dann ne dann ne dann ne. Derjenige von den Neuapostolischen (.) der hat (.) am Anfang hat der immer den Kopp geschüttelt. Wollte der keine Kommunion haben. Und (.) nachher hat der gesehen wahrscheinlich war er der einzigste der noch den Kopf schüttelte und dann hat der gesagt (.) er wollte nicht da (.) hier nicht da nicht da (.) an den Rand gestellt werden (.) und darauf hielt er auch die Hand da hin dann da ne. Und dann müssen se auch mit rechnen hier bei den Katholiken (.) dass die Hostie nachher unterm Tisch liegt. Ich (.) merk dat schon (.) wenn einer Schluckbeschwerden. Ich teil die schon immer meistens dann da ne. Sowat müssen se alles beachten dann da ne. Ja und dann kommt wieder dat Riesenproblem. Müssen

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Religion in der Altenpflege

se aufpassen. Es gibt ja welche die sind ganz katholisch und so weiter. Hostie ist ja bei den (.) ist ja der Unterschied zwischen den Evangelischen. Die Evangelischen sagen ist dat zum Gedächtnis (1) ist die (.) ist (.) ist also (.) ist Brot. Während die Katholiken sagen ist der Leib Christi. Mit dem Leib Christi auch wenn er auf der Erde ist müssen se anders umgehen als wenn dat nur zum Gedächtnis ist. (2) Nech? Die (.) die Katholiken die machen dat ja normalerweise (.) wenn Hostien irgendwie (.) auffe Erde fallen (.) die werden gesondert gesammelt und beim Osterfeuer (.) verbrannt. (1) Ja (.) hier findet ja kein Osterfeuer statt hier wenn wir dat haben ne. Ja wat mach ich? Ich hab dann mir (.) sofort ne Idee ausgesucht (.) ich sammel die auch ein (.) so schön in Tempotuch (.) und wenn ich mal auf den Friedhof gehe dann mache ich mal selbst dann irgendwo auf dem Friedhof son klei- kleines son kleines Feuerchen dann da an dann da ne. So ist das dann (.) (unver.). Ist dat beste was man so machen kann dann. Mein ich jedenfalls (.) dann da ne. (.) Oder ich muss dat alles sammeln und dann irgendwo zum Osterfeuer dann hingehen dann da ne. (3) So.

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Die Interviewerin schließt an Herrn C.s Ausführungen zum Umgang mit christlichen Bewohnern an und erkundigt sich nach Berührungspunkten zu nicht-christlichen Religionen: »Haben Sie (.) auch mit anderen Religionen außer den christlichen zu tun in [Ihrem] Alltag?« Auffällig dabei ist, dass die Interviewerin abstrakt nach Religionen und nicht etwa spezifisch religiösen Menschen in seinem Alltag fragt. Eröffnet wird damit ein großer Spielraum möglicher Antworten, die sich tatsächlich auf den zwischenmenschlichen Umgang oder aber beispielsweise die Beobachtung religiöser Rituale im beruflichen sowie privaten Alltag beziehen können. Rasch und deshalb überlappend bestätigt Herr C. die Fragestellung der Interviewerin (vgl. »[Ja.]«). Denkbar wäre im Folgenden eine Beschreibung eines konkreten Falles, bei dem Herr C. mit nicht-christlichen Religionen zu tun hatte. Stattdessen erfolgt mit dem Ausdruck »Ja und dann (.)« ein auf den ersten Blick irritierender Anschluss, der ein generelles Problem anzeigen könnte, im Sinne von »Ja und dann (.) gibt es immer Probleme, weil ich mich damit nicht auskenne/weil diese den Ablauf stören etc.« Denkbar wäre auch ein Anschluss, der positive Folgen schildert, z.B. eine Bereicherung für seine Arbeit (etwa »Ja und dann (.) merkt man erst einmal, wie vielfältig die eigene Arbeit sein kann.«).

IV Empirischer Teil

Abgelöst wird die Einleitung jedoch durch die Einführung eines konkreten Beispiels: »[…] wir haben einen (.) einen haben wir hier von den Neuapostolischen (.)« Aufschlussreich ist, dass Herr C. sich mit der Wahl des Pronomens »wir« und dem Adverb »hier« für ein Beispiel aus dem beruflichen, einrichtungsspezifischen Kontext entschieden hat, für den er nun als Repräsentant spricht. Es kann vermutet werden, dass sich das folgende Beispiel auf einen Bewohner bezieht, wobei diese Rolle nicht explizit genannt wird. Im Kontext der Zuordnung zu einer nicht-christlichen Gruppe, welche aus religionswissenschaftlicher Perspektive zwar nicht haltbar ist (vgl. Rakow 2004), entsteht der Eindruck einer distanzierten, möglicherweise sogar abwertenden Haltung gegenüber dieser Gruppe von Gläubigen.58 Bestätigt wird diese Haltung durch den adversiven Anschluss »der ist aber (.) der taucht auch mal beim Gottesdienst aber der will grundsätzlich (.)«: Der neuapostolische Bewohner scheint in gewissem Widerspruch zu den neuapostolischen Gläubigen allgemein zu stehen, indem er auf irgendeine Weise abweicht (vgl. »der ist aber [anders/in Ordnung etc.«, Ergänzung SSP]) bzw. in unregelmäßigen Abständen ein Verhalten an den Tag legt (vgl. Auftauchen beim einrichtungseigenen Gottesdienst), welches nicht typisch zu sein scheint. Gleichzeitig scheint er einen bestimmten Wunsch bzw. Willen zu verfolgen (vgl. »aber der will grundsätzlich (.)«), der an dieser Stelle noch nicht explizit wird. Stattdessen kommt es mit »achso (.) das sag ich Ihnen ja auch ne« zu einem angehängten Nachsatz, der eine starke Positionierung Herr C.s bzw. ein Preisgeben von Interna erwarten lässt. Nach einer kurzen Pause setzt Herr C. an mit: »Ich äh (.) bei Kommunion«. Zögerlich und durch ein Anakoluth gekennzeichnet, bringt Herr C. bereits an dieser Stelle ein vermutlich wesentliches Problem zur Sprache, welches offensichtlich mit der Kommunion zusammenhängt: Die Kommunion (von lat. ›communio‹, ›Gemeinschaft‹) lässt sich als Gemeinschaftsmahl bzw. Abendmahl der Gläubigen mit Christus samt Hostienspendung (vgl. Duden

58

Die Religionswissenschaftlerin Katja Rakow verweist auf das Spektrum der Fremdbeschreibungen der Neuapostolischen Kirche, welche von »christliche Sekte« (Rakow 2004: 8), über »christliche Sondergemeinschaft« (ebd.) hin zu »christliche Religionsgemeinschaft« (ebd.) reichen würden. Hervorgegangen ist die Gemeinschaft aus den katholisch-apostolischen Gemeinden, welche wiederum ihren Ursprung in der schottischen Erweckungsbewegung von 1830 haben (vgl. ebd.: 17-23).

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Religion in der Altenpflege

2018g) auffassen.59 Wie die zentralen Elementen Brot und Wein zu verstehen sind, wird innerchristlich unterschiedlich bewertet: Im Wesentlichen unterscheiden sich Deutungen, die von einer Wesensverwandlung (Transsubstantiation), einer Wesensverbindung (Konsubstantiation) oder einem Gedächtnisritus ausgehen (vgl. Bowker 1999: 291). Je nach Lehre variieren die Abendmahlspraktiken und Teilnahmevoraussetzungen (vgl. Volp 1998: 51f.). Auch die Interaktion mit den Elementen unterscheidet sich, was z.B. in der katholischen Tradition in verehrenden Umgangsformen mit der Hostie Ausdruck findet (vgl. Bowker 1999: 291). An dieser Stelle lässt sich bereits die Hypothese aufstellen, dass die Kommunion vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen theologischen Deutungen eine Herausforderung für Herrn C.s Tätigkeit als Wortgottesdienstleiter darstellt: Allein dadurch, dass er offensichtlich mit unterschiedlichen Religionen, d.h. in diesem Fall Angehörigen verschiedener christlicher Konfessionen und damit verknüpften Glaubensverständnissen zu tun hat, wird er vermutlich vor der Entscheidung gestanden haben oder immer wieder stehen, wem er aus katholischer Perspektive die Kommunion spenden darf und wem nicht. Folglich stellt sich die Frage, wie er mit diesem potenziellen Konflikt umgeht bzw. bisher umgegangen ist. Die potenzielle Konflikthaftigkeit der Situation verbalisiert sich dann auch im weiteren Protokollverlauf: Herr C.: […] (.) is ja eigentlich normalerweise (.) ich frag ja nicht ob einer (.) ich weiß teil- teil- teilweise auch nicht ob einer jetzt katholisch oder evangelisch ist. Da ist jetzt (.) wird ein ganz schwieriges Problem is dat wieder ne. Vor dem Hintergrund eines regulären Ablaufs bzw. einer Idealvorstellung ‒ der Kommunionfeier mit einer homogenen Gruppe von katholischen Gläubigen (vgl. »is ja eigentlich normalerweise«) ‒ die jedoch nicht mit der erlebten Realität übereinzustimmen scheint, vermeidet Herr C. die direkte Nachfrage zur Konfessionszugehörigkeit, ganz im Sinne von »Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.« Dennoch, aber vielleicht auch gerade deswegen erscheint das unvermeidbare »Problem« gegenwärtig, aber auch mit Blick auf die Zukunft (vgl. »wird ein«) höchst relevant und herausfordernd (vgl. die Verstärkung »schwieriges Problem«). 59

Der Begriff ›Kommunion‹ kann auch als Abkürzung des Begriffes ›Erstkommunion‹ und somit als Übergangsritus im Kindesalter verstanden werden. Diese Lesart erscheint im bisherigen, altenpflegerisch geprägten Kontext jedoch eher unwahrscheinlich.

IV Empirischer Teil

Herr C.: (1) Normalerweise darf ich wenn ich genau weiß ist evangelisch darf ich dem gar keine Kommunion geben. Aber wie wollen se den Leuten dat denn erklären? Herr C. ist sich sehr wohl bewusst darüber, dass er evangelischen Teilnehmern keine Kommunion spenden darf. Offensichtlich überschreitet er dieses Verbot jedoch bzw. hat es in der Vergangenheit bereits überschritten, indem er eben nicht im oben angedeuteten Normalmodus handelt(e). Warum er evangelischen Teilnehmern eigentlich keine Kommunion zuteilwerden lassen darf, lässt sich mit den bereits angedeuteten Glaubensverständnissen und -regeln erklären: »In der Regel dürfen in der katholischen Eucharistiefeier nur katholische Christen die Kommunion empfangen. Ausnahmen gelten in ›schweren Notlagen‹ wie etwa Todesgefahr. Katholiken ist der Empfang des Abendmahls in einer evangelischen Kirche verboten.« (Brüggenjürgen 2011) Der Auszug macht deutlich, dass es feste Regeln gibt und diese nur in Ausnahmefällen gebrochen werden dürfen. Inwiefern es sich bei den von Herrn C. fokussierten Teilnehmern um »schwere[] Notlagen« (ebd.) handelt, ist noch unklar. Zumindest macht Herr C. von Ausnahmen Gebrauch. Dies zeigt sich auch in dem Umstand, dass offensichtlich Herr C. die Kommunion spendet, obwohl es aus katholischer Perspektive zusätzliche Vorgaben gibt, wer die Kommunion spenden soll, nämlich der Priester (vgl. Bischof von Trier 2004). So heißt es beispielsweise in den Trierer Diözesanbestimmungen über die Eucharistiefeier: »§3 (2) Wenn in einem konkreten Einzelfall an einem Sonn- bzw. Feiertag kein Priester für die Feier der Eucharistie in einer Pfarrgemeinde zur Verfügung steht, dann soll eine Wort-Gottes-Dienst-Feier gehalten werden. […] §5 (1) Die Wort-Gottes-Feier hat ihren eigenen theologischen Wert, denn Gottes Wort steht hier im Mittelpunkt. In Jesus von Nazareth ist das Wort Gottes Fleisch geworden. Die Gläubigen versammeln sich, um das Wort Gottes zu hören, dem Herrn im Wort zu begegnen und seine Gegenwart im Wort zu feiern. (2) Daher bedarf die Wort-Gottes-Feier nicht der Hinzufügung der Kommunionfeier. Wo die Umstände es jedoch aus wichtigen pastoralen Gründen angebracht erscheinen lassen, kann eine Wort-Gottes-Feier mit der Spendung der Kommunion verbunden werden. […] §8 (1) Diakone sind aufgrund ihrer Weihe berechtigt, Wort-Gottes-Feiern zu leiten; sie sind zunächst als Leiter von Wort-Gottes-Feiern heranzuziehen. (2) Wenn kein

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Religion in der Altenpflege

Diakon zur Verfügung steht, sollen ehrenamtlich tätige Laien aus der Pfarrei/Pfarrgemeinschaft die Leitung von Wort-Gottes-feiern übernehmen […] (4) Gottesdienstbeauftragte bedürfen für Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionspendung auch einer bischöflichen Beauftragung zur Spendung der heiligen Kommunion.« (Ebd.) Unter Hinzuziehung dieser Bestimmungen wird deutlich, dass Herr C. in einer Einrichtung tätig ist, die vermutlich aufgrund eines priesterlichen Personalmangels nicht regelmäßig von religiösen Experten aufgesucht wird.60 Mit seiner Beauftragung als Laie trägt er große Verantwortung, was die Umsetzung von Wort-Gottes-Feiern angeht. Dadurch, dass er zusätzlich für die Spendung von etwas Heiligem zuständig ist, sich jedoch in einem Setting befindet, in welchem die Dinge anders laufen als ›normal‹ und eine theologische Begründung offensichtlich keinen Erfolg verspricht (vgl. »Aber wie wollen se den Leuten dat denn erklären?«), wird dieser Auftrag zur persönlichen Herausforderung: Wie kann er den katholischen Bestimmungen gerecht werden, ohne einzelnen Gläubigen etwas zu verweigern, was aus ihrer Perspektive bedeutsam ist? Diese Frage erfährt besondere Brisanz im Umgang mit Angehörigen sogenannter anderer Religionen, so auch mit dem neuapostolischen Bewohner, denen aus katholischer Perspektive kein Empfang der heiligen Kommunion zusteht, welche aber den Arbeitskontext Herrn C.s immer wieder betreten. Was das altenpflegerische Setting so besonders macht und Herrn C. immer wieder vor eine Herausforderung stellt, wird im Folgenden deutlich: Herr C.: Wenn einer dement ist. Erstens die kommen ja nicht zu:: mir. (1) In der in der Kirche is dat ja was anderes. Da gehen die ja (.) gehen (.) die gehen ja (.) zur (.) zur (.) zur Kommunion. Gehen die zum Altar. Das können die ja nicht weil se (.) weil se (.) weil se da am Stuhl kaum laufen können (.) mit Rollator kommen oder teilweise im Rollstuhl sitzen. Das heißt ich muss ja zu denen hingehen dann ne. (.) Wie soll ich dat? Mit der Anführung von Demenz, einem Oberbegriff für verschiedene Erkrankungen, die langfristig mit dem Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit einhergehen (vgl. BMFSFJ 2018), wird eine grundlegende erschwerte Bedingung

60

Diese Vermutung passt zu der eingangs aufgeführten Einschätzung Herrn C.s, nach der er eine wesentliche Rolle bei der religiösen Begleitung der Bewohner in der altenpflegerischen Einrichtung spiele.

IV Empirischer Teil

angesprochen: Die Teilnehmer der Wort-Gottes-Feiern sind teilweise kognitiv eingeschränkt, sodass eine Erklärung, warum nun der eine die Kommunion erhält und der andere nicht, schwierig, ggf. sogar unmöglich ist. Hinzukommt, dass die Teilnehmer aufgrund körperlicher Einschränkungen, nicht wie im üblichen Gottesdienst zum Altar bzw. in diesem Fall zu Herrn C. kommen können, um die Kommunion in Empfang zu nehmen. Dies stellt Herrn C. vor die zusätzliche Verantwortung, aktiv auf die Teilnehmer zuzugehen und auch denen die Kommunion zu spenden, bei denen er es eigentlich nicht darf, was ihn wiederum in einen Gewissenskonflikt bringt. Die Wort-GottesFeier in der Pflegeeinrichtung wird potenziell also immer von den Defiziten der angesprochenen Klientel tangiert und kann nicht auf geistig orientierte und körperlich fitte Besucher hoffen. An dieser Stelle lässt sich fragen, ob die Situation wirklich so aussichtslos ist, wie sie erscheint (vgl. »Wie soll ich dat?«) oder ob es alternative Umgangsformen geben könnte, wie z.B. eine Wort-Gottes-Feier ohne Hostienspendung oder eine symbolische Spendung von etwas Hostienähnlichem für nicht katholische Teilnehmer. Möglicherweise wird aber von Herrn C. auch deshalb keine Alternative in Betracht gezogen, weil er die Spendung der Kommunion als so grundlegend, weil heilsspendend ansieht, dass er niemanden und gerade nicht die Beeinträchtigten und dem Tode Nahestehenden davon ausschließen möchte. Dies würde für die bereits angedeutete Auslegung der Situation als länger andauernde, schwere Notlage sprechen, die Ausnahmeregelungen zulässt. Dass es Herrn C. jedoch in aller erster Linie um eine Vermeidung von Ungleichbehandlung geht, wird im weiteren Verlauf des Protokolls deutlich: Herr C.: Und außerdem kann ich den eine einen jetzt keine (.) den kann ich ja nicht keine Kommunion geben weil der evangelisch ist. Erstens wenn der dement ist (.) versteht der dat gar nicht. Der denkt dann (.) ich hätte wat gegen ihn und so weiter dann nech. Er würde zurückgesetzt und so weiter. Protestiert dann und so dann da. Sind da ganz wenige (.) die die selbst im Kopp dann noch so klar sind und dann mit dem Kopf schütteln und so weiter (.) dann ne dann ne dann ne. Derjenige von den Neuapostolischen (.) der hat (.) am Anfang hat der immer den Kopp geschüttelt. Wollte der keine Kommunion haben. Und (.) nachher hat der gesehen wahrscheinlich war er der einzigste der noch den Kopf schüttelte und dann hat der gesagt (.) er wollte nicht da (.) hier nicht da nicht da (.) an den Rand gestellt werden (.) und darauf hielt er auch die Hand da hin dann da ne.

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Religion in der Altenpflege

Herr C. möchte niemanden benachteiligen (vgl. »Der denkt dann (.) ich hätte wat gegen ihn«) und Missstimmung vermeiden (vgl. »Protestiert dann und so dann da.«). An dieser Stelle taucht nun auch der eingangs erwähnte neuapostolische Bewohner wieder auf, dessen grundsätzlicher Wunsch bzw. Wille anfangs noch unklar war: Hatte er anfänglich noch aktiv und bei klarem Bewusstsein korrekterweise die Annahme der Kommunion verweigert, änderte sich dies im Laufe der Zeit, bis er zuletzt auch eine Empfangsbereitschaft anzeigte. Als Grund nennt Herr C. hier allerdings nicht die Demenz, sondern das Bedürfnis, sozial nicht ausgeschlossen zu werden (vgl. »er wollte nicht da […] an den Rand gestellt werden«). Diesem Bedürfnis kann Herr C. sich nicht verwehren, sodass der innerliche Konflikt Herrn C.s seinen Lauf nimmt. An dieser Stelle kann die bereits aufgestellte Hypothese ergänzt werden, insofern als Religion in engem Zusammenhang mit sozialer Anerkennung zu stehen, in diesem Fall sogar hinter das Bedürfnis nach Anerkennung zu treten scheint. Generell lässt sich dem Thema Religion, als konfessionell aufgefasster Ausdruck bestimmter Dogmen und Regeln, vor dem Hintergrund eines religiös pluralen Zusammenlebens in einem begrenzten Raum wie dem der Altenpflegeeinrichtung nicht ausweichen. Die bisherige Analyse legt nahe, dass religiöse Pluralität als Konflikt im sozialen Miteinander thematisiert wird, eine diesbezügliche Lösung jedoch noch nicht gefunden wurde. Es stellt sich also die Frage, wie die Einrichtung mit dem eigentlich sozialen Problem umgeht. Denn dass die Problematik nicht nur durch die Nicht-Katholiken in der Einrichtung entsteht, zeigt der weitere Verlauf: Herr C.: Und dann müssen se auch mit rechnen hier bei den Katholiken (.) dass die Hostie nachher unterm Tisch liegt. Ich (.) merk dat schon (.) wenn einer Schluckbeschwerden. Ich teil die schon immer meistens dann da ne. Sowat müssen se alles beachten dann da ne. Ja und dann kommt wieder dat Riesenproblem. Müssen se aufpassen. Es gibt ja welche die sind ganz katholisch und so weiter. Hostie ist ja bei den (.) ist ja der Unterschied zwischen den Evangelischen. Die Evangelischen sagen ist dat zum Gedächtnis (1) ist die (.) ist (.) ist also (.) ist Brot. Während die Katholiken sagen ist der Leib Christi. Mit dem Leib Christi auch wenn er auf der Erde ist müssen se anders umgehen als wenn dat nur zum Gedächtnis ist. (2) Nech? Die (.) die Katholiken die machen dat ja normalerweise (.) wenn Hostien irgendwie (.) auffe Erde fallen (.) die werden gesondert gesammelt und beim Osterfeuer (.) ver-

IV Empirischer Teil

brannt. (1) Ja (.) hier findet ja kein Osterfeuer statt hier wenn wir dat haben ne. Ja wat mach ich? Am Beispiel von Schluckbeschwerden und dem Umgang mit heruntergefallenen Hostien wird sehr deutlich, dass das Alter, aus Perspektive Herrn C.s, generell zu Herausforderungen bei der Umsetzung von religiösen Feiern führen kann ‒ so auch bei den katholischen Teilnehmern. Übliche Rituale drohen unterbrochen zu werden, entsprechende Umgangsformen müssen gefunden werden. Dass Herrn C. in diesem Zusammenhang allerdings keine Reflexion über die generelle Problematik gelingt, sondern er sich unmittelbar im Geschehen befindet, verdeutlicht der im Präsens gehaltene, das Gegenüber einbeziehende Erzählstil, der auf Teillösungen abzielt: So wird die Hostie bei Verdacht auf Schluckbeschwerden von vornherein entsprechend portioniert (vgl. »Ich teil die schon immer meistens dann da ne.«) und das »Riesenproblem« der unterschiedlichen Hostiendeutungen und -behandlungen wird wie folgt angegangen: Herr C.: Ich hab dann mir (.) sofort ne Idee ausgesucht (.) ich sammel die auch ein (.) so schön in Tempotuch (.) und wenn ich mal auf den Friedhof gehe dann mache ich mal selbst dann irgendwo auf dem Friedhof son kleikleines son kleines Feuerchen dann da an dann da ne. So ist das dann (.) (unver.). Ist dat beste was man so machen kann dann. Mein ich jedenfalls (.) dann da ne. (.) Oder ich muss dat alles sammeln und dann irgendwo zum Osterfeuer dann hingehen dann da ne. (3) So. Der Ausdruck »sofort ne Idee ausgesucht« macht sehr deutlich, dass es für Herrn C. keine generelle Lösung für die genannten Herausforderungen geben kann: Er sucht einfach und schnell eine Idee aus seinem scheinbaren Repertoire aus, d.h. er findet eine kreative, ihm angemessene Umgangsform mit der dogmatischen Regel. Wie eine Art Feuerwehrmann bekämpft er das Symptom, indem er heruntergefallene Hostien ›fachgerecht‹ entsorgt, arbeitet jedoch nicht an der Ursachenbekämpfung (z.B. durch die Gestaltung eines klientelspezifischen Gottesdienstes). Diese Lösungsstrategie verfolgt er mit Betroffenheit (vgl. dramatischer Erzählstil) ohne jedoch selbst ein religiöses Bekenntnis abzulegen. Zusammenfassend lassen sich folgende Befunde festhalten: 1. Religion wird im vorliegenden Fall insofern relevant, als sie im Alter zum Problem werden kann. Grundlage dafür ist ein konfessionelles Religions-

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Religion in der Altenpflege

verständnis, nach dem Religionen spezifischen, voneinander abgegrenzten Regelwerken folgen.61 Diese Regelwerke einzuhalten, wird mit dem Alter und den damit einhergehenden psychischen und physischen Einschränkungen immer schwieriger. 2. Da religiös motivierte Normen (wie z.B. Verständnisentwicklung aus Nächstenliebe) in diesem Fall keine Rolle spielen, ist es nicht verwunderlich, dass die Teilnehmer an den Wort-Gottes-Feiern als Störfaktoren erscheinen, die den glatten Handlungsablauf immer wieder unterbrechen und die Frage nach sozialer Anerkennung forcieren. 3. Auf die Frage nach Berührungspunkten mit nicht-christlichen Religionen entspinnt sich folglich ein Konfliktfeld in Bezug auf christliche Religion, Alter und altersbedingte Einschränkungen, in dem sich der Wortgottesdienstleiter nicht auf Basis seiner eigenen Glaubenshaltung, umso mehr aber auf Grundlage einer großen empfundenen Verantwortung für das Projekt ›Wort-Gottes-Feier‹ behaupten muss. 4. Folge ist ein pragmatischer Umgangsstil mit spezifischen Herausforderungen, der sich abwechselnd zwischen dem Befolgen und dem Übertreten von katholischen Regeln bewegt.

4.6.2

Ein Moment der Göttlichkeit

Protokoll und Kontext Der folgende Fall kontrastiert zum vorherigen insofern als mit ihm eine religiöse Expertin, genauer gesagt eine evangelische Pfarrerin in den Blickpunkt gerät. Im Gegensatz zum Wortgottesdienstleiter Herrn C. ist Frau M. nicht in einer bestimmten Altenpflegeeinrichtung angestellt, sondern bringt in Eigeninitiative eine spezielle Form des Gottesdienstes in drei Einrichtungen ein. Eine dieser Einrichtungen ist das Altenpflegeheim, in dem auch Herr C., die Pflegerinnen Frau D. und Frau E. sowie die Leiterin Frau I. tätig sind. Im Interview berichtet Frau M. von ihrem spezifischen Angebot, um insbesondere kognitiv schwer erreichbare Menschen »mit religiöser Rede zu erfreuen«, woraufhin sich folgender Interakt gestaltet:

61

Die Bedeutung eines konfessionellen Religionsverständnisses deutete sich bereits in der Interpretation des Leitbildes (Kap. 4.2) an als es um die Darstellung religiöser Angebote in katholischen Altenpflegeeinrichtungen ging.

IV Empirischer Teil

I: Und wie kann ich mir das vorstellen (.) wie (1) sieht dann so ein Angebot aus? (2) Frau M.: Na (.) also (.) zunächst einmal (1) ist es unmöglich dass die Menschen in Reihen sitzen hintereinander (1) weil sie erreichbar sein müssen (.) für denjenigen der (.) eben diese gottesdienstliche Handlung durchführt. Das heißt sie sitzen im Kreis. Und sie sitzen auch deswegen im Kreis weil ich mich ihnen zuwenden muss. Denn Menschen die sehr stark beeinträchtigt sind (.) reagieren häufig nur auf direkte Ansprache. Das heißt (.) ich (.) ähm (.) gehe dann auch umher und setze mich (.) oder kniee mich dann (.) die meisten sitzen ja (.) entweder im Stuhl oder im Rollstuhl (.) kniee mich dann auch zu ihnen (.) und spreche sie dann direkt an. (1) Und auch beim Singen ist das so. Die meisten Menschen (.) sprechen ja fast gar nicht mehr (.) sind sie so stark verändert. Hingegen ist diese Erinnerung ja noch da. Denn diese Generation hat das Singen ja gelernt (.) ja über Jahrzehnte. Es kann also abgerufen werden. Aber nicht aus der Ferne. Weil dann entsteht dieses Band nicht. Man muss also dieses Band (.) so dieser dieser persönlichen (.) Anteilnahme schaffen. Und wenn ich dann bei ihnen sitze und sie von unten (.) sag ich mal (.) anschaue (1) und dann ein bekanntes Lied singe (.) also (.) ich wähle dann auch immer nur die ganz bekannten Lieder aus (.) wie zum Beispiel @großer Gott wir loben dich@. Das kann wirklich jeder (.) ja von Kind an haben das die Menschen gelernt. Und wenn ich sie dann (.) so aus dieser Perspektive ansinge (.) dann beginnen die Menschen irgendwann mitzusingen. Auch wenn sie vorher überhaupt nicht sprechen und sich auch nicht angesprochen fühlen (1) wenn das nicht direkt passiert. Und ein anderer wesentlicher (.) Teil dieser (.) Gottesdienste ist das Abendmahl. Also mit dem Abendmahl verbinden (.) verbindet diese Generation sehr viel (.) und es schafft (.) in ihnen auch dieses (.) verbindende Band (.) ja zwischen (.) den Menschen die auch (.) im Kreis dabei sitzen (.) zwischen ihren Erinnerungen (.) zwischen (.) Erinnerungen an ihre Konfirmation vielleicht oder Kommunion weil das ist überkonfessionell (1) und häufig auch (.) die Verbindung zu: den Personen die sie verloren haben. Und es ist sehr sehr stark emotional aufgeladen und auch auch da mache ich das so dass ich mich sozusagen (.) ganz genau (.) und jedem Einzelnen auch mit dem Abendmahl zuwende. Und dann ist das eine (.) manch- nicht immer (.) aber manchmal entsteht wirklich etwas Außerordentliches. Das muss ich sagen. Also es sind alle (.) es begleiten ja auch (.) vom vom Pflegepersonal Menschen diese Gottesdienste und auch sie können dann in diese (.) in dieses (.) Moment (.) ja der Besonderheit (.) der Heiligkeit oder Göttlichkeit miteinbezogen werden. Das ist schon sehr (.) sehr beeindruckend (.) ja.

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Religion in der Altenpflege

I: Mhm. Das kann ich mir vorstellen. Frau M.: Mhm. Das mach ich (.) und deswegen mach ich das ja. Weil mich das auch sehr beeindruckt. Es ist nicht immer so. Es kommt (.) aber es entsteht. Also es entsteht so wesentlich mehr als in (.) in einem herkömmlichen Gottesdienst. Sicherlich kann auch das geschehen in einer Kirche in einem normalen Gottesdienst. Aber (.) es ist schon (1) was Anderes. @Wie ein Wunder fast.@ Mhm.

Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Das vorliegende Protokoll beginnt mit einer Frage der Interviewerin: I: Und wie kann ich mir das vorstellen (.) wie (1) sieht dann so ein Angebot aus? (2) Bezugnehmend auf das bereits von Frau M. thematisierte Angebot bittet die Interviewerin mit ihrer Frage um eine möglichst anschauliche Beschreibung und Konkretisierung dieses Angebots, worunter sie sich bisher noch nichts vorstellen kann. Mit dem von Frau M. übernommenen Terminus »Angebot« lassen sich ökonomische Begriffe wie z.B. Waren- oder Dienstleistungsangebot ebenso verknüpfen wie Aspekte der Freiwilligkeit, Nachfrage und Professionalität im Sinne einer Sachkundigkeit. Festhalten lässt sich bereits, dass mit dem Angebot vermutlich ein bestimmtes Ziel verfolgt wird, die Angelegenheit also durchdacht ist und bestimmter Vorbereitungen bzw. Planungen bedarf. Auf die Frage und damit verbundene Bitte reagiert Frau M. ausführlich: Frau M.: Na (.) also (.) zunächst einmal (1) ist es unmöglich dass die Menschen in Reihen sitzen hintereinander (1) weil sie erreichbar sein müssen (.) für denjenigen der (.) eben diese gottesdienstliche Handlung durchführt. Sie beginnt mit der Beschreibung eines für die Durchführung des Angebots notwendigen Raumarrangements, welches mit gängigen Sitzordnungen (vgl. »in Reihen sitzen hintereinander«) bricht. Als Ziel ihrer Sitzordnung und möglicherweise auch ihres gesamten Angebots nennt Frau M. die unbedingte Notwendigkeit der Erreichbarkeit der Menschen. Mit dem Begriff »Menschen« angesprochen ist eine besondere Perspektive auf diese, welche die am Angebot Beteiligten nicht funktional als z.B. Bewohner oder im Hinblick auf ihr Alter bzw. ihre Erkrankungen adressiert. Vielmehr kann der Ausdruck als Wahrnehmung des Menschen in seinem Ganzen und als Würdigung des Menschseins an sich gelesen werden. Den Menschen gewis-

IV Empirischer Teil

sermaßen gegenüber befindet sich derjenige, der »diese gottesdienstliche Handlung durchführt« ‒ sprich: eine unspezifische, austauschbare Person, die das Angebot inhaltlich und zielgerichtet umsetzt, wobei hier explizit und formalisiert von einer gottesdienstlichen Handlung und eben nicht von einem Gottesdienst, etwa im Sinne einer gemeinschaftlich begangenen, kommunikativen »Austauschhandlung zw[ischen] rufendem Schöpfer und antwortendem Geschöpf« (Dondelinger 2000: 1173), gesprochen wird. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Angebot Elemente eines Gottesdienstes enthält, jedoch als solches kein üblicher (Gemeinde-)Gottesdienst ist. Eine weitere Lesart wäre, dass es hier zunächst um die Umsetzung als solche geht, der Inhalt jedoch erst einmal eine untergeordnete Rolle spielt. Zusammen mit der Verwendung des Begriffes »Angebot« und vor dem Hintergrund, dass es sich bei Frau M. um eine Pfarrerin handelt, mag diese Beschreibung auf den ersten Blick irritieren, weil sie wenig an religiöse Kommunikation erinnert. Möglicherweise ist aber genau dies der Punkt: Frau M. muss sich an dieser Stelle nicht als religiöse Person darstellen und adressiert auch die Interviewerin nicht als eine solche. Im Zentrum steht zunächst die nüchterne, aber möglichst detaillierte Darstellung der Voraussetzungen der Angebotsumsetzung. Unklar ist in dieser Passage noch, was genau unter Erreichbarkeit verstanden wird (visuelle/auditive/haptische etc. Erreichbarkeit?) und wie diese angestrebt wird. Einen Hinweis darauf gibt der nachfolgende Protokollauszug: Frau M.: Das heißt sie sitzen im Kreis. Und sie sitzen auch deswegen im Kreis weil ich mich ihnen zuwenden muss. Die Sitzordnung im Kreis ist für Frau M. logische Schlussfolgerung der Bedingung der Erreichbarkeit. Gleichzeitig ist sie es, die sich als Durchführende des Angebots und Zuständige für die Zuwendung zu erkennen gibt. An dieser Stelle lohnt sich ein Blick auf den Terminus »sich jemandem zuwenden«: Als Synonym für »sich hindrehen, sich hinwenden« (vgl. Duden 2018h) lässt sich hierunter eine körperliche Zuwendung verstehen, indem Frau M. in der Mitte des Kreises steht und von dort ausgehend auf jeden einzelnen Menschen zugehen kann. Im Begriff enthalten ist aber auch eine persönlich-emotionale Komponente (vgl. »sich mit jmd. beschäftigen«, »sich jmd. widmen«, vgl. ebd.), die dafürspricht, dass Frau M. sich aus einer bestimmten Haltung (z.B. aus Liebe zum Menschen, aus ihrem Berufsverständnis) verpflichtet fühlt, ihren Fokus auf genau diese Menschen zu richten.

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Religion in der Altenpflege

Es folgt eine Erklärung für die Sitzanordnung im Kreis und das daraus abgeleitete Handeln: Frau M.: Denn Menschen die sehr stark beeinträchtigt sind (.) reagieren häufig nur auf direkte Ansprache. Waren die Menschen zuvor noch unspezifisch in ihrer Ganzheit adressiert, findet hier eine Klassifizierung statt: Es handelt sich um eine bestimmte Gruppe von Menschen, deren Gemeinsamkeit eine sehr starke (physische und/oder psychische) Beeinträchtigung ist. Frau M. scheint auf einen Erfahrungsschatz aufbauen zu können, der sie zu dieser Einschätzung veranlasst (vgl. »reagieren häufig nur«). Nimmt man die sehr starke Beeinträchtigung und die direkte Ansprache zusammen, erinnert der Ausdruck an Empfehlungen zum Umgang mit dementen Menschen, bei der die direkte Ansprache wesentlicher Bestandteil der Kommunikation ist (vgl. Haberstroh/Pantel/Neumeyer 2011: 63-65). Auffällig ist jedoch, dass der Begriff der Demenz nicht explizit genannt wird, was darauf verweisen könnte, dass dieser Begriff unangemessen erscheint. Während die Beschreibung Frau M.s bis zu dieser Passage zwar detailliert, jedoch durch den Sprachgebrauch, insbesondere in Bezug auf das religiöse Handeln, distanziert wirkte, beginnt mit ihrem folgenden Anschluss eine andere Art der Darstellung: Frau M.: Das heißt (.) ich (.) ähm (.) gehe dann auch umher und setze mich (.) oder kniee mich dann (.) die meisten sitzen ja (.) entweder im Stuhl oder im Rollstuhl (.) kniee mich dann auch zu ihnen (.) und spreche sie dann direkt an. (1) Und auch beim Singen ist das so. Frau M. beschreibt nun ihr Handeln, welches durch flexible körperliche Bewegungen gekennzeichnet ist, und sich an den Bedürfnissen der anwesenden, beeinträchtigten Menschen zu orientieren scheint. Auch die direkte Ansprache wird noch einmal wiederholt und in Frau M.s Handeln eingebaut. Ergänzt wird das Sprechen durch das Singen, woran sich die Frage anschließen lässt, was denn gesprochen und gesungen wird: Sind diese Handlungen noch Teil der gottesdienstlichen Handlung, sodass beispielsweise auch Gebete und kirchliche Lieder gesprochen bzw. gesungen werden? Oder ist die gottesdienstliche Handlung Aufhänger des Zusammenkommens, zeigt sich in der Durchführung bestimmter Rituale, wird aber sodann von nicht-religiöser Kommunikation abgelöst? Auch wenn die Fragen an dieser Stelle nicht geklärt werden können, zeigt sich an dieser Passage doch sehr deutlich Frau M.s Fo-

IV Empirischer Teil

kussierung auf die Menschen, die sie ansprechen möchte. Den Bedürfnissen dieser Menschen hat sich vermutlich auch die Durchführung ggf. religiöser Rituale und die Thematisierung von Glaubensinhalten anzupassen. Die nachfolgende Passage kann dann als Erläuterung der Einführung des Singens gelesen werden: Frau M.: Die meisten Menschen (.) sprechen ja fast gar nicht mehr (.) sind sie so stark verändert. Hingegen ist diese Erinnerung ja noch da. Denn diese Generation hat das Singen ja gelernt (.) ja über Jahrzehnte. Es kann also abgerufen werden. Singen ist also als Alternative für das Sprechen zu verstehen, welches offensichtlich vielen der adressierten Menschen schwerfällt. An dieser Stelle wird von »stark verändert« gesprochen, was noch einmal mehr als das oben verwendete »sehr stark beeinträchtigt« deutlich macht, dass Frau M. an ihrem ganzheitlichen Verständnis vom Menschen festhält und diese etwa nicht als behindert oder dement abwertet: Die Wortwahl »stark verändert« führt vor Augen, dass die genannten Menschen einmal anders waren, aber immer noch vollwertige Menschen sind ‒ sich möglicherweise aber eine Art Schleier über ihr Bewusstsein gelegt hat, was spezifische Formen der Kommunikation notwendig und damit verknüpfte Herausforderungen deutlich macht. Als Erklärung für das Funktionieren des Singens führt Frau M. »diese Erinnerung« an, dessen Fundament sich durch jahrzehntelanges Einüben in einer ganzen Generation gebildet habe und dementsprechend auch bei starker geistiger Veränderung noch »abgerufen werden« könne ‒ im Gegensatz zum Sprechen, bei dem es vor allem um die Produktion von etwas Neuem geht. Die betroffenen Menschen verfügen folglich über eine wertvolle Ressource, die es zu aktivieren gilt. Wie diese Ressource aktiviert werden kann, beschreibt Frau M. im Folgenden: Frau M.: Aber nicht aus der Ferne. Weil dann entsteht dieses Band nicht. Man muss also dieses Band (.) so dieser dieser persönlichen (.) Anteilnahme schaffen. Nähe kann dementsprechend als Medium für die Herstellung eines Wiedererkennungsmomentes betrachtet werden. Führt man sich an dieser Stelle einen üblichen Gemeindegottesdienst samt entsprechendem Raumarrangement vor Augen, wird sehr deutlich, wie schwer es sein muss, dort ein solches »Band« entstehen zu lassen. Das »Band« kann dabei metaphorisch verstan-

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Religion in der Altenpflege

den werden: Die Idee eines materiellen Gewebestreifens zur Verstärkung oder zum Zusammenhalt (vgl. Duden 2018i) lässt sich übertragen auf ein Verständnis von persönlicher Bindung bzw. enger Beziehung, welche wiederum Ausdruck »persönliche[r] Anteilnahme«, d.h. innerer Beteiligung und gegenseitigen Mitgefühls ist. Versteht man das Singen dann noch als Teil der gottesdienstlichen Handlung, zeigt sich, dass mit dieser mehr erreicht werden soll als das bloße Vollziehen eines religiösen Programms. Bei der gottesdienstlichen Handlung geht es nach Frau M. in erster Linie um das Erreichen einer bestimmten Gruppe von Menschen. Dass diese prinzipiell erreichbar sind, steht für sie außer Frage ‒ es müssen eben nur bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden, um dieses Ziel zu erreichen. Spannend dabei ist, dass die Menschen hier nicht als Störfaktoren ritueller Praxis auftreten62 , sondern der Mensch im Fokus der Beobachtung steht und sich von seinen Potenzialen ausgehend, flexible Formen der zwischenmenschlichen Begegnung ausbilden müssen. Die gottesdienstliche Handlung bildet hierfür einen geeigneten Rahmen, indem mit ihr ein lösungsorientiertes Angebot präsentiert wird, welches vor spezifischen Ausgangsbedingungen etwas Neues schafft und damit weit mehr ist als eine bloße Reaktion auf Irritationen und Unwägbarkeiten. Ähnlich ihrer vorherigen Darstellungsweise verknüpft Frau M. auch hier ihre Vorstellungen mit tatsächlicher Umsetzungspraxis: Frau M.: Und wenn ich dann bei ihnen sitze und sie von unten (.) sag ich mal (.) anschaue (1) und dann ein bekanntes Lied singe (.) also (.) ich wähle dann auch immer nur die ganz bekannten Lieder aus (.) wie zum Beispiel @großer Gott wir loben dich@. Das kann wirklich jeder (.) ja von Kind an haben das die Menschen gelernt. Und wenn ich sie dann (.) so aus dieser Perspektive ansinge (.) dann beginnen die Menschen irgendwann mitzusingen. Auch wenn sie vorher überhaupt nicht sprechen und sich auch nicht angesprochen fühlen (1) wenn das nicht direkt passiert. An dieser Stelle wird die Vermutung bestätigt, dass das Singen tatsächlich als Teil der gottesdienstlichen Handlung zu verstehen ist, zumindest werden Lieder ausgewählt, die dem kirchlichen Kontext entspringen. Auch handelt es sich bei dem genannten Lied Großer Gott wir loben dich um ein Lied, welches zwar ursprünglich einen katholischen Hintergrund hatte, jedoch ab dem 19. Jahrhundert zum Bestandteil auch protestantischer Gottesdienste wurde (Fischer 2007). Dies ist insofern aufschlussreich, als es die Hypothese untermau62

Vgl. kontrastierend hierzu den vorherigen Fall ›Ein schwieriges Problem‹ (Kap. 4.6.1).

IV Empirischer Teil

ert, nach der das Erreichen der Menschen im Fokus steht und dementsprechend Lieder gewählt werden, die einen überkonfessionellen Charakter haben. Nachdem das Singen als bedeutsamer Bestandteil ihres Angebots herausgestellt wurde, führt Frau M. im Folgenden das Abendmahl ein: Frau M.: Und ein anderer wesentlicher (.) Teil dieser (.) Gottesdienste ist das Abendmahl. Also mit dem Abendmahl verbinden (.) verbindet diese Generation sehr viel (.) und es schafft (.) in ihnen auch dieses (.) verbindende Band (.) ja zwischen (.) den Menschen die auch (.) im Kreis dabei sitzen (.) zwischen ihren Erinnerungen (.) zwischen (.) Erinnerungen an ihre Konfirmation vielleicht oder Kommunion weil das ist überkonfessionell (1) und häufig auch (.) die Verbindung zu: den Personen die sie verloren haben. Spannend ist an dieser Passage zunächst, dass nun von »Gottesdiensten« und nicht mehr von gottesdienstlichen Handlungen gesprochen wird. Mit der Einführung des »Abendmahls« erfährt die oben skizzierte formal-nüchterne Darstellung inhaltliche Ausgestaltung, die, noch einmal stärker als das Singen kirchlicher Lieder, Anschlussmöglichkeiten für religiöse Kommunikation bietet. Präsentiert wird hier nun also das Angebot als ein Ereignis mit religiös rituellem Inhalt: Verstanden werden kann das Abendmahl zunächst als Vergegenwärtigung der »Mahlgemeinschaften des irdischen Jesus, in seinem Abschiedsmahl und in den Erscheinungsmahlen« (Hahn 1998: 10). Bedeutsam für die heutige christliche Praxis wird das Abendmahl für die Gläubigen insofern es durch das Essen des Brotes und Trinken des Weines eine Gemeinschaft mit Jesus und eine Partizipation am Heil ermöglicht (vgl. ebd.: 14), wobei innerchristlich die Frage diskutiert wird, wie Brot und Wein zu verstehen sind (Transsubstantiation, Konsubstantiation oder ›reiner‹ Gedächtnisritus) (vgl. Bowker 199: 291). Ausgangspunkt des Abendmahls sind hier die bereits genannten beeinträchtigten Menschen, die sich einer Generation zuordnen lassen und welche wiederum einen starken Bezug zum Abendmahl haben (vgl. »Also mit dem Abendmahl verbinden (.) verbindet diese Generation sehr viel […]«). Die Verbindung von Adressaten und Abendmahl ist in Form eines sich von den Adressaten entspinnenden, starken Netzwerkes (vgl. Pleonasmus »verbindende[s] Band«) vorstellbar, indem Verknüpfungen zwischen anwesenden (vgl. »den Menschen die auch (.) im Kreis dabei sitzen«) und nichtanwesenden Personen (vgl. »häufig auch (.) die Verbindung zu: den Personen die sie verloren haben.«), unspezifizierten Erinnerungen (vgl. »ihren Erinnerungen«) und Erinnerungen an spezifisch kirchlich geprägten Ereignisse (vgl. »Konfirmation« und »Kommunion« im Sinne der Erstkommunion) ermög-

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Religion in der Altenpflege

licht werden und damit insgesamt ein die Gegenwart übersteigender Raum geschaffen wird. Ähnlich der Auswahl der Lieder geht es auch hier wieder um die Schaffung von Gemeinsamkeit, welche eine konfessionelle Trennung im Ritus überwinden möchte (vgl. »weil das ist überkonfessionell«). Dass diese Möglichkeit der Überwindung überhaupt besteht, führt noch einmal deutlich vor Augen, dass Frau M. ihr Angebot zwar überkonfessionell gestalten möchte, dies aber nur vor ihrem evangelischen Hintergrund tun kann, indem eben alle getauften Adressaten zum Abendmahl zugelassen werden (vgl. EKD 2018). Gleichzeitig verweist die Möglichkeit zur Gestaltung auf eine gewisse Autonomie Frau M.s, die Rückschlüsse auf ihr Professionshandeln als Pfarrerin geben könnte. Dass diese raum- und zeitübergreifende Komplexität des Netzwerkes auch zu einer erhöhten Emotionalität führen kann, macht Frau M. im Folgenden deutlich: Frau M.: Und es ist sehr sehr stark emotional aufgeladen und auch auch da mache ich das so dass ich mich sozusagen (.) ganz genau (.) und jedem Einzelnen auch mit dem Abendmahl zuwende. Und dann ist das eine (.) manchnicht immer (.) aber manchmal entsteht wirklich etwas Außerordentliches. Das muss ich sagen. Aufschlussreich ist an dieser Passage insbesondere der Ausdruck »es«, der für die besondere Situation bzw. die daraus entstehende Atmosphäre stehen könnte. Noch ist Frau M. Urheberin, indem sie sich »ganz genau (.) und jedem Einzelnen auch mit dem Abendmahl zuwende[t]«. Aus der Zuwendung heraus scheint bisweilen (vgl. »manch- nicht immer«) dann aber etwas Eigendynamisches zu entstehen, was Frau M. mit »etwas Außerordentliches« bezeichnet. Es entsteht also etwas, was vom Gewohnten abweicht bzw. über das Gewöhnliche hinausgeht (vgl. Duden 2018j) und so in seiner Besonderheit hervorsticht, dass es nicht klar benannt werden kann. Deutlich wird hier die Anbahnung eines möglichen Transzendenzbezugs, dem sich im Folgenden immer stärker angenähert wird: Frau M.: Also es sind alle (.) es begleiten ja auch (.) vom vom Pflegepersonal Menschen diese Gottesdienste und auch sie können dann in diese (.) in dieses (.) Moment (.) ja der Besonderheit (.) der Heiligkeit oder Göttlichkeit miteinbezogen werden. Das ist schon sehr (.) sehr beeindruckend (.) ja. Unter Einbezug von Zeugen (vgl. begleitendes Pflegepersonal) wird zunächst von einem »Moment (.) ja der Besonderheit« gesprochen, der das Außer-

IV Empirischer Teil

ordentliche unterstreicht und zugleich seine Vergänglichkeit zum Ausdruck bringt. Es folgt eine unmittelbare Steigerung und Einführung »der Heiligkeit oder Göttlichkeit«, was nun endgültig einen Bezug zu religiösen Deutungsmustern erlaubt: Der Umstand, dass die Anwesenden in diese Heiligkeit oder Göttlichkeit »miteinbezogen werden«, kann als Ausdruck dessen gelesen werden, dass an dieser Stelle religiöse Kommunikation im Gange ist, d.h. unbestimmbare Transzendenz in bestimmbare Immanenz transformiert wird (vgl. Krech 2011: 33). Mit Durkheim könnte auch von der Entstehung einer kollektiven Efferveszenz gesprochen werden, der sich keiner der Anwesenden entziehen und welche mit einer Erfahrung von Selbstentgrenzung einhergehen kann (vgl. Durkheim 1994: 297f.). Dass Frau M. selbst nur noch Teil dieses Erlebnisses ist, wird dadurch bestärkt, dass sie den Moment als »schon sehr (.) sehr beeindruckend« zu empfinden scheint. Abschluss findet der Interakt mit einer auf die Bestätigung der Interviewerin folgenden Ausführung von Frau M.: I: Mhm. Das kann ich mir vorstellen. Frau M.: Mhm. Das mach ich (.) und deswegen mach ich das ja. Weil mich das auch sehr beeindruckt. Es ist nicht immer so. Es kommt (.) aber es entsteht. Also es entsteht so wesentlich mehr als in (.) in einem herkömmlichen Gottesdienst. Sicherlich kann auch das geschehen in einer Kirche in einem normalen Gottesdienst. Aber (.) es ist schon (1) was Anderes. @Wie ein Wunder fast.@ Mhm. Frau M. gibt an, ihr gottesdienstliches Angebot durchzuführen, um genau solche Momente der Besonderheit, Heiligkeit bzw. Göttlichkeit entstehen zu lassen und rückwirkend selbst zu erleben (vgl. »Weil mich das auch sehr beeindruckt.«). Die oben wiederholt angesprochene Bedeutung der Verbindung bzw. des Bandes wird nun also auf eine höhere Ebene verlagert, wo es nicht mehr nur um die Beziehung zwischen Menschen, sondern um eine Beziehung zwischen Mensch und Gott geht, die im Immanenten erlebbar werden kann. Mit ihrer spezifischen, sich von »normalen« Gottesdiensten unterscheidbaren Ausgestaltung scheint Frau M. ein geeignetes Vehikel gefunden zu haben, um Raum zur Verwirklichung dieses Erlebnisses zu schaffen. Letztendlich kann Frau M. aber nur günstige Voraussetzungen für die Entstehung etwas außerhalb ihrer Macht Liegenden schaffen, sodass sich das Eigendynamische und Außergewöhnliche mit einem »Wunder fast« vergleichen lässt, welches ‒ aus religiöser Perspektive ‒ für die unmittelbare Einwirkung einer göttlichen Macht im altenpflegerischen Setting sprechen würde.

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Religion in der Altenpflege

Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: 1. Religion spielt im vorliegenden Fall insofern eine Rolle, als sie zum Bezugspunkt zwischenmenschlicher, physische und psychische Beeinträchtigungen überwindender Begegnung wird. 2. Das spezifische gottesdienstliche Angebot, welches zwar an gängige Inhalte des Gemeindegottesdienstes angelehnt (vgl. Lieder, Abendmahl), in seiner Form aber bewusst von diesem unterschieden ist (vgl. Sitzanordnung, Zuwenden der Pfarrerin), erscheint dabei als geeignetes Vehikel, um ein raum- und zeitübergreifendes Erleben zwischenmenschlicher Bezugnahme, aber auch göttlicher Wirkungsmacht zu schaffen. 3. Durch die besondere Konstellation wird der spezifische Gottesdienst in der altenpflegerischen Einrichtung zu einem Ort, der Transzendenzerfahrungen befördern kann, ohne das Alter und die damit verbundenen Veränderungen als Einschränkung dieser Erfahrungsmöglichkeit zu betrachten.63

4.7

Der Roboter

Protokoll und Kontext Der folgende Fall bildet den Abschluss des empirischen Teils dieser Arbeit und pointiert bereits gewonnene Erkenntnisse im Hinblick auf das Verständnis von Religion im altenpflegerischen Setting. Ausführlich zur Sprache kommt hier noch einmal die bereits bekannte Pfarrerin Frau M., die unmittelbar zuvor über die ihrer Meinung nach starren Organisationsformen von Altenpflegeeinrichtungen sprach. Der zu untersuchende Interakt lautet wie folgt: I: Wir waren ja vorhin eigentlich beim Thema (.) Sterben (.) Tod (1) Auseinandersetzung auch mit Krankheit. Also Dinge die (.) ähm (.) wo Sie auch nicht nachvollziehen können warum die nicht zum Thema werden. Aber was wären denn (.) aus Ihrer Perspektive als Pfarrerin (.) Dinge wo man ansetzen müsste? Wo

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Damit füllt dieser Fall den im Leitbild (Kap. 4.2) angesprochenen, jedoch vage gebliebenen Raum für religiöses Leben, bricht jedoch mit der Trennung von Konfessionen. Auch die Beibehaltung von Regeln, wie sie für Herrn C. bedeutsam war (Kap. 4.6.1), verliert an Bedeutung.

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Religion in der Altenpflege

Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: 1. Religion spielt im vorliegenden Fall insofern eine Rolle, als sie zum Bezugspunkt zwischenmenschlicher, physische und psychische Beeinträchtigungen überwindender Begegnung wird. 2. Das spezifische gottesdienstliche Angebot, welches zwar an gängige Inhalte des Gemeindegottesdienstes angelehnt (vgl. Lieder, Abendmahl), in seiner Form aber bewusst von diesem unterschieden ist (vgl. Sitzanordnung, Zuwenden der Pfarrerin), erscheint dabei als geeignetes Vehikel, um ein raum- und zeitübergreifendes Erleben zwischenmenschlicher Bezugnahme, aber auch göttlicher Wirkungsmacht zu schaffen. 3. Durch die besondere Konstellation wird der spezifische Gottesdienst in der altenpflegerischen Einrichtung zu einem Ort, der Transzendenzerfahrungen befördern kann, ohne das Alter und die damit verbundenen Veränderungen als Einschränkung dieser Erfahrungsmöglichkeit zu betrachten.63

4.7

Der Roboter

Protokoll und Kontext Der folgende Fall bildet den Abschluss des empirischen Teils dieser Arbeit und pointiert bereits gewonnene Erkenntnisse im Hinblick auf das Verständnis von Religion im altenpflegerischen Setting. Ausführlich zur Sprache kommt hier noch einmal die bereits bekannte Pfarrerin Frau M., die unmittelbar zuvor über die ihrer Meinung nach starren Organisationsformen von Altenpflegeeinrichtungen sprach. Der zu untersuchende Interakt lautet wie folgt: I: Wir waren ja vorhin eigentlich beim Thema (.) Sterben (.) Tod (1) Auseinandersetzung auch mit Krankheit. Also Dinge die (.) ähm (.) wo Sie auch nicht nachvollziehen können warum die nicht zum Thema werden. Aber was wären denn (.) aus Ihrer Perspektive als Pfarrerin (.) Dinge wo man ansetzen müsste? Wo

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Damit füllt dieser Fall den im Leitbild (Kap. 4.2) angesprochenen, jedoch vage gebliebenen Raum für religiöses Leben, bricht jedoch mit der Trennung von Konfessionen. Auch die Beibehaltung von Regeln, wie sie für Herrn C. bedeutsam war (Kap. 4.6.1), verliert an Bedeutung.

IV Empirischer Teil

man auch dann Menschen (.) in diesen Situationen (.) gut begleiten sollte (1) weil es eben so existenziell ist. Wie wie kann man das (.) wie könnte man das machen?  Frau M.: Als Pflegeperson?  I: Wie Sie als Pfarrerin das vielleicht machen würden (.) aber auch was (.) andere (.) ja Pflegende (.) Sozialarbeitende (.) die vielleicht auch nah dran sind machen könnten. (6)  Frau M.: Naja also (2) ich glaube nicht dass @es da so ne Regelhaftigkeit@ gibt. Das ist jeder (.) stirbt letztlich (.) auch anders. (3) Nur dass die Menschen nun mal in einem Altenheim sind weil sie bald sterben werden (.) weil sie auch so beeinträchtigt sind dass sie nicht mehr alleine leben können. (1) Das heißt (4). @Das ist halt so. Das kann man ja nicht beschönigen.@ Das ist die letzte Lebensphase (.) und die Lebensphase soll jetzt nicht eben (.) komplett (.) äh (.) davon gestaltet sein (.) dass es jetzt schrecklich ist. Auch innerhalb der Beeinträchtigungen die nun mal da sind (.) die jeder von uns bekommt (.) das ist nun mal so im Leben (1) gibt es Dinge die noch funktionieren und die gilt es (3) auch zu stärken. Und (2) dadurch auch die (.) auch die Lebensfreude angesichts des Todes. Aber die angesichts des Todes ist es nun mal. Und das wissen die Menschen doch auch. (1) Und (.) das ist doch keine Frage. Nur (.) wenn sie ganz allein gelassen werden damit (2) nicht alle (.) wahrscheinlich (.) aber viele (.) kommen damit nicht zurecht dass das Leben sich so beendet. Und da braucht es (.) jemanden der (.) das mitträgt (.) eben Empathie fühlt. Und sei es nur indem man ein bisschen (.) ähm Zuwendung (.) indem man die Hand hält (.) basale Dinge (.) völlig. (2) Also da braucht es keine komplizierten Gespräche über den Sinn des Lebens und jetzt angesichts des Todes. (3) Sicher gibt es auch Fragen die dann kommen (.) ja was ist (.) jetzt dann? (2) Wenn ich (1) gehe. Wohin gehe ich? (4) Ja doch. Ich kann ihnen (.) @natürlich eine Antwort geben.@ Ja. Der Tod ist nicht das Ende. Der Übergang in ein neues Leben (1) und das Leben ist dann (.) Licht und Liebe (.) und gut. Das ist die Perspektive.  I: Mhm. (2) Vielleicht ist das auch der Punkt (.) warum das so ein bisschen (.) ausgeklammert wird (.) weil Sie Sie können sagen Sie können ne Antwort geben. Aber vielleicht die Pflegenden mit denen ich gesprochen habe (.) nicht (.) weil sie vielleicht diese (.) ja religiöse Perspektive auch nicht haben. Vielleicht überfordert werden (.) ja was  Frau M.: Ja aber das lässt sich ja lernen. Deswegen lernen sie ja auch drei Jahre. (4)  I: Aber kann [man] 

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Religion in der Altenpflege

Frau M.: [Ich] muss nicht selbst gläubig sein um das zu vertreten. Wenn ich höre Menschen (.) haben ein bestimmtes Anliegen (.) und dieses Anliegen es es geht ja nicht um mich (1). Ich meine ich arbeite dort also geht es um die Menschen. Also wenn sie ein bestimmtes Anliegen haben und ich habe das über ne gewisse Zeit lang erkannt (.) dann folge ich diesem Anliegen. (3) Das finde ich selbstverständlich. So (.) ich will das jetzt zwar jetzt nicht überbetonen (.) aber das ist (.) orientiert an der (.) Person die mich bezahlt. (2) Das ist ja schließlich kein (.) äh (.) kein (.) kein äh (.) Dienst (.) äh (.) kein Mitleids- oder (1) Selbstlosigkeitsdienst. (1) Das (.) ich werde dafür bezahlt. Das ist mein Beruf. (2) Und ich hab das ja unter anderem auch (.) äh (.) geprüft (.) kann denn zum Beispiel ein Pflege Pflegeausbildung auch eine Profession sein. (2) Bisher noch nicht. Aber es wäre wichtig (1) dass es eine Profession würde. Das hängt natürlich dann noch mit vielen anderen (.) sicherlich dann auch auch mit der sozialen Anerkennung (.) mit (.) mit der Bezahlung (.) ja (.) mit der Kompali- Kompa- Kompatibilität der (.) Pflegewissenschaft mit der Praxis. All das hinkt ja. Da (.) das verhindert es. Aber sinnvoll wäre es (.) weil dann würde ich wie ein guter Psychotherapeut oder hoffentlich wie ein guter Seelsorger (.) selbstverständlich (.) empathisch den Anliegen (1) derjenigen folgen (.) die mich brauchen. (5) Ja (.) und wenn das jetzt noch nicht der Fall ist (.) ist es schade. (1) Leider gibt es für die Pflege auch wenig (.) ähm (.) ja politisches Engagement. Also klar (.) es wird jetzt über den Pflegenotstand gesprochen. Dann kauft man irgendwoher (.) Pflegekräfte ein. Und es gab ja schonmal so eine Zeit. Nämlich so Mitte der neunziger Jahre. Da kam ein ganzer Schub von russlanddeutschen Aussiedlern (.) die aus allen möglichen Berufen stammten (.) und die hat man dann auch (.) schnell schnell (.) ähm (.) also umgeschult (1) in die Altenpflege. Weil das kann ja jeder. Und egal was da vorher war (.) macht das. Ja (.) °das war° (.) grausig. (1) Das (.) geht (.) gar nicht. Da waren Menschen die nie mit anderen Menschen geschweige denn gebrechlichen beeinträchtigten Menschen umgegangen sind. Die überhaupt nicht diese (.) ja::: (.) ähm (.) also (.) die Vorbereitung hätten sie nötig gehabt. Aber sie sind umgeschult worden in diesen Kurzumschulungen. Wenn man eine abgeschlossene Ausbildung hat dann kann man auch so ne Kurzumschulung draufsetzen. (2) Und das ist jetzt wieder ein ähnlicher Plan. Das zeigt wie wenig (.) äh (.) auch von dieser Seite der Politik aus wahrgenommen wird was Menschen (.) in diesen hilflosen Umständen eigentlich äh (.) also (.) was sie bedürfen und (.) wie wertlos sie eigentlich dann auch sind. Wenn man sie (.) Hauptsache irgendwer ja (1) der ihnen irgendwie die Windel wegmacht. Das ist das (.) was so in den Köpfen schwebt. Da würde ich auch sagen (.) da ist mir lieber ein Roboter. (1) Das (.) ja

IV Empirischer Teil

(2) da würde ich lieber einen Roboter haben. Ein Roboter ist immer gleichbleibend freundlich. Ein Roboter tut genau das (.) so wie er programmiert ist und er wird hoffentlich gut programmiert sein (.) dass er sich meinen (.) Bedürfnissen annimmt. Denn das kann ich von den Menschen (.) die dann manchmal zufällig so sind manchmal eben nicht (.) nicht erwarten. Ich bin ausgeliefert. Komplett ausgeliefert. (3)  I: Aber der Roboter könnte dann ja im Prinzip nur körperpflegerische Tätigkeiten  Frau M.: Nein (.) die Roboter die in in in Japan schon eingesetzt sind eben nicht. (1)  I: @Aber da wäre jetzt noch mal (.) das find ich total spannend@ (.) wo (.) wenn wir jetzt nochmal zu dem Thema Religion kommen (.) wäre (.) das wär doch (.) wär das vorstellbar für Sie? Dass auch dort dann @mit dem Roboter gemeinsam gebetet wird@ (.) zum Beispiel?  Frau M.: Für mich schon. Ja. Ich kann mir das gut vorstellen. (2)  I: Okay. Also bräuchte es  Frau M.: Es braucht ja jemand- es geht ja um die Begleitung. Es geht um die Person. Die Person hat ein Anliegen und kann das Anliegen vielleicht nicht selbstständig auf den Weg bringen. (1) Und wenn ich als Mensch das erkenne und das tun kann (.) dann ist es wundervoll. (1) Aber wie Sie eben bereits bemerkt haben (.) passiert das ja nun leider nicht so häufig. (1) Hingegen hab ich einen Roboter (.) der wird so (.) daraufhin eingestellt (.) und da ist es garantiert. (2) Und ich werde nicht enttäuscht.  I: Ja:  Frau M.: Ich werde nicht einfach rücksichtslos zur Seite geschoben weil gesagt wird jetzt haben wir keine Zeit. (3)  I: Mhm. (4) Find ich total spannend (.) das mit dem Roboter. Da muss ich nochmal drüber nachdenken. (1) Ne das (2) weil das ja immer diese Befürchtung auch im Raum steht (.) und irgendwann wird Pflege nur noch durch Roboter gemacht (.) aber [das] vielleicht auch positiv zu sehen  Frau M.: [Ja weil] ja genau weil diejenigen die (.) äh (.) die Befürchtung äußern nicht in dieser Situation sind und sie nicht kennen (.) wie es ist (.) völlig einsam verlassen (.) irgendwo zu liegen (.) und (2) ja. (3) Als:: (3) ja als ein (.) Überbleibsel (.) als etwas was eigentlich schon auf den Müll (.) gehört.

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Sequenzanalyse und Hypothesenbildung Mit der Aussage »Wir waren ja vorhin eigentlich beim Thema (.) Sterben (.) Tod (1) Auseinandersetzung auch mit Krankheit. Also Dinge die (.) ähm (.) wo Sie auch nicht nachvollziehen können warum die nicht zum Thema werden.« übernimmt die Interviewerin die Führung des Gesprächs und knüpft an bereits erwähnte, jedoch offensichtlich noch nicht vollständig besprochene Gesprächsinhalte an. Es geht um »Dinge«, also Angelegenheiten, die mit Sterben und Tod zu tun haben, im altenpflegerischen Setting jedoch nicht thematisiert werden. Die Interviewerin spitzt ihre Beobachtung zu einer Frage zu, welche Frau M. in ihrer Rolle als Pfarrerin adressiert: I.: Aber was wären denn (.) aus Ihrer Perspektive als Pfarrerin (.) Dinge wo man ansetzen müsste? Wo man auch dann Menschen (.) in diesen Situationen (.) gut begleiten sollte (1) weil es eben so existenziell ist. Wie wie kann man das (.) wie könnte man das machen? Frau M. in ihrer Rolle als Pfarrerin wird also ein besonderer Status zugeschrieben, der es ihr ‒ z.B. durch die Einnahme einer religiösen Perspektive ‒ ermöglicht, Interventionsmöglichkeiten für die Begleitung von Sterbenden oder Kranken bzw. den Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod einzuschätzen. Während an dieser Stelle noch offen ist, wer denn eigentlich von wem begleitet werden kann und soll, zielt die Frage auf konkrete und gleichwohl hypothetische Umsetzungsstrategien ab (vgl. »Dinge wo man ansetzen müsste« und »kann […] könnte man das machen«). Bedeutung erhalten diese möglichen Strategien vor dem Hintergrund der Zuschreibung von Existenzialität: Der verwendete Ausdruck ›existenziell‹ lässt sich basal verstehen als ›das Dasein, die Existenz wesentlich betreffen‹ bzw. ›lebenswichtig‹ (Duden 2018k). Mit Bezug auf Oevermanns Überlegungen zum Strukturmodell von Religiosität kann das Bewusstsein über die Endlichkeit des eigenen Lebens als Konstitutionsmoment des Subjekts verstanden werden, geht es doch um nichts weniger als die »unhintergehbare Dreifaltigkeit der Existenzfrage einer Lebenspraxis« (Oevermann 1995: 35), die sich in den Identitätsfragen ›Wer bin ich?‹, ›Woher komme ich?‹ und ›Wohin gehe ich?‹ offenbart und sich letztendlich in individuumsüberschreitenden Reflexionsprozessen, wie etwa einem Schöpfungsmythos niederschlägt (vgl. ebd.: 35f.). In der Gegensätzlichkeit von Endlichkeit und Unendlichkeit sowie Diesseits und Jenseits sieht Oevermann die Quelle für die Entstehung und Entwicklung jeglicher Religiosität (vgl. ebd.: 36). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellt sich also

IV Empirischer Teil

die Frage, wie Frau M. als Externe64 der Einrichtung, zugleich jedoch durch ihre Rolle als Pfarrerin inhaltlich Involvierte, hierzu Stellung bezieht. Wie bereits deutlich wurde, ist der Akteur der Handlung bzw. der Begleitung noch unklar, weswegen Frau M. auch nachfragt: »Als Pflegeperson?« Mit der Antwort »Wie Sie als Pfarrerin das vielleicht machen würden (.) aber auch was (.) andere (.) ja Pflegende (.) Sozialarbeitende (.) die vielleicht auch nah dran sind machen könnten. (6)« setzt die Interviewerin den Fokus zunächst auf die Rolle der Pfarrerin, eröffnet aber auch Anknüpfungsmöglichkeiten an weitere Rollen wie die der Pfleger und Sozialarbeiter. Die ursprünglich sehr weit gefasste Frage der Interviewerin lässt sich folglich auf Rollen im altenpflegerischen Setting beziehen, die möglichst eng mit der zu pflegenden bzw. zu begleitenden Klientel zusammenarbeiten und nah am Geschehen sind. Unterstellt wird damit eine unterschiedliche Nähe bzw. Distanz verschiedener Rollenträger im altenpflegerischen Setting, was die Beobachtung von und möglicherweise auch den Umgang mit Krankheit, Sterben und Tod betreffen könnte. Nach einer längeren Pause (vgl. sechs Sekunden), die für ein Nachdenken über eine als schwierig zu beantwortende Frage stehen kann, äußert sich Frau M. wie folgt: Frau M.: Naja also (2) ich glaube nicht dass @es da so ne Regelhaftigkeit@ gibt. Das ist (.) jeder stirbt letztlich (.) auch anders. (3) Zentral für Frau M. und deshalb direkt eingangs stehend, ist die Annahme, dass es keine »Regelhaftigkeit« gibt, Sterben also etwas sehr Individuelles und im Prozess voneinander Abweichendes ist. Es lässt sich folglich keine allgemeingültige Aussage darüber treffen, wie ein Sterbender zu begleiten ist. Es gibt keine festen Abläufe, die zu berücksichtigen sind, damit aber gleichzeitig auch keinen festen Rahmen, der Orientierung bietet. Das Thema des Umgangs mit Sterben(den) ist also eines, für das sich jegliche Form von Rezeptwissen von vornherein verbietet. Dementsprechend ist zu erwarten, dass Frau M. im Folgenden auch nicht die einzelnen Rollen im Hinblick auf ihren Umgang mit Sterbenden abhandeln (im Sinne von: »Die Pflegerin sollte dies und jenes tun«), sondern eher allgemein über das Thema Sterben und Tod sprechen wird. Dies tut sie dann auch, wenn sie folgert: 64

Wie bereits in der vorherigen Fallanalyse erläutert, ist Frau M. nicht fest in der Einrichtung angestellt und so auch nur sporadisch dort vertreten.

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Frau M.: Nur dass die Menschen nun mal in einem Altenheim sind weil sie bald sterben werden (.) weil sie auch so beeinträchtigt sind dass sie nicht mehr alleine leben können. (1) Während zuvor noch die Verschiedenartigkeit des Sterbens betont wurde, wird hier ein verallgemeinerndes Spezifikum des untersuchten Settings deutlich: Den Menschen ist gemeinsam, dass sie in einem Altenheim sind, gerade weil sie sterben werden. Diese Aussage steht in radikalem Gegensatz zur Vorstellung, dass Menschen in einem Altenheim leben, um dort unter Gleichgesinnten eine bestimmte, wenn auch letzte Lebensphase zu gestalten.65 Vor Augen geführt wird damit in radikaler Form die bereits thematisierte Endlichkeit des Lebens, die das Altenheim gewissermaßen zur Endstation dieses Lebens macht. Etwas abgemildert wird diese Drastik mit der Aussage »weil sie auch so beeinträchtigt sind […]«, indem auf die Unselbstständigkeit der Klientel Bezug genommen wird, welche zu einem zwangsläufigen Einzug in ein Altenheim führen würde. Dass es Frau M. dennoch ein Anliegen ist, deutlich und unbeschönigt zu sprechen, zeigt sich im weiteren Verlauf: Frau M.: Das heißt (4). @Das ist halt so. Das kann man ja nicht beschönigen.@ Das ist die letzte Lebensphase (.) und die Lebensphase soll jetzt nicht eben (.) komplett (.) äh (.) davon gestaltet sein (.) dass es jetzt schrecklich ist. Auch innerhalb der Beeinträchtigungen die nun mal da sind (.) die jeder von uns bekommt (.) das ist nun mal so im Leben (1) gibt es Dinge die noch funktionieren und die gilt es (3) auch zu stärken. Diese Gesamtschau verdeutlicht, was Altern heißt: Die letzte Lebensphase wird unumkehrbar eingeläutet, was zu starken Abwehrreaktionen und negativen Empfindungen führen kann, jedoch nicht sollte (vgl. »[…] und diese Lebensphase soll jetzt nicht eben (.) komplett (.) äh (.) davon gestaltet sein (.) dass es jetzt schrecklich ist.«). Beeinträchtigungen innerhalb dieser Phase sind eine typische Erscheinung, die alle Menschen betreffen, gleichzeitig gibt es immer noch »Dinge«, die funktionieren und gefördert werden können. Damit eröffnet Frau M. einen ressourcenorientierten Blick auf unveränderbare und gleichsam die menschliche Existenz im Tiefsten betreffende Tatsachen, die die Frage umso bedeutsamer macht, wie ein Mensch in dieser Lebensphase angemessen begleitet werden kann. Grundsätzlich gesprochen geht es

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Vgl. kontrastierend hierzu das Protokoll des Leitbildes in Kapitel 4.2.

IV Empirischer Teil

also um die Frage, wie im Angesicht des Todes gelebt werden kann, was dann auch Frau M. thematisiert: Frau M.: Und (2) dadurch auch die (.) auch die Lebensfreude angesichts des Todes. Aber die angesichts des Todes ist es nun mal. Und das wissen die Menschen doch auch. (1) Und (.) das ist doch keine Frage. Das Thema Sterben und Tod ist also eines, das sich zwangsläufig aus dem Charakter des Settings ergibt, also präsent ist und sich damit schwerlich ignorieren lässt. Dass genau dies jedoch passiert, wird in der nachfolgenden Aussage Frau M.s deutlich: Frau M.: Nur (.) wenn sie ganz allein gelassen werden damit (2) nicht alle (.) wahrscheinlich (.) aber viele (.) kommen damit nicht zurecht dass das Leben sich so beendet. Und da braucht es (.) jemanden der (.) das mitträgt (.) eben Empathie fühlt. Und sei es nur indem man ein bisschen (.) ähm Zuwendung (.) indem man die Hand hält (.) basale Dinge (.) völlig. Das sich beendende Leben, hier als Agens verstanden, wird also zum Ausgangspunkt einer Kritik am Umfeld vieler Sterbender, dem es offensichtlich nicht gelingt, diese in ihrer Not zu begleiten. Diese Kritik betrifft offensichtlich auch die Organisationen der Altenpflege, die aus bereits genannten Gründen zu besonderen Orten des Sterbens werden. Somit steht dem Wissen um die Bedeutsamkeit dieser Thematik ein fehlender praktischer Umgang gegenüber, d.h. das Wissen schlägt sich nicht in Handlungspraxis nieder. Dass die potenzielle Handlungspraxis jedoch erst einmal basal gedacht werden kann (vgl. Zuwendung schenken durch Handhalten) steht für Frau M. außer Frage. Auch wenn diese Form für Frau M. so selbstverständlich und einfach erscheint, lässt sich fragen, ob dies für alle Beteiligten so gilt bzw. ob nicht gerade hier, im Mittragen und Empathiefühlen, eine Herausforderung liegen könnte. Diese Frage stellt sich umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass ein Begleiten in diesem Verständnis auch immer eine Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit nach sich ziehen kann. Dass sich die Begleitung Sterbender aus Perspektive Frau M.s verhältnismäßig einfach gestaltet, zeigt sich wiederholt im weiteren Verlauf des Protokolls: Frau M: (2) Also da braucht es keine komplizierten Gespräche über den Sinn des Lebens und jetzt angesichts des Todes. (3) Sicher gibt es auch Fragen die dann kommen (.) ja was ist (.) jetzt dann? (2) Wenn ich (1) gehe. Wohin gehe

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ich? (4) Ja doch. Ich kann ihnen (.) @natürlich eine Antwort geben.@ Ja. Der Tod ist nicht das Ende. Der Übergang in ein neues Leben (1) und das Leben ist dann (.) Licht und Liebe (.) und gut. Das ist die Perspektive. Viel wichtiger als Gespräche auf kognitiver Ebene erscheint die emotionale Begleitung, welche sich ja, wie bereits herausgearbeitet wurde, relativ leicht herstellen lasse. Völlig unbedeutend sind kognitive Zugänge jedoch nicht, was sich im Aufkommen von Identitätsfragen zeigt: »[…] ja was ist (.) jetzt dann? (2) Wenn ich (1) gehe. Wohin gehe ich?« Dabei steht Frau M. aufgrund ihrer theologischen Ausbildung und/oder religiösen Sozialisierung wie selbstverständlich (vgl. lachende Intonation) eine klar umrissene Deutungsmöglichkeit zur Verfügung: Dem diesseitigen Leben schließe sich ein neues Leben an, welches durch »Licht und Liebe« charakterisiert sei. Diese Deutung lässt Sterben und Tod als Übergang verstehen, der zwar ein Abschiednehmen vom bekannten Leben erfordert, jedoch eine positive Wendung nehmen wird. Gleichzeitig führt diese Deutung vor Augen, dass es sich um Frau M.s Perspektive handelt, die sie anbieten kann (vgl. »Ich kann ihnen (.) @natürlich eine Antwort geben.@«), welche jedoch nicht zwangsläufig angenommen werden muss. Dementsprechend kann die Hypothese aufgestellt werden, dass der Bezug auf Religion in der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod Antworten auf existenzielle Identitätsfragen liefern kann, jedoch nicht unbedingt anschlussfähig sein muss. Dies trifft auch auf das altenpflegerische Setting zu, welches für eine Auseinandersetzung mit Sterben und Tod prädestiniert ist, in der Praxis der Begleitung jedoch vor Herausforderungen zu stehen scheint. Dass Frau M. mit ihrer Perspektive über eine besondere Ressource verfügt, deutet auch die Interviewerin an: I: Mhm. (2) Vielleicht ist das auch der Punkt (.) warum das so ein bisschen (.) ausgeklammert wird (.) weil Sie Sie können sagen Sie können ne Antwort geben. Aber vielleicht die Pflegenden mit denen ich gesprochen habe (.) nicht (.) weil sie vielleicht diese (.) ja religiöse Perspektive auch nicht haben. Vielleicht überfordert werden (.) ja was Die Interviewerin verweist auf eine potenziell bei Pflegenden anzutreffende Sprachunfähigkeit, die sich daraus ergeben könnte, dass a) bei Pflegenden ein unangenehmes und hemmendes Gefühl entstehen könnte, weil sie eben wissen, dass sie keine religiös konnotierte, Hoffnung spendende Antwort auf existenzielle Fragen liefern können,

IV Empirischer Teil

b) sich Pflegende generell unsicher fühlen könnten, was sie in einer solchen Situation sagen bzw. tun sollten, gleichzeitig jedoch aus dem eigenen Verantwortungsbewusstsein heraus nicht irgendetwas ›Falsches‹ sagen bzw. tun möchten, c) sich Pflegende in der Auseinandersetzung mit Sterben und Tod mit ihrer eigenen Endlichkeit auseinandersetzen müssten, was ein schmerzlicher Prozess sein könnte.

Dass diese Überlegungen und Begründungen für Frau M. keine Gültigkeit besitzen, zeigt sich in ihrer Aussage: Frau M.: Ja aber das lässt sich ja lernen. Deswegen lernen sie ja auch drei Jahre. (4) Der potenziellen Überforderung und Sprachunfähigkeit der Pflegenden wird die Erlernbarkeit im Rahmen der dreijährigen Berufsausbildung gegenübergestellt, was die Interviewerin offenbar irritiert: I: Aber kann [man] Frau M.: [Ich] muss nicht selbst gläubig sein um das zu vertreten. Wenn ich höre Menschen (.) haben ein bestimmtes Anliegen (.) und dieses Anliegen es es geht ja nicht um mich (1). Ich meine ich arbeite dort also geht es um die Menschen. Also wenn sie ein bestimmtes Anliegen haben und ich habe das über ne gewisse Zeit lang erkannt (.) dann folge ich diesem Anliegen. (3) Das finde ich selbstverständlich. An dieser Stelle lässt sich zunächst fragen, wie das »vertreten« zu verstehen ist: Kann man eine religiöse Deutung existenzieller Lebensfragen vertreten, auch wenn man selbst nicht daran glaubt? Oder meint »vertreten« das Mittragen von Leid unabhängig von der eigenen Religiosität? Was festzustehen scheint, ist die Forderung, dass das Gegenüber im Zentrum des eigenen Handelns stehen und die eigene Person mit ihren Bedürfnissen in den Hintergrund rücken sollte (vgl. »es geht ja nicht um mich«). Diesen normativen Anspruch macht Frau M. sehr deutlich und begründet ihn im Folgenden: Frau M.: So (.) ich will das jetzt zwar jetzt nicht überbetonen (.) aber das ist (.) orientiert an der (.) Person die mich bezahlt. (2) Das ist ja schließlich kein (.) äh (.) kein (.) kein äh (.) Dienst (.) äh (.) kein Mitleids- oder (1) Selbstlosigkeitsdienst. (1) Das (.) ich werde dafür bezahlt. Das ist mein Beruf. (2)

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Sichtbar wird hier ein bedürfnisorientierter Ansatz, der sich an ökonomischen und rationalen Logiken zu orientieren scheint. Zielgruppe ist eine Klientel, die emotionaler Zuwendung in einer besonderen Lebenslage bedarf und Andere für die Bedürfnisbefriedigung »bezahlt«. Entsprechend einem Berufs-, und eben keinem Berufungsverständnis hat sich die zu entlohnende Person ganz und gar an den Bedürfnissen dieser Klientel auszurichten, was einem sogenannten »Mitleids- oder (1) Selbstlosigkeitsdienst« gegenüberstehe. Letzteres kann als kritischer Verweis auf eine insbesondere in der Pflege anzutreffende Arbeitskultur verstanden werden, die die (Kranken-)Pflege lange Zeit als Ausdruck einer weiblichen Liebestätigkeit betrachtete (vgl. Bischoff-Wanner 2002: 16f.) und in der die Selbstsorge der Pflegerinnen keine Rolle spielte (vgl. Kellner 2011). Dass aber gerade die Selbstsorge zu einem wichtigen Bezugspunkt in der Auseinandersetzung mit emotionalen und insbesondere leidvollen Erfahrungen werden kann, der sich nicht einfach durch Geld aufwiegen lässt, wird an dieser Stelle nicht problematisiert. Stattdessen erscheint der Umgang mit diesen Erfahrungen als logische Konsequenz des altenpflegerischen Settings, welcher erlernt und unter der Logik ›GeldLeistung‹ abgehandelt werden kann und muss. In dieser eher rationalen Perspektive bleibt Frau M. auch im Folgenden, wenn sie auf die Professionalisierungsdebatte in der Pflege anspielt: Frau M.: Und ich hab das ja unter anderem auch (.) äh (.) geprüft (.) kann denn zum Beispiel ein Pflege Pflegeausbildung auch eine Profession sein. (2) Bisher noch nicht. Aber es wäre wichtig (1) dass es eine Profession würde. Das hängt natürlich dann noch mit vielen anderen (.) sicherlich dann auch auch mit der sozialen Anerkennung (.) mit (.) mit der Bezahlung (.) ja (.) mit der Kompali- Kompa- Kompatibilität der (.) Pflegewissenschaft mit der Praxis. All das hinkt ja. Da (.) das verhindert es. Aber sinnvoll wäre es (.) weil dann würde ich wie ein guter Psychotherapeut oder hoffentlich wie ein guter Seelsorger (.) selbstverständlich (.) empathisch den Anliegen (1) derjenigen folgen (.) die mich brauchen. (5) Ja (.) und wenn das jetzt noch nicht der Fall ist (.) ist es schade. (1) Leider gibt es für die Pflege auch wenig (.) ähm (.) ja politisches Engagement. Also klar (.) es wird jetzt über den Pflegenotstand gesprochen. Dann kauft man irgendwoher (.) Pflegekräfte ein. Und es gab ja schonmal so eine Zeit. Nämlich so Mitte der neunziger Jahre. Da kam ein ganzer Schub von russlanddeutschen Aussiedlern (.) die aus allen möglichen Berufen stammten (.) und die hat man dann auch (.) schnell schnell (.) ähm (.) also umgeschult (1) in die Altenpflege. Weil das kann ja jeder. Und egal

IV Empirischer Teil

was da vorher war (.) macht das. Ja (.) °das war° (.) grausig. (1) Das (.) geht (.) gar nicht. Da waren Menschen die nie mit anderen Menschen geschweige denn gebrechlichen beeinträchtigten Menschen umgegangen sind. Die überhaupt nicht diese (.) ja::: (.) ähm (.) also (.) die Vorbereitung hätten sie nötig gehabt. Aber sie sind umgeschult worden in diesen Kurzumschulungen. Wenn man eine abgeschlossene Ausbildung hat dann kann man auch so ne Kurzumschulung draufsetzen. (2) Und das ist jetzt wieder ein ähnlicher Plan. Diese Ausführungen können als pflegewissenschaftlicher bzw. gerontologischer Exkurs zur Professionalisierungsbedürftigkeit von Pflegeberufen verstanden werden, der an dieser Stelle nicht ausführlich analysiert, sondern nur knapp zusammengefasst werden soll: Festzuhalten ist, dass Frau M. sich hier als Expertin verortet, die sich neben ihrer Tätigkeit als Pfarrerin offensichtlich auch mit solchen Fragestellungen auseinandergesetzt hat und damit noch einmal eine andere Perspektive auf den Gegenstand eröffnet. Dabei schließt sie an ihre Ausführungen zur Eigenlogik altenpflegerischer Einrichtungen an, die dem ausgewählten Interakt unmittelbar vorausgegangen waren. Aus dieser Perspektive heraus kritisiert sie das gängige System der Altenpflege insbesondere vor dem Hintergrund von politischen Entscheidungen, die die Entwicklung von Empathie aufseiten der Pflegenden und damit einen bedürfnisorientierten Umgang verhindern würden (vgl. die Vergleichsfolie typischer Professionen wie »guter Psychotherapeut« bzw. »guter Seelsorger«). Was ihrer Meinung nach grundsätzlich falsch läuft, erläutert Frau M. im Folgenden: Frau M.: Das zeigt wie wenig (.) äh (.) auch von dieser Seite der Politik aus wahrgenommen wird was Menschen (.) in diesen hilflosen Umständen eigentlich äh (.) also (.) was sie bedürfen und (.) wie wertlos sie eigentlich dann auch sind. Wenn man sie (.) Hauptsache irgendwer ja (1) der ihnen irgendwie die Windel wegmacht. Das ist das (.) was so in den Köpfen schwebt. Da würde ich auch sagen (.) da ist mir lieber ein Roboter. (1) Das (.) ja (2) da würde ich lieber einen Roboter haben. Ein Roboter ist immer gleichbleibend freundlich. Ein Roboter tut genau das (.) so wie er programmiert ist und er wird hoffentlich gut programmiert sein (.) dass er sich meinen (.) Bedürfnissen annimmt. Denn das kann ich von den Menschen (.) die dann manchmal zufällig so sind manchmal eben nicht (.) nicht erwarten. Ich bin ausgeliefert. Komplett ausgeliefert. (3)

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Im Zentrum ihrer Betrachtung stehen wieder die zu betreuenden Menschen, diesmal jedoch nicht in ihrer Rolle als Sterbende, sondern als Pflegebedürftige. Vor dem Hintergrund der bereits erwähnten politischen Maßnahmen wird ihnen Hilflosigkeit, Bedürftigkeit und Wertlosigkeit attestiert. Ein Entgegenbringen von Einfühlungsvermögen ist in diesem System von Pflege nicht vorgesehen (vgl. »Hauptsache irgendwer ja (1) der ihnen irgendwie die Windel wegmacht«), was die Schilderung umso radikaler erscheinen lässt. Interessanterweise bleibt es nicht bei dieser Kritik, welche Frau M. zu einer Art Anwältin der Pflegebedürftigen macht: Mit dem Wechsel in die Ich-Perspektive (vgl. »Da würde ich auch sagen […]«) beginnt Frau M. ein Alternativ-Szenario zu entwickeln, in dessen Fokus ein Roboter steht: Würde sich Frau M. in der Situation der Pflegebedürftigen befinden, würde sie einen Roboter den menschlichen Pflegekräften vorziehen. Begründet wird dies mit der Programmierbarkeit des Roboters, welche mit gleichbleibender Freundlichkeit und Bedürfnisorientierung einhergehe. Im Gegensatz zur Vorstellung einer potenziellen Gefährlichkeit von Robotern, wie sie z.B. manche Science-Fiction-Filme vermitteln66 , entsteht hier das Bild eines verlässlichen technischen Begleiters, der die Gefahr des Ausgeliefertseins in der Pflegebedürftigkeit geradezu verhindert. Der Gefühllosigkeit schlecht ausgebildeter Pflegekräfte wird hier also eine perfekte Gefühllosigkeit eines Roboters gegenübergestellt, die im Zweifelsfall von Frau M. bevorzugt wird. Die ursprünglich geforderte Empathie spielt in diesem durchweg radikal geschilderten Szenario dann keine Rolle mehr. Wie diese Vorstellung eines perfekt programmierten Roboters zur Ausübung religiöser Praxis passt, wird im weiteren Verlauf der Sequenz deutlich: I: Aber der Roboter könnte dann ja im Prinzip nur körperpflegerische Tätigkeiten Frau M.: Nein (.) die Roboter die in in in Japan schon eingesetzt sind eben nicht. (1) I: @Aber da wäre jetzt noch mal (.) das find ich total spannend@ (.) wo (.) wenn wir jetzt nochmal zu dem Thema Religion kommen (.) wäre (.) das wär doch (.) wär das vorstellbar für Sie? Dass auch dort dann @mit dem Roboter gemeinsam gebetet wird@ (.) zum Beispiel? Frau M.: Für mich schon. Ja. Ich kann mir das gut vorstellen. (2) 66

Man denke hier etwa an Filme wie Terminator (1984) oder I, Robot (2004), die zeigen, was passieren könnte, wenn Roboter aufgrund von künstlicher Intelligenz ein Eigenleben entwickeln.

IV Empirischer Teil

Den Einsatzmöglichkeiten eines Roboters in der Pflege eher skeptisch gegenüberstehend, nähert sich die Interviewerin verunsichert der religiösen Begleitung durch einen solchen (vgl. »[…] wäre (.) das wär doch (.) wär das vorstellbar für Sie?«). Frau M. scheint fest davon überzeugt zu sein, dass bestimmte Roboter bereits heute schon mehr können als Körperpflege ‒ ein gemeinsames Gebet mit dem Roboter ist also durchaus vorstellbar für sie. Mit dem Roboter steht also ein potenzieller Ersatz nicht nur für schlecht ausgebildete Pflegekräfte im Raum, sondern auch für Personen, die sich zuvor der religiösen Begleitung widmeten. Schafft Frau M. ihren Berufsstand damit nicht selbst ab? Dass es Frau M. in dieser Situation gar nicht um die Bewahrung ihrer Profession bzw. eines bestimmten Stellenwertes von Religion im altenpflegerischen Setting geht, zeigt sich im Abschluss der Sequenz: I: Okay. Also bräuchte es Frau M.: Es braucht ja jemand- es geht ja um die Begleitung. Es geht um die Person. Die Person hat ein Anliegen und kann das Anliegen vielleicht nicht selbstständig auf den Weg bringen. (1) Und wenn ich als Mensch das erkenne und das tun kann (.) dann ist es wundervoll. (1) Aber wie Sie eben bereits bemerkt haben (.) passiert das ja nun leider nicht so häufig. (1) Hingegen hab ich einen Roboter (.) der wird so (.) daraufhin eingestellt (.) und da ist es garantiert. (2) Und ich werde nicht enttäuscht. I: Ja: Frau M.: Ich werde nicht einfach rücksichtslos zur Seite geschoben weil gesagt wird jetzt haben wir keine Zeit. (3) I: Mhm. (4) Find ich total spannend (.) das mit dem Roboter. Da muss ich nochmal drüber nachdenken. (1) Ne das (2) weil das ja immer diese Befürchtung auch im Raum steht (.) und irgendwann wird Pflege nur noch durch Roboter gemacht (.) aber [das] vielleicht auch positiv zu sehen Frau M.: [Ja weil] ja genau weil diejenigen die (.) äh (.) die Befürchtung äußern nicht in dieser Situation sind und sie nicht kennen (.) wie es ist (.) völlig einsam verlassen (.) irgendwo zu liegen (.) und (2) ja. (3) Als:: (3) ja als ein (.) Überbleibsel (.) als etwas was eigentlich schon auf den Müll (.) gehört. Mit einer eher pessimistischen Prognose einhergehend (vgl. »Und wenn ich als Mensch das erkenne und das tun kann (.) dann ist es wundervoll. (1) Aber wie Sie eben bereits bemerkt haben (.) passiert das ja nun leider nicht so häufig«), steigert sich auch die Radikalität in Frau M.s Wortwahl bis zum Schluss: Sie spricht von Menschen, die »einfach rücksichtslos zur Seite geschoben«

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werden und »völlig einsam verlassen (.) irgendwo zu liegen (.) und (2) ja. (3) Als:: (3) ja als ein (.) Überbleibsel (.) als etwas was eigentlich schon auf den Müll (.) gehört«. Mit dem Roboter entsteht folglich ein Bild, dass die Unmenschlichkeit der Situation in den Pflegeeinrichtungen vor Augen führt: Die Beschäftigten erscheinen in dieser Situation als Handlanger eines mangelhaften Systems, denen es nur in Einzelfällen gelingt, auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen einzugehen und diesen eine Wertschätzung entgegenzubringen. Genau wie auch die individuellen Herausforderungen der Beschäftigten im Umgang mit Sterben und Tod nicht zur Debatte standen, spielt auch Religion nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dies mag im Angesicht der Tatsache, dass Frau M. als Pfarrerin adressiert wurde, zunächst verwundern, zeigt in der Zusammenschau jedoch sehr deutlich, dass 1. sich selbst eine religiöse Expertin nicht zwangsläufig nur religiös positionieren kann und muss, 2. sich religiöse Kommunikation im derzeitigen altenpflegerischen Setting sichtlich schwertut, anschlussfähig zu sein, was auch auf die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod zutrifft67 , 3. Religion, wenn überhaupt, als ein mögliches Bedürfnis von Pflegebedürftigen wahrgenommen und berücksichtigt wird und 4. neue Formen religiöser Kommunikation im Zuge technischer Neuerungen und Personalveränderungen zumindest denkbar sind.

4.8

Zusammenfassung der Befunde

Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung war die Frage nach dem Umgang mit Religion in altenpflegerischen Einrichtungen aufseiten der Beschäftigten. In der Datenerhebung und -auswertung wurde entsprechend den Fragen nachgegangen, wo sich Religion im Arbeitskontext zeigt, wie sich die Wahrnehmung von Religion gestaltet und welche Umgangsformen mit Religion die Beschäftigten praktizieren. Ziel dieses Unterkapitels ist es, die empirischen Befunde thesenartig zusammenzufassen und so eine Basis zu erar-

67

Die in der Interpretation des Leitbildes (vgl. Kap. 4.2) entwickelte Hypothese, nach der Religion immer dann zum Thema im altenpflegerischen Setting werden kann, wenn es um die Beschäftigung mit existenziellen Fragen geht, muss dementsprechend in ihrer Gültigkeit stark eingeschränkt werden.

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werden und »völlig einsam verlassen (.) irgendwo zu liegen (.) und (2) ja. (3) Als:: (3) ja als ein (.) Überbleibsel (.) als etwas was eigentlich schon auf den Müll (.) gehört«. Mit dem Roboter entsteht folglich ein Bild, dass die Unmenschlichkeit der Situation in den Pflegeeinrichtungen vor Augen führt: Die Beschäftigten erscheinen in dieser Situation als Handlanger eines mangelhaften Systems, denen es nur in Einzelfällen gelingt, auf die Bedürfnisse der Pflegebedürftigen einzugehen und diesen eine Wertschätzung entgegenzubringen. Genau wie auch die individuellen Herausforderungen der Beschäftigten im Umgang mit Sterben und Tod nicht zur Debatte standen, spielt auch Religion nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dies mag im Angesicht der Tatsache, dass Frau M. als Pfarrerin adressiert wurde, zunächst verwundern, zeigt in der Zusammenschau jedoch sehr deutlich, dass 1. sich selbst eine religiöse Expertin nicht zwangsläufig nur religiös positionieren kann und muss, 2. sich religiöse Kommunikation im derzeitigen altenpflegerischen Setting sichtlich schwertut, anschlussfähig zu sein, was auch auf die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod zutrifft67 , 3. Religion, wenn überhaupt, als ein mögliches Bedürfnis von Pflegebedürftigen wahrgenommen und berücksichtigt wird und 4. neue Formen religiöser Kommunikation im Zuge technischer Neuerungen und Personalveränderungen zumindest denkbar sind.

4.8

Zusammenfassung der Befunde

Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung war die Frage nach dem Umgang mit Religion in altenpflegerischen Einrichtungen aufseiten der Beschäftigten. In der Datenerhebung und -auswertung wurde entsprechend den Fragen nachgegangen, wo sich Religion im Arbeitskontext zeigt, wie sich die Wahrnehmung von Religion gestaltet und welche Umgangsformen mit Religion die Beschäftigten praktizieren. Ziel dieses Unterkapitels ist es, die empirischen Befunde thesenartig zusammenzufassen und so eine Basis zu erar-

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Die in der Interpretation des Leitbildes (vgl. Kap. 4.2) entwickelte Hypothese, nach der Religion immer dann zum Thema im altenpflegerischen Setting werden kann, wenn es um die Beschäftigung mit existenziellen Fragen geht, muss dementsprechend in ihrer Gültigkeit stark eingeschränkt werden.

IV Empirischer Teil

beiten, von der ausgehend später analytische Überlegungen angestellt werden können. Entsprechend den leitenden Untersuchungsfragen wird im Folgenden eingegangen 1. 2. 3. 4. 5.

auf die Verortung von Religion, auf unterschiedliche Wahrnehmungsformen von Religion, auf unterschiedliche Umgangsformen mit Religion, den ›Sonderfall‹ Islam sowie besondere Herausforderungen, die mit Religion in Verbindung gebracht werden.

4.8.1

Religion zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit

Bereits die erste Interpretation eines Leitbildes legte nahe: Religion ist in der Regel nicht das Kerngeschäft altenpflegerischer Einrichtungen. Auch wenn eine historische Nähe von kirchlichem und pflegerischem Handeln gegeben ist und Leitideen Bezüge zu religiösen Schriften aufweisen können, kann davon ausgegangen werden, dass Religion, sofern vom Träger erwünscht, in die Anforderungen und Strukturen des altenpflegerischen Settings integriert werden muss. Sowohl das untersuchte Leitbild als auch die Interviews zeigten immer wieder, dass Religion dabei ein Platz neben anderen, nicht-religiösen Beschäftigungs- und Betreuungsangeboten zugeschrieben wird, die alle dem psychischen Wohlbefinden der Bewohner zuträglich sein sollen. Eine Anknüpfung an das Thema ›Sterben und Tod‹ fand hingegen kaum statt. Grundsätzlich lässt sich zwischen verschiedenen Graden der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit religiöser Ausdrucksformen unterscheiden, die den Beschäftigten im altenpflegerischen Setting in unterschiedlicher Weise zugänglich sind: Während z.B. der Gottesdienst, das Gebet, spezifische Ritualgegenstände und religiös motivierte Wasch-, Rasur- und Speisegewohnheiten sichtbar, d.h. im pflegerischen und betreuerischen Zusammenhang von den Beschäftigten beobachtbar und benennbar sind, bleiben religiöse Überzeugungen und Glaubensvorstellungen der Bewohner den pflegerischen Beschäftigten eher verborgen bzw. werden selten thematisiert. Für das Leitungspersonal hingegen zeigt sich eine Relevanz religiöser Überzeugungen dann, wenn diese als Einflussfaktoren auf die Lebensführung bestimmter Mitarbeiter mitgedacht werden (z.B. Fasten während der Arbeitszeit, Kap. 4.5.2) bzw. eine Grundlage der Unternehmensführung (z.B.

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Religion in der Altenpflege

restriktiver Umgang mit rauchenden Mitarbeitern und Bewohnern, Kap. 4.5.1) bilden können. Das empirische Material legt nahe, dass Religion gerade deshalb für die Beschäftigten sichtbar wird, weil religiös motivierte Bedürfnisse der Bewohner übliche Arbeitsabläufe unterbrechen (z.B. durch Körperpflege) bzw. bestimmte Zeitfenster belegen (z.B. durch Gottesdienstbesuch), dadurch für Irritationen sorgen können und sich die Frage nach Möglichkeiten ihrer Integration in den routinierten Alltag stellt. Der unterschiedlichen Wahrnehmung religiöser Ausdrucksformen entsprechend kann weiterhin davon ausgegangen werden, dass eine Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse immer auch bestimmte Fähigkeiten der betreffenden Bewohner voraussetzt: Dies betrifft sowohl ihre Sprach- und Sprechfähigkeiten über religiöse Bedürfnisse als auch ihre körperlichen Möglichkeiten zur Gestaltung von Religionspraxis.

4.8.2

Berufs(un)spezifische Blicke auf Religion

Die Auswertung der Interviews macht auf die Relevanz berufsspezifischer Blicke aufmerksam: Anzutreffen ist ein ›pflegerischer Blick‹ bzw. ein ›Blick der Krankenschwester‹, der sich an gesundheitlichen Fragestellungen abarbeitet und zugleich die Einnahme einer religiösen Innenperspektive verweigert. Demgegenüber kann der emische Blick religiöser Experten betrachtet werden, welche die Bewohner u.a. mit gottesdienstlichen Handlungen versorgen und mit der Frage nach der Vereinbarkeit religiöser Praxis und veränderter physischer und psychischer Verfassung der Bewohner konfrontiert sind. Das Material zeigt auch, dass eine religiöse Positionierung und Argumentation als Experte in diesem besonderen Setting nicht immer anschlussfähig ist (z.B. Frage nach Angemessenheit religiöser Bezugnahme in der Sterbebegleitung vs. ›basale‹ Begleitung durch Handhalten, Kap. 4.7). Gemeinsam ist den befragten Beschäftigten die Vorstellung, dass Religion in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen möglichst berücksichtigt werden soll, unabhängig davon, ob sie als Ausdruck persönlicher Entscheidung, individueller Einstellung bzw. Verhaltensweise, Wesenskern des Menschen oder ›natürliche‹ Konsequenz seiner religiösen Sozialisation und Zugehörigkeit wahrgenommen wird. In einem engen Zusammenhang mit dieser Berücksichtigung steht die als wichtig erachtete Unterstützung beim Ausleben von Religiosität, welche eine Autonomieförderung der entsprechenden

IV Empirischer Teil

Bewohner zum Ziel hat, jedoch stets auf Abhängigkeiten im fürsorgenden altenpflegerischen Setting verweist.

4.8.3

Fallgeneralisierende und -spezifizierende Umgangsformen mit Religion

Ausgehend von der Beobachtung, dass die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse als Teil des Aufgabenspektrums altenpflegerischer Einrichtungen und des entsprechenden Personals betrachtet wird, können unterschiedliche Umgangsformen mit den Bewohnern und eben auch mit dem Sachverhalt ›Religion‹ festgestellt werden: idealtypisch die der Fallgeneralisierung und die der Fallspezifizierung, wobei in der Praxis durchaus Mischformen anzutreffen sind. Auf der einen Seite zeigen sich bestimmte pragmatische Vorkehrungen seitens der Organisation, die auf den Einzug von religiösen Bewohnern und ihren entsprechenden Praktiken bzw. Verhaltensweisen vorbereiten (z.B. Biografiebogen) bzw. die Beschäftigten entsprechend religionssensibel für den Umgang mit z.B. muslimischen Bewohnern schulen sollen. In der Arbeitspraxis feststellen lassen sich die bereits beschriebenen Bemühungen um eine Integration religiöser Bedürfnisse, zugleich jedoch auch Verallgemeinerungen hinsichtlich bestimmter Bewohnergruppen durch z.B. von vornherein eingeplante gleichgeschlechtliche Pflegeangebote oder entsprechende Speiseangebote. Das empirische Material verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf die insbesondere im pflegerischen Kontext verbreitete Annahme, dass bestimmte Bewohner qua Herkunft einer bestimmten religiösen Tradition zuzuordnen sind und entsprechend dem religiösen Regelwerk bestimmte Pflegepräferenzen haben ‒ im Gegensatz zu den sogenannten deutschen Bewohnern, die dies aus individuellen Entscheidungen bzw. Gewohnheiten tun. Ob die religiös konnotierten Bedürfnisse vom Personal als Be- oder Entlastung wahrgenommen werden, scheint von den jeweiligen Ressourcen (z.B. Personal, Zeit) und der Vereinbarkeit mit pflegerischen Vorstellungen von z.B. Hygiene abzuhängen. Der zusätzliche Blick auf einen interviewten Wortgottesdienstleiter zeigt, dass die Berücksichtigung religiöser Regelwerke nicht nur als relevant für die Bewohner erachtet wird, sondern maßgeblich auch das Handeln dieses spezifischen religiösen Laien prägen kann (vgl. das Unterkapitel ›Religion als Herausforderung‹). Auf der anderen Seite zeigen sich im Material Umgangsformen, die sich als fallspezifizierend beschreiben lassen: So gibt es Fälle, in denen die

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Religion in der Altenpflege

Religionspraxis eines einzelnen Bewohners in den Fokus gerät, ohne diese Person einer entsprechenden Gruppe zuzuordnen und sich an bestimmten, schon vorher festgelegten Arbeitserfordernissen zu orientieren. Diese Form des Umgangs scheint sich insbesondere in Situationen zu realisieren, die durch weniger starre Arbeitsabläufe geprägt sind (z.B. sozialarbeiterische Begleitung oder spezifischer, den geistig veränderten Bewohnern angepasster Gottesdienst, Kap. 4.6.2) und eine ressourcenorientierte Betrachtungsweise zur Grundlage haben (z.B. Wie kann der einzelne Bewohner in seinem religiösen Handeln bzw. Erleben unterstützt werden?, Kap. 4.4.1). Um diese Umgangsformen zusammenzufassen und gleichzeitig auf ihre in der Praxis anzutreffende Vermischung hinzuweisen, sei an das von der Pflegerin Frau H. im Interview entworfene Bild der Diagnose erinnert (Kap. 4.3.4): Darin vergleicht die Pflegerin Religion mit einer medizinischen Diagnose, die es im Pflegekontext unbedingt zu berücksichtigen gelte. Der Begriff der Diagnose verweist dabei auf die gleichzeitige Fallgeneralisierung und Fallspezifizierung, indem der Patient bzw. der Bewohner stets ›Fall von‹ etwas (z.B. bestimmte Erkrankung ‒ bestimmte Religionszugehörigkeit) und zugleich ein Einzelfall mit spezifisch zu berücksichtigender Lebensgeschichte ist. Dementsprechend kann auch die Rolle bzw. Bedeutung religionskundlichen Wissens im Umgang mit bestimmten Bewohnern eingeschätzt werden: Für zumindest den pflegerischen, zum Teil aber auch sozialarbeiterischen Kontext scheint ein detailliertes Wissen über religiöse Hintergründe (z.B. Welches religiöse Gebot steckt hinter bestimmten Pflegepräferenzen?) nicht notwendig zu sein ‒ die Arbeitsabläufe aufrecht erhaltend genügt zumeist die Kategorisierung bestimmter Bewohnerbedürfnisse und ihre entsprechende Berücksichtigung. Religionskundliche Unwissenheit im Sinne einer fehlenden Möglichkeit zur Zuordnung zu einer bestimmten Tradition kann sich sogar als Vorteil erweisen, indem sie zu einer einzelfallbezogenen Ermittlung religiöser Bedürfnislagen animieren kann, ohne sich an festen Schemata bzw. Stereotypen abarbeiten zu können (vgl. den sozialarbeiterischen Umgang mit einem Bewohner, der vermutlich der Sikh-Tradition zuzuordnen ist, Kap. 4.4.2).

4.8.4

Islam als ›Sonderfall‹

Besonders nennenswert im Umgang mit Religion ist der Islam, welcher in den Interviews immer wieder angeführt wurde und in dessen Kontext sich

IV Empirischer Teil

auch die bereits angesprochenen fallgeneralisierenden Perspektiven verorten lassen. Im Vergleich zur Pflege autochthoner, sogenannter deutscher Bewohner erscheint die islamische Tradition häufig als Referenzrahmen, der quasi ›naturwüchsig‹ für bestimmte Bewohnerpräferenzen und entsprechende Arbeitserfordernisse sorgt. Abgeleitet werden diese Präferenzen in der Regel aus einer über die nationale Zugehörigkeit geschlossenen Religionszugehörigkeit. Besonders aufschlussreich ist, dass die vermuteten Bewohnerbedürfnisse zwar auf den ersten Blick als durchaus irritierend, die gewohnten Abläufe unterbrechend wahrgenommen werden, sich in der Pflegepraxis aber durchaus als förderlich herausstellen können: Dies scheint insbesondere auf Reinheitsvorstellungen, die sich leicht mit pflegerischen Hygienevorstellungen (z.B. Waschen unter fließendem Wasser bzw. Intimrasur, Kap. 4.3.2) vereinbaren lassen, oder auf pragmatisch gehandhabte Religionspraxis zuzutreffen, die selbst bettlägerigen Bewohnern die Möglichkeit zur Entfaltung ihrer Religiosität gibt (z.B. Stein anstatt Wasser für ein Reinigungsritual, Kap. 4.4.1).

4.8.5

Religion als Herausforderung

In den Interviews thematisiert wurden auch immer wieder Herausforderungen bzw. Konflikte, die in Zusammenhang mit Religion stehen können. Dies betrifft a) die erschwerte Kommunikation über religiöse Sachverhalte, b) die Vereinbarkeit religiöser Vorschriften bzw. Regelwerke bei gleichzeitig abweichendem Verhalten durch die Bewohner sowie c) das Aufeinandertreffen religiöser und nicht-religiöser Wertvorstellungen. a) Religion ist zwar ein unterschwelliges Thema in den altenpflegerischen Einrichtungen, da sie insbesondere mit dem Einzug von Bewohnern in die Einrichtung zu gelangen und sich entsprechend die Frage nach Möglichkeiten ihrer Integration zu stellen scheint, eine explizite Kommunikation über sie ist zwischen Beschäftigten und gepflegten Personen bzw. den Beschäftigten untereinander jedoch nicht Usus. Darauf verweisen immer wieder Schilderungen in den Interviews, die dem Sachverhalt ›Religion‹ zwar potenziell Relevanz einräumen, ihre spezifische Verortung jedoch ungewiss lassen (vgl. die sinngemäße Aussage: »Das hat ja irgendwie mit Religion zu tun.«, Kap. 4.3.3) oder mit unverhandelbaren bzw. stark aufgeladenen Konzepten wie Menschenwürde bzw. Individualität in Verbin-

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Religion in der Altenpflege

dung bringen. Insbesondere unter dem Label ›Individualität‹ kann Religion im altenpflegerischen Setting sogar negiert werden, indem die oben angedeutete Fallspezifizierung gewissermaßen auf die Spitze getrieben wird und jegliches Bewohnerverhalten immer nur als Ausdruck individueller Entscheidung gedeutet wird (vgl. die sinngemäße Aussage: »Das ist ja nichts spezifisch Religiöses, sondern Ausdruck individueller Entscheidung«, Kap. 4.3.5). Neben diesen Formen der erschwerten Kommunikation über Religion zu beobachten ist außerdem der Umstand, dass die Frage nach Religion teilweise Stellungnahmen und Einschätzungen persönlicher Art bei den Befragten zu provozieren scheint (z.B. hinsichtlich der eigenen Religiosität oder einer Wertung, vgl. z.B. Kap. 4.3.1). b) Als eine weitere Herausforderung, die sich im Material zeigt, kann der Wunsch nach dem Festhalten an einem religiösen Regelwerk bei gleichzeitig abweichendem Verhalten der Bewohner betrachtet werden. Diese Herausforderung zeigt sich insbesondere im Interview mit dem Wortgottesdienstleiter Herrn C., welcher das Alter und die damit verbundenen kognitiven und körperlichen Einschränkungen der Bewohner als Störfaktoren im Ablauf seines Gottesdienstes erlebt. Ausgehend von einem konfessionellen Religionsverständnis, nach dem Religionen spezifischen, voneinander abgegrenzten Regelwerken folgen, sorgt das Nicht-Einhalten dieser Regelwerke für stetige Unterbrechungen im geplanten Handlungsablauf und fordert Improvisationen seitens Herrn C.s (z.B. Umgang mit Kommunion/Hostie, Kap. 4.6.1). Eine Umgangsform auf Basis einer persönlichen Glaubenshaltung und/oder den Bezug auf religiös motivierte Normen, wie z.B. eine Verständnisentwicklung aus Nächstenliebe, wird nicht gefunden. c) Eine zusätzliche Herausforderung, die sich in Bezug auf Religion im altenpflegerischen Setting zeigen kann, lässt sich im Aufeinandertreffen unterschiedlicher Wertvorstellungen beobachten. Dieses Aufeinandertreffen ist in zweierlei Arten zu verstehen: Auf der einen Seite können säkulare Vorstellungen auf religiöse Vorstellungen und Praktiken treffen: Die zeigt sich u.a. in dem Fall (Kap. 4.5.2), in dem die Heimleiterin Frau I. mit den ›Augen einer Krankenschwester‹ religiös motivierte Fastenpraktiken ihrer Mitarbeiter erfasst und vor dem Hintergrund ihrer Sorge um Gesunderhaltung problematisiert, letztendlich aber nur resignieren kann und deren Praxis akzeptieren muss. Auf der anderen Seite können aber auch religiös motivierte Vorstellungen von Lebens- und Unternehmensführung seitens der Heimleitung auf nicht-religiöse Verhaltensweisen

IV Empirischer Teil

der Mitarbeiter- und Bewohnerschaft treffen, wie der Fall ›Das Raucherhäuschen‹ (Kap. 4.5.1) illustriert: Um seine adventistisch geprägten Vorstellungen von einem gottgefälligen Leben auch im altenpflegerischen Setting zu wahren und zu vermitteln, werden unliebsame Verhaltensweisen, wie z.B. das Rauchen der Mitarbeiter, vom Einrichtungsleiter Herr K. räumlich ausgegliedert. Während an den rauchenden Mitarbeitern aufgrund von personalpolitischen Überlegungen festgehalten wird, wird rauchenden oder schweinefleischbevorzugenden Bewohnern ein Umzug in externe Einrichtungen nahegelegt. Nicht zuletzt erhalten die (zukünftigen) Mitarbeiter eine verpflichtende Schulung, die sie in die adventistische Unternehmenskultur einführen und Erklärungen für die religiös motivierten Umgangsformen und Hintergründe liefern soll. Die deskriptive Zusammenschau macht deutlich: Religion zeigt sich in unterschiedlichen Formen und in unterschiedlichen Situationen im altenpflegerischen Setting. Sie ist auf unterschiedliche Weise Gegenstand aller untersuchten Arbeitsbereiche (Pflege, Sozialdienst, Heimleitung, Religiöse Begleitung). Wie Religion von den Beschäftigten wahrgenommen wird und welche Umgangsformen mit ihr praktiziert werden, hängt u.a. von den Arbeitsstrukturen und Arbeitsweisen, den berufsspezifischen Perspektiven und möglichen Sozialbeziehungen im altenpflegerischen Setting ab. Diesem komplexen Wechselspiel analytisch auf die Spur zu gehen, wird Aufgabe des folgenden Kapitels sein.

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V Analyse

Ausgehend von der Annahme, dass es sich bei den dargelegten empirischen Befunden um komprimierte und kondensierte Fakten handelt, die zur Beantwortung der Untersuchungsfrage jedoch noch weiterer Aufschlüsselung bedürfen, sollen die Befunde im Folgenden im Hinblick auf generische Fragen analysiert werden. Zu diesem Zweck wird wiederum auf das empirische Material zurückgegriffen und mittels einer Zuhilfenahme theoretischer Konzepte und Sekundärliteratur untersucht, wie bestimmte Befunde zu verstehen sind. Grundlage hierzu bilden folgende, aus den Befunden abgeleitete Fragestellungen: 1. Warum muss Religion in Altenpflegeorganisationen integriert werden und wie funktioniert diese Integration? 2. Wie hängen das Berufshandeln und der Umgang mit Religion zusammen? 3. Welche Religionsverständnisse lassen sich aus dem Material ableiten und wie sind diese religionswissenschaftlich einzuordnen?

5.1

Integration von Religion in Altenpflegeorganisationen

Ziel dieses ersten Analysekapitels ist es, zu untersuchen, warum Religion überhaupt in Altenpflegeorganisationen integriert werden muss und wie sich diese Integration gestaltet. Auf Basis empirischer Befunde werden hierzu Überlegungen hinsichtlich wohlfahrtlicher Profilbildung und Arbeit, rechtlicher Vorgaben und systemtheoretischer Einbettungsmöglichkeiten vorgestellt.

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Religion in der Altenpflege

5.1.1

Religion zwischen Profilbildung und rechtlicher Regulierung

Bereits die Interpretation des Leitbildes (Kap. 4.2) machte deutlich: Religion ist in der Regel nicht das Kerngeschäft altenpflegerischer Einrichtungen. Sie muss, sofern denn vom jeweiligen Träger erwünscht, in die Anforderungen und Strukturen des altenpflegerischen Settings integriert werden. Die besondere Rolle von Religion und ihr Integrationserfordernis zeigten sich in der zunächst wertegeleiteten Bezugnahme auf Religion zu Beginn des Leitbildes (vgl. Goldene Regel abgeleitet aus dem Matthäus-Evangelium) und der christlichen Selbstverortung des Trägers. Rasch wurde dieser religiös motivierte Anklang jedoch in säkulare Fragen des zwischenmenschlichen Umgangs im Setting und eine Darstellung sozialer Angebote überführt. Religion, in Form von seelsorgerischen und gottesdienstlichen Angeboten, fand erst gegen Ende des Leitbildes wieder Erwähnung und rundete das Gesamtangebot des Trägers für die Lebensgestaltung in den Altenpflegeeinrichtungen gewissermaßen ab. Man könnte auch sagen: Religion, in Form eines Bezugs auf eine religiöse Schrift, mag zwar eine wichtige Inspiration für die Selbstwahrnehmung und darstellung des Trägers bilden. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass sich die Bezugnahme auf Religion durch das gesamte Protokoll, respektive die tatsächliche Praxis ziehen muss. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, hält sich doch die verbreitete Annahme, dass insbesondere kirchliche Trägerschaft immer auch für eine Berücksichtigung religiöser Werte und Praktiken stehe bzw. weit mehr biete als reine Pflege.1 Gleichzeitig verweisen innerkirchliche und theologische Debatten, aber auch soziologische Betrachtungen auf einen grundlegenden Wandel der Fürsorge- und Sozialarbeit seit den 1960er Jahren, der insbesondere die konfessionellen Träger Caritas und Diakonie betrifft. So stellen etwa Henkelmann et al. in ihrem 2012 erschienenen Sammelband die Frage nach einem »Abschied von der konfessionellen Identität« (Henkelmann et al. 2012: 7) in das Zentrum ihrer Untersuchung: Deutlich wird die Transformation kirchlich geprägter und religiös inspirierter Sozialfürsorge innerhalb des 20. Jahrhunderts, welche durch gesetzliche Veränderungen im

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Wie kirchliche Träger an ihrer christlichen Profilbildung arbeiten, zeigen nicht zuletzt Projekte wie ›Mitarbeitende als Werteträger. Christliche Unternehmenskultur in Altenhilfeeinrichtungen‹, wie sie beispielsweise die katholische Akademie Die Wolfsburg seit geraumer Zeit begleitet (vgl. Voß 2020: 28f.)

V Analyse

deutschen Sozialsystem einerseits zur Bevorzugung freier Träger, andererseits zu einer stärkeren Professionalisierung und Verwissenschaftlichung sozialer Arbeit führte (vgl. ebd.: 7). Zu weiteren Veränderungen kam es durch die gesetzliche Implementierung ökonomischer Kriterien zur Steuerung der Sozialarbeit, welche als Reaktion auf die Ende der 1970er entstehende Massenarbeitslosigkeit und den daraus entstehenden ökonomischem Druck auf das Sozialsystem verstanden werden kann (vgl. ebd.). Spätestens seit der Einführung der Pflegeversicherung im Jahr 1995 kann von einem »Wettbewerb auf dem Sozialmarkt« (ebd.) gesprochen werden, welcher insbesondere auch die Altenpflege betrifft und zu einer Konkurrenzsituation zwischen den ›alten‹, nicht-kommerziellen und den ›neuen‹, oftmals kommerziellen Anbietern von Fürsorge- und Sozialarbeit führt (vgl. ebd.). In diese Veränderungsprozesse eingebettet ist u.a. die Frage nach der (zukünftigen) Bedeutung eines konfessionellen Profils für die caritative bzw. diakonische Arbeit, welche durch den bereits angedeuteten Wandel der Mitarbeiterstruktur (Stichwort: Rückgang von Angehörigen geistlicher Gemeinschaften, Bedeutungszuwachs professionell Ausgebildeter) forciert wurde (vgl. ebd.: 9): Wofür steht Caritas bzw. Diakonie im Bereich der Fürsorge- und Sozialarbeit? Was macht ihre Arbeit aus und worin unterscheidet sie sich von anderen Trägern, möglicherweise sogar im interkonfessionellen Vergleich?2 Wie kann ein »christliche[s] Ethos der Pflege« (ebd.: 11) aussehen3 und wie ist dieses einer weltanschaulich pluralen Mitarbeiterschaft zu vermitteln? Diese und sich daran anschließende Fragen offenbaren die Herausforderungen, mit denen die Träger von Altenpflegeorganisationen, aber auch die konfessionellen Einrichtungen selbst konfrontiert sein können und woran auch das untersuchte Leitbild anknüpft.

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Henkelmann et al. gehen mit Blick auf die Profilbildung durch Leitbilder von einem Angleichungsprozess der konfessionellen Träger aus, der am ehesten noch eine Beobachtung von Unterschieden in der religiösen Prägung der Mitarbeiter zulasse (vgl. Henkelmann et al. 2012: 13). Hanussek spricht in diesem Zusammenhang von zwei unterschiedlichen Strategien im Umgang mit dem »Pfund Nächstenliebe« (Hanussek 2012: 230): zum einen der Einsatz von Nächstenliebe als werbetechnisches Instrument – insbesondere in Abgrenzung zu privaten Einrichtungen, zum anderen das echte Interesse an einer »sachlichen Kongruenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit« (ebd.). Dass Letzteres jedoch durch eine zunehmende konfessionsferne bzw. fremde Kirchenbindung der Mitarbeiter erschwert wurde und immer noch wird, machen bereits schriftliche Dokumente aus dem Archiv des Diakoniewerks Kaiserswerth der frühen 1970er deutlich (vgl. ebd.: 233).

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Religion in der Altenpflege

Dass die Beschäftigung mit und eben auch Berücksichtigung von Religion nicht zwangsläufig mit einer religiösen Selbstpositionierung der Altenpflegeorganisation zusammenhängen muss und auch Beschäftigte in Einrichtungen nicht-konfessioneller Trägerschaft mit Religion zu tun haben, zeigt wiederum das empirische Material. Immer wieder und unabhängig vom jeweiligen Arbeitsbereich wurde von den Befragten erwähnt, dass Religion ‒ in der Regel in Form von religiös motivierten Bewohnerbedürfnissen, aber auch Praktiken der Mitarbeiter ‒ berücksichtigt werden müsse. Hier nur einige Beispiele: Pflegerin Frau H.(konfessionelle Trägerschaft): »Das muss man schonmal anpassen glaube ich (.) an jede Bewohner. Das ist genauso wie ein Bewohner (1) mit verschiedenen Diagnosen kommt. Dann muss man schon auch für diese Diagnosen sich äh (1) umstellen (.) und so behandeln was man (.) in Therapievorschlag steht. Genauso das ist auch (.) ich (.) ähm (1) für Religion auch (.) muss man sich (.) äh (.) anpassen.«  Sozialpädagogin Frau A. (nicht-konfessionelle Trägerschaft): »Inzwischen ist es tatsächlich so dass (.) äh (.) Neulinge in der Pflege (.) äh (.) von den alten Hasen angelernt werden. Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten. So wie auch ja bei jeder anderen Bewohnerin oder jedem anderen Bewohner. Weil jeder hat so seine Eigenarten. Und (.) äh (.) ja (.) bei den muslimischen Bewohnern (.) ähm (1) ist dann (.) äh (.) ja wird dann eben gesagt (.) da musst du (.) dieses beachten.«  Einrichtungsleiterin Frau I. (konfessionelle Trägerschaft): »Da [Fastenpraxis der muslimischen Mitarbeiter; Anm. SSP] muss ich auch akzeptieren (.) auch die Krankenschwester rauszunehmen und einfach so damit umzugehen wie die sich wünschen.« Konform geht dieses Verständnis mit den rechtlichen Vorgaben, die bereits beschrieben wurden (vgl. Kap. 2.1.2). So ist im SGB XI im Hinblick auf das Recht zur Selbstbestimmung festgehalten: »Auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ist Rücksicht zu nehmen.« (§ 2 Art. 3 SGB XI). Bezüglich des Umgangs mit religiös motivierten Praktiken der Mitarbeiter ist das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu nennen, welches vor Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit und -ausübung schützen soll (vgl. Schiek 2007: 78-81). Gleichzeitig sind für die Einrichtungen in konfessioneller Trägerschaft spezifische arbeitsrechtliche Regelungen (vgl. Thüsing 2006) relevant, die u.a. die Geltung des AGG im Sinne von Loyalitätsverpflichtun-

V Analyse

gen einschränken können: Als Beispiel sei an dieser Stelle an die Schilderungen Herr K.s erinnert, der eine adventistische Einrichtung leitet und von der verpflichtenden Teilnahme der Mitarbeiter an einem Seminar zur adventistischen Unternehmenskultur spricht (vgl. Kap. 4.5.1). Verstehen lassen sich diese gesetzlichen Regelungen als eine Form externer Regulierung4 von Umgangsformen, die u.a. erklärt, warum Religion nicht völlig aus dem altenpflegerischen Setting ausgeklammert werden kann und darf. Der Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse und Praktiken kann sich allein schon aus rechtlicher Perspektive nicht entzogen werden ‒ unabhängig davon, mit welcher Trägerschaft wir es zu tun haben. Anzupassen ist dementsprechend auch die eingangs formulierte Hypothese, nach der Religion, sofern vom Träger erwünscht, integriert werden muss: Eine Integration ist zumindest in Bezug auf die religiösen Bedürfnisse der Bewohnerschaft rechtlich verpflichtend und steht nicht zur Wahl. Bezüglich der Religionsausübung der Mitarbeiter sind ggf. Regulierungen durch das kirchliche Arbeitsrecht zu berücksichtigen (z.B. Kopftuchverbot für Mitarbeitende in einer kirchlichen Einrichtung). Dass diese gesetzlichen Vorgaben jedoch noch nichts über das Wie der Berücksichtigung, respektive der Integration aussagen und diese in der Praxis ganz unterschiedlich aussehen kann, macht das erhobene Datenmaterial ebenfalls deutlich: So lassen sich idealtypisch fallgeneralisierende von fallspezifizierenden Umgangsformen abgrenzen, was mit Aufgabenbereichen und beruflichen Verständnissen zusammenhängen kann.5 Worauf das empirische Material jedoch grundsätzlich immer wieder verweist, ist die Tatsache, dass in der Regel die Pflege bzw. Betreuung im Fokus der Arbeit der Altenpflegeorganisationen steht und sich die Form und das Maß der Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse letztlich an der Aufrechterhaltung von Arbeitsabläufen zu bemessen haben. Besonders deutlich wurde dies in der Schilderung religiös konnotierter Vorstellungen und Praktiken von Körperpflege (z.B. Intimrasur und Waschgewohnheiten), die leicht mit pflegerischen Hygienevorstellungen vereinbar sind und so den Pflegeablauf erleichtern (vgl. Kap. 4.3.2). Doch wie lässt sich Religion im altenpflegerischen Setting nun verorten und wie ihre besondere Rolle erklären? Aufschlussreich erscheint hier die zeit-

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Unter Regulierung verstehe ich den Prozess, in welchem spezifische Sachverhalte im Hinblick auf Regeln gelenkt bzw. kontrolliert werden (vgl. Beckford/Richardson 2007: 398). Externe Regulierung meint eine Regelung und Kontrolle auf gesetzlicher Ebene. Ausführlich zu diesen Wechselverhältnissen vgl. Kapitel 5.2.

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Religion in der Altenpflege

weilige Einnahme einer systemtheoretischen Perspektive6 , die die Altenpflegeorganisation und den besonderen Status von Religion verstehen hilft.

5.1.2

Religion vor dem Hintergrund systemtheoretischer Überlegungen

Beginnen möchte ich mit dem Sozialsystem »Organisation, welches den Ausgangspunkt meiner Untersuchung bildet: Der Typus ›Organisation‹ – wie auch die Sozialsysteme ›Gesellschaft‹ und ›Interaktion”7 – lässt sich verstehen als autopoietisches System, welches aus Kommunikationen besteht und im Modus der Entscheidung zur operativen Schließung des Systems führt (vgl. Luhmann 2006: 65). Im Fokus der Organisation steht die Bewältigung von Kontingenz und Komplexität (vgl. Martens/Ortmann 2014: 408), was sich in der Bearbeitung bestimmter Arten sozialer Probleme auf längere Sicht und weitgehend unabhängig von ihren Mitgliedern zeigt (vgl. ebd.: 410). Organisationen lassen sich dementsprechend als kommunizierte Entscheidungen verstehen (vgl. ebd.: 411), wobei Kommunikationen eben nicht als Handlung eines Menschen8 aufzufassen sind, sondern als Einheit der Operationen ›Selektion von Informationen‹, ›Mitteilung‹ und ›Verstehen‹ (vgl. ebd.: 413). 6

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Die vorliegende Arbeit soll keine systemtheoretische Abhandlung über Altenpflegeorganisationen sein, sondern nutzt den systemtheoretischen Ansatz für den Nachvollzug und das Erklären bestimmter Phänomene – hier eben in Bezug auf das Sozialsystem Organisation. Für den Nachvollzug etwa des Interaktionshandelns wird auf handlungstheoretische Ansätze zurückgegriffen (vgl. Kap. 5.2), die geeigneter zur Erklärung erscheinen (zur Kritik an Luhmanns Systemtheorie vgl. Martens/Ortmann 2014: 435440). Die auf Talcott Parsons zurückgehenden und von Niklas Luhmann weitergeführten Arbeiten zur Systemtheorie bieten einen fruchtbar erscheinenden theoretischen Ansatzpunkt, der jedoch nicht darüber hinweg täuschen sollte, dass es sicherlich auch alternative Theoretisierungsmöglichkeiten gibt. Zu nennen sind hier etwa Ansätze des Neoinstitutionalismus, die die Durchdringung von Organisationen durch institutionalisierte Regeln und Erwartungen in den Fokus der Organisationsforschung rücken (zur Übersicht vgl. Walgenbach 2014: 295-345) oder etwa netzwerktheoretische Ansätze, in welchen die unterschiedlichen Arten von Beziehungen und ihre jeweiligen Akteure (Individuen, Organisationseinheiten etc.) im Mittelpunkt stehen (zur Übersicht vgl. Ebers/Maurer 2014: 386-406). Eine vollständige Trennung der Systemebenen ist nicht möglich, da »alles soziale Handeln in der Gesellschaft stattfindet und letztendlich nur in der Form von Interaktion möglich ist« (Luhmann 2005: 16). Die Unterscheidung ist entsprechend als Ebenendifferenzierung zu verstehen (vgl. Martens/Ortmann 2014: 412). Zur Kritik am ›fehlenden Akteur‹ bzw. zur Betrachtung des Menschen als Teil der Umwelt des Sozialsystems vgl. Martens/Ortmann 2014: 438f.

V Analyse

Unter ›Entscheidung‹ wiederum verstanden wird die »Transformation von Kontingenz in Bestimmtheit« (ebd.: 417), die mit der Auswahl aus möglichen Alternativen weiterhin die Kontingenz mitführt bzw. mitkommuniziert. Als wichtigste Entscheidungsprämissen in Organisationen gelten a) die sogenannten Entscheidungsprogramme, b) die Kommunikationswege und c) der Personaleinsatz. Mit anderen Worten: Es geht um a) bestimmte Aufgaben und Funktionen, die zu erledigen sind, b) bestimmte Dienstwege, die die Zirkulation von mit Entscheidungen verknüpften Informationen bestimmen und c) Kompetenzen der Mitglieder, die die Operationen der Organisation (positiv oder negativ) beeinflussen (vgl. ebd.: 422f.; vgl. Luhmann 2006: 224226). Grundlegend für diesen Typ von Sozialsystem ist weiterhin, dass die Mitgliedschaft in einer Organisation an bestimmte Bedingungen geknüpft ist, wobei Anforderungen des Systems und Verhaltensmotive der jeweiligen Mitglieder durchaus variieren können (vgl. Luhmann 2005: 13). Auf das Setting ›Altenpflegeorganisation‹ übertragen, haben wir es also mit Ausdrucksformen eines sich selbsterschaffenden und selbsterhaltenden Systems zu tun, 1. welches ein bestimmtes soziales Problem bearbeitet (professionelle9 Versorgung pflegebedürftiger Menschen in einer funktional differenzierten Gesellschaft), 2. unterschiedliche Typen von Mitgliedern kennt (z.B. Angestellte verschiedener Berufsgruppen, Bewohner, Angehörige), 3. Verhaltensanforderungen formuliert (z.B. Arbeiten nach Pflegestandards, Integration in das neue Lebensumfeld) und 4. mit unterschiedlichen Verhaltensmotiven der Mitglieder konfrontiert wird (z.B. der Wunsch, gute und individuelle Pflege zu leisten bzw. das Bedürfnis, gut gepflegt und versorgt zu werden).

Dabei muss die Altenpflegeorganisation Strategien entwickeln, um mit der stets herausfordernden Komplexität10 umzugehen: Weber et al. verweisen in 9

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Professionelle Versorgung, welche auf einer berufsspezifischen, auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung gründenden Ausbildung fußt, wird hier als Pendant zur ›Laienpflege‹ aufgefasst (vgl. Schroeter 2008: 57) – erst einmal unabhängig davon, ob die jeweiligen Berufe als Professionen bzw. Professionsanwärter zu verstehen sind. Ausführlich zur Professionalisierung(sbedürftigkeit) von Pflege vgl. Hanussek 2005. Dass das ›Problem‹ der Komplexität durch die Organisation nicht einfach komplett behoben bzw. ausgeschaltet werden kann, sondern sich im Gegenteil eine sekundäre

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Religion in der Altenpflege

diesem Zusammenhang auf temporale Limitierungen, insofern als z.B. Bedürfnisse der Bewohner in den internen Arbeitsrhythmus eingepasst werden müssen (vgl. Weber et al. 1997: 247f.). Diese Limitierungen eröffnen wiederum Fragen nach Möglichkeiten des in Erscheinung Tretens und Wahrnehmens von Religion, die sich hinsichtlich der untersuchten Arbeitsbereiche durchaus unterscheiden können: Erinnert sei an dieser Stelle an das ›Kopftuchaufkriegen‹ einer türkeistämmigen Bewohnerin, welches von der befragten Pflegerin Frau D. als religiöses Bedürfnis wahrgenommen und entsprechend pragmatisch in den zeitlich strikt gegliederten Arbeitsablauf integriert wurde (vgl. Kap. 4.3.3). Demgegenüber erscheint der von der Pfarrerin Frau M. geschilderte Gottesdienst für Menschen mit geistiger Veränderung als undogmatischer Ort, der von üblichen Strukturen abweicht und so von vornherein flexible Möglichkeiten zur zwischenmenschlichen Begegnung und eben auch Entfaltung von Religion bzw. Religiosität eröffnet (vgl. Kap. 4.6.2). Doch wie lässt sich das Operieren einer Altenpflegeorganisation nun inhaltlich näher bestimmen? Hier lohnt sich ein Blick auf die sogenannten Funktionssysteme der Gesellschaft, die in der Regel Orientierungspunkte für Organisationen bilden bzw. durch ihre Entscheidungsprogramme dem jeweiligen Funktionsprimat gesellschaftlicher Teilsysteme unterworfen sind (vgl. Martens/Ortmann 2014: 433): Markiert durch binäre Codierungen und daraus abgeleitete Programme lassen sich nach Luhmann ausdifferenzierte Funktionssysteme in der Gesellschaft ausmachen, die in ihrer jeweiligen Eigenlogik operieren – so etwa die Funktionssysteme ›Wirtschaft‹, ›Politik‹ und ›Religion‹. Versteht man altenpflegerisches Handeln nun primär11 als Pflege von hilfebedürftigen Menschen (vgl. Weber et al. 1997: 244f.), lässt sich der altenpflegerischen Organisation am ehesten eine Orientierung am Funktionssystem der Krankenbehandlung bzw. Medizin unterstellen, welches durch die binäre Codierung ›krank‹ und ›gesund‹ markiert ist (vgl. ebd.: 243). Dem Allgemeinverständnis zunächst widersprechend bildet der Wert ›krank‹ dabei den Positivwert: Das System ›Krankenbehandlung‹ bzw. ›Medizin‹ erschafft und erhält sich nur durch Krankheit. Gleichzeitig wird

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Komplexität aufbaut, liegt im Prinzip der operativen Schließung des Systems begründet (vgl. Luhmann 2006: 222). Theoretisch denkbar wären hier auch Organisationssysteme, die primär dem Funktionssystem ›Religion‹ zugeordnet werden und sich nur sekundär um pflegebedürftige Menschen kümmern (z.B. Altenpflege als ›Gottesdienst‹, wie es mittelalterlichen religiösen Gemeinschaften häufig nachgesagt wird, vgl. Kunter 2012: 46).

V Analyse

das genaue Gegenteil, nämlich Gesundwerdung, durch Krankenbehandlung in der Praxis angestrebt (vgl. Luhmann 2009b: 179f.). Ähnlich dem klassischen System der Medizin, in welchem Ärzte und Patienten interagieren, verhält es sich auch im Setting ›Altenpflegeorganisation‹, in dem wir es u.a. mit Interaktionen zwischen Pflegenden und zu Pflegenden zu tun haben: Auch hier kann der Wert ›krank‹, im Sinne einer festgestellten Pflegebedürftigkeit, als Positivwert betrachtet werden – funktioniert und bestimmt sich eine altenpflegerische Organisation doch nur auf Grundlage dieser Betrachtung.12 Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich auch hier die Praxis in Richtung Negativwert bewegen kann: Zwar dürfte in einer altenpflegerischen Einrichtung die Gesundwerdung und anschließende Entlassung eines Bewohners in den seltensten Fällen eintreten, doch versprechen Altenpflegeeinrichtungen in der Regel die »Schaffung eines menschenwürdigen Aufenthaltes für überwiegend chronisch erkrankte Senioren« (Prahl/Schroeter 1996: 167).13 Grundlage dieses übergeordneten Betriebsziels bilde laut Prahl/Schroeter die organisatorische Bewältigung der »primär gesetzten Aufgaben (Pflege, Betreuung, Versorgung alter Menschen) a) in einem strukturierten Zeitbudget (Terminplanung, Dienstpläne, Ablaufplan pp.) und b) in einem funktional strukturierten Rollen- und Kompetenzset« (ebd.: 166f.). Durch die primäre Orientierung am Funktionssystem ›Krankenbehandlung‹ samt entsprechendem Programm kann gefolgert werden, dass eine Altenpflegeorganisation durch das Auftreten von Religion mit einer anderen Art der Kommunikation konfrontiert wird, als sie es gewohnt ist. Mit Blick auf eine »Verlagerung kirchlicher Aktivität aus dem Bereich primärer in den Bereich sekundärer Funktionen« (Luhmann 1996: 264) ist davon auszugehen, dass dies selbst auf Einrichtungen in kirchlicher Trägerschaft zutrifft.14

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Vgl. hierzu auch die bereits in Kapitel 2.1.2 vorgestellten rechtlichen Voraussetzungen. Das untersuchte Leitbild (Kap. 4.2) kann gewissermaßen als Übersteigerung dieses Anspruches gelesen werden – wird doch immer wieder auf die in den Einrichtungen anzutreffende Aktivität, Lebensfreude und Selbstbestimmung der Bewohner aufmerksam gemacht, wohingegen Pflege, Krankheiten, soziale Abhängigkeit o.Ä. keine nennenswerte Rolle zu spielen scheinen. Entsprechend wurde die Lesart verfolgt, dass gerade die Überbetonung auf latente Umsetzungsschwierigkeiten dieses Anspruchs verweisen kann. Folge ist eine Abnahme der Funktions- und Zunahme der Leistungsorientierung. Die Leistungen der kirchlichen Träger haben sich entsprechend an den Gesetzlichkeiten

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Religion in der Altenpflege

Operierend mit der Unterscheidung ›Transzendenz/Immanenz‹ hat Religion nach Luhmann für das Gesellschaftssystem die Funktion, »die unbestimmbare, weil nach außen (Umwelt) und nach innen (System) hin unabschließbare Welt in eine bestimmbare zu transformieren, in der System und Umwelt in Beziehungen stehen können, die auf beiden Seiten Beliebigkeit der Veränderung ausschließen.« (Luhmann 1996: 26) Folge des Aufeinandertreffens der beiden Kommunikationsarten sind Irritationen15 , die entweder formalisiert auf der Ebene der Organisation bearbeitet werden, wie etwa die religionssensiblen Schulungen des Personals zeigen (vgl. Kap. 4.3.5), oder die Gegenstand von mehr oder weniger spontanem Interaktionshandeln werden, wie die Auseinandersetzung der Einrichtungsleiterin Frau I. mit den islamischen Fastenpraktiken ihrer Mitarbeiter verdeutlicht (vgl. Kap. 4.5.2): Frau I.: […] Und das schlimmste ist wenn die @nicht trinken.@ (1) Da (2) habe ich ein Problem von (.) sag ich mal mit (.) äh (.) den Augen einer Krankenschwester (lacht). I: Mhm. (1) Weil Sie das nicht gut vertreten können? Gerade jetzt wo es doch so [warm ist.] Frau I.: [RICHTIG. RICHTIG.] Genau. Das ist für mich nicht mehr an Glaube (.) zu knüpfen sondern die Gesundheit äh. (1) Damit habe ich richtig ein Problem. (.) Weil ich mir immer Gedanken mache jetzt hier wenn einer umkippt (1). Ähm (.) aber (1) die haben gelernt damit zu leben über die Jahre. Da muss ich auch akzeptieren (.) auch die Krankenschwester rauszunehmen und einfach so damit umzugehen wie die sich wünschen. Geschildert wird das Aufeinandertreffen einer krankenpflegerischen und einer religiösen Perspektive: Frau I., die erstere Perspektive einnimmt, ist an

15

und Bedürfnissen der Altenpflegeorganisationen zu orientieren (vgl. Luhmann 1996: 264). »I[rritation] steht für das systemisch zwar wahrgenommene, aber noch nicht informationell nach Maßgabe des eigenen operativen […] Codes spezifizierte Rauschen (noise) in der […] Umwelt eines […] autopoietischen Systems, das qua […] struktureller Kopplung informationell relevant werden kann oder nicht. So ist I[rritation] eine noch undefinierte Überraschung im Bereich von System-zu-System-Beziehungen, auf jeden Fall ein systemeigenes Konstrukt, das immer auch systemische Selbst-I[rritation] aus Anlass von I[rritation] einschließt« (Krause 2005: 169).

V Analyse

Gesundheit bzw. Gesunderhaltung ihrer Mitarbeiter interessiert und problematisiert die Situation »mit […] den Augen einer Krankenschwester«. Für sie ist der Verzicht auf das Trinken keine Frage von Religionsausübung, sondern an das System ›Gesundheit‹ gekoppelt. Nach Frau I. übersteigt die religiöse Praxis der betreffenden Mitarbeiter den ihr zustehenden Rahmen (vgl. »Das ist für mich nicht mehr an Glaube […]«; Hervorh. SSP). Folge ist eine Irritation, in den Worten der Einrichtungsleiterin »ein Problem«, das aufgrund des Unbedingheitsanspruches beider Perspektiven jedoch nicht einfach aus der Welt geschafft werden kann. Was bleibt, ist eine resignierende Haltung der Einrichtungsleiterin, die versucht, den krankenpflegerischen Blick gewissermaßen auszublenden (vgl. »[…] auch die Krankenschwester rauszunehmen […]«), wobei die Thematisierung und mehrfache Problematisierung nahelegen, dass ihr dies nicht ohne Weiteres gelingt. Dass sich die Irritation durch Religion bis ins Sprachliche verfolgen lässt, zeigt sich auch an anderen Stellen des empirischen Materials, so z.B. in der Schilderung der Pflegerin Frau H.: Frau H.: Es ist gut dass unser (.) also ich meine (.) also diese Gottesdienste (.) Feier (.) also (1). Das ist sehr wichtig für Bewohner. Und das wird ja auch (.) äh (.) regelmäßig statt (2) finden. (1). Ein Mal (.) monatlich oder zwei Mal (.) sogar (.) also im Wechsel. Das ist ja schon sehr sehr wichtig Bewohner. (2)  I: Warum ist das so wichtig? Was meinen Sie? (4)  Frau H.: Dass (.) die wirken irgendwie leichter da nach dem Gottesdienst. Zufriedener. (1) Die (.) wo ist ein Wohlbefinden vielleicht auch für (.) die nächsten zwei Stunden. So habe ich Gefühl. (2) Und dann kommt wieder mal Alltag (.) aber die gehen gerne dahin. (2)  I: Also Gottesdienst ist was was nicht so alltäglich ist? Das ist was Besonderes?  Frau H.: Das ist schon (.) das ist ja so ein großes Feier. Die (4) ziehen sich immer anders an. Die (.) also die Frauen die schmücken sich und so. (3)  I: Ist dann ja auch schön das zu sehen.  Frau H.: Das ist schön. Klar. Das ist schön. (4) Ich hab paar Bewohner die (.) ähm (3) an der Wand haben so (.) äh (2) wie sagt man (.) Papst? Darf ich @jetzt mich so ausdrücken?@  I: Ja. Klar.  Frau H.: Und äh (2) paar Bewohner sprechen auch nachts Gebet. (2) Aber (2) man macht Bewohner fertig und man irgendwie (.) kriegt das auch nicht so viel mit (.) was::: (.) ob das jetzt so als Gewohnheit diesen Gebet ist oder ob das jetzt (.) ähm

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Religion in der Altenpflege

(.) warum sie das gesprochen haben (.) ist (.) das weiß ich jetzt nicht (.) äh (.) ob das jetzt einfach so (.) äh Vaterunser (.) für die Nacht und ob das jetzt ein GuteNacht-Lied ist. Das:: kann ich (.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür. Was Bewohner dann (.) in welchen Gedanken sie einschläft und ob das jetzt (.) äh (2) wie man sich fühlt wenn man so sich so (.) so ein Gebet ausgesprochen hat.  I: Das können Sie nicht nachvo- wissen nicht was da passiert?  Frau H.: Ähäh (.) ähäh.  I: Mhm. (1) Aber Sie haben das Gefühl das tut den Bewohnern gut;  Frau H.: Ja::. Ich hab nich Gefühl (.) man sieht das einfach. Man sieht. (6)  Auf stilistischer Ebene deutlich werden im Protokollverlauf zunächst die zahlreichen Verzögerungslaute, Anakoluthe und teilweise relativ langen Pausen. Wiedergegeben wird hier also nicht ein einfacher, klarer Ablauf, sondern der Versuch, religiös konnotierte Erscheinungsweisen in die berufliche Wahrnehmung und das entsprechende Handeln einzuordnen. Dass dieses Unterfangen mit Unsicherheiten behaftet ist, zeigt auf manifester Ebene u.a. Frau H.s Frage: »[W]ie sagt man (.) Papst? Darf ich @jetzt mich so ausdrücken?@« Aber auch auf latenter Ebene wird diese Unsicherheit deutlich, wie ihre Rekonstruktion einer möglichen Gebetspraxis offenbart: Frau H.: Und äh (2) paar Bewohner sprechen auch nachts Gebet. (2) Aber (2) man macht Bewohner fertig und man irgendwie (.) kriegt das auch nicht so viel mit (.) was::: (.) ob das jetzt so als Gewohnheit diesen Gebet ist oder ob das jetzt (.) ähm (.) warum sie das gesprochen haben (.) ist (.) das weiß ich jetzt nicht (.) äh (.) ob das jetzt einfach so (.) äh Vaterunser (.) für die Nacht und ob das jetzt ein Gute-Nacht-Lied ist. Das:: kann ich (.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür. Was Bewohner dann (.) in welchen Gedanken sie einschläft und ob das jetzt (.) äh (2) wie man sich fühlt wenn man so sich so (.) so ein Gebet ausgesprochen hat. Die zunächst sicher erscheinende Annahme, dass einige Bewohner auch nachts ein Gebet sprechen, gerät mit dem Blick auf mögliche Intentionen nach und nach sprachlich ins Wanken, sodass ein Gute-Nacht-Lied als alternative Deutung im Raum steht. Eine mögliche Begründung für die Unsicherheit, die sich in Bezug auf das Thema Religion ergibt, darf auch in diesem Interakt wieder in der spezifischen beruflichen Perspektive der

V Analyse

Pflegerin gesehen werden: Ähnlich wie für Frau I. mit ihrem Blick der Krankenschwester eröffnen bzw. verschließen sich auch für Frau H. bestimmte Wahrnehmungs- und Deutungsmöglichkeiten. Die Aussagen »Das:: kann ich (.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür« bzw. an späterer Stelle im Protokoll »Ich hab nich Gefühl (.) man sieht das einfach. Man sieht. (6)« verweisen darauf, dass für Frau H. in diesem Kontext nicht das Gefühl ausschlaggebend ist, sondern das Sehen, respektive der Blick auf das, was nach außen hin, respektive für Außenstehende sichtbar und dementsprechend auch für sie als Pflegerin zugänglich ist. Die Einnahme einer systemtheoretischen Perspektive zeigt: Religion passiert nicht einfach in Altenpflegeorganisationen – ihre Rolle und ihre Bedeutung entfalten sich entlang systeminterner Entscheidungsprämissen. Dass Religion als Umwelteinfluss in unterschiedlichem Maß von den Altenpflegeorganisationen jedoch immer schon mitgedacht wurde und bis heute wird, offenbart ein fokussierter Blick auf das Profil der Wohlfahrtsverbände und ihre praktische Migrationsarbeit.

5.1.3

Religion im Kontext wohlfahrtlicher Arbeit

Wie bereits ersichtlich wurde (vgl. Kap. 2.1.3.1), werden in Deutschland über die Hälfte der Altenpflegeeinrichtungen von freigemeinnützigen Trägern unterhalten, die i.d.R. den sechs Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohlfahrt, Deutscher Caritasverband, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonisches Werk, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland) zuzurechnen sind. Auch die untersuchten Altenpflegeeinrichtungen sind diesen Spitzenverbänden zuzuordnen, wie die folgende Übersicht zeigt:16

16

Aus methodologischen Gründen (Stichwort: Kontextfreiheit) wurde während der Interpretation auf eine Zuordnung der untersuchten Protokolle zu den jeweiligen Wohlfahrtsverbänden verzichtet. Ausnahme bildet das Leitbild, aus dessen Protokoll selbst ersichtlich wurde, dass es einem kirchlichen Träger zuzuordnen ist.

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Religion in der Altenpflege

Tabelle 2: Trägerschaften der untersuchten Einrichtungen Einrichtung

Trägerschaft

Untersuchtes Datenmaterial

A

Deutsches Rotes Kreuz

Interview mit Frau A.

B

Deutscher Caritasverband

Leitbild, Interviews mit Frau D. und E., Frau I., Frau M. und Herrn C.

C

Diakonisches Werk

Interviews mit Frau H. und Herrn B.

D

Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband (adventistischer Träger)

Interview mit Herrn K.

Als ein wesentliches Charakteristikum eines Wohlfahrtsverbands wird in der sozialwissenschaftlichen Forschung der Wertebezug betrachtet (vgl. Merchel 2003: 68), welcher sich auch in den Gründungsintentionen und Motivationen der einzelnen Verbände zeigt: Während die Arbeiterwohlfahrt (AWO) als »Gegengewicht gegen die bürgerliche, meist kirchlich private Wohlfahrtspflege« (ebd.: 86) gegründet wurde und sich bis heute primär als sozial- und gesellschaftspolitischer Wohlfahrtsverband versteht17 (vgl. ebd.: 89), ist für den Caritasverband, das Diakonische Werk und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden der theologische Bezug grundlegend: So wird caritatives Handeln als Wesensäußerung des christlichen Glaubens aufgefasst (vgl. ebd.: 96): Dabei gilt der »menschenfreundliche Gott« (Deutscher Caritasverband e. V. 2020) als »Quelle« (ebd.), die Botschaft Jesu Christi als »Auftrag und Ermutigung« (ebd.), der Heilige Geist als »Lebenskraft« (ebd.) sowie der prophetische Geist als »Sehkraft« (ebd.) der Caritas. Das Diakonische Werk gilt als eine »der wesentlichen Formen, in der die im evangelischen Glauben begründete Umweltgerichtetheit religiös motivierten Handelns ihre Gestalt im innerkirchlichen Zusammenhang erhält.« (ebd.: 105). Es versteht seinen Auftrag als »gelebte Nächstenliebe« (Diakonie Deutschland 2020)18 . Leitend für die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutsch17

18

Vgl. hierzu auch den aus dem Grundsatzprogramm der AWO stammenden Leitsatz: »Wir bestimmen – vor unserem geschichtlichen Hintergrund als Teil der Arbeiterbewegung – unser Handeln durch die Werte des freiheitlich-demokratischen Sozialismus: Solidarität, Toleranz, Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit« (AWO Bundesverband e.V. 2005: 9). Zum besonderen Verhältnis zur Amtskirche im Laufe der Geschichte des aus Innerer Mission und Hilfswerk der Evangelischen Kirche Deutschlands hervorgehenden Diakonischen Werkes vgl. Merchel 2003: 100-107.

V Analyse

land (ZWST) ist die Zedaka, welche das jüdische Verständnis von Wohltätigkeit meint und dementsprechend Grundlage jüdischer Sozialarbeit ist. Sie gilt als eine der wichtigsten religiösen Pflichten (vgl. ZWST 2020). Dabei kann die Gründung der ZWST als »Selbsthilfebewegung einer gefährdeten Minderheit« (Merchel 2003: 108) verstanden werden, die sich mit dem Ziel der Aufrechterhaltung der jüdischen Identität überwiegend an Personen der jüdischen Gemeinschaft richtet (vgl. ebd.). Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) als Wohlfahrtsverband und zugleich nationale Hilfsgesellschaft stellt seine unparteiliche Hilfeleistung »im Zeichen der Menschlichkeit« (Deutsches Rotes Kreuz 2020) in den Fokus der Arbeit, wo es heißt: »Alle Hilfebedürftigen haben den gleichen Anspruch auf Hilfe, ohne Ansehen der Nationalität, der Rasse, der Religion, des Geschlechts, der sozialen Stellung oder der politischen Überzeugung.« (Ebd.) In der Aufgabenbeschreibung zu erkennen ist eine deutliche Nähe zum Staat (vgl. Merchel 2003: 115), bei gleichzeitiger Betonung der eigenen Unabhängigkeit (vgl. Deutsches Rotes Kreuz 2020). Als »Zusammenschluss der Übriggebliebenen« (Merchel 2003: 117) hatte der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband lange Zeit das Problem, über kein geteiltes Wertesystem zu verfügen, welches eine identifikatorische Grundlage seiner Arbeit hätte bilden können. Für manchen Beobachter (vgl. ebd.: 121) stellt sich dieses Problem noch heute, auch wenn der Verband selbst mittlerweile den Wert der Parität betont: »Getragen von der Idee der Parität, das heißt der Gleichheit aller in ihrem Ansehen und ihren Möglichkeiten, getragen von Prinzipien der Toleranz, Offenheit und Vielfalt, will der Paritätische Mittler sein zwischen Generationen und zwischen Weltanschauungen, zwischen Ansätzen und Methoden sozialer Arbeit, auch zwischen seinen Mitgliedsorganisationen.« (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband 2020) Der kurze Exkurs zu den Wertebezügen zeigt: Die Wohlfahrtsverbände verfügen im Hinblick auf ihre Programmatik über eine unterschiedliche Nähe bzw. Distanz zu religiösen Fragestellungen und Thematiken: Während der Religionsbezug bei den konfessionellen Verbänden häufig Bestandteil von Identifikationsbildung und Außendarstellung ist, wird Religion bei den nicht-konfessionellen Verbänden als mögliches Charakteristikum des jeweiligen Gegen-

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Religion in der Altenpflege

übers wahrgenommen, jedoch nicht zum Bestandteil der Selbstidentifikation gemacht.19 Dass sich diese unterschiedliche Nähe bzw. Distanz zum Thema Religion durchaus in der praktischen wohlfahrtlichen Arbeit niederschlagen kann, zeigt u.a. der Blick auf die von den Wohlfahrtsverbänden getragenen Ausländersozialdienste, welche mit den Anwerbeabkommen in der Nachkriegszeit an Bedeutung gewannen: Mit dem Ziel, ausländische Arbeitsmigranten klientelspezifisch betreuen und beraten zu können20 , kam es zu einer auf Religionszugehörigkeit und Nationalität basierenden Aufteilung der Verantwortlichkeiten (vgl. Jähnichen 2016: 56): Die Caritas sorgte für katholische Italiener, Spanier, Portugiesen, Kroaten und Slowenen (vgl. Wiemeyer 2016: 67). Die Diakonie war, aufgrund fehlender evangelischer Arbeitsmigranten, für die orthodoxen Arbeitnehmer aus Griechenland und Jugoslawien zuständig (vgl. Jähnichen 2016: 56f.). Die AWO kümmerte sich um muslimische Türken, Tunesier, Marokkaner sowie Jugoslawen (vgl. Wiemeyer 2016: 68).21 Später wurde diese Orientierung an Konfessionen und Nationalitäten aufgrund der Stärkung und Generierung religiöser bzw. ethnischer Unterschiede zunehmend kritisiert und sollte mit der Gründung von Migrationsfachdiensten seit den 1990ern aufgebrochen werden (vgl. Schirilla 2016: 87). 19

20

21

Dass der Wertebezug jedoch noch nichts über das tatsächliche ›Leben‹ dieser Werte durch die Organisationsmitglieder aussagt, macht die sogenannte Leitbilddebatte deutlich. Merchel konstatiert: »Einerseits ist die Institution darauf angewiesen, bei der Formulierung eines anzustrebenden Unternehmensleitbildes nicht mit der Tradition und der organisationellen Einbindung des Verbandes zu brechen, denn eine proklamierte corporate identity, die die Herkunft der Institution unbeachtet ließe, wäre unglaubwürdig und würde ihr die organisationspolitisch notwendige Unterstützung aus dem angestammten sozialen Umfeld entziehen. Würde andererseits in einem Leitbild das Konfessionelle allzu sehr in den Mittelpunkt gestellt, so würde dadurch eine corporate identity proklamiert, die weder in der Mitarbeiterschaft ausreichend Rückhalt fände noch produktive Identifizierungssignale für einen wesentlichen Teil der Umwelt (z.B. potenzielle Mitarbeiter) aussenden könnte.« (Merchel 2003: 128f.). Schwerpunktmäßig beraten wurde zu den Themen ›Arbeit und soziale Versorgung‹, ›individuelle Lebensprobleme‹, ›Erziehung und Familie‹, ›Integration‹ und ›Rückkehr‹ (vgl. Schirilla 2016: 85). Neben dieser Betreuung durch Caritas, Diakonie und AWO gab es eine Reihe von kleineren Organisationen, Verbänden und Vereinen, die sich um ausländische Arbeitnehmer unabhängig von Religionszugehörigkeit und Nationalität, wohl aber beispielsweise mit Blick auf das Geschlecht oder Alter kümmerten. Andere Spitzenverbände, wie z.B. das DRK boten Kurse zur häuslichen Krankenpflege und Ersten Hilfe an (vgl. Pflegerl 1977: 148).

V Analyse

Zunehmende Bedeutung erfuhr die Auseinandersetzung mit migrationsspezifischen Fragestellungen Ende der 1990er bzw. Anfang der 2000er: Mit dem rot-grünen Politikwechsel kam es zur Forcierung der Migrations- und Integrationspolitik, welche sich u.a. in der Anerkennung Deutschlands als Einwanderungsland, der Erarbeitung des Zuwanderungsgesetzes und der Neufassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zeigte. Die 2003 in Kraft getretene bundeseinheitliche Ausbildung- und Prüfungsordnung für den Altenpflegeberuf sah eine Verankerung interkultureller Lerninhalte vor22 und es kam zur allmählichen interkulturellen Öffnung der Verbands- und Dienstleistungsstrukturen der Wohlfahrtsverbände sowie zur kultursensiblen Ausgestaltung ihrer Altenhilfe- und Altenpflegeangebote (vgl. Schwarzer 2018: 187-189). Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass die heutigen Träger von Altenpflegeeinrichtungen, aber auch die Einrichtungen selbst über unterschiedliches kollektives Wissen verfügen, was die Arbeit mit spezifischen Migrantengruppen und entsprechenden Religionszugehörigkeiten betrifft. Als eine mögliche Konsequenz dieser unterschiedlichen Erfahrungswerte und Wissensbestände kann das Auftreten vertrauter und weniger vertrauter Situationen und entsprechender Perspektiven auf Religion betrachtet werden, die sich empirisch beispielsweise im Arbeitsfeld des Sozialdienstes in Altenpflegeeinrichtungen nachzeichnen lassen. Als Beispiel für eine vertraut wirkende Situation kann die von der Sozialpädagogin Frau A. geschilderte religionsbezogene Wissensaneignung und -weitergabe gesehen werden, welche in einer Einrichtung des DRK zu verorten ist: Frau A.: Inzwischen ist es tatsächlich so dass (.) äh (.) Neulinge in der Pflege (.) äh (.) von den alten Hasen angelernt werden. Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten. So wie auch ja bei jeder anderen Bewohnerin oder jedem anderen Bewohner. Weil jeder hat so seine Eigenarten. Und (.) äh (.) ja (.) bei den muslimischen Bewohnern (.) ähm (1) ist dann (.) äh (.) ja wird dann eben gesagt (.) da musst du (.) dieses beachten. Also zum Beispiel jetzt (.) diese Dame die diesen (.) St- Reinigungsstein hat (.) dann werden die Kollegen natürlich informiert. Frau Sowieso hat so einen Stein. Den

22

Vgl. hierzu das Handbuch für eine kultursensible Altenpflegeausbildung, welches vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) bereitgestellt wird (https://www.bmfsfj.de/blob/jump/93986/handbuch-fuer-eine-kultursensible-alt enpflegeausbildung-data.pdf).

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Religion in der Altenpflege

benutzt sie vor dem Gebet. Der darf nicht außer Reichweite gelegt werden. So. (.) Das sind dann so (.) äh Informationen die dann (.) äh (.) in der Übergabe weitergegeben werden und (.) ähm (4) ist im Grunde genommen auch jetzt nicht so speziell religiös. Das sind einfach Informationen zu den bestimmten Bewohnern. Äh (.) der eine Bewohner isst (.) was weiß ich (.) verträgt (.) irgendein Nahrungsmittel nicht. So. Das ist ne genauso eine Information die weitergegeben wird von den älteren oder langjährigen (.) Mitarbeitern an neue (.) wie auch solche Geschichten mit diesem Stein. (1) Am Anfang (.) als das Konzept neu eingeführt wurde (.) da hatten die (.) äh (2) oder nein (.) nicht hatten die Möglichkeit (.) da haben die (.) äh (.) Mitarbeiter an einem (.) äh Türkischkurs teilgenommen und auch son (1) äh (.) ja so ne Fortbildung über kulturelle (.) Besonderheiten (.) über (.) religiöse Sachen (1) äh (.) Rituale. Es ist natürlich sinnvoll dass wenn man in so einem Haus arbeiten möchte sich auch damit auseinandersetzt. Das ist aber jetzt nichts (.) äh (.) wo man sagt (.) hier haben Sie nen Buch. Lesen lesen Sie sich das mal durch und dann frage ich (.) äh (.) nächste Woche ab (.) so ne Zusammenfassung über den Islam. Also das ist es nicht. (1) Ich mein so grundsätzliche Sachen (.) weiß eigentlich jeder. Moslems essen kein Schweinefleisch. Ist bekannt. Trinken keinen Alkohol. Ist bekannt. Ähm (.) letztendlich ist aber auch das eine individuelle Entscheidung. Wenn ein (.) äh (.) Bewohner (.) der offensichtlich in seinem Pass stehen hat (.) Moslem (.) wenn er aber sagt (.) ich möchte aber nen äh (.) Schweinebraten mitessen (.) ist das seine Entscheidung. Augenfällig und in der Sequenzanalyse ausführlich dargestellt (vgl. Kap. 4.3.5) ist der routinierte Umgang mit Bewohnerbedürfnissen, welcher auch auf den ersten Blick fremd anmutende religiöse Praktiken und Ritualgegenstände (z.B. Reinigungsstein) und abweichende Verhaltensweisen (z.B. Schweinefleisch essender Muslim) umfasst und wie selbstverständlich in den Arbeitsablauf integriert. Der Hinweis auf durchgeführte Schulungen macht deutlich, dass ein kultur- bzw. religionssensibler Umgang nicht nur den individuellen Vorlieben und Umgangsformen der Beschäftigten entspringt, sondern auch für die Organisation von Interesse ist, insofern ein kultursensibles Konzept verfolgt wird. Im Gegensatz dazu erscheint die Begegnung mit nicht-christlichen Erscheinungsformen von Religion im Fall Herr B.s, welcher in einer diakonischen Einrichtung arbeitet, eher unvertraut und verweist auf Unsicherheiten (vgl. Kap. 4.4.2):

V Analyse

Herr B.: Ja::. Also (.) aus der Erfahrung hatten wir mal (1) ähm (.) einen muslimischen Bewohner. (1) Ähm (.) also da wird auf jeden Fall auch (.) auf die Sachen geachtet. Zum Beispiel dass er kein Schweinefleisch (.) essen durfte. (1) Und ähm (.) wenn da auch Wünsche sind (.) dann sagen wir den Bewohnern auch (.) ähm (.) also da werden (.) es gibt ja zum Beispiel auch so`n Netzwerk (.) ähm (.) oder Nummern (.) sach ich mal (.) wo man auch anrufen kann. Das hat man zum Beispiel (.) wenn man (.) jetzt nochmal zum christlichen Glauben (.) wenn man wenn jemand vielleicht im Sterben liegt und nochmal den Pfarrer sprechen will (.) dass man dann beim Pfarrer anruft. (1) Und ähm (.) da wär halt auch die Möglichkeit zum Beispiel wenn jemand muslimischen Glaubens ist (.) dass man da vielleicht ne Kontaktperson (.) wenn die (.) einen da (.) ne Kontaktperson nennen (.) ähm (.) ja (.) anrufen kann. Wobei wir auch hier (.) ähm (1) wir waren zum Beispiel auch schon ein Mal inner (.) äh Moschee (.) hier in B-Stadt. Ähm (.) da war der Kontakt dass wir eingeladen wurden. Da waren wir mit einigen Bewohnern die sich dafür interessiert haben. (2) Dann haben wir auch einen (.) ähm (.) indischen (1) äh Bewohner. Da (.) wusste ich letztens noch wie die Religion genau heißt aber (.) @ist mir jetzt auch entfallen.@ (1) Ähm (.) aber da achten wir halt auch drauf (.) dem ist es halt durch seine Religion (.) so äußerlich sehr wichtig (.) zum Beispiel ähm (.) dass er sich den Turban (.) äh (.) fertig macht oder dann auch so (1) Gewänder hat und da wird natürlich auch drauf geachtet dass das dann immer (.) äh (.) alles ordentlich (.) ist (.) dass der das auch alles so (.) machen kann wie er sich das wünscht. (3) Also wenn`s da (.) so viel gab`s da jetzt in der Vergangenheit (.) also seitdem ich hier bin (.) noch nicht. Aber (.) ähm (.) also das wichtigste ist eigentlich so (.) dass der Bewohner so wertgeschätzt wird (.) äh (.) wie er ist und ähm (.) natürlich (.) ist er nen freier Mensch und darf die Sachen so ausleben wie er möchte (.) und wir gucken natürlich dass wir den Bewohnern dabei auch helfen können ne. (6)

Während es bei Frau A. um die Schilderung von erfolgversprechenden, da auf Erfahrungen basierenden Umgangsformen ging, stehen bei Herrn B. bestimmte Vorkehrungen im Fokus, die seitens der Altenpflegeorganisation getroffen werden, um auf eventuell auftretende religiöse Bedürfnisse der Bewohner reagieren zu können. Es wird deutlich, dass Herr B., aber auch die diakonische Einrichtung insgesamt über wenig Erfahrung im Umgang mit nicht-christlichen Religionen verfügen, was auf individueller Ebene eine peinliche Berührung zur Folge haben kann (vgl. »Da (.) wusste ich letztens noch wie die Religion genau heißt aber (.) @ist mir jetzt auch entfallen.@«).

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Religion in der Altenpflege

Gleichwohl gilt auch für sie der Grundsatz, religiöse Bedürfnisse der Bewohnerschaft respektieren und in den Einrichtungsalltag integrieren zu wollen. Fasst man die analytischen Überlegungen zur Integration von Religion in Altenpflegeeinrichtungen nun zusammen, lässt sich Folgendes festhalten: Religion wird von Altenpflegeorganisationen als Umwelteinfluss wahrgenommen und muss zum Zwecke der Systemaufrechterhaltung verarbeitet werden. Ein möglicher Weg, den die untersuchten Einrichtungen beschreiten, wenn sie um eine Integration von religiös motivierten Bewohner- und Mitarbeiterbedürfnissen bemüht sind, kann die interkulturelle Öffnung der Altenpflegeeinrichtungen sein. Diese lässt sich wiederum als eine Anpassung an gesellschaftliche und insbesondere kulturelle Pluralisierungsprozesse verstehen, die es im Sinne einer »Lernenden Organisation« (Focali 2012: 56) aufzugreifen gilt. Der Blick auf den Wertebezug der Wohlfahrtsverbände und ihre Erfahrungen in der Arbeit mit Migranten ließ die Vermutung aufkommen, dass Altenpflegeeinrichtungen, je nach Trägerschaft, über unterschiedliches religionsbezogenes Wissen verfügen, welches sie im Umgang mit entsprechenden Bewohnern und Beschäftigten zum Ausdruck bringen. Diese Annahme lässt sich auch empirisch halten, wie der Vergleich vertrauter und weniger vertrauter Situationen und Umgangsformen mit Religion zeigte. Gleichzeitig ist jedoch zu betonen, dass sich das Handeln der Beschäftigten in den untersuchten Altenpflegeorganisationen der Caritas, der Diakonie und des DRK nicht grundsätzlich unterscheidet, was die Berücksichtigung heterogener religiöser Bedürfnisse angeht: In allen Einrichtungen wurde diese Berücksichtigung als wichtiger Bestandteil der Arbeit gekennzeichnet und es wurden verschiedene Wege gesucht bzw. auch gefunden, diese Berücksichtigung praktisch umzusetzen. Während sich die oben geschilderte Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse empirisch häufig auf den Umgang mit nicht-christlichen Traditionen bezieht, offenbart der Blick auf die untersuchte adventistische Einrichtung eine besondere Erkenntnis hinsichtlich der religiösen Selbstverortung von Altenpflegeorganisationen: Der in der Interpretation (vgl. Kap. 4.5.1) herausgestellte hohe Stellenwert der adventistischen Lebens- und Unternehmensführung kann möglicherweise dadurch erklärt werden, dass in dieser Einrichtung ein relativ homogenes Religionsverständnis herrscht, welches sich u.a. in fest umrissenen Verhaltensanforderungen an die Einrichtungsmitglieder widerspiegelt, entsprechende Exklusionsmechanismen zutage treten und

V Analyse

dementsprechend Religion insgesamt eine größere Rolle zukommen lässt. Demgegenüber erscheint der Religionsbezug des eingangs untersuchten Leitbildes der katholischen Einrichtung zwar als ein Verweis auf ein symbolisches Kapital (vgl. Bourdieu 1985: 11), welchem aufgrund der religiösen Heterogenität der Mitarbeiter- und Bewohnerschaft jedoch konkrete Anknüpfungsund Umsetzungsmöglichkeiten im Einrichtungsalltag fehlen. Entsprechend vor Augen geführt wird so die Herausforderung insbesondere größerer konfessioneller Träger hinsichtlich einer umfassenden religiösen Profilbildung und ihrer praktischen Umsetzung im Kontext einer pluralisierten Umwelt.

5.2

Berufshandeln und der Umgang mit Religion

Während die Frage nach der Integration von Religion die Altenpflegeorganisation mit ihren Strukturen, Abläufen und ihrer Selbstverortung in den Fokus rücken ließ, soll im Folgenden das Wie des Umgangs mit Religion in Altenpflegeorganisationen beleuchtet werden. Um das Zusammenspiel von Umgangsformen, Aufgabenbereichen und beruflichen Verständnissen der Beschäftigten nachvollziehen zu können, wird zunächst der Begriff der Handlungsregeln eingeführt. Daraufhin wird nach sinnhaften Handlungen im altenpflegerischen Setting gefragt. Abschließend werden die im Setting anzutreffenden Berufsverständnisse und daraus ableitbaren Sozialbeziehungen vor dem Hintergrund von Professionshandeln diskutiert.

5.2.1

Handlungsregeln

Führt man sich in verdichteter Form die empirischen Befunde vor Augen, so haben wir es mit unterschiedlichen Umgangsformen mit Religion zu tun, die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Beschäftigten entspringen: Deutlich werden lassen dies die spezifischen Blicke der Pflegerin (vgl. Kap. 4.3.1) und Krankenschwester (vgl. Kap. 4.5.2), aber auch Religion integrierende Pflegeroutinen (vgl. z.B. Kap. 4.3.2, 4.3.3). Diese Umgangsformen lassen sich wiederum als Formen des Handelns verstehen und als vollzogene Handlungen23 23

Diese Unterscheidung von Handeln und Handlung rekurriert auf die von Alfred Schütz vorgeschlagene Differenzierung, nach der Handeln für einen Ablauf und Handlung für den Vollzug steht (vgl. Schütz 1932: 5). Entsprechend sind es genau genommen die Handlungen, die Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung in Form von Handlungsanalysen sein können (vgl. Straub 1999: 13f.).

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V Analyse

dementsprechend Religion insgesamt eine größere Rolle zukommen lässt. Demgegenüber erscheint der Religionsbezug des eingangs untersuchten Leitbildes der katholischen Einrichtung zwar als ein Verweis auf ein symbolisches Kapital (vgl. Bourdieu 1985: 11), welchem aufgrund der religiösen Heterogenität der Mitarbeiter- und Bewohnerschaft jedoch konkrete Anknüpfungsund Umsetzungsmöglichkeiten im Einrichtungsalltag fehlen. Entsprechend vor Augen geführt wird so die Herausforderung insbesondere größerer konfessioneller Träger hinsichtlich einer umfassenden religiösen Profilbildung und ihrer praktischen Umsetzung im Kontext einer pluralisierten Umwelt.

5.2

Berufshandeln und der Umgang mit Religion

Während die Frage nach der Integration von Religion die Altenpflegeorganisation mit ihren Strukturen, Abläufen und ihrer Selbstverortung in den Fokus rücken ließ, soll im Folgenden das Wie des Umgangs mit Religion in Altenpflegeorganisationen beleuchtet werden. Um das Zusammenspiel von Umgangsformen, Aufgabenbereichen und beruflichen Verständnissen der Beschäftigten nachvollziehen zu können, wird zunächst der Begriff der Handlungsregeln eingeführt. Daraufhin wird nach sinnhaften Handlungen im altenpflegerischen Setting gefragt. Abschließend werden die im Setting anzutreffenden Berufsverständnisse und daraus ableitbaren Sozialbeziehungen vor dem Hintergrund von Professionshandeln diskutiert.

5.2.1

Handlungsregeln

Führt man sich in verdichteter Form die empirischen Befunde vor Augen, so haben wir es mit unterschiedlichen Umgangsformen mit Religion zu tun, die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Beschäftigten entspringen: Deutlich werden lassen dies die spezifischen Blicke der Pflegerin (vgl. Kap. 4.3.1) und Krankenschwester (vgl. Kap. 4.5.2), aber auch Religion integrierende Pflegeroutinen (vgl. z.B. Kap. 4.3.2, 4.3.3). Diese Umgangsformen lassen sich wiederum als Formen des Handelns verstehen und als vollzogene Handlungen23 23

Diese Unterscheidung von Handeln und Handlung rekurriert auf die von Alfred Schütz vorgeschlagene Differenzierung, nach der Handeln für einen Ablauf und Handlung für den Vollzug steht (vgl. Schütz 1932: 5). Entsprechend sind es genau genommen die Handlungen, die Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung in Form von Handlungsanalysen sein können (vgl. Straub 1999: 13f.).

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Religion in der Altenpflege

wissenschaftlich analysieren.24 In Anlehnung an Jürgen Straubs integrative Handlungstypologie, die Handlungstypen und Typen der Handlungserklärung vereint und auf die enge Verwandtschaft von Handlung, Deutung und Interpretation aufmerksam macht (vgl. Straub 1999: 19), gewinnt der Begriff der Handlungsregeln für die vorliegende Untersuchung an Bedeutung. In Anlehnung an den Philosophen Friedrich Kambartel lassen sich Handlungsregeln als Regeln verstehen, die dazu auffordern, »in Situationen einer bestimmten Art s Handlungen einer bestimmten Art h auszuführen« (Kambartel 2013: 604). Diese situierten Aufforderungen können unterschiedlicher Gestalt sein und beispielsweise die Form eines Gebots, eines Verbots, einer Erlaubnis oder eines Zulassens annehmen. Sie lassen sich als »bedingte[] Vorschriften« (Straub 1999: 126) auffassen und auf externale sowie internale Handlungen beziehen. Weiterhin charakteristisch für Handlungsregeln darf der Adressaten- und Urheberbezug sowie der Formalisierungs- und ggf. damit verbundene Sanktionierungsgrad von Regeln betrachtet werden. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang die Annahme, dass Handeln niemals vollständig geregelt ist, d.h. gewisse Aspekte des Handelns stets ungeregelt bleiben (vgl. ebd.).25 Mit dem hier dargelegten Handlungsbegriff ist folglich ein erstes Instrumentarium gegeben, welches das Handeln in Altenpflegeorganisationen erklären hilft: Das Handeln der Beschäftigten geschieht nicht in luftleerem Raum und völlig spontan, sondern wird in einem noch zu bestimmenden Umfang und auf eine noch zu bestimmende Art geregelt. Man könnte auch sagen: Das Handeln der befragten Beschäftigten und folglich auch ihr Umgang mit Religion wird in bestimmten Maß durch Handlungsregeln reguliert. In Bezug auf die bereits formulierten systemtheoretischen Überlegungen (vgl. Kap. 5.1.2) ist davon auszugehen, dass der Grad der Regulierung vom Organisationsgrad abhängt, d.h. die Handlungsregeln stärker oder weniger stark formalisiert sind, respektive das Handeln stärker organisationell oder stärker interaktionell geprägt sein kann. Wie sich eine solche Regulierung des

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25

Handeln kann als Unterform von Kommunikation aufgefasst werden, was wiederum eine Einbettung der Überlegungen in die bereits angestellten systemtheoretischen Überlegungen erlaubt. Argumente, die gegen eine »Verabsolutierung des Konzepts regelgeleiteten Handelns« (Straub 1999: 123) sprechen, führt Straub an verschiedener Stelle an – so etwa mit Verweis auf Wittgensteins ›(Sprach-)Spiele‹, die eben nur teilweise von Regeln bestimmt seien (vgl. ebd.).

V Analyse

Handelns in den Altenpflegeorganisationen manifestiert, zeigt ein erneuter Blick auf die Schilderungen der Sozialpädagogin Frau A. (vgl. Kap. 4.3.5): Frau A.: Inzwischen ist es tatsächlich so dass (.) äh (.) Neulinge in der Pflege (.) äh (.) von den alten Hasen angelernt werden. Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten. So wie auch ja bei jeder anderen Bewohnerin oder jedem anderen Bewohner. Weil jeder hat so seine Eigenarten. Und (.) äh (.) ja (.) bei den muslimischen Bewohnern (.) ähm (1) ist dann (.) äh (.) ja wird dann eben gesagt (.) da musst du (.) dieses beachten. Also zum Beispiel jetzt (.) diese Dame die diesen (.) St- Reinigungsstein hat (.) dann werden die Kollegen natürlich informiert. Frau Sowieso hat so einen Stein. Den benutzt sie vor dem Gebet. Der darf nicht außer Reichweite gelegt werden. So. (.) Das sind dann so (.) äh Informationen die dann (.) äh (.) in der Übergabe weitergegeben werden und (.) ähm (4) ist im Grunde genommen auch jetzt nicht so speziell religiös. Das sind einfach Informationen zu den bestimmten Bewohnern.

Auf die obige Definition von Handlungsregeln übertragen, haben wir es also mit situierten Aufforderungen zu tun, a) nach denen in der Pflege von Bewohnern etwaige religiöse Bedürfnisse zu berücksichtigen sind (z.B. Reinigungsstein nicht umplatzieren), b) welche je nach Formulierung die Form eines Gebotes (vgl. »Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten.«) bzw. Verbotes (vgl. »Der darf nicht außer Reichweite gelegt werden.«) annehmen können, c) die sich auf externale Handlungen, d.h. praktische und nach außen hin sichtbare Umgangsformen beziehen, d) welche die ›Neulinge‹ in der Pflege als Adressaten, die ›alten Hasen‹ als Vermittler und die Altenpflegeorganisation bzw. den Träger als Urheber der Regeln kennzeichnen,

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Religion in der Altenpflege

e) die im Rahmen der dienstlichen Übergabe26 eine organisationelle Formalisierung erfahren, f) die die Frage nach Sanktionierungsmöglichkeiten bei Nicht-Beachtung jedoch offenlassen.27

Deutlich wird auch, dass mit den Handlungsregeln nur bestimmte Aspekte des pflegerischen Umgangs geregelt werden können – wie konkret die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse und das entsprechende Handeln der Beschäftigten im Einzelnen auf der Interaktionsebene aussieht, kann nicht im Detail festgelegt und von vornherein bestimmt werden. Dementsprechend ist die Anführung des Reinigungsstein samt Verbot, diesen an einen anderen Ort zu legen, auch nur als ein Beispiel zu verstehen, welches sich unter die Aufforderung »Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten« reihen lässt. Wie die Formulierung von derlei konkreten Handlungsregeln wiederum in einen übergeordneten Rahmen eingebettet sein kann, zeigt der erneute Blick auf das untersuchte Leitbild (vgl. Kap. 4.2): Ausgehend vom Leitspruch »Geht so mit den Menschen um, wie ihr selbst behandelt werden möchtet« beschreibt sich der Träger als in christlicher, genauer gesagt katholischer Tradition stehend und bemisst seinen Umgang mit alten und pflegebedürftigen Menschen an der Berücksichtigung der »Würde des menschlichen Lebens«. Formuliert wird also eine Norm, die den zwischenmenschlichen Umgang in den Einrichtungen regeln soll und dabei den Wert Menschenwürde betont.

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Die Dienstübergabe lässt sich definieren als mündlicher Informationstransfer zwischen Mitarbeitern der verschiedenen Schichten und in den unterschiedlichen Wohnbereichen, in welchem alle Informationen ausgetauscht werden, »die aktuell für die Pflege und Versorgung der Bewohner von Bedeutung sind« (Klugkist 2020). Besprochen werden u.a. besondere Vorkommnisse, die allgemeine Stimmung der Bewohner, Veränderungen im Dienstplan, technische Ausfälle, der aktuelle Zustand der einzelnen Bewohner, Pflegeprobleme, ärztliche Anordnungen und spezifische Bewohnerwünsche (vgl. ebd.). Es ist davon auszugehen, dass sich der Formalisierungsgrad des Instrumentariums ›Dienstübergabe‹ von Einrichtung zu Einrichtung unterscheidet und die Übergabe entsprechend stärker organisationell (z.B. standardisierter Ablauf, standardisierte Themen) oder stärker interaktionell (z.B. spontane Fokussierung auf besondere Pflegeherausforderungen) geprägt sein kann. Denkbar sind in diesem Zusammenhang die üblichen arbeitsrechtlichen Sanktionsmaßnahmen wie Ermahnung oder Abmahnung.

V Analyse

Handlungstheoretisch gesprochen lassen sich Normen wiederum als »spezielle handlungsleitende Regeln« (Straub 1999: 128) verstehen, die als »diskursivierbare Konstrukte« (ebd.) a) menschliches Handeln regulieren, b) darauf abzielen, eine bestimmte soziale Ordnung zu realisieren, c) Entscheidungen hinsichtlich bestimmter Handlungen treffen und damit Selektionen im Feld potenzieller Handlungen vornehmen, d) diese Entscheidungen als sozial verbindlich festlegen, e) einen moralischen Rechtfertigungsanspruch erheben, f) den Anspruch auf Richtigkeit im Sinne eines Geltungsanspruches stellen und somit g) Werten eine Verbindlichkeit im Sinne einer Handlungs- bzw. Interaktionsrelevanz verleihen (vgl. ebd.: 128-130).

Der Ausspruch »Geht so mit den Menschen um, wie ihr selbst behandelt werden möchtet« reguliert also menschliches Handeln, indem er – auf dem als wichtig und richtig erachteten Wert Menschenwürde basierend – zu einem rücksichtsvollen und empathischen zwischenmenschlichen Umgang in den Altenpflegeeinrichtungen anregen soll. Ausgeschlossen werden sollen damit also all jene Handlungen, die dem Gegenüber, d.h. insbesondere den Bewohnern28 schaden können. Durch die Ableitung aus einer religiösen Schrift und Zuordnung zur christlichen Tradition erfährt die durch den Ausspruch verkörperte Norm zusätzliche symbolische Aufladung und verstärkt die Unverhandelbarkeit des Wertes Menschenwürde.29 Ausdruck soll der Anspruch im tagtäglichen Handeln der Beschäftigten finden, wenn es heißt: Wir respektieren die Persönlichkeit aller alten Menschen, gehen auf seine [sic!] Bedürfnisse ein und fördern seine Fähigkeiten, um ein selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen. Qualifizierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfüllen diesen hohen Anspruch in ihrer täglichen Arbeit.

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Der vornehmliche Bewohnerbezug ergibt sich aus der Feinanalyse (vgl. Kap. 4.2). Diese, auf Menschenwürde abzielende Argumentation findet sich auch an anderen Stellen im empirischen Material, so z.B. in der Argumentation der Pflegerinnen Frau D. und Frau E., als es um die Berücksichtigung gleichgeschlechtlicher Pflege geht (vgl. Kap. 4.3.3).

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Religion in der Altenpflege

Dass Anspruch und Wirklichkeit nicht deckungsgleich sein müssen, legte die Interpretation des Leitbildes nahe. Gerade weil aber die Interpretation des Leitbildes auf das latente Spannungsverhältnis von Programmatik und Umsetzungspraxis aufmerksam machte, ist zu fragen, was Quellen für legitimes Handeln in Altenpflegeeinrichtungen sein können. Diese Frage lenkt den Blick im Folgenden auf das sogenannte praktische Orientierungswissen, welches dem einzelnen Beschäftigten nicht unbedingt bewusst und entsprechend auch nicht artikulierbar sein muss, und dennoch sein Handeln nachhaltig beeinflusst: »Handlungen, Interaktionen und Kommunikationen verkörpern praktisches Wissen. Davon kann nur ein geringer Teil von den Akteuren zur Sprache gebracht und damit als Bestandteil des diskursiven Bewußtseins ausgewiesen werden. Praktisches Orientierungswissen kann als jenes Wissen verstanden werden, das für die Ausführung sinnhafter Handlungen vorausgesetzt bzw. unterstellt werden muß.« (Straub 1999: 96)

5.2.2

Sinnhafte Handlungen im Kontext von Fallgeneralisierung und -spezifizierung

Wie sinnhafte Handlungen im altenpflegerischen Setting aussehen können und welche Rolle dabei das praktische Orientierungswissen spielt, soll mit Blick auf die Befunde zu fallgeneralisierenden und fallspezifizierenden Perspektiven und entsprechende Umgangsformen mit Religion (vgl. Kap. 4.8.3) analysiert werden, die im Folgenden tabellarisch zusammengefasst werden (vgl. Tabelle 3). Zu berücksichtigen ist, dass es sich dabei um eine idealtypische Darstellung handelt – die tatsächlichen Umgangsformen können abweichen und sich z.B. auch vermischen, wie der Fall ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4) zeigte. Aus Gründen der Übersichtlichkeit bezieht sich die Tabelle lediglich auf die Auseinandersetzung mit religiösen Bewohnerbedürfnissen. Die Gegenüberstellung der Perspektiven zeigt: Leitend für den Umgang mit Religion in den untersuchten Altenpflegeorganisationen ist der Grundsatz, religiöse Bedürfnisse der Bewohner berücksichtigen zu wollen. Von diesem Grundsatz ausgehend können idealtypisch zwei unterschiedliche Leitgedanken nachverfolgt werden, die entsprechende Auswirkungen auf das altenpflegerische Setting haben und dementsprechend als Teil des praktischen Orientierungswissens gedeutet werden können.

Fallspezifizierende Perspektive

"Bewohner sind qua Herkunft einer bestimmten religiösen Tradition zuzuordnen und haben entsprechend ihrem religiösen Regelwerk bestimmbare Bedürfnisse und Präferenzen.«

Pragmatische Vorkehrungen der Altenpflegeorganisation: z.B. religionssensible Schulung der Mitarbeiter, Sammeln von Kontaktdaten zu religionskompetenten Ansprechpartnern Generalisierende bzw. kategorisierende Umgangsformen, die der Aufrechterhaltung von Arbeitsabläufen dienen: z.B. gleichgeschlechtliche Pflege, spezifische Speiseangebote für bestimmte Bewohnergruppen Unterscheidung zwischen pflegeerleichternden und -erschwerenden Bedürfnissen: z.B. Reinheitsvorstellungen, die leicht mit pflegerischen Hygienevorstellungen zu vereinbaren sind vs. Bewohnerbedürfnis nach gleichgeschlechtlicher Pflege bei gleichzeitigem Personalnotstand

Auswirkungen

Einzelfallorientierte Betrachtungsweise des Bewohners und seiner individuellen religiösen Bedürfnisse: z.B. intensive Biografiearbeit Individualisierende Umgangsformen: z.B. spezifischer Gottesdienst für geistig veränderte Bewohner, Unterstützung einzelner Bewohner bei ihrer Ritualpraxis Einschätzung von Religion als potenzielle Ressource für das Wohlbefinden der Bewohner, Unterstützung von Religionsausübung im Hinblick auf die Wahrung und Förderung von Autonomie im Einrichtungsalltag

"Jeder Bewohner ist ein Individuum. Religion kann ein Teil seiner Biografie sein. Was genau Religion für den Bewohner bedeutet und wie sie in das altenpflegerische Setting integriert werden kann, ist von Fall zu Fall zu ermitteln.«

»Die religiösen Bedürfnisse der Bewohner sind zu berücksichtigen.«

Leitgedanken

Grundsatz

Fallgeneralisierende Perspektive

Tabelle 3: Vergleich fallgeneralisierender und fallspezifizierender Perspektiven

V Analyse 223

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Religion in der Altenpflege

Auf der einen Seite kommt es im Zuge einer fallgeneralisierenden Perspektive zur intuitiven Sortierung der Bewohner nach nationalen bzw. ethnischen Zugehörigkeiten und daraus geschlossenen Religionszugehörigkeiten. Typisches Beispiel hierfür ist die Anführung eines türkischen Bewohners, der für einen Muslim gehalten wird und in seinem Muslimsein gleichzeitig für die Gruppe der muslimischen Bewohner steht (vgl. Kap. 4.3.2, Kap. 4.3.3 und Kap. 4.3.5). Entsprechend der Zuordnung zu einer bestimmten Religionszugehörigkeit werden dann bestimmte religiöse Bedürfnisse abgeleitet (z.B. der Wunsch nach gleichgeschlechtlicher Pflege, Waschen unter fließendem Wasser). Ob der Bewohner diese oder ähnliche Pflegemaßnahmen tatsächlich wünscht und ob diese sich dann auch noch mit bestimmten religiösen Vorstellungen begründen lassen, ist – aus dieser Perspektive betrachtet – irrelevant, wie der Fall ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹ (Kap. 4.3.3) illustrierte. Im Fokus steht stattdessen eine möglichst effiziente Integration der Bewohnerbedürfnisse in den routinierten Arbeitsablauf. Dabei kann das habitualisierte Verhalten der Befragten als Entlastung von Reflexionsund Entscheidungszwängen aufgefasst werden, indem es zur Komplexitätsreduktion beiträgt (vgl. Liebsch 2002: 73). Entsprechend sind auch die pragmatischen Vorkehrungen seitens der Einrichtung zu verstehen, die auf eine kultur- bzw. religionssensible Schulung ihrer Mitarbeiter setzen oder Kontaktdaten zu kompetenten Ansprechpartnern für den ›Fall der Fälle‹ sammeln (vgl. Kap. 4.3.5 und Kap. 4.4.2). Das Ziel, bestimmte Arbeitsabläufe aufrecht zu erhalten, erklärt u.a. auch, warum diese Perspektive insbesondere, aber nicht ausschließlich30 im pflegerischen Arbeitsbereich zu beobachten ist.31 30

31

Eine Ausnahme bildet die Perspektive des Wortgottesdienstleiters Herr C., welchem vor dem Hintergrund seiner stark empfundenen Verantwortung für das Projekt ›WortGottes-Feier‹ an einer reibungslosen Durchführung gelegen ist, dem aber immer wieder Grenzen gesetzt werden (vgl. Kap. 4.6.1). Die große Bedeutung von gut funktionierenden Arbeitsabläufen zeigt sich auch in der Organisation von Pflegeabläufen, die in der stationären Altenpflege unterschiedlich gestaltet sein können: So ist grundsätzlich zwischen Funktions-, Bereichs- und Bezugspflege zu unterscheiden. Während die Funktionspflege eine Organisationsform meint, »die den Wohnbereich als eine Einheit versteht und in der alle Pflegebedürftigen vom gesamten Pflegeteam arbeitsteilig betreut werden« (Pfleghar/Ehlers 2006: 39), beschreibt die Bereichspflege die Pflege und Betreuung einer Gruppe von Pflegebedürftigen durch ein Team von Pflegenden. Die Bezugspflege hingegen meint wiederum den Einsatz einer bezugspflegenden Person, die für die Pflege und Betreuung einer bestimmten Anzahl alter Menschen quasi rund um die Uhr zuständig ist (vgl. ebd.: 41).

V Analyse

Auf der anderen Seite ist eine fallspezifizierende Perspektive festzustellen, die einzelne Bewohner in den Fokus rückt und vom Einzelfall ausgehend etwaige religiöse Bedürfnisse ermittelt. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Aufrechterhaltung gängiger Arbeitsabläufe, sondern um die Unterstützung und Begleitung eines einzelnen Menschen in seiner Lebensgestaltung, welche im altenpflegerischen Kontext vor besondere Herausforderungen gestellt ist. Dabei erscheint Religion als eine mögliche Ressource für das Wohlbefinden des Bewohners, die es zu integrieren und aufrechtzuerhalten gilt (vgl. z.B. Kap. 4.4.1 und Kap. 4.6.2). Entsprechend der Fokussierung auf die soziale Begleitung und Unterstützung ist nachzuvollziehen, warum sich die fallspezifizierende Perspektive insbesondere im Arbeitsbereich des Sozialdienstes zeigt.32

5.2.3

Berufsverständnisse

Im Vergleich bereits angeklungen ist die mögliche Bedeutung von unterschiedlichen beruflichen Verständnissen, die es im Folgenden näher zu beleuchten gilt. Dazu werden zunächst die beruflichen Verständnisse in den Arbeitsbereichen ›Pflege‹ und ›Sozialdienst‹ aus professionssoziologischer Perspektive in den Blick genommen. Daran anschließend werden Überlegungen angestellt, welche Formen von Sozialbeziehungen sich daraus im altenpflegerischen Setting ergeben und wie diese sich möglicherweise auch auf den Umgang mit Religion auswirken können. Verkörpert wird der Arbeitsbereich ›Pflege‹ durch die interviewten Pflegerinnen Frau H., Frau D. und Frau E., die staatlich anerkannte Altenpflegerinnen sind. Dementsprechend sind für die Klärung des Berufsverständnisses

32

Dass es auch hier wieder Ausnahmen gibt, zeigt die Schilderung der Pflegerin Frau H., die mit dem Begriff ›Diagnose‹ auf fallgeneralisierende, aber auch -spezifizierende Perspektiven in ihrer Arbeit aufmerksam macht und letztere insbesondere mit Blick auf die schwierige Phase des Heimeinzugs betont: »Jeder Mensch ist ein Individuum. Wir müssen erst (.) also (1) aktiv zuhören (1) Zeit lassen für Bewohner auch (1) Bezugspflege haben wir. Also Blickkontakte müssen wir auch herstellen. Also wir müssen (1) auf Menschen zugehen (.) als erster. (3) Vertrauen irgendwie schenken (.) also das (.) äh (1) ist sowieso (3). Auch Angehörigen (.) müssen wir auch mit Angehörigen arbeiten wenn das auch für Mutter oder Vater besser (.) also wenn sie besser fühlt. Das ist nicht einfach nur ein Bewohner (.) auch Angehörige spielen große Rolle.« (Kap. 4.3.4)

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Religion in der Altenpflege

Quellen heranzuziehen, die sich auf diesen Beruf beziehen33 . So heißt es im Altenpflegegesetz (AltPflG): »(1) Die Ausbildung in der Altenpflege soll die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten vermitteln, die zur selbständigen und eigenverantwortlichen Pflege einschließlich der Beratung, Begleitung und Betreuung alter Menschen erforderlich sind. […]« (§ 3 Abs. 1 AltPflG) Zum Aufgabenbereich der Altenpfleger gehören entsprechend die »sachund fachkundige, den allgemein anerkannten pflegewissenschaftlichen, insbesondere den medizinisch-pflegerischen Erkenntnissen entsprechende, umfassende und geplante Pflege« (ebd.), die Mitwirkung an medizinischer Behandlung, rehabilitativen, qualitätssichernden und gesundheitsvorsorgenden Maßnahmen. Auch die Betreuung in persönlichen und sozialen Angelegenheiten der Pflegebedürftigen, die Unterstützung von Pflegekräften, die keine Fachkräfte sind, die Beratung von pflegenden Angehörigen sowie die umfassende Begleitung Sterbender gehören zu ihrem Aufgabenbereich (vgl. ebd.). Die Vielfältigkeit der Aufgaben und die daraus erwachsenden Anforderungen an die Beschäftigten machen deutlich, warum sich die Altenpflege heute als eine »umfassende sozialpflegerische Dienstleistung« (Beeken 2009: 7) versteht, die über eine reine Versorgung des Körpers hinausgeht und die Eigenverantwortlichkeit des beruflichen Handelns betont.34 Zugleich ist die Ausübung des Berufes geprägt von Standardisierungen, die sich insbesondere in der Gestaltung von Pflegeprozessen zeigen: So bedeutet Pflege nicht nur die konkrete Umsetzung von Pflegemaßnahmen, sondern basiert auf einer Pflegediagnose und entsprechenden Planung. Begleitet wird der Pflegeprozess von Evaluierungsmaßnahmen durch z.B. Übergaben, Fallbesprechungen, Gespräche mit den Pflegebedürftigen und den Pflegebericht (vgl. Maurer 2006: 102-105). Dabei ist die häufig EDV-gestützte Pflegeprozessdokumentation als Instrument zu verstehen, welche zu mehr Transparenz und Eigenständigkeit pflegerischer Handlungen verhelfen soll 33

34

Mit der Reform der Pflegeberufe und Einführung einer generalistischen Ausbildung im Jahr 2020 kommt es auch zu einem neuen Berufsverständnis der nun sogenannten Pflegefachfrau bzw. des Pflegefachmanns, welches an dieser Stelle jedoch nicht näher beleuchtet werden kann. Deutlich werden lässt diesen Wandel auch folgendes Zitat aus einem Handbuch der Krankenpflege des Jahres 1917: »Nicht nur für den Kranken, auch und in erster Reihe für die Pflegerin ist der Besuch des Arztes, die tägliche Visite, das Hauptereignis des Tages.« (Blum 1917, zit.n. Stanjek 2009: ›Vorwort‹)

V Analyse

(vgl. Waterboer 2006b: 107). Die Pflegemaßnahmen als solche erfahren wiederum Standardisierung durch die Orientierung an sogenannten Pflegestandards, welche als »Instrument zur Festlegung eines einheitlichen Qualitätsniveaus auf nationaler oder betrieblicher Ebene« (Menker 2006: 78) dienen.35 Die Vorgaben und Regelungen machen deutlich, dass der Arbeitsbereich ›Pflege‹ relativ durchstrukturiert und formalisiert ist. Dies kann als typischer Ausdruck von Organisationshandeln verstanden werden (vgl. Krech 2011: 103). Es gibt deutliche Vorgaben, was als legitimes Handeln anzuerkennen ist. Zusammen mit dem Berufsbild, einem möglichen Leitbild der Einrichtung und ggf. sogar einem spezifischen Pflegeleitbild ist folglich ein praktisches Orientierungswissen gegeben, welches das Handeln der Pflegenden nachhaltig beeinflusst. Doch wie sieht es im Arbeitsbereich ›Sozialdienst‹ aus? Dieser Arbeitsbereich wird empirisch gefüllt durch die Schilderungen der interviewten Sozialpädagogin Frau A. und des interviewten Sozialarbeiters Herr B. Das Handeln von Sozialarbeitern bzw. Sozialpädagogen lässt sich zunächst nachvollziehen über eine Definition von ›Sozialer Arbeit‹. Darunter versteht der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit (DBSH) »ein Angebot für Einzelne, Gruppen und Gemeinwesen in Situationen, die Unterstützung, Förderung und Begleitung sinnvoll machen.« (DBSH 2020). Die Beschäftigten in der Sozialen Arbeit werden wiederum als Experten in der Vermittlung von Hilfe »zwischen der Lebenswelt der Menschen und dem System gesellschaftlicher Strukturen und Normen« (ebd.) beschrieben und seien damit als Professionsangehörige der Profession ›Helfen‹ zu betrachten (vgl. ebd.). In der wissenschaftlichen Literatur werden Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen auch als »Spezialisten für das Allgemeine« (Wilkening/Wichmann 2010: 168) bezeichnet, was auf ihre Vermittlungskompetenz zwischen verschiedenen Disziplinen aufmerksam machen soll, die sich in der Unterstützung von Menschen bei der Problembewältigung zeigt – unabhängig davon, ob dieses Problem individuell, situativ oder strukturell bedingt ist (vgl. ebd.). Gerade vor dem Hintergrund dieses komplexen Aufgaben- und Anforderungsprofils wird diskutiert, ob es sich bei

35

Beispiel hierfür sind die sogenannten Expertenstandards, die auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse z.B. die ›Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz‹ (DNQP 2019) oder die ›Dekubitusprophylaxe in der Pflege‹ (DNQP 2017) in den Blick nehmen.

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Religion in der Altenpflege

der Sozialarbeit um eine Profession36 oder eine Semi-Profession handelt (vgl. zusammenfassend May 2010: 69-106).37 Bedeutsam wird dieser Diskurs für die vorliegende Arbeit insofern als mit ihm Paradoxien von Professionshandeln zur Sprache kommen, die sich auch auf das altenpflegerische Setting übertragen lassen: Versteht man unter Profession mehr als besondere Berufe38 , sondern bezieht etwa die sogenannte Revidierte Professionalisierungstheorie nach Ulrich Oevermann ein39 , macht professionelles Handeln auf die besondere Strukturlogik der Handlung aufmerksam, die sich aus dem Kern des professionellen Handlungsfeldes, nämlich der stellvertretenden Krisenbewältigung, ergibt (vgl. Garz/Raven 2015: 59): Gefragt ist diesbezüglich eine professionelle Handlungskompetenz, die es erlaubt, fallangemessen zu agieren und standardisiertes Wissen in interventionspraktisches Wissen zu übersetzen (vgl. Oevermann 2005: 24). Man könnte auch sagen: »Die Spezifik des Problems erfordert eine nicht-standardisierte, nicht-routinisierte Lösung, die sich dem Professionellen im Rückgriff auf sein Fach36

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Der Begriff ›Profession‹ ist hier nicht alltagssprachlich im Sinne einer ›professionellen‹, d.h. kompetenten Ausübung eines Berufes zu verstehen, sondern entfaltet seine Bedeutung in unten skizzierten wissenschaftlichen Diskursen. In diesem Diskurs beschreibt etwa Fritz Schütze die Sozialarbeit als ›bescheidene‹ Profession mit einem Trendsetter-Potenzial für die zukünftige Professionsentwicklung (vgl. Schütze 1992). Insbesondere im Kontext von professionspolitischen Diskursen werden immer wieder folgende Merkmale von Professionen angegeben: 1. ein spezifisches, berufsbezogenes Wissen, 2. eine eindeutige, meist formalrechtliche Definition und entsprechende Monopolisierung des Tätigkeitsfeldes auf Basis des genannten Wissens, in der auch Bildungstitel eine Rolle spielen, 3. die Herausbildung von Berufsverbänden zur Selbstverwaltung sowie eine Gemeinwohlorientierung. Als typische Vertreter werden oftmals die Berufe des Arztes, des Geistlichen und des Juristen angeführt (vgl. Pfadenhauer/Sander 2010: 361f.). Vor dem Hintergrund von theoretischen Professionsansätzen wird diese einfache Merkmalsbestimmung jedoch als überholt angesehen (vgl. ebd.). Dass selbst die typischen Vertreterberufe diskutiert werden können, zeigen Studien von Wernet (1997) zu juristischen Berufen und Krech/Höhmann (2005) zum Pfarrberuf. Diese, an die in Kapitel 3 ausgeführten methodologischen Überlegungen anschlussfähige Theorieposition ist nur eine unter mehreren, wie Pfadenhauer/Sander in ihrem Überblicksartikel deutlich machen: Vorgestellt werden dort das klassische Professionsmodell (in Anlehnung an Parsons), systemtheoretische Verortungen von Professionen, interaktionistische Perspektiven auf Professionen (etwa die oben angedeutete Perspektive Schützes) sowie machtkritische Ansätze (vgl. Pfadenhauer/Sander 2010: 361-378).

V Analyse

und Erfahrungswissen, aber keineswegs schematisch erschließt. Seine Aufgabe und Leistung besteht in der Vermittlung von Theorie und Praxis mittels stellvertretender Deutung – stellvertretend für die autonome Lebenspraxis.« (Pfadenhauer/Sander 2010: 365) In stationären Altenpflegeeinrichtungen verankert ist die Soziale Arbeit durch § 43 Abs. 2 SGB XI, welche die Betreuung als Bestandteil von vollstationärer Pflege kennzeichnet. Eingesetzt werden Sozialarbeiter und Sozialpädagogen entsprechend in den Arbeitsfeldern der Heimaufnahme, Bewohnerberatung und -begleitung, Angehörigenarbeit, Organisation und Gestaltung von Freizeitaktivitäten, Ehrenamtlichenarbeit, Milieugestaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Gemeinwesenarbeit und Fortbildung (vgl. Falkenroth 2009: 348f.). Die Einsatzgebiete insbesondere mit Professionsbezug legen nahe, dass mit den Beschäftigten des Sozialdienstes ein Arbeitsfeld angesprochen wird, das sich grundsätzlich von dem der Pflege unterscheidet. Dieser Unterscheidung soll abschließend mit Blick auf mögliche Sozialbeziehungen im altenpflegerischen Setting nachgegangen werden.

5.2.4

Sozialbeziehungen

Bereits die Interpretation des Leitbildes (vgl. Kap. 4.2) ließ die Frage aufkommen, wie soziale Nähe und Einzelfallbetrachtung in einem Setting gelingen kann, das nicht unbedingt dafür bekannt ist und welches gleichzeitig immer wieder auf soziale Abhängigkeiten verweist. Es ist also zu fragen, ob und wie diffuse Sozialbeziehungen Raum in einem scheinbar rollenförmigen Setting finden (vgl. Raven 2009: 165f.) und wie dort biografische Krisen im höheren Lebensalter gemeistert werden können (ebd.: 178). Verbinden lässt sich die Fragestellung wiederum mit den bisher angestellten professionssoziologischen Überlegungen. Aufschlussreich zur Beantwortung erscheint zunächst die grundsätzliche Unterscheidung von spezifischen und diffusen Sozialbeziehungen: Als spezifische Sozialbeziehungen können Beziehungen zwischen Rollenträgern verstanden werden, in welchen die Personen austauschbar sind und die Sozialbeziehungen trotz des Austausches ihre »strukturelle Identität« (Garz/Raven 2015: 124) behalten. Charakteristisch sind weiterhin die klar definierten Kriterien der Handlungsgestaltung, welche zum einen nur bestimmte Themen

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Religion in der Altenpflege

zulassen, zum anderen »ein Aus-der-Rolle-fallen« (ebd.) sanktionierbar machen.40 Als diffuse Sozialbeziehungen zu bezeichnen sind hingegen Beziehungen zwischen »ganzen Menschen« (ebd.: 125), in welchen die Personen nicht austauschbar bzw. kündbar sind, wie z.B. Mutter-Kind-Beziehungen. Grundsätzlich sind in diesem Beziehungstypus alle Themen zugelassen (vgl. ebd.). Nach Oevermann dürfen, neben der Unkündbarkeit der Beziehung, die Körperbasis, die bedingungslose Vertrauensbildung und die generalisierte Affektbindung als grundlegend für diese Art von Sozialbeziehung betrachtet werden (vgl. Oevermann 2004: 172f.). Ein Zusammenspiel beider Beziehungstypen ist in Arbeitsbündnissen zu beobachten, welche im Kontext professionalisierter Hilfe geschlossen werden können (vgl. Garz/Raven 2015: 124f.). Diese folgen dann dem Gebot der klientenspezifischen Grundregel »Sei diffus. Lass kein Thema aus.« (ebd.: 127) und der therapeutenspezifischen Abstinenzregel »Sei spezifisch. Halte die Grenzen der rollenförmigen Beziehung ein« (ebd.). Vor dem Hintergrund dieser theoretischen Überlegungen lässt sich das altenpflegerische Setting nun wie folgt beschreiben: Beobachtbar sind unterschiedliche Typen von Sozialbeziehungen, die je nach Fokus des Arbeitsbereiches mal mehr spezifische, mal mehr diffuse Anteile in sich tragen: Der Arbeitsbereich der Pflege verfügt über ein hohes Maß an standardisierten Handlungsabläufen und erfordert, mit Oevermann gesprochen, eine »ingenieuriale Anwendung von Wissen« (Oevermann 2005: 23), in welche die Pflegenden ihr methodisiertes Wissen, zumeist in schematischer Form einbringen.41 Die sich daraus ergebenen Beziehungen sind i.d.R. rollenförmig, d.h. spezifisch 40

41

Ein Beispiel hierfür ist das Kundengespräch in der Bank: Erwartbar in der spezifischen Sozialbeziehung zwischen Kundenberater und Kundin ist das Gespräch über finanzielle Angelegenheiten (z.B. Kreditanfrage). Aus der Rolle fallen würde der Berater, wenn er die Kundin hier um ein privates Rendezvous bitten würde. Gleiches gilt natürlich vice versa. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die Pflegewissenschaftlerin Meggi KhanZvorničanin in ihrer Studie zur kultursensiblen Altenhilfe, wenn sie auf das Spannungsverhältnis von instrumentellen und verstehenden Handlungslogiken und sich daraus ergebenden habituellen Versorgungsstilen in der Altenhilfe aufmerksam macht: Dabei unterscheidet sie zwischen dem Primat der instrumentellen Expertise (Typus A), der »Balance zwischen der Anerkennung der individuellen Autonomie einer hilfebedürftigen Person und dem Prinzip der Versorgung« (Khan-Zvorničanin 2016: 132) (Typus B) sowie dem »professionelle[n] Zugang zum konjunktiven Erfahrungsraum« (ebd.) (Typus C).

V Analyse

auf das Verhältnis von Pflegefachkraft und Pflegebedürftigem bezogen. Ausdruck findet die Rollenförmigkeit und entsprechend standardisierte, schematische Wissensanwendung in der bereits oben ausgeführten fallgeneralisierenden Perspektive, die übergeordnet auch als Ausdruck von Organisationshandeln gedeutet werden kann. Nachvollziehen lässt sich so beispielsweise die von Frau A. thematisierte religionssensible Wissensweitergabe, die die Beziehung zwischen Pflege-Neulingen und zu Pflegenden regelt, die deutliche Anweisungen zur Handlungsgestaltung gibt und zugleich die Rollenträger austauschbar erscheinen lässt. Unerheblich ist, welcher der Bewohner ein religiöses Bedürfnis äußert, was zählt, ist die Berücksichtigung dieses durch einen Beschäftigten in seiner Rolle als Pflegefachkraft. Diffuse Anteile erhalten die Beziehungen, wenn es um die Unterstützung der Bewohner bei ihrer Lebensgestaltung in der Pflegeeinrichtung, insbesondere aber bei der Problembewältigung im höheren Lebensalter geht. In den Blick fällt hier der Sozialdienst, dessen Beschäftigte in vielen Bereichen ihrer Arbeit42 mit der Bewältigung von Krisen konfrontiert sind, die ein professionelles Handeln erforderlich machen: Geboten ist in solchen Fällen eine fallspezifische, d.h. nicht-schematische Anwendung von wissenschaftlich basiertem Wissen. Ausgerichtet ist die Problemlösung »auf die Wiederherstellung der beschädigten Autonomie der Lebenspraxis […], was über eine bloße Reparatur eines technischen Apparates hinausgeht« (ebd.). In den Blick gerät damit eine stellvertretende Krisenbewältigung durch den Sozialarbeiter, innerhalb derer a) die Krisenkonstellation einer konkreten Lebenspraxis, d.h. der konkrete Fall verstanden, b) das Expertenwissen43 auf den spezifischen Fall bezogen und entsprechend übersetzt werden und c) Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden muss (vgl. Garz/Raven 2015: 122f.). 42

43

Die oben aufgeführten möglichen Aufgabengebiete der Sozialarbeiter in einer Pflegeeinrichtung machen deutlich, dass nicht überall diffus geprägte Sozialbeziehungen und entsprechend fallspezifische Perspektiven zu erwarten sind (z.B. in der Organisation von Freizeitaktivitäten oder in der Öffentlichkeitsarbeit). Expertenwissen meint ein entsprechendes Fach- und Methodenwissen, welches mit einem Theorieverstehen einhergeht (vgl. Garz/Raven 2015: 122). Dass insbesondere die Sozialarbeit vor der Herausforderung steht, diesbezüglich über kein eindeutig abgegrenztes Paradigma zu verfügen, macht Schütze deutlich, wenn er sich mit den Paradoxien professionellen Handelns beschäftigt (vgl. Schütze 1992: 163).

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232

Religion in der Altenpflege

Mit der Nicht-Standardisierbarkeit einer stellvertretenden Krisenbewältigung angedeutet ist eine widersprüchliche Einheit von Autonomie und Abhängigkeit: »In dem Maße nämlich, in dem die durch standardisiertes Wissen ermöglichte Hilfe der stellvertretenden Krisenbewältigung gewissermaßen technisch erfolgreich ist, korrumpiert sie zugleich das eigentliche Ziel ihrer Hilfe. Sie macht nämlich darin den Klienten als hilfsbedürftigen abhängig und zerstört in dem Maße dessen Autonomie, um deren Wiederherstellung es doch gerade gehen muß.« (Ebd.) Dass gerade diese Einheit von Autonomie und Abhängigkeit zur Herausforderung im altenpflegerischen Setting werden kann, zeigt das empirische Material an mehreren Stellen. Besonders eindrücklich ist die Aussage des Sozialarbeiters Herrn B. (vgl. Kap. 4.4.2): Herr B.: Aber (.) ähm (.) also das wichtigste ist eigentlich so (.) dass der Bewohner so wertgeschätzt wird (.) äh (.) wie er ist und ähm (.) natürlich (.) ist er nen freier Mensch und darf die Sachen so ausleben wie er möchte (.) und wir gucken natürlich dass wir den Bewohnern dabei auch helfen können ne. (6) In der Sequenzanalyse detailliert herausgearbeitet wurde das Ausleben von Religiosität als Teil menschlicher Autonomieäußerung, die im altenpflegerischen Setting in eine Spannung zum Fürsorgeauftrag der Einrichtung geraten kann: Die Unterstützung des Bewohners bei seiner Religionsausübung gehört zum Grundsatz der Einrichtung und baut auf einem angenommenen Hilfebedürfnis, d.h. einer Abhängigkeit des Bewohners auf. Gleichzeitig wird das genaue Gegenteil, nämlich die Autonomieäußerung des Bewohners, auch in religiösen Angelegenheiten, angestrebt. Gefragt ist also ein Arrangement, welches sich dieser widersprüchlichen Einheit bewusst ist und im Sinne einer stellvertretenden Krisenbewältigung zur Erzeugung bzw. Wiederherstellung von Autonomie des Bewohners beiträgt. Wie ein solches zur Autonomie der Bewohner beitragendes Arrangement auch außerhalb des Sozialdienstes aussehen kann, zeigt die Gestaltung spezifischer Gottesdienste durch die Pfarrerin Frau M. (vgl. Kap. 4.6.2): In ihrer Rolle als Pfarrerin, zugleich aber auch als studierte Gerontologin gelingt es Frau M., die spezifischen Herausforderungen ihrer geistig veränderten Klientel zu rekonstruieren und einzelfallbezogene Handlungen in die Gestaltung ihres Gottesdienstes einzubeziehen (vgl. das ›Zuwenden‹ in einem umfassen-

V Analyse

den Sinn). Anstatt sich wie der Wortgottesdienstleiter Herr C. (vgl. Kap. 4.6.1) an standardisierten Abläufen zu orientieren und vor dem Hintergrund der besonderen Herausforderungen immer wieder an Grenzen der Umsetzbarkeit eines Gottesdienstes zu gelangen, schafft es Frau M., fallangemessen zu handeln und so einen Raum zu schaffen, in dem selbst geistig veränderte Personen besondere, respektive transzendenzbezogene Erfahrungen machen können. Zum Ausdruck kommt darin ein professionelles Handeln, welches »sich auf Individuen in konkreten Situationen« (Krech 2011: 103) bezieht und damit die Ebene der Interaktion betont (vgl. ebd.). Dass der Vergleich von Sozialbeziehungen im altenpflegerischen Setting möglicherweise auch die im empirischen Material kaum relevante Rolle von Sterben und Tod zu erklären vermag, zeigt ein abschließender Blick auf Forschungsergebnisse der Ethnologin Corina Salis Gross. Diese versteht die altenpflegerische Organisation als »liminoide[n] Ort« (Salis Gross 2001: 104), der »von der Gesellschaft beauftragt ist, den Übergang vom Leben zum Tod zu organisieren« (ebd.). Gleichzeitig würden »die an sich schon anspruchsvollen Arbeitsbedingungen im Altersheim […] dadurch erschwert, dass Sterbeprozesse immer wieder anders ablaufen, dass die beruflichen Regeln nicht den vollen Handlungsbedarf abdecken, dass immer wieder Situationen auftreten, die das Personal verunsichern.« (Ebd.: 67) Dadurch, dass die Beschäftigten eben nicht nur Rollenträger seien, sondern auch als Individuen mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert werden, die persönliche Anteilnahme aber nicht formalisiert werden könne und zugleich ein Teil des Personals über gar keine qualifizierende Ausbildung verfüge44 , stoße die Professionalität im Umgang mit Sterben und Tod in den Einrichtungen an ihre Grenzen (vgl. ebd.). Eine Folge kann die Ausblendung dieser Thematik auch im Hinblick auf die Relevanz versprechende Rolle von Religion45 sein, die sich in der vorliegenden Studie manifestiert und welche sich

44 45

Vgl. hierzu auch die Überlegungen der Pfarrerin und Gerontologin Frau M. (Kap. 4.7). Dass Sterben und Tod ein großes Potenzial für religiöse Bezugnahme bilden, zeigen die mannigfaltigen Rituale und Glaubensvorstellungen verschiedener religiöser Traditionen, die die Auseinandersetzung mit Krankheit, Sterben, Tod und Abschiednehmen begleiten können und welche für einen Teil der Menschheit auch heute noch Bedeutung haben (vgl. etwa Heller 2012, Elsas 2011, Garces-Foley 2006).

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234

Religion in der Altenpflege

übergeordnet als Ausdruck von Strukturkonflikten zwischen Organisationsund Professionshandeln verstehen lässt (vgl. Krech 2011: 103f.).46

5.3

Religionsverständnisse

Die beiden vorherigen Kapitel zeigten auf, wie sich die Integration von Religion in Altenpflegeorganisationen gestaltet und wie der Umgang mit Religion durch spezifisches Berufshandeln beeinflusst wird. Das nachfolgende und abschließende Analysekapitel soll dazu dienen, (1) das untersuchte Setting im Hinblick auf die zu beobachtenden Religionsverständnisse zu systematisieren und (2) auf der Metaebene zu reflektieren, wie sich diese Verständnisse in den religionswissenschaftlichen Diskurs einordnen lassen. Ähnlich den beiden vorherigen Analysekapiteln bildet auch in diesem Kapitel das mannigfaltige empirische Material die Grundlage, von der ausgehend analytische Überlegungen angestellt werden.

5.3.1

Religionsverständnisse im empirischen Material

Die Zusammenfassung der Befunde (Kap. 4.8) machte deutlich: In den untersuchten Altenpflegeeinrichtungen haben wir es mit unterschiedlichen Religionsverständnissen zu tun, die auf verschiedene Weise Einfluss auf das Handeln der Beschäftigten nehmen können. Nachfolgende Abbildung (vgl. Abbildung 1) führt die Befunde zusammen und ist damit als erster Schritt der Systematisierung zu verstehen. Die Abbildung zeigt: Religion wird im empirischen Material als Bedürfnis insbesondere von Bewohnern, teilweise aber auch Mitarbeitern47 wahrgenommen, das es in die Altenpflegeorganisationen zu integrieren gilt. Gleichzeitig stellt Religion ein potenzielles Irritationsmoment dar, welches bei der Integration zu bearbeiten ist.48 Ausgehend von dieser doppelten Anforderung,

46

47 48

Aus soziologischer Perspektive ließe sich an dieser Stelle weiter darüber diskutieren, ob die Organisation an sich nicht genügend Rücksicht auf die Professionsanteile in bestimmten Arbeitsbereichen nimmt bzw. ob die in ihr tätigen Beschäftigten einer Professionalisierung bedürfen, um eben auch Themenbereiche wie ›Sterben und Tod‹ fallangemessen bearbeiten zu können (vgl. Hanussek 2005). Vgl. hierzu den Fall ›Die Augen einer Krankenschwester‹ (Kap. 4.5.2). Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5.1.

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Religion in der Altenpflege

übergeordnet als Ausdruck von Strukturkonflikten zwischen Organisationsund Professionshandeln verstehen lässt (vgl. Krech 2011: 103f.).46

5.3

Religionsverständnisse

Die beiden vorherigen Kapitel zeigten auf, wie sich die Integration von Religion in Altenpflegeorganisationen gestaltet und wie der Umgang mit Religion durch spezifisches Berufshandeln beeinflusst wird. Das nachfolgende und abschließende Analysekapitel soll dazu dienen, (1) das untersuchte Setting im Hinblick auf die zu beobachtenden Religionsverständnisse zu systematisieren und (2) auf der Metaebene zu reflektieren, wie sich diese Verständnisse in den religionswissenschaftlichen Diskurs einordnen lassen. Ähnlich den beiden vorherigen Analysekapiteln bildet auch in diesem Kapitel das mannigfaltige empirische Material die Grundlage, von der ausgehend analytische Überlegungen angestellt werden.

5.3.1

Religionsverständnisse im empirischen Material

Die Zusammenfassung der Befunde (Kap. 4.8) machte deutlich: In den untersuchten Altenpflegeeinrichtungen haben wir es mit unterschiedlichen Religionsverständnissen zu tun, die auf verschiedene Weise Einfluss auf das Handeln der Beschäftigten nehmen können. Nachfolgende Abbildung (vgl. Abbildung 1) führt die Befunde zusammen und ist damit als erster Schritt der Systematisierung zu verstehen. Die Abbildung zeigt: Religion wird im empirischen Material als Bedürfnis insbesondere von Bewohnern, teilweise aber auch Mitarbeitern47 wahrgenommen, das es in die Altenpflegeorganisationen zu integrieren gilt. Gleichzeitig stellt Religion ein potenzielles Irritationsmoment dar, welches bei der Integration zu bearbeiten ist.48 Ausgehend von dieser doppelten Anforderung,

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Aus soziologischer Perspektive ließe sich an dieser Stelle weiter darüber diskutieren, ob die Organisation an sich nicht genügend Rücksicht auf die Professionsanteile in bestimmten Arbeitsbereichen nimmt bzw. ob die in ihr tätigen Beschäftigten einer Professionalisierung bedürfen, um eben auch Themenbereiche wie ›Sterben und Tod‹ fallangemessen bearbeiten zu können (vgl. Hanussek 2005). Vgl. hierzu den Fall ›Die Augen einer Krankenschwester‹ (Kap. 4.5.2). Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 5.1.

V Analyse

Abbildung 1: Empirische Annäherung an ein Verständnis von Religion

wird Religion dann entweder im Hinblick auf ihre sichtbare Praxis virulent oder gewinnt Bedeutung als eine innere Angelegenheit. Unter sichtbare Praxis können die Durchführung von Ritualen und das Befolgen bestimmter Vorschriften gefasst werden. In einem engen Zusammenhang stehen diese mit den von den Beschäftigten vorgenommenen Zuordnungen der Bewohner zu bestimmten Religionstraditionen bzw. Konfessionen, aus denen wiederum spezifische religiöse Regelwerke abgeleitet werden, die es in der Pflege bzw. Betreuung zu berücksichtigen gilt. In diesem Zusammenhang sind auch die religiös geprägten Formen der Lebens- bzw. Unternehmensführung aufzuführen, die das Handeln der Beteiligten im altenpflegerischen Setting beeinflussen können.49 Unter innere Angelegenheit hingegen können Verständnisse gefasst werden, die Religion als individuelle Entscheidung50 , als Motivation für moralisches

49

50

Während der Fall ›Die Augen einer Krankenschwester‹ (Kap. 4.5.2) auf eine religiös motivierte Lebensführung bestimmter Mitarbeiter verweist, verleiht der Fall ›Das Raucherhäuschen‹ (Kap. 4.5.1) einer entsprechenden Lebens- und Unternehmensführung des Einrichtungsleiters Ausdruck. Siehe exemplarisch den Fall ›Von Neulingen und alten Hasen‹ (Kap. 4.3.5).

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Religion in der Altenpflege

Handeln51 sowie als Anknüpfungspunkt für existenzielle Fragen52 charakterisieren. Hier geht es also um Arten des Denkens in Form spezifischer Vorstellungen, Ideen und Haltungen, die religiös geprägt sein können.53 Aus den Interpretationen und bisherigen Analysen dürfte deutlich geworden sein, dass das Verständnis von Religion als eine sichtbare Praxis besonders häufig im empirischen Material anzutreffen ist, wohingegen das Verständnis von Religion als eine innere Angelegenheit eine ungeordnete Rolle spielt. Diese Feststellung lässt die Frage nach möglichen Ursachen entstehen: Warum wird Religion insbesondere im Hinblick auf sichtbare Praxis zum Thema? Warum spielt Religion als eine innere Angelegenheit kaum eine Rolle? Eine mögliche Antwort ist bereits in der ersten Fragestellung angelegt: Abgeleitet vom altgriechischen Verb πρᾱ́σσειν (»durchdringen, zu Ende kommen, betreiben, vollbringen, tun«; Pfeifer 1993a) lässt sich Praxis verstehen als eine »Ausübung, Ausführung, Anwendung, Verfahrensweise« (ebd.). Indem etwas ausgeübt, ausgeführt, angewendet oder indem in einer bestimmten Weise verfahren wird, kommt es zu einem Handeln, welches auch für Außenstehende unmittelbar wahrnehmbar bzw. beobachtbar sein kann oder dessen Folgen wahrnehmbar bzw. beobachtbar sind.54 Hilfreich erscheint an dieser Stelle ein vertiefender Blick auf die Begriffe ›Wahrnehmung‹ und ›Beobachtung‹, die im untersuchten Setting eine besondere Rolle spielen: Klassischerweise wird mit Wahrnehmung die »Aufnahme von Reizen aus der Umwelt mithilfe der Sinnesorgane« (Eißing 2012a: 5) bezeichnet. Dass Wahrnehmung jedoch weit mehr umfasst als die bloße Aufnahme von Reizen, zeigen die physiologischen und psychologischen Abläufe und Verarbeitungsprozesse, die letztlich zu einer wie auch immer gearteten Reaktion eines Lebewesens führen (vgl. ebd.). Relevanz verspricht in die51 52 53

54

Siehe exemplarisch den Fall ›Religion in einem Leitbild‹ (Kap. 4.2). Siehe die Fälle ›Religion in einem Leitbild‹ (Kap. 4.2) und ›Der Roboter‹ (Kap. 4.7). An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, dass diese sogenannte ›innere Angelegenheit‹ – aus systemtheoretischer Perspektive betrachtet – auf das Bewusstseinssystem verweist und dementsprechend, dem Alltags-, aber auch anderen wissenschaftlichen Verständnissen zunächst widersprechend, außerhalb sozialer Systeme zu verorten ist. Diese Grenzziehung wird an späterer Stelle dieses Analysekapitels noch eine Rolle spielen. Zur strukturellen Kopplung von sozialen und psychischen Systemen vgl. Luhmann 2002: 270-272. Die Handlungsdimension von ›Praxis‹ wird umso deutlicher, wenn man den Begriff ›Theorie‹ als Vergleichsfolie einführt, welche etymologisch auf das wissenschaftliche, geistige Anschauen verweist und damit auf logisch-systematische sowie abstrakte Operationen aufmerksam macht (vgl. Pfeifer 1993b).

V Analyse

sem Zusammenhang der Umstand, dass nicht alle Reize verarbeitet werden können und es entsprechend zu selektierenden, interpretierenden, ergänzenden, sortierenden und ordnenden Mechanismen kommt, die Einfluss auf die Wahrnehmung nehmen (vgl. ebd.: 18f.). Als Filter bzw. Wahrnehmungsverstärker sind aus psychologischer Perspektive die aktuellen Bedürfnisse und der emotionale Zustand eines Menschen, seine Interessen bzw. Vorlieben, seine Motivation, seine Charaktereigenschaften, seine Biografie bzw. Lebenserfahrung sowie seine Einstellungen und Wertvorstellungen zu berücksichtigen (vgl. ebd.: 26f.). Besondere Bedeutung gewinnen diese im sozialen Miteinander, insofern sie sich auf die Wahrnehmung des Gegenübers auswirken und so auch Einfluss auf die zwischenmenschlichen Beziehungen im altenpflegerischen Setting nehmen können (vgl. ebd.: 28). Während es sich bei der bloßen Wahrnehmung um einen unbewussten Vorgang handelt, ist die Beobachtung als eine bewusste, systematische und zielgerichtete Aktivität zu verstehen, bei der »die Aufmerksamkeit auf einzelne Phänomene gerichtet wird« (Eißing 2012b: 33) – mit dem Ziel, »neue Erkenntnisse zu gewinnen und Entscheidungen zu treffen« (ebd.). Dieser Definition entsprechend wird die Beobachtung Pflegebedürftiger als eine der wichtigsten pflegerischen Aufgaben betrachtet (vgl. ebd.), derer es unterschiedliche Möglichkeiten und Verfahrensweisen im gesamten Pflegeprozess gibt.55 Zu berücksichtigen ist auch hier wieder der selektierende Charakter, der mit der Beobachtung bestimmte Dinge besonders sichtbar macht, andere wiederum zwangsläufig vernachlässigen bzw. ausblenden muss (vgl. ebd.: 42).56 Auf dieses Fokussieren auf der einen und Ausblenden auf der anderen Seite macht auch Luhmann aufmerksam, wenn er schreibt: »Beobachten ist das Handhaben einer Unterscheidung zur Bezeichnung der einen und nicht der anderen Seite« (Luhmann 2002: 143). Angesprochen werden mit dem Wahrnehmen und dem Beobachten also zwei grundlegende Vorgänge im altenpflegerischen Setting, die auch Konsequenzen für die Betrachtung und das Verständnis von Religion haben: Kom55

56

Zu nennen sind hier bestimmte Hilfsmittel (z.B. Einsatz der Sinnesorgane, Verwendung von Messinstrumenten, Skalen und Teststreifen) sowie systematisierende Methoden (z.B. Berücksichtigung von ärztlichen Untersuchungsergebnissen, Erarbeitung von Pflegediagnosen, Orientierung an Pflegetheorien) (vgl. Eißing 2012b: 37f.). Empirisch veranschaulicht wird dieses Phänomen in den Fällen ›Gebet oder GuteNacht-Lied‹ (Kap. 4.3.1) und ›Die Augen einer Krankenschwester‹ (Kap. 4.5.2), welche auf einen pflegerischen bzw. gesundheitsorientierten ›Blick‹ der Befragten aufmerksam machen.

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Religion in der Altenpflege

muniziert werden in den Interviews gefilterte Wahrnehmungen der Beschäftigten bzw. bewusste, systematische, zielgerichtete und zugleich selektierende Beobachtungen bestimmter Handlungen der Bewohner, welche sich als religiöse Praxis deuten lassen. So beschreibt die Sozialpädagogin Frau A. die Praxis einer Bewohnerin wie folgt: Frau A.: […] Und (.) SIE benutzt diesen Stein (.) fasst ihn an (.) so als würde sie Wasser nehmen und reinigt sich dann so (.) um dann ihr Gebet im Bett sitzend sprechen zu können. […] Die Feinanalyse des Datenmaterials (vgl. Kap. 4.4.1) machte deutlich, dass Frau A. sich intensiv mit der Praxis der Bewohnerin auseinandergesetzt hat und entsprechend detailliert den Ablauf des Rituals wiedergeben kann. Unklar ist an dieser Stelle, wie genau und in welchem Ausmaß Frau A.s Perspektive durch ihre persönliche Biografie, ihre Einstellung oder ihre berufliche Motivation geprägt ist. Feststeht jedoch, dass ihre Beschreibung vorgeprägt ist und von einem großen Interesse an der Lebenswelt der Bewohnerin zeugt, was wiederum zur weiter oben ausgeführten fallspezifizierenden Perspektive passt und die diffusen Beziehungsanteile im sozialarbeiterischen Handeln widerspiegelt. Geht man das empirische Material nun weiter durch, zeigen sich auch in anderen Kontexten Wahrnehmungen und Beobachtungen, die in den Interviews als religiöse bzw. religionsaffine Sachverhalte markiert werden57 : a) Beschäftigte nehmen bestimmte Kleidungspraktiken der Bewohner wahr und bringen diese mit religiöser Tradition in Verbindung (vgl. die Fälle ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied‹, ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹, ›Ein freier Mensch‹), 57

Dadurch, dass die Wahrnehmungen und Beobachtungen keine unmittelbaren sind, sondern in den Interviews versprachlicht wurden, kann im Einzelnen nicht immer nachvollzogen werden, ob die Beschreibung ursprünglich einer unbewussten Wahrnehmung oder einer bewussten Beobachtung beispielsweise zum Zwecke der Pflegeprozessplanung entspringt. Grundlage für die nachfolgende Zusammenfassung und Begriffsverwendung ist deshalb eine Einschätzung der Autorin, nach der ausführlichere Beschreibungen der Interviewten auf Beobachtungen, knappe Erwähnungen hingegen eher auf Wahrnehmungen verweisen können. So ist z.B. die von Frau A. geschilderte Ritualpraxis als Beobachtung zu klassifizieren, das Sehen von spezifischer Wanddekoration durch Frau H. hingegen als Wahrnehmung.

V Analyse

b) Pflegende nehmen spezifische Wanddekorationen in den Bewohnerzimmern wahr und verknüpfen diese mit Religion (vgl. den Fall ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied‹), c) Pflegende hören einen wiederkehrenden Sprechgesang und deuten diesen als Gebet (vgl. ebd.), d) Beschäftigte werden auf bestimmte Körperpflegepraktiken58 der Bewohner aufmerksam und begründen diese mit Bezug auf Religion (vgl. den Fall ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹), e) Pflegende beobachten bestimmte körperliche Umgangsformen zwischen den Geschlechtern und leiten diese aus der Religionszugehörigkeit der Bewohner ab (vgl. den Fall ›Türkische Bewohner in Kurzzeitpflege‹), f) Beschäftigte werden auf bestimmte Ernährungs- bzw. Fastenpraktiken aufmerksam, die mit Religion in Verbindung gebracht werden können (vgl. die Fälle ›Religion als Diagnose‹, ›Von Neulingen und alten Hasen‹ und ›Die Augen einer Krankenschwester‹), g) Beschäftigte beobachten spezifische Körperbewegungen, die als Gebet gedeutet werden können (vgl. die Fälle ›Religion als Diagnose‹ und ›Der runde Stein‹), h) Beschäftigte nehmen bestimmte Gegenstände im Umfeld der Bewohner wahr, denen sie eine religiöse Ritualfunktion zuschreiben (vgl. den Fall ›Der runde Stein‹).

Während der oben aufgeführte Katalog bewusst konfessionsunspezifisch formuliert wurde, um auf die Bandbreite der Sichtbarkeiten von Religion aufmerksam zu machen, legte die Zusammenfassung der Befunde (Kap. 4.8) nahe, dass insbesondere Praktiken thematisiert werden, die der islamischen Tradition zugerechnet werden. Dies überrascht umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass Muslimen in den untersuchten Einrichtungen kein Mehrheitsstatus zukommt.59 Wie lässt sich der verstärkte Fokus auf die islamische Tradition erklären? 58

59

Das Aufmerksamwerden auf bestimmte Körperpflegepraktiken hat zur Folge, dass die Beschäftigten unter Umständen selbst aktiv werden und die entsprechenden Bewohner ggf. bei der Körperpflege unterstützen müssen. Es bleibt also nicht bei einer bloßen Beobachtung. Ähnliches gilt für die Beobachtung spezifischer körperlicher Umgangsformen zwischen den Geschlechtern, die eine Anpassung der Pflegeplanung (Stichwort: Gleichgeschlechtlichkeit) zur Folge haben kann. Vgl. hierzu etwa den Kommentar der Pflegerin Frau D.: »Wir haben auch (.) sag ich auch so (.) wir haben auch ähm (2) deutsche (.) ähm (.) Bewohner (.) also hauptsächlich.«

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Religion in der Altenpflege

Als eine erste mögliche Ursache darf die besondere Stellung der Orthopraxie in der islamischen Tradition betrachtet werden, welche das Ritual als »Ausdruck und Äußerung des Glaubens« (Aslan 2006: 166) kennzeichnet. Dass das ›richtige‹ Handeln darüber entscheidet, wer ein Muslim ist und wer nicht, zeigen nicht zuletzt die sogenannten Fünf Säulen des Islams, die für einen Großteil der Muslime bis heute eine Rolle spielen ‒ sei es, dass sie tatsächlich praktiziert werden, sei es, dass sie zumindest nicht verleugnet werden dürfen (vgl. Ceylan 2017: 77). Mit dem Einzug von entsprechend sozialisierten Bewohnern bzw. der Arbeitstätigkeit entsprechender Mitarbeiter gelangt folglich eine religiöse Tradition in die Altenpflegeorganisationen, die bestimmte religiöse Praktiken wahrscheinlicher macht und sich von z.B. eher orthodox ‒ im Sinne von Rechtgläubigkeit ‒ geprägten Religionstraditionen (z.B. Christentum60 ) abhebt. Eine zweite mögliche Ursache ist mit den psychologischen Überlegungen zu den Begriffen ›Wahrnehmung‹ und ›Beobachtung‹ verknüpft: Besondere Bedeutung im Verarbeitungsprozess gewinnen Informationen, die neu bzw. fremd sind und entsprechend verarbeitet werden müssen. Nimmt man ‒ entsprechend der statistischen Verteilung von Religionszugehörigkeiten in Deutschland (vgl. Fowid 2019) ‒ an, dass der Großteil der Beschäftigten einer der beiden christlichen Großkirchen angehört bzw. keine Religionszugehörigkeit hat, ist davon auszugehen, dass der Islam in den untersuchten Altenpflegeeinrichtungen eher etwas Fremdartiges ist und seine Praktiken für Irritation sorgen können.61 Christliche Praktiken (z.B. Gebet, Bibellesen, Gottesdienstbesuch) mögen hingegen vertrauter erscheinen, gerade wenn es sich um eine Einrichtung in christlicher Trägerschaft handelt. Diese Vertrautheit wiederum kann zur Folge haben, dass die christlichen Praktiken weniger bewusst wahrgenommen und in den Interviews thematisiert werden. In

60

61

(Kap. 4.3.3). Dies deckt sich mit statistischen Erhebungen zur Religionszugehörigkeit in Deutschland (vgl. Fowid 2019). Die Differenzierung zwischen orthopraktisch und orthodox geprägten Religionstraditionen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Unterschiede innerhalb der Religionstraditionen gibt bzw. Religionstraditionen orthodoxe und orthopraktische Elemente enthalten können. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des hier als eher orthodox gekennzeichneten Christentums: Während z.B. die lutherische Tradition stark auf bestimmte Glaubensinhalte fokussiert ist (vgl. Bowker 1999: 613), spielt in der sogenannten Orthodoxen Kirche die Liturgie eine besondere Rolle (vgl. ebd.: 745). Es ist davon auszugehen, dass diese Fremdheit ambivalente Reaktionen hervorruft: Alois Hahn spricht von Fremdheit als Fascinosum und Tremendum (vgl. Hahn 1994: 151f.).

V Analyse

diesem Zusammenhang spielt es sicherlich auch eine Rolle, dass die islamische Religionspraxis körpersprachliche Formen annehmen kann, die weitaus sichtbarer sind als die anderer Religionstraditionen: So erfordert das rituelle Gebet im Islam (salāt) eine ausgiebige rituelle Waschung, häufig wird auf einem Gebetsteppich gebetet und das Gebet selbst wird mit verschiedenen körperlichen Bewegungen (u.a. Niederbeugen, Knien) vollzogen (vgl. Bowker 1999: 867f.). Ein ›schlichtes‹ Händefalten in der christlichen Gebetspraxis ist hingegen weitaus weniger augenfällig. Erweitern bzw. kombinieren lässt sich das Erklärungsmuster ›Fremdartigkeit‹ schließlich insofern, als mit der Fremdartigkeit auch eine Fremdheit angesprochen wird, die wiederum für eine Minderheit stehen und den Schutz dieser implizieren kann. Muslime in den Altenpflegeorganisationen sind in der zahlenmäßigen Minderheit ‒ in ihren Praktiken zeigt sich abweichendes Verhalten, welches dann aber wiederum vor dem Hintergrund diversitätsbezogener Diskurse und Strategien62 als schützenswertes Gut erscheint. Eine dritte Ursache für die Sonderrolle des Islams im untersuchten Setting kann Folgende sein: Dadurch, dass die Kategorie ›Muslim‹ mittlerweile die Begriffe ›Ausländer‹ und ›Türke‹ verdrängt und sich zu einer eigenständigen, jedoch unspezifischen Größe entwickelt hat (vgl. Ceylan 2017: 76f., Tezcan 2012), ist davon auszugehen, dass entsprechende Diskurse auch Eingang in das Alltagsverständnis der Menschen, so auch in das der interviewten Beschäftigten gefunden haben: Eine mögliche Konsequenz ist dann die Fokussierung auf Religion, welche sich in der Erwartung und Begründung von spezifischem Verhalten widerspiegelt und beispielsweise in der folgenden Aussage Ausdruck findet: Frau D.: Die waren hier zur Kurzzeitpflege gewesen (.) und da war es auch dass man zum Beispiel (.) dass die Frau nicht vom Mann gepflegt wird. Also von keinem (.) nicht vom Pfleger. Das haben wir auch beibehalten. (1) Na also das ist (.) also das ist aber auch (.) das gilt hier nicht nur halt (.) in diesem (.) sag ich jetzt mal (.) hat ja viel mit Religion zu tun. Die Frau wurde gepflegt (.) also auch von uns Schwestern. Hat ihr Kopftuch aufgekriegt und so weiter. Der Mann wurde halt von dem Pfleger gepflegt (.) und wenig von uns. Während die potenzielle Sichtbarkeit von religiösen Ausdrucksformen also eine Erklärung dafür sein kann, warum Religion im pflegerischen und be62

Vgl. ausführlich Kapitel 2.3.

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Religion in der Altenpflege

treuerischen Kontext vor allem im Hinblick auf ihre Praxis thematisiert wird, lässt sich die untergeordnete Rolle von Religion als eine innere Angelegenheit wie folgt erklären: Wenig thematisiert werden religionsaffine Sachverhalte, die das Innere eines Menschen, d.h. seine Gefühls- und Erfahrungswelt, aber auch seine kognitiven Leistungen (z.B. bestimmte Vorstellungen) betreffen, weil sie nur eingeschränkt sichtbar sind. Diese eingeschränkte Sichtbarkeit geht mit einem eingeschränkten Zugang für die Beschäftigten einher, wie auch die Pflegerin Frau H. deutlich macht: Frau H.: Und äh (2) paar Bewohner sprechen auch nachts Gebet. (2) Aber (2) man macht Bewohner fertig und man irgendwie (.) kriegt das auch nicht so viel mit (.) was::: (.) ob das jetzt so als Gewohnheit diesen Gebet ist oder ob das jetzt (.) ähm (.) warum sie das gesprochen haben (.) ist (.) das weiß ich jetzt nicht (.) äh (.) ob das jetzt einfach so (.) äh Vaterunser (.) für die Nacht und ob das jetzt ein Gute-Nacht-Lied ist. Das:: kann ich (.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür. Was Bewohner dann (.) in welchen Gedanken sie einschläft und ob das jetzt (.) äh (2) wie man sich fühlt wenn man so sich so (.) so ein Gebet ausgesprochen hat. I: Das können Sie nicht nachvo- wissen nicht was da passiert? Frau H.: Ähäh (.) ähäh. Thematisiert wird das Gebet in diesem Zusammenhang also nicht als sichtbare Praxis, sondern vor dem Hintergrund von Gedanken und Gefühlen der Bewohner, die der Pflegerin nicht zugänglich sind. Die Pflegerin Frau H. kann nicht in die (religiöse) Gefühls- und Gedankenwelt der Bewohner hineinblicken, sie kann entsprechend auch nicht nachvollziehen und nicht wissen, was sich im Inneren des einzelnen Bewohners, der ein Gebet spricht, abspielt. Verknüpfen lässt sich diese Beobachtung einerseits mit systemtheoretischen Überlegungen, nach denen das Bewusstsein als psychisches System außerhalb des Sozialsystems ›Altenpflegeorganisation‹ zu verorten ist und dementsprechend nicht zugänglich ist (vgl. Luhmann 2002: 272). Andererseits lässt sich ein Bezug zu den bereits erläuterten Überlegungen bezüglich der Sozialbeziehungen im altenpflegerischen Setting herstellen (vgl. Kap. 5.2.4): Die Beziehung zwischen Pflegenden und Bewohnern ist überwiegend rollenförmig geprägt, im Fokus steht die Aufrechterhaltung von Arbeitsabläufen (vgl. die Aussage »man macht Bewohner fertig«). Entsprechend der rollenförmigen Ausrichtung kann auch die Aussage »Das:: kann ich (.) also (.) irgendwie (.) interessiert sich jetzt nicht so (.) dafür« verstanden werden: Die

V Analyse

Pflegerin Frau H. ist nicht einfach ignorant oder gefühlskalt, sondern sie orientiert sich im Kontext religiöser Fragestellungen bevorzugt an den rollenförmigen Anforderungen ihrer Arbeit. Denn dass ihre Arbeit im Kontext nichtreligiöser Fragestellungen durchaus diffuse Beziehungsanteile in sich tragen kann, macht ihre Schilderung des empathischen Umgangs mit neu eingezogenen Bewohnern (vgl. Kap. 4.3.4) deutlich. Dass insbesondere das Thema Religion eine rollenförmige Beziehungsgestaltung fördert, ist sicherlich auch damit zu begründen, dass der Glaube für Frau H. persönlich eine untergeordnete Rolle spielt63 , also ein Thema ist, zu dem Frau H. auch persönlich wenig Bezugspunkte hat. Sich vor diesem Hintergrund auch noch in die religiöse Gefühls- und Gedankenwelt der Bewohner hineinzuversetzen, muss dementsprechend als unmöglich erscheinen.64 Blickt man von diesen rollenförmig geprägten Konsequenzen nun vergleichend auf stärker diffus geprägte Sozialbeziehungen im altenpflegerischen Setting, lässt sich ein besonderes Verständnis von Religion und zugleich Paradoxon aufzeigen: das der Chiffrierung von Religion als Ausdruck von zu gewährleistender Individualität, welches mit einer Ausblendung von religiösen Sachverhalten einhergeht. Besonders deutlich wurde dieses Verständnis bei der Sozialpädagogin Frau A., die im Interview zunächst folgende Aussage tätigte: Frau A.: Inzwischen ist es tatsächlich so dass (.) äh (.) Neulinge in der Pflege (.) äh (.) von den alten Hasen angelernt werden. Die kriegen dann die Information (.) bei der Bewohnerin musst du das und das beachten. So wie auch ja bei jeder anderen Bewohnerin oder jedem anderen Bewohner. Weil jeder hat so seine Eigenarten. Und (.) äh (.) ja (.) bei den muslimischen Bewohnern (.) ähm (1) ist dann (.) äh (.) ja wird dann eben gesagt (.) da musst du (.) dieses beachten. In der Feinanalyse (vgl. Kap. 4.3.5) detailliert herausgearbeitet wurde u.a. die als notwendig erachtete Berücksichtigung von Eigenarten der Bewohner. Religion wird in diesem Zusammenhang insofern relevant, als sie als eine persönliche Einstellung und Verhaltensweise von Bewohnern verhandelt wird, die

63 64

Diese Information entstammt einer Aussage Frau H.s im Interview, die den Schilderungen zum Fall ›Gebet oder Gute-Nacht-Lied‹ (Kap. 4.3.1) vorausging. Auf die Unmöglichkeit eines Hineinversetzens in die religiöse Gedankenwelt macht auch Frau I. im Fall ›Die Augen einer Krankenschwester‹ (Kap. 4.5.2) aufmerksam.

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Religion in der Altenpflege

es unbedingt im Pflegeablauf zu berücksichtigen gilt. Im weiteren Interviewverlauf werden die genannten Eigenarten dann um individuelle Entscheidungen ergänzt: Frau A.: Ich mein so grundsätzliche Sachen (.) weiß eigentlich jeder. Moslems essen kein Schweinefleisch. Ist bekannt. Trinken keinen Alkohol. Ist bekannt. Ähm (.) letztendlich ist aber auch das eine individuelle Entscheidung. Wenn ein (.) äh (.) Bewohner (.) der offensichtlich in seinem Pass stehen hat (.) Moslem (.) wenn er aber sagt (.) ich möchte aber nen äh (.) Schweinebraten mitessen (.) ist das seine Entscheidung. (1) Also wir ste- stehen da jetzt nicht und sagen (.) ähäh. (1) Sie sind Moslem (.) Sie dürfen das nicht essen. [Frau A. begrüßt Kollegin] Wir wandern dann jetzt mal weiter. Weil jetzt wird es unruhig. [Frau A. und I. verlassen den Raum] (7) Ja (.) das sind letztendlich alles individuelle Entscheidungen. Vor dem Hintergrund ihres Wissens, dass nicht alle Muslime gleich sind und eine Religionszugehörigkeit noch nichts über die tatsächliche Religionspraxis und die Glaubensvorstellungen aussagen muss, gerät Frau A.s Verständnis von Religion an seine Grenzen: Welche Geltung kann Religion haben, wenn sie nicht als verbindende Tradition zu denken ist, aus der sich bestimmtes Verhalten ableiten lässt? Oder anders gefragt: Ist der Begriff ›Religion‹ nicht durch den der ›individuellen Entscheidung‹ zu ersetzen, gerade weil der Einzelfall mit seinen persönlichen Einstellungen, Vorstellungen und Praktiken so zentral und bedeutsam für ihr Autonomieverständnis ist? Zum unauflösbaren Widerspruch wird dieser Zusammenhang folglich insofern, als eine Berücksichtigung von Religion als Ausdruck von Individualität nur möglich ist, wenn die persönliche Dimension von Religion aus der Organisationsperspektive ausgeblendet wird, sprich: Religion als eine innere Angelegenheit in Form von Gesinnungen, Erleben, Gefühlen o.Ä. die Beschäftigten nichts angeht. Mit der sprachlichen Präsentation von Religion als Ausdruck einer Eigenart und individuellen Entscheidung65 latent angedeutet ist weiterhin die

65

Die Aussage, dass es sich bei religiös motiviertem Handeln um eine individuelle Entscheidung handelt, erwähnt Frau A. an mehreren Stellen im Interview. Dementsprechend ist das Argumentationsmuster (1. Beispiele für die Rolle von Religion geben, 2. auf individuelle Entscheidungen verweisen) so augenfällig, dass zu fragen ist: Warum muss immer wieder auf die Entscheidungsfreiheit hingewiesen werden?

V Analyse

Vorstellung von Religion als eine Art Zwang66 , von der es sich in der Interviewsituation möglicherweise abzusetzen gilt: Hinter dem Begriff ›Religion‹ könnte sich etwas zu verbergen, das mit Unfreiheit und Generalisierung einhergeht und an starre religiöse Institutionen sowie Dogmen erinnert.67 Indem das genaue Gegenteil, nämlich die Möglichkeit zur freien Entscheidung, betont wird, erlangt die fallspezifizierende Perspektive der Sozialpädagogin Ausdruck, die überall Einzelfälle mit persönlichen Beweggründen sehen und zwangsläufig Religion im altenpflegerischen Setting ausblenden muss. Dass diese Ausblendung von Frau A. jedoch nicht konsequent verfolgt werden kann und der Begriff ›Religion‹ gruppenbezogene Sachverhalte erklären hilft, die nicht einfach mit einem Begriff wie Individualität zu erklären sind, zeigt wiederum der bzw. ›ihr‹ Fall ›Intimrasur und Waschgewohnheiten‹ (Kap. 4.3.2), in dem es um religiös begründete Vorstellungen und Praktiken von Körperpflege ging. Die Beobachtung, dass das empirische Material auf unterschiedliche Weise von Religion spricht und der Begriff, trotz der oben angedeuteten Schwierigkeiten, seinen Reiz zu haben scheint, lässt zur Frage überleiten, wie sich die empirischen Befunde aus religionswissenschaftlicher Perspektive systematisieren lassen.

5.3.2

Religionswissenschaftliche Einordnung

Die Befunde und ihre bisherige analytische Durchdringung legten nahe, dass die empirischen Religionsverständnisse maßgeblich durch das altenpflegerische Organisationshandeln geprägt werden. Religion wird von den Befragten aus unterschiedlichen Gründen häufig als eine sicht- und beobachtbare Praxis in den Blick genommen, die in die altenpflegerischen Abläufe zu integrieren ist. Überwiegend ausgeblendet wird Religion hingegen als ein Ausdruck spezifischer Vorstellungen, Ideen und Haltungen.

66

67

Die Vorstellung, dass Religion bestimmtes Verhalten erzwingt, zeigt sich in mehreren Fällen, so z.B. in den Fällen ›Religion als Diagnose‹ (Kap. 4.3.4) und ›Ein freier Mensch‹ (Kap. 4.4.2). Ausdruck findet ein solches Verständnis u.a. in der Bedeutungsausweitung des Spiritualitätsbegriffes in z.B. gesundheitswissenschaftlichen Fächern, aber auch der Verbreitung im Alltagsverständnis der Menschen, in dem Spiritualität oft bewusst von Religion abgesetzt wird, um auf Authentizität, persönliche Bedeutung und eigene Erfahrungen zu verweisen (vgl. Utsch/Klein 2011: 29-40).

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246

Religion in der Altenpflege

Möchte man die aus der Empirie abgeleiteten Religionsverständnisse nun weiter systematisieren und in den religionswissenschaftlichen Diskurs einbringen, gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: den Abgleich der empirischen Religionsverständnisse mit bestehenden Definitionen von Religion68 oder die Rekonstruktion der Verständnisse vor dem Hintergrund eines dimensionierenden Ansatzes. Letzterer ermöglicht sodann eine Einbettung empirischer Befunde in Charakteristika von Religion, ohne einem starren Religionskonzept zu folgen, wohl aber mit der Möglichkeit, Dominanzen bestimmter Ausdrucksformen aufzuzeigen (vgl. Krech 2018: 51). Im Folgenden soll ein Ansatz vorgestellt werden, der analytisch zwischen den vier Dimensionen ›Kognition‹, ›Erfahrung‹, ›Regulierung‹ sowie ›Verkörperung‹ unterscheidet und zugleich auf das Wechselspiel von Semantik und Sozialstruktur aufmerksam macht. Die folgende Abbildung (vgl. Abbildung 2) veranschaulicht das Zusammenspiel dieser Dimensionen. Ausgehend von den Annahmen, dass Religion Kontingenz auf der Basis der Unterscheidung von Immanenz/Transzendenz bearbeitet (vgl. Luhmann 1996: 26) und die »Relationen der vier Dimensionen untereinander […] als Leistung einer Dimension für die jeweils anderen zu bestimmen« (Krech 2018: 53) sind, sind folgende Beziehungen zu beschreiben: Die Dimension ›Kognition‹ ist für die Ausstattung der anderen Dimensionen mit Sinn zuständig (vgl. ebd.: 54): Gemeint sind hier vor allem kognitive Konzepte wie Magie, Mythos, Dogma und Doktrin sowie Begriffe wie ›Glauben‹, ›Ahnen‹ und ›Intuition‹ (vgl. ebd.: 67). Die Dimension ›Erfahrung‹ verleiht den anderen Dimensionen Evidenz, indem sie für äußere Anschaulichkeit und innere Sicherheit sorgt (vgl. ebd.: 54). Beispiel hierfür ist die sinnliche Erfahrung einer Gottesbeziehung in der Mystik, die ein besonderes psychisches Erleben kommuniziert und als religiöse Erfahrung adressiert (vgl. ebd.: 60f.). Unter die Dimension ›Regulierung‹ fällt die Stiftung von Ordnung für die anderen Dimensionen (vgl. ebd.: 54). Angesprochen werden hiermit Formen der Institutionalisierung, welche die religiöse Sinnbildung auf Dauer stellen

68

Ausgehend von einer funktionalistischen Religionsdefinition könnte etwa gefolgert werden, dass Religion in Altenpflegeorganisationen die Funktion hat, den Alltag der Bewohner zu strukturieren und somit zu ihrer Integration in das altenpflegerische Setting beizutragen. Für einen kompakten Überblick zu unterschiedlichen Definitionen von Religion und damit verknüpften Herausforderungen vgl. Pollack 2018.

V Analyse

Abbildung 2: Dimensionen des Religiösen in ihrem Zusammenspiel (nach Krech 2021: 95)

können, so z.B. das Ritual, die religiöse Ethik und Lebensführung, religiöse Rollen oder die religiöse Organisation (vgl. ebd.: 68-84). Mit der Dimension ›Verkörperung‹ angesprochen werden Medien, die wiederum für die anderen Dimensionen im Sinne einer Materialisierung relevant sind: Beispiele hierfür sind physische Objekte (z.B. Bücher und Ritualgegenstände), die der Archivierung und Kommunikation von Wissen dienen, oder bestimmte Orte bzw. Räume, die religiös semiotisiert werden (vgl. ebd.: 6366). Im Folgenden soll dieser dimensionierende Ansatz wie eine Art Brille genutzt werden, um die oben ausgeführten und aus der Empirie abgeleiteten Religionsverständnisse zu betrachten. Dies geschieht anhand zweier Fallbeispiele.

Fallbeispiel 1: ›Religion als Diagnose‹ Der Fall ›Religion als Diagnose« (vgl. Kap. 4.3.4), der sich aus einem Interview mit der Pflegerin Frau H. ergab, beschäftigt sich übergeordnet mit der Deu-

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Religion in der Altenpflege

tung und Einordnung religiöser Sachverhalte in die altenpflegerische Praxis. Dabei kommt es zu folgender Schilderung der Pflegerin: Frau H.: Das muss man schonmal anpassen glaube ich (.) an jede Bewohner. Das ist genauso wie ein Bewohner (1) mit verschiedenen Diagnosen kommt. Dann muss man schon auch für diese Diagnosen sich äh (1) umstellen (.) und so behandeln was man (.) in Therapievorschlag steht. Genauso das ist auch (.) ich (.) ähm (1) für Religion auch (.) muss man sich (.) äh (.) anpassen. Auch so mit Essen (.) mit Ritualen (.) mit (.) äh (1) Beten auch. Also (1) weil sie da (2) vielleicht (.) müssen die (1) eine Stunde oder halbe Stunde oder (.) auf den Knien sitzen und dann (1). Da muss man das akzeptieren. Auf jeden Fall. Detailliert herausgearbeitet wurde die im Interview kommunizierte Wahrnehmung von Religion als eine sichtbare Praxis, welche sich als Diagnose deuten lässt. Mit dem Begriff ›Diagnose‹ angesprochen werden ein zwangsläufig zu erwartendes Bewohnerverhalten bzw. bestimmte Begleiterscheinungen, die es im pflegerischen Kontext zu berücksichtigen gilt. Im Modus der Diagnose gesprochen, ist der Bewohner ein ›Fall von‹ einer bestimmten religiösen, medizinischen etc. Diagnose, die sich im pflegerischen Setting musterhaft abzubilden und zu reproduzieren scheint. Zugleich ist er ein Einzelfall mit einer persönlichen Geschichte, die es insbesondere in der Phase des Heimeinzugs zu berücksichtigen gilt. Überträgt man diese empirischen Beobachtungen nun auf den oben vorgestellten dimensionierenden Ansatz, lässt sich das Religionsverständnis der Pflegerin wie folgt beschreiben: Religion zeigt sich insbesondere als sichtbare Praxis (vgl. Essen, Rituale, Beten, »auf den Knien sitzen«). Fasst man das beobachtete Beten und das »auf den Knien sitzen« zusammen, gerät also das Ritual, als Ausdruck der Dimension ›Handeln und Regulierung‹, in den Fokus der Beobachtung.69 Aus religionswissenschaftlicher Perspektive lässt sich das Ritual wiederum wie folgt bestimmen:

69

Dies schließt natürlich nicht aus, dass in diesem Zusammenhang auch die anderen drei Dimensionen des Religiösen eine Rolle spielen bzw. ›am Werk sind‹. Besondere Bedeutung, im Sinne einer Hierarchie, gewinnt jedoch die Dimension des Handelns und der Regulierung. Warum das so ist, soll im Folgenden erarbeitet werden.

V Analyse

Ein Ritual setzt die Anwesenheit von mindestens zwei Personen70 voraus: Während mindestens eine Person in einer noch zu bestimmenden Weise rituell handelt, muss mindestens eine weitere Person direkte oder indirekte Zeugenschaft (z.B. durch unmittelbare Beobachtung oder mündlichen Bericht) für dieses Handeln geben können (vgl. Krech 2018: 70). Ein Ritual ist eine schematisierte, stereotypisierte Kommunikation, die relativ festen Abläufen folgt (vgl. ebd.: 71).71 Intentionen und Motive von Individuen spielen im Ritual keine oder nur eine untergeordnete Rolle, sprich: »Ein Ritus ist unter den Bedingungen formaler Berechtigung ex opere operato gültig« (ebd.: 71f.). Dementsprechend liegt auch der Sinn eines Rituals im Akt der Durchführung selbst. Bedeutung kann das Ritual auch außerhalb seines Vollzugs entfalten (vgl. ebd.: 72). Um eine stereotypisierte rituelle Kommunikation gewährleisten zu können, müssen sich die Psychen der an einem Ritual Beteiligten an den formalen Ablauf anpassen und sich zurücknehmen. Eine Rolle spielen hierbei das episodische und das prozedurale Gedächtnis, welche autobiografische Erinnerungen erlauben und bestimmte Bewegungsabläufe und Körperhaltungen verinnerlichen helfen (vgl. ebd.). Ein Ritual markiert einen sozio-kulturellen (zeitlichen oder räumlichen) Übergang und reproduziert diesen in seiner Durchführung. In diesem Bestimmungsmerkmal der Liminalität zeigt sich auch die Besonderheit spezifisch religiöser Rituale und das Zusammenspiel der Dimensionen des Religiösen: »Das religiöse Potential der Liminalität wird realisiert, wenn der Übergang auf etwas Transzendentes verweist, das im Vollzug des Rituals symbolisiert, d.h. als Einheit von Immanenz und Transzendenz dargestellt wird. Im Sprechen, Gestikulieren und Bewegen verkörpert es sich in den – in welcher Form auch immer – am Ritual Beteiligten. Durch den Vollzug des Rituals werden 70

71

Dieses Kriterium wird in der Forschung insbesondere in Bezug auf sogenannte Internetrituale diskutiert (vgl. zusammenfassend Dücker 2007: 214-216). Geht man jedoch grundlegend davon aus, dass Sozialität stets mehr als eine Person umfasst, wird deutlich, warum ein Ritual erst durch mindestens zwei Personen sozial relevant und zugleich sozial konstituiert wird. Die Religionsgeschichte macht deutlich, dass Variantenbildungen sehr wohl möglich sind, zentrale Elemente eines Rituals jedoch i.d.R. stabil bleiben. »Sollte sich ein Ritual ändern […]« (Krech 2018: 71), schreibt Volkhard Krech mit Blick auf religionsgeschichtliche Dynamiken, »muss dessen Unveränderlichkeit durch einen Schematismus wenigstens suggeriert werden« (ebd.).

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Religion in der Altenpflege

Überzeugungen, die gegebenenfalls mit dem Ritual verbunden sind, habitualisiert und für die Alltagspraxis tauglich gemacht.« (Ebd.: 73) Wiederum übertragen auf das empirische Beispiel, haben wir es also mit einem mündlichen Bericht der Pflegerin Frau H. über die im Pflegesetting zu beobachtenden Rituale zu tun, die sie als Ausdruck von Religion deutet. Durch ihren mündlichen Bericht im Interview gibt sich die Pflegerin als Zeugin spezifischer Handlungen zu erkennen, die sich insbesondere in bestimmten Bewegungsabläufen bzw. Körperhaltungen manifestieren und einem relativ festen zeitlichen Ablauf zu folgen scheinen (vgl. die Aussage »Also (1) weil sie da (2) vielleicht (.) müssen die (1) eine Stunde oder halbe Stunde oder (.) auf den Knien sitzen und dann (1)«). Unklar bleibt, was die Folge dieses Rituals ist (vgl. den Satzabbruch »und dann (1)«). Dieser Umstand ist insofern aufschlussreich, als sich an dieser Stelle zum einen die Nicht-Intentionalität von Ritualen zeigt – die Pflegerin also nicht einschätzen kann und vor dem Hintergrund der theoretischen Überlegungen auch nicht muss, welche Intentionen die Bewohner mit einem solchen Ritual verfolgen. Zum anderen lässt sich das Auslassen der Folgen auch als Anbahnung von Liminalität deuten: Für die Pflegerin Frau H., die sich zuvor als nicht gläubig beschrieb, bleibt verborgen und ungewiss, wie sich der mit dem Ritual verknüpfte Übergang im Hinblick auf eine wie auch immer geartete Transzendenz gestaltet. Genau genommen haben wir es also bei Frau H.s Schilderung mit einer Kommunikation über Religion zu tun72 , wohingegen eine versprachlichte religiöse Kommunikation, etwa im Sinne der Schilderung einer religiösen Erfahrung, die ein Bewohner während des Rituals macht, in diesem Zusammenhang nicht abbildbar ist. Ausgehend von der Unterscheidung zwischen religiöser Kommunikation und Kommunikation über Religion (vgl. Luhmann 2000: 320) wird an dieser Stelle noch einmal mehr deutlich, dass mit dem Untersuchungsgegenstand nicht das Religionssystem mit seinen Selbstbeobachtungen und -beschreibungen im Fokus steht, sondern die am System der Krankenbehandlung orientierte Altenpflegeorganisation: Diese nimmt lediglich auf Religion Bezug, indem Religion als unbedingt zu berücksichtigendes Bedürfnis der Organisationsmitglieder charakterisiert und vor dem Hintergrund ihres Fürsorge- bzw. Gesunderhaltungsauftrages nicht ignoriert wer72

Dies betrifft nicht nur die Schilderung Frau H.s, sondern das gesamte erhobene Datenmaterial mit Ausnahme der Fälle ›Ein Moment der Göttlichkeit‹ (Kap. 4.6.2) und ›Der Roboter‹ (Kap. 4.7), die zumindest in Ansätzen auf eine religiöse Kommunikation im Untersuchungssetting verweisen.

V Analyse

den kann. Dadurch, dass sich in der Dimension des Handelns und der Regulierung besondere Sozialformen wie die des Rituals etablieren können und somit sozialstrukturelle Ausformungen impliziert werden, die sichtbarer sind als bloße religiöse Semantiken (z.B. spezifische Glaubensvorstellungen), wird deutlich, warum Religion insbesondere im Hinblick auf ihre Praxis virulent wird.

Fallbeispiel 2: ›Ein Moment der Göttlichkeit‹ Während der vorherige Fall deutlich machte, warum Religion insbesondere im Hinblick auf ihre Handlungsdimension thematisiert wird und gleichzeitig als Beispiel für eine häufig im altenpflegerischen Setting anzutreffende Kommunikationsform über Religion steht, soll im Folgenden schwerpunktmäßig auf die Dimension der Wahrnehmung und Erfahrung eingegangen und zugleich ein Beispiel für religiöse Kommunikation gegeben werden. Dazu dient der Fall ›Ein Moment der Göttlichkeit‹, welcher einem Interview mit der Pfarrerin Frau M. entstammt, die spezielle Gottesdienste für geistig veränderte Bewohner gestaltet. Die im Zentrum stehende Passage lautet wie folgt: Frau M.: […] Man muss also dieses Band (.) so dieser dieser persönlichen (.) Anteilnahme schaffen. Und wenn ich dann bei ihnen sitze und sie von unten (.) sag ich mal (.) anschaue (1) und dann ein bekanntes Lied singe (.) also (.) ich wähle dann auch immer nur die ganz bekannten Lieder aus (.) wie zum Beispiel @großer Gott wir loben dich@. Das kann wirklich jeder (.) ja von Kind an haben das die Menschen gelernt. Und wenn ich sie dann (.) so aus dieser Perspektive ansinge (.) dann beginnen die Menschen irgendwann mitzusingen. Auch wenn sie vorher überhaupt nicht sprechen und sich auch nicht angesprochen fühlen (1) wenn das nicht direkt passiert. Und ein anderer wesentlicher (.) Teil dieser (.) Gottesdienste ist das Abendmahl. Also mit dem Abendmahl verbinden (.) verbindet diese Generation sehr viel (.) und es schafft (.) in ihnen auch dieses (.) verbindende Band (.) ja zwischen (.) den Menschen die auch (.) im Kreis dabei sitzen (.) zwischen ihren Erinnerungen (.) zwischen (.) Erinnerungen an ihre Konfirmation vielleicht oder Kommunion weil das ist überkonfessionell (1) und häufig auch (.) die Verbindung zu: den Personen die sie verloren haben. Und es ist sehr sehr stark emotional aufgeladen und auch auch da mache ich das so dass ich mich sozusagen (.) ganz genau (.) und jedem Einzelnen auch mit dem Abendmahl zuwende. Und dann ist das eine (.) manch- nicht immer (.) aber manchmal entsteht wirklich etwas Außerordentliches. Das muss ich sagen. Also es sind al-

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Religion in der Altenpflege

le (.) es begleiten ja auch (.) vom vom Pflegepersonal Menschen diese Gottesdienste und auch sie können dann in diese (.) in dieses (.) Moment (.) ja der Besonderheit (.) der Heiligkeit oder Göttlichkeit miteinbezogen werden. Das ist schon sehr (.) sehr beeindruckend (.) ja. In der Feinanalyse (vgl. Kap. 4.6.2) wurde u.a. die Bedeutung des spezifischen Gottesdienstes herausgearbeitet, welcher zwar an gängigen Inhalten des Gemeindegottesdienstes angelehnt, in seiner Form (etwa Zuwenden der Pfarrerin) aber bewusst von diesem unterschieden ist. Damit wird der spezifische Gottesdienst zu einem Vehikel, um ein raum- und zeitübergreifendes Erleben zwischenmenschlicher Bezugnahme, aber auch göttlicher Wirkungsmacht zu schaffen und so Transzendenzerfahrungen zu ermöglichen. Setzt man nun wieder die Brille des dimensionierenden Ansatzes auf, lässt sich die Schilderung der Pfarrerin wie folgt analysieren: Mit der Gestaltung und Durchführung des spezifischen Gottesdienstes kommen alle vier Dimensionen des Religiösen zum Tragen. Der Gottesdienst verweist insbesondere mit seinen Ritualen und der Rolle der Pfarrerin auf die Handlungsdimension von Religion und ist somit als Raum für eine auf Dauer gestellte religiöse Sinnbildung zu verstehen (vgl. Krech 2018: 68). Die Dimension ›Körperlichkeit und Materialität‹ wird u.a. verkörpert durch die Komponenten des Abendmahls (Brot und Wein), den Gesang, aber auch die spezifische körperliche Performanz der Pfarrerin, die dem Gottesdienst insgesamt einen feierlichen und symbolisch aufgeladenen Charakter verleihen. Als besonders im altenpflegerischen Setting ist sicherlich die Dimension ›Orientierung und Wissen‹ zu charakterisieren, bezieht sich diese doch auf die Sinnbildung, welche vor allem die menschliche Kognition tangiert. Relevant wird diese Annahme insbesondere in Anbetracht von Studien, die davon ausgehen, dass im Schnitt 68,6 Prozent der Bewohner in Pflegeeinrichtungen an einer Demenz erkrankt sind und davon wiederum über die Hälfte an einer schweren Demenz leiden (vgl. Schäufele et al. 2013: 200). Diese Erkrankungen gehen mit einer Verschlechterung bzw. einem Verlust der geistigen Fähigkeiten einher73 , sodass sich fragen lässt: Kann von Religion gesprochen werden, wenn ein kognitiver Zugang zum Religionssystem nicht mehr möglich ist? Kann es Religionspraxis geben, wenn sinngebende Elemente und eine entsprechende

73

Der Begriff ›Demenz‹ lässt sich vom lateinischen ›demens‹ ableiten, was als ›wahnsinnig‹, ›von Sinnen‹, ›unsinnig‹ oder ›töricht‹ übersetzt werden kann.

V Analyse

Deutung fehlen? Setzt man Religion mit dem Glauben an bestimmte Glaubensgrundsätze, Dogmen etc. gleich, müssten die Fragen verneint werden und alternative Deutungen für das Handeln gesucht werden. So macht es z.B. auch die Pflegerin Frau H., wenn sie sich fragt, ob der hörbare Sprechgesang eines Bewohners nur eine Gewohnheit, ein Gute-Nacht-Lied oder aber ein Gebet ist (vgl. Kap. 4.3.1). Einbetten lassen sich diese Fragestellungen auch im Hinblick auf religionspsychologische Überlegungen: So entwickelte etwa der Theologe James W. Fowler in Anlehnung an Piaget und Kohlberg ein (umstrittenes) Modell der stufenförmigen Glaubensentwicklung, das vornehmlich an der kognitiven Entwicklung des Menschen orientiert ist (vgl. Fowler 2009).74 Kritisch fragen lässt sich diesbezüglich, wo in diesem sechsstufigen Modell kognitiv eingeschränkte Menschen im Hinblick auf ihren Glauben einzuordnen sind (vgl. Riedel 2007: 404) und was diese Einordnung für die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse in den Altenpflegeorganisationen bedeuten würde. Zugleich macht die Kritik an dem Modell aber auch auf die Vorzüge eines dimensionierenden Ansatzes aufmerksam – zeigt ein solcher doch sehr deutlich, dass Religion eben nicht in Glaubensfragen o.Ä. aufgeht, sondern stets auch andere Dimensionen des Religiösen in eine umfassende Betrachtung miteinbezogen werden müssen. Dies betrifft insbesondere die Dimension der ›Wahrnehmung und Erfahrung‹, die im Fall ›Ein Moment der Göttlichkeit‹ Bedeutung gewinnt und deshalb abschließend ausführlich untersucht werden soll: Nachdem die Pfarrerin von einer emotional aufgeladenen Stimmung gesprochen hat, die durch Erinnerungen an Vergangenes und Verlorenes geprägt ist, kommt es zur Schilderung folgender Erfahrung: Frau M.: […] Und dann ist das eine (.) manch- nicht immer (.) aber manchmal entsteht wirklich etwas Außerordentliches. Das muss ich sagen. Also es sind alle (.) es begleiten ja auch (.) vom vom Pflegepersonal Menschen diese Gottesdienste und auch sie können dann in diese (.) in dieses (.) Moment (.) ja der Besonderheit (.) der Heiligkeit oder Göttlichkeit miteinbezogen werden. Das ist schon sehr (.) sehr beeindruckend (.) ja.

74

So unterscheidet Fowler der kognitiven Entwicklung eines Menschen entsprechend den 1. intuitiv-projektiven Glauben, 2. den mythisch-wörtlichen Glauben, 3. den synthetisch-konventionellen Glauben, 4. den individuierend-reflektierenden Glauben, 5. den verbindenden Glauben sowie 6. den universellen Glauben (vgl. Fowler 2009).

253

254

Religion in der Altenpflege

Die Pfarrerin spricht zunächst von »etwas Außerordentliche[m]«, das manchmal, also nicht immer und auch nicht zwangsläufig, »entsteht«. Mit dem Ausdruck »es entsteht« ist bereits eine gewisse Eigendynamik angesprochen. Anwesend in diesen Momenten des Außerordentlichen sind die Pfarrerin, einzelne Bewohner der Pflegeeinrichtung sowie einzelne Mitarbeiter des pflegerischen Arbeitsbereiches, die gewissermaßen als Zeugen fungieren. Das Außerordentliche wird sodann zu einem »Moment […] der Besonderheit (.) der Heiligkeit oder Göttlichkeit«, in den die Anwesenden miteinbezogen werden, und der für Eindruck, respektive Faszination bei der Pfarrerin sorgt. Dabei verweisen die Begrifflichkeiten auf eine Steigerung bzw. Intensivierung des Zustandes in Richtung Transzendenzerfahrung: Während »etwas Außerordentliches« zwar auch schon das Alltägliche übersteigt, aber genau wie »ein Moment der Besonderheit« nicht unbedingt auf ein religiöses Erleben verweisen muss, ist mit dem Begriff »Moment der Heiligkeit« die Schwelle zur religiösen Sinnbildung gewissermaßen überschritten. Mit dem Begriff ›Heiligkeit‹ angesprochen ist eine ausführliche und bis heute andauernde religionswissenschaftliche Auseinandersetzung, die sich an die soziologisch geprägten Überlegungen Durkheims und Mauss‘ sowie die phänomenologisch geprägten Arbeiten Söderbloms, Ottos, van der Leeuws und Eliades anschloss (vgl. Paden 2000: 1529). Diskutiert wurden und werden dabei insbesondere die Unterscheidung und das Verhältnis des Begriffspaares ›heilig‹ und ›profan‹, die sich z.B. auf Formen der Aussonderung (vgl. auch das Begriffspaar ›rein/unrein‹), der Ordnung, der Grenzen und eben auch auf die Transzendenz beziehen lassen (vgl. ebd.: 1530). Mit dem Begriff ›Transzendenz‹ wiederum angesprochen ist das grundlegende Problem von Religion: »Religion hat es mit dem Problem zu tun, wie die in der Alltagserfahrung prinzipiell nicht darstellbare Transzendenz mit immanenten Mitteln bezeichnet, also prinzipiell Abwesendes in Anwesendes, Unverfügbares in Verfügbares bzw. kommunikationstheoretisch gewendet: Unsagbares in Sagbares transformiert werden kann.« (Krech 2018: 57) Bezogen auf das empirische Material zeigt sich mit der Einführung der Begriffe »Heiligkeit« und »Göttlichkeit« also ein besonderer, die Alltagserfahrung übersteigender Moment des religiösen Erlebens, welcher als kollektive religiöse Erfahrung gedeutet und kommuniziert wird. Dieser Transzendenz-

V Analyse

bezug kann als einer der wenigen Ausdrucksformen von religiöser Kommunikation gelten75 , die sich im Untersuchungssetting beobachten lassen. Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass das empirische Material insbesondere auf ein durch Organisationhandeln geprägtes Religionsverständnis aufmerksam macht. Betont wird folglich die Handlungsdimension von Religion, die sich vor allem in der kommunizierten Wahrnehmung und Beobachtung religiöser bzw. als religiös gedeuteter Praktiken durch die Beschäftigten manifestiert. Dass diese Handlungsdimension auch eine Rolle in der aktuellen Religionsforschung spielt, zeigt der dimensionierende Ansatz nach Krech. Gleichzeitig macht dieser Ansatz jedoch auf drei weitere Dimensionen des Religiösen aufmerksam, die mit unterschiedlicher Gewichtung auch anhand zweier Fallbeispiele empirisch nachgezeichnet werden konnten und dabei zusätzlich auf die notwendige Unterscheidung von religiöser Kommunikation und Kommunikation über Religion aufmerksam machten.

75

Als ein weiteres Beispiel darf die ebenfalls im Interview mit der Pfarrerin erwähnte religiöse Bezugnahme im Hinblick auf die Sterbebegleitung und etwaige Jenseitsvorstellungen gelten (vgl. den Fall ›Der Roboter‹, Kap. 4.7).

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VI Conclusio

Ausgangspunkt für die vorliegende Studie war die Beobachtung, dass sich das deutsche Gesundheitswesen seit geraumer Zeit vermehrt mit dem Thema Religion auseinandersetzt. Vor dem Hintergrund demografischer Veränderungen und daraus resultierender sozialpolitischer Herausforderungen erschien das Setting stationärer Altenpflegeeinrichtungen als besonders geeigneter Untersuchungsgegenstand, um der bisher wissenschaftlich vernachlässigten Frage nachzugehen, wie in Altenpflegeorganisationen mit Religion umgegangen wird. Das Zusammentragen des Forschungsstandes machte deutlich: Die organisierte Altenpflege kann auf eine relativ lange Tradition der Fürsorge für alte und pflegebedürftige Menschen zurückblicken, die zum Teil auch durch kirchliches und christliches Handeln geprägt wurde. Besondere Bedeutung gewinnt diese Fürsorge im Kontext gegenwärtiger rechtlicher Bestimmungen sowie den damit verknüpften Versorgungs-, Träger- und Arbeitsstrukturen in Altenpflegeorganisationen: Abgeleitet wurde u.a. die Fragestellung, in welche Leistungsarten die Berücksichtigung religiös geprägter Wunschrechte in der Praxis überführt wird und in welchem Verhältnis die jeweiligen Arbeitsbereiche und die Wahrnehmung von Religion stehen. Die im rechtlichen Kontext formulierte Sprache von Pflegequalität‹ machte auf die medizinisch-pflegerische Orientierung des Pflegehandelns aufmerksam, ließ aber die Frage entstehen, ob ggf. auch religiöse Überzeugungen Quelle für entsprechende Pflegemodelle sein können. Im Kontext soziologischer Überlegungen erschienen die stationären Altenpflegeeinrichtungen als besonders regulierte Orte, was die Vermutung aufkommen ließ, dass insbesondere die Handlungsdimension von Religion der Wahrnehmung und ggf. auch Regulierung durch die Altenpflegeorganisation unterliegt. Der Blick auf die Trägerlandschaft ließ zudem den Verdacht aufkommen, dass die Auseinandersetzung mit Religion in den Wohlfahrtsverbänden besonderen Dynamiken unterliegt. Der Blick auf

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Religion in der Altenpflege

die das Setting rahmenden Faktoren ›Gesundheit‹, ›Krankheit‹, ›Alter(n) › und ›Migration‹ machte auf das Coping-Potenzial von Religion aufmerksam, zeigte aber auch, dass sich Angehörige vieler medizinisch-pflegerischer Berufsgruppen nur unzureichend auf die Berücksichtigung religiöser Bedürfnisse vorbereitet fühlen und das Thema Religion aus bestimmten Arbeitsbereichen möglicherweise exkludiert wird. Bisherige Forschungsergebnisse ließen weiterhin die Vermutungen aufkommen, dass der Islam eine besondere Rolle im Untersuchungssetting spielt. Der Blick auf aktuelle Diskurse im Gesundheitswesen machte abschließend auf unterschiedliche Konzepte Interkultureller Öffnung im Kontext kultureller Pluralisierungsprozesse aufmerksam, ließ aber die Frage entstehen, in welchem Verhältnis Programmatik und Umsetzungspraxis stehen.1 Ausgehend von der übergeordneten Untersuchungsfrage und ersten, aus dem Forschungsstand abgeleiteten Vermutungen wurde ein qualitatives Untersuchungsdesign entwickelt und zur Anwendung gebracht: Im Fokus der Untersuchung stand der Umgang mit Religion im Hinblick auf Beschäftigte unterschiedlicher Arbeitsbereiche (Pflege, Sozialdienst, Heimleitung, Religiöse Begleitung) in vier stationären Altenpflegeeinrichtungen unterschiedlicher freigemeinnütziger Träger (Deutsches Rotes Kreuz, Deutscher Caritasverband, Diakonisches Werk, Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband) in Nordrhein-Westfalen. Es wurden zwölf Experteninterviews (nach Meuser/Nagel 2009) realisiert, zusätzliche Dokumente (z.B. Leitbilder) in den Einrichtungen gesammelt und teilnehmende Beobachtungen durchgeführt. Die Audioaufzeichnungen wurden anschließend transkribiert (Bohnsack 2010) und mittels des Verfahrens der Objektiven Hermeneutik nach Ulrich Oevermann rekonstruktionslogisch ausgewertet. Eingang in die vorliegende Arbeit fanden insgesamt 13 Fälle, die den Umgang mit Religion in altenpflegerischen Organisationen widerspiegeln.2 Die Datenauswertung des empirischen Materials führte zu folgenden zentralen Befunden: Religion ist in der Regel nicht das Kerngeschäft von Altenpflegeorganisationen. Sie bedarf einer Integration in die bestehenden Strukturen und Angebote. Grundsätzlich wird in den untersuchten Einrichtungen davon ausgegangen, dass Religion dem psychischen Wohlbefinden der Bewohner zuträglich ist und dementsprechend berücksichtigt werden muss. Je nach Arbeitsbereich und beruflichen Verständnissen unterscheiden 1 2

Eine ausführliche Darstellung des Forschungsstandes findet sich in Kapitel 2. Detailliert dargestellt wird das Untersuchungsdesign in Kapitel 3.

VI Conclusio

sich die Berührungspunkte mit dem Thema Religion und auch die Wahrnehmungen von Religion: Idealtypisch lässt sich zwischen fallgeneralisierenden und fallspezifizierenden Perspektiven auf Religion unterscheiden, die auf unterschiedlichen Leitgedanken basieren und entsprechend unterschiedliche Umgangsformen mit Religion nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang kommt der islamischen Tradition eine besondere Rolle zu – werden von vielen Beschäftigten etwaige Bedürfnisse von Bewohnern mit türkischem Migrationshintergrund automatisch aus einer angenommenen Zugehörigkeit zum Islam abgeleitet. Auch wenn die Integration von Religion in vielen Bereichen unkompliziert erscheint, macht das empirische Material auf Herausforderungen aufmerksam: Diese zeigen sich zum einen in einer generell zu beobachtenden erschwerten Kommunikation über religiöse Sachverhalte, zum anderen in der Vereinbarkeit angenommener religiöser Vorschriften bzw. Regelwerke bei gleichzeitig alters- bzw. krankheitsbedingtem abweichendem Verhalten durch die Bewohner. Auch das Aufeinandertreffen von religiösen und nicht-religiösen Wertvorstellungen kann zu Konflikten in den Altenpflegeorganisationen führen.3 Auf Basis der empirischen Befunde wurden anschließend systematische Fragestellungen bearbeitet: Dies betraf zunächst die Frage nach der Integration von Religion in Altenpflegeeinrichtungen, welcher u.a. mit Bezug auf rechtliche Bestimmungen, trägerbedingte Selbstverortungen der Einrichtungen sowie systemtheoretischen Überlegungen nachgegangen wurde. Sichtbar wurde hier insbesondere die Primärorientierung der Altenpflegeorganisationen am System der Krankenbehandlung bzw. Medizin, welche Religion die Rolle einer potenziellen und zu bearbeitenden Irritation zukommen lässt. Auf diese Betrachtungen aufbauend wurde anschließend analysiert, wie das Berufshandeln und der Umgang mit Religion zusammenhängen. Hilfreich erwiesen sich an dieser Stelle handlungstypologische Überlegungen, die sinnhaftes Handeln in Altenpflegeorganisationen erklären helfen, sowie professionstheoretische Ansätze, die spezifische Berufsverständnisse und Sozialbeziehungen im altenpflegerischen Setting in Beziehung setzen und an die Unterscheidung von fallgeneralisierenden und fallspezifizierenden Perspektiven auf Religion anknüpfen lassen. Zu guter Letzt wurde eine Systematisierung

3

Dies ist lediglich eine sehr knappe Zusammenfassung der empirischen Befunde. Ausführungen und Erläuterungen sind in den einzelnen Fallanalysen und deren Zusammenfassung in Kapitel 4.8 nachzulesen.

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260

Religion in der Altenpflege

der empirisch zu beobachtenden Religionsverständnisse vorgenommen. Beleuchtet wurde hier schwerpunktmäßig die Frage, warum Religion vor allem in ihren rituellen Ausdrucksformen wahrgenommen und beobachtet wird, Religion in Form von Glaubensvorstellungen o.Ä. empirisch betrachtet jedoch eine untergeordnete Rolle spielt. Aufschluss und Anknüpfungsmöglichkeiten an religionswissenschaftliche Diskurse gab an dieser Stelle ein dimensionierender Ansatz, der die Handlungs-, Wissens-, Erfahrungs- und Materialitätsdimension des Religiösen in Beziehung zueinander setzt und zugleich auf eine notwendige Unterscheidung von religiöser Kommunikation und Kommunikation über Religion im untersuchten Setting aufmerksam macht.4 Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Die vorliegende Studie ist keine Abhandlung unterschiedlicher konfessioneller Träger im Hinblick auf ihre Umgangsformen mit Religion. Sie ist auch keine praxisorientierte Abhandlung spezifischer, religionsaffiner Themen à la »Im Hinblick auf die Körperpflege ist Folgendes zu beachten«. Auch ist sie keine Studie über das religiöse Erleben der Bewohner bzw. Mitarbeiter in den Altenpflegeeinrichtungen.5 Vielmehr ist sie Folgendes: Sie ist eine empirisch basierte Studie zum Umgang mit Religion in Altenpflegeeinrichtungen, die aus einem religionswissenschaftlichen Interesse an der Rolle von Religion in modernen Organisationskontexten hervorgegangen ist. Durch die rekonstruktionslogisch geprägte Form der Datenauswertung konnten latente Sinnstrukturen aufgedeckt werden, die den beruflichen Umgang mit Religion beeinflussen und zugleich auf Diskrepanzen zwischen altenpflegerischer Programmatik und Umsetzungspraxis aufmerksam machen. Mit Bezug auf system-, handlungs- und professionstheoretische Ansätze konnte der Umgang mit Religion einerseits in formalisiertes Organisationshandeln eingeordnet, andererseits im Hinblick auf weniger formales Interaktionshandeln beleuchtet werden. Insgesamt liefert die Studie damit einen empirischen Beitrag zum bisher kaum erschlossenen Thema Religion in Altenpflegeorganisationen und füllt zugleich den in der heutigen Zeit viel zitierten Begriff der religiös-weltanschaulichen Pluralisierung: Bei den untersuchten Altenpflegeorganisationen handelt es sich um nicht-religiöse Settings, die primär an der Pflege und Betreuung hilfebedürftiger Menschen

4 5

Auch an dieser Stelle gilt: Die genauen Zusammenhänge und Ergebnisse sind inKapitel 5 nachzulesen. Erwähnt werden diese Perspektiven im Sinne von Erwartungen, mit denen die Autorin im Laufe der Studie immer wieder konfrontiert wurde.

VI Conclusio

orientiert sind. Durch gesetzliche Vorgaben, die insbesondere die Selbstbestimmung der Bewohner betreffen, erlangt die Berücksichtigung heterogener religiöser Bedürfnisse gleichwohl eine besondere Bedeutung: Durch die Datenauswertung konnten Religionsverständnisse rekonstruiert werden, die Religion vor allem in ihrer Handlungsdimension fokussieren. Diese mit spezifischen beruflichen Anforderungen und altenpflegerischen Strukturen verknüpften Verständnisse sind konfessionsübergreifend zu verstehen, spielt es für die befragten Beschäftigten grundsätzlich keine Rolle, welcher jeweiligen religiösen Tradition der einzelne zu pflegende bzw. zu betreuende Bewohner zugeordnet werden kann. Im Mittelpunkt des Umgangs steht die Zusammenführung etwaiger religiöser Bedürfnisse mit entsprechenden Arbeitserfordernissen und -perspektiven, die je nach Kontext stärker fallgeneralisierend bzw. stärker fallspezifizierend geprägt sein können. Gerade weil es in der Regel nicht um die kognitive Auseinandersetzung mit divergierenden Glaubensvorstellungen geht, sondern gewissermaßen um die logistische Organisation und Integration von augenscheinlichen, da praxisorientierten religiösen Bedürfnissen, gestaltet sich das Aufeinandertreffen unterschiedlicher religiöser und nicht-religiöser Ausdrucksformen relativ konfliktfrei und unkompliziert. Wird Religion hingegen als Ausdruck einer spezifischen Gesinnung gedeutet, kann es sehr wohl zu Spannungen im religiös-weltanschaulich pluralen Setting der organisierten Altenpflege kommen, wie zwei Fallbeispiele verdeutlichten. Insgesamt macht die Untersuchung damit auf ein grundlegendes Paradoxon aufmerksam: Altenpflegeorganisationen müssen gewährleisten können, dass Religion ermöglicht wird, zugleich müssen sie aber auch bestimmte Dimensionen von Religion ausblenden, um handlungsfähig zu bleiben. Dies betrifft insbesondere die wahrnehmungsorientierten Facetten von Religion (Gesinnung, Erleben, Gefühl o.Ä.), welche mit zunehmenden Formalisierungsgrad des Organisationshandelns unbedeutender werden. Ausgehend von diesen Ergebnissen lassen sich eine Reihe von weiterführenden Untersuchungsfragen formulieren, die bereits an der ein oder anderen Stelle in der vorliegenden Arbeit angeklungen sind: Da sich die vorliegende Studie auf den Umgang mit Religion in Altenpflegeorganisationen in Deutschland und speziell in Nordrhein-Westfalen bezieht, stellt sich die Frage, inwiefern sich die Ergebnisse im internationalen Vergleich bestätigen lassen. Sind in anderen Ländern, die die Altenpflege rechtlich, angebots- und arbeitsstrukturell anders verorten und möglicherweise auf eine andere Geschichte altersspezifischer Fürsorge blicken, ähnliche Umgangsformen mit Religion zu beobachten? Und wie verhält es sich in anderen Organisationen

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Religion in der Altenpflege

des Gesundheitswesens hinsichtlich des Umgangs mit Religion? Sind fallgeneralisierende und fallspezifizierende Perspektiven auch in Krankenhäusern und psychiatrischen Einrichtungen zu finden? Welche Folgen hat das im neuen Pflegeberufegesetz verankerte Pflegestudium hinsichtlich einer möglichen Professionalisierung von Pflegeberufen und dem damit verknüpften fallspezifizierenden Blick auch auf religiöse Sachverhalte in einer kulturell pluralen Gesellschaft? Und zu guter Letzt: Welche Folgen wird die künstliche Intelligenz für das altenpflegerische Setting haben? Was bedeutet es aus religionswissenschaftlicher Perspektive, wenn in Zukunft tatsächlich, wie von der Pfarrerin beschrieben, Roboter die Bewohner in ihrer religiösen Praxis begleiten oder anleiten?

Bibliografie

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Grobsequenzierung der verwendeten Interviews1 a) Interview mit Frau H. 00:00-06:15: Bitte nach Vorstellung: 46 Jahre alt, examinierte Altenpflegerin; Aufgaben: Grundpflege, medizinische Versorgung, Küche, Wäsche, viel Dokumentation, soziale Begleitung; Religion als große Herausforderung trotz weniger Bewohner aus unterschiedlichen Ländern; Ernstnehmen der christlichen Bewohner in ihren Ritualen; Beten, Singen, Begleitung zum Gottesdienst (ev. und kath.); Spezifizierung der Herausforderung: Buddhistischer Bewohner, Sprachbarriere, spezielle Ernährung; Essenswünsche werden möglichst verwirklicht; Frage nach muslimischen Bewohnern: trifft nicht auf ihren Wohnbereich zu, kein direkter Pflegekontakt; Zukunftsvision: ›Multikulti-Programm‹ 06:16-09:12: Frage nach Bedeutung der evangelischen Einrichtung als Arbeitsplatz: Herkunft: Kasachstan, katholische Prägung, Bericht über gläubige Großmutter; persönlich spielt Glaube eine untergeordnete Rolle; jedoch Interesse und Wertschätzung der religiösen Aktivitäten in der Einrichtung; keine Vergleichsmöglichkeit mit anderen Einrichtungen; vor 20 Jahren nach Deutschland gekommen; seit Anerkennung in diesem Heim tätig 09:13-13:07: Frage nach Bedeutsamkeit von Religion im Einrichtungsalltag: Gottesdienste sind sehr wichtig für Bewohner; Erleichterung/Zufrieden1

Die Reihenfolge orientiert sich an der Darstellung des Empirieteils dieser Arbeit. Auf eine Grobsequenzierung des Leitbildes (Kap. 4.2) wird an dieser Stelle verzichtet, da das Leitbild in seiner Gänze im entsprechenden Kapitel wiedergegeben und interpretiert wurde. Die Inhalte der jeweiligen Interviewpassagen werden stichpunktartig nach den entsprechenden Zeitmarken aufgeführt, die kursiv markierten Passagen haben Eingang in den empirischen Teil dieser Arbeit gefunden.

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heit/Wohlbefinden; Außeralltäglichkeit/Besonderheit/’Schickmachen‹; Papstbilder an den Wänden in einzelnen Bewohnerzimmern; Nachtgebete; Unsicherheit, was bei Gebetsprechen in den Bewohnern vor sich geht; Wissen (ungleich Gefühl) um positive Auswirkungen des Gebets 13:08-17:51: Frage nach Veränderungen in der Zukunft: Wie kann sich Einrichtung darauf einstellen? -> Anpassung an Bewohner notwendig (vgl. Diagnose/Therapie); Anpassung an Religion; Mensch ist gleich, nur Religion ist anders; Berücksichtigung von Religion als Erleichterung bei Heimeinzug; Frage nach praktischem Umgang mit schwieriger Phase des Heimeinzugs: Mensch als Individuum; aktives Zuhören, Zeit, Bezugspflege, Kontaktaufbau, Vertrauen, Einbezug Angehöriger; Biografiearbeit als Grundlage des Zusammenlebens 17:52-25:04: Frage nach weiterem Tagesablauf der Interviewten: »so wie Zuhause«, Kaffeezeit, Angebote; vier Wohnbereiche; bis 14 Uhr arbeiten; bis 16 Uhr Angebote, danach Vorbereitung für Abendessen, Vitalwerte überprüfen, Abendessen, Schlafenszeit; Einschätzung der Bewohnerin X: lebt noch ihr Leben, sehr gläubig, typisch für Menschen aus Polen; generell wenig Austausch unter Bewohnern; Glaube bei einigen Bewohnern durch Krieg verloren gegangen; Verweis auf einen Mitarbeiter, der Ausbildung für palliative Betreuung macht 25:05-32:18: Bezug auf Aussage »Man ist immer so im Stress«: Frage nach dem Erleben des Arbeitsalltags/Einschränkungen durch Zeit; Wandel der persönlichen Einstellung; Ausnahmen im Arbeitsalltag, die Stress besonders hervorrufen können (z.B. Einzug, Sturz eines Bewohners); Grundpflege als Versuch »alles in einem« zu leisten: Versorgung, Witze, Biografiearbeit; Religion und Intimität, Verlusterfahrungen und Abbruch von Glaube; Verweis auf ein anderes Interviewverständnis (Thema: mehr Nationalität unter Pflegenden); religiöse Rituale allgegenwärtig, oft werden sie jedoch nicht wahrgenommen; Abschluss der Interviews; Dank

b) Interview mit Frau A. 00:00-05:06: (Rundgang durch das Haus), Vorstellung der Geschichte der Einrichtung; Frage nach Konkurrenzfähigkeit; Spezialisierung auf türkischstämmige Bewohner; extra Gebetsraum für Muslime; jedoch kein eigener Wohnbereich für Menschen mit Migrationshintergrund (gemischte Belegung); mögliche Konflikte: weniger kulturbedingt, eher demenziell veränderte Menschen vs. geistig fitte

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05:08-09:20: Präsentation eines Veranstaltungsraumes; Erläuterung von Feierlichkeiten im Haus (u.a. Ramadanfest, Opferfest); Organisation der Verpflegung 09:21-16:25: Frage nach Entwicklung kultursensibler Angebote: Pilotprojekt mit einer Universität: Was ist wichtig? -> »Vieles, was am Anfang als extrem kultursensibel galt, ist es gar nicht« (vgl. gleichgeschlechtliche Pflege); »alles eine Frage der Individualität«; Erläuterung zu (nationalem) Hintergrund der Bewohner; Sprache bedeutsam; Religion eher unbedeutend 16:26-23:27: Frage nach Zusammenhang von Alter und Religiosität: Rolle von Demenz, Rituale vs. Bedeutung; körperliche Einschränkungen; Unterstützung der Bewohner bei Religionspraxis; Moscheebesuch eines rollstuhlfahrenden Bewohners; Bewohnerin mit rundem Stein; Organisation des Fastens/der Verpflegung in der Einrichtung 23:28-26:56: Frage nach Organisation/spezifischem Wissen/Anleitungen für das Personal: Neulinge und »alte Hasen«; Eigenarten, Bsp. Reinigungsstein, Nahrungsmittel, Konzept des Hauses, Schulungen; »individuelle Entscheidung«; Religionszugehörigkeit vs. abweichende Praxis 26:57-32:39: Erläuterung zu hauseigenem türkischem Frühstück, Erwähnung eines »türkischen Geistlichen«, der muslimische Bewohner regelmäßig für die Seelsorge besucht; Erläuterungen zur Gestaltung/Dekoration der Wohnbereiche (kulturelle Elemente) 32:40-34:07: Frage nach Angeboten für christliche Bewohner: Gottesdienste für »Evangelen und Katholen im Wechsel«, Einsparungen der Kirchen, Bewohner werden »knappgehalten« 34:08-38:23: Präsentation des Gebetsraums; Symbolcharakter »dass eine deutsche Einrichtung so einen Gebetsraum anbietet«, opulente Gestaltung; Symbol für was?: Symbol für Wertschätzung/Anerkennung einer anderen Kultur/eines anderen Glaubens, vgl. Wirkung des Türkischsprechens mit Besuchern 38:24-45:13: Rolle von Religion nach Einschätzung der Interviewten untergeordnet; Bericht: Intimrasur und Waschgewohnheiten; deutsche Bewohner vs. muslimische Bewohner; Rolle der Angehörigen: achten stärker auf Einhaltung von religiösen Geboten; mögliche Konflikte vs. Pflegebedürftigkeit 45:14-48:03: (Rundgang durch das Haus beendet); Frage nach Koranunterricht, der im Wochenplan vermerkt ist: Alltagsbegleiterin »mit Kopftuch« liest mit den Bewohnern aus Koran, Lernen des arabischen Alphabets, Vergleich der Atmosphäre: Alltagsbegleiterin vs. Geistlicher 48:04-50:01: Abschluss des Gesprächs; Dank

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c) Interview mit Frau D. und Frau E. 00:00-11:14: Bitte um Vorstellung; Beginn Frau E.: seit 2014 in Einrichtung als teilzeitbeschäftigte Altenpflegerin; Frau D.: seit 2001 in Einrichtung als Pflegeassistentin (gleicher Wohnbereich wie Frau E.), z.Zt. Weiterqualifizierung zur Pflegehilfskraft, weiterhin: Hygienebeauftragte und MAV; Frage nach Arbeitsalltag: Ziel, immer der gleiche Ablauf -> Struktur sehr wichtig, um Durchblick zu behalten (Frau D.); Frau E. erläutert ausführlich Ablauf (Frühdienst bis Spätdienst: Struktur/Vorgaben – Individualität); Ergänzung Frau D.: Betreuungskräfte und Gebet zum Mittagessen; Einbettung der Gottesdienste in Wochenstruktur; besondere Veranstaltungen (z.B. Dämmerschoppen) 11:15-20:47: Frage nach Raum für Religion im strukturierten Alltag (außer Gottesdienst); Frau D.: Kurzzeitpflege eines türkischen Paars (gleichgeschlechtliche Pflege, Kopftuch); Versuch »alles im Rahmen zu halten«; Menschenwürde wichtig und mit Religion verknüpft; Frau E.: muslimischer Bewohner (Intimrasur durch Sohn, Koranbilder, Rezitationen); generell wenig mit nicht-christlichen Religionen zu tun; Frau D.: neuapostolischer Bewohner (Sonntagsmesse, Vorbereitung); erhöhter Aufwand vs. »sehr schön, dass so etwas beibehalten wird«, Glaube als Zugang bei Demenz; Bedeutung von Religion/Ritualen in der Sterbephase (»nicht so wie normal in der Pflege«) 20:48-26:13: Frage nach Einfluss der christlichen Trägerschaft aus Perspektive anderer Konfessionszugehörigkeit: Frau E. schildert ihre Bewerbung mit Kopftuch (»Befürchtungen waren umsonst gewesen«/Wunsch nach gegenseitiger Akzeptanz); keine Vorbehalte unter Kollegen; teilweise Unterschätzung durch Bewohner aufgrund von Kopftuch/Herkunft; Zeit/Vertrauen/Sicherheit/Gewohnheit 26:14-32:49: Frage nach persönlichem Glauben im Arbeitskontext: spielt keine Rolle, nur äußerlich (Frau E.); Frau D.: »keine schlechten Erfahrungen gemacht«; Zeit/Gewohnheit; wichtig, dass an christlicher Religion festgehalten wird im Haus (Frau D.); Bsp. Ostern und Weihnachten; Akzeptanz des Islams (s. Berücksichtigung von Feiertagen); gegenseitige Unterstützung bei Feiertagen 32:50-39:12 Frage nach religionssensiblem Wissenstransfer; Frau E.: Teambesprechung/Pflegeplanung; Relevanz von Biografiebogen/Tagesstruktur; Endstation Altenheim – Gewohnheiten/Vorlieben beibehalten; Fremdheit – Gewohnheit – Zuhause; Sammeln von Informationen; Religion als ein Bereich des Bogens: Interesse; Wandel von Interessen – Flexibilität

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39:13-44:24: Frage nach dem Ausreichen des religiösen Angebots; Frau D.: »wird viel angeboten«: Wallfahrten als Beispiele; Frage nach Angeboten für Muslime: Angehörige kümmern sich; bisher wenig Nachfrage von muslimischer Seite in dieser Einrichtung; Blick auf Zukunft: Frau E. erzählt, worauf sie achten würde, wenn ihre Eltern in ein Heim müssten (wichtig, dass Religion »eingelebt« ist) 44:25-45:38: Abschluss des Interviews (mehrere Anrufe durch Station); keine Ergänzungen der Interviewten mehr; Dank

d) Interview mit Herrn B. 00:00-10:02: Frage nach Arbeitsalltag des Sozialdienstleiters: Gruppendurchführung und -dokumentation mit Bezug auf Empfinden der Bewohner; Vorbereitung und Durchführung von Festen; Betreuung von Betreuungsassistenten; Leitungsrunde; Frage nach Spezifizierung der Gruppen: u.a. Bibelstunde; Erinnerung/Wohlbefinden; Einzel- vs. Gruppenbetreuung; Eingehen auf Wünsche/Freiwilligkeit; Frage nach Spezifizierung der Bibelstunde: »Laienzugang«/niedrigschwellig -> »persönliche« Runde/geschützter Raum; Frage nach Thematisierung von Krankheit, Tod und Trauer in Bibelstunde (Bsp. Jesus steht im Sturm), Zweifel an Glaube normal; Bibelstunde als Raum zum Erzählen 10:03-17:09: Frage nach Grundaussagen der Einrichtung: Begegnung mit ›Christlichkeit‹ im Arbeitsalltag -> jeden Tag: Tischgebet; Gottesdienste, Bibelstunde, ggf. Aussegnung, im Einzelgespräch; Frage nach Gründen für Bedeutsamkeit von Religion für Bewohner: Anknüpfung an Kindheit/Jugend, Kraft, Rückblick auf Leben: Ruhe; Frage nach Bedeutung für Angestellte: unterschiedlich bedeutsam; für ihn persönlich: »anderer Umgangston« ausgehend von der Leitungsebene (»Offenheit«); Schilderung des persönlichen Glaubens, jedoch kein Grund für die Auswahl des Arbeitsgebers; Bibelstunde tut auch ihm gut 17:10-22:55: Frage nach Rolle von nicht-christlichen Religionen: Bsp. muslimischer Bewohner (»Da wird auf die Sachen geachtet«), Verweis auf Netzwerk bei Fragen, Rückbezug: Vorgehen bei christlichem Bewohner; Moscheebesuch; Bsp. indischer Bewohner (Name der Religion vergessen): Religion äußerlich sichtbar und bedeutsam (Turban, Gewänder); wenig Erfahrung insgesamt; das wichtigste: Wertschätzung eines jeden Bewohners/»ist freier Mensch« -> Unterstützung; Frage nach schwierigen Situationen, in denen das Ideal ins Schwanken kommt: hypothetisch -> immobiler Moslem/Gebete; gesundheitliche Verfassung entscheidet über Umsetzbarkeit

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von Ritualen; Schwierigkeit: mangelnde Kommunikationsfähigkeit; wenig Erfahrung – Vermutung: wenig Bewohner, weil in Familien gepflegt wird; Versorgung polnischer Bewohner einfacher, da katholisch; Offenheit der Häuser – offene Zukunft 22:56-30:17: Abschlussfrage nach Einsatz von Geldspende für religiöses Leben in Einrichtung: ggf. Ausbau des Netzwerkes/Zusammenarbeit mit nicht-christlichen Gemeinden, die in Einrichtung kommen; Finanzierung von zusätzlichen Gottesdiensten; Fortbildungen der Mitarbeiter, um Ängste abzubauen (nicht nur auf Religion bezogen) und besser auf Bewohner eingehen zu können (Bsp. Umgang mit anderen Religionen); Zusammenfassung durch Interviewerin; Bewohner besser verstehen als Ziel; Bedeutung von Empathie/Vertrauen/Verständnis; Frage, ob Religion generell ein schwieriges Thema ist: unterschiedlich bei den einzelnen Bewohnern (Offenheit vs. Verschlossenheit), ungleich Tabuthema 30:18-31:42: Frage nach offenen Fragen/Anmerkungen: Ergänzung »Geldspende«: Videoübertragung von Gottesdiensten aus lokalen Gemeinden; Dank

e) Interview mit Herrn K. 00:00-10:40: Vorstellung der Glaubensgrundlagen: Freikirchliche Zugehörigkeit, Advent-Wohlfahrtswerk, Unterscheidung vs. Gemeinsamkeiten mit anderen Kirchen: gleiche Bibeln im Gebrauch, »Wir wollen die Bibel ernst nehmen und unser Leben danach ausrichten«; Unterscheidung hinsichtlich des Ernstnehmens der Bibel; Glaube an Wiederkunft Jesu Christi; Zeichen der Zeit deuten und sich dementsprechend vorbereiten; Grund- und Lebensgefühl; Gebot: Sabbat in Einrichtung (vgl. Judentum); innerreligiöse Dispute: Kann ein Mensch alle Gebote berücksichtigen? Wer kommt auf die neue Erde?; »Als kleine Kirche hat man immer so zu kämpfen« -> Identität muss bewahrt werden; gleichzeitig müssen andere Religionen toleriert werden (Gott entscheidet, wer auf neue Erde kommt) 10:41-33:16: Übertragung der Grundlagen auf Einrichtung (»äußere Merkmale«): Adventistische Leitung (GmbH, Gesellschafter sind Adventisten); Geschäftsordnung und Qualitätshandbuch: christliche Einrichtung; Hausleitung adventistisch; Heimleiterehepaar – Heimeltern/Hauseltern vs. Geschäftsführer; Hauselternschaft als gutes Prinzip; Wandel der Bewohnerstruktur: heute reines Pflegeheim, kurze Verweildauer -> Charakter des Hauses hat sich verändert; »adventistische Tradition leben in Einrichtung«; Einstellungsgespräche/Bewerber (»Uns ist wichtig, dass die Menschen an

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etwas glauben.« vs. Grundsätze tragen); adventistische Bewohner werden bevorzugt bei Aufnahme (vgl. Geschichte des Hauses); Speisegesetze (»Wir haben den Auftrag auch unseren Körper gesund zu halten.«), alte vs. neue Deutungen, alte vs. neue Versorgung adventistischer Bewohner; plurale Bewohnerstruktur heute: ca. 20-25 Prozent adventistische Bewohner; teilweise auch muslimische Bewohner -> »Speisegewohnheiten ganz praktisch«; rauchfreies Haus: Beispiel Umgang mit rauchendem Bewohner, Bezug: Hausordnung vs. Selbstverständnis; Alkohol: kein Ausschank vs. Toleranz vs. Suchtproblem vs. Glaubensverständnis; Umgang mit falschen Erwartungen (Bsp. Schweinefleisch) – »unsere Regeln« – Schwerstpflegebedürftigkeit 33:19-01:02:01: Inhaltliches Ausleben des Glaubens in Einrichtung: Andachten: jeden Tag Morgenandacht durch Hausleiter, Freiwilligkeit (vgl. anschaltbare Lautsprecher in Zimmern) vs. Indoktrination, Verbindung der Andacht mit Programmvorstellung; Abendandachten: drei Mal die Woche mit Pastoren bzw. Laienpredigern oder Mitarbeitern; hauseigene Kapelle; Freiwilligkeit; samstags: Gottesdienst in Kapelle gemeinsam mit adventistischer Gemeinde; zwei Teile des Gottesdienstes: Bibelgespräche/Predigt und viel Gesang; Bibel lesen/zitieren vs. Lebensführung; Mitarbeiter – Grundsätze; Thema: Alkohol und Rauchen; Raucherhäuschen; Seminar zur »adventistischen Unternehmenskultur«; Vorstellungsgespräche – Religionsbezug; Hintergründe der Einrichtung und spezifische Umgangsformen; Einführung einer obligatorischen Morgenandacht für leitende Mitarbeiter (Adventisten im besten Falle); Bibel als Quelle von Mitarbeiterführung; Andachten in Teambesprechungen; Wirkung von Andachten: Gebet für Kollegen – Kritik an Gesundheitswesen (Interview wird unterbrochen) 01:02:01-01:11:01: Weiterführung inhaltliches Ausleben: Beten für Kollegen vs. Gesundbeten; bestimmter Umgang mit Bewohnern als Kerngeschäft/Verständnis für Bewohner vs. Grenzen; Abgrenzung von anderen Einrichtungen; anderer »Geist« der Einrichtung vs. »Satt- und Sauber-Pflege«; gleiche Probleme wie andere Einrichtungen (Personalmangel); Qualitätsmanagement christlich geprägt (»Runterbrechen« bis auf Qualitätsstandard Essen); Wohlfühlen der Bewohner als Ziel (im Gegensatz zu anderen hier aber auf christlicher Basis); Pflegeversicherung – Rahmen der Möglichkeiten vs. Hotel; Herausforderung: »als Christ gescholten werden« 01:11:4-01:37:34: Interviewerin knüpft an Unternehmensführung an: Ökonomische, rechtliche, religiöse Vorgaben verbinden; Regulierung: Was reguliert was? -> Wechselwirkung; Nachfrage nach weiteren Interviewpartnern/Absprachen; Dank

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f) Interview mit Frau I. 00:00-05:31: Frage nach dem Arbeitsalltag: Vorstellung eines umfassenden Verantwortlichkeitsbereiches als Hausleitung (Bewohner, Mitarbeiter, Küche, Hauswirtschaft); Flexibilität in der »Arbeit mit Menschen«; Auftauchen von Problemen: Unterscheidung von Arbeit in Büro und Fabrik; Unvorhersehbarkeit/immer wieder Neues -> Struktur richtet sich nach zu berücksichtigenden Menschen; Frage nach konkretem Tagesablauf/anstehenden Aufgaben; Termine machen: Tagesstruktur fühlbar (1. E-Mails; 2. Bewohner anschauen; Gespräche mit Mitarbeitern; Begutachtung der Wohnbereiche; Abgleich mit Tabelle (Krankenhausaufenthalt, Erkrankungen, Feiertage); »Ich muss zwei Blicke haben« (für Mitarbeiter und für Bewohner); 3. Erledigung von Schriftverkehr/Unterlagen erstellen/Beratungsgespräche; 4. Mittagessen; 5. Begutachtung der Küche; 6. Gespräche/Fortbildungen/Aktivitäten mit Gemeinde; ganztags: »offene Tür« für Bewohner und Mitarbeiter bei Problemen -> Fazit: Spontaneität vor Struktur/Planung; unterschiedliche Bedürfnislagen der heterogenen Bewohnerschaft (Junge vs. Alte) 05:32-07:36: Frage nach Aufbau der Einrichtung; Haus mehr als 100 Jahre alt; insgesamt 82 Bewohner verteilt auf verschiedenen Ebenen; davon 12 in Kurzzeitpflege; außergewöhnlich hoher Männeranteil (ca. 40 %); Krankheitsbilder: viele Bewohner an Demenz erkrankt, jüngere Bewohner mit Suchterkrankung -> Herausforderung: »beide Seiten zu verbinden«; in 20 Prozent der Fälle gibt es Probleme: Mitarbeiter nicht gut vorbereitet auf junge Klientel; aus Notfallaufnahme wurde Dauerunterbringung; Fortbildungen wichtig 07:38-11:17: Frage nach christlichem Selbstverständnis als Leitidee; »Wir nehmen die Menschen an wie sie sind« als Selbstverständlichkeit; Mitarbeiter und sie selbst mit Migrationshintergrund (sie: aus Rumänien); Christen und Muslime: »eine Mischung, die für keinen ein Problem darstellt«; Beispiel: Versuch, Feiertage in Dienstplan berücksichtigen (»so weit wie es geht«; »es funktioniert nicht hundertprozentig«); Frage nach Spezifizierung des Leitspruches (Verweis auf Bibelvers?): persönlicher Bezug/Biografie/Erziehung: unterschiedliche Herkunft der Eltern (»gewohnt, eine gewisse Pluralität zu haben und verschiedene Sprachen zu hören«); Großvater und sein bester Freund -> evangelisch und katholisch: Pendeln von Kirche zu Kirche; »Mensch ist ein Mensch egal was für eine Farbe oder Religion«; muslimische und jüdische Schulfreunde; Selbstverständlichkeit, mit Menschen zu reden; Glaube als Privatsache »im Rahmen der Gesetze« (Spaß und Wohlfühlen wichtig)

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11:17-13:14: Frage nach Gesetzen/Grenzbereichen in Einrichtung: Wo ist Religion nicht mehr in Ordnung?; allgemein in Gesellschaft: Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit; Beispiel: Schweinefleisch – vielfältige Ernährungsmöglichkeiten; Unterscheidung: persönliches Gefallen vs. Geschmack der Anderen; Bezug zur Küche der Einrichtung: ermöglicht es, für Menschen unterschiedlicher Religionen zu kochen; Toleranz als Grundeinstellung wichtig: Nichtgefallen geht vor (religiöse) Begründung der Ablehnung 13:15-15:50: Frage nach Evaluierung von religiös konnotierten Bewohnerwünschen; Erhebung durch Biografiearbeit bei der Aufnahme -> religionsbezogene Fragen (Was möchten sie? Was möchten sie nicht? Rituale?); Berücksichtigung von Ritualen wichtig, um Bewohner so zu behandeln »wie sie sich das wünschen«; Umsetzung funktioniert nicht hundertprozentig: Routine verhindert »tiefes Denken«, lässt vergessen; Beobachtung neben Gespräch als weiteres Erhebungsinstrumentarium insbesondere bei fortgeschrittenen Erkrankungen; Sensibilität der Mitarbeiter ist gefragt; Ausbildung vermittelt nicht alles: Grunderziehung (Elternhaus und Gesellschaft) und »lernen, durch Erfahrung achtsam zu sein« wichtig; Fehler sind erlaubt, Ausprobieren ist wichtig 15:51-20:40: Frage nach beobachtetem gemeinsamen Gebet (Frühlingsbuffet); zu jedem Essen gibt es auf Wunsch der Bewohner ein Gebet; auch »Atheisten« sind damit einverstanden; Durchführung durch einen Mitarbeiter des Sozialen Dienstes auf 450 Euro-Basis; Mitarbeiter ist mittlerweile in Rente, wollte sich aber nicht trennen von Einrichtung; Weiterbildung, zuständig für Wortgottesdienste »Das ist heutzutage wertvoll so jemanden zu haben.« -> zu wenig Geistliche für Gottesdienst-Bedarf der Bewohner (übergreifendes Problem); Präzisierung des Begriffs ›Wortgottesdienst‹; Frage nach Gesundheitszustand der Bewohner/Bedarf nach religiösen Angeboten: Bedarf vorhanden -> Langzeitgedächtnis (Kindheit/Jugend) wird aktiviert; Faszination für Gedächtnisleistungen (Lieder/Gedichte); Biografiearbeit wichtig 20:42-25:16: Frage nach weiteren religiösen, nicht-christlichen Angeboten: keine Angebote (»Deswegen habe ich die Mitarbeiter«); zur Zeit nur zwei Bewohner »anderer Religionen«; sehr viele Mitarbeiter, »die im Hintergrund Moslems sind« -> sehr gute Kommunikationsfähigkeit mit genannten Bewohnern; Zukunft: Rekrutierung von Helfern in Moschee; Vergangenheit: Quartiersprojekt -> muslimische Frauen backen in der Einrichtung für Bewohner; gegenwärtig: zahlreiche Projekte mit Flüchtlingen (Praktika in der Altenpflege); Religion spielt in Praktika und Betreuung keine Rolle (»gute Erfahrung«):

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Der Mensch zählt, Bewohner sind froh über Aktivitäten; Überzeugung ist wichtig, um in einer katholischen Einrichtung offen für die Vielfalt zu sein; Rückblick: gewisser Geist, der in starre Strukturen einkehrt; u.a. ausgelöst durch zu wenig Pflegepersonal -> Zwang zum Andersdenken/zur Reflexion 25:18-26:40: Frage nach Zusammenhang von persönlicher, d.h. evangelischer Zugehörigkeit und Arbeit in katholischer Einrichtung: zufällig und zugleich bewusst; berufliche Grundausbildung in der Krankenpflege: Religion oder »Farbe« spielt beim Helfen keine Rolle; Arbeit mit Menschen »so nehmen wie sie sind«; persönlicher Glaube spielt im Berufsalltag keine Rolle; Motivation: Menschen zusammenzubringen und die Menschen als Menschen zu betrachten 26:45-31:55: Abschlussfrage nach Einsatz von Geldspende für religiöses Leben in der Einrichtung: keine völlig ungewohnte Vorstellung; Erfüllung von bisher unbefriedigten Bewohnerwünschen/Träumen: Wallfahrten/Reisen nach Rom etc. ermöglichen; mehr als jetzt ist in Einrichtung nicht möglich aus finanziellen Gründen; »Da würde ich glücklich sein und die Menschen auch«; auch Wünsche/Träume der Mitarbeiter unterstützen; jeder Mensch soll seinen Traum, bevor er krank wird, erfüllen; im Juni: Diözesanwallfahrt nach X-Stadt (jährlich); »Jeder ist anders und hat eigene Träume«; eingeschränkte Möglichkeiten für lange Fahrten 31:57-44:09: Frage nach offenen Fragen/Themen: Empfehlung von weiterer Interviewpartnerin in Einrichtung (muslimische Mitarbeiterin) -> Interesse an ihren Einschätzungen; Schwierigkeit: Fasten im Ramadan – Müdigkeit bei der Arbeit; Frage nach Umgang: Suche nach Gespräch: Changieren zwischen persönlichem Verständnis und Unverständnis aus den »Augen einer Krankenschwester«; »Damit habe ich richtig ein Problem.«; Frage nach Austauschmöglichkeiten über dieses und verwandte Themen: (unmittelbare) Einzelgespräche mit Mitarbeitern; gemeinsam mit allen Mitarbeitern: Rahmenbedingungen (s. Feiertage) erarbeiten; Frage nach weiteren Schwierigkeiten/Herausforderungen: Intimpflege von Männern durch junge muslimische Mitarbeiterinnen; Zeit zur Überwindung ist notwendig; Versuch, im Gespräch das Verhältnis von Beruf und Religion zu erklären: Hilfe geht vor Religion; Changieren zwischen persönlichem Verständnis für Unsicherheit (über Erziehung) und Berufsbild: »Das war für mich das schwierigste eigentlich, was zu bewältigen war.«; Anpassung an gesellschaftliche Verhältnisse (keine Trennung von Frauen und Männern) nötig; bisher erfolgreiche Strategie: kein Abbruch von Ausbildungen in der Einrichtung zu verzeichnen; Thema spielt von Anfang an eine Rolle (vgl. Bewerbungsgespräch): Erfahrung hat gezeigt, dass Thema direkt angesprochen

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werden muss; Herausforderung auch für Heimleiterin: »etwas machen müssen, was deren Glauben nicht 100 prozentig erlaubt«; Herausforderung für Bewerber/Auszubildende: innerer Kampf aufgrund fehlender Erfahrungen; Bezug zu männlichen Bewohnern: »hart« für männliche Bewohner, sich von Frau pflegen zu lassen, wenn zu wenig männliches Personal; manchmal gibt es keinen anderen Weg; Altenpflege immer noch überwiegend Frauenberuf; Zivildienst als Brücke für Männer zum Pflegeberuf: Erfahrung, andere Menschen glücklich zu machen/etwas zurückbekommen, was man mit Geld nicht zahlen kann/Nähe spüren; »Es macht richtig Spaß«: kleine Freuden im Alltag 44:10-45:11: Abschluss des Interviews; Dank

g) Interview mit Herrn C. 00:00-17:01: Frage nach Tätigkeitsbereich und -dauer; Rente; er ist vorher in anderer Einrichtung des Trägers tätig gewesen; ausführliche Darstellung der beruflichen und persönlichen Biografie; heute: Kümmern um Gottesdienste -> Assistenz; Problem: Versterben bzw. Unzuverlässigkeit der Geistlichen; Kritik an Gottesdiensten der Geistlichen (Schema-F); Verweis auf logistische Herausforderungen/begrenzte Plätze/großes Interesse an Wallfahrten auch nicht-religiöser Bewohner (»Das ist kein Ausflug. Das ist eine Wallfahrt.«) 17:02-20:55: Frage nach herausforderndem Umgang mit dementen und jüngeren suchterkrankten Bewohnern (Bezug Frau I.) im Hinblick auf religiöse Angebote; »richtiger Kampf ist das«; Anekdoten aus früherer Einrichtung: Empfang von Herrn C. durch jüngere Bewohner »Da kommt der nachgemachte Priester.«; diese nehmen nicht an Gottesdiensten teil (außer an Weihnachten); Einschätzung: Gott ist an Beschwerden schuld 20:56-26:47: Aufhänger Feiertage: Schwierigkeit, Organisten zu finden; Anekdote von srilankischem Organisten -> Missverständnis aufgrund von unterschiedlichen Liederbüchern; Ostern, Karfreitag: Unterschiede zwischen den Konfessionen in der Gottesdienstgestaltung; generelles Problem: Feiertage -> Notbesetzung: logistisches Problem (Bewohner gelangen teilweise nicht zur Kapelle) 26:48-33:53: Anknüpfung an schwierige Themen (vgl. Kreuzesweg): Wie wird Gottesdienst überhaupt gestaltet?; Demenzgottesdienst: speziell für Demente (andere beschweren sich über Gestaltung), im Sitzkreis, Demenz als sensibles Thema; Hervorhebung der Begabung des ehemaligen Prälaten und Vorstandes (Vorbildfunktion): konnte sehr gut auf Leute eingehen, Predigt »einfach, verständlich, langsam gesprochen, laut geredet usw.« plus Wieder-

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holung; Schwierigkeit, auf unterschiedliche Hörgewohnheiten/-fähigkeiten einzugehen; Unterstützung durch Team von kirchlich engagierten Ehrenamtlichen: wichtiger Austausch über Wortgottesdienst (Vernetzung, an Texte rankommen); Erläuterungen zu bestimmten Messbuch; Lieder als »riesen Problem«: Wunsch nach uralten Liedern; Bewunderung: Demenz und Fähigkeit alte Lieder zu singen; Herausforderung, den unterschiedlichen Ansprüchen gerecht zu werden in der Gestaltung; »Darf man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen.« 33:54-39:42: Frage nach Gebet beim Frühlingsbuffet; »Ich bete immer, aber bei manchen kommt das wieder nicht gut an.«: Versuch, das Gebet locker, teilweise in Kurzform zu beten; Anekdote zu früherer Einrichtung: massive Kritik der Bewohner an ›falschem‹ Tischgebet; eigenes Bedürfnis, neue Gebet einzubringen vs. Gewohnheit; Herausforderung: Balance finden, auf Publikum eingehen; Frage nach persönlichem Antrieb zu ehrenamtlichen Engagement: »Wenn ich das nicht machen würde, würde das den Bach hier runtergehen. Dann wär ja gar nix mehr.« -> religiöse ›Versorgung‹ in Gefahr; Exkurs: beeindruckende Fronleichnamsprozession in anderer Einrichtung; Frage nach religiösem Bedürfnis der hiesigen Bewohner (weniger religiös im Vergleich zu anderen Häusern?): äußere Bedingungen entscheiden oft über Teilnahme an religiösen Angeboten (Witterung/Altbau Kapelle, Logistik/Fahrstuhl/Rollstühle), »Die müssen auch pünktlich fertig sein.«; schwankende Auslastung der Kapelle: 12-35 Besucher 39:44-41:00: Frage nach Seelsorge-Angebot: Übernahme durch andere Ehrenamtliche/Externe; Hinweis auf Gedenkbuch (ungleich Kondolenzbuch) im Eingangsbereich; Kerzen als Unfall-Gefahr 41:02-47:13: Frage nach Berührung mit nicht-christlichen Religionen im Arbeitsalltag: Bezug auf wechselnden Besuch der evangelischen Bewohner im katholischen Gottesdienst und umgekehrt; Anekdote zu witzeerzählendem Pfarrer; Gestaltung eines Wortgottesdienstes: neuapostolischer Bewohner; Kommunion als Problem (Wer darf? Wer darf nicht? Was ist bei Demenz? Was ist bei Schluckbeschwerden, was ist mit runtergefallenen Hostien?); sehr engagierte und sensible Bewohner: Bsp. Beschwerde am Mittagstisch (»Dem Kreuz den Rücken hingehalten« vs. »um die Lebenden kümmern, nicht um die Toten«) 47:15-48:32: Frage nach muslimischen Bewohnern: »Die kommen aber nicht«/»Jeder ist herzlich willkommen«; Hinweis auf Mitarbeiter/Liberalität des Hauses (Kopftuch); muslimische Bewohner/Mitarbeiter: keine Schwierigkeiten -> Gewöhnungsprozess

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48:33-51:17: Frage nach früherer Leitung durch Nonnen/Pflege: teilweise Pflege, sozialer Dienst; Bsp. Ewiges Licht nicht an/verwelkte Blumen -> Beschwerden durch Bewohner; Frage nach Erwartungen der Bewohner an katholisches Haus: ja, teilweise auch Enttäuschungen vs. Wunsch nach Abschaffung religiöser Angebote 51:18-56:24: Gemeinsame Überlegung: offene, unangesprochene Themen; Palmsonntag: Vorbereitung der Palmzweige als gemeinsame Aktivität/Segnung/Verteilung im Haus hinter Kreuzen; Exkurs: Besonderheit der Inneneinrichtung des Hauses (Puppenstube); Erinnerungsfähigkeit – Bedeutung von Musik, Tieren – Wohlfühlen 56:26-59:00: Frage nach Aneignung des religiösen Wissens: Herr C. war früher Messdiener (»[…] aufgewachsen damit. Da war das nix neues.«); Blick in die Zukunft: Zukunft/Vielfalt wird von Angebot abhängen; Exkurs zur alten Einrichtung: neue Vermittlungsangebote vs. Nachfrage nach Angeboten in der Kapelle 59:02-1:05:03: Frage nach weiteren Themen: Heiligabend -> kritischer Tag; »da werden alle gefordert«; emotionale Belastung der Bewohner, Unplanbarkeit der Gottesdienste, Exkurs: Schneechaos, viele Besucher, Auseinandersetzung mit Ordensschwester (improvisierter Gottesdienst); Exkurs: Entstehung des Liedes »Stille Nacht, heilige Nacht«; Exkurs: hundertjährige Bewohnerin: Beschwerde, da kein Priester da 1:05:04-1:10:42: Rekurs auf Zukunft der Angebote: schlechte Versorgung; »farbiger« Geistlicher – Vorbehalte der Bewohner; Gewohnheit; Wandel des Gedenkgottesdienstes/Sterbeort Krankenhaus/wenig Kontakt zu Angehörigen; vgl. paralleler Wandel in Gemeinden 1:10:44-1:21:23: polnische katholische Bewohner und muslimische Bewohner »Da wird kein großer Unterschied gemacht.«; Liberalität der Einrichtung; Vergleich ›hiesiger‹ und muslimischer Familientraditionen; Problem in Einrichtung/Aktivitäten: Jung vs. Alt (früher: mehr Frauen als Männer); besonders schwierig: Suchterkrankte; Verpflichtung zur Bereitstellung einer Notunterbringung (wg. Gemeinnützigkeit); freiwilliger vs. unfreiwilliger Umzug ins Heim; wichtig: Traditionen aufrecht erhalten (Wallfahrt als spezifisch religiöse Veranstaltung für engagierte Bewohner); Unterstützung durch Angehörige; Exkurs: 104-Jährige Bewohnerin -> Hochaltrigkeit als zunehmendes Thema; Abschluss des Interviews; Dank

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h) Interview mit Frau M. 00:00-03:18: Fokussierung auf Perspektive der Pfarrerin/Frage nach Aufgaben in Einrichtungen; hat selbst nicht Amt, als Pfarrerin in den Einrichtungen tätig zu sein -> Angebot für kognitiv eingeschränkte Personen, um diese »mit religiöser Rede zu erfreuen«; Kritik an herkömmlichen Gottesdiensten/Ausschluss von eingeschränkten (kognitiv, nicht sehen/hören können) Personen; Spezialangebot in drei Einrichtungen in Y-Stadt; Referat Altern, Vertretung der Gemeindepfarrer; ist auf Einrichtungen zugegangen 03:21-10:56: Wie sieht Angebot aus? Auflösung von Reihen/Kreis/Erreichbarkeit für Pfarrerin; direkte Ansprache, Knien, direkte Ansprache; Erinnerungen; »Band schaffen«; überkonfessionelles Abendmahl wichtig/Band zwischen den Menschen, ihren Erinnerungen an Vergangenheit und verlorene Personen; emotionale Aufgeladenheit; Entstehung von etwas Außerordentlichem/der Heiligkeit/Göttlichkeit; »wie ein Wunder fast«; Begleitung mit Gitarrenmusik; Musik körperlich erfahren; Angebot für Menschen, die nicht mehr zu Gottesdienst kommen können, Projekt: Musik am Bett; Lautsprecher als Unsinn; über Klänge Menschen erreichen: Vertrauensbasis aufbauen/Stimmung wahrnehmen; Pflegegrad 5: müsste mehr als Körperpflege sein/vgl. Ausschluss von kulturellen und religiösen Angeboten 11:01-17:33: Wo kommt Religion vor? Eindruck (vgl. Interviews), Religion wird als unbedeutend wahrgenommen; religiöse Sozialisierung hat andere Ebene als Religiosität; Einüben von Religiosität/Verortung; Religion als Teil des Lebens; Erkennen von Ablehnung von Religion in der Begegnung; Religion als Vehikel für Erinnerungen; »Aufscheinen«; diese und nachfolgende Generation: Religion hat in unterschiedlicher Weise Bedeutung unabhängig von Verstand; Was ist Religion? Gottesdienst vs. Bindung; Wo bleibt Religion? Mission? 17:36-19:30: Gute Botschaft nach außen tragen; gottgewollte Perspektive; Frage nach Ablehnung dieses selbstbewussten Auftretens? -> »weiß ich nicht«; Impuls/Bereicherung/»Ruhephase« 19:32-25:05: Zusatzangebot Gottesdienste: alle drei Monate; Frage nach seelsorglicher Begleitung: »nein nicht mehr«; Frage nach Einschätzung, warum Thema Sterben, Tod etc. geringe Rolle in Interviews geringe Rolle spielen: kann es sich nicht erklären, müsste im Blick sein aufgrund von Ausbildung; Auslagerung? Problem, dass Seelsorger nicht unbedingt in die Einrichtungen kommen; Wandel des Pflegebegriffs, mehr als Körperpflege; Herausforderung, »sich dem Organisationsalltag zu unterziehen«; »Mensch steht im

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Mittelpunkt. Sehe ich nicht.« -> Organisation immer im Mittelpunkt; defensive Haltung der Bewohner, Entsetzlichkeit, Zuwendung, Gewalt 25:10-29:47: Frage nach Lösungen im Angesicht gesetzlicher Vorgaben/Personalmangel; Personalmangel kein Grund; Folge der Organisation; Bericht über geschaffene Veränderungen von starren Organisationsformen (Bsp. Umgestaltung Schichtsystem etc.); wichtig: Erkennen von Freiheiten/Engagementsmöglichkeiten/Bereitschaft, sich auf Auseinandersetzungen einzulassen; Organisationen leben sich selbst/Veränderbarkeit als Hoffnung 29:50-47:55: Rekurs auf Sterben, Tod/Frage nach Ansatzmöglichkeiten für Begleitung; keine Regelhaftigkeit; Gewahrwerden »letzte Lebensphase«; Dinge, die noch funktionieren, stärken: Lebensfreude angesichts des Todes; Alleinlassen als Problem; Formen der Zuwendung; »Wohin gehe ich?«; Tod nicht das Ende aus ihrer Perspektive; Ausklammerung aus Unsicherheit?; ist erlernbar; man muss nicht selbst gläubig sein, um auf Anliegen einzugehen; Orientierung an Person, die bezahlt (ungleich Mitleidsdienst); Pflegeausbildung als Profession? -> bisher nicht; zählt Hinderungsgründe auf; Parallele zu Psychotherapie/Seelsorge; fehlendes politisches Engagement für Pflege; Kritik an Umschulungsmaßnahmen; Wertlosigkeit alter, hilfloser Menschen; Bevorzugung eines Roboters; Roboter als wünschenswert, vollständige Bedürfnisübernahme vs. Ausgeliefertsein an Menschen; mehr als nur Körperpflege; Frage nach Religion/Beten mit Roboter: vorstellbar; garantierte Begleitung; Befürchtungen; Mensch als Überbleibsel/Müll; Organisation kümmert sich in keiner Weise um Menschen; Gott im Mittelpunkt würde »Zwangsläufigkeiten« entstehen lassen: Was würde passieren? Gott im Mittelpunkt als tägliche Herausforderung, »Gott ist nicht einfach«; Selbstkritik als Lösung? Verweis auf Therapieausbildung (Selbstreflexion); Selbstreflexion bei häuslichem Entlastungsdienst/Biografiewochenende; medizinische/technische Orientierung der Altenpflege; Bedeutung von Supervision und kontinuierlichen Weiterbildungen 47:58-55:42: Bezug auf andere religiöse Traditionen: Ebene der Augenscheinlichkeit (Essen, Feiertage, Waschrituale) -> lapidare, logistische Aufgabe vs. Zusammenleben der Menschen in den Einrichtungen; Schwierigkeit: Kontakt/Stummheit; religiöse Momente als Bestandteil des Stummsitzens? Kommunikation muss befördert werden; Bsp. Tagesangebot: Beerdigung (ungleich religiös); mehr Religion nicht durch Angebote, sondern durch bestimmte Lebensweise/Blick auf andere Dimensionen? Zärtlichkeit entwickeln aus Religionen heraus? Lernen/Profession/Verhalten 55:43-01:03:23: Frage nach Zusammenarbeit mit Imamen/Rabbinern? katholische Priester sehr häufig; Imam im Krankenhauskontext; Kontakt Roma-

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Religion in der Altenpflege

Prediger/Kennenlernen eines fremden Vollzugs; Sammelbestattungen/Ordnungsamt; kein unbegleitetes Sterben in den genannten religiösen Traditionen vs. »bei uns in der BRD«: anonym, unbegleitet 01:03:30-01:12:34: Abschluss, Bezugnahme zur Einrichtung B.: kein negatives Beispiel, ist bereit für Aktionen/sich zu öffnen; Frage nach Verwehrung von religiös motivierten Bewohnerwünschen in anderen Einrichtungen: Fürsprache notwendig, da die Menschen oft nicht mehr für sich sprechen können -> so können Wünsche übergangen werden; möchte Widerstand der Menschen wecken/erfährt Kritik durch Haus; Wandel in Zukunft? Dank; Verweis auf eine Forschungsstudie ›Messung des Wohlbefindens bei Bewohnern, die nicht mehr kommunizieren können‹

Anhang

Abbildung 3: Informationsblatt zum Forschungsprojekt

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Religion in der Altenpflege

Abbildung 4: Interviewvereinbarung Seite 1

Anhang

Abbildung 5: Interviewvereinbarung Seite 2

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Religion in der Altenpflege

Abbildung 6: Beispiel für die verwendeten Interviewleitfäden A2

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Die aufgeführten Fragen dienten der groben Vorstrukturierung und Gestaltung der Interviews (vgl. auch Kap. 3.3). Je nach thematisiertem Arbeitsbereich und Verlauf des Gesprächs (z.B. Antwortverhalten der Befragten, fruchtbar erscheinende Exkurse etc.) wurde der Leitfaden variabel eingesetzt, d.h. die Reihenfolge der Fragen wurde verändert, weitere (Nach-)Fragen wurden ergänzt bzw. ausgelassen.

Anhang

Abbildung 7: Beispiel für die verwendeten Interviewleitfäden B

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Empirische Annäherung an ein Verständnis von Religion.....235 Abbildung 2: Dimensionen des Religiösen in ihrem Zusammenspiel........247 Abbildung 3: Informationsblatt zum Forschungsprojekt.........................301 Abbildung 4: Interviewvereinbarung Seite 1.........................................302 Abbildung 5: Interviewvereinbarung Seite 2.........................................303 Abbildung 6: Beispiel für die verwendeten Interviewleitfäden A..............304 Abbildung 7: Beispiel für die verwendeten Interviewleitfäden B..............305

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Fallauswahl.........................................................................55 Tabelle 2: Trägerschaften der untersuchten Einrichtungen.....................210 Tabelle 3: Vergleich fallgeneralisierender und fallspezifizierender Perspektiven.............................................................................223

Religionswissenschaft Volkhard Krech

Die Evolution der Religion Ein soziologischer Grundriss April 2021, 472 S., kart. 26 SW-Abbildungen, 42 Farbabbildungen 39,00 € (DE), 978-3-8376-5785-2 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-5785-6

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Religionswissenschaft Heinrich Wilhelm Schäfer

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Gritt Klinkhammer, Anna Neumaier

Religiöse Pluralitäten – Umbrüche in der Wahrnehmung religiöser Vielfalt in Deutschland

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