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German Pages [292] Year 1986
VÔR
E R N S T FEIL
RELIGIO Die Geschichte eines neuzeitlichen Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Band 36
CIP-Kurztitelaufnahme
der Deutschen Bibliothek
Feil, Emst: Religio : d. Geschichte e. neuzeitl. Grundbegriffs vom Frühchristentum bis zur Reformation / Ernst Feil. Göttingen : Vandenhoeck & Ruprecht, 1986. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte ; 36) ISBN 3-525-55143-6 NE: G T
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1986 Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen.
INHALT Vorwort
7
Einführung
9
Voraussetzung Grundlinien 1
Zum
der
Untersuchungen:
eines neuzeitlichen antiken
Sprachgebrauch
Verständnisses hinsichtlich
von „Religion menschlichen
"
16 Verhaltens
zu den Göttern
32
1.1 1.2
Zur Terminologie der Griechen, „die G ö t t e r zu ehren" Zum römischen Verständnis von „religio"
32 39
2
Frühchristentum
50
2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
D e r Befund der Vulgata Tertullian Minucius Felix Arnobius Laktanz Exkurs: Die Edikte zur Anerkennung der Christen Firmicus Maternus Augustinus Isidor von Sevilla
53 56 57 58 60 64 66 68 75
2.6 2.7 2.8
Zusammenfassung
77
3
83
Mittelalter FRÜHSCHOLASTIK
85
3.1 Anselm von Canterbury 3.2 Peter Abaelard 3.3 O t t o von Freising 3.4 Johannes von Salisbury Zusammenfassung
85 88 90 93 98
r
HOCHSCHOLASTIK
3.5 3.6 3.7 3.8
Petrus Lombardus und der Übergang zur Hochscholastik Albertus Magnus Bonaventura T h o m a s von Aquin
99
99 101 104 105
Inhalt
6 3.9 3.10 3.11 3.12
Raimundus Lullus Johannes Duns Scotus Joachim von Fiore Roger Bacon
111 114 115 116
Zusammenfassung
121
SPÄTSCHOLASTIK
121
3.13 Marsilius von Padua 3.14 Wilhelm von Ockham 3.15 Johannes Gerson
121 124 126
Zusammenfassung
126
4
Humanismus
128
4.1 4.2 4.3
Francesco Petrarca Coluccio Salutati Leonardo Bruni
130 131 136
Zusammenfassung und Überleitung 4.4 4.5 4.6
Nikolaus von Kues Pius II Lorenzo Valla
137 ^
138 159 162
Zusammenfassung
165
4.7 4.8 4.9 4.10 4.11 4.12 4.13 4.14
165 168 176 191 208 213 218
Georgios Gemistos Plethon - Ein Exkurs Georgios von Trapezunt Bessarion und sein Kreis Marsilio Ficino Giovanni Pico della Mirandola Gian Francesco Pico della Mirandola . . . Erasmus von Rotterdam Ergänzende Hinweise zur 1. Hälfte des 16. Jh.: Pietro Pomponazzi, Guillaume Bude, Niccolò Machiavelli, Thomas Morus
223
Zusammenfassung
231
5
235
Reformation
5.1 Martin Luther 5.2 Philipp Melanchthon 5.3 Huldrych Zwingli 5.4 Johannes Calvin 5.5 Der „Religionsfriede"
236 246 253 258 266
Zusammenfassung
271
Rückblick
273
Namenregister
283
Sachregister
288
Vorwort Der hiermit vorgelegte Band verfolgt die Geschichte des Terminus „religio" vom Beginn eines christlichen Sprachgebrauchs bis zum sog. Augsburger Religionsfrieden 1555. Entstanden ist die Arbeit im Zusammenhang mit Untersuchungen zur Trias „Glaube - Vernunft - Religion" seit dem Beginn des 17. Jh., mit denen ein Beitrag zu neuzeitlichen Legitimationsproblemen geleistet werden sollte. Diese Probleme lassen sich auf die kurze Formel bringen, daß neuzeitlich Gott als letzte Legitimationsinstanz durch die Vernunft abgelöst werden sollte und sich somit ein Gegensatz von „Glaube und Vernunft" ergab. Es erwies sich als sinnvoll, diesen Gegensatz zunächst durch die Analyse zweier mit ihm verbundener paradigmatischer Antithesen genauer ins Blickfeld zu rücken, nämlich „Autonomie - Heteronomie" und „rational - irrational". Das Ergebnis dieser Studien wird unter dem Titel „Antithetik neuzeitlicher Vernunft" in Band 39 dieser Reihe veröffentlicht. Vor der Weiterführung der Untersuchungen zur Trias „Glaube - Vernunft - Religion" schien es angebracht, die Geschichte des Terminus „religio" aufzuarbeiten. So habe ich - entgegen meiner ursprünglichen Absicht, mich auf die Neuzeit zu beschränken - versucht, gerade im Hinblick auf die neuzeitliche Bedeutung dieses Begriffs seine vorneuzeitliche Geschichte zu eruieren. Die Untersuchungen erwiesen sich als umfangreich und aufwendig. Mir ist jedoch bewußt, daß auch so keine erschöpfende Geschichte vorgelegt werden kann. Immerhin hoffe ich, die wesentlichen Stationen dieser Geschichte soweit nachgewiesen zu haben, bis sich ein „Religionsbegriff" im eigentlichen neuzeitlichen Sinn abzeichnet. Wenn dies gelungen ist, dürfte durch die folgenden Untersuchungen ein Areal im historischen Atlas der Theologie vor allem im Hinblick auf die Neuzeit neu vermessen sein, das bislang nicht nur nicht weiß geblieben - das würde immerhin auf ein fehlendes Wissen schließen lassen - , sondern mit falschen Angaben versehen war. Die besondere Schwierigkeit dieser Arbeit lag einmal in Grenzüberschreitungen zu anderen Disziplinen; hier war ich besonders für das Alte Testament auf die Hilfe von Doz. Dr. Theodor Seidl angewiesen. Sie lag zum anderen in der Beschaffung der Belege. Dabei wurde ich unterstützt von Dr. Ursula Keudel vom Thesaurus Linguae Latinae der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, vom Mittellateinischen Lexikon der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, von Prof. Dr. Gerda von Bredow, Münster, und Dr. Hermann Schnarr vom Institut für Cusanus-Forschung für Nikolaus von Kues, von Lydia Quaes vom Institut für Spätmittelalter und Reformation der Universität Tübingen und Christian Köckert von
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Vorwort
der Universität Halle/Saale für Luther sowie von Dr. Heinz Scheible von der Melanchthon-Forschungsstelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften für Melanchthon. In besonderem Maße war ich auf die Unterstützung von Prof. Dr. Stephan Otto angewiesen. Wenn, wie es an der Universität München der Fall ist, die Bibliotheken vielfach zersplittert sind und z. T. recht eingeschränkte Öffnungszeiten haben, wenn es vorkommt, daß eine Forschungsbibliothek in der vorlesungsfreien Zeit nur drei Stunden am Tag geöffnet und einen Monat gar nicht zugänglich ist, werden die ohnehin mit der Erarbeitung meines Themas gegebenen Schwierigkeiten noch einmal spürbar vermehrt. So habe ich der Feststellung von Karl-Dieter Opp, die dieser im Zusammenhang mit seinen Arbeiten über „Die Entstehung sozialer Normen" gemacht hat, nichts hinzuzufügen: „Offensichtlich hat man es bei der Organisation des Bibliothekswesens als nicht wünschenswert betrachtet, daß sich Wissenschaftler für Schriften aus Nachbardisziplinen interessieren." Umso wichtiger war es, daß mir Prof. Otto den Bestand seines Instituts für Geistesgeschichte und Philosophie des Humanismus und des Centro Italiano über die Öffnungszeiten hinaus zugänglich machte; ohne diese Bibliothek hätte der wohl wichtigste Teil der nachfolgenden Darlegungen gar nicht erarbeitet werden können. Verschlossen blieb der Zugang zu solcher Literatur, die nach Ausweis der maßgeblichen Zentralkataloge deutscher Bundesländer in deren Bibliotheken nicht vorhanden ist. Die Fernleihe der Bayerischen Staatsbibliothek mußte aufgrund einschlägiger Erfahrungen Versuche als ergebnislos ansehen, solche Werke, bei denen es sich um alte Drucke handelt, im Ausland zu bestellen. Bei der Beschaffung der Literatur wie auch beim Nachweis der einschlägigen Belege haben mich besonders Maria Keller, Margit Buchauer und Engelbert von der Lippe unterstützt. Gabriele Bauer übernahm die Uberprüfung sämtlicher Belege. Ihre Mitarbeit wurde durch Kanzler Franz Friedberger und Bernd Aust von der Universität München ermöglicht. Manche Hinweise gaben Dr. Albert Mues und Dr. Dr. Karl Homann. Vor allem Johann Häußler M . A . half bei den Korrekturen; Dr. Herbert Huber und Dorothea Sehling besorgten auch die Register. Den Text schrieben Hannelore Deischl und Maria Huber. Sehr hilfreich war eine Textverarbeitungsanlage, deren Anschaffung ein von Dr. h. c. Walther Casper vermittelter Zuschuß der Hellmut-Ley-Stiftung ermöglichte. Der Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort hat die Drucklegung durch einen namhaften Zuschuß unterstützt. Den Genannten und allen Helfern möchte ich an dieser Stelle für ihre Mühen sehr herzlichen Dank sagen. Gilching, im Februar 1986
Ernst Feil
Einführung Zur Fragestellung Will man die Trias „Glaube - Vernunft - Religion" in ihrer neuzeitlichen Entwicklung untersuchen, um damit der Frage nachzugehen, wie sich letzte Uberzeugungen gewinnen und legitimieren lassen, ergeben sich besondere Probleme hinsichtlich des Terminus „Religion". Denn die Termini „Glaube" und „Vernunft" können auf eine lange Tradition als zentrale Begriffe theologischer Reflexion zurückblicken: „Glaube", seit Paulus „maxie;" zu einem Grundwort seiner Verkündigung gemacht hatte, und „Vernunft", seit die Christen sich wegen der Verkündigung in griechischer Sprache mit „täyoc,", „yvöaig" oder „aexpia" bei den Griechen auseinandersetzen mußten. Doch schon die Nennung dieser Termini zeigt, daß es im Griechischen nicht um eine Relationsbestimmung oder gar eine Antithetik von „Glaube - Vernunft" gehen konnte, waren doch für die Griechen Philosophie und Theologie noch eine Einheit, wie vor allem Werner Jaegers „Die Theologie der frühen griechischen Denker" gezeigt hat. Für die patristische Apologetik und Theologie ging es infolgedessen um den Nachweis, daß in Wahrheit nur ihr Glaube „yvcöoti;" und „ao(pia" ist, daß es keine Torheit ist, an den „Xoyoq SvoaQXOg" zu glauben. Eine Relationsbestimmung von „Glaube und Vernunft" ist - jedoch noch ohne terminologische Festlegung auf „ratio" - erst für das Mittelalter dringlich geworden; paradigmatisch wurde sie von Anselm von Canterbury in seiner Formulierung „fides quaerens intellectum" vorgenommen. Aber auch hier liegt noch keineswegs eine neuzeitliche Fragestellung vor. Deren Wurzeln werden freilich immer wieder im Mittelalter gesucht, vornehmlich im Pariser Averroismus des 13. Jh., der eine .doppelte Wahrheit' entweder tatsächlich oder vermeintlich vertreten hat. Mit welchem Recht in ihm Ursprünge späterer Fragestellungen angenommen werden, kann hier auf sich beruhen bleiben. Seit wann es eine Problematik von „fides" und „ratio" (mit diesen Termini) gab, ist nicht aufgearbeitet. Ob sie sich auf Siger von Brabant oder aber erst auf die Rezeption des Averroes im Humanismus etwa bei Elia Delmedigo oder Pietro Pomponazzi zurückführen läßt, ist überdies umstritten und schwerlich definitiv zu entscheiden. Immerhin aber ist unbestreitbar, daß die Termini „fides" und „intellectus/ratio" lange vor der Neuzeit zentral für theologische Erörterungen gewesen sind. Auch für den Terminus „religio" scheint sich* eine lange Tradition angeben zu lassen. Ganz selbstverständlich wird heute noch weithin eine konti-
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Einführung
nuierliche Geschichte dieses Begriffs bis zurück in die Patristik unterstellt. Verwiesen wird dabei vor allem auf Augustinus, der den Terminus bereits im Titel seines Buches „De vera religione" verwandt hat. Ubergangen wird die Frage, ob es sich überhaupt um eine kontinuierliche Geschichte dieses Terminus handelt; denn es könnte sein, daß sich auch hier die These Thomas S. Kuhns in seiner „Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" bestätigt, nach der jede Zeit die vorausgegangene Geschichte als ihre Vorgeschichte interpretiert, aus der sie sich kontinuierlich entwickelt hat, ohne daß dem so ist. Tatsächlich wird die Geschichte von „Religion" über das Lateinische hinaus bis ins Griechische und Hebräische zurückgeführt, wobei die Frage keine Rolle spielt, ob dies terminologisch überhaupt möglich ist. Wer fragt schon nach dem Äquivalent von „religio" in diesen Sprachen? Auch ist es üblich, von einer frühen zentralen Bedeutung dieses Terminus auszugehen. Doch wer weiß schon, wo in den alten lateinischen Übersetzungen des Alten und Neuen Testaments „religio" überhaupt vorkommt? Und läßt sich für den Terminus „religio" im christlichen Sprachgebrauch schon früh eine nicht nur apologetische, sondern genuin christliche Bedeutung ausmachen, die seit den Anfängen des lateinisch sprechenden Christentums weitergegeben worden wäre? Daß eine solche Kontinuität des Sprachgebrauchs nicht einfach vorausgesetzt werden darf, zeigen - freilich höchst seltene - Hinweise, daß zwischen patristischem und neuzeitlichem Sprachgebrauch wohl zu unterscheiden ist. Wenn aber „Religion" neuzeitlich als eine dem Menschen als solchem eigene Qualifikation angesehen wird, wenn sie als bei allen Menschen und zu allen Zeiten aufgrund des Menschseins gleiche gilt, fragt sich doch, ob eine solche Konzeption auf patristische, römische oder noch frühere griechische oder hebräische Wurzeln verweisen kann. Oder wo sonst ist es zu dieser begrifflichen Entwicklung von „Religion" gekommen? Es gilt zu fragen, seit wann die Begriffsgeschichte von „Religion" auf ihr neuzeitliches Verständnis hin in einer grundsätzlichen Kontinuität gesehen werden kann. Zum Forschungsstand Bemühungen, eine Antwort auf diese Frage in der Literatur zu finden, bleiben fast ausnahmslos ohne Ergebnis. Eine der wenigen Ausnahmen stellen instruktive Hinweise zur Begriffsgeschichte bei Wilfred Cantwell Smith in seinem Buch „The Meaning and End of Religion" dar. Smith nimmt eine Entwicklung bis hin zu Augustinus an, der eine etwa tausendjährige Pause folgt; erst mit Marsilio Ficino setzt er einen Neubeginn der Geschichte des Religionsbegriffs an, der jedoch keineswegs eine kontinuierliche Entwicklung zu einem neuzeitlichen Verständnis in die Wege leitet. Dieses beginnt nach Smith mit dem 17. Jahrhundert; denn erst dann,
Einführung
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nicht aber schon bei Ficino bedeutet Religion „any system of doctrins and practices, any institutional phenomenon or historical development, one of ,the religions' of the world" 1 . Bei Smith finden sich auch speziellere Nuancierungen zum Sprachgebrauch von „Religion", so der Hinweis, daß dieser Terminus für die katholische Tradition keine auch nur annähernd gleiche Bedeutung wie für die evangelische erreicht hat. Ebenso schärft er das Bewußtsein für einen korrekten Sprachgebrauch durch seine Kritik an der Unbedachtheit, auch für solche Texte von „Religion" zu sprechen, die ihn im Original überhaupt nicht verwenden 2 . Solche Eintragungen, bedingt durch unseren Sprachgebrauch, sind keineswegs selten, aber eben deswegen auch aufschlußreich. Die These von Smith läuft darauf hinaus, Wort und Begriff „Religion" besser fallen zu lassen, da sie eher verwirrend und unnötig als hilfreich sind. Diese These hat Smith mit instruktiven Materialien belegt und dabei u. a. auf Schriften hingewiesen, die ihm nicht zugänglich waren und die auch für die folgenden Untersuchungen nicht herangezogen werden konnten. Insgesamt hat Smith ein Plädoyer für einen erheblich differenzierteren Sprachgebauch von „Religion" vorgelegt, das inzwischen verschiedentlich in einschlägiger Literatur zitiert wird. Die m. W. wichtigste Ausnahme von der verbreiteten Unkenntnis bezüglich der Begriffsgeschichte von „Religion" stellen die ausführlichen Untersuchungen von Michel Despland dar 3 . Sie dürften der erste großangelegte Versuch zu unserem Thema sein, der mir freilich trotz der Suche nach einschlägigen Arbeiten erst nach Abschluß des hier vorzulegenden Manuskripts bekannt geworden ist4. Despland nimmt entgegen der These von Smith zu Recht einen permanenten Gebrauch von „religio" auch zwischen 500 und 1500 an, ohne daß sich jedoch eine stetige Entwicklung dieses Gebrauchs aufweisen ließe. Die wesentlichen Fassungen des Religionsbegriffs hat Despland in kurzen Sätzen zusammengefaßt. Für die Zeit bis 1555, die im folgenden behandelt ist, nennt er 15 „Ideen" von „Religion". Er beginnt mit Ciceros Bestimmung von „religio" als Respekt vor allem Sein, besonders dem Göttlichen, und kontrastiert hierzu die Bestimmung bei Lukrez, nach der „religio" ein System der Bedrohungen und Verheißungen ist, die den furchtsamen Grund der menschlichen Natur pflegen 1 Wilfred Cantwell Smith, The Meaning and End of Religion. A new Approach to the Religious Traditions of Mankind (1962) ( = A Mentor Book, The New American Library), New York 1964, 34. 2 Vgl. Kap. II Anm.61, ebd. 201. } Michel Despland, La religion en occident. Évolution des idées et du vécu ( = Héritage et projet 23), Montréal 1979. 4 Im Schlagwortkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek München ist das Buch unter „Religionsgeschichte" geführt, so daß es in seiner Bedeutung nicht erkennbar war.
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Einführung
und entwickeln, wogegen der Mensch freilich revoltiert. Die christlichen Bestimmungen von „religio" akzentuieren ebenso den Aspekt jener Vollzüge, die sich auf das Heil richten, wie den Aspekt der öffentlichen Ordnung, die nach dem Willen Gottes gestaltet ist, sowie schließlich den Aspekt der inneren Einstellung, die sich in der Liebe zu Gott vollzieht. Von diesen drei grundlegenden Aspekten her lassen sich die weiteren Präzisierungen ableiten, ob nun „religio" als Tugend oder institutionell als „Orden" verstanden wird, ob sie eher eine Bedeutung für die Zivilisation, für die Laien hat oder aber als „instinctus" zu sehen ist, der dem Menschen eigen ist. Aufgrund der stupenden Fülle von Autoren und Strömungen, die Despland behandelt hat, geht er über unsere Analysen hinaus. Andererseits wird er gerade durch diese Fülle daran gehindert, eine so detaillierte Analyse einzelner Positionen vorzunehmen, wie sie im folgenden versucht wird. Desplands Arbeit unterscheidet sich von der hier vorgelegten also methodisch und auch sachlich. Letzteres zeigt sich darin, daß hier Autoren als besonders wichtig angesehen werden, die Despland faktisch übergeht. Daß beide Arbeiten voneinander unabhängig entstanden und verschieden sind, führt zu dem sachlichen Vorteil, daß nun das Thema umso eingehender überprüft werden kann. Es muß an dieser Stelle der Hinweis auf die Arbeit von Despland genügen, die durchgängig zu vergleichen ist. Zur Methode Ausgangspunkt der folgenden Untersuchungen war der Zweifel, ob sich eine kontinuierliche Entwicklung des Begriffs „Religion" von den Anfängen an eruieren ließe. Es galt daher, auf dem Hintergrund eines neuzeitlichen Verständnisses in den verschiedenen Phasen der Geschichte christlichen Glaubens nach der jeweiligen Bedeutung und darüber hinaus nach der entsprechenden Funktion von „religio" zu suchen. Hierbei sollten vor allem Wurzeln, Vorformen oder möglicherweise gar der Anfang eines neuzeitlichen Verständnisses aufgespürt werden. Für dieses Unternehmen war es unerläßlich, möglichst kein gegenwärtiges Konzept von „Religion" vorauszusetzen und einzutragen, was immer wieder geschieht, sondern die ursprüngliche Verwendung aufzudecken, soweit sie in den Texten zu ersehen war. Wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß die genuine Bedeutung selbstverständlicher und infolgedessen selbstverständlich gebrauchter Worte nur mit großen Schwierigkeiten und in gewissen Grenzen rekonstruiert werden kann, da uns nur die Analyse erhaltener Schrifttexte möglich ist, die aber die auch emotional geprägte Überlieferung der vox viva nur recht beschränkt repräsentieren. Ein so umfassender Versuch, eine Begriffsgeschichte über mehr als ein Jahrtausend zu erarbeiten, stößt auf beträchtliche Schwierigkeiten, da sich
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die jeweiligen Epochen voneinander unterscheiden. Während der Zeit der Auseinandersetzung mit einer nichtchristlichen, lateinisch sprechenden Umwelt kann ein Sprachgebrauch vermutet werden, der von Übernahme und Distanzierung gekennzeichnet ist: Einerseits sprachen die Christen die Sprache ihres Landes und ihrer Zeit; zugleich aber mußten sie sich abgrenzen von wesentlichen Vorstellungen ihrer nichtchristlichen Zeitgenossen, vor allem hinsichtlich der römischen Götter und damit eben der entsprechenden „religio". Es könnte also dieser Ausdruck nur deswegen von den Christen für sich gebraucht worden sein, weil sie den Anspruch erhoben, durch ihre Opposition gegen die Götter Roms nicht nur nicht gottlos und schuld am Niedergang Roms zu sein, sondern selbst die „religio vera" des einzig wahren Gottes zu üben. Im Mittelalter verliefen die Fronten und Interessen grundlegend anders; denn hier befanden sich die nichtchristlichen Kontrahenten außerhalb des ausgedehnten christlichen Bereichs. Geistig überlegen waren lediglich die Anhänger Mohammeds, mit denen man sich zugleich in heftiger Feindschaft wie auch in einem intensiven geistigen Gespräch befand; denn die Kreuzzüge hinderten keineswegs, sondern förderten noch das Interesse an den Arabern und trugen so dazu bei, daß im Abendland eine vor allem durch Averroes vermittelte Rezeption des Aristoteles möglich wurde. Es fragt sich, ob aufgrund der tiefen Beeinflussung durch die Moslems zugleich eine Apologetik ihnen gegenüber dringlich wurde und ob in der Auseinandersetzung mit ihnen „religio" bedeutungsvoll geworden ist. Einschneidend änderte sich die Situation im Humanismus, als durch einen nun unvermittelten Rückgriff auf die Antike und vor allem auf Piaton eine neue Orientierung des Denkens erfolgte. Diese ist wesentlich gefördert worden durch solche ursprünglich griechisch sprechenden Autoren, die besonders nach dem Fall von Konstantinopel nach Italien kamen und hier eine äußerst intensive Lehrtätigkeit beginnen konnten. Hier war die Situation nicht vorrangig von Apologetik geprägt. Erstrebt wurde vielmehr die genuine Kenntnis der lateinischen und griechischen Klassik. Teils neben und teils mit dem Humanismus entfaltete sich dann die Reformation, die ihrerseits wiederum eine andere Orientierung als die des Humanismus mit sich brachte. Unser Interesse richtet sich auf die Konsequenzen beider Bewegungen für den Gebrauch von „religio". Angesichts so verschiedener Epochen galt es, eine angemessene Auswahl von Autoren zu treffen. Selbst wenn diese Auswahl recht begrenzt bleiben mußte, ist zu hoffen, daß es gelungen ist, in ausreichendem Maße die grundlegende Bedeutung von „religio" für die jeweilige Zeit aufzuweisen. Im Unterschied zu üblichen begriffsgeschichtlichen Untersuchungen sind in dieser Arbeit folgende Grundsätze maßgeblich gewesen: Um das Verständnis dieses Terminus nachzuweisen, wurde möglichst nicht nur auf einzelne Belege zurückgegriffen; vielmehr wurden die für unser Thema
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Einführung
bedeutsam erscheinenden Arbeiten durchweg ganz oder doch in größeren Teilen berücksichtigt, um nicht nur aus einzelnen Stellen die Bedeutung von „religio" zu entwickeln, sondern zugleich festzustellen, welchen Stellenwert dieser Terminus in den Darlegungen des Autors überhaupt hat; es wurde also möglichst die Häufigkeit und das Gewicht von „religio" geprüft. Auch galt es, alternative Formulierungen herauszufinden, die neben oder sogar mehr als „religio" jene Funktion haben, die für uns wesentlich „Religion" übernommen hat. Bedeutsam war auch, wo „religio" von uns erwartet worden wäre, von den betreffenden Autoren aber nicht gebraucht wurde; denn gerade das Fehlen dieses Terminus in Aussagen, die seine Verwendung nach unserer Einschätzung nahelegten, dürfte für seinen jeweiligen Gebrauch höchst instruktiv sein. Schließlich wurde besonders darauf geachtet, ob sich Relationen zwischen „religio" und „fides" entdekken lassen. Von herausragender Bedeutung war, ob Beziehungen zu nichtchristlichen Standpunkten formuliert und ob diese Beziehungen mit „religio" oder, wenn nicht, mit einem anderen für beide Seiten gemeinsamen Terminus benannt wurden; denn gerade in den Außenbeziehungen war ja am ehesten eine übergreifende Benennung zu erwarten, wie sie neuzeitlich durch „Religion" und „Religionen" üblich geworden ist. Die besondere Schwierigkeit der Untersuchungen bestand darin, uns geläufige Termini nach Möglichkeit zu vermeiden. Es galt, den ursprünglichen Bedeutungsgehalt der Aussagen zu erheben. Um diese Intention kenntlich zu machen, wurden grundsätzlich die Termini in ihrer ursprünglichen Formulierung genannt und in Anführungszeichen gesetzt. Dies gilt vor allem für „religio", um darauf aufmerksam zu machen, daß dieser Terminus keinesfalls ungeprüft mit „Religion" übersetzt werden darf. Im Text wurde auf längere Zitate der Originale verzichtet, um seine Lesbarkeit nicht zu beeinträchtigen; wichtige Belege wurden in den Anmerkungen zitiert, damit der interessierte Leser sich vom Wortlaut überzeugen kann, ohne die verschiedensten Bibliotheken aufsuchen zu müssen, in denen dann vor allem die für die Zeit des Humanismus benutzte Literatur vielfach doch nicht zu finden sein dürfte. Wurden im Text nur die entsprechenden Termini genannt, sind sie aus den obliquen Casus jeweils in den Nominativ gesetzt. Die Schreibweise der Originaltexte wurde belassen mit Ausnahme jener Verwendung des „u", das als „v" zu lesen ist (also „vita" statt „uita"; nur in den deutschen Texten Luthers wurde „v" belassen); ferner wurde „ij" in das vom Lateinischen her gemeinte „ii" geändert (also „iis" statt „ijs"). Abkürzungen der alten Drucke wurden aufgelöst. Eine Frage war, ob die Darstellung an den einzelnen Autoren orientiert oder ob bestimmte Bedeutungsstränge über größere Zeiträume hindurch dargestellt werden sollten. Um der größeren Präzision und Überprüfbarkeit willen schien es angemessener, jeweils die einzelnen Autoren getrennt
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darzustellen, selbst auf die Gefahr hin, daß dann ein und dieselbe Grundbedeutung von verschiedenen Autoren geteilt würde. Je nach dem Ergebnis der folgenden Untersuchungen sind unterschiedliche Konsequenzen zu ziehen: entweder läßt sich eine kontinuierliche Entwicklung des Wortes „religio" aufweisen; dadurch würde die neuzeitliche Verwendung eine nicht unbeträchtliche Unterstützung erfahren, daß nämlich „religio" etwas zum Menschen Gehöriges, d. h. bei allen Menschen und zu allen Zeiten Vorhandenes gewesen ist und daß sich faktisch auch eine „Religionsphilosophie" immer und überall annehmen läßt, wo Menschen über sich nachgedacht haben. Wenn freilich eine Diskontinuität festgestellt wird, wenn „religio" vorneuzeitlich all dies nicht bedeutet und impliziert hat, ist es mindestens unerläßlich, für ein historisches Verständnis der Geschichte der Menschheit und ihres Denkens die Kategorie „religio" in diesem Sinne fallenzulassen. Es dürfte nicht mehr vorausgesetzt, sondern müßte nachgewiesen werden, daß es Äquivalente zu diesem Terminus und der mit ihm bezeichneten Sache gibt, ohne daß die Kontinuität menschlichen Selbstverständnisses am Terminus „religio/Religion" orientiert werden könnte. Eben diese sachliche Kontinuität müßte aber offengelegt werden; überdies dürfte die Geschichte menschlichen Selbstverständnisses nicht mehr am Terminus „religio" festgemacht werden, weil seine Verwendung in einer Vergangenheit, die diesen Terminus selbst nicht in dieser Weise gekannt hat, zu schwerwiegenden Mißverständnissen führen könnte. Es mag dahingestellt bleiben, ob es philosophisch legitim ist, im Nachhinein menschliches Denken früherer Zeiten und Kulturen besser zu verstehen, als es sich selbst verstanden hat; historisch ist dies jedenfalls unzulässig. Je größer die Bedeutung von „Religion" neuzeitlich angesetzt werden muß, umso gravierender würde die Entdeckung einer Diskontinuität zwischen vorneuzeitlichem und neuzeitlichem Verständnis dieses Terminus ins Gewicht fallen.
Voraussetzung der Untersuchungen: Grundlinien eines neuzeitlichen Verständnisses von „Religion" Wenn die folgenden Untersuchungen von der Möglichkeit ausgehen, daß es keine kontinuierliche Entwicklung des Terminus „religio" von seinen Anfängen bis zu einem heutigen Religionsbegriff gegeben hat, empfiehlt es sich, letzteren kurz zu charakterisieren. Dadurch dürfte es leichter sein zu erfassen, was „religio" ggf. im Unterschied zu „Religion" bedeutet hat. Läßt sich ein solcher Unterschied nachweisen, bildet das neuzeitliche Verständnis von „Religion" gleichsam die Folie, von der sich die frühere Verwendung von „religio" abhebt. Uns vertraut ist dabei ein neuzeitliches Verständnis selbst dann, wenn wir es nicht reflektiert und in seiner Differenzierung und seiner Problematik nicht bewußt erfaßt haben. Im folgenden kann ein solches Verständnis nicht adäquat entwickelt werden. Ihm sucht der später vorzulegende zweite Band dieser Untersuchungen nachzugehen. Hier müssen Hinweise auf ein neuzeitliches Verständnis von „Religion" genügen, das beim gegenwärtigen Stand unseres Wissens nur ein Vorverständnis sein kann. Die Hinweise dienen der Verständigung darüber, was am ehesten mitschwingt, wenn wir - unabhängig davon, ob wir zustimmen oder nicht - „Religion" sagen. Sie wären mißverstanden, vermißte man in ihnen irgendwelche Positionen, die möglicherweise wichtige Differenzierungen oder Alternativen bedeuteten. Es geht darum, den grundlegenden oder wenigstens dominanten Typos eines solchen neuzeitlichen Verständnisses zu skizzieren, wie er im allgemeinen Bewußtsein und Empfinden gerade auch dort verbreitet ist, wo es sich nicht um Fachkreise handelt. Ein heutiges Verständnis von „Religion", das von einer genauen systematischen und in ihrem Interesse auch historischen Bestimmung absieht, findet sich am ehesten in gängigen Lexika. In ihnen wird „Religion" bestimmt als „das Ergriffensein durch und das Denken über das Heilige, das meist zu einem bestimmten Bekenntnis führt" 1 , oder „als erlebnishafte Begegnung mit heiliger Wirklichkeit und als antwortendes Handeln des vom Heiligen existentiell bestimmten Menschen" 2 . Ist die Bestimmung „Ergriffensein" von Paul Tillich beeinflußt, so erinnert der Verweis auf das „Hei1
Brockhaus Enzyklopädie XV, Wiesbaden 17 1972, 636. Gustav Mensching, Religion, in: Religion in Geschichte und Gegenwart J V, Tübingen 1961, 961. 2
Grundlinien eines neuzeitlichen Verständnisses von „Religion"
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lige" an Rudolf Otto. Beide genannten Definitionen kommen darin überein, daß sie eine „Begegnung mit dem Heiligen" 3 und d. h. mit einer dem Menschen und seiner Welt überlegenen und übergeordneten Wirklichkeit sowie wenigstens überwiegend eine Antwort an diese annehmen. Der Mensch erfährt sie als „Macht" oder als „Mächte", die in seine Welt und sein Leben einzugreifen in der Lage sind. Infolgedessen sucht er durchweg diese Mächte in seinem Sinn zu bewegen, damit sie ihm nicht schaden, sondern nützen. Warum und in welchem Sinn diese Wirklichkeit als das „Heilige" bestimmt wird, wodurch neue definitorische Probleme auftreten, braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden. Es genügt die Feststellung, daß in Bestimmungen der „Religion" bevorzugt auf das „Heilige" verwiesen wird 4 . Daß diese Definitionen so universal nicht gelten, wie sie sich geben, sondern positioneil bedingt sind, ist unschwer aus einer entgegengesetzten Position zu ersehen. In einem marxistischen philosophischen Lexikon ist „Religion" bestimmt als „Form des gesellschaftlichen Bewußtseins mit Weltanschauungscharakter, deren Besonderheit in einer verzerrten, verkehrten Widerspiegelung der Natur und Gesellschaft im Bewußtsein der Menschen besteht, dergestalt, daß die Erscheinungen der Natur und Gesellschaft auf übernatürliche Ursachen und Zwecke zurückgeführt bzw. als übernatürliche Vorgänge und Mächte vorgestellt werden, zu denen die Menschen in einem unmittelbaren Abhängigkeitsverhältnis stehen und denen gegenüber sie sich zu ihrem Wohle zum Vollzug bestimmter Handlungen (wie Gebete, Opfer, Kult, Ritus usw.) verpflichtet fühlen." 5
Diese Definition entspricht den vorausgegangenen strukturell darin, daß auch sie ein Bewußtsein übernatürlicher Vorgänge und Mächte annimmt, denen der Mensch antwortet; sie widerspricht ihnen jedoch durch die Charakterisierung dieses Bewußtseins als falsches Bewußtsein, das irrtümlich Übernatürliches für existent hält und sich dadurch den Zugang zu der Erkenntnis verschließt, daß der Ursprung dieses falschen Bewußtseins in nichts anderem als in falschen gesellschaftlichen Verhältnissen liegt. Während Feuerbach die Wendung vom Jenseits zum Diesseits als Wendung zur wahren „Religion" verteidigt, hält Freud die „Religion" einfach für eine „Illusion". Bei aller Verschiedenheit ihrer Positionen kommen die Religionskritiker der Neuzeit darin überein, daß sie jene Annahme einer übernatürlichen Wirklichkeit im Namen des Wissens bzw. der Wissenschaft - statt im Namen ihres Glaubens - ablehnen. J
Ebd. Vgl. Diskussion um das „Heilige", hg. von Carsten Colpe ( = Wege der Forschung 305), Darmstadt 1977. 5 Philosophisches Wörterbuch, hg. von Georg Klaus u. Manfred Buhr, II, Leipzig "1975, 1046 f. 4
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Grundlinien eines neuzeitlichen Verständnisses von „Religion"
Angesichts dieser Widersprüchlichkeit der Definitionen von „Religion" fällt auf, daß das Moment der Uberzeugung nicht in sie einbezogen ist. Beide entgegengesetzten Positionen bringen nicht zum Ausdruck, daß sowohl die Annahme als auch die Ablehnung des Heiligen bzw. übernatürlicher Mächte auf einem Glauben beruhen, daß es diese gibt bzw. nicht gibt. Sie insinuieren vielmehr, jeweils von einem Wissen auszugehen, das absolut und uneingeschränkt als gesichert erscheint. Sie unterstellen, daß die Wirklichkeit erkennbar so ist, wie sie sie interpretieren. Aufschlußreich sind die entgegengesetzten Definitionen auch in der Hinsicht, daß lediglich die marxistische von gesellschaftlichen und d. h. öffentlichen Manifestationen ausgeht, während die beiden positiven Bestimmungen der Religion im Grunde nur den individuellen, persönlichen Aspekt zum Ausdruck bringen. Als Resultat ergibt sich: Faktisch wird der Terminus „Religion" in einer unvermittelten Duplizität gebraucht, wenn er einmal ein gesellschaftliches Bewußtsein und somit eine von ihm getragene Institution und zum anderen eine (innere) Einstellung und Erfahrung bezeichnet, wobei offen bleibt, ob und ggf. wie diese sich nach außen manifestiert und überdies gemeinschaftlich bzw. gemeinschaftsbildend ist. Sucht man nach einer über die genannte Definition hinausgehenden zentralen Formulierung und zugleich nach einer Auflösung dieses Dilemmas, so findet sich m. E. kaum eine instruktivere Aussage als die folgende: „Welche Religion ich bekenne? Keine von allen, Die du mir nennst. - Und warum keine? - Aus Religion."
Diese Aussage - bezeichnenderweise mit dem Titel „Mein Glaube" versehen - stammt von Friedrich von Schiller aus dem Jahre 17966. Im jetzigen Zusammenhang geht es nicht um eine historische Analyse dessen, was Schiller im Kontext seiner Zeit und seiner Aussageintentionen mit diesem Wort gemeint hat. Der Zweizeiler soll vielmehr gelesen werden als Paradigma eines neuzeitlichen Verständnisses von „Religion". Für dieses ergibt sich: Der Autor sieht sich gefragt nach seiner „Religion", die er „bekennt". „Religion" ist hier mindestens insoweit eine sichtbare, greifbare Wirklichkeit, als sie durch ein nach außen reichendes, manifestes Bekenntnis f ü r sich und vor anderen vertreten werden kann und zu vertreten ist. M a n kann nicht nur sich zu einer „Religion", sondern die „Religion" bekennen. Damit erweist sie sich als empirisch faßbare Wirklichkeit. Sodann gibt es verschiedene „Religionen", weswegen es tatsächlich eine Frage ist, welche man bekennt. „Religion" dient dabei als generelle Be-
' Friedrich von Schiller, Votivtafeln. - Von Franz Gotting, Goethe, Johann Wolfgang von, in: Religion in Geschichte und Gegenwart 3II, 1668-1675, wird dieses Zitat ohne Nennung Schillers und infolgedessen stillschweigend als Zitat Goethes gebracht, 1673.
Grundlinien eines neuzeitlichen Verständnisses von „Religion"
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Zeichnung für alles, was zu einer Überzeugung an Inhalten und Formen gehört, und fungiert somit zugleich als Oberbegriff für verschiedene Uberzeugungen wie die der Christen oder Juden. „Religion" ist also eine institutionelle und infolgedessen auch empirisch faßbare Gruppierung, der nicht nur jeder einzelne für sich, sondern alle zugleich als Glied einer Gemeinschaft angehören. In diesem Sinn erscheint der Terminus neutralisiert, weil ohne Wertung, d. h. ohne die Frage nach der wahren „Religion"; er umfaßt alle, die als eine solche bezeichnet werden (können). In dem Zweizeiler entzieht sich der Gefragte der Entscheidung für eine dieser „Religionen" und somit der Frage nach der Wahrheit, die doch jede für sich beansprucht. Denn nach dem Bekenntnis und damit der Zugehörigkeit zu einer dieser „Religionen" gefragt, wehrt der Autor ab und gibt als Grund dafür an: „Aus Religion". Demnach dient zur Begründung für ein mangelndes Bekenntnis zu irgendeiner „Religion" jene Alternative, nach der „Religion" gerade nicht äußerlich manifest, sondern innerlich ist. So schwer „Religion" in diesem Sinne greifbar oder gerade weil sie so ungreifbar, dafür aber dem Menschen innerlich umso mehr zu eigen ist, gebührt ihr der Vorzug; denn sie bedeutet zugleich eine Kritik der institutionellen „Religion": alles Äußere als das Äußerliche vermag im Grunde diese einzige wahrhafte „Religion" als eine innerliche nicht zum Ausdruck zu bringen. Auch vermag die äußere „Religion" als eine bestimmte faktisch nur partiell und somit nicht universal zu sein. Es gilt daher, sich nicht auf Abwege bringen zu lassen durch die Zugehörigkeit zu einer „Religion". Daß die wahrhafte „Religion" innerlich ist, bedeutet nicht, daß sie nicht allen Menschen gemeinsam sein kann. Aber sie verbindet sie nicht untereinander in einem äußeren, faktisch äußerlichen Sinne, sondern läßt sie demgegenüber jeweils als einzelne innerlich ,religiös' sein. Eine institutionell vermittelte Weise einer Verbindung untereinander würde dem widersprechen. Deswegen braucht jedoch „Religion" nicht zwangsläufig Einsamkeit zu bedeuten, sie kann auch, wie vielfach vertreten, in eine tiefe innere Gemeinsamkeit führen. Aus solcher inneren „Religion" vermag der Mensch die Äußerlichkeit institutioneller „Religion" zu meiden, er kann tatsächlich das verwirklichen, was die „Religionen" zwar intendieren, aber nicht angemessen realisieren können oder gar verfehlen. In diesem Sinn kann Schiller so verstanden werden, daß er sich aus „Religion" zu keiner „Religion" bekennt. Beide Weisen stehen also nicht auf einer Stufe, vielmehr ist die innere „Religion" der äußeren mindestens überlegen, wenn sie nicht überhaupt die einzig wahrhafte und legitime ist, während die äußere allenfalls der unzureichende oder untaugliche Versuch einer Realisierung sein kann. Auch die Überschrift „Mein Glaube" ist, im Licht eines gegenwärtigen Verständnisses von „Religion" gelesen, aufschlußreich, stellt sie doch eine Relation zwischen „Glaube" und „Religion" her. Dabei wird nicht die
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„Religion" vom Glauben, sondern umgekehrt der Glaube von der „Religion" her bestimmt. Durch sie läßt sich angeben, was „Glaube" ist, nämlich jene Paradoxie, aus „Religion" keiner „Religion" anzugehören. Diese innere, innerliche „Religion" fand ihre Differenzierung in zwei Versionen, die auseinanderzuhalten sind, selbst wenn sie unterschwellig miteinander verbunden, d. h. als zwei Seiten einer Münze zu betrachten sind. Die erste und wirkungsvollste Version bestimmt „Religion" als „Gefühl". Ihr Zusammenhang mit Pietismus und Empfindsamkeit 7 kann hier auf sich beruhen bleiben, er darf aber selbst dann noch angenommen werden, wenn sich die betreffenden Autoren jeweils von ihnen distanziert haben 8 . Die andere Version fundiert die „Religion" in der Vernunft bis hin zu ihrer Charakterisierung als „Vernunftreligion", wobei der Bezug zum Gefühl abgelehnt wird 9 . Man könnte also von einer .emotionalen' und einer nationalen' Variante dieser „inneren Religion" sprechen. Aus dem Umfeld der Bestimmung der „Religion" als „Gefühl" stammten die eingangs genannten Definitionen, wenn in ihnen als wesentliches Merkmal der „Religion" ein „Ergriffensein" oder eine „erlebnishafte Begegnung" genannt ist. Herausragend formuliert wurde diese Version durch Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher im Jahre 179910. Er hat „Religion" als „Gefühl des Unendlichen" bestimmt 11 . In dieser Fassung ist sie f ü r mehr als ein Jahrhundert maßgeblich geworden selbst dann, wenn ihr widersprochen wurde. Gemäß dieser Bestimmung geht es nicht um Vollzüge und Handlungen, nicht um ein Bekenntnis nach außen und erst recht nicht um Institution. „Religion" war für Schleiermacher, wie er von sich sagt, „der mütterliche Leib in dessen heiligem Dunkel mein junges Leben genährt und auf die ihm noch verschlossene Welt vorbereitet wurde, in ihr atmete mein 7 Auch auf sich beruhen bleiben kann die Frage nach dem Zusammenhang zwischen diesen beiden, die ihre wesentlichen Wurzeln in England zur Zeit des ausgehenden 17. und beginnenden 18.Jh. hatten. 8 Vgl. dazu die im f o l g e n d e n genannten Friedrich Schleiermacher und Johann W o l f g a n g von Goethe. ' Vgl. dazu im f o l g e n d e n Immanuel Kant, der über seine Mutter mit dem Pietismus in Berührung g e k o m m e n und hierdurch tief beeinflußt war, ehe das Collegium Friedericianum durch Ubertreiben religiösen Z w a n g s für eine Distanzierung sorgte. D o c h wird durch solche Distanzierungen eine vorausgegangene Prägung gerade nicht einfach aufgehoben. 10 Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, Uber die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern ( = Philosophische Bibliothek 255), Hamburg 1961. - Für unsere Zwecke genügt der Verweis auf die frühen Reflexionen Schleiermachers, da sie die größte Wirkung hatten. 11 Ebd. 36; vgl. 29: „Ihr (sc. der Religion) W e s e n ist weder D e n k e n noch Handeln, sondern Anschauung und Gefühl." W e n i g später, 30, heißt es: „Praxis ist Kunst, Spekulation ist Wissenschaft, Religion ist Sinn und Geschmack fürs Unendliche." - Im jetztigen Z u s a m m e n hang braucht auf die Duplizität von „Anschauung" und „Gefühl" nicht eingegangen zu werden, vgl. dazu bes. 41.
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Geist, ehe er noch seine äußeren Gegenstände, Erfahrung und Wissenschaft gefunden hatte, sie half mir als ich anfing den väterlichen Glauben zu sichten und das Herz zu reinigen von dem Schutte der Vorwelt, sie blieb mir, als Gott und Unsterblichkeit dem zweifelnden Auge verschwanden, sie leitete mich ins tätige Leben, sie hat mich gelehrt, mich selbst mit meinen Tugenden und Fehlern in meinem ungeteilten Dasein heilig zu halten, und nur durch sie habe ich Freundschaft und Liebe gelernt"12.
Als solchermaßen zugleich umfassende und innere ist die „Religion" nach Schleiermacher „jener erste geheimnisvolle Augenblick, der bei jeder sinnlichen Wahrnehmung vorkommt, ehe noch Anschauung und Gefühl sich trennen"; er wird von Schleiermacher als „flüchtig" und „durchsichtig" mit dem ersten Duft einer erwachten Blume verglichen 13 . Und Schleiermacher bekräftigt, daß dies alles nicht nur Metaphern seien, vielmehr sei dieser erste Augenblick dieses alles selbst. Erst nach diesem Augenblick „arbeitet sich das Gefühl aus dem Innern empor" 14 . Die „Religion" ist erst vollendet, wenn sie sich „wiederum nach innen zurückgearbeitet und auch dort das Unendliche gefunden hat" 15 . So ist festzuhalten, „daß die Religion nie rein erscheint" 16 . Schließt diese Bestimmung der „Religion" die „positiven Religionen" nicht aus, sondern als bestimmte Gestalten ein, „unter denen die unendliche Religion sich im Endlichen darstellt" 17 , so wird durch das Vorhandensein äußerer „Religion" bzw. „Religionen" nur noch einmal die innere als die unendliche angenommen. Sie ist somit die wesentliche, dergegenüber äußere Manifestationen deutlich relativiert erscheinen. Daß hiervon auch die manifeste Gemeinschaft einer „Religion" betroffen ist, darf nicht zu dem Fehlschluß verleiten, als führe die innere „Religion" zur „Einsamkeit"; freilich geht es ihr um die eine, eben nicht empirisch manifeste „Gemeinschaft der Heiligen" 18 . Resümierend kann Schleiermacher am Ende seiner Ausführungen sagen, daß das „Heilige" geheim bleibt19. Es ist aufschlußreich, daß auch bei ihm diese Kategorie eine besondere Bedeutung für seine Konzeption von „Religion" besitzt. Von besonderer Wirkung war, daß eine entsprechende Bestimmung nicht nur in der Theologie, sondern darüber hinaus besonders qualifiziert 12
Ebd. 8. Ebd.41. 14 Ebd. 42. 15 Ebd. 55. Vgl. 62 hinsichtlich der „Frömmigkeit": „Auch muß Euer innerstes Gefühl ihr (sc. der Frömmigkeit) darin beipflichten, daß es mit allen diesen Empfindungen nicht auf Handeln abgesehen ist, sie kommen für sich selbst und endigen in sich selbst als Funktionen Eures innersten und höchsten Lebens." 16 Ebd. 27. 17 Ebd. 138. 18 Ebd. 173. " Ebd. 13
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in der Dichtung vertreten worden ist. Bei Johann Wolfgang von Goethe läßt sie sich belegen. In der Zusammenstellung von Gedichten „Gott und Welt" findet sich im „Prooemion" eine Strophe, wo von einem „Universum" auch im „Inneren" die Rede ist, woran sich die scheinbar unzusammenhängende Aussage anschließt, daß nach löblichem Brauch das Beste „Gott", ja „sein Gott" genannt wird 20 . Mehr noch fällt die bekannte Szene im Faust (publiziert 1808) ins Gewicht, in der die ,Gretchen-Frage' „ . . . wie hast Du's mit der Religion?" gestellt wird; Faust kann darauf nur antworten, daß, ob „Glück, Herz, Liebe, Gott", kein Name ausreicht, und schließt: „Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch .. ."21 Auch hier erscheint alles, was der Mensch benennen kann, relativiert und letztlich belanglos gegenüber dem einen, nämlich der restlosen Erfüllung, für die kein Name reicht, aber auch keiner erforderlich ist. In unendlicher Erfüllung erscheint das Unendliche präsent. Die Fragen nach möglicherweise gemeinsamer Tradition, die Schleiermacher wie Goethe aufgenommen haben, und nach gegenseitiger Kenntnis müssen hier unberücksichtigt bleiben. Es genügen die Hinweise jedoch zur Bestätigung der These, daß um 1800 eine Konzeption von „Religion" vertreten worden ist, die sich als außerordentlich wirkungsvoll erwies. Denn sie blieb keineswegs auf einen christlichen Bereich beschränkt, sondern wirkte sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein gerade auch bei solchen Intellektuellen aus, die einer christlichen Tradition dezidiert nicht zugehören wollten. Zur Dokumentation der Verbreitung einer solchen Konzeption von „Religion" sollen vier Autoren ausgewählt werden. Ernst Troeltsch (1865 - 1923) charakterisiert die „Religion" als „flüssig und lebendig, jederzeit durch unmittelbare Berührung aus Gott schöpfend, höchst innerlich, persönlich, individuell und abrupt" 22 . Tomas Garrigue Masaryk (1850 - 1937) vergleicht die „Religion" mit dem unsichtbaren Duft der Blume: erst sie verleiht dem Menschen seinen eigentlichen Wert; wie der Blume den Duft, so dem Menschen das „religiöse Gefühl" zu nehmen, bedeutet eine gravie20
Johann Wolfgang von Goethe, Gott und Welt, Prooemion: „Im Innern ist ein Universum auch; Daher der Völker löblicher Gebrauch, Daß jeglicher das Beste, was er kennt, Er Gott, ja seinen Gott benennt, Ihm Himmel und Erden übergibt, Ihn fürchtet und womöglich liebt."
Dieselbe Strophe findet sich auch in der Zusammenstellung „Gott, Gemüt und Welt". 21 Johann Wolfgang von Goethe, Faust I, in: Marthens Garten, V. 3415 bzw. 3432-3458, bes. 3456f. Begonnen hatte die Antwort Fausts mit der Frage: „Wer darf ihn nennen? Und wer bekennen: Ich glaub' ihn?", nämlich den „Allumfasser" und „Allerhalter". 22 Ernst Troeltsch, Religion und Kirche (1895), in: ders., Gesammelte Schriften II, Aalen 2 1962, 148.
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rende Beeinträchtigung 23 . Besonders signifikant ist eine Mitteilung Sigmund Freuds über Romain Rolland (1866 - 1944), aus der Rollands Überzeugung von der „Religion" hervorgeht: sie sei „ein besonderes Gefühl", „ein Gefühl, wie von etwas Unbegrenztem, Schrankenlosem, gleichsam .Ozeanischem'", eine „rein subjektive Tatsache" 24 . Schließlich nimmt Albert Einstein (1866 - 1944) eine „kosmische Religiosität" an, und hält es für die „wichtigste Funktion der Kunst und der Wissenschaft", dies „Gefühl unter den Empfänglichen zu erwecken und lebendig zu erhalten" 25 . Aus diesen Belegen läßt sich ersehen, daß die zuvor skizzierte Konzeption von „Religion" nicht nur die evangelische Theologie und Philosophie bestimmt hat, was nicht verwundern kann; sie hat vielmehr weit darüber hinaus die intellektuelle Welt geprägt, was sich ebenso bei dem ursprünglich katholischen Philosophen und späteren Staatsmann Masaryk nachweisen läßt wie bei dem Schriftsteller Romain Rolland aus der Zeit, als er dem Marxismus zuneigte 26 , wie schließlich bei dem aus jüdischer Tradition stammenden Physiker. Für sie alle ist „Religion" nach diesen ihren Zeugnissen ganz offensichtlich eine Erfahrung gewesen, nämlich die Erfahrung eines Gefühls, das sie als „Religion" bezeichnen konnten. Es wird klassifiziert als „ozeanisch" oder „kosmisch", d. h. als auf das Universale gerichtetes und entsprechend selbst universales Gefühl, das höchst flüchtig, wie der Duft der Blume, und innerlich ist. Zu ihm gehört keine menschliche Institution, kein Lehrinhalt oder auch kein Gott 27 , und doch bedeutet es die letzte und höchste Auszeichnung des Menschen. Diese Bestimmung der „Religion" als Gefühl ist dann noch vorausgesetzt, wenn Sigmund Freud mit dem Hinweis, er könne dies „,ozeanische' Gefühl" nicht in sich entdecken 28 , die „Religion" überhaupt ablehnt. Die zweite Version dieser inneren bzw. innerlichen „Religion" ist in dezidierter Antithese zur ersten formuliert worden. Albrecht Ritsehl (1822 1889) hat entschieden vertreten, daß „eine blos psychologische Bestimmung der Religion, besonders die Verweisung der Religion in das Gefühl keine Lösung" ist29. 23 Tomas Garrigue Masaryk, Der Selbstmord als sociale Massenerscheinung der modernen Civilisation, Wien 1881, 84, zit. nach: Dorothea Neumärker, Josef L.Hromädka. Theologie und Politik im Kontext des Zeitgeschehens ( = Gesellschaft und Theologie, Systematische Beiträge 15), Mainz 1974, 262. 24 Berichtet von Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur (1930), in: ders., Gesammelte Werke XIV, Frankfurt 1968, 421 f. 25 Albert Einstein, Religion und Wissenschaft (1930), in: ders., Mein Weltbild ( = Ullstein Bücher 65), Berlin 1966, 16 f. 26 Brockhaus Enzyklopädie XVI, Wiesbaden l 7 1973, 55 s.v. Rolland, Romain. 27 A. Einstein, aaO. 28 S. Freud, aaO. 29 Albrecht Ritsehl, Das Wesen und die Hauptmerkmale der Religion: in: ders., Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung (1870-1874), III, Bonn 4 1895,
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Grundlegend für diese Kritik der „Religion" als „Gefühl" war jedoch Immanuel Kant. Nach seiner 1793 entfalteten Konzeption kann eben nicht „durch ein Gefühl das sichere Merkmal eines unmittelbaren göttlichen Einflusses gefolgert und ausgemittelt werden" 30 . Doch ist damit gerade bei Kant jene wesentliche Charakterisierung der „Religion" als „innerlich" nicht nur nicht aufgehoben, sondern umso entschiedener behauptet. Wie niemand sonst hat er darauf bestanden, daß die „Religion", „um allgemein zu sein, jederzeit auf bloße Vernunft gegründet sein" muß 31 . Diese „reine Vernunftreligion" 32 darf also auf nichts Äußerem gegründet sein, sie besteht als moralische „nicht in Satzungen und Observanzen, sondern in der Herzensgesinnung zu Beobachtung aller Menschenpflichten als göttlicher Gebote" 33 . Diese „eigentliche Religion" steht im Zentrum der Bemühungen Kants, sie bezeichnet er als „Vernunftbegriff a priori", „der nach Weglassung alles Empirischen übrig bleibt"34. Diese „ eine (wahre) Religion" ist im Gegensatz zu den „vielerlei Arten des Glaubens" eben „innerlich verborgen" 35 . Es besteht, wie diese kurzen Hinweise hinreichend zeigen, kein Zweifel daran, daß Kant unter „Religion", die wirklich diesen Namen verdient, nur die „Vernunftreligion" versteht, die als auf Vernunft gegründete frei sein muß von aller Empirie, da sie nur so allgemein und notwendig sein kann. Diese „Vernunftreligion" (im Gegensatz zur geschichtlich bzw. kirchlich vermittelten „statutarischen Religion" 36 ) kommt nach Kant durch die Moral als eine allgemeine, notwendige (statt einer empirisch vermittelten) in den Blick37. Sie ist innerlich als die „in aller Menschen Herz geschriebene Religion" 38 . Also auch, wenn ausdrücklich das „Gefühl" als Instanz der „Religion" oder als diese selbst zurückgewiesen wird, findet sich die Bestimmung der „Religion" als innerer bzw. innerlicher und nur so allgemeiner, die allen Menschen eigen ist39. Selbst wenn dieses „innerlich" nichts mit demjenigen 185-193, zit. nach: Religion. Ein Jahrhundert theologischer, philosophischer, soziologischer und psychologischer Interpretationsansätze, hg. von Christoph Elsas ( = Theologische Bücherei 56), München 1975, 85-93, 88. 30 Immanuel Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, B 165/A 156; VI 114. - Hier wie im folgenden wird Kant zitiert nach der Erst(A)- und der Zweitausgabe(B) und nach einem Semikolon nach: Kant's gesammelte Schriften, hg. von der Königlich-Preußischen (später der Deutschen) Akademie der Wissenschaften, Berlin 1910 ff. 31 Ebd. B 163/A 154; 112. 32 So in der Vorrede zur zweiten Auflage, ebd. 12. 33 B 116/A 107; 84. 34 Vorrede zur zweiten Auflage, aaO. 35 Ebd. B 154/A 146; 107 u. 108. 36 Ebd. B 255/A 240; 167. 37 BA IX f; 6. 38 B 239/A 225; 159. 39 Auf die Konzeption Georg Wilhelm Friedrich Hegels soll hier nicht eingegangen wer-
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Schleiermachers oder Goethes zu tun hat, sondern entsprechend „in mir" ist wie das Sittengesetz oder die Kategorien, so dürften in der Rezeption die Konzepte Kants und Schleiermachers gemeinsam wirksam geworden sein f ü r die Charakterisierung der „Religion" als „innere" bzw. „innerliche". Höchst aufschlußreich ist, daß schließlich die Konzeption Kants von derjenigen Schleiermachers aufgesogen worden ist: Gerade im Neukantianismus Paul Natorps findet sich jene Bestimmung der „Religion" als „Gefühl", gegen die sich Kant gewandt hat, um von ihr her die sittliche Komponente der „Religion" ganz im Sinne Kants herauszustellen 40 . Zweifellos gilt diese „innere Religion" als die wesentliche. Denn schwerlich läßt sich, wie dies häufig f ü r die römische „religio" angenommen wird, ein rein äußerer Vollzug f ü r hinreichend erachten. U n d auch eine noch nicht ausdifferenzierte Einheit von Innen und Außen, wie sie bis heute im Islam der Fall sein dürfte, oder eine konstitutive Bedeutung äußerer Gestalt f ü r den inneren Vollzug, wie sie im katholischen Bereich, aber nicht selten auch in der historisch orientierten Religionswissenschaft angenommen wird 41 , erscheint vielfach der eigentlichen, weil „inneren Religion" als unangemessen. Diese gibt es in den beiden Versionen als ausschließlich auf die Vernunft gegründete (Kant) oder als Gefühl definierte „Religion" (Schleiermacher), wobei auf die Dauer jene dominierte, die bei Anerkennung rationaler Momente eine wesentlich irrationale Komponente der Gottesidee annahm (Otto). Diese „Religion" speziell als „innere Religion" gilt verbreitet als anthropologische Gegebenheit: sie ist nach diesem Konzept allen Menschen eigen. Der Nachweis einzelner unreligiöser Menschen vermag diese Annahme ebensowenig zu erschüttern, wie der Tatbestand, daß einzelne Menschen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht zum Gebrauch der Vern u n f t gelangen, die grundsätzliche Annahme einer Geistbegabung des Menschen zu erschüttern vermag. Zwar ist die „religiöse Dimension" des Menschen nicht f ü r alle in gleicher Weise gegeben, nicht allen Menschen den, weil sie im allgemeinen wissenschaftlichen Bewußtsein nicht hinlänglich repräsentativ aufgenommen worden ist. Dabei wäre es wohl sehr lehrreich, Hegels Entwurf eines umfassenden Begriffs von „Religion", der alle Einseitigkeiten zu meiden sucht, indem er die in der Geistesgeschichte auftauchenden Beiträge zum Thema „Religion" in ihren systematischen, d.h. sachlichen Zusammenhang zu integrieren bestrebt ist, als Korrektiv zur dominant gewordenen Konzeption von „Religion" einzubringen. Da es in dieser Vorbemerkung lediglich um die skizzenhafte Vergegenwärtigung dieser dominanten Konzeption geht, kann auch dieser Kontrast nicht im einzelnen sichtbar gemacht werden. 40 Paul Natorp, Religion innerhalb der Grenzen der Humanität, zit. nach: Religion, hg. von Chr. Elsas, aaO. 116-129. 41 Vgl. hierzu die Bemerkungen von Sigmund Mowinckel, Religion und Kultus, in: ebd. 307-311; vgl. auch die ausführlichen und instruktiven Überlegungen von Christoph Elsas, Problemgeschichtliche Einleitung, ebd. bes. 68 ff mit Hinweis u. a. auf James G. Frazer, ebd. 26 mit Hinweis auf Marcel Mauss u. a.
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eignet eine „Virtuosenreligiosität"42, doch wird mindestens bislang in bemerkenswertem Umfang „Religion" als zum Menschsein des Menschen gehörig erachtet. Besonders herausgearbeitet ist diese Annahme einer „religiösen Dimension" des Menschen in der Formulierung eines „religiösen Apriori"43. Abschließend ist auf einige offene Fragen dieses neuzeitlichen Konzepts von „Religion" hinzuweisen: Die erste und wohl wichtigste Frage lautet, ob die Annahme einer „Religion" bzw. einer „religiösen Dimension" des Menschen auch die Annahme einer Gottesvorstellung oder - neutraler formuliert - einer Transzendenz einschließt. Bekanntlich wird diese Annahme zwar überwiegend als unverzichtbar angesehen, doch hat sie auch dezidierte Ablehnung erfahren 44 . Die Frage, ob man auch ohne die Annahme einer Transzendenz sinnvoll von „Religion" sprechen könne, wird nicht einmal deswegen offengelassen, um auch dort diesen Terminus verwenden zu können, wo diese Annahme umstritten ist, sondern aus einer anthropologischen Konzeption heraus, derzufolge der Mensch sich und seine Welt prinzipiell nicht transzendieren kann; diese Konzeption findet freilich nur wenige Anhänger, wobei diese sich nicht zwangsläufig nur auf Kant berufen 45 . Mehrheitlich wird jedoch die Annahme einer Transzendenz als Implikation von „Religion" angesehen.
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Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, hg. von Johannes Winckelmann, Studienausgabe, Tübingen 5 1980, z.B. 342. 4J Vgl. den Hinweis auf Ernst Troeltsch bei Chr. Elsas, aaO. 29, sowie den Text von Rudolf Otto, Die Frage nach einem religiösen Prinzip a priori, in: ebd. 130-135. - Hinzuweisen wäre auf die damit nicht identische Konzeption von Johann Gottfried von H e r d e r (1744-1803), die die „Religion" als anthropologisches Konstituens ansetzt; zu der sich auf H e r d e r beziehenden „philosophischen Anthropologie" im 20.Jh. vgl. W o l f h a r t Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, Göttingen 1983. 44 Vgl. bes. Paul Natorp, Religion innerhalb der Grenzen der Humanität, zit. bei Chr. Elsas, aaO. bes. 118, 125. 45 D a ß diese Annahme nicht zwingend aus Kant folgt, zeigt die Formulierung von Wilhelm Windelband, „Religion ist transzendentes Leben", mitgeteilt bei Chr. Elsas, aaO. 19. Vgl. auch die im Anschluß an R. O t t o übernommene Position von Joachim Wach, mitgeteilt bei Chr. Elsas, ebd. 51. Von anderen Voraussetzungen her formuliert W o l f h a r t Pannenberg, Anthropologie in theologischer Perspektive, 70: „ D a ß die Frage nach Gott zum Menschsein des Menschen gehört, das besagt noch nicht, daß ein Gott existiert und welcher Gott das ist. N u r als Problem ist die Gottesfrage dem Menschsein des Menschen unveräußerlich. In diesem Sinne ist der Mensch in der Tat, wie schon Cicero gesagt hat, von N a t u r aus religiös. Die Unveräußerlichkeit der Gottesfrage als Problem bedeutet allerdings, daß es sich hier nicht um ein T h e m a handelt, von dem man sich ebensogut distanzieren, das man auf sich beruhen lassen kann, ohne solche Distanzierung mit einer Einbuße an O f f e n h e i t f ü r die eigene Wirklichkeit bezahlen zu müssen." Somit unterscheidet Pannenberg in entsprechender Weise zwischen der zum Menschen gehörenden Gottesfrage und der Annahme, daß es irgendeinen Gott oder Götter tatsächlich gibt. Eine nähere Begründung f ü r diese Disjunktion gibt Pannenberg hier nicht.
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Gleichfalls nicht uneingeschränkt, aber überwiegend positiv wird die Frage beantwortet, ob den so vielfältigen Phänomenen und d. h. der Vielzahl in sich z. T. sehr unterschiedlicher „Religionen" eine Einheit zugrunde liegt oder nicht. Wird eine solche letztlich eine „Religion" angenommen 4 6 , so braucht sie sich in den verschiedenen Manifestationen nicht gleichrangig und gleichwertig zu realisieren. Sie würde die Heraushebung der sog. „Hochreligionen" nicht unmöglich machen; doch auch noch so unzureichende „Naturreligionen" partizipieren dieser Konzeption zufolge letztlich an der einen „Religion", wenn sie überhaupt als „Religionen" benannt werden können. Demgegenüber wurde aufgrund religionsgeschichtlicher Erkenntnisse unter Verweis auf Ernst Troeltsch und Rudolf O t t o die These formuliert, daß „es außerhalb des modernen Abendlandes religiöse Erscheinungen gibt, die im Vergleich mit unserem eigenen Erleben absolut inkommensurabel sind" 47 . In die gleiche Richtung dürfte die Feststellung von Hendrik Kraemer weisen, die „Religionen" seien eben „nicht reduzierbar aufeinander oder auf einen Generalnenner, der ihren innersten Kern darstellt" 48 . Aufgrund so gearteter Bewertung religionswissenschaftlicher Analysen kann es nicht verwundern, wenn gegen eine beträchtliche Anzahl von Forschern die Universalität der „Religion" eben doch von manchen in Frage gestellt wird 49 . Zuletzt ist auf die Frage hinzuweisen, welche Bedeutung von „Religion" eigentlich jene Wissenschaften voraussetzen, die diesen Terminus in ihrem Namen verwenden. Es scheint nicht schwer zu sein, hierauf hinsichtlich jener „Religionswissenschaft" und speziell der mit ihr zusammenhängenden „Religionsgeschichte" und „Religionsphänomenologie" eine Antwort zu geben, die sich als Teil oder vielleicht auch als Kern der Kulturanthropologie begreifen. Sie scheinen recht unbelastet von theoretischen Fragen empirische Forschungen zu betreiben. Aber was ist diese „Religion", die sie untersuchen, und woher nehmen sie die Sicherheit, daß es sich bei den untersuchten Phänomenen, etwa bei Bestattungsriten, um „religiöse" Vollzüge handelt? Immerhin erscheint durchweg in der Präambel solcher Wissenschaften eine neuzeitliche und damit überdies eurozentrische Definition von „Religion". Somit implizieren auch sie das Dilemma von äußerer 46
Vgl. den Hinweis auf Gustav Mensching bei Chr. Elsas, aaO. 68 f. So Chr. Elsas, ebd. 43. 48 Mitgeteilt ebd. 54. 49 So gegen Autoren wie P. H.Vrijhof, M.E.Spiro, oder P.L.Berger die Position von W. Cohn, auf die Chr. Elsas, ebd. 63, hinweist. Auch die Problematik einer Geschichte der Relig i o n e n ) , die weder die Vielfalt der Formen zur Kenntnis nehmen, noch darin die Einheit der Sache zu suchen vergißt, wurde in exemplarischer Weise von Hegel angegangen. Aber gerade die Komplexität des hegelschen Unternehmens stand seiner allgemeineren Rezeption im Wege. Deswegen muß in unserem jetzigen Zusammenhang eine nähere Berücksichtigung Hegels auch unter diesem Gesichtspunkt unterbleiben. 47
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und innerer „Religion" und damit doch auch die Frage, ob und ggf. in welchem Maße sich letztere in ersterer überhaupt manifestieren oder gar realisieren kann. Daß diese Wissenschaften ziemlich ungeniert und ohne weitere Problematisierung von einem äußeren Verständnis von „Religion" ausgehen, zeigt sich nicht zuletzt in ihrer Schematisierung der „Religionen", in ihrer Unterscheidung von „Hochreligionen" und, wie man bemerkenswerterweise sagte, „primitiven Religionen", die heute wohl eher „Naturreligionen" genannt werden. Gerade die „Naturreligionen" dürften Ausdruck einer z. T. höchst differenzierten .Kultur' sein. In welchem Maße es hier Komplikationen gibt, wird daraus ersichtlich, daß andere Disziplinen wie die „Religionspsychologie" und „Religionspädagogik" die Frage nicht mehr umgehen können, ob sie es bei einer äußeren „Religion" bewenden lassen können oder ob sie gerade an der inneren interessiert sein müssen, wobei aber die ungleich gravierendere Frage ist, ob sich eben diese innere „Religion" psychologisch überhaupt erfassen und pädagogisch weitergeben läßt, wodurch ja ihre reine Innerlichkeit schon nicht mehr gegeben ist. Beide Disziplinen verlören dann noch nicht ihren Gegenstand, wenn zwar „Religion" selbst rein innerlich wäre, aber empirisch faßbare Folgen hätte, und sie trotz ihrer Beschränkung auf das Innen dennoch von außen psychologisch ermittelt und pädagogisch vermittelt werden könnte. Es braucht hier nicht erörtert zu werden, ob solch eine Konzeption überhaupt sinnvoll ist. Es genügt der Hinweis auf die Schwierigkeiten solcher Disziplinen mit ihrem Begriff von „Religion". So kann es nicht verwundern, daß aus dem Bereich der „Religionspädagogik" der Vorschlag gemacht worden ist, auf eine Definition von „Religion" überhaupt zu verzichten, es genüge eine „Formaldefinition", um ihren Aufgaben gerecht zu werden 50 . Die entsprechende Problematik dürfte bei jener „Religionssoziologie" auftreten, die „Religion" nicht einfach als soziales und d. h. empirisch faßbares Phänomen, sondern wesentlich nach ihrer Funktion für den Menschen definiert 51 . Als Funktion der „Religion" wird angenommen, daß angesichts der Komplexität der Wirklichkeit, die die Möglichkeit menschlicher Bewältigung überschreitet, Unbestimmbares in Bestimmtes oder doch Bestimmbares transformiert, daß Unfaßliches faßbar gemacht wird 52 . „Religion" dient somit der Sinnfindung oder Sinngebung. Ihre Funktion ist die Bereitstellung letzter, grundlegender Reduktionen der Umwelt des 50 Karl Ernst Nipkow, Grundfragen der Religionspädagogik I ( = Gütersloher TB 105), Gütersloh 1975, 129-168. 51 Thomas Luckmann, Religion in der modernen Gesellschaft, in: Religion im Umbruch. Soziologische Beiträge zur Situation von Religion und Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft, hg. von Jakobus Wössner, Stuttgart 1972, 3-15,5. Vgl. bes. auch Niklas Luhmann, Funktion der Religion ( = Suhrkamp Theorie), Frankfurt 1977, 48 u.ö. 52 N. Luhmann, ebd. 33 bzw. 38.
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Menschen. So ist „Religion" ein Teilsystem (neben Wirtschaft, Politik, Kunst), doch verliert sie dadurch nicht ihre Funktion für den Bezug zur Umwelt eines Gesellschaftssystems im ganzen 53 . Hiermit ist ein merkwürdiger Tatbestand angezeigt, der aber unreflektiert bleibt, daß nämlich „Religion" zugleich partialisiert erscheint und doch eine universale Funktion zugesprochen erhält: die nicht auf einen Bereich beschränkte Reduktion von Komplexität der Umwelt. Ob und ggf. in welcher Relation manifeste Vollzüge von „Religion" oder aber die innere „Religion" zu dieser ihrer Funktion stehen, bleibt außer Betracht. Als Ergebnis läßt sich - ungeachtet der eben genannten offenen Fragen - folgendes zusammenfassen: Der Terminus „Religion" dient neuzeitlich als Oberbegriff, und zwar zunächst in dem Sinn, daß er alle Vorstellungen, Einstellungen und Handlungen gegenüber jener Wirklichkeit bezeichnet, die Menschen als Mächte oder Macht, als Geister oder auch Dämonen, als Götter oder Gott, als das Heilige oder Absolute oder schließlich auch nur als Transzendenz annehmen und benennen. Diese Wirklichkeit ist für den Menschen von höchstem Belang, ihr gilt Respekt und meistens Verehrung. „Religion" bezeichnet also nicht eine ganz bestimmte, konkrete Einstellung oder Handlung; der Terminus steht nicht auf einer Ebene neben anderen wie „Frömmigkeit", „Ehr-" bzw. „Gottesfurcht" oder „Verehrung" als bestimmte Handlungsweise; er meint auch nicht etwa eine Tugend, die das Verhalten des Menschen gegenüber dieser absoluten Wirklichkeit zusammenfaßt, die auf der gleichen Ebene mit anderen Tugenden des Menschen etwa hinsichtlich seines Verhaltens dem Mitmenschen gegenüber steht, d. h. „Religion" ist keine Tugend wie „Mitleid", wobei erstere eben Gott gegenüber, letztere dem Mitmenschen gegenüber zu üben wäre. „Religion" bezeichnet unserem Sprachgebrauch zufolge vielmehr die Summe alles dessen, was in einer bestimmten Ausprägung gegenüber der dem Menschen qualitativ überlegenen Wirklichkeit von ihm angenommen und ggf. auch getan wird. Diese Konzeption der „Religion" wird auch seitens der Religionskritik aufrechterhalten, wobei für sie die überlegene Wirklichkeit nur eine vermeintliche, nämlich eine Illusion ist, die aufgegeben werden muß, um den Menschen zu seinem wahren Glück gelangen zu lassen. „Religion" ist hiernach als Oberbegriff zugleich ein Sammelbegriff für verschiedene einzeln benennbare Vorstellungen, Erfahrungen bzw. Empfindungen und meistens auch Handlungen. Sie läßt sich zunächst jeweils bei einem einzelnen Stamm oder Volk finden; stamm- oder völkerübergreifend dürfte eine bestimmte „Religion" wohl erst auf der Stufe der sog. „Kulturrelgionen" zu finden sein. Das hindert nicht daran, daß sich verschiedene „Stammesreligionen" jeweils in Gruppen zusammenfassen lassen, wie sich einzelne Dialekte auch zunächst zu Sprachgruppen oder 53
Ebd. 50 f.
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-familien zusammenfassen lassen. Folglich lassen sich jeweils einzelne „Religionen" zu verschiedenen Typen klassifizieren, wobei sich als Großgruppen „Naturreligionen" und „Kulturreligionen" (so wohl in Ablösung der auch heute noch verbreiteten Klassifizierung in „primitive Religionen" und „Hochreligionen") im Sinne von „Religionen" der Natur- bzw. Kulturvölker ergeben. „Religion" dient somit als Oberbegriff nicht nur zur Bezeichnung aller Einstellungen und Riten einer bestimmten „Religion", sondern auch zur Bezeichnung aller möglicher Arten von „Religion", angefangen von „magischen Religionen" bis hin zur christlichen „Offenbarungsreligion". Damit wird - nach den Regeln der Logik - der Begriff „Religion" umso inhaltsärmer, je umfassender er gebraucht wird. Daß der Begriff „Religion" aber auch im generellsten Gebrauch nicht als inhaltsarm erscheint, ist dadurch bedingt, daß er zugleich als besondere Auszeichnung des Menschen dessen Hinordnung oder Verbindung zu jener ihm überlegenen Wirklichkeit bezeichnet, die für den Menschen höchst bedeutsam scheint. In diesem Sinn wird immer wieder auf die „Religion" als qualitatives Unterscheidungsmerkmal des Menschen zum Tier hingewiesen. Denn es gibt beim Tier vielfach akustische Verständigung und also so etwas wie Sprache und darüber hinaus Lernen und Wiedererkennen und d. h. nicht einfach naturgegebenes sinnvolles Verhalten und somit in einem freilich sehr eingeschränkten Sinne so etwas wie Verstand, wenn auch noch nicht Vernunft; doch gibt es bei ihm kein noch so rudimentäres Verhalten, das „Religion" genannt werden könnte. Wo immer „Religion" nicht geleugnet bzw. etwa als Illusion abgelehnt wird, gilt sie als Auszeichnung. Und auch wenn sie überwindbar erscheint oder als zu überwinden gilt, findet sie sich in einem Entwicklungsschema immerhin noch als bedeutsames Stadium, so etwa als Durchgangsstadium auf dem Weg von der Magie zur Wissenschaft (J. G. Frazer) oder als Anfangsstadium, das über die Metaphysik zur Wissenschaft weitergeführt worden ist ( A. Comte). Wo immer also von „Religion" und „Religionen" die Rede ist, selbst im generellsten und damit abstraktesten Gebrauch, macht sich diese für den einzelnen Menschen höchst belangreiche Bedeutung von „Religion" bemerkbar. Es wiederholt sich somit hier jenes in der Logik bereits befremdliche Phänomen, daß beim Voranschreiten vom Konkreten zum Allgemeinen die Begriffe immer umfassender und somit jeweils leerer gebraucht werden, schließlich aber beim Voranschreiten vom Begriff des Seienden zum Begriff des Seins ein qualitativer Umschlag erfolgt; so schlägt der immer umfassendere und somit immer inhaltsleerere Allgemeinbegriff „Religion" um in einen Begriff, der eine Wirklichkeit bezeichnet, die für jeden einzelnen als absolut bedeutsam angenommen wird. Die vorliegende Arbeit geht von der eingangs schon einmal genannten Voraussetzung aus, daß der hiermit umrissene Sprachgebrauch nicht als
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selbstverständlich und von Anfang an gegeben vorausgesetzt werden darf, daß er vielmehr überprüft werden muß. Zu einer solchen Überprüfung ist es erforderlich und bedarf es beträchtlicher Einübung, die zuvor skizzierte Fassung des Begriffs von „Religion" soweit als möglich außer Betracht zu lassen bzw. damit zu rechnen, daß sie immer wieder bei uns (auch emotional) durchschlägt; es gilt zu üben, hiervon zu abstrahieren. Es darf angenommen werden, daß dieser Terminus wie andere Termini jeder Sprache auch zunächst konkrete Bedeutung zur Bezeichnung einer bestimmten Einstellung, Haltung oder Handlung hatte. Es ist also davon auszugehen, daß „religio" möglicherweise auf einer Stufe mit anderen Bezeichnungen wie „pietas" gestanden hat, daß dann „religiones" die Mehrzahl einer solchen konkreten Haltung oder Handlung bedeutet hat, ohne daß „religio" normalerweise auch als Sammelbezeichnung gedient hat. Es könnte sein, daß dieser Terminus zwar verschiedentlich als kollektiver Singular gebraucht ist, aber noch keine exklusive Stellung erreicht hat, daß also auch andere kollektive Singulare in Frage kamen, etwa „pietas" oder auch „cultus". Es ist also zu überprüfen und keinesfalls vorauszusetzen, daß „religio" schon von Anfang an auf einer gewissen Abstraktionsstufe als Oberbegriff gedient hat. O b dieser Terminus zugleich als Oberbegriff zur Bezeichnung entsprechender Phänomene bei verschiedenen Völkern gedient hat, so daß die „religio" eines Volkes und die eines anderen zusammen als „religiones" hätten bezeichnet werden können, ist gleichfalls nicht vorauszusetzen, sondern zu überprüfen.
1 Zum antiken Sprachgebrauch hinsichtlich menschlichen Verhaltens zu den Göttern Die ersten Christen lebten in der hellenistisch-römischen Welt und teilten mit ihr Sprachen und Vorstellungen, soweit ihr Glaube sie nicht von ihrer Umwelt unterschied bzw. trennte. Auch von denen, die literarisch hervorgetreten sind, hatten viele aus eigener Erfahrung noch die Göttervorstellungen dieser Welt kennengelernt, ehe sie zum christlichen Glauben kamen. Sie wußten, wie man sich in ihrer Umwelt den Göttern gegenüber verhielt und wie man diese Verhaltensweisen benannte. Einstellungen, Vorstellungen und Sprachgebrauch waren ihnen so selbstverständlich, daß sich eine genauere Erörterung erübrigte. Dies gilt uneingeschränkt auch für die „religio". Sucht man die Geschichte des christlichen Sprachgebrauchs von „religio" zu erarbeiten, empfiehlt es sich, zuvor die Bedeutung dieses Terminus bei den Römern zu erörtern und, da der christliche Glaube noch in der ersten und maßgeblichen Generation in griechischer Sprache formuliert worden ist, nach den Parallelen bzw. Divergenzen beider Sprachen hinsichtlich der einschlägigen Termini zu fragen. Da es uns jedoch um den christlichen Sprachgebrauch geht, müssen für den antiken Bereich kurze Hinweise genügen. Diese setzen bei der Forschungsliteratur zur „griechischen" und „römischen Religion" ein. Dieser Ansatz legt sich auch deswegen nahe, weil diese Literatur mit uneingeschränkter Selbstverständlichkeit jeweils von „Religion" spricht. Es ist zu prüfen, ob und ggf. in welchem Maß und Sinn dieser Sprachgebrauch griechischem und römischem Selbstverständnis entspricht.
1.1 Zur Terminologie der Griechen, „die Götter zu ehren " Anläßlich einer Untersuchung zum Terminus „religio" ist eine Rückfrage an die Möglichkeiten griechischer Sprache höchst instruktiv. Denn diese hat, wie noch genauer zu zeigen ist, keinen Terminus, der dem lateinischen „religio" unmittelbar entspricht. Somit kann sie als ein vorzügliches Beispiel dafür dienen, wie eine Sprache und die ihr korrespondierende Sicht der Welt und der Götter aussieht, die diesen Terminus nicht hat, gleichwohl aber von Göttern bzw. einem Göttlichen spricht. Zugleich zwingt sie uns, unsere Vorstellungen und Sprachmöglichkeiten hinter uns
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zu lassen und uns auf einen anderen Sprachgebrauch einzulassen, der uns nur dann nicht überrascht und befremdet, wenn wir unsere Vorstellungen und Ausdrucksweisen allzu selbstverständlich auf die Griechen anwenden. Wie verbreitet solche Eintragungen vorgenommen werden, zeigt schon ein flüchtiger Blick in die einschlägige Literatur. Denn sie verwendet durchgängig die Bezeichnung „griechische Religion", und zwar in einer Selbstverständlichkeit, die überraschen muß, wenn sie einmal in Frage gestellt ist. So gibt Martin P. Nilsson in seiner groß angelegten und noch keineswegs entbehrlichen „Geschichte der griechischen Religion" 1 keine Begründung dafür, daß er diesen Titel wählt und daß er für die Griechen von „Religion" spricht; Fragen der sprachlichen Möglichkeiten für die Benennung von Einstellungen und Verhaltensweisen den Göttern gegenüber erfordern keinen eigenen Abschnitt. Wohl gibt es einen solchen über „5ai|ACOv"2, aber im Register sind die wichtigsten einschlägigen Termini nicht verzeichnet 3 . Auch andere Autoren mit folgenreichen Büchern zum Thema wie Walter Friedrich Otto oder Werner Jaeger sehen kein Problem in der Verwendung des Terminus „Religion" für die Griechen 4 . Die meisten einschlägigen Arbeiten führen denn auch diesen Terminus im Titel 5 . Wird demgegenüber jedoch einmal nicht „Religion", sondern „Glaube" im Titel einer thematischen Arbeit verwandt, sollte man annehmen, daß es sich hier um eine bedachte Änderung eines gängigen Sprachgebrauchs handelt. Sieht man sich jedoch die eingehende Darstellung von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff an, wird man enttäuscht. Er begründet nämlich 1 Martin P. Nilsson, Geschichte der griechischen Religion ( = Handbuch der Altertumswissenschaft V 2,1) (1941), München 3 1967; „Religion" ist hier die dominante Bezeichnung; ein besonderes Verhältnis zwischen „Religion" und „ G l a u b e n " wird nicht reflektiert, vgl. ebd. 2: „Es gibt einen Glauben wie in allen Religionen, es gibt Glaubenssätze. Diejenigen Glaubenssätze aber, die in der T i e f e grundlegend sind, bleiben meist unausgesprochen; aus ihnen entsprießen freilich die religiösen Handlungen, und sehr o f t kann man aus ihnen allein Glaubenssätze entnehmen . . . J e d e r Glaube kann sich wandeln, bei der Eigenart der griechischen Religion geht jedoch der Wandel für gewöhnlich unmerklich vor sich, und zwar o f t so, daß die A u f f a s s u n g der Götter und der religiösen Handlungen sich allmählich verschiebt. Somit kann die Geschichte der griechischen Religion nicht so geschrieben werden wie die einer geoffenbarten Religion."
Ebd. 216-222. Es fehlen „Saijjxov" und „ÖEOI;" ebenso wie „eüXaßeia" oder „EÜaeßeia". - Die gesamte Terminologie ist nirgends ausführlicher dargelegt; es finden sich lediglich sachliche Überlegungen zur „5eioi5ai|iovia", vgl. 796 ff. 4 Walter Friedrich Otto, Die Götter Griechenlands, Bonn 1929; Werner Jaeger, Die Theologie der frühen griechischen Denker, Stuttgart 1953, bes. 196-216: Die Theorien über Wesen und Ursprung der Religion. 5 Vgl. dazu Walter Burkert, Griechische Religion der archaischen und klassischen Epoche ( = Die Religionen der Menschheit 15), Stuttgart 1977, mit seinem aufschlußreichen Literaturhinweis 21, Anm. 1. 2 J
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nicht, warum er für dieses Buch den Titel „ D e r Glaube der Hellenen" gewählt hat. Stattdessen weist er nachdrücklich darauf hin, daß seiner Meinung nach auf den Terminus „Religion" nicht verzichtet werden kann: „Alle m o d e r n e n Sprachen sind genötigt, d a s f r e m d e W o r t zu g e b r a u c h e n ; die Griechen müßten es heute eigentlich auch tun." 6
M i t dieser Feststellung versperrt sich jedoch Wilamowitz den Z u g a n g zu genuin griechischen Sprachmöglichkeiten. Völlig unbewußt ist ihm, in welchem M a ß e er von einem neuzeitlichen Verständnis geleitet wird. Dies zeigt sich schon darin, daß er das auch von uns zur Erläuterung dieses neuzeitlichen Verständnisses genannte Zitat von Schiller bringt, „eben aus Religion sich zu keiner der bestehenden Religionen zu bekennen", von dem her auch seine Darstellung bestimmt ist. Als Religion gilt einmal „der ganz persönliche Glaube (sie!) an das, was auf metaphysischem und moralischem Gebiet dem einzelnen als heilige Wahrheit gilt und sein Handeln bestimmt oder doch nach seinem eigenen G e f ü h l e bestimmen soll", und zum anderen „die Religion der Gemeinschaft mit ihrem Kultus und der Bindung ihrer Mitglieder". Es besteht demnach bei Wilamowitz eigentlich kein Unterschied zwischen „Religion" und „ G l a u b e " . „Religion" erscheint lediglich umfassender und grundlegender gebraucht. D a s zeigt sich darin, daß sie, die „ g a n z persönlich" ist 7 , auch dann noch besteht, wenn das Göttliche gar nicht mehr personal gefaßt wird; denn von ihr kann die Rede sein, „wo immer der Mensch sich einer Idee, einer Sache opfert, weil sie ihm heilig ist" 8 . Für Wilamowitz selbst ist es unerläßlich, „den Glauben an die alten Götter in seinem Herzen nachzuschaffen", „warm . . . für die großen Götter empfinden" zu können und „aus diesem herzlichen Gefühle heraus" seine Untersuchungen zu schreiben 9 . Eindeutiger als mit diesen Worten hätte die eingangs skizzierte Darstellung eines neuzeitlichen Verständnisses von „Religion" nicht bestätigt werden können, das doch ohne Rückgriff auf Wilamowitz entworfen worden ist. Er hält es für so selbstverständlich, daß er über die Möglichkeit, dieses Verständnis auf die Griechen anzuwenden, kein Wort verliert. Denn „wir können das Wort Religion nicht entbehren, wenn wir den Glauben irgendeines Volkes behandeln, also auch den griechischen" 1 0 . Diese Aussage steht in merkwürdigem Gegensatz zu dem folgenden Hinweis, daß es im Griechischen kein Wort f ü r „Religion" gibt. M a n wird 6 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Der Glaube der Hellenen, I (1931), Basel 3 1959, 12. - Die folgenden Zitate im Text ebd. 12 f. 7 Ebd. 14. 8 Ebd. 12 f. ' Ebd. 9. Ebd. 5 spricht er davon, daß „wir auch fähig sind, der alten echten Religion nachzuempfinden". Zur Bedeutung des Gefühls vgl. ebd. 11. 1 0 Ebd. 14 f.
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nicht annehmen können, daß dieses Fehlen nur an einer sprachlichen Unfähigkeit der Griechen liegt. Die Eintragung dieses Terminus in griechische Vorstellungsmöglichkeiten hindert Wilamowitz daran, in gebührendem Maße die Andersartigkeit und Fremdartigkeit griechischen Sprechens hinsichtlich unseres Themas deutlich zu machen. Zur Uberprüfung dieses Sprachgebrauchs wenden wir uns nun den Möglichkeiten der griechischen Sprache zu, um die Vorstellungen, Einstellungen und Verhaltensweisen den Göttern bzw. dem Göttlichen gegenüber zu erfassen. Zunächst muß darauf hingewiesen werden, daß es noch keine Unterscheidung oder gar Trennung gab zwischen dem, was wir mit Verstand, Vernunft, Geist an Wirklichkeit der Welt aufnehmen und was wir an Göttern oder Göttlichem annehmen - von „glauben" („mateoeiv") kann man in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Sehr wohl ging es jedoch von den Vorsokratikern, besonders von Xenophanes an um die Kritik unzureichender Göttervorstellungen, und bereits bei Heraklit läßt sich analoges Sprechen von Zeus nachweisen als ein Exempel für die Grenzen menschlichen Sprechens vom Göttlichen 11 . Aber es erfolgte weder eine Ausdifferenzierung der Theologie noch eine Herauslösung des Göttlichen, des Umgangs mit den Göttern aus dem gesamten Lebensbereich und konsequent dazu auch keine Formulierung eines Terminus, der diesen Bereich bezeichnet hätte. Es gab also keinen Oberbegriff für alles, was mit den Göttern zu tun hat, ob es sich um Vorstellungen oder um die ihnen zugehörige Praxis handelt. Diese Funktion, die bei uns meist der Terminus „Christliche Religion" oder „Christlicher Glaube" übernimmt, war nicht besetzt, ohne daß dies als Mangel, als Leerstelle interpretiert werden darf. Es gab eben keinen Bedarf und keinen Anlaß zu einer Abstrahierung bzw. Generalisierung eines Wortes als Sammelbezeichnung und Oberbegriff eines Bereichs, der unter dem Aspekt dieser übergeordneten Bezeichnung zusammengefaßt werden konnte. Die Griechen hatten keine Möglichkeit, brauchten sie aber offensichtlich auch nicht, die unübersehbare Vielfalt von Göttervorstellungen und -mythen sowie die korrespondierenden Vollzüge wie Gebete, Orakel, feierliche Umzüge, Feste und schließlich und nicht zuletzt Opfer mit einem einzigen Wort zu bezeichnen und damit von allen anderen Vorstellungen und Handlungen des Lebens abzugrenzen. Ihre Welterfahrung scheint in jener Aussage wiedergegeben zu sein, die Aristoteles von Thaies berichtet, alles sei voll von Göttern 12 . Die noch bestehende Einheit von Weltlichem und Göttlichem vor einer Trennung von Immanenz und Transzendenz ist für uns kaum vorstellbar. Sie
11 Vgl. die diese Analogie zum Ausdruck bringende paradoxe Formulierung bei Heraklit 22 B32 bei Hermann Diels u. Walther Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, I, Berlin 1956. 12 Thaies I I A 22f Diels-Kranz.
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ist auch noch einmal etwas völlig anderes als eine nachchristliche Eliminierung von Göttlichem, von Transzendenz, wie sie die „Religionskritik" bes. seit dem 19. Jh. vertritt. Eben diese Einheit von Göttlichem und Weltlichem erfordert keinen generalisierten Terminus, wie wir ihn auch f ü r die Griechen verwenden. Diese Aussage findet ihre Bestätigung darin, daß der Terminus „Griechische Religion" ins Griechische nicht übersetzbar ist. Achten wir auf den Sprachgebrauch zur Bezeichnung sowohl f ü r Götter und ihnen übereignete Dinge als auch f ü r Verhaltensweisen ihnen gegenüber, so zeigt sich noch einmal die Differenz zu unseren Vorstellungen von „Religion". Das im Indogermanischen vorhandene und im Lateinischen „deus" aufgenommene Wort, das unserer Bezeichnung „Gott" entspricht, lebt im Griechischen nur als Adjektiv „8105" fort; stattdessen verwandten die Griechen das in seiner H e r k u n f t und ursprünglichen Bedeutung nicht mehr klärbare ,/9e6ieia" auch nicht annähernd erreichen können. Stichproben haben ergeben, daß „§QT|OXeia" in einer Handschrift von Bessarions „In Calumniatorem Piatonis" nachweisbar ist, die eine der frühen Fassungen des Textes wiedergibt und somit weniger von Überarbeitern beeinflußt ist als die späteren Fassungen 11 . Es ist als sicher anzunehmen, daß Bessarion dieses Wort nicht nur gekannt, was selbstverständlich ist, sondern auch verwendet hat. Ob die gewisse Häufigkeit des Gebrauchs eine Steigerung gegenüber anderen Autoren bedeutet, ob sie von Bessarion selbst oder von Mitarbeitern stammt, ob die griechische Fassung überhaupt den lateinischen Sprachgebrauch beeinflußt hat, kann hier auf sich beruhen bleiben. Insgesamt ist „dQT|axeia" freilich in dieser Schrift zur Verteidigung Piatons nicht eben häufig gebraucht 12 . Wie ungenau und großzügig die latei10 Bessarion, In Calumniatorem Piatonis, hg. von Ludwig Möhler, in: ders., Kardinal Bessarion, II, 227 ff. u Kardinal Bessarion, In Calumniatorem Piatonis, Codex Monacensis gr. 80, II, vgl. 28 r, bei L. Möhler, aaO. II, 80; ferner Cod. Mon. 30 r, bei L. Möhler, aaO. 86. - Im folgenden stütze ich mich ausschließlich auf den Text von Möhler. Zu vermerken ist, daß der genannte griechische Codex keine Kapiteleinteilung und Überschriften enthält. Zur Herkunft dieser Überschriften vgl. die Einleitung von L. Möhler, II, VII f. 12 Dies läßt sich sagen ohne eine Durchsicht der gesamten griechischen Version des Textes; nachgewiesen sind etwa 20 Belege, davon etwa 15, in denen im Lateinischen als Entsprechung „religio" steht.
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nische Übersetzung verfährt, zeigt sich darin, daß verschiedentlich dieser Terminus im lateinischen Text gar nicht oder nicht mit „religio" wiedergegeben wird 13 . Es besteht also noch nicht einmal eine ständige Korrelation zwischen „dQT|oxeia" und „religio". „Religio" jedoch ist im Vergleich sowohl mit der griechischen Version wie auch mit anderen bislang hierzu herangezogenen Schriften recht häufig gebraucht. Nachgewiesen sind mehr als 80 Belege14. Vergleicht man die lateinische und griechische Fassung miteinander, so ergibt sich, daß etwa 25 mal „religio" neu in den Text eingefügt ist, ohne daß die griechische Version dazu einen Anlaß böte. An den anderen Stellen dient „religio" als Ubersetzung, und zwar etwas mehr als 10 mal für „exxA/r|cria"15, nicht ganz 15 mal für „motu;" 1 6 und nur wenig häufiger für „ÖQT|axeia"17, wozu noch die zweimalige Nennung von Augustins „De vera religione" kommt, dessen griechischer Titel „Flegi xoCg dXr|{k>Ü£ Ogrioxeiag" lautet 18 . Die restlichen Belege verteilen sich auf eine Vielzahl griechischer Termini, wobei nur die vom Stamme „oeß-" gebildeten wie „eöoeßeia" noch eine Häufigkeit von mehr als 5 Belegen erreichen 19 . Im übrigen bietet der griechische Text die verschiedensten Ausdrücke, nämlich „eüayye>aov xai 8ÖY|i.a"2Q, „ti|at|" 21 , „Ai^ic;"22, „deiog" 23 , „OeoXoyia"24 und „xaiva 5ai(j,ovia" 25 . Die detaillierte Wiedergabe dieser Termini und die etwas pauschalierte Angabe der Häufigkeit soll einen Eindruck davon vermitteln, daß „religio" offensichtlich in der lateinischen Version gegenüber der griechischen Version einigermaßen häufig und sehr freizügig eingesetzt wird. Dadurch aber entsteht in der lateinischen Fassung ein so häufiger Gebrauch von „religio", daß schon von hierher der Terminus einen anderen Stellenwert als „dQT|öxsia" für die griechische Version erhält. 13 Vgl. Bessarion, In Calumniatorem Piatonis, 226: Die griechische Version hat über die lateinische Formulierung „quos gentiles vocamus" hinaus „8ux Tf|v 9QT|OX8iav". Vgl. ferner ebd. 364 f, wo „dgtiaxeia" mit „fides" wiedergegeben ist. Vgl. schließlich ebd. 494, wo „ÖQrioxeia" einmal mit „professio" übersetzt ist. Weitere Belege s. ebd. 80, ferner 94. 14 Vgl. ebd. bes. 5-9, 25, 81-83, 87, 91, 101-103, 173, 228 f, 235, 279, 489, 495, ferner 367-371. 15 Ebd. 7, 139, 155, 197, 457, 489, vgl. 293, 297. " Ebd. 7, 9, 81, 83, 87, 95, 303, 311, 371, 495. 17 Ebd. 7, 25, 63, 81, 87, 101, 109, 229, 231, 235, 367, 371, 419, 495. 18 Ebd. 440 f. 19 Ebd. 9, 173, 177, 373, 405, 495, 595. 20 Ebd. 5. 21 Ebd. 229. 22 Ebd. 99. 23 Ebd. 235, 467. 24 Ebd. 489. 25 Ebd. 233.
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Überblickt man nun die lateinischen Belegstellen, so zeigt sich, daß es mehr als 40 mal „religio nostra" 26 sowie 10 mal „religio christiana" 27 bzw. „Christi" 28 heißt. Zu dieser Gruppe gehören etwa zwei Drittel der zuvor schon genannten 25 neu in den lateinischen Text eingefügten Belege von „religio". Beides, die Häufigkeit einer solche formelhaften Nennung von „religio" wie ihre überwiegende Einfügung in den lateinischen Text, darf als Bestätigung dafür gewertet werden, daß „religio" in dieser Fassung Bessarions einen anderen Stellenwert erhalten hat. Gegenüber den eben genannten Formulierungen finden sich nur noch selten andere wie „religio vera"29, „sacra"30 oder auch „nova" 31 . Insgesamt entsteht der Eindruck, daß „religio" nun nicht mehr in der Regel und primär die konkrete Gottesverehrung meint, zugleich aber an Häufigkeit zugenommen hat. Merklich seltener sind denn auch Formulierungen wie „fides nostra" 32 , „catholica" 33 oder „Christiana" 34 zu finden. Damit ist ein Ubergewicht von „religio" in einem allgemeineren Sinn deutlich geworden, ohne daß dieser Terminus jedoch bereits zu dieser Zeit exklusiv verwandt worden wäre. Eine solche Festlegung ist offensichtlich noch nicht erfolgt. Sonst könnte neben anderen Parallelbegriffen vor allem „fides" nicht in der gleichen Funktion wie „religio" gebraucht sein, was aber immerhin noch in durchaus nennenswertem Umfang der Fall ist. Sehen wir uns die einzelnen Stellen genauer an, werden die bisherigen Beobachtungen bestätigt. Eine Reihe von Stellen spricht von den „doctores"35, „professores" 36 , „theologi" 37 oder sogar „philosophi nostrae religionis"38, wobei diese öfter eigens noch „sancti"39 bzw. „sanctissimi"40 genannt werden; ein Christ, der hervorgehoben werden soll, kann als „vir nostrae religionis sanctissimus" charakterisiert werden 41 . Schließlich können den „gentiles" die „nostrae religionis viri" gegenübergestellt werden 42 . 26
Vgl. ebd. bes. 3-9, 25, 81, 87, 99-105, 139-141, 173, 177, 367-371, 489-491, 495. Vgl. bes. ebd. 7, 81, 91, 155. 28 Ebd. 293. 29 Ebd. z.B. 361. 30 Ebd. 513. 31 Ebd. 233, 235. 32 Ebd. 87-89, 135, 329, 369-375, 405. 33 Ebd. 369, 417. 34 Ebd. 141, 155-157, 227. 35 Ebd. 91, 177, 489, vgl. 101. 36 Ebd. 491. 37 Ebd. 223, 293. 38 Ebd. 367. 39 Ebd. 223. 40 Ebd. 489. 41 Ebd. 7, 467. - Auf Vollständigkeit wurde bei vorstehenden Belegen verzichtet. 42 Ebd. 155. - Auch in diesem Zusammenhang ist „religio" noch nicht exklusiv gebraucht, es kann auch „fides" heißen, vgl. 89, 91, hier wohl um des Ausdrucks willen im Wechsel mit „religio". 27
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Noch deutlicher wird die Bedeutung von „religio" in diesen Aussagen, wenn im Unterschied zu Cicero, der als „gentilis" charakterisiert wird, Augustinus als ein „in nostra religione sanctissimus" 43 oder er und Hieronymus als solche bezeichnet werden, die „in religione nostra pro sanctissimis" verehrt werden, und dies aufgrund ihres Wissens und ihres Lebenswandels 44 . Vor allem in dieser letzten Aussage wird deutlich, daß „religio" primär nicht als persönlicher Vollzug, als Tugend, sondern - wie man mit gewisser Vorsicht sagen könnte - sachlich bzw. institutionell verstanden ist. Denn angesehen sein kann man eher in einer Sache, in einer Gemeinschaft, der es um eine bestimmte Sache geht, und damit in einer Institution, aber schwerlich in einer zu vollziehenden Tugend. Unterstrichen wird diese Bedeutung, wenn die lateinische Version von Bessarion sagt, daß er die „religio" nach Kräften schützen und verteidigen wolle, „cuius membrum divina pietas me esse voluit" 45 . „Religio" ist hier als Körperschaft) angesehen, sonst könnte von Mitglied(schaft) keine Rede sein. Könnte man ein solches Verständnis von „religio" in metaphorischen Aussagen in Zweifel ziehen, die besagen, die „religio" prüfe 46 , meine 47 , lehre 48 oder wolle 49 etwas, so läßt sich ein solcher Zweifel für folgende Gruppe von Formulierungen nicht aufrecht erhalten, in denen Übereinstimmung oder Dissens mit der „religio" konstatiert wird: In Bessarions lateinischem Text geht es darum, entweder die gleiche Distanz von Aristoteles und Piaton zur „religio Christiana" festzustellen 50 oder die größere 51 und in manchen Punkten sogar alleinige Übereinstimmung Piatons 52 mit ihr nachzuweisen. Doch auch von innerhalb her, nämlich für Bessarion selbst, kann die „sacra religio" jene sein, mit der seine Meinung übereinkommt 53 . In diesen Aussagen bedeutet „religio" weniger einen Vollzug des Ebd. 25. Ebd. 443. 4 5 Ebd. 9: „Quapropter favendum imprimis censui auctoritati sanctorum virorum, elaborandumque mihi summo studio, ut religionem, cuius membrum divina pietas me esse voluit, pro mea virili tuear atque defendam, tum etiam Piatoni succurendum, cui tametsi propter doctrinam morumque praestantiam non magis obesse linguae procacitas potest, quam tenuis nubecula radiantem solis splendorem abscurare." 4 6 Ebd. 419: „probat". 4 7 Ebd. 297: „censet". 4 > Ebd. 95: „doceat". 4 9 Ebd. 303: „vult". 5 0 Ebd. 109, vgl. bes. 81, 87 mit „fides". 5 1 Ebd. 105: „Plato vero in hoc praecipue cum nostra religione convenire videtur, quod nullam quaerit demonstrationis rationem, sed primam praecipuamque omnium virtutum fidem constituit, per quam res divinas merito colendas existimat." Vgl. 197, 173, ferner die relativ späte Überschrift 279: „Falso dicit adversarius Aristotelis sententia omnia ex nihilo fuisse producta, et de Piatonis cum nostra religione in hac re convenientia." " Ebd. 139. 5 3 Ebd. 513, vgl. 157. 45
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Menschen Gott gegenüber, sondern vielmehr eine Instanz oder Institution. Zu ihr kann man „gentilis"54 oder auch „accomodatius" 55 sein, mit ihr kann man „convenire"56 und „consentire"57. Die Bedeutung des Terminus „religio" in der lateinischen Version Bessarions und seiner Mitarbeiter wird noch deutlicher, wenn man die beiden Abschnitte berücksichtigt, in denen „religio" besonders häufig vorkommt. In der Einführung wird gesagt, daß Bessarion zunächst das Buch des Georgios von Trapezunt, der in dieser Fassung nicht mehr namentlich genannt ist, mit großen Erwartungen in die Hand genommen habe, dann aber sehr enttäuscht worden sei. Sodann formuliert Bessarion sein Anliegen: Es geht nicht nur um Piaton, sondern auch um die „sanctissimi nostrae religionis viri", die Piaton bewundert und eine Ähnlichkeit seiner Lehre mit dem christlichen Glauben angenommen haben 58 . Auch diese sind betroffen, wenn die Vorwürfe des Georgios zutreffen. Bessarions Absicht ist es daher, gegen solche vorzugehen, die die „rectae fidei fundamenta" umstürzen und die „religio christiana" mit schlechten Argumenten zugrunde richten wollen 59 . „Fides" und „religio" stehen hier nebeneinander; im folgenden ist dann noch dreimal von „nostra religio" die Rede, die durch solche Gegner Schaden leidet60. Erst dann folgt der bereits zitierte 54
Ebd. 81: „Quod non ideo faciemus, quia Platonem aut existimemus aut velimus ostendere Christianum fuisse; alienus enim uterque a nostra fide tarn Plato quam Aristoteles fuit et ut nomine sic religione gentilis uterque." - Hier ist „0Qt|oxeia" mit „religio" wiedergegeben. Vgl. auch ebd. 109. „Gentilis" ist hier die Übersetzung des griechischen „"EXXtive^". 55 Ebd. 177, vgl. „magis consentaneae ... opiniones", 141. 56 Ebd. 513, 197, 105. 57 Ebd. 139. 58 Ebd. 7: „Eo autem molestius illius iniuriam tuli, quod non modo Piatoni, cuius cura haud me usque adeo sollicitasset, sed etiam sanctissimis nostrae religionis viris, qui Platonem semper magnifecerunt et cum doctrinam eius et mores tum earn, quam in opinionibus cum nostra fide habet similitudinem, admirati sunt, non parum dedecoris afferre videtur, quod talem hominem, qualem hie fingit, vel ignoraverint vel falso contra animi conscientiam laudare voluerint, quod certe non est viri boni et sapientis et integri praeceptoris officium." - „Religio" gibt hier das griechische ,,èxxXr|aia" wieder. 59 Ebd. heißt es wenig später: „Quippe doctores nostri sanctissimi viri adversus eos, qui rectae fidei fundamenta deicere et religionem christianam pravis rationibus pessumdare voluerunt, earn imprimis defensionem rati sunt optimam esse, si verbis auetorum, quos ipsi tamquam sapientes sectabantur, quasi quibusdam telis eorum tela retunderent fidemque nostram ¡Horum praesidio roborarent." - Hier ist „ÖQT|axeta" mit „religio" übersetzt. 60 Ebd. 9: „Si quis igitur tarn grave Piatonis testimonium contemnit ac pro nihilo habet longeque a nostrae religionis usu alienum esse existimat, dum eum ignarum, improbum, stultum, scelestum, flagitiosum fuisse contendit, quomodo doctoribus nostris et verae fidei propugnatoribus non adversatur et quasi acerrimus hostis bellum indicit? Aut qui fieri potest, quin maximum afferat nostrae religioni detrimentum, dum exterorum praesidium nobis aufert, quo maxime adversariorum vim propellere ac propulsare possemus? Profecto qui haec a nobis auxilia tollit, hie plane favere illorum parti videtur, qui religionem nostram oppugnane et quasi aditum aperire hostibus, ut impetu facto eam depopulentur atque devastent." -
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Text, daß Bessarion es als seine unerläßliche Aufgabe ansieht, diese „religio", deren Glied er ist, zu verteidigen 61 . Sehr nachhaltig wird also in dieser persönlichen Begründung der Arbeit des Bessarion der Terminus „religio" verwandt. Die zweite Stelle findet sich zu Beginn des zweiten Buches. In der vermutlich später hinzugefügten Überschrift des ersten Kapitels wird die These formuliert, daß die Bücher Piatons mehr mit der „Christiana religio" übereinstimmen als die des Aristoteles 62 . Im Text steht dann wiederum ein Widerspruch gegen Georgios, der Aristoteles als denjenigen bestimmt hat, „qui ad veritatem Christianae religionis et sanctae ecclesiae doctrinam propius accesserit". Dagegen will Bessarion die größere Nähe Piatons zur „nostra religio" erweisen; dazu muß jedoch die Voraussetzung berücksichtigt werden, daß beide zur „nostra fides" fremd und vom Namen wie von der „religio" her heidnisch sind63. Da Georgios dies nicht wahrhaben wolle, müsse er zur „religio" Zuflucht nehmen, wie Kapitalverbrecher Asyl suchen; Georgios, der seine Meinung mit Argumenten nicht begründen könne, suche statt ihrer nun den Rekurs auf die „religio", um vor einer Auseinandersetzung über seine These geschützt zu sein64. Wenig später spricht Bessarion davon, daß der Leser eher durch Piaton eine Unterstützung erfährt, wenn Dinge zu entscheiden sind, die zur „fides et vera religio" gehören 65 . Auch in diesem Beginn des zweiten Buches also ist „religio" nachdrücklich gebraucht, teils neben „fides", wobei beide nicht unter dem Aspekt eines persönlichen Vollzuges des Menschen erscheinen. Uberblickt man die bisher erörterten Belege der lateinischen Version Bessarions, so dürfte die Annahme einer allgemeineren Bedeutung von „religio" kaum zweifelhaft sein. „Religio" erscheint eher als Sach- bzw. Sammelbezeichnung, und zwar fast ausschließlich im Hinblick auf die eigene „religio", nur ausnahmsweise wird auch für Piaton und Aristoteles
Im Griechischen steht hier nirgends „9QT|axBia"; die beiden letzten Belege von „religio" geben „niaxiq" wieder. " Ebd. den Text s.o. Anm.45. 62 Ebd. 81. Im Griechischen heißt es hier „Jiiatii;". 63 Ebd. 81; im Griechischen steht hier einmal „dgrioxeia". Es fragt sich, ob an dieser Stelle die Bedeutung „Gottesverehrung" durchscheint oder gar näherliegt. 64 Ebd. 81: „Propter quod frustra Aristotelem hoc loco laudat adversarius et inops consilii, quo vera dicere videatur, ad religionem refugit, ut solent rei capitis quaerendae salutis gratia ad asylum se aramque recipere. Itaque non est consilium laborare, ut Platonem Christianum fuisse ostendamus, quem ad modum de Aristotele facit adversarius, sed ita hunc locum conabimur tractare, ut si quis ex auctoritate quoque gentilium philosophorum veritatem nostrae religionis corroborare voluerit, Piatonis potius libris quam Aristotelis id effici posse demonstremus." " Ebd. 83.
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von „religione gentilis" gesprochen 66 . „Religio" dient grundlegend zur Gegenüberstellung mit Aussagen der beiden Philosophen. Doch hat der Terminus diese Funktion noch nicht exklusiv übernommen. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß statt seiner auch „fides" und andere Ausdrücke, etwa „doctrina", stehen können 67 . Nicht selten finden sich aber auch „fides" und „religio" zusammen. Dies gilt vor allem für die eben ausführlicher genannte Stelle zu Beginn des zweiten Buches, wo „religio" entweder im Text hinzugefügt oder als Übersetzung von „matte;" gebraucht ist68. Die häufigere Doppelung von „fides" und „religio" 69 bestätigt die These, daß „religio" eben nicht exklusiv, wenn auch gegenüber „fides" öfter verwandt ist. Freilich kommen auch zwei Belege vor, wo es „fides religionis" heißt 70 , während eine umgekehrte Formulierung nicht nachgewiesen ist. In einer solchen höchst seltenen Formulierung erscheint die „fides" der „religio" zu- bzw. untergeordnet. Daß sich über die bisher dargelegte Bedeutung und Verwendung von „religio" hinaus auch Stellen finden, an denen die spezielle Tugend der „Gottesverehrung" gemeint ist, dürfte nicht verwundern. Diese Bedeutung liegt vor in Aufzählungen von Tugenden wie „magnitudo, constantia, fortitudo", zu denen die lateinische Fassung „fides" und „religio" hinzugefügt hat 71 . Vor allem ist diese Bedeutung jedoch anzunehmen in dem Kapitel zu Beginn des dritten Buches, das der „latria" gewidmet ist. Hier wird zunächst einmal „OQTioxeia" in der lateinischen Version nicht übersetzt, vielleicht, weil sie von den Heiden („edvr|", „gentiles") ausgesagt ist72. Sodann kommt „religio" erst in zweiter Linie vor, was wegen des besonderen Themas verständlich ist. Es heißt, daß die „latria" bei den Heiden nicht „religio", sondern „servitutis quoddam genus" meint 73 . Wenn dann auch allgemeiner von Opfer oder Zeremonien „in religione" bzw. „in religionis . . . temporibus" die Rede ist, so ist die prägnante Bedeutung „Gottesverehrung" sicher in einem Zitat gemeint, in dem es heißt, daß Gott durch
" D a ß „religione" ebd. 81 kein ablativus separationis ist, wird durch den Zusammenhang sowie durch die griechische Version klar. 67 Vgl. z.B. 81: „Nunc quoniam adversarius secundo volumine eum asserit, qui ad veritatem Christianae religionis et sanetae ecclesiae doctrinam propius accesserit ..." 68 Ebd. 83, wenn man hier nicht einen (wenig wahrscheinlichen) Ablativus separationis annehmen will. " Vgl. 155, 173, 369, w o jeweils nur „jiiatis" zu übersetzen war, dazu 405, w o „religio" „eüoeßaa" wiedergibt. Nur ebd. 361-371 ist neben „niariq" auch „ÖQ^oxeta" zu finden. 70 Ebd. 147: „ N o s ex fide religionis nostrae omnia rite tuemur, cum prineipium finemque universi statuamus. At gentiles, qui mundum aeternum posuere, fieri non potest, ut hanc Piatonis opinionem aspernentur." Vgl. 247 in einem Zitat des Albertus Magnus die gleiche Formulierung: „fides religionis" (vgl. Albertus Magnus, Metaph.XI, 2,21). 71 Ebd. 427, vgl. 595. 72 Ebd. 228. 73 Ebd. 229.
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„silentium" und durch „religio" zu ehren sei. Die gleiche konkrete Bedeutung liegt vor, wenn der Text sagt, Sokrates sei vorgeworfen worden, daß er die „religio vulgaris" vernachlässigt habe 74 . Doch sind diese Belege, an denen „religio" eindeutig im speziellen Sinne eines Vollzuges zu verstehen ist, selten im Vergleich zu einer allgemeineren Verwendung. Aufschlußreich ist nun, ob sich die in der lateinischen Fassung nachgewiesene Bedeutung und Verwendung von „religio" auch im Kreis Bessarions belegen läßt. Wäre dies der Fall, würde sich der bisherige Befund bestätigen lassen. Sieht man die im dritten Band von Ludwig Möhler edierten Schriften Bessarions und seines Kreises durch, so läßt sich „religio" neben Bessarions „Replicatio ad Responsionem Legatorum Germaniae" 7 5 nur noch in zwei Texten verhältnismäßig häufig nachweisen. Den ersten Text hat Theodoros Gazes (um 1400-1476) verfaßt. Wie Bessarion stammt dieser Humanist aus dem griechischen Sprachgebiet, nämlich aus Thessaloniki, er war Kleriker und blieb in Italien. Im Unterschied zu Bessarion war er Aristoteliker; dadurch wurde jedoch die sehr freundschaftliche Beziehung zwischen beiden nicht behindert 76 . 1455 schrieb Gazes die „Praefatio in Ioannem Chrysostomum ad Alphonsum Regem" 7 7 . Dieses Vorwort ist also nur wenig nach der Schrift des Nikolaus von Kues „De pace fidei" und noch vor dem vermutlichen Erscheinungsdatum der „Comparatio Piatonis et Aristotelis" des Georgios von Trapezunt entstanden. Der kurze Text von nur vier Druckseiten enthält 14 Belege für „religio", eine Massierung, wie sie bislang nicht nachzuweisen war. Das ist in einem solchen Schriftstück überraschend, welches eigentlich nichts anderes als eine kurze Empfehlung der lateinischen Ubersetzung des griechischen Kirchenvaters an den König sein will. Doch Gazes kleidet die Widmung in eine theologische Begründung, daß nämlich trotz der im christlichen Bereich üblichen Trennung zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt es doch für einen König sinnvoll sei, über Fragen der ersteren orientiert zu sein, und dies umso mehr, als diese bei Alphons auf großes persönliches Interesse stießen. Die ersten Belege von „religio" lassen kaum eine Entscheidung darüber zu, ob nun eher speziell die „Gottesverehrung" oder aber eine allgemeine Bezeichnung gemeint ist. Letzteres ist jedoch an der Stelle wahrscheinlicher, wo von einer „De religione controversia" die Rede ist, die bei den Ebd. 231. Bessarion, Replicatio ad Responsionem Legatorum Germaniae, in: Ludwig Möhler, Kardinal Bessarion, III: Aus Bessarions Gelehrtenkreis, Paderborn 1942, reprogr. Neudruck Aalen-Paderborn 1967, 384ff. 7 4 L. Möhler, Kardinal Bessarion, I, 327 ff. 7 7 Theodoros Gazes, Praefatio in Ioannem Chrysostomum ad Alphonsum Regem, in: L Möhler, aaO. III, 269 ff; hier auch die Datierung des Textes. 74
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Athenern dem Priester vorzulegen war 78 . Ob das „religionis Studium" neben demjenigen der „bonae artes" mit „Eifer für die Gottesverehrung" zu übersetzen oder umfassender zu verstehen ist, läßt sich nicht entscheiden 79 . Auch die folgenden Belege bleiben unklar 80 . Wenn dann wenig später dem König vor den übrigen Fürsten ein Vorsprung „religione et rerum divinarum scientia" testiert wird, liegt die enge Auffassung näher 81 . Läßt man eine aus dem Rahmen fallende Aussage82 außer acht sowie diejenigen Stellen, die im weiteren unentscheidbar bleiben83, so scheinen doch die restlichen Belege von „religio" eine weite Bedeutung nahezulegen; denn in ihnen ist von den „christianae religionis doctores" bzw. von den „professores et praedicatores christianae religionis" sowie von den „religionis praecepta" gesprochen 84 . Doch findet sich im gesamten Text keine Formulierung, die zwingend entscheiden ließe, ob Gazes die Tugend der Gottesverehrung meint oder „religio" als Bezeichnung für alles ansieht, was zum christlichen Glauben hinzugehört. Auch die abschließende Würdigung des Königs, daß bei ihm die „religionis Charitas" ebenso viel vermag wie das „civile negotium", kann den Ausschlag nicht geben. Wenn also die Bedeutung und Funktion von „religio" in diesem Text nicht eindeutig geklärt werden kann, so zeigt er immerhin, wie häufig inzwischen „religio" gebraucht wird. Der zweite Text, der aus dem Kreis Bessarions herangezogen werden muß, stammt von Niccolo Perotti (1429 oder 1430-1480). Dieser war seit 1453 Bessarions Mitarbeiter; auch als er 1455 Erzbischof von Siponto geworden war, riß die Verbindung zu Bessarion nicht ab. Mit einer in Humanistenkreisen nicht seltenen scharfen Attacke setzt sich Perotti mit Georgios von Trapezunt auseinander. Er tut dies in mehreren Abschnitten: Zunächst greift er eine heute verlorene Schrift des Georgios an, in der die78
Ebd. 270. Ebd. 80 So die Formulierung „a primis christianae religionis temporibus", die ja schon in der Patristik nachweisbar ist, sowie: „... quemadmodum agi singula christianae religionis debeant ..." ebd. 271. 81 Ebd. 82 Von Bessarion heißt es im Hinblick auf den König ebd. 272: „Laudat hic sapiens vir et religionibus venerandus te regem et sapientem et religionis tum cultorem, tum defensorem egregium." 83 Ebd., vgl. 272. 84 Ebd. 273: „Fuit is certe facundior ceteris christianae religionis doctoribus et copiosior, et quamquam more ecclesiae vel in gravitate sermonis vel in exquisito atticae linguae usu negligentior aut Gregorio aut Basilio, eiusdem professoribus et praedicatoribus christianae religionis, tum in exponendis sacris codicibus, tum magna utilitate populi ad dilatandum argumentum, ad amplificandam sententiam, ad exemplorum copiam, ad facilem et omnino accommodatam, tum ad populi aures, tum ad religionis praecepta elocutionem, ad memoriam omnium, quae officium doctoris christiani requirit, hic meo iudicio anteponendus est ceteris, nec esse arbitror quempiam qui, si modo, quae is graece disseruit, assequatur, aliter sentiat." 79
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ser auf Bessarions „In Calumniatorem Piatonis" geantwortet hat. Perotti geht es um die Widerlegung dieser Rechtfertigungsschrift. Dann erfolgt ein Angriff auf Georgios wegen seiner Kontaktaufnahme mit Mehmed II. Schließlich befaßt sich Perotti mit Schmähungen des Georgios gegen christliche Fürsten, Geistliche und andere 85 . Der Text Perottis ist für unsere Fragestellung außerordentlich aufschlußreich. Denn der Teil, in dem es um die Widerlegung der Verteidigung des Georgios geht, weist eine Reihe von Belegen zu „religio" auf, die diesen Terminus im Vergleich zu Piatons Meinung 86 oder zu derjenigen anderer Philosophen brauchen 87 . „Religio" dient also auch hier als zusammenfassende Bezeichnung im Vergleich mit der Meinung anderer, die nicht Christen sind, um ihre Ubereinstimmung zur christlichen „religio" zu beurteilen. Damit kehrt hier die allgemeinere Verwendung von „religio" wieder, wie sie in Bessarions „In Calumniatorem Piatonis" überwog. Auch tritt die Verwendung von „religio" zusammen mit „fides" 88 oder letztere allein in gleicher Funktion wieder auf 89 . Reicht die „fides" insofern theologisch weiter, als ihr die Kenntnis der Trinität zugeordnet ist, so erscheinen bei Perotti doch „fides" und „religio" so sehr nebeneinander, daß kein Vorrang eines der beiden Termini feststellbar ist, es sei denn, daß „fides" in einer generellen Verwendung seltener ist. Daß beide Termini so nebeneinander stehen, mag an humanistischer Vorliebe für Pleonasmen liegen; jedenfalls verwendet Perotti „religio" bei seiner Auseinandersetzung mit Georgios nachdrücklich 90 . Die folgende Passage, die sich mit den Beziehungen des Georgios zum Eroberer von Konstantinopel befaßt, bringt „religio" in etwa anders. Denn hier läßt sich keine so offenkundige Verwendung von „religio" im allgemeinen Sinn nachweisen; es geht ja auch nicht darum, die Position Piatons oder eines anderen Philosophen mit der „nostra religio" zu vergleichen und eine Ubereinstimmung oder auch Abweichung zwischen beiden festzustellen. Verschiedene Texte klingen infolgedessen so, als ob ein spezielles Verständnis näherläge. Dies dürfte zwar noch nicht in einem Ausruf zu Beginn dieses Abschnitts vorliegen, in dem Perotti den Georgios des Ver-
85
Niccolò Perotti, Refutatio Georgii Trapezuntii, in: L. Möhler, aaO. III, 343 f. Ebd. 346. 347, 354, 360. 87 Ebd. 347. 88 Ebd. 346. 89 Ebd. 360. 90 Ebd. 360: „Tu vero, nescio ex quibus poetarum fabulis poeta theologus repente exortus, profanas mysteria fidei, religionem polluis, Christi sanctuarium contaminas, dehinc iacturam christianae reipublicae deploras, et quia Plato laudatur, vir quamvis gentilis, moribus tarnen ac vitae honestate praeclarus et, quantum sine lumine fidei fieri potuit, religioni nostrae propinquus, ingemiscis, non scilicet quia Plato probetur, ut dissimulare conaris, sed quia impiissimus Mahumet in Romana ecclesia non praedicetur." - Vgl. hier den Wechsel mit „fides". 84
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brechens bezichtigt, „a fide ac religione nostra remotissimum" 91 zu sein. Anders verhält es sich aber, wenn „religio" in Aufzählungen etwa mit „fides" und „integritas" genannt wird 92 . Diese Termini meinen Tugenden, Vollzüge oder Haltungen des Menschen, nicht aber eine generell bezeichnete Wirklichkeit 93 . Freilich ist auch in diesem Abschnitt die eher generelle Fassung von „religio" nicht gänzlich verschwunden. So wird von einer Schuld derer in Byzanz gesprochen, die in der „religio" die Führung innehatten 94 . Der Vorwurf gegen Georgios lautet, unserer „religio" Verderben gebracht zu haben 95 , und gegen Mehmed, zugleich Verderber unserer „religio" und unseres Staates zu sein96. Das gleiche Bild ergeben die abschließenden Aussagen Perottis, in denen „religio" einmal eher allgemeiner97, zum anderen eng zu verstehen ist98. Bei Perotti findet sich also neben einer speziellen Fassung des TernJnus „religio" eben jene Verwendung, wie sie in Bessarions „In Calumniatorem Piatonis" vorlag, und zwar im Wechsel mit „fides". Dabei bleibt in einem wichtigen Zitat der Sprachgebrauch des Georgios erhalten, nämlich in der Aussage, daß Gott dem Mehmed „unionem fidei (sie!) et ecclesiae et imperii" vorbehalten habe. Im Anschluß an diese Aussage bleibt Perotti sogar bei dem Terminus „fides" und wirft Georgios vor, daß nach seiner Meinung die eine „fides" eben die „mahumetana" sein soll99. Hier ist, wenn auch apositionell, „fides" zur Bezeichnung des Islams verwandt. In dieser Ausdrücklichkeit ist das noch nicht einmal für „religio" in den bislang erörterten Texten nachweisbar. Eigens soll darauf hingewiesen werden, daß in diesem Text Perottis „religio" auch in jenen Passagen gebraucht wird, in denen es nicht um Piaton, sondern um die Auseinandersetzung mit Mehmed bzw. mit Georgios wegen seiner Kontaktaufnahme mit diesem geht. Jedoch erscheint „religio" auch hier durchweg als Selbstbezeichnung für die christliche „religio". Der Terminus wird fast nicht auf die Mohammedaner bezogen und dient vor allem nicht dem Vergleich zwischen Islam und Christentum. „Religio" 91
Ebd. 360. Ebd. 363, vgl. 367. Vgl. die säkulare Verwendung: jemandes Namen „summa ... religione" ehren und verehren, ebd. 366. 94 Ebd.: „... qui in religione prineipatum obtinent ..." 95 Ebd. 363, vgl. 361. 96 Ebd. 361: „Tu inimicum Christi, christiani sanguinis persecutorem, perditorem nostrae religionis, reipublicae nostrae depopulatorem, praedonem, hostem, Romanorum imperatorem constituís?" Vgl. auch 362. 97 Ebd. 373 gegen Georgios: „fidem, religionem, sacra nostra polluis". 98 Ebd. 374: „Vos etiam Galli, Hispani, Germani, Itali et ceterae gentes, quae Christi religionem colitis, appello ..." 99 Ebd. 367: „Nunc unam etiam fidem futuram pollicetur, hoc est Mahumetanam." 92
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ist also in diesem Sinn noch kein Terminus eines Vergleichs, der Abgrenzung oder auch der Ubereinstimmung zwischen beiden. Ein Rückblick auf den Befund bei Bessarion ergibt, daß in seinem Kreis recht häufig von „religio" gesprochen worden ist. Dabei läßt sich ein einzelner Urheber dieses Gebrauchs nicht nachweisen; die Mitarbeiter, die Bessarion zu seiner Erwiderung an Georgios in zunehmendem Maße beteiligt hat, sind schwerlich im einzelnen kenntlich zu machen. Vermutlich handelt es sich auch nicht um einen einzelnen, der nun in besonderem Maße diesen Sprachgebrauch intensiviert hätte. Bessarion selbst dürfte in dieser Hinsicht kaum führend gewesen sein, wie seine ersten drei griechischen Versionen zeigten: Sie weisen keinen Terminus auf, der mit gleicher Häufigkeit und Nachdrücklichkeit dem Sprachgebrauch von „religio" in der vierten lateinischen Fassung entspräche. Der besonders instruktive Vergleich zwischen griechischer und lateinischer Version belegt, daß „religio" neben einer Reihe von Stellen, an denen es neu eingefügt ist, recht verschiedene Termini wiedergeben kann und somit keineswegs nur als Ubersetzung für „dQt|OXEia" dient (ohne daß dieser Terminus immer mit „religio" übersetzt wird). Schon dadurch nimmt der Gebrauch von „religio" in der lateinischen Fassung so zu, daß dieser Terminus ein größeres Gewicht erhält, als es die griechische Vorlage ermöglicht hätte. In inhaltlicher Hinsicht zeichnet sich insofern eine Umakzentuierung ab, als „religio" nun häufiger sachlich bzw. institutionell gebraucht werden kann. Bessarion wird als ihr Mitglied bezeichnet; an dieser Stelle könnte es schwerlich „fides", wohl aber „ecclesia" heißen. Auffällig ist der selbstverständliche Gebrauch bei Bessarion. „Religio" wird nirgendwo definiert oder auch genauer erklärt; es findet sich kein Rückgriff auf die Etymologie oder auf die Zuweisung der „religio" zur „iustitia". Alles in allem scheint „religio" demnach keiner Erläuterung bedürftig. Wenn auch, entsprechend humanistischer Formulierungsweise, „religio" aus sprachlichen Gründen gebraucht sein kann, um mit anderen Termini zu wechseln, so ergibt sich insgesamt: Zwar ist die spezielle Bedeutung dieses Terminus vielfach noch ausdrücklich gemeint; auch dient „religio" noch nicht der Bestimmung einer Relation zu anderen Uberzeugungen, ob eine solche nun im Sinne einer Distanzierung von oder einer Bemühung um Annäherung zu anderen vorgenommen wird. Eine freilich auch bei Nikolaus von Kues noch grundsätzlich speziell verstandene Formulierung der „una religio" findet sich bei Bessarion nicht. Doch liegt die Bedeutung Bessarions gerade in der häufigen und gängigen Verwendung von „religio" in einem Sinn, der den ursprünglichen Sinn dieses Terminus als Gottesverehrung verblassen läßt. „Religio" meint dann eine Wirklichkeit, der man zugehören kann. Dies wurde im vorausgegangenen als sachlicher, all-
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gemeiner oder auch gelegentlich als institutioneller Gebrauch von „religio" bezeichnet. Daß dieser Terminus im Lateinischen nicht so auffällig hervortrat wie in Sprachen, die ihn als Lehnwort übernahmen, bedarf keiner weiteren Erörterung.
4.10 Marsilio Ficino Von hervorragender Bedeutung für unsere Überlegungen ist Marsilio Ficino (1433 - 1499). Grund hierfür ist nicht nur, daß ihm als dem Begründer der platonischen Akademie in Florenz besondere Verdienste für den Humanismus zuzuschreiben sind, sondern vielmehr, daß er das zweite seiner beiden Hauptwerke mit dem Titel „De Christiana religione" versehen hat. Von ihm wird angenommen, daß er „dabei auf der schon vom älteren Humanismus ausgebildeten Uberzeugung von einer ursprünglichen monotheistischen .communis omnium gentium religio'" aufbaut 1 . Diese Annahme gilt es zu überprüfen. Dazu wenden wir uns zunächst der genannten Arbeit zu, um danach die Verwendung von „religio" in dem kurz zuvor geschriebenen Werk über die platonische Theologie sowie in brieflichen Aussagen darzustellen und von hierher die Bedeutung der „religio" bei Ficino genauer zu analysieren. Ficino hat sein Buch „De Christiana religione" ein Jahr, nachdem er Priester geworden war, verfaßt, nämlich 1474. Gleichwohl bezeichnet er sich auch in dieser Arbeit als „philosophiae studiosus" 2 . In besonderer Weise bestimmen dann auch philosophische Interessen die Argumentationen Ficinos. Allerdings geht es anders als in seinem ersten Hauptwerk über die platonische Philosophie nunmehr um die Verteidigung christlichen Glaubens gegenüber anderen Uberzeugungen. Um das in „De Christiana religione" entwickelte Verständnis von „religio" zu erfassen, ist zunächst der Hinweis angebracht, daß dieser Terminus im Titel des Buches verwandt wird 3 . Daß dem so ist, erscheint als selbstverständlich; Ficino gibt hierfür keine Begründung. Der Inhalt des Buches hätte allerdings auch einen anderen Titel als möglich erscheinen lassen. Denn nach einleitenden Darlegungen über „religio" spielt dieser Terminus insgesamt keine dominante Rolle mehr. Ficino ist vielmehr 1
M. Seidlmayer, Marsilio Ficino, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart, II, Tübingen 3 1958, 934. 2 Marsilio Ficino, De Christiana religione, cap. 10, in: ders., Opera omnia, hg. von Paul Oskar Kristeller ( = Monumenta politica et philosophica rariora 17), Basel 1576, reprogr. Neudruck Turin 1959, II, 15. - Im folgenden werden die Belege zunächst mit der Angabe des Kapitels und dann nach einem Semikolon mit der Seitenangabe dieser Ausgabe zitiert. Daß Ficino Priester gewesen ist, sagt er ebd. 1; 1 f. 3 Daß der Titel original ist, ergibt eine briefliche Mitteilung Ficinos, vgl. in: Opera omnia 12, 644.
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durchgängig von apologetischen Interessen geleitet. Hierfür weist er zunächst die Glaubwürdigkeit der Jünger Christi nach, auf deren Zeugnis ja die „christiana religio" basiert und die, wie eigens gezeigt wird, nicht getäuscht worden sind. In der Grundlegung des Werkes wird in eigenen Abschnitten nachgewiesen, daß die „christiana religio" nicht in menschlichem Vermögen begründet liegt und daß die Autorität Christi nicht von den Sternen herrührt, daß sie durch Wunder bekräftigt und bei Heiden und Mohammedanern anerkannt ist. Es folgen einige kurze Kapitel über innertheologische Themen wie die trinitarische Zeugung des Sohnes und die Menschwerdung sowie ihre Bedeutung. Erst dann erörtert Ficino die hauptsächlichen Inhalte seiner Überlegungen. Zunächst werden noch verhältnismäßig kurz die Zeugnisse der Sibyllen über Christus angeführt und mit alttestamentlichen Aussagen in Beziehung gesetzt. Es schließen sich ausführliche Darlegungen an, in denen alttestamentliche Zeugnisse auf Christus bezogen, zweifelhafte Aussagen geklärt, die Schuld der Juden am Tod Christi nachgewiesen und die Infragestellung christlicher Glaubensinhalte wie der Trinität seitens der Juden aus ihren Schriften widerlegt werden. Abschließend kommt Ficino noch einmal auf die „doctrina Christiana" zurück, wobei wiederum nichtchristliche Bestätigungen, vornehmlich die durch Mohammed, betont werden. Das Buch Ficinos handelt also insgesamt kaum von der „Christiana religio". Auffällig ist der Umfang und die Schärfe der Auseinandersetzung mit dem Judentum. Von einer primär irenischen Einstellung oder gar einem Versuch, hinter den einzelnen Überzeugungen die allein wahre anzunehmen, die dann „religio" benannt wird, die die einzelnen Ausprägungen im Grunde unwesentlich werden läßt, ist nichts zu spüren. Der Tenor richtet sich auf eine Bestätigung der „Christiana religio" bzw. „fides", „lex" oder „doctrina", wie es in gleicher Funktion bei Ficino heißen kann. Ficino legt für diese Bestätigung beträchtlichen Wert auf die Verwendung historischer und philologischer Argumente. Es ist wichtig, daß Laktanz die Wahrsagungen der Sibyllen, soweit sie nach Verbrennung der Texte im 1. Jh. v. Chr. wiederhergestellt worden waren, gelesen und Exzerpte an Konstantin geschickt hat, daß er hierbei nicht lügen konnte, da der Imperator selbst gelehrt war und überdies viele heidnische und auch christliche Gelehrte vorhanden waren, die die Aussagen des Laktanz überprüfen konnten 4 . Die Weissagungen der Sibyllen aber sind von Bedeutung wegen ihrer Verheißung eines Knaben, der aus einer jungen Frau geboren wird. Von dieser Verheißung hatte auch Vergil Kenntnis, nur daß er sie auf ein falsches Kind bezogen hat; Recht hatte Vergil jedoch darin, daß in der Zeit der Geburt dieses Kindes das goldene Zeitalter beginnen würde 5 . 4 5
Marsilio Ficino, De Christiana religione, 24; 27. Ebd.
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Erst nach diesem Nachweis der Verläßlichkeit werden Aussagen der Sibyllen mit solchen des Alten und Neuen Testaments zusammengestellt und als Zeugnisse über Christus ausgewertet 6 . Da Ficino sich gezwungen sieht, die Wunder als Beweis für die Autorität Christi aufzunehmen, ist ihm am Erweis ihrer Faktizität gelegen. Als Argument hierfür kann dienen, daß die Wunder von Heiden, Juden und Mohammedanern nicht bestritten werden und daß etwa der Stern von Osten, die Sonnenfinsternis oder das Zerreißen des Vorhangs im Tempel auch anderwärts berichtet worden sind 7 . Nach dem Erweis der Verläßlichkeit der Wunder entschuldigt sich Ficino gleichsam, daß er sie als Philosoph berücksichtigt; aber da sie wahr sind und es Aufgabe des Philosophen ist, diese Wahrheit mit Gründen zu bekräftigen, bleibt ihm keine andere Wahl; schließlich gibt es Wunder bis in die Gegenwart hinein, wie Ficino sagt 8 . Neben dieser um historische Präzision bemühten Argumentationsweise finden sich philologische Argumente zur Stützung von Glaubensaussagen 9 . Gegenüber den Juden wird auf den Plural „Elohim" („Heloym") hingewiesen und daraus ein Argument für die Trinität abgeleitet 10 . Die Differenz verschiedener Termini wie „pactum" und „Testamentum" wird dadurch in ihrem Zusammenhang deutlich gemacht, daß sie als Ubersetzung des gleichen hebräischen Wortes „Berith" fungieren 1 1 . Die genaue Kenntnis der verschiedenen in Frage kommenden Sprachen dient somit der erheblich genaueren Interpretation. Ficino hat sich ihre Kenntnis zunutze gemacht. Uberschrift und Einleitungskapitel dieser Apologie sprechen von „religio". Neben gelegentlichen Nennungen dieses Terminus in den übrigen Kapiteln kommt Ficino nur gegen Ende noch einmal auf ihn zurück, hier aber auch nur recht kurz. Wenn „religio" nicht Gegenstand eigener ausführlicherer Erörterungen ist, so ergeben sich doch eine Reihe von Hinweisen, die die Bedeutung dieses Terminus genauer erkennen lassen. „Re' Ebd. 25; 28 f. 7 Ebd. 10; 13. 8 Ebd. 15: „Noli Laurenti mirari quod Marsilius Ficinus philosophiae studiosus miracula introducat; vera enim sunt quae scribimus, ac Philosophi officium est rationib(us) propriis singula confirmare. Sunt autem propriae rerum naturalium rationes, quae secundum naturam sunt, divinarum vero quae super naturam huiusmodi sunt, tum metaphysicae probationes, tum vel maxime miracula. Deus enim non tantum verbis quantum miraculosis operibus mysteria sua probat, et praecepta confirmât, unde illud: Si verbis non vultis credere, operibus crédité." ' Vgl. die Ausführungen über die Verläßlichkeit des atl. Textes durch die Identität verschiedener Fassungen des AT bei den verschiedenen östlichen „Häretikern", ebd. 36; 75. 10 Ebd. 31; 58, noch einmal wiederholt 36; 76. 11 Ebd. 34; 67: „Sciendum est vocabulum hoc ab Hieremia introduci, scilicet Berith, quod legem, pactum, foedus, Testamentumque significai."
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ligio" erscheint als ursprünglich eine und als solche der „sapientia" verwandt. Entsprechend fungierten daher bei allen Völkern anfänglich dieselben Männer zugleich als Philosophen und Priester. Der Grund hierfür liegt, wie Ficino betont, nach Piaton in der menschlichen Seele, die zugleich Erkenntnisvermögen und Willen hat, um zum himmlischen Vater und Vaterland zu gelangen 12 . Als Beispiele für eine solche Doppelfunktion nennt Ficino die Propheten bei den Hebräern, die Brahmanen bei den Indern sowie die Druden bei den Galliern. Es waren glückliche Zeiten, wie Ficino sagt, die diese „divina . . . sapientiae, religionisque copula" unversehrt bewahrt haben, was namentlich bei Juden und Christen der Fall gewesen ist13. Ursprünglich waren demnach alle Philosophen und Priester in der gleichen Situation, es gab noch keine vorzuziehende oder gar allein wahre Einstellung Gott gegenüber. Ausdrücklich stellt Ficino fest, daß Gott selbst uns eine natürliche und gemeinsame Auffassung über ihn eingegeben hat, der der Ursprung und Herr der Naturen ist14. Die „religio" erweist sich so als eine allen Menschen gemeinsame Weissagung, wie etwa die Sonne für viele Reptilien die gleiche willkommene Wirkung hat 15 . Eine solche „religio" ist dem Menschen als dem vollkommensten Lebewesen am meisten natürlich. Dies läßt sich nicht nur damit begründen, daß sie den Menschen allein auszeichnet, sondern auch damit, daß sich alles beim Menschen ändert mit Ausnahme dieser gemeinsamen „religio"16. Nicht ist schon von einer .religio naturalis' die Rede, wohl aber ganz ausdrücklich von der „religio", die dem Menschen „naturalis" und infolgedessen „communis" ist. Es gibt also eine gemeinsame Wahrheit der „religio"17. Es macht nichts aus, daß die Formen der „religio" zu verschiedenen Orten und bei verschiedenen Völkern verschieden sind18. Inwiefern die „religio" einzig und allein dem Menschen zukommt, erläutert Ficino ausführlich damit, daß sie ihn gegenüber dem Tier auszeich 12
Ebd. Prooemium; 1. Ebd.: „O felicia secula, quae divinam hanc sapientiae, religionisque copulam, praesertim apud Hebraeos, Christianosque integram servavistis." 14 Ebd. 1; 2: „Naturalis autem communisque opinio de Deo inserta nobis est a Deo communi origine, ac principe naturarum." 15 Ebd.; von den Menschen heißt es hier: „Communi quoque hominum vaticinio religio vera est, omnes namque semper ubique colunt Deum, vitae futurae gratia." 16 Ebd. 1; 2: „Verum est igitur providere nobis Deum, et vitam aliam fore, si modo perfectissima species animalium verissimum habet iudicium illud, quod sibi est maxime omnium naturale. Talem autem esse religionis assertionem apparet, non solum ex eo, quod solius omnisque hominis est, verum etiam ex eo quod omnes hominum opiniones, affectus, mores, leges, excepta communi quadam religione, mutantur." 17 Ebd. 3; 3. Vgl. dazu u. die Überlegungen Ficinos über die platonische Theologie. 18 Ebd. 4; 4: „Rex Alexander quot Gentibus imperabat, tot modis ... honorabatur. Totumque id quod in eius agebatur gloriam, quodammodo commendabat, aliud tarnen alio habebat acceptius. Idem quasi de mundi Rege est arbitrandum. Coli mavult quoquo modo vel inepte, modo humane, quam per superbiam nullo modo coli." 13
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net. Wie die aufrechte Haltung des Menschen in körperlicher Hinsicht, so ist in geistiger die „religio" die Aufrichtung des Menschen zu Gott 19 . Wenn aber der Mensch als das vollkommenste Lebewesen sich dadurch von den niederen Lebewesen unterscheidet, daß er den göttlichen Dingen verbunden ist, so wäre er das elendeste Lebewesen, wenn das, was ihn auszeichnet vor allen anderen, nämlich die „religio", nichtig wäre. Da der Mensch jedoch nicht das unvollkommenste Wesen sein kann, kann die „religio" nur wahr sein; der Mensch ist also durch sie am vollkommensten 20 . Diese Annahme hat auch darin ihren Grund, daß Gott den Menschen nicht täuschen kann. Auf diesem Hintergrund erscheint die bereits genannte Aussage verständlich, daß die „religio" dem Menschen am meisten von allem natürlich ist21. Vor diesem nachdrücklichen Aufweis hatte Ficino zum Ausdruck gebracht, daß das ursprüngliche Band von „sapientia" und „religio" zerrissen ist. Als einzigen Grund gibt er an, daß die „doctrina", als die die „religio" anzusehen ist, weltlichen Menschen überantwortet wurde 22 . Ficino ruft dazu auf, die „religio" wieder loszukaufen, wozu auch er mit diesem seinem Buch beitragen will 23 . Erst nach diesen für alle Menschen geltenden Aussagen über die „religio", denen Ficino noch ein entwicklungspsychologisches Argument hinzufügt 24 , will er das „Christianae religionis mysterium" darlegen 25 . Wenn 19 Ebd. 1; 2: „Nullum bruta prae se ferunt religionis indicium, ut propria nobis sit mentis in Deum coeli regem erectio, sicut corporis in coelum erectio propria, cultusque divinus, ita ferme hominibus naturalis, quemadmodum equis hinnitus, canibusve latratus". 20 Ebd. 1; 2: „Rursus, si homo animalium mortalium perfectissimus est, in quantum homo, ob earn praecipue dotem est omnium perfectissimus, quam inter haec habet ipse propriam, caeteris animalibus non communem, ea religio est, per religionem igitur est perfectissimus ... Si ergo religio, (ut diximus) vana est, nullum est animal dementius et infelicius homine, esset igitur ob religionem homo imperfectissimus omnium, per eam tarnen paulo ante omnibus perfectior apparebat. Non potest autem per eandem sui partem ita contraria pati, ut secundum eam tum summe perfectus sit, tum summopere imperfectus. Est igitur religio vera, praesertim quia ... non potest ... homo, qui solus haeret Deo sapientissimo beatissimoque, stultissimus ex hoc, miserrimusque evadere. Neque etiam potest Deus, qui summa Veritas et bonitas est, humanum genus prolem suam decipere." 21 S. o.Anm. 14. 22 Marsilio Ficino, De Christiana religione. Prooemium; 1: Doctrina enim magna ex parte ad prophanos translata est, unde ut plurimum iniquitatis evasit et lasciviae instrumentum, ac malitia dicenda est potius, quam scientia." 23 Ebd. 1: „Hortor igitur omnes, atque precor, philosophos quidem, ut religionem vel capessant penitus, vel attingant: sacerdotes autem, ut legitimae sapientiae studiis diligenter incumbant." 24 Ein Kapitel widmet Ficino der Aussage, daß die Heranwachsenden und das Alter „religiosiores" sind, so daß für die Jugend Grund besteht, sich um die „religio" zu kümmern und dafür Sorge zu tragen, sie nicht deswegen zu verlieren, weil man meint, alles selbst ergründen zu können, während die Gesetze und der Rat der Eltern nicht mehr gilt, ebd. 3; 3. 25 Ebd.
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Gott auch, wie schon gesagt, auf jede der verschiedenen Weisen verehrt werden will, sofern diese nur nicht aus Überheblichkeit stammt, so verehren ihn doch allein diejenigen rein, die Christus, der „vitae magister", und seine „discipuli" unterwiesen haben 26 . Angesichts solcher Aussagen über die „Christiana religio" fragt es sich, wie ihr Verhältnis zu den übrigen Uberzeugungen gesehen wird. Kann man sie nach Ficino überhaupt „religiones" nennen? Wenn dieser Terminus tatsächlich einmal vorkommt 27 , scheint er nicht .Religionen' zu meinen, sondern andere Weisen der „Gottesverehrung". In dem grundlegenden ersten Kapitel spricht Ficino, wie eben gezeigt, von der „naturalis autem communisque opinio de Deo", die dem Menschen eingepflanzt ist, und von der „communi quoque hominum vaticinio religio"; diese kann daher als „communis" bezeichnet werden 28 . Die Einheit der „religio" ist bei Ficino Auszeichnung des Ursprungs, des goldenen Zeitalters. Erhalten blieb sie grundsätzlich bei allen, die den Weg zur Wahrheit gegangen sind und gewiesen haben. Yon hierher hätte sich eine Irenik gegenüber anderen Glaubensüberzeugungen erwarten lassen, wie sie sich etwa Piaton gegenüber findet 29 . Doch formuliert Ficino heftige Polemik, zumal gegen Mohammedaner und Juden. Für Ficino scheint sie berechtigt wegen der Leiden bis hin zum Tod, die Christus und den ihm Nachfolgenden zugefügt worden sind. Sie spielen bei Ficino eine beträchtliche Rolle30. Wenn Christen solchen Verfolgungen zum Trotz an Christus festhalten, scheint ihre Bezeichnung als „nostri heroes stabiles" verständlich 31 . Wenn „puritas" am meisten der „religio" eigen ist, dann kann jene als „divinissima" bezeichnet werden, die von den „viles posteriorum Iudaeorum superstitiones, et spurcissima Talmud deliramenta" frei ist, die die unsittlichen Fabeln der Heiden und die Willkür der Mohammedaner nicht zuläßt, son-
26 Ebd. 4; 4: „Illi igitur D e u m prae caeteris, imo soli syncere colunt, qui eum actione, bonitate, veritate linguae, mentis claritate, qua possunt, et charitate qua debent, sedulo venerantur. Tales vero sunt, ut ostendemus, quicunque ¡ta D e u m adorant, quem a d m o d u m Christus vitae magister, eiusque discipuli praeceperunt." 11 So in einem Referat Lukians, der von den Christen berichtet, sie verachteten „caeteras religiones", ebd. 35; 73. 28 N a c h d e m zuvor von der „naturalis ... communisque opinio de D e o " und dem „ C o m mune ... vaticinium" die Rede war, 1; 2, spricht Ficino dann von „communis religio", ebd.; die Texte s . o . Anm. 14-16; vgl. das Resümee 9; 12, den T e x t vgl. u. A n m . 4 3 ; vgl. auch „de c o m muni religionis vertitate", 3; 3. 2 » Ebd. 22; 25. 30 Vgl. z. B. ebd. 6; 5 f, Aussagen des Paulus über seine Leiden, 7; Sí, Aussagen des Tertullian und des Origines, sowie im weiteren Verlauf noch verschiedene Aussagen über solche Leiden. Vgl. auch die Aussagen über den T o d des Messias, 32; 59 ff, den des Polikarp u.a., 35; 71 f, sowie das Strafgericht an den Juden durch die Römer, 29; 51 ff. 31 Ebd. 8; 11, vgl. Anm. 32.
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dern himmlische Dinge darbietet und die schließlich - anders als Talmud und Koran - nicht ihre Gegner zu töten befiehlt, sondern sie durch Vernunft zu belehren, durch Gebet zu bekehren oder durch Geduld zu ertragen; alle diese Forderungen sind in den Anfängen der Christen am offenkundigsten verwirklicht worden 32 . Interesse verdient, daß auch in dieser Aussage immer noch Relationen zwischen Christen einerseits und Heiden, besonders aber Juden und Mohammedanern andererseits bestehen, wenn im Vergleich zu letzteren für die „religio" der Christen der Superlativ „divinissima" gebraucht wird. Anderen Uberzeugungen wird freilich der Charakter einer „religio" nicht ausdrücklich zugesprochen. Dieser Sachverhalt kommt auch in der Charakterisierung zum Ausdruck, daß die christliche Lehre die mosaische überragt; dennoch kann von der „sancta gens Hebraea" gesprochen werden 33 . Scharfe polemische Auseinandersetzung 34 und grundsätzliche Achtung der „religio", wo immer in Demut eine Beziehung zu Gott realisiert wird, lassen sich also nicht gegeneinander ausspielen, aber auch nicht miteinander harmonisieren. Ficino redet nicht grundsätzlich von „religio falsa" für jede, die nicht die christliche ist, sondern nur für jene konkreten Fälle, in denen die „religio" zum Aberglauben verkehrt worden ist35. Wie schon nach den Anfängen der „religio"36 ihre gemeinsame Wahrheit verlorengegangen war 37 , so war auch nach der Entstehung der christlichen „religio" ihre Weitergabe einschneidend behindert durch den Stolz der Menschen und die Verschlagenheit der Dämonen 38 . Auch hier wiederum besitzt also die Ursprungssituation zugleich eine uneingeschränkte Verwirklichung, die sich nicht einfach durchhielt. Dadurch jedoch zeigte sich die christliche „religio" überlegen, daß sie nach der göttlichen Vorsehung ihren Anfang bei einfachen und ungebildeten Menschen nahm, die
32 Ebd.: „Denique si religionis maxime propria est puritas, haec certe divinissima est, quae neque viles posteriorum Iudaeorum superstitiones, et spurcissima Talmut deliramenta, neque obscoenas, et iniquas Gentilium fabulas, neque abominabilem Mahumethensium licentiam, et Alcorani ineptias admittit. quae neque terrena praemia, ut leges aliae, sed coelestia pollicetur, neque adversarios fidei legisque suae interfici iubet, quemadmodum iussit Talmut, et Alcoranum, sed vel ratione doceri, vel oratione converti, vel patientia tolerari. Quae ut in primitiis Christianorum re ipsa manifestissime apparuit, non modo amputai vitia, sed extirpât virtutesque persuadet operando priusquam suadendo. Talis enim illorum conditio sorsque fuit, ut non aliter persuadere potuerint, quam et virtutes, et miracula exercendo." 33 Ebd. 26; 30. 34 Vgl. 37; 77 hier ist von „ingenium mercenariorum, miserabiliumque Iudaeorum incultum prosus, et pertinax" und einem „innatum odium Christianorum" seitens der Juden sowie von der „violenta Mahumethis regis Arabum manus" die Rede. 35 Ebd. 24; 27. 36 Ebd. Prooemium; 1. 37 Ebd. 3; 3. 3 » Ebd. 35; 73.
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Gebildeten aber von ihr eingefangen wurden 3 9 . Als Verkehrungen der christlichen „religio" sind die Häresien ebenso zu nennen wie Ubernähmen christlichen Gedankenguts durch den Mohammedanismus. Grundsätzlich aber nimmt Ficino allein von den Christen an, daß sie ihre „relig i o " von Irrtum entfernt gehalten haben 4 0 . Wenn die „Christiana religio" nicht in menschlicher Macht oder Weisheit gegründet und wenn sie gegen die Mächtigen und Gelehrten so plötzlich entstanden und über die ganze Welt verbreitet worden ist, kann sie nur auf göttlicher Macht, Weisheit und H o f f n u n g beruhen 4 1 . Ficino nimmt also eine „religio" an, die allen gemeinsam ist; ausdrücklich redet er nicht nur „de communi religionis veritate" 4 2 , er nennt vielmehr im Resümee der grundlegenden Kapitel eine „communis religio", die nicht von den Sternen, irgendwelchen Menschen oder einer Krankheit herrührt, sondern von Gott und der menschlichen gemeinsamen Natur 4 3 . Offensichtlich problemlos kann er dann präzisierend von „vera Hebraeorum religione" 4 4 sprechen. U n d daß häufig von „nostra" 4 5 bzw. „Christiana religio" 4 6 gesprochen wird, ist im vorausgegangenen hinreichend belegt worden. Es scheint, daß hier jeweils univok von „religio" die R e d e ist. Denn selbst, wenn die christliche „religio" als überlegen angesprochen wird, geschieht dies gegenüber ihren Opponenten, nicht aber im Hinblick auf die ursprüngliche „religio" 4 7 . 3 9 Ebd.:„Tanto saltem Christiana lex caeteris excellentior est, quanto et plures docti, et doctis aliis Semper doctiores, eloquentioresque, et sanctiores fuerunt, qui hanc secuti sunt, quam qui aliis susceperunt. Si primum religionis huius fundamentum Dialectici, vel Oratores, vel Poetae iecissent, suspicaremur plebem astutia hominum fuisse deceptam, si docti omnes Semper respuissent, iudicaremus eam forsitan contemnendam. Si principes, vel ab initio, vel paulo post huic legi omnino favissent, opinaremur, quod de quibusdam religionibus arbitramur, debiliores a potentioribus fuisse coactos, successores deinde, ut fit, legem illam cum lacte suxisse. Divina igitur Providentia voluit simplicem religionis suae veritatem ab hominibus primo rudibus, et simplicibus primam originem ducere, atque a simplicibus, et rudibus astutos, ac doctos feliciter irretiri." 4 0 Ebd. 37; 77. Daß Mohammed der christlichen „religio" unterlegen ist, kommt darin zum Ausdruck, daß er sehr wohl zugibt, keine Wunder gewirkt zu haben und vieles nicht zu wissen, 36; 76. 4 1 Ebd. 8; 8: „Si Christiana religio haudquaquam fundata fuit in potentia, vel sapientia humana, vel voluptate, imo vero invitis et contra nitentibus passim multis potentibus, doctisque viris, et humanis oblectamentis, tarn subito exorta est, tarn repente per universum orbem propagata ... Necessarium est hanc ipsam religionem in potestate, sapientia, speque divina fuisse fundatam." 4 2 Vgl. o. mit Anm.28. 4 3 Ebd.9; 12: „Communem religionem neque a stellis, neque ab hominibus quibusdam, neque a morbo esse, sed a Deo, atque humana speciei communi natura, in Theologia nostra probavimus." 4 4 Ebd. 37; 77. 4 5 Ebd. 11; 16, 30; 55 sowie 35; 74. 4 4 Ebd. 8; 8, 9; 12, 11; 16. 4 7 Ebd. 35; 73.
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Wenn dem so ist, wenn „religio" zwar nicht das Hauptthema dieses Buches, wohl aber grundlegend für es ist, fragt sich, welche Bedeutung und Funktion dieser Terminus überhaupt hat. Sie sind faktisch noch nicht einfach identisch mit denen, die der Terminus dann in der Neuzeit besitzt. „Religio" wird eben nicht gleichermaßen von den Heiden und Mohammedanern gesagt, wie dies später der Fall ist. Dagegen kann in solchen vergleichenden Argumentationen „lex" verwandt werden, so, wenn die „Christiana lex" im Unterschied zu anderen Uberzeugungen oder zu Mohammed 4 8 angesprochen wird. D a ß von der „lex Mosis" 4 9 bzw. „Messiae" 5 0 gesprochen werden kann, ist selbstverständlich; verwundern kann lediglich die häufige Anwendung von „lex" auf die Christen 5 1 . Mehr noch kann „secta" nicht nur für die C h r i s t e n " gebraucht werden, es kann vielmehr „sectae Gentilium, Iudaeorum, Mahumethensium" heißen». Auffällig ist, daß nicht zuletzt auch „doctrina" für den christlichen Bereich häufig gebraucht wird 5 4 . Entsprechend wird Christus als „magister" 5 5 oder „doctor" 5 6 bezeichnet. Hiermit wird der in der Antike bekannte Titel 57 „ X Q I O T Ö I ; SiöäaxaXog" wieder bedeutsam. Darauf ist deswegen hinzuweisen, weil dieser Aspekt in der weiteren Geschichte des Religionsbegriffs vornehmlich im 19.Jh. herausragende Bedeutung erlangt hat. Die hiermit genannten Termini zeigen, daß „religio" keineswegs besonders oder gar exklusiv als gemeinsamer Oberbegriff gebräuchlich ist, daß vor allem Heiden und Mohammedaner durchgängig nicht ausdrücklich mit diesem Terminus bezeichnet werden, obwohl er ihnen aufgrund der Ausgangsvoraussetzungen doch zukäme. Überblickt man jedoch Ficinos „ D e Christiana religione", so ist gegenüber mittelalterlichem Gebrauch ein einschneidender Unterschied zu verzeichnen. Wie schon bei den zuvor behandelten Humanisten, so ist auch bei ihm keine Zuordnung zur „iustitia" mehr gegeben. „Religio" erscheint vielmehr als eine grundlegende Bezeichnung des Verhältnisses des MenEbd.29; 51. Vgl. auch 8; 8. Ebd. 34; 67. 5 0 Ebd. 5 1 Ebd. 12; 17, 29; 53, 34; 67, vgl. 35; 73 (s.o. Anm.39, wo übrigens „lex" und „religio" wechseln) und bes. 30; 56. 5 i Ebd. 9; 16. 5 3 Ebd. 12; 17, von „sectis Platonicis" spricht 30; 55. Daß dieser Terminus von „sequi" abgeleitet ist, zeigt die Formulierung „Mahumethis sectatores", 36; 76. 5 4 Ebd. 26; 30, 30; 56, und vor allem als Kapitelüberschrift zu 35; 71; vgl. „de Christi vita, doctrinaque" 23; 26. 5 5 Ebd. 4; 4, 7; 8, 21; 24. 5 4 Ebd. 30; 56. 5 7 Friedrich Normann, Christos Didaskalos. Die Vorstellung von Christus als Lehrer in der christlichen Literatur des ersten und zweiten Jahrhunderts, Münster 1967. 48
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sehen zu Gott, die nicht mehr regionalisiert als eine moralische Tugend, sondern als Grundbestimmung und Grundauszeichnung des Menschen gilt. Sie unterscheidet den Menschen vom Tier und bestimmt seinen Rang, der in einem singulären Bezug zu Gott steht. Dieser liegt begründet in Gott und der gemeinsamen menschlichen Natur. Die „religio" ist also den Menschen natürlich und grundsätzlich allen eigen. Dies kommt auch darin zum Ausdruck, daß das Opfern, das als Vollzug der „religio" anzusehen ist, dem „ius naturale" zugeordnet ist58. „Religio" verdankt der Mensch also seinen naturalen Gegebenheiten als Geschöpf; sie war ihm ursprünglich unversehrt zugehörig, ehe sie dann verdorben wurde. Das gegenwärtige Zeitalter solcher Verkürzung der „religio" zu überwinden und das goldene Zeitalter wiederherzustellen, intendiert die Aufforderung Ficinos. Ohne Irrtum bewahrt haben die „religio" nur die Christen. Offen bleibt, ob und in welchem Maße Heiden, Mohammedaner und Juden noch „religio" haben und verwirklichen. Aufgrund der einleitenden Kapitel wird sie ihnen nicht abgesprochen werden können, wenn immer bei ihnen Gottesverehrung frei von Hochmut u.a. realisiert wird. Auffällig ist, daß bei Ficino der Aspekt des auch sichtbar manifesten Vollzuges der „religio", nämlich „cultus" und „sacrificium" kaum zum Ausdruck gebracht wird 59 . „Religio" erscheint generalisiert, freilich auch nicht ausdrücklich und vornehmlich auf einen inneren Vollzug festgelegt. Wohl dient dieser Terminus in „De Christiana religione" dazu, die besondere Auszeichnung des Menschen zum Ausdruck zu bringen. Nicht er ist jedoch zentrales Thema dieses Buches, sondern die Rechtfertigung der Christen und ihrer Lehre vor Heiden, Mohammedanern und Juden. Der Tenor klingt weniger irenisch als vielmehr apologetisch auch im Sinne verschiedentlicher Herabsetzung anderer Uberzeugungen. Daß sich die Irenik Piaton gegenüber durchhält, kann nicht verwundern, wenn man das umfangreiche Buch Ficinos berücksichtigt, dem wir uns nun zuwenden. Daß „religio" auch im übrigen Schrifttum Ficinos nicht als zentrales Thema hervortritt, bestätigt ein Blick in die umfangreiche „Theologia Platonica de immortalitate animorum ac aeterna felicitate". Dieses Buch hat Ficino unmittelbar vor „De Christiana religione" verfaßt (1469 - 1474). Vielfach ist hier vom Bezug der menschlichen Seele zu Gott gesprochen. Dieser Bezug begründet beispielsweise die Unsterblichkeit der Seele60; er beruht darauf, daß die Seele ihr Sein unmittelbar von Gott emp58
Marsilio Ficino, aaO.34; 69. Vgl. etwa zum „sacrificium" ebd. 32; 61 sowie zu den „caeremoniae" des Alten Testaments ebd. 34; 64 f. 60 Marsilio Ficino, Theolgia Platonica de immortalitate animorum ac aeterna felicitate, lib. V cap. 10; in: Opera omnia I I ; 143 f: - Im folgenden wird zunächst mit römischer Ziffer das Buch und nachfolgender arabischer Ziffer das Kapitel sowie nach einem Semikolon die Seite der zitierten Ausgabe angegeben. Vgl. 1X6; 219. 59
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fängt 61 . Doch führt er nicht zu einer Haltung oder Handlung, die „religio" genannt wird. Von ihr ist auch dann nicht die Rede, wenn Ficino eine teilweise Ubereinstimmung der Seele mit den göttlichen Dingen konstatiert 62 . Und wenn er den Sinn der Ausschmückung der Welt darin sieht, Gott zu ehren, und dabei dem menschlichen Geist, der als „divinissimus" bezeichnet wird, eine ausgezeichnete Bedeutung zumißt, so wird auch dieses „Gott ehren" nicht mit „religio" zusammengebracht 63 . Dasselbe gilt, wenn von Priestern die Rede ist 64 . Es lassen sich faktisch keine Belege für „religio" in dieser Arbeit finden 65 , wenn man von einer Ausnahme absieht, von der noch zu sprechen ist. Ficino bringt überhaupt in diesen Ausführungen der materiellen Wirklichkeit und infolgedessen signifikanten Vollzügen des Menschen wenig Interesse entgegen. Die Seele hängt ja nicht vom Leib ab 66 , und der menschliche Geist („animus") handelt im Erkennen und Wollen ohne den Gebrauch des Leibes 67 . Durchgängig wird eine unmittelbare Beziehung der Seele bzw. des Verstandes („mens") zu Gott angenommen 68 . Die Seele ist bestrebt, Gott zu werden 69 . Dabei übersieht Ficino nicht, daß die Seele von Gott geschaffen wurde 70 und zu Gott nur durch ein göttliches Handeln kommt 71 . Er kann also nicht insofern als Platoniker bezeichnet werden, als er die Schöpfung der Seele bestreiten oder in ihrer Bedeutung ausdrücklich mindern wollte, wohl aber in dem Sinn, daß die Bedeutung der Leiblichkeit des Menschen hinter derjenigen seiner Seele entschieden zurücktritt. Ob aus diesem platonischen Ansatz heraus das Interesse Ficinos an der „religio" nicht eben zentral war, die doch ursprünglich einen signifikanten Vollzug Gott gegenüber zum Ausdruck brachte, läßt sich annehmen, aber nicht nachweisen. Daß jedoch dann, wenn er von „religio" spricht, auch dieser platonische Ansatz zum Tragen kommt, läßt sich in den Überlegungen über die Unsterblichkeit der Seele zeigen. In ihnen wird einmal expressis verbis von „religio" gesprochen, nämlich im Zusammenhang mit der speziellen Erörterung, daß die Seele bestrebt ist, „Gott zu werden" 7 2 . " 62 6J 64 65 66 67
207 f. 68
" 70 71 72
Ebd.V13; 147; X 8 ; 235 Ebd. 1X6; 218; vgl. X 4 ; 228f. E b d . X V I 6 ; 378. E b d . X I I I 2 ; 287 f. Vgl. eine bedeutungslose Stelle e b d . X V 2 ; 401. Ebd. I X 1 ; 203. Ebd. IX 5; 217, vgl. das ganze Kapitel; ferner ebd. 211 ff sowie vorher 1X2 u. 4; 204 f u. Vgl. bes. ebd.XII1-4; 265-275. Ausdrücklich heißt es: „quod anima Deus fieri nititur", e b d . X I V l ; 305. Ebd. X V 3; 401. Ebd.XVIII8; 411. E b d . X I V l ; 305.
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Ficino nennt zum einen vier Zeichen dieses Bestrebens, die die Herrschaft der Seele über den Körper zum Ausdruck bringen, und zum anderen für sein eigentliches Thema zwölf Zeichen, von denen das letzte die „religio" ist. Sie erscheint zunächst als Auszeichnung des Menschen gegenüber den Tieren 73 . Wenn sich Menschen von Tieren unterscheiden, muß es Unterscheidungsmerkmale geben. Wird die „ratio" als solches angesehen, ist zu berücksichtigen, daß sich auch bei den Tieren Spuren finden, vernünftig für sich und ihr weiteres Leben zu sorgen. Ausschließlich dem Menschen eigen aber ist die „contemplatio divinorum". Bei den Tieren gibt es keinerlei Zeichen von „religio". Es folgen dann jene Argumente, die in „De Christiana religione" wiederkehren, daß der Mensch ebenso wie durch den aufrechten Gang, so durch die „mentis in Deum coeli regem erectio" hervorgehoben und daß die „religio" wahr ist. Wäre sie nichtig, wäre der Mensch eben nicht das vollkommenste Wesen, zu dem ihn gerade die „religio" macht. Uber die Aussagen seines späteren Buches „De Christiana religione" hinaus bezeichnet Ficino hier die „religio" als „instinctus ipse ómnibus Gentibus communis naturalisque" und fügt hinzu, daß durch sie „ubique et Semper Providentia quaedam regina mundi cogitatur et colitur". Er bekräftigt diese Bestimmung durch das Argument, daß Menschen ihrem Wesen nach in Gemeinschaft leben, hierzu Gesetze erforderlich sind, Gesetze aber eines Garanten bedürfen und dieser Garant Gott ist74. Gott hat zugleich mit dem Gesetze Interpreten gesandt, die Ficino auch als Propheten bezeichnet. Durch sie sorgt Gott für die Menschen vor („providet"). „Religio" ist nach dieser Bestimmung Ficinos jener Intinkt, jener Anreiz bzw. Antrieb des Menschen, durch den die „Vorsorge" bzw. „Vorsehung" Gottes als gewisse „Königin der Welt" erwogen und verehrt bzw. gepflegt wird. Hiermit erfährt die „religio" eine spezifische Interpretation. Sie erscheint also als ein „Antrieb", die göttliche Vorsehung zu bedenken und zu achten, durch die Gott zum Besten des Menschen Vorsorge trifft. Damit richtet sie sich nicht in dem Sinne unmittelbar auf Gott, daß sie eine Haltung oder eine Handlung des Menschen ihm gegenüber wäre; sie wird vielmehr als eine allen Menschen gemeinsame und natürliche Auszeichnung gesehen, die göttliche Fürsorge für das Beste des Menschen wahrzunehmen. In diesem Sinne ist sie eine spezifische Qualifikation des Menschen. 73
Ebd.XIV9; 319, ebd.319f finden sich auch die folgenden im Text referierten Aussa-
gen. 74 Ebd.: „Quemadmodum bestiae nequeunt a bestia feliciter sine homine duci, ita neque homines ab homine sine Deo." - Der Sache nach, wenn auch vermutlich nicht dem Wortlaut nach, weil die im Text hinzugefügten Überschriften wahrscheinlich nicht von Ficino stammen, findet sich schon hier die Formulierung „Lupus est homo homini, non homo." Vgl. Marsilio Ficino, Epistolae, lib. III, in: Opera omnia 12, 741.
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In den anschließenden Widerlegungen dreier Einwände gegen die „religio" wird nachdrücklich unterstrichen, daß die „religio" den Menschen natürlich 75 und gemeinsam ist 76 . Zurückgewiesen werden drei Einwände der Anhänger des Lukrez, die besagen, daß die „religio" aus der Zerstörung der menschlichen „complexio" (worunter die Beschaffenheit des Körpers verstanden ist), durch die Verderbtheit der menschlichen Natur oder durch die Sterne hervorgerufen sei. Im Zusammenhang mit der Widerlegung des letzteren Vorwurfs stellt Ficino fest, daß dem nicht so sein kann, weil die „religio" „inimica corporibus" ist 7 7 . Wenn Ficino in diesem Zusammenhang die „religio" von ihren Anfängen her als eine solche ansieht, die durch Altäre und heilige Dinge oder Handlungen realisiert wurde, so hat dies kein besonderes Gewicht, weil sie überhaupt nicht primär als leiblich, sondern als der Seele zugehörig anzusehen ist 78 . Zur Begründung dieses Sachverhalts konstatiert Ficino, daß die „religio" nicht mehr der Gerechtigkeit Gott gegenüber zugeordnet, sondern als Liebe Gottes bestimmt wird. Für Ficino sind die beiden bevorzugtesten Akte der Seele Erkentnis und Liebe Gottes; unter ihnen hat in diesem irdischen Leben die Liebe den Vorrang, weil niemand Gott wahrhaft erkennen, wohl aber lieben kann 79 . Die Liebe distanziert sich nicht, noch kann sie zum Schlechten mißbraucht werden, was beides bei der Erkenntnis geschehen kann. Durch die Liebe Gottes wird der menschliche Geist gut und rein, und dadurch, daß er Gott nachahmt, wird er Gott 8 0 . Ausdrücklich stellt Ficino fest, daß in dieser Liebe Gottes die ganze „religio" besteht 81 . 7 5 Marsilio Ficino, Theologia Platonica X I 1 0 ; aaO. 324: „ Q u o d quidem in Protagora Plato confirmât dicens: homines etiam antequam congregarentur, vel loquerentur, vel artes aliquas exercerent, statim ab initio ob naturalem cognationem Deum adoravisse, arasque et sacra fecisse." Im folgenden wird bei Ficino darauf hingewiesen, daß es, wie es allein Menschen natürlich ist, zu essen und zu trinken, es jedoch verschiedene Sitten des Essens und Trinkens gibt, sich so auch mit der „religio" verhält: „Similiter apud omnes Gentes omnibus seculis adoratur Deus, quia naturale est, quamvis non iisdem sacris ac modis." 7 6 Ebd.: „Superiori disputatione colligitur, communem ipsam omnium Gentium ad Deum unum religionem, esse humanae speciei admodum naturalem, virtutemque hominis propriam, ideoque excellentissimam." 7 7 Ebd.: „An feruntur homines ad religionem syderibus, quod tertio obiiciunt impii. Minime. Nempe humoribus corporum sydera suffragantur. Religio est inimica corporibus. Neque altius desiderium infundere coelum potest, quam sphaerarum coelestium, quas etiam spernit homo religiosus ... Itaque si Deum colere cogit certa quaedam positio syderum, brevi positio contraria e memoria hominum divinos delebit honores." Vgl. auch Anm. 43. 7 8 Für die ursprüngliche Manifestation der „religio" vgl. die Anm. 75 zitierte Aussage. 7 9 Ebd. 324: „ D u o quidem excellentissimi sunt actus hominum, illi scilicet qui in excellentissima parte animae sunt, et circa obiectum versantur excellentissimum. Tales sunt in mente nostra Dei cognitio, atque amor. In hac vita humanus amor in Deum humanae praestat cognitioni, quia Deum nemo vere cognoscit. Vere autem amant illi Deum quoquo modo cognitum, qui spernunt omnia propter ipsum." , 0 Ebd. 325: „Hinc illud Porphyrii, animus Deum inquirendo purus efficitur, Deum imitando fit Deus."
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Die „religio" ist nach diesen Aussagen Ficinos zweifellos zentral. Überraschend ist angesichts dieses Tatbestandes, wie wenig er auf sie zurückgreift. Es darf nicht übersehen werden, daß die eben referierten Aussagen nur ein Argument für die Unsterblichkeit der Seele neben elf anderen wiedergeben und nur einen sehr geringen Raum in dem gesamten Werk einnehmen 82 . Auch wird nicht „religio", sondern allenfalls „lex" zur gemeinsamen Bezeichnung der Christen, Juden und Mohammedaner gewählt 83 . Somit ergibt sich: Der Terminus „religio" ist bei Ficino nicht so bedeutend, daß er häufig gebraucht würde und daß er bereits bei ihm zur gemeinsamen Bezeichnung jener Uberzeugungen dienen könnte, die später „Religion" genannt werden. Lediglich anfänglich und grundsätzlich wird die „religio" als allen Menschen natürlich und gemeinsam qualifiziert. Die faktische Konsequenz daraus wird noch nicht gezogen. Dieser Einschränkung des Gebrauchs von „religio" steht gegenüber, daß der Terminus eine besondere Hochschätzung erfährt, indem er als spezielle Auszeichnung des Menschen vor den Tieren zugleich ein besonderes Verhältnis zu Gott zum Ausdruck bringt. Dieses Verhältnis wird nicht als Furcht und Unterwerfung, sondern als Liebe charakterisiert, die den Menschen bei aller Abhängigkeit von Gott 84 doch selbst „Gott" werden läßt. Zu den Aussagen zur „religio" in diesen beiden Werken läßt sich neben gelegentlichen Wiederholungen 85 oder ausdrücklichen Verweisen auf „De Christiana religione" 86 vor allem folgende Ergänzung finden, in der Ficino das Verhältnis von „religio" und „philosophia" näherhin zum Ausdruck bringt. Wenn Gott selbst Wahrheit und Weisheit ist, kann legitime Philosophie nichts als wahre „religio" und legitime „religio" nichts als wahre 81 Ebd.: „Quoniam vero in hoc ipso amore tota consistit religio, nihil habent homines (ut Plato ... testatur) religione divinius." 82 Sie umfassen noch nicht acht von fast 350 Druckseiten. 83 Ebd. XVIII 9; 416: „Haec priscorum mysteria Philosophorum haud multum discrepant ab Hebraeorum, Christianorumque mysteriis, quae etiam a Mahumetensibus confirmantur. Communis enim tribus his legibus sententia est, motum ipsum ideo finem revera esse non posse, quoniam Semper ab alio fluit in aliud." Auch diese Stelle zeigt, daß Ficino eine größere Nähe von Christen und Juden annimmt, dann aber doch auch die Mohammedaner mit ihnen zusammennimmt. 84 Daß Gott die Möglichkeit des menschlichen Intellekts überschreitet und daß auch der Verstand der Engel nicht „virtute quadam ... naturali, sed divina potius (sie!), et... supernaturali" zur Schau Gottes geführt wird, sagt Ficino ausdrücklich, vgl. ebd.XVIII 8; 412. Doch wird diese Differenz auch wieder nivelliert, wenn das Licht der Sonne und die Möglichkeit, die Sonne zu sehen, als Metapher hierfür genommen wird. 85 So z.B. über die Auszeichnung des Menschen durch die „religio", vgl. Marsilio Ficino, In omnes praedicationes suas proemium, in: Opera omnia 11, 474, 478; ders., Epistolae I, in: Opera omnia 12, 647; vgl. ferner die Zurückweisung der Behauptung, die „religio" komme durch die Sterne, ebd. VII; 849-854. 86 Ebd. I; 644; III; 734 u. 750; IV; 784 (bei der Seitenangabe im Druck handelt es sich um einen Druckfehler); VII; 852.
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Philosophie sein87. Weil Gott als die Weisheit schlechthin zugleich die Glückseligkeit des Menschen bedeutet, kann die Philosophie als „amor sapientiae" 88 von Ficino als „sancta Philosophia" bezeichnet werden 89 . Die ganze Philosophie der Alten ist „docta religio"90. Und doch kann man wohl nicht resümieren, daß Ficino die platonisch-neuplatonische Philosophie und das Christentum „zu einer ,philosophica quaedam religio' verschmelzen" will91. Die hier zitierte Formulierung ließ sich nur einmal nachweisen, und zwar in einem komplexen Zusammenhang; an dieser Stelle geht es Ficino um die Ablehnung zweier aristotelischer Richtungen, der alexandrinischen und der des Averroes, die beide jede „religio" von Grund auf beseitigen; beide Richtungen können nicht einfach durch eine Glaubenspredigt zurückgewiesen werden, es bedarf vielmehr entweder göttlicher Wunder, wie sie früher geschehen sind, oder wenigstens einer „philosophica quaedam religio"; nach der göttlichen Vorsehung wird gegenwärtig das „religionis suae genus" „authoritate rationeque philosophica" bestätigt 92 . Fraglos sieht Ficino Philosophie und „religio" sehr nahe zusammen; denn er sieht sie bezogen als letztlich auf ein und dieselbe Wirklichkeit, nämlich auf Gott, die höchste Wahrheit und Weisheit. Als Zeichen der Nähe von Philosophie und „religio" dient, daß Ficino theologische Ausdrücke im philosophischen Kontext gebraucht; einmal nennt er sich gar „sacerdos philosophiae" 93 . Auch kann Piatons Philosophie „sapiens pietas cultusque divinus" genannt werden 94 . Im Gegenzug kann Ficino die „religio" als „cultum omnem . . . veritatis" bezeichnen 95 . Trotz dieser wechselseitigen Verwendungen von Termini für Philosophie und 87 Ebd.I; 668: „Si philosophia veritatis sapientiaeque amor ac Studium ab omnibus definitur. Veritas autem et sapientia ipsa solus est Deus, sequitur ut neque legitima Philosophia quicquam aliud, quam vera religio, neque aliud legitima religio, quam vera Philosophia ..." 88 Ebd.I; 670. 89 Ebd., vgl. IV; 758. 90 Ebd. VII; 854: „Quamobrem tota Priscorum Philosophia nihil est aliud, quam docta religio." 91 So M. Seidlmayer, Ficino: in: Religion in Geschichte und Gegenwart 3II, 934. 92 Marsilio Ficino, Epistolae, VIII; 872: „Totus enim terrarum orbis a Peripateticis occupatus in duas plurimum divisus est sectas, Alexandrinam et Averroicam. Illi quidem intellectum nostrum esse mortalem existimant, hi vero unicum esse contendunt. Utrique religionem omnem funditus aeque tollunt. Siquis autem putet tarn divulgatam impietate tamquam acribus munitam ingeniis, sola quadam simplici praedicatione fidei apud homines posse deleri, is a vero longius aberrare palam reipsa protinus convincetur. Maiori admodum hic opus est potestate. Id autem est vel divinis miraculis ubique patentibus, vel saltem philosophica quadam religione Philosophis eam libentius audituris quandoque persuasura. Placet autem divinae providentiae his seculis ipsum religionis suae genus authoritate rationeque philosophica confirmare, quoad statuto quodam tempore veris infimam religionis speciem, (ut olim quandoque fecit) manifestis per omnes Gentes confirmet miraculis." " Ebd. VII; 855. 94 Ebd. 854. 95 Ebd. V; 798.
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„religio" läßt sich bei Ficino doch keine ausdrückliche Verhältnisbestimmung beider finden. Daher scheint es auch nicht angebracht, diese Formulierung von der „philosophica quaedam religio" als Beleg für eine Intention Ficinos anzusehen, daß er eine Verschmelzung von platonisch-neuplatonischer Philosophie und Christentum angestrebt und sie unter dem Terminus „religio" versucht habe. Eher liegt für ihn der entscheidende Akzent auf der „philosophia". Immerhin war in unserem Zusammenhang auf die große Nähe von Philosophie und „religio" ausdrücklich hinzuweisen. Nicht von ungefähr konnte er sie beide „mater" nennen 96 , die „religio" freilich sogar „mater sancta" 97 . Ergänzend zu den Aussagen der beiden referierten Werke findet sich in den späten Briefen nicht nur die Formulierung „Christiana religio"98, sondern auch „Mosaica Christianaque religio"99. Gerade letztere Bezeichnung war in „De Christiana religione" und anderwärts nicht nachzuweisen. Sie hat daher zwar keine signifikante Bedeutung, belegt aber wohl, daß der Sprachgebrauch von „religio" hier ausgeweitet erscheint. Ein Rückblick auf Ficino ergibt, daß bei ihm zwar nicht durchgängig, wohl aber in verschiedenen Zusammenhängen eingehend von „religio" in einer ziemlich prägnant faßbaren Bedeutung die Rede ist. Freilich läßt dieser Gebrauch sehr vieles offen. Ficino stellt keine Bezüge her zum christlichen Glauben im spezifischen Sinn. Wohl will er die Aussagen dieses Glaubens wahren. Gerade seine „Theologia Platonica" schließt ja mit der üblichen Versicherung, in diesem Buch und anderswo nur solches gesagt haben zu wollen, was auch die Kirche bestätigt 100 . Vom platonischen Ansatz her, der auf die geistige Wirklichkeit abzielt, erscheint Ficino eine Verhältnisbestimmung etwa von „religio" zu einer Offenbarung oder eine Verhältnisbestimmung von natürlich und übernatürlich nicht dringlich. Dadurch wird jene Tradition vorbereitet, die in der „Religion" eine solche geistige Wirklichkeit sieht, indem sich in ihr der Mensch unmittelbar auf Gott selbst bezieht und darin jene ursprüngliche und natürliche „Religion" verwirklicht, in der der Mensch wahrhaftig zu Gott gelangt, ja, wie Ficino sagt, selbst Gott wird. Daß das Zu-Gott-Kommen Geschenk Gottes ist, welches wir gerade nicht von Natur besitzen, wird dann nicht mehr deutlich, wenn Ficino fststellt, daß wir „in hac religione nati" sind101.
" Zur Philosophie vgl. VI; 830. 97 Ebd. III; 721. " Ebd. III; 734; dieser Brief steht zwischen solchen, die auf 1476 datiert sind. Daher ist dieses Jahr auch für den hier zitierten Brief anzunehmen. Vgl. auch XI; 930, ein Brief, der zwischen solchen von 1491 u. 1492 steht. " Ebd. VII; 851, datiert 1481. 100 Marsilio Ficino, Theologia Platonica, XVIII; aaO. 424. 101 Marsilio Ficino, De Christiana religione, 7; 7.
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Daß die so grundlegend klingende Formulierung von der „religio communis" doch nicht im neuzeitlichen Sinn zu verstehen ist, erfolgt aus der Intention von „De Christiana religione". Denn Ficino geht es in diesen Ausführungen nicht um die Einheit der „religio", erst recht nicht im Hinblick auf andere Uberzeugungen, .die gleichfalls als „religio" bezeichnet würden, sondern um die Apologie des christlichen Glaubens besonders gegenüber Juden und Mohammedanern. Zur Grundlegung kommt er auf die „religio" zu sprechen und charakterisiert sie als eine Auszeichnung des Menschen gegenüber den Tieren, die durch die Vernunft nicht hinlänglich zum Ausdruck gebracht werden kann. In diesem Sinne ist allein den Menschen die „religio" von Natur aus eigen und gemeinsam. Als solche war sie bei ihnen am Anfang vorhanden, ehe sie vor allem durch die Schuld weltlicher Menschen verdorben wurde, die sie nach ihren Interessen auslegten. Wesentlich erscheint bei Ficino, daß allein durch Christus und seine Schüler diese „religio" rein weitergegeben, dann aber auch von Christen wieder beeinträchtigt wurde. Ficinos Anliegen geht gleichwohl darauf, den Vorzug der christlichen „religio" vor Heiden, Mohammedanern und Juden zu erweisen. Als gemeinsamer Terminus fungiert aber nicht „religio", sondern vornehmlich „lex". Die eine „religio" ist allenfalls die christliche, zu deren Einheit alle finden sollen. Dies wird freilich nicht explizit gesagt. Die neuzeitliche Fragestellung verläuft in die entgegengesetzte Richtung, insofern sie anhand verschiedener geschichtlicher Manifestationen hinter ihnen die allein wahre „religio" aufzuspüren sucht, die allen gemeinsam ist. Keineswegs zufällig ließ sich eine so neuzeitlich verstandene Formulierung von einer „communis omnium gentium religio" bei Ficino in den überprüften Texten nicht belegen. Ein neuzeitliches Verständnis besagt nämlich etwas anderes, als wenn Ficino von einer „communis religio" spricht. Eine naturale Ausstattung des Menschen mit einer allen gemeinsamen „religio" ist etwas anderes als eine gemeinsame „Religion" aller Völker; denn die von allen geübte „GottesVerehrung" unterscheidet sich fundamental von einem innerlichen Gefühl für das Unendliche im Sinne eines anthropologischen Existentials. Nicht von ungefähr spricht Ficino in dem zitierten Zusammenhang unmittelbar nach der Formulierung „communis religio" von der „Christiana lex"102. Wie sehr er sich von einem neuzeitli102
Ebd. 9; 12. In den Ausführungen von Paul Oskar Kristeller, Die Philosophie des Marsilio Ficino, Frankfurt 1972, bes. 300-307, sehe ich insofern eine nachhaltige Bestätigung der vorgelegten Interpretation Ficinos, als auch Kristeller ausdrücklich konstatiert, daß es „bei Ficino eine eigentliche Religionsphilosophie ebensowenig gibt wie eine Ethik oder Ästhetik", 300. Ficino darf also noch nicht neuzeitlich interpretiert werden. Allerdings erscheint fraglich, ob die unmittelbar anschließende Aussage Kristellers zutrifft, daß „doch der Begriff der Religion als solcher für den Zusammenhang seines (sc. Ficinos) Weltbildes von grundlegender Bedeutung" ist. Widersprechen möchte ich der wenig später, 301, formulierten Aussage: „Das an-
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chen Sprachgebrauch unterscheidet, wie sehr er an einem Vorzug des christlichen Glaubens festhält, läßt eine Aussage erkennen, die als Resümee dienen kann: „Concludere possumus, Christianam legem apud omnes sectas Gentilium, Judaeorum, Mahumethensium, revera omnium excellentissimam esse concedi." 103
4.11 Giovanni Pico della Mirandola Nachdem Marsilio Ficino der „religio" gewisse Beachtung gewidmet hatte, fragt sich nun, ob die Verwendung dieses Terminus durch Giovanni Pico della Mirandola (1463 - 1494) gefördert wurde. Diese Frage stellt sich deswegen, weil Pico , von Ficino beeinflußt, wohl wie dieser einen Neuplatonismus vertrat, über ihn hinaus jedoch offen war nicht nur für die Aufnahme der aristotelischen Tradition der Scholastik, sondern auch für islamische- und jüdische Impulse zumal aus der Mystik bzw. der Kabbala1. Da Pico selbst neben griechisch und hebräisch auch noch arabisch gelernt hatte, bleibt zu prüfen, ob eine Verwendung von „religio" auch von hierher beeinflußt wurde. Es fragt sich jedenfalls, ob die Annahme zudere Moment, wonach jede beliebige Form der Religion wenigstens mittelbar den einen wahren Gott zum Gegenstand hat, wird bei Ficino zu einer Theorie der .natürlichen Religion' ausgebildet, welche für die Geschichte der Religionsphilosophie von nicht geringem Interesse ist." Zwar hat Ficino für die spätere Religionsphilosophie eine große Bedeutung, doch findet sich für eine „Theorie der .natürlichen Religion'" kein Anhaltspunkt. Grundsätzlich heißt „religio" bei Ficino noch „Gottesverehrung", wie Kristeller gelegentlich selbst übersetzt, vgl. 301. Doch schon der Terminus „natürliche Religion" ließ sich nicht finden; Kristeller bringt denn auch keinen Beleg für ihn. Daß Ficino mehrmals von „genus" und „species" im Hinblick auf die „religio" spricht, vgl. den o.Anm.92 zit. Text sowie Marcilio Ficino, Plotini Epitomae, Prooemium; 1537, vgl. dazu P. O. Kristeller, aaO. 303 mit Anm. 141 und aaO. 305, nimmt Kristeller in dem Zusammenhang auf, daß trotz verschiedener „Religionen" (ich würde übersetzen: „Gottesverehrungen") es selbstverständlich einen Gattungsbegriff, ein „genus" von „religio" gibt, dennoch aber das Christentum nicht eine „species" neben bzw. unter anderen ist, sondern die schlechterdings bevorzugte. Daher scheint mir der einleitende Satz zu diesem Hinweis unzutreffend, daß „Ficino seine Betrachtungen auf dem Begriff der natürlichen Religion aufbaut". Der Grund für die zurückhaltende Interpretation Ficinos liegt darin, daß dieser zwar davon spricht, daß die „religio" „communis" und „naturalis" ist, sich aber der Terminus „religio naturalis" - mindestens bislang - nicht hat nachweisen lassen. Aber selbst wenn eine singulare und seltene Nennung dieses Terminus nachgewiesen werden könnte, ließe sich daraus nicht folgern, daß schon eine „Theorie der Religion" (ich würde wiederum übersetzen: „Theorie der Gottesverehrung") sich bei Ficino fände. Eben für sie ist der Terminus „religio" bei Ficino m.E. nicht gewichtig genug. Für ein neuzeitliches Verständnis von „Religion" kommt hinzu, daß Ficino hier durchaus von „lex" bzw. „leges" spricht, wofür später „Religion" bzw. „Religionen" gesagt wird. 103 Marsilio Ficino, De Christiana religione 12; 13. 1 Vgl. Eugenio Garin, in: Giovanni Pico della Mirandola, De dignitate hominis, eingel. von Eugenio Garin ( = Respublica Literaria 1), Bad Homburg 1968, 10 f, 15 ff.
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trifft, Pico habe Ficino „in Richtung auf eine pantheistische GebildetenReligion" fortgeführt 2 . Sucht man in Werken Picos nach einer Bestätigung für diese These, so stellt sich heraus: Ausführlicher hat sich Pico nur zweimal dem Thema „religio" zugewandt, wo es um die Bedeutung der Astrologie für die „religio" geht 3 . Hier weist er die These zurück, die Astrologie sei nützlich für die „religio". Pico wendet sich dabei besonders gegen Aussagen von Roger Bacon und Pierre d'Ailly. Die Behauptung astrologischer Autoren lautet, daß die „religio" und alle ,,leges"(!) wie alle menschlichen Dinge überhaupt den Konstellationen der Sterne unterworfen sind4. Dabei bedeutet, wie Pico, Bacon referierend, mitteilt, Jupiter eine „religio", die anderen resultieren aus einer Konjunktion dieses Sterns mit den anderen Planeten, so daß insgesamt' sechs „religiones" zustande kommen; die christliche „religio" entsteht aus der Konjunktion des Jupiter mit dem Merkur; aus der Konjunktion des Jupiter mit dem Mond folgt als einzige noch ausstehende „religio" die des Antichristen 5 . Pico weist diese These mit verschiedenen Argumenten gegen die Astrologie zurück. Hervorzuheben ist hier seine Gegenfrage, warum die christliche „religio" in Zusammenhang mit dem Merkur und nicht mit der Sonne gebracht wird, wo sie doch den Sonntag, d. h. den Tag der Sonne besonders feiere6. Das Argument, daß der Merkur der „Librarius", der Schreiber der Götter ist und deswegen eine besondere Affinität dieses Gottes zu den Christen besteht, bei denen es eine Menge Bücher gibt, weist Pico mit Spott zurück 7 . Hinge die Entstehung 2 Heinrich Dörrie, Giovanni Pico della Mirandola, in: Religion in Geschichte und Gegenwart V, Tübingen 31961, 366 f. 3 Giovanni Pico della Mirandola, Disputationes in astrologiam, in: ders., Opera omnia, I, Basel o.J. (1572), reprogr. Neudruck, hg. von Eugenio Garin, I, Turin 1971, 434-439; 578-581, vgl. ferner 539; 560. 4 Ebd. 437: „Ego vero ex scriptoribus astrologiae praecipuis, neminem legi qui religionem et leges omnes, ut reliquas res humanas constellationibus siderum non subiiciat." Diese Stelle ist sehr aufschlußreich, weil sie „religio" im Singular und „leges" im Plural verwendet. Wenig später heißt es: „Albumasar Arabs et legem Saracenorum, et suam, et nostram, et omnes pariter leges, sie a caelo derivat, ut quaenamquamque constellatio fecerit ...". Hier hat „lex" die gleiche Funktion wie „religio". 5 Ebd. 578: „Iupiter, inquiunt, religionem significat, aliam autem atque aliam ex complexu eius cum alio et alio sidere. Sunt autem sex praeter Iovem, quare sex etiam species religionum quibus nec plures erunt, aut fuerunt, nec item pauciores. Iupiter enim cum Saturno Iudaeorum facit religionem, cum Marte Chaldaeorum ignem adorantium, cum Sole Aegyptiorum, qui coeli militiam, hoc est, sidera colunt, cum Venere Saracenam, cum Mercurio Christianam, cum Luna eam quae sub antichristo postrema omnium est futura, hoc est illud subtile et profundum inventum, quo cum alii plerique tarnen Rog. Bac. in epistola maxime utitur ad d e mentem, quo usus etiam Alliacensis (sc. Pierre d'Ailly) in tractatu de Concordia Astrologiae et Theologiae." 6 Ebd. 579. 7 Ebd. - Ebd. 580 ist von der „regnorum religionumque mutatio" die Rede; 434 heißt es „legum et regnorum ... mutationes"; „religio" und „lex" entsprechen sich in diesen Formulierungen.
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einer „religio" tatsächlich an einer Konjunktion, müsse sie auch mit dieser wieder verschwinden 8 . Die „religio" aus der Astrologie abzuleiten, bedeutet nach Pico, jene ebenso zu beleidigen, wie wenn jemand sagt, es gäbe sie überhaupt nicht 9 . In diesen Ausführungen wird über die „religio" selbst weiter nichts gesagt, so daß sie nicht genauer in Erscheinung tritt. Dies erklärt sich daher, daß die „religio" ja auch nicht im Mittelpunkt des Interesses dieser Ausführungen steht. Immerhin tritt „religio" hier in einem Zusammenhang auf, in dem Bacon „secta" oder „lex" sagte. Damit hat „religio" einen Funktionszuwachs erfahren. Daß die Bedeutung „Gottesverehrung" durchaus präsent ist, zeigt die verschiedentliche Kontrastierung zu „superstitio" bzw. die Verwendung von „mala religio" 10 . Daß „religio" jedoch noch keine bevorzugte oder gar dominante Bedeutung hat, läßt sich daraus ersehen, daß im gleichen Zusammenhang offensichtlich in gleicher Funktion auch noch wie schon früher von „lex", genaueren von „Hebraeorum" bzw. „Mosaica lex" gesprochen werden kann, wie auch „religio Hebraica" bzw. „Mosaica" zu finden ist; ebenso kann Pico zwischen „lex. . . Christiana" und „religio nostra" wechseln 11 . Beide Termini, „religio" wie „lex", finden sich häufiger. Neben „lex Christiana" 12 findet sich gelegentlich auch „lex nostra" 13 oder „lex evangelica"14. Der Terminus „religio" wird über den christlichen und jüdischen Bereich hinaus 15 nur selten verwandt 16 , und dann gerade in Aufzählungen17, so daß „religio" faktisch nicht als selbständige Sammelbezeichnung außerhalb des christlichen Bereichs dient. Statt dessen übernimmt diese Funktion speziell für den Islam der Terminus „lex"18. Für die Christen * Ebd. 540: „Nam si virtute magnae alicuius coniunctionis religio aliqua nascitur, abolita ea virtute, aboleri quoque ilia religio debet. Nulla autem siderum est coniunctio cuius virtus durare per tot annos fingatur, edam ab astrologis, quot annis et cultus idolorum, et mosaica religio, et Christiana etiam perdurarunt." 9 Ebd. 438: „Quae omnia si quis recto iudicii examine penset, videbit nullo magis errore pietatem verae religionis offendi, cum aeque sit impium totaliter nullam putare esse religionem, et ex coelo fatali quadam eam necessitate deducere." Vgl. auch ebd. 426; Zurückweisungen finden sich auch 551. 10 Vgl. ebd. 436, 438, 439. 11 Ebd. 579 in verschiedenen Zusammenhängen; vgl. „lex Mosaica" 706, „religio Mosaica", in: ders., De hominis dignitate, in: ebd. 330, vgl. jeweils neben „Christiana", ders., Apologia, in: ebd. 123. 12 Giovanni Pico, Disputationes, in: ebd. 419, 438, 574, 579. 13 Ebd. 550, 579. 14 Ebd. 437. 15 Die Belege vgl. o.Anm. 10. 16 Vgl. in der konkreten Bedeutung „Gottesverehrung" die „religio Iovis", Giovanni Pico, Disputationes, in: ebd. 438. 17 Ebd. 578, den Text s.o. Anm. 5. » Giovanni Pico, aaO. 437f, 550, 555, 577.
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heißt es jedoch häufiger „religio Christiana" 19 oder „nostra" 20 . Die differenzierende Formulierung „non modo Christiana religio, sed omnes leges" 21 dürfte nicht nur durch humanistische Stilistik begründet sein, sondern eine sachliche Differenz akzentuieren. „Religio" wird freilich auch für die Christen nicht vorrangig gebraucht, dient doch als bevorzugte Sammelbezeichnung „fides", spezifiziert als „fides Christi" 22 , „Christiana"23, „nostra" 24 und vor allem „catholica" 25 , „catholica et orthodoxa" 26 oder „sacrosancta et catholica" 27 . In einer Parallelformulierung kann sogar von „fides Christiana" und „fides Mahumetensium" die Rede sein28. Aber auch hier dürfte es sich nicht um eine genuine Bezeichnung des Islam handeln, da der Terminus „fides" sonst bei Pico wie auch in der gesamten Tradition vor ihm durchweg für die Christen und die Juden reserviert bleibt. „Religio" im wesentlichen auf den christlichen Bereich zu beschränken, hat wohl seinen Grund darin, daß außerhalb präziser von „superstitio" zu sprechen ist29. Ihr gegenüber wird „religio" auf die grundsätzlich zu akzeptierende Tradition bezogen, die schon im Alten Testament beginnt. So kann Abraham als „fundator primus verae religionis" bezeichnet werden, bei dem sich der Übergang vom Naturrecht zum göttlichen Recht ereignete und zwischen der „religio" der Dämonen und der des wahren Gottes unterschieden wurde 30 . Nur in deutlich sichtbarer Verkehrung kann der an sich positive Terminus „religio" auch im negativen Sinn gebraucht sein. Insgesamt scheint also die Verwendung von „religio" bei Pico nicht so ausgeprägt, wie dies bei Ficino der Fall ist. Es hat daher auch keine besondere Bedeutung, wenn Pico gelegentlich von der „communis religio" spricht, in der jeder geboren ist31. Dieses war ja die grundlegende Aussage
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Giovanni Pico, Apologia, in: ebd. 120, 123, ders., De hominis dignitate, in: ebd. 327; ders., Disputationes, in: ebd. 579. 20 Giovanni Pico, Apologia, in: ebd. 122, 142, 200; ders., De hominis dignitate, in: ebd. 329; ders., Disputationes, in: ebd. 579. 21 Giovanni Pico, Apologia, in: ebd. 120; ders., De hominis dignitate, in: ebd. 327, jeweils weitergeführt mit „omnis bene instituta respublica". 22 Giovanni Pico, In psalmum XV. commentarius, in: ebd. 336; ders. Disputationes, in: ebd. 550. 23 Giovanni Pico, Apologia, in: ebd. 123, 227, vgl. ders., De dignitate, in: ebd. 330. 24 Giovanni Pico, Apologia, in: ebd. 176. 25 Vgl. z.B. ebd. 203, 207, 217, 218, 237. 24 Ebd. 239. 27 Giovanni Pico, De dignitate, in: ebd. 328. 28 Giovanni Pico, Apologia, in: ebd. 227. 29 Vgl. Giovanni Pico, Disputationes, in: ebd.413, ferner 719f, für Ägypter und Chaldäer, die als „parentes" und „magistri religionis" gelten. 30 Giovanni Pico, Heptaplus, in: ebd. 50. 31 Ebd. 45.
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Ficinos. Pico aber reicht lediglich in dieser Anspielung an Überlegungen Ficinos heran. Als Ergebnis ist festzuhalten, daß „religio" bei Pico insgesamt wohl in jene astrologischen Ausführungen aufgenommen wurde, in denen Bacon vornehmlich „secta" sagte. Hier liegt also eine terminologische Veränderung vor. Freilich tritt in den Auseinandersetzungen mit astrologischen Thesen weiterhin wie bei Bacon „lex" auf; nur „secta" tritt bei Pico völlig zurück. Doch darf der veränderte Sprachgebrauch nicht darüber hinwegtäuschen, daß „religio" für Pico keine größere, sondern eher eine geringere Bedeutung als für Ficino hat. Wo immer Pico über Ficino hinausgegangen sein mag, geschieht dies nicht unter dem Stichwort „religio". Insbesondere galt sein Interesse nicht einer Bemühung, die man „Religionsphilosophie" nennen könnte. Diese Feststellung trifft gerade angesichts der Tatsache zu, daß es Pico um eine Einheit geht, wie es auch in der Neuzeit der Fall ist. Doch während hier nach einer langen Entwicklung die Diastase von Philosophie und Theologie schließlich durch die Aufhebung der Theologie in (Religions-)Philosophie überwunden werden soll, liegt Pico dieser Entwicklung noch voraus: Bei ihm gibt es noch kein Gegeneinander von Philosophie und Theologie, von Vernunft bzw. Religion und Offenbarung bzw. Glaube. Noch nicht einmal Versuche oder Probleme einer natürlichen Theologie treten hervor. Denn Pico intendiert eine Einheit, zu der auch und gerade die Philosophie ihren Beitrag leisten muß 32 . Doch steht die Philosophie nicht im Widerstreit zur Theologie, sondern bereitet den Weg zur himmlischen Herrlichkeit 33 . Das Verhältnis beider zueinander läßt sich nicht als problematisch erkennen, vielmehr wollte Pico über sie zusammen sowie über andere „incognitae disciplinae" jene große Disputation in Rom veranstalten, mit der er scheiterte 34 . Interessant ist, daß Pico, ohne diesen Sprachgebrauch zu begründen, für die Alten noch von Theologie spricht35, von denen sich dann eine Linie zur späteren Philosophie herleitet. Wird eine Relation zwischen Philosophie und Theologie hergestellt, so dominiert die Theologie; sie kann jenen Frieden geben, um den es Pico geht, den die natürliche Philosophie (die schwerlich einfach identisch ist mit der späteren Naturphilosophie) nicht bringen kann 36 . In diesen Frieden will Pico nicht nur Piatonismus und Aristotelismus, Philosophie und Theologie, sondern auch Hermetik und Kabbala einbeziehen 37 . Ihm ordnet Pico alles zu. In ihm realisiert sich die Aufgabe, 32
Giovanni Pico, De hominis dignitate, in: ebd. 318 ff, bes. 321 f. Ebd. 319. 34 Ebd. 323. 35 Ebd. 319; vgl. 326, ferner ebd. weiter unten, wo es nach der Formulierung „philosophandi institutio antiqua" „Prisci Theologi" heißt. 34 Ebd. 318, vgl. 321. 37 Vgl. die abschließenden Passagen ebd., bes. 326 zu Hermes Trismegistos und 328 ff, 33
Gian Francesco Pico della Mirandola
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das Ziel des Menschen, nämlich eins zu werden mit Gott und so über allen Dingen zu stehen 38 . Insofern die Philosophie der Natur zugeordnet wird, die eine Vorschule der Gnade ist, kann die Philosophie als Anfang der „religio" bezeichnet werden 39 . Ist also bei Pico von Religionsphilosophie nicht zu sprechen, so läßt sich doch sehen, wie dieser Sprachgebrauch zustande gekommen ist: Nachdem die Einheit von Philosophie und Theologie neuzeitlich in neuer Weise prekär geworden war, konnten die Aussagen Picos als Religionsphilosophie gelesen werden, die sie aber historisch nicht waren. Erst recht hat es bei Pico noch kein Verständnis des Terminus „religio" gegeben, das eine Religionsphilosophie überhaupt möglich macht. Peripher bleibt also, wenn Pico im Zusammenhang mit der astrologischen These von der Entstehung der „religio" zugleich von verschiedenen „religiones" spricht. Eben dieser später übliche Sprachgebrauch ist bei ihm nicht gängig und zentral. Entsprechend findet er sich auch noch nicht in einer folgenden Erörterung des Geronimo Cardano um die Mitte des 16. Jh. Von hierher findet unsere Interpretation der Aussagen Picos eine wichtige Bestätigung.
4.12 Gian Francesco Pico della
Mirandola
Ist der Gebrauch von „religio" bei Giovanni Pico della Mirandola gegenüber dem von Marsilio Ficino eher rückläufig, fragt sich nun umso mehr, welcher Befund sich bei Picos Neffen Gian Francesco Pico della Mirandola (1469 - 1533) ergibt. Seine Bedeutung liegt nicht nur in der Edition der Schriften seines Onkels, sondern in den Verbindungslinien zur Reformation. Für unser Thema ist er wichtig, weil er sich in einem Abschnitt seiner Schrift „De rerum praenotione" ausführlicher zur „religio" geäußert hat.
bes. 329 über die Moses zuteil gewordenen mündlichen Weisungen, die in der Kabbala weitergegeben worden sind. 38 Ebd. 315: „Nascenti homini omnifaria semina, et omnigenae vitae germina indidit pater. Quae quisque excoluerit, ilia adolescent, et fructus suos ferent in ilio. Si vegetalia, pianta fiet. Si sensualia, obbrutescet. Si rationalia, coeleste evadet animai. Si intellectualia, angelus erit et Dei filius. Et si nulla creaturarum sorte contentus, in unitatis centrum suae se receperit, unus cum D e o spiritus factus, in solitaria patris caligine qui est super omnia constitutus, omnibus antestabit." 39 Giovanni Pico, Heptaplus, in: aaO. 49: „Ad hanc felicitatem religio nos promovet, dirigit et impellit, quemadmodum ad naturalem ducem utimur philosophia. Quod si natura rudimentum est gratiae, utique et philosophia inchoatio est religionis, neque est philosophia quae a religione hominem se movet."
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Diese kurz nach 1500 entstandene Arbeit 1 befaßt sich recht weitschweifig mit der „praenotio", d. h. mit dem „Vorwissen"; ein solches „Vorwissen" ist zunächst ein Vermögen, etwas zu wissen, bevor es geschieht; doch gehört zu ihm auch, Verborgenes der Vergangenheit oder Gegenwart schauen zu können 2 . Fast das ganze Buch widmet sich allen möglichen Formen des Aberglaubens wie Wahrsagerei oder Magie, die mit dieser „praenotio" verbunden und weitverbreitet sind. In der Grundlegung zu diesen apologetischen Ausführungen legt Gian Francesco Pico „religio" und „superstitio" in ihrer Abhängigkeit von der „praenotio" dar 3 . Schon die Stammeltern im Paradies besaßen ein solches „Vorwissen"; aus ihm heraus war ihnen ein Gesetz gegeben, nämlich vom Baum des Wissens um Gut und Böse nicht zu essen. Und eng mit diesem Gesetz verbunden gehörte zum Menschen von Geburt an „religio"4, die zur wahren Verehrung Gottes gehört. Pico leitet „lex" und „religio" von der „praenotio" ab; denn die „religio" wie das Gesetz erwartet Gutes und fürchtet Böses. Beide stellt Pico auch etymologisch nebeneinander, indem er auf ihre gemeinsame Wurzel „legere" hinweist. Beide Termini verbindet vorauszuwissen, was zu tun und was zu vermeiden ist5. Als Beispiel führt Pico ebenso die „lex Mosaica" wie die „Evangelica lex" an, die beide Auskunft über das Sollen des Menschen geben. „Religio" kann in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung „Orden" annehmen, da sie zum universalen rechten „Dei cultus" gehört, wie er vor allem von den „religiones" genannten Lebensformen verwirklicht wird. Als Beispiel weist Pico auf die Franziskaner hin 6 . Aus dem Vorwissen um Gut und Böse wurde bei den Heiden, die viele Götter verehren, die „religio" eingeführt, die jedoch nicht „religio", son-
1 Vgl. den Hinweis im Vorwort von Eugenio Garin: Joannes Franciscus Picus Mirandulanus, Opera omnia, I 1 u. 2, hg. von Eugenio Garin, Turin 1972, IV. Im folgenden werden die Texte von Gian Francesco Pico della Mirandola nach dieser Ausgabe ohne Unterscheidung der Bände zitiert, da die beiden Bände durchpaginiert sind. 2 Gian Francesco Pico della Mirandola, De rerum praenotione, ebd. 372 ff. 3 Ebd. 393; wenig später, ebd. 397, formuliert Pico umgekehrt, daß die „praenotiones" von der einen wahren „religio" und geprüften Gesetzen oder von der „superstitio" und schlechten, illegitimen Gesetzen abhängen, führt den Gedanken jedoch dadurch weiter, daß letztere von der „fidei praenotio" erhellt werden, s. dazu u. 4 Ebd. 393; die wichtigsten Aussagen lauten: „Primo inquam hominum parenti ex hac praenotione et data lex, et nata religio ... Religio enim ad verum Dei cultum pertinet: Verior autem esse quis potest, eo quem Deus ipse constituit, et primum hominem instituit. Ex religione autem et expectantur bona ad custodiam, et formidantur mala ob contemptum, ex lege itidem haec ipsa prodeunt, sive quod nihil aut parum differunt, lex et religio. Lex enim a ligando vel legendo: Religio a religando vel relegendo deducitur, sive quod et religio lex quaedam, et lex idem quodammodo religio dici potest, sed illa ad Deum pertinet proprie ..." 5 Ebd. 394. ' Ebd.
Gian Francesco Pico della Mirandola
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dern „superstitio" genannt werden muß7. Um diese Antithese von „religio" und „superstitio" geht es in den folgenden beiden Büchern. Dabei korrigiert Pico die Unterscheidung von Cicero, der diesen Gegensatz schon gekannt und als „superstitio" die Übertreibung der „religio" bezeichnet hatte. Nun heißt „superstitio" der falsche, weil auf viele Götter gerichtete „cultus", wo es doch nur den einen wahren Gott gibt. Dessen Verehrung meint also „religio". Deren Etymologie von „religere" oder „religare" läßt Pico offen 8 . Hängt die „religio" von der „vera praenotio" ab, so die „superstitio" von der „falsa". Letztlich grundlegend ist für „religio" und gerechte Gesetze wie für „superstitio" und illegitime Gesetze die „fidei praenotio"; denn mit dem Glauben ist ein „Vorwissen" verbunden 9 . Hier erscheint, was für unser Thema zentral ist, „religio" als von der „fides" abhängig und ihr somit untergeordnet. Die „fidei praenotio" leuchtet, sie verleiht durch das göttliche Licht Sicherheit, wie Pico in ausdrücklicher Auslegung der Lichtmetaphorik sagt10. Wegen dieses Lichtes kann den Offenbarungen Gottes geglaubt werden. Da ens, bonum und verum, wie die mittelalterliche Lehre von den Transzendentalien sagt, ineinander umgewandelt werden, gründet die „religio", die allein „vera religio" genannt zu werden verdient, in der Wahrheit und Gutheit; daher führt die „religio" zur Seligkeit, hat sie doch allein Gott zum Gegenstand 11 . Sie ist also eine Tugend, wie es ausdrücklich und
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Ebd.394ff. ' Ebd. 396: „Siquidem unius et veri Dei unica et vera religio, sive eius nomen inde sit tractum ut Firmianus putat, quod hominem sibi Deus religaverit et pietate constrinxerit, quia nos ei servire ut Domino, et obsequi ut patri necesse est, sive quod Augustinus voluit ut ipsum D e u m eligamus, vel potius reeligamus, quem negligentes amiseramus, sive ut arbitrantur alii quod ad unius Dei cultum religemus animas nostras, sive ex ordine hominis ad Deum, q u o d libet enim detur veri cultus est ipsa religio, seu a D e o reeligendo, seu ab eo nos sibi religante, aut a nobis animas ei religantibus nostras ..." ' Ebd. 397: „A fide igitur et religiones q u o d a m m o d o pendent, et leges: a vera fide vera religio et verae leges, a superstitione falsae omnes emanarunt: Et quanquam non nisi unica et vera fides est, sicuti et religio una atque vera, ut nuper ostendemus: Verum tamen et falsa fides communi loquendi usu appellator: Sicuti et falsae religiones, quae etiam ex propriis quanquam falsis fidei suae principiis dependent, veluti effectus ex suis causis educitur." 10 Ebd. 397 f. 11 Ebd. 398 f: „Omni quippe bonitati divina bonitas inest, quae si subtraheret se nihil bonum esset, imo nihil existeret, reciprocant enim et commeant, convertunturque inter se Ens et bonum, ut Philosophis etiam notissimum. Religio autem et veritate et bonitate subsistit, alioquin et mala et falsa (ut idem saepius repetamus) non religio sed superstitio. Veritatem et bonitatem religioni propterea inesse necesse est, quod et cognitione recta, et sincero amore freta, religio ipsa ad felicitatem tendit, perducitque cultores. Felicitas vero pura atque integra perpetuaque, in solo D e o omnibus remotis impediments et cognoscendo et a m a n d o consistit. Religio itaque et veritate et bonitate fulta, unicum et bonftatis et veritatis obiectum habebit, D e u m videlicet, quem omni errore falsitateque repudiata recte cognoscere, omnique adversa cupiditate reiecta, pure diligere, magis indies ac magis ardebit."
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unter Verweis auf die Schulen bewährter Theologen heißt 12 . Pico belegt diese Annahme heilsgeschichtlich, indem er zunächst auf Adam verweist, dem eine „clara praenotio et pia religio" eigen waren, und hebt besonders Christus hervor, den er als „religionis doctor" bezeichnet 13 . Seinen Gegenstand erläutert Pico abschließend mit dem Bild eines Baumes: Wie aus einer guten Wurzel ein Baum wächst, an dem es auch schlechte Zweige gibt, so kann von dem einen Baum der „religio" gesprochen werden. Zur Bestätigung dieses Bildes bringt Pico zum Ausdruck, daß alle Häresien vom einen Stamm der katholischen Kirche abzweigen. Letzte Wurzel ist die „vera unius veri Dei religio praenotioque syncera" 14 . Mit hinlänglicher Deutlichkeit hat Pico in diesem ausführlichen Text sein Verständnis von „religio" dargelegt: Sie ist eine Tugend, die der Verehrer („cultor") Gottes übt; somit erscheint sie speziell gefaßt auf der Ebene des Verhaltens und Handelns. Grundlegend ist sie, weil sie sich auf Gott, den allein wahren und guten, bezieht. Doch stellt sie nicht das letzte Fundament dar, sie beruht vielmehr auf dem Glauben, der als eine Letzteinstellung Gott gegenüber hervortritt. Durch ihren Gegensatz, die „superstitio" bzw., weil das Böse in eine Vielfalt zerfällt, die „superstitiones", wird die enge Fassung von „religio" unterstrichen. Dieser Befund wird durch andere Schriften Picos nachdrücklich bestätigt. Verschiedentlich findet sich „religio" als Gegensatz der „superstitio" 15 oder neben Tugenden 1 6 und bleibt damit speziell. Als solche wird sie auch von den Heiden ausgesagt, präzisiert als „religio vana" bzw. „Gentium re-
1 2 Ebd.; demgegenüber wirken die Laster Vielheit („pluralitas") und Verschiedenheit („diversitas"). 1 5 Ebd. 399 f. 1 4 Ebd. 400 f: „Nam et ex eo David et reliqui, et tandem perfecta et absoluta omnium consumatio Christus, religionis doctor prae cellentissimus et omnium qui praenoverunt unquam praenoturique sunt princeps, et ipse Deus qui Apostolos discipulosque suos quasi verae arboris ramos per universum orbem diffudit, ex bona enim radice et boni utique pullulant rami: Namque ut inquit ad Romanos Apostolus: Si radix sancta et r a m i . . . Namque et religionis arbor est, est et superstitionis, et non una solum superstitionis, sed plures, singulaeque suos obtinent ramos ...
... Sic et superstitiones et falsae doctrinae, praenotionesque omnes, quae nisi speciem aliquam coloremve veritatis prae se ferrent, vix substinerenter a malis, aliae plus, aliae minus, veluti cum aut magis aut minus a trunco, hoc est fidei et religionis, et veritatis unitate deflectunt. Ita et omnes postea haereses a trunco Catholicae Ecclesiae, uti incurvi et noxii ravi evelluntur et marcent. Quemadmodum prius ex vera unius veri Dei religione praenotioneque syncera, idolorum adoratio et obscoena sacra falsaeque divinationes, et mille Gentium plus minus insaniae, adulterina specie translatae sunt." 1 5 Vgl. z.B. ebd. 12, 633, 676, 683, 718, 1016, 1019f. - Hier und im folgenden werden die Belege nicht mehr mit den Titeln der einzelnen Schriften Picos, sondern nur noch nach der zit. Ausgabe angegeben. 1 6 Ebd. 220 neben „virtutes", vgl. 467; 388 neben „Dei metus", „iusiurandum"; 404 u. 406 neben „pietas".
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ligio prava", wobei die erste Formulierung offenkundig speziell, nämlich gleichbedeutend mit „superstitio" gebraucht, während die zweite Formulierung eher generell entgegengesetzt zur „religio nostra" gemeint ist 17 . So können „nostra religio" und „falsae religiones" gegenübergestellt werden 18 ; doch zeigt sich gerade an dieser Stelle, daß die enge Bedeutung noch soweit präsent ist, daß die Verehrung vieler Götter „religiones" heißt. Auf dem Hintergrund der speziellen Bedeutung kann „religio" wie auch sonst üblich allgemein gebraucht werden, wobei „religio nostra" 1 9 bzw. „Christiana" 2 0 überwiegen. Doch häufiger findet sich auch bei Pico „fides nostra" 2 1 bzw."Christiana" 2 2 in dieser Verwendung. Neben „religio" und „fides" kann gelegentlich auch „lex" als Sammelbezeichnung dienen. In dieser Funktion scheint „lex" dann verwandt zu sein, wenn es sich um Außenbeziehungen handelt; so werden die Mohammedaner und andere „nostrae legi adversi" genannt 23 . Auch im Hinblick auf andere Uberzeugungen kann es heißen, daß zu ihnen die Kunde der „Christi lex" noch nicht gekommen ist 24 . Zu einem verbreiterten Gebrauch einer gemeinsamen Sammelbzeichnung, die neben Christen und den ihnen noch nahestehenden Juden auch andere umfaßt 25 , bestand für Pico offensichtlich kein Anlaß. Zusammenfassend ist zu sagen, daß Pico eigentlich nur mit seinen Überlegungen zur „praenotio" einen neuen Akzent zu unserem Thema hinzugefügt hat. „Religio" bleibt durchweg speziell als Gegensatz zur „superstitio" gefaßt. Verschiedentlich, aber seltener als „fides" kann „religio" auch als allgemeine Bezeichnung dienen. Beide Termini bleiben fast ausschließlich auf den christlichen und zuweilen auch jüdischen Bereich beschränkt. Einmal ist bei Pico von „interna religio" die Rede 2 6 ; doch kann mit dieser Formulierung keine Umakzentuierung eingeleitet sein. Denn „religio" Ebd.718. Ebd. 503. Vgl. z.B. ebd. 367, 387, 503. 2 0 Vgl. z.B. 29, 221, 231, 241, vgl. 681: „religio Christi". 2 1 Ebd. 25, 231 u.ö. 2 2 Ebd. 25, 221, u.ö., vgl. 231: „fides Christi". 2 3 Ebd. 310; vgl. 236: „Lucianus . . . Christi legis irrisor". 2 4 Vgl. ebd. 15: „ . . . ad quos Christianae legis fama non perveniat". - Gelegentlich erscheint „lex" auch als Sammelbezeichnung für andere, so für einen „Mahometi discipulus", 1024. Ebd. 263; für den christlichen Bereich kann es in einer nachdrücklichen Formulierung „fides Christi quae Catholica dicitur" heißen, 282. - Nur ausnahmsweise wird „religio" einmal außerhalb gebraucht, vgl. 664 oder 1003. 2 6 Ebd. 320: „Studio enim doctrinae illae acquiruntur quas postea interpretandi honoraria facultas committatur, potestas quoque non interpretandi modo, sed et condendi leges ab Im17
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meint hier eine Tugend, die eine (innere) Voraussetzung äußeren Handelns ist. Späterer Sprachgebrauch ist also wesentlich dadurch vorbereitet, daß Pico „religio" mit gewisser Häufigkeit verwendet.
4.13 Erasmus von
Rotterdam
Mit Erasmus von Rotterdam (1469(1466?) - 1536) findet ein Autor Berücksichtigung, der zunächst von der devotio moderna beeinflußt wurde, ehe er durch einige humanistisch gebildete Fraterherren, durch seine Studien in Paris, seine Reisen nach England und später nach Italien zu einem der bedeutendsten Humanisten nördlich der Alpen wurde. Schon wegen dieses breiten Ansatzes ist er für unsere Frage aufschlußreich. Auch fragt es sich, ob es für unser Thema Folgen hatte, daß Erasmus sich um eine Erneuerung von den Quellen her bemühte, die er angesichts der von ihm heftig kritisierten Situation der Kirche und des Mönchtums für dringend notwendig hielt. Um ihretwillen stand er auch zunächst Luthers Reformation wohlwollend gegenüber, doch distanzierte er sich später eindeutig von ihr. Ein Uberblick über die Werke des Erasmus zeigt, daß „Religion" für ihn kein Thema gewesen ist, dem er ausführlich nachgegangen wäre. Es gibt jedoch Aussagen darüber, was er unter „religio" versteht: In einer definitorischen Aufzählung verschiedener Begriffe bestimmt er „religio" als „vis insita quae Deorum metu, et caerimoniis hominem ducit" 1 . Ausführlicher bezeichnet er „religio" in einem Dialog als „purus cultus numinis, et observatio praeceptorum illius". Auf eine Rückfrage des Dialogpartners wird erwidert, die „religio" bestehe darin, von Gott und seinen Schriften recht und fromm zu denken, ihn nicht nur zu ehren, sondern auch zu lieben sowie Unschuld, Liebe und Geduld zu üben 2 . Furcht und Verehrung sind peratore inferioribus Principibus datur, utcunque sit huiusmodi doctrinae quoquomodo religioni famulantur, exterior autem operatio et doctrinam et internam religionem sequitur: ea enim quae et religione concepimus, et doctrina tenenda novimus, forinsecus operatione complemus ..." 1 Desiderius Erasmus, De ratione conscribendi Epistolas (1522), cap. 55; in: ders., Opera Omnia, hg. von Joannes Clericus, Leiden 1703-1706, reprogr. Neudruck Hildesheim 1961-1962,1402. - Im folgenden wird nach Angabe der Schrift des Erasmus und, wenn möglich, des Buchs und/oder des Kapitels nach einem Semikolon mit römischer Ziffer der Band und dann mit arabischer Ziffer die Spalte dieser Ausgabe zitiert. 2 Desiderius Erasmus, Colloquia familiaria (1524); 1649; der Text lautet im Anschluß an die o.zit. Bestimmung: „Er.(asmus) Quae sunt illa? Ga.(spar) Longum est; sed ut in summa dicam, in rebus quatuor est sita. Er. In quibus? Ga. Primum, ut recte pieque sentiamus de Deo, de scripturis divinis: atque ut ilium non vereamur modo, tanquam dominum, verum etiam amemus ex intimis affectibus, ut patrem beneficentissimum. Secundum, ut summa cura tueamur innocentiam; ea est, ne quem laedamus. Tertium, ut teneamus caritatem, hoc est, ut de
Erasmus von Rotterdam
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also die beiden grundlegenden Aspekte der „religio": „Religio proprie sonat venerationem cum horrore metuque coniunctam"; daher nennt man, wie Erasmus fortfährt, die Gräber „religiosa", weil es die Furcht gibt, sie zu verletzen 3 . Im folgenden beruft sich Erasmus auf die Väter, besonders auf Hilarius 4 . Damit wird deutlich, daß Erasmus in seiner Konzeption der „religio" römisches bzw. patristisches Gedankengut aufgenommen hat. Dies gilt auch in der Hinsicht, daß er „religio" grundsätzlich speziell versteht als Haltung den Göttern bzw. Gott gegenüber, die in Handlungen zum Ausdruck kommt. Diesen Zusammenhang stellt Erasmus mi^ der Feststellung heraus, daß die Festigkeit des Ehevertrags aus der „religio" folgt; denn diese kommt in Eid, Verehrung etc. zur Geltung, so daß auch bei Heiden mit ihrem Götzendienst die Ehe doch in ihr vollzogen wird 5 . Als solche Handlungen können aber auch Werke der Nächstenliebe bzeichnet werden, wie Erasmus mit einem Hinweis auf den Jakobus-Brief sagt, der nach der Vulgata von „religio" spricht 6 . Auch im Zusammenhang mit der Witwenschaft wird die enge Bedeutung des Terminus „religio" unterstrichen, wenn Erasmus sagt, rein zu glauben bedeute, nicht von den Weisungen der katholischen Kirche abzuweichen, die die Quelle und Wurzel jeder „religio" sei7. Erst auf diesem Hintergrund dürfte dann ein genereller Gebrauch von „religio" bei Erasmus aufzufinden sein. Aufschlußreich hierfür ist die kleine Schrift des Erasmus „De bello Turcico" von 1530®. In ihr heißt es verschiedentlich „religio nostra" bzw. „christiana" 9 . Doch kann Erasmus ohne sichtbaren Unterschied auch „christiana fides" 10 oder „christianum nomen" 11 sowie „vera pietas" 12 sagen. Allerdings erscheint der Terminus „religio" bevorzugt. Auf die Türken wird er jedoch nicht bezogen. Diese Feststellung darf zwar nicht überinterpretiert werden, da es ein argumentum e silentio wäre, hieraus zu schließen, Erasmus hätte bei ihnen nicht omnibus, quantum datur, bene mereamur. Quartam, ut servemus patientiam. Ea praestat, ut mala nobis illata, si mederi nequeamus, patienter toleremus, non ulciscentes, nec malum malo referentes." 3 Desiderius Erasmus, Adversus artículos aliquot per monachos quosdam in Hispaniis exhibitos 12; IX 1037. 4 Ebd. 1038, 1040 f. 5 Desiderius Erasmus, Christiani matrimonii institutio; V619. 6 Disiderius Erasmus, Ecclesiastes sive concionator evangelicus III (im einleitenden Brief datiert auf 1535); V1022; hier wird auch auf die Bezeichnung der Mönche als „religiosi" hingewiesen, vgl. auch ders., Christiani matrimonii; V722. 7 Desiderius Erasmus, Vidua Christiana; V744. 8 Desiderius Erasmus, De bello Turcico; V345-368. ' Ebd. 349f; 355; 362; 363; 368. 10 Ebd. 356; vgl. 360: „fidei Catholicae denfensor". 11 Ebd. 353: „Christiani nominis hostes". 12 Ebd. 352.
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von „religio" sprechen können. Und doch dürfte das Fehlen nicht zufällig sein. Erasmus läßt nämlich auf eine rhetorische Frage nach Recht, Philosophie und nach der Reinheit der „religio" die Feststellung folgen, daß die Türken aus Judentum, Christentum und Heidentum eine Gefolgschaft („secta") gemacht hätten. Die Aufnahme von Elementen dieser drei Bereiche ist jedoch kein Grund für Erasmus, positiv von Mohammed zu sprechen 13 oder gar „religio" auf ihn und seine Anhänger anzuwenden. Daß auch bei einem allgemeinen Gebrauch von „religio" die spezielle Bedeutung noch durchscheint, zeigt sich, wenn „religio" neben „pietas" steht 14 . „Religio christiana", die angeraten, aber nicht aufgezwungen werden kann 15 , ist also nicht einfach gleichbedeutend mit unserem Terminus „Religion". Dieser Befund läßt sich im Werk des Erasmus auch anderwärts eindringlich bestätigen. In einer heftigen Kritik an den Orden beklagt er, daß deren Mitglieder eine nach außen gerichtete „pietas" üben; diese Pest mittelmäßiger „religio" bleibe in Zeremonien verborgen 16 . Hier und im folgenden 17 ist „religio" zweifellos konkret im Sinne von „Gottesverehrung" gebraucht. Dasselbe trifft für die Aussage zu, daß diejenigen als die Frommen erscheinen, welche die „religio" weniger gezwungen leisten, und daß diejenigen weiter von der „vera religio" entfernt sind, welche sich für sehr fromm halten 18 . Für die enge Bedeutung spricht, daß im unmittelbaren Anschluß von „pietas Christiana" die Rede ist. Auch in viel früheren Aussagen findet sich diese spezielle Bedeutung; im „Enchiridion militis Christiani" spricht Erasmus von einer feisten und fetten „religio", wenn der Getaufte in der Welt lebt, statt sich zu opfern, wie Christus sich geopfert hat, und fügt hinzu, daß den Heiligen eine „re13 Ebd. 364; der Text lautet: „Quid autem dicam de politia? Quae legum aequitas apud illos? Quidquid tyranno placuit, lex est. Quae Senatus auctoritas? Quae Philosophia locum illic habet? Quae Theologorum scholae? Quae sacrae conciones? Quae Religionis sinceritas? Sectam habent ex Judaismo, Christianismo, Paganismo et Arianorum haeresi commixtam. Agnoscunt Christum ut unum quempiam ex Prophetis ... Quid, quod pestilentem ac scelerosum hominem Machumetem Christo, in cuius nomine flectitur omne genu coelestium, terrestrium, et infernorum, praeferunt?" 14 Ebd. 357. 15 Ebd. 355 mit der Aussage, daß das christliche Volk es für rechtens hielt, Türken zu töten, was auch für die Juden zu gelten hatte; darauf entgegnet Erasmus: „At Magistratus Christianus Iudaeos punit si quid delinquant adversus leges publicas, quibus sese submiserunt, ob diversam religionem non occiduntur, eo quod Religio Christiana suadetur non cogitur, et inseritur non obtruditur." 16 Desiderius Erasmus, Epistola CCCXXIX - Brief an Paul Volz (1518); III/l 344. 17 Vgl. ebd. 345, daß die Ordensmitglieder bessere „religionis professores" sein sollten. 18 Ebd. 346: „... nisi quod religiosiores videntur, qui minus coacti praestant religionem" und: „Nemo longius abest a vera religione, quam qui sibi valde videtur religiosus." Nur solche dürften Mitglied eines Ordens werden, die bereits 30 Jahre sind und die „verae religionis vis" erfahren hätten. Dies sagt Erasmus, der sehr darunter gelitten hat, als Jugendlicher in ein Kloster gezwängt worden zu sein.
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ligio" erwünscht ist, die deren Tugend nachzuahmen strebt 19 . Von Paulus heißt es in der „Ratio seu Compendium verae theologiae", daß er die Athener von ihrem Götzendienst abbringen wollte und dazu sich umgesehen hatte, welche Handlungen und welche Art von „religio" sie verfolgten 20 . Konkret ist daher das folgende zu verstehen, wenn Erasmus den Paulus sagen läßt, er führe keine „nova Religio" ein21. Von dieser engen Fassung des Terminus „religio" her ist zuweilen auch die Bedeutung „Orden" anzunehmen, deren Aufgabe ja die „Gottesverehrung" ist. In diesem Sinne dürfte „religio" zu verstehen sein, wenn Erasmus feststellt, daß ihretwegen eine noch nicht vollzogene Ehe aufgehoben werden könne 22 . Eindeutig erscheint die Bedeutung „Orden", wenn Erasmus mit dem Ausdruck seiner Hoffnung auf Frieden zwischen denen, die der „religio", d. h. der „Gottesverehrung" dienen, die Frage formuliert: „Nam, quid sperem, ubi religio cum religione dissidet?" Anschließend beklagt er, daß es so viele Parteiungen wie Ordensgemeinschaften gibt23, und nennt dann die Namen verschiedener Orden. Gegenüber diesen insgesamt nicht eben zahlreichen Belegen, an denen „religio" „Gottesverehrung", und den noch selteneren, an denen dieser Ausdruck „Orden" bedeutet, finden sich in geringerem Maße Stellen, an denen sich der Gebrauch nicht eindeutig ersehen läßt, aber eine allgemeine Bedeutung vorzuliegen scheint. Da jedoch der spezielle Gebrauch so nachhaltig ist, darf angenommen werden, daß er auch bei allgemeiner Verwendung noch mitschwingt. Diese dürfte vorliegen, wenn von „religio" im Vergleich mit anderen Überzeugungen die Rede ist. Als Beispiel hierfür kann die Aussage dienen, daß nach Augustinus die meisten Sätze der Pythagoreer mit unserer „religio" übereinstimmen 24 . Weniger deutlich tritt diese Verwendung in dem Wunsche zutage, die Türken zur „religio" zu ziehen 25 , oder in der Formulierung, daß die „vera Religio" zu anderen 19 Desiderius Erasmus, Enchiridion militis Christiani (1501); V31, vgl. auch ebd. weiter unten, ferner 35, daß der Rang der „religio" bei strengen Orden „in cerimoniis, aut in certa lege Psalmorum, aut in corporum labore" liegt. 20 Desiderius Erasmus, Ratio seu methodus compendio ad veram theologiam (1518/19); V99: „Eodem consilio dum Athenienses studet ab inveterata superstitione revocare,... narrat, quemadmodum novus hospes cognoscendi studio obambularit, contemplaturus, quos ritus, quodque Religionis genus sequerentur ...". 21 Ebd.; von hier ist dann wohl auch „Christi religio", 100, konkret zu verstehen, ebenso die Aussage 110: „Pax ... est nostra Religio." 22 Desiderius Erasmus, Ratio, in: ders., Ausgewählte Schriften, hg. von Werner Welzig, Darmstadt 1967 ff, III210; die Ubersetzung beläßt hier „Religion". - Diese Stelle war in Opera omnia nicht zu verifizieren. 23 Desiderius Erasmus, Querela Pacis undique gentium eiectae profligataeque (1516); IV 629; die Übersetzung, aaO. V377, sagt: „wo Frömmigkeit mit Frömmigkeit im Streit liegt". 24 Desiderius Erasmus, Enchiridion; V30. 25 Desiderius Erasmus, Brief an Volz; III/l 343: „Si quis admoneat, vere Apostolicum esse, Turcas Christi praesidiis ad religionem pertrahere potius quam armis ..." vgl. ders., Que-
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Völkern gekommen ist 26 . Dasselbe gilt für ein Beispiel verantwortlichen Handelns, das Erasmus erwähnt: Das Verhalten eines römischen Kaisers, der einen fähigen Nachfolger seinen unfähigen Söhnen vorzieht, kommentiert er, daß solche mehr als die Christen eine beispielhafte Gesinnung zeigen, die im Vergleich zur christlichen „religio" gottlos sind 27 . Nachweisen läßt sich der Gebrauch von „religio" auch für Nichtchristen; Erasmus sagt über den christlichen Fürsten, es sei für ihn nicht nötig, sich näher an jene zu binden, welche eine verschiedene „religio" von uns entfremdet 28 . Allerdings wird „religio" nur sehr selten von Nichtchristen gesagt. Ist in diesen Formulierungen eine generelle Bedeutung von „religio" möglich, so ist sie anzunehmen für Aussagen, wie „absolutae religionis Professores" 2 9 oder „Religionis Christianae quasi Primates" 3 0 . Insgesamt ergibt sich für Erasmus also eine zwar nicht eben häufige, aber doch instruktive Verwendung von „religio". Nicht nur, daß er verschiedentlich das Moment der Furcht im Zusammenhang mit der Gottesverehrung betont, sondern auch hinreichend zahlreiche Texte lassen eine spezielle Bedeutung von „religio" als sicher erkennen. Belegbar erscheint auch eine gelegentliche Verwendung von „religio" als „Orden". Einige Stellen aber legen einen generellen Gebrauch von „religio" nahe. Dabei kann „religio", wenn auch nur ausnahmsweise, von anderen als den Christen gesagt werden. Eine nähere Erörterung der „religio" oder gar eine übergreifende Bedeutung ließ sich bei Erasmus nicht finden. Als Sammelbezeichnung wie im Vergleich mit Nichtchristen taucht dagegen verschiedentlich der Terminus „Christianismus" auf 31 , der bei den Humanisten zuvor nicht so hervorgetreten ist.
rela Pacis; IV638: „Tametsi praestabat et hos (sc. Turcos) doctrina, bene factis, vitaeque innocentia, ad Christi religionem allicere, quam armis adoriri." Ebd. 640: h Si cupimus Turcas ad Christi religionem adducere, prius ipsi simus Christiani." 2 6 Desiderius Erasmus, Ecclesiastes, sive De ratione concionandi; V855: „... Primi vero Scripturarum fontes sunt lingua Hebraica, et his cognatae Chaldaica ac Syriaca, Ab hac gente manavit verae Religionis disciplina, primum in proximas Regiones, Samariam et Arabiam, mox in Asiam Minorem et in Graeciam, qua lingua constat Novum Testamentum, hinc in Italiam, ex Italia in longe dissitas nationes". 2 7 Desiderius Erasmus, Querela Pacis; VI 640. 2 8 Desiderius Erasmus, Institutio Principis Christiani (1515) 8; IV604: „Illud in genere licet pronunciare, non oportere arctius adstringi his, quos religio diversa a nobis alienat, veluti cum Ethnicis." 2 9 Desiderius Erasmus, Querela Pacis; IV 634. 3 0 Desiderius Erasmus, Enchiridion; V38. 3 1 Desiderius Erasmus, Institutio Principis, 11; IV610, im Zusammenhang mit einer Aussage, daß die Christen angesichts ihrer Weise der Kriegsführung zu Türken zu entarten drohen, statt daß jene Christen werden. Vgl. ferner ders., Enchiridion; V41 und 65, hier neben „Iudaismus".
Ergänzende Hinweise zur 1. Hälfte des 16.Jh.
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Faktisch ergibt sich bei Erasmus keine Weiterführung gegenüber zuvor dargestellten Humanisten. „Religio" erreicht ebensowenig wie bei Giovanni und Gian Francesco Pico della Mirandola jene Häufigkeit, wie sie im Kreis Bessarions nachgewiesen werden konnte. Dies ist ein beachtenswertes Ergebnis, da ein in der späteren Zeit gesteigerter Gebrauch von „religio" nicht durch Erasmus bedingt sein kann.
4.14 Ergänzende Hinweise zur 1. Hälfte des 16. Jh.: Pietro Pomponazzi, Guillaume Budé, Niccolo Machiavelli, Thomas Morus Da sich die weitere Entwicklung auch für unsere Frage immer wieder auf das ausgehende 15. und beginnende 16. Jahrhundert stützt, sollen noch einige Autoren kurz besprochen werden; sie wurden ausgewählt einmal als Vertreter verschiedener Länder, zum anderen aber wegen ihrer jeweiligen Bedeutung: Pomponazzi, weil er als Averroist heftig umstritten, und Budé, weil er ein wichtiger Vertreter des französischen Humanismus gewesen ist, Machiavelli und Morus, weil sie für das später so bedeutsam gewordene Verhältnis von „religio" und politischer Macht einflußreich gewesen sind. Wie sehr diese Zeit des Ubergangs gerade auch für unser Thema von Interesse ist, wird sich später bei der Behandlung Luthers zeigen, wo ein von Melanchthon verfaßter Text auf die „Weltweisen" in Frankreich, also auf die frühen französischen Humanisten, verweist. Einer von ihnen, Étienne Dolet (1508 - 1546), zog schon von Zeitgenossen den Vorwurf auf sich, daß er „impius, sine Deo, sine religione ulla" sei 1 . Gegen diesen Vorwurf verteidigt sich Dolet, eine solche Einstellung sei nicht in Frankreich, wohl aber in Italien zu finden 2 . Tatsächlich wurde der entsprechende Vorwurf auch gegen Humanisten in den verschiedensten Ländern erhoben 3 . Es bedürfte einer ausführlichen Untersuchung, die hiermit angedeuteten Vorwürfe zu verifizieren. Gerade sie zeigen, daß unser Thema in dieser Übergangsphase nachhaltig mitbetroffen ist. Es geht hier zugleich um den Glauben an Gott und die mit ihm offensichtlich im Zusammenhang gesehene Unsterblichkeit der Seele. Und immerhin kann der Vorwurf erhoben werden, „sine religione" zu sein. Die Formulierung ist selbst 1 So (R.) Odoni an G. Cousin, zit. nach Henri Busson, Le Rationalisme dans la littérature française de la Renaissance (1533-1601) ( = De Pétrarque à Descartes 1), Paris 1922, 2 1971,119. 2 Ebd. 120 mit Anm.2. 5 F. Florido Sabino, Adversus Steph. Doleti calumnias, Fij, zit. nach ebd. 119, Anm.6: „Sint multi in Italia perditissimi homines quique et de Deo et de Anima credant impia, an tarnen eam notam Italis propriam sobrius dixeris? An non et in Gallia, si non alius, tu tarnen, cui ilia peculiaris sit, natus es? An non et in Hispania et Germania et aliis quibuslibet regionibus multi idem sentientes inveniuntur?"
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dann von Bedeutung, wenn sie noch entsprechend der klassisch-lateinischen Tradition speziell als „Gottesverehrung" aufgefaßt wird. Als wichtiger Autor des hiermit angedeuteten Problemkreises kann Pietro Pomponazzi (1462 - 1525) gelten. Er ist eines Atheismus schon deswegen verdächtig, weil er die Unsterblichkeit der Seele nicht als Datum der menschlichen Vernunft erkennen wollte. So wird er denn auch immer wieder in der bis heute jedoch umstrittenen Tradition einer Lehre von einer .doppelten Wahrheit' genannt, die auf den hochmittelalterlichen Averroismus zurückgeführt wird4. Tatsächlich vertrat Pomponazzi in seinem „Tractatus de immortalitate animae" die Auffassung, es sei nicht mit der Vernunft nachzuweisen, sondern ein „articulus fidei", daß die Seele unsterblich sei5. Pomponazzi hat für unseren Zusammenhang aber noch die besondere Bedeutung, daß die frühen französischen Humanisten bei ihm in die Schule gegangen und von ihm aufs nachhaltigste beeinflußt worden sind 6 . Wenn überhaupt jemand, so dürfte er mit dem schon erwähnten Vorwurf gemeint sein, von Gott und der Seele „impia" zu glauben 7 . Wohl wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe wird er inzwischen als treuer Sohn der Kirche verteidigt8. Für die Frage nach der „religio" ergibt sich bei Pomponazzi: „Religio" ist bekannt und erscheint verschiedentlich generell gebraucht als „Religio Christiana"9. Doch kann es statt dessen, wenn vielleicht auch nicht so häu4 Bekanntlich hat Bischof Etienne Tempier (t 1279) zunächst 1270 in 12 und dann vor allem 1277 in 219 Thesen einen weitgehenden, vielfach Averroismus genannten Aristotelismus verurteilt; die unter Nr. 18 verworfene These lautet: „Quod resurrectio futura non debet concedi a philosopho, quia impossibile est eam investigari per rationem. - Error, quia etiam philosophus debet captivare intellectum in obsequium Christi." Und im Vorwort heißt es: „Dicunt enim ea esse vera secundum philosophiam, sed non secundum fidem catholicam, quasi sint due contrarie veritates, et quasi contra veritatem sacre scripture sit veritas in dictis gentilium dampnatorum ..." zit. nach: Chartularium Universitatis Parisiensis, hg. von Henricus Denifle auxiliante Aemilio Chatelain, I, Paris 1889, 543 ff. Diese dem sog. Averroismus, bes. Siger von Brabant vorgeworfenen Sentenzen werden später als Thesen von der sog. ,doppelten Wahrheit' interpretiert. Mit welchem Recht diese Interpretation vertreten worden ist, kann hier nicht näher erörtert werden. Unter eben diesen Vorwurf fällt auch Pomponazzi. 5 Pietro Pomponazzi, De immortalitate animae, cap. 15, hg. von Christ. Godofr. Bardiii, Tübingen 1791, 122. Zur Verteidigung dieser These gegen den Angriff Agostino Nifos in Pomponazzis „Defensorium adversus Augustinum Niphum" vgl. den Hinweis bei Wilhelm Totok, Handbuch der Geschichte der Philosophie, III, Frankfurt 1980, 169. 6 H. Busson, Le Rationalisme dans la littérature Française de la Renaissance, 115 f, 119. 7 Vgl. den Text o.Anm.3. 8 Vgl. W. Totok, aaO., ferner E. Behler, Pomponazzi, in: Lexikon für Theologie und Kirche VIII, Freiburg 2 1963, 604 f. 9 Vgl. bes. Pietro Pomponazzi, Libri quinque de fato, de libero arbitrio et de praedestinatione, z.B. 115; hg. von Richard Lemay ( = Thesaurus Mundi), o.O.u.o.J. (1957), 182f; weitere Belege s. im Reg. s.v.
Ergänzende Hinweise zur 1. Hälfte des 16.Jh.
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fig, ebensogut „fides nostra"10 oder auch „lex Christi"11 oder schließlich „veritas et Christiana religio"12 heißen. „Religio" erscheint also weder exklusiv noch jeweils allein in genereller Funktion. Es handelt sich also noch nicht um einen dominant gebrauchten Terminus. Eine Bestätigung hierfür ist darin zu sehen, daß auch Pomponazzi bei einem Vergleich mit anderen Uberzeugungen nicht „religio", sondern „lex" sagt13 und dabei besonders jene „tres leges" hervorhebt, „scilicet Christi, Moysis et Mahumeti" 14 . Vor allem diese Bezeichnung „lex" ist von Wichtigkeit. Bruno Nardi hat eher nebenbei auf die Formulierungen „Loquentes in nostra lege" und „Loquentes trium legum . . . quae hodie quidem sunt" aufmerksam gemacht, die sich bereits bei Averroes (1126 - 1198) finden 15 . Nardi nennt auch einige der 1277 vom Bischof von Paris, Etienne Tempier, verurteilten Sätze eines radikalen Aristotelismus 16 sowie einen Abschnitt aus einem Traktat des 13. Jh.17, in denen jeweils von „lex Christiana" bzw. „catholica" die Rede ist. Damit ist mindestens bei Pomponazzi ein Einfluß des Sprachgebrauchs des Averroes für unser Thema möglich. Die schon öfter formulierte These wird damit nachdrücklich unterstrichen, daß, wenn ein gemeinsamer Terminus für Mohammedaner, Juden und Christen - und auch bei Averroes handelt es sich um diese drei „leges" - gebraucht wird, dieser eben „lex" heißt und noch nicht „religio"18. „Lex" wird auch bei 10 Pietro Pomponazzi, De naturalium effectuum admirandorum causis, seu De incantationibus über, in: ders., Opera, Basel 1567, reprogr. Neudruck Hildesheim 1970, 286. 11 Ebd. 316. 12 Ebd. 325. 13 Ebd. 293: „videat aliquis Legem Moysi, legem gentilium, legem Mahumeti, in unaquaque lege fieri miracula, qualia leguntur et memorantur in lege Christi". 14 P. Pomponazzi, De immortalitate animae, cap. 14; aaO. 103. 15 Bruno Nardi, Varietà. Le opere inedite del Pomponazzi, III: Filosofia e religione, in: Giornale critico della Filosofia Italiana 30 (1951) 363-381, 366, mit Hinweis auf Averroes, bes. Metaphysik XII, comm. 18; vgl. Aristotelis Opera cum Averrois commentariis, Bd. VIII, Venedig 1562, reprogr. Neudruck Frankfurt 1962, 304F und 305E. (Bei Nardi nicht ganz genau zitiert.) 16 Ebd. 367 mit Hinweis auf die o.Anm. 4 genannten verurteilten Thesen Nr. 174 f von 1277. 17 B. Nardi, aaO. 368 mit Verweis auf den Tractatus de erroribus philosophorum, cap. 4, in: Siger de Brabant et l'averroisme au XHIe siècle, hg. von Pierre Mandonnet, II ( = Philosophes Beiges 7), Löwen 1908, 8. 18 B. Nardi geht in der hier zit. Arbeit in instruktiver Weise auf Stellen Pomponazzis zum Verhältnis von Philosophie und Theologie ein und berührt damit die Frage der ,doppelten Wahrheit', vgl. zu Averroes bes. 365 ff. Den Terminus „religione" braucht Nardi, ohne zu berücksichtigen, daß dieser bei Pomponazzi peripher bleibt; die begriffliche Unterscheidung von „religione" und „fede" bei Nardi, 364, erscheint problematisch: „la fede è la verità di cui sono capaci i rozzi popoli che hanno bisogno di chi li guidi, li ordini, li governi, per mezzo di una legge. Religione quindi è sinonimo di legge, cioè di norma pratica e giuridica intesa a condurre gli uomini verso una mèta di civile e umana perfezione." Eine Begründung für diese Begriffsbestimmung noch gar einen Beleg bei Pomponazzi fügt Nardi nicht bei.
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Pomponazzi ausdrücklich mit „secta" gleichgesetzt, wobei dieser Terminus sicherlich noch mit „Gefolgschaft" zu übersetzen ist, sonst könnte es hier nicht „leges, id est secta, puta Christi, Moisi(s) et Maumeti" heißen 19 . Pomponazzi bleibt also hinsichtlich des Gebrauchs von „religio" ganz in der Tradition. Überdies verwendet er den Ausdruck selten, wenn er ihn in Überlegungen zur Gottesverehrung 20 sowie anläßlich der Unterscheidung des Menschen von den Tieren 21 nicht gebraucht. Da Pomponazzi am Ende seiner Werke verschiedentlich ausdrücklich betont, daß er nichts gegen die Auffassungen der katholischen Kirche gesagt haben will, kann er, selbst wenn es sich hier um eine konventionelle Schlußbemerkung handelt, doch nicht als Urheber eines Atheismus angesehen werden, der für Italien und eben auch für Frankreich schon in dieser Zeit angenommen wird. Guillaume Bude (1467 - 1540) verdient unsere Aufmerksamkeit nicht nur, weil er für den französischen Humanismus durch seine Rezeption der griechischen Tradition von beträchtlicher Bedeutung gewesen ist, sondern mehr noch durch den schon mehrfach genannten Text von Melanchthon mit seinem Verweis auf die französischen „Weltweisen"; denn in den Anmerkungen der Weimarer Luther-Ausgabe zu dieser Stelle ist auf ihn verwiesen. Die Nachforschungen bei ihm bleiben jedoch ergebnislos. Es zeichnet sich keine Bestätigung dafür ab, daß Bude schon von einer hinter allen anderen liegenden einen „religio" gesprochen haben könnte. In seinem Buch „De transitu Hellenismi ad Christianismum" hat er zwar die Vereinbarkeit des Hellenismus mit dem Christentum und speziell mit dem Kreuz zum Ausdruck gebracht 22 , er hat aber auch von der Möglichkeit gesprochen, vom Christentum wieder in den Hellenismus zurückzufallen 23 . Diese Möglichkeit bedeutet gerade nicht die Gleichwertigkeit beider Überzeugungen, nicht das Vorhandensein einer zu allen Zeiten allen Völkern gemeinsamen „religio", dergegenüber aller Streit, welche denn nun die richtige sei, belanglos geworden wäre. Wo Bude von „religio" spricht, verwendet er diesen Terminus grundsätzlich speziell. „Religio" wird bestimmt als „debitum officium" und als Äquivalent des griechischen „eutaxßeia" angesehen 24 . So kann es nicht verwundern, wenn „religio" verschiedentlich zusammen mit „pietas"25 oder anderen Tugenden 26 gebraucht wird. Die Be" Ebd. 377 mit Verweis auf das Manuskript der Pariser Nationalbibliothek, Ms. lat. 6534, llOv-lllr. 20 P. Pomponazzi, Tractatus de immortalitate animae, cap. 14; aaO. 116 f. 21 Ebd. u. 119. 22 Guillaume Bude, De transitu Hellenismi ad Christianismum, in: ders., Omnia Opera, Basel 1557, reprogr. Neudruck 2 1969, 1200. 23 Ebd. 226 f. 24 Guillaume Bude, Commentarii linguae Graecae, in: ebd. IV 389. 25 Vgl. G.Bude, De transitu, ebd. I 182, 192, 228. 26 Ebd. 204 zwischen „fides" und „Dei timor".
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deutung „Gottesverehrung" wird unterstrichen durch ihre ausführliche Abgrenzung von der „superstitio" 27 . Insgesamt ergab die Uberprüfung keinen Anhaltspunkt dafür, daß Bude eine spezielle Aussage über die „religio" gemacht hätte. Im folgenden soll zunächst Niccoló Machiavelli (1469 - 1527) behandelt werden. Da seine politischen Schriften weite Verbreitung fanden und da er auch die „religione" in den Dienst der Macht stellte, dürfte er auf den späteren Sprachgebrauch von „religio/Religion" eingewirkt haben. Es ist daher von Interesse, genauer zu analysieren, wie er diesen Terminus verwandt hat. Während Machiavelli in seinem „II principe" nur en passant und traditionell von „religione" spricht 28 , finden sich in den „Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio" einige spezielle Kapitel zur „religione". Ausgehend von der „religione de' Romani" sucht er deren Bedeutung für den politischen Bereich herauszustellen. Hier scheint „religione" generell gebraucht zu sein: Numa habe sie als notwendig angesehen, daß ein Staat durch Jahrhunderte hindurch bestehen könne; und die römische Geschichte habe erwiesen, „wie sehr die Religion zum Gehorsam im Heere, zur Eintracht im Volke, zur Erhaltung der Sittlichkeit und zur Beschämung der Bösen beitrug" 29 . Jede „religione" hat nach Machiavelli eigene Fundamente in ihrer jeweiligen prinzipiellen Ordnung 30 ; und er beklagt, daß gerade die römische Kirche die „religione" nicht nur nicht gefördert, sondern ihr vielmehr geschadet habe31. Schließlich führt Machiavelli einige Beispiele dafür an, daß sie den Römern politisch oder militärisch Nutzen gebracht hat 32 . Von ihnen wurde sie, wenn es nicht anders ging, nur zum Schein beachtet, und auch darin hat ihnen der Erfolg recht gegeben 33 . Freilich half, wie Machiavelli sagt, den Samnitern auch die „virtu
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Guillaume Bude, Adnotationes in libros Pandectarum, in: ebd. III 252-254. Niccolò Machiavelli, II principe (verfaßt 1513, erschienen 1532), cap.8, 11, 18, 21, in: ders., Tutte le opere, hg. von Francesco Flora und Carlo Cordié ( = I classici mondadori), 2 1968, I 28, 36, 56 f, 71. 29 Niccolò Machiavelli, Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, I 11-15, in: ebd. 125-137, hier 126. - Im folgenden werden, soweit nicht die Seitenangabe genügt, das Buch in römischer, das Kapitel in arabischer und nach einem Semikolon die Seitenzahl in arabischer Ziffer angegeben. Die deutsche Übersetzung ist zit. nach: Niccolò Machiavelli, Politische Betrachtungen über die alte und die italienische Geschichte, hg. von Erwin Faul ( = Klassiker der Politik 2), Köln-Opladen 2 1965, 36. - Die in dieser Übersetzung hier und öfter vorgenommene Wiedergabe von „religione" mit „Religion" wird im folgenden noch näher aufgegriffen. 30 N.Machiavelli, Discorsi I 12; 128, vgl. 129f mehrfach den Hinweis auf diese Grundlage. 31 Ebd. 130. 32 Ebd. 113; 131 ff. 33 Ebd. 14; 133 ff. 28
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della religione" nicht gegen die Römer 34 . Die Frage ist, ob angesichts dieser Aussagen nicht durchgängig „religione" mit „Religion" zu übersetzen ist35 oder nicht vielleicht doch besser mit „Gottesverehrung". Für letzteres würden immerhin einige, wenn auch nicht sehr in Erscheinung tretende Indizien sprechen, so, wenn Machiavelli „ogni divozione e ogni religione" nebeneinanderstellt 36 oder gleich zu Beginn der Ausführungen „religione" mit „timore di Dio" abwechselt 37 . Auch der schon genannte Ausdruck „virtù della religione" kann „Kraft" ebenso wie „Tugend" heißen und dürfte daher die „Tugend der Gottesverehrung" meinen. Nach diesen ersten Kapiteln über die Bedeutung der „religione" kommt Machiavelli auf unser Thema später noch zweimal zurück. Zunächst geschieht dies, wenn er von einer „religione nuova" spricht38, die im Wechsel mit einer anderen sich durchsetzt durch gewaltsame Ausrottung der alten. Doch ist hier der leitende Terminus nicht „religione", sondern „setta", dem nun auch im Italienischen übernommenen Lehnwort für „secta" im Sinne von „Gefolgschaft". Daß hier nicht „Sekte", und schon gar nicht im negativen Sinn, gemeint sein kann, zeigt die problemlose Verwendung von „setta Christiana" 39 . Und wenn am Ende dieses Kapitels „religione" und „virtù" im Sinn von Tapferkeit nebeneinanderstehen 40 , wird hierdurch die Annahme bestätigt, daß „religione" faktisch noch speziell als „Gottesverehrung" im Sinn einer Tugend verstanden werden konnte und wurde. Denselben Befund ergibt die zweite Stelle, an der Machiavelli noch einmal auf eine „setta" oder einen Staat zurückkommt, wobei es darum geht, daß sie lange bestehen sollen41. Hier wird „religione" neben „giustizia" genannt 42 . Bei Machiavelli ergibt sich also, daß „religione" keinesfalls einfach mit „Religion" in einem neuzeitlichen Sinn gleichgesetzt werden kann, sondern durchgängig besser mit „Gottesverehrung" wiedergegeben wird, weil dieser Terminus entsprechend klassischem Sprachgebrauch konkret eine Tugend meint. Diese Annahme findet darin ihre Bestätigung, daß in institutioneller Hinsicht häufig von „setta" die Rede ist, die einmal freilich aus34
Ebd. 15; 136. So die zuvor genannte deutsche Ubersetzung aaO. 35-47. 3é N. Machiavelli, Discorsi 112; 130. 37 Ebd. 11; 125. 38 Ebd. II 5; 246. 39 Ebd. 247. Zu Unrecht ist in der deutschen Ubersetzung, aaO. 152 ff, ständig mit „Sekte" übersetzt; falsch ist, wenn hier verschiedentlich „setta" bzw. „sette" mit „Religion" bzw. „Religionen" wiedergegeben ist. Hier zeigt sich, wie ungenau die Übersetzungen mit den jeweiligen Termini der Originaltexte verfahren. 40 N. Machiavelli, Discorsi, 248. 41 Ebd. III 1; 327; auch hier hat die deutsche Übersetzung fälschlich „Religion", vgl. aaO. 231, 233, 234. 42 N. Machiavelli, Discorsi, 328. 35
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drücklich als „religione" bezeichnet wird. Durch die besondere Bedeutung, die Machiavelli der „religione" für den politischen Bereich gibt, dürfte er den späteren Sprachgebrauch nachhaltig beeinflußt haben. Gleichfalls wegen seiner besonderen Wirkung, zugleich aber, weil mit ihm der Humanismus in England in unser Blickfeld tritt, soll Thomas Morus (1478 - 1535) erwähnt werden. In seiner „Utopia" wird auch die „religio" der Utopier dargelegt. Während diese nach Morus' Aussagen sonst ernst, streng, traurig und rigide ist, wird sie von den Utopiern benutzt, mit der Philosophie zusammen über die Glückseligkeit nachzudenken, wozu die Philosophie mit der Verwendung der Vernunft allein den Utopiern nicht hinreichend erscheint 43 . Die „religio" ist hier nicht nur neben die Philosophie gestellt, sondern erscheint als ihr überlegen. Daß jedoch „religio" nicht einen abstrakten Sammelnamen meint, zeigen die Ausführungen des Themas im engeren Sinne, wo Morus mit den „religiones" beginnt: Sie sind nicht nur auf der ganzen Insel, sondern auch in den einzelnen Städten verschieden; Sonne, Mond u.a., aber auch Menschen werden als Gott bzw. als höchste Gottheit verehrt, und jede einzelne Verehrung eines bestimmten Gottes heißt „religio", sie alle zusammen „religiones" 44 . „Religio" meint also die jeweils spezielle Verehrung einer Person oder Sache, wie es auch im lateinischen Sprachgebrauch der Antike gewesen ist. An diesem konkreten Gebrauch ändert die Tatsache nichts, daß es nach Morus auch bei den Utopiern auf eine einzige „religio" hinausläuft, verehren sie doch in überwiegender Mehrzahl nur ein göttliches Wesen, das unendlich und unbegreiflich ist und Vater genannt wird 45 . Da diese „religio" überzeugend erscheint, wenden sich allmählich alle von den verschiedenen Götzendiensten ab („superstitiorum varietas") und wachsen zu jener einen „religio" zusammen, die die anderen an Vernunft überragt 46 . Dabei lassen sie jene, die eine andere „religio" haben, gewähren, und nehmen diese Haltung auch gegenüber der „religio Christiana" ein. Zurückgeführt wird diese großzügige Haltung auf Utopos, der die Kämpfe der Ureinwohner auch hinsichtlich der „religiones" gesehen und 43 Thomas Morus, Utopia II, in: ders., The Complete Works, hg. von Edward Surtz und J. H. Hexter, IV, N e w Haven 1965, 4 1979, 160: „Et quo magis mireris ab religione quoque (quae gravis et severa est fereque tristis et rigida) petunt tarnen sententiae tarn delicatae patrocinium. Neque enim de felicitate disceptant unquam, quin principia quaedam ex religione deprompta, tum philosophia quae rationibus utitur coniungant, sine quibus ad verae felicitatis investigationem mancam, atque imbecillam per se rationem putant." Und es folgt als Beispiel die Unsterblichkeit der Seele. 44 Ebd. 216. 45 Ebd.: „At multo maxima pars, eademque longe prudentior, nihil horum, sed unum quoddam numen putant, incognitum, aeternum, immensum, inexplicabile, quod supra mentis humanae captum sit, per mundum hunc universum, virtute non mole diffusum, hunc parentem vocant." 46 Ebd.
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festgestellt hatte, daß diese, untereinander uneins, als einzelne „secta", d.h. „Gefolgschaft" jeweils getrennt für das Vaterland gekämpft hätten und dementsprechend ihm unterlegen gewesen wären 47 . Im Hinblick auf den (inneren) Frieden bestimmte Utopos, daß jeder seiner „religio" nachgehen dürfe; denn er wagte nicht, eine von ihnen festzusetzen, da er nicht zu wissen meinte, ob Gott nicht einen verschiedenen und mannigfachen „cultus" wünsche. Utopos nahm nach der ausdrücklichen Aussage des Morus an, daß sich die Wahrheit von selbst durchsetzt, während durch Waffengewalt auch die beste und heiligste „religio" zugrunde gerichtet wird 48 . Hier ist wiederum „religio" der „superstitio" entgegengesetzt. Die Annahme, selbst in der besten „religio" zu stehen, so daß Gott alle zu ihr führen möge, wenn es ihm nicht gefalle, in dieser Verschiedenheit der „religiones" verehrt zu werden 49 , meint also schwerlich schon eine „Religion" im neuzeitlichen Sinn, sondern die unmittelbare Gottesverehrung, also eine Tugend, wie sie auch die „pietas" ist50. Der gesamte Befund spricht dafür, „religio" in dieser Weise eng zu fassen. Die Aussagen des Thomas Morus verbleiben somit im Rahmen des bisherigen humanistischen Sprachgebrauchs, wenn auch in den genannten Passagen „religio" eine gewisse Vorrangstellung allein schon aufgrund eines häufigen Gebrauchs erreicht hat. Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, daß es sich hier eben nicht um Christen handelt, so daß der Terminus „fides" nicht hervortritt, bleibt dieser doch für die Christen reserviert 51 . Der Unterschied zu einem neuzeitlichen Verständnis wird vor allem dadurch unterstrichen, daß der Plural „religiones" hier etwas anderes heißt, nämlich den Plural der speziellen Verehrung jeweils eines Gottes.
47 Ebd. 218/220; hier ist sicher nicht von „Sekten" zu reden, vgl. die deutsche Übersetzung in: Der utopische Staat. Morus, Campanella, Bacon ( = Rowohlts Klassiker 68/69: Philosophie des Humanismus 3), Reinbek 1966, 98. Wenn hier, 101, wieder von „Sekten" die Rede ist, hat das Original „haereses", aaO. 226. 44 Th. Morus, Utopia, 220: „tum si maxime una vera sit, caeterae omnes vanae, facile tarnen praevidit (modo cum ratione ac modestia res agatur) futurum denique: ut ipsa per se veri vis emergat aliquando atque emineat. sin armis et tumultu certetur, ut sint pessimi quique maxime pervicaces, optimam ac sanctissimam religionem ob vanissimas inter se superstitiones, ut segetes inter spinas ac fructices obrutum iri." Die oben im Text erwähnte Zuordnung von „religio" und „cultus" findet sich noch ebd. 232. 49 Ebd. 236. 50 Ebd. 234; weil die Utopier am Gottesdienst nicht mit ihrer Schuld teilnehmen wollen, beichten sie; dies wird mit der Feststellung kommentiert: „nam interesse turbido (sc. Trübheit), religio est", ebd. 232; „religio" ist hier schwer übersetzbar; es zeigt jene Haltung von Furcht und Scheu, die im klassichen Latein schon mit diesem Terminus ausgedrückt werden konnte. 51 Der einzige Beleg, in dem „fides" im theologischen Sinn Gott gegenüber gebraucht wird, findet sich ebd.; hier heißt es „Christi fides et religio".
Zusammenfassung
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Zusammenfassung Zu überprüfen waren folgende Thesen: Der Humanismus habe zuerst den „allgemeinen Begriff der .Religion' als des Kerns der geschichtlichen Religionen" gebildet1, genauer: schon der alte Humanismus habe die „Überzeugung von einer ursprünglichen monotheistischen ,communis omnium gentium religio"' ausgebildet2. Es galt also eine Antwort auf die Fragen zu finden, ob schon zur Zeit des Humanismus die Artikulierung der „religio" als eine allen Völker gemeinsame erfolgt sei, ob schon „religio" und „fides", wenn noch nicht in einen Gegensatz zueinander getreten, so doch so weit voneinander abgehoben worden sind, daß die „religio" als der gemeinsame Kern der verschiedenen Uberzeugungen und damit zugleich als deren gemeinsamer Oberbegriff hätte dienen können. Die Untersuchungen haben für eine positive Antwort keine Gründe ergeben. So weitreichende Annahmen lassen sich also für diese Zeit nicht aufrechterhalten. Zunächst zeigte sich, daß die „religio" überhaupt nicht im Mittelpunkt des Interesses steht, daß sie infolgedessen auch nicht ausführlich thematisiert wird. „Religio" ist für die lateinisch schreibenden Humanisten kein Fremd- bzw. Lehnwort, sondern ein selbstverständlicher Terminus. Weder philosophisch noch theologisch erreichte er eine besondere Wichtigkeit, noch erforderte er wegen einer problematischen Konstellation besondere Aufmerksamkeit. Schließlich ergaben sich auch keine Probleme, für deren Lösung er eine besondere Bedeutung hätte gewinnen können. So finden sich durchweg kaum genauere Anhaltspunkte, was denn nun eigentlich mit diesem Terminus gemeint ist. Er gilt als so bekannt, daß man ihn nicht eigens zu definieren braucht. Es ist daher schon viel, wenn Erasmus oder Morus das Moment der Furcht als mit der „religio" zusammenhängend eigens zum Ausdruck bringen. In keinem der untersuchten Texte hat sich eine solche Relationsbestimmung von „religio" zu anderen Termini wie vor allem zu „fides" finden lassen, aus der für die „religio" durchgängig und nachhaltig eine besondere Bedeutung und Funktion oder gar eine eindeutige Uberordnung über diese Termini resultierte. Wenn „fides" faktisch dem christlichen und jüdischen Bereich vorbehalten blieb, so kann in verschiedenen Zusammenhängen, wenn auch nicht eben sehr pointiert, entsprechend antikem und patristischem Sprachgebrauch auch hinsichtlich anderer Uberzeugungen von „religio" gesprochen werden; hinlänglich oft ist dann aber darauf hingewiesen, daß es sich hierbei eigentlich nicht um sie, sondern um „superstitio", nicht um „Gottesverehrung", sondern um „Götzendienst" handelt. Es finden sich keine Anhaltspunkte dafür, daß andere Uberzeugungen und 1 2
So Karl Holl, s.o. Einleitung mit Anm. 1. So M. Seidlmayer, s.o. zu Marsilio Ficino mit Anm. 1.
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christlicher Glaube gemeinsam in eine Relation zur „religio" gesetzt werden. Es ging auch nirgends darum, die „religio" als den gemeinsamen Kern der verschiedenen sich manifestierenden .Religionen' anzusehen. In den genannten Zusammenhängen bedeutet „religio" normalerweise „Gottesverehrung"; diese Bedeutung schwingt selbst dort noch mit, wo „religio" als generelle Bezeichnung, als Sammelname, vielleicht sogar als Oberbegriff für alles dient, was zum christlichen Glauben hinzugehört. Schon deswegen ist „religio" keineswegs identisch mit der neuzeitlichen Annahme einer allen gemeinsamen „Religion", die hinter allen sichtbaren, äußeren Manifestationen die allein wahre wäre. Selbst wenn neuzeitlich die Aussagen von Nikolaus von Kues und Marsilio Ficino so gelesen werden können, so wurden sie von den Autoren und ihren Zeitgenossen nicht so verstanden. Daß alle zur einen „religio" finden sollen, daß diese sich in verschiedenen Vollzügen ausdrücken läßt, meint bei Nikolaus von Kues nichts erkennbar anderes, als wenn später gesagt wird, daß alle Menschen zu dem einen Glauben an Gott finden sollen, welcher der christliche ist. Denn die Einheit dieses Glaubens wird nicht dadurch zerstört, daß er in verschiedenen Sprachen und Konkretisationen realisiert werden kann. Auch die grundlegenden, aber kurzen Ausführungen bei Ficino zur „communis religio" insinuieren noch keine neuzeitliche Bedeutung. Denn Ficino geht es in diesen Aussagen nicht um die eine, allen Völkern gemeinsame „religio", deren spezifischer, nämlich optimaler Sonderfall der christliche Glaube wäre, sondern um die „Christiana religio", die allein den wahren Ursprung durch den Lehrer Christus und seine Schüler hat bewahren können. Die Intention Ficinos ist in diesem Sinn der neuzeitlichen entgegengesetzt, da sie nicht alle „Religionen" auf ihr gemeinsames Wesen zurückführen will, sondern angesichts einer Spaltung und Feindschaft zwischen den verschiedenen Uberzeugungen und einer Infragestellung der christlichen „religio" deren Wahrheit zu erweisen und die ursprüngliche Einheit aller in ihr wiederherzustellen sucht. Hierzu haben die Weisen eine besondere Verpflichtung, weil es ihnen auf die Wahrheit ankommt bzw. ankommen muß, die schließlich auch für die Philosophie Gott selbst ist. Es geht also nicht um die neuzeitlich verstandene „communis omnium gentium religio" - eine Formulierung, die sich bei Ficino in den untersuchten Texten nicht hat nachweisen lassen -, sondern um die „communis religio", die den Menschen ursprünglich gegeben, von ihnen aber zerstört worden und nun wiederherzustellen ist. Ficino so zu interpretieren, erhält eine Stütze darin, daß Gian Francesco Pico für die „religio" das Bild vom Baum gebraucht, der neben guten, fruchtbringenden auch schlechte, abgestorbene Zweige bekommen hat. Man kann schwerlich bei guten und schlechten Zweigen nach einer hinter ihnen liegenden, ihnen gemeinsamen Wirklichkeit als der eigentlich wahren und guten suchen.
Zusammenfassung
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Gerade auch bei diesen späten Humanisten hat sich in den durchgesehenen Texten nirgends ein Anhaltspunkt für solches Zurückgehen hinter die konkreten „Religionen" auf eine gemeinsame „Religion" finden lassen. Bei aller Kirchenkritik ließ sich nirgends eine Relativierung des christlichen Glaubens, der „Christiana religio" nachweisen. Nicht eine solche Relativierung, sondern eine Reform ist intendiert, wie sich vor allem bei Erasmus sehen läßt. Wenn gerade bei entgegengesetzten Glaubensüberzeugungen in kriegerischen Auseinandersetzungen schlimmere Greuel als sonst verübt und infolgedessen Forderungen laut werden, sich gegenseitig nicht Gewalt anzutun, so bedeutet ein solcher Gewaltverzicht nicht, von Bekehrungsversuchen Abstand zu nehmen. Nicht zuletzt der Eroberer Konstantinopels soll ja veranlaßt werden, zum christlichen Glauben überzutreten. Erst dann sei die Einheit des Reiches wiederhergestellt, wie diese bei Konstantin Wirklichkeit gewesen sei. Die Einheit des Glaubens, die Einheit der „religio" spielt also durchaus eine große Rolle. Noch aber erscheint der Terminus „religio" nicht so abstrahiert und universalisiert, daß er zur Bezeichnung der jeweiligen Überzeugung und zur Bezeichnung eines gemeinsamen Kerns dienen kann. Die Gemeinsamkeit zwischen christlichem Glauben und anderen Uberzeugungen wird überhaupt nicht durch einen generellen Gebrauch von „religio" zum Ausdruck gebracht. Weder zur gleichberechtigten noch zur neutralen Bezeichnung anderer Uberzeugungen kann dieser Terminus problemlos gebraucht werden. Hierfür dient vielmehr der Terminus „lex", wie die Aussagen bei Pius II., Georgios von Trapezunt, Marsilio Ficino, Pietro Pomponazzi und vor ihnen allen schon in der lateinischen Fassung des Averroes zeigen. Offensichtlich bereitet es kein Problem, von der „lex Mahumetana" ebenso zu reden wie von der „christiana lex". Am meisten noch ist also dieser Terminus geeignet, gleichberechtigt ohne Einschränkung von den verschiedenen Überzeugungen, besser gesagt, von den verschiedenen „sectae", d. h. „Gefolgschaften" gebraucht zu werden. Lediglich in der Kritik Giovanni Picos zu Bacons astrologischen Spekulationen ist nun, wenn auch noch nicht exklusiv, von „religiones" die Rede, wo es früher nur „leges" oder „sectae" hieß. Doch zeigt sich gerade in dieser noch offenen Terminologie, daß „religio" noch keine wesentliche Bedeutungszunahme erfahren hat. Als Übersetzung dürfte sich denn auch nach wie vor „Gottesverehrung" empfehlen. Eher als in der Reflexion erfuhr der Terminus „religio" eine Intensivierung im alltäglichen Sprachgebrauch, wie sich vor allem im Kreis Bessarions nachweisen ließ. Doch blieb die Verwendung von „religio" nicht auf diesen Gelehrtenkreis beschränkt. Stichproben haben ergeben, daß noch vor der Mitte des 15. Jh. in allgemeinen kirchlichen Aussagen nicht eben selten von „religio" die Rede war, wobei auch hier ohne eindeutig erkennbare Gründe neben „religio" auch „fides" stehen konnte. Als Beleg mögen
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zwei nach kurzer Einsichtnahme gefundene Reden dienen, die der Gesandte Kaiser Sigmunds an Papst Eugen IV. im Jahre 14323 und ein spanischer Gesandter auf dem Konzil von Mainz 14414 gehalten haben. Gerade diese Belege mahnen zur Vorsicht, die im theologischen Kontext nachweisbaren Belege schon für erschöpfend zu halten. Freilich darf angenommen werden, daß die Entwicklung im alltäglichen Sprachgebrauch kirchlicher Verhandlungen nicht grundsätzlich über eine theologische Verwendung hinausgegangen sein kann. Insofern dürften die Ergebnisse, die sich für die humanistischen Redeweise ergeben haben, verallgemeinert werden. Es zeigt sich also, daß man für das 15. Jh. den Terminus „religio" so präzise fassen muß, daß man nicht einfach beliebig von „Religion" und „Religionen" im Hinblick auf die verschiedenen Uberzeugungen sprechen darf und daß von „Religionsphilosophie" noch nicht die Rede sein kann. J Rede des Nikolaus Stock, Gesandter Kaiser Sigmunds, an den Papst Eugen IV., 17.3.1432, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Sigmund IV, 1431-1433, hg. von Hermann Herre ( = Deutsche Reichstagsakten, hg. auf Veranlassung des Königs von Bayern durch die Hist. Commission der Kgl. Academie der Wissenschaften, 10), Gotha 1906, 404: „rursum cessarent multe provisiones salubres, que in dicto concilio (sc. v. Basel) pro re publica Christiana fieri possent, et innúmera scandala orirentur in destructionem sedis apostolice vestre sanctitatis ac tocius religionis Christiane." Ebd. 405 heißt es demgegenüber: „dicit sua majestas, quod nunquam poterit remanere contenta, quibuscunque causis et adinvencionibus hec dissolucio coloretur, attentis extremis periculis et disturbacionibus tocius Christianismi ex ipsa dissolucione eventuris. quomodo ergo quispiam Christianus contentus manere poterit, dum de subversione Christiane fidei tarn periculose agitur?" 4 Vgl. die Aufzeichnung des Johannes von Segovia (Ende 14. Jh. bis nach 1456) über seine Rede vor dem Mainzer Kongreß, 28.3.1441, in: Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Friedrich III., I, 1440-1441, hg. von Hermann Herre ( = Deutsche Reichstagsakten, 15), Gotha 1914,652: „ut autem dictum istud velut experimento palpabili clarius innotesceret, quatuor exposuit dicta fundamentalia ad habendum solide intelligenciam de catholica fide." Ebd. 653: „omisso autem plura loqui de hoc, jure nature dictante nullam policiam consistere posse absque fide, secundum prosequebatur dictum, quod in religione Christiana pre ómnibus aliis fides est necessaria ..
5 Reformation Nach dem Ergebnis, das die Untersuchungen zum Humanismus erbracht haben, ist die Frage, ob sich während der Zeit der Reformation eine solche Veränderung des Sprachgebrauchs von „religio" nachweisen läßt, daß von einem Beginn des neuzeitlichen Verständnisses zu dieser Zeit gesprochen werden kann. Von vornherein darf angenommen werden, daß dieser Terminus nicht im Zentrum der theologischen Überlegungen gestanden hat, ging es der Reformation doch fundamental um die „fides", aus der allein der Mensch gerechtfertigt wird. In den Auseinandersetzungen um sie kam es darauf an, den rechten Glauben zu formulieren, durchzusetzen und gegen das bisherige Verständnis als den allein wahren zu verteidigen. Wenn schon nicht im Humanismus, so dürften noch weniger in der Reformationszeit die Voraussetzungen dafür gegeben gewesen sein, daß der Terminus „religio" grundlegende Bedeutung als Sammelbezeichnung und gegebenenfalls sogar übergeordnete Bedeutung als Oberbegriff erlangt haben kann, unter welche alle verschiedenen Ausformungen des Glaubens an Gott subsumiert werden konnten. Gleichwohl ist durch diese Voraussetzung nicht ausgeschlossen, daß, wenn auch eher nebenbei, sich ein neuer Sprachgebrauch anbahnt oder sogar expressis verbis zu finden ist. Im folgenden sollen nur die führenden Reformatoren untersucht werden. Umfassendere Fragen können nicht aufgeworfen werden, etwa jene, ob eigentlich „Papisten" und Türken, die nicht selten gemeinsam der Abgötterei geziehen werden, völlig gleich behandelt worden sind oder ob sich Bewertungsunterschiede feststellen lassen, vor allem solche, die sich in der Wahl der Bezeichnungen ausdrücken. Bislang wurde vor allem „fides/ Glaube" durchweg von den Christen gesagt. Es scheint, als ob die frühere Abhebung von Christen zu anderen Uberzeugungen nicht mehr beibehalten ist, weil neue Fronten maßgeblich geworden sind. Es kann davon ausgegangen werden, daß grundsätzlich die Absetzungsbedürfnisse von jenen Christen, die nicht zur Reformation übergingen, wie freilich auch von den Schwärmern, die seitens der Reformatoren heftige Ablehnung erfuhren, die Unterschiede zwischen Christen alten Glaubens und Nichtchristen unwichtig werden ließen. Diesen Christen gegenüber verleitete gerade die ursprüngliche und im Grunde auch immer noch vorhandene Nähe zu größerer Schärfe als der gegen die Türken, die schon immer als Feinde christlichen Glaubens bzw. christlicher „religio" gesehen worden waren. Auch soll darauf verzichtet werden, die Relation des Terminus „religio" zu anderen Termini wie „fides", „secta", „lex" zu verfolgen, die ja zuvor
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Reformation
verschiedentlich zur Bezeichnung anderer Überzeugungen verwandt worden sind. Enger als bisher soll also der Terminus „religio" in den Mittelpunkt der Untersuchungen gestellt werden. Da jedoch schon im Resümee der Darlegungen über den Humanismus auf einen Sprachgebrauch hingewiesen wurde, wie er in der kirchlich-politischen Sprache üblich war, soll dieser auch für die Mitte des 16. Jahrhunderts Berücksichtigung finden. Dies ist deswegen besonders dringlich, weil ja nicht nur von Theologen, sondern von den alltäglichen Sprachgewohnheiten kirchlicher wie weltlicher Repräsentanten her der Sprachgebrauch von „religio" verändert worden sein kann. Für den folgenden Abschnitt ist insbesondere zu prüfen, wie es sich mit dem Terminus „Religionsfrieden" und der Formel „cuius regio eius religio" verhält, die beide mit dem Augsburger Reichtstag von 1555 verbunden werden und als besondere Signatur für die Mitte des 16. Jh. gelten. Immerhin erscheint es denkbar, daß zwar nicht aufgrund theologischer Reflexion, wohl aber aufgrund alltäglichen Sprachgebrauchs mit Bewußtsein „Religionsfrieden" statt „Glaubensfrieden" gesagt worden ist.
5.1 Martin
Luther
Es wäre unmöglich, unser Thema bei Martin Luther (1483 - 1546) auch nur einigermaßen verläßlich zu erarbeiten, gäbe es nicht präzise Register für Werke 1 und Briefe 2 . Schon diese Register sind höchst aufschlußreich. Denn für die Werke sind 1130 Belege für „religio" und nur 68 für „Religion" nachgewiesen. Diese Zahlen kann man nur richtig einschätzen, wenn man bedenkt, daß Luther vornehmlich seine Vorlesungsmanuskripte in lateinischer Sprache, die zur Publikation vorgesehenen Schriften sowie seine Predigten jedoch in deutscher Sprache abgefaßt hat, und daß sich bezogen auf den Umfang - deutsche und lateinische Texte eher die Waage halten dürften; somit ergibt sich, daß er in Übernahme des Sprachgebrauchs der Gebildeten zwar von „religio" sprach, ohne jedoch schon in umfangreicherem Maße das Lehnwort „Religion" zu verwenden. Berücksichtigt man die Briefe, ist das Ergebnis noch aufschlußreicher. Der bei weitem überwiegende Teil der Belege findet sich nicht in Briefen von, sondern an Luther 3 ; und fast so viele Belege wie von Luther lassen sich in
1 Institut für Spätmittelalter und Reformation der Universität Tübingen; für die repräsentative Auswahl danke ich Lydia Quaes. 2 Sektion Theologie der Universität Halle/Saale. Für die Ubersendung der Belege danke ich Christian Köckert. 3 Das Verhältnis dürfte noch unter 10:2 liegen. Die Gesamtzahl der Belege in den Briefen beläuft sich auf etwa 200 für die Bände 1-12 der Weimarer Ausgabe (1930 ff).
Martin Luther
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Texten finden, die Luther mit anderen Autoren zusammen verfaßt bzw. unter einem gemeinsamen Namen verschickt hat. Schon aus dieser Betrachtung der Häufigkeit und der Verteilung auf die Schriften folgt, daß der Terminus „religio" bei Luther peripher geblieben ist; sonst hätte ihn Luther nicht so selten in seinen deutschen Texten und nicht soviel weniger als seine Briefpartner benutzen können. Einen Aufsatz „Was verstand Luther unter Religion?" kann man also sehr wohl schreiben 4 . Man sollte jedoch unter diesem Titel nicht das Grundanliegen der Reformation darlegen, in diesem Zusammenhang von „Luthers Religion" sprechen und sie als „ Gewissensreligion im ausgeprägtesten Sinn des Worts" charakterisieren, wie dies Karl Holl 1917 aus Anlaß des 400. Jahrestags des Thesenanschlags zu Wittenberg getan hat 5 . In diesen Formulierungen zeigt Holl, daß er den Sprachgebrauch des 19. nicht von dem des 16. Jh. unterscheidet, den er offensichtlich verkennt. Denn Luther läßt sich nicht unter der Uberschrift „Religion" verhandeln. Dies wird deutlich, wenn man nach „religio/Religion" bei Luther fragt. Nicht nachhaltig genug kann darauf hingewiesen werden, daß „religio" für Luther kein zentraler Terminus gewesen ist. Nirgends findet er besondere Aufmerksamkeit, nirgends ist er ausführlicher behandelt 6 . Luther würde sich wundern, sähe er sein Werk gerade unter diesem Terminus behandelt. Es muß daher von der Vermutung ausgegangen werden, daß „religio" eine lediglich tradierte und eher beiläufige Bedeutung hat, die nicht speziell, sondern nur generell durch Luthers reformatorischen Ansatz variiert worden ist. Jedenfalls bestehen beträchtliche Schwierigkeiten, den Sinn dieses Terminus genauer anzugeben. Er kann lediglich aus den verschiedenen Belegen erhoben werden, wobei auch in diesem Fall deutlich wird, daß Luther nicht an terminologischer Klärung und Konsequenz interessiert gewesen ist, sondern an seiner Sache, die er nach der Gewohnheit der Zeit mit wechselnden, oft pleonastischen Formulierungen zum Ausdruck brachte. 4 So der Titel des o. 4 einleitend zitierten Aufsatzes von Karl Holl, in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, I: Luther, Tübingen 1921, 1-90. 5 Ebd. 30. ' Die Durchsicht der mir zur Verfügung gestellten Auswahl von etwa 20% der Belege aus den lateinischen und einem Drittel der Belege aus den deutschen Schriften, die auf meine Anfrage ausgewählt waren, sowie der Belege zum Stichwort „religio/Religion" der Briefe ergibt einen Befund, der auf einer hinlänglich verläßlichen Basis beruht; er ergibt bei grundlegender Bestätigung des bisherigen Sprachgebrauchs eine Aussage, die diesen überschreitet, vgl. dazu die abschließenden Ausführungen dieses Kapitels. Daß über diesen von Luther nicht verfaßten, sondern nur ratifizierten Text hinaus wesentliche Reflexionen zu diesem Terminius von ihm selbst vorliegen, ist deswegen wenig wahrscheinlich, weil dann Mehrfachnennungen auf engerem Raum mit Sicherheit anzunehmen wären. Eben solche weist jedoch das vollständige Stellenregister nicht aus. Überdies würde sich Luther in den überprüften Aussagen kaum so stetig im bisherigen Rahmen bewegt haben.
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Reformation
Zur Klärung des Terminus „religio" sollen zunächst jene Aussagen überprüft werden, in denen Luther ihn mit „ G l a u b e " gleichsetzt: „Ich neme das w o r t R e l i g i o n jtzt an, d a s es heisse den gemein Christlichen g l a u ben"7.
H ä u f i g e r lassen sich, wie es dieser Aussage entspricht, „Glaube und Religion" nebeneinander finden 8 . Sachlich mit diesen Formulierungen übereinstimmend, kann es bei Luther heißen: „ D e n n d a s ist die rechte, einige Religion, d i s e m H i r t e n u n n d seiner stym volgen."9
„Religion" rückt hiermit in den reformatorischen Kontext, nach dem Hören und Glauben fundamental sind, nicht aber das Tun, das eigene Werk. Wesentlich ist als Antwort des Menschen, G o t t zu verkünden und zu loben, nicht aber ein „cultus", der sich in „ceremoniae" ausdrückt 1 0 . D a mit wird freilich bei Luther noch nicht einer „interna religio" 1 1 das Wort geredet, weil er den Dualismus von ,innen/innerlich' und ,außen/äußerlich' noch nicht unterstellt, sondern nur die Werkgerechtigkeit abweisen will. „Religio" bedeutet also, an niemanden anders als Gott allein, an sein Erbarmen und seine Güte zu glauben 1 2 ; sie erscheint somit in diesen Aussagen faktisch mit „fides" identifiziert. 7 Martin Luther, Von den Konziliis und Kirchen (1539), in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesammtausgabe, Weimar 1883 ff, 50, 532; es folgt eine Ausführung, in der die Gleichsetzung von Religion und „Christlicher glaube" enthalten ist. - Im folgenden werden die Belege Luthers nach dieser Ausgabe unter Angabe des Bandes und nach einem Komma der Seitenzahl jeweils in arabischen Zahlen angegeben; ggf. werden Teilbände nach der Bandzahl in römischer Zahl hinzugefügt. 8 M.Luther, Predigten des Jahres 1546, Nr.5 (13.1.), 51, 150: „In diesem Artikel scheidet sich nu der Christen Glaube von aller andern menschen Religion und glauben . . V g l . auch ders., Themata de Votis (1521), 8, 327, mit Thesen gegen den Zölibat, unter denen die folgende enthalten ist: „Una religio sancta et sanctificans est, Christianismus seu fides." „Religio" kann hier einen besonderen Stand z. B. „Orden" bedeuten, s. dazu u. Vgl. ders., Predigten des Jahres 1535, Nr. 16 (30.5.), 41, 172; Hauspostille (1544), 52, 641 u.ö. ' Ebd. 282. Daß dies nicht nur als eine erläuternde Aussage im Deutschen anzusehen ist, zeigt folgender Beleg aus: M.Luther, Vorlesung über Jesajas (1527-1530), 31 II, 339: „Ita haec religio Christiana: Alius peccavit, alius satisfecit. Peccans non satisfacit. Satisfaciens non peccat. Mirabilis est doctrina." 1 0 Ebd. 318 über den Jesaja-Text, daß das Volk Gottes Lob verkünden muß, im Gegensatz zu Papsttum und Schwärmern: „Nostra enim religio est praedicare, laudare et tollere deum, non solum versatur in ceremoniis, ut Papistae arbitrantur. Nos summum cultum habemus, non multum facimus istum cultum ceremonialem, illis utimur tantum ad Christi commendacionem." 11 Dies trotz einer solchen Formulierung, vgl. M.Luther, Diui Pauli apostoli ad Romanos Epistola (1515), 56, 510: „Plures externus cibus turbines suscitat quam interna religio pacem per pacem et bella turbantes." 1 2 M.Luther, Vorlesung über Jesajas (1527-1530), 31 II, 54: „Idolatria est alio fidere quam solo deo. Christiana relligio est fidere misericordia et bonitate dei propter Christum."
Martin Luther
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Diese enge Verbindung von „religio" und „fides" wird nicht dadurch beeinträchtigt, daß „religio" häufig im Zusammenhang mit „cultus" vorkommt. Denn auch dieser ist wesentlich als „credere" bestimmt, nämlich als glauben an die Vergebung der Sünden ohne Werke 13 . Damit wird auch der Terminus „cultus" in die Grundtendenz Luthers einbezogen, nämlich die Rechtfertigung allein durch Glauben ohne Werke herauszustellen. So verliert „cultus" die vorrangige Bedeutung jenes Aspekts seiner überkommenen Bedeutung, nämlich Gott durch manifeste Handlungen zu verehren, wie sie auch zur „religio" gehört hatten 14 , und diese Manifestationen als heilsbedeutsam anzusehen. Dadurch lehnt Luther jedoch nicht ein Handeln aus dem rechtfertigenden Glauben heraus ab; im Gegenteil, Christus glauben bedeutet nach Luther, den Armen und Kranken zu helfen, und dies ist zugleich „religio" oder, wie es synonym heißen kann, „pietas"; und wenn das Kreuz hinzukommt, handelt es sich um „absoluta religio", d.h. um vollendete Verehrung Gottes 15 . Die Nähe oder Identifikation beider Termini findet sich auch in den deutschen Schriften. Hier ist von „Religio oder Gottesdienst" oder verschiedentlich von „Glaube oder Religion" 16 die Rede oder auch von „Glaube und Religion und Gottesdienst" 17 . Bereits im Hinblick auf die christliche Verkündigung - und Luther versteht sich ja als Erneuerer der urchristlichen Botschaft - weist Luther darauf hin, daß „die gantze vorige religión, Gottes dienst mit so viel schönen Ordnungen gefasset und solang gestanden, verachtet werden und fallen sol", ein Vorgang, der „solch rhumor und enderung oder newerung anrichtet" 18 . Diese Aussage billigt bereits der urchristlichen Predigt zu, daß die bisherige Weise der Gottesverehrung und des Gottesdienstes, dem schöne Ordnungen eigen waren, mit der Botschaft des Neuen Testaments hinfällig geworden ist. In verschiedenen Texten erscheint also „religio/Religion" gleichbedeutend oder wenigstens in engem Zusammenhang mit „cultus/Gottesdienst", 13
M.Luther, (Vorlesung über Jesaja 1527-1529) - Scholia 1532/34, 25, 287: „Una igitur religio, unus Dei est cultus: credere remissionem peccatorum gratuitam sine operibus vel sequentibus vel praecedentibus." 14 M.Luther, Vorlesung über 1 Mose (1535-1545), 44, 557: „Quaelibet enim religio peculiares notas et ritus habet diversos ab aHarum gentium religionibus, illisque abominandos, sicut Turcae Christianos propter baptismum aversantur .. 15 M.Luther, Vorlesung über die Briefe an Titus und Philemon (1527), 25, 11: „Credere Christo et affici adfectibus dulcibus contra pauperem, infirmum, in his exerceri, haec est nostra et Christiana religio. Deinde si crux accesserit, est absoluta religio Christiana. Pietas est credere in Iesum Christum et diligere suum fratrem." - Die Nebenstellung von „religio" und „cultus" vgl. ebd. 198; ferner: ders., Über Galater (1531/35), 40 II, 110, 111. 14 Zu ersterem vgl. M.Luther, Predigten des Jahres 1545, Nr.22 (12.8.), 51,29, hier auch „alt hergebrachte Religio und Christlicher glaube". Zu letzterem vgl. ders., Predigten des Jahres 1535, Nr. 16 (30.5.), 41, 172. 17 M.Luther, Predigten des Jahres 1546, Nr.5 (13.1.), 51, 155. " M.Luther, Auslegung des Johannes in Predigten (1537/38), 46, 35.
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„religio" kann parallelisiert sein mit „pietas"; alle diese Termini sind bezogen auf „fides/Glaube" und partizipieren an der neuen Interpretation dieses Glaubens. Schon darin zeigt sich, daß alle diese Termini bei Luther grundsätzlich und durchgängig speziell gebraucht sind als eine von Gott her ermöglichte, durch sein Wort hervorgerufene Wirklichkeit des Menschen, zu der er nicht durch sich selbst, nämlich durch seine Werke gelangen kann, so sehr aus dieser Wirklichkeit Konsequenzen, auch tätige Konsequenzen etwa dem Nächsten gegenüber resultieren. Gegenüber diesem konkreten Gebrauch ist „religio" kaum mit Sicherheit als eine generelle Bezeichnung nachweisbar, unter der dann alles subsumiert erscheint, was zum christlichen Glauben hinzugehört, noch gar als Oberbegriff, unter den der christliche Glaube wie auch andere Uberzeugungen gemeinsam untergeordnet werden könnten. Diese konkrete Bedeutung bestätigen die häufigen Aufzählungen, in denen „religio" genannt ist, ohne daß dieser Terminus jeweils an erster Stelle stehen müßte. So findet sich „Charitas", „fides", „syncera religio"19, „religio et oboedientia dei" 20 bzw. „dei veri cognitio et religio"21, „omnia bona, religio, verus cultus, gloria dei, certa cognitio omnium statuum et rerum" 22 oder „doctrina, fides, religio, cultus et mens" 23 . Gerade der letzte Beleg unterstreicht die spezielle Bedeutung von „religio", denn er steht in einem Zusammenhang, der von der „Ecclesia Papistea" sagt, in ihr gebe es keine Einheit und entsprechend keine Einheit in Lehre, Glaube, Gottesverehrung etc., während eben die Einheit in der Reformation wiederhergestellt worden ist, d.h. daß nur in ihr die Einheit von „fides, cultus, religio" etc. gewährleistet ist24. Daß Luther „religio" konkret meint, ohne genauere Konturen des Bedeutungsumfangs anzugeben, zeigt sich auch aus der Entgegensetzung jenes Glaubens und jener „religio", die er für die allein richtige hält, zur „religio" oder, wie es bemerkenswerterweise auch heißen kann, zu der „Heiden, Türcken, jtziger Jüden und unchristen Glaube und Religion und Gottesdienst" 25 . Denn daß nicht nur „Religion", sondern auch „Glaube" so nachdrücklich für Nichtchristen verwandt werden kann, war in der Tradition nicht üblich. Jedoch ist nicht nur „Glaube", sondern auch „Religion"
" M.Luther, In epistolam Pauli ad Galatas commentarius (1519), 2, 546. M.Luther, Dictata super Psalterium (1513-16), 3, 497. 21 Ebd. 523. 22 M.Luther, In epistolam S.Pauli ad Galatas Commentarius (1531/35), 40 I, 39; vgl. ebd. 177 „religio" neben „conscientia", „timor", „fiducia", „cultus" u.a. 23 Ebd. 40 II, 114. 24 Der Text lautet: „Non est una et eadem doctrina, fides, religio, cultus et mens, sed omnia sunt diversissima. Contra Christianorum omnia sunt eadem et communia, Verbum, fides, cultus, religio, Sacramenta, Christus, Deus, cor, sensus, anima, voluntas." 25 M.Luther, Predigten des Jahres 1546, Nr.5 (13.1.), 51, 155. 20
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weder im Papsttum noch bei den Heiden in Wahrheit realisiert; bei ihnen liegt vielmehr „abgötterey" 26 , „superstitio" 27 oder „idolatría" vor: Alle „religiones, sanctitates et ardentissimae devotiones", die ohne das Wort und den Auftrag Gottes Gott ehren („colere Deum"), sind „idolatría", und dies gilt ausdrücklich auch für das Papsttum 28 . So kann Luther kurz und bündig sagen: „Extra Christum omnes religiones sunt idola".29
In diesen Aussagen meint „religiones", wie aus dem Zusammenhang eindeutig hervorgeht, nicht verschiedene „Religionen", wie Papsttum, Türken u. a., sondern verschiedene Vollzüge der Gottesverehrung, die sich möglicherweise etwa nur im Papsttum finden. Dies geht nicht zuletzt aus der verschiedentlichen Nebenordnung zu anderen Termini wie „devotiones" und „cultus" hervor. Luther setzt in diesem Sinne die „syncera pietas et Christiana religio" gegen eine „impia pietas et irreligiosissima religio" ab30. Damit ist die spezielle Bedeutung von „religio" offenkundig. In der Ablehnung einer „religio", die nicht wahrhaft „religio" ist, kann Luther von der „religio Papae, Iudaeorum, Turcarum" in einem Atemzug sprechen 31 . Wenn es gelegentlich so scheint, als ob sich nach Luther „der Christen glaube von aller andern menschen Religion und glauben" unterscheidet 32 , so daß von der „Heidnischen religión" die Rede sein kann 33 und infolgedessen zwischen diesen und den Anhängern des traditionellen Glaubens ein Unterschied gemacht wird, so sind doch die Aussagen gegen letztere so scharf, daß sich kein Unterschied in der Wortwahl bei der Ablehnung der „Papisten" und anderer wie der Türken finden läßt. Dafür war die erbitterte Gegnerschaft gegen erstere zu unmittelbar, als daß aufgrund einer 2
' M. Luther, Briefe, 9, 24, vgl. den ausführlichen Text am Ende dieses Kapitels. M.Luther, Ad Galatas (1519), 2, 451: „Neque enim in omni vita mortalium quicquam fallacius est superstitione, hoc est, falsa et infoelice imitatione sanctorum. Quorum cum opera sola, non etiam cor, spectaris, in proclivi est, ut simia fias et Leviathan, id est additamentum addas, quo ex vera religione superstitionem vel impietatem facias." 28 M.Luther, Ad Galatas (1531/35), 40 II, 110: „Summae religiones, sanctitates et ardentissimae devotiones eorum, qui sine verbo et mandato Dei colunt Deum, sunt Idolatria. Ut in Papatu habebatur . . . Et tarnen ista spiritualissima res, ut ratio iudicat, est iuxta Paulum opus carnis. Quare omnis talis religio, qua colitur Deus sine verbo et Riandato eius, idolatria est." Vgl. auch ebd. 111: „Omnes ergo cultus et religiones extra Christum sunt idolorum cultus." Auch hier zeigt sich, daß der Plural sich auf die Verehrung verschiedener „idola" bezieht. 29 Ebd. llOf; vgl. auch ebd.40 1, 514, „quod omnes cultus et religiones extra fidem in Christum sint sub peccato, morte et damnatione aeterna, nisi accesserit... promissio ex fide Christi Iesu." 30 M.Luther, Operationes in Psalmos (15Ì9-1521), 5, 135. 31 M. Luther, Ad Galatas (1531/35), 40 I, 603. 32 M.Luther, Predigten des Jahres 1546, Nr.5 (13.1.), 51, 150. 33 M.Luther, Predigt über 2 Mose (1524-1527), 16, 24, im Hinblick auf Mose am Hof Ägyptens. 27
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distanzierteren Betrachtungsweise hätte gewürdigt werden können, daß sie schließlich doch wenigstens Christen sind. So kann es nicht wundern, wenn im Hinblick auf sie Luther von „des Teuffels religion" 34 spricht. Gerade weil die „religio" das beste aller Werke des Menschen ist, sind Papsttum und alles, was sonst noch an „religiones" in der Welt existiert, verdammt außer jener allein, die sich auf den Glauben an Christus stützt 35 und eben damit nicht auf Werke setzt. Die bisher genannten Stellen lassen erkennen, daß Luther nicht selten unter „religio/Religion" ein Verhalten Gott gegenüber versteht, das sich in verschiedenen Handlungen manifestiert. Aufgrund seines Rückgriffs auf die ihm allein richtig erscheinende, weil ursprüngliche Wahrheit des Evangeliums und seiner Akzentuierung des Wortes Gottes werden diese Manifestationen wie auch bestimmte Personen und Orte 36 für die „religio", für die „Gottesverehrung" irrelevant. „Religio" ist vielmehr „glauben" an Gott und sein Wort. Hiermit ist die zu Beginn dieses Abschnitts geäußerte These nachgewiesen, daß sich bei Luther nicht speziell der Gebrauch von „religio" verändert hat, sondern daß dieser mitbetroffen ist von der Veränderung des theologischen Sprachgebrauchs Luthers durch seinen reformatorischen Ansatz im Ganzen. Über den bisher nachgewiesenen Sprachgebrauch hinaus gehen eine Reihe von Formulierungen Luthers, in denen „religio" neben „politia" 37 oder sinnverwandten Ausdrücken wie „Respublica" 38 , „imperium" 39 oder „Weltliche Policey"40 zu finden ist. Schon für das Alte Testament verwendet Luther solche Formulierungen, daß etwa Ham, der eine neue „politia" 34
M.Luther, Matthäus 18-24, in Predigten ausgelegt (1537-1540), 47, 393. M.Luther, Über Jesaja (1527-1529), 25, 383: „Religio autem est optima omnium humanorum operum, sed damnatur ea quoque, quando non nititur verbo Dei . . . Damnatus igitur hic est totus Papatus et quicquid religionum in mundo est praeter illam, quae fide in Christum nititur." 36 Ebd. 272, zum Vers „Cantate Domino canticum novum": „Religio non est amplius ulli vel loco vel tempori vel personae alligata. Euangelion enim praedicabitur in omnem terram et Ghristiani omnes erunt sacerdotes ..." Vgl. auch ders., Uber Jesaja (1527-1530), 31 II, 550f. 37 M.Luther, Über Jesaja (1527-1529), 25, 101: „Haec sunt spiritualia. Neque in politia neque in religione quicquam erit, quod cum hac futuri Christi gloria comparari queat." 38 Vgl. M.Luther, Vorlesungen über 1 Mose (1535-1545), 43, 503: „Nec ludendum est cum Deo, sive in religione, sive in Republica, sive oeconomia gubernanda ..." 39 M.Luther, Vorlesung über das Hohelied (1530-1531), 31 II, 691: „Non moveat te splendor imperii et religionis, non invenies illic, o sponsa, pulchros oculos etc. sed pardos, leones, tyrannis illic et corporum et animarum." Es folgt ebd. 693: „quo deus instituit religionem et politiam et munivit verbo divino et praesidio suo, quod non aliis gentibus. Incipit: non solum ornasti religionem et politiam, sed ut efficax et frugifera et politia et magistratus ..." 40 M.Luther, Predigt über 2 Mose (1524-1527) (2.10.1524), 16, 19; hier ist von Mose die Rede, der die Israeliten aus Ägypten führte „und ein eigen Königreich aus inen zurichtete, Religion, Gottesdienst und Weltliche Policey, Gesetze, Zucht und disziplin inen fürschreib und ordnete". 35
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und „religio" aufrichtete, damit jedoch nicht für die „religio vera" sorgte 41 . Es muß hier auf sich beruhen bleiben, ob Luther statt „religio" auch ebensogut „fides" neben solchen Termini sagen kann, die den Bereich weltlicher Obrigkeit betreffen. Jedenfalls erscheint in diesen Aussagen „religio" eher als eine generelle Bezeichnung zusammen mit diesem weltlichen Herrschaftsbereich. Ein solcher Sprachgebrauch ist in der späteren Entwicklung dann wichtig geworden. Ein generellerer Gebrauch von „religio" findet sich dort, wo der Terminus faktisch das bezeichnet, was später „Konfession" genannt wird. So läßt Luther jene, die im Papsttum geblieben sind, sagen: „Ich bleibe by der R e l i g i o n meiner V o r f a r e n , sind die nicht z u m T e u f e l g e f a r e n , s o k o m ich auch nicht in die H e l l e . " 4 2
In diesem Sinne kann Luther dann auch „neue Religion" und „alte Religion" einander gegenüberstellen 43 . Bleibt auch in diesen Aussagen noch der ursprüngliche Sprachgebrauch präsent, so ist doch hier „Religion" als eine Sammelbezeichnung verwandt, wenn auch nicht für die Christen insgesamt, sondern für die inzwischen voneinander getrennten Anhänger des Papsttums und der Reformation. Entsprechend kann es heißen, daß der Kaiser gern „friede und einigkeit in der Religion (hette), gleich wie er im Reich gern frieden sehe" 44 . Auch hier meint „Religion" die „Gottesverehrung" der Christenheit insgesamt, der Terminus dient also faktisch als Sammelbezeichnung, wobei jedoch der ursprüngliche Sprachgebrauch präsent bleibt. Zu ergänzen ist zu den bisherigen Überlegungen, daß Luther durchaus auch „religio" im Sinne von Orden verwendet 45 . Auch damit steht er also in der bisherigen Tradition der Verwendung von „religio". 4 1 M.Luther, Über 1 Mose (1535-1545), 42, 411: „Sicut autem peccatum Ham non tantum fuit ecclesiasticum peccatum, sed etiam politicum, Nam et Patrem sanctissimum risit et religionem ac doctrinam eius contempsit. Discedens enim a Patre, sicut supra audivimus, et politiam novam, et religionem novam, instituit . . . Nam religionem veram non curavit . . . " 4 2 M.Luther, Predigten über das 5.Buch Mose (1529) (1.8.1529), 28, 593; vgl. auch eine Formulierung in einem Brief Christians von Dänemark (28.1.1526) in: M.Luther, Briefe 4,24, wo von dem „Weg des papistischen Endchrists Glauben, auch derselben Religion und Secten" die Rede ist; „Secten" bedeutet hier wohl noch Gefolgschaft, vgl. dazu: ders., Uber Jesajas (1527-1530), 31 II, 54, wo zunächst „sectae" genannt sind und wenig später „sectatur" folgt. 4 3 M.Luther, An den Kurfürsten zu Sachsen und Landgrafen zu Hessen (1545), 54, 394; vgl. auch ebd. 398 und 410 „alte Religion". 4 4 M.Luther, Wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet (1545), 54, 224. 4 5 M.Luther, Von den Konziliis und Kirchen (1539), 50, 535: „Es heisse nu gleich Religio Müncherey, so doch zu der Zeit keine Orden, noch solche Klöster oder Münche gewest sind . . . " vgl. auch ders., De abroganda missa privata Martini Lutheri sententia (1525), 8, 466, ferner Devotis monasticis Martini Lutheri iudicium (1521), 8, 667; Themata devotis (1521), 8, 323 ff.
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Nach dem bisherigen Befund bei Luther bedeutete es eine Überraschung, eine wesentlich darüber hinausgehende Aussage zu finden; sie ist in einer Erklärung enthalten, die Melanchthon verfaßt und die Luther gemeinsam mit einigen Wittenberger Theologen am 18.1.1540 an Kurfürst Johann Friedrich gerichtet hat. Der Text lautet: „Das aber ettlich weltweisen hie sagen, wir haben viel wortgezenck, als wir bekennen, es mußen gute werck da sein, wollen aber nicht, das sie verdienst heissen, so sie doch Augustinus vnnd andre also genent, Daruff ein kurtze antwort: Die weltweisen halden alle streitt von der Religion für Wortgezenck, also sind In Frankrich, die concordirn alle Religion, sagen, es sey aller völcker zu allen zeitten ein religion gewesen, allein die namen sind geendert. Vnnd solches ist war von falscher religion, die bleibt Im grundt ein gleiche abgöttery. Es ist eben abgotterey bey den papisten mit messen, todtenmessen, anruffung der heiigen, walfarten, wie es allezeit bey den heiden gewesen. Darumb ist dest mehr von nötten daruff zu mercken, das die rechte Religion rein erhalden werde vnnd nicht ein sophistrey darein vermengt, dadurch sie off abgotterey zu lencken." 46
Dieser Text ist insofern aufsehenerregend, als hier bislang erstmalig von dieser einen „Religion" gesprochen wird, die allen Völkern zu allen Zeiten eigen ist, nur daß die Namen und d. h. die manifesten Ausformungen differieren. Diese Aussage stammt nicht von Luther selbst, doch hat er sie gekannt. Es darf nicht außer acht gelassen werden, daß sie eine Meinung von „Weltweisen" aus Frankreich wiedergibt 47 . Daß sie nicht der Meinung Luthers entspricht, versteht sich von selbst. Interessant ist nun, daß der Verfasser dieses Textes das Argument umdreht: Nicht die eine „Religion", sondern die eine „abgotterey" ist allen jenen gemeinsam, die nicht im christlichen Glauben reformatorischen Verständnisses leben. Die eine „rechte Religion" wird nur in ihm verwirklicht. Diese Aussage geht nicht nur über jene des Marsilio Ficino hinaus, der von einer im Ursprung allen gemeinsamen „religio" spricht, die dann im Laufe der Geschichte durch die Schuld vornehmlich jener verlorengegangen ist, die sie in ihrem Sinne interpretierten und gebrauchten. Sie geht vielmehr auch über jene andere Aussage des Nikolaus von Kues hinaus, da bei ihm die „religio una in rituum varietate" nicht schon eine solche Relativierung der „ritus" bedeutet, daß nicht mehr zwischen einer wahren und falschen „religio" hätte unterschieden werden können. Denn daß man die letztlich eine „religio", d.h. die eine Verehrung des einen wahren Gottes in verschiedenen Formen manifestieren kann, ist selbstverständlich. Insofern bedeutet die Formulierung bei Nikolaus von Kues keine Relativierung 46 M. Luther, Briefe 9, 24: Martin Luther, Justus Jonas, Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger, Philipp Melanchthon, Das vom Kurfürsten eingeforderte Bedenken auf den Tag zu Schmalkalden. - Melanchthon wird ebd. 20 als Verfasser des Textes angegeben. 47 In einer Anmerkung der Weimarer Ausgabe hierzu ist auf Guillaume Bude (1468-1540) verwiesen, s. dazu o. die Ausführungen zum Humanismus 14.
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christlicher Glaubensvollzüge und schon gar nicht die Erklärung der Irrelevanz sämtlicher Vollzüge. Eben dies aber sagt der Text von den französischen „Weltweisen". Ihnen kommt es demnach nur auf die eine „Religion" an, die nicht mehr nur am Anfang gegeben war, sondern durch die Geschichte hindurch und also auch in der Gegenwart besteht. Aller Streit um die „Religion" ist somit „Wortgezänk", und Namen sind, wie es bereits hier anklingt und später - so in Goethes Faust - wiederholt wird, nur „Schall und Rauch". Die Frage freilich, ob eine solche Konzeption der „religio" tatsächlich von französischen „Weltweisen" vertreten worden ist, muß hier offenbleiben. Verschiedentlich dürfte von der entgegengesetzten Position aus Gegnern eine Meinung unterstellt sein, die sie nicht oder nicht in der genannten Weise oder Intention vertreten haben 48 . So kann auch hier von seiten der Reformatoren französischen Humanisten unterstellt sein, was diese so nicht vertreten haben. Wenn dem so wäre, wäre hier wie in anderen Fällen der Sachverhalt gegeben, daß in der weiteren Geschichte eine Position wirksam wurde, die nicht zuerst faktisch vertreten, sondern von der entgegengesetzten Seite unterstellt erscheint; ehe sie nachweislich eingenommen wurde, behaupteten ihre Gegner, sie wäre bereits vertreten worden. Jedenfalls ist in dem Text, um den es hier geht, ein Verständnis von „religio" formuliert, das zwar wohl noch „Religion" als „Gottesverehrung" faßt, das aber diese hinter die „Namen" und d.h. hinter ihre Manifestationen legt; die „Religion" selbst ist aber in bestimmten Vollzügen nicht mehr benennbar. Eben dieses Verständnis von „Religion" hat im Verlauf der Neuzeit entscheidende Bedeutung erlangt.
48 Ein Beispiel für eine solche Unterstellung einer Position seitens der Gegner haben wir zuvor im Abschnitt 14 über den Humanismus erwähnt, wo gegen Dolet der Vorwurf des Atheismus erhoben wurde, gegen den er sich zur Wehr setzt. Ein weiteres, ebenso instruktives wie bedeutsames Beispiel dieses Sachverhalts stellt der Vorwurf der Annahme einer „doppelten Wahrheit" gegen den Averroismus dar, wie er gegen dessen Vertreter von Siger von Brabant angefangen bis hin zu Pomponazzi immer wieder erhoben worden ist. Ob und ggf. in welcher Weise dieser Vorwurf zutrifft, ist bis heute umstritten. Die Verwahrung gegen einen solchen Vorwurf seitens der Betroffenen wird von denen, die den Vorwurf aufrechterhalten, als letztlich unaufrichtig und nur der Täuschung wegen formuliert zurückgewiesen. Es mehren sich die Anzeichen, daß manchmal Häresien zunächst nicht von den Häretikern selbst, sondern von ihren Gegnern formuliert worden sind, was im Falle ihrer späteren geschichtlichen Wirksamkeit dann bedeuten würde, daß die Gegner der Häresien zuerst die Häresien formuliert haben.
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5.2 Philipp
Melanchthon
Wegen der besonderen Nähe zu Luther soll nun Philipp Melanchthon (1497 - 1560) behandelt werden, obwohl nach den Lebensdaten zuvor von Zwingli zu reden wäre. Zu Melanchthon leitet schon der zuletzt bei Luther erörterte Text über, den ja nicht Luther selbst, sondern Melanchthon verfaßt hat. Nun ist zu klären, inwieweit dieser Text seiner eigenen theologischen Konzeption entstammt. Denn der Hinweis auf die französischen „Weltweisen" machte deutlich, daß die sehr präzise Aussage über die „Religion" nicht Melanchthons eigene Meinung wiedergibt. Immerhin ist durch die Umkehrung des Arguments die Frage nach seinem Verständnis von „religio/Religion" nicht beantwortet. Wie Melanchthon diesen Terminus verwendet, könnte bestimmt sein von seiner humanistischen Bildung, die er auch dann nicht verleugnete, nachdem er sich der Reformation Luthers angeschlossen hatte. Die wesentliche Antwort auf unsere Frage nach dem Verständnis und der Bedeutung von „religio/Religion" bei Melanchthon darf man von der Uberprüfung seiner „Loci theologici" erwarten, die in drei voneinander unterschiedenen Phasen entstanden sind. Wir beschränken uns für unseren Zusammenhang auf die erste, 1521, und die letzte, 1543 erschienene Fassung, weil zwischen diesen beiden die Entwicklung hinlänglich greifbar ist. Der Befund ist überraschend: Nirgends spielt „religio" eine Rolle. In der ersten Fassung ist der Terminus gerade auch in solchen Abschnitten nicht nachzuweisen, in denen er sich nahelegen würde, wie in den Darlegungen zum ersten Gebot oder zu den „ceremoniae" 1 . In der letzten ist „re|igio" bedeutungslos geblieben, selbst wenn sich einige Belege nachweisen lassen. Die ausführlichste Aussage zu „religio" kann diese Annahme belegen; sie findet sich in den Ausführungen zum ersten Gebot. Diesem wird jene Tugend zugeordnet, die einmal „pietas", ein anderes mal „religio" genannt wird oder, wie Melanchthon hinzufügt, mit anderen Namen wie „Gottesfurcht", „Glaube" oder „Vertrauen" („fiducia") und „Gottesliebe" genannt werden kann. Anschließend faßt Melanchthon all diese Bezeichnungen unter der „pietas" zusammen, zu der auch die Geduld gehört; diese Tugend entspreche in etwa der allgemeinen Gerechtigkeit, wenn diese als Gehorsam gegen Gott und seine Gebote bestimmt werde 2 . 1
Philipp Melanchthon, Loci theologici, Prima eorum aetas, in: ders., Opera omnia, nach Carl Gottlieb Bretschneider, hg. von Heinrich Ernst Bindseil I-XXVIII ( = Corpus Reformatorum 1-28), Braunschweig 1834-1860, reprogr. Neudruck New York-Frankfurt 1963, XXI, 121 ff, 126 f, 197, 199 f. 1 Ph. Melanchthon, Loci theologici, Tertia eorum aetas, ebd. 697: „Et quia Decalogus est summa doctrinae omnium virtutum, distribuamus et ipsas virtutes in singula praecepta. Ad primum pertinet virtus, quae vocatur alias pietas, alias religio, sed facilius intelliguntur haec no-
Philipp Melanchthon
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In dieser umfassendsten Aussage zu unserer Frage, die sich in den „Loci" finden ließ, dominiert nicht „religio", sondern „pietas". Diese ist also die zentrale Benennung jener Tugend, die das Verhältnis bzw. das Verhalten des Menschen Gott gegenüber zum Ausdruck bringt. Auch sie ist selbstverständlich speziell gemeint und nicht als abstrahierte generelle Bezeichnung, unter die alles andere, so auch die „fides" subsumiert werden könnte. Auch dort, wo Melanchthon „religio" sagt, bleibt die spezielle Verwendung erhalten, wie jene Stelle zeigt, an der Melanchthon von der „certa doctrina" spricht, so daß wir uns keine neuen „religiones" oder „cultus" ausdenken wie die Heiden 3 . Der Plural „religiones" bezeichnet hier einzelne Verehrungshaltungen bzw. -handlungen parallel zu den „cultus". In diesem Sinne ist daher auch die Formulierung „Gentium religiones" konkret als die Bezeichnung verschiedener Haltungen oder Handlungen der Heiden zu verstehen 4 . Die übrigen sehr seltenen Stellen, an denen „religio" genannt wird 5 , geben keine weiteren Aufschlüsse über Bedeutung und Funktion dieses Terminus; insgesamt belegen sie jedoch, daß er höchst peripher bleibt. Als eigentlich zentrale Bezeichnung für jene Einstellung des Menschen Gott gegenüber, die sonst „religio" oder auch „pietas" genannt wird, dient in den „Loci" des Melanchthon zweifellos der Terminus „invocatio", „Anrufung" Gottes. Sie benennt in besonderem Ausmaß die spezifische Beziehung des Menschen zu Gott. Unsere „invocatio" wird in den „Loci" getrennt von jener der Heiden, Türken und Juden 6 ; sie ist im Unterschied zu deren Anrufung die „invocatio vera" 7 . Verschiedentlich findet sich „invocatio" zusammen mit „fides", wobei diese vorangestellt ist8, oder auch in mina, timor Dei, fides seu fiducia, dilectio Dei. Et quidem has partes necessario complectitur ea virtus, quae vocatur pietas. Pertinet huc et Patientia. Ceterum nomen Pietas paene respondet nomini Iustitiae universalis, si definiamus eam obedientiam, quae D e o praestatur in ómnibus eius mandatis ... ad hunc finem, ut D e o obtemperetur, omnia opera referenda esse. Collocetur igitur huc et virtus, quae vocatur Iustitia universalis." 3 Ebd. 700: „... nec excogitemus ipsi novas religiones sicut Ethnici, aut novos cultus"; vgl. 1024 „Ethnicae religiones"; hier ist auch von „universa religio" die Rede, wobei es sich jedoch um einen konkreten Gebrauch von „religio" handelt. 4 Ebd. 801. 5 Vgl. ebd. 699, 706, 777, 888, 999. 6 Ebd. 609: „... discamus haec duo, Quis sit Deus et quae sit voluntas eius, et nostram invocationem ab Ethnica, Turcica, Iudaica prudenter et ardenter seiungamus". Vgl. ebenso 611, 636, 971. 7 Ebd. 623, vgl. 767: „Oportet enim discrimen esse inter invocationem veram, seu populi Dei, et invocationem Iudaicam, seu Turcicam. D u o in omni invocatione fides initio statuat, quod hunc aeternum Deum esse credas et invoces, qui est Pater Domini nostri Iesu Christi pro nobis crucifixi et resuscitati; Deinde, quod propter hunc Mediatorem vere audiantur et recipiantur tuae preces. Haec diligenter observent pii; Nam haec invocatio praecipue facit discrimen inter Ecclesiam et Gentes pugnantes cum Evangelio." 8 Vgl. ebd. 817, 836, 907, 985, 1000, 1005, 1034, 1035.
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Aufzählungen, so etwa mit „timor", „fides" und „dilectio" 9 u. a. 10 . Gerade aus solchen Aufzählungen geht hervor, daß die „invocatio" nicht nur eine einzelne Handlung Gott gegenüber, sondern eine Tugend bedeutet. Melanchthon bezeichnet sie denn auch ausdrücklich als solche 11 . Daß sie eine Tugend meint, geht auch aus ihrer Nebenordnung zu den „alia pietatis officia" 1 2 hervor. Sie ist insgesamt so wichtig, daß Melanchthon ihr ein eigenes Kapitel gewidmet hat 13 . In allen eben genannten Zusammenhängen erscheint „religio" nicht; sie fehlt auch in Abschnitten der dritten Fassung, die ihre Nennung hätten wahrscheinlich erscheinen lassen wie jenen über die „ceremoniae" 14 oder „cultus", wobei auffällig ist, daß letzterer Terminus verschiedentlich im Plural gebraucht wird 15 . Melanchthon hebt also in besonderer Weise einzelne Handlungen der Verehrung Gottes hervor. Daß sie, die als „cultus" im Plural bezeichnet werden, gemäß dem reformatorischen Ansatz Melanchthons nicht vorrangig äußere Handlungen sind, sondern ein „interior cultus", nämlich anzubeten in Furcht, Buße, Glaube, Anrufung und ähnlichem 16 , versteht sich von selbst. All diese Handlungen, die nach späterem Sprachgebrauch eher als .innere' (aber noch nicht .innerliche') und eben nicht als ,Werke' zu bezeichnen sind, identifiziert Melanchthon mit dem „cultus", den Paulus „rationalis" nennt 17 . Daß das Fehlen von „religio" hier kein Zufall ist, zeigt sich darin, daß sie auch in anderen Aufzählungen von Tugenden fehlt 18 . Es dürfte damit hinlänglich nachgewiesen sein, daß für Melanchthon „religio" theologisch irrelevant geblieben ist. Ihre Stelle dürfte die sonst nicht so in den Vordergrund getretene „invocatio" eingenommen haben. Dieses Ergebnis ist deswegen von Bedeutung, weil „religio" im humanistischen Sprachgebrauch inzwischen einigermaßen gängig geworden war, wenn dieser Terminus auch nirgends eine besondere theologische Qualität erhalten hatte. Daß demgegenüber bei Melanchthon wie schon bei Luther die „fides" von herausragender Bedeutung war und entsprechende Beachtung in den „Loci" gefunden hat, braucht hier nicht näher dargelegt zu ' Ebd. 930, 982. 1 0 Vgl. ebd. 974: „notitia seu agnitio et celebratio nominis Dei et invocatio"; ebd. 1006: „fides, invocatio et confessio"; vgl. auch 1018 und schließlich 1028: „opera a D e o mandata, Ponitentia, T i m o r Dei, Fides, Invocatio, Confessio, Patientia, Castitas, Temperantia, diligentia invocatione". 11 Ebd. 1 2 Ebd. 1012. 1 3 Ebd. 9 5 5 - 9 8 4 . 1 4 Vgl. das Kapitel ebd. 1015 ff. 1 5 Vgl. bes. ebd. 1020; ferner 6 9 0 - 6 9 2 . " Ebd. 764. 1 7 Ebd. " Ebd. 672, 692, 693.
Philipp Melanchthon
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werden 19 . Wenn sich auch nicht vereinzelt neben ihr „religio" gefunden hat, ist dies auffällig, weil der Sprachgebrauch der fast gleichzeitigen Reichstage anders ist, wie noch zu erörtern bleibt. Der Befund der „Loci theologici" soll nun mit dem der „Confessio Augustana" verglichen werden. Melanchthon stützte sich zwar auf vorausgegangene Texte wie die „Schwabacher Artikel" von 1529 u.a., als er diese „Confessio" auf dem Augsburger Reichstag von 1530 formulierte, damit sie Kaiser und Reichstag vorgelegt werden konnte; doch sah Melanchthon sie so sehr als seine eigene Arbeit an, daß er sich später für befugt hielt, sie zu ändern 20 . Sie kann daher für unseren Zusammenhang ohne Bedenken als Melanchthons Arbeit angesehen werden. Zur Uberprüfung wurde besonders die ursprüngliche lateinische Fassung herangezogen; die spätere Überarbeitung wie auch die deutsche Ubersetzung dieser ersten Version wurden stellenweise verglichen. Eine genauere Durchsicht erfolgte sodann für die spätere „Repetitio Confessionis Augustanae" von 1551, um zu sehen, ob in der Zwischenzeit in Melanchthons Sprachgebrauch eine Veränderung eingetreten ist. Als Vorstufe der „Confessio Augustana" sollen die „Articuli de quibus egerunt per visitatores in regione Saxoniae" von 1527 herangezogen werden, die Melanchthon für die Abfassung der „Confessio Augustana" mitbenutzt hat. In diesen „Articuli" findet sich kein Beleg zu „religio", auch dort nicht, wo Melanchthon „De oratione" 21 , „De timore Dei" 22 oder über die „ceremoniae" 23 handelt. Statt von „Christiana religio" ist wohl von „Christiana iustitia" die Rede 24 . In der deutschen Fassung dieser „Articuli" ist lediglich von „Gottes dienst" gesprochen, und zwar anläßlich der Frage, ob man als Christ gegen die Türken streiten dürfe 25 . Ein Lehnwort „Religion" findet sich nicht. In der „Confessio Augustana" ist, sehen wir zunächst einmal von der „Praefatio" ab, kaum einmal der Terminus „religio" verwandt. Er fehlt in den häufigen Aufzählungen, in denen er nahegelegen hätte 26 ; statt dessen ist von „timor Dei et fides" 27 gesprochen. Auch wenn von „cultus" 28 bzw.
" Vgl. bes. ebd. 742 ff, 755 ff, 886ff. Heinrich Bornkamm, Augsburger Bekenntnis, in: RGG 3 I 733-736. 21 Philipp Melanchthon, Articuli de quibus egerunt per visitatores in regione Saxoniae (1527), in: aaO. XXVI, 13ff. 22 Ebd. 17 f. 23 Ebd. 26. 24 Ebd. 28. 25 Ebd. 83. 26 Philipp Melanchthon, Confessio fidei exhibita in victiss. Imp. Carolo V. Caesari Augusto, in comiciis Augustae, anno 1530, in: ebd. X X V I ( = Confessio Augustana), 284, 285, 287. 27 Ebd. 281; vgl. ebd. 273: „sine metu Dei, sine fiducia erga Deum". 28 Ebd. 310, 316, 307. 20
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von „verus cultus" 29 oder von „cultus" et „ceremoniae" 30 die Rede ist, sucht man vergeblich nach „religio". Dieser Terminus bleibt aber auch da, wo er sich tatsächlich finden läßt, peripher. Wenn in dem Abschnitt „De missa" einmal davon gesprochen wird, die „reverentia ac religio publicarum ceremoniarum" zu mehren 31 , so ist hier „religio" nur nebengeordnet zu „reverentia" gebraucht. Überdies kann es ebensogut „reverentia ac pietas" heißen 32 . Nach der eben referierten Stelle ist dann zwischen „pietas" und „religio" abgewechselt 33 . Im übrigen fehlt dieser Passus in der deutschen Version 34 ; in der späteren revidierten lateinischen Fassung findet sich nur der erste Teil der Aussage, „reverentia et religio" zu mehren, während der folgende Text abgeändert ist; in einer hier eingefügten Aufzählung der „veri cultus" findet sich die Feststellung, daß Gott diese „cultus", Furcht, Glaube, Anrufung, Hoffnung prüfe; „religio" findet sich nicht 35 . Sonst ist dieser Terminus noch im Abschnitt „De votis Monachorum" nachzuweisen, wo Melanchthon von „facticiae religiones", d. h. von Verehrungen spricht, die gegen die Natur gerichtet sind, ohne welche die Magistrate, Pfarrer und andere ihrer Berufung dienen 36 , während die Mönche sagen, gerade durch diese „religiones" sei der Stand christlicher Vollkommenheit gegeben 37 . Im gleichen Zusammenhang wendet sich Melanchthon gegen „illae mirificae religiones Angelorum", d. h. gegen die Verehrungen der Engel, von denen schon bei Augustinus die Rede war. Diesen höchst spärlichen Aussagen in der „Confessio" selbst steht der Befund in der „Praefatio" entgegen. In ihrer lateinischen Fassung findet sich „religio" 11 mal, davon 5 mal als terminus technicus „causa religionis"38. Überraschend ist, daß diese fünf Belege in der deutschen Version nicht enthalten sind. Von den übrigen Belegen ist bei einem die deutsche Formulierung „inn sachen unsern heiligen glauben belangend" durch „religionis ex causis" wiedergegeben 39 , an einer weiteren Stelle ist die Reihen29
Ebd. 318. Ebd. 304. 31 Ebd. 298 f. « Ebd. 293 ff. 33 Ebd. 297 f: „Assuefit populus ut una utatur sacramento, si qui sunt idonei, id quoque äuget reverentiam ac religionem publicarum ceremoniarum. Nulli enim admittuntur, nisi antea explorati. Admonentur etiam homines de dignitate et usu sacramenti, quantam consolationem afferat pavidis conscientiis, ut discant Deo credere, et omnia bona a Deo expectare et petere. Hic cultus delectat Deum, talis usus sacramenti alit pietatem erga Deum. Itaque non videntur apud adversarios Missae maiore religione fieri quam apud nos." 34 Ebd. 609 ff. 35 Ebd. 375. 36 Ebd. 313. 37 Ebd. 317. 38 Ebd. 264, 266 (2x), 267, 270. 39 Ebd. 544 bzw. 269. 30
Philipp Melanchthon
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folge von „heiligen glauben, und der Christlichen Religion" bei der Übersetzung ins Lateinische zu „in causa nostrae sanctae religionis et Christianae fidei" umgekehrt, ohne daß auch die Adjektive mit umgestellt worden wären 40 . Schließlich ist in der lateinischen Fassung „religio" dort hinzugefügt, wo es in der deutschen Version von den Türken nur heißt, sie seien „des Christlichen namens erbfeind" 41 . Aus diesen Belegen kann geschlossen werden, daß der häufige Gebrauch von „religio" in der „Praefatio" auf Justus Jonas zurückgeht, der auf dem Augsburger Reichstag am Tag vor der Verlesung die zunächst nur deutsche Vorrede ins Lateinische übertragen hatte 42 . Bei dem humanistisch gebildeten Jonas lag also ein deutlich intensiverer Gebrauch dieses Terminus vor als bei Melanchthon. An den verbleibenden Stellen der „Praefatio" wird „Religion" bzw. „religio" gleichfalls eher formelhaft verwandt, so wenn von der „una, sincera et vera"43, der „una vera concordis religio"44 oder dem „amor religionis" 45 gesprochen ist. Da der Terminus „religio" sonst in dieser Zeit und auch bei Melanchthon in einer speziellen Bedeutung erscheint, läßt sich annehmen, daß er nicht schon als Oberbegriff und Sammelbezeichnung für alles zum christlichen Glauben Hinzugehörende gebraucht ist, sondern noch „Gottesverehrung" meint, selbst wenn er hier eine eher generelle Funktion hat. Diese Verwendung dürfte beeinflußt sein von dem inzwischen schon gängigen terminus technicus „causa religionis". Für Melanchthon ist freilich dieser Terminus ebensowenig wie „Religion" gebräuchlich, so daß das gehäufte Auftreten in der deutschen Fassung der „Praefatio" schwerlich auf ihn selbst zurückgehen dürfte. Es hat den Anschein, als ob auch hier ein anderer Autor mitbeteiligt gewesen sei. Die Durchsicht der „Repetitio Confessionis Augustanae" von 1551 bestätigt das bisherige Ergebnis. „Religio" läßt sich nur gelegentlich finden 46 . Dabei hat die nicht von Melanchthon selbst stammende deutsche Ubersetzung eher „Religion" verwandt, wie daraus hervorgeht, daß dieser Terminus verschiedentlich dort eingefügt ist, wo er in der lateinischen Fassung fehlt 47 . Damit gibt die „Repetitio" und ihre Übersetzung jenen Übergang zu einem häufigeren Gebrauch von „religio/Religion" wieder, ohne daß 40 41 42 43
Ebd. 538 bzw. 264. Ebd. 538 bzw. 263. Vgl. H. Bornkamm, aaO. 734. Philipp Melanchthon, Confessio Augustana, 265, im Deutschen „ein einiche und wäre",
539. 44
Ebd. 267, im Deutschen „einer einigen waren Religion", 542. Ebd. 268. 46 Vgl. Philipp Melanchthon, Repetitio Confessionis Augustanae, in: ebd. XXVIII, 437, bzw. in der deutschen Fassung 547, hier mit der These, die schon bei Machiavelli gängig war, daß die „religio" sich zur politischen Legitimation eigne; vgl. ferner 445 bzw. 554. 47 Vgl. ebd. 371 bzw. 482; 380 bzw. 492; 414 bzw. 525; 456f bzw. 564f. 45
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der Terminus schon irgendeine besondere Bedeutung und Funktion hätte. Für Melanchthon bleibt er also theologisch bedeutungslos. Dem widerspricht, daß Melanchthon in seinen Briefen von „Handlung der strittigen Religion" bzw. von „Religionshandlung" 48 oder von dem „Wort Vergleichung in der Religion"49 spricht; an dieser letzten Stelle bringt er übrigens zum Ausdruck, daß er dieses Wort für „ganz fährlich" hält, da „der sicherste Weg vor Gott sey, die Wahrheit und Evangelium einfältiglich zu bekennen und darbei zu bleiben". Melanchthon warnt also hier vor dem Sprachgebrauch „Vergleichung in der Religion". Daß er diese Termini verwendet, entspricht wohl nur dem Sprachgebrauch der kirchlich-politischen Verhandlungen. Eine Durchsicht anderer Werke ergab keinen nennenswerten Erfolg. Lediglich in der „Postilla Melanchthoniana" ließ sich der Terminus „religio", wenn auch nur eher nebenbei 50 , nachweisen. Es findet sich jedoch auch ein kurzer Abschnitt „Quid est religio?" 51 . Zu dieser „Postilla" ist freilich zu bemerken, daß Melanchthon sie nicht selbst verfaßt hat, daß sie vielmehr aufgrund von Mitschriften aus den Jahren 1549 bis zu Melanchthons Tod 1560 später von Christoph Pezel (1539 - 1604) zusammengestellt und 1594 publiziert worden ist. Dabei wurde vieles ins Lateinische übersetzt. Inwieweit Pezel seine Vorlagen hinsichtlich unserer Frage bearbeitete und vor allem den Abschnitt über die „religio" selbständig überschrieb und einfügte, kann hier auf sich beruhen bleiben. Auch wenn Melanchthon den Terminus selbst erläutert hat, bedeutet dies keine Änderung seines genuinen Sprachgebrauchs. „Religio" war hinlänglich gängig, so daß Melanchthon schon einmal eine solche Worterklärung hat geben können. Aufschlußreich ist für uns, was denn nun als Antwort auf die Frage „Quid est religio?" gesagt wird: „Religio" wird bestimmt als „vera conversio ad Deum, verus timor, vera fides, et nova obedientia". Als Gegensatz zu ihr wird „Prophanitas, dOeotr)«;" u. a. genannt. „Religio" wird sodann abgehoben vom Aberglauben. Sie bedeutet „8eiai8ai|iOvia" oder „edeXodQT|oxeia". Zu letzterem Terminus folgt eine Etymologie zu „dQT|Oxeia", nämlich „xegaxa aaxeiv, exercere signa" oder „xaQartea d a i " , d.h. „expavescere". Doch werden diese Etymologie wie auch die zuvor genannten Termini nicht weiter aufgenommen. Vielmehr folgen einige Bemerkungen über die „superstitio", wie sie etwa bei den Heiden oder bei den Franziskanern zu finden ist. Insgesamt gibt also dieser Text über die „religio" keine sehr eingehende Erörterung, er reiht verschieden48
So im Brief an Johann Friedrich und Johann Ernst von Sachsen, 5.5.1541, in: ebd. IV, 253 und 255. 49 So im Brief an dieselben vom 3.6.1541, ebd. 384. 50 Postilla Melanchthoniana, in: ebd. XXIV, 375. 51 Ebd. XXV, 569 f.
Huldrych Zwingli
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ste kurze Bemerkungen hintereinander in der Tendenz, die „superstitio" zu verurteilen, wie sie in der überkommenen kirchlichen Tradition gesehen wird. Somit besteht aufgrund dieser Belege aus dem weiteren Werk Melanchthons kein Anlaß, den in seinen „Loci theologici" wie auch in der „Confessio Augustana" erhobenen Befund durch eine spätere Entwicklung als überholt anzusehen.
5.3 Huldrych
Zwingli
Aufschlußreich ist für unser Thema auch Huldrych Zwingli (1484 - 1531), weil er wie schon Luther in umfangreichem Maße zweisprachig geschrieben, jedoch mehr als dieser das Deutsche bevorzugt hat. Daß er den Terminus „religio" kennt, versteht sich von selbst, ebenso, daß bei ihm „religio Christiana" möglich ist. Doch diese Formulierung hat keine spezifische Bedeutung; Zwingli kann sie anscheinend aus rein sprachlichen Gründen abwechselnd mit „Christiana pietas" gebrauchen 1 , er kann aber auch „professio Christiana" sagen 2 . Überraschend ist, daß eine umfangreiche Uberprüfung einen höchst seltenen Gebrauch des Terminus „religio" ergeben hat 3 . Seine Verwendung ließ sich in den durchgesehenen deutschen Texten überhaupt nicht nachweisen. Es scheint hier zum Zuge zu kommen, daß Zwingli besonderen Wert auf den Gebrauch deutscher Worte und Begriffe gelegt hat 4 . Aus den deutschen Texten läßt sich nun nicht erschließen, welches lateinische Pendant Zwingli angenommen hätte, ob „religio" oder „pietas", wenn er von „glouben und frommgheit" 5 bzw. allein von „frommgheit" 6 spricht. Dasselbe gilt für die Formulierung „gotsforcht und christenliche frommgheit" 7 . Nirgends ist mit hinlänglicher Sicherheit „religio" gemeint. Und wenn Zwingli von „gotsdienst" spricht, hat er wohl am ehesten „cultus" im Sinn, würde er diesen Text lateinisch verfaßt haben 8 . 1 Huldreich Zwingli, Apologeticus Archeteles (1522), in: Huldreich Zwingiis Sämtliche Werke, hg. von Emil Egli, Georg Finsler und Walther Köhler, Oskar Farner, I-XIV ( = Corpus Reformatorum 88-101), Berlin bzw. Leipzig/Zürich 1905-1959,1 268; letztere Formulierung allein 265. 2 Ebd. 266. 3 Z. B. fanden sich in den Bd. I und II keine weiteren Belege. 4 Huldreich Zwingli, Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit (1523), in: ebd. II 525. - Zur besonderen Situation des Terminus „sacramentum" vgl. ders., Auslegen und Gründe der Schlußreden (1523), in: ebd. 120-125, 148 f, 151. 5 H. Zwingli, Auslegen und Gründe der Schlußreden, 14. Juli 1523, in: ebd. II 269. 6 Ebd. 364, sowie: Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, 524; warum der Bearbeiter „frommgkeit" als Äquivalent für „iustitia et integritas" ansieht, 522, ist nicht ersieht lieh. 7 Ebd. 524. * H. Zwingli, Auslegen und Gründe, ebd. 353, hier übrigens kurz nach „abgötery", das „superstitio" wiedergeben dürfte.
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Wie sehr Zwingli an einer Verwendung deutscher Worte interessiert war, wird daraus ersichtlich, daß er häufiger den Terminus „zünselwerck" 9 gebraucht, der nicht eben leicht verständlich gewesen sein düfte; dies läßt sich daraus schließen, daß Zwingli ihn gelegentlich mit dem in Klammern beigefügten Terminus „ceremonie" erläutert 10 . Eine beträchtliche Durchsicht von Schriften Zwingiis hat also ergeben, daß er in lateinischen Texten, wenn auch selten, den Terminus „religio" verwendet, daß er aber in deutschen Texten das Lehnwort „Religion" weitestgehend oder vielleicht auch ganz vermeidet. Schon daraus darf geschlossen werden, daß dieser Terminus für ihn theologisch von nachrangiger Bedeutung gewesen ist; andernfalls hätte er auf ihn nicht in diesem Maße auch im Deutschen verzichten können. Gegen diesen Befund könnte man einwenden, Zwingli sei doch immerhin der erste, der nach Marsilio Ficino im Titel eines weitverbreiteten Buches von „religio" gesprochen hat, nämlich in seinem „De vera et falsa religione commentarius", den er 1525 publiziert hat. Doch ist große Vorsicht geboten, die Bedeutung des Terminus „religio" schon deswegen hoch anzusetzen. Denn aus Ficinos Buchtitel ließ sich noch keine nachhaltige Bedeutung von „religio" ableiten. Daß dieser Terminus zur Zeit Zwingiis wenig zentral war, läßt sich aus dem keineswegs rein zufälligen Tatbestand ersehen, daß die von seinem Mitarbeiter Leo Jud (1482 - 1542) bereits 1526 angefertigte Ubersetzung unter dem Titel erschien: „Uon warem vnd valschem Glouben Commentarius dz ist vnderrichtung" 11 . „Religio" war also so ungebräuchlich, daß Jud statt dessen „Glouben" gesagt hat. Sehen wir uns nun das Buch im einzelnen an, so behandelt es nicht eigentlich die „religio" als vielmehr grundlegende Fragen des Glaubens, nämlich Gott und Mensch, Evangelium, Buße, Gesetz und Sünde, Schlüsselgewalt und Kirche und dann ausführlich die Sakramente; schließlich fügt Zwingli noch einige Einzelthemen an wie Gelübde, Verdienst, Gebet, Fegefeuer oder das Verhältnis von Kirche und öffentlicher Gewalt. Es kommt Zwingli darauf an, diese Themen vornehmlich für französische Leser darzulegen, wie aus der Widmung an König Franz I. von Frankreich hervorgeht; damit richtet sich diese Schrift besonders an eben jene Leser, die wenig später auch Calvin mit seiner „Institutio christianae religionis" ansprechen wollte. Bei der Durchsicht dieses „Commentarius" bestätigt sich, daß „religio" bei Zwingli keine grundlegende und verbreitete Bedeutung hat. Abgesehen von den beiden ersten Abschnitten „De vocabulo religionis" und „Inter 9
Ebd. 405, 443, ferner: Von göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit, 524. Ebd. 496. 11 Vgl. die Einleitung zu Huldreich Zwingli, De vera et falsa religione commentarius, in: ebd. III 625. 10
H u l d r y c h Zwingli
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quos constet religio" findet sich eigentlich nur ein weiterer, der tatsächlich ausführlicher „De religione" handelt. Die zwischen diesem und den zuvor genannten Abschnitten stehenden Darlegungen über „De deo" und „De homine" sprechen schon nicht von „religio". Der auf „De religione" folgende Text „De religione Christiana" kommt wiederum nahezu ohne den Terminus „religio" aus. Er wird hier nur einmal eher nebenbei in den Einleitungsbemerkungen genannt. Interessant ist nun, daß Zwingli in den sehr kurzen Darlegungen über „religio" im Vergleich zu früher behandelten Autoren sehr deutlich sagt, was er unter diesem Terminus versteht, daß er ihn nämlich faktisch synonym für „pietas" gebraucht. Zwingli beginnt seine Klärung „De vocabulo religionis" mit Ciceros Etymologie und stimmt ihr zu, um dann jedoch sofort zu sagen: „religio" ist alles, was die gesamte „pietas" der Christen umfaßt, nämlich Glaube, Liebe, Gesetz, Ritus, Sakrament 12 . Schon hier bestimmt er also unmittelbar „religio" als bzw. durch „pietas". Im weiteren Verlauf findet sich dann auch verschiedentlich die ausdrückliche Formulierung „religio vel potius pietas" 13 . Damit wird unterstrichen, wie sehr tatsächlich „pietas" mit „religio" gleichgesetzt, ja gegenüber dieser bevorzugt ist. Inhaltlich bestimmt er dann auch beide Termini als Gott anhängen: „Vera religio, vel pietas, haec est, quae uni solique d e o haeret." 14
Zurückgeführt wird die „religio" auf Gott. Denn der von Gott geschaffene Mensch hat gesündigt und ist, wie Zwingli mit einem Verweis auf die Genesis hervorhebt, auf der Flucht vor Gott; infolgedessen kann der Mensch von sich her die Verbindung zu Gott nicht mehr herstellen. Die „religio" hat darin ihren Ursprung, daß Gott den flüchtigen Menschen zu sich zurückruft. Somit ist „religio" bzw. „pietas" zunächst fundamental das Verhalten gegenüber einem Sohn, der auf der Flucht ist wegen seiner Schuld, die ihm der Vater eben nicht nachträgt 15 . Ausdrücklich spricht freilich Zwingli nicht von „religio", wohl aber von „pietas", wenn er das Verhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern zur Aussage bringt; geht so die „pietas" von Gott aus, so erfordert sie vom Menschen, daß er am Munde des Herrn hängt, wie in der Ehe der Glaube nur dem Bräutigam 12 Ebd. 639: „Religionis vocabulum a relegendo Cicero de natura deorum lib. II derivatimi esse putat, quod qui religiosi essent solicite cuncta retractarent, ac velut relegerent, quae ad deorum cultum pertinerent. Quae quidem vocabuli ratio nobis quoque accommoda erit. Nos enim .religionem' hie accipimus pro ea ratione, quae pietatem totam Christianorum, puta: fidem, vitam, leges, ritus, sacramenta, complectitur." Vgl. auch 820; dasselbe wird von der „fides" gesagt, 740, 841. 13 Ebd. 668; vgl. auch die Gleichsetzung, ebd.: „Pietas ergo, sive religio haec est"; ebd. 668 f, 672 u. o. ist dann auch von „pietas" gesprochen. Dieselbe Gleichsetzung auch für die „falsa religio sive pietas", 674. 14 Ebd. 669. 15 Ebd. 667.
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gilt16. Dieser Vergleich ist deswegen besonders aufschlußreich, weil Zwingli hier „pietas" mit „fides" verbindet und diese theologisch meint als jenes felsenfeste Sich-Verlassen auf den Bräutigam, wie es im Epheserbrief (5, 32) heißt, auf den Zwingli hier auch eigens verweist. Zwingli verwendet also - exegetisch durchaus korrekt - biblische Vorstellungen, die besagen, daß das Verhalten des Menschen Gott gegenüber durch das Verhalten Gottes dem Menschen gegenüber begründet ist. Dieses wechselseitige Verhalten nennt Zwingli „pietas", seitens des Menschen zu Gott auch „reHgio". Dabei wird diese Beziehung zu Gott durchaus auch mit „fides" sowie, wie aus einem späteren Text hervorgeht, mit der „spes in deum per Christum Iesum" gleichgesetzt 17 . Nicht nur „pietas", sondern gerade auch „religio" wird hier mit den theologischen Tugenden des Glaubens und der Hoffnung verbunden. Daraus folgt, daß „religio" in spezielle Aussagen eingebunden bleibt, nämlich als eine Tugend neben anderen. Damit läßt sich ein wesentliches Urteil über die Bedeutung von „religio" in diesem Buch Zwingiis formulieren: Die Verwendung von „religio" wird offensichtlich vom humanistischen Sprachgebrauch bestimmt, der seinerseits sehr vom klassischen Latein abhängt. Daß Zwingli von diesem Sprachgebrauch geprägt war, zeigt die besondere Wertschätzung von „pietas", die ja mehr noch als „religio" eine römische Tugend gewesen ist. Die so weitgehende Identifizierung dieses Terminus mit „religio" tritt bei den Humanisten nicht in der Weise in Erscheinung, wie sie bei Zwingli vorliegt. Dieser akzentuiert beide Termini entgegen klassisch lateinischer Bedeutung weniger von der Furcht als vielmehr von der vertrauten Zuwendung von Eltern zu ihren Kindern bzw. von Braut zum Bräutigam her. 16 Ebd. 668: „Hinc, inquam, religio vel potius pietas - hanc enim inter parentes et liberos, interque deum et hominem statuunt - incunabula coepit. Videbat infoelix homo nihil quam iram se commeruisse; desperat igitur et a deo fugit. Iam erga impium filium, parentis pietatem vide! Accurrit, contumacemque inter temeraria Consilia opprimit. Quod quid est aliud, quam pietas erga filium? Oritur ergo pietas a deo usque ad hodiernum diem, sed in nostrum usum. Quid enim defuturum deo fuisse putabimus, etiam si Adam subito fatali morte concidisset? Est autem tunc absoluta pietas, qum nos ad vocantem a nobis nostrisque consiliis convertimur: O enim infoelicem parentem (humanum dico), qui constanti benignitate filium prosequitur, constantius renitentem ac resilientem; frustra enim pius est in filium." Ebd. 669: „Requirit ergo vera pietas, ut ab ore domini pendeat, nullius, praeter sponsi sui, verbum vel audiat vel recipiat. Quam fidem dominus, ut nobis probe ob oculos poneret, crebro in scripturis connubio fideli comparat, et tanquam sedulus maritus ab adulterio deterret ac scortatione. H o c unum prorsus intendens, quod, sicut in matrimonio fides prae omnibus exigitur (imo matrimonium nihil aliud est, quam data acceptaque fides), ita pietas non sit pietas, nisi toto pectore domino animae sponso fidas, in eum solum oculos figas, aurem, praeter ipsum, penitus nulli accommodes." 17 Ebd. 705: „Plenae sunt omnes apostolorum scripturae ista sententia, videlicet, quod Christiana religio nihil aliud est, quam firma spes in deum per Christum Iesum, et innocens vita, ad exemplum Christi, quoad ipse donat, expressa." Vgl. 723, s.u. Anm.24.
Huldrych Zwingli
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Wesentlich ist ihm, daß diese vertraute Zuwendung zu Gott dem sündigen Menschen von Gott selbst ermöglicht wurde. Allein Gott zu glauben und auf ihn zu hoffen, meint „religio". Diese hängt also bei Zwingli nicht an der Natur des Menschen, so sehr sie den Menschen freilich auszeichnet; denn der Unterschied zwischen Mensch und Tier liegt darin, daß der Mensch durch Gott, den „pientissimus pater", gerufen und zu ihm hingezogen ist, so daß er durch die „pietas" Gott bekennen und seinen Gesetzen gehorchen kann; hier spricht Zwingli zwar nicht von „religio", sondern von „pietas"; aber in der mit beiden Termini zum Ausdruck gebrachten Möglichkeit und Notwendigkeit des Menschen, sich zu Gott zu verhalten, liegt sachlich der Unterschied zum Tier 18 . Daß Zwingli der „religio" keine besondere Bedeutung beimißt und sie somit noch geringer einschätzt als Luther, liegt wohl in seinem Ansatz, der äußere Manifestationen des Glaubens nicht nur gering bewertet, sondern im Grunde für unangebracht hält. Zwingli bestimmt sowohl den „cultus" als auch die „vera religio" als „fides et innocentia" 19 ; was für eine lateinische Tradition vorrangig in äußeren, aber deswegen nicht ipso facto äußerlichen Handlungen besteht, wird von ihm auf innere Vollzüge bzw. Gegebenheiten verlegt, ohne daß die Trennung von innen und außen schon explizit20 bestimmend wäre. Als Fazit aus „De vera et falsa religione" kann jedoch festgehalten werden, daß „religio" oder, wie er bevorzugt sagt, „pietas" als „adhaesio", als „Gott- Anhaften" bezeichnet wird 21 . Sie können nicht aus Erfindung oder Gesetz des Menschen erfolgen, sondern nur aus Gottes Wort 22 , dem allein zu glauben ist23. Wo dieser Glaube vorliegt, handelt es sich nicht um eine „falsa", sondern um die „vera . . . Christi religio"24. 18
Ebd. 907 f. " Ersteres ebd. 910 und letzteres 911. 20 Vgl. die Ausführungen über den Unterschied von „credere et sentire", nämlich zu glauben und eben nicht wahrzunehmen, daß im Abendmahl Fleisch und Blut Christi anwesend ist, ebd. 786ff. Vgl. auch den Hinweis zur Bedeutung der „signa . . . externa", ebd. 895. Vorbereitet wird diese Disjunktion von „innen" und „außen" aber durch Aussagen wie diese, ebd. 700: „Fides enim Christiana res est, quae in animo credentium sentitur, sicut valetudo in corpore." 21 Ebd. 668: „Ea igitur adhesio qua deo, utpote solo bono, quod solum erumnas nostras sarcire, mala omnia avertere, aut in gloriam suam suorumque usum convertere seit et potest, inconcusse fidit, eoque parentis loco utitur - , pietas est, religio est." Vgl. auch 820. 22 Ebd. 672: „Si ergo is cultus, ea pietas aut religio vana est, quae ex humana inventione aut lege proficiscitur, solida nimirum e diverso veraque est religio, quae iuxta solius dei verbum dirigitur, quae unum hoc spectat et audit." 23 Ebd. 674: „Falsa religio sive pietas est, ubi alio fiditur quam deo." 24 Ebd. 723: „Vera ergo Christi religio haec est, qua miser homo de se ipso desperat, et omnem cogitationem fiduciamque in deum iactat, certus, quod is nihil negare possit, qui filium suum pro nobis impendit; et quod filius, qui aeque deus ac pater est, nihil negare potest, qum noster sit. Falsa vero religio inane Christi nomen circumfert, qum spes suas alibi habeat.
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Es bedarf keines näheren Nachweises, daß bei Zwingli wie bei allen Reformatoren „fides" von erstrangiger Bedeutung ist. Hingewiesen werden soll nur darauf, daß auch „fides" bestimmt wird als ein „Gott-Anhängen" 25 . Sie ist Voraussetzung nicht nur zur Erkenntnis Gottes, sondern auch zu der des Menschen 26 . Angesichts dieser Bedeutung des Glaubens ist es überraschend, daß Zwingli die bei den früheren Autoren beobachtete Zurückhaltung nicht mehr wahrt und vom „glouben" im Hinblick auf die Türken sprechen kann 27 . Damit ist sicher nicht gemeint, bei ihnen läge ein heilswirksamer Glaube vor. Der Beleg zeigt lediglich, daß der Sprachgebrauch nachlässiger geworden ist, wie dies auch schon bei Luther der Fall war. Spricht Zwingli also im Titel eines wichtigen Buches von „religio", so zeigt eine Uberprüfung dieses Werkes, daß der Terminus deswegen noch keine besondere Bedeutung hat. Dasselbe Ergebnis zeigte die Durchsicht anderer Werke Zwingiis. Grundsätzlich bedeutet „religio" eine spezielle Verhaltensweise bzw. durch Gott bedingte Einstellung des Menschen ihm gegenüber. „Religio" wird bei Zwingli aus humanistischen, nicht aber aus theologischen Gründen gebraucht. Faktisch wird „religio" überdies mit „pietas" gleichgesetzt. Dieser Terminus ist eindeutig vor „religio" bevorzugt.
5.4 Johannes
Calvin
In Johannes Calvin (1509 - 1564) wenden wir uns dem zweiten Reformator zu, der im Titel eines Buches „religio" verwandt hat, nämlich in seiner „Institutio religionis christianae". Diese erhielt drei Fassungen, die erste 1536, die zweite, mehrfach geänderte seit 1539 und schließlich die dritte 1559. Sie diente einer knappen Unterweisung in wesentlichen Stücken des christlichen Glaubens und zugleich einer Unterstützung der evangelischen Christen in Frankreich. Aus dieser Zielsetzung heraus ließ Calvin 1541 eine erste französische Übersetzung erscheinen, die mehrfach wiederaufgelegt wurde, bis dann 1560 eine nicht mehr ganz von ihm durchgeführte Alius enim peccata sua, ut abluat, ebrios cantores, alius monachos ad ieiune psallendum conduciti alius ambitiosas aedes excitando, alius preciosam vestem concinnando divorum alicui mercari se putat foelicitatem, alius propriis, alius alienis nititur operibus, et breviter quotquot civitates sunt, tot et dii sunt; quaelibet enim habet peculiarem aliquem divum, cui tutelam suam acceptam fert. Quemadmodum et Hieremias queritur 2 cap. (Jer. 2.28): .Secundum numerum quippe civitatum tuarum erant dii tui, Iuda'." Zur „falsa religio" vgl. auch ebd. 803 f. 25 Ebd. 841: „Fides uno deo nititur, uni haeret, uno fidit, in unum sperat, ad unum confugit, apud unum se inventuram certo cognovit, quicquid opus illi sit." Vgl. auch ebd. 740. 26 Ebd. 661. 27 Huldrych Zwingli, Wer Ursache gebe zur Aufruhr . . . (1524), ebd. 438.
Johannes Calvin
259
Übersetzung der dritten Fassung erschien. Für unseren Zweck genügt es, die lateinischen Texte zu berücksichtigen. Interessant ist zunächst die Differenz zwischen den beiden ersten Ausgaben. In der frühesten Ausgabe wird nicht ersichtlich, warum Calvin im Titel den Terminus „religio" verwendet. Nach einem Empfehlungsbrief an den König Frankreichs wendet sich Calvin ohne jede Einleitung jenen Themen zu, die ihm um der Unterweisung in der „sana doctrina" willen unerläßlich scheinen, nämlich dem Gesetz, d.h. den Zehn Geboten, dem Glauben, d.h. dem apostolischen Glaubensbekenntnis, dem Gebet, d.h. dem Vater unser, den Sakramenten, hier vornehmlich in Auseinandersetzung mit der abweichenden Praxis der bisherigen Tradition der katholischen Kirche, und schließlich der christlichen Freiheit, d.h. der kirchlichen und politischen Gewalt. Selbstverständlich verwendet Calvin bereits in dieser ersten Fassung den Terminus „religio"; er kommt, wenn auch nicht leitend, bereits im Empfehlungsschreiben an den französischen König vor 1 . Durchweg hat der Terminus die spezielle Bedeutung „Gottesverehrung" 2 , die sich manifestiert. Diese Bedeutung liegt auch an jener Stelle vor, an der Calvin im Zusammenhang mit den falschen Sakramenten, die er ablehnt, von der ingeniösen Sache spricht, aus Christentum, Judentum und Heidentum wie aus zusammengenähten kleinen Lappen eine „religio" zu machen 3 . Im Kontext geht es hier um „caeremonia" und „sacrificia", um „circumcisio" und „unctio", die einen „character indelebilis" verleihen sollen, wie dies für das Sakrament der Priesterweihe angenommen wird. Calvin fragt dazu, was das für die Weihe benötigte Öl mit der Seele, mit einem spirituellen Charakter zu tun habe. Dann ist von den Vorschriften des Mose gesprochen, die sichtbare Dinge für die Priester betreffen. Daran schließt sich die obige Feststellung an. „Religio" ist hier im Kontext sichtbarer Vollzüge gebraucht. Auch an dieser Stelle, die in der zweiten und dritten Fassung 4 wiederkehrt, ist also eine konkrete Bedeutung von „religio" sicher. 1 Johannes Calvin, Epistola nuncupatoria, in: ders., Christianae religionis institutio totam fere pietatis summam et quidquid est in doctrina salutis cognitu necessarium complectens, Basel (1536), in: ders., Opera quae supersunt omnia I-LIX, hg. von Wilhelm Baum, Eduard Cunitz, Eduard Reuss, ( = Corpus Reformatorum 29-87), Braunschweig 1863-1900, reprogr. Neudruck New York 1964, I 13 f. - Im folgenden werden für diese erste Fassung zunächst mit arabischer Ziffer das Kapitel und nach einem Semikolon die Seitenzahl und für die dritte Fassung, soweit nötig, in lateinischer Ziffer die Angabe des Buches, in arabischer Ziffer das Kapitel, nach einem Komma der jeweilige Abschnitt und dann nach einem Semikolon in arabischer Ziffer die Seitenzahl des zitierten Bandes angegeben. Für die übrigen Schriften Calvins wird jeweils die Bandzahl in römischer Ziffer angegeben. 2 Ebd. 2; 60, vgl. 5; 182, 224, ferner 6; 230; hier erscheint „religio" neben „cultus". 3 Ebd. 5; 190: „Scilicet rem ingeniosam conantur: ex Christianismo et Iudaismo, et paganitate, velut consutis centunculis, religionem unam conficere." 4 Johannes Calvin, Institutio Christianae religionis (1539-1554), cap. 19, 33, in: ebd. 1094; vgl. ferner die dritte Fassung: Institutio Christianae religionis in libros IV nunc primum dige-
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Erst die zweite Ausgabe stellt den Darlegungen über den christlichen Glauben ein Kapitel „De cognitione Dei, quae primum est religionis fundamentum . . ." voran. Dieses Kapitel ist, wenn auch mit einer Reihe von Erweiterungen, in die dritte Fassung übernommen worden. Doch hat Calvin nun eine andere Uberschrift gewählt: „De cognitione Dei creatoris". Der Terminus „religio" erscheint in den Uberschriften nicht mehr.. Da für unseren Zusammenhang die Differenzen zwischen den verschiedenen Versionen vernachlässigt werden können 5 , wenden wir uns im folgenden ausschließlich der dritten, gegenüber der zweiten noch einmal erweiterten Fassung zu. Insgesamt findet die „religio" auch in dieser dritten Fassung der „Institutio" keine spezifische Aufmerksamkeit. Nur an sehr wenigen Stellen ist dieser Terminus häufiger gebraucht. Nirgends gibt es eine eingehendere Erörterung zu ihm. „Religio" ist auch bei Calvin so selbstverständlich, daß sie keiner genaueren Erklärung bedarf, aber auch so wenig zentral, daß sie keine besondere Aufmerksamkeit und eingehendere Behandlung erfahren hat. Völlig anders verhält es sich verständlicherweise mit dem Thema „Glaube", dem eine ausführliche Darlegung gewidmet ist6. Infolgedessen läßt sich nicht sagen, warum Calvin nicht statt „De institutione religionis Christianae" den angemesseneren Titel „De institutione fidei Christianae" wählt. Vielleicht waren der gängige Gebrauch sowie der Titel von Marsilio Ficino, Zwingli und im Hintergrund der von Augustinus „De vera religione" Grund genug für Calvin, den jetzigen Titel zu nehmen. Bekanntlich ist Calvin vom Humanismus nachhaltig beeinflußt, so daß Auswirkungen besonders von Ficino für die Wahl seines Buchtitels maßgeblich gewesen sein könnten. Nicht einmal in den einleitenden Kapiteln der „Institutio" findet die „religio" zentrale Beachtung. Immerhin kommen hier in den Kapiteln 2 bis 4 einige Hinweise vor, die im Zusammenhang mit Calvins Hauptthema dieser ersten Kapitel, der Gotteserkenntnis, stehen. Im Konnex mit dieser von Schöpfungs wegen vorhandenen Gotteserkenntnis spricht Calvin von „religio", aber gleich beim ersten Mal nicht allein, sondern zusammen mit „pietas", aus der die „religio" entsteht: Letztere ist die Ehrerbietung in Verbindung mit der Gottesliebe, die aus der Erkenntnis seiner Wohltaten folgt 7 . Demgegenüber bestimmt Calvin wenig später die „religio" als
sta certisque distincta capitibus (1559), IV 19, 31, in: ebd. II. 1088. - Im folgenden werden diese beiden Fassungen zitiert als Institutio 2 und Institutio 3 . 5 Vgl. J. Calvin, Institutio 2 , cap. 1, bes. 6-8; aaO. 283 ff, und Institutio 3 ,1 4; aaO. 38 ff, w o die Aussagen der zweiten Fassung im wesentlichen aufgenommen, jedoch z.T. umfänglich erweitert sind. ' Ebd. III 1-3,5; 393-437. 7 Ebd. I 2,1; 34: „Nam hic virtutum Dei sensus nobis idoneus est pietatis magister, ex qua
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Glaube, der mit ernsthafter Gottesfurcht verbunden ist 8 . Während also bei der „pietas" das Moment der Liebe die Ehrerbietung zu Gott bestimmt, so bei der „religio" die Furcht. Diese schließt die freiwillige Verehrung Gottes ein und bringt den rechten Gottesdienst mit sich 9 . Eindeutig ist, daß „pietas" und „religio" im klassischen und patristischen Sinn konkrete T u genden des Menschen sind, die sein Verhalten Gott gegenüber betreffen. Die „religio" unterscheidet auch nach Calvin die Menschen von den Tieren; alle Völker haben von Anbeginn der Welt wenigstens einen Keim von ihr, der für sie unentbehrlich ist; sie erscheint als der ins Herz jedes Menschen geschriebene Sinn für Gott 10 . Verfügen also die Menschen über ein Wissen, daß Gott existiert, so ist es eine höchst nichtige These, daß einige aus Arglist und Verschlagenheit die „religio" ausgedacht hätten; denn aus der Uberzeugung vom Dasein Gottes entstand die „religio", so daß selbst diejenigen, die verschlagen sich die „religio" zunutze machen, noch ein rudimentäres Wissen von Gott haben 11 . In solchem Maße ist also die „religio" Auszeichnung des Menschen, wie Calvin mit einem Zitat Plutarchs hervorhebt, daß der Mensch ohne sie noch unter den Tieren stünde; allein der Dienst Gottes bedeutet den Vorrang des Menschen, allein er führt zur Unsterblichkeit 12 . Dieser Same der „religio" („religionis semen"), wie es mehrmals heißt 13 , ist nun keineswegs ungefährdet. Calvin weist vielmehr Ciceros Ansicht zurück, daß die „religio" von T a g zu Tag wachse 14 . Sie wird im Gegenteil durch Aberglauben oder aber durch Bosheit des Menschen vielfach zerstört, so daß die Menschen von sich aus eben nicht zur wahren Gotteserkenntnis finden 15 . Es genügt auch nicht, daß die Menschen sich um irgendeine „religio" mühen; denn keine ist legitim, wenn sie nicht mit der Wahrheit verbunden ist, wie Calvin mit Laktanz feststellt 16 .
religio nascitur. Pietatem voco coniunctam cum amore Dei reverentiam quam beneficiorum eius notitia conciliât." ' Ebd. 2,2; 35: „En quid sit pura germanaque religio, nempe fides cum serio Dei timore coniuncta; ut timor et voluntariam reverentiam in se contineat, et secum trahat legitimum cultum qualis in lege praescribitur." ' Ebd. 2, 1; 34. 1 0 Ebd. 3, 1; 36: „Et qui in aliis vitae partibus minimum videntur a belluis differre, quoddam tamen perpetuo religionis semen retinent . . . Nulla ergo quum ab initio mundi regio, nulla urbs, nulla denique domus fuerit quae religione carere posset: in eo tacita quaedam confessio est, inscriptum omnium cordibus divinitatis sensum." 11 Ebd. 3, 1 bzw. 2; 36. 12 Ebd. 3, 3; 38. 13 Neben dem T e x t s.o. Anm. 10 vgl. noch aaO. 4, 1; 38 und 5,1; 41. 14 Ebd. 3 , 1 ; 37. 15 Ebd. 4, 1; 38. " Ebd. 4, 3; 40: „Superest ergo ut cum Lactantio constituamus: nullam esse legitimam religionem nisi cum veritate coniunctam."
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Wenn Calvin hier die Erkenntnis Gottes als dem Menschen natürlich eingegeben 17 und den Samen der „religio" als von Gott dem Menschen geschenkt bezeichnet, so vertritt er gleichwohl noch nicht eine von Natur gegebene Gotteserkenntnis und „religio"; vielmehr bewegt er sich grundsätzlich in dem Rahmen, den auch Paulus mit seiner Aussage abgesteckt hat, daß Gott aus der Anschauung der geschaffenen Welt erkannt wird 18 . Es ist also Vorsicht geboten, in diesen einleitenden Formulierungen bereits eine natürliche Gotteserkenntnis bzw. -Verehrung, die als „religio" bezeichnet würde, gegeben zu sehen. Dem widerspricht schon die Verderbnis dieser natürlich geschenkten Gaben durch die Schuld des Menschen. Denn wenn auch nicht alle von eitlem Irrtum getäuscht worden sind, wenn auch nicht alle in schlimme Laster und offenen Götzendienst verfallen sind, so hat es doch nie eine reine „religio" gegeben, die in der gemeinsamen Einsicht der Menschen begründet gewesen wäre; alle menschliche Verehrungshandlung weist der Heilige Geist zurück 19 . Eine natürlich gegebene Gotteserkenntnis und -Verehrung vermag also nicht ans Ziel zu kommen; hierzu ist der Glaube unverzichtbar 20 . Schon in der Grundlegung der „Institutio" wird also der Glaube in seiner fundamentalen Bedeutung ansichtig. Wenn sich die wahre „religio" am Wink Gottes orientieren muß 21 , so vermögen wir dies eben nicht von Natur, denn wir haben von ihr her nicht die Fähigkeit, zur reinen und lauteren Gotteserkenntnis zu kommen 22 , zu der es nicht genügt, Gott als den Schöpfer zu erkennen; somit steht alle Erkenntnis Gottes als des Erlösers unter der Vermittlung Christi 23 . Wie alle zentralen Aussagen der Theologie partizipieren also die über die „religio" in diesen einleitenden Kapiteln an dem Zwiespalt, daß der Mensch von Natur zum Heil geschaffen ist, dieses aber wegen seiner Sünde doch nicht erreichen kann. Von einer Insinuierung einer .religio naturalis' kann also in diesen Texten keinesfalls die Rede sein, selbst wenn gesagt wird, die „religio" sei dem Menschen „naturalis". Soll uns also die wahre „religio" erreichen, sind wir auf die himmlische „doctrina" angewiesen, die in der Schrift enthalten ist 24 . „Religio" ist also keinesfalls als naEbd. 4, 4; 41: „ . . . naturaliter insculptum esse deitatis sensum humanis cordibus Ebd. 5, 1; 42. " Ebd. 5, 13; 51: „Denique etiamsi non omnes laboraverint crassis vitiis, aut in apertas idololatrias prolapsi sint, nulla tarnen pura et probata fuit religio quae tantum in communi sensu fundata e s s e t . . . Q u a r e nihil mirum si cultus omnes hominum arbitrio excogitatos tanquam degeneres repudiet spiritus sanctus". 2 0 Ebd. 5, 14; 51. 2 1 Ebd. 4, 3; 39: „Putant enim Studium qualecunque religionis, quamlibet praeposterum, satis esse; sed non animadvertunt, veram religionem ad Dei nutum, ceu ad perpetuam regulam, debere conformari .. 2 2 Ebd. 5, 15; 52. 2 3 Vgl. ebd. 2, 1; 34. 2 4 Ebd. 6, 2; 54: „Sic autem habendum est, ut nobis affulgeat vera religio, exordium a coelesti doctrina fieri debere, nec quemquam posse vel minimum gustum rectae sanaeque doctrinae percipere, nisi qui scripturae fuerit discipulus." 17
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türliche einer .religio relevata' bzw. ,supernaturalis' oder der „fides" gegenübergestellt. Überdies ist dieser Terminus in den ersten Texten eindeutig speziell genommen 25 , wie es nach römischem und patristischem Verständnis, auf das sich Calvin beruft, ohnehin naheliegt. Er bedeutet eine Tugend, eine Haltung Gott gegenüber, die durch verehrungsvolle Furcht gekennzeichnet ist. Diese sämtlich erst in der zweiten Fassung von 1539 oder in der letzten Fassung von 1559 formulierten Aussagen sind alles, was Calvin in der Grundlegung seiner „Institutio" über die „religio" zu sagen hat. Im gesamten übrigen, recht umfangreichen Werk kommt er nur noch an wenigen Stellen etwas ausführlicher auf die „religio" zu sprechen. Einmal erwähnt er diesen Terminus, wo es um die Verehrung geht, die Gott allein zukommt im Unterschied zu den Götzen; dies ist in einem späteren Kapitel dieser Grundlegung 26 sowie in der Einleitung zu den Zehn Geboten 27 der Fall. Leitend ist an erster Stelle freilich „Xatgeia". Dieser Terminus bezeichnet die spezifische Verehrungshaltung, die allein Gott gebührt. Ohne genauere Verhältnisbestimmung zu diesem Terminus spricht Calvin auch von „religio" und nimmt dabei die Etymologie Ciceros auf; während er aber dessen Ableitung von „relegere", d.h. „wiederholt lesen" zustimmt, weist er Ciceros Begründung zurück und geht statt dessen davon aus, daß „religio" den Gegensatz zu zügelloser Freiheit meint 28 . „Religio" ist in dieser Aussage eng verbunden mit „pietas", aber auch mit „eüoeßeia", das er im Lateinischen mit „rectus cultus" wiedergibt. Eine besondere Bedeutung wird der „religio" nicht ausdrücklich beigemessen. Wie schon die „Ä-axgeia", so ist nach Calvin auch die „8ouÄ£ia" Gott allein gegenüber zu üben, nicht aber gegenüber den Heiligen, wie die „Papisten" meinen 29 . Calvin hebt hier also auf die alleinige Verehrung Gottes ab, die mit verschiedenen Termini zum Ausdruck gebracht werden kann, unter denen ohne jede besondere Hervorhebung auch „religio" zu finden ist. Zum zweiten wird „religio" mehrfach angesprochen in kritischen Ausführungen über die römische Kirche, deren Praxis Calvin mit der der Ju25 Dafür sprechen die im folgenden, ebd. 6, 3; 55, genannten „religiones", die keinesfalls verschiedene „Religionen" sind. Vgl. auch ebd. die Gegenüberstellung von „pura ... religio" und „superstitiones". i 24 27 Ebd. 12, 1-3; 86-89. Ebd. sowie II 8, 11 und 16f; 273f und 277f. 28 Ebd. 1 1 2 , 1 ; 87: „Religionis nomen etsi vere sciteque Cicero a relegendo deducit, coacta est tarnen et longe petita quam assignat ratio, quod probi cultores saepius relegerent ac diligenter retractarent quid verum esset. Potius existimo vagae licentiae opponi hoc nomen: quia maior pars mundi quidquid obviam et temere arripit, imo etiam huc et illuc transvolat; pietas autem, ut in firmo gradu consistât, sese intra fines suos relegit." Vgl. hierzu auch Johannes Calvin, De dementia, in: ebd.V 155 f, w o Calvin, auf die von Cicero abweichende Etymologie von Laktanz und Macrobius hinwies. 29 J. Calvin, Institutio 3 I 12, 2 f; 8 8 f.
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den des Alten Testaments vergleicht. Hatten die Israeliten die wahre Kirche, solange die Beschneidung ihnen den Zugang zur „religio" eröffnete und sie durch Sakramente zur Stärkung ihres Glaubens kamen 30 , so verloren sie diese Gottesverehrung durch ihre Abgötterei, für die Calvin Jerobeam als Beispiel anführt 31 . Der römischen Kirche ist es ebenso ergangen, so daß sie den Stand der „religio" verloren hat 32 . Deswegen kann Calvin nur mit scharfer Ablehnung von den Päpsten die ihnen nicht mehr zustehenden Titel „Pfeiler des Glaubens" und „erste Deuter der Gottesverehrung" nennen, haben die Päpste doch von Christus nichts zu eigen, als was sie von Lukian wissen; die „religio" der Päpste und Kardinäle besteht nämlich darin, daß ihre verborgene Theologie Gott leugnet 33 . Sodann spricht Calvin bei der Frage nach den eigentlichen Sakramenten mehrfach von „religio". Die Sakramente dienen dazu, durch regelmäßigen Gebrauch zu Glauben und Bekenntnis zu führen; dies unterstreicht Calvin mit einem Zitat Augustins, daß die Menschen nicht zur „religio" verbunden werden können außer durch die Teilhabe an sichtbaren Zeichen 34 . Sehr aufschlußreich ist, daß Calvin am Ende dieses Abschnitts den schon in dem Augustinus-Zitat angedeuteten Zusammenhang hervorhebt: Die Sakramente sind Zeremonien, durch die Gott sein Volk üben will, im Inneren („intus") den Glauben zu pflegen und die „religio" vor den Menschen zu bezeugen 35 . Wenn auch der Glaube nicht einfach in die Innerlichkeit und die „religio" in die äußerlich sichtbare Dimension verlegt wird, so zeigt sich doch bei letzterer, daß sie wesentlich Realisierung im manifesten Bereich ist 36 . Schließlich kommt Calvin in den abschließenden kurzen Ausführungen über die politische Verwaltung auf die „religio" zu sprechen. Während es einleitend heißt, daß dieser Bereich von der Lehre des Glaubens unabhän3 0 Ebd. IV 2 , 7 ; 773: „Circumcisionis symbolo in religionem initiabantur; aliis sacramentis exercebantur ad fidei confirmationem." 3 1 Ebd. 2, 8; 773. 3 2 Ebd. 2, 9; 773: „Age nunc, negent papistae si possunt, ut sua vitia maxime extenuent, religionis statum ita apud se corruptum vitiatumque esse ut fuit in regno israelitico sub Iarobeam." 3 3 Ebd. 7, 27; 843 f. 3 4 Ebd. IV 14, 19; 956: „Verum praesentis instituti est, de his sacramentis peculiariter disserere quae Dominus ordinaria esse voluit in sua ecclesia, ab alendos in unam fidem uniusque fidei confessionem suos cultores ac servos. Nam ut verbis Augustini utar, in nullum nomen religionis, seu verum, seu falsum coagulari homines possunt, nisi aliquo signaculorum vel sacramentorum visibilium consortio colligentur." 3 5 Ebd.: „ . . . nosque (Dominus) sibi réconciliât in filio unigenito, ita ad pietatis ac innocentiae Studium hac professione iIii nos vicissim obligamus, ut dicere merito possis sacramenta huismodi caeremonia esse, quibus exercere vult populum suum Deus ad fidem intus primum fovendum, excitandam, confirmandam, deinde testandam apud homines religionem." 3 6 Von der „religio", durch die die Seele zu Gott gelenkt wird, vgl. J. Calvin, Institutio 2 cap. 3, 19, aaO. 383. Der äußere Aspekt der „religio" darf also nicht überbewertet werden.
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gig zu sein scheint 37 , wird wenig später von „religio" gesprochen: Der Gebrauch des Politischen ist auch für Christen nicht überflüssig, sondern dazu notwendig, die Menschen in Ruhe leben zu lassen, Unrecht zu vermeiden und Frevel gegen Gott sowie Beleidigungen der „religio" zu verhindern 38 . Damit will Calvin die „religio" nicht dem politischen Regiment ausliefern, wohl aber dessen Verantwortung dafür herausstellen, über die „religio" zu wachen und sie zu schützen 39 . Aufschlußreich ist, daß in diesen Überlegungen zur Bedeutung des Politischen mehrfach und nachdrücklich „religio" gebraucht ist. Hieraus darf der Schluß gezogen werden, daß von „religio" im Hinblick auf Außenbeziehungen zu sprechen ist, während für den eigenen Bereich „fides" gesagt wird. Damit wird ein bereits in der Patristik deutlicher Aspekt wieder herausgestellt, ohne daß hier jedoch die Außenbeziehungen zu einer anderen „religio" im Vordergrund stehen; es geht vielmehr um den Bezug zwischen politischer Ordnung und Glauben, der unter diesem Aspekt als „religio" bezeichnet wird. Die Überprüfung einer beträchtlichen Anzahl von Belegen zu „religio" in der „Institutio" sowie Stichproben in anderen Schriften Calvins 40 haben keine über den zuvor dargelegten Befund hinausgehenden Aussagen ergeben. „Religio" erscheint bei Calvin theologisch nicht zentral, von ihr ist ganz selbstverständlich in einer durchgängig konkreten Bedeutung die Rede, ohne daß sich irgendeine besondere oder gar übergeordnete Funktion dieses Terminus nachweisen ließe. Nirgends ergeben sich Anhaltspunkte für einen Bedeutungs- oder Funktionszuwachs von „religio". Auch finden sich keine besonderen Überlegungen zur Klärung dieses Terminus oder gar zur Relationsbestimmung zu anderen Termini wie vor allem zur „fides". Schließlich spielt „religio" keine Rolle in Überlegungen, die sich mit anderen Überzeugungen befassen; gerade auch den Juden und den Türken wird die wahre „religio" - wie es auch gutem patristischem Sprachgebrauch entspricht - nicht zuerkannt, da diese allein durch Christus vermittelt ist 41 . J. Calvin, Institutio 3 IV 20,1; 1092: „fidei doctrina". Ebd. 20, 3; 1094: „Non enim . . . huc spectat (sc. politiae usus) duntaxat, ut spirent homines, edant, bibant..., sed ne idolatria, ne in Dei nomen sacrilegia, ne adversus eius veritatem blasphemiae aliaeque religionis offensiones publice emergant ac in populum spargantur . . . " 3 9 Ebd.: „Denique ut inter Christianos publica religionis facies existat, inter homines constet humanitas. Nec quemquam moveat, quod recte constituendae religionis curam ad hominum politiam nunc refero, quam extra hominum arbitrium posuisse supra videor. Siquidem nihilo hic magis quam antea leges de religione ac Dei cultu hominibus suo arbitrio ferre permitto, quum politicam ordinationem probo, quae in hoc incumbit, ne vera religio, quae Dei lege continetur, palam publicisque sacrilegiis impune violetur ac conspurcetur." 4 0 Vgl. dazu die verhältnismäßig sehr geringen Nachweise in den Indices in: J. Calvin, in: ebd. X X I I und L I X s.v. 4 1 Johannes Calvin, In Isaiam 25, in: ebd. X X X V I 420: „Quamvis ergo Iudaei, Turcae, caeterique infideles iactent se deum adorare creatorem coeli et terrae, fictitium tarnen Deum 37 38
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Als Fazit bleibt festzuhalten, daß „religio", selbst wenn sie von Schöpfungs wegen dem Menschen gegeben und damit „naturalis" ist, nur die durch die Gnade mögliche „Gottesverehrung" bezeichnet, die vornehmlich von der Gottesfurcht geprägt wird. Die Verwendung von „religio" im Titel der „Institutio" hat sich somit tatsächlich als nicht sehr begründet erwiesen.
5.5 Der „Religionsfriede'1 Geläufig ist der Terminus „Religionsfriede". Er scheint untrennbar mit dem Augsburger Reichstag von 1555 verbunden. Es gilt daher zu prüfen, ob dieser Terminus schon zeitgenössisch verwandt wurde oder nicht. Selbstverständlich ist dieser Terminus nämlich nicht. Ein früheres D o kument, der sog. Zweite Kappeler Landfriede von 1531, in dem die fünf schweizerischen Orte Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden und Zug mit Zürich einen Frieden schlössen, spricht durchgängig vom „cristenlichen glouben" und stellt fest, daß alle bei ihrem wahren Glauben bleiben sollten 1 . Wer den neuen Glauben angenommen hat, kann in diesem bleiben oder wieder zum alten zurückkehren, wie auch diejenigen am alten Glauben festhalten können, die ihn noch nicht verlassen haben 2 . Von „Religion" oder gar „Religionsfrieden" spricht dieser Vertrag nicht.
adorant. Utcunque sint pervivaces, vagas opiniones et incertas sequuntur pro veritate: palpant in tenebris, et imaginationem suam colunt loco Dei. Denique extra Christum et omnis religio fallax est, ac evanida, et detestandi sunt omnes cultus, secureque damnandi." Zu ungenau bleibt Hans-Joachim Kraus, Theologische Religionskritik ( = Neukirchner Beiträge zur Systematischen Theologie 2), Neukirchen-Vluyn 1982, 135-144: Calvins Verständnis von „Religion". 1 Nach dem Wortlaut des Vertrags wollen die Züricher die Bewohner der fünf Orte „bi irem waren ungezwifelten cristenlichen glouben jetz und hienach in iren eignen Stetten, landen, gepieten und herlikeiten genzlich ungearguwiert (und) ungetisputiert bliben lassen ...", die Bewohner der fünf Orte dagegen wollen „unser Eytgnossen von Zürich und ir eigen mitverwanten bi irem glouben ouch bliben lassen." Zweiter Kappeler Landfrieden, 20.11.1531, zit. nach: Religionsvergleiche des 16. Jh., I, hg. von Ernst Wälder ( = Quellen zur neueren Geschichte 7), Bern 3 1974, 7 f. 2 Ebd. 8 f: „Es ist ouch ... abgerett und beschlossen ..., die den ... nüwen glouben angenomen und noch dabi bliben wellten, das si es woll tuon mögen. Ob aber etlich derselben, so den nüwen glouben angenommen und wider davon zuo stan begerten und den alten waren christenlichen glouben wider annemen wellten, das si des selbigen fries urloub, von menklichem ungehindert, guot fuog, macht und gwalt haben söllent. Desglichen ob etwer in gemelten herschaften were, so den alten glouben noch nit verlougnet, es were heimlich oder öffentlich, das die selben ouch ungefecht und ungehasset bi irem alten glouben bliben söllent... Es soll ouch thein teil den andern von des gloubens wegen weder schmutzen noch schmächen, und wer darüber tuon wurdi, das der selbig je von dem vogte daselbs dorum gestrafft werden soll, je nach gestalt der sach."
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Denselben Befund ergibt der Vertrag zu Glarus von 1532 3 . D e r Terminus „religion" hatte sich offensichtlich noch nicht eingebürgert. Die Gegenprobe bestätigt dieses Ergebnis: In späteren schweizerischen Übereinkommen oder deren Ablehnung ist meist noch nicht von „religion" allein, sondern von „religion und gloubenssachen" die Rede 4 . Dabei kann auch in dieser späteren Zeit noch „glouben" bevorzugt sein 5 . Jedenfalls bleibt festzuhalten, daß es in frühen schweizerischen Texten noch „glouben" statt „religion" heißt. Somit konnten solche Verträge erst nachträglich als „Religionsvergleiche" bezeichnet werden 6 . Auf diesem Hintergrund fragt sich nun, wie es sich mit dem sog. „Augsburger Religionsfrieden" von 1555 verhält. Die Edition zeigt, daß diese Benennung keinesfalls ursprünglich ist 7 . Im Abschied des Reichstags hat das D o k u m e n t noch keinen eigenen Titel. „Religionsfrieden" gibt es als terminus technicus zu dieser Zeit noch nicht, sondern lediglich „Landfrieden", der auch „der spaltigen religion halben" geschlossen werden soll 8 . D a s D o k u m e n t des Augsburger Reichstags spricht freilich o f t von „religion" 9 . Fast ein Drittel der Stellen nennt nur den Terminus „Religion", im Ebd. 34-38, wo es immer wieder „glouben" heißt. Ubereinkommen zwischen innerem und äußerem Rhoden von 1588, ebd. 17, und dessen Ablehnung durch Trogen, ebd. sowie der Vergleich von 1588, ebd. 18, 19; „religion" findet sich allein ebd. 20. 5 Vgl. dazu Josua Keßler an Nikolaus Waser, Trogen 1588, ebd. 15 f. 6 So die eben zit. Ausgabe im Titel sowie als Seitenüberschriften für die Vergleiche von Appenzell und Glarus, ebd. 15-40. 7 Der Augsburger Religionsfrieden 1555, zit. nach: ebd., 41-72: (Artikel des Religionsfriedens im Abschied des Reichstags von Augsburg, 25.September 1555), 41. Die Klammern weisen den Titel als Zusatz des Herausgebers aus. 8 Ebd. 47. 9 Die wichtigsten Texte lauten, ebd. 47f.: „Und damit sölcher fried auch der spaltigen religion halben, wie auß hievor vermelten und angezogenen Ursachen die hohe notturft des heiligen reichs Teutscher nation erfordert, desto bestendiger zwischen der Römischen Keiserlichen Majestat, uns, auch churfürsten, fürsten und Stenden des heiligen reichs Teutscher nation angestelt, aufgericht und erhalten werden möchte, so sollen die Keiserliche Majestat, wir, auch churfürsten, fürsten und stende des heiligen reichs keinen stand des reichs von wegen der Augspurgischen confession und derselbigen lehr, religion und glaubens halb mit der tatt gewaltiger weiß uberziehen, beschedigen, vergewaltigen oder in andere wege wider sein conscienz, gewissen und willen von diser Augspurgischen confessions religion, glauben, kirchengebreuchen, Ordnungen und ceremonien, so sie aufgericht oder nochmals aufrichten möchten in iren fürstentumen, landen und herrschaften, tringen oder durch mandat oder in einiger anderer gestalt beschwären oder verachten, sonder bei sölcher religion, glauben, kirchengebreuchen, Ordnungen und ceremonien, auch ihren haabgüttern, liegend oder farend, land, leuten, herrschaften, obrigkeiten, herrlicheiten und gerechtigkeiten rüglich und friedlich bleiben lassen, und soll die streitig religion nicht änderst dann durch christliche freundliche, friedliche mittel und wege zu einhelligem christlichem verstand und vergleichung gepracht werden, alles bei keiserlichen und königlichen würden, fürstlichen ehren, waren Worten und peen des landfriedens. .. .Vgl. auch ebd. 50: „Damit auch obberurte bederseits religions verwandte so vill mer in bestendigem frieden und gutter Sicherheit gegen und bei 3 4
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übrigen finden sich meist die Doppelformulierungen „religion und glauben(ssachen)" 10 oder Aufzählugen, hier vor allem die von „religion, glauben, kirchengebreuchen, Ordnungen und ceremonien" 11 . Es kann die Rede sein von der „spaltigen"12 bzw. „strittigen religion"13, von der „alten"14, „andern religion" ls , von „beden religionen"16. Nur selten und in feierlicher Formulierung wird von „unser heiligen christlichen religion und glaubenssachen" gesprochen, die jetzt von einer „schedlichen Spaltung und trennung" betroffen ist17. Beachtung verdient, daß nicht von der ,neuen religion', sondern statt dessen von der „Augspurgischen confession" oder der „Augspurgischen confession verwandten religion" gesprochen wird 18 . Nimmt man hierzu die Aussage von der „Augspurgischen confession und derselbigen lehr, religion und glaubens" sowie von der „Augspurgischen confessions religion, glauben, kirchengebreuchen, Ordnungen und ceremonien"19, so erscheint die Bezeichnung „Augspurgische confession" nicht nur wie zuvor als Antithese zur „alten religion", sie umfaßt vielmehr auch „religion, glouben" u. a., die ihr untergeordnet werden. „Augspurgische confession", wie es öfter heißt20, dient noch am ehesten als terminus technicus zur Bezeichnung derer, die nicht mehr zum „alten glauben" gehören. einander sitzen und pleiben mögen, so sol die geistlich Jurisdiction (doch den geistlichen churfürsten, fürsten und Stenden, collegien, clostern und ordensleuten an ihren renten, gült, zins und zehenden, weltlichen lehenschaften, auch andern rechten und gerechtigkeiten, wie obsteet, unvergriffen) wider der Augspurgischen confessions religion, glauben, bestellung der ministerien, kirchengepreuchen, Ordnungen und cerimonien, so sie ufgericht oder ufrichten möchten, biß zu endlicher vergleichung der religion nit exercirt, gepraucht oder geübt werden, sonder derselbigen religion, glauben, kirchengepreuchen, Ordnungen, ceremonien und bestellung der ministerien, wie hievon nachvolgends ein besonderer articul gesetzt, iren gang lassen, und kein hindernuß oder eintrag dardurch bescheen und also hierauf, wie abgemelt, biß zu endlicher christlicher vergleichung der religion die geistliche Jurisdiction ruhen eingestelt und suspendirt sein und pleiben; aber in andern Sachen und feilen, der Augspurgischen confession religion, glauben, kirchengepreuchen, Ordnungen, cerimonien und bestellung der ministerien nit anlangend, soll und mag die geistlich Jurisdiction durch die erzbischof, bischof und andere prelaten, wie deren exercitium an einem jeden ort hergepracht und sie deren in übung, geprauch und possession sein, hinfur, wie bißhero, unverhindert exercirt, geübt und gepraucht werden." 10 Ebd. 48, 52 (mehrfach), 55 (zweimal), 56. 11 Ebd. 48 (dreimal), vgl. 50 (dreimal), 53 (zweimal, davon einmal verkürzt), ohne „religion" 45. 12 Ebd. 44, 52, vgl. 46. 13 Ebd. 46, 48: „streitig", 55. 14 Ebd. 48, 49, 50, 51, 53. 15 Ebd. 53. " Ebd. 49, vgl. 47 „beiderseits religionen" bzw. 50 „religions", 49 „beder religions", 52, 53 „beder religion", 53 „bede religionen" sowie „beden religionen". 17 Ebd. 55, vgl. 56. 18 Ebd. 51 bzw. 53 neben der „alten religion". Ebd. 48, vgl. noch zweimal 50, s. den Text o. Anm. 9. 20 Ebd. 48 u. passim.
D e r „Religionsfriede"
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„Religion" wird also recht häufig und in wichtigen Zusammenhängen dieses Dokuments vom Augsburger Reichstag 1555, wenn auch keinesfalls eindeutig dominant gebraucht. Da dieser Terminus vielfach allein oder in Aufzählungen häufig an erster Stelle vorkommt, erscheint er auch betont. Er hat sich offensichtlich durchgesetzt, und zwar als Lehnwort im Deutschen, ohne daß dies als problematisch empfunden wird. Er fungiert neben anderen Termini entweder als Sammelbezeichnung oder als Glied in einer Aufzählung. Er bezeichnet in dieser Funktion entweder die Christen insgesamt oder eine Partei und entspricht damit dem später üblich gewordenen, bereits hier für die eine Seite gebräuchlichen Terminus „confession". Dabei wird die protestantische Seite eher als „Augspurgische Confession" bezeichnet. Angesichts des häufigen und nachdrücklichen Gebrauchs ist es überraschend, daß sich nirgends Anhaltspunkte für die präzise Bedeutung von „religion" ergeben. Soll man den Terminus noch in Zusammenhang bringen mit „Gottesverehrung"? Steht das Moment von Scheu Gott gegenüber noch im Hintergrund? Oder erfolgte schon der Ubergang zu einer verblaßten, generellen Fassung dieses Terminus? Jedenfalls ist dieses Dokument des Augsburger Reichstags außerordentlich aufschlußreich für die Verbreitung, die der Terminus „religion" inzwischen gefunden hat. Die Annahme eines verstärkten Gebrauchs von „religion" als Lehnwort in den Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Konfessionen in den Jahren nach 1530 kann eine gewisse Stütze durch folgende Beobachtungen erfahren: In einer Sammlung von Texten aus dem Jahre 1529/30, die Johannes Aurifaber (1519 - 1575) in den 50er Jahren des 16. Jh. zusammengestellt haben dürfte 21 , finden sich Dokumente sowie später abgefaßte Berichte. In den frühen Texten erscheint „religion" eklatant seltener als in den späteren Darlegungen und vor allem in den Uberschriften. Zunächst bietet der Band einen Bericht über das sog. „Marburger Religionsgespräch" von 1529, in dem auf Veranlassung Philipps von Hessen ein Einvernehmen zwischen Luther und Zwingli hergestellt werden sollte. Für uns ist aufschlußreich, daß sich die Bezeichnung „Religionsgespräch" nicht auf eine zeitgenössische Formulierung stützen kann; noch nicht einmal von Aurifaber wird sie gebraucht. Der Text bietet als nicht näher datierte Uberschrift „Acta collocquii Marpurgensis in causa sacramenta-
21 Briefe und Acten zu der Geschichte des Religionsgespräches zu Marburg 1529 und des Reichstages zu Augsburg 1530, nach der Handschrift des Joh. Aurifaber ... hg. von Friedrich Wilhelm Schirrmacher, Gotha 1876, reprogr. Neudruck Amsterdam 1968, zur Datierung vgl. das Vorwort, VII; von wem diese Sammlung ursprünglich zusammengestellt ist, läßt sich nach Schirrmacher nicht ermitteln, vgl. ebd. XIX. 22 Colloquium Marpurgense super causa sacramentaria. Anno 1529, in: ebd. 3, 5; im Text findet sich dann eher beiläufig „religio et doctrina christiana", 6; vorrangig ist „fides".
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Auch auf dem Augsburger Reichstag von 1530 dürfte „religio" bzw. „religion" noch ein verhältnismäßig selten gebrauchtes Wort gewesen sein. Die den Aufzeichnungen Aurifabers beigefügten Berichte der Gesandten der Stadt Frankfurt von 1530 verwenden diesen Terminus nur ausnahmsweise23 und dann vornehmlich in beigefügten Texten 24 . Die Gesandten selbst sprechen grundsätzlich vom „glauben". Die übrigen Texte dieses Reichstags, die Aurifaber zusammengestellt, aber nicht verfaßt hat, verwenden verschiedentlich „religion", aber im ganzen dominiert eindeutig „glauben"; und wenn beide Termini genannt werden, so wird durchweg von „dem heiligen glauben und der christlichen religion"25 gesprochen. Ist in einem Dokument von 1530 von der „einigen waren religion" die Rede, so geschieht dies, nachdem es zuvor wiederholt „glauben" geheißen hatte 26 . Demgegenüber kommt „religion" häufig in Uberschriften vor, die noch einmal später beigefügt sein dürften 27 . Fragt man nun nach der spezifischen Bedeutung von „religion", so ergibt sich dieselbe Verlegenheit wie zuvor bei den Texten des Augsburger Reichstags von 1555. Wie dort, so findet sich auch hier nirgends ein Hinweis, wie dieser Terminus präzise verstanden werden muß. Er ist so selbstverständlich, daß er einer Erklärung nicht bedarf. Diese Texte erlauben daher das Fazit, daß „religio" bzw. „religion" zwar gängig, zunächst, um 1530 aber erheblich seltener gebraucht wird als „fides" bzw. „glauben" 28 . Erst später erscheint „religion" dann häufiger und als terminus technicus, wenn es - zumal in den Überschriften - oft „religions Sachen" heißt 29 . Der päpstliche und d. h. vermutlich der lateinische Sprachgebrauch dürfte dieser deutschen Entwicklung vorausgegangen sein, wird doch im Schreiben des Papstes Clemens VII. von 1530 „religio" bevorzugt 30 . Erst später, wie der Abschied des Reichstags von Augs23
Berichte der Gesandten der Stadt Frankfurt a.M., ebd. 389-458, vgl. z.B. 411 f. So in einem Brief Papst Clemens' VII., ebd. 387 f, in Briefen von Gesandten anderer Städte, 448, 456. 25 Handelung des Reichstages zu Augsburgk, anno 1530, ebd. 33, vgl. 79, 80, bes. 330 ff. 26 Ebd. 117 f. 27 Ebd. 59, 66 f, 79, 222, 241 f u.ö. 2 ' Vgl. Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V., Bd. VIII, bearb. von Wolfgang Steglich ( = Deutsche Reichtagsakten, Jüngere Reihe 8, hg. durch die historische Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften), Göttingen 1970, Register s.v., wo etwa die 5fache Anzahl von Belegen zum Stichwort „Glaube" gegenüber „Religion" aufgeführt ist. Auch hier ist in deutschen Texten von 1529 verschiedentlich die Doppelformulierung „unsern glauben und religion" gebraucht, vgl. 336, 845. Sonst können in gleicher Funktion ebensowohl „religion" wie „glauben" gebraucht werden, vgl. z.B. 338. Interessant ist, daß hier und in anderen Dokumenten, so auch in denen des Augsburger Reichstags, die Aurifaber zusammengestellt hat, „glauben" oft mit dem Adjektiv „heilig" und „religion" mit dem Adjektiv „christlich" versehen ist, vgl. Deutsche Reichstagsakten, aaO. 33, 338. 29 Briefe und Acten, aaO. 193, heißt es „religionshandelung" und „religionssachen". J ° Ebd. 387 f. 24
Zusammenfassung
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bürg 1555 zeigt, ist auch im Deutschen „religion" gängig geworden. Aber auch hier hat diese Bezeichnung noch keine herausragende Bedeutung, wird sie doch oft in Doppelformulierungen oder gar in Aufzählungen gebraucht. Die Formulierung „cuius regio, eius religio" stammt denn auch nicht aus dieser Zeit, ebensowenig wie sich hier schon von „Religionsfrieden" sprechen läßt.
Zusammenfassung Es hat sich für die Reformatoren bestätigt, was zu vermuten war, daß durch sie der Gebrauch von „religio" im Hinblick auf ihre reformatorische Intention faktisch nicht gefördert worden ist. Wohl haben die vom Humanismus beeinflußten Reformatoren „religio" gebraucht, Zwingli und Calvin sogar im Titel eines wichtigen Buches. Doch war der Terminus theologisch nicht von Bedeutung, ging es ihnen doch um „fides", durch die allein der Mensch gerechtfertigt wird. Die „religio" wurde lediglich wie alle theologischen Aussagen von der Kritik an den äußeren, in der katholischen Kirche ihrer Zeit vielfach veräußerlichten Vollzügen, an den „Werken" mitbetroffen. Daß eine solche berechtigte Kritik gegen die Veräußerlichung im Grunde zwangsläufig gegen jede an sich berechtigte und für den Menschen indispensable äußere Manifestation seiner .inneren' Einstellungen führte, ist zwar verständlich, läuft aber auf eine nicht weniger problematische Einseitigkeit hinaus wie die Veräußerlichung. Im Kampf gegen sie wird, was für uns von Belang ist, die „religio", nämlich die „Gottesverehrung" der Christen von äußeren Werken weg auf .innere' Vollzüge und Einstellungen verlegt. Ob man darin schon eine Verlegung in die .Innerlichkeit' sehen will oder nicht, hängt davon ab, auf welche Zeit man die Formulierung einer solchen Innerlichkeit' datiert. M.E. ist sie erst später anzusetzen. Für unser Thema ist aufschlußreich, daß nicht einmal die Bücher, die „religio" im Titel führen, diesen Terminus in die Mitte stellen, sondern ähnlich wie Augustinus und Marsilio Ficino Glaubensinhalte erörtern, nun freilich nicht mehr in einer apologetischen Auseinandersetzung mit außerchristlichen Uberzeugungen, sondern in einer demonstrativen Argumentation der eigenen Glaubensüberzeugung, deren Folie die Auseinandersetzung mit dem „alten" Glauben ist. Ist also theologisch der Terminus „religio" bei den Reformatoren nicht von Bedeutung, so scheint er sich doch im allgemeinen Sprachgebrauch in rasch wachsendem Maße durchzusetzen, wenn die herangezogenen Akten schon eine ausreichende Grundlage für eine solche Feststellung haben abgeben können. Die Belege dürften hinreichende Anhaltspunkte für diesen Schluß bieten. „Religion", hier in umfangreichem Maße als Lehnwort
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übernommen, hatte dabei jedoch keine herausragende Funktion und Bedeutung, so als ob dieser Terminus bevorzugt vor anderen verwandt worden wäre; vielfach erscheint er nämlich in der pleonastischen Formulierungsweise der Dokumente. Nimmt man die späten Zeugnisse des Humanismus, vor allem Thomas Morus hinzu, ist für „religio" die Bedeutung „Gottesverehrung" anzunehmen, nicht aber etwas, was neuzeitlich „Religion" genannt wurde. Völlig eindeutig wird bei Morus „religio" die Verehrung jeweils eines Gottes genannt, was wir eher als Kult bezeichnen würden, so daß mehrere Kulte in einer Stadt, die entsprechend der polytheistischen Einstellung zu einer „Religion" in unserem Sinn gerechnet würden, bei ihm „religiones" heißen. Die besondere Suche galt dem erstmaligen Auftreten einer Fassung von „religio/Religion", die unabhängig von allen Manifestationen einschließlich der christlichen die allein wahre und somit die allein wesentliche ist, dergegenüber alle äußerlich sichtbaren Realisationen relativiert werden; dieser Konzeption zufolge kommt es dann nicht mehr darauf an, welcher Realisation man sich zuwendet. Eine solche Aussage fand sich bei Melanchthon, der mit ihr jedoch nicht seine eigene, sondern die von ihm abgelehnte Position französischer Humanisten zum Ausdruck bringen wollte. Ob von diesen tatsächlich eine entsprechende Formulierung geprägt worden ist, ließ sich noch nicht klären. Es könnte sein, daß von der gegnerischen Seite, nämlich von Melanchthon, gesagt wurde, was die Betroffenen entweder nicht gemeint haben oder aber nicht zugeben wollten bzw. konnten. Träfe ersteres zu, läge hier wie öfter in der Geschichte der Fall vor, daß dem Gegner eine grundlegende Annahme unterstellt wurde, die er zur Zeit ihrer Formulierung noch nicht vertreten hat. Beobachten läßt sich dieser Sachverhalt verschiedentlich, vor allem hinsichtlich des Vorwurfs einer doppelten Wahrheit wie des mit ihm verbundenen Vorwurfs eines Atheismus überhaupt. Vorwürfe dieser Art werden sich schwerlich aufklären lassen, da sich die tatsächliche Uberzeugung in vielen Fällen nicht eindeutig erkennen läßt; sie hängt letztlich an der Glaubwürdigkeit dessen, der sich gegen diese Vorwürfe verwahrt; doch läßt sich Glaubwürdigkeit eben nicht erzwingen. Rene Descartes kann als das vielleicht beste Beispiel hierfür angesehen werden. Somit bleibt als Fazit, daß eine Konzeption von „Religion" bereits formuliert worden ist, die, selbst wenn hier noch die Bedeutung „Gottesverehrung" vorliegen sollte, doch in ihrer Struktur ein neuzeitliches Konzept dieses Terminus besagt. Da dadurch die Schwelle zu einem neuzeitlichen Verständnis von „Religion" erreicht ist, erscheint es nicht einfach beliebig, die Ergebnisse bis zu diesem Zeitpunkt hiermit vorzulegen. Der Ubergang kann in einem qualifizierten Sinne in der Aussage Melanchthons über die französischen Weltweisen gesehen werden, da in ihr ein neuzeitliches Ver-
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ständnis grundsätzlich formuliert worden ist, ohne daß sich der Nachweis erbringen ließ, daß jemand eine solche Konzeption tatsächlich vertreten hat.
Rückblick Am Ende dieser Untersuchungen erübrigt es sich, ein detailliertes Gesamtergebnis zu formulieren. Die Zusammenfassungen der einzelnen Abschnitte, besonders die zum Humanismus und zur Reformation, geben ein solches in ausreichendem Maße wieder. Hier genügt die Feststellung: Ein neuzeitlicher dominanter oder gar exklusiver Gebrauch von „religio/Religion" als Sammelbezeichnung jeweils einer (Glaubens)Uberzeugung und als Oberbegriff, unter den verschiedene Uberzeugungen subsumiert werden könnten, ließ sich nicht nachweisen. Auch wurde bisher nirgends ein Konzept von einer „Religion" abgesehen von allen „Namen" und d. h. von allen differenten Manifestationen vertreten, sondern - von Melanchthon französischen Humanisten unterstellt. Immerhin liegt die Formulierung dieses Konzepts auf der Schwelle zwischen vorneuzeitlicher und neuzeitlicher Bedeutung von „religio". In einem kurzen Rückblick möchte ich jedoch auf einige m.E. wichtige Punkte hinweisen, die sich am Ende der Analysen ergeben: Zunächst ist noch einmal aufzugreifen, daß die hier vorgelegten Positionen nur eine Auswahl darstellen und daher nicht die gesamte Geschichte des Terminus „religio" wiedergeben. Sie bedeuten also Orientierungspunkte, ohne daß der Anspruch erhoben werden könnte, daß sie in jedem Falle die markantesten sind. Wohl aber scheinen sie mir so nahe beieinander zu liegen, daß gravierende Innovationen eines Sprachgebrauchs von „religio" zu einem jeweils wesentlich früheren Zeitpunkt wenig wahrscheinlich oder ausgeschlossen sind. Dies gilt m.E. wenigstens für die herangezogenen philosophisch-theologischen Reflexionen. Der alltägliche Sprachgebrauch mag schon früher dem Terminus „religio" eine häufigere und vielleicht auch gewichtigere Bedeutung zugemessen haben; die Rekonstruktion dieses Sprachgebrauchs, die freilich schwieriger ist, da sie auf Rede- bzw. Brieftexte oder Akten angewiesen ist, düfte jedoch kein gravierend anderes Ergebnis bringen, als es die vorstehenden Untersuchungen erbracht haben. Auch die in den Briefen Luthers überlieferte Aussage von Melanchthon stammt ja eher aus einem solchen alltäglichen Sprachgebrauch als aus theologischer Reflexion. Damit scheint mir trotz der Grenzen der vorausgegangenen Darlegungen die Annahme berechtigt, daß „religio" bis in die Mitte des 16. Jh. hinein jene Funktion und Bedeutung nicht hatte, die der Terminus neuzeitlich erhielt. Zum zweiten ist darauf hinzuweisen, daß die hier vertretene These durch die Verwendung anderer Termini als gemeinsame Bezeichnung ver-
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schiedener Überzeugungen eine Bestätigung erhält. Denn selbst wenn durch die Schließung von Lücken der vorgelegten Untersuchung solche Ergänzungen hinsichtlich des Terminus „religio" gefunden werden könnten, die die Geltung der vertretenen These einschränken, wäre sie damit nicht hinfällig. Denn es hat sich deutlich gezeigt, daß andere Termini bislang eher oder gar ausschließlich jene Funktion innehatten, die neuzeitlich „religio" erhalten hat, nämlich „secta" und „lex". Erst im Verlauf der Untersuchungen stellte sich heraus, daß diesen Termini durchgängig eine entsprechende Aufmerksamkeit hätte geschenkt werden sollen. Weniger scheint mir dies ein Mangel hinsichtlich des Terminus „secta", der von Anfang an, nämlich schon bei Tertullian, nachzuweisen war. Solange er bisher in Erscheinung trat, bedeutete er „Gefolgschaft" ohne jene negative Färbung, die er dann im Verlauf der Neuzeit erhalten hat, nämlich die Bedeutung von „Sekte" im heutigen Sinn. Er ist deswegen von geringerer Bedeutung, weil er eine Gruppe bzw. Institution bezeichnet, nicht aber schon den Inhalt, um den es geht. D a ß auch die neuzeitliche Entwicklung nicht selbstverständlich ist, zeigt sich darin, daß bei John Wyclif ( t 1384) die „Orden" als „Sekten" bezeichnet werden 1 . Damit übernimmt „secta" noch einmal die gleiche Funktion wie „religio". Sehr viel wichtiger wäre eine durchgängige Beachtung des Terminus „lex" gewesen. Schon bei Augustinus konnte von der „lex Christiana" die Rede sein 2 . D a ß aber gerade „lex" später als Oberbegriff zur Bezeichnung von Christentum, Judentum und Islam diente, zeichnete sich erst in einer relativ späten Phase unserer Untersuchung in vollem Ausmaße ab. Als bislang frühester Beleg ist die lateinische Ubersetzung des Kommentars zur aristotelischen Metaphysik des Averroes zu nennen, wo von den „tres leges" die Rede ist. Besonders nachdrücklich ist dieser Sprachgebrauch bei Roger Bacon zu finden. Er tritt dann speziell im Humanismus in Erscheinung, und hier bei recht verschiedenen Autoren wie Enea Silvio de' Piccolomini und Pomponazzi 3 . O b sich eine wesentlich umfangreichere kontinuierliche Überlieferung von „lex" in dieser Funktion nachweisen läßt, konnte anhand der untersuchten Autoren und Texte nicht geklärt werden. Diese übergeordnete Bedeutung des Terminus „lex" dürfte darin begründet sein, daß er in genügendem Maße neutral ist; von „lex", von „Gesetz" konnte man problemlos hinsichtlich des Judentums, aber eben auch hinsichtlich des Islam sprechen, ohne damit schon eine positive Wertung vorzunehmen. „Religio" aber enthielt grundsätzlich einen positiven
1 Zit. nach Karl Bihlmeyer-Hermann Tüchle, Kirchengeschichte II, § 147, 1, Paderborn "1968, 456. 2 Aurelius Augustinus, s.o. Frühchristentum 7 mit Anm. 10. 3 Vgl. dazu die entsprechenden Abschnitte; zu Averroes vgl. Humanismus 14 zu Pomponazzi.
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Aspekt, so daß, wenn nicht dem Judentum, so mindestens dem Islam diese Bezeichnung zu bestreiten war, konnte er doch ernsthaft nicht „religio", sondern nur „superstitio" genannt werden. Andererseits fiel nicht ins Gewicht, daß aufgrund der paulinischen Gesetzeskritik der Terminus „lex" für den christlichen Glauben nicht ohne Probleme war, da diese schon früh in den Hintergrund getreten waren. So konnte am ehesten „lex" dazu dienen, verschiedene Uberzeugungen gemeinsam zu bezeichnen, längst bevor eine solche Funktion für den Terminus „religio" in Erscheinung getreten ist. Es wäre also auch eine Entwicklung denkbar gewesen, diesen Terminus weiterzuführen, ihn entweder als Lehnwort ins Deutsche zu übernehmen oder aber zu übertragen, so daß wir heute nicht von „Religionswissenschaften", sondern von „Lexwissenschaften" sprechen würden. Diese Enwicklung ist nicht eingetreten. Suchte man nach einer gemeinsamen Bezeichnung für verschiedene Uberzeugungen, so dürfte jedenfalls nach den bisherigen Untersuchungen eindeutig der Terminus „lex" hierfür in Frage gekommen sein, während sich für „religio" eben diese Funktion in den bisherigen Untersuchungen nicht nachweisen ließ, es sei denn einmal in astrologischem Kontext, wenn auch hier nicht exklusiv, wovon gleich noch die Rede sein soll. Diese Bedeutung hätte aber doch mindestens gelegentlich vor allem in den Auseinandersetzungen mit dem Islam in Erscheinung treten müssen. Daher sehe ich in dem Vorkommen von „lex", „lex Christiana, Iudaica, Mahometana" eine Bestätigung für die eingeschränkte Funktion von „religio" vor der Neuzeit. Denn daß neuzeitlich „Religion" und „Religionen" diese Bedeutung von „lex" übernommen haben, ist keine Frage. Wer die These formulieren möchte, dieser Ubergang habe sich bereits bei Giovanni Pico della Mirandola vollzogen, bei dem in der Tat dort auch und vielleicht sogar eher von „religiones" die Rede ist, wo Roger Bacon ausschließlich „sectae" und besonders „leges" sagt, muß folgendes berücksichtigen: Bei Geronimo Cardano (1502 - 1576) findet sich noch in der Mitte des 16. Jh. der Sprachgebrauch Bacons, nicht jedoch der Picos, wie im folgenden Band der Untersuchungen genauer darzulegen sein wird. Daß sich dieser Ubergang von „Gesetz" zu „Religion" sehr langsam vollzog, zeigt sich in Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise". In dem entscheidenden Dialog, der zur Ringparabel führt, sagt Saladin zu Nathan: „Ich heische deinen Unterricht in ganz Was anderm; ganz was anderm. - Da du nun So weise bist: so sage mir doch einmal Was für ein Glaube, was für ein Gesetz Hat dir am meisten eingeleuchtet?"
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Und als Nathan mit dem Hinweis darauf, daß er ein Jude ist, der Antwort ausweichen will, fährt Saladin fort: „ U n d ich ein M u s e l m a n n . D e r Christ ist z w i s c h e n uns. - V o n d i e s e n drei R e l i g i o n e n k a n n d o c h e i n e nur D i e w a h r e s e i n . - " (3. A u f z u g , 5. Auftritt)
„Glaube", „Gesetz" und „Religion" können also noch in dieser Zeit in gleicher Funktion gebraucht werden, in der „Gesetz" lange vor „Religion" nachgewiesen werden konnte. Bis zu Lessing hat sich also dieser alte Sprachgebrauch neben dem jüngeren erhalten. Zum dritten soll auf die gleichfalls nicht selbstverständliche Entwicklung hingewiesen werden, daß „religio" später von „ordo/Orden" abgelöst wurde zur Bezeichnung jenes Standes und seiner einzelnen Gruppen, die sich in besonderem Maße zur Gottesverehrung als Beruf verpflichtet haben. Und daß „religio" selbst noch des längeren im Verlauf der Neuzeit nicht festgelegt war, zeigt sich darin, daß dieser Terminus bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts hinein oft nicht die christliche „Religion" insgesamt bezeichnete, sondern die von uns heute sog. „Konfessionen" 4 . Es hat also noch eine längere Entwicklung folgen müssen, ehe sich hier eindeutige Festlegungen ergaben. Zum vierten ist auf ein schwerwiegendes Problem hinzuweisen: In den vorausgegangenen Untersuchungen wurde die These vertreten, daß die Aussage des Nikolaus von Kues über die „religio" als „connata" und die Aussage des Marsilio Ficino von der „religio" als „naturalis" nicht in neuzeitlichem Sinne zu verstehen seien. Diese These unterstellt, daß eine verbale Identität der Termini noch keine inhaltliche Identität der Aussage bedeutet. Meine These von einem Bedeutungswandel von „religio" hängt mit der Vermutung eines Bedeutungswandels von „naturalis" mindestens zwischen Mittelalter und Neuzeit zusammen. Was immer Spinoza mit seiner Formulierung „Deus sive natura" gemeint haben mag, eine solche Formulierung dürfte vorneuzeitlich unmöglich gewesen sein. Überdies ist zu berücksichtigen, daß die „Natur" erst spät, sicher auch durch die Romantik, einen Klang erhalten hat, der diesem Terminus früher nicht eignete 5 . Was bedeutet es, wenn Marsilio Ficino die „religio" als „naturalis" bezeichnet? Wer dies im neuzeitlichen Sinn versteht, müßte ähnliches dann * Johann Heinrich Zedier, Großes Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, II, Halle-Leipzig 1732, 2272. 5 Vgl. dazu die Hinweise bei Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, II: Wandlungen der Gesellschaft, Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation ( = STW 159), Frankfurt 6 1979, 405 f; danach konnte die „Natur" in unserem Sinne erst entstehen nach der Pazifizierung, d. h. nach der Entfernung der „Raubritter und Raubtiere".
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auch für Thomas von Aquin annehmen. Immerhin hat er die These verteidigt, daß es zur „lex naturae" gehört, Gott Opfer darzubringen; was bei allen Menschen vorkommt, scheint, so sagt Thomas von Aquin, „naturale" zu sein; denn die „naturalis ratio" gebietet dies 6 . Diesen Sachverhalt insinuiert auch die Zuordnung der „religio" zur Tugend der Gerechtigkeit als einer moralischen Tugend 7 . Ausdrücklicher wird der Sachverhalt angesprochen, wenn Thomas im Zusammenhang mit Ausführungen über „Dei cultus" bzw. „religio" sagt, daß der Mensch sich durch einen „naturalis instinctus" Gott gegenüber verpflichtet weiß 8 . Für Thomas ist aber die „religio", selbst wenn sie die Hinordnung zu Gott bedeutet 9 , eben keine „virtus generalis", sondern eine „virtus specialis" 10 . Entsprechend ist auch die Aussage des Augustinus zu verstehen, daß die Sache, die jetzt „Christiana religio" genannt wird, schon bei den Alten von Anfang des Menschengeschlechts an vorhanden war, bis in Jesus Christus die schon immer vorhandene „vera religio" „Christiana" zu heißen begann 11 . Ich bestreite nicht, daß diese Aussage neuzeitlich gelesen werden kann. Ich gehe nur davon aus, daß Augustinus sie nicht neuzeitlich verstanden hat bzw. verstehen konnte. Der für mich wesentliche Beleg ist, daß Jakob Salomo Semler Bedenken hatte gegen die Überlegungen des Nikolaus von Kues. Daß eine verbale Identität nicht schon eine reale bedeutet, läßt sich in dem für unser Thema wichtigen Terminus „theologia naturalis" belegen. Dieser Terminus dient bekanntlich schon bei Varro in einem von Augustinus überlieferten Text zur Übersetzung des griechischen Terminus „fleoJioyia (puaixr|". Dieser Begriff war, soweit unsere Kenntnis reicht, von Panaitios geprägt, der eine dreifache Theologie unterschied, nämlich eine „mythice, physice, politice", wie es in der Fassung des Augustinus heißt, und denen Augustinus als lateinische Übersetzungen beifügt: „fabulosa, naturalis, civilis" 12 . Die uns hier interessierende „theologia naturalis" 6 Thomas von Aquin, Summa theologica II-II 85, 1, mit wechselnden Bezeichnungen „lex naturae" bzw. „naturalis" oder „ius naturale. 7 Ebd. 81. 8 Thomas von Aquin, Summa contra gentiles III 119. ' Thomas von Aquin, Summa theologica II-II 81,1. 10 Ebd. 81,4. 11 Aurelius Augustinus, Retractationes 112, in: Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum X X X V I , hg. von Pius Knöll, Wien-Leipzig 1902, 57: „nam res ipsa, quae nunc Christiana religio nuncupatur, erat et apud antiquos nec defuit ab initio generis humani, quousque Christus venerit in carne, unde vera religio, quae iam erat, coepit appellari Christiana." Auf diesen Text wird immer wieder hingewiesen, vgl. z. B. Heinrich Fries, Religion, in: Handbuch theologischer Grundbegriffe, hg. von Heinrich Fries, II, München 1963, 537 (hier fälschlich als Ep. 102, 12.5 ausgewiesen). 12 Aurelius Augustinus, De civitate dei VI, 12, in: Corpus Christianorum, SL 47, 184; vgl. hierzu, zu einer ähnlichen Terminologie bei Tertullian, sowie weitere Belege zur Geschichte
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meint nun nicht eine „natürliche", sondern die „philosophische Theologie" als die „wesentliche Theologie". Daß dem so ist, kann man bei Thomas von Aquin sehen, der - übrigens interessanterweise in unserem Zusammenhang, nämlich bei der Darlegung der „idololatria" - auf diese drei Theologien zu sprechen kommt und dabei die „physica theologia" als jene bezeichnet, die die Philosophen in der Welt betreiben und in ihren Schulen lehren 13 . Thomas spricht denn auch nicht von „theologia naturalis", sondern von „physica theologia". Selbstverständlich hat auch Marsilio Ficino diese dreigeteilte Theologie gekannt; die uns interessierende „theologia naturalis" nennt er ausdrücklich „theologia philosophica" und bestätigt somit die von mir vorgeschlagene Interpretation von „naturalis" 14 . Der Terminus „theologia naturalis" vermag dann eine besondere Wirksamkeit zu entfalten, seit er aus der Einbindung in die dreifache Theologie herausgelöst und zum Titel eines Buches von Raimund von Sabunde (11436) wurde. Dieser hatte kurz vor seinem Tode ein Buch „Liber creaturarum" abgeschlossen, dessen Handschriften meist mit diesem Titel oder mit dem Titel „Liber naturae sive creaturarum" versehen sind. Erstmalig erscheint in einer 1485 in Deventer gedruckten Ausgabe als Titel „Theologia naturalis sive Liber creaturarum, specialiter de homine" 15 . Dieser nachträgliche Titel setzte sich dann sehr rasch durch und förderte die eben genannte große Wirksamkeit des neu hinzugefügten Terminus „theologia naturalis". Sachlich ist er für dieses Buch eher irreführend. Er fand allem Anschein nach auch keine besondere Beachtung, bis das Buch 1559 auf den Index gesetzt wurde, eine Maßnahme, die wenige Jahre später auf den Prolog beschränkt wurde 16 . Mehr als ein Jahrhundert nach dieser Trias bei Ernst Feil, Von der „politischen Theologie" zur „Theologie der Revolution"?, in: Diskussion zur „Theologie der Revolution", hg. von Ernst Feil und Rudolf Weth, M ü n c h e n - M a i n z 1969, 110-132, 114 f. 13 Thomas von Aquin, Summa theologica II-II 94, 1. 14 Marsilio Ficino, In Epistolas Pauli Apost. Comm. et Ascensus ad tertium caelum ad Paulum intelligendum, in: ders., Opera Omnia I 1, 440 u. 441. 15 Vgl. die Einleitung von Friedrich Stegmüller in: Raimundus Sabundus, Theologia naturalis seu liber creaturarum, reprogr. Neudruck der Ausgabe Sulzbach 1852, hg. von Friedrich Stegmüller, Stuttgart-Bad Cannstatt 1966, 11*. " Ebd. 5*: Das Verbot dieser Einleitung dürfte darauf zurückzuführen sein, daß Raimundus von Sabunde die „sciencia" des Buches der Kreaturen bzw. der Natur und die „sciencia de homine" darlegen will, insofern sie den Menschen „naturalis et conveniens" ist, ebd. 26*; und von diesem Ansatz her, von dieser „sciencia" her will Raimundus auch den Inhalt der Schrift und das andere klären, was zum christlichen Glauben gehört, meint er doch, durch diese Wissenschaft werde die „tota fides catholica infallibiliter" erkannt, ebd. 28*. Daß damit nicht einfach eine Nivellierung der Offenbarungswirklichkeit gemeint ist, wird abschließend deutlich, wenn Raimundus auf die „sapientia" hinweist, die niemand haben kann, wenn er sie nicht von Gott erhalten hat, ebd. 38*. Für uns ist noch interessant, daß er hier auch den Nachweis führen will, daß „omnis secta", die gegen die „fides catholica" ist, untrüglich („infallibiliter") als falsch und irrig anzusehen sei, ebd. 28*f.
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dem Tode des Verfassers und nach mehr als einem halben Jahrhundert unbeanstandeter Uberlieferung erregte nun also nicht das ganze Werk, wie sich schnell herausstellte, sondern der Prolog und, wie ich annehme, vor allem der Titel Bedenken. In welchem Sinne die Bezeichnung „Theologia naturalis" hier gebraucht ist, bedürfte dringend der Klärung. Daß sie aber nicht mehr „philosophische Theologie" besagt, wie der Terminus bis hin zu Marsilio Ficino bedeutet hatte, wird allgemein angenommen. Man müßte jedoch diese Annahme beweisen, statt sie weiterhin vorauszusetzen. Jedenfalls meint die Aussage des Marsilio Ficino, die „religio" sei dem Menschen „naturalis", noch keineswegs, was später in der Neuzeit „naturalis" bedeutet. Daher scheint mir nach wie vor die Annahme berechtigt, Marsilio Ficino ebenso wie Nikolaus von Kues noch nicht in einem neuzeitlichen Verständnis zu interpretieren. Fünftens und letztens bleibt auf die Bedeutung des Ortes für die systematisch gleichrangige Behandlung der verschiedenen „sectae" bzw. „leges" hinzuweisen, nämlich auf die Astrologie. Daß sie von solchem Belang ist, zeigte sich erst nach Abschluß des Manuskriptes, als die Schriften Pierre d'Aillys, auf den Giovanni Pico della Mirandola hingewiesen hatte, sowie eine einschlägige Arbeit Johannes Gersons zugänglich geworden waren. Sie ergänzen das in der vorausgegangenen Arbeit dargelegte Material in folgender Hinsicht: Während in den seit alters geführten Auseinandersetzungen mit den Römern und Juden und später mit den Mohammedanern die Dominanz der eigenen christlichen Überzeugung vorausgesetzt wurde und argumentativ nachgewiesen werden sollte, erschienen in der Astrologie die verschiedenen Uberzeugungen von ihrem Ausgangspunkt her, nämlich der Konjunktion der Sterne, grundsätzlich auf einer Ebene. Dabei entstammt das Christentum nicht einmal einer bevorzugten Konjunktion, nämlich der von Jupiter und Merkur, wie Pico kritisch zurückweisend anmerkt. Während also für eine apologetische Betrachtung die verschiedenen Überzeugungen nicht gleichrangige Realisierungen eines Genus sind, während sich der christliche Glaube im Grunde überhaupt nicht einem Genus „Glaube" unterzuordnen vermag, sondern von ihm her alle anderen Überzeugungen eben nicht als „Glaube", sondern als „Aberglaube", nicht als „religio", sondern als „superstitio" bewertet werden, erscheint er in astrologischer Betrachtung schlicht als eine Art unter anderen. Selbst wenn astrologische Aussagen von Roger Bacon und Pierre d'Ailly intensive Kritik gefunden haben, so wurde auch in der Widerlegung noch die systmatisch gleiche Behandlung der verschiedenen Überzeugungen weitergegeben. Wenn Pico in diesem Zusammenhang neben „leges" auch von „religiones" spricht, so hat Nikolaus von Kues hier nur „sectae"17. Der gleiche Befund ergibt sich bei Pierre d'Ailly, der in den einschlägigen Tex17
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Reformation
ten durchweg von „leges" und „sectae" spricht18; nur ausnahmsweise und dann auf die Christen bezogen ließ sich auch „religio" finden, nämlich in der Formulierung „lex seu religio christiana"19. Ebenso bleibt „fides" für die Christen reserviert, wenn Pierre „fidei confirmatio et legis Christi laus" sagt20. Hinzuzufügen bleibt, daß auch Pierre nicht einfach ein Verfechter astrologischer Entstehung der verschiedenen Überzeugungen ist, sagt er doch, „cultus dei et lex eius" stünden nicht unter dem Einfluß der Sterne21. Daß er als solcher Verfechter galt, zeigt sich in der Widerlegung vornehmlich durch Pico. Jedenfalls verwendet er „religio" - worauf es uns ankommt - nicht als übergreifenden Terminus für verschiedene Uberzeugungen. Ganz entsprechend verhält es sich bei Johannes Gerson, einem entschiedenen Gegner der Astrologie 22 . Dieser verwendet in seinem Traktat den Terminus „religio" nicht außer im Zusammenhang mit den Christen, ein Zeichen, wie lange sich der restriktive Sprachgebrauch von „religio" erhalten hat. Aufzuarbeiten wäre nun die Bedeutung der Astrologie bzw. deren Widerlegung für eine grundsätzlich gleichrangige Behandlung der verschiedenen Uberzeugungen. Es bleibt zu fragen, ob sich dieser Sachverhalt ausgewirkt hat, ob und ggf. welche Impulse die Astrologie für eine gleichrangige Behandlung der verschiedenen Uberzeugungen gegeben hat. Ließen sich solche nachweisen, so wäre in ihr, cum grano salis genommen, eine Wurzel einer vergleichenden „Religionswissenschaft" zu suchen, vielleicht 18 Petrus de Aliaco, Tractatus de legibus et sectis contra superstiticiosos astronomos (1410), (zit. nach der Ausgabe der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res. P. Lat. 27 m.) Ders., Concordantia astronomie cum theologia Concordantia astronomie cum hystorica narratione. Et elucidarium duorum precedentium, gedr. v. Erhardus Ratdolt, Nuper Venetiis nunc auguste vindelicorum 1490 (zit. nach der Ausgabe der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München, 4° Inc.c. a. 722). Hierin sind enthalten: a) Vigintiloquium de concordia astronomice veritatis cum theologia; b) Concordia astronomice veritatis et narratione hystorice; c) Elucidarium astromomice concordie cum theologica et historica veritate. „Lex" findet sich v. a. im Tractatus de legibus, Kap. 1, vgl. sofort zu Beginn die Nebeneinanderstellung „lex hebraecrum", „'aracenorum", „christiana", vgl. ferner ebd. a 5 v, ferner a 6 v, ebenso in der Concordia, bes. Kap. 62 mit der Uberschrift „De sex sectis prinipalibus", sowie b 1 v der Hinweis, daß „novae sectae" durch die Konjunktion von Sternen entstehen; im Elucidarium vgl. e4 v sowie f5v. „Secta" findet sich im Tractus de legibus, a2r, a2v, die „Secta anticristi" ebd. a2v; häufiger finden sich auch Doppelbezeichnungen „leges et sectae", so außer im Titel des Tractatus de legibus bes. in der Concordia, Kap. 50, d4v. 19 Pierre d' Ailly, Tractatus de legibus, Kap. 1, a6 v; „religio" erscheint auch speziell in der Formulierung „domus religionis et fidei", ebd. a3r. 20 Ebd. a6v. 21 Ebd. 22 Johannes Gerson, Astrologia theologisata o. O. u. o.J. (zit. nach der Ausgabe der Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek München, Res. P. Lat. 27 m, hier abgedruckt ab S.e 1 ff).
Rückblick
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eher als in den apologetischen Auseinandersetzungen, in denen es eben um die Ungleichheit und Ungleichrangigkeit der verschiedenen Überzeugungen ging. Denn nur in der Astrologie ließ sich bislang eine ursprüngliche Gleichrangigkeit der verschiedenen Überzeugungen in der Hinsicht finden, daß sie allesamt von Konjunktionen der Sterne abhängen, jene meist gezählten sechs Überzeugungen, deren siebte, nämlich die „secta", „lex" und spät auch sog. „religio Antichristi" noch aussteht. Haben die zuvor genannten Punkte noch einmal auf die eingegrenzte Bedeutung von „religio" hingewiesen, so bleibt nunmehr die Aufgabe, die weitere Entwicklung von „religio" nachzuzeichnen. Auf welchem Wege „religio" zu einer umfassenden Bedeutung gelangt ist und auf die Dauer sogar die „fides" überholen konnte, gilt es, in der Fortsetzung dieser Untersuchungen zu klären.
Namenregister Abaelard, Peter 88 ff, 93, 98, 100, 127, 147 Alanus ab Insulis 101 Alarich 68 Albertus Magnus 101-104, 185 Albumazar 116, 209 Alexander der Große 194 Alexander von Haies 101 Alexandre, C. 166 Alkuin 83f Allers, Rudolf 85 Alphonsus 186 Altaner, Berthold 50, 57 Altavicus 116 Ambrosisus 69, 123 ff Anselm von Canterbury 9, 8 5 ff Antidotus 164 Antonius Hiquaeus 115 Aristoteles 13, 35, 93, 117, 121 f, 137, 139, 167f, 170, 172f, 177, 182ff, 186, 225 Arnobius 52, 58 ff Augustinus, Aurelius 10, 52, 67, 68-75, 79, 82, 84, 90, 102, 104, 117, 125, 131, 135, 163, 180, 182, 215, 221, 244, 250, 260, 264, 271, 274, 277 Augustus 249 Aurifaber, Johannes 269 f Averroes 9, 13, 205, 225, 233, 274 Avicenna 119, 167 Bachiarius 69 Baibus 46 Bardiii, Christ. Godofr. 224 Baron, Hans 136 Barion, Hans 158 Bascour, Hildebrand 140 Basilius 187 Baum, Wilhelm 259 Baur, Ludwig 158 Behler, E. 224 Berger, Peter 27 Berkowitz, Lucilie 58 Bessarion 138, 140, 162, 166, 168, 170, 175-190, 223, 233 Betzendörfer, Walter 84 Biel, Gabriel 100
Bihlmeyer, Karl 64, 66, 274 Bilaniuk, Petro 148 Bindseil, Heinrich Ernst 245 Bodin, Jean 89 Boethius 69, 108 Bohnenstädt, E. 152 Bonaventura 104 f Borgnet, S.C.A. 102 Bormann, Carl 149 Bornkamm, Heinrich 249, 251 Botterweck, G.Johannes 54 Brandt, Samuel 61 Bredow, Gerda Freiin von 155 Bretschneider, Carl Gottlieb 246 Brewer, J. S. 117 Bridges, John Henry 116 Bruni, Leonardo 136f Bruno, Giordano 129, 149 Bude, Guillaume 223, 226 f, 244 Bufano, Antonietta 130 Bugenhagen, Johannes 244 Buhr, Manfred 17 Buonaiuti, Ernesto 116 Burkert, Walter 33, 36, 38 Busa, Robert 106 Busson, Henri 223 f Calvin, Johannes 254, 258-265, 271 Campanella 230 Campano, Giovanni Antonio 178 Caracalla 47 Caramello Petrus 106 Cardano, Geronimo 213, 275 Carmine di Pierro 136 Chariander, Georgius 167 Chatelain, Aemilio 224 Christian von Dänemark 243 Cicero, Marcus Tullius 11, 26, 39-49, 52, 60, 63 f, 100, 102 ff, 106, 117, 128, 131, 137, 164, 182, 215, 255, 261, 263 Clemens 209 Clemens VII. 270 Clericus, Johannes 218 Cohn, W. 27 Colpe, Carsten 17
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Namenregister
Colomer, Eusebio 114, 147 Comte, Auguste 30 Cordié, Carlo 227 Cotta 44 ff Cousin, G. 223 Cruciger, Caspar 244 Cunitz, Eduard 259 Cyprian 80 Decker, Bruno 140, 155f, 159 Delmedigo, Elia 9 Denifle, Henricus 224 Descartes, René 272 Despland, Michel 11 f Diagoras 44 Diels, Hermann 35 Diogenes Laertios 44 Dionysios Areopagita 102 Dörrie, Heinrich 209 Dolet, Étienne 223 Duns Scotus, Johannes 100, 114f Dupré, Dietlind und Wilhelm 141, 156 Eckhart 139, 153 Egli, Emil 253 Einstein, Albert 23 Elias, Norbert 276 Elsas, Christoph 24 ff Epikur 44, 170 Erasmus von Rotterdam 218-223, 23 l f Eugen IV. 234 Eusebius 64 f, 145 Facundus von Hermiane 69 Farner, Oskar 253 Farris, G. 163 Faul, Erwin 227 Feiereis, Konrad 129 Felix 134 Feuerbach, Ludwig 17 Flacius Illyricus, Matthias 67 Firmianus 215 Firmicus Maternus, Julius 52, 66-69 Fischer, Bonifatius 53 Flavius Josephus 79 Flora, Francesco 227 Fowler, W.Warde 40 Franz I. 254 Frazer, James G. 25, 30 Freud, Sigmund 17, 23 Friedrich III. 234 Fries, Heinrich 277
Frugoni, Arsenio 115 Fulgentius von Rüspe 69 Gabriel, Leo 139, 141 Galerius 64 f, 81 f, 91 Gandillac, Maurice de 127, 139, 148 f, 152 ff, 156, 160 Garin, Eugenio 163, 208 f, 214 Gatti, Giovanni 177 f Gawlik, Günter 93 Gazes, Theodoros 177, 186 f Gennadius von Konstantinopel 166 f Georgios Gemistos Plethon 138, 165-168, 170 ff, 176 Georgios Heromonymus Spartanus 167 Georgios vonTrapezunt 138, 165-177, 183f, 187-190, 233 Gerson, Johannes 279 f Geyer, Bernhard 102 Goethe, Johann Wolfgang von 18, 20, 22, 25, 245 Gotting, Franz 18 Goetz, W. 157 Grabon, Matthias 126 Grant, F.C. 41 Gregor von Elvira 69 Gregorius 187 Grunewald, Heidemarie 129, 149 Haase, Wolfgang 40, 80 Halm, Carolus 58 Hartl, Alois 64 Hasse, F.R. 85 Haubst, Rudolf 139, 147, 152f Heck, Erich 101, 105-108, 110, 118, 120 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 24 f, 27 Heimbucher, M. 84 Heinze, Richard 41 Heraklit 35 Herbert von Cherbury, Edward Lord 93 Herder, Johann Gottfried von 26 Hermann 100 Hermes, Trismegistos 212 Herodot 38, 55 Herre, Hermann 234 Herten, Joseph Christian von 38, 55, 80 Heuß, Alfred 66 Hexter, J. H. 229 Hieronymus 164, 182 Hilarius von Poitiers 69, 219 Hippolyt 50 Hoffmann, Emanuel 71
Namenregister Hoffmann, Ernst 146, 152f Hofmann, U. 100 Hofmeister, Adolf 90 Holl, Karl 128, 231, 237 Homer 36 Hoßfeld, Paulus 103 Hromadka, Josef L. 23 Hugo von St. Cher 101 Huttier, Maximilian 129 Isidor von Sevilla 52, 75 ff, 104 Jaeger, Werner 9, 33 Jehuda ben Samuel Halevi 127 Jenni, Ernst 54 Jeremia 92 Jesaja 238 f, 242 f, 265 Joachim von Fiore 115 f Johann de Rupella 101 Johann von Segovia 234 Johann Ernst von Sachsen 252 Johann Friedrich 244, 252 Johannes 155, 239 Johannes Gerson 126, 130 Johannes I. 69, 108 Johannes Scotus Eriugena 84 Johannes von Salisbury 93-99 Jonas, Justus 244, 251 Josephus Flavius 80 Jud, Leo 254 Julian Apostata 91 f Jungmann, Josef Andreas 50, 83 Justinus 50, 91 Kambyses 91 Kant, Immanuel 20, 24 ff, 149 Kätzler Johann B. 41 Karl V. 249, 270 Kerenyi, Karl 37 f Keßler, Josua 267 Keßler, Eckhard 130 Kienzier, Klaus 86 Kittel, Gerhard 55 Klaus, Georg 17 Klein, Laurentius 148 Klette, Theodor 136 Klibansky, Raymujnd 140, 146, 148 Kluge, Friedrich 89 Knöll, Pius 69, 277 Knopf, Rudolf 80 Kobbert, M. 40 Koch, Josef 140, 149, 153, 156, 158
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Köckert, Christian 236 Köhler, Walter 253 Koep, Leo 78 Körthe, Alfred 41 Köves-Zulauf, Thomas 40 Konstantin 64, 66, 79, 173 ff, 192, 233 Kraus, Hans-Joachim 266 Kraemer, Hendrik 27 Kranz, Walther 35 Kristeller, Paul Oskar 132, 191, 207f Kroll, Wilhelm 40 Krüger, Gustav 80 Kühle, Heinrich 102 Kuhn, Thomas S. 10 Lactantius, L. Caecilius Firmianus 41, 47, 52, 60-65, 69, 73, 81 f, 100, 131, 135, 163, 192, 261, 263 Lammers, Walter 90 Latte, Kurt 41 Laubmann, Georgius 61 Lauer, Alois 105 Lemay, Richard 224 Lessing, Gotthold Ephraim 275 f Licinius 64 Liddell, Henry George 55, 80 Liedke, G. 54 Livius, Titus 227 Lottin, Odon 99 ff Lucilius 47 Luckmann, Thomas 28 Ludwig IV. von Bayern 124 Luhmann, Niklas 28 Lukian 196, 217, 264 Lukrez (Lucretius Carus) 11, 203 Luther, Martin 14, 128, 218, 223, 236-246, 248, 253, 257 f, 269, 273 Lychetus, Francesco 114 Machiavelli, Niccolò 223, 227 ff, 251 Macrobius 263 Madec, Goulven 84 Mancini, A. 132 Mandonnet, Pierre 225 Mann, Golo 66 Manuel 169 Marchesi, C. 58 Marsilio Ficino lOf, 129, 191-208, 211ff, 231 ff, 244, 254, 260, 271, 276, 278 f Marsilius von Padua 121-125, 130 Marsaryk, Tomas Garrigue 22 f Mauss, Marcel 25
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Namenregister
Maximus Valerius 135 Mehmed II. 160, 162, 167, 169f, 173-176, 188 f Mehus, Laurentius 136 Melanchthon, Philipp 223, 226, 244-253, 272 f Mensching, Gustav 16, 27 Mercati, Angelo 174 Messehalac 116 Michael von Cesena 124 Migne, J. P. 76, 166 Minucius Felix 52, 57 f, 82 Mohammed 13, 112, 161, 170f, 188f, 192, 197 ff, 220, 225 f Möhler, Ludwig 127, 129, 140, 149, 156, 170, 176-179, 186, 188 Monfasani, John 165 f, 168 f, 174f, 177f Morus, Thomas 223, 229 ff, 272 Mowinckel, Sigmund 25 Müller, Alfons 58 Müller, J.G. 41 Muratori, L.A. 136 Muth, Robert 40 f, 45, 47 f Nardi, Bruno 163, 225 Natorp, Paul 25 f Neumärker, Dorothea 23 Nikolaus von Kues 127, 129, 138-160, 165, 173, 186, 190, 232, 244, 276f, 279 Niphus, Augustinus 224 Nilsson, Martin P. 33 Nipkow, Karl Ernst 28 Noack, Ludwig 89 Normann, Friedrich 199 Novati, Francesco 134 Odo Rigaldus 101 Odoni, R. 223 Offler, H.S. 125 Origines 196 Otto II. 84 Otto, Rudolf 17, 25 ff Otto, Walter Friedrich 33 Otto von Freising 84, 90 ff, 99 Pannenberg, Wolfhart 26 Paulus 9, 50, 128, 147, 164, 196, 221, 240f, 248, 262, 278 Pauly, August 40 Pelagius 69 Peltier, A.C. 104 Pera, Ceslai 108 Perotti, Niccolo 187 ff
Petrarca, Francesco 130f, 135 Petrus, Henri 152 Petrus Lombardus 99 f, 104 f, 115 Petrus von Cluny 120 Pezel, Christoph 252 Philemon 239 Philipp der Kanzler 101 Philipp von Hessen 269 Philon von Alexandrien 79 Piccolomini, Enea Silvio de' (siehe Pius II) Pico della Mirandola, Gian Francesco 213-218, 223, 232, 280 Pico della Mirandola, Giovanni 117, 208-213, 223, 233, 275, 279 Pierred' Ailly 117, 209, 279 f Pin, Lud. Ellies du 126 Pius II. 137, 159, 160 ff, 233, 274 Piaton 13, 37, 92, 128, 137, 139f, 162, 167f, 170, 172f, 177-180, 182-187, 189, 194, 196, 199 f, 205 Platzeck, Erhard Wolfram 93 Plinius der Ältere 40 Plotin 208 Plutarch 93 f, 261 Polykarpos 196 Polybios 42, 48 Pomponazzi, Pietro 9, 223-226, 233, 245, 274 Porphyrius 203 Prodicus Cius 45 Protagoras 44 Ptolemaeus 116, 162 Quaes, Lydia 236 Quintilian 164 Radetti, Georgio 163 Raimundus Lullus 93, 105, 111-114, 121, 127, 140, 147 f, 157 Raimundus von Sabunde 129, 278 Reichard 156 Reuss, Eduard 259 Riedl, Alfons 123 Ringgren, Helmer 54 Ritsehl, Albrecht 23 Roger Bacon 103, 116-121, 127, 147, 153, 159, 209 ff, 233, 274 f, 279 Rolland, Romain 23 Rufinus von Aquileia 65 Sabino, F. Florido 223 Salutati, Coluccio 129-136 Salzinger, Ivo 111 Santini, Emilio 136
Namenregister Schiller, Friedrich von 18 f, 34 Schirrmacher, Friedrich Wilhelm 269 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 20 f, 25 Schmidt, Adolf 90 Schmidt, K.L. 55, 79 f Schmitt, Franciscus Salesius 86 Schnarr, Hermann 153 Schneider, Carl 66 Scholz, Richard 122 Schubert, K. 127 Schwaiger, Georg 66 Schwartz, Eduard 64 Scott, Robert 55, 80 Seidl, Theodor 53 Seidlmayer,Michael 155,157ff,191,205, 231 Semler, Johann Salomo 156, 277 Seneca 90, 128, 135 Senger, Gerhard 148 Seppelt, Franz Xaver 66 Seston, William 66 Sickel, Th. 84 Siger von Brabant 9, 224 f, 245 Sigmund 234 Sikora, J. 152 Simon, Paulus 102f Simon von Tournai 101 Smith, Wilfred Cantwell lOf, 67, 69, 79 Sokrates 37, 186 Spinoza 276 Spiro, M.E. 27 Stallmach, Josef 148 Steglich, Wolfgang 270 Stegmüller, Friedrich 278 Stephanus 92 Stock, Nikolaus 234 Stockmeier, Peter 79 f Stroebel, E. 100 Stuiber, Alfred 50, 57 Surtz, Edward 229 Symmachus 162 Tempier, Étienne 224 f Temporini, Hildegard 40, 80 Tertullian, Quintus Septimius Florens 52, 56 f, 79, 196, 274, 277 Thaies 35 Thebit 120 Themistius Sophista 65 Theodoras 44 Theodotion 162 Thimme, Wilhelm 82
287
Thomas, Rudolf 88 Thomas von Aquin 73, 101, 105-111, 115, 131, 277f Tillich, Paul 16 Toffanin, Giuseppe 160 Totok, Wilhelm 224 Troeltsch, Ernst 22, 26 f Tüchle, Hermann 64, 66, 274 Ulimann, B.L. 132 Valla, Lorenzo 137, 162-165 Valentinian 91 Valjavec, Fritz 66 Varro 48, 145, 277 Verardo, R.A. 108 Vergil 48, 135, 192 Vinzenz von Beauvais 101 Volz, Paul 220 f Vorländer, Karl 163 Vrijhof, P . H . 27 Wach, Joachim 26 Wagenvoort, Hendrik 41 Walder, Ernst 266 Waser, Nikolaus 267 Webb, Clemens C.J. 93 Weber, Max 26 Weigel, Guenther 69 Welzig, Werner 221 Werbeck, W. 100 Westermann, Claus 54 Weth, Rudolf 278 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 33 ff Wilhelm von Auxerre 101 Wilhelm von Conches 100 Wilhelm von Ockham 124f, 130 Wilpert, Paul 149 Winckelmann, Johannes 26 Windelband, Wilhelm 26 Wissowa, G. 40 Witte, Kurt 40 Wössner, Jakobus 28 Wyclif, John 274 Xenophanes 35 Xerxes 44 Zedier, Johann Heinrich 115, 276 Zellinger, Eduard 149 Ziegler, Konrat 66 f Zwingli, Huldrych 246, 253-258, 260, 269, 271 Zora, Georgios Th. 169
Sachregister Im Sachregister sind nur terminologisch und sachlich relevante Stellen verzeichnet. Die griechischen Termini sind lateinisch transkribiert. Die im Deutschen gängigen Lehnwörter (z. B. Ritus) sind nicht eigens ausgewiesen. „Religio" ist nicht aufgenommen; „Religion" wird verzeichnet, wo es im neuzeitlichen Sinn gebraucht ist.
Abgötterei 241, 253, 264 Absolute, das 29 adorare 101 adora tio 107 agape 51 aidos 37 Antike 13, 32-49, 128 Apologetik 9, 13, 51, 78 Astrologie 209, 279 ff Astronomie 116 Altes Testament 10,53-55,122,200, 242,264 Atheismus 81, 224, 226, 252 Averroismus 9 Bekenntnis 142, 143, 156, 174, 264 ceremoniae (caerimoniae) (Zeremonien) 41, 46, 54, 78, 80, 94, 100, 102, 142, 145, 147, 157, 163, 200, 221, 238, 248 ff, 254, 259, 264, 267, 268 clerici 77 colere deos (deum) 39, 44 f, 47, 71, 74, 101, 104, 108, 241 confessio(n) 143, 248, 268 f conscientia 57, 240 contemplatio 149, 151 f, 202 credere 58, 86, 239, 257 credulitas 76 cultura 144f cultus 31, 39, 41-48, 59, 61, 64 f, 71 f, 74 ff, 78, 88, 93 f, 102 f, 106, 110, 116, 122, 130, 143-146, 160, 163, 166, 172, 179, 195, 200, 214f, 218, 230, 238-241, 247-250, 253, 257, 259, 263, 277, 280 cura 102 Dämon(en) 29, 33, 36, 197 daimonia 180 deisidaimonia 33, 48, 252 deprecatio 39, 78 deus 59, 62, 102, 107, 252 devotio 106, 124, 139, 146, 241 dios 36 disciplina 69 f doctrina 71, 78, 134, 185, 192, 195, 199, 240, 247, 259, 262, 269 duleia 263
ecclesia 122, 174, 175, 180, 183, 184, 189, 190, 240 Ehrfurcht 29, 171 epimeleia 37 eulabeia 33, 37, 226 eusebeia 33, 37, 55, 62, 73, 74, 106, 174, 185, 263 euanggelion 180 evangelisch 11, 23 factio 57 fides 9, 43, 58, 67-72, 75f, 78 f, 85-90, 92, 97 ff, 102-105, 107 f, 110-116, 118, 121125, 131, 133 ff, 137, 140-143, 145ff, 154, 156-161, 163-165, 167, 171 f, 174 f, 181, 182-185, 188 ff, 192, 211, 215, 217, 219, 225f, 230ff, 235, 238ff, 243, 247ff, 251 ff, 255-258, 263, 265, 269, 270 f, 278, 280 f fiducia 246 f Frömmigkeit 29 Gefühl 20, 22-25 Geist(er) 25, 29, 152 Geschichte 10, 15, 32 Gesetz (s. lex) 275 f Glaube (glauben) 9, 17-20, 24, 33 f, 79, 134, 238 ff, 242, 246, 250f, 253ff, 255, 258, 260, 262, 264, 266 ff, 270, 276, 279 Gott, göttliches 11, 22, 26, 29, 86, 97, 119, 136, 152, 200 f, 203 f, 206, 216, 218, 229 f, 232, 242, 255-258, 261 Götter 13, 29, 32-49, 51, 59 f, 62, 65 ff, 75, 80, 215 Gottdesdienst 56, 77, 239, 249 Gotteserkenntnis 262 Gottesfurcht 246 Gottesidee 25 Gottesverehrung 59-61, 66, 81, 86ff, 91, 93, 95, 97f, 103, 105, 108f, 121 f, 125f, 130ff, 134 ff, 142-145, 147, 155f, 159f, 162, 174f, 186f, 190, 196, 207f, 210, 220f, 224, 226 ff, 231 ff, 241 f, 245, 251, 259, 262, 264, 266, 269, 271 f, 276 Gottesvorstellung 26, 146 Griechen, griechisch 9 f , 13, 32-38, 50 f, 65, 73 ff, 80, 146
Sachregister hagios 36 hagnos 36f hairesis 89 hazensthai 37 hebräisch 10, 53-55 Heil 12, 119, 147 Heilig(es) 16 ff, 21, 36, 41, 270 ethelothreskeia 252 hieros 36 honestas 87 hosios 36 Humanismus 9, 13 ido(lo)latria 107, 241, 278 intellectus 9, 86, 149f, 152 instinctus 12, 277 invocatio 247 f Islam (Mohammedaner) 25, 83, 88, 90, 111 ff, 129f, 140, 160 f, 170, 175, 189,210f, 274 f, 279 iustitia 40, 43 ff, 48, 50, 100, 102 ff, 106f, 163, 190, 199, 247, 249, 253 Juden 62, 113, 279 katholisch 10, 25 Kult(isches), Götterkult 36 ff, 41 Kulturanthropologie 27 Latein(isch) 10, 13, 36, 38-49, 50f, 135, 229, 251 latreia, latria 53, 73 f, 79, 99, 101 f, 105 ff, 110, 115, 144, 146, 166,174, 179, 185, 263 lex 70, 78, 94, 103, 111, 116-122, 124, 127, 161 ff, 165, 175, 192, 199, 204, 207, 209ff, 214, 217, 225f, 233, 235, 274f, 277, 279ff Liturgie 36, 50 logos 9 Macht, Mächte 17f, 29, 40 f Marxismus (marxistisch) 18, 23 metus 41, 78, 96, 218 f Mittelalter 9, 13, 137 monachi 77 Monotheismus 143 mores 123, 125 Natur 104, 276 f nemein 37 Neukantianismus 24 nomizein 37 nomos 37, 54 Neues Testament 10, 55 f numen 42, 48 observantia 64, 78, 89, 103 officium(a) 59, 226 Opfer 75, 200 oratio 39, 78, 106f
289
Orden 12, 76, 95, 102, 104 f, 110, 113, 121, 124ff, 129-134, 136f, 155, 175, 220 ff, 243, 276 ordo 84, 113, 276 Papsttum (Papisten) 241 f, 263 f Pentateuch 53 f Philosophie 9, 23, 84, 97, 103, 117, 164, 205 f, 212 f, 229, 232 pietas 31, 39, 41-48, 58, 62, 64, 74, 78, 94, 97f, 106, 110, 163, 166, 170ff, 216, 219f, 226, 230, 239f, 246ff, 250, 253, 255-258, 260 f, 263 Pietismus 20 pisteuein 35 pistis 9, 51, 164, 169, 180, 184f Polytheismus 143 f Priester 66, 122, i94, 201 professio 95, 118, 143, 180, 253 prophanitas 252 prudentia 86 pudor 41, 96 ratio 9, 45, 86, 98 f, 109, 132, 149, 202, 277 Reformation 13 regimen 150 Religio(n) als Auszeichnung der Menschen, anthropologische Gegebenheit, anthropologisches Konstituens 10, 15, 24 ff, 30, 194, 198, 200, 202 ff, 207, 226, 257, 261, 266 Religion als Illusion 17, 29 f religio als Stand 76 f, 86, 121, 175, 276 Religion, äußerliche (äußere, öffentliche) 12, 19, 21, 27 f, 46 Religion, Einheit der 27, 98 „religio", Etymologie 41, 47, 63 f, 72 f, 107, 117, 155, 190, 214 f, 252, 255, 263 Religion, griechische 33, 36, 38 Religion, innere (innerliche) 12, 19-25, 28 f, 47 - Entstehung dieses Verständnisses 235-273 Relgion(en), neuzeitlich 9ff, 16-31, 33f, 38, 40f, 48f, 52f, 79, 81 f, 127ff, 141, 147, 155f, 159, 163, 165, 206-209, 213, 218, 220, 227f, 230-237, 241, 243, 272f, 275f Religion, persönliche 18, 22, 34, 46 f Religion, römische 39 f, 47 ff, 66, 77 Religionsfreiheit 57, 64, 66 Religionskritik(er) 17, 36 Religionsphilosophie 129, 159, 207 f, 212 f, 234 Religionsgeschichte 27 Religionswissenschaft(en) 25, 27 ff, 275, 280 religiöses Apriori 26
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Sachregister
reverenda 78, 89, 107, 250 ritus 41, 59, 78, 94, 117, 123, 140ff, 145, 147, 157, 161, 244, 255 römisch 10, 25, 39-49, 59 sacra 46 sacrament(um) (a) 62, 143, 253 sacrificare 101 sacrificium(a) 39, 78, 107, 200, 259 Sakrament(e) 254 f, 259, 264 sanctitas 41-46, 163, 241 sanctus 36 sapientia 61, 84, 178, 194f, 205, 278 scientia (colendorum deorum) 42, 44, 97, 102, 187 sebas 37 secta (setta) 56, 58, 64, 78, 82, 89 f, 103f, 112, 114, 117-122, 127, 141 f, 144, 146f, 149, 153, 156 f, 159, 165, 199, 210, 212, 220, 226, 228, 230, 233, 235, 243, 274 f, 279 ff servitus 74 Sibyllinische Bücher 46, 192f societas 43 superstitio 44, 63, 67, 210, 214-217, 227, 229 ff, 241, 252 f, 263, 275, 279 theios 180 Theologie 9, 23, 50 f, 83,212, 234, 264, 277 ff
theos 33, 36 theosebeia 106 therapeia 37, 55 threskeia 37 f, 55 f, 65, 73 f, 79, 166f, 174, 179f, 183 ff, 190, 252 timan 37 timé 180 timor 41, 118, 226, 240, 247 ff, 252 Transzendenz 26, 29, 35 Tugend 12, 29, 40, 43, 47, 50, 61, 86, 90, 95, 100, 102, 105, 114, 116, 137, 143, 200, 216, 218, 226, 228, 230, 246, 248, 277 libernatürlich(es) 17 f veneratio 118, 144, 219 Verehrung 39, 55 f, 70 ff, 75, 84, 117, 142, 146, 218 f, 229, 261, 263 veritas 152, 171 ff, 198, 225 Vernunft 9, 25, 72, 86, 229 virtus (s. Tugend) 149 Vorsokratiker 35 Vorzeichen 46 vovere 101 Vulgata 219 Wahrheit 19, 232, - doppelte 9, 224, 272 Wissen 17 f, 45 f Wissenschaft 17, 23
Henning Graf Reventlow
Bibelautorität und Geist der Moderne Die Bedeutung des Bibelverständnisses f ü r die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung in England von der Reformation bis zur Aufklärung. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte, Band 30). 1980. 716 Seiten, gebunden „Der Verfasser kennt sich im heutigen Diskussionsstand offensichtlich ebenso aus wie in den politischen, kirchlichen und geistigen Bewegungen des damaligen England. Zu dem immensen Fleiß kommt eine konsequent und umsichtig durchgef ü h r t e These, die dem Ganzen die innere Einheit gibt. Das Buch liest sich trotz seines Umfanges leicht. Es ist auch im einzelnen eine Fundgrube." Rudolf Smend in: Zeitschriftfiir Kirchengeschichte
Albrecht Dihle
Die Vorstellung vom Willen in der Antike (Sammlung Vandenhoeck). 1985. 178 Seiten, Paperback Anders als alle modernen europäischen Sprachen hat das Altgriechische nicht die Möglichkeit, den Willen des Menschen unabhängig von seiner Entstehung in rationalen oder irrationalen Schichten der Seele auszudrücken. Dieses Buch versucht zunächst zu zeigen, wie die Vorstellungen vom Handeln des Menschen aussehen, die diesem Sprachgebrauch entsprachen, und wie diese Vorstellungen in der griechischen Philosophie auf den Begriff gebracht wurden. Sodann geht es um die Frage, wie der neuere Willensbegriff in der frühchristlichen Theologie gebildet werden konnte.
Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung Aus Anlaß des 250jährigen Bestehens des Verlages Vandenhoeck & Ruprecht. Hrsg. v. Rudolf Vierhaus. 1985. 283 Seiten, 5 Tafeln, gebunden Inhalt: Rudolf Vierhaus, Einleitung / Walter Sparn, Uber die geschichtliche Aufgabe der theologischen Aufklärung im 18. Jahrhundert in Deutschland / Werner Schneiders, Wandlungen im Selbstverständnis der Philosophie von Leibniz bis Kant / Ulrich Muhlack, Klassische Philologie zwischen Humanismus und N e u h u manismus / Christoph Link, Rechtswissenschaft / H a n s Erich Bödeker, Das staatswissenschaftliche Fächersystem im 18. Jahrhundert / Peter Hanns Reill, Die Geschichtswissenschaft um die Mitte des 18. Jahrhunderts / Richard Toellner, Medizin in der Mitte des 18. Jahrhunderts / Andreas Kleinert, Mathematik und anorganische Naturwissenschaften / Bernhard Fabian, Über Gelehrsamkeit und gelehrtes Schrifttum um 1750.
Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen und Zürich
Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Eine Titelauswahl 38 Ruth Albrecht • Das Leben der heiligen Makrina auf dem Hintergrund der Thekla-Traditionen Studien zu den Ursprüngen des weiblichen Mönchtums im 4. Jh. in Kleinasien. 1986. 473 Seiten, geb.
28 Bernhard Brons Gott und die Seienden Untersuchungen zum Verhältnis von neuplatonischer Metaphysik und christlicher Tradition bei Dionysius Areopagita. 1976. 346 Seiten, kart.
37 Dorothea Wendebourg Reformation und Orthodoxie D e r ökumenische Briefwechsel zwischen der Leitung der Württembergischen Kirche und Patriarch Jeremias II. von Konstantinopel in den Jahren 1573-1581. 1986. 425 Seiten, kart.
27 Johann Ch. Emmelius Tendenzkritik und Formengeschichte Der Beitrag Franz Overbecks zur Auslegung der Apostelgeschichte im ^ . J a h r hundert. 1975. 321 Seiten, kart.
35 Samuel Vollenweider Neuplatonische und christliche Theologie bei Synesios von Kyrene 1985. 234 Seiten, kart. 34 Martin Nicol • Meditation bei Luther 1984. 195 Seiten, kart. 33 Wilhelm-Ludwig Federlin Vom Nutzen des Geistlichen Amtes Ein Beitrag zur Interpretation und Rezeption J o h a n n Gottfried Herders. 1982. 281 Seiten, kart. 32 Jan Badewien • Geschichtstheologie und Sozialkritik im Werk Salvians von Marseille 1980. 211 Seiten, kart. 31 Rudolf Lorenz • Arius judaizans? Untersuchungen zur dogmengeschichtlichen Einordnung des Arius. 1979. 227 Seiten, kart. 30 Henning Graf Reventlow Bibelautorität und Geist der Moderne Die Bedeutung des Bibelverständnisses f ü r die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung in England von der Reformation bis zur Aufklärung. 1980. 716 Seiten, geb. 29 Henning Paulsen • Studien zur Theojogie des Ignatius von Antiochien 1978. 226 Seiten, kart.
26 Martin Schloemann Siegmund Jacob Baumgarten System und Geschichte in der Theologie des Übergangs zum Neuprotestantismus. 1974. 302 Seiten, kart. 25 Adolf Martin Ritter Charisma im Verständnis des Johannes Chrysostomos und seiner Zeit Ein Beitrag zur Erforschung der griechisch-orientalischen Ekklesiologie in der Frühzeit der Reichskirche. 1972. 232 Seiten, kart. 24 Oswald Bayer • Promissio Geschichte der reformatorischen W e n d e in Luthers Theologie. 1971. 376 Seiten, kart. 23 Ekkehard Mühlenberg Apollinaris von Laodicea 1970. 257 Seiten, kart. 22 Werner Affeldt Die weltliche Gewalt in der Paulus-Exegese Römer 13,1-7 in den Römerbriefkommentaren der lateinischen Kirche bis zum Ende des 13.Jahrhunderts. 1969. 317 Seiten, kart. 21 Helmut Roscher Papst Innocenz III. und die Kreuzzüge 1969. 323 Seiten, kart.
Vandenhoeck & Ruprecht • Göttingen und Zürich