Regnum et Imperium: Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert. Les relations franco-allemandes au XIVe et au XVe siècle 9783486842302, 9783486581799

In Übertragung machtpolitischer Kategorien der Neuzeit hat die ältere Forschung schon für das Mittelalter Gegensätze und

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Regnum et Imperium: Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert. Les relations franco-allemandes au XIVe et au XVe siècle
 9783486842302, 9783486581799

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Regnum et Imperium

deutsches historisches

institut historique allemand paris

Pariser Historische Studien herausgegeben vom Deutschen Historischen Institut Paris

Band 83

R. Oldenbourg Verlag München 2008

Regnum et Imperium Die französisch-deutschen Beziehungen im 14. und 15. Jahrhundert Les relations franco-allemandes au XIV e et au XV e siecle herausgegeben von Stefan Weiß

R. Oldenbourg Verlag München 2008

Pariser Historische Studien Herausgeberin: Prof. Dr. Gudrun GERSMANN Redaktion: Veronika VOLLMER Institutslogo: Heinrich PARAVICINI, unter Verwendung eines Motivs am Hotel Duret-de-Chevry Anschrift: Deutsches Historisches Institut (Institut historique allemand) Hotel Duret-de-Chevry, 8, rue du Parc-Royal, F-75003 Paris

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

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Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf, München Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-58179-9 ISSN 0479-5997

INHALT

Vorwort von Stefan WEISS

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J e a n - M a r i e MOEGLIN

Nouvelles d'Allemagne en France aux XIV e -XV e siecles L'empereur Louis de Baviere dans l'historiographie royale

franfaise

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Karsten PLÖGER

Das Reich und Westeuropa: Zur Wende in der Politik Ludwigs des Bayern in den Jahren 1336-1337

41

Gerald SCHWEDLER

Deutsch-französische Herrschertreffen im 14. Jahrhundert Dynastische und staatliche Beziehungen im Wandel

55

Stefan WEISS

Onkel und Neffe. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich unter Kaiser Karl IV. und König Karl V. und der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas

101

Philippe GENEQUAND

Entre regnum et imperium: les attitudes des pays d'Empire de langue franfaise au debut du grand schisme d'Occident (1378-1380)

165

Robert W . MÜLLER

Francis de Conzie (1356-1431) und die Politik der Kurie in Avignon bis zum Konzil von Pisa

197

Martin KINTZINGER

Entre exercice du pouvoir et droit des gens: la diplomatic de l'empereur Sigismond envers la France

219

Petra EHM-SCHNOCKS

»L'empereur ne doit pas etre un non-Allemand«: Charles le Temeraire, Frederic III et l'Empire

235

Ilse FREUDENTHALER

Rene von Anjou (1409-1480)-einReichsfurst?

249

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

277

VORWORT

Der vorliegende Band ist aus einem Atelier erwachsen, das am 21. Juni 2004 am Deutschen Historischen Institut in Paris stattgefunden hat. Es hatte vor allem den Zweck, jüngeren Forschern Gelegenheit zu geben, in Form von »Werkstattberichten« erste Ergebnisse ihrer Forschungen vorzustellen und diskutieren zu lassen. Lange Zeit ist das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich als Geschichte einer Gegnerschaft geschrieben worden - hier ist offensichtlich der politische Gegensatz Frankreichs und Deutschlands im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auf die Vergangenheit übertragen worden. Seit dem Zweiten Weltkrieg hat dieses Paradigma ausgedient, es ist aber nicht eigentlich durch ein neues ersetzt worden. Vielmehr ist in der Mediävistik die Geschichte zumindest der Außenpolitik sehr in den Hintergrund getreten, in Frankreich noch mehr als in Deutschland. Dazu hat beigetragen, daß »Außenpolitik« ein neuzeitliches Konzept ist. Es dient dazu, Beziehungen zwischen souveränen Staaten zu beschreiben; die mittelalterlichen Reiche kann man jedoch bekanntlich nur mit großen Einschränkungen als solche auffassen. Aus dieser grundsätzlichen Andersartigkeit folgt aber nicht zwangsläufig, daß es im Mittelalter keine Außenpolitik gegeben hat, eher wird diese Andersartigkeit zu erforschen sein. Einige Punkte, die auch in der Diskussion eine Rolle spielten, seien hervorgehoben: - Da im römisch-deutschen Reich keine stabile Staatsgewalt existierte, mußte der Kaiser mit den Reichsfursten wie mit auswärtigen Herrschern auf diplomatischem Wege verkehren, durch Gesandtschaften, Ehebündnisse und nicht in herrschaftlicher Art und Weise. Hier scheint sich ein grundsätzlicher Unterschied zwischen Frankreich und Deutschland, zwischen regnum und imperium anzudeuten. Jedoch: War Frankreich so völlig anders? Man denke an den aquitanischen Adel im englischen Dienst oder an das Problem der Apanagen für die diversen Prinzen. - In beiden Ländern war der Träger der Außenpolitik primär die jeweilige Herrscherdynastie, die Valois in Frankreich, Wittelsbacher, Luxemburger und Habsburger im imperium. Die Dynastien griffen aber - durch Eheschließungen, durch »Heiratspolitik« - über die »Staatsgrenzen« hinaus, erwarben Herrschaftsrechte in benachbarten Reichen. Es entstanden Gebiete mit geteilter Souveränität: Dauphine, Provence, Flandern, Freigrafschaft Burgund. Dabei wurden die Staatsgrenzen als solche aber (noch) nicht in Frage gestellt. Man konstatiert zwei konkurrierende - oder sich ergänzende (?) - Arten von Politik: staatliche und dynastische. - Die Frage nach der »Mittelmacht«, d.h. nach der Tendenz, daß zwischen Deutschland und Frankreich ein eigenes Staatswesen - Burgund - entsteht.

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Vorwort

- Das Arelat als Nebenreich. Es war immer ein königsfernes Gebiet, in dem regionale Territorialherren den entscheidenden Einfluß ausübten. Auch deren Politik und Interessen werden in Betracht zu ziehen sein. - Die Rolle des Papstes. Im 14. Jahrhundert residierte er in Avignon, exakt an der Grenze zwischen regnum und imperium. Er wechselte beständig zwischen beiden Reichen hin und her, nämlich von Avignon auf das andere Ufer der Rhone nach Villeneuve in seinen Sommerpalast. Zudem regierte er die Grafschaft Venaissin, war somit Territorialherr an der Grenze zwischen beiden Reichen. Gedankt sei an dieser Stelle zunächst den Autoren für ihre engagierte Mitarbeit und ihre Beiträge. Mein besonderer Dank gilt dem Deutschen Historischen Institut und seinem Direktor, Prof. Dr. Werner Paravicini, der das Zustandekommen des Ateliers ermöglicht hat. Karin Förtsch hat mich bei der Organisation mit Rat und Tat unterstützt. Veronika Vollmer danke ich für die redaktionelle Betreuung des Bandes und Sabine Walther für ihre Mithilfe bei der Korrektur.

Paris, im September 2007

Stefan Weiß

JEAN-MARIE MOEGLIN

NOUVELLES D'ALLEMAGNE EN FRANCE A U X X L V - X V " SIECLES L'empereur Louis de Baviere dans l'historiographie royale franfaise

L'etude des relations politiques entre le royaume de France et l'Empire anx XIV e -XV e siecles a un arriere-plan non negligeable: quelle connaissance avaiton, voulait-on avoir des evenements qui se produisaient dans 1'autre pays? Une telle etude permet d'abord de mesurer l'interet que, dans chaque pays, Ton accordait ä ce qui se passait chez l'autre; ensuite seulement il devient raisonnablement possible de se pencher sur la question des sentiments - Sympathie, antipathie, indifference? - que les habitants d'un pays eprouvaient vis-ävis de leur voisin. Mener une telle recherche ne va cependant pas de soi dans la mesure oü eile implique d'avoir ä sa disposition un corpus de sources susceptibles de pouvoir etre considerees comme representatives de ce que savait des evenements allemands et de l'interet qu'elle leur conferait, sinon l'ensemble de la population du moins une partie d'entre eile, disons les elites politiques du royaume. C'est la raison pour laquelle il m'a semble judicieux d'etudier la reception dans l'historiographie royale parisienne des evenements ayant jalonne la »carriere« de l'empereur Louis de Baviere. Des recherches anciennes ou recentes permettent en effet d'etablir et de reconstituer precisement la Chronologie de la production historiographique parisienne, notamment dans la premiere moitie du XTV® siecle, et d'analyser la maniere dont les differents compilateurs ont travaille.

I. La vie et la carriere de Louis de Baviere ayant ete riches en evenements ä la fois spectaculaires et comportant une forte dimension internationale, on pourrait a priori s'attendre ä ce que ces evenements aient eu un echo important dans l'historiographie fran?aise. Pour mieux apprecier l'intensite de cet echo, il n'est cependant pas inutile de commencer par determiner la place que cette

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Jean-Marie Moeglin

historiographie fran^aise reservait aux nouvelles de l'Empire avant que ne commence l'aventure royale et imperiale du Bavarois, c'est-ä-dire au tournant du XIII6 et du XIVe siecle. Un excellent champ d'observation est a cet egard la »Chronique Universelle« de Guillaume de Nangis, l'historiographe en titre de Saint-Denis ä la fin du XIIIe siecle, dont une premiere version est redigee en 1297. Guillaume va la retravailler jusqu'ä sa mort en juin ou juillet 1300; eile sera ensuite poursuivie par differents compilateurs jusqu'en 13401. Cette chronique est composee sur le modele de celle de Sigebert de Gembloux, c'est-ä-dire qu'elle propose dans un cadre annalistique une histoire synchronique de l'Empire, des royaumes et de l'Eglise2. Ainsi pour le ΧΙΙΓ siecle, Guillaume de Nangis fait, annee apres annee, l'histoire de l'Empire romain, du royaume de France, de l'Empire de Constantinople, des royaumes d'Angleterre, de Jerusalem et de Sicile; toutefois, son interet principal pour ne pas dire exclusif va au royaume de France. Cette chronique qui reflete un point de vue royal et parisien permet en fait d'approcher ce que les elites politiques du royaume proches de la cour royale connaissaient, ou peut-etre plutöt voulaient connaitre des evenements qui concernaient l'Empire. J'ai procede ä l'analyse du recit de la chronique pour la partie qui va de l'avenement de Rodolphe de Habsbourg en 1273 a l'avenement de Louis de Baviere en 1314. Le resultat de cette enquete montre que ce que l'on retient de l'histoire de l'Empire est limite et s'inscrit dans un petit nombre de rubriques bien definies; j'en distingue trois: - L e s evenements politiques structurants de l'histoire de l'Empire c'est-adire les changements de souverains: avenement de Rodolphe de Habsbourg en 1273; sa mort en 1291 et l'avenement d'Adolphe de Nassau en 1292; la defaite et la mort d'Adolphe de Nassau en 1298 et l'accession a l'Empire du vainqueur, Albert de Habsbourg; l'assassinat d'Albert en 1308; l'avenement d'Henri de Luxembourg; sa confirmation par le pape et son expedition de couronnement imperial; sa mort en 1313; la double election de 1314 entre Louis de Baviere et Frederic d'Autriche. - Les episodes qui illustrent les relations politiques entre royaume de France et Empire: rencontres princieres (rencontre de Vaucouleurs en 1299 entre Philippe le Bei et Albert de Habsbourg); accords de mariage (le mariage en 1300 de la sceur de Philippe le Bei, Blanche, avec Rodolphe, fils d'Albert de Habsbourg; la mort suspecte de cette meme Blanche en 1304); guerres entre les deux souverains (le defi au roi de France d'Adolphe de Nassau en 1294); alliances ou differends du roi de France avec des princes du saint Empire (sou1 Chronique latine de Guillaume de Nangis de 1113 ä 1300 avec les continuations de cette chronique de 1300 ä 1368, öd. par Hercule GERAUD, 21., Paris 1843. 2 Cf. Mireille CHAZAN, L'Empire et l'histoire universelle de Sigebert de Gembloux ä Jean de Saint-Victor (ΧΙΓ-ΧΙΥ* siecle), Paris 1999.

Nouvelles d'Allemagne en France

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mission du comte de Hainaut en 1292; alliance avec le comte Florent de Hollande en 1295; participation de seigneurs de Γ Empire aux guerres de Flandre dans le parti adverse au roi de France, notamment en 1298 et en 1302; entree en guerre puis capitulation du comte de Bar lors du traite de Bruges en 1301). - Les evenements situes a proximite de la frontiere est/nord-est du royaume de France (bataille de Worringen en 1288; le comte de Hainaut obtient en 1296 la succession de la Hollande et de la Frise; guerre de 1303-1304 entre le comte de Hainaut et les Flamands; differend entre le due de Brabant et le comte de Luxembourg apaise grace a la mediation du roi de France; guerre entre l'eveque de Metz et le due de Lorraine en 1313). Encore faut-il preciser que ces evenements sont en general brievement rapportes; a l'exception toutefois de l'expedition de couronnement imperial d'Henri de Luxembourg qui fait l'objet d'un long recit tres detaille. Celui-ci devrait provenir d'un »journal« diffuse par le parti des Luxembourgs, ä la suite d'une expedition dont le succes fat tres relatif mais dont la maison de Luxembourg a neanmoins tire une grande fierte et qu'elle s'est efforcee de mettre au service de son prestige comme le montre par exemple la realisation, ä l'initiative de l'archeveque Baudoin de Treves, le propre frere d'Henri VII, d'une chronique illustree des hauts faits de l'empereur3. Cette place faite a l'expedition du Luxembourg dans la chronique de Guillaume de Nangis pourrait eventuellement conduire a ajouter une quatrieme rubrique aux trois mentionnees plus haut pour les nouvelles de l'Empire; eile concernerait le recit de quelques grands evenements sensationnels qui relevent certes des rubriques ordinaires mais auxquels leur caractere spectaculaire vaut une attention particuliere. Cette analyse le montre: l'interet porte ä l'histoire de l'Empire dans la »Chronique Universelle latine« de Guillaume de Nangis est en tout etat de cause clairement francocentrique. L'histoire de l'Empire est prise en compte dans la mesure oü il s'agit d'une configuration politique qui existe sur l'echiquier europeen - il faut connaitre les noms des souverains regnants - et dont les evenements peuvent influer directement ou indirectement sur les destinees politiques du royaume de France. II est tres significatif a cet egard que, des deux evenements militaires et politiques d'importance comparable pour les destinees de l'Empire, la bataille de Dürnkrut-Jedenspeigen en 1278 et celle de Worringen en 1288, le second seulement ait ete pris en compte par le chroniqueur franfais. II est vrai que cette bataille avait scelle la reorganisation politique du nord-ouest de l'Empire auquel le pouvoir royal franfais portait une attention soutenue tandis qu'il se desinteressait largement de ce qui se passait au sud-est.

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Cf. desormais (avec la bibliographie antirieure) l'article de Michel MARGUE, Images de Henri VII en Italie - les chroniques de Baudoin de Treves et les »voeux de l'epervier« (premiere moitiö du XIV* siecle), dans: Quaderni Lucchesi 3 (2002), p. 75-208.

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II. Qu'en est-il alors avec Louis de Baviere? Du vivant meme du Bavarois ou peu de temps apres sa mort ont ete ecrits differents textes historiques, a SaintDenis ou ä proximite de la cour royale, dont l'analyse permet de suivre assez precisement les aleas et les variations de l'interet pour l'empereur excommunie. Reprenons d'abord le recit des continuateurs de Guillaume de Nangis dans la »Chronique Universelle latine«. Le premier continuateur de la chronique, qui tenait encore la plume au moment de la double election de 1314, n'avait pas accorde beaucoup d'importance ä cet evenement; conformement au cadre de reception des nouvelles d'Allemagne evoque plus haut, il s'est contente de rapporter la double election et le double couronnement car il s'agit d'un element structurant de l'histoire de l'Empire. Bien plus tard, en aucun cas avant 1327, un nouveau continuateur a repris la »Chronique Universelle latine« de Guillaume de Nangis et il a entrepris de la continuer depuis 1317 - date ä laquelle le premier continuateur s'etait arrete jusqu'en 1340. II ecrit ä un moment ou le conflit pour la couronne a et£ quasiment regie par la victoire remportee en 1322 ä Mühldorf par Louis de Baviere. Mais, ä ce conflit pour la couronne a succede un tres violent affrontement entre l'empereur et la papaute. II va durer, avec des alternances de phases de conflit ouvert et de negotiations, jusqu'ä la mort de l'empereur en 1347, et il va interferer aussi bien avec les luttes internes au royaume d'Allemagne qu'avec la politique internationale, notamment avec le debut de ce que nous appelons la guerre de Cent ans. Le moine de Saint-Denis qui reprend la chronique vers la fin des annees 1320 (apres le 23 octobre 1327), et qui va conduire son recit jusqu'en 1340, se trouve done confronte aux amples prolongements de ce qui n'etait au depart qu'un conflit interne aux dynasties princieres allemandes; il met en effet notamment en cause l'alliance entre la papaute d'Avignon et les rois de France, qui connait certes des hauts et des bas mais qui reste malgre tout une constante politique; il explique aussi en bonne part l'alliance que de nombreux princes et seigneurs d'Empire dans les Pays-Bas, et Louis de Baviere lui-meme, passent en 1337-1339 avec le roi d'Angleterre Edouard III; ce dernier dispute en effet ä Philippe VI la couronne de France, tandis que l'alliance entre les rois de France et les Luxembourg - structurellement rivaux de Louis de Baviere dans l'Empire - s'est solidement etablie. Tout cela conduit notre chroniqueur ä reevaluer considerablement l'importance de Louis de Baviere et des nouvelles d'Allemagne dans la conduite de son recit. II n'en fait lui-meme pas mystere en inserant ä l'annee 1317 une veritable mise au point sur l'histoire du Bavarois, en depit de ce que son predecesseur avait dejä ecrit (ou plutöt avait neglige d'ecrire):

Nouvelles d'Allemagne en France

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Et parce que ceux qui ont ecrit anterieurement pour 1'annee 1314 et autour de celle-ci n'ont rien ecrit au sujet du Bavarois qui se dit roi des Romains, je me suis efforce, en commenipant avec l'election de celui-ci et bien qu'elle ait ete mentionnee brievement auparavant, de reprendre ici ce recit parce que c'est ä cette date que, entrant en Italie, il s'est associe scandaleusement aux schismatiques et heretiques que je viens d'£voquer. Done, en 1'annee du Seigneur 1314, aprfes la mort de l'illustre empereur Henri, les electeurs du roi d'Allemagne, ä savoir les trois archeveques de Mayence, Treves et Cologne avec les trois autres dues se rassemblerent ä Francfort sur le Main en vue de proceder ä l'election. Cinq d'entre eux elirent ä l'unanimite Louis due de Baviere comme roi d'Allemagne, le seul archeveque de Cologne elisant le due d'Autriche. Cela ayant ete accompli, les autres princes, conduisant le dit Louis a Aix-laChapelle, la oü les rois d'Allemagne ont l'habitude d'etre couronnis, l'installerent sur le tröne du magnifique empereur Charlemagne, aux alentours de la fete de la Nativite de la Vierge et le couronnerent du diademe de roi des Romains. Mais l'ar-cheveque de Cologne couronna Frederic elu par lui vers la fete de la Pentecöte, non pas a Aix-la-Chapelle mais dans la ville qui est appelee Bonn, situee ä quatre lieux de Cologne. Louis cependant, qui paraissait avoir eu pour lui la majeure partie des electeurs, s'etant rendu du lieu de son couronnement ä Nuremberg, lä oü les rois d'Allemagne, apres leur couronnement comme roi des Romains, ont l'habitude de tenir leur premiere cour, fit publiquement proclamer sa cour, recevant les hommages de l'empire, exer?ant les droits et juridictions temporelles, confirmant les privileges, et accomplissant les autres actes royaux qui lui incombaient en vertu du droit imperial et royal, et qui paraissaient devoir et pouvoir lui incomber. Et il declarait qu'il pouvait le faire sans aucune autorisation de l'Eglise et du pape, et que ce qu'il avait accompli, ses predecesseurs l'avaient fait de la meme fafon et ceci depuis tant de temps qu'il n'y avait aucune memoire du contraire. A l'occasion de cette dite election eclata neanmoins une grave dissension entre les susdits elus qui devasterent mutuellement leurs terres en de multiples assauts. Finalement toutefois, une bataille champetre eut lieu entre eux, et bien que la partie la plus nombreuse, plus puissante et plus forte ait ete avec Frederic d'Autriche, Louis cependant, qui n'avait en regard de cela que peu d'hommes, triompha glorieusement dans cette bataille, beaucoup ayant ete tu£s, beaucoup de la partie dudit Frederic ayant pris la fuite, Frederic et son frdre Henri ayant 6te faits prisonniers. Ayant obtenu sur ses adversaires un tel triomphe, le dit Louis, ä la maniere de ses predicesseurs et dans l'intention d'obtenir la confirmation de l'Empire comme Celle du couronnement et du sacre impirial, envoya ses ambassadeurs au souverain pontife. Toutefois le pape refusa absolument d'obtemperer, declarant que, comme Louis avait ete elu en discorde, avant qu'il ne le confirmät au droit et ä la dignite imperiale, c'est ä lui qu'il incombait de rendre la decision finale sur le fait de savoir lequel des elus avait le droit le meilleur; il affirmait egalement qu'il revient au pape, ä ce qu'il disait, de donner son approbation non seulement ä Election mais aussi ä la personne elue avant que celle-ci puisse licitement exercer les droits imperiaux. Mais Louis s'etait immisce dans ces affaires, recevant les hommages de l'Empire et distribuant les fiefs sans aucun droit de le faire et dans le but de porter prejudice ä l'Eglise romaine; s'il avait eu auparavant quelque droit, il l'avait en tout cas fort justement perdu en agissant ainsi4. 4

Guillaume de Nangis, ed. par GERAUD (voir η. 1), t. II, p. 6-8: Et quoniam illi qui antea scripserunt a decimo quarto anno et circiter, de Bavaro, qui se regem Romanorum dicit, nihil scripserunt; idcirco ab ejus electione sumens exordium, licet aliquantulum tactum juerit superius, hie annotare curavi cum factis praecedentibus, quia circa istud tempus Italiam intrans, se supradictis immaniter schismaticis et haereticis sociavit. Anno Domini millesimo trecentesimo decimo quarto, post mortem inclytae recordationis Henrici imperatoris, electores regis Alemanniae, tres scilicet archiepiscopi Magontinensis, Trevirensis et Coloniensis, cum tribus aliis ducibus ni Francfornt supra Monavum fluvium causa electionis sunt ad invicem congregati; quorum quinque unanimiter Ludovicum ducem Bavariae in regem Alemanniae elegerunt, solo Coloniensi archiepiscopo Fredericum ducem Austriae eligente. Quo

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Ce recit a done ä Γ evidence ete ecrit beaucoup plus tard que la date oü il est place et meme que les evenements racontes; il traduit un interet retrospectif pour la montee en puissance de Louis de Baviere qui ne peut s'expliquer que par le contexte dans lequel le continuateur ecrit. Ä partir de cette date de 1317 en tout cas, la lutte pour l'Empire et la lutte entre l'enipereur et le pape sont entres dans le champ de perception du continuateur. Mais le fait que cette mise au point remontait plus haut et surtout, sans que cela soit explicitement precise, descendait plus bas - eile evoque la bataille de Mühldorf en 1322 - que la date ä laquelle notre compilateur l'insere, perturbe gravement la coherence chronologique du recit; en fait l'auteur n'est lui-meme plus en mesure de situer precisement les evenements passes qui marquent le regne de Louis de Baviere. Ainsi, ä la date de 1318 (!), il rapporte qu'apres la capture de Frederic et de son frere Henri, leur frere, le due Leopold continue ä mener la lutte contre le Bavarois. Et il evoque dejä la fuite a Munich de deux prestigieux membres de l'universite de Paris, Jean de Jandun et Marsile de Padoue, alors que cette fuite ne s'est produite qu'ä l'automne 1326 5 . Et dans cette meme annee, il evoque facto caeteri principes Ludovicum praedictum Aquisgrani ducentes, ubi soliti sunt reges Alemanniae coronari, super sedem magniflci imperatoris Karoli Magni circa beatae Mariae virginis nativitatem eum statuentes, in regem Romanarum regali diademate coronaverunt. Coloniensis vero archiepiscopus Fredericum ab eo electum circa sequens festum Pentecostes non Aquisgratii, sed in villa quae Bona [dicitur], quatuor leucis a Colonia distante, coronavit. Ludovicus vero, qui pro se majorem partem eligentium habuisse potior videbatur, de coronatione reversus apud Noremberg, ubi reges Alemanniae, post coronationem suam in regem Romanorum, primam sedem suam ponere consueverunt, fecit curiam suam publice proclamari, ibidem homagia imperii recipiens, jura et jurisdictiones temporales exercens, privilegia conflrmans, caeterosque actus regales faciens qui sibi jure imperiali et regali competebant, et competere videbantur et poterant: et hoc dicebat se posse facere absque omni requisitione Ecclcesiae et Papae, et quod ipse et praedecessores sui ita fecerant, et praescripserant a tanto tempore, quod de contrario memoria non existit. Occasionee vero praedictae electionis orta est gravis dissensio inter dictos electos, terras suas hinc et inde multis incursionibus devastantes. Finaliter vero commissum est bellum inter eos campestre; et licet plures et potentiores et fortiores partes essent cum Frederico duce Austriae, Ludoviens tarnen cum paucis respective, multis occisis, multisque ex parte Frederici praedicti fugientibus, capto Frederico et Henrico fratre ejus in dicto praelio gloriose triumphavit. Habito vero dicto de adversaries triumpho, more praedecessorum suorum pro conjirmatione imperii necnon coronatione et benedictione imperiali sibi, ut dicebat, de jure debitis, dictus Luciovicus solemnes nuntios ad summum pontificem destinavit. Quae tamen Papa omnino facere recusavit, dicens quod cum ipse in discordia electus esset, antequam ipsum ad jus et dignitatem impeii confirmaret, ad ipsum pertinebat finalis decisio quis electoram in jure potior haberetur; item quod ad Papam pertinet, ut dicebat, non solum electionis, sed etiam personae electae approbatio, antequam possit licite jura imperialia exercere; et ipse Ludovicus in his se immiscuerit, homagia imperii recipiens, feodosque distribuens minus debite, et in praejudicium eeclesiae Rornanae hoc attentans; si quod prius jus habuerat, haec exequens, jure suo merito privabatur. 5

Guillaume de Nangis, öd. par GERAUD (voir η. 1), t. II, p. 14: Capto Frederico duce Austriae, et Henrico fratre ejus in bello campestri per ducem Bavarie electum in regem Romanorum, ut praemissum est, iterum dux Leopoldus, dicti Frederici frater, nitens fratrem de

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les principaux arguments developpes par Louis de Baviere contre le pape dans ses trois »appellations« de 1323-1324, notamment la question de la pauvrete apostolique developpee par le Bavarois dans la deuxieme appellation de Sachsenhausen en mai 13246: A peu pres dans ces memes temps, le Bavarois, entendant que le pape lui refusait la binediction imperiale, alors qu'elle lui 6tait due de droit, ä ce qu'il disait, ne s'en declarait pas moins, sous le pretexte qu'il avait la majoriti des electeurs pour lui, elu pacifiquement. De ce fait, il pritendait que, selon le droit et la coutume approuvö de ses predecesseurs, il lui revenait d'administrer tous les droits temporeis de l'Empire, de distribuer les fiefs, de recevoir les hommages, de distribuer les honneurs de l'Empire; et cela ses pr6d6cesseurs 61us de maniÄre identique l'avaient fait, sans que le pape ait en rien consultd. II en appela ä un concile general et il fit publier son appellation en divers lieux, declarant que le pape etait heretique, surtout, ä ce qu'il disait, parce qu'il paraissait tendre ä la subversion de la r£gle de saint Franfois et de l'ordre des freres mineurs, qui avait έίέ auparavant confirmöe par ses saints pr6d6cesseurs et qui avait έΐέ louablement observde par tous les saints professeurs de cette regie; pour cette raison, cela ne pouvait etre que demence et erreur dans la foi catholique et celle du Christ que de vouloir attenter ä une rfegle aussi sainte ou s'en prendre aux professeurs de cette regie, tout particuli£rement alors que dans cette regie est present que doit etre observee la perfection de toute la vie spirituelle et que les professeurs de cette regie pratiquent une vie de pauvrete övangölique, celle que le Christ a pratiquöe et qu'il a prescrite et enseignee aux apötres et aux disciples des apötres qui sont les professeurs de cette rfegle7.

manibus Bavari eripere, terras ejus multipliciter incursat. Sed Bavaro sibi viriliter resistente, regeque Bohemiae auxilium ferente, deficit ab intento. Circa ista tempora de flore lilii Parisius studii exierunt duo filii nequam genimina viperarum, scilicet magister Johannes de Janduno, natione gallicus, et magister Marsilius de Padua, natione Italicus, multa falsa et erronea mentientes contra Ecclesiam et ejus honorem, multos latratus pestiferos emittentes, Bavari contubemio sociati, moventes et excitantes non debere eum timere ad verba frivola Papae, quinimo jura imperii more praedecessorum suorum etiam contra Ecclesiam viriliter observare, quinimo jura Ecclesiae magis ex dignitate imperii processisse quam alibi. 6 Heinz THOMAS, Ludwig der Bayer (1282-1347). Kaiser und Ketzer, Ratisbonne et al. 1993, P. 164. 7

Guillaume de Nangis, öd. par GERAUD (voir η. 1), t. II, p. 17: Circa fere eadem tempora, Bavarns, audiens Papam sibi imperialem benedictionem renuere, cum tamen sibi de jure deberetur, ut dicebat; tamen, quia majorem partem eligentium habebat pro se, se electum pacifice reputabat. Unde ex hoc sibi dicebat quod, de jure et approbata de praedecessoribus suis consuetudine, imperii temporalia omnia competebat ministrare, feodos distribuere, homagia recipere, honores imperii distribuere; et hoc praedecessores suis consimiliter electi fecerant, Papa super hoc nullatenus requisito. Ad generale concilium appellavit, et appellationem suam in locis publicari fecit; asserens Papam esse haereticum, maxime, ut dicebat, cum ipse videretur niti ad subversionem regulae sancti Francisci et ordinis fratrum Minorum, quae a sanctis suis praedecessoribus fuit antea confirmata, et totis ipsius regulae sanctis professoribus laudabiliter observata; ita ut non nisi dementiae sit et erroris in fide catholica et Christi, velle contra regulam tam sanctam vel regulae professores aliquid attentare, maxime cum in ipsa praecipiatur observanda perfectio totius spiritualis vitae, hujusque regulae professores vitam observant paupertatis evangelicae, quam Christus tenuit et tenendam apostolus et apostolicis viris, quales sunt hujus professores regulae, praecepit et docuit.

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Le terme de Bavarus

employe par le chroniqueur tend ä faire penser que ce

passage a ete ecrit apres le nouveau proces du pape en 1327 contre le due de Baviere qui s'etait termine le 23 octobre par un jugement declarant Louis heretique, dechu de tous ses droits, n'ayant plus desormais d'autre n o m que celui de

Bavarus.

La progression de son recit va cependant permettre ensuite au chroniqueur de se reinserer de maniere ä peu pres exacte dans la Chronologie des evenements. Dejä en 1319, son evocation de la lutte reste tres imprecise mais n'anticipe plus aussi grossierement sur la suite des evenements 8 ; arrive ä la date de 1323 (en fait 1322), il peut rendre compte ä nouveau de la bataille de Mühldorf dans laquelle Jean de Boheme, a un moment oil l'alliance des deux maisons de France et de Luxembourg vient d'etre solennellement renouvelee et renforcee, a j o u e un röle central; il precise en m e m e temps que Frederic est rest6 prisonnier pendant deux ans et sept mois tandis que son frere Leopold continuait la guerre 9 . Apres avoir encore rappele ä la date de 1324 la continuation de la lutte entre Louis et les autres freres de Frederic le Beau, il raconte en 1326 (il s'agit en fait du 13 mars et du 1 er septembre 1325) l'accord qui a ete

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Guillaume de Nangis, ed. par GERAUD (voir η. 1), t. II, p. 22: circa ista tempora, in Alemannia, inter Ludovicum ducem Bavariae et Fredericum ducem Austriae et fratres ejus Leopoldum, Henricum, Odonem et Johannem, occasione electionis inter duos duces in discordia celebratae, orta sunt multa et magna discrimina, terras suas rapinis et incendiis mutuo desolantes; quae mortifera pestis in Alemannia, etpraecipue in terris praedictorum ducum, multas fecit viduas desolatas, terrasque desertas, multosque cives exules, et divites dimisit pauperes et inanes. 9 Guillaume de Nangis, id. par GERAUD (voir η. 1), t. II, p. 53-54: Causa electionis regis Romanorum inter electores Alemannos in discordia celebratae, post multas terrarum spoliationes, incendia et rapinas, ex consensu electorum ad bellum campestre dies assumitur, dies scilicet ultima septembris. Ex parte ducis Bavariae erat rex Boemiae; dux vero Austriae conduxerat secum maximam multitudinem Sarracenorum et Barbarorum, quos in prima fronte belli posuit, duce eorum fratre suo Henrico. Contra quos ex parte Bavari rex Boemiae primum bellum habuit. Post diuturnum vero conflictum, Sarracenis et Barbaris interfectis, capto Henrico fratre ducis Austriae cum multis aliis, cessit regi Boemiae victoria gloriosa. Sequenti vero die, fuit prima dies octobris, pugnavit Bavarus contra ducem Austriae Fredericum: quo capto in praelio cum multis nobilibus, multisque occisis, Bavarus die ipso gloriosissime triumphavit. Captis autem utrisque, Frederico videlicet Austriae et Henrico fratre suo, Henricus se citius liberavit. Pro redemptione enim sua dedit regi Boemiae undecim millia marchas argenti boni et puri; restituit etiam quamdam terram quam dudum pater dicti Henrici, rex videlicet Albertus, violenter abstulerat regi Boemiae, in qua terra erant sexdecim munitiones, scilicet civitates et castra bona et fortia, exceptis villis campestribus quae in isto numero (non) clauduntur. Hanc terram rex Boemiae recepit, et henricum fratrem ducis liberum abire permisit. Fredericus vero dux Austriae per duos annos et Septem menses apud Bavarum captus continue detinetur; sed non obstante captione ducis Frederici, dux Leopoldus frater ducis, et caeteri fratres ejus a frequentibus bellorum incursibus contra Bavarum nullatenus quieverunt: unde ducis captivitas guerram non abstulit, sed potius aggravavit.

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conclu entre les deux princes et qui met fin a leur conflit10, et, dans la foulee, il rapporte ä nouveau, ä la date exacte de 1326 mais dans un recit bien haut en couleur, l'arrivee ä la cour de l'empereur des deux docteurs parisiens: Vers le meme temps vinrent de l'universite de Paris au due de Baviere Louis qui se nommait publiquement roi des Romains, ä Nuremberg, deux fils du Diable, ä savoir le mattre Jean de Jandun, de nation franfaise, et le maitre Marsile de Padoue, italien de nation; et comme ils avaient ete ä Paris assez fameux dans la science, ils furent aperfus et reconnus par certains membres de I'entourage du due qui les avaient connus ä Paris et, grace a l'entremise de ces derniers, ils furent finalement admis non seulement ä la cour du due mais ils furent meme refus en sa grace. L'on dit que le due les aurait ainsi apostrophes: >pour Dieu, quelle ίάέε avez-vous eu de venir depuis la terre de paix et de gloire jusque cette terre de guerre, remplie de toutes sortes de tribulations et d'angoisses?< Iis repondirent, ä ce que Ton dit: >l'erreur que nous avons aperfue dans l'Eglise de Dieu nous a fait venir en exil jusqu'ici; ne pouvant plus longtemps supporter cela avec bonne conscience, nous avons fui pour vous rejoindre; comme l'empire vous est du de droit, e'est ä vous qu'il revient de corriger les erreurs et de ramener έ Γ etat juste les mauvais faitsil serait inhumain de punir ou de tuer des hommes etant venus chez vous et qui, pour cela, ont abandonne leur propre patrie, une fortune prospere et les honneurs. Pour cette raison bien que n'adherant pas ä leurs opinions, il ordonna de leur porter secours; conformement ä leur rang et conformement a sa propre magnificence, il les combla de dons 10

Guillaume de Nangis, ed. par GERAUD (voir η. 1), t. II, p. 73: Ludovico duce Bavariae in imperatorem, sicut praedictum est se habente, detentoque apud eum in vinculis duce Austriae Frederico, per ducem Leopoldum et fratres ejus, fratres videlicet ducis Austriae, terra Alemanniae multis in modis inquietatur et rapinis hinc inde. Sed Dominus, qui immutat corda hominum sicut vult, cum in eo sint non solum regnorum sed etiam regum omnium jura etpotestates, cor praedicti Ludovici erga praedictum Fredericum ducem Austriae, ejus antea inimicum licet cognatum germanum, taliter ad misericordiam inclinavit, ut ei omnem offensam remitieret, et eum a carcere et vinculis, cum pluribus nobilibus qui cum ipso captivi detinebantur, sine prece vel pretio liberatum et immunem ad propria transmiserit: facto tamen sibi prius juramento supra corpus christi, de quo uterque, hostia divisa in duas, in eadem missa communicavit, de servanda sibi in posterum fldelitate; quam et dux Austriae fecit, et sic liber cum suis ad propria remeavit.

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et d'honneurs. Cela n'ichappa eependant pas au pape Jean et, par consequent, de nombreux proces ayant iti faits ä ce sujet contre ceux-ci, conformement aux voies du droit, il fulmina une sentence d'excommunication contre eux et le Bavarois et, l'envoyant ä Paris il la fit publier et proclamer ainsi que dans les autres lieux solennelsAdulphe, par la grace de Dieu roy des Romains, touz diz accroissanz, a tres grant prince, seigneur Philippon roy de France. Comme par vous les possessions, les droitures, les jurisdictions et les traitiez des terrcs de nostre empire, par empeeschement noient convenable, sont detenuz par moult de temps et folement sont fortraites, si comme il apert clerement en divers lieux, nous signifions ά vous, par ces presentes lettres, que nous ordenerons ä aler contre vous avec toute nostre puissance en persuivement de si grant injure nous ne nous poons souffrir. Donne a Maubeuge la seconde kaiende de novembre, I'an de l'Incamacion MCClIir et Xllll·. Quant le roy de France ot receues ses lettres, si manda son conseil par grant deliberacion, et leur bailla la responce de leurs lettres. Tantost les chevaliers se department de court et 34

Publiee par le baron Joseph KERVYN DE LETTENHOVE, Istore et chroniques de Flandres,

21., Bruxelles 1880 (tout ce qui n'est pas »autre relation«).

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vindrent ä leur seigneur et Ii baillierent la lettre de response. II brisa le seel de la lettre qui moult estoit grande; et quant eile fu ouverte, il η 'i trouva riens escript, fors: »Troup alemant«. Et ceste response fu donnee par le conte Robert d'Artois, avec le grant conseil du ray35. Contrairement a ce que l'eradition ancienne a considere, ce passage n'est pas dü ä l'auteur des »Grandes Chroniques« mais il s'agit d'un emprunt ä la »Chronique de Flandre«. L'auteur des »Grandes Chroniques« a nianmoins consciencieusement compile ses sources car il va chercher dans la chronique de Guillaume de Nangis le passage qui complete parfaitement ce recit en lui permettant de construire un recit vraisemblable meme s'il est tres errone: Si avint que le roy d'Angleterre, qui guerre avoit au roy de France, envoia par devant ledit Adulphe roy des Romains, en Ii requerant que par une somme de deniers il se vousist aler avec Ii contre le roy de France; lequel Adulphe Ii ottroia, car il avoit bien en memoire la response des lettres qu 'il avoit envoiees au roy de France, comme dessus est devisie. Si envoia deffler le roy de France de par Ii, mais quant il cuida assembler grant quantite de gens d'armes pour acomplir ce que promist avoit, pluseurs Ii faillirent, qu 'il ne vouloient pas estre avec le roy d'Angleterre. Si ne pot patfaire ce qu 'il avoit empris en son entencion36, avant de revenir au recit de la »Chronique de Flandre«: mais apres une piece de temps se fist la pais entre le roy de France et ledit Adulphe, par ceste moniere que ledit Adulphe auroit a femme la seur au roy de France, et par tant fu la pais confermie, ce qui doit corresponds dans la »Chronique de Flandre« au passage suivant: Apres fu faite la paix et fu mise journee des deux roys ä estre ä Valcoulour. La fu ordenes Ii mariages du roy d'Alemaigne et de la suer du roy de France, et par tant fut la paix confermie, et si tost qu'il l'ot prinse a femme, il mena sa femme avoec lui, mais repose evidemment sur une confusion entre Adolphe de Nassau et Albert d'Autriche. L'insertion de cette anecdote dans la »Chronique de Flandre« et, ä partir d'elle, dans les »Grandes Chroniques de France« selon la »version Richard Lescot« garde quelques mysteres. L'erudition a remarque depuis longtemps que ce recit avait un precedent bien anterieur. Gautier Map rapporte en effet dans ses Nugae curialium une anecdote identique ä propos du roi Louis VII: Rex idem, dum adhuc contenderent cum eo principes sui, fuissetque comes Campanie Teobaldus adversus eum principum princeps, in multis eum vincebat congressibus et maiora merebatur in dies odia. Favebat autem comiti Romanus Imperator et fovebat ad bellum regnique simul principes. Cumque iam videretur Lodovicus in guerra superior, α Romanorum imperatore venerunt ad eum nuncii dicentes: >mandat tibi Romanorum imperator et precipit, sicut de regni tui statu propinqua salute gaudere vis, quatinus infra mensem hunc pacem et 35

Les Grandes Chroniques de France, t. VIII, ed. par Jules VlARD, Paris 1934, p. 158-160. C'est une traduction du passage de la Chronique de Guillaume de Nangis, ed. par Geraud (voir η. 1), t. I, p. 287-288: Romanorum rex Adulfus, regi Angliae Eduardo pecunia contra regem Franciae confoederatus, circa Epiphaniam Domini fecit diffidare ex parte sua regem Franciae Philippum; sed deficientibus sibi auxiliariis, quod conceperat nequivit perficere. 36

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fedus ineas cum comite Teobaldo penitus ad eius voluntatem et honorem; sin autem, Parisius ante mensem elapsum obsidione cinget et te interius, si temerario presumpseris ausu prestolark. Respondit eis rex: >Tpwrut AlemanSi vos reverteremini, statim diceretur ubique quod ruptus esset tractatus pacis, quod non expediret.< Sed magis videretur expediens, ut dixit, quod, nobis aliis hic remanentibus, dominus Hugo de Nevill reverteretur ad dominum nostrum regem, et dominus Simon de Buyssy ad dominum suum de Ffrancia. Zit. nach FROISSART, (Euvres (wie Anm. 25), Bd. 18, Nr. 57, S. 253f., vgl. auch S. 231 f., 256. 49

Siehe hierzu Bernard DU ROSIER, Ambaxiator brevilogus (1436), in: Vladimir E. HRABAR (Hg.), De legatis et legationibus tractatus varii, Dorpat 1905, S. 3-28, hier Kap. 21 (»De benivolo captando regressu«), und Donald E. QUELLER, The Office of Ambassador, Princeton 1967, S. 2 0 2 . 50 Paolo Montefiore war am 18. November 1336 aus York aufgebrochen und kehrte am 2. Juli des folgenden Jahres wieder nach England zurück. Siehe PRO, Ε 101/311/25 (Abrechnung) und PRO, C 70/14 (Kopie seines Empfehlungsschreibens an Benedikt XII. und ausgewählte Kardinäle). Zum Aufenthalt Montefiores an der Kurie siehe DEPREZ, Preliminaires (wie Anm. 8), S. 138f. 51 Es ist mir nicht gelungen, einen Kämmerer dieses Namens zu identifizieren. Jülicher Erzkämmerer war seit 1331 Gerhard von dem Bongart (de Pomerio) (Hans GOLDSCHMIDT, Das Erzkämmereramt im Herzogtum Jülich, 1331-1796, in: Aus Politik und Geschichte. Gedächtnisschrift für Georg von Below, Berlin 1928, S. 112-127, hier S. 113-116, mit Dok. 1). Es dürfte wohl Arnold von dem Bongart, 1337-1339 Truchseß oder Drost ( d a p i f e r terre Juliacensis bzw. marchyonatus Juliacensis), gemeint sein. Vgl. Wilhelm JANSSEN, Landesherrliche Verwaltung und landständische Vertretung in den niederrheinischen Territorien 1250-1350, in: Annalen des Historischen Vereins fur den Niederrhein 173 (1971), S. 8 5 122, hier S. 95, mit Anm. 40. Für diesen Hinweis danke ich dem Verfasser.

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stourber le conseil, le tretiz, et la parlaunce qe adonqes y esteit entre Lempereur et le Roi de Fraunce, sessaunte et deus florins52. Die Deutschen entsprachen also durchaus der von Benedikt XII. ausgesprochenen Bitte um die Rücksendung nur eines Gesandten53. Doch wird der Heilige Vater kaum damit gerechnet haben, daß Arnolds Bericht darauf abzielen würde, die letzten Aussichten auf eine deutsch-französische Verständigung zunichte zu machen und einer Allianz mit England den Weg zu ebnen. Hypothetisch ließe sich hier der Jülicher Kämmerer oder Truchseß54 als der Ahnherr der Mär von der französischen Sabotage identifizieren. Vergegenwärtigen wir uns, wie sich die Dinge aus der Perspektive des Kaisers darstellen mußten. Mit dem »Scheitern« des Konsistoriums vom 11. April waren die Würfel gefallen: An eine sofortige Absolution zu Ludwigs Bedingungen war vorerst nicht zu denken. Nun mußte er schnell handeln, wollte er beteiligt sein, wenn im Nordwesten des Reiches die Karten neu gemischt wurden. Die englische Krone unternahm ja schon seit dem Herbst des vorigen Jahres intensive diplomatische Anstrengungen in dieser Region55, und Anfang Mai sollte in Valenciennes eine Konferenz stattfinden, auf der ihrem noch immer recht lockeren Verhältnis zu den niederländischen Fürsten die Form eines festen Bündnisses gegeben werden sollte56. Am 2. April, also noch bevor die Dinge an der Kurie zur Entscheidung gelangt waren, hatte Eduard III. Gesandte des Grafen von Geldern, des Herzogs von Brabant und des Grafen von Hennegau-Holland empfangen57, und zwei Wochen später - Wilhelm von Jü-

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PRO, Ε 101/311/25 (teilweise nur noch mit Hilfe von UV-Licht lesbar und wohl deswegen von der älteren Forschung nicht beachtet). Diese Notiz findet sich zwischen mehreren anderen, die sich eindeutig auf in Avignon geleistete Zahlungen beziehen; es ist davon auszugehen, daß es sich in diesem Fall ebenso verhält. Die eingeschobene Bemerkung, Wilhelm von Jülich befinde sich »gegenwärtig« (ore) in England, ermöglicht es, als ungefähren terminus post quem fiir die Niederschrift den 10. Juli 1337 zu benennen: Am 12. Juli hielt sich der Markgraf in London auf und nahm dort Zahlungen entgegen. Vgl. BOCK, Deutsch-englisches Bündnis (wie Anm. 17), Nr. 180a; er wird kurz zuvor den Ärmelkanal überquert haben. 53 SCHWÖBEL, Diplomatischer Kampf (wie Anm. 1), S. 263f., geht davon aus, daß die Deutschen der Bitte des Papstes nicht entsprachen. 54 Nach allem, was wir über das Tätigkeitsprofil niederrheinischer Truchsessen wissen, wäre ein Inhaber dieses Amtes für eine derart wichtige Mission der richtige Mann gewesen: »Wenigstens seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist der dapifer zum eigentlichen Vertreter des Landesherm aufgerückt: er übernimmt die persönlichen Pflichten des Herrn Dritten gegenüber; er führt fur ihn Krieg; er verwaltet und regiert das Land, wenn der Fürst nicht da ist«, so JANSSEN, Landesherrliche Verwaltung (wie Anm. 51), S. 94f. 55 LUCAS, LOW Countries (wie Anm. 8), S. 194-200; TRAUTZ, Könige von England (wie Anm. 8), S. 226-231. 56 DEPREZ, Preliminaries (wie Anm. 8), S. 152f.; STECHELE, England und der Niederrhein (wie Anm. 9), S. 139-151, 443-457; LUCAS, Low Countries (wie Anm. 8), S. 204-209; TRAUTZ, Könige von England (wie Anm. 8), S. 231. 57 BOCK, Deutsch-englisches Bündnis (wie Anm. 17), Nr. 180; vgl. die Notiz über königliche Geschenke in Calendar of the Patent Rolls (wie Anm. 15), S. 416.

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lieh und Ruprecht von der Pfalz saßen derweil untätig an der päpstlichen Tafel - setzte der Bischof von Lincoln an der Spitze einer hochkarätig besetzten Gesandtschaft auf den Kontinent über, um in Valenciennes die Interessen seines Königs zu vertreten58. Die entscheidende Information, die Ludwig dem Bayern noch fehlte und die ihm nun Arnold, der Kämmerer (Truchseß?) des Markgrafen, überbrachte, war die Bestätigung, daß die Aussöhnung mit der Kurie ausgeblieben war und er sich nicht länger an das gebunden fühlen mußte, was seine Diplomaten zuvor in Paris ausgehandelt hatten - daß ihm also Frankreich gegenüber fortan nicht mehr die Hände gebunden waren. Auch Wilhelm von Jülich mußte sich übrigens sputen, wollte er in Valenciennes noch ein Wort mitreden. So nahm er denn wohl auch den direkten Weg von Avignon aus und gelangte innerhalb von drei Wochen dorthin59. Daß er auch gleich wieder Kontakt mit englischen Diplomaten aufnahm, wird nicht verwundern60. Seit dem Sommer 1336 bestand also zwischen den hier erwähnten fünf Protagonisten eine recht eindeutige Interessenkonstellation. Wohl am einfachsten zu durchschauen ist die Politik Frankreichs und der Kurie. Philipp VI. war sich des Ausmaßes der deutsch-englischen Kontakte durchaus bewußt61, ebenso der zu erwartenden Verschlechterung seiner eigenen Lage, sollte es Ludwig gelingen, den Kirchenbann zu lösen und damit volle außenpolitische Handlungsfreiheit zu gewinnen. Sicherlich trifft es zu, daß er Benedikt XII. unter massiven Druck setzte, aber davon, daß dieser sich zum Erfüllungsgehilfen der französischen Politik hätte machen lassen, konnte auch in dieser Situation nicht die Rede sein62. Vielmehr können wir nach allem, was wir von diesem Papst wissen, bei ihm nur ein genuines Interesse vermuten, mit Ludwigs Gesandten zu einer Einigung zu kommen, ohne dabei die Rechte des Heiligen

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Zur Mission des Henry of Burghersh, Bf. von Lincoln, (ca. 18. April bis ca. 17. August 1337) siehe TRAUTZ, Könige von England (wie Anm. 8), S. 231-243. 59 Die Anwesenheit des Markgrafen in Valenciennes am 24. Mai 1337 geht hervor aus RYMER, Foedera (wie Anm. 15), Bd. 2/2, S. 970. Vgl. auch Joseph Baron KERVYN DE LETTENHOVE (Hg.), Istore et Chroniques de Flandres, d'apres les textes de divers manuscrits, Brüssel 1879-1880, Bd. 1, S. 360f., und Chronographia Regum Francorum, hg. von Henri MORANVILLE, Paris 1893 (Societe de l'histoire de France, 80), Bd. 2, S. 32. Wilhelm begab sich also nicht erst zum Hof des Bayern, wie THOMAS, Clemens VI. und Ludwig der Bayer (wie Anm. 3), S. 85, es darstellt - Reise und Berichterstattung übernahm sein Hofbeamter Arnold. 60 Zusammentreffen mit Paolo Montefiore und Geoffrey de Maldon in Valenciennes: Siehe PRO, Ε 372/190, m. 40r: compotus des letztgenannten über seine Mission vom 25. September 1336 bis zum 6. Januar 1338, gedr. in: TRAUTZ, Könige von England (wie Anm. 8), S. 424f.: ibidem morando pro tractatu habende cum eisdem [Bf. von Lincoln, Gf. von Salisbury, Gf. von Huntingdon] et cum comite Hanonie, et etiam expectando adventum marchionis Juliacensis et dicti magistri Pauli pro eodem tractatu. 61 Johannes XXII. hatte ihn bereits im Mai 1335 vor einer solchen Allianz gewarnt: DAUMET (Hg.), Benoit XXII: Lettres closes, patentes et curiales (wie Anm. 19), Nr. 56. 62 Vgl. SCHWÖBEL, Diplomatischer Kampf (wie Anm. 1), S. 236f., 271-276.

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Stuhls preiszugeben oder auch nur einzuschränken. Daher die unübersehbaren Zeichen des guten Willens: Noch vor Beginn der Verhandlungen wurde Pfalzgraf Ruprecht, ein Neffe Ludwigs des Bayern, mit der Goldenen Rose geehrt63, wurden er und Markgraf Wilhelm wiederholt an die päpstliche Tafel gebeten64. In beiden Fällen war es offenbar das erste Mal, daß ein avignonesischer Papst deutschen Gesandten diese Ehre erwies65. Entscheidend ist aber, daß Benedikt das Rekonziliationsverfahren am 11. April nicht einstellte, sondern es - offenbar auf Ersuchen der Deutschen (!) und mit Widerwillen - nur fur einen genau bemessenen Zeitraum, nämlich bis zum 1. Oktober, unterbrach66. Die Ernennung ausgerechnet Wilhelms von Jülich zum Leiter der Doppelgesandtschaft nach Paris und Avignon kann nicht anders denn als Geste der Entschlossenheit gegenüber Philipp VI. und Benedikt XII. gewertet werden, als »Wink mit dem Zaunpfahl« (Heinz Thomas)67. »Dieser Fürst«, so formuliert es Schwöbel, »stellte als Gesandter gewissermaßen in Person eine scharfe Aufforderung an den französischen König und den Papst dar, selbst durch ihr Verhalten den künftigen politischen Weg des Kaisers verantwortlich zu bestimmen«68. Gleich in mehrfacher Hinsicht, dessen wird sich der Kaiser bewußt gewesen sein, mußte der Markgraf unakzeptabel erscheinen. Erstens war er sowohl mit ihm selbst als auch mit dem englischen König verschwägert69 und genoß das besondere Vertrauen beider Herrscher. Zweitens: Schon im 63

Ich gehe - in Opposition zu den bei FELTEN, Kommunikation (wie Anm. 13), S. 58f., formulierten Hypothesen - davon aus, daß Ruprecht (nicht Wilhelm) die Goldene Rose erhielt, weil er als Neffe des Kaisers das höchstrangige Mitglied dieser Gesandtschaft war. 64 SCHÄFER, Ausgaben (wie Anm. 44), S. 58. 65 Zur Verleihung der Goldenen Rose an der avignonesischen Kurie siehe Elisabeth CORNIDES, Rose und Schwert im päpstlichen Zeremoniell. Von den Anfangen bis zum Pontifikat Gregors XIII., Wien 1967 (Wiener Dissertationen aus dem Gebiet der Geschichte, 9), S. 7 8 84. Die Verleihung an den Pfalzgrafen wird hier erstaunlicherweise nicht erwähnt. Auch in dem einschlägigen Aufsatz von Eugene MÜNTZ, Les roses d'or pontificales, in: Revue de Γ art chretien 44 (1901), S. 1-11, sucht man vergebens nach Hinweisen. Zur Bewirtung der ambaxiatores Bavari an der päpstlichen Tafel siehe WEIß, Versorgung (wie Anm. 30), S. 483f. 66 Siehe die einleitende Passage in dem Brief Benedikts XII. vom 20. Juli 1337, die dem Mgfen. die Ereignisse vom April in Erinnerung rufen sollte: Ad tuam dictique Roperti ducis instantiam, sicut nosti, non absque displicentia nostra cum nobis cepti super reconciliatione predicta negotii interpollatio displiceret et ipsius continuatio grata esset usque adproximas kalendas futuri mensis Octobris pro resumenda prosecutione reconciliationis prefate terminum duximus prorogandum. VLDAL, MOLLAT (Hg.), Benoit XII: Lettres closes, patentes et curiales (wie Anm. 28), Nr. 1424. Auch in dem fast gleichlautenden Brief an den Kaiser (ibid., Nr. 1423, gleiches Datum) ist nur von einer Unterbrechung (interpollatio) die Rede. 67 THOMAS, Deutsche Geschichte (wie Anm. 9), S. 193. 68 SCHWÖBEL, Diplomatischer Kampf (wie Anm. 1), S. 227f. 69 Alle drei hatten Töchter Graf Wilhelms I., »des Guten« von Hennegau-Holland (um 12871337) geehelicht (Ludwig der Bayer: Margarete, 1324; Wilhelm von Jülich: Johanna, 1324; Eduard III.: Philippa, 1328). Siehe Andreas THIELE, Erzählende genealogische Stammtafeln zur europäischen Geschichte, Bd. II, Teilbd. 1: Europäische Kaiser-, Königs- und Fürstenhäuser, 1. Westeuropa, Frankfurt a.M. 1993, Tafel 11.

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Frühjahr 1336, so geht es aus einem Memorandum zu den Ereignissen auf dem Kontinent hervor, das ein englischer Agent für Eduard III. niederschrieb, galt er im Reich als einer der Hauptfeinde (prosecutores principales) des Königs von Frankreich 70 . Wilhelms anfangs recht gutes Verhältnis zu Philipp VI. hatte sich ab dem Sommer 1332 rapide verschlechtert; wie viele andere niederrheinische Herren hatte auch er begonnen, die französische Expansionspolitik in dieser Region als akute Bedrohung zu werten71. Drittens hatte er am 30. Januar 1332 gegenüber dem Papst einen lebenslänglichen Treueid geleistet und sich dabei ausdrücklich gegen Ludwig den Bayern erklärt72, diesen Eid aber vier Jahre später gebrochen, als er auf Seiten des Kaisers in den Konflikt um Kärnten eingriff. Schließlich - viertens - hatte er sich noch im August 1336 zum Reichsfürsten machen lassen; Ludwig hatte sich damit aus Sicht der Kurie Königsrechte angemaßt, die ihm als Gebannten nicht zustanden 73 . Wilhelm von Jülich war es denn auch, der seinen Spielraum als Gesandter ausschöpfte, um die Dinge vollends der Entscheidung zuzutreiben. Wir haben gesehen, wie er in Avignon mitnichten auf eine Versöhnung hinarbeitete und zuletzt sogar das Abkommen hintertrieb, das er selbst vier Monate zuvor im Louvre geschlossen hatte. Insofern erscheint es auch fraglich, ob Ludwig der Bayer wirklich hoffen konnte, mit eben dieser Mission zum Ziel zu kommen 74 . War die sofortige Aussöhnung nicht doch nur eine Option (und zwar die weitaus unwahrscheinlichere), und war Ludwig vielleicht schon entschlossen, mit England zusammen gegen Frankreich vorzugehen? Inszenierte er also nur noch eine diplomatische Farce? Eduard III. von England und seine Berater schließlich waren zur Jahreswende 1336/1337 nicht willens, den Dingen ihren Lauf zu lassen, was die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Ludwig dem Bayern, Philipp VI. und Benedikt XII. anging, und auf einen den englischen Interessen förderlichen Ausgang zu hoffen. Vielmehr unternahmen sie fieberhafte diplomatische Bemühungen, um die Bildung der antifranzösischen Koalition zu beschleunigen sowie deren Basis zu verbreitern: Nun sollte auch der Kaiser so schnell wie möglich für diese Sache gewonnen werden. Was lag näher, als für diese Zwecke Avignon zu nutzen Sitz des Papsttums und Drehscheibe der abendländischen Diplomatie? 70

Gedr. in: FROISSART, (Euvres (wie Anm. 25), Bd. 18, Dok. 16, S. 3 9 ^ 1 , hier S. 41. Der Text wird hier falschlich auf den 19. Juni 1337 datiert; zum korrekten Datum siehe Charles DE LA RONCIERE, Histoire de la marine frangaise, Paris 1899-1932, Bd. 1, S. 392, Anm. 4. 71 Werner-Dieter KLUCKE, Die Außenbeziehungen der Grafen von Jülich aus dem Hause Heimbach (1207-1361), Diss. Bonn 1994, S. 267-275. 72 Gedr. in: Konrad EUBEL, Der vom Grafen von Jülich am 30. Januar 1332 dem Papste Johann XXII. geleistete Treueid, in: Historisches Jahrbuch 19 (1898), S. 4 6 7 ^ 7 0 , hier S. 469f.; Regest: Heinrich V. SAUERLAND (Hg.), Urkunden und Regesten zur Geschichte der Rheinlande aus dem Vatikanischen Archiv, Bonn 1902-1913, Bd. 2, Nr. 2090. 73 KLUCKE, Außenbeziehungen (wie Anm. 71), S. 283. 74 SCHWÖBEL, Diplomatischer Kampf (wie Anm. 1), S. 220.

GERALD SCHWEDLER

DEUTSCH-FRANZÖSISCHE HERRSCHERTREFFEN I M 14. J A H R H U N D E R T Dynastische und staatliche Beziehungen im Wandel 1

Si ne vouloitpas le Roy [Charles V.] que, en son roiaume, le [Charles IV.] feist ainsi afin que il η 'y peust etre note aucun signe de domination2.

Zu den außerordentlichen Formen der Beziehungen zweier politischer Gemeinwesen des Mittelalters, wie zwischen regnum und imperium, zählt die Begegnung ihrer Oberhäupter, also das zumeist feierlich gestaltete Gegenübertreten der jeweiligen Herrscher3. Derartige Begegnungen erforderten ein Vielfaches an Aufwand, verglichen mit dem Austausch von Briefen, Boten oder Gesandtschaften, um grenzübergreifende Angelegenheiten zu regeln. Herrschertreffen nahmen nicht nur die Funktion des diplomatischen Austausche auf höchster Herrschaftsebene ein, sondern stellten auch die Möglichkeit dar, das abstrakte Verhältnis zweier Länder einer politischen Öffentlichkeit durch konkret wahrnehmbare Handlungen und Gesten vor Augen zu führen. Die Betrachtung dieser zeremoniellen Handlungskomplexe läßt Einsichten in politische Vorstellungen und Verhältnisse zu, die bei der alleinigen Sicht auf die militärischen, ökonomischen oder dynastischen Beziehungen nicht in derselben Weise gemacht werden können4.

1

Dieser Aufsatz wurde im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Sonderforschungsbereichs 619 Ritualdynamik erstellt. 2 Les Grandes Chroniques de France. Chronique des regnes de Jean II et de Charles V, Bd. 2, hg. von Roland DELACHENAL, Paris 1916, S. 211. 3 Für das frühe und hohe Mittelalter grundlegend: Ingrid VOSS, Herrschertreffen im frühen und hohen Mittelalter. Untersuchungen zu den ostfränkischen und westfränkischen Herrschern im 9. und 10. Jahrhundert sowie der deutschen und französischen Könige vom 11. bis 13. Jahrhundert, Köln, Wien 1987; vgl. auch die weniger tiefschürfende Studie von Werner KOLB, Herrscherbegegnungen im Mittelalter, Bern u.a. 1988 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 3, 359). 4 Die Betrachtung von Herrschertreffen als eigene Handlungsform der Politik ist nicht neu. Vgl. dazu Philippe CONTAMINE, Les rencontres au sommet dans la France du XV® siecle, in: Heinz DUCHHARDT, Gert MELVILLE (Hg.), Im Spannungsfeld von Recht und Ritual. Soziale

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Das deutsch-französische Verhältnis in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts soll unter dem Blickwinkel der Herrschertreffen der Jahre 1377/1378 und 1398 unter Berücksichtigung der weniger bedeutenden Begegnung von 1363 untersucht werden. Hierbei wird der Schwerpunkt auf dem Besuch Kaiser Karls IV. bei seinem Neffen König Karl V. in Paris 1377/1378 liegen, da dies das bestdokumentierte Herrschertreffen des 14. Jahrhunderts in Europa darstellt. So besitzen wir schon über einzelne Begebenheiten (wie über den Einzug, das Festessen oder die Messe am Epiphaniasfest) umfangreichere Beschreibungen als beispielsweise fur den Gesamtablauf des Treffens 1363. Gerade deshalb erfuhr die Parisreise in der Forschung vielfache Behandlung unter politikgeschichtlichen, historiographischen bzw. kunsthistorischen Fragestellungen 5 . Die vorliegende Untersuchung widmet sich nach der Klärung des begrifflichen und methodischen Instrumentariums den Vorbedingungen des Treffens von 1378 und deren Auswirkung auf die Gestaltung des 25tägigen Frankreichaufenthaltes des Kaisers. Davon ausgehend werden sodann drei Teilaspekte en ditail betrachtet, die besonders hohe symbolische Relevanz haben: das Verbot

Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln, Weimar, Wien 1997 (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit, 7), S. 273-289; Lucien BELY, Les rencontres de princes (XVI e -XVIII e siecles), in: Rainer BABEL, JeanMarie MoEGLIN (Hg.), Identite regionale et conscience nationale en France et en Allemagne du Moyen Äge ä l'epoque moderne, Sigmaringen 1997 (Beihefte der Francia, 39), S. 101110; Petra EHM, »Und begeret ein kunig zu werden«. Beobachtungen zu einem Herrschertreffen. Friedrich III. und Karl der Kühne in Trier 1473, in: Dieter BERG, Martin KITZINGER, Piene MONNET (Hg.), Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), Bochum 2002 (Europa in der Geschichte, 6), S. 195-220. 5 Anne HEDEMANN, The royal image, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1991; Heinrich NEUREITHER, Das Bild Kaiser Karls IV. in der zeitgenössischen französischen Geschichtsschreibung, Phil. Diss. Heidelberg 1964; Marie-Louise HECKMANN, Stellvertreter, Mit- und Ersatzherrscher: Regenten, Generalstatthalter, Kurfürsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, 2 Bde., Warendorf 2002 (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit, 9); Heinz THOMAS, Deutsche Geschichte des Spätmittelalters, Stuttgart 1983; DERS., Ein zeitgenössisches Memorandum zum Staatsbesuch Kaiser Karls IV. in Paris, in: Wolfgang HAUBRICHS, Wolfgang LAUFER, Reinhard SCHNEIDER (Hg.), Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Geburtstag, Saarbrücken 1995 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 24), S. 99-119; Franpoise AUTRAND, Charles V: le sage, Paris 1994, S. 751-779; Roland DELACHENAL, Histoire de Charles V, 5 Bde., Paris 1909-1931, Bd. 5, S. 360-365. Zuletzt mit einer umfangreichen Interpretation der Symbolik: Martin KINTZINGER, Der weiße Reiter. Formen internationaler Politik im Spätmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 37 (2003), S. 315-353. Eingehend mit der Parisreise beschäftigt sich auch Frantiäek SMAHEL, Cesta Karla IV. do Francie (1377-1378) [Die Reise Karls IV. nach Frankreich (1377-1378)], Prag 2006; vgl. DERS., Studie Ο cesti Karla IV. do Francie 13771378 I. Prolegomena: nove poznatky a otäzky [Eine Studie über die Reise Karls IV. nach Frankreich 1377-1378. I. Prolegomena: Neue Erkenntnisse und Fragen], in: Cesky casopis historicky 101 (2003), S. 781-817.

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des kaiserlichen Weihnachtsdienstes durch den französischen König, also Unterbindung der feierlichen Lesung des Evangeliums durch Karl IV. an Heiligabend; die rituelle Grenzziehung und Raumgestaltung im staatlichen Zeremoniell und Protokoll, wie sie sich vor allem in Prozessionen und Sitzordnungen manifestierte; schließlich das symbolbeladene Festessen am 6. Januar 1378 und die Bedeutung politisch-symbolischer Handlungen während der knapp zweiwöchigen Festlichkeiten in Paris. Anschließend an die Frankreichreise Karls IV. wird das Treffen derselben Monarchen im Jahre 1363 auf seinen rituell-politischen Gehalt untersucht. Ebenso wird das dritte Treffen, die Begegnung von Karl VI. von Frankreich und Wenzel von Luxemburg im Jahre 1398 in Reims, auf den besonderen rituellen Handlungsgehalt befragt. Besonders interessant ist, daß dieses unter ganz anders gelagerten politischen und personellen Voraussetzungen verlief als das Treffen von 1377/1378.

Ritual und Zeremoniell als politische Handlungsform

Die heute »Protokoll« genannte, im vorhinein festgelegte Handlungsabfolge bei Staatsbesuchen wird für mittelalterliche Ereignisse vielfach mit den Begriffen »Ritual« oder »Zeremoniell« umfaßt6. Der Begriff des Rituals ist dem der Zeremonie eng verwandt und kann in vielen Fällen deckungsgleich verwendet werden. Für die Untersuchung und Beschreibung von Herrschertreffen des späten Mittelalters soll festgehalten werden, daß beide Begriffe eine formalisierte Handlungssequenz beschreiben, die einem hohen sinngebenden Anspruch der Beteiligten gerecht werden soll. Die Handlungen, die durch die Begriffe des Rituals und der Zeremonie beschrieben werden, verweisen zunächst auf sich selbst, erhalten ihre Geltung also durch den öffentlichen Vollzug. Sie inszenieren Beziehungen zwischen den Menschen und lassen diese Beziehungen für die Interaktionspartner - zumindest im Ansatz - als kalkulierbar erscheinen7. Doch beziehen sich die öffentlichen symbolhaften Handlungen bei Herrschertreffen nicht nur auf Individuen und höfische Gruppen, sondern 6

Karl URSCHITZ, Protokoll mit Zeremoniell und Etikette, Graz 2 0 0 2 , insbes. S. 1 5 - 1 9 , trennt für die Moderne Protokoll als eher im »offiziellen« gesellschaftlichen U m g a n g von Zeremoniell, das er eher im »feierlichen« U m g a n g sieht. Vgl. auch Jürgen HARTMANN, Staatszeremoniell, Köln 1988.

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Dietrich HARTH, Handlungtheoretische Aspekte der Ritualdynamik, in: DERS., Gerrit J. SCHENK (Hg.), Ritualdynamik. Kulturübergreifende Studien zur Theorie und Geschichte rituellen Handelns, Heidelberg 2 0 0 4 , S. 9 5 - 1 1 7 , insbes. S. 95f.; Bernd THUM, Politik im hohen Mittelalter. Zur Theorie politisch-sozialen Handelns und Verhaltens in prämodernenhistorischen Gesellschaften, in: Hans LENK (Hg.), Handlungstheorien interdisziplinär, Bd. 111,2, München 1984, S. 9 1 4 - 9 6 0 , hier S. 921.

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spiegeln auch die dahinterliegenden gesellschaftlichen Strukturen und territorialen Herrschaftsbereiche wider. Somit verweisen zeremonielle und rituelle Handlungen durch ihre symbolische Sprache eines kulturell bedingten Vokabulars an Gesten und Zeichen auf politische und religiöse Ordnungen. Diese werden durch die besonders vielfältigen darstellerischen Möglichkeiten der zumeist mehrdeutigen Bausteine der Rituale bzw. der Zeremonien repräsentiert. Rituale bzw. Zeremonien besitzen gerade durch ihre vielfältigen Darstellungsformen die Möglichkeit, diese Ordnungen oder, besser gesagt, die jeweiligen Vorstellungen von Ordnung der verschiedenen beteiligten Individuen und Gruppen an der Gestaltung von Ritualen zum Ausdruck zu bringen8. Bei der präziseren Bestimmung der nichtkongruenten Elemente von Ritual und Zeremoniell spielen Kriterien wie Funktionalität, Sakralität, Verbindlichkeit fur die Beteiligten sowie die Frage nach Motivation bzw. Intentionalität eine Rolle. So sieht die folgende Untersuchung bei der großen Übereinstimmung der beiden Begriffe das Ritual eher als bewirkend, die Zeremonie eher als darstellend9. Zeremonie könnte somit tendenziell als das Allgemeinere, Konventionellere und breiter Angelegte gesehen werden, Ritual hingegen als das Engere, Individuellere und deswegen auch Beeinflußbarere. Somit könnte man im Zeremoniell eher eine Hofkultur, ein System - im Ritual entsprechend eher eine Bewegung, ein agens zu erkennen suchen. Für die Beschreibung der historischen Handlungen ist eine genaue Trennung der beiden Begriffe nicht zielfiihrend, benutzten doch auch die Zeitgenossen kein trennscharfes Instrumentarium in den uns überlieferten Texten. Bei der Zuschreibung der Begriffe fur eine bestimmte Handlungsart oder Verlaufsform ist immer zu berücksichtigen, daß diese zunächst aus heutiger, moderner Sicht des Historikers betrachtet wird, aber nicht dem damaligen Verständnis der Zusammengehörigkeit bestimmter Handlungen entsprechen muß. Mittelalterliche Quellen verwenden das Wortäquivalent für »Zeremonien« auf Latein, Französisch oder Englisch (eine deutsche Entsprechung ist erst in der Frühneuzeit zu finden) im Sinne feierlicher und symbolischer Handlungsabläufe, die teilweise in der modernen Forschungsliteratur mit dem Begriff »Ritual« 8

Stefan WEINFURTER, Ordnungskonfigurationen im Konflikt. Das Beispiel Kaiser Heinrichs III., in: Jürgen PETERSOHN (Hg.), Mediaevalia Augiensia. Forschungen zur Geschichte des Mittelalters, Stuttgart 2001 (Vorträge und Forschungen, 54), S. 79-100, hier S. 83-92, 99f.; Axel MICHAELS, Zur Dynamik von Ritualkomplexen, Heidelberg 2003 (Forum Ritualdynamik, 3), online unter: http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/4583 (zuletzt am 1. November 2004 aufgerufen); DERS., »Le rituel pour le rituel« oder wie sinnlos sind Rituale?, in: Corinna CADUFF, Joanna PFAFF-CZARNECKA (Hg.), Rituale heute: Theorien - Kontroversen - Entwürfe, Berlin 1999, S. 23-47. 9 Gerrit J. SCHENK, Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich, Köln, Weimar, Wien 2003 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 21), hier insbes. S. 67f.

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beschrieben werden10. Die Polarisierung von »Zeremoniell« als eher im Mittelalter verankert und »Ritual« als eher der Frühneuzeit zugehörig zu betrachten", ist ebensowenig weiterführend, wie dem einem Begriff eine höhere »sakrale« Bedeutung zuzuschreiben als dem anderen12. Auch kann weder »Ritual« noch »Zeremoniell« als Oberbegriff des jeweils anderen verwendet werden, es sei denn, man begründete dies für einen größeren Kontext oder für eine spezifische Fragestellung gesondert, so daß solcher Wortgebrauch nur schwer übertragbar, vor allem aber nicht verallgemeinerungsfahig ist13. In den im folgenden behandelten Herrschertreffen lasse ich beide Begriffe zusammenfließen. Innerhalb der performativen Handlungskomplexe vermengen sich Politik und Zeremoniell sowie ritualisierte Handlung in kaum unterscheidbarer Weise14. Während die Gestaltung der Beziehung dem Bereich der politischen Praxis zugeordnet werden kann, da sie bestimmte Handlungsformen und Performanzmuster anwendet, gehört die Darstellung und öffentliche Ausgestaltung zum Bereich des Zeremoniells, des politischen Rituals, das aufgrund des politischen Hintergrundes nicht zum Selbstzweck durchgeführt wird. Bei derartigen Staatszeremonien im späten Mittelalter, wie Herrschertreffen in Verbindung mit politischen Absichten, tritt die beiden Begriffen gemeinsame Eigenschaft der funktionellen Anwendung stärker hervor, also ihr gezielter Einsatz in bestimmter politischer Absicht. Hier sollten Ritual und Zeremoniell einerseits im Sinne eines Regelsystems das Treffen vor Fehlschlägen etc. schützen, andererseits im Sinne eines Instruments, das politische Aussagen

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Vgl. Gerd ALTHOFF, Art. Zeremoniell, in: Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 5, Berlin 1998, Sp. 1677-1680; Burkhard DOCKER, Ritus und Ritual im öffentlichen Sprachgebrauch der Gegenwart, in: Dietrich HARTH, Gerrit J. SCHENK, Ritualdynamik. Kulturübergreifende Studien zur Theorie und Geschichte rituellen Handelns, Heidel-berg 2004, S. 219-261, hier S. 219; dagegen Philippe Buc, The Dangers of Ritual. Between Early Medieval Texts and Social Scientific Theory, Princeton, Oxford 2001, insbes. S. 164-171. " MiloS VEC, Zeremonialwissenschaft im Fürstenstaat. Schriften zur juristischen und politischen Theorie absolutistischer Herrschaftsrepräsentation, Frankfurt a.M. 1997. 12 Philippe BUC, Dangers of Ritual (wie Anm. 10); vgl. auch DERS., Ritual and interpretation: the early medieval case, in: Early medieval Europe 9 (2000), S. 183-210. Buc kritisiert die funktionale Anwendung moderner Ritualtheorie auf mittelalterliche Strukturen, bei denen eine Trennung in säkulare und sakrale Sphäre nicht sinnvoll scheint. 13 Vgl. auch die schärfere Trennung bei Wemer PARAVICINI in dessen Einleitung zu: Zeremoniell und Raum. 4. Symposium der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Sigmaringen 1997, S. 14; eine ähnliche Trennung nimmt vor: Edward MuiR, Ritual in Early Modem Europe, Cambridge 1997 (New approaches to European history, 11), S. 147f. 14 Vgl. Sally F. MOORE, Barbara MYERHOFF (Hg.), Secular ritual. Forms and Meanings, in: DIES. (Hg.), Secular Ritual, Assen 1977, 3-24; fur das 19. Jahrhundert vgl. Johannes PAULMANN, Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Regime und Erstem Weltkrieg, Paderborn u.a. 2000.

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über vertragliche Regelungen hinaus verdeutlichen und verbindlicher machen sollte, auch vorweg einen Ist-Zustand oder sogar einen Soll-Zustand fixieren.

Das Treffen Kaiser Karls IV. mit König Karl V. von Frankreich in Paris im Jahre 1378 und die interessenpolitische Ausgangslage Vor der Untersuchung der symbolischen Handlungen bei den Begegnungen der beiden Herrscher ist auf die politische Ausgangslage einzugehen. Die Beweggründe für die weite, dem 62jährigen gichtgeplagten Kaiser Karl IV. gehörige Anstrengungen abverlangende Reise von Prag nach Paris waren vielfältig15. Direkte Gespräche zwischen den Herrschern der Häuser Luxemburg und Valois erschienen erfolgversprechender als Verhandlungen über diplomatische Vertreter. Vordringliches Anliegen des Kaisers war es, vom französischen König Zustimmung und Unterstützung zu erhalten, um Papst und Kurie zur Rückkehr aus Avignon nach Rom zu bewegen. Ferner mußten die ungeklärten Verhältnisse zwischen regnum und imperium bezüglich der von Frankreich beanspruchten Rechte im Arelat geregelt werden. Sicherlich kannte der Kaiser den Wunsch des französischen Königs, den Machtbereich auf Kosten des Reiches im Arelat bzw. im Delphinat zu vergrößern16. Ob allerdings Karl IV. bereits bei seiner Anreise die Vergabe der Vikariatrechte als Reichsvikar für das Arelat bzw. das Delphinat an den französischen Thronfolger in Erwägung gezogen hatte, ist fraglich, man wird es eher für unwahrscheinlich halten17. Für die eigene Luxemburger Dynastie erhoffte der Kaiser vor allem eine Einigung über die Erbfolge in Ungarn und Polen. In beiden Königreichen herrschte noch König Ludwig I. von Ungarn in Personalunion. Eine Trennung der beiden Reiche hätte es ermöglicht, zumindest in einem der beiden einen eigenen Sohn als Thronfolger in Polen zu etablieren. Es spricht einiges dafür, daß er hierzu seinen erstgeborenen Wenzel vorgesehen hatte, der als römischer und böhmischer König auf diese Weise einen enormen Herrschaftsbereich erhalten hätte. Dies erklärt auch, warum Karl IV. Wenzel und nicht Sigismund

15 Heinz THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 99-109; vgl. dazu NEUREITHER, Bild ( w i e A n m . 5), S. 112-148. 16 Marie-Louise HECKMANN, Das Reichsvikariat des Dauphins im Arelat von 1378. Vier Diplome zur Westpolitik Kaiser Karls IV. (mit Edition), in: Ellen WIDDER, Maria-Theresia LEUKER, Mark MERSIOWSKY (Hg.), Manipulus florum. Festschrift für Peter Johanek zum 60. Geburtstag, Münster u.a. 2000, S. 63-97. 17 THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 103; dazu auch Stefan Weiß in diesem Sammelband. Vgl. HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 16), S. 92.

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auf die Reise mitnahm18. Karl verfolgte also Angelegenheiten von europäischen Ausmaßen, bei denen er auf das Einverständnis und die Mithilfe Karls V. angewiesen war. Das französische Königshaus erwartete sich ebenfalls eine günstige Regelung seiner dynastischen Erbangelegenheiten. Zum einen erhoffte Karl V. möglichst starke Einflußnahme bei der Nachfolgeregelung für den betagten Verwandten Ludwig I., König von Ungarn und Polen, sowie für Johanna von Anjou, Königin von Sizilien und Gräfin der Provence. Zudem suchte er Unterstützung des Reiches im Konflikt mit England. Letzteres war allerdings nicht eine Angelegenheit, die ein persönliches Treffen der Herrscher erfordert hätte. Nötigenfalls war dies durch Gesandtschaften zu regeln. Karl V. war vor die nicht leichte Aufgabe gestellt, den Besuch seines Onkels, des römischen Kaisers Karl IV., in Paris möglichst angemessen zu gestalten, um sich dessen Wohlwollen zu versichern. Doch konnte und wollte er aus verschiedenen Gründen nicht zulassen, daß sich sein Onkel in Paris als Kaiser darstellte, denn damit wäre es um die Frage gegangen, wer die höchste Instanz in Frankreich sei, der König oder der Kaiser. Somit hätte Kaiser Karl IV. die mit dem Kaisertitel verbundenen Rechte in Frankreich beanspruchen können. Möglicherweise hätte er auch zu einer Anlaufstelle bei der Formierung einer Opposition in Frankreich werden können. Mit dem Titel des imperator romanorum war laut römischem Recht der Anspruch auf das Imperium verbunden, also der Anspruch auf universelle Herrschaft. Somit hätten auch die auf den princeps gemünzten Regelungen des antiken römischen Rechts ihre Geltung erhalten19. Zu diesen Rechtsvorstellungen gehörten Rechte des Kaisers wie die lex animata, also die gesetzgebende Instanz oder die beanspruchte Berechtigung, ein bellum justum als solches zu bestimmen20. Somit wären dem Kaiser die Hoheitsrechte innerhalb jedes Territoriums zugekommen, in dem das römische Recht Anwendung fand. Allerdings wäre dies für den französischen König nicht akzeptabel gewesen21. Freilich hatte der römisch-deutsche Kaiser schon 18

Ich danke Herrn PD Dr. Stefan Weiß für die freundliche Bereitstellung des Manuskriptes: Onkel und Neffe. Die Beziehungen zwischen den Häusern Luxemburg und Valois unter Kaiser Karl IV. und König Karl V. und der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas. Eine Studie über mittelalterliche Außenpolitik (Teil 1 in diesem Band). So stellt Weiß fest, daß fur Wenzel als römischem König die polnische oder ungarische Krone nicht in Frage käme, da er bereits seit 1376 römischer König war. " Peter RIESENBERG, Inalienability of sovereignty in medieval political thought, New York 1956, S. 84f.; Gains POST, Two Notes on Nationalism in the Middle Ages, in: Traditio 9 (1953), S. 281-320, hier insbes. S. 304-310, 320. 20 Helmut QUARITSCH, Souveränität, Berlin 1986 (Schriften zur Verfassungsgeschichte, 38). 21 Vgl. Jürgen ΜΊΕΤΗΚΕ, Wirkungen politischer Theorie auf die Praxis der Politik im Römischen Reich des 14. Jahrhunderts. Gelehrte Politikberatung am Hofe Ludwigs des Bayern, in: Joseph CANNING, Otto Gerhard OEXLE (Hg.), Political Thought and the Realities of Power in the Middle Ages. Politisches Denken und die Wirklichkeit der Macht im Mittelalter, Göttingen 1998 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 147),

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längst nicht mehr die Macht, seine Ansprüche militärisch durchzusetzen, sie also de facto auszuüben22. In Frankreich stellte sich die königliche Macht als ein nach oben geschlossenes System dar, in dem der Kaiser in der Hierarchie nicht über, sondern maximal neben dem König stehen konnte23. So gehörte zur königlichen Macht neben der exklusiv ausgeübten Gerichtsbarkeit, dem absoluten Anspruch im Bereich der Rechtsfindung und -Schöpfung, sowie der Einflußnahme im Bereich der Spiritualien auch die theoretische wie praktische Unanfechtbarkeit durch einen (noch) Höherstehenden als den Kaiser. Daher ergab sich für das französische Königtum die Notwendigkeit, auf der unbegrenzten Superiorität, der Souveränität des Herrschers, zu beharren. Mittel der Verbreitung der Souveränität des Königs waren nicht nur im Sinne des Königshauses entstandene gelehrte, propagandistische und gegebenenfalls auch polemische Schriften24, sondern gerade auch die symbolische Darstellung der Herrschergröße in der Öffentlichkeit. Diese politischen Gegebenheiten wirkten sich nicht nur auf die Verhandlungen zwischen dem Kaiser und dem König aus, sondern bestimmten, wie noch gezeigt werden soll, das gesamte öffentliche Auftreten während des zweiwöchigen Aufenthaltes des Kaisers in Paris. Da im weiteren bei der Untersuchung des Treffens von 1377/1378 auf drei Aspekte der Begegnungen in besonderer Weise eingegangen wird - auf den kaiserlichen Weihnachtsdienst, also die bewaffnete Lesung des Evangeliums durch Karl IV., die gemeinsame feierliche Prozession bei der entrie in Paris sowie auf das Festessen am Epiphaniastag - soll zum besseren Verständnis zunächst der Gesamtablauf der Ereignisse skizziert werden.

S. 173-210; Eric BOURNAZEL, Robert, Charles et Denis: »Le roi etnpereur de France«, in: Jacques KRYNEN, Albert RlGAUDlERE (Hg.), Droits savants et pratiques franpaises du pouvoir (XIe-XV* siecles), Bordeaux 1992, S. 69-77; Steffen SCHLINKER, Fürstenamt und Rezeption. Reichsfilrstenstand und gelehrte Literatur im späten Mittelalter, Köln, Weimar, Wien 1999 (Forschungen zur Deutschen Rechtsgeschichte, 18), S. 269ff. 22 Walter ULLMANN, Principles of Government and Politics in the Middle Ages, London 1961, S. 206. Vgl. dazu POST, Two Notes (wie Anm. 19), S. 310. 23 Jeannine QUILLET, De Charles V ä Christine de Pizan, Paris 2004, S. 28f. 24 Zur Propaganda Karls VI.: Nicole GREVY-PONS, Propagande et sentiment national pendant le regne de Charles VI: l'exemple de Jean de Montreuil, in: Francia 8 (1980), S. 127— 146.

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Verlauf der Frankreichreise Kaiser Karls IV. an der Jahreswende 1377/1378

Die Reihe der politisch-zeremoniellen Akte, die für das Treffen von 1377/1378 als relevant gelten können, setzt mit dem Ankündigungsschreiben des Kaisers an seinen Neffen und der feierlichen Übergabe durch den uniformierten Boten im Spätsommer 1377 ein. Diesen Bogen spannt zumindest der Textabschnitt der »Grandes Chroniques de France«, die als Hauptquelle der Parisreise des Kaisers ausführlich in der modernen Edition auf knapp 90 Seiten berichten25. Es handelt sich hierbei um einen Textabschnitt, der bei der Redaktion der dritten Textstufe der »Grandes Chroniques« (etwa 1378/1379) entstand und im unmittelbaren Umfeld des französischen Königs wohl von seinem Kanzler Pierre d'Orgemont verfaßt wurde. Im reich illustrierten persönlichen Exemplar der »Chroniques« von König Karl V. (heute BNF, fr. 2813) werden insgesamt 16 Begebenheiten der Parisreise des Kaisers bebildert dargestellt. In der Handschrift aus der persönlichen Bibliothek Karls V. beginnt die Reihe der Darstellungen mit der Ankunft des Boten26 und endet mit der Überreichung der Urkunden für den Dauphin. Dieses Exemplar Karls wurde gegen Ende des Jahres 1378 oder wenig später fertiggestellt27 und lag dem circa 1455-1460 in Tours entstandenen Zyklus von Jean Fouquet mit acht Bildern zur Parisreise des Kaisers zugrunde28. Im Gegensatz dazu gibt ein Textfragment, das sogenannte Memorandum, lediglich über die Stunden vom Zeitpunkt des Gegenübertretens der Monarchen bis zum Festessen am dritten Tag des Parisaufenthaltes Auskunft29. Weitere Quellen zum Komplex der Parisreise sind die Metzer Annalen des Jean Dex sowie die Biographie Karls V.

25 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 193-277; Anne HEDEMAN, Valois Legitimacy. Editorial Changes in Charles V . ' s Grandes Chroniques de France, in: Art Bulletin 66 (1984), S. 97-114; Bernard GUENEE, Histoire d ' u n succes. Les Grandes Chroniques de France, in: Pierre NORA (Hg.), Les lieux de memoire, Bd. 2: La nation, Paris 1986, S. 189— 214. Der handgeschriebene Brief Karls IV. ist nicht überliefert. Vgl. Johann Friedrich BÖHMER (Hg.), Regesta imperii, Bd. 8, Innsbruck 1887 (im folgenden RI 8). 26 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 193-227. 27 Vgl. dazu die Bebilderung in: Les Grandes Chroniques de France. Chroniques des regnes de Jean II et de Charles V, Bd. 4: Miniatures, hg. von Roland DELACHENAL, Paris 1920 (Societe de l'histoire de France, 392) bzw. bei NEUREITHER, Bild (wie Anm. 5), Anhang I. 28 Jean FOUQUET, Die Bilder der Grandes Chroniques de France. Mit 51 Miniaturen, Graz 1987. Ausführlich dazu zuletzt KLNTZINGER, Der weiße Reiter (wie Anm. 5), S. 340f., sowie Franpoise AUTRAND (Hg.), Jean Fouquet - Peintre et enlumineur du X V siecle, Paris 2003, S. 219-248. 29 THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 116-119. Zum Verhältnis, zu Übereinstimmungen und Unstimmigkeiten mit den »Grandes Chroniques« ibid., S. 103-113.

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von Christine de Pisan, welche jedoch auf dem Bericht der »Grandes Chroniques« basiert30. Der französische König ließ die notwendigen Vorbereitungen fur den Besuch seines Onkels treffen: Die Städte entlang des Wegs, den der Kaiser erwartungsgemäß zurücklegen würde (Compiegne, Senlis und Louvres), wurden mit Nahrungsmitteln ausgestattet, die Amtsträger wurden auf korrektes Verhalten hingewiesen, in der Stadt Paris traf man Vorkehrungen für den Einzug31. Doch bereits der geplante feierliche Empfang durch französische Adlige und hohe Beamte an der Grenze des regnum in der Stadt Mouzon an der Maas entfiel, da der Kaiser mit mehrwöchiger Verspätung eine andere Route über Cambrai nahm. Die französischen Gesandten waren nun nach Cambrai geeilt, wo sie - noch auf Reichsgebiet - den Kaiser am 22. Dezember 1377 eine Meile vor der Stadt begrüßten. Neben Vertretern des Hochadels und hohen französischen Hofbeamten standen 300 Reiter zum Empfang bereit32. Ab diesem Zeitpunkt begleiteten die beiden Adligen Jean Graf von Sarrebrück, Sire de Commercy, und Enguerrand VII., Sire de Coucy 33 , den Kaiser als persönliche Leibwächter und wichen bis zur Verabschiedung des Kaisers am 19. Januar 1378 nicht von dessen Seite. In Cambrai wurde Karl IV. durch die Gesandtschaft des französischen Königs mitgeteilt, daß er keinesfalls während der Weihnachtsmesse mit erhobenem Schwert in Quatre-Vaux den sogenannten Weihnachtsdienst vollziehen dürfe. Dies könne er hingegen in Cambrai ausführen, da dieser Ort noch im Territorium des Reiches liege. Auf diese besonders bedeutende Handlung ist weiter unten einzugehen34. So feierte Karl IV. in Cambrai mit dem dortigen Bischof den Weihnachtsgottesdienst und zog über die Etappen Compiegne, Senlis und Louvres nach Saint-Denis, wo er am 3. Januar 1378 eintraf 35 . Je näher er an Paris kam, um so ranghöhere Adlige gaben ihm Geleit, zuletzt ab Senlis die Brüder des Königs, die Herzöge von Berry und Burgund. Nach einer Messe in Saint-Denis und der Verehrung der Reliquien sowie dem Besuch der Grabstätten der verstorbenen französischen Könige - also einem Aufsu30

Christine DE PISAN, Le livre des fais et bonnes meurs du sage roy Charles V, hg. von Suzanne SOLENTE, 2 Bde., Paris 1936, 1940; Jaique DEX, Die Metzer Chronik über die Kaiser und Könige, hg. von G. WOLFRAM, Metz 1906 (Quellen zur Lothringischen Geschichte, 4). 31 Am 12. September 1377 wies Karl V. seinem maitre de chambre die Summe von 7 200 Goldfranken an. Dazu Leopold DELISLE, Mandements et actes divers de Charles V 1364— 1380, Paris 1874. 32 Ingrid VOSS, Herrschertreffen (wie Anm. 3) hat bei verschiedenen Ereignissen die Zahl von 300 Reitern als Kaisergeleit festgestellt (Otto III., Friedrich Barbarossa). Eine Regel oder ein Anspruch konnte jedoch nicht abgeleitet werden. 33 Vgl. dazu Margund STUPPÄCK, Enguerrand VII., Herr von Coucy, ein Feldherr im Dienste Karls VI. von Frankreich, Wien 1972. 34 Vgl. den Abschnitt »Die verbotene Weihnachtsmesse 1377«. 35 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 204; THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 116.

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chen der toten Könige Frankreichs, bevor er den lebenden König treffen würd e - zog Karl IV. am 4. Januar 1378 auf der via regis mit seinem etwa 60 Mann umfassenden deutschen Gefolge sowie mehreren hundert französischen Rittern als Ehrengeleit Richtung Paris. Unterwegs wurde er durch den Bürgermeister und Abordnungen der Pariser Bürger begrüßt. Bevor er jedoch auf den französischen König traf, hatte er den Anweisungen der königlichen Beamten Folge zu leisten und mußte, wie auch sein Sohn Wenzel, statt seines Schimmels ein braunes bzw. schwarzes Reitpferd für den weiteren Weg benutzen. Auf die Symbolik des weißen Pferdes als Zeichen von kaiserlichem Anspruch wird später noch näher eingegangen36. Die Begegnung der beiden Monarchen fand etwa eine Meile vor den Stadtmauern von Paris bei Moulin ä Vent statt. Nach dem dramaturgisch geschickt inszenierten Aufeinanderzureiten, bei dem sich die beiden Herrscher nun von Angesicht zu Angesicht auf den Pferden gegenübersaßen - das »Moment des Augenblicks« folgte die Begrüßungszeremonie, die in den »Grandes Chroniques« detailliert dokumentiert wurde 37 . Gemeinsam ritt man nun nach Paris, wo die Bevölkerung dicht gedrängt die Straßen säumte. Die Gäste wurden im königlichen Palast untergebracht. Zum Abendessen erschien Karl IV. wegen seiner Gichtschmerzen indessen nicht. Wenzel und Karl V. speisten gemeinsam in großer Gesellschaft ohne den Kaiser38. Am 6. Januar 1378 wohnten die Monarchen gemeinsam der Messe zum Epiphaniastag in der Sainte-Chapelle bei. Als Teil der liturgischen Handlung wurde die Gabenbringung der Heiligen Drei Könige szenisch dargestellt: Drei Kammerdiener Karls V. brachten die legendären Geschenke für Christus dar, Gold, Weihrauch und Myrrhe. Sie übergaben die Gefäße zunächst dem französischen König, der sie einzeln in Empfang nahm und sie seinerseits dem zelebrierenden Erzbischof von Reims überreichte, bei dem sie verblieben. Diese kleine Szene war nicht unerheblich, konnte sie doch als liturgisch-symbolisches Gegenstück des roi tres chretien für die Schwertmesse gedeutet werden39. Darauf folgte das ausgiebige Staatsdiner im Großen Saal des Palastes. Auf Sitzordnung, Speisefolge und die pantomimische Darstellung der Eroberung der Stadt Jerusalem durch Gottfried von Bouillon ist noch einzugehen40. Die folgenden zwei Wochen hatten den Charakter eines festlichen rencontre au sommet und boten einen ansprechenden Rahmen für die Arbeitsgespräche. 36

Vgl. den Abschnitt »Kaiserlich-königliche entree«.. KLNTZINGER, Der weiße Reiter (wie Anm. 5), S. 316. Marcel THOMAS, La visite de l'Empereur Charles IV en France d'apres l'exemplaire des »Grandes Chroniques« execute pour le roi Charles V, in: Laurenz STREBL (Hg.), Vorträge. VI. Internationaler Kongreß der Bibliophilen, Wien 29. September-5. Oktober 1969, Wien 1971, S. 87f. 38 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 221. 39 AUTRAND, Charles V (wie Anm. 5), S. 795f.; im einzelnen vgl. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 232-234. 40 Vgl. Abschnitt »Das Staatsdiner und die Vergabe der Vikariatsrechte«. 37

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Eine aufwendige Inszenierung mit mehreren tausend Personen wie an den ersten beiden Tagen wurde nicht mehr wiederholt. Die Repräsentation, die Karl V. als unangefochtenen Herrscher, umgeben von den Großen, seinem Hofstaat und seinen Untertanen zeigen sollte, trat nun in den Hintergrund. Stattdessen wurden dem kaiserlichen Gast und seinem Sohn weitere beeindruckende Facetten französischer Königsherrschaft vor Augen gefuhrt. Am 7. Januar 1378 geleitete Karl V. seinen Onkel auf dem prunkvollen königlichen Schiff die Seine entlang zum Louvre, um ihm die Umbauten, die während seiner Regentschaft entstanden waren, zu zeigen. Beeindruckt ließ sich Karl IV. durch die Gemächer des Louvre fuhren. Anschließend machten Vertreter der Pariser Universität Kaiser Karl ihre Aufwartung in den Räumen des Dauphin. Auf die umfangreichen Lobreden durch den Kanzler der Universität, Jean de la Chaleur41, habe sich Karl IV. auf Latein bedankt. Wenzel hielt sich währenddessen in den Räumen der Königin im Louvre auf. Der französische König traf sich zur gleichen Zeit im Thronsaal des Louvre mit dem Conseil du Roy. Anders als das palais de la cite war der Louvre eine der bedeutendsten Festungsanlagen der Stadt und durch die baulichen Erweiterungen des 14. Jahrhunderts nicht nur militärisches, sondern auch öffentlich sichtbares Wahrzeichen königlicher Herrschaft. Der Louvre gehörte daher in besonderer Weise in das Ensemble königlich-repräsentativer Bauten, die im Rahmen des gezielten Bauprogramms Karls V. in Paris geplant und ausgeführt wurden. Hierzu gehörten genauso der Neubau des Hotel Saint-Pol, das Wald- und Jagdschloß Vincennes sowie die heute nicht mehr erhaltene Jagdresidenz Beaute sur Marne42. Um zu zeigen, welche besondere Bedeutung diese Repräsentationsbauten für das Ansehen des Königs hatten, gestaltete er den Besuchsplan für den Kaiser so geschickt, daß der Gast im Verlauf von zwei Wochen sämtliche Bauprojekte zu Gesicht bekam. Am Freitag, dem 8. Januar 1378, wurde der Kaiser von seinem Neffen reichlich beschenkt: Auf seinen eigenen Wunsch hin erhielt er einen Dorn aus der Krone Christi sowie Reliquien der Heiligen Martin und Dionysius in wertvollen Reliquienkästchen43. Darauf wurde in der aula magna, dem großen Ver41

Chartularium Universitatis Parisiensis, hg. von Henri DENIFLE, Emile CHATELAIN, Paris

1897-1899 (ND Paris 1964), Bd. 2, S. 636, Anm. 9; DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie

Anm. 2), S. 245f. AUTRAND, Charles V (wie Anm. 5), S. 751-779. Zur Bautätigkeit in Vincennes vgl. Jean CHAPELOT, Elisabeth LALOU (Hg.), Vincennes et la naissance de l'Etat moderne, Paris 1996; DERS. (Hg.), Vincennes - du manoir capetien ä la residence de Charles V, Dijon 2003 (Dossiers d'archeologie, 289); zu Beautö sur Marne: Vincent VLLLETTE, Nogent au Moyen Age: les decors de la residence royale de Beauti sur Marne, Nogent sur Marne 2003. 43 Eine Darstellung im sog. Reliquientryptichon der Marienkapelle der Burg Karlstein zeigt, wie Karl vom französischen König ein Holzkreuz sowie zwei Dornen entgegennimmt. Diese Wandmalerei nimmt allerdings sehr wahrscheinlich auf die frühere Schenkung von Dornen 42

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sammlungssaal im Louvre, nach einer langen Ansprache Karls V. das Verhältnis Frankreichs zu den Engländern öffentlich besprochen. Sämtliche deutsche Gäste waren dazu geladen. Zwei Stunden lang habe nach dem Bericht der »Grandes Chroniques« Karl V. das französische Verhältnis zu England geschildert. Ausfuhrlich stellte er die Leistung des Lehnseides durch den englischen König am 6. Juni 1329 in Amiens dar, durch den jener immer noch gebunden sei44. Vielfach hätten die Engländer französische Hoheitsrechte mißachtet, wie beispielsweise die Appellationsgerichtsbarkeit. Karl IV. habe die ihm vorgelegten Urkunden untersucht, die Rede des französischen Königs fur sein Gefolge auf Deutsch zusammengefaßt und auf Französisch geantwortet, daß der französische König im Recht sei - er selbst sei damals als junger Mann beim Ablegen des Lehnseides zwischen Eduard III. von England und Philipp IV. von Frankreich anwesend gewesen. Am folgenden Tag (9. Januar 1378) wurde in der formalen Sitzung des Conseil du Roy die bestärkende Haltung des Kaisers der französischen Sache gegenüber verkündet. Statt aber ein Bündnis zu unterzeichnen, erklärte Karl IV. seinen Willen, jederzeit für die Güter, die Ehre und das Königreich seines Neffen einzustehen und überreichte dem französischen König ein Dokument, auf dem die Verbündeten Frankreichs aufgezeichnet waren45. Am Sonntag, dem 10. Januar 1378, suchte der Kaiser die königliche Familie im Hötel St-Paul auf. Im Kreise der engeren und weiteren Verwandtschaft des Königs wurde nun nicht die politische, sondern die verwandtschaftliche Nähe der beiden Dynastien dargestellt. Besonders herzlich und mit Tränen in den Augen habe der Kaiser seine Schwägerin Isabella umarmt, die Herzogin von Bourbon, die ebenfalls in hohem Alter stand. Hier zeigte sich die doppelte verwandtschaftliche Beziehung, die die Häuser Valois und Luxemburg miteinander verband. Zum einen war Isabella die Schwester von Bianca von Valois, der ersten Frau Karls IV., und zum anderen war sie die enge Vertraute von Bonne/Guda von Luxemburg gewesen, der Schwester des Kaisers und Mutter des französischen Königs46. Die ausfuhrliche Schilderung der »Grandes Chroniques« weist auf eine oft vernachlässigte Facette des dynastischen Herrschaftsprinzips hin: die emotionalen Bindungen bei politischen Ehen. Der der Krone Christi Bezug, die 1356 erfolgt war. Die wenngleich unsichere kunstgeschichtliche Datierung schließt jedoch ein Entstehen nach der Parisreise Karls IV. 1378, also im Jahr seines Todes aus. Vgl. hierzu Iva ROSARIO, Art and Propaganda. Charles IV of Bohemia, Woodbridge 2000, S. 35, sowie Jan KROFTA, Κ problematice karlstejnskich maleb, in: Umeni 6 (1958), S. 10 (mit falschem Beleg: Karl stellte am 21. Dezember 1357 keine Urkunde aus. Dazu RI 8 [wie Anm. 25], Nr. 2728, 2729). 44 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 252. 45 Dieses Dokument ist nicht überliefert. Aus den »Grandes Chroniques« geht hervor, daß Karl IV. hierbei Heinrich II. von Kastilien, Ferdinand von Portugal sowie Robert II. von Schottland einschloß, die er am Vortag erwähnt hatte. Ibid., S. 256. 46

[...] l'Empereur commenca si fort ä plourer et la dicte duchesse aussi. Ibid., S. 260.

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Tränenausbruch b e i m G e d e n k e n der bereits 3 0 Jahre zuvor verstorbenen B o n n e / G u d a v o n L u x e m b u r g läßt einerseits die Beständigkeit emotionaler F a m i l i e n b e z i e h u n g e n erahnen 4 7 . Andererseits läßt sich die ergreifende S z e n e der hochbetagten Verwandten, die sich v o r aller A u g e n umarmten und Tränen vergossen, auch als b e w u ß t e s y m b o l i s c h e Geste sehen: S i e drückte die e n g e B i n d u n g der D y n a s t i e n V a l o i s und L u x e m b u r g in eindrucksvoller W e i s e aus 4 8 . T a g s darauf reiste m a n mit g r o ß e m G e f o l g e z u m S c h l o ß V i n c e n n e s außerhalb v o n Paris, w o , a b g e l e g e n v o n der Betriebsamkeit der Metropole, intensiv e Gespräche z w i s c h e n den Monarchen stattfanden, während W e n z e l einen Jagdausflug unternahm. Für den Kaiser w a r das Z i m m e r reserviert, in d e m normalerweise der

französische

K ö n i g residierte. N a c h W e n z e l s Rückkehr ins

S c h l o ß k a m es i m Z i m m e r des Kaisers z u e i n e m feierlichen Bündnisversprechen und z u g e g e n s e i t i g e n Beteuerungen des W o h l w o l l e n s . D e r Chronist b e schreibt e i n e n Eid W e n z e l s , bei d e m er seine Hand in die H a n d des

französi-

s c h e n K ö n i g s legte und schwor, »bei s e i n e m Glauben« b z w . »bei seiner Treue« den

französischen

K ö n i g vor allen anderen Fürsten der W e l t z u lieben

und ihm z u dienen. D i e s e Schilderung w e i s t z w e i unverzichtbare E l e m e n t e einer B e l e h n u n g auf: H a n d g a n g ( h o m a g i u m ) s o w i e die Leistung des Treueides, w o r a u f später n o c h zurück z u k o m m e n sein wird 4 9 .

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Karl-Heinz SPIESS, Familie und Verwandtschaft im Deutschen Hochadel des Spätmittelalters, Stuttgart 1992; Regine LE JAN, Familie et pouvoir dans le monde Franc, Paris 1995; Georges DUBY, Die Frau ohne Stimme. Liebe und Ehe im Mittelalter, Berlin 1989. 48 Ohne dem Kaiser »falsche Tränen« zu unterstellen, ist zumindest die Überlegung gerechtfertigt, ob Karl IV. in derselben Weise auch am Wittelsbacher Hof in der Pfalz Tränen vergossen hätte. Von dort kam seine zweite Gemahlin Anna von der Pfalz, die wie seine erste Frau Blanche verstorben war, ohne mit einem Nachkommen die Ehe und das Verhältnis der Dynastien nachhaltig zu stärken. Zu Tränen als öffentliche Inszenierung: Gerd ALTHOFF, Der König weint. Rituelle Tränen in öffentlicher Kommunikation, in: Jan-Dirk MÜLLER (Hg.), Auffuhrung und Schrift in Mittelalter und früher Neuzeit, Stuttgart, Weimar 1996 (Germanistische Symposien. Berichtsbände XVII), S. 239-252; DERS., Empörung, Tränen, Zerknirschung. »Emotionen« in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 30 (1996), S. 60-79; siehe auch: Hermann SCHMITZ, Die Verwaltung der Gefühle in Theorie, Macht und Phantasie, in: Claudia BENTHIEN, Anne FLEIG, Ingrid KASTEN (Hg.), Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle, Köln, Weimar, Wien 2000, S. 42-59. 49 Endementres que le Roy estoit avec l'Empereur en sa chambre, le Roy des Rommains vint, et si tost que l'Empereur le vit, il l'apela et le prist par la main et luy fist promectre, par sa foy en la main du Roy, que il l'ameroit et serviroit, tant comme il vivroit, devant tous les princes du monde, et les enfans du Roy aussi. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 264. Der Illustrator des königlichen Exemplars der »Grandes Chroniques«, heute BNF, ms. fr. 2813, fol. 478r, stellt Wenzel kniend vor Karl V. dar. Während ersterer mit der rechten Hand die rechte Hand des Zweitgenannten hält, scheint Kaiser Karl IV. Wenzels linke Hand zu führen. Ob er diese dazu bewegt, ebenfalls die Rechte des frz. Königs zu berühren, oder davon abhält, ist nicht ersichtlich. DELACHENAL (Hg.), Miniatures (wie Anm. 27), S. 38, weist auf die ungeschickte und ungewöhnliche Pose des helfenden/hindernden Kaisers hin.

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Im weiteren Verlauf des Parisaufenthaltes besuchten Karl IV. und sein Sohn Wenzel am 12. Januar 1378 von Vincennes aus den Wallfahrtsort St-Maurdes-Fosses, um dort in der Abtei die Reliquien des heiligen Maurus zu verehren. Von Abt und Klerus wurden sie feierlich empfangen, jedoch hatte der französische König, der nicht zugegen war, darauf Wert gelegt, daß Karl IV. dort nur als Pilger und nicht als Kaiser begrüßt wurde50. Am nächsten Tag wurde Karl IV. in einer Sänfte in das Schlößchen Beaute sur Marne getragen, einer weiteren Jagdresidenz des Königs, wo der Kaiser die verbleibenden Tage bis zu seiner Abreise am 17. Januar 1378 logierte. Dort erfolgten täglich Verhandlungen im engsten Kreise mit Karl V., der in Vincennes residierte. Nach der sehr repräsentativen und öffentlichkeitswirksamen Demonstration von Einigkeit und Verbundenheit in Paris stellte dies nun den wesentlich weniger formellen Teil der politischen Einigung und Konsensfindung dar. Aber auch hier berichten die »Grandes Chroniques« von den beeindruckenden Aufwendungen, die Karl V. unternahm, um bei seinem Onkel Gefallen und gegebenenfalls Bewunderung hervorzurufen: So ließ er ihm durch zwei Boten die französische Königskrone aus Paris bringen, die der Kaiser bis dahin noch nicht zu Gesicht bekommen hatte51. Bureau de la Riviere kündigte ihm reiche Geschenke des Königs an, welche der Kaiser aus Bescheidenheit jedoch abgelehnt habe. So seien die wertvollen Geschenke nicht von Karl V. selbst überbracht worden, sondern von seinen Brüdern, den Herzögen von Berry und Burgund. Der Chronist beschreibt die Übergabe einer großen goldenen Schüssel, zweier goldener Flakons sowie einer Wasserkaraffe und einer Vase aus Gold52. Auf den Flakons waren laut Bericht Reliefszenen dargestellt, in denen der heilige Jakob Karl dem Großen den Weg nach Santiago de Compostela

Zur Interpretation dieser Handlung vgl. den Abschnitt »Das Staatsdiner und die Vergabe der Vikariatsrechte«. 50 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 265-267: Le roy manda et commanda ä I 'abbe que its le receussent ä procession, a I 'entree de leur moustier [Kloster] comme pelerin, et airtsi le firent. 51 Ibid., S. 267. 52 Es besteht jedoch begründeter Zweifel, daß nicht alles, was der Chronist aufzählt, auch tatsächlich übergeben wurde. So weist Karl V. am 18. Januar 1378, also drei Tage nach der angeblichen Überreichung an den Kaiser, die Summe von 2360 Franken an Jehan Brulart. Während er schreibt, er habe die Vase seinem Onkel geschenkt, sei die Wasserkaraffe für ihn selbst bestimmt: Zahlungsanweisung des Königs pour un grant hennap d'or ά couvercle et sus un hault trepii avec une ayguiere d'or, garniz de perrerie, lequel hennap nous avons donne ä nostre tris chier oncle l'empereur de Romme, et la ditte ayguiere nous avons mis par devers nous. DELISLE, Mandements (wie Anm. 31), Nr. 1595, S. 792 (18. Januar 1378). Die Formulierung des Chronisten bei der Beschreibung 1 tres bei grant hanap d'or, assis sur un trepie gami de perrerie et aussi un gobelet et aiguiere d'or, garni aussi de perrerie et examaillie tres noblement läßt vermuten, daß er von dem Auftrag an die Goldschmiede bzw. der Zahlungsanweisung unterrichtet war, möglicherweise seine Kenntnis nutzte, die Großzügigkeit des französischen Königs über Gebühr zu betonen.

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weist53. Der Flakonsockel sowie die Basis der goldenen Schüssel waren wie Jakobsmuscheln geformt. Darüber habe der Herzog Jean von Berry zu Karl IV. bemerkt, daß dies Geschenke für den Kaiser seien, der als Pilger gekommen sei54. Die Symbolik dieser Geschenke verband mehrere unabhängige Elemente. Zum einen spiegelte sich darin die lebhafte Tradition des »ersten Rreuzzugs« Karls des Großen, der über Pseudo-Turpin in die französische Epik eingegangen war und der ausfuhrlich in den »Grandes Chroniques« beschrieben wird. Somit nähme der Verfasser der dritten Textstufe ein Motiv des Beginns der »Chroniques« wieder auf55. Zudem kamen in der Person Karls IV. sowohl Kaisertum als auch Karlsname zusammen, was das Geschenk sehr persönlich und individuell machte. So läßt sich ableiten, daß die Parisreise des Kaisers bereits lange vorher als Pilgerreise geplant und getarnt wurde, sonst wären die Geschenke nicht schon frühzeitig bei Pariser Goldschmieden in Auftrag gegeben worden. Damit bestätigt sich auch, daß die beharrliche Betonung des Chronisten der religiösen und nicht politischen Motivation für die Parisreise nicht dessen Interpretation war. Vielmehr war es aktiv betriebene und bis in Details durchgehaltene französische Deutungspolitik. Inwieweit Karl IV. in seiner frommen Religionsausübung dazu nur den Anlaß bot oder diese Argumentation auch selbst anwandte, um eventuelle Kritik im Reich an seinen Verhandlungen mit dem König der Franzosen zu vermeiden, kann aus heutiger Sicht nicht mehr beurteilt werden. Grund dazu hatte es gegeben, denn nicht fur alle Reichsfürsten war der enge Schulterschluß der Häuser Valois und Luxemburg von Vorteil. Am 15. Januar 1378 besuchte Karl IV. zum Fest des hl. Maurus die Abtei St Maur des Fosses, wo der Bischof von Paris die Messe feierte. Der französische König war nicht zugegen, womit der Eindruck entstehen konnte, daß der Kaiser an jenem Tag allein seiner religiösen Verehrung für den hl. Maurus nachging. Doch nachmittags trafen sich die Monarchen in Beaute sur Marne. Karl IV. bedankte sich offiziell für die Geschenke. Dann zogen sich Onkel und Neffe in die Räume des Kaisers zurück und führten bis spät am Abend Gespräche. Den Abschluß des Parisaufenthaltes markierte eine große Geste der beiden Herrscher. Der französische König suchte Karl IV. am 16. Januar 1378 in seinem Zimmer in Beaute sur Marne auf. Dort habe ihm der Kaiser, so der Chro-

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Zur Legende vom Kreuzzug Karls des Großen vgl. Ursula SWINARSKI, Herrschen mit den Heiligen. Kirchenbesuche, Pilgerfahrten und Heiligenverehrung früh- und hochmittelalterlicher Herrscher (ca. 500-1200), Bern 1993 (Geist und Werk der Zeiten, 78), S. 334. 54 Dazu DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 269. 55 Andre DE MANDACH (Hg.), Der Pseudo-Turpin von Compostela. Aus dem Nachlaß von Adalbert Hämel, München 1965 (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-Hist. Klasse, 1), S. 100.

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nist, zwei Ringe an den Finger gesteckt: einen mit einem Rubin und einen mit einem Diamanten. Im Gegenzug habe Karl V. in derselben Weise dem Kaiser einen Ring mit einem sehr großen Diamanten auf den Finger gestreift. Mit dem wechselseitigen Überreichen von Ringen sollte, wie aus anderen Kontexten bekannt ist, die gegenseitige Treue besiegelt werden. Ähnlich gelobten sich bei der mittelalterlichen Verlobung die Partner mit einem Ringtausch »Vertrauen«. Auch der bischöfliche Ring symbolisiert die abstraktere Bindung des Bischofs an die Diözese56. Auf den rituellen Tausch der Ringgeschenke erfolgte vor dem versammelten Hofstaat eine Umarmung und ein abschließender Kuß. Während der Kaiser nun in einer Sänfte getragen wurde, die ihm der König geschenkt hatte, geleitete ihn der französische König zu Pferd mit großem Gefolge bis zum Schloß Plaisance, wo er sich vom Kaiser verabschiedete. Beide Herrscher konnten angeblich vor Rührung nicht mehr sprechen und hatten Tränen in den Augen. Mit einer einfachen Umarmung trennten sie sich. Der Kaiser wurde von den Herzögen von Berry, Burgund und Bourbon über Laigny-sur-Mame nach Meaux geleitet, wo man übernachtete. Am Morgen des 17. Januarl378 verabschiedeten sich die Brüder des Königs eine Meile hinter der Stadt Meaux. Mit dem Passieren der Grenze zwischen regnum und Imperium bei Chateau Thierry am 19. Januar 1378 und dem Zurückbleiben des französischen Geleits endete das für das zeremonielle Verhältnis von Reich und Frankreich so bedeutende Treffen. Während der Kaiser Richtung Trier weiterreiste, blieb sein Protonotar Nikolaus von Riesenburg noch einige Tage in Paris, holte allerdings schnell den Zug des Kaisers wieder ein57.

Die verbotene Weihnachtsmesse 1377 Wie ernst symbolische Handlungen zuweilen genommen wurden, zeigt eindringlich das Beharren des französischen Königs darauf, daß der kaiserliche Weihnachtsdienst, also das Lesen des Evangeliums, nicht in Frankreich, sondern auf Reichsboden stattzufinden habe. Auf dem Weg nach Paris erreichte Karl IV. am 22. Dezember 1377 die Region von Cambrai. Dort wurde er feierlich von Bischof, Klerus und Bürgern sowie von Gesandten Frankreichs mit 300 Reitern in Empfang genommen. Er 56

DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 268-271; zur Ringsymbolik allgemein: Athanasios FOURLAS, Der Ring in der Antike und im Christentum. Der Ring als Herrschaftssymbol und Würdezeichen, Münster, Regensburg 1971. 57 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 277; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 5), Bd. 1,S. 225-242.

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wollte, wie uns die Quelle mitteilt, nach St-Quentin reisen, um in dieser Stadt des französischen Königs während der Christmesse einen Teil des Weihnachtsevangeliums zu lesen58. Traditionellerweise las bei dieser königlichen, ja kaiserlichen Zeremonie der weltliche Herrscher die siebente Lesung der Weihnachtsmesse aus dem Evangelium nach Lukas, die mit den Worten beginnt Exiit edictum ab Caesare Augusto ut describeretur universis orbis (Lk 2, 1-7). Dabei hielt er mit der rechten Hand ein Schwert empor und demonstrierte dadurch, daß die weltliche Macht der christlichen Ordnung vorausging, die ihren Beginn mit Jesus Christus nahm59. Das Ehrenrecht, zu Weihnachten bei der päpstlichen Messe eine Lesung übernehmen zu dürfen, erschien zum ersten Mal schriftlich in den päpstlichen Zeremonialbüchern, den Ordines XIV und XV60. Dort heißt es, daß, sobald der Kaiser zu Weihnachten am päpstlichen Hofe weilte, er die dritte, fünfte oder sechste Lesung der Nocturn vor der eigentlichen Weihnachtsmesse abhalten durfte. Dabei erhielt er oder ein hoher weltlicher Würdenträger, der dieses Amt übernahm, ein Schwert bzw. eine Rose als Ehrengeschenk61. Doch hatte der Weihnachtsdienst keine kuriale Herkunft. Man kann ihn auf den aktiven Gestaltungswillen von Karl IV. zurückfuhren. Als junger Mann habe Karl, damals noch Wenzel genannt, eine sehr klerikal ausgerichtete Ausbildung bei Pierre Roger von Fecamp in Paris genossen. Bei seiner ersten, gut belegten Zeremonie der Weihnachtsmesse mit dem Schwert in Basel im Jahre 1347 gelang es dem Kenner der Bibel und der Perikopen, der später eher als der kluge Machtpolitiker und taktische Opportunist gelten sollte, die aktuellen politischen Gegebenheiten mit der entsprechenden »politischen Liturgik« zu gestalten. In den folgenden Jahren ließ der Luxemburger keine Gelegenheit aus, dieses »selbsterschaffene« Ritual öffentlich zu vollziehen. Während es allerdings von seiner Anlage her eine antikirchliche Spitze hatte, wurde es von französischer Seite als Affront gegen das eigene Königtum gewertet. Ein Kaiser konnte sich nicht anmaßen, wo immer er auch sei, Anspielungen auf die prominente Nen-

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Et combien que les dites gern du Roy eussent sceu qu 'il avoit entencion de estre a Noel ä saint Quentin, Hzfirent que il demoura a Noel au dit lieu de Cambray, qui est sa ville et cite, et ou quel il povoit faire ses magnificences et estatz imperiaulx et que ou royaume de France η 'eust point souffert le Roy que aucunement en eust use. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 199. 59 Vgl. dazu Hermann HEIMPEL, Königlicher Weihnachtsdienst im späteren Mittelalter, in: Deutsches Archiv 39 (1983), S. 131-206; Joseph JUNGMANN, Missarum Sollemnia, Wien 5 1962, Bd. 1,S. 547, Anm. 9. 60 Bernhard SCHIMMELPFENNIG, Die Zeremonienbücher der römischen Kurie im Mittelalter, Tübingen 1973, S. 256, Z. 19. 61 Elisabeth CORNIDES, Rose und Schwert im päpstlichen Zeremoniell von den Anfängen bis zum Pontifikat Gregors XIII., Wien 1967 (Wiener Dissertationen aus dem Gebiet der Geschichte, 9), S. 55, 128.

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nung des Imperatortitels in der Bibel zu machen. Die Universalgewalt des römischen Kaisertums hatte im frühen und hohen Mittelalter an tatsächlicher Macht verloren, doch im Spätmittelalter wurden auch die ideellen Grundlagen entzogen, so daß es ab dem 12. Jahrhundert möglich war, sich auf den Standpunkt zurückzuziehen, daß eben ein König der Kaiser im eigenen Lande war: Rex est imperator in regno suo. Eben diesen Satz benutzen die französischen Juristen häufig in der Debatte, um Vor- und Ehrenrechte sowie Ansprüche der Krone geltend zu machen und vor allem dafür, die Gesetze aus dem Corpus Iuris Civilis, die von einem Kaiser mit sehr weitreichenden Kompetenzen sprachen, auf den König anzuwenden. Karls Schwertmesse wurde also von den Franzosen als Souveränitätsritual gewertet. Es konnte nicht im Sinne des französischen Königs sein, den Kaiser in St-Quentin die Position eines römischen Augustus einnehmen zu lassen. Doch war das Verbot der Meßfeierlichkeiten in St-Quentin mehr als nur die erfolgreiche Unterbindung eines aufsehenerregenden liturgischen Rituals des Kaisers, das als Inanspruchnahme der kaiserlichen Würde gewertet werden konnte. Es war Ausdruck der französischen Tendenz, sich von den mittelalterlichen Universalgewalten zu emanzipieren und deren zeichenhaften Geltungsanspruch zurückzudrängen. Die dites gens du roy62, die das Ritual der Schwertmesse in St-Quentin verhinderten, waren nicht gewöhnliche Gesandte des Königs, sondern diejenigen, die den gesamten Ablauf der Parisreise geplant hatten und leiteten. Es waren dies die Zeremonialspezialisten Bureau de la Riviere, Pierre de Chevereuse und Jean le Mercier. Bureau de la Riviere hatte als erster königlicher Kammerherr und damit als rechte Hand des Königs {premier Chamberlain du Roy) die Verantwortung für den Ablauf des kaiserlichen Frankreichbesuchs63. Obgleich er hier die bedeutendste Funktion im Bereich der zeremoniellen Ausgestaltung des »Staatsbesuches« innehatte, war er sicherlich nicht der »Zeremonienmeister«. Der Titel findet sich in Frankreich erst ab dem 16. Jahrhundert, und zudem war das Aufgabenfeld de la Rivieres zu weit, um ihn auf die zeremonielle Funktion zu beschränken64. Pierre de Chevereuse war als maistre de l 'Hostel du Roy und königlicher Rat seit dem Regierungsantritt Karls V. einer 62

DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 199. Zu Bureau de la Riviere vgl. Franfoise AUTRAND, Art. Bureau de la Riviere, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7, München 1999, Sp. 881 f.; DIES., Charles VI. La folie du roi, Paris 1986, S. 14; DIES., Naissance d'un grand corps de Γ etat. Les gens du Parlement de Paris, Paris 1981, S. 56, 129; Raymond CAZELLES, Societe politique, noblesse et couronne sous Jean le Bon et Charles V, Genf 1982, S. 424; DELACHENAL, Histoire de Charles V (wie Anm. 5), Bd. 5, S. 360. Nicht zugänglich war mir Marie-Astrid ZANG, Concierges et capitaines du chateau de Vincennes (1258-1418), these Paris 2001. 64 Dagegen legen H E C K M A N N , Stellvertreter (wie Anm. 5 ) , Bd.l, S . 2 2 7 , und A U T R A N D , Bureau de la Riviere (wie Anm. 63), Sp. 882, durch die Bezeichnung »(königlicher) Zeremonienmeister« die Existenz dieses Amtes nahe. 63

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der engsten Vertrauten des Königs65. Er war wie de la Riviere durch seine militärischen Fähigkeiten in das Amt gekommen, nicht aufgrund diplomatischer Erfolge als Gesandter. Die Beteiligung von Jean le Mercier, General tresorier66, als Begleiter und Mitgestalter der Parisreise des Kaisers, legt vor allem nahe, daß es die höchsten Hofbeamten und Vertrauten Karls V. waren, denen die zeremonielle Gestaltung des Besuches aufgetragen wurde. Die Beteiligung der königlichen Herolde an prominenter Stelle kann nicht nachgewiesen werden67. Als Qualifizierung für diese Tätigkeit als »Macher und Gestalter der politischen Zeremonien« schien einerseits die Bedeutung fur die Verwaltung und andererseits die Nähe zur Persönlichkeit des Königs noch auszureichen. Die Aufgaben- und Ämterkonzentration auf eine kleine Beamtengruppe würde nach dem Tod Karls V. zur zeitweisen Regierungsübernahme durch diese Gruppe führen, die später die Marmousets genannt wurden68.

Kaiserlich-königliche entree Am 4. Januar 1378 wurde Karl IV. mit seinem Gefolge von den Gesandten des Königs in Saint-Denis abgeholt und Richtung Paris geleitet. Wegen seiner Gichtschmerzen wurde der Kaiser die erste Hälfte der Strecke in einer Sänfte getragen. Der Kaiser zog auf einer für das französische Königtum äußerst bedeutungsvolle Straße: In Saint-Denis fanden die königlichen Krönungen und Begräbnisse statt, der Weg dorthin war die erste bzw. letzte öffentliche Strekke eines französischen Monarchen69. Die Bevölkerung konnte hier den ge65

»un des personages importants du regne de Charles V«, vgl. dazu DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 194, Anm. 6. 66 Henri MORANVILLE, Etude sur la vie de Jean Le Mercier, Paris 1888, war mir leider nicht zugänglich. 67 Hier sei erwähnt, daß der Autor der »Grandes Chroniques« die Herolde selten nennt, beispielsweise als Gewährsmänner für die Zahl der 800 Festgäste während des Staatsdiners am 6. Januar 1378, DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 238. 68 John B. HENNEMAN, Who were the Marmousets? in: Medieval prosopography 5/1 (1984), S. 1 9 - 6 3 . 69

Seit der ersten Erwähnung im Jahre 1328 entfaltet sich die Tradition des Ersteinzugs in Paris und wird bis ins 16. Jahrhundert immer zeremonieller und umfangreicher. Bernard GUENEE, Fran9oise LEHOUX, Les entries royales franfaises de 1328 Ä 1515, Paris 1968, S. 9. Zum Pariser Prozessionszeremoniell allgemein vgl. Lawrence M. BRYANT, The King and the City in the Parisian Royal Entry Ceremony, Genf 1986; DERS., La ceremonie de l'entree a Paris au moyen äge, in: Annales 41 (1986), S. 513-542; Bernard GuENEE, Liturgie et politique. Les processions speciales ä Paris sous Charles VI, in: Franpoise AUTRAND, Claude GAUVARD, Jean-Marie MOEGLIN (Hg.), Saint-Denis et la royauti. Melanges offerts έ Bernard Guenee, Actes du Colloque international en l'honneur de Bernard Guenee, Paris 1999, S. 2 3 - 4 9 .

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krönten König bei seinem ersten Einzug begrüßen bzw. vom König beim Begräbniszug Abschied nehmen, ihn auf dem Weg zu den in Saint-Denis stattfindenden Taufen, Hochzeiten, Festtagsgottesdiensten etc. sehen70. Es war eine der Bevölkerung bekannte Strecke, die mit besonderen Ereignissen des Königtums (entree solenneile oder entree joyeuse, Begräbnis) verknüpft wurde, die bestimmte zeremonielle Handlungen erforderte und durch ihre Regelmäßigkeit eine gewisse Routine der Beteiligten mit sich brachte: Die Zuschauer wußten, wo der Zug entlang kommen würde, welche Häuser zu schmücken waren, wo die besten Aussichtsplätze waren, und auch die Stadtwache wußte, welche Kreuzungen für anderen Verkehr zu sperren waren71. Der Zug des Kaisers, der sich später mit dem des französischen Königs vereinigte, bewegte sich sozusagen auf zeremoniell bekannten Bahnen. Dennoch war für die Beobachter ersichtlich, daß hier nicht ihr Herrscher einritt, sondern Gäste des Königs: Der Kaiser und sein Sohn wurden von uniformierten französischen Rittern, den officiers du guet, sergens ä cheval sowie den eschevins de la ville begleitet - gänzlich ohne deutsche Leibgarde72. Den Kaiser geleiteten zehn französische Ritter, die von Karl V. dazu abgeordnet waren, sechs königliche Kammerdiener und vier huissiers d'armes, Beamte in Waffen (Bureau de la Riviere, Charles de Poitiers, Guillaume des Bordes, Hutin de Vermelles, Jehan de Berguettes und Jean des Barrez)73. Für Wenzel waren vier Kammerdiener und zwei huissiers d'armes abgestellt. Zudem mußten die deutschen Gäste die von Karl V. gestellten dunklen Pferde benutzen, damit die unangefochtene Stellung des französischen Königs auf einem weißen Pferd sofort ersichtlich wäre74. Allerdings kann von einem 70

Ralph GLESEY, Models of rulership in French royal ceremony, in: Sean WLLENTZ (Hg.), Rites of power. Symbolism, ritual, and politics since the Middle Ages, Philadelphia 1985, S. 41-64. 71 Et de fait furent mis sergens, pour garder aus bouz des rues, qui viennent sur le chemin de la Grant rue, qui gardoient et deffendoient le peuple de passer. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 218. 72 Die »Grandes Chroniques« heben hervor, daß Karl IV. selbst ausdrücklich auf seine Leibgarde verzichtete und sich somit in den Schutz Karls V. begab. [...] il ne vouloit avoir nulz des ses gens pres de lui. Ab der Grenze bei Cambrai begleiteten ihn die Grafen von Coucy, Sarrebrück und Braine. Ibid. 73 Ibid., S. 219, Anm. 1. 74 KINTZINGER, Der weiße Reiter (wie Anm. 5), S. 315-353. Das weiße Pferd spielte allerdings für das französische Zeremoniell nicht die bedeutende Rolle, die der Bericht der »Grandes Chroniques« ihm zumaß. So erwähnen die »Grandes Chroniques« oder andere Berichte von den Einzügen der französischen Könige vor 1378 nicht explizit die Farbe des Pferdes des einreitenden Königs. Die Symbolik wurde jedoch später in verschiedenen Fällen wieder aufgegriffen. So benutzte beispielsweise Karl VII. bei seinem Einzug in Paris ein weißes Pferd: Et estoit le dit roy monte sur un hacquene blance, vestu d'une robe de drap d'or azur et un chapperon de drap noir ouquel avoit un fermail au bout de la comette. Anonymer Bericht, heute in den London Metropolitan Archives (LMA); GUENEE, LEHOUX, Les entrees royales (wie Anm. 69), S. 62-70, hier S. 63.

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allgemeinen Bewußtsein fur ein »Schimmelprivileg« für den Souverän nicht gesprochen werden, denn andere zeitgenössische Quellen übergehen die symbolische Bedeutung eines weißen Pferdes, sprechen häufig gar nicht von dessen Farbe 75 . Lediglich die »Grandes Chroniques« heben singulär den Zusammenhang von weißer Farbe und Oberherrschaft hervor. Noch zwischen Saint-Denis und Chapelle de Saint-Denis wurde der einreitende Karl IV. mit seinem Gefolge und Geleit vom privöt de Paris, dem chevalier du guet (Polizeichef) sowie dem prevdt des marchands der Stadt begrüßt, wie es auch bei der entr0e solennelle geschah76. Diese schlossen sich mit etwa 1 800 bis 2 000 Reitern dem kaiserlichen Zug an. Somit bestand die kaiserliche Prozession bis zum Treffpunkt aus Kaiser Karl IV., seinem Sohn Wenzel, den deutschen und böhmischen Adligen sowie dem französischen Geleit. Der gastgebende König von Frankreich ritt mit seinem Gefolge dem Kaiser bis vor die Stadtmauern von Paris entgegen. In der Nähe von Moulin ä Vent trafen die beiden Züge aufeinander. Dies war das spannungsreiche »Moment des Augenblicks«, also der Zeitpunkt, an dem sich die Könige nun zum ersten Mal von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden. Die dem König vorausgeschrittenen Herolde, Geistlichen und Schwertträger traten zur Seite, damit der König direkt auf den Kaiser zureiten konnte. Auch dieser löste sich von der feierlichen Gefolgschaft und ritt auf den französischen König zu. Sein Sohn Wenzel folgte ihm. Als die Könige bis auf wenige Schritte zusammengekommen waren, hoben sowohl Karl IV. als auch Karl V. ihre Hüte als Zeichen des Grußes - keiner von ihnen trug zu Pferde eine Krone77. Darauf ritten sie weiter aufeinander zu, wobei der französische König gemäß den »Grandes Chroniques« nun als erster das Schweigen gebrochen habe und seinen Onkel mit den Worten begrüßt habe, daß er erfreut sei, daß jener gekommen sei und er ein großes Verlangen habe, ihn zu sehen78. Diese auf den ersten Blick sehr freundlichen Worte erscheinen allerdings als reine Formsache, als protokollarische Begrüßungsformel, berücksichtigt man, daß der französische König dies durch jeden seiner Amtmänner dem anreisenden Gast ausrichten ließ, sobald dieser eine Stadt des Königs betrat. Laut »Grandes Chroniques« hatte der Kaiser also

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HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 229. Vgl. die Kommentare in DELACHENAL, Charles V (wie Anm. 5), Bd. 5, S. 78-82. 77 DERS. (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 217. Die Illustration der »Grandes Chroniques«, die die Könige bei der Begegnung abbildet, stellt alle Monarchen mit Kronen dar, folgt also den ikonographischen Notwendigkeiten, dem Betrachter den Unterschied zwischen Kaiser (Bügelkrone) und König (einfache Krone) zu verdeutlichen, auch wenn der Text explizit von aumuche (Karl V.) und chaperon (Karl IV.) spricht. Ibid. 78 [...] que tres bien feust il venuz et qu 'il avoit grant desir de le voir [...]. Ibid. 76

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die Worte schon mindestens sechs Mal in derselben Form gehört79. Immer noch auffällig formlich erfolgte der anschließende Handschlag zu Pferde, bei dem nun der erste physische Kontakt zustande kam. Der Autor der »Grandes Chroniques« bemerkt explizit, daß es Karl V. gewesen sei, der auf seinen Onkel zugeritten war. Er betont somit die wenigen Schritte, die der König auf den Kaiser zumachte, obwohl dieser Hunderte von Kilometern entgegengekommen war. Die Freundlichkeit, mit der alles geschehen sein soll, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß kein Friedenskuß ausgetauscht wurde. Dieses traditionelle Zeichen der Friedfertigkeit, Nähe und persönlicher Freundschaft 80 , das bei vielen europäischen Herrschertreffen des späteren Mittelalters als maßgebliches Zeichen für die Beziehung zweier Könige gewertet wurde 81 , blieb somit aus. Während die Beschreibung der Szene im Memorandum dieses Detail übergeht, erläutert der Autor der Passage in den »Grandes Chroniques«, daß sich der französische König Mühe gab, »daß er nicht die Beine [des Kaisers] berühre, wo er die Gicht hatte«82. Umständlich sei Karl V. fur den Handschlag um den Kaiser herumgeritten, näher wäre er den Beinen des Kaisers nicht gekommen. Ob der öffentliche Friedenskuß nun tatsächlich wegen der Beinschmerzen des weitgereisten Kaisers unterblieb (bei den Umarmungen mit der königlichen Familie bzw. dem Dauphin stellten sie kein Hindernis dar83) oder ob er aus taktischen Gründen unterbleiben sollte, und die königsfreundliche Darstellung der »Grandes Chroniques« dies im nachhinein zu verschleiern suchte, kann ohne weitere Hinweise nicht entschieden werden. Nach dieser Begrüßungszeremonie vereinten sich die Gefolgschaften und formierten einen gemeinsamen Zug, der aus mehreren hundert Personen bestand. Dieser bewegte sich vom Treffpunkt bei Moulin ä Vent entlang der Grande Rue (der heutigen Rue Saint-Denis) bis zum königlichen Palast. Die entrie solenneile oder entree joyeuse des Königs lieferte das Grundmuster fur den Einzug, der auf die Situation abgestimmt wurde. Bekannte Abläufe und 79

So zumindest der Bericht der »Grandes Chroniques«, nach denen die Beauftragten des Königs den Kaiser jeweils mit diesen Worten empfangen haben sollen. Vgl. dazu ibid., S. 201—

203,205,217. 80

Nicolas James PERELLA, The Kiss sacred and profane, Berkely 1969, insbes. S. 21; vgl. dazu jüngst Yannick CARRE, Le baiser sur la bouche au Moyen Äge: rites, symboles, mentalites a travers les textes et les images. X I e - X V siecles, Paris 1993; Kiril PETKOV, The kiss of peace. Ritual, self, and society in the high and late medieval West, Leiden u.a. 2003. 81 Bei der überwiegenden Mehrzahl der Herrschertreffen, die im Projekt »Herrschertreffen des Spätmittelalters« bisher gesichtet wurden, konnte der Friedenskuß als zentrale Geste von Herrscherbegegnungen festgestellt werden. 82 [...] et ne se voultpar le Roy trop approuchier de I'Empereur, pour ce que son cheval ne fraiast ä ses jambes oii il avoit la goute [...]. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 217. 83 Karl IV. küßte den Dauphin (ibid., S. 258), die Königin (ibid., S. 260), alle adeligen Hofdamen sowie die Herzogin von Bourbon (ibid.).

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Formationen wurden übernommen und angepaßt. So waren nun statt eines Königs die drei reitenden Monarchen sowie die erweiterte Teilnehmerzahl durch deutsche Adlige zu berücksichtigen. Große Aufmerksamkeit wurde der Aufstellung der Könige gewidmet. Laut der Beschreibung der »Grandes Chroniques« beanspruchte der französische König den ehrenvollen Platz in der Mitte. Die beiden anderen Herrscher flankierten ihn auf dem gesamten Weg, gleich so, als ob sie zu seinem Schutze ritten. So war der französische König weithin als der herausragende König sichtbar, an dessen Seite ein Kaiser wie eine Nebenfigur wirkte. Die Frage des Ranges war hier eindeutig zugunsten des französischen Königs geklärt: Die Demonstration der Vortrefflichkeit, der eigenen Zentralität, der eigenen Würde, Unabhängigkeit und damit Souveränität wurde höher gestellt als das Zuvorkommen des Gastgebers, der seinem Gast einen Ehrenplatz einräumt. Allein, der Bericht der »Grandes Chroniques« ist nicht in allen Einzelheiten zuverlässig. Verschiedene Details werden ganz im Sinne des französischen Königtums dargestellt, wie mehrfach nachgewiesen werden konnte84. Der unabhängige Bericht des Memorandums legt nahe, daß die Teilnehmer der Prozession zumindest abschnittsweise in Zweierreihen hintereinander ritten. Der Kaiser habe danach den Platz auf der rechten Seite des französischen Königs eingenommen. Protokollarisch ergäbe sich damit die gegenteilige Aussage, denn statt des sekundären Rangs, der sich fur den Kaiser durch die Dreierformation ergab, würde ihm nun der Ehrenplatz auf der rechten Seite eingeräumt werden85. Dieser symbolisch bedeutende Platz wird gemäß dem Autor des betreffenden Abschnitts in den »Grandes Chroniques« dem Kaiser nicht zugestanden, obwohl dieser im Memorandum genannt wird. Dies bestätigt die Beurteilung des Textabschnitts zum Besuch des Kaisers in Paris in den »Grandes Chroniques« als königsnah gefärbte Historiographie, in dem Einzelheiten, die Karl V. nicht in positivem Licht erscheinen lassen würden, übergangen oder 84

Vgl. dazu NEUREITHER, Bild (wie Anm. 5), S. 112-148; THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 101 f. 85 Hermann HEIMPEL, Sitzordnung und Rangstreit auf dem Basler Konzil. Aus dem Nachlaß hg. von Johannes HELMRATH, in: Johannes HELMRATH, Heribert MÜLLER (Hg.), Studien zum 15. Jahrhundert. Festschrift Erich Meuthen zum 60. Geburtstag, München 1994, S. 1-9; Barbara STOLLBERG-RILINGER, Zeremoniell als politisches Verfahren. Rangordnung und Rangstreit als Strukturmerkmale des frühneuzeitlichen Reichstags, in: Johannes KUNISCH (Hg.), Neue Studien zur frühneuzeitlichen Reichsgeschichte, Berlin 1997 (Zeitschrift fur historische Forschung, Beiheft 19), S. 91-132; DIES., Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Präzedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Majestas 10 (2002), S. 125-150; Otto NUSSBAUM, Die Bewertung von rechts und links in der röm. Liturgie, in: Jahrbuch für Antike und Christentum 5 (1962), S. 158171; Reinhard ELZE, Rechts und Links. Bemerkungen zu einem banalen Problem, in: Martin KINTZINGER, Wolfgang STURNER, Johannes ZAHLTEN (Hg.), Das Andere Wahrnehmen. Beiträge zur europäischen Geschichte. August Nitschke zum 65. Geburtstag gewidmet, Köln, Weimar, Wien 1991, S. 75-82.

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geändert wurden. Dadurch schildert der Text einen scheinbar reibungslosen Ablauf der Festlichkeiten im Sinne des Königs, ein Idealbild eines Herrschertreffens, das so gar nicht stattfand. Diese Beschreibungen eines erwünschten zeremoniellen Ablaufs, also »Protokollfiktionen«, machten den Textabschnitt aus den »Grandes Chroniques« nicht nur zur offiziellen Lesart eines einzelnen Besuches, sondern zu einem Vorbild für den Empfang fremder Herrscher86. Dies zeigt sich unter anderem auch darin, daß der Bericht mehrfach unabhängig von den »Grandes Chroniques« überliefert wurde und sogar als Einzelwerk in einigen bebilderten Prunkabschriften im Libellformat erhalten blieb87. Jeder konnte darin die Stellung eines Kaisers innerhalb Frankreichs nachlesen: ein Begleiter des in der Mitte reitenden französischen Königs. Zur Bewertung der mittelalterlichen Einzugsordnung ist es nicht ganz unbedeutend, auf welche Weise in der frühen Neuzeit die verschiedenen Positionen bewertet wurden. Theodore Godefroy, der Kenner der französischen Hofzeremonien im 17. Jahrhundert und Autor des »Ceremonial de France« (Paris 1619)88, gibt interessanterweise eine andere Erklärung für die zentrale Position des französischen Königs in der Dreierreihe der Monarchen. Er war der Herausgeber des ersten Drucks der Beschreibung der Parisreise Kaiser Karls IV. (Paris 1612). In einer Anmerkung zu der besagten Textstelle behauptet der Spezialist fur Zeremonialfragen, daß wohl im 14. Jahrhundert bei der Dreierformation der rechte Platz der ehrenvollste gewesen sei89. Diese Vermutung Godefroys über Rangordnungen im 14. Jahrhundert läßt sich jedoch aus dem bisher gesichteten Material nicht bestätigen90. Vielmehr wird durch die dem König von Frankreich gewogene Deutung klar, daß auch in späterer Zeit der 86

Dazu THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 101. BNF, ms. fr. 5729; BNF, Arsenal 5128 (alt 643); British Library, ms add. 45029. 88 Zu Thöodore Godefroy (1540-1649) als Diplomat in französischen Diensten: Konrad REPGEN, Friedensvermittlung und Friedensvermittler beim Westfälischen Frieden, in: Westfälische Zeitschrift 147 (1997) S. 37-61, insbes. S. 52. Biographie: Nicole [LEVA-]JORDAN, Theodore Godefroy - Historiographe de France 1540-1649 (thfese Ecole des Chartes, unpubl.) war mir leider nicht zugänglich. Vgl. auch Lucien BELY, Espions et ambassadeurs au temps de Louis XIV, Paris 1990. Das bedeutendste Werk Godefroys ist seine Sammlung der Festlichkeiten und Zeremonien am französischen Hof. Theodore GODEFROY, Le ceremonial frangais ou description des ceremonies, rangs et seances, observees en France en divers actes et assemblies solennelles, Paris 1619. 89 Et puis retourna Jevers l'Empereur et le feit mectre ä la dextre de luy, combien que l'Empereur s 'en excusat tres longuement, et rte le vouloit faire, et feit mectre empres luy ä senestre le diet Roy des Romains. Kommentar Godefroys: D'ici se veoid que des lors la costume est teile en France qu'entre trois marchants en mesme rang, celuy tient le lieu plus honorable, qui est ä main droicte et non ce luy qui est au milieu. Theodore GODEFROY (Hg.), Entreveues de Charles IV Empereur, de son fils Wenceslaus Roy des Romains, & de Charles V Roy de France, ä Paris l'an 1378, Paris 1612, S. 118f. 90 Weder im kirchlichen noch diplomatischen Zusammenhang ergibt sich ein Vorrang für den rechten Platz vor dem Platz in der Mitte; vgl. dazu Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. III, S. 511-515. 87

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Position während einer Prozession viel Bedeutung zugemessen wurde. Nun wurde allerdings die Honorierung des kaiserlichen Ehrengastes statt der Rangminderung als angemessener geschätzt. Ohne das Memorandum, den Archivbeleg aus Lille, also die Version der »paarweisen« Reihung des Memorandums zu kennen, versuchte Godefroy die eminente Position Karls V. in der Beschreibung der »Grandes Chroniques« abzuschwächen. Doch kann ohne weitere Hinweise nicht mit letzter Sicherheit entschieden werden, welche Version die wahrscheinlichere ist. Für das Verhältnis von regnum und Imperium ist bei diesem feierlichen Festzug nicht nur die Art und Weise der Aufstellung der Könige aussagekräftig, sondern auch die Reihen- und Rangfolge der gesamten feierlichen Prozession. Sowohl die Textstelle der »Grandes Chroniques« als auch das Memorandum berichten davon, in welcher Ordnung die einzelnen Herzöge, Fürsten und Gefolgsleute dem Zug folgten. Die Einreihung der deutschen Fürsten in die Reihen der entsprechenden französischen Adligen zeigt den politischen Willen, die beiden Reichseliten als einheitlich erscheinen zu lassen91. Wenn auch die aus dem Reich erschienenen Adligen nicht repräsentativ waren - ranghöchster Fürst war der Herzog von Sachsen - , so wurde doch fiktiv die Einheit der beiden Reiche dargestellt. Ordnungsprinzip war nicht Sprache oder Lehnszugehörigkeit - denn gerade dies war ja ein offener Punkt im Verhältnis von regnum und imperium - , sondern der adlige Rang. So ritten hinter den Monarchen die königlichen Brüder, die Herzöge, die Grafen, zuletzt die Edelfreien. Hinter Karl IV., Karl V. und Wenzel ritten also die Herzöge von Berry, Brabant und Bourgogne. In der dritten Reihe folgten die Herzöge von Sachsen, Bourbon und Bar. Die vierte Reihe bestand aus den Herzögen von Brieg, Bunzlau und Troppau. Im Festzug nahm also die Rangordnung der Personen von vorn nach hinten ab92. Begleitet wurden die drei Monarchen und neun Herzöge von 20 Rittern der königlichen Leibgarde in voller Rüstung und 25 königlichen Armbrustschützen, die je mit Schwert und Keule bewaffnet waren, um gegebenenfalls die dichte Menge zurückdrängen zu können. Dahinter folgten die restlichen Adligen, Prälaten, chevaliers du guet, prevöts des marchands und die Stadtwachen93. Aufschlußreich ist die Bemerkung von Theodore Godefroy aus dem Jahre 1619 zur Position des Herzogs von Brabant, der Bruder des Kaisers und Onkel von Karl V. war. Herzog Wenzel ritt zwar hinter dem König von Frankreich, doch sei nach Godefroy nicht dies der ehrenvollste Platz, sondern der Platz di91

Die »Grandes Chroniques« beharren allerdings darauf, daß die gesamte Reihenfolge wie auch die gesamte Organisation des Zuges durch den französischen König angeordnet war: fii par le Roy orderte. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 218, 220. 92 Vgl. dagegen das kirchliche Einzugsprinzip, bei dem der an Würde Höherstehende folgt (dignior sequet). Dazu Sabine FELBECKER, Die Prozession, Münster 1995, S. 9. 93 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 220f.

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rekt hinter dem Kaiser, den der Herzog von Berry einnahm. Letzterem komme mehr als den anderen Herzögen dieser ehrenvollste Platz zu, da er blutsverwandt mit dem französischen König sei94. Dagegen dürfe der Herzog von Brabant diese rechte Position nicht einnehmen, da für ihn als Bruder des Kaisers die Nachfolge an dessen Stelle viel unwahrscheinlicher sei als für den Herzog von Berry, an die Stelle des französischen Königs zu treten: ein Kaiser werde gewählt, der französische König entstamme einer Dynastie. Godefroy leitet also den Rang eines Herzogs aus dem verwandtschaftlichen und institutionellen Abstand zum höchsten Amt im jeweiligen Reich ab. Im Gegensatz zur Erbfolge sei eine Wahl unsicherer. Doch erklärt diese Interpretation nicht, warum die rechte Position ehrenvoller anzusehen war als die mittlere Stellung. Vielmehr verbindet hier Godefroy französische Superioritätsansprüche (Erbfolge vor Wahl), die er für die zweite Reihe geltend macht, mit der besonderen Ehrbezeugung dem Kaiser gegenüber, der in der Reihe der Könige rechts der Mitte reiten dürfe. Bei dieser Aufstellung handelte es sich aber nicht um ein von Godefroy für das 14. Jahrhundert festgestelltes zeremonielles Kuriosum, daß Rechtsaußenposition Präzedenz ausdrücke. Vielmehr verstärkt er eine Tendenz der »Grandes Chroniques«, die den französischen König als den vorbildlichen Gastgeber erscheinen läßt, unterschlägt jedoch die Statuswahrung und die Souveränitätsansprüche, die Karl V. hier im Beisein des Kaisers zu demonstrieren suchte95.

Das Staatsdiner und die Vergabe der Vikariatsrechte Am Tag nach dem Einritt in Paris, am 5. Januar 1378, beteiligte sich der Kaiser nicht an öffentlichen Veranstaltungen. Dafür war am 6. Januar ein großer Festakt geplant. Damaligen Zeitgenossen, die im christlichem Glauben verwurzelt und in Liturgie bewandert waren, war die besondere Koinzidenz des Geschehens bewußt: am Epiphaniastag, dem Tag der Heiligen Drei Könige, waren drei gekrönte Monarchen zugegen: Karl IV., Karl V. und Wenzel. Entsprechend war geplant worden, jenen Tag als zeremoniellen und festlichen 94

Cela est remarquable que le Due de Berry secondfrere du Roy de France (lequel encores avoit deux fits) precede en ceste Entree et en tous autres Actes le Due de Brebant frere et petit fits d'Empereurs [sic]. Et la cause est, que la dignite Imperiale η 'estant que precaire et subjecte a election et non affectee ä aucune Maison le Due de Brabant η 'avoit doict d'estre par sucession Emprereur, comme le Due de Berry d'estre Roy de France. GODEFROY (Hg.), Entrevues (wie Anm. 89), S. 119. 95 Zu Argumentationsmustern der frühneuzeitlichen Zeremonialwissenschaft: VEC, Zeremonialwissenschaft (wie Anm. 11); STOLLBERG-RJLINGER, Zeremoniell als politisches Verfahren (wie Anm. 85).

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Höhepunkt der Parisreise Karls IV. zu gestalten. Augenmerk lag einerseits auf der Gestaltung der feierlichen Messe in der Sainte-Chapelle und andererseits auf dem darauf folgenden aufwendigen Staatsdiner. In der Messe wurde der liturgische Inhalt des Epiphaniasfestes in einer Weise szenisch umgesetzt, die den volkstümlichen geistlichen Spielen des Mittelalters nahestand96. Vor der Gabenbereitung der Eucharistie traten drei Ritter, Hofbedienstete des französischen Königs, mit je einem der biblischen Geschenke in den Altarraum: Gold, Weihrauch und Myrrhe in Goldgefäßen. Diese überreichten sie nun nicht einem ebenso gespielten Jesuskind oder dem zelebrierenden Priester, sondern dem französischen König. Dieser nahm sie feierlich entgegen, dankte und reichte sie dann dem Erzbischof von Reims, der die Geschenke auf den Altar legte (und später als Spende behandelte). Karl V. nahm also nicht die Rolle eines der biblischen Könige ein, sondern stilisierte sich zum Empfänger der Gaben, also zum Mittler zwischen Königen und Christus. Diese Prestigesteigerung war gemäß dem französischen Anspruchstitel le roi tres chrätien zwar naheliegend, aber bis dahin nicht in solch plastischer Art und Weise ausgeführt worden97. Statt also die drei Könige, unter denen sich ein Kaiser befand, in den liturgischen Teil mit einzubeziehen, wurde der französische König überhöht. Im Lichte des Ringens um symbolische Präzedenz kann man diese rituelle Überhöhung Karls V. durchaus als Reaktion auf das Ansinnen Karls IV. werten, der versucht hatte, die Weihnachtsmesse in Quatre-Vaux auszufuhren. Allerdings ginge eine Interpretation als »paraliturgische Revanche«98, bei dem Gleiches mit Gleichem vergolten wird, zu weit: Karl IV. wollte den Weihnachtsdienst durchführen, so wie er es wohl die letzten 30 Jahre getan hatte. Dagegen war die liturgische Inszenierung des Gottesdienstes bei der Gabenbereitung durch Karl V. ein völlig neues Ritual99. Auch wenn bei beiden Ritualen die Herrscher die Handlungen an hohen kirchlichen 96

Zum Geistlichen Spiel: Bernd NEUMANN, Geistliches Schauspiel im Zeugnis der Zeit, 2 Bde., München 1987. 97 Jacques KRYNEN, L'Empire du roi. Idees et croyances politiques en France, Paris 1993, S. 345-383. Marc BLOCH, Les rois thaumaturges. Etudes sur le caractere surnaturel attribue ä la puissance royale particulierement en France et en Angleterre, Straßburg, Paris 1924 (Publications de la faculte des lettres de Γ universite de Strasbourg, 19), deutsche Übersetzung von Claudia MÄRTL, München 1998; Noel VALOIS, Le roi tres Chretien, in: M. BAUDRILLART (Hg.), La France chretienne dans l'histoire, Paris 1885, S. 314-327. 98 AUTRAND, Charles V (wie Anm. 5), S. 795f. 99 Auch wenn die Inszenierung mit drei gabenbringenden Rittern wohl nur ein einziges Mal ausgeführt wurde, kann man von Ritual sprechen. Der hohe Grad an Formalisierung, der für sich allein stehende Handlungskern mit spezifischer Aussage und der Kontext des liturgischen Gesamtablaufs weisen darauf hin. Die Tatsache, daß sich diese Formalisierung nicht traditionsbildend ausgewirkt hatte, tut der einzelnen Handlung keinen Abbruch. Dazu demnächst: Burkhard DÜCKER, Gerald SCHWEDLER, Das Neue. Ein konstitutives Element von Ritualen; vgl. zur notwendigen Wiederholbarkeit MICHAELS, Dynamik von Ritualkomplexen (wie Anm. 8), S. 7.

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Festtagen während des Gottesdienstes im Altarraum ausführten, so kann nicht übersehen werden, daß in ähnlichem Kontext unterschiedliche symbolische Aussagen gemacht wurden. Der kaiserliche Weihnachtsdienst weist zurück auf den Streit zwischen Kaisertum und Papsttum, in dem beide Universalität beanspruchten. Eine Ausrichtung gegen andere Königreiche oder gar eine antifranzösische Note darf daher durchaus als »Überinterpretation« der französischen Seite gedeutet werden. Dagegen war die augenscheinliche Aussage der königlichen Aufführung in der Sainte-Chapelle die überhöhte Darstellung des französischen Königs und seiner unangefochtenen Präzedenz in allen Belangen im Königreich sowie die Darstellung als höchste Instanz (nach Gott) in seinem Reich. Dies wird dadurch unterstrichen, daß während der Messe und des folgenden Festmahls zwar auf die Sonderwünsche des Kaisers eingegangen wurde (Besuch der Reliquien vor der Messe, Ruhepausen während des Tages), doch in den Situationen, bei denen die drei Monarchen gleichzeitig auftraten, die königlichen Präzedenz betont wurde. Lediglich bei Kleinigkeiten wurde dem Kaiser der ehrenvolle Vorrang zugestanden. So wurde der Kaiser als erster bedacht, als es um die Spendung des Weihwassers ging oder darum, ein Evangelienbuch zur Verfügung zu stellen, um den Text der Messe mitverfolgen zu können100. Das anschließende Staatsdiner mit seinen mehreren Hundert Beteiligten erregte gegenüber der Messe wesentlich mehr Aufmerksamkeit. Es stellte den Höhepunkt herrscherlicher Repräsentation, höfischer Prachtentfaltung und beeindruckender Inszenierung des französischen Königtums dar. Mit hohen Ausgaben war dieses Diner bereits Wochen vorher von langer Hand geplant worden. Dies entsprach durchaus der hohen repräsentativen Funktion, die von den Zeitgenossen einem zeremoniellen Gastmahl zugeschrieben wurden. Ein solches Bankett hatte als »Staatsdiner« durchaus verfassungsbestimmende Bedeutung101. Die Sitzordnung beim Festessen spielte wie beim Einzug eine besondere Rolle. So saßen die Ehrengäste am Kopfende des großen Saales nebeneinander am Marmortisch. Baldachine aus Goldbrokatstoffen wiesen auf ihren königlichen Rang hin. Der Reihe nach saßen der Erzbischof von Reims, der Kaiser, der französische König, Wenzel als König von Böhmen sowie die Bischöfe 100 Die Tendenz des »Nichtpräzedenzgewährens« der »Chroniques« führte sogar dazu, daß sich der moderne Herausgeber Roland Delachenal verpflichtet fühlte, zu betonen, daß die Gewährung des Weihwassers und des Evangeliums lediglich eine courtoisie war und keineswegs die preeminence des Kaisers belege. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 233f., Anm. 4. 101 Vgl. dazu: Lothar KOLMER, Christian ROHR (Hg.), Mahl und Repräsentation. Der Kult ums Essen. Vorträge des Symposions an der Universität Salzburg 1999, Paderborn 22002; Barbara STOLLBERG-RJLINGER, Verfassung und Fest. Überlegungen zur festlichen Inszenierung vormoderner und moderner Verfassungen, in: Hans-Jürgen BECKER (Hg.), Interdependenzen zwischen Verfassung und Kultur, Berlin 2003 (Der Staat, Beiheft 15), S. 7-49.

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von Brandenburg, von Paris und von Beauvais. Am zweiten Tisch saßen der Herzog von Sachsen, der Thronfolger Frankreichs, Herzog von Berry, der Herzog von Brabant (Ludwig von Male), der Herzog von Burgund, der Sohn des Königs von Navarra, der Herzog von Bar, der Herzog von Brieg und Nikolaus Simonis von Riesenburg, der als der Kanzler des Kaisers angesehen wurde102. Das übrige Gefolge (angeblich 800 Ritter) verteilte sich auf die weiteren Tische103. Der Herzog von Bourbon, der Graf d'Eu sowie die beiden bisherigen Leibwächter des Kaisers de Coucy und de Harcourt saßen nicht, sondern standen hinter dem zehnjährigen Dauphin. Sicherlich sollten sie ihm nicht nur »Gesellschaft leisten und gegen die Menge schützen«, wie die Quelle es annimmt, sondern unterstrichen mit ihrer Anwesenheit seine herausgehobene Stellung an jenem Tag. Obwohl der Dauphin während des Essens am zweiten Tisch, also abseits der Könige saß, hatte er nach den »Grandes Chroniques« als einziger bei jenem Staatsdiner eine vierköpfige Leibwache. Dieser »Beistand« wies die Anwesenden des Gastmahls darauf hin, daß der Dauphin eine besondere Position innehatte, denn er sollte nach den Plänen des französischen Königs zum Reichsvikar im Arelat ernannt werden. Die Präsentation des minderjährigen Dauphins zusammen mit kompetenten Beratern konnte sich während der laufenden Verhandlungen nur positiv auswirken. Auch auf die Reihenfolge der Speisen während des Staatsdiners wurde Wert gelegt. Hierbei gehen jedoch die Angaben auseinander. Während die »Grandes Chroniques« von vier assietes, also Gängen, mit je zehn verschiedenen Gerichten berichtet, werden im Memorandum lediglich drei Gänge beschrieben. Die aufwendigen und ausgefallenen Gerichte lassen auf lange Vorbereitung schließen104 Zwischen den Gängen wurde als Pantomimenspiel die Einnahme Jerusalems durch Gottfried von Bouillon während des ersten Kreuzzuges aufgeführt105. Eine Holzkonstruktion stellte die Stadt Jerusalem dar, in der Schauspieler 102 Zu Nikolaus Simonis von Riesenburg, Protonotar seit 1371, Kanzler Karls IV., vgl. RI 8 (wie Anm. 25), S. XLV; Peter MORAW, Räte und Kanzlei, in: Ferdinand SEIBT (Hg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 285-292, hier S. 292. 103 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 235-238; THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 111-113; DELACHENAL, Charles V (wie Anm. 5), Bd. 5, S. 95-99. 104 Ausführlich werden die einzelnen Speisen beschrieben: THOMAS, Memorandum (wie Anm. 5), S. 118. Zu mittelalterlichen Speisefolgen Trude EHLERT, Das Kochbuch des Mittelalters, München 1990. 105 Georges DESPY, Godefroid de Bouillon. Mythes et realites, in: Bulletin de la Classe des Lettres Acad. royale Belgique 71 (1985), S. 249-275, hier insbes. S. 272; Pierre AUBE, Godefroy de Bouillon, Paris 1985. Zur epischen Bearbeitung (zeitlich liegt dem Kaiserbesuch das anonyme Werk »Enfances de Godefroid«, um 1350, am nächsten) und zur Nähe zum Stoff des Rolandsliedes vgl. Rita LEUEUNE, Jacques STIENNON, La Legende de Roland dans l'art du Moyen Äge, Brüssel 1966. Zur Dichtung über Kreuzfahrer vgl. Anouar HATEM, Les poemes epiques des Croisades, Paris 1932, und Suzanne DUPARC-QUIOC, Le cycle de la Croisade, Paris 1955.

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agierten und sogar den Ruf eines Muezzins imitierten. Gottfried von Bouillon stellte als französischer Adliger und deutscher Reichsfurst (als Herzog von Niederlothringen) die politisch korrekte Persönlichkeit fur eine derartige Darstellung deutsch-französischer Rittertugenden dar. Von einer Bootsattrappe erstürmte er mit zwölf Rittern die Jerusalemer Befestigungen. Nach dem Applaus fur dieses historische Spektakel wurden Karl V. und Karl IV. noch Wein und Konfekt gereicht, aber nicht von den Hofbediensteten, sondern von den nächsten Verwandten des französischen Königs: Den Kaiser bedienten der Herzog von Berry und der Herzog von Brabant, dem König brachten die Herzöge von Bourbon und Burgund Wein und Dessert. Wenzel wurde später vom Grafen d'Eu und einem deutschen Ritter bedient. Das Aufwarten durch die dem Herrscher am nächsten stehenden Fürsten weist durchaus Analogien mit dem deutschen Krönungsmahl auf, wie sie in der Goldenen Bulle aus dem Jahre 1356 vorgeschrieben wurden. Karl V., damals noch Dauphin, war ja zugegen gewesen, als am Metzer Hoftag im Jahre 1356 die Regeln verkündet und ausgeführt worden waren106. Diese zeremonielle Bedienung symbolisiert einerseits die unangefochtene Position des französischen Königs, dem die höchsten Adligen Frankreichs dienten, andererseits konnten sich somit diese Herzöge nun auch in der unmittelbaren Nähe des Königs und des Kaisers zeigen. Die Übernahme von zeremonialisierten Alltagshandlungen als Ehrendienst für den König sollte sich gerade in Frankreich bis zur Herrschaft Ludwig XIV. steigern. Nach dem Essen wurde der Kaiser in seiner Sänfte für eine Ruhepause auf sein Zimmer gebracht, während Karl V. seinem Cousin Wenzel und dem deutschen Gefolge die repräsentativen Räume und den großen Versammlungssaal (chambre de Parlement) des Palais zeigte. Den Abschluß dieses Tages bildete der »geheime« Besuch des französischen Königs bei Karl IV. in dessen Räumen im Palais. Wirklich privat verlief dieses Gespräch nicht, denn sowohl die Brüder des Königs als auch pou d'autres gens waren zugegen107. Auffallend ist allerdings in den Berichten die Trennung von öffentlichem Festakt und Treffen zu privaten Unterredungen. Im weiteren Verlauf des Aufenthaltes hat der französische König den Kaiser nahezu jeden Abend zu Gesprächen und Verhandlungen aufgesucht. Während dieser Zwiegespräche wurden - abseits

106 Zur Anwesenheit des französischen Dauphins: Chronographie Regum Francorum, Bd. 2, hg. von Henri MORANVILLE, Paris 1893, S. 263; RI 8 (wie Anm. 25), Nr. 2555a, 2555b, 2572, 2573a, 2581 f., Reichsachen Nr. 277, uneinreihbare Stücke Nr. 6374f.; dazu AUTRAND, Charles V. (wie Anm. 5), S. 259-262, und immer noch: Karl ZEUMER, Die Goldene Bulle Kaiser Karls IV., 2 Bde., Weimar 1908 (Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deutschen Reiches in Mittelalter und Neuzeit, 2), Bd. 1, S. 181-183; Emil WERUNSKY, Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit, Bd. 3, Innsbruck 1892, S. 150-152, 154f., 167171. 107 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 244.

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des öffentlichen Interesses - die offenen politischen Fragen zwischen den beiden Herrschern erörtert. In keiner Weise wurde durch zeremonielle Formen oder Symbole angedeutet, daß es ein Ziel des Kaisers war, Papst und Kurie zur Rückkehr nach Rom zu bewegen. Sicherlich stand die Problematik der Erbfolge in Ungarn und Polen und damit verknüpft die Vergabe der Vikariatsrechte an den Dauphin im Vordergrund. Letzteres wurde ja durch die Hervorhebung des Dauphins bereits beim Festessen angedeutet. Anders als bisher in der Forschung angenommen, erfolgte jedoch keine Verleihung dieser Rechte am 7. Januar 1378108. An diesem Tag fanden die öffentlichen Ansprachen in der Universität bezüglich des Streites mit England statt. Auf ein Zusammentreffen des Kaisers mit dem Dauphin an jenem Tag gibt es keinerlei Hinweise. Vielmehr zogen sich die Verhandlungen zwischen den beiden Parteien in die Länge, und der Kaiser hatte eine Vergabe der Vikariatsrechte bis zum Ende seines Aufenthaltes nicht öffentlich vollzogen. Zwar ist eine geheime Belehnung wie im Falle des Herzogs von Burgund möglich, der 1362 Kaiser Karl IV. den Lehnseid als Freigraf von Burgund geleistet hatte109. Wahrscheinlicher ist allerdings, daß der Kaiser erst gegen Ende seines Aufenthaltes zur Vergabe der Rechte bereit war, diese dann aber auf Wunsch der französischen Seite nicht öffentlich verliehen wurden, um jegliche Symbolik der Unterordnung des Dauphins zu vermeiden. Daher erfolgte die Belehnung ohne Inszenierung in der Öffentlichkeit auf schriftlichem Wege. Der Protonotar Nikolaus von Riesenburg und einige Gehilfen reisten nach der Verabschiedung des Kaisers mit dem König nach Paris, wo die Urkunden für den Dauphin besiegelt und übergeben wurden. Dafür wurde der Protonotar vom französischen König mit 1 000 Franken, seine Gehilfen mit 108 Franken belohnt110. Insgesamt wurden sechs Urkunden ausgestellt, die unterschiedlich datiert wurden. Die Verleihung der Rechtsmündigkeit für den zehnjährigen Dauphin wurde auf den 5. Januar 1378 datiert111, die Verleihung der Burgobhut der Burgen Ponpet und Canaux bei Vienne, die bis dahin beim Domkapitel von Vienne lag112, sowie die Widerrufung der dem Kapitel früher verliehenen diesbezüglichen Rechte wurden auf den 6. Januar 1378 festgelegt113. Das Datum 7. Januar 1378 wurde für die Ernennungsurkunde des Dauphins und seiner Nachkommen zum Reichsvikar im Delphi-

108 KLNTZINGER, Der weiße Reiter (wie Anm. 5), S. 348-351; HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 16), mit einer Edition der Urkunden S. 91-97. 109 DIES., Stellvertreter (wie Anm. 5), Bd. 1, S. 235, sowie Kap. Β IV. 1.2. 110 DELISLE, Mandements (wie Anm. 31), Nr. 1587. 111 RI 8 (wie Anm. 25), Nr. 5858. 112 Ibid., Nr. 5860; dazu auch Claude FAURE, Histoire de la reunion de Vienne Ä la France, in: Bulletin de l'Academie delphinale (1905), S. 462f. 113 RI 8 (wie Anm. 25), Nr. 5859.

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nat" 4 , für die Ernennung zum Reichsvikar fur das gesamte Arelat mit Ausnahme Savoyens auf Lebenszeit115 und für das kaiserliche Schreiben an die Untertanen im Arelat mit der Bekanntgabe der Ernennung des Dauphins zum Reichsvikar gewählt116. Hätte ein öffentlicher symbolischer Akt stattgefunden, so wären auch an jenem Tag die Urkunden ausgefertigt, zumindest jedoch die hochkarätigen Zeugen in die Urkunde aufgenommen worden. Stattdessen wurden alle Urkunden lediglich durch Nikolaus von Riesenburg rekognosziert117. Außerdem wurde bei der Datierung die Formulierung datum und nicht datum et actum verwendet118. Eine Rückdatierung ist für Karl IV. nichts Ungewöhnliches, bediente er sich während seines Königtums mehrmals dieses Kunstgriffs119. Die Frage, ob der Lehnseid des Dauphins als Reichsfürst nun geheim oder gar nicht geleistet wurde, läßt sich schwer beantworten. Die sehr königstreuen »Grandes Chroniques« schildern eine Szene, bei der Wenzel dem französischen König einen besonderen Eid leistet. Während Karl V. die rechte Hand Wenzels hielt, schwor dieser dem französischen König, daß er ihn lieben und dienen wolle120. Es fielen die für Frankreich relevanten Fachtermini einer Belehnung: Das Dienst- und Treueversprechen (ameroit et serviroit) wurde in die Hand des Königs (en la main du Roy) und unter Anrufung der Autorität des christlichen Glaubens (par sa foy) gegeben. Karl V. also als Lehnsherr des römischen Königs, als supremus. So könnte dies eine besonders emphatische Form des Bündnisversprechens gewesen sein, die Karl IV. gewünscht und angeleitet hatte. Laut Bericht habe er ja Wenzel dazu angeleitet. Doch konnte der gewandte luxemburgische Politiker kein Bündnisversprechen seines Sohnes beabsichtigt haben, das aussah wie ein Gehorsamseid, wie es in den »Chroniques« dargestellt wird. So gibt es einigen Anlaß, diese dem französischen König sehr schmeichelnde symbolische Geste als Stilisierung der »Grandes 114

Ibid., Nr. 5861, enthalten in der Bestätigung der Diplome vom 7. Januar 1378 durch Papst Clemens VII. am 6. November 1389 in Avignon. 115 Edition: HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 16), Anhang 2, S. 86-90; dazu RI 8 (wie Anm. 25), Nr. 5862. 116 Edition: HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 16), Anhang 3, S. 90-93, RI 8 (wie Anm. 25), Nr. 5863 (bei Heckmann irrtümlicherweise RI 8, Nr. 5861). 117 Dies gilt für die von Heckmann edierten Urkunden (vgl. HECKMANN, Reichsvikariat [wie Anm. 16], S. 90, 93, 96) sowie die Hinweise der RI 8 (wie Anm. 25) zu Nr. 5858 und 5859. Lediglich für die Widerrufung der Rechte des Domkapitels von Vienne (RI 8, Nr. 5860) konnte der Rekognitionsvermerk nicht überprüft werden. 118 Vgl. die von Heckmann edierten Urkunden in HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 16), S. 90, 93, 96. 119 Ferdinand SEIBT, Karl IV. Ein Kaiser in Europa, München 1978, S. 150f. 120 Endementres que le Roy estoit avec l'Empereur en sa chambre, le roy des Rommains vint, et si tost que l'Empereur le Vit, il l'apela et le prist par la main, et luy fist promectre, par sa foy en la main du Roy que il ameroit, servieroit devant tous les princes du monde et les enfans du Roy aussi. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 264.

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Chroniques« zu verstehen. Der Autor des Berichtes über die Parisreise von Karl IV. - und es ist nicht auszuschließen, daß Karl V. passagenweise den Text selbst gestaltete - stellt einen Eid samt Treueversprechen ohne Gegenleistung dar. Das Verhältnis von Herrn und Mann zeigt sich auch in der zeitgenössischen Illustration, bei der Wenzel vor dem König kniete und ihm die rechte Hand reichte121. Könnte mit dieser Beschreibung einer feierlichen Eidesleistung gar nicht Wenzel, sondern der Dauphin gemeint sein? Durch die Annahme des Reichsvikariats in der Dauphine durch den französischen Thronfolger war dieser zum Lehnsmann des Kaisers geworden, keinesfalls aber Wenzel Lehnsmann von Karl V. von Valois durch das Bündnisversprechen. Von einem Eid des Dauphins wird jedoch im gesamten Bericht nichts erwähnt. Vielmehr wird bei der Begegnung von Dauphin und Karl IV. am 10. Januar 1378 in Saint Pol explizit vermerkt, daß der französische Thronfolger nicht vor dem Kaiser gekniet habe, sondern vor seinem Vater Karl V. von Frankreich. Zudem hätten sich der Dauphin und der Kaiser zur Begrüßung geküßt, also ein Zeichen von Gleichrangigkeit oder zumindest Hochschätzung122. Wenn der Bericht der »Chroniques« stimmt, so bekamen sich Dauphin und Kaiser nur beim Empfang in Paris, nach der Epiphaniasmesse und dem anschließenden Essen sowie beim Besuch des Kaisers in Saint Pol zu Gesicht. Wenn aber ausfuhrlich ein Treueversprechen Wenzels mit dem Vokabular einer Belehnung beschrieben wird, so ist es zumindest nicht reine Spekulation, einen Akt der Belehnung des Dauphin mit dem Vikariat über das Arelat anzunehmen, der jedoch in der französischen Hofberichtserstattung verschwiegen wurde.

Regnum und imperium im Jahre 1363 Bei der Herrscherbegegnung von 1363 trafen regnum und imperium, nicht aber König und Kaiser aufeinander: Im Jahre 1363 war Karl von Valois noch Dauphin und vertrat seinen gefangenen Vater. Doch anders als bei der ausnehmend reichhaltig überlieferten Parisreise Karls IV. im Jahre 1378 sind bei den Ereignissen Hinweise auf ein Staatszeremoniell als politische Handlungsund Repräsentationsform in viel geringerem Maße vorhanden bzw. nachweis-

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Zur Abbildung vgl. Anm. 49. Et quant ilz furent ou dit Hostel [Saint VoX\jusques ou milieu de la court, le dalphin ainsnefils du Roy, et monseigneur Loys, conte de Valois, enfans du Roy, se agenoullerent contre le Roy et apres alerent saluer I 'Empereur en sa chaiere, oü on le portoit, et les baisa et osta son chaperon. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 258. 122

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bar. Daher soll jenes Treffen im Hinblick auf die Bedeutung für Zeremoniell, Ritual und symbolische Handlungen nur gestreift werden. Die »Annales Mosomagenses« als Hauptquelle für das Treffen 1363 in Mouzon geben lediglich über die Teilnehmer und das Datum des Abschlusses der Unterredungen Auskunft. So waren neben Kaiser Karl IV. und dem Dauphin der Erzbischof von Reims, Jean de Craon, und einige weitere Adlige zugegen123. Die Anwesenheit von Jean de Craon erklärt sich nicht nur daraus, daß er seit 1357 eng mit dem französischen Kronprinzen verbunden war124, er war auch Hausherr und Gastgeber des Treffens in der zum Erzbistum Reims gehörenden Stadt Mouzon. Diese liegt auf dem Gebiet des Reiches, wo Kaiser Karl IV. der oberste Lehnsherr war. Die Gespräche wurden in der Festung geführt, die dem Erzbischof als Allod gehörte, begannen Anfang Januar und wurden am 6. Januar 1363 beendet125. Inhaltlich befaßten sie sich vor allem mit den hohen Lösegeldzahlungen, die Karl für seinen wieder in englischer Gefangenschaft befindlichen Vater Johann II. aufzubringen hatte. Finanzielle Hilfeleistung erfuhr er jedoch nicht. Kaiser Karl IV. wird sich in dieser Frage dem Bittsteller gegenüber genauso ablehnend verhalten haben wie dem sehr wahrscheinlichen Ansuchen um militärischen Beistand. Erwähnt wird hiervon zumindest nichts126. Vermutlich bat Karl von Valois seinen älteren Onkel auch um Rat in innenpolitischen Angelegenheiten127. Ausgewogener scheinen die Gesprächspositionen der beiden Herrscher bei den durchaus aktuellen Themen wie dem neuen Papst Urban V. und dem oberrheinischen Söldnerunwesen gewesen zu sein. Der erst zwei Monate zuvor zum Papst gekrönte Guillaume Grimoard (1362-1370), ein Mitglied der Familie Grimaldi aus dem südfranzösischen Gevaudan, sollte im Einvernehmen beider Herrscher dazu bewegt werden, den Sitz des Papsttums wieder nach Rom zu verlegen. Auch war die Abstimmung eines Vorgehens gegen marodierende, vor allem englische Söldnerbanden notwendig, die ihr Unwesen im flä-

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1363 fuerunt multi nobiles in Mosomensi Castro, scilicet imperator Romanorum, dux Normandie et dalfinus Karolus filius regis Francorum, Johannes de Cron archiepiscopus Remensis, dux de Bauuic et comes de Scamp, comes Salubenen et multi alii nobiles, et habuerunt ibi magnum conloquium; et recesserunt die sancte epiphanie. Annales Mosomagenses, hg. von Heinrich PERTZ (MGH SS 3), S. 165, ad annum 1363. 124 AUTRAND, Charles V (wie Anm. 5), S. 445. 125 Der Anfangszeitpunkt der Gespräche ergibt sich aus den Itineraren der beiden Herrscher. Während Karl V. in Paris Weihnachten feierte und Ende Dezember aufbrach, war Karl IV. von Weihnachen bis zum 30. Dezember (RI 8 [wie Anm. 25], Nr. 3896) in Aachen und gelangte über Luxemburg nach Mouzon; Heinz STOOB, Kaiser Karl IV. und seine Zeit, Graz, Köln, Wien 1990, S. 195,209. 126 Dazu immer noch: WERUNSKY, Geschichte Kaiser Karls IV. (wie Anm. 106), S. 318. 127 AUTRAND, Charles V (wie Anm. 5), S. 445, geht möglicherweise zu weit, wenn sie vermutet, daß der Grund hinter dem Treffen eine Ratlosigkeit des Dauphins war, der sich an seinen Onkel wandte, »wie immer, wenn er in Schwierigkeiten steckte«.

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misch-burgundischen Grenzraum trieben. Doch hierüber wie auch über die symbolischen Handlungen schweigt die Quelle. Hingegen ist die Wahl des Treffpunkts in Mouzon eine signifikante Aussage über das Verhältnis von regnum und Imperium. Es handelt sich um einen Ort, der bereits eine jahrhundertealte Tradition von Begegnungen der ostfränkischen und westfränkischen bzw. der deutschen und französischen Herrscher besaß. Die Herrscher der beiden angrenzenden Territorien trafen sich an der Grenze zwischen Mouzon und Ivois in den Jahren 995, 988, 1023 sowie 1187128. In den Jahren 1043, 1048 und 1056 traf man sich näher bei Ivois129. Das Treffen in Mouzon belegt somit für das 14. Jahrhundert ein Bewußtsein der Beteiligten fur die Symbolkraft bestimmter Orte, die in ihrer Tradition als Begegnungsstätten sogar bis in das frühe Mittelalter zurückreichen. Mouzon gehörte somit für Karl IV. und Karl von Valois zum Repertoire der gemeinsamen Erinnerung an karolingische und nachkarolingische Traditionen. Daran wurde mit der Wahl des Trefforts Mouzon angeknüpft. Dies entspricht nicht der staufischen Tradition, nach der Begegnungen zwischen dem deutschen und dem französischen Herrscher zwischen Toul und Vaucouleurs stattfanden, was durch die wichtige Stellung des Bischofs von Toul für die staufische Herrschaftspolitik bedingt war 130 . Das buchstäbliche Entgegenkommen von beiden Seiten an diesen Ort im Jahre 1363 entspricht einer ganz anderen politischen Ursprungslage und symbolischen Anspruchshaltung als die übrigen Treffen. In Mouzon, sozusagen auf traditionell neutralem Gebiet, wurde kein Hierarchieunterschied gezeigt.

Zeremoniell unter anderen Vorzeichen: Das Treffen von Karl VI. und Wenzel 1398

Das Treffen zwischen Wenzel von Luxemburg und Karl VI. von Frankreich im März des Jahres 1398 verlief sowohl im Hinblick auf die politischen Ergebnisse als auch auf das Zeremoniell vollkommen anders131. Dennoch sind

128 Voss, Herrschertreffen (wie Anm. 3), S. 67f., 72f., 201. Die Grenze verlief zwischen Mouzon und Ivois, weshalb die Treffen, soweit dies überprüfbar ist, auf halbem Wege abgehalten wurden. Für 1187 beanspruchen die Annales Mosomagenses (wie Anm. 123), S. 163, das Treffen für die Stadt. 129 VOSS, Herrschertreffen (wie Anm. 3), S. 214. 130 Ibid., S. 85. 131 Thomas KRAUS, König Wenzel auf der Reise nach Reims und die Hoffnungen König Richards II. von England auf die römisch-deutsche Krone 1397/98, in: Deutsches Archiv 52 (1996), S. 599-615; Theodor LINDNER, Geschichte des deutschen Reichs unter König Wenzel, Bd. 2, Braunschweig 1880, S. 390-396; Kerstin DÜRSCHNER, Der wackelige Thron.

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trotz der Verschiedenheit der Begegnungen von 1377/1378 und 1398 bestimmte formale Konstanten festzustellen. Bevor auf die Gründe hierfür eingegangen wird, soll zunächst der Anlaß und der Verlauf des Treffens von Wenzel und Karl VI. genauer betrachtet werden. Zwanzig Jahre nach dem so glänzenden Austausch zwischen regnum und imperium fand nun eine Zusammenkunft der jeweiligen Söhne statt132. Während die Beweggründe beim Treffen von Kaiser Karl IV. mit König Karl V. von Frankreich für Außenstehende nicht offensichtlich waren, was sowohl Zeitgenossen wie auch die moderne Forschung zu weitreichenden Erklärungsmodellen veranlaßt hatte133, konnte bei der Begegnung der Söhne bezüglich der politischen Zielsetzung des Treffens kein Zweifel bestehen: beabsichtigt war die Abstimmung des Vorgehens zur Beendigung des Kirchenschismas. Beide Seiten sahen sich unter Druck, hierin Erfolge zu verzeichnen. Auf französischer Seite hatte man die via subtractionis beschritten, also versucht, durch Entzug der Mittel fur die Kurie eine Entscheidung in der Papstfrage herbeizufuhren. Nachdem England für diesen Weg zur Beilegung des Schismas gewonnen werden konnte, sollte nun auch das Reich dazu bewegt werden, auf diesen Weg einzuschwenken134. Dieses Ziel, das man durch das Treffen mit dem Reichsoberhaupt anstrebte, war hoch, aber nicht unerreichbar. Für Wenzel war der Erfolgsdruck ungleich höher, war doch seit dem königslosen Reichstag vom Dezember 1397 bis zum Januar 1398 in Frankfurt das Schisma und seine diesbezügliche Untätigkeit das Hauptargument für die Forderung seiner Absetzung. Unter der Beendigung des Schismas verstanden die Politische Opposition im Reich von 1378 bis 1438, Frankfurt a.M. 2003, insbes. S. 53f.; Jean SCHOOS, Der Machtkampf zwischen Burgund und Orleans unter den Herzögen Philipp dem Kühnen, Johann ohne Furcht und Ludwig von Orleans. Mit besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzung im deutsch-französischen Grenzraum, Luxemburg 1956; Alois GERUCH, Habsburg - Luxemburg - Wittelsbach im Kampf um die deutsche Königskrone. Studien zur Vorgeschichte des Königtums Ruprechts von der Pfalz, Wiesbaden 1960, insbes. S. 219-225; Henri MORANVILLE, Relations de Charles VI avec l'AUemagne en 1400, in: Bibliothdque de l'Ecole des Chartes 47 (1886), S. 489-511. 132 AUTRAND, Charles VI (wie A n m . 63), S. 3 2 9 - 3 3 1 , 344; Heribert MÜLLER, Karl VI. ( 1 3 8 0 - 1 4 2 2 ) , in: Joachim EHLERS, Heribert MÜLLER, Bernd SCHNEIDMÜLLER (Hg.), Die

französischen Könige des Mittelalters. Von Odo bis Karl VIII. 888-1498, München 1996, S. 303-320; Richard FAMIGLIETTI, Royal Intrigue. Crisis at the Court of Charles VI 13921420, New York 1986; Bertrand SCHNERB, Les Armagnacs et les Bourguignons. La maudite guerre, Paris 1988. THOMAS, M e m o r a n d u m (wie A n m . 5), S. 102; AUTRAND, Charles V (wie A n m . 5),

S. 75If. 134 NoSl VALOIS, La France et le Grand Schisme d'occident, 4 Bde., Paris 1896-1902 (ND Hildesheim 1967), hier Bd. 3. Vgl. auch Howard KAMINSKY, Cession, Subtraction, Deposition: Simon de Cramaud's formulation of the French solution to the Schism, in: Joseph R. STRAYER, Donald E. QUELLER (Hg.), Post Scripta. Essays on Medieval Law and the Emergence of the European State in Honor of Gaines Post, Rom 1972 (Studia Gratiana, 15), S. 295-318.

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Reichsfiirsten jedoch die Durchsetzung des römischen Papstes. Dies widersprach wiederum den französischen Interessen. Die Aussichten auf einen Durchbruch und eine Einigung mit Frankreich waren eingeschränkt, da Wenzel der Fürstenopposition kein Argument liefern durfte, gegen die Interessen des Reiches zu handeln. Andererseits war er gezwungen, die Anschuldigung der Untätigkeit von sich zu weisen135. Somit gewann das Schisma für ihn entscheidende Bedeutung, und so erklärt sich, daß sich Wenzel auf das fur ihn schon im Vorfeld nicht gerade aussichtsreiche Treffen einließ und damit dem Drängen von innerhalb und außerhalb des Reiches nachgab. Schon im Vorfeld kam es sowohl auf deutscher wie auch auf französischer Seite zu Bemühungen, sich in Sachen Kirchenspaltung zu verständigen. So waren auf dem Frankfurter Reichstag französische Gesandte zugegen mit voller machte in einunge zu machen von der heiligen Kirchen wegen, wie Eberhard Windeck beschreibt136. Da die bis dahin unternommenen Anstrengungen, jene Einheit der Kirche zu erlangen, zu keinem Ergebnis geführt hatten, schien ein Treffen auf der obersten weltlichen Herrschaftsebene der Schritt zur Klärung dieser ausweglosen Situation zu sein: Statt eines Konzils der Kirchenväter sollte also ein concilium vom römischen und vom französischen König stattfinden137. Die von vielen, jedoch nicht von allen Seiten als untragbar angesehene Spaltung der Kirche in zwei Obödienzen war dementsprechend eine von außen an die beiden Monarchen herangetragene Aufgabe. Im folgenden sollen nun einige für das politische Zeremoniell relevante Aspekte genauer betrachtet werden. Hierzu zählen bei dem Treffens im Jahre 1398 sowohl die Wahl des Ortes, der personelle und materielle Aufwand auf beiden Seiten, das Zeremoniell während der Begegnung der Könige, das Festessen, das erst zwei Tage später stattfand, als auch die Gestaltung des Herrscherprivatissimums, also die Beratung über das Schisma unter vier Augen. Die Wahl des Treffpunktes gibt immer auch Aufschlüsse über die jeweiligen Verhältnisse von regnum und imperium. Dadurch zeigt sich unverstellt, wer an wessen Entgegenkommen interessiert war. So ist es zu vermerken, daß man sich sowohl für ein Grenztreffen als auch für eine feierliche Einladung Wenzels nach Reims entschieden hatte. Die deutsch-französische Begegnung an der Grenze zwischen Ivios und Mouzon versprach wie bereits oben ausgeführt 135 Wilhelm HANISCH, König Wenzel von Böhmen (geb. 1361, gest.1419). Studien zur Geschichte seiner Regierung, in: Ostbairische Grenzmarken. Passauer Jahrbuch flir Geschichte, Kunst und Volkskunde 11 (1969), S. 197-217 (Teil I); 12 (1970), S. 1 - 6 1 (Teile II und III), hier Teil I, S. 203; THOMAS, Deutsche Geschichte (wie Anm. 5), S. 331-335: Kritisiert wurden vor allem die Haltung im Schisma, die Erhebung Giangaleazzo Viskontis als erblichem Herzog von Mailand und die Rheinzölle. Zur Anklageschrift zuletzt: DÜRSCHNER, Der wakkelige Thron (wie Anm. 131), S. 44-46. 136

Eberhard WINDECK, Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigmunds, hg. von Wilhelm ALTMANN, Berlin 1893, S. 1077. 137 Fran9oise AUTRAND, Jean de Berry. L'art et le pouvoir, Paris 2000, S. 400.

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beiden Seiten Neutralität und stand in der Tradition früh- und hochmittelalterlicher Treffen an der Grenze, bei denen beide Seiten in gleicher Weise einander entgegenkamen 138 . Andererseits war die Einladung Wenzels nach Reims ein Symbol der Ehrung und des Wohlwollens, das im Gegensatz zum Aufwand seines tatsächlichen Entgegenkommens stand. Doch bei der Begrüßung an der Grenze ließ sich der französische König durch Herzog Ludwig von Orleans vertreten, der seit Beginn der 90er Jahre des 14. Jahrhunderts fur den König in Opposition zur Partei der Bourgognes die Regierungsgeschäfte führte139. Bevor der Zug des römischen Königs zusammen mit dem des Herzogs von Orleans gemeinsam weiterreiste, um in Reims mit Karl VI. zusammenzutreffen, blieb man einige Tage in der Grenzregion bei Ivois zwischen regnum und imperiumH0. Zwei Dinge sprechen dafür, daß es sich hierbei nicht um taktisches Warten an der Grenze, sondern um ein geplantes Treffen in Anlehnung an frühere »Verhandlungstreffen« handelte: Die eminente Stellung von Ludwig von Orleans in Frankreich geht weit über die Funktion eines hochrangigen Begrüßungskomitees hinaus. Der Herzog erschien nicht nur stellvertretend für Karl VI.141, sondern auch in eigenem Anspruch als Herrscher, der zum eigenen Vorteil gegebenenfalls auch gegen die Interessen der französischen Krone Politik betrieb. Da er in Oberitalien die Errichtung eines eigenen Königtums anstrebte, trat er nicht nur als Herzog von Orleans und königlicher Bruder auf, sondern auch in eigener Sache. Er ließ Wenzel ein königliches Festmahl richten, doch nicht nur, weil er dem Gast entgegenkommen sollte, sondern weil er selbst mit königlichem Anspruch auftrat. Allerdings war er für seine politischen Ziele eng mit dem avignonesischen Papsttum verbunden, was ein schweres Hindernis fur die Verhandlungen mit dem romtreuen Wenzel bedeutete. Als Ort für das Treffen an der Grenze wurde Ivois gewählt. Jener Ort war wie Mouzon eine traditionsreiche Stätte fur politische Treffen zwischen den Herrschern im regnum und im Imperium, bei denen vor allem die Gleichrangigkeit im Vordergrund stand. Als Ort für den feierlichen Empfang stand sicherlich eine Reihe von Städten zur Auswahl. Auf ausdrücklichen Wunsch Karls VI. {ab eo electam)142 war Reims als Begegnungsort gewählt worden, was wohl damit zusammenhing, daß in einer größeren Stadt Nahrungsmittel, 138

VOSS, Herrschertreffen (wie Anm. 3), S. 70-72. Michael NORDBERG, Les dues et la royaute. Etudes sur la rivalite des dues d Orleans et de Bourgogne 1392-1407, Uppsala 1964 (Studia Historica Upsaliensia, 12). 140 Chronique du religieux de Saint-Denys contenant le regne de Charles VI., de 1380 ä 1422, hg. von Louis BELLAGUET, Paris 1839-1852 (ND hg. von Bernard GUENEE, Paris 1994), Bd. 2, S. 564. Vgl. dazu Bernard GUENEE, L'opinion publique ä la fin du Moyen Äge. D'apres la chronique de Charles VI du religieux de Saint-Denis, Paris 2002; DERS., Un roi et son historien. Vingt etudes sur le regne de Charles VI et la chronique du Religieux de SaintDenis, Paris 1999. 141 HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 5). 142 Chronique du religieux de Saint-Denys (wie Anm. 140), S. 564. 139

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Unterkünfte etc. in größerem Umfang und schneller bereitgestellt werden konnten143. Zudem lag Reims knapp 100 Kilometer näher an Paris, war also für den gesundheitlich angeschlagenen Karl VI. einfacher zu erreichen. Obwohl seine Geisteskrankheit, ein Wechsel von manischem und depressivem Verhalten144, bereits am 5. August 1392 zum ersten Mal aufgetreten war, machte sie sich erstmalig beim Herrschertreffen mit Wenzel negativ bemerkbar145. Wenzel reiste Ende Februar über Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Aachen bis an die französische Grenze, wo er in Ivois vom Herzog von Orleans in Empfang genommen wurde. Seine Entourage war alles andere als einem Staatsbesuch angemessen. Mit ihm reisten keine nennenswerten Fürsten, geschweige denn Kurfürsten. Als ranghöchster Fürst war Bischof Lamprecht von Bamberg zugegen. Alle anderen Fürsten hatten König Wenzel die Gefolgschaft versagt. Sein »Alleingang« nach Frankreich führte seine isolierte Stellung eindrücklich vor Augen146. Der Herzog von Orleans geleitete Wenzel zusammen mit einigen Adligen von Ivois nach Reims, wo ihnen Karl VI. am 23. März 1398 zwei Meilen vor der Stadt (so die »Chronique du religieux de Saint-Denys«) einen feierlichen Empfang bereitete. Der französische König zog dem Reichsoberhaupt mit seinen beiden Onkeln, den Herzögen von Berry und Bourbon, mit König Karl III. von Navarra und mit großem Gefolge entgegen. Dieses Entgegenkommen stellt die französische Chronistik in Frage. Im Bericht des Juvenal des Ursins heißt es, Karl wäre beim Jagen gewesen, als ihn der römische König überraschend aufgesucht habe147. Wir können hier nicht die intentionale Verdrehung 143 Inde gaudens rex Karolus, et consobrinum a multis annis non visum cupiens honore debito prevenire dominum ducem Aurelianensem fratrem suum misit cum copia militum et baronum, qui sumptibus regiis eum ab ingressu regni adduceret usque Remis, villam ab eo electam, et in qua jam provisones ingentes iusseret preparari. Ibid. Vgl. auch die in Anm. 140 genannte Literatur. 144 Bernard GUENEE, La folie de Charles VI roi bien-aime, Paris 2004; Jean-Claude LEMA1RE, Le roi empoisonne. La verite sur la folie de Charles VI, Paris 1977, mit der These, Karls Krankheitsschilbe seien durch Entmündigungsmaßnahmen des Hofes provoziert. Dazu auch Auguste BRÄCHET, Pathologie mentale des rois de France. Louis XI et ses ascendants. Une vie humaine etudiee ä travers six siecles d'herediti, 852-1483, Paris 1903; Patrick VAN KERREBROUCK, Christophe BRUN, Christian DE MERINDOL (Hg.), Les Valois, Villeneuve d'Ascq 1990 (Nouvelle histoire genialogique de l'auguste maison de France, 3), S. 114-129. 145

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Zuletzt GUENEE, U n roi (wie A n m . 140), S. 281.

Frantisek GRAUS, Das Scheitern von Königen: Karl VI., Richard II., Wenzel IV., in: Reinhard SCHNEIDER (Hg.), Das spätmittelalterliche Königtum im europäischen Vergleich, Sigmaringen 1987 (Vorträge und Forschungen, 32), S. 17-37. 147 Le Roy de Boheme avoit grand desir de voir le Roy et sceut que le Roy devoit venir ä Rheims et que par aucun temps se tiendroit la, si fit diligence d'y venir. Laquelle chose venue a la cognaissance du Roy, il en jut bien joyeux et delibera de luy faire bonne chere. Et ainsi comme le Roy s'esbatoit aux champs ä chasser, et voler environ a deux lieues de Rheims, survit le Roy de Boheme lequel il receut bien et honoreblement et ä grande joye le mena ά Rheims et fut festoye en toutes manieres bien grandement. Et luy fit le Roy de beaux

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von protokollarischen Sachverhalten in der Historiographie und die hierbei unterliegenden Gründe untersuchen, sondern daraus nur ableiten, wie wichtig für die Zeitgenossen ein Entgegengehen von zwei Meilen war, um sich mit einem anderen Herrscher zu treffen. Freilich konnte es hier, weit entfernt von Paris und Prag, nicht zu einer rührenden Begegnung mit der Verwandtschaft kommen wie Jahre zuvor zwischen Karl IV. und Karl V. von Frankreich. Die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den Häusern Luxemburg und Valois waren längst nicht mehr wie einst: Karls Ehefrau Isabeau war eine Wittelsbacherin der Linie Bayern-Ingolstadt, während Wenzels zweite Gattin Sophie ebenfalls Wittelsbacherin, allerdings aus der Linie Bayern-München war148. Nach dem Handschlag wechselten die beiden Könige Begrüßungsworte und tauschten den traditionellen Friedenskuß. Wiederum ist es die französische Historiographie, die dieses Detail benutzt, um weitergehende Aussagen über das Verhältnis von regnum und Imperium zu machen: Froissart schreibt, daß, sobald sich diese beiden Könige zum ersten Mal gesehen hätten, sie einander mit vielen Ehrerweisungen und Verneigungen entgegengekommen wären, »wie sie es gerne zu tun pflegten. Vor allem aber habe der König von Frankreich den deutschen König übertroffen, da die Deutschen sich ihrer Natur nach derb und im Umgang grob zeigten, wenn es darum ging, ihren Vorteil zu nehmen. Darin sind sie erfahren und fähig«149. Der feierliche Zug zum Kloster des heiligen Remigius, begleitet von Musikern und Feldtrompetem, nahm eine bekannte, dem decorum der gekrönten Häupter gerecht werdende, Prozessionsordnung ein. Hinter den Schildträgern schritten zwei noch nicht zum Ritter geschlagene Hochadlige: der Sohn des Herzogs von Burgund, Jean de Nevers, und Ludwig von Bayern-Landshut, Bruder der Königin von Frankreich. Die drei gekrönten Häupter, Karl III. von Navarra, Wenzel und Karl VI. von Frankreich, ritten nebeneinander, doch dieses Mal wurde im Gegensatz zu 1378 dem ausländischen Gast der ehrenvolle Platz in der Mitte eingeräumt. Ein klares Zeichen dafür, daß der französische König sich nicht in der Situation befand, die ihm zukommende Stellung als

dons et plusiers presens. Et cependant qu'il fut, survint une Ambassade d'Allemagne, pour avoir Union en l'Eglise, disant qu'ils avoient esleu la voyage de cession comme luy, dont le Roy fut moult joyeux. Jean JUVENAL DES URSINS, Histoire de Charles VI. Roy de France et des choses memorables advenues depuis 1380-1422, hg. von Denys GODEFROY, 2 Bde., Paris 1653, S. 132, datiert das Treffen fälschlicherweise auf 1397. 148 Philippe DELORME, Isabeau de Baviere. Epouse de Charles VI, mere de Charles VII, Paris 2003. 149 Quand ces deux rois s 'entrcontrerent et virent premierement, ils se firent moult honneurs et reverences, car bien etoient mourris et induits ä ce faire, et par especial le roi de France plus que le roi d'Allemagne; car les Allemands de nature sont rüdes et de gros engin, si ce η 'est au prendre ä leur profit, mais ä ce sont-ils assez experts et habiles. Jean FROISSART, CEuvres, hg. von Joseph Baron KERVYN DE LETTENHOVE, 28 Bde., Brüssel 1867-1877 [ND Osnabrück 1967-1973], Bd. 16: Chroniques 1397-1400, S. 84f.

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Gastgeber in der Mitte zu fordern: Er erwartete durchaus Kooperation und Zugeständnisse in der Frage der Lösung des Obödienzenstreites sowie im strittigen Bereich der territorialen Herrschaft in Burgund. Zur Rechten der Könige schritt Messire de la Roche-Guyon, zur Linken Robert de Boissay, beide Kammerdiener und aus dem engsten Umkreis des französischen Königs, als Leibgarde. Es folgten die Herzöge von Berry, Orleans, Bourbon und nach ihnen hierarchisch nach Rang, doch nicht nach Landeszugehörigkeit, der Bischof von Bamberg, die Fürsten Frankreichs, Böhmens und weitere Adlige des Reichs. Die im Bereich des Anekdotenhaften anzusiedelnde zeremonielle Begebenheit des Herrschertreffens von 1398 war das »verschleppte Festessen«. Wenzel wurde im Kloster St-Remy untergebracht, in dem der französische König die Übernachtungsräume reichlich mit Goldbrokatstoffen und Tapisserien hatte ausstatten lassen. Robert de Boissay, der erste Kammerdiener des Königs, kündigte an: Et hec omnia, princeps excellentissime, rex vobis dat - das alles soll Euer sein, woran er die Bitte anschloß, mit dem König zu speisen: si placet, secum prandeatis. Doch hierzu kam es nicht. Als am darauffolgenden Tag die Herzöge Berry und Bourbon ins Kloster kamen, um Wenzel zur gedeckten Tafel abzuholen, war dieser angeblich noch zu betrunken, um das Galadiner des französischen Königs zu besuchen. So ritten die Herzöge unverrichteter Dinge wieder ab, das Essen mußte auf den nächsten Tag verschoben werden. Die französische Seite sei »zu Recht« schockiert gewesen. Der Autor der »Chronique du religieux de Saint-Denys« ist der einzige, der von dieser Episode zu erzählen weiß. Er tut dies so unverblümt und gehässig, daß eine Stilisierung nicht ausgeschlossen werden kann. Da allerdings auch bei deutschen Autoren zu jener Zeit die nicht eben unbegründeten »Wenzellegenden« florierten, mag die Verschiebung des Festessens sowohl durch die alkoholisch bedingte Unpäßlichkeit, als auch durch den kritischen Gesundheitszustand Karls VI. begründet gewesen sein - einen Tag später mußte der französische König deswegen ja abreisen. Daraus kann man schließen, daß die Einladung zu einem Essen durchaus nicht so lange vorher ausgesprochen wurde, wie die Vorbereitungen für das Essen begonnen wurden. Ein Festessen mit mehreren hundert Beteiligten konnte bei Bedarf um einen Tag verschoben werden. Wichtigste Teilnehmer waren eben die Herrscher. Schließlich verbindet die Stilisierung der historiographischen Erzählung den Verstoß gegen die Gastfreundschaft mit dem Mißmut der gastgebenden französischen Seite und dem späteren Scheitern der getroffenen Entscheidungen. Der zeremonielle Fauxpas wurde zur Begründimg des politischen Scheiterns angeführt. Nachdem nun am 25. März 1398 das repräsentative Mahl stattfand, zogen sich im Anschluß die beiden Könige (ohne den König von Navarra) zu einem

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Vier-Augen-Gespräch in ein Zimmer zurück (secretam cameram)'50. Diese besondere Heraushebung des Herrscherprivatissimums als Möglichkeit zur unabhängigen, also der absoluten Entscheidungsfindung, trifft man bei vielen Herrschertreffen an. Es steckt hierin sicherlich auch der Aspekt der rituellen Mystifizierung der königlichen Macht bei der Problembewältigung. Am interessantesten hingegen erscheint die Feststellung, daß eine festgefugte Vorstellung, ein wohlverankertes Gedankenkonstrukt von einem idealen Herrschertreffen existiert hatte. Entsprach das politische Ergebnis nicht den Vorstellungen, so wurden bei Berichterstattung und Reflexion Äußerlichkeiten und Formfehler überbetont, ja sogar historische Gegebenheiten frei hinzuerfunden. Doch mußte auch diese Begegnung abgebrochen werden, da sich die geistige Krankheit Karls VI. bemerkbar machte. Dieser reiste noch am Nachmittag jenes 25. März 1398 nach Paris ab. Zurück blieb Wenzel, der mit dem Herzog von Orleans die eigentlichen Beschlüsse faßte. Dieses Treffen - das einzige Herrschertreffen Wenzels während seiner Regierungszeit - stellt einen Sonderfall in der politischen Praxis Wenzels dar. Im Gegensatz zu seinem Vater Karl IV. verließ er sich viel mehr auf Gesandtschaften und scheute den Aufwand repräsentativen Reisekönigtums151. Dieser Aspekt führt eindringlich vor Augen, wie politische Gipfeltreffen von der persönlichen Einstellung der einzelnen Herrscher abhingen. Doch durch das Abweichen von seiner bisherigen Regierungspraxis erreichte er zweierlei. Einerseits konnte er eine große Summe Geld vom französischen König in Empfang nehmen, die ihm gelegen kam. Andererseits konnte er den Makel der Tatenlosigkeit abschütteln, obwohl er keine handfesten Verhandlungsergebnisse vorweisen konnte. Untätig war er nicht gewesen.

Zusammenfassung

Die deutsch-französischen Herrschertreffen von 1363, 1377 und 1398 wurden von wechselnden Gestaltern, mit wechselnden Beteiligten unter unterschiedlichen Voraussetzungen und an verschiedenen Orten ausgeführt. Dies beeinflußte in nicht unerheblichem Maße auch die zeremoniellen Formen, mit denen sich regnum und Imperium einander gegenübertraten. Jedes Mal boten sich die Art und Weise, wie sich die beiden Höfe jeweils darstellten und wie das Bild, das die Gemeinwesen jeweils vermittelten, anders dar. Doch kann

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Chronique du religieux de Saint-Denys (wie Anm. 140), S. 566. Ivan HLAVACEK, Kommunikation der Zentralmacht mit Reichsuntertanen sowie auswärtigen Mächten unter König Wenzel (IV.), in: Heinz-Dieter HEIMANN, DERS. u.a. (Hg.), Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen, Paderborn u.a. 1998, S. 19-30. 151

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eine Grundkonstante spezifisch deutschen und spezifisch französischen Verhaltens ausgemacht werden, das als das jeweilige Anderssein von Zeitgenossen wie von Chronisten wahrgenommen bzw. verzeichnet wurde152. Das andersartige Verhalten des Gegenübers wurde beispielsweise vom Autor der »Grandes Chroniques« unkommentiert als gegeben vorausgesetzt (selort accostoumancef53 und vom Juvenal des Ursins zum Anlaß genommen, sich nicht nur über die anderen höfischen Verhaltensweisen, sondern über die grundsätzliche kulturelle Verschiedenheit von Deutschen und Franzosen zu äußern. Andererseits boten die Herrschertreffen auch die Gelegenheit, kulturelle und strukturelle Gemeinsamkeiten zu demonstrieren. Die Darstellung der gemeinsamen Tradition war ein probates Mittel zur Schaffung adäquater Verhandlungsvoraussetzungen. Es fällt auf, daß gerade in den Momenten des Aufeinandertreffens, der Begrüßung und der gemeinsamen Prozession - also alles zeremonielle Akte, die den Verhandlungen vorausgingen - besonders Wert auf die formale Ausgestaltung gelegt wurde. Bei den so Gleichrangigkeit betonenden Treffen von 1377/1378 ritten bei der Prozession Adelige nicht nach Landsmannschaft eingereiht, sondern gemäß ihrem in ganz Europa als gleichwertig gestuften Rang als Herzog, Fürst etc. So wurde der Herzog von Sachsen auf einer Höhe mit den Herzögen Frankreichs gesehen, nicht jedoch auf derselben Stufe wie die Herzöge von Berry, Bourgogne und Bar, die mit dem französischen König eng verwandt waren (de sangue). Innerhalb der inszenierten Einmütigkeit der Hofstaaten ragten die Herrscher Karl IV. und Karl V. heraus, die ihre enge Verbundenheit auf mehreren Ebenen nach außen darstellten: als Verwandte, als Mitglieder verbündeter Dynastien, als Herrscher, die eine intime persönliche Freundschaft verband, als Mitglieder derselben Ritterkultur. So unterschiedlich die Anlässe für die jeweiligen Treffen waren, so unterschiedlich waren auch die von außen feststellbaren Ergebnisse: Während die »Chroniques« das Treffen von 1377/1378 als Erfolg fur das französische Königtum verbuchen, bei dem Kaiser Karl IV. in beispielhafter Weise als Ehrengast behandelt wurde, so stimmen nahezu alle Chroniken bezüglich des Treffens von Wenzel und Karl VI. 1398 überein, indem sie es als erfolgloses Beisammensein zweier schwacher Könige beschrieben. Die Gründe für das Scheitern wurden allerdings nicht nur in formalen Fehlern, sondern auch in »Wankelmütigkeit« und Unfähigkeit der Beteiligten gesucht154. Der Durchbruch am Verhandlungstisch war dennoch nicht zustande gekommen. Weder wurde der Parisbesuch Karls IV. mit der feierlichen Verleihung der Vikariatsrechte in der Dauphine abgeschlossen - diese wurden im nachhinein brieflich 152 Albrecht CLASSEN (Hg.), Meeting the Foreign in the Middle Ages. Xenological Approaches to Medieval Phenomena, New York, London 2002. 153 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 2), S. 234. 154 Dazu AUTRAND, Charles VI (wie Anm. 63), S. 344f.

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verliehen - , noch konnte Wenzels Mission abgeschlossen werden: Die beiden Könige zogen unverrichteter Dinge wieder ab155. Ebenso ist von dem kurzen Treffen 1363 kein bedeutender politischer Impuls ausgegangen. Diese Herschertreffen waren demnach nicht die »Lösung bei unlösbaren Problemen«, wie von Fran9oise Autrand formuliert156. Die Erwartungen der Zeitgenossen an die sich treffenden Monarchen waren wesentlich höher angesetzt als das, was politisch entschieden und umgesetzt werden konnte. So erwiesen sich die drei untersuchten Herrschertreffen nicht als Mittel zur effektiven Konfliktbewältigung, doch als probate Wege, gemeinsame Probleme in Angriff zu nehmen. Anders als der diplomatische Brief- und Gesandtenverkehr mit all den Möglichkeiten der Verschleppung und Vermeidung erzwang das Gegenüberstehen der Monarchen eine Stellungnahme im wahrsten Sinne des Wortes. Die öffentliche Wahrnehmbarkeit verlangte auch die Vermeidung zweideutigen Verhaltens in bezug auf die bestehenden Gemeinsamkeiten und Differenzen. Dazu waren Herrschaftsträger ohnehin gezwungen, da bereits in den einzelnen Gemeinwesen wie regnum oder imperium ihrem äußeren Verhalten hohe Aufmerksamkeit gewidmet wurde: Es hing viel von der Meinung dieser Entscheidungsträger ab, die sie durch bestimmtes Verhalten zum Ausdruck bringen konnten. Bei der Begegnung zweier oder mehrerer Herrscher weckte deren äußeres Verhalten um so mehr das Interesse der Beobachter, was die Handelnden regelrecht zu formalisiertem und konventionalisiertem Verhalten zwang, unabhängig von ihren eigenen Zielvorstellungen. Darin liegt auch im Ansatz die Auseinanderentwicklung von alltäglich-privaten und höfisch-diplomatischen Verhaltensweisen begründet, die sich allerdings erst später zu einem Gegensatz ausbilden sollte157. Die Untersuchung von zeremoniellen und rituellen Handlungen bietet die notwendige Ergänzung zur politikgeschichtlich orientierten Fragestellung nach politischen Voraussetzungen und historischer Folgewirkung. Über das Verhältnis von regnum und imperium im 14. Jahrhundert kann weder unter zeremoniellen noch unter politischen Gesichtspunkten isoliert befunden werden.

155 Dieses Mißverhältnis von Erwartung und Ergebnis wurde hingegen von der diplomatischen Reise Kaiser Sigismunds 1416 umgekehrt, die hier außer acht bleiben mußte. Ihm war die »Heilung« jenes Schismas gelungen, an dem Wenzel politisch zerbrach. 156 »Comme en ce temps-lä on pensait volontiers que la seule solution aux problemes insolubles itait la rencontre au sommet entre deux souverains«, AUTRAND, Berry (wie Anm. 137), S. 400. 157 Christina HOFFMANN, Das spanische Hofzeremoniell von 1500-1700, Frankfurt a.M. u.a. 1985; HARTMANN, Staatszeremoniell (wie Anm. 6).

STEFAN WEISS

ONKEL U N D NEFFE Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich unter Kaiser Karl IV. und König Karl V. und der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas. Eine Studie über mittelalterliche Außenpolitik 1. Teil: Vom Reichstag zu Metz bis zum Ausbruch des Großen Schismas'

I. Einleitung

Zu den umstrittenen Seiten Kaiser Karls IV. zählt seine Politik gegenüber Frankreich, insbesondere soweit das alte Königreich Burgund, das Arelat, betroffen war2. Einerseits hat Karl IV. durch seine Krönung in Arles 1365 die kaiserliche Oberherrschaft über jenes Teilreich noch einmal eindrucksvoll unterstrichen. Andererseits hat er, indem er diverse Herrschaftsrechte sowohl des französischen Königs als auch solche von dessen Verwandten nicht nur tole1 Wertvolle Anregungen verdanke ich den Teilnehmern eines an der Universität des Saarlandes (Saarbrücken) abgehaltenen Hauptseminars, den stud. phil. Klaus Becker, Oliver Emanuel, Thomas Maldener und Patrick Trautmann. Für weitere Hinweise und fordernde Kritik danke ich Armand Jamme, Philippe Genequand, Georg Kreuzer, Michael Lindner, Sarah Noethlichs, Werner Paravicini, Karsten Plöger, Heinz Thomas und Andreas Willershausen. Der zweite Teil dieser Studie wird unter dem Titel »Prag - Paris - Rom: Der Ausbruch des Großen Abendländischen Schismas im Kontext der deutsch-französisch-päpstlichen Politik«, in: Hans-Joachim SCHMIDT, Gisela DROSSBACH (Hg.), Vom Zentrum zum Netzwerk. Raumüberwindung in der hoch- und spätmittelalterlichen Kirche, erscheinen. 2 »Ganz besonderes Rätselraten hat die Politik des Kaisers in dem zum Römischen Reich gehörenden Arelat ausgelöst«, so faßt Heinz Thomas, dem wir eingehende Studien über das Thema verdanken, den Forschungsstand zusammen. Heinz THOMAS, Frankreich, Karl IV. und das Große Schisma, in: Peter MORAW (Hg.), »Bündnissysteme« und »Außenpolitik« im späteren Mittelalter, Berlin 1988 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 5), S. 6 9 104, hier S. 84. Ganz ähnlich äußern sich Ferdinand SEIBT, Karl IV. Ein Kaiser in Europa, München 1978, S. 35Iff., und jüngst Martin KLNTZLNGER, Kaiser und König. Das römischdeutsche Reich und Frankreich im Spätmittelalter, in: Dieter BERG, DERS., Pierre MONΝΕΤ (Hg.), Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13. bis 16. Jahrhundert), Bochum 2002 (Europa in der Geschichte, 6), S. 113-136, hier S. 128.

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riert, sondern sogar ausgeweitet hat, die französische Ausdehnung auf das rechte Rhoneufer aktiv gefordert. Ihren Höhepunkt erreichte diese Begünstigung Frankreichs, als Karl IV. am 7. Januar 1378 - kurz vor seinem Tod dem französischen Kronprinzen Karl (VI.) auf Lebenszeit das Recht seiner des Kaisers - Stellvertretung im gesamten Arelat verlieh. Bei der Untersuchung dieses Problems will ich nicht allein seit langem bekannte Quellen und Ereignisse neu deuten, sondern auch einige grundsätzliche Probleme der politischen Geschichte des Mittelalters erörtern. Zunächst einige Worte zu den Quellen. Generell ist die Quellenlage für unser Thema nicht schlecht: Aus erzählenden Quellen, aus Urkunden und Briefen und nicht zuletzt auch aus Rechnungsbüchern läßt sich eine Vielzahl von relevanten Informationen zusammentragen. Gleichwohl handelt es sich dabei um eine sehr fragmentarische, zufällige Überlieferung, von durchgehenden Aktenreihen wie in der Neuzeit kann hier noch keine Rede sein. Vor allem fehlt es - gerade in bezug auf die Außenpolitik - an Quellen, welche uns über die Intentionen der handelnden Fürsten und Monarchen informieren würden. Das gilt in doppelter Hinsicht: Nicht genug damit, daß es an Quellen für die geheimen, lediglich in vertrauten Beraterkreisen geäußerten Absichten fehlt, wir wissen fast ebensowenig über die offiziellen, nach außen hin vertretenen und propagierten Ziele - beide müssen ja keineswegs identisch gewesen sein. Eine Geschichtsschreibung, die sich nicht mit einer rein annalistischen Aneinanderreihung von Daten und Ereignissen zufrieden geben will, benötigt in einem solchen Fall ein übergreifendes Muster, ein Paradigma, in das sich die ermittelten Fakten einigermaßen widerspruchsfrei einfügen lassen. Für das französisch-deutsche Verhältnis im Mittelalter steht denn auch ein solches Paradigma zur Verfugung; es weist bereits ein ehrwürdiges Alter auf: Ich meine das Paradigma vom französisch-deutschen Gegensatz bzw. von den französischen Ausdehnungsbestrebungen nach Osten und den entsprechenden deutschen Abwehrbestrebungen3. Ich bin auf den Vorwurf gefaßt, daß ich hier offene Türen einrenne, daß dieses - früher zweifellos nachweisbare - Erklärungsmodell mittlerweile doch gründlich diskreditiert und außer Gebrauch gekommen sei4. Indes, eine nähere Beschäftigung mit dem hier gewählten Thema hat mich - zu meiner eigenen Überraschung - das Gegenteil gelehrt; im folgenden wird Gelegenheit sein, dies auch am konkreten Detail aufzuzeigen.

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Auf französischer Seite entsprach dem spiegelbildlich das Paradigma von der Wiedervereinigung (reunion) der östlichen Landesteile mit Zentralfrankreich. Dieses Erklärungsmodell ist jedoch mittlerweile völlig verschwunden, nicht, weil es grundsätzlich widerlegt oder durch ein besseres ersetzt worden wäre, sondern vielmehr deshalb, weil generell die politische Geschichte in Frankreich stark ins Hintertreffen geraten ist. 4 Ansätze für eine historiographiegeschichtliche Aufarbeitung finden sich bei Carlrichard BRÜHL, Deutschland - Frankreich. Die Geburt zweier Völker, Köln 1990, S. 342ff.

Onkel und Neffe

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Zudem sind die Nachwirkungen dieses Paradigmas nicht allein bei der Interpretation der französisch-deutschen Beziehungen feststellbar, sondern auch in bezug auf die Kirchengeschichte und den Ausbruch des Großen Schismas. Bis in die Gegenwart hinein kann man in einschlägigen Darstellungen lesen, das Avignoneser Papsttum sei von Frankreich abhängig gewesen5, eine Behauptung, deren Richtigkeit anscheinend so offensichtlich ist, daß bis heute niemand versucht hat, sie einmal aus den Quellen nachzuweisen6. Für den Ausbruch des Großen Schismas schließlich wird ebenfalls bis heute König Karl V. von Frankreich verantwortlich gemacht; er habe nicht ertragen können, daß die Päpste sich aus der Abhängigkeit von Frankreich hätten lösen wollen. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine gut belegte Tatsache, sondern bestenfalls um eine fragwürdige Hypothese7.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: Herbert GRUNDMANN, Frühneuzeit und Mittelalter, Stuttgart 9 1970 (Gebhardt. Handbuch der deutschen Geschichte, 1), S. 5 0 2 ; Joachim LEUSCHNER, Deutschland im späten Mittelalter, Göttingen 1975 (Deutsche Geschichte, 3), S. 134f.; Howard KAMINSKY, Simon de Cramaud and the Great Schism, New Brunswick 1983, S. 17ff.; ähnlich Kaminky in seiner Überblicksdarstellung: DERS., The Great Schism, in: The New Cambridge Medieval History, Bd. 6, Cambridge 2 0 0 0 , S. 6 7 4 - 6 9 6 ; Dieter BERG, Deutschland und seine Nachbarn 1 2 0 0 - 1 5 0 0 , München 1997 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte, 40), S. 14; Horst FUHRMANN, Die Päpste. Von Petrus zu Johannes Paul II., München 1998, S. 150. Partielle Kritik an dieser Lehrmeinung übt Franz J. FELTEN, Johann der Blinde und das Papsttum, in: Michael PAULY (Hg.), Johann der Blinde. Graf von Luxemburg, König von Böhmen 1 2 9 6 - 1 3 4 6 , Luxemburg 1997 (Publications de la section historique de l'Institut grand-ducal de Luxembourg, 115), S. 3 8 3 - 4 1 7 , hier S. 392ff. Es würde sich lohnen, diese Problematik einmal historiographiegeschichtlich aufzuarbeiten. Der gleiche Johannes Haller etwa, der in seinem bahnbrechenden Werk: Johannes HALLER, Papsttum und Kirchenreform, Bd. 1 (mehr nicht erschienen) Berlin 1903 (ND Berlin 1966), S. 24f., die Abhängigkeit von Frankreich noch als eine veraltete, längst überholte These behandelt hatte, hat knapp vier Jahrzehnte später exakt in das gleiche Horn gestoßen, vgl. Anm 6. Über Hallers Verhältnis zu Frankreich vgl. auch Heribert MÜLLER, Der bewunderte Erbfeind. Johannes Haller, Frankreich und das französische Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 252 (1991), S. 2 6 5 - 3 1 7 . 5

Am ehesten findet man einen solchen Versuch in zwei Büchern, die wohl nicht ganz zufallig in den Jahren 1943 und 1944 publiziert worden sind: Friedrich BOCK, Reichsidee und Nationalstaaten. Vom Untergang des Alten Reiches bis zur Kündigung des deutsch-englischen Bündnisses im Jahre 1341, München 1943; Johannes HALLER, Das Papsttum, Bd. 3,1, Berlin 1945 = DERS., Das Papsttum, hg. von Heinrich DANNENBAUER, Bde. 4 und 5, Basel 2 1 9 5 3 . Hallers Darstellung bricht jedoch mit der Wahl Johannes' X X I I . unvollendet ab. Bei B o c k ist sehr deutlich, daß er das, was er nachweisen will, immer schon als selbstverständlich voraussetzt. Ähnliche Tendenzen gewahrt man auch in der zeitgenössischen italienischen Forschung. Vgl. etwa Eugenio DUPRE-THEISEIDER, I Papi di Avignone et la questione romana, Florenz 1939. 6

7 Auch in neueren Überblicksdarstellungen ist dieses Paradigma durchaus noch lebendig. Vgl. etwa Jörg K . HOENSCH, Die Luxemburger. Eine spätmittelalterliche Dynastie gesamteuropäischer Bedeutung 1 3 0 8 - 1 4 3 7 , Stuttgart 2000, S. 173: »Seine [Urbans VI.] vom französischen König Karl V . ermutigten Gegner im Kardinalskollegium erklärten fast gleichzeitig die Wahl Urbans für ungültig«; dagegen bereits Karl A. FINK, Das große Schisma bis

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D a ß dieses Erklärungsmodell bis heute nachwirkt, dürfte z w e i Gründe haben. Zunächst sind die grundlegenden Studien, w e l c h e die Quellen erschließen und die somit aus gutem Grund immer noch herangezogen werden, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert entstanden 8 , in einem Zeitraum also, in dem aus naheliegenden Gründen besagtes Paradigma besonders aktuell war. D a man nach w i e vor auf diese Arbeiten zurückgreifen muß, ist die Gefahr groß, nicht nur die dort angehäuften Informationen, sondern auch die dort vorgenommenen Interpretationen zu übernehmen, zumal beides im Einzelfall gar nicht leicht zu trennen ist. N a c h dem Zweiten Weltkrieg aber war eine Geschichtsschreibung, die sich der mittelalterlichen Außenpolitik widmet, lange Zeit in Mißkredit geraten 9 ; neue Studien müssen daher notgedrungen an einen Forschungsstand anknüpfen, der sich über mehrere Jahrzehnte hinweg nur w e n i g verändert hat 10 . Der schlechte Ruf einer speziell der Außenpolitik gewidmeten Historiographie hat freilich gute Gründe gehabt. Nicht nur diente sie oftmals zur Rechtfertigung einer kruden Machtpolitik, man hat auch in Frage gestellt, ob sie überhaupt den mittelalterlichen Realitäten gerecht werden kann. »Außenpolitik« ist ein

zum Konzil von Pisa, in: Hubert JEDIN (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3,2, Freiburg i.Br. 1968, S. 490-516, hier S. 496. 8 Der beste Führer durch die deutschen Quellen ist immer noch Johann Friedrich BÖHMER (Hg.), Regesta imperii, Bd. VIII: Die Regesten des Kaiserreichs unter Kaiser Karl IV. 1346-1378, hg. und ergänzt von Alfons HUBER, Innsbruck 1877 (ND 1968), und Ergänzungsheft Innsbruck 1889 (im folgenden: B-Η mit Angabe der Nummer); im Internet unter www.regesta-imperii.de. Nachträge verzeichnet Winfried DOTZAUER, Quellenkunde zur deutschen Geschichte im Spätmittelalter (1350-1500), Darmstadt 1996, S. 78ff. Viel Material enthalten bis zum Jahre 1357 die Bände der MGH Constitutiones et acta publica imperatorum et regum, hg. von Karl ZEUMER u.a., Bde. VIII-XI, Hannover u.a. 1910-1992 (im folgenden: Const.). Die ausführlichste Biographie über Karl IV., die in der Fülle der verarbeiteten Quellen unübertroffen ist, stammt von Emil WERUNSK.Y, Geschichte Kaiser Karls IV. und seiner Zeit, 3 Bde., Innsbruck 1880-1892. Sie ist unvollendet geblieben und reicht nur bis 1368. Für die französischen Quellen und zur politischen Geschichte Frankreichs jener Zeit ist nach wie vor grundlegend Roland DELACHENAL, Histoire de Charles V, 5 Bde., Paris 1909-1931. 9 Das gilt für Frankreich noch mehr als für Deutschland. Vgl. etwa Bruno GALLAND, Les papes d'Avignon et la maison de Savoie (1309-1409), Paris 1998 (Collection de l'Ecole franfaise de Rome, 247), S. 11 f., der sich förmlich rechtfertigt, ein derartiges Thema gewählt zu haben. 10 In letzter Zeit scheint sich die Renaissance einer speziell der Außenpolitik gewidmeten Geschichtsschreibung anzubahnen. Vgl. die Sammelbände von BERG, KlNTZINGER, MONNET (Hg.), Auswärtige Politik (wie Anm. 2), und Joachim EHLERS (Hg.), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter, Stuttgart 2002 (Vorträge und Forschungen, 56); Forschungsüberblick von Dieter BERG, in: EHLERS (Hg.), Deutschland, S. 47ff.; DERS., Einleitung, in: DERS., KlNTZINGER, MONNET (Hg.), Auswärtige Politik (wie Anm. 2), S. 11-14. Vgl. auch Arnd REITEMEIER, Außenpolitik im Spätmittelalter. Die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Reich und England 1377-1422, Paderborn 1999 (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 45), S. 15ff.

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neuzeitliches Konzept; es setzt die Existenz souveräner Staaten voraus; die mittelalterlichen Reiche kann man bekanntlich nur mit großen Einschränkungen als solche bezeichnen. Offenbar liegt der Hauptunterschied zwischen mittelalterlicher und neuzeitlicher Außenpolitik darin, daß jenes Gewaltmonopol im Inneren, welches den neuzeitlichen Staat charakterisiert, im Mittelalter noch nicht bestanden hat, weshalb die diversen Monarchen mit den mächtigsten ihrer Untertanen nicht in herrschaftlicher Weise, sondern auf dem Wege der Diplomatie verkehren mußten. Es bestand somit kein grundsätzlicher, sondern lediglich ein gradueller Unterschied in der Art und Weise, wie beispielsweise Kaiser Karl IV. mit König Karl V. - einem auswärtigen Herrscher - und mit Herzog Albrecht III. von Österreich - einem Reichsfursten - verkehrte. Noch komplizierter wird der Sachverhalt speziell für die deutsche Geschichte durch die eigenartige Verschränkung von Kaiser- und Königtum. Das Kaiserreich bestand bekanntlich aus den drei Königreichen Deutschland, (Nord-)Italien und Burgund. Soll man die Italienpolitik der deutschen Könige und Kaiser nun unter Innen- oder Außenpolitik subsumieren?" Man hat aus dem skizzierten Sachverhalt geschlossen, es habe im Mittelalter keine Außenpolitik gegeben12. Das ist jedoch fragwürdig. Zunächst einmal ist zu bedenken, daß das genannte Begriffspaar »Außenpolitik« und »Innenpolitik« eine rein begriffliche Entgegensetzung ist13 und keineswegs eine Beschreibung (früh)neuzeitlicher Realität. Noch das bismarcksche Kaiserreich etwa ist teilweise mit außenpolitischen Methoden regiert worden14. Man wird gut daran tun, Außen- und Innenpolitik nicht als Gegensatz, sondern vielmehr als zwei Pole anzusehen, zwischen denen sich Politik generell bewegt. Versucht man, die mittelalterliche Politik zwischen diesen Polen zu verorten, bemerkt man, daß - ganz im Gegensatz zu der referierten Ansicht - das Feld der Außenpolitik im Mittelalter weit größer als heute war, gerade weil nicht nur die außerstaatlichen, sondern auch die innerstaatlichen Beziehungen mit außenpolitischen Methoden aufrechterhalten werden mußten. Eher könnte man die Existenz von mittelalterlicher Innenpolitik bestreiten.

" Ähnliche Probleme bietet die französische Geschichte. Vgl. Frangoise AUTRAND, Jean de Berry. L'art et le pouvoir, Paris 2000, S. 393ff. 12 Dazu kritisch bereits THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 69f. Für Frankreich vgl. etwa Franfoise AUTRAND, Y a-t-il des »affaires etrangeres« dans la France des XIV* et XV* siecles?, in: BERG, K I T Z I N G E R , MONNET (Hg.), Auswärtige Politik ( w i e A n m . 2), S. 2 3 - 2 9 . 13 Ähnlich äußert sich Wolfgang GEORGI, intra und extra. Überlegungen zu den Grundlagen auswärtiger Beziehungen im früheren Mittelalter: Wahrnehmung, Kommunikation und Han-

deln, in: BERG, KJNTZINGER, MONNET ( H g . ) , Auswärtige Politik ( w i e A n m . 2), S. 4 7 - 8 6 ,

hier S. 48f.: »Desgleichen erweist sich die Vorstellung von gleichberechtigten Staaten nur als theoretisches Konstrukt«. 14 Dies zeigt John RÖHL, Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik, München 1987, S. 122ff.

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Indes will ich mich nicht in Paradoxien verlieren. Vielmehr sollen diese Ausführungen lediglich dazu dienen, auf die grundsätzliche Andersartigkeit mittelalterlicher Außenpolitik aufmerksam zu machen. Diese besteht vor allem darin - womit ich ein Ergebnis der folgenden Untersuchung vorwegnehme - , daß es sich im wesentlichen um dynastische Politik handelte. Der eigenartige Sachverhalt, daß ein bestimmter Mensch von Geburt an einen legitimen, allgemein anerkannten Anspruch darauf hatte, als Herrscher in einem bestimmten Staatswesen zu amtieren, ist uns heute schwer verständlich, es handelte sich aber - mindestens bis zur Französischen Revolution, im Grunde aber bis zum Jahre 1918 - um das in Europa absolut vorherrschende politische System. Im späten Mittelalter speiste sich dynastische Politik zunächst aus der prinzipiellen Vererbbarkeit von Herrschaftsansprüchen; sie gingen in der Regel vom Vater auf den ältesten Sohn über. Sie speisten sich aber ebenfalls aus der Akkumulierbarkeit von Herrschaftsansprüchen, d.h. im Idealfall war es möglich, dem eigenen Staatswesen durch geschickte Heiratspolitik noch weitere hinzuzufügen. Ein solcher Fall trat dann ein, wenn die übliche Abfolge vom Vater auf den Sohn nicht möglich war, sei es, daß ein solcher nicht vorhanden war, sei es, daß er nicht aus einer legitimen Ehe stammte. In solchen Fällen konnten auch Töchter oder andere Verwandte nachfolgen. Gelang es einem Herrscher, den eigenen, vorzugsweise den ältesten Sohn mit einer solchen Erbtochter zu verheiraten, so konnte - wohlgemerkt im Idealfall - dieser dem eigenen ein zweites Staatswesen in Personalunion hinzufügen. Freilich waren solche Ansprüche in der Regel alles andere als eindeutig, auch gab es häufig konkurrierende Ansprüche und diese führten nicht selten zu blutigen Kriegen. Wir wissen seit langem, daß derartige Eheschließungen langfristig geplant wurden: kaum geboren, wurden Königs- und Fürstenkinder von ihren Eltern anderen versprochen. Was sich jedoch nicht planen ließ, waren Todesfalle und Geburten, beide konnten geknüpfte Verbindungen jäh entwerten oder abreißen lassen, mit der Folge, daß die besagten Königs- und Fürstenkinder im Verlauf ihrer Kindheit und Jugend nicht selten mehrmals ver- und wieder entlobt wurden, bis sie endlich alt genug waren, eine gültige Ehe zu schließen15. Soviel zur Skizzierung der Rahmenbedingungen; verfolgen wir nun den Ablauf der Ereignisse.

15 Zu den kirchenrechtlichen Fragen vgl. Dieter VELDTRUP, Zwischen Eherecht und Familienpolitik. Studien zu den dynastischen Heiratsprojekten Karls IV., Warendorf 1988 (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit, 2), S. 76ff.; DERS., Ehen aus Staatsraison. Die Familien- und Heiratspolitik Johanns von Böhmen, in: PAULY (Hg.), Johann der Blinde (wie Anm. 5), S. 483-543, hier S. 486ff.; allgemein auch Karl-Heinz SPIESS, Familie und Verwandtschaft im deutschen Hochadel des Spätmittelalters. 13. bis Anfang des 16. Jahrhunderts, Stuttgart 1993 (Vierteljahrschrift fur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Beiheft 111), bes. S. 113ff.

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II. Luxemburg und Valois - zwei Dynastien Karl IV.16 war wohl deijenige deutsche König des Mittelalters, der die engsten Bindungen an Frankreich hatte. Im Gefolge seines Vaters, Johanns des Blinden, des Königs von Böhmen (1296-1346), hatte Karl den größten Teil seiner Jugend in Frankreich, und zwar meist am königlichen Hof, verbracht. Selbst seinen Namen verdankte der ursprünglich Wenzel getaufte Karl seinem Onkel, dem französischen König Karl IV., dem Schönen (1322-1328). Seine Schwester Bonne (Guta) war die Gattin des französischen Königs Johann II. (1350— 1364), womit Karl zu dessen Schwager und zum Onkel von dessen Nachfolger Karl V.17 (1364-1380) wurde. Schließlich war Karls erste Gattin, Blanche von Valois, eine Schwester König Philipps VI. von Frankreich (1328-1350)18. Seit der späten Karolingerzeit waren die verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen der östlichen und westlichen Herrscherdynastie nicht mehr so eng gewesen. Nun können verwandtschaftliche Beziehungen sicher dazu beitragen, ein vertrauensvolles Zusammenwirken zweier Herrscherhäuser zu sichern, sie müssen es jedoch nicht. In der Forschung herrscht denn auch die Meinung vor, das deutsch-französische Verhältnis in dieser Zeit sei ganz im Gegenteil von gegenseitigem Mißtrauen und immer neuen Spannungen geprägt gewesen19. Hier ist freilich zu differenzieren. Man hat schon länger gesehen, daß sich Karls IV. Verhältnis zu den französischen Monarchen und Verwandten durchaus nicht einheitlich gestaltet hat. Am schlechtesten - darüber ist man sich

16 Neuere Biographien bieten SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 2); Jiri SPEVACEK, Karl IV. Sein Leben und seine staatsmännische Leistung, Wien 1978; Heinz STOOB, Kaiser Karl IV. und seine Zeit, Graz, Wien, Köln 1990 (leider ohne Anmerkungen). Den neuesten Überblick gibt Martin KINTZINGER, Karl IV. (1346-1378), in: Bemd SCHNEIDMÜLLER, Stefan WEINFURTER (Hg.), Die deutschen Herrscher des Mittelalters, München 2003, S. 408-432, 593f. Eine neue Biographie bereitet Heinz Thomas vor. 17 Über Karl V. ist grundlegend DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 1-5; eine neue Biographie: Franchise AUTRAND, Charles V: le Sage, Paris 1994; einen kurzen Überblick gibt Heinz THOMAS, Karl V. 1364-1380, in: Joachim EHLERS, Heribert MÜLLER, Bernd SCHNEIDMÜLLER (Hg.), Die französischen Könige des Mittelalters, München 1996, S. 2 8 5 302, 404. 18 Vgl. vor allem DERS., Die Beziehungen Karls IV. zu Frankreich von der Rhenser Wahl im Jahre 1346 bis zum großen Metzer Hoftag, in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 113 (1978) = Hans PATZE (Hg.), Kaiser Karl IV. 1316-1378. Forschungen über Kaiser und Reich, Neustadt a.d. Aisch 1978, S. 165-201, hier S. 165f., 196ff.; einen kurzen Überblick gibt DERS., Deutsche Geschichte des Spätmittelalters 1250-1500, Stuttgart 1983, S. 283ff. Über die persönlichen Beziehungen Karls IV. zu Karl V. vgl. Raymond CAZELLES, La societe politique, noblesse et couronne sous Jean le Bon et Charles V, Genf, Paris 1982 (Memoires et documents, 28), S. 556f.; AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 14ff., 23ff. " Vgl. THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 82ff.

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einig - stand er mit Philipp VI.20: Nur gegen dessen Widerstand war es ihm gelungen, die römisch-deutsche Königswürde zu erringen. Nicht frei von Konflikten war sein Verhältnis zu dessen Nachfolger und seinem Schwager Johann II. Hier scheinen auch persönliche Gründe eine Rolle gespielt zu haben, denn die Ehe von Johanns Gemahlin - Karls Schwester - war keineswegs glücklich21. Dieser nur mühsam verdeckte Konflikt zwischen den Eheleuten hatte auch Auswirkungen auf die nächste Generation. Zwischen König Johann II. und dem Kronprinzen, dem jungen Karl (V.), brachen zeitweise schwere Gegensätze auf, während sich zwischen dem Kronprinzen und seinem Onkel ein enges Vertrauensverhältnis herausbildete. Bekannt ist, daß Karl V. ernsthaft geplant hat, an den Hof Karls IV. zu fliehen22. Mit diesen eher persönlichen Beziehungen verschränkten sich die politischen. Betrachtet man die beiden herrschenden Dynastien - die Valois und die Luxemburger ist das politische Gewicht beider erheblichen Schwankungen unterworfen. Konnte Frankreich zunächst als mächtigstes Staatswesen, sein König als bedeutendster Fürst Europas gelten, änderte sich das mit der katastrophalen Niederlage bei Poitiers (1356) und der Gefangennahme König Johanns II. grundlegend. Der Tiefpunkt war hier der Frieden von Bretigny (1361), in dem die Valois das südwestliche Viertel Frankreichs an den englischen Gegner abtreten mußten. Als Johann II. 1364 verstarb, hinterließ er seinem Sohn ein verarmtes, verwüstetes und zerrissenes Staatswesen. Ganz anders sah die Bilanz im östlichen Nachbarland aus. War Karl IV. zunächst gleichsam der »arme Verwandte« gewesen, der froh sein mußte, wenn er am französischen Hof Aufnahme fand, gelang es ihm nicht nur, durch geschickte Politik die Königs- und dann die Kaiserkrone zu erlangen, sondern auch seine Herrschaft auf eine feste Basis im Osten des Reiches zu stellen. Seit langem hatte kein deutscher König eine solche Machtstellung innegehabt. Damit hatten sich binnen weniger Jahre die Gewichte zwischen beiden Herrscherhäusern erheblich verschoben.

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Hierfür ist seine Autobiographie aufschlußreich: Vita Caroli quarti. Die Autobiographie Karls IV., hg. von Eugen HILLENBRAND, Stuttgart 1979, S. 85; neue Ausgabe: Vita ab eo ipso conscripta, et Hystoria nova de Sancto Wenceslao Martyre. Autobiography of Emperor Charles IV and his Legend of St Wenceslas, hg. von Baläzs NAGY, Frank SCHAER, Budapest 2001 (Central European Medieval Texts) (freundlicher Hinweis von Karsten Plöger); vgl. vor allem THOMAS, Beziehungen (wie Anm. 18), S. 166ff. 21 Vgl. AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 16. 22 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 116ff.; AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 164ff. Ähnlich konfliktreich war auch das Verhältnis zwischen Johann dem Blinden und Karl IV. Vgl. Vita Caroli quarti (wie Anm. 20), cap. VIII, S. 120ff.; SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 2), S. 115ff.; Heinz THOMAS, Vater und Sohn - König Johann und Karl IV., in: PAULY (Hg.), Johann der Blinde (wie Anm. 5), S. 445-482.

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Als Karl (V.) im Jahre 1356 zunächst als Regent für seinen gefangenen Vater die Regierung übernahm23, war sein größtes Problem der Krieg mit England; hierfür suchte er auf dem im selben Jahr stattfindenden Hoftag zu Metz die Unterstützung seines Onkels zu erlangen. Diese Hoffnung hat Karl IV. jedoch nur teilweise erfüllt. Zwar hat er während des Hofitages das bereits mit Johann II. vorbereitete Bündnis zwischen Frankreich und dem Imperium24 mit Karl V. abgeschlossen, und er hat auch - vielleicht als Beitrag zum Lösegeld für den in England gefangenen Johann II. - Karl V. 50 000 Gulden geliehen25. Indes hat sich der römisch-deutsche König trotz dieses Bündnisses nicht zu einem aktiven Vorgehen gegen England bewegen lassen; mehr als eine freundschaftliche Neutralität wollte er seinem Neffen nicht zubilligen. Hierfür gab es gute Gründe: Abgesehen davon, daß schwer nachzuvollziehen wäre, daß Karl IV. sich ohne Notwendigkeit an einem Krieg beteiligt hätte, hatte er genug eigene Probleme. Nicht nur gab es immer wieder neue Schwierigkeiten mit den deutschen Fürsten, deren divergierende Interessen auch die geschickte Diplomatie des Kaisers nicht immer ausgleichen konnte, sondern er verfolgte auch eigene außenpolitische Interessen. Das zentrale Thema war hier - abgesehen von der immer aktuellen Italienpolitik und der Kaiserkrönung - das Verhältnis zu den osteuropäischen Reichen, wo Karl IV. seiner Dynastie neue Länder zu erwerben hoffte. Immerhin sollte man nicht übersehen, daß selbst diese Neutralität von hohem Wert für Frankreich war, zumal wenn man bedenkt, daß unter Ludwig dem Bayern der englische König Eduard III. (1327-1377) in seiner Eigen-

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Seine Krönung erfolgte 1364; bei ihr war anwesend - wie die offizösen »Grandes Chroniques« beifällig bemerken - der frere de l 'Empereur et oncle du dit roy de France, nämlich Graf Wenzel von Luxemburg, der Halbbruder Karls IV. Les Grandes Chroniques de France. Chronique des regnes de Jean II et Charles V (1350-1380), hg. von Roland DELACHENAL, 4 Bde., Paris 1910-1920, Bd. 2, S. 3. 24 Vgl. B-H 2233, ed. in: Const. XI, S. 295, n. 518 von 1355 Aug. 26; B-Η Reichssachen 234 irrig zu 1355 Mai = Const. XI, S. 425, n. 755 von 1356 Mai (nur Reg.). Vgl. B-Η Reichssachen 240 = Const. XI, S. 380, n. 675 zu (1355 Okt.-Nov.), aus dem hervorgeht, daß Johann II. den Vertrag nicht ratifiziert hat. Vgl. Fritz TRAUTZ, Die Könige von England und das Reich 1272-1377, Heidelberg 1961, S. 368ff. Zur Rolle Karls V. auf dem Metzer Hoftag vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 268ff.; Heinrich NEUREITHER, Das Bild Kaiser Karls IV. in der zeitgenössischen französischen Geschichtsschreibung, Diss. Heidelberg 1964, S. 102ff.; THOMAS, Beziehungen (wie Anm. 18), S. 194ff.; AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 258ff; Marie-Luise HECKMANN, Das Reichsvikariat des Dauphins im Arelat 1378. Vier Diplome zur Westpolitik Kaiser Karls IV., in: Ellen WIDDER, Mark MERSIOWSKY, Maria-Theresia LEUKER (Hg.), Manipulus Florum. Aus Mittelalter, Landesgeschichte, Literatur und Historiographie. Festschrift fur Peter Johannek zum 60. Geburtstag, Münster 2000, S. 73ff. 25 B-Η Reichssachen 278 (irreführend formuliert, daher wohl die Fehlinterpretation von DELACHENAL, Histoire [wie Anm. 8], Bd. 1, S. 280, mit Anm. 6), ed. in: Const. XI, S. 513, n. 910 von 1356 Dez. 28.

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schafl als Reichsvikar26 beträchtliche Truppenkontingente in Niederlothringen hatte anwerben können. Dagegen hat Karl IV. Bestrebungen seines Neffen unterstützt, der nun seinerseits deutsche Truppen anzuwerben versuchte27. Auch ist durch das Abkommen von Metz das von Karl IV. geschlossene Bündnis mit England28 aus dem Jahre 1348 endgültig aufgebrochen worden. Ist somit die Frage des antienglischen Bündnisses ein Punkt gewesen, der möglicherweise zu Verstimmungen Anlaß gegeben hat29, so gab es jedoch zumindest einen Bereich, in dem beide Dynastien zusammenwirkten, nämlich im Arelat30. Seit Konrad II. in den Jahren 1032-1034 die Vereinigung der burgundischen mit der deutschen Krone erreicht hatte, war das Arelat - ganz anders als Italien - immer ein königsfernes Gebiet gewesen. Für die kaiserliche Politik spielte lediglich der nördliche Teil eine Rolle, weil hier wichtige Alpenpässe verliefen, die für den Weg nach Italien von Bedeutung waren, der Süden dagegen blieb außerhalb des Itinerars der deutschen Könige und Kaiser. Lediglich Friedrich Barbarossa, der durch seine Ehe mit Beatrix von Burgund engere Beziehungen zu diesem Teilreich hatte, ist dorthin gezogen und hat sich in Arles krönen lassen31, aber selbst während seiner Regierungszeit spielte das Arelat hinter Deutschland und Italien doch nur eine Nebenrolle in der kaiserlichen Politik. In noch größerem Maße gilt das für Barbarossas Nachfolgern; erst Karl IV. sollte dann abermals diese Region aufsuchen und sich als zweiter und letzter der römisch-deutschen Kaiser des Mittelalters in Arles krönen lassen. Auch die Verhältnisse im Arelat sind Gegenstand der Gespräche zwischen Karl IV. und Karl V. in Metz gewesen, sie seien kurz skizziert.

26 Vgl. zuletzt Marie-Luise HECKMANN, Das Reichsvikariat Eduards III. von England per Alemanniam et Galliam (1338-1341) - Eine Neuinterpretation, in: Peter THORAU, Sabine PENTH, Rüdiger FUCHS (Hg.), Regionen Europas - Europa der Regionen. Festschrift für Kurt-Ulrich Jäschke zum 65. Geburtstag, Köln 2003, S. 167-188. 27 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 281. 28 B-H 701, ed. in: Const. VIII, S. 625, n. 613 von 1348 Juni 24. In der Urkunde wird ausdrücklich vorbehalten, daß Karl IV. gegen den König von Frankreich nicht Beistand leisten müsse. 29 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 29, 268ff. 30 Vgl. Paul FOURNIER, Le royaume d'Arles et de Vienne (1138-1378). Etude sur la formation territoriale de la France dans l'est et le sud-est, Paris 1891; allgemein DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 1, S. 270ff. 31 Vgl. Johannes FRIED, Friedrich Barbarossas Krönung in Arles, in: Historisches Jahrbuch 103 (1983) S. 347-371 (freundlicher Hinweis von Georg Kreuzer).

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III. Karl IV. und das Arelat

Im Norden des Arelats ist zunächst die Grafschaft Savoyen zu nennen. Hier regierte Graf Amadeus VI. (1343-1383), bekannt als der »grüne Graf«32; ihm hatte Karl IV. bereits während seines ersten Italienzuges dessen alte Privilegien bestätigt33. Einige Jahre später ging Karl IV. noch weiter. Mit einer goldbullierten Urkunde löste er im Jahre 1361 Savoyen aus dem Verband des Arelats und inkorporierte es dem Reich direkt34. Überhaupt ist in den folgenden Jahren der nördliche, überwiegend deutschsprachige Teil des Arelats in das Reich eingegliedert worden, ohne daß dafür die Quellen in jedem Fall erhalten sind35. Zu Karls Entschluß mag beigetragen haben, daß von Savoyen die erwähnten Alpenpässe ausgingen36, hier also ein besonderes Interesse des Reichs vorlag. Es wird sich für die Folgezeit noch als wichtig erweisen, daß seither kaiserliche Rechtsakte für das Arelat die Grafschaft Savoyen und die sich daran nördlich anschließenden Territorien nicht mehr betrafen. Vielleicht als Gegenleistung verpflichtete sich Amadeus dem Kaiser zur Heeresfolge37. Im Süden Schloß sich an Savoyen die Dauphine an. Letzter einheimischer »Dauphin« - so der traditionelle Herrschertitel in jenem Territorium - war Humbert II. (1333-1349) gewesen. Er hatte 1349 seine Herrschaftsrechte an den französischen Thronfolger verkauft38, neuer Dauphin wurde der Kronprinz 32

Vgl. Eugene COX, The Green Count of Savoy. Amadeus VI and Transalpine Savoy in the Fourteenth Century, Princeton 1967 (freundlicher Hinweis von Werner Paravicini); jetzt vor allem GALLAND, Les papes (wie Anm. 9). 33 B-H 1973 zu 1355 Jan. 13 = Const. XI, S. 182, n. 333 von 1355 Jan. 9 (nur Reg.). Hier und öfters haben die »Constitutiones« die Edition von Dino Muratore übersehen: Dino MURATORE, L'imperatore Carlo IV nelle terre sabaude nel 1365 e il vicariato imperiale del conte Verde, 2. Teil, in: Memorie della Reale Accademia delle Scienze di Torino. Classe di Scienze morali, storiche et filologiche, 2. Serie, 56 (1906), S. 159-215, hier S. 202, n. 4; B-H 2166 = Const. XI, S. 252, n. 446 von 1355 Juni 18 (nur Reg.). Vgl. generell MURATORE, L ' i m p e r a t o r e , S. 163FF. 34

B-H 3695 = 7056 von 1361 Mai 17. Vgl. zu dieser Urkunde Edmund E. STENGEL, Regnum und Imperium. Engeres und weiteres Staatsgebiet im Alten Reich (zuerst 1930), überarbeitete Fassung in: DERS., Abhandlungen und Untersuchungen zu Geschichte des Kaisergedankens im Mittelalter, Köln, Graz 1965, S. 171-205, hier S. 196ff. Vgl. allgemein auch Hedwig SANMANN-VON BÜLOW, Die Inkorporationen Karls IV. Ein Beitrag zur Geschichte des Staatseinheitsgedankens im späteren Mittelalter, Marburg 1942 (Marburger Studien zur älteren deutschen Geschichte, II. Reihe, 5), bes. S. 47ff. 35 Vgl. Rudolf HOKE, Die Freigrafschaft Burgund, Savoyen und die Reichsstadt Besanion im Verbände des mittelalterlichen deutschen Reiches, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 79 (1962), S. 106-194, hier S. 123ff., und STENGEL, Regnum (wie Anm. 34). 36 Über diese vgl. GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 23f. 37 B-H Reichssachen 377 von 1362 Juni 21. 38 Vgl. AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 5Iff.; Stefan WEISS, Die Versorgung des päpstlichen Hofes in Avignon mit Lebensmitteln, Berlin 2002, S. 254; zuletzt HECKMANN,

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und spätere König Karl V.39 In historischen Atlanten und Darstellungen wird nicht selten das Jahr 1349 als das des Überganges der Dauphine an Frankreich bezeichnet. Jedoch ist Karl V. mit diesem Rechtsakt lediglich in die Rechte Humberts II. eingetreten, die Reichsrechte an diesem Territorium wurden dadurch nicht berührt40. Wir haben es hier mit einem der aus heutiger Sicht so verwirrenden Fälle geteilter Souveränität zu tun, wie sie im Mittelalter nicht selten vorkamen. Gerade für Frankreich trifft das zu, wo bekanntlich der Herzog von Aquitanien gleichzeitig König von England war. Der skizzierte Sachverhalt ist von Karl V. durchaus anerkannt worden: Auf dem erwähnten Hoftag zu Metz im Dezember 1356 hat er - damals noch Thronfolger und Regent fur seinen gefangenen Vater Johann II. - für die Dauphine Karl IV. die Lehnshuldigung geleistet und seine Herrschaftsrechte in diesem Gebiet bestätigt bekommen. Aber nicht genug damit, daß Karl IV. die Rechte seines Neffen auf die Dauphine anerkannte41, er hat sie darüber hinaus noch erweitert, indem er Karl V. zum Reichsvikar in der Dauphine ernannte und ihm die Appelationsgerichtsbarkeit in diesem Land einräumte42. Die höchste Instanz in Rechtsstreitigkeiten für die Dauphine war somit nicht mehr in Prag, sondern in Paris zu finden. Kurze Zeit zuvor hatte Karl IV. in ähnlicher Weise die Appellationsgerichtsbarkeit in Savoyen dem Grafen Amadeus VI. verliehen43. Hier wird ein Muster deutlich, das wir in der Folgezeit noch öfter beobachten können: In Savoyen wie in der Dauphine hat Karl den herrschenden Dynasten immer weitergehende Rechte eingeräumt, somit auf die Reichsrechte verzichtet. Welche Gegenleistung er dafür erwartete, wird noch genauer erörtert wer-

Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 67ff. Die neue Arbeit von Anne LEMONDE, Le temps des liberies en Dauphin6. L'integration d'une principauti a la Couronne de France (1349-1408), Grenoble 2002, geht auf die hier interessierenden Fragen leider kaum ein. 39 Seither hat sich der Titel »Dauphin« für den französischen Thronfolger eingebürgert. 40 Daß Karl IV. zu diesem Zeitpunkt noch gewillt war, die Reichsrechte in der Dauphini zu wahren, ergibt sich aus B-H 258, ed. in: Const. VIII, S. 172, n. 105, 106. Vgl. THOMAS, Beziehungen (wie Anm. 18), S. 191. 41 Vgl. B-Η 2553a = Const. XI, S. 495, n. 885 von 1356 Dez. 25; B-H 6909 = 6375 = Const. XI, S. 497, n. 889 (nur Reg.), ed. bei Ulysse CHEVALIER (Hg.), Choix de documents historiques inedits sur le Dauphine, Lyon 1874 (Collection des cartulaires Dauphinois, 7; Bulletin de la Sociöti Statistique du döpartement de l'lsere, 3. Serie, 6), S. 150, n. 51 von 1356 Dez. 26; B-H 2582 = 6910 = Const. XI, S. 520, n. 923 (nur Reg.), ed. bei CHEVALIER, Choix, S. 151, n. 52 von 1357 Jan. 1. Zum Hoftag zu Metz vgl. generell THOMAS, Beziehungen (wie Anm. 18), S. 194ff.; AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 161ff. 42 B-H 2581 = 6374 = 6911 zu 1356 Dez. 26, ed. bei CHEVALIER (Hg.), Choix (wie Anm. 41), S. 153, n. 53; Const. XI, S. 518, n. 921 von 1356 Dez. 31. 43 B-H 2471 = Const. XI, S. 439, n. 777 (nur Reg), ed. bei MURATORE, L'imperatore (wie Anm. 33), S. 203, n. 5 von 1356 Juli 17; B-H 2481 = Const. XI, S. 442, n. 784, ed. bei Danielle ANEX-CABANIS, Jean-Francis POUDRET (Hg.), Les sources du droit du canton de Vaud. Moyen Äge (X e -XVI e siecles), B. Droits seigneuriaux et franchises municipales, I. Lausanne et les terres öpiscopales, Aarau 1977, S. 108, n. 90 von 1356 Juli 21. Vgl. auch B-H 2482 von 1356 Juli 24.

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den, hier sei lediglich angemerkt, daß dem Kaiser der Gedanke, auf diese Weise ein gewisses Gleichgewicht zwischen Savoyen und der Dauphine aufrechtzuerhalten, wohl nicht ferngelegen hat44. Vernachlässigen können wir die geistlichen Territorien - die Erzbistümer Aix und Arles und ihre Suffragane - wie auch die kleine Grafschaft Valentinois. Ihre Grafen waren den Dauphins für einige Gebiete lehnsabhängig; sie konnten kaum eine selbständige Position einnehmen45. Graf Aymar VI. (der Dicke) von Valence und Die hat zeitweise das Reichsvikariat im Arelat innegehabt46, scheint aber keine größeren Aktivitäten entfaltet zu haben. Immerhin ist er auch vom Prinzen Johann, dem späteren König Johann II. - also dem Schwager Karls IV. fast gleichzeitig auch zum lieutenant in der Dauphine ernannt worden47; er war somit Amtsträger sowohl des »burgundischen«, d.h. deutschen Königs, als auch des französischen Kronprinzen, ein Verhältnis, das in vieler Hinsicht aufkommende Entwicklungen vorausweist. Ähnliche Verhältnisse wie in der Dauphine finden wir im Süden des Arelats, in der Grafschaft Provence48. Seit Karl von Anjou, der Graf der Provence, das regnum Siciliae - also Süditalien - erobert hatte, war dessen König identisch mit dem Grafen der Provence. Während unseres Untersuchungszeitraums regierte in Neapel die Königin Johanna (1343-1382)49, die Enkelin König Roberts des Weisen. Der Schwerpunkt der neuen Dynastie lag eindeutig in Italien, die Provenzalen bekamen ihren Grafen bzw. ihre Gräfin nur selten zu sehen. Die Verwaltung des Landes hatte ihren Sitz in Aix, dort regierte im Namen des Grafen ein Seneschall, dort befand sich die Rechenkammer der Provence, welche die Abgaben einzog und die Überschüsse nach Neapel weiterleitete50. Auch hier ist zu berücksichtigen, daß die Zugehörigkeit der Provence zum Arelat und damit die Oberhoheit des römischen Königs bzw. Kaisers außer Frage standen. Der König von Neapel hatte lediglich die gräflichen Rechte in diesem Territorium inne und schuldete dem Kaiser die Lehnshuldi44

So auch HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 80f. Schon vor dem Verkauf der Dauphine an Frankreich hatte es häufige Konflikte zwischen Savoyen und der Dauphine gegeben. Vgl. dazu GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 90ff. 45 Vgl. ibid., S. 88, 171. 46 B-H 888, ed. in: Const. IX, S. 165, n. 219 von 1349 März 16. 47

HECKMANN, R e i c h s v i k a r i a t ( w i e A n m . 2 4 ) , S. 6 9 , m i t A n m . 3 0 v o n 1 3 4 9 D e z . 2 2 . S i e

korrigiert hier die ältere Forschung - darunter ihre eigene: DIES., Stellvertreter, Mit- und Ersatzherrscher: Regenten, Generalstatthalter, Kurfürsten und Reichsvikare in Regnum und Imperium vom 13. bis zum frühen 15. Jahrhundert, 2 Bde., Warendorf 2002 (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit, 9), Bd. 1, S. 120, Bd. 2, S. 554 welche den Beginn von Aymars Amtszeit als lieutenant erst zu 1354 ansetzt. 48 Streng genommen handelte es sich um die drei Grafschaften Provence, Forcalquier und Piemont. Die beiden letzteren sind im folgenden immer mit Inbegriffen. 49 Über Johanna und das Königreich Neapel vgl. vor allem Emile G. LEONARD, Les Angevins de Naples, Paris 1954. 50 Vgl. WEISS, Versorgung (wie Anm. 38), S. 52ff.

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gung. Diese hat Johanna von Neapel 1355 Karl IV. durch ihre Gesandten auch leisten lassen51. Da Johannas Königreich Neapel ein päpstliches Lehen war, liegt hier der nicht alltägliche Fall vor, daß die gleiche Person zugleich Lehnsträger des Papstes wie des Kaisers war. Schließlich ist unter den Territorialherren des Arelats auch das Papsttum zu nennen. Seit dem Frieden von Paris (1229) verfugte das Papsttum im Arelat über eine Exklave des Kirchenstaates, die Grafschaft Venaissin; ihr Territorium grenzte unmittelbar an das Gebiet der Stadt Avignon an. 1316 verlegte Johannes XXII. den Sitz der Kurie dauerhaft nach Avignon; er residierte somit auf dem Boden des Imperiums. Avignon selbst gehörte damals noch zur Grafschaft Provence, erst 1348 hat Papst Clemens VI. der Königin Johanna von Neapel die Stadt Avignon abgekauft und ist somit in die Rechte der Gräfin eingetreten52. Clemens VI. hat nicht gezögert, die Zustimmung des römischen Königs zu diesem Rechtsakt einzuholen; Karl IV. schenkte denn auch am ersten und zweiten November 1348 dem Papst alle kaiserlichen und königlichen Herrschafts- und Eigentumsrechte über Avignon53. Auf seine Rechte in der Grafschaft Venaissin hatte Karl bereits 1346 verzichtet54. Ähnlich wie Savoyen waren seither also auch Avignon und das Venaissin aus dem Verband des Arelats herausgelöst, kaiserliche Rechtsakte fur das Arelat in diesen Territorien nicht mehr gültig55. Clemens VI. war es auch, der nicht nur den päpstlichen Palast in Avignon ausbauen, sondern auch in Villeneuve - gegenüber von Avignon am anderen Ufer der Rhöne gelegen - eine weitere Residenz errichten ließ. In ihr pflegte er die Sommermonate zu verbringen; seine Nachfolger folgten überwiegend diesem Beispiel56. Da die Rhone die Grenze zwischen Frankreich und dem Imperium bildete, wechselte der Papst jedes Mal, wenn er über die berühmte 51

Vgl. B-Η Reichssachen 198 = Const. XI, S. 118, n. 119 von 1354 Juni 15 (nur Reg.), und B-Η Reichssachen 225, ed. in: Const. XI, S. 188, n. 351 von 1355 Febr. 1; B-H 6798, ed. in: Const. XI, S. 188, n. 351 von 1355 Febr. 1; außerdem die ergänzenden Urkunden B-H 67956799 = Const. XI, S. 186, n. 344, 345. Vgl. auch B-H 6132, ed. in: Const. XI, S. 184, n. 339 von 1355 Jan. 24. Wohl als Gegenleistung hat Karl IV. der Königin 30 000 Goldgulden auszahlen lassen. Vgl. B-H 2077 = Const. XI, S. 230, n. 405 (nur Reg.), ed. bei Franz ZIMMERMANN (Hg.), Acta Karoli IV Imperatoris inedita. Ein Beitrag zu den Urkunden Kaiser Karls IV., Innsbruck 1891, S. 39, n. 16 von 1355 Apr. 22. Auch die gleichzeitig erfolgte Verleihung der Reichsrechte im Arelat an Erzbischof Stephan von Arles gehört in diesen Zusammenhang. Vgl. B-H 6808, ed. in: Const. XI, S. 229, n. 404 von 1355 Apr. 22. 52 Vgl. Joseph ALBANES, Gallia Christiana novissima, Bd. 7: Avignon, Valence 1920, S. 354, η. 1306 von 1348 Juni 9, S. 355, n. 1308 von 1348 Juni 21. 53 B-H 774 = 6542, ed. in: Const. VIII, S. 679, n. 676 von 1348 Nov. 1; B-H 775 von 1348 Nov. 2 (vgl. aber zu dieser Urkunde Const. VIII, S. 680, Anm. 1). 54 Vgl. B-H 228, ed. in: Const. VIII, S. 12, n. 9 von 1346 Apr. 22. 55 Das hat den Bischof von Avignon und Bruder Urbans V., Anglicus Grimoardi, nicht daran gehindert, sich die alten, von Friedrich Barbarossa herrührenden Privilegien seiner Kirche von Karl IV. erneuem zu lassen, als dieser nach Avignon kam. Vgl. Anm. 82. 56 Vgl. WEISS, Versorgung (wie Anm. 38), S. 120ff.

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Brücke von Avignon zwischen seinen Residenzen hin- und herzog, auch das Staatswesen, welches ihm Gastfreundschaft bot. Für das Verhältnis Karls IV. zum Papsttum gilt Ähnliches wie fur das zu Frankreich. Kein deutscher König und Kaiser des Mittelalters unterhielt so enge Beziehungen zum Stellvertreter Petri wie Karl IV. In seiner Jugend hatte er die Predigten des Abtes von Fecamp, Pierre Roger, gehört, ihn traf der junge Markgraf von Mähren wenige Jahre (1340) später in Avignon wieder, wo Pierre Roger inzwischen zum Kardinal avanciert war57. Als Clemens VI. sollte dieser Kardinal dann den Papstthron besteigen, mit seiner Hilfe erlangte Karl IV. die Königswürde58, mit Hilfe von dessen Nachfolger Innozenz VI. die Kaiserwürde. Auch mit dessen Nachfolgern, Urban V. und Gregor XI., hat Karl IV. gute Beziehungen aufrechterhalten. Ihm ist es gelungen, den Dauerkonflikt zwischen Papst- und Kaisertum zu beenden, wenn nicht ein Mit-, so doch wenigstens ein friedliches Nebeneinander der beiden Universalgewalten herbeizufuhren. Nur bedingt zum Arelat, eher schon zum deutschen Reich, gehörte die nördlich an Savoyen sich anschließende Freigrafschaft Burgund59; ihr lag auf der anderen Seite der Saöne das französische Herzogtum Burgund gegenüber. Ähnlich wie Karl V. für die Dauphine hat auch Philipp de Rouvre, der Herzog von Burgund, auf dem Hofitag zu Metz durch seine Gesandten Karl IV. die Lehnshuldigung für die Freigrafschaft geleistet60. Auch später forderte hier Karl IV. seine französischen Verwandten. Offenbar um habsburgischen Ansprüchen auf die Freigrafschaft entgegenzuwirken, begünstigte er seinen Neffen, Philipp den Kühnen (1342-1404), den jüngsten Bruder König Karls V.61. Philipp seinerseits hatte durch Bevollmächtigte Karl IV. den Treueid und

57

Vgl. B-Η 81c von 1340, vor allem aber Karls Autobiographie: Vita Caroli quarti (wie Anm. 20), cap. III, S. 84, cap. XIV, S. 172ff. 58 Vgl. zuletzt Heinz THOMAS, Clemens VI. und Ludwig der Bayer, in: Hermann NEHLSEN, Hans-Georg HERMANN (Hg.), Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und Wahrnehmung seiner Herrschaft, Paderborn 2002 (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte. Neue Folge, 22), S. 75-117. 59 Ähnlich wie die deutschsprachigen Teile des Arelats hatte auch die Freigrafschaft seit dem 12. Jahrhundert begonnen, sich aus dem Arelat zu lösen; sie wurde im 13. und 14. Jahrhundert allmählich in das deutsche Reich eingefügt. Vgl. HOKE, Freigrafschaft (wie Anm. 35), bes. 123ff.; veraltet, aber in den Einzelheiten immer noch wertvoll ist STENGEL, Regnum (wie Anm. 34), S. 171ff. 60 Vgl. B-Η Reichssachen 234 = Const. XI, S. 425, n. 755 von 1356 Mai. Vgl. Jean SCHOOS, Der Machtkampf zwischen Burgund und Orleans unter den Herzögen Philipp dem Kühnen, Johann ohne Furcht von Burgund und Ludwig von Orleans. Mit besonderer Berücksichtigung der Auseinandersetzung im deutsch-französischen Grenzraum, Luxemburg 1956 (Publications de la section historique de l'Institut grand-ducal de Luxembourg, 75), S. 24FF. THOMAS, Beziehungen (wie Anm. 18), S. 193FT., bes. S. 195, mit Anm. 164. 61 Vgl. B-H 2224, ed. in: Const. XI, S. 285, n. 505 von 1355 Aug. 21; B-Η Reichssachen 335 von 1360 Mai 21.

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Mannschaft für die Freigrafschaft leisten lassen62. Philipp war seit 1364 zugleich auch Herzog von Burgund (d.h. des französischen Herzogtums Burgund)63. Ganz ähnlich wie in der Dauphine hat Karl IV. auch hier die Ambitionen der Valois nach Burgund keineswegs zu hindern versucht, sondern im Gegenteil aktiv unterstützt. Generell können wir festhalten, daß Karl IV. nur wenig Interesse am Arelat hatte. Das Königreich wurde sich selbst überlassen; die nur noch auf dem Papier bestehenden Reichsrechte waren willkommene Verhandlungsmasse, um andere Vorteile zu erlangen. Diese Politik ist leicht zu erklären: Karls Einflußmöglichkeiten im Arelat waren gering, er mußte froh sein, wenn seine Herrschaft wenigstens prinzipiell anerkannt wurde. Indem er Rechte, die er nicht behaupten konnte, für andere Vorteile eintauschte, zeigte er jene illusionslose Einsicht in die politische Lage, welche ihm in der Forschung schon seit längerer Zeit zugeschrieben wird.

IV. Karl V. und das Arelat Bevor wir uns nun der Arlesreise des Kaisers zuwenden, sollen die französischen Interessen im Arelat erörtert werden. Der schon erwähnte Verkauf der Dauphine an den französischen Thronfolger hatte zur Folge gehabt, daß der französische Hof sehr direkt in die Politik des Arelats involviert war. Als Quelle für seine weitergehenden Ziele pflegt man drei Verhandlungsinstruktionen heranzuziehen64, welche die Aufgabe hatten, »als Grundlage für Berathungen durch den Dauphin und dessen Rath über die Forderungen, welche 62

B-H 3811 = 7070 von 1362 Jan. 15. Bereits in dem Entwurf für einen Vertrag zwischen Johann II. und Karl IV. war vorgesehen, daß der Graf von Burgund seine Grafschaft vom Kaiser zum Lehen nehmen sollte. Vgl. die vorletzte Anm. 63

64

Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 101 f.

Es handelt sich um die folgenden drei Schriftstücke: 1. »Memoriale pro domino nostro Dalphino super requirendis ab Imperatore pro parte Dalphinali«, ed. bei CHEVALIER (Hg.), Choix (wie Anm. 41), S. 130, n. 44; danach B-Η Reichssachen 762 zu (1350-1355, wahrscheinlich 1354); zit. bei FOURNIER, Royaume (wie Anm. 30), S. 449, mit Anm. 2 zu (nach 1355 Mai 22); HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 69, mit Anm. 31 zu (um 1350). 2. »Super infrascriptis videat dominus meus (Dalphinus) et ejus nobile consilium, si placet«, ed. bei CHEVALIER (Hg.), Choix (wie Anm. 41), S. 140, n. 48; danach B-Η Reichssachen 762 zu (1350-1355, wahrscheinlich 1354); zit. bei FOURNIER, Royaume (wie Anm. 30), S. 449, mit Anm. 2 zu (1352 Dez. 6 - 1355 Apr. 5), Fournier setzt es somit vor dem vorangegangenen Stück an; HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 71-73 zu (1355 Frühsommer). 3. »Memoriale factum super peticionibus faciendis domino Karolo Quarto, imperatori Romanorum, quando venit Gracionopolim [= Grenoble]«, ed. bei CHEVALIER (Hg.), Choix (wie Anm. 41), S. 161, n. 59; danach B-Η Reichssachen 719 zu 1365 Mai; vgl. zur Überlieferung FOURNIER, Royaume (wie Anm. 30), S. 475, mit Anm. 2.

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derselbe im Interesse Frankreichs an den Kaiser stellen soll«, zu dienen65. Ihre gemeinsame Überlieferung und die inhaltlichen Übereinstimmungen deuten darauf hin, daß man bei der Abfassung des jeweils späteren Stückes auf das vorangegangene zurückgegriffen hat. Der Verdacht, die Arelatpolitik des französischen Hofes sei einfach nach den aktuellen politischen Tageskonstellationen erfolgt, erweist sich damit als unzutreffend. Vielmehr beweisen sie ein hohes Maß an Kontinuität. Fassen wir also die drei Schriftstücke etwas genauer ins Auge. Vor allem die beiden ersten Stücke hängen eng zusammen; umstritten ist, welches der beiden dem anderen vorangegangen ist. Einigkeit besteht indes darüber, daß die beiden Texte in den Kontext von Verhandlungen gehören, die zwischen Johann II. und Karl IV. über ein französisch-deutsches Bündnis geführt wurden. Als französischer Thronfolger und zugleich als Dauphin - also Herrscher der Dauphine - war Karl V. zugleich auch Reichsfurst, sein Verhältnis zum römisch-deutschen König bedurfte der Klärung. Die in den beiden Texten aufgelisteten französischen Interessen gingen weit über die Dauphine hinaus: Als Maximalforderung wird die Überlassung des gesamten Arelats als erbliches Lehen an den Thronfolger genannt; als Minimalforderung wird der kaiserliche Vikariat über das gesamte Arelat angestrebt66. Hier ist zu bedenken, daß diese Instruktionen noch vor der Niederlage Johanns II. bei Poitiers abgefaßt worden waren; durch diese haben sich die Gewichte zwischen regnum und Imperium erheblich verschoben. Den von Johann II. noch abgelehnten Vertragsentwurf über das französisch-deutsche Bündnis hat Karl V. auf dem Hoftag zu Metz ratifiziert; ebenso hat er dort - wie erwähnt - die Dauphine als Reichslehen erhalten hat und ist zum Reichsvikar ernannt worden67. Es fallt leicht, die genannten Texte im Kontext des deutsch-französischen Gegensatzes zu interpretieren, hier einen Nachweis expansiver französischer Außenpolitik zu erblicken. Genauere Lektüre nötigt jedoch zu einer vorsichtigeren Interpretation. Sowohl im Falle einer Belehnung als auch im Falle der Ernennung zum Reichsvikar hätte der Dauphin die kaiserliche Oberhoheit über dieses Territorium anerkannt. Seine Herrschaft im Arelat hätte auf einer kaiserlichen Privilegierung beruht, das Arelat weiterhin zum Imperium gehört. Für Karl IV. hätte sich mit dem Eingehen auf diese Forderungen faktisch kaum etwas geändert; seine Oberherrschaft im Arelat beruhte doch letztlich ausschließlich auf der freiwilligen Anerkenntnis durch die dortigen Landesherren; reale Befugnisse oder Besitztümer, auf die er sich hätte stützen können, 65

B-Η Reichssachen 762. Eingehend diskutiert bei HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 7Iff. Zum Reichsvikariat generell vgl. Marie-Luise FAVREAU-LILIE, Reichsherrschaft im spätmittelalterlichen Italien. Zur Handhabung des Reichsvikariats im 14./15. Jahrhundert, in: QFIAB 80 (2000), S. 5 3 - 1 1 6 ; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47). 67 Siehe oben mit Anm. 24. 66

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besaß er dort nicht. Sehr viel hätte sich dagegen für diese Landesherren geändert. Anders als Karl IV. wäre sein französischer Kollege durchaus in der Lage gewesen, seinen Willen im Arelat nötigenfalls auch gewaltsam durchzusetzen. Insofern wären die arelatensischen Landesherren die eigentlich Betroffenen eines solchen Abkommens gewesen. Es dürfte dem Kaiser durchaus bewußt gewesen sein, daß er auf diese Weise ihnen gegenüber ein nicht zu unterschätzendes Druckmittel in der Hand hatte. Daß Amadeus von Savoyen um die Ernennung zum Reichsvikar nachsuchte, daß Johanna von Neapel die Provence von Karl IV. zu Lehen nahm, dürfte seine Ursache auch darin gehabt haben, daß sie sich als Untertanen des Kaisers einer weitaus größeren Unabhängigkeit denn als solche des französischen Königs erfreuten. Zu solch weitgehenden Zugeständnissen hat Karl IV. sich in Metz nicht bereitgefunden; er hat sich - wie erwähnt - darauf beschränkt, Karl V. den Reichsvikariat und die Gerichtsbarkeit in der Dauphine einzuräumen68, und, fast gleichzeitig, Amadeus VI. ein ähnliches Vorrecht in Savoyen verliehen69.

V. Das Treffen in Avignon und Arles Fassen wir nun die Reise nach Arles ins Auge70. Karl IV. hatte seinen französischen Verwandten seine Ankunft bereits für das Osterfest angekündigt71; er verspätete sich jedoch und feierte es am 13. April 1365 in Nürnberg. Dann brach er in Richtung Elsaß auf. Am 24. April war er in Straßburg. Von dort aus nahm der den Weg nach Süden: Über Basel, Bern, Genf und Lausanne erreichte er Morat; dort - an der Grenze Savoyens - erwartete ihn Graf Amadeus VI. Dieser hatte sich in beträchtliche Unkosten gestürzt, um den Kaiser würdig zu empfangen72. Am 12. Mai leistete er dem Kaiser in Chambery die Lehnshuldigung; bei dieser Gelegenheit erneuerte Karl IV. die alten Privilegien des Grafen73, investierte ihn74 und ernannte ihn zum kaiserlichen Vikar in 68

Siehe oben mit Anm. 41. Siehe oben mit Anm. 43. 70 Ein besseres Itinerar als B-Η bieten für die Arlesreise Paul-Emile GIRAUD, Ulysse CHEVALIER (Hg.), Le mystere des trois doms, joue ä Romans en MDIX, Lyon 1887 (Documents inid. sur l'histoire du Dauphine), S. CXXff.; vgl. auch DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 21 Iff.; GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 171ff; Kenneth FOWLER, Medieval Mercenaries, Bd. 1: The Great Companies, Oxford 2001, S. 121 ff. (freundlicher Hinweis von Werner Paravicini). 71 Siehe unten mit Anm. 148. 72 Vgl. die Auszüge aus seinen Rechnungsbüchem, ed. bei MURATORE, L'imperatore (wie Anm. 33), S. 199ff. Vgl. auch DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 216, Anm. 1. 73 B-H - ed. bei MURATORE, L'imperatore (wie Anm. 33), S. 205, n. 7 von 1365 Mai 12. Vgl. auch NEUREITHER, Bild (wie Anm. 27), S. 174ff., der die erzählenden Quellen auswer69

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Savoyen75. Ebenfalls auf Amadeus' Bitten hin genehmigte Karl IV. im Verlauf der Reise die Gründung einer Universität in Genf76. Der Graf Schloß sich dem Kaiser für die Weiterreise an; bei Karls feierlichem Einzug in Avignon sollte er ihm dann das Reichsschwert vorantragen77. In Chambery war am 12. Mai auch Raoul de Louppy, der Gouverneur Karls V. in der Dauphine, mit großem Gefolge eingetroffen78. Für ihn war die dritte der genannten Instruktionen bestimmt gewesen 79 ; sie dürfte ihm bei seinen Verhandlungen mit dem Kaiser als Arbeitsgrundlage gedient haben. Wie schon die beiden früheren Texte listet sie eine Reihe von französischen Forderungen das Arelat betreffend auf: Der Unterschied zu den früheren besteht lediglich darin, daß der zu übertragende Rechtstitel vager als früher umschrieben wird; die in den beiden älteren Stücken zu findende Unterscheidung von Lehnshoheit und Vikariat ist weggefallen, lediglich von einer allgemein gehaltenen Oberhoheit (feudum superioritatem et majus dominium) ist die Rede80. In welcher Rechtsform die Übertragung stattfinden sollte, hat man wahrscheinlich von den Verhandlungen selbst abhängig machen wollen. Abermals wird aber keineswegs die Loslösung des Arelats vom Imperium gefordert, zumindest implizit wird dessen Oberhoheit anerkannt. Abermals indes ist Karl IV. auf diese Forderung nicht eingegangen. Er hat vielmehr - fast gleich-

tet, jedoch der irrigen Ansicht ist, das Zusammentreffen in Chambery habe auf Karls Rückreise und nicht auf der Hinreise stattgefunden; Cox, Green Count (wie Anm. 32), S. 189ff. 74 B-H - ed. bei MURATORE, L'imperatore (wie Anm. 33), S. 206, n. 8 von 1365 Mai 12. 75

B - H 4 1 7 0 , ed. b e i MURATORE, L ' i m p e r a t o r e ( w i e A n m . 3 3 ) , S. 2 0 7 , n. 9 v o n 1365 M a i 12.

Vgl. auch B-H 7155, ed. bei MURATORE, L'imperatore (wie Anm. 33), S. 208, n. 10 von 1365 M a i 12; B - H - ed. b e i MURATORE, L ' i m p e r a t o r e ( w i e A n m . 3 3 ) , S. 2 1 0 , n. 11 v o n

1365 Mai 12; B-H 4364 von 1366 Sept. 14 = Joseph ALBANES, Gallia Christiana novissima, Bd. 3: Arles, Montbeliard 1899, S. 705, n. 1624. Zur Sache vgl. auch MURATORE, L'imperatore (wie Anm. 33), S. 171ff.; DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 212f.; GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 172f. Karl IV. erweiterte hier sein vorangegangenes Privileg von 1356 (vgl. Anm. 43), in dem er Amadeus die Appelationsgerichtsbarkeit in Savoyen eingeräumt hatte. Zur weiteren Entwicklung des savoyischen Vikariats vgl. künftig Cornel ZWIERLEIN, Savoyen-Piemonts Verhältnis zum Reich 1536 bis 1618: zwischen ständischer Reichspolitik und absolutistischer Außenpolitik. 76 Siehe unten mit Anm. 99. 77 Johannes Neplach, Chronicon, hg. von J. EMLER, in: Fontes rerum Bohemicarum, Bd. 3, Prag 1882, S. 481-484, hier S. 483; vgl. auch Achim Th. HACK, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen, Köln 1999 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 18), S. 555. 78 Über Raoul vgl. Heinz THOMAS, Zwischen Regnum und Imperium. Die Fürstentümer Bar und Lothringen zur Zeit Kaiser Karls IV., Bonn 1973, S. 223ff.; CAZELLES, Societe (wie Anm. 18), S. 420ff.; Vital CHOMEL, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München 1991, Sp. 2139; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 544ff.; LEMONDE, Temps (wie Anm. 38), S. 77ff. und passim. 79 Siehe oben Anm. 64. 80 Wie Anm. 64, vgl. auch DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 225, mit Anm. 3.

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zeitig lind wahrscheinlich in Anwesenheit der französischen Gesandtschaft Amadeus VI. zum Reichsvikar in Savoyen ernannt81. Wieder fällt es leicht, die französische Forderung als Beleg fur Ausdehnungsbestrebungen und Karls Reaktion als deren Abwehr zu deuten. Die folgenden Ereignisse stützen diese Interpretation jedoch nicht. Die französische Gesandtschaft hat sich keineswegs brüskiert gefühlt, ganz im Gegenteil hat sie - wie noch gezeigt wird - alles getan, um die kaiserliche Reise zu einem Erfolg zu machen. Ich deute diesen Befund dahingehend, daß bei diesen Gesprächen eine vorläufige Einigung erzielt worden ist, eine definitive Regelung jedoch von einer bestimmten weiteren Entwicklung, die im Interesse beider Seiten - der deutschen wie der französischen - gelegen hätte, abhängig gemacht worden ist. Wie diese antizipierte Entwicklung ausgesehen hätte, welche Ziele die kaiserliche und die königliche Politik im Arelat verfolgten, wird im folgenden zu klären sein. Generell sollte man bedenken, daß die französische Diplomatie schwerlich eine solche Forderung gestellt hätte, wenn sie nicht der Ansicht gewesen wäre, daß diese entweder auch im Interesse des Kaisers gelegen oder sie entsprechende Gegenleistungen anzubieten gehabt hätte. Zunächst jedoch sei der weitere Ablauf der Reise verfolgt. Über Grenoble und Romans ging es nach Valence, wo die Abgesandten Urbans V. dem kaiserlichen Zug entgegenkamen. Am 23. Mai hielt Karl IV. seinen feierlichen Einzug in Avignon82; dort empfing ihn Papst Urban V. Am 1. Juni feierten Papst und Kaiser zusammen das Pfingstfest83. Am 4. Juni 1365 fand dann in Arles die Krönung zum König von Burgund statt84. Die deutsche wie die französische Forschung interpretieren Reise und Krönung - in an sich erfreulicher Übereinstimmung - als eine antifranzösische Demonstration. Karl IV. habe augenfällig machen wollen, daß die kaiserlichen Herrschaftsrechte im Arelat weiterhin aufrechterhalten werden sollten. Damit habe er französischen Ausdehnungsbestrebungen entgegentreten wollen85. 81

So mit Recht COX, Green Count (wie Anm. 32), S. 189ff. Vgl. B-Η 4170a, 7155a von 1365 Mai 23; ALBANES, Gallia, Bd. 7 (wie Anm. 52), S. 391, n. 1412. Die Urkunden Karls IV. für den Bischof von Avignon und andere lokale Empfänger, die in B-H 7156ff. noch als ungedruckt registriert sind, sind ediert bei ALBANES, Gallia, Bd. 7 (wie Anm. 52), S. 391ff., n. 1413ff. 83 B-Η 4170b von 1365 Juni 1. 84 Die Quellen sind zusammengestellt bei B-Η 4171a von 1365 Juni 4; ausführlicher bei ALBANES, Gallia, Bd. 3 (wie Anm. 75), S. 703, n. 1622, und Etienne BALUZE (Hg.), Vitae paparum Avenionensium, neu hg. von Guillaume MOLLAT, 4 Bde., Paris 1914-1927, Bd. 2, S. 502. Dazu kommt das in Anm. 111 genannte Schreiben Karls IV. an die Königin Johanna, aus dem auch das Datum der Krönung hervorgeht. 85 Vgl. etwa DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 209f., der seinerseits auf WERUNSKY, Geschichte (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 319 rekuriert; einschränkend THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 85: »Zwar hat sich Karl [...] in Arles zum burgundischen König krönen lassen und hat damit in sehr demonstrativer Weise sowohl dem Papst als auch dem durch 82

Onkel und Neffe

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Die Quellen indes wissen nichts von einer solchen Absicht. Den eingehendsten Bericht bietet Johannes Neplach, Abt im Benediktinerkloster Opatowitz bei Prag86. Er hat seine Informationen aller Wahrscheinlichkeit nach von einem Teilnehmer der Reise und Angehörigen des kaiserlichen Hofes erhalten; sein Bericht hat offiziösen Charakter. Ganz im Gegensatz zu der Ansicht der Forschung ist sein Text von der Tendenz durchzogen, die herzliche Übereinstimmung beider Herrscherhäuser zu betonen. Für die problemlose Reise des Kaisers nach Avignon hätten Gesandte des Königs von Frankreich gesorgt, ja sogar die Kosten getragen87. Zu der Einholungsgesandtschaft, welche Urban V. dem Kaiser entgegenschickte, habe kein geringerer als Ludwig von Anjou, ältester der drei Brüder Karls V., gehört, der ja ebenfalls ein Neffe des Kaisers war88. Nicht nur bei dem festlichen Gastmahl, mit dem Urban V. seine Gäste bewirtete, sei Ludwig von Anjou anwesend gewesen, sondern auch bei der anschließenden Beratung zwischen Papst, Kaiser und Kardinälen89. Daß diese Angaben sachlich richtig sind, wird durch andere Quellen bestätigt90. den Herrn von Louppy vertretenen König von Frankreich zu verstehen gegeben, daß das burgundische Reich auch weiterhin zum Imperium Romanum gehören solle [...]«; ähnlich HOENSCH, Die Luxemburger (wie Anm. 7), S. 160, und jüngst KLNTZINGER, Karl IV. (wie Anm. 16), S. 429. Auch die tschechische Forschung ist (oder war) dieser Ansicht. Vgl. SPEVACEK, Karl IV. (wie Anm. 16), S. 105. 86 Johannes Neplach, Chronicon (wie Anm. 77), S. 481-484. Es handelt sich um die Fortsetzung von dessen »Summula cronice tarn Romane quam Boemice«, die er zwischen 1355 und 1362 verfaßt hat. Von dieser Fortsetzung ist infolge einer Beschädigung der einzigen Handschrift nur ein Fragment für das Jahr 1365 erhalten. Es enthält neben der Schilderung von Karls Reise nach Arles noch einen kurzen Überblick über die vorangegangenen Beziehungen Karls IV. und Johanns des Blinden mit dem französischen Königshaus. Vgl. Ottokar LORENZ, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter seit der Mitte des 13. Jahrhunderts, 2 Bde., Berlin 3 1886-1887, Bd. 1, S. 313ff.; Norbert KERSKEN, Geschichtsschreibung im Europa der nationes. Nationalgeschichtliche Gesamtdarstellungen im Mittelalter, Köln 1995 (Münstersche Historische Forschungen, 8), S. 595ff.; Repertorium fontium historiae medii aevi, Bd. 8, Rom 2001, S. 172. 87 Post hoc per nuncios regis francie decentisssime et lautissime in expensis fait procuratus [...]; Johannes Neplach, Chronicon (wie Anm. 77), S. 482. 88 [...] nec non illustris nepos ipsius domini imperatoris Ludwicus, frater regis Francie, cum comitibus, baronibus et multitudine nobilium copiosa domino imperatori in occursum reverenter venerunt [...]; ibid., S. 483. 89 Et facto prandio sumptuoso et honorißco dominus papa, dominus imperator, cardinales et Ludowicus, nepos imperatoris prefatus, ceteris omnibus exclusis ad consilium iverunt et ibidem per aliquod spacium steterunt. Ibid. 90 Den - abgesehen von Johannes Neplach - ausführlichsten Bericht bietet der englische Chronist Johannes von Reading: Chronica Johannis de Reading et Anonymi Cantuariensis 1346-1367, hg. von James TAIT, Manchester 1914 (Publications of the University of Manchester. Historical Series, 20), S. 164ff. Eine neue und auf breitem Quellenfundament ruhende Darstellung von Karls Zusammentreffen mit Urban V. in Avignon bietet HACK, Empfangszeremoniell (wie Anm. 77), S. 549ff., der aber DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 21 Iff., übersehen hat, wo man ergänzende Informationen findet. Vgl. auch WEISS, Versorgung (wie Anm. 38), S. 232f. und passim.

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Nun liegt hier der Einwand nahe, daß eine solch offiziöse Darstellung die wahren Absichten ihres Auftraggebers durchaus hätte verschweigen können. Generell ist das richtig, indes war ja die Arlesreise - so jedenfalls die Ansicht der Forschung - gerade als eine augenfällige Demonstration, nicht als Akt geheimer Diplomatie gedacht. Die zeitgenössischen französischen Chronisten haben Karls Reise nach Arles völlig ignoriert91. Das gilt auch für die offiziösen »Grandes Chroniques«, die im Auftrage Karls V. verfaßt worden sind92. Nun ist das argumentum ex silentio immer mißlich, aber es fällt doch schwer zu glauben, daß eine gegen Frankreich gerichtete Machtdemonstration des Kaisers so völlig ignoriert worden wäre. Indes brauchen wir uns damit nicht weiter abgeben; es gibt andere Quellen, welche den Johannes Neplach auch in seiner Tendenz bestätigen. Die wichtigste ist das Rechnungsbuch des Raoul de Louppy, des Gouverneurs Karls V. in der Dauphine93. Nicht nur wird hier die Angabe bestätigt, daß Karl V. fur die Durchreise Karls IV. durch die Dauphine die Kosten getragen hat94, sie zeigt auch, daß Raoul vom König angewiesen war, den Kaiser mit allen Ehren zu empfangen. Das hat er auch getan: Mit einem Gefolge von 73 Reitern, anscheinend den hohen Adligen der Dauphine, ist er dem Kaiser entgegengezogen und hat ihn dann nach Avignon und Arles begleitet, wo er auch bei der Krönung anwesend war95. Zudem ersieht man aus dem Rech91

Zur französischen Geschichtsschreibung dieser Zeit ist immer noch heranzuziehen Auguste MOLIN1ER, Les sources de l'histoire de France, Bd. 4, Paris 1904, passim; vgl. auch den

Ü b e r b l i c k b e i DELACHENAL, H i s t o i r e ( w i e A n m . 8), B d . 1, S. XVIIIFF.; e r g ä n z e n d NEU-

REITHER, Bild (wie Anm. 27), S. 172ff. CAZELLES, Societö (wie Anm. 18), S. 525ff., betont, daß die zeitgenössische französische Chronistik generell für Karl V. nicht sehr ergiebig ist. Vgl. jetzt auch Jean-Marie MOEGLIN, Die historiographische Konstruktion der Nation, in: EHLERS (Hg.), Deutschland (wie Anm. 10), S. 353-377, bes. S. 374ff. 92 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 23); vgl. Delachenals Einleitung in Bd. 3, S. I XLVI, bes. S. XXXIIIff. 93 Ulysse CHEVALIER (Hg.), Compte de Raoul de Louppy, gouverneur du Dauphine de 1361 ä 1369, publ. d'apres l'orig. des Archives de la Pröfecture de l'Isere, Romans 1886 (Bulletin d'histoire ecclesiastique et d'archiologie religieuse des dioceses de Valence, Gap, Grenoble et Viviers, 40). Auf S. II-VIII findet man ein Itinerar des Raoul. Das Rechnungsbuch ist die Hauptquelle für DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 215f. Einige Korrekturen zu Chevaliers Edition aufgrund einer anderen Handschrift bietet die Rezension von Maurice PROU, in: Bibliotheque de l'Ecole des Chartes 47 (1886) S. 567-573. 94 Eigens zu diesem Zweck hatte Raoul eine Sondersteuer ausgeschrieben. Vgl. die Quellen b e i GIRAUD, CHEVALIER ( H g . ) , M y s t e r e d e s t r o i s d o m s ( w i e A n m . 7 0 ) , S. 6 8 1 - 6 8 8 , 7 1 3 -

715. Vgl. auch DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 216. 95 CHEVALIER (Hg.), Compte (wie Anm. 93), S. 34f.: Pour autres despens [,..]pour aler au devant de 1 'Empereur son oncle hors du Dalphine et ycellui acompaigner bien et honorablement ou conti de Savoye, en Avignon et en Arle et parier ä lui de certaines choses secretes [...]. Ähnlich auf S. 34: Adam Chanteprime, tresorier du Dalphine, pour denierspar lui baillez au dit gouverneur pour les despens de lui et de ses gens en alant par le comandement du Roy en la compaignie de l'Empereur a Avignon, ä Arle et ou comte de Savoye, en may 1365 [...].

Onkel und N e f f e

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nungsbuch, daß bereits vorher Boten zwischen Karl V., Raoul, Ludwig von Anjou und Urban V. in bezug auf den kaiserlichen Zug unterwegs gewesen waren96. Offensichtlich hatte also Karl IV. seinen königlichen Neffen im voraus von seinen Reiseplänen unterrichtet97. Nicht nur in Avignon, sondern auch in Arles war eine hochrangige französische Gesandtschaft anwesend und hat das Einverständnis des französischen Königs mit dem Geschehen augenfällig unter Beweis gestellt. Am Tag seiner Krönung erhielten vom Kaiser die Städte Orange98 und Genf jeweils ein Privileg für die Gründung einer Universität99; unter den Zeugen, welche die beiden Stücke unterschrieben haben, finden wir die Herzöge Ludwig von Anjou und 96

Vgl. ibid., S. 32f. Das konzediert auch DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 214. Vgl. auch den in Anm. 148 genannten Brief Karls V. an Philipp den Kühnen. 98 Vgl. auch das von Fran9oise GASPARRI, La principaute d'Orange au Moyen Age (fin XIIΓ-XV® siecle), Paris 1985, S. 223, edierte Protokoll der Beratungen des Stadtrats von Orange vom Mai 1365 über die Kosten, die der Stadt für den Empfang des Kaisers entstanden waren. Über die Gründung der Universität Orange vgl. ibid., S. 133, woraus sich ergibt, daß der Stadtrat auch die Unterstützung des Kardinals Guido von Boulogne fur sein Anliegen gewonnen hatte. Vorangegangen war ein Privileg Urbans V., durch welches in Orange schon ein Studium particulare genehmigt worden war (Marcel FOURNIER [Hg.], Les statuts et privileges des universites fran^aises, Bd. 2, Paris 1891, n. 1542 von 1365 Jan. 1). Überhaupt wird man die kaiserlichen Privilegierungen für Universitäten im Zusammenhang mit den gleichzeitigen Gründungen Urbans V. im Arelat und Südfrankreich zu sehen haben. Vgl. Ludwig VONES, Urban V. (1362-1370): Kirchenreform zwischen Kardinalkollegium, Kurie und Klientel, Stuttgart 1998 (Päpste und Papsttum, 28), S. 412ff. Angemerkt sei, daß Karl IV. seinerseits die Gelegenheit nutzte, um an der Kurie einen Supplikenrotulus zu Gunsten der Doktoren und Magister der Universität Prag vorzulegen. B-H - ed. in: Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 3: Acta Urbani V. (1362-1370), hg. vom Lande Böhmen durch das Böhmische Landesarchiv, Prag 1944, S. 353, n. 585 von 1365 Juni 20. 97

99

B-H 4171 = Max MEYHÖFER, Die kaiserlichen Stiftungsprivilegien für Universitäten, in: Archiv fur Urkundenforschung 4 (1912), S. 291^*18, hier S. 297, n. 8 (mit Zeugenliste) zu 1365 Juni 2; ed. bei Charles BORGEAUD, Histoire de l'uni versite de Geneve, Genf 1900, S. 619-622; danach zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 212, Anm. 2, S. 218, Anm. 1 zu 1365 Juni 4; B-H 7161 = MEYHÖFER, Stiftungsprivilegien, S. 297, n. 9 (mit Zeugenliste), ed. bei FOURNIER (Hg.), Statuts, Bd. 2 (wie Anm. 98), n. 1543 von 1365 Juni 4, Regest und (kaum lesbares) Faksimile bei GASPARRI, La principaute (wie Anm. 98), S. 235f. und Tafel XXIV, Abb. 62. Über die Privilegien Karls IV. fur diverse Universitäten vgl. MEYHÖFER, Stiftungsprivilegien (mit Regesten der kaiserlichen und päpstlichen Stiftungsurkunden auf S. 2 9 4 f f , 395ff.); Roderich SCHMIDT, Begründung und Bestätigung der Universität Prag durch Karl IV., in: Blätter für Deutsche Landesgeschichte 113 (1978) = PATZE (Hg.), Kaiser Karl IV. (wie Anm. 18), S. 695-719, hier S. 710ff. Beide Urkunden datieren vom 4. Juni, als Ausstellungsort wird jedoch nicht Arles, sondern Avignon genannt. Wie bereits Heinrich DENIFLE, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885, S. 468, Anm. 1014, anmerkte, müssen wir entweder annehmen - was möglich, aber sehr unwahrscheinlich ist - , daß Karl IV. am frühen Morgen in Avignon geurkundet hat, dann im Eilmarsch nach Arles gehetzt und dort am späten Abend gekrönt worden ist, oder daß die Urkunden vorher in Avignon geschrieben und dann in Arles datiert und übergeben worden sind. Über derartige Abweichungen von Ort und Datum vgl. B-H, S. XLVIIIff.

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Johann von Berry100, Brüder des französischen Königs und Neffen des Kaisers. Ebenfalls anwesend war Ludwig II. von Bourbon, Schwager des französischen Königs, der zudem mit der Gattin des Grafen von Savoyen verwandt war'01. Wahrscheinlich waren noch drei weitere französische Gesandte in Arles: der Erzbischof von Sens, der Bischof von Nevers und der Kanzler der Dauphine102. Auch mit einem entsprechenden Gefolge wird man zu rechnen haben. Daß der französische König eine gegen ihn selbst gerichtete Demonstration nicht nur toleriert, sondern sogar unterstützt und finanziert hätte, das wäre doch der Gipfel des Absurden, müßte zumindest schlüssig nachgewiesen werden. Ganz im Gegenteil gewinnt man den Eindruck, daß - in moderner Terminologie - in Avignon und Arles ein deutsch-französisch-arelatensisches Gipfeltreffen stattgefunden hat. Der französische König war zwar nicht persönlich anwesend103, er hatte jedoch mit der erwähnten Gesandtschaft, welche von keinem geringerem als seinem eigenen Bruder Ludwig von Anjou gefuhrt wurde, eine Vertretung entsandt, wie sie hochrangiger gar nicht sein konnte. Nicht nur wegen Ludwigs enger Verwandtschaft mit dem Kaiser wie mit dem König, er war darüber hinaus als königlicher lieutenant fur die Languedoc104 auch institutionell derjenige, der fur die unmittelbar an das Arelat angrenzende

100 Über die Beteiligung des Herzogs Johann von Berry an der französischen Gesandtschaft vgl. Franfoise LEHOUX, Jean de France, due de Berry, sa vie, son action politique (13401416), Bd. 1: De la naissance de Jean de France ä la mort de Charles V, Paris 1966, S. 188ff.; zuletzt HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 1, S. 165ff. 101 B-Η 4171a von 1365 Juni 4; vgl. auch DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 225; COX, Green Count (wie Anm. 32), S. 198f. 102 Sie werden genannt in dem Brief Karls V. an seinen Bruder Philipp den Kühnen von 1365 Mai 2 (wie Anm. 148). 103 Es stellt sich die Frage, warum er nicht anwesend war, zumal er ja zwei Jahre zuvor damals noch Kronprinz - 1363 in Mouzon mit seinem Onkel zusammengetroffen war. Vgl. B-Η 3896a von 1363 Jan. 6; dazu STOOB, Karl IV. (wie Anm. 16), S. 209; AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 445f. Dafür mag es zahlreiche Gründe gegeben haben, denkbar ist aber, daß eine gewisse protokollarische Verlegenheit Karls V. die Ursache war. Wie erinnerlich, hatte er noch als Thronfolger seinem Onkel Karl IV. die Lehnshuldigung fur die Dauphine geleistet, sich also vor aller Augen als »Mann« des Kaisers zu erkennen gegeben. Mittlerweile war er selbst König, hatte aber noch keinen Sohn, der ihm als Dauphin hätte nachfolgen können; er hat somit die Würde des Dauphins zunächst selbst beibehalten {Carolus Dei gratia Francorum rex et Dalphinus Viennensis [...], lautet die Intitulatio der zeitgenössischen französischen Königsurkunden; vgl. DELACHENAL, Histoire [wie Anm. 8], Bd. 3, S. 14). Bei einem Zusammentreffen mit Karl IV., vielleicht gar auf dem Boden der Dauphine, hätte er kaum vermeiden können, daß diese Statusminderung in irgendeiner Weise augenfällig geworden wäre. Daß Karl V. in diesem Punkt sehr empfindlich war, wissen wir von der späteren Reise des Kaisers nach Paris, wo Karl V. sehr bemüht war, alles zu vermeiden, was in irgendeiner Weise als protokollarischer Vorrang des Kaisers vor ihm selbst hätte gedeutet werden können. Siehe unten mit Anm. 213. 104 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 15.

Onkel und Neffe

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Region zuständig war105. Schließlich war er, da König Karl V. noch keine männlichen Nachkommen hatte106, zu diesem Zeitpunkt auch französischer Thronfolger. Daß schließlich der Papst selbst mit der Krönung vollauf einverstanden war, wird - abgesehen von dem schon erwähnten ehrenvollen Empfang des Kaisers - in der Person des Koronators deutlich: Der Erzbischof von Arles, Guillaume de la Garde, war früher als päpstlicher Notar, dann als päpstlicher Legat tätig gewesen107; er kann somit als Vertrauter des Papstes gelten. Daß es sich bei der Reise und der Krönung nicht um eine antifranzösische Demonstration gehandelt haben kann, dürfte klar geworden sein. Demonstriert worden ist vielmehr das deutsch-französisch-savoyardisch-päpstliche Einverständnis. Gegen wen aber richtete sich diese Demonstration? Die Antwort ist leicht zu finden, wenn man sich fragt, wer in Avignon und Arles eigentlich nicht vertreten war. Es fehlte die Person, in deren Stadt, auf deren Territorium die Krönung stattgefunden hat, die Königin Johanna von Neapel, die Stadtherrin von Arles, die Landesherrin der Provence108. Weder war sie selbst erschienen, noch hat sie Gesandte geschickt; es hat den Anschein, daß sie gar nicht rechtzeitig von Karls Reise erfahren hat oder daß umgekehrt Karl IV. sie vorher nicht hat informieren lassen. Lediglich ihr Statthalter, Raymond d'Agout, der Seneschall der Provence, war bei der Krönung anwesend109. Die Königin scheint damit keineswegs einverstanden gewesen zu sein: Kurz nach der Abreise des Kaisers erschien ein hochrangiger Funktionär des neapolitanischen Hofes in der Provence, welcher die Befugnisse des Seneschalls erheblich einschränkte110. Erst Wochen nachdem Karl IV. von Arles wieder nach Norden aufgebrochen war, hat ihn eine Gesandtschaft Johannas erreicht; in Straßburg, am 30. Juni 1365, hat er eine Urkunde ausgestellt, in der er erklärt, er habe mit der Krönung in Arles die Rechte der Königin Johanna in der Provence nicht ein-

105 Die Statthalterschaft fiir die Dauphine hat Ludwig von Anjou erst 1370 erlangt. Vgl. ibid., Bd. 4, S. 261 f.; HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), S. 163. 106 Zwei Töchter Karls V. waren 1360 gestorben. Der spätere Thronerbe, Karl VI., wurde erst 1368 geboren. Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 13. 107 Vgl. ALBANES, Gallia, Bd. 3 (wie Anm. 75), S. 682ff.; Thibout DE MOREMBERT, in: Dictionnaire d'histoire et geographie ecclesiastique, Bd. 19, 1981, Sp. 1228f.; B. GUILLEMAIN, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5, München 1991, Sp. 1613f.; BALUZE, MOLLAT (Hg.), Vitae paparum (wie Anm. 84), Bd. 2, S. 390ff. 108 Die Angabe in den »Chroniques de Savoye« (danach B-Η 4170a), sie wäre in Avignon anwesend gewesen, ist längst als falsch widerlegt. Vgl. FOURNIER, Royaume (wie Anm. 30), S. 473. 109 Vgl. B-Η 4171a nach Garoscus de Ulmoisca Veten bei BALUZE, MOLLAT (Hg.), Vitae paparum (wie Anm. 84), Bd. 2, S. 502; Franz EHRLE (Hg.), Die Chronik des Garoscus de Ulmoisca Veten und Bertrand Boysset (1365-1415), in: Archiv für Litteratur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 7 (1893), S. 318-333. 110

V g l . LEONARD, L e s A n g e v i n s ( w i e A n m . 4 9 ) , S. 4 2 4 .

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schränken wollen111. Ob nun der Kaiser die Königin nicht rechtzeitig informiert oder ob diese das Ereignis bewußt ignoriert hat, in dem einen wie dem anderen Fall läge eine schwere und gewollte Brüskierung vor. Noch deutlicher wird die antineapolitanische Stoßrichtung von Karls Krönung, wenn wir sie im Zusammenhang mit den französischen Forderungen nach dem Reichsvikariat im Arelat sehen. Nachdem sowohl Savoyen112 als auch das Venaissin aus dem Verband des Arelats herausgenommen worden waren113, in der Dauphine der französische König sowieso schon regierte, blieben lediglich die Provence bzw. die Königin Johanna, welche von einer solchen Vikariatsverleihung an den französischen König unmittelbar betroffen gewesen wären114.

VI. Die Königin Johanna und Italien

Alle in Avignon und Arles anwesenden Parteien hatten - wenn auch aus verschiedenen Gründen - Anlaß, mit Johanna unzufrieden zu sein; diese seien nunmehr skizziert: Seit der Erhebung Herzog Rogers II. zum König von Sizilien durch Anaklet II. hatte das sizilianisch-neapolitanische Reich in einem besonders engen Verhältnis zur Kurie gestanden, hatten die Päpste immer wieder auf die Unterstützung dieser süditalienischen Monarchie zurückgreifen können. Umgekehrt war der Kampf um die Beherrschung Süditaliens einer der Hauptgründe für den Konflikt zwischen den Staufern und Päpsten gewesen. Auch zur Zeit des Avignoneser Papsttums hatte sich an diesem Sachverhalt zunächst nichts geändert. Bei seinen Versuchen den Kirchenstaat zurückzuerobern und in seinen Auseinandersetzungen mit Ludwig dem Bayern hatte Papst Johannes XXII. immer wieder die Hilfe König Roberts von Neapel in Anspruch genommen. Dies änderte sich seit dem Regierungsantritt der Königin Johanna. Das neapolitanische Reich wurde von immer größeren innen- wie außenpolitischen Problemen heimgesucht, für welche die Königin sicher nicht alleinverantwortlich, an denen sie aber dadurch, daß sie sich anscheinend an der folgenreichen Ermordung ihres ersten Gatten beteiligt hatte, auch nicht unschuldig war115. Nachdem Innozenz VI. mit der Entsendung des Kardinals Albornoz nach Italien die Eroberung des Kirchenstaates wiederaufgenommen hatte, wurde 111

B-H 7171 von 1365 Juni 30. Siehe oben mit Anm. 34. 113 Siehe oben mit Anm. 54. 114 Die antineapolitanische Stoßrichtung der französischen Bestrebungen, den Reichvikariat im Arelat zu erhalten, hat bereits LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 423f., erkannt. Ähnlich THOMAS, Deutsche Geschichte (wie Anm. 18), S. 298. 115 Vgl. generell LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), passim. 112

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diese Problematik akut. In diesen langwierigen Kämpfen wäre dem Papsttum neapolitanische Hilfe hochwillkommen gewesen, Johanna indes vermochte weniger wohl aus Mangel an gutem Willen, als vielmehr wegen dieser inneren Schwierigkeiten - der Kurie die erwünschte Hilfe nicht zu leisten; sie war vielmehr selbst auf päpstliche Unterstützung angewiesen. Gerade Urban V. hatte sich zunächst sehr zuvorkommend der Königin gegenüber gezeigt: Die dritte Ehe Johannas mit Jakob IV., dem Titularkönig von Mallorca, war mit seiner Genehmigung geschlossen worden. In seinem Bewilligungsschreiben hatte der Papst den Wunsch ausgedrückt, sie möge einen Mann ehelichen, der fähig sei, »weise zu regieren und das Königreich männlich zu verteidigen«116. Der neue Prinzgemahl zeigte sich jedoch als unfähig, den päpstlichen Wünschen genüge zu tun. Abgesehen von den häufigen Zerwürfnissen mit seiner Gemahlin sollte er vielmehr das Verhältnis Johannas zu Frankreich noch zusätzlich belasten, insofern er 1367 an dem Feldzug des Schwarzen Prinzen nach Spanien teilnahm, wo dieser die französischen Truppen unter Bertrand du Guesclin besiegte117. Zudem blieb auch Johannas dritte Ehe kinderlos, womit die Nachfolgefrage weiterhin im Räume stand. Für Urban seinerseits, der die Rückkehr des Papsttums nach Rom vorbereitete, wurde, je mehr die Vorbereitungen voranschritten, auch die Frage der Zustände in Neapel immer drängender; vor die Aussicht gestellt, in den kaum unterworfenen Kirchenstaat zurückzukehren, wäre ihm neapolitanischer Rückhalt und entsprechende Unterstützung willkommen gewesen. Unter diesen Umständen mag Urban V. der Gedanke nicht ganz fern gelegen haben, daß ein anderer Fürst - energischer und loyaler als Johanna - einen besseren Herrscher als die amtierende Königin in Neapel abgeben würde. Wohl nicht ganz zufallig war denn auch eine Person, die entsprechende Ambitionen hatte, in Arles und Avignon anwesend: der schon genannte Ludwig von Anjou 118 . Als königlicher lieutenant für die Langue d'Oc war er deijenige Franzose, der - abgesehen vom französischen König selbst - von der kaiserlichen Arelatpolitik am stärksten betroffen war. Hätte Karl IV. dem französischen König tatsächlich das Reichsvikariat im Arelat eingeräumt, wäre Ludwig von Anjou sehr wahrscheinlich deijenige gewesen, der ihn ausgeübt hätte. Darauf, daß er dieses Ziel konkret angestrebt hat, deutet eine von Dietrich von Nieheim überlieferte Nachricht hin, die zwar längst als falsch widerlegt ist, die 116 Ed. bei Maurice PROU, Etude sur les relations politiques du pape Urban V avec les rois de France Jean II et Charles V (1362-1370), Paris 1888 (Bibliotheque de l'Ecole des Hautes Etudes, 76), S. 82, η. 1 von 1362 Nov. 7; hier zit. nach LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 403. 117 Vgl. Philippe CONTAMINE, A l'ombre des fleurs de lis. Les rapports entre les rois de France Valois et les Angevins de Naples et de Provence (1320-1382), in: Noel-Yves TONNERRE, Elisabeth VERRY (Hg.), Les princes angevins du ΧΙΙΓ au XV* siecle. Un destin europeen, Rennes 2003, S. 117-130, hier S. 126. 118 Über ihn vgl. zuletzt HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 1, S. 160ff.

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aber zeigt, wie das Treffen in Avignon von den Zeitgenossen aufgefaßt worden ist. Ihr zufolge hätte Ludwig von Anjou in Villeneuve ein Festmahl für Karl IV. ausgerichtet; bei dieser Gelegenheit hätte der Kaiser ihm das Arelat übertragen119. Ludwig von Anjou hat sein hier erstmals sichtbar werdendes Ziel in der Folgezeit konsequent weiterverfolgt. 1375, nach dem Tod Jakobs IV. von Mallorca, des Gatten der Königin Johanna, der seine Rechte seiner Schwester Isabella vererbt hatte, kaufte Ludwig ihr diese - mit Zustimmung seines Bruders Karl V. - ab120, hatte nunmehr also auch ohne den Vikarstitel einen Rechtsanspruch, der einen Zugriff nicht nur auf das Königreich Mallorca einschließlich des Roussillons und Montpelliers, sondern eventuell auch auf die Provence und das Königreich Neapel legitimieren konnte. Entscheidend mußte hier jedoch die Zustimmung des Papstes sein, der als Lehnsherr des neapolitanischen Reichs ein gewichtiges Wort mitzusprechen hatte. Stellt man sich schließlich auf den Standpunkt Karls IV., wird deutlich, daß auch dieser keinen Grund hatte, für Johanna einzutreten. Seit jeher waren die Anjous in Neapel Hauptstütze nicht nur des Papsttums, sondern auch der Guelfen in Reichsitalien gewesen121, hier einen befreundeten und verwandten Fürsten auf dem Thron zu wissen, hätte indirekt zu einer Stabilisierung der Reichsgewalt in Norditalien fuhren können. Die in Avignon zweifellos erörterte Frage nach dem weiteren Schicksal des Arelats122, der Provence und der Königin Johanna verquickte sich aufs engste mit einer weiteren, die dort ebenfalls besprochen worden sein dürfte, die nach der Rückkehr des Papsttums nach Rom - eine Frage, die in ganz ähnlicher Weise die päpstliche, die deutsche und die französische Politik tangierte. Diese Rückkehr nach Rom war offenbar von Anfang an das Ziel von Urbans Politik123, an ihr hatte auch Karl IV. hohes Interesse. Daß in Avignon Karls zweiter Italienzug zusammen mit der Reise Urbans nach Rom besprochen und vorbereitet worden ist, ist unbestritten124. 119

Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 226; Beat FREY, Pater Bohemiae Vitricus Imperii, Böhmens Vater, Stiefvater des Reichs. Kaiser Karl IV. in der Geschichtsschreibung, Bern 1978 (Geist und Werk der Zeiten, 53), S. 35. 120 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 45ff. 121 In seiner Autobiographie erwähnt Karl IV. selbst, daß Johannas Vorgänger, Robert der Weise, sich an einer Verschwörung gegen ihn beteiligt habe. Vita Caroli quarti (wie Anm. 20), cap. IV, S. 93. 122 Über die dortigen Verhandlungen sehr eingehend DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 219ff. 123 Über Urban vgl. vor allem VONES, Urban V. (wie Anm. 98), passim. 124 Vgl. Roland PAULER, Die Auseinandersetzungen zwischen Kaiser Karl IV. und den Päpsten. Italien als Schachbrett der Diplomatie, Neuried 1996 (Politik im Mittelalter, 1), S. 182ff.; Ellen WIDDER, Itinerar und Politik. Studien zur Reiseherrschaft Karls IV. südlich der Alpen, Köln 1993 (Forschungen zur Kaiser- und Papstgeschichte des Mittelalters, 10), S. 270f.

Onkel und N e f f e

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Nicht beachtet wird dagegen das französische Interesse an dieser Rückkehr, wenn es nicht gar völlig geleugnet wird. Daß die Rückkehr des Papsttums von Avignon nach Rom gegen den Widerstand des französischen Hofes geschah125, ist ein ähnlicher Glaubenssatz der Forschung wie der immerwährende deutsch-französische Gegensatz126. Sieht man die Rückkehr nach Rom im Licht von Ludwigs italienischen Ambitionen, wird neben dem deutschpäpstlichen sehr wohl auch ein französisches Interesse an ihr deutlich. War der Papst wieder Herr von Rom, konnte der Kirchenstaat nötigenfalls als Aufmarschbasis für eine Offensive Ludwigs von Anjou nach Süden dienen, dann nämlich, wenn die Königin Johanna sich seinen Wünschen gegenüber als unnachgiebig erwiesen hätte. Bekanntlich haben Johanna und Ludwig später einen dahingehenden Kompromiß geschlossen, daß sie ihn adoptiert und damit als Nachfolger anerkannt hat; diese Möglichkeit mag bereits bei dem Treffen in Avignon erwogen worden sein. Aber auch im Arelat stand der Papst französischen Interessen im Wege. Der von Karl V. und Ludwig von Anjou angestrebte Reichsvikariat im Arelat, der - wie erwähnt - ihnen einen Zugriff auf die Provence ermöglicht hätte, hätte bedeutet, daß Avignon und das Venaissin auf allen Seiten von französisch beherrschtem Territorium eingeschlossen worden wären, nicht mehr nur im Westen von Frankreich und im Norden von der Dauphine, sondern auch im Osten und Süden von der Provence. Die vielbeschworene Abhängigkeit des Avignoneser Papsttums von Frankreich wäre dann Wirklichkeit geworden, jedenfalls solange der Papst in Avignon und im Venaissin residierte. Solange dies der Fall war, konnte der Papst somit die französischen Ambitionen auf das Arelat wie auch Ludwigs italienische Ambitionen keineswegs billigen oder gar unterstützen, mußte ihnen vielmehr in jeder Weise Widerstand leisten. War er dagegen wieder sicher in Rom bzw. in Italien installiert, hätte er sich mit einer solchen Umklammerung des Venaissin abfinden können; dieses wäre - wie schon im 13. und dann wieder im 15. Jahrhundert - eine entlegene und unbedeutende Provinz des Kirchenstaates geworden. Daher dürfte - bei aller Unzufriedenheit - Urban V. doch noch der beste Bundesgenosse der Königin gewesen sein. Als Gegengewicht

gegen französische wie gegen kaiserliche

Ambitionen im Arelat war sie Urban wenigstens als Rückendeckung unentbehrlich, jedenfalls so lange, bis es ihm gelang, das Papsttum wieder sicher in Rom zu etablieren. Die wachsende Unzufriedenheit des Papstes mit Johanna wird aber darin deutlich, daß er 1366, also ein Jahr nach Karls IV. Krönung in Arles, bei diesem eine Urkunde erwirkte, durch welche die Appellationsgerichtsbarkeit in den Grafschaften Provence und Forcalquier dem päpstlichen Kämmerer über125

V g l . THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 88f., und SPEVACEK, Karl I V . (wie Anm. 16),

S. 108. 126

Siehe auch den zweiten Teil dieser Studie; vgl. Anm. 1.

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tragen wurde. Arnald von Auch, der päpstliche Kämmerer127, hat diese Urkunde umgehend in Avignon öffentlich bekanntgemacht, was scharfe Proteste von Johannas Amtsträgern in der Provence hervorrief128. Aber nicht allein Johannas wegen dürfte Urban diese Urkunde erbeten haben. Indirekt richtete sie sich auch gegen Ludwig von Anjou, insofern zumindest tendenziell Urban mit ihr in die Rolle eines kaiserlichen Vikars für die Provence einrückte129 und so Ludwigs Ambitionen blockieren konnte. Daß schließlich Karl IV. sich durchaus Vorteile von einem französischen Engagement versprechen konnte, ist schon dargelegt worden, jedenfalls solange sich Ludwigs Ambitionen im Arelat auf die Provence und die Dauphine beschränkten. Um einem weiteren Vordringen schon im Ansatz einen Riegel vorzuschieben, hatte er Amadeus von Savoyen zum Reichsvikar ernannt und Savoyen aus dem Arelat herausgelöst. Auch dieser war in Avignon und Arles anwesend, auch sein Interesse dürfte Berücksichtigung gefunden haben. Er hatte sich bereits als ehrgeiziger Fürst und fähiger Heerführer erwiesen, der sein Territorium gerne in Italien erweitert hätte. Hier stand ihm Bernabö Visconti, der Herr von Mailand, gegenüber, bekanntlich der Hauptgegner des Papsttums in Italien. Zwar bestand ein Bündnis zwischen Amadeus VI. und den Visconti, das sich gegen den Markgrafen von Montferrat richtete; indes versuchte der Papst gerade in den Jahren von Karls Krönungszug, Amadeus und den Markgrafen zu versöhnen130. Der Versuch blieb zwar zu Urbans Lebzeiten erfolglos; das war aber 1365 nicht absehbar. Unter seinem Nachfolger Gregor XI. sollte sich dann erweisen, daß Amadeus durchaus für ein Bündnis gegen die Visconti zu gewinnen war. Ein ähnliches Verhältnis bestand zwischen Karl IV. und den Visconti. Dem diplomatischen Geschick des Kaisers war es während seines ersten Italienzuges gelungen, sich mit ihnen zu einigen, er hatte sie 1355 gar zu Reichsvikaren in der Lombardei ernannt131. Aber auch ihr Verhältnis war nicht ohne Span-

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Über ihn vgl. vor allem Daniel WLLLIMAN, Calendar of the Letters of Arnaud Aubert Camerarius Apostolicus 1361-1371, Toronto 1992 (Subsidia Mediaevalia, 20), S. 17ff., der auf das in der folgenden Anm. genannte Stück jedoch nicht eingeht. 128 B-H 7216 von 1366 Sept. 7 (freundlicher Hinweis von Thomas Maldener); vgl. auch FOURNIER, R o y a u m e ( w i e A n m . 3 0 ) , S. 4 8 1 . 129 Daß die hohe Gerichtsbarkeit den Mittelpunkt der Vikariatskompetenz bildete, zeigt HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 550f., die auf diesen Fall jedoch nicht eingeht. 130 Vgl. GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 278ff. 131 Vgl. die Vikariatsprivilegien: B-H - Const. XI, S. 174, n. 317 von 1354 Dez. 20 (nur Reg.), ed. bei FAVREAU-LILIE, Reichsherrschaft (wie Anm. 66), S. 104, η. 1; B-H 1998 von 1355 März 8 (siehe dazu Const. XI, S. 251, Anm. 3); B-H 2108 = Const. XI, S. 234, n. 414 von 1355 Mai 8 (nur Reg.) (vgl. zur Überlieferung FAVREAU-LILIE, Reichsherrschaft [wie Anm. 66], S. 63, Anm. 27); B-H - Const. XI, S. 241, n. 427 von 1355 Mai 15 (nur Reg.), aus anderer Überlieferung ed. bei HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), S. 839, n. 2 von

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nungen132, diese gipfelten gar in kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Visconti und Markwart von Randeck, dem kaiserlichen Vikar in Reichsitalien133. Schon 1362 hatte Urban V. bzw. sein Legat Aegidius Albornoz eine Urkunde bei Karl IV. erwirkt, in dem dieser Amadeus VI. verboten hatte, die Visconti zu unterstützen134. Eine gemeinsame Offensive Ludwigs von Anjou - als stellvertretendem Reichsvikar der Dauphine bzw. des Arelats - und Amadeus' VI. - als Reichsvikar für Savoyen - , gerichtet zunächst gegen Mailand, dann gegen Johanna von Neapel, mag insofern eine für alle in Avignon vertretenen Parteien erfreuliche Perspektive gewesen sein. Wohlgemerkt, ich will keineswegs behaupten, es wäre in diesem Sinne ein förmliches Abkommen geschlossen worden, im Lichte der folgenden Ereignisse ist es aber sehr wahrscheinlich, daß eine unverbindliche Absprache zwischen Papst Urban, Kaiser Karl, Herzog Ludwig und vielleicht auch Graf Amadeus stattgefunden hat. Eine vertragliche Bindung war deshalb unmöglich, weil die antizipierten Pläne eine erfolgreiche Rückkehr des Papsttums nach Rom bzw. nach Mittelitalien voraussetzten; ob diese gelingen würde, war in Avignon noch nicht absehbar. Ebensowenig absehbar war das weitere Schicksal der Königin Johanna. Zwar wurde es immer unwahrscheinlicher, daß sie männliche Nachkommen haben würde, ob überhaupt und in welcher Form Ludwig in Italien seinen Traum vom eigenen Königreich würde verwirklichen können, war bestenfalls in vagen Umrissen absehbar. Ein förmliches Abkommen ist in Avignon aber doch geschlossen worden; es bietet das gleichsam offizielle Ergebnis des päpstlich-kaiserlichen Zusammentreffens. Unterrichtet sind wir darüber durch weitgehend gleichlautende Briefe Urbans V. und Karls IV. Seit dem Frieden von Bretigny (1360) wurde Frankreich immer wieder von marodierenden Söldnerbanden heimgesucht, die keinen Arbeitgeber mehr fanden135. Sie bedrohten auch Avignon und den Westen des Imperiums. In Avignon planten Kaiser und Papst, diese für einen Kreuzzug einzusetzen, der gegen die Türken in Kleinasien hätte geführt werden sollen136. Zwei Anmarschwege waren vorgesehen: einer durch das Gebiet des

1355 Mai 15 (Heckmann irrig zu Mai 17); B-H 3042 von 1360 Jan. 22; B-H 3190 von 1360 Jun. 26; vgl. generell FAVREAU-LILIE, Reichsherrschaft (wie Anm. 66), S. 63FF. 132 Vgl. WIDDER, Itinerar (wie Anm. 124), S. 259ff.; PAULER, Auseinandersetzungen (wie Anm. 124), S. 96. 133 Vgl. ibid., S. 161 f.; WIDDER, Itinerar (Anm. 124), S. 266ff.; FAVREAU-LILIE, Reichsherrschaft (wie Anm. 66), S. 78ff. 134 B-H 6244 von 1363 Juni 25. Vgl. auch B-H 3963 vom selben Tag. 135 Vgl. AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 49Iff.; jetzt auch FOWLER, Medieval Mercenaries (wie Anm. 70), bes. S. 123ff. 136 Im selben Jahr 1365 hat der Kreuzzug Peters von Lusignan, des Königs von Zypern, gegen Alexandria stattgefunden. Vgl. Anthony LUTTRELL, Popes and Crusades: 1362-1394, in: Genese et debuts du Grand Schisme d'Occident, Paris 1980 (Colloques intemationaux du Centre national de la recherche scientifique, 586), S. 575-585, hier S. 577.

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deutschen Reiches über Ungarn - vorausgesetzt, König Ludwig I. von Ungarn wäre einverstanden gewesen - , der andere durch Norditalien nach Venedig; von dort sollten sie mit Schiffen weitertransportiert werden137. Die zweite Variante paßt gut zu den skizzierten Plänen. Wie man auf der Landkarte sehen kann, hätte dieses Kreuzheer auf dem Weg von Südfrankreich nach Venedig leicht einen Abstecher über Mailand machen können. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, daß ein Kreuzheer sich von seinem ursprünglichen Ziel hätte abbringen lassen. Dieser Plan ist in dieser Form nicht ausgeführt worden, wahrscheinlich deshalb, weil Amadeus VI. damals noch nicht bereit war, sein Bündnis mit den Visconti aufzugeben. Immerhin hat derselbe Fürst 1366 einen Kreuzzug nach Gallipoli gefuhrt138, was man als Beginn eines Kurswechsels auf die päpstliche Seite auffassen kann. Wenige Jahre später, unter Gregor XI., hat man diese Pläne in wenig veränderter Form aufgegriffen; das Bündnis, welches der neue Papst gegen die Visconti zustandebringen konnte, hat in großem Maße auf in Frankreich marodierende Söldner zurückgegriffen, die sich gerne für einen erfolgversprechenden und dem Seelenheil forderlichen Feldzug gegen die Feinde der Kirche gewinnen ließen139. Man begreift jetzt, warum das Nichteingehen Karls IV. auf die französischen Arelatpläne keine Verstimmung ausgelöst hat. Der Kaiser hat diese keineswegs abgelehnt, vielmehr ihre Verwirklichung von der Ausführung der skizzierten Pläne abhängig gemacht. Erster Schritt zu ihrer Ausführung mußte - wie gesagt - die erfolgreiche Rückkehr des Papstes nach Rom sein: Urban V. brach am 30. April 1367 dorthin auf. Daß hier ein Zusammenhang mit den Ambitionen Ludwigs von Anjou bestand, wird darin deutlich, daß dieser zusammen mit Bertrand du Guesclin, dem berühmten französischen Kriegshelden, - unmittelbar nach der Abreise des Papstes und damit offenbar erheblich früher als geplant in die Provence einfiel. Die Provenzalen leisteten jedoch - unterstützt durch tatkräftige Hilfe aus Neapel - unerwartet hartnäckigen Widerstand140; Urban V.

137 Vgl. B-H 7164 von 1365 Juni 9, sowie B-Η Päpste 100-102 von 1365 Juni 9 = Paul LECACHEUX, Guillaume MOLLAT (Hg.), Lettres secretes et curiales du pape Urbain V (13621370) se rapportant ä la France, 1 Bd. in 4 Fasz., Paris 1902-1955, n. 1822-1825. Zudem wies Urban V. den Kardinal Androin de la Roche, den päpstlichen Legaten in Italien, an, er möge mit der Königin Johanna und anderen italienischen Magnaten in Gespräche über den geplanten Kreuzzug eintreten. Ed. in: Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 3 (wie Anm. 98), S. 340, n. 564 von 1365 Juni 10. 138 Vgl. L u t t r e l l , Popes and Crusades (wie Anm. 136), S. 577; Cox, Green Count (wie

A n m . 3 2 ) , S. 204FF. 139

Siehe unten mit Anm. 206. Vgl. Victor L. BOURRILLY, Duguesclin et le due d'Anjou en Provence (1368), in: Revue Historique 152 (1926), S. 161-180; LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 425ff.; WEISS, Versorgung (wie Anm. 38), S. 334; zuletzt FOWLER, Medieval Mercenaries (wie Anm. 70), S. 242ff. 140

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protestierte energisch141, und das Unternehmen mußte zunächst abgebrochen werden. Das darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, daß Urbans Rückkehr nach Rom durchaus im Rahmen des in Arles hergestellten französisch-deutschen Einvernehmens erfolgt ist. Eine Schlüsselrolle spielte hier Guido von Boulogne, Kardinalbischof von Porto, der wohl erfahrenste päpstliche Diplomat. Er war sowohl mit den Valois als auch mit den Luxemburgern und nicht zuletzt auch mit den Grafen von Genf verwandt; er hatte zuvor diplomatische Missionen nicht nur für diverse Päpste142, sondern auch fur Karl V. und für Karl IV. durchgeführt. Auch nach Ungarn hatte ihn eine Legation geführt143. Bei dem Zusammentreffen Urbans V. mit Karl IV. in Viterbo 1368144 verabredeten beide, Guido von Boulogne zum neuen Reichsvikar in Tuszien zu ernennen; im Jahre 1369 wurde er Nachfolger Markwards von Randek145. Fast gleichzeitig ist er auch zum kaiserlichen Vikar in Lucca ernannt worden146. Völlig zu Recht hat Jugie darauf hingewiesen, daß die Übereinstimmung zwischen Kaiser und Papst kaum deutlicher demonstriert werden konnte, als durch die Ernennung eines Kardinals zum kaiserlichen Vikar147. Indes, Urbans Rückkehr ist bekanntlich mißlungen; im September 1370 ist er nach Avignon zurückgekehrt, wo er kurz darauf verstarb, vielleicht weil es ihm nicht gelungen war, einen entscheidenden Erfolg gegen die Visconti zu 141 Vgl. auch die päpstlichen Proteste bei Karl V. von 1368 Apr. 3, ed. bei PROU, Etude (wie Anm. 116), S. 157, n. 78; LECACHEUX, MOLLAT (Hg.), Lettres secretes (wie Anm. 137), n. 2733; zit. bei LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 426, Anm. 1, und bei Karl IV., B-H - ed. bei PROU, Etude (wie Anm. 116), S. 157f., n. 78; Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 3. (wie Anm. 98), S. 602, n. 961; Reg. LECACHEUX, MOLLAT (Hg.), Lettres secretes (wie Anm. 137), n. 2735; zit. bei LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 426, sowie die Exkommunikation Bertrands du Guesclin, ed. bei PROU, Etude (wie Anm. 116), S. 161, n. 83; LECACHEUX, MOLLAT (Hg.), Lettres secretes (wie Anm. 137), n. 2839 von 1368 Sept. 1. Sehr bezeichnend ist auch ibid., n. 3059 = PROU, Etude (wie Anm. 116), S. 165, n. 86 von 1370 Apr. 5. 142 Vgl. Pierre JUGIE, L'activite diplomatique du cardinal Gui de Boulogne en France au milieu du XIV* siecle, in: Bibliotheque de l'Ecole des Chartes 145 (1987), S. 99-147. 143 Vgl. DERS., La legation en Hongrie et en Italie du cardinal Gui de Boulogne (1348-1350), in: II Santo. Rivista antoniana di storia, dottrina, arte 29 (1989), S. 29-69. 144 B-Η 4696d-4696f und B-Η 4697ff. Vgl. auch die Urkunde Urbans V. von 1368 Dez. 6: Reg. LECACHEUX, MOLLAT (Hg.), Lettres secretes (wie Anm. 137), n. 2893 (irrig zu 1368 Dez. 7), ed. bei Pierre JUGIE, Le vicariat imperial du cardinal Gui de Bologne ä Lucques en 1369-1370, in: Melanges de l'Ecole franfaise de Rome. Moyen-Äge. Temps modernes 103 (1991), S. 261-357, hier S. 345, n. 19 zu 1368 Dez. 6. 145 Ich folge hier JUGIE, Vicariat (wie Anm. 144), S. 266ff., und HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 547f. Die Ernennungsurkunde: B-H 4770 = HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 831, n. 40 von 1369 Juli 2, ed. bei ZIMMERMANN (Hg.), Acta

( w i e A n m . 51), S. 134, n. 66; JUGIE, V i c a r i a t ( w i e A n m . 144), S. 3 4 8 , n. 2 1 . 146

B-H 4758 = HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 831, n. 39 von 1368 Ju-

ni 1, ed. bei JUGIE, V i c a r i a t ( w i e A n m . 144), S. 3 4 6 , n. 20. 147

Ibid., S. 269.

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erzielen. Auch Guido von Boulogne konnte wenig ausrichten. Man könnte meinen, daß sich damit die skizzierten Pläne erledigt hätten. Dem war jedoch nicht so. An der Ausgangslage hatte sich im Grunde nichts geändert, wenn der neue Papst die Politik seines Vorgängers wiederaufnahm und weiterführte, konnten sie nach wie vor zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht werden.

VII. Valois, Luxemburg und Ungarn Es hat sich herausgestellt, daß die kaiserliche Reise nach Avignon und Arles vor allem eine antineapolitanische Stoßrichtung hatte. Diese war - wie gleich gezeigt wird - noch massiver, als wir bisher gesehen haben. Zudem hingen sowohl die deutsche als auch die französische Ostpolitik in vielfacher Weise mit der Arlesreise zusammen. Nicht nur mit Ludwig von Anjou und Johann von Berry, sondern auch noch mit dem dritten und jüngsten Bruder König Karls V., nämlich mit Herzog Philipp dem Kühnen von Burgund, ist der Kaiser auf seiner Reise zusammengetroffen. Schon zuvor hatte er dem Herzog, seinem Neffen, geschrieben, er wolle mit ihm zusammentreffen; Philipp der Kühne hatte seinen Bruder Karl V. darüber informiert und dieser hatte dem Treffen zugestimmt148. Zwar kam der Herzog - nicht durch eigene Schuld - zu spät, um in Avignon und bei der Krönung in Arles anwesend zu sein149, er ist jedoch auf der Rückreise des Kaisers mit diesem, seinem Onkel, am 13. und 14. Juni in der Abtei SaintAntoine-de-Viennois bei Romans zusammengetroffen. Was war der Zweck dieser Zusammenkunft? In Avignon hatte der Kaiser auf Papst Urban V. eingewirkt, daß dieser eine geplante Eheschließung zwischen Albrecht III. von Habsburg, dem Herzog von Österreich, und Elisabeth, der Nichte König Ludwigs I., des Großen, von Ungarn (1326-1382) und voraussichtlichen Erbin seiner Länder150, wegen zu naher Verwandtschaft untersage, zumal beide bereits anderweitig versprochen waren, ein Verlangen, dem der Papst auch nachgekommen ist151. Karl wollte so verhindern, daß die rivalisierenden Habsbur148 Vgl. den Brief Karls V. an Philipp den Kühnen von 1365 Mai 2, auszugsweise ed. bei PROU, Etude (wie Anm. 116), S. 48, Anm. 3; im Volltext ediert bei Ernest PETIT, Dues de Bourgogne de la maison de Valois d'apres des documents inedits: Philippe le Hardi, Bd. 1, Paris 1909, S. 7; zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 214, mit Anm. 4. 149 Ibid., Bd. 3, S. 227, Anm. 1. 150 Ludwig hatte damals noch keine Kinder, seine älteste Tochter Katharina wurde erst 1370 geboren, als kaum noch jemand damit rechnete. Vgl. VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 396f. 151 B-Η Päbste 97, ed. in: Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 3 (wie Anm. 98), S. 261, n. 436; LECACHEUX, MOLLAT (Hg.), Lettres secretes (wie Anm. 137),

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ger Erbansprüche auf Ungarn würden geltend m a c h e n können. Sein e i g e n e s Verhältnis zu L u d w i g v o n Ungarn war gespannt 1 5 2 , vielleicht glaubte er, der Papst werde hier mit größerer Autorität eingreifen können. Karl IV. hatte für Elisabeth ( 1 3 5 4 - 1 3 8 0 ) einen anderen Ehemann ausersehen, keinen anderen als Philipp den Kühnen 1 5 3 . Dieser stand d e m Plan durchaus a u f g e s c h l o s s e n gegenüber, er hat jedenfalls während des Treffens am 14. Juni 1365 d e m Kaiser Vollmacht erteilt, über seine - Philipps - Eheschließung mit Elisabeth v o n Ungarn die nötigen Verhandlungen zu fuhren 1 5 4 . Urban V . hatte sich s c h o n zuvor in A v i g n o n mit dieser Lösung einverstanden erklärt und dementsprechende, an L u d w i g v o n Ungarn und seinen H o f adressierte Urkunden ausgestellt 1 5 5 . Schließlich war anscheinend auch Karl V . mit dieser Ehe einverstanden 1 5 6 , w e n n man auch annimmt, daß er schon damals n. 1603 von 1365 Febr. 24, n. 1783, 1784 von 1365 Mai 23; Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 3 (wie Anm. 98) S. 369, n. 605 von 1365 Juli 2. Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 219f.; VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 381ff.; zur kirchenrechtlichen Problematik vgl. ibid., S. 76ff. 152 Ibid., S. 377. Immerhin war es Karl IV. im Jahr vor seiner Arlesreise gelungen, einen umfassenden Frieden zwischen Böhmen, Österreich und Ungarn herbeizuführen. Vgl. B-H 4009-4012 von 1364 Febr. 8-10; Samuel STEINHERZ, Die Beziehungen Ludwigs I. von Ungarn zu Karl IV, 2. Theil: Die Jahre 1358-1373, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 9 (1888), S. 529-637, hier S. 557. Auch waren Karl IV., Ludwig I. von Ungarn und König Kasimir von Polen Ende September 1364 in Krakau zusammengekommen (B-Η Reichssachen 414 von 1364 Sept. 22; vgl. STEINHERZ, Beziehungen, S. 558, 609f.). Es ist immerhin möglich, daß sie bei dieser Gelegenheit bereits den noch zu erörternden Eheplan besprochen haben. Der Zusammenhang zwischen kaiserlicher Ost- und Westpolitik wird jedenfalls im Itinerar Karls IV. sehr deutlich: von Krakau nach Arles und von Arles wieder nach Buda. 153 In der deutschen Forschung wird dieser Plan regelmäßig übersehen, wahrscheinlich weil er - wie DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 219, Anm. 5, mit Recht feststellt seinerzeit Werunsky entgangen war. Das gilt leider auch fiir die neuen Arbeiten von VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), und HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 1, S. 172ff. Wenigstens am Rande erwähnt wird er in der einschlägigen Biographie von Richard VAUGHAN, Philip the Bold, Woodbridge 2 2002, S. 4. 154 Diese Vollmacht ist erhalten als Regest in einem alten Inventar dieser Abtei. Erwähnt wird dort une procuration passee par Philippe, filz de Jean roy de France, due de Bourgogne, ä Charles, empereur des Romains et roy de Boheme, son oncle, pour contracter manage avec dame Elisabeth, fille de feu Estienne [Herzog Stephan von Kroatien, Bruder König Ludwigs I.], due, et neveu [sie; corr. frere - Ergänzung von Delachenal] du roy de Hongrie. So zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 228, Anm. 1. Anscheinend hat auch Philipp der Kühne selbst einen Gesandten zu Ludwig von Ungarn geschickt. Vgl. FOWLER, Medieval Mercenaries (wie Anm. 70), S. 124, mit Anm. 16. Über die Rolle von Vermittlern bei Eheschließungen von Hochadligen vgl. SPIESS, Familie (wie Anm. 15), S. 82ff. 155 LECACHEUX, MOLLAT (Hg.), Lettres secretes (wie Anm. 137), n. 1798-1808 von 1365 Juni 2; vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 220, Anm. 3. Wahrscheinlich sind diese Urkunden von Karl IV. selbst zu Ludwig von Ungarn gebracht worden. 156 Das geht aus dem erwähnten Brief Karls V. an Philipp von Burgund hervor (wie Anm. 148), in dem es heißt: Tres eher et tres ami frere, nous avons regeu vos lettres conte-

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eine Verbindung seines Bruders mit Margarete, der Erbin Ludwigs von Male, des Grafen von Flandern, betrieben hat157. Was beabsichtigte Karl IV. mit diesem Eheplan? Wir müssen etwas ausholen, da er sich einfugt in ein kompliziertes Geflecht von Eheschließungen, welche - soweit sie vom Kaiser betrieben wurden - offenbar den Zweck hatten, von Böhmen aus Erbansprüche auf die östlichen Länder zu erwerben158. Zwei Jahre vor der Arlesreise war der Kaiser seine vierte Ehe eingegangen, und zwar mit Elisabeth von Pommern-Wolgast (1347-1393), der Enkelin König Kasimirs III. von Polen159. Da Kasimir keine Söhne hatte und seine Töchter bereits gestorben waren, standen seine Enkel dem Thron am nächsten; mit seiner Eheschließung hatte Karl gleichsam einen Schritt in Richtung auf die polnische Krone getan. Indes hatte Kasimir bereits 1339 eine Nachfolgeregelung getroffen. Diese sah vor, daß sein Neffe, König Ludwig I. von Ungarn, ihm nachfolgen sollte160. Insofern war es aus kaiserlicher Sicht sicher ein sinnvoller Gedanke, auch mit Ludwig in verwandtschaftliche Beziehungen zu treten. Die vorstehenden Ausführungen dürften bei Kennern Befremden hervorrufen, da sie im Widerspruch zur verbreiteten Ansicht stehen, Karl IV. habe ganz im Gegenteil Elisabeth von Ungarn mit seinem eigenen Sohn Wenzel (* 1361) verheiraten wollen161. Aus der eben skizzierten Interessenlage ergibt sich in der Tat, daß aus Karls IV. Sicht sein Sohn Wenzel ein geeigneterer Ehemann fur Elisabeth als sein Neffe Philipp gewesen wäre. Indes waren nans comment nostre oncle l'empereur vous a excript que vous alliez ä Avignon οΰ il doit estre dedans le mois de Pasques; si sachiez que se vous pouver laisser vostre pays en surete il nous plaist bien que vous y alliez. Et sachez que nous avons ordonne a y envoyer, tant pour vostre mariage [!] comme pour les autres besoignes que nous y avons a faire, l'arcevesque de Sens, l'evesque de Nevers, et Guillaume de Dormans, chancelier de Viennois, qui sont messages bien solemnels, et qui partiront tantost pour y aller. Si voudrions bien que vous les attendassiez, afln qu 'ils s 'en allassent aveucque vous, mes que vous fitssiez bien certain que nostre oncle demourast tant par delä que vous y peussiez estre avant qu 'il s 'en partist. Donne a Paris, le secont jour de may. 157

Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 220, 501 ff. Dieser Eheplan ist vor dem Hintergrund zu sehen, daß auch Eduard III. von England eine Eheschließung seines Sohnes mit besagter Erbin anstrebte, womit er beinahe erfolgreich gewesen wäre. Vgl. AuTRAND, C h a r l e s V ( w i e A n m . 1 7 ) , S. 5 2 1 f . 158

Generell sei verwiesen auf Frantisek KAVKA, Zum Plan der luxemburgischen Thronfolge in Polen (1368-1382). Strittige Forschungsfragen, in: Zeitschrift für Historische Forschung 13 ( 1 9 8 6 ) , S. 2 5 7 - 2 8 3 , u n d VELDTRUP, E h e r e c h t ( w i e A n m . 15), p a s s i m ; i c h b e s c h r ä n k e

mich auf das für mein Thema Wesentliche. 159 Vgl. ibid., S. 377ff. 160 Ibid., S. 241. 161 Ibid., S. 383ff. (mit der älteren Literatur). Bereits 1356 hatte Karl IV. ein erstes Eheprojekt für Elisabeth eingefädelt: Sein Bruder, Markgraf Johann von Böhmen, hatte seinen erstgeborenen Sohn König Ludwig als Gatten für Elisabeth versprochen. Vgl. ibid., S. 347. Philipp der Kühne war also nicht der erste Neffe, den Karl IV. mit Elisabeth von Ungarn hatte verheiraten wollen.

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Karls Beziehungen zu Ludwig gespannt, der Kaiser mag befurchtet haben, mit einem solchen Vorschlag auf brüske Ablehnung zu stoßen. Auch war Wenzel bereits 1361 - noch nicht einmal einjährig - durch ein väterliches Eheversprechen mit der Tochter des Burggrafen von Nürnberg verbunden worden162. Da Wenzel noch keine sieben Jahre alt war, ließ sich ein solches Versprechen zwar noch ohne päpstlichen Dispens auflösen, indes wäre diese Argumentation König Ludwig gegenüber doch recht taktlos gewesen. Nachdem der Papst auf kaiserlichen Wunsch hin die nötigen Dispense fur eine Ehe zwischen Albrecht und Elisabeth verweigert hatte, mußte der Kaiser damit rechnen, daß Ludwig von Ungarn ihm gegenüber sehr verstimmt war. Unmittelbar nach seiner Arlesreise ist Karl IV. jedenfalls nach Ungarn gereist und mit König Ludwig I. in Buda zusammengetroffen. Dort sind sie übereingekommen, daß Wenzel - und nicht Philipp der Kühne - mit Elisabeth verlobt werden sollte163. Auf den ersten Blick scheint dies im Widerspruch zu meinen vorangegangenen Ausführungen zu stehen. Indes wissen wir ja keineswegs, ob die Initiative fur ein Ehebündnis zwischen Wenzel und Elisabeth tatsächlich vom Kaiser ausgegangen ist. Dieser mag mit der Hoffnung nach Buda gekommen sein, die aus seiner Sicht zweitbeste Lösung erreichen zu können, um dann freudig überrascht festzustellen, daß Ludwig seinerseits einer ehelichen Verbindung zwischen Elisabeth und Wenzel durchaus aufgeschlossen gegenüberstand. Wir müssen die weitere Entwicklung dieses Verlöbnisses noch etwas weiter verfolgen. Ludwig von Ungarn selbst hat weder 1365 noch später seine Nachfolge selbst geregelt; er hat aber gegen Ende des Jahres 1365, während er also mit Karl IV. über die Eheschließung verhandelte, Karl von Durazzo, einen entfernten Verwandten aus einer Seitenlinie164, nach Ungarn berufen, »ganz offensichtlich in der Absicht, ihn zum Thronfolger zu erheben«165. Auch wurde Ludwig seit 1370 überraschend doch noch Vater von drei Töchtern, womit nicht nur Karls IV. Interesse an der Ehe Wenzels mit Elisabeth endgültig erlosch, sondern auch die Position Karls von Durazzo in Frage gestellt wurde. 162 Erst 1363 hatte Karl IV. die Nürnberger Burggrafen (die Zollem) zu Reichsfürsten erhoben, um die geplante Ehe Wenzels mit Elisabeth, der Tochter des Burggrafen, nicht als Mesalliance erscheinen zu lassen. Ibid., S. 383f. 163 Vgl. B-Η Reichssachen 426 von 1365 Dez. 20; das in B-H 4285 inserierte Schreiben Ludwigs an Karl IV. von 1365 Dez. 5, sowie B-Η Reichssachen 433 von 1366 Febr. 27; der päpstliche Dispens, ed. in: Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 3 (wie Anm. 98), S. 415, n. 670 von 1366 Febr. 23; vgl. auch STEINHERZ, Beziehungen (wie Anm. 152), Teil 2, S. 562ff.; VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 384ff. Den Ehevertrag hat man dann wohl im Juni 1366 geschlossen. Bekanntlich ist die Ehe dann doch nicht vollzogen worden. Wenzel wurde vielmehr am 29. September 1370 in erster Ehe mit der Wittelsbacherin Johanna von Bayern-Holland verheiratet. Vgl. ibid., S. 418ff. 164 Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen unter den Anjous vgl. den Stammbaum ibid., S. 392. 165 Ibid., S. 390; vgl. auch STEINHERZ, Beziehungen (wie Anm. 152), Teil 2, S. 566f.

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Weder jetzt noch in den folgenden Jahren hat Ludwig klargestellt, welche Position Karl nach seinem Tod einnehmen sollte; seine Erbansprüche und seine Position am ungarischen Hof waren aber so geartet, daß er ein ernstzunehmender Kandidat für die Nachfolge in Polen wie in Ungarn war. Damit war er aber zugleich auch - und darin besteht der Zusammenhang zwischen Karls IV. West- und Ostpolitik - ein Kandidat für die Nachfolge im Reich von Neapel und in der Provence. König Ludwig I. von Ungarn war nämlich mit der neapolitanischen Königsdynastie verwandt166; beide führten ihre Abstammung auf Karl I. von Anjou, den Bruder König Ludwigs des Heiligen zurück, woraus sich zugleich ein dynastischer Zusammenhang mit dem französischen Königshaus ergibt. Zwar war König Ludwig von Ungarn die Königin Johanna, die Gattin und Mörderin seines Bruders Andreas, zutiefst verhaßt, gleichwohl hätte er bei ihrem Tod Erbansprüche auf das neapolitanische Reich und damit auch die Provence geltend machen können167. Diese Ansprüche wären - so er ohne weitere Nachkommen gestorben wäre - auf seine Töchter bzw. Schwiegersöhne und auf Karl von Durazzo übergegangen. Zunächst bleibt festzuhalten, daß in den Jahren 1365/1366 Vorbereitungen getroffen wurden, um sowohl die Provence als auch das Reich von Neapel gleichsam von zwei Seiten her - von Westen und von Osten - einer französischen Einflußnahme zu öffnen, und zwar - das muß noch einmal betont werden - mit tätiger Unterstützung Kaiser Karls IV., wenn nicht gar auf seine Initiative hin. Zwar ist die vom Kaiser angeregte Heirat zwischen Philipp und Elisabeth nicht zustandegekommen, der Plan einer französisch-ungarischen Ehe wurde jedoch keineswegs aufgegeben; wir werden noch genauer sehen, daß er in ganz ähnlicher Weise wiederaufgenommen worden ist. Hier mag dieses Projekt zunächst dazu dienen, noch einmal die Fragwürdigkeit des herkömmlichen Paradigmas bei der Deutung der französisch-deutschen Beziehungen unter Karl IV. und Karl V. zu demonstrieren. Diesem Paradigma zufolge müßten wir annehmen, daß während einer antifranzösischen Demonstration der deutsche König und Kaiser eine Ehe des Bruders des französischen Königs mit einer der attraktivsten Erbinnen dieser Zeit einzufädeln gesucht hätte. Offensichtlich hat sich Karl IV. bei diesem Vorhaben nicht von staatlichen und erst recht nicht von nationalen, sondern vielmehr von dynastischen Interessen leiten lassen. Sein eigener Neffe, der überdies als Graf von Burgund (d.h. der Freigrafschaft) Reichsfürst war, stand ihm offensichtlich näher als ein Angehöriger der konkurrierenden habsburgischen Dynastie. 166

LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 316ff. Ludwig hatte zwar nach dem Fehlschlag seiner beiden Feldzüge nach Neapel in den Jahren 1347/1348 und 1349/1350 (vgl. ibid., S. 355ff„ 361ff.) Papst Clemens VI. gegenüber förmlich auf seine Ansprüche auf Neapel verzichtet, indes ist fraglich, ob seine Nachfolger sich daran gehalten hätten. Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 89. 167

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Man stelle sich einmal vor, dieser Plan wäre realisiert worden: Philipp der Kühne als König von Ungarn, Herzog des französischen, Graf des deutschen Burgund und eventuell gar als König von Neapel und Graf der Provence. Das war nicht so utopisch, wie es scheinen mag. Man denke an Karl IV. selbst, dessen Stellung im Reich auf einem ähnlichen Spagat zwischen Luxemburg und Böhmen ruhte. Das burgundische Reich des 15. Jahrhunderts, welches auf Philipp den Kühnen und seine dann doch erfolgte Ehe mit der Erbin von Flandern zurückgeht, war kaum weniger heterogen, es fehlte nicht viel, und es wäre so zwischen Frankreich und Deutschland ein Mittelreich entstanden.

VIII. Von Avignon nach Rom Nach diesem Umweg nach Osten kehren wir nun wieder in den Mittelmeerraum zurück. In Avignon war 1370 ein neuer Papst erhoben worden, Gregor XI. Er war seinem Vorgänger Urban V. so unähnlich wie nur möglich168; in einem Punkt jedoch stimmte er mit ihm überein: Wie Urban ist Gregor nach einigen Jahren aufgebrochen, um den Sitz des Papsttums wieder nach Rom bzw. Italien zu verlegen. Vielleicht nicht ganz freiwillig - ich habe schon an anderer Stelle dargelegt, daß er in weit stärkerem Maße als seine Vorgänger von Frankreich, genauer: von Ludwig von Anjou abhängig gewesen ist169, der ein häufiger Gast am Hof in Avignon war170. Zuvor hat Gregor - zur Vorbereitung der Rückkehr - in Italien eine weitgespannte diplomatische Aktivität entfaltet, die durchaus Erfolge erzielte171. Dabei finden wir immer wieder Hinweise, die auf ein weitgehendes päpstlichkaiserlich-französisches Zusammenwirken deuten. Bereits anläßlich der Krönung in Arles haben wir die Schlüsselrolle kennengelernt, die Graf Amadeus VI. von Savoyen in diesen Plänen spielte. Auch nach der Krönung blieb Amadeus eine Stütze der kaiserlichen Politik. Zwar wurden ihre Beziehungen mitunter dadurch belastet, daß Amadeus seine Vikariatsrechte auszunutzen

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V g l . WEISS, V e r s o r g u n g ( w i e A n m . 3 8 ) , S. 4 4 4 f .

169

Ibid., S. 255. Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 346ff., 592f. Demnach hat Gregor XI. zeitweise sogar in Ludwigs Haus in Villeneuve gewohnt. Zudem hat Ludwig dem päpstlichen Justizmarschall gestattet, auch in Villeneuve - also in Frankreich - die Jurisdiktion über die dem päpstlichen Hof attachierten Personen auszuüben. 171 Einen guten Überblick bietet Guillaume MOLLAT, Les papes d'Avignon (1305-1378), 170

P a r i s ' 1 9 5 0 , S. 258FF.

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versuchte, um die Grafschaft Genf 172 seiner Herrschaft zu unterwerfen; diesen Bestrebungen hat Karl IV. nach Kräften entgegengewirkt173. Bereits 1358 hatte der Kaiser den Grafen von Genf aus der Gerichtsbarkeit der Reichsvikare exemiert174 und 1366 hat er den Vikariat des Amadeus insofern eingeschränkt, als er Genf aus diesem herausnahm175. Wenige Jahre später - während seines zweiten Italienzuges - hat Karl IV. die Unabhängigkeit Genfs von Savoyen noch einmal bekräftigt: Er erklärte den Grafen Amadeus IV. von Genf (13671369) zu seinem unmittelbaren Vasallen und die Grafschaft Genf zum Reichslehen176, erneuerte die seinem Vorgänger am 5. Mai 1358 gewährte Exemption 1HH

17ß

aus der Gerichtsbarkeit der Reichsvikare und dessen Münzrecht und ernannte ihn zum Lateranensischen Pfalzgrafen179. Dabei ist für das Folgende von Interesse, daß auch ein jüngerer Bruder Amadeus' IV., nämlich Robert von Genf, der spätere Papst Clemens VII., mehrere Wochen lang am kaiserlichen Hof anwesend war. Auch ihm, der damals Bischof von Cambrai (1368-1371) und somit Mitglied der Reichskirche war, hat Karl IV. während des Zuges zwei Urkunden ausgestellt180. Zudem hat Robert die genannten Ur172

Über diese vgl. Pierre DUPARC, Le comte de Geneve, ΧΓ-ΧΝ* siecles, Genf 1955 (Memoires et documents publies par la Societe d'historie et d'archeologie de Geneve, 39) (freundlicher Hinweis von Philippe Genequand). 173 Zuvor war Karl IV. entsprechenden Bestrebungen König Johanns entgegengetreten. Vgl. B-H - ed. in: Const. XI, S. 287, n. 507; B-H - ed. in: Const. XI, S. 288, n. 508 von 1355 Aug. 21. Vor allem dem Schutz der Grafschaft Genf galt auch die Ernennung des Grafen Heinrich von Montbeliard (Mömpelgard) zum Reichsvikar in der Freigrafschaft Burgund. Vgl. B-H 6844, ed. in: Const. XI, S. 286, n. 506 von 1355 Aug. 21. 174 B-H 2781 = 6953, ed. in: DUPARC, Comte (wie Anm. 172), S. 297, η. 1 von 1358 Mai 5. 175 B-H 4363, besser bei Ronald NEUMANN, Ekkehart ROTTER (Hg.), Die Zeit Karls IV. 1365-1371, Köln 2003 (Urkundenregesten zur Tätigkeit des deutschen Königs- und Hofgerichts bis 1451, 9), S. 110, n. 143 von 1366 Sept. 13, und B-H 4501 = NEUMANN, ROTTER

(Hg.), Zeit Karls IV., S. 157, n. 195 von 1367 Febr. 25. Vgl. auch B-H 4462 = NEUMANN, ROTTER (Hg.), Zeit Karls IV., S. 148, n. 183 von 1366 Dez. 30. Jedoch ist die Behauptung von NEUMANN, ROTTER (Hg.), Zeit Karls IV., S. 158, Amadeus VI. von Savoyen wäre 1367 verstorben, falsch. Offenbar haben sie ihn mit Amadeus III. von Genf verwechselt, der in der Tat in diesem Jahr gestorben ist. Vgl. Jean-Yves MARIOTTE, in: Lexikon des Mittelalters Bd. 1, München 1980, Sp. 499. Über den Konflikt zwischen Genfund Savoyen vgl. auch GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 175f. 176 B-H 7277 von 1369 Febr. 6, ed. bei Eduard WINKELMANN (Hg.), Acta imperii inedita saeculi XIII et XIV, Bd. 2, Innsbruck 1885 (ND Aalen 1964), S. 591, n. 919. 177 B-H 4710 = 7297 von 1369 Febr. 10, ed. bei WLNKELMANN, Acta, Bd. 2 (wie Anm. 176), S. 595, n. 921. 178 B-H 7280 von 1369 Febr. 10, ed. bei WINKELMANN, Acta, Bd. 2 (wie Anm. 176), S. 593, n. 920. Erneuert worden ist die ältere Urkunde von 1355 Aug. 21: B-H 6843 = Const. XI, S. 289, n. 509 (nur. Reg.). 179 BH 7281 von 1369 Febr. 22, ed. bei WLNKELMANN, Acta, Bd. 2 (wie Anm. 176), S. 596, n. 922. 180 B-H - von 1369 Juli 7; zit. bei Lotte HÜTTEBRÄUKER, Cambrai, Deutschland und Frankreich 1308-1378. Untersuchungen zum Kampf um die deutsche Westgrenze, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Germanistische Abteilung 59 (1939), S. 88-135,

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künden für seinen Bruder Amadeus und noch andere Urkunden des Kaisers als Zeuge unterschrieben181. Im Gefolge seines Bruders bzw. dem des Kaisers konnte Robert demnach Erfahrungen mit den italienischen Verhältnissen sammeln. Mit dem Regierungsantritt Peters von Genf (1370-1392), eines jüngeren Bruders Amadeus' IV., verbesserte sich das Verhältnis zwischen Genf und Savoyen wieder; der neue Graf war insbesondere als Vermittler zwischen Amadeus VI. und Papst Gregor XI. tätig182, was ihm um so leichter gefallen sein dürfte, als sein noch jüngerer Bruder Robert von Genf (seit 1371) Kardinal dieses Papstes war183. Das Vertrauensverhältnis zwischen Amadeus VI. und Karl IV. ist durch den Konflikt zwischen Genf und Savoyen jedenfalls nicht nachhaltig gestört worden, 1372 sollte der Kaiser den Grafen von Savoyen gar zum Reichsvikar in Italien ernennen184. Etwa gleichzeitig, im Jahre 1372, gelang es Gregor XI., die alte Feindschaft zwischen Savoyen und Montferrat zu beenden und beide zu einem Bündnis gegen die Mailänder Visconti zu vereinen185. Eine Schlüsselrolle spielte hier eine Person, die uns noch mehrfach begegnen wird, Herzog Otto von Braunschweig-Grubenhagen186. Dieser, einer der zahlreichen deutschen Soldritter187, der erst in den Diensten König Johanns II. von Frankreich, dann in denen des Markgrafen Johann II. von Montferrat - und damit indirekt in denen Kaiser Karls IV. - gestanden hatte188, erwies sich als fähiger Exekutor päpstlicher Pläne. Markgraf Johann hatte ihn testamentarisch zum Vormund seiner unmündigen Söhne eingesetzt, als solcher schloß Otto nach dessen Tod - unter

hier S. 130, Anm. 3. Vom gleichen Tag ist noch eine weitere Kaiserurkunde für einen Empfänger aus Genf belegt (B-H - Reg. WIDDER, Itinerar [wie Anm. 124], S. 468). 181 Es reicht ein Blick in die »Regesta imperii«. Vgl. auch Wilhelm KLARE, Die Wahl Wenzels von Luxemburg zum Römischen König 1376, Münster 1990 (Geschichte, Bd. 5), S. 191. 182 Vgl. GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 306. 183 Über die verwandtschaftlichen Beziehungen der Genfer Grafen vgl. die detaillierten Angaben bei Roger Ch. LOGOZ, Clement VII (Robert de Geneve): sa chancellerie et le clerge romand au debut du grand schisme (1387-1394), Lausanne 1974, S. 3ff. 184 B-H 5155, ed. bei HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 83, η. 1 zu (1372 vor Dez. 23; hier liegt wohl ein Druckfehler vor, die Urkunde ist zusammen mit dem folgenden Stück anzusetzen), n. 5156 von 1372 Nov. 23. Zum historischen Kontext vgl. ibid., S. 78f.; eine inhaltliche Analyse bietet Ferdinand SEIBT, Zum Reichsvikariat fur den Dauphin 1378, in: Zeitschrift für Historische Forschung 8 (1981), S. 129-158, hier S. 152ff. 185 Vgl. zuletzt GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 282ff. 186 Vgl. Werner PARAVICINI, Fürstliche Ritterschaft: Otto von Braunschweig-Grubenhagen, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft, Jahrbuch 1994, S. 97-138. 187 Über diese vgl. zuletzt Stephan SELZER, Deutsche Söldner im Italien des Trecento, Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, 98); FOWLER, Medieval Mercenaries (wie Anm. 70) (beide mit reicher Bibliographie). 188 Vgl. B-H 4099 von 1364 Dez. 15.

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päpstlicher Vermittlung189 - am 17. Juni 1372 Frieden mit Amadeus VI. und beteiligte sich am 7. Juli 1372 an dem Bündnis gegen Mailand190. Auch Karls IV. Verleihung des Vikariats fur Italien an Amadeus VI.191 sowie dessen Belehnung mit der Markgrafschaft Saluzzo192 und die vorangegangene Ächtung und Absetzung Bernarbo und Galeazzo Viscontis als Reichsvikare193 ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Weiterhin hat Karl IV. die Stadt Bobbio, welche bisher die Visconti als Reichsvikare beherrscht hatten, dem Bruder Gregors XI., dem Markgrafen von Beaufort194, verliehen. Außerdem hat der Kaiser auch die (noch minderjährigen) Söhne des Markgrafen Johanns II. von Montferrat zu Reichsvikaren ernannt. Mit der Wahrnehmung dieses Amtes hat er Otto von Braunschweig betraut195; dieser hatte also die Position eines stellvertretenden kaiserlichen Reichsvikars inne. Schließlich war auch Frankreich an diesem Bündnis nicht unbeteiligt: Kein Geringerer als Enguerran VII. de Coucy, Abkömmling einer der ältesten französischen Adelsfamilien und Schwiegersohn des englischen Königs, der aber auch verwandtschaftliche Beziehungen nach Deutschland und Savoyen hatte196, trat zeitweise in päpstliche Dienste197. Diesem Bündnis gelang es, einige Erfolge gegen die Visconti zu 189

Vgl. Guillaume MOLLAT (Hg.), Lettres secretes et curiales du pape Gregoire XI (13701378) int6ressant les pays autres que la France, 3 Fasz., Paris 1962-1965, n. 775 von 1372 Juni 4; n. 1363, 1363bis von 1373 Jan. 2, n. 2191 von 1373 Sept. 19, n. 2984 von 1374 Nov. 21. 190 Vgl. Cox, Green Count (wie Anm. 32), S. 264ff.; PARAVICINI, Ritterschaft (wie Anm. 186), S. 111; GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 282ff., bes. S. 284, mit Anm. 322. 191 Wie Anm. 184. Vgl. auch die beiden Briefe Gregors XI. an Karl IV., ed. bei MOLLAT (Hg.), Lettres (wie Anm. 189), n. 918, 919 von 1372 Aug. 1. Amadeus' Vikariatsbezirk ist 1375 und 1376 geringfügig eingeschränkt worden, aber so, daß die Stoßrichtung gegen die Visconti noch deutlicher wurde. Vgl. HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 79. 192 B-H 7425 von 1375 Nov. 11. 193 B-H 5115, 5116, ed. bei ZIMMERMANN (Hg.), Acta (wie Anm. 51), S. 141, n. 70 von 1372 Aug. 3. 194 B-H 7505 zu ca. 1372; vgl. auch STEINHERZ, Beziehungen (wie Anm. 152), Teil 2, S. 600, 615ff. Demnach ist die Urkunde zu 1372 Aug. 2 zu datieren und gehört mit der Urkunde zusammen, in welcher der Papst bevollmächtigt wird, zehn Jahre lang über die Länder der Visconti zu verfügen; vgl. Anm. 199. 195

B-H 5439 = HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 2, S. 831, n. 4 6 von 1374

Dez. 6. 196 Seine Mutter Katharina war die Tochter Herzog Leopolds I. von Österreich und die Enkelin Amadeus' V., des Grafen von Savoyen. Vgl. Barbara TUCHMANN, Der ferne Spiegel, Das dramatische 14. Jahrhundert, Düsseldorf 1980, S. 54. 197 Zu Coucys Biographie ibid., bes. S. 234ff. Vgl. auch GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 285. Die päpstlichen Briefe an Coucy sind ediert von Henri LACAILLE, Enguerrand de Coucy au service de Gregoire XI, 1372-1374, in: Annuaire-bulletin de la Societe de l'histoire de France 32 (1895), S. 185-201. Es sei nur am Rande daraufhingewiesen, daß der gleiche Enguerrand de Coucy wenig später, 1375/1376, mit Billigung des kaiserlichen Reichsvikars Wenzel von Luxemburg-Brabant am Oberrhein, also auf Reichsgebiet, einen Feldzug gegen seine Verwandten von mütterlicher Seite, die Herzöge Leopold III. und Albrecht von Österreich, geführt hat, da diese ihm eine von ihm beanspruchte Erbschaft vor-

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erzielen198; zudem bestand jetzt in Norditalien ein starker Block, welcher dem Papst als Rückendeckung bei einer Rückkehr nach Rom dienen konnte. Zu Beginn des Krieges hatte Karl IV. dem Papst die Vollmacht erteilt, zehn Jahre lang die Gebiete, welche die Visconti als Reichsvikare innegehabt hatten, an einen Kandidaten seiner (des Papstes) Wahl zu vergeben199. Drei Jahre später, als der endgültige Erfolg bevorzustehen schien, hat Gregor in der Tat einen neuen Herrscher für die Lombardei ins Auge gefaßt, und zwar keinen anderen als Ludwig von Anjou. In einem förmlichen Vertrag zwischen Ludwig und Gregor, geschlossen in der päpstlichen Sommerresidenz in Villeneuve am 29. August 1375, wird Ludwig als künftiger Herrscher der Lombardei vorgesehen, und zwar mit dem Titel eines Königs, den ihm wiederum der Kaiser verleihen sollte, dessen Zustimmung man also sicher zu sein glaubte200. Unter den Zeugen des Vertrages fmdet man den Kardinal Robert von Genf, was man wohl als Anzeichen dafür werten darf, daß dieser Ludwigs Ambitionen aufgeschlossen gegenüberstand. Das wird sich noch als wichtig erweisen. Auch mit Otto von Braunschweig zeigte sich Gregor XI. hoch zufrieden: Am 28. Dezember 1375 heiratete Otto, der stellvertretende kaiserliche Reichsvikar, in Avignon in Anwesenheit des Papstes die Königin Johanna von Neapel und wurde ihr vierter und letzter Ehemann201. Es war dies eine rein politienthielten. Vgl. dazu B-Η Reichssachen 613 von (1375) Sept. 24, ed. bei Hans WITTE, Georg WOLFRAM (Hg.), Urkundenbuch der Stadt Straßburg, Bd. 5: Politische Urkunden von 1332 bis 1380, Straßburg 1896, S. 890, n. 1218; vgl. auch Coucys ibid., S. 887, n. 1213, edierten Fehdebrief von (1375) Aug. 31 (in deutscher Sprache!). Weitere Quellen nennt MoLINIER, Sources (wie Anm. 91), Bd. 4, S. 80f., n. 3408-3411. Vgl. TUCHMANN, Spiegel (wie Anm. 196), S. 250ff.; Walter SCHAUFELBERGER, Guglerkrieg, in: Handbuch der Schweizer Geschichte, Bd. 1, Zürich 1972, S. 255f. 198 Zu den Hintergründen GALLAND, Les papes (wie Anm. 9), S. 286ff. 199 B-H 5114 von 1372 Aug. 2 nach der Quarta vita Gregorii XI, in: BALUZE, MOLLAT (Hg.), Vitae paparum (wie Anm. 84), Bd. 1, S. 463-465, hier S. 464. Dort heißt es: [Karolus IV] dedit potestatem eidem Gregorio pape per suas litteras suo imperiali sigillo munilas [...] t err is, possessionibus [...] in vicariatum suo imperiali nomine aliis concedendi usque ad X annos extunc in antea. Es ist also der Papst selbst, der hier die Länder der Visconti mit der Vollmacht eines Reichsvikars vergibt. Über die Quarta vita vgl. Guillaume MOLLAT, Etude critique sur les Vitae paparum Avenionensium d'Etienne Baluze, Paris 1917, S. 82ff. 200 C'est le traictie eu entre nostre Sainct Pere le Pape et Monsieur le due d'Anjou sur le faict de la conqueste de Lombardie. - Premierement plaict ä nostre Sainct Pere que l'Empereur donne audit Monsieur d'Anjou, pour luy, ses hoirs et successeurs, tiltre de roy du dit pays, et nostre dit Sainct Pere le procurera ä son pouvoir envers le dit Empereur, et en iceluy cas que ledit Monsieur d'Anjou entreprendra ladite conqueste du pays de Lombardie comme sien, nostre Sainct Pere se deschargera pleinement et du tout de la guerre qu 'il faict aux tyrans de Melan [...]; DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 43, Anm. 1, Ausführlich zit. ibid., Anm. 2-3, S. 44, Anm. 1-3. 201 Vgl. Heinrich V. SAUERLAND, Drei Urkunden zur Geschichte der Heirat des Herzogs Otto von Braunschweig und der Königin Johanna von Neapel, in: Quellen und Forschungen aus Italienischen Archiven und Bibliotheken 8 (1905), S. 206-216, dort S. 209, n. 2, der Ehevertrag; dazu die Urkunden Gregors XI. bei Leon MIROT, H. JASSEMIN (Hg.), Lettres

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sehe Ehe, die sich vor allem gegen die Ansprüche Karls von Durazzo richtete. Wie aber fugte sich Otto von Braunschweig in die französischen Ambitionen, insbesondere die Ludwigs von Anjou, ein? Hingewiesen sei darauf, daß ein eigenartiges - fast verwandtschaftliches - Verhältnis zwischen beiden bestand. Otto von Braunschweig war nämlich in erster Ehe von 1353 bis 1369 mit Yolande de Vilaragut verheiratet gewesen; sie war die Witwe des am 25. August 1349 gefallenen Königs Jakob III. von Mallorca202. Wir erinnern uns, daß Johanna ihrerseits in dritter Ehe mit dem Titularkönig Jakob IV. von Mallorca verheiratet gewesen war und daß Ludwig von Anjou über die Schwester dieses Jakob IV. Ansprüche auf Neapel geltend machen konnte. Auf den ersten Blick mag Otto somit als Rivale Ludwigs und als Gegner der französischen Italienpläne erscheinen, indes ist zu bedenken, daß wegen Ottos und Johannas hohem Alter kein Nachwuchs aus ihrer Ehe mehr zu erwarten war, die Nachfolgefrage in Neapel also weiterhin offen war. Karl V. von Frankreich jedenfalls hielt Otto von Braunschweig für einen Förderer der französischen Italienpläne. In einer königlichen Verhandlungsinstruktion für französische Gesandte aus dem Jahre 1376, die mit Papst Gregor über die an anderer Stelle noch genauer zu erörternden Pläne für eine französische Nachfolge im Reich von Neapel und in der Provence verhandeln sollten203, wird ausdrücklich Otto von Braunschweig als ein Mann erwähnt, von dem man sich Unterstützung in dieser Sache erwarten könne204. Aber verfolgen wir zunächst den weiteren Ablauf der Ereignisse. 1375 lebte der Krieg wieder auf; unter der Führung von Florenz rebellierten einige Kommunen des Kirchenstaates205. Dadurch ließ sich jedoch Gregor XI. von seinen Plänen nicht abbringen: Im September 1376 brach er von Avignon auf; am 13. Januar 1377 hielt er seinen feierlichen Einzug in Rom. Zuvor hatte er dem Kardinal Robert von Genf die Legation in Italien und die Führung der päpstlichen Truppen anvertraut. Dazu dürften den Kardinal seine italienischen Erfahrungen und auch seine persönliche Bekanntschaft mit Karl IV. qualifiziert haben. Der seinerzeit in Avignon besprochene Plan wurde nun ausgeführt. Unter der Führung Roberts von Genf und des berüchtigten Söldnerführers John Hawkwood überschritt ein päpstliches Söldnerheer die Alpen und drang nach Italien vor. Galeazzo Visconti ging auf die Seite des Papstes über; mit ihm secretes et curiales du pape Gregorie XI (1370-1378) relatives ä la France, 5 Fasz., Paris 1935-1957, n. 3872-3875 von 1375 Dez. 26, n. 3876 von 1375 Dez. 27; vgl. L E O N A R D , Les Angevins (wie Anm. 49), S. 449f.; P A R A V I C I N I , Ritterschaft (wie Anm. 186), S. 114ff. 202 Vgl. ibid, S. 107. 203 Siehe unten mit Anm. 223. 204 Ed. bei Eugene J A R R Y , La vie politique de Louis de France, due d'Orleans, 1372-1407, Paris, Orleans 1889, S. 385, n. 5 von 1376 Mai 30, hier S. 388f. 205 Vgl. M O L L A T , Papes (wie Anm. 171), S. 264ff.; als Kontrast T U C H M A N N , Spiegel (wie Anm. 196), S. 289ff.

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konnte Robert von Genf im Namen des päpstlichen Bündnisses schon im Juli 1376 Frieden schließen206. Der Feldzug gipfelte am 3. Februar 1377 in dem bekannten Massaker an der Bevölkerung von Cesena207. Insgesamt waren die päpstlichen Truppen erfolgreich; auch Florenz mußte schließlich um Frieden ersuchen. Im Frühjahr 1378 begann ein großer Friedenskongreß in Sarzana, auf dem fast alle italienischen Mächte vertreten waren. Dort sollte unter päpstlicher Vermittlung ein allgemeiner Friede geschlossen werden208. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß auch eine französische Gesandtschaft an dieser Konferenz teilnahm209. Den Vorsitz hatte der Kardinal Jean de la Grange, der Kardinal von Amiens; er vertrat im Auftrag Gregors XI. die päpstlichen Interessen210. Wegen seiner Abwesenheit von Rom hat er an der Wahl Urbans VI. nicht teilnehmen können; er gehörte dann zu seinen Hauptwidersachern und war einer der Hauptbetreiber des Schismas211. Da er vor seinem Kardinalat zum conseil Karls V. gehört hatte, ist man versucht, hier ein französisches Einwirken zu vermuten, zumal - wie erwähnt - sogar eine französische Gesandtschaft in Sarzana anwesend war, hier also eine Absprache hätte stattfinden können. Die Möglichkeit will ich nicht ausschließen, immerhin aber sei daraufhingewiesen, daß auf die Kunde von Gregors Tod die dort versammelten Gesandtschaften beschlossen haben, auf die Römer einzuwirken, daß diese einen italienischen Papst wählten. Man erwog gar, zu diesem Zweck Truppen nach Rom zu entsenden212. Nach allem, was wir wissen, haben auch die französischen Gesandten keine Einwände dagegen gehabt.

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B-Η Reichssachen 626 von 1376 Juli 19. Welchen Anteil Robert daran hatte, ist nach wie vor umstritten. Vgl. die abgewogene Stellungnahme von Marc DYKMANS, La conscience de Clement VII, in: Genese et debuts (wie Anm. 136), S. 599-606. 208 Vgl. Walter BRANDMÜLLER, Zur Frage nach der Gültigkeit der Wahl Urbans VI. - Quellen und Quellenkritik, in: Annuarium Historiae Conciliorum 6 (1974), S. 78-120, hier S. 78ff. 209 Vgl. den Bericht des florentischen Bevollmächtigten Coluccio Salutati an König Ludwig I. von Ungarn, ed. ibid., S. 114, n. 21 von 1378 Mai 6. Vgl. auch ibid., S. 83. Die Bestallungsurkunden der französischen Gesandtschaft bei Leopold DELISLE (Hg.), Mandements et actes divers de Charles V (1364-1380), Paris 1874, S. 806-808, n. 1626-1630 von 1377 Febr. 4. 207

210

211

V g l . DELACHENAL, H i s t o i r e ( w i e A n m . 8), B d . 5, S. 140f.

Vgl. Robert-Henri BAUTIER, Aspects politiques du Grand Schisme, in: Genese et debuts (wie Anm. 136), S. 4 5 7 ^ 8 1 , hier S. 464f. 212 Vgl. BRANDMÜLLER, Frage (wie Anm. 208), S. 83f. Brandmüller vermutet, sie habe für die Rückkehr des Papsttums nach Avignon wirken sollen, einen Beleg dafür gibt er nicht.

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Stefan Weiß IX. D i e R e i s e n a c h Paris

Im Dezember 1377 - nachdem also die Kunde von der Rückkehr und erfolgreichen Installation des neuen Papstes nördlich der Alpen bekanntgeworden war - brach auch Kaiser Karl IV. zu einer Reise auf, und zwar nach Paris, u m seinen französischen Kollegen und N e f f e n zu besuchen 2 1 3 . Wichtigstes Ergebnis der Reise war die schon erwähnte Erneuerung des Reichsvikariats in der Dauphine 2 1 4 und die Verleihung des Reichsvikariats im Arelat an den französischen Thronfolger 2 1 5 . Zuvor hatte der Kaiser diesen, der erst zehn Jahre alt war, für mündig erklärt 216 . D a ß Rom- und Parisreise w i e auch die Vikariatsverleihung i m Zusammenhang zu sehen sind, hat man schon lange erkannt: Thomas etwa deutet die Vikariatsverleihung als Gegenleistung des Kaisers für die französische Billigung der Rückkehr Gregors nach Rom 2 1 7 . D a s setzt aber voraus, daß diese Rückkehr g e g e n den Willen des französischen H o f e s erfolgt ist 218 . Ganz im Gegenteil glaubten jetzt offenbar beide Monarchen, den schon in A v i g n o n gefaßten Plan endlich ausführen zu können. Einer der Gründe dafür, daß die lange angestrebte Vikariatsverleihung zu diesem Zeitpunkt statt213

B-Η 5857aff., 7459a; zu Karls IV. Parisreise vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 61ff.; NEUREITHER, Bild (wie Anm. 27), S. 112ff.; SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 2), S. 351fr.; THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 85ff.; AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 779ff.; DIES., Memoire et ceremonial: la visite de l'Empereur ä Paris d'apres les Grandes Chroniques de France et Christine Pizan, in: Liliane DULAC, Bernard RLBEMONT (Hg.), Une femme de Lettres au Moyen Äge. Etudes autour de Christine de Pizan, Orleans 1995 (Medievalia, 16), S. 91-103 (freundlicher Hinweis von Julie Chandler); Heinz THOMAS, Ein zeitgenössisches Memorandum zum Staatsbesuch Kaiser Karls IV. in Paris, in: Wolfgang HAUBRICHS, Wolfgang LAUFER, Reinhard SCHNEIDER (Hg.), Zwischen Saar und Mosel. Festschrift für Hans-Walter Herrmann zum 65. Geburtstag, Saarbrücken 1995 (Veröffentlichungen der Kommission für Saarländische Landesgeschichte und Volksforschung, 24), S. 99-119; zuletzt HECKMANN, Stellvertreter (wie Anm. 47), Bd. 1, S. 225ff. Vgl. auch den Beitrag von Gerald Schwedler in diesem Band. 214 B-H 5861 von 1378 Jan. 7. 215 B-H 5862, ed. bei HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 86, n. 2 von 1378 Jan. 7; vgl. auch B-H 5863, ed. bei HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 90, n. 3 von 1378 Jan. 7 (nicht B-H 5861, wie in der Vorbemerkung von Heckmanns Edition angegeben ist). Zum historischen Kontext vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 117ff. Eine inhaltliche Analyse dieser und der in Anm. 214 genannten Vikariatsurkunde bietet SEIBT, Reichsvikariat (wie Anm. 184), S. 152ff. Für die Bedeutung, die Karl V. diesen Urkunden beimaß, ist aufschlußreich, daß er sie in eine Aktensammlung kopieren ließ, in der er die wichtigsten Unterlagen für seine Außenpolitik hat zusammenstellen lassen. Vgl. Andre ARTONNE, Le recueil des traitös de la France compose par ordre de Charles V, in: Recueil de travaux offert a M. Clovis Brunei, Bd. 1, Paris 1955 (Memoires et documents, 12), S. 53-73 (freundlicher Hinweis von Julie Chandler). 216 B-H 5858 von 1378 Jan. 5. Zur Überlieferung vgl. HECKMANN, Reichsvikariat (wie Anm. 24), S. 65, Anm. 5. 217

THOMAS, Frankreich (wie A n m . 2), S. 88ff.

218

Vgl. auch den zweiten Teil dieser Studie; vgl. Anm. 1.

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fand, dürfte darin bestanden haben, daß man auf diese Weise Gregor XI. eine etwaige Rückkehr nach Avignon erschweren wollte. Er wäre in ein Venaissin zurückgekehrt, das auf allen Seiten von französisch beherrschtem Territorium umgeben war. Der Wortlaut des kaiserlichen Vikariatsprivilegs bestätigt dies219. In ihm ernennt der Kaiser seinen Großneffen Karl von Vienne (den späteren König Karl VI.) zum Reichsvikar auf Lebenszeit für das gesamte Arelat; ausdrücklich genannt werden die Grafschaften Provence, Forcalquier und Piemont - d.h. die Besitzungen der Königin Johanna - , sowie die Grafschaft Burgund (d.h. die Freigrafschaft), während die Grafschaft Savoyen ebenso ausdrücklich ausgenommen wird. Nicht erwähnt wird das Venaissin. Gleichzeitig hatte Karl IV. den Reichsvikariat des Thronfolgers in der Dauphine erneuert220. Wie ein Blick auf die Landkarte lehrt, war nunmehr die Grafschaft Venaissin auf allen Seiten von französisch beherrschtem Territorium umschlossen; im Westen von Frankreich, im Norden von der Dauphine, im Osten und Süden von der Provence. Auch die antineapolitanische Stoßrichtung ist offensichtlich: gerade diejenigen Gebiete, welche Johanna von Neapel beherrschte, werden explizit dem Reichsvikariat des Dauphins unterworfen. Daß ein Zusammenhang zwischen dem kaiserlichen Parisbesuch, der Vikariatsverleihung und den Ambitionen Ludwigs von Anjou bestand, ist schon von einer gutunterrichteten Quelle bemerkt worden. In der circa 1400 entstandenen Metzer Chronik des Jaique Dex wird ausdrücklich vermerkt, daß nach Karls IV. Besuch in Paris »[...] envoiont le dit roy [Karl V.] et son consceil le due Lowy d'Angois pour conquester le reaume de Naple pour lui estre en perdiction«221. Als nächster hätte nun Ludwig von Anjou aktiv werden müssen, der mittlerweile dadurch, daß er - wie erwähnt - die Rechte Jakobs IV. erworben hatte, seinen Anspruch auf die neapolitanische Krone untermauert hatte. An einem unmittelbaren Eingreifen ist er offenbar zunächst dadurch gehindert worden, daß er in diesen Jahren mit Feldzügen gegen die Engländer und der Bekämpfung von Aufständen in Südfrankreich beschäftigt war. Zudem waren dort wieder marodierende Söldner aktiv222. Wir sind den Ereignissen jedoch etwas vorausgeeilt. Zunächst muß dargelegt werden, daß - wie schon zuvor bei der Arlesreise des Kaisers - auch bei seiner Parisreise die kaiserliche Westpolitik aufs engste mit der Ostpolitik ver2

" W i e A n m . 215. B-H 5861 von 1378 Jan. 7. Vgl. auch B-H 5859, 5860 von 1378 Jan. 6. 221 Zit. nach der Metzer Chronik des Jaique Dex (Jacques d'Esch) über die Kaiser und Könige aus dem Luxemburger Hause, hg. von Georg WOLFRAM, Metz 1906 (Quellen zur lothringischen Geschichte, 4), S. 313 (cap. XLII). Über den Autor vgl. Wolframs Einleitung, S. LXXIIff.; NEUREITHER, Bild (wie Anm. 27), S. 74ff. Die Stelle wird angeführt von THOMAS, Memorandum (wie Anm. 213), S. 114, von dessen Deutung ich jedoch abweiche. 222 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 285ff.; WEISS, Versorgung (wie Anm. 38), S. 334. 220

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knüpft war. Wie erwähnt, hatte König Ludwig von Ungarn seit dem Jahre 1370 zwar immer noch keine Söhne, wohl aber drei Töchter bekommen; somit war absehbar, daß die von ihm regierten Länder Ungarn und - seit 1370 in Personalunion - auch Polen nach seinem Tod an seine Töchter bzw. Schwiegersöhne übergehen würden. Gleiches galt fur Ludwigs Erbansprüche auf das Reich von Neapel, zu dem - wie erwähnt - auch die Provence gehörte. In den Jahren 1372 bis 1374 ist zwischen König Karl V. von Frankreich und König Ludwig I. von Ungarn ein neues Ehebündnis ausgehandelt worden. Der Zweitälteste und damals vierjährige Sohn König Karls V., Ludwig (* 1370), der spätere Herzog von Orleans, sollte mit der ältesten Tochter König Ludwigs von Ungarn, Katharina (* 1370), verheiratet werden223. Im Unterschied zum ersten Fall blieb es nicht bei unverbindlichen Planungen; es ist vielmehr ein förmlicher Vertrag über die Verlobung beider geschlossen worden224. Zwar ist die Ehe dann doch nicht zustandegekommen, aber nicht etwa, weil es den Beteiligten am guten Willen gefehlt hätte, sondern lediglich deshalb, weil Katharina schon 1378 verstarb. Dies war aber nicht absehbar; solange sie lebte, hatte die französische Ostpolitik die Perspektive, daß in näherer Zukunft Prinz Ludwig Ansprüche auf König Ludwigs Erbe würde geltend machen können. Wir müssen die Verhandlungen noch etwas genauer verfolgen, da sie Aufschluß über die politischen Ziele Karls V. in Osteuropa geben. Dem Ehevertrag kann man entnehmen, daß sein Interesse weniger auf Ungarn und Polen als vielmehr auf König Ludwigs Rechte auf Neapel und die Provence gerichtet war. Im Vertrag war festgelegt worden, daß die künftige Gemahlin Ludwigs von Frankreich - bereits hier ist in Betracht gezogen worden, eventuell eine von Katharinas Schwestern zu ehelichen - als Mitgift das Reich von Neapel und die Provence erhalten sollte (d.h. die Ansprüche darauf)225. In weiteren Verhandlungen haben dann die französischen Unterhändler folgendes verlangt: Gesetzt den Fall, das Königreich Neapel werde durch den Prinzen Karl (gemeint ist offenbar Karl von Durazzo) zurückerobert, die Ehe zwischen Prinz Ludwig und Katharina wäre schon vollzogen und diese würde 223

Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 544ff.; Eugene JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 4ff.; Noel VALOIS, Le projet de manage entre Louis de France et Catherine de Hongrie et le voyage de l'empereur Charles IV ä Paris (janvier 1378), in: Annuaire-bulletin de la Societe de l'histoire de France 30 (1893), S. 209-223; LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 444ff.; THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 86. 224 Der Vertrag ist ediert bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 369, η. 1 von 1374 Aug. 10; zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 546, Anm. 3. Darin ist als Insert enthalten die Instruktion König Ludwigs von Ungarn fur die ungarische Gesandtschaft von 1374 Apr. 10. Weitere Quellen nennt VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 402f., mit Anm. 2492. 225 [...] regna, terras et dominia Sicilie, Neapolitanum, Pulte, Calabrie, cum omnibus terris, appendentibus et pertinentibus ad ipsa, et principatum Sallerne, comitatumque Provincie, Folcalcherii et Pedemontis et honorem Sancti Angeli [...], so der Ehevertrag (wie vorige Anm.).

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ohne Nachkommen sterben, dann solle Ludwig als König von Neapel abdanken, wenn nicht - hier wird der Text etwas kryptisch - credit prefatus dominus rex Francie quod carissimus predictus frater suus [Ludwig von Anjou] vellet pati tantam indecenciam in personam filii sui evenire: placeat sibi, in illo eventu, si (quod Deus avertat) contingeret, honori prefati filii sui providere226. Man darf diese Passage wohl so verstehen, daß Ludwig von Anjou dann als Verteidiger und Sachwalter der Rechte seines Neffen, des Prinzen Ludwig, auftreten sollte, daß Ludwig von Anjou also eine bedeutende Rolle bei der Besitzergreifung und Sicherung des Königreichs Neapel durch die Valois zugedacht war. Im Verlauf der Verhandlungen hat König Ludwig dann der französischen Forderung zugestimmt, daß, wenn Katharina nach vollzogener Ehe ohne Kinder aus dieser Ehe sterben sollte, Prinz Ludwig gleichwohl die Provence erhalten solle, das Reich von Neapel dagegen (bzw. die Ansprüche auf dieses) würde an Ungarn zurückfallen227. In diese Verhandlungen ist auch der päpstliche Hof einbezogen worden228; gleichsam im Dreieck reisten die ungarischen und französischen Gesandten zwischen Buda, Paris und Avignon hin und her; selbst zur Königin Johanna ist eine französische Delegation vorgedrungen229. Ohne Zustimmung des Papstes, des Lehnsherrn des Reiches von Neapel, waren alle Absprachen über die Nachfolge der Königin Johanna wertlos. Zudem hatte Ludwig von Ungarn seinerzeit die Unvorsichtigkeit begangen, dem Papst gegenüber auf seine Rechte auf das Reich von Neapel zu verzichten230. Es war Ludwig von Anjou, den sein Bruder Karl V. damit beauftragte, am Hof in Avignon die entsprechenden Nachforschungen anzustellen231. Die französische und ungarische Seite waren sich einig, vom Papst zu verlangen, er möge diesen Widerruf annullieren. Von der Königin Johanna verlangten sie, daß sie Ludwig von Ungarn bzw. dessen Tochter Katharina und ihren Verlobten Prinz Ludwig als Nachfolger anerkenne. Von 1372 bis 1375, also parallel zu diesen Verhandlungen über ein französisch-ungarisches Verlöbnis, haben ganz ähnliche zwischen Kaiser Karl IV. und König Ludwig von Ungarn stattgefunden. Am 14. April 1375 vereinbarten

226 Französische Verhandlungsinstruktion von 1375 Dez. 11, ed. bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 377, n. 3; zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie A n m . 8), Bd. 4, S. 547, Anm. 1. 227 Anwort des König von Ungarn an die französische Gesandtschaft, ed. bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 382, n. 4 zu 1376 vor Mai 30; zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 546, Anm. 4 (dort zu 1374 Mai 30; es handelt sich wohl um einen Druckfehler). 228

Vgl. die betreffenden Papsturkunden: MlROT, JASSEMIN (Hg.), Lettres secretes (wie Anm. 201), n. 1480 von 1374 Jan. 8, n. 1690 von 1374 Sept. 22 an Königin Johanna. 229 Ihre Verhandlungsinstruktionen sind, ed. bei JARRY, La v i e (wie A n m . 204), S. 385, n. 5 von 1376 Mai 30. 230 Vgl. ibid., S. lOf. 231 So in der zitierten Instruktion für die französischen Gesandten, ed. ibid., S. 377, n. 3, hier S. 378.

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sie in Brünn, daß Karls IV. Zweitältester Sohn Sigmund (1368-1437), der spätere Kaiser, die Zweitälteste Tochter Ludwigs, Maria (1372-1395), heiraten solle232. Diese Ehe ist bekanntlich im Jahre 1385 tatsächlich zustandegekommen; sie war letztlich die Ursache dafür, daß Sigmund König von Ungarn wurde. Auch hier war die Kurie einbezogen. Nicht nur mußte der Papst die nötigen Dispense wegen zu naher Verwandtschaft erteilen. Er entsandte selbst einen Legaten, der sich an den Verhandlungen zwischen Karl IV. und Ludwig beteiligt hat und versuchte, ein Bündnis zwischen beiden gegen die Visconti zustandezubringen233. An der Kurie müssen sich die ungarischen, französischen und deutschen Unterhändler in den beiden Eheangelegenheiten gleichsam die Klinke in die Hand gegeben haben. Zu einem vorläufigen Abschluß scheinen die Verhandlungen 1376 gekommen zu sein. Am 23. August dieses Jahres erneuerte Gregor XI. die Urkunde, mit der seinerzeit König Ludwig von Ungarn am 11. Oktober 1351 gegenüber Papst Clemens VI. auf seine Rechte auf das Reich von Neapel verzichtet hatte234. Das muß man wohl als eine Ablehnung des französisch-ungarischen Ansinnens auffassen - interessanterweise zu dem Zeitpunkt, als Gregor kurz vor der Romreise stand, er also - so darf man hinzufügen - auf neapolitanische Hilfe besonders angewiesen war. In der Literatur wird oft argumentiert, in diesem doppelten Verlöbnis habe sich die Konkurrenz zwischen Deutschland und Frankreich bzw. zwischen Luxemburg und Valois um die Erbschaft Ludwigs I. ausgedrückt235. Diese Interpretation ist jedoch fragwürdig. Sie setzt im Grunde immer das selbstverständliche Bestehen eines französisch-deutschen Gegensatzes voraus. Wenn wir uns vor Augen halten, daß die Verbindung zwischen Frankreich und Ungarn ursprünglich von Karl IV. selbst angeregt worden ist, so wird man zumindest die Möglichkeit, daß die gleichzeitig erfolgten Verhandlungen über die beiden Verlöbnisse von entsprechenden deutsch-französische Absprachen begleitet worden sind, nicht ausschließen. Es ist immerhin auffallig, daß sich im April 1372, also zu Beginn der deutsch-ungarischen Eheverhandlungen, eine französische Gesandtschaft am kaiserlichen Hof in Prag aufgehalten hat; ihr gehörte Raoul de Louppy an, der seinerzeit bei den Verhandlungen in Avi232

Vgl. B-Η 5023a von 1372 März, 5024 von 1372 März 14; B-Η Reichssachen 754 von 1373 Juni 21; die päpstlichen Ehedispense: B-Η Päbste 141, ed. in: Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 4: Acta Gregorii XI., hg. von Carol STLOUKAL, Prag 1949-1953, S. 509f., n. 899 von 1374 Dez. 6, und B-H - ed. in: Monumenta Vaticana res gestas Bohemicas illustrantia, Bd. 4, S. 513f., n. 903 von 1374 Dez. 15; der Ehevertrag: B-H Reichssachen 609 von 1375 Apr. 15. Vgl. generell STEINHERZ, Beziehungen (wie Anm. 152), 2. Teil, S. 590ff.; VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 399ff. 233 Vgl. B-H Päpste 131-135 von 1372; B-H Reichssachen 549 von 1372 Mai 9. 234 Zit. bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 14, Anm. 1; Regest in MOLLAT (Hg.), Lettres (wie Anm. 189),n. 3850. 235 Zuletzt VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 402f.

Onkel und Neffe

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gnon ebenfalls anwesend gewesen war236. Diese These wird noch wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, daß Karl V., der in langwierigen Kriegen gegen den englischen König bemüht war, die Folgen des Vertrages von Bretigny zu beseitigen, auch seinerseits auf die Rückendeckung Karls IV. angewiesen war. Beispiele für eine Zusammenarbeit zwischen Kaiser und König oder zwischen Onkel und Neffe habe ich eine ganze Reihe sowohl aus dem Arelat als auch aus Italien angeführt, weitere aus dem deutsch-französischen Grenzraum sind bei Raymond Cazelles zusammengestellt237. Aus den angeführten Quellen ergibt sich, daß Karl V. die Interessen seines Onkels respektiert hat, insofern er seine Ansprüche auf Ungarn, Neapel und die Provence beschränkt hat, von irgendwelchen Absichten auf Polen ist in den Instruktionen Karls V. für seine Gesandten nicht die Rede. Das ist um so bemerkenswerter, als Ludwig I. seinerseits am 17. September 1374 in Kaschau (Kosice) seiner Tochter Katharina von den polnischen Ständen hatte huldigen lassen, er sie somit offenbar als seine Nachfolgerin hatte aufbauen wollen238. Die französischen Gesandten hatten dagegen den Auftrag, darauf hinzuwirken, daß Katharina von Ungarn auf keinen Fall mit einem deutschen Prinzen verheiratet werden solle, um zu verhindern, daß dieser Ansprüche auf das Reich von Neapel würde geltend machen können239. An Neapel wiederum hat Karl IV. - soweit bekannt - keinerlei Interesse gehabt. Zudem hatten Karl IV. und Karl V. einen gemeinsamen Gegner, nämlich Karl von Durazzo, der seinerseits Erbansprüche geltend machen konnte. Karl von Durazzo war, dies dürfte Karl V. klar gewesen sein, dem ungarischen Hof sehr viel näher als er. Wäre Ludwig von Ungarn gestorben - wohlgemerkt ohne Nachfolgeregelung - hätte Karl von Durazzo in Ungarn vollzogene Tatsachen schaffen können, bevor Karl V. oder Ludwig von Orleans überhaupt die Todesnachricht erhalten hätten. Ohne die Unterstützung Karls IV., des nächsten Nachbarn Ludwigs von Ungarn, wäre Karl V. somit kaum in der Lage gewesen, seine Ansprüche auf Ungarn durchzusetzen.

236

Vgl. B-Η 5034a von 1372 Apr. 1, ed. bei WINKELMANN (Hg.), Acta, Bd. 2 (wie Anm. 176), S. 875-878, n. 1222; DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 23), Bd. 3, Anhang, S. 147-153, n. 21. Beglaubigungsschreiben Karls V. für seine Gesandten: B-Η Reichssachen 544, ed. bei WINKELMANN (Hg.), Acta, Bd. 2 (wie Anm. 176), S. 874, n. 1221 von 1372 Febr. 24. Über die Gesandtschaft vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 403; THOMAS, Regnum (wie Anm. 78), S. 223ff., und AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 581, die auf den hier genannten Aspekt jedoch nicht eingehen. 237 CAZELLES, Societe (wie Anm. 18), S. 493ff. 238 Vgl. VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 402f.; Jörg K. HOENSCH, Verlobungen und Ehen Kaiser Sigismunds von Luxemburg, in: Georg JENAL, Stephanie HAARLÄNDER (Hg.), Herrschaft, Kirche, Kultur. Beiträge zur Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Friedrich Prinz zu seinem 65. Geburtstag, Stuttgart 1993 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 37), S. 265-277, hier S. 269. 239 So in der Verhandlungsinstruktion von 1375 Dez. 11, ed. bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 377ff., n. 3, hier S. 380.

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Spätestens seit dem Abschluß des zweiten der beiden Verlöbnisse war jedenfalls absehbar, daß eine Abgrenzung der Interessensphären zwischen Karl IV. und Karl V. nötig sein werde, um Streit um die ungarische Erbschaft zu vermeiden; diese Abgrenzung herbeizuführen war das politische Ziel240, welches Karl IV. auf seiner Parisreise verfolgte241. Auch hoffte der Kaiser, Karl V., der gute Beziehungen zu Ludwig I. hatte, zu einer Intervention zu seinen Gunsten zu bewegen. Nur wenige Monate vor Karls IV. Parisreise war eine Abordnung König Ludwigs I. in Paris erschienen und hatte dessen Zustimmung zu der französischen Forderung überbracht, Ludwig I. möge sich sowohl damit einverstanden erklären, daß Karls Sohn, Prinz Ludwig, im Falle er seine Frau überlebe, sein Leben lang den Titel König von Neapel fuhren dürfe, als auch damit, daß die Provence erblich an die Nachkommen aus dieser Verbindung übergehe242. Aber damit nicht genug. Karl V. hatte seinerseits zugestimmt, die Versuche Ludwigs von Ungarn und seines Sohnes (also wohl des Prinzen Ludwig), das Reich von Neapel wiederzuerlangen, zu unterstützen243. Man darf dies wohl als französisch-ungarisches Bündnis zur Erlangung Neapels auffassen. Ob diese auf friedlichem Wege - durch diplomatischen Druck auf die Königin Johanna - oder gewaltsam hätte erfolgen sollen, hat man wahrscheinlich von der weiteren Entwicklung abhängig gemacht. Was wir aber daraus mit aller Deutlichkeit ersehen können, ist, daß auf deutscher, französischer und auf ungarischer Seite die neapolitanische Frage gerade auf der Tagesordnung stand. Die ungarische Gesandtschaft scheint sich, als Karl IV. in Paris weilte, ebenfalls noch dort aufgehalten zu haben244. Sie dürfte dann auch einen Brief Karls V. an Ludwig von Ungarn überbracht haben, der uns sowohl über die weiteren Pläne Karls V. wie auch über die Intentionen seines kaiserlichen Onkels informiert. In ihm bittet Karl V. den ungarischen König, er möge die ungarischen Großen darauf vereidigen, Katharina als seine rechtmäßige Nachfolgerin anzuerkennen. Ohne die Nachfolge in Ungarn waren eben die Ansprüche auf Neapel und die Provence nicht zu haben.

240

Auch hier gilt, daß ich die Parisreise keineswegs erschöpfend behandeln will, sondern nur, soweit es für mein Thema nötig ist. 241 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 89ff. 242 Vgl. VALOIS, Projet (wie Anm. 223), S. 214f., sowohl nach der ungarischen Antwort auf die französischen Forderungen bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 382, n. 4 zu vor 1376 Mai 30, als auch nach einer verlorenen Urkunde, deren Wortlaut in einem alten Inventar erhalten ist. Vgl. auch SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 2), S. 355, der sehr zu Recht die Gleichzeitigkeit beider Aktionen betont. 243 Die entsprechende Urkunde ist nur als Regest in einem alten Inventar erhalten. Vgl. VALOIS, Projet (wie Anm. 223), S. 215, Anm. 2. 244 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 91.

Onkel und N e f f e

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Im gleichen Brief unterrichtet Karl V. auch Ludwig über seine Gespräche mit dem Kaiser 245 . Demnach habe der Kaiser während des Treffens in Paris ihn (also Karl V.) gebeten, er möge zustimmen, daß Polen an ihn (Karl IV.) falle, soweit die Ansprüche von Karls V. Sohn (also Ludwigs von Orleans) betroffen seien. Er (Karl V.) habe indes darauf bestanden, keine bestimmten Zusicherungen zu geben, solange König Ludwig nicht zugestimmt habe 246 . Auf den ersten Blick sieht das nach einer Ablehnung der kaiserlichen Bitte aus, indes hat Thomas sehr zu Recht hervorgehoben, daß Karl V. eine derartige Abmachung mit Karl IV. nicht in Vertragsform hätte schließen können, ohne seine Glaubwürdigkeit bei Ludwig I. einzubüßen. Entscheidend mußte hier in der Tat die Zustimmung Ludwigs I. sein. Welche Tochter bzw. welcher Schwiegersohn welchen Reichsteil erben würde, hing weitgehend von ihm ab; ein entsprechendes Testament hatte er noch nicht gemacht und auch später hat er keine Nachfolgeregelung getroffen. Das spricht aber nicht dagegen, daß Karl IV. und Karl V. eine Absprache über ihre Interessenssphären hätten treffen und sich gegenseitiger Unterstützung versichern können, und zwar wahrscheinlich in dem Sinne, daß Prinz Ludwig Ungarn - einschließlich der Erbansprüche auf Neapel und die Provence - und Prinz Sigmund Polen erhalten sollten 247 . Zwar ist bekannt, daß letztlich ganz im Gegenteil Sigmund König von Ungarn geworden ist, zum damaligen Zeitpunkt aber waren Karls IV. Interessen sehr viel stärker auf Polen gerichtet 248 . Umgekehrt war Karl V. an Ungarn nicht nur um seiner selbst willen, sondern vor allem wegen der Erbaussichten auf Neapel interessiert. Ein Ereignis ist hier signifikant: Am 19. März 1375 hatte sich Ludwig von Anjou eidlich seinem Bruder Karl gegenüber verpflichtet, all seine Macht einzusetzen, um Königin Johanna dahin zu bringen, als Erbin Katharina von Ungarn einzusetzen, die Verlobte des Prinzen Ludwig 249 . Das gibt nicht nur Aufschluß über die Intentionen Karls V., son-

245

D i e s e s undatierte Schreiben ist zuerst ediert von Kervyn de Lettenhove in: Jean FROISSART, OEuvres, hg. von Joseph Baron KERVYN DE LETTENHOVE, Bd. 9: Chroniques 1 3 7 7 1382, Brüssel 1869 (Anhang), S. 574f.; danach zit. bei Theodor LINDNER, Geschichte des deutschen Reiches unter König Wenzel, Bd. 1, Braunschweig 1875, S. 391 (dort als Stilübung interpretiert); zit. bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 7, Anm. 2 zu 1374 Febr.Apr.; abermals ed. bei VALOIS, Projet (wie A n m . 223), S. 2 2 1 - 2 2 3 zu 1378 Ende Jan.-Febr. (siehe dort auch zur Überlieferung); zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie A n m . 8), Bd. 5, S. 92, Anm. 1. 246

[Karl IV.] requisivit ut, in quantum pro diclo fllio nostro nos concemit, consentiremus quod haberet [Karl IV.] regnum Polonie. Sed omnibus nobis verbum exinde promoventibus istud semper nostrum fuit responsum quod, quia specialiter isla vos tangit materia, nullum omnino tractatum teneremus quin ex consensu et propria vestri ordinatione primo et principaliterprocessisset. (wie Anm. 245). 247

Vgl. THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 87f.

248

Vgl. VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 403f. (mit der älteren Literatur). V g l . DELACHENAL, Histoire (wie A n m . 8), Bd. 4, S. 543, Anm. 2.

249

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dem zeigt auch, daß er den Ehrgeiz seines Bruders für die eigenen Ziele nutzen wollte250. Gleichwohl muß betont werden, daß Karl IV. in bezug auf König Ludwig von Ungarn in hohem Maße von dem Wohlwollen Karls V. abhängig war. Wie wir gesehen haben, war die älteste Tochter Ludwigs mit einem Sohn Karls V. und nur die Zweitälteste mit einem Sohn Karls IV. verheiratet. Während sich der ungarische König die Eheanbahnungsversuche des Kaisers immer nur zögernd und mißtrauisch hatte gefallen lassen, hatte er zur Vermählung seiner ältesten Tochter mit Prinz Ludwig selbst die Initiative ergriffen. Es war also zu erwarten bzw. - aus Karls IV. Sicht - zu befürchten, daß König Ludwig sich seiner ältesten Tochter weit generöser als gegenüber seiner Zweitältesten zeigen werde251. Dafür, daß in der Tat eine solche informelle Absprache zwischen Onkel und Neffen stattgefunden hat252, spricht, daß sie gut zu der ja zweifellos erfolgten Verleihung des Reichsvikariats im Arelat an den französischen Thronfolger paßt. Gesetzt den Fall, die französisch-ungarische Ehe wäre zustandegekommen, so wären die Erbansprüche König Ludwigs auf das Reich von Neapel253 und damit auf die Provence auf seine Tochter bzw. seinen Schwiegersohn übergegangen. Der Rechtstitel des Reichsvikars hätte den Valois ermöglicht, in der Provence mit gleichsam doppelter Autorität aufzutreten: sowohl als Graf der Provence als auch als Stellvertreter des römischen Königs bzw. Kaisers. Man sieht hier recht gut, daß Karl IV. mit der Verleihung des Vikarstitels an Karl VI. keineswegs auf das Arelat verzichtet hat, wie man in der Literatur immer wieder lesen kann, sondern daß er lediglich eine antizipierte und von ihm gebilligte Entwicklung - die dann freilich nicht wie erwartet eingetreten ist - auch seinerseits unterstützt hat. Ebensowenig wäre bei einem Gelingen von Karls V. Plänen die Provence an Frankreich übergegangen. Vielmehr hätte Ludwig von Orleans, der ja lediglich der zweitgeborene Sohn Karls V. war, sie seinen Kindern weitervererbt. Wohl aber hätte Karl VI., der künftige französische König, in seiner Eigenschaft als Reichsvikar des Arelats eine Art Oberhoheit über seinen Bruder auch in dessen Eigenschaft als Graf der Provence ausüben können. Da die Verleihung des Vikariats aber nur auf Lebenszeit erfolgt war, hätte der Nachfolger Karls VI. beim Nachfolger Karls IV. um eine Erneuerung ersuchen müssen. Für unser Thema bleibt festzuhalten, daß Karl IV. zweimal - 1365 und 1377/1378 - durchaus willens war, die Provence, Ungarn und das Reich von Neapel dem Einfluß der verwandten französischen Königsdynastie zu öffnen. 250

So CONTAMINE, L'ombre (wie Anm. 117), S. 127. Vgl. im einzelnen VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 402f. 252 So auch THOMAS, Frankreich (wie Anm. 2), S. 87f. 253 Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Herrscherhäusern in Ungarn und Neapel vgl. den Stammbaum bei VELDTRUP, Eherecht (wie Anm. 15), S. 104. 251

Onkel und Neffe

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König Ludwigs I. Initiative, eine eheliche Verbindung seiner Tochter mit dem französischen Königshaus herbeizufuhren, hatte sicher auch den Hintergrund, wenigstens auf die Nachfolge der ihm verhaßten Königin Johanna, der Mörderin seines Bruders Andreas, die er selbst vergeblich zu stürzen versucht hatte, Einfluß zu nehmen254. Nachdem wir nun versucht haben, die in Paris vertraulich getroffenen Absprachen zu rekonstruieren, sei noch auf die öffentliche, für alle sichtbare Seite dieses Besuches eingegangen. Karls IV. Parisreise hat gerade unter dem Aspekt des Zeremoniells seit langem die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen, da wir in diesem Fall außerordentlich detailliert unterrichtet sind, nämlich durch eine Schilderung in den »Grandes Chroniques«255, welche im Auftrag Karls V. aller Wahrscheinlichkeit nach sein Kanzler, Pierre d'Orgemont, verfaßt hat256. Wir haben hier gleichsam das Bild der Zusammenkunft vor uns, welches der französische König der Mit- und Nachwelt von diesem Besuch vermitteln wollte . Ohne auf die Details eingehen zu wollen , seien die zwei Haupttendenzen hervorgehoben, von denen der Bericht durchzogen ist: die Gleichberechtigung und die Übereinstimmung von regnum und Imperium159. Diese gipfelte in zwei Ansprachen vor hochstehenden französischen und deutschen Klerikern und Fürsten: In der ersten rechtfertigte Karl V. seine Politik gegenüber England, in der zweiten antwortete ihm Karl IV. und billigte die Ausführungen seines Neffen260. Selbst den Anschein, der französische König stehe protokollarisch niedriger als der Kaiser, hat Karl V. vermieden, und zwar offensichtlich mit Billigung Karls IV. Dies war nicht ganz einfach, denn dadurch, daß Karl IV. zugleich den Wunsch seines Neffen erfüllte, den französischen Thronfolger zum Dauphin und Reichsvikar im Arelat zu ernennen womit üblicherweise die Leistung des Handgangs und des Treueids verknüpft war - , bestand die Gefahr, daß zwar nicht der König selbst, wohl aber der Thronfolger eine seinen Status mindernde Abhängigkeit vom Kaiser hätte auf sich nehmen müssen. Hier ist Karl IV. seinem Neffen weit entgegengekom254

So DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 544f. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 23), Bd. 2, S. 193-277. 256 Vgl. NEUREITHER, Bild (wie Anm. 27), S. 65ff„ 114f. Vgl. auch A. VERNET, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2, München 1983, Sp. 2034f. 257 Wir haben es hier selbstverständlich nicht mit einem unparteiischen Bericht zu tun. Vgl. dazu THOMAS, Memorandum (wie Anm. 213), S. 103ff. 258 Am eingehendsten ist DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 6Iff.; vgl. auch die in Anm. 213 genannte Literatur. 259 Es fallt auf, daß in der reichen Literatur zu diesem Thema (vgl. Anm. 213) immer nur der erste Aspekt, nie der zweite betont wird. Dabei hat nach allem, was wir wissen, Karl IV. nie den Anspruch auf einen wie auch immer gearteten Vorrang vor Karl V. erhoben. Auch hier dürfte sich wieder das am Anfang besprochene Paradigma bemerkbar machen. 260 DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 23), Bd. 2, S. 248ff.; vgl. DERS, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 103ff.; AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 785f.; DIES., La visite (wie Anm. 213), S. lOOf. 255

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men: Schon während seiner Anreise hat er betont, Karl V. könne König Wenzel ebenfalls als einen seiner Söhne ansehen261. Auch hat Wenzel während seines Besuchs Karl V. seine Freundschaft und Dienstbereitschaft versprochen262. Beide Kronprinzen, der deutsche und der französische, waren somit eine reziproke Verpflichtung eingegangen. Offenbar wollten beide Monarchen erreichen, daß sich ihr gutes Verhältnis auch auf ihre Nachfolger übertrug. Ähnlich wie schon in Arles haben wir auch in Paris eine Demonstration französisch-deutscher Übereinstimmung vor uns; eine Demonstration, die wohl dazu dienen sollte, die zweifellos anwesenden englischen Berichterstatter263, aber auch den ebenfalls in Paris anwesenden ungarischen Gesandten zu beeindrucken264.

X. An der Grenze zwischen regnum und imperium Nachdem wir die Geschichte des Arelats im Rahmen der französischdeutschen Beziehungen bis zum Vorabend des Großen Schismas verfolgt haben, sei noch ein Blick auf die anderen deutsch-französischen Grenzräume geworfen. Dabei strebe ich keine erschöpfende Darstellung an, es soll lediglich eine Skizze des augenblicklichen Forschungsstandes gegeben werden. Zu den strukturellen Problemen, die Karl IV. von seinem Vater übernommen hatte, gehörte die Aufspaltung seiner ererbten Territorien in zwei Schwerpunkte, einen westlichen, die Grafschaft Luxemburg, und einen östlichen, das Königreich Böhmen. Karl IV. hat sich früh entschlossen, den Schwerpunkt seiner eigenen Aktivitäten in den Osten zu verlegen, ohne jedoch die westlichen Besitzungen vernachlässigen zu wollen265: Er war demnach auf geeignete Stellvertreter angewiesen. Schon zwei Wochen nach seiner Krönung zum römischen König ernannte er am 9. Dezember 1346 Erzbischof Balduin von Trier, seinen Großonkel und Förderer seiner Königskandidatur, zum Reichsvi261

DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 23), Bd. 2, S. 199; vgl. NEUREITHER, Bild (wie Anm. 2 7 ) , S. 116. 262 [...] le roy des Rommans vint, et si tost que l 'Empereur le vit, il l 'apela et le prist par la main, et luy fist promectre, par sa foy en la main du Roy [Karls V.], que il I 'ameroit et serviroit, tant comme il vivroit, devant tous le princes du monde, et les enfans du Roy aussi [...]; DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 23), Bd. 2, S. 264; vgl. NEUREITHER, Bild (wie Anm. 2 7 ) , S. 142. 263 Über englische Spionage in Frankreich vgl. Christopher ALLMAND, Spionage und Geheimdienst im Hundertjährigen Krieg, in: Wolfgang KRIEGER (Hg.), Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen von der Antike bis zur Gegenwart, München 2003, S. 97-110, 354-356. 264 Über diesen vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 5, S. 91. 265 Vgl. SEIBT, Karl IV. (wie Anm. 2), passim, bes. S. 164ff.

Onkel und Neffe

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kar in Galliam et Germaniam, insbesondere in der Grafschaft Luxemburg266. Der sehr erfahrene, allerdings auch schon hochbetagte Balduin, der lange Zeit die Politik der luxemburgischen Dynastie geprägt hatte, war für dieses Amt zweifellos sehr geeignet; er wußte freilich sein neues Amt auch dazu zu nutzen, die Interessen seines Erzbistums zu wahren. Im Jahre 1353 übertrug dann Karl IV. seinem Halbbruder Wenzel die Grafschaft Luxemburg. Nach dem Tode Balduins von Trier im Jahre 1354 wuchs Wenzel allmählich in die Rolle des königlichen Statthalters im Westen hinein267. 1354 erhob der Kaiser Luxemburg zum Herzogtum. Wenzel konnte durch seine Ehe mit Johanna, der ältesten Tochter Herzog Johanns III. von Brabant, im Jahre 1351 auch Ansprüche auf Brabant geltend machen. Nach dem Tode Johanns III. konnte sich Wenzel - unterstützt von seinem Bruder in Brabant gegen Ludwig von Male, den Grafen von Flandern, durchsetzen. Vor allem aber wurde er vom Kaiser im Jahre 1366, also kurz nach der Arlesreise, zum Reichsvikar im Westen ernannt268; 1367 wurde er auch kaiserlicher Landvogt im Elsaß. Wenzel herrschte nun über ein Territorium, daß von der Nordsee bis zum Oberrhein reichte269. Von Luxemburg und Brabant aus sollte er offenbar als Vertreter des Kaisers die Reichsrechte im Westen des Imperiums wahren und ausüben. Die Parallele zur Position Ludwigs von Anjou in Frankreich ist auffällig. Die Förderung Wenzels durch Karl IV. ist um so bemerkenswerter, als das persönliche Verhältnis zwischen beiden oft sehr gespannt war. Offenbar war aber der Kaiser bereit, darüber hinwegzusehen, um die Interessen des Hauses Luxemburg zu fördern. Das dürfte ihm um so leichter gefallen sein, als Wenzels Ehe mit Johanna kinderlos blieb, er mit einem Heimfall beider Herzogtümer rechnen konnte, was auch in einem entsprechenden Erbschaftsvertrag festgehalten worden ist270. Gleichwohl erlitt diese Politik einen schweren Rückschlag, als Herzog Wenzel 1371 in der Schlacht von Bäsweiler vom Herzog von Jülich gefangengenommen wurde. Erst ein Jahr später konnte der 266

Vgl. Winfried REICHERT, Landesherrschaft zwischen Reich und Frankreich. Verfassung, Wirtschaft und Territorialpolitik in der Grafschaft Luxemburg von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14, Jahrhunderts, 2 Bde., Trier 1993 (Trierer Historische Forschungen, 24, 1-2), Bd. 1, S. 476ff., bes. S. 504ff. 267 Vgl. THOMAS, Regnum (wie Anm. 78), S. 15ff. und passim; REICHERT, Landesherrschaft (wie Anm. 266), Bd. 1, S. 523ff.; Michael PAULY, Luxemburg auf dem Schachbrett Karls IV., in: Hemecht 48 (1996), S. 379-390. 268 Vgl. Heinz THOMAS, Die Ernennung Herzog Wenzels von Luxemburg-Brabant zum Reichsvikar, in: Winfried EBERHARD u.a (Hg.), Westmitteleuropa - Ostmitteleuropa. Festschrift für Ferdinand Seibt, München 1992 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum, 70), S. 143-152 (dort auf S. 149-152, B-Η 4410a, die Ernennungsurkunde von 1366 Okt. 26); DERS., Regnum (wie Anm. 78), S. 328ff. 269 Das betont DERS., Die Luxemburger und der Westen des Reichs zur Zeit Kaiser Karls IV., in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 1 (1975), S. 59-96, bes. S. 86ff. 270 Vgl. ibid., S. 84; PAULY, Luxemburg (wie Anm. 267), S. 385.

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Kaiser ihn durch hohe Lösegeldzahlungen befreien. Die Forschung ist sich einig, daß dadurch die kaiserliche Position im Westen erheblich geschwächt worden ist: Erzbischof Friedrich von Köln, den Karl IV. 1372 zum neuen Reichsvikar im Westen ernannte, hatte in erster Linie seine eigenen Interessen im Auge. Für unsere Fragestellung ist wesentlich, daß Karl V. und Frankreich fur diese Entwicklung in keiner Weise verantwortlich waren. Gerade Wenzel unterhielt auch seinerseits gute Beziehungen zum französischen Hof 271 . In den »Grandes Chroniques« ist seine Niederlage bei Bäsweiler mit Bedauern verzeichnet worden; zugleich wird bemerkt, daß der Graf von Saint-Pol, der an seiner Seite gekämpft hatte, in der Schlacht gefallen sei272. Generell gilt hier das Fazit von Heinz Thomas, daß Frankreich »trotz seiner offenkundigen Überlegenheit [...] den Bestand des Reiches am Oberlauf der Maas bis zum Ende des 14. Jahrhunderts nie grundsätzlich in Frage gestellt« hat273. Ein anderer Fall sei noch herausgegriffen, der gerne als Paradebeispiel der französischen Ausdehnungspolitik angeführt wurde: der Fall Cambrai. In einer (auch von mir) immer noch oft zitierten Studie, die sorgfaltig dokumentiert ist, sich aber auch explizit in dieses Paradigma einfügt, legt Lotte Hüttebräuker dar, daß es zuerst König Philipp dem Schönen gelungen ist, im Jahre 1298 »Cambrai seinem Willen zu unterwerfen«. Es folgt ein langes Hin und Her, das dann rund 45 Seiten oder 350 Jahre später mit dem Fazit endet, »erst Ludwig XIV. hat es [Cambrai] schließlich für Frankreich gewonnen«274. Mit anderen Worten: Mehr als drei Jahrhunderte hat es gedauert, bis die französische Monarchie Cambrai dem eigenen Staat einverleibt hat. Hier wird besonders gut die Absurdität deutlich, die darin liegt, eine über Jahrhunderte durchgehaltene »Ausdehnungspolitik« anzunehmen, die dann noch - gemessen an ihren Möglichkeiten - derart geringe Resultate gehabt hat.

271

Siehe oben mit Anm. 23; PAULY, Luxemburg (wie Anm. 267), S. 383. DELACHENAL (Hg.), Chronique (wie Anm. 23), Bd. 2, S. 158f. Gui de Luxembourg, der Graf von Saint-Pol, war Vasall Karls V., hatte aber auch verwandtschaftliche Beziehungen zu den Luxemburgern. Insofern ist er typisch für jene Grenzsituation. 272

273

274

THOMAS, R e g n u m (wie A n m . 78), S. 343.

HÜTTEBRÄUKER, Cambrai (wie Anm. 180), S. 90, 135. Für die Regierungszeit Karls V. kommt die Autorin immerhin zu dem Ergebnis: »Von einem Konflikt der beiden Mächte hören wir nichts, ja 1365 haben sich Karl IV. und Karl V. sogar gemeinsam für einen Cambraier Kleriker verwandt«. Ibid., S. 128.

Onkel und Neffe

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XI. Die Stellung des französischen Hofes zur Rückkehr Urbans V. und Gregors XI. nach Rom Mit meinen Ausführungen stehe ich im Widerspruch zu der überkommenen und - soweit ich sehe - einmütigen Lehrmeinung, daß der französische Hof und insbesondere König Karl V. ein Gegner der Rückkehr des Papsttums nach Rom gewesen seien. Häufig findet man diese These im Zusammenhang mit einer zweiten, daß das Avignoneser Papsttum von Frankreich abhängig gewesen sei275. Dabei scheint es niemanden zu stören, daß die beiden Behauptungen einander offensichtlich widersprechen. Wenn das Papsttum von Frankreich abhängig war, wie konnten dann Urban V. und Gregor XI. gegen den Willen Frankreichs gleichwohl nach Rom zurückkehren? Mustern wir also die Argumente, die für diese Ansicht angeführt werden276. Im Hinblick auf Urban V. ist unbestritten, daß Karl V. eine Gesandtschaft nach Avignon geschickt hat, die im April 1367 dort ankam, also kurz vor Urbans Abreise nach Rom am 30. April. Daß sie den Auftrag gehabt hat, Urban von seiner Reise zurückzuhalten, wird als selbstverständlich vorausgesetzt277. Um die quellenmäßige Evidenz dieser Ansicht ist es jedoch nicht sonderlich gut bestellt. Erhalten ist das umfangreiche Fragment einer Rede, welche der französische Gesandte wohl auf einer öffentlichen Konsistorialsitzung an der Kurie gehalten hat und die - weitschweifig, aber eindeutig - in der Tat Urban V. abrät, nach Rom zu reisen278. Diese Rede, die seinerzeit anscheinend für eine Perle der Rhetorik gehalten wurde, hat unter den Zeitgenossen eine Kontroverse ausgelöst, an der sich kein Geringerer als Francesco Petrarca beteiligt hat279; in ihr wurden die Vor- und Nachteile der beiden Papstsitze Avignon und Rom lebhaft erörtert. Für unser Problem ist wesentlich, daß diese Rede eben gerade für die Öffentlichkeit gedacht war, sie die gleichsam offizielle Stellungnahme Karls V. zu Urbans Vorhaben darstellte280. Daß es gute Gründe gab, die von mir skizzierten Pläne, insbesondere soweit die Königin Johanna betroffen war, gerade nicht an die Öffentlichkeit dringen zu lassen, ist wohl klargeworden. Über das,

275

Siehe dazu die Fortsetzung dieser Studie; vgl. Anm. 1. Vgl. vor allem DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 515ff., von dessen Deutung ich abweiche, der aber die Quellen mit gewohnter Sorgfalt zusammengestellt hat. 277 Typisch ist hier PROU, Etude (wie Anm. 116), S. 64: »Bien que les documents qui mentionnent cette ambassade ne nous en revelent en aucune fafon le but, il y a lieu de croire que les envoyes royaux venaient persuader le pape de demeurer ä Avignon«. 278 Ausführlich referiert und zitiert bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 3, S. 517ff. 279 Für die Einzelheiten ibid., S. 524ff. Vgl. auch Karlheinz STIERLE, Francesco Petrarca. Ein Intellektueller im Europa des 14. Jahrhunderts, Darmstadt 2003, S. 75ff. (freundlicher Hinweis von Wemer Paravicini). 280 Das betont auch AUTRAND, Charles V (wie Anm. 17), S. 54Iff. 276

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was die französische Gesandtschaft hinter verschlossenen Türen mit Urban V. besprochen hat, wissen wir - wie so oft - nichts. Etwas besser ist es um die Quellenlage bei Gregors Rückkehr bestellt281, wo es zwei einschlägige Quellen gibt. In einem Brief des Grafen von Saarbrücken, der das Amt des bouteiller am französischen Hof innehatte, an die Gräfin von Bar, Yolande von Flandern282, wird berichtet, der französische König habe die Absicht gehabt, in Lyon mit Gregor XI., Kaiser Karl IV. und dem Grafen von Lancaster zusammenzutreffen. Zweck dieser Zusammenkunft sei es gewesen, den Papst von der Reise nach Rom abzuhalten. Da Karl V. jedoch befürchtet habe, seine Bitte werde von Gregor abgelehnt werden, habe er auf eine persönliche Zusammenkunft verzichtet. Der Graf gibt offenbar am französischen Hof kursierenden Klatsch wieder, er erweist sich jedoch als nicht sonderlich gut informiert. Im Frühjahr 1376 hatte Gregor XI. den Kaiser gedrängt, dieser möge ihn zusammen mit seinem Sohn Wenzel in Avignon besuchen, um über Wenzels Wahl zum römischen König zu verhandeln. In der überlieferten Korrespondenz, in der sich Karl IV. entschuldigt, daß er wegen seiner Krankheit nicht kommen könne, ist jedoch von einer Beteiligung Karls V. oder des Herzogs von Lancester nicht die Rede283. Auch hätten, um ein solches Treffen zu arrangieren, doch entsprechende Vorbereitungen getroffen werden müssen, hätten insbesondere Boten an Papst, Kaiser, König und Herzog geschickt werden müssen. Irgendeinen Beleg dafür haben wir jedoch nicht, was insbesondere im Falle des Papstes signifikant ist, dessen diplomatische Korrespondenz insgesamt gut erhalten ist284 Zumindest die Absage auf die erfolgte Einladung müßte sich hier finden lassen. Man wird daher verstehen, daß ich dieses Zeugnis fur nicht sehr bedeutsam halte.

281

Vgl. vor allem DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 590ff., sowie Leon MLROT, La politique pontificate et le retour du Saint-Siege a Rome en 1376, in: Le Moyen Age 11 (=2. Serie, 2) (1898), S. 85-101, 193-213, 354-375, 413-457, hier S. 416ff. (erschienen selbständig unter demselben Titel, Paris 1899); LEHOUX, Jean de France (wie Anm. 100), Bd. 1, S. 384f.; sehr viel abwägender MOLLAT, Papes (wie Anm. 171), S. 268f. Gerade Mirot hätte es besser wissen sollen. Er hat nämlich als erster die Zahlungen Ludwigs von Anjou an Gregor XI. nachgewiesen. Vgl. DERS., Les rapports financiers de Gregoire XI et du due d'Anjou, in: Melanges d'Archeologie et d'Histoire 17 (1897), S. 113-144. 282 La cause pourquoy le Roy η 'est alez devers le Pape est teile: le Roy monseigneur aloit devers le Pape especialment sus toutes autres choses pour Ii faire demorer de non aller ä Rome; si a santi par aueun de ses bons amis que pour chose du monde Ii Pape ne demouroit; se Ii semble qu 'il ne seroit mie son honeur se il aloit lä pour Ii faire demorer et il ne demoroit a sa priere [...]; 1376 Aug. 20, ed. bei Jules FLNOT, Inventaire sommaire des Archives ddpartementales du Nord anterieures ä 1790, Bd. 7, Lille 1892, S. 92f.; zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 591, Anm. 1. 283 Die Quellen sind ediert von Julius WEIZSÄCKER, Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel, Bd. 1, Göttingen 21956, S. 90ff. Vgl. KLARE, Wahl (wie Anm. 181), S. 152ff. 284 Karsten Plöger danke ich für die Mitteilung, daß sich auch in der englischen Überlieferung keine Spur für die Vorbereitung eines solchen Zusammentreffens findet.

Onkel und Neffe

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Weiterhin wird behauptet, ausgerechnet Ludwig von Anjou, der sich häufig in Avignon aufhielt, sei von seinem königlichen Bruder beauftragt worden, Gregor XI. von seiner Abreise abzuhalten. Die Rede, welche Ludwig am 7. Februar 1375, also über ein Jahr vor Gregors Abreise, vor dem Konsistorium gehalten hat, ist die zweite einschlägige Quelle, die explizit aussagt, daß Karl V. und Ludwig von Anjou Gegner dieser Reise gewesen seien. Sie liegt in zwei Fassungen vor: einer langen bei Froissart285, deren Historizität schon Delachenal nicht ernstgenommen hat, und in einer kurzen Zusammenfassung, welche ein Gesandter am avignonesischen Hof seiner Heimatstadt geschickt hat286. Daß dieser Bericht fur die übermittelten Fakten glaubwürdig ist, bestreite ich nicht, aber abgesehen davon, daß auch für diese Rede die gleiche Kritik wie für die vorangegangene gültig ist, wird gerade bei ihr sehr deutlich, daß sie im Rahmen einer förmlichen Inszenierung gehalten worden ist. Offenbar um das Pro und Contra der bevorstehenden Romreise augenfällig und die Kurialen wie auch die auswärtigen Gesandten und Berichterstatter mit seiner Entscheidung bekanntzumachen, hat Gregor erst Ludwig in einer Konsistorialsitzung die Gründe vorbringen lassen287, welche gegen die Reise sprachen. Ihm antwortete Kardinal Jakob Orsini, der die fur die Reise sprechenden Gründe vortrug. Abschließend ergriff dann der Papst selbst das Wort und verkündete seinen Entschluß, nach Rom zu ziehen. Es haben somit beide Seiten der französische König wie der Papst - hier ihre offizielle Position deutlich gemacht. Immerhin dürften auch die Zeitgenossen bemerkt haben, daß dieser gemeinsame Auftritt Ludwigs und des Kardinals, ungeachtet des vordergründigen Gegensatzes, der in ihren Reden zum Ausdruck kam, gerade die grundsätzliche Übereinstimmung von Papsttum und französischer Monarchie in dieser Frage demonstrierte, daß hier die Form wichtiger als der Inhalt war. Schließlich ist kurz vor der Abreise Gregors nach Rom der jüngste Bruder des Königs, Herzog Philipp der Kühne, in Avignon eingetroffen; dies erweckte bei den in Avignon anwesenden Berichterstattern offenbar den Eindruck, er solle Gregor von seiner Reise zurückhalten288. Das ist jedoch extrem unwahr-

285

FROISSART, CEuvres (wie Anm. 245), S. 47f.; zit. bei DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 593, Anm. 1. 286 Zit. ibid., Anm. 2, nach MLROT, Politique (wie Anm. 281), S. 68, Anm. 1 (= S. 418, Anm. 1 der Zeitschriftenfassung). Ed. bei A. SEGRE, I dispacci di Cristoforo da Piacenza procuratore mantovano alia corte ponteficia (1371-1383), in: Archivio storico italiano, 5. Serie, 43 (1909), S. 27-95, und 44 (1909), S. 253-326, hier 43 (1909), S. 71 f. Über Christopherus von Piacenza vgl. LEONARD, Les Angevins (wie Anm. 49), S. 454, der ihn gut informiert, aber »point tres intelligent« nennt. 287 Es handelte sich um ein consistorium privatum. Indes beweist der Bericht des Christopherus (wie Anm. 286), daß der Inhalt keineswegs vertraulich geblieben ist. 288 Vgl. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 594. Demnach ist Philipp der Kühne vom 25. August bis zum 4. September 1376 in Avignon nachgewiesen. Christopherus von Piacenza berichtet (ed. bei SEGRE, Archivio [wie Anm. 286], Bd. 4, S. 93, n. 22 von 1376

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Stefan Weiß

scheinlich. Fast gleichzeitig mit Philipps Eintreffen in Avignon traf nämlich ein Gesandter Karls V. in Avignon ein. Dieser überbrachte Papst Gregor die erste Rate eines größeren Kredits, welcher die Reise nach Rom überhaupt erst möglich gemacht hat. Der Gegensatz zwischen dem, was nach außen verlautbart wird, und dem, was hinter den Kulissen stattfindet, läßt sich kaum besser verdeutlichen: Insgesamt 160 000 Goldfranken haben nämlich Karl V. und Ludwig von Anjou an Gregor XI. kurz vor seiner Abreise überbringen lassen289. Die erste Rate, 60 000 Franken des französischen Königs, überbrachte der königliche Spezialgesandte Johannes Marcerii; sie ist am 19. August 1376 in der Apostolischen Kammer in Avignon verbucht, also fast gleichzeitig mit der Ankunft Philipps des Kühnen290. Einen Monat später, am 16. September 1376, folgten weitere 60 000 Franken Ludwigs von Anjou; diesmal überbrachte sie Petrus Scatisse, der Schatzmeister des Königs von Frankreich. Ohne diese Gelder hätte Gregor XI., der sich in großen finanziellen Schwierigkeiten befand, die Kosten für die Reise nach Rom nicht bezahlen können. Somit ist die Rückkehr des Papsttums nach Rom nur durch französische Unterstützung möglich geworden. Immerhin existiert eine glaubwürdige Quelle, die uns darüber informiert, welche Ansichten Karl V. über die Rückkehr des Papsttums nach Rom gehabt hat; leider ist sie keineswegs eindeutig. Es handelt sich um den »Songe du Vergier«, ein Werk, welches das Verhältnis von weltlicher und geistlicher Gewalt zum Thema hat. Dieser Text ist zunächst in einer lateinischen Version verfaßt worden, dem »Somnium Viridarii«291; ihn hat man dann mit vielfachen Änderungen im Detail ins Französische übersetzt. Anscheinend ist er von dem königlichen Rat und Hofrichter Evrart de Tremaugon verfaßt worden; sicher ist, daß Karl V. großen Anteil an dem Werk genommen und persönlich daran mitgewirkt hat292. Gestaltet ist das Buch als Dialog zwischen einem Kleriker

Sept. 7, hier S. 94), die fratres regis Francie hätten versucht, Gregor von der Reise zurückzuhalten. 289 Vgl. Stefan WEISS, Kredite europäischer Fürsten für Gregor XI. Zur Finanzierung der Rückkehr des Papsttums von Avignon nach Rom, in: Quellen und Forschungen aus Italienischen Archiven und Bibliotheken 77 (1997), S. 176-205, hier S. 198ff.; jetzt auch DERS., Rechnungswesen und Buchhaltung des Avignoneser Papsttums (1316—1378). Eine Quellenkunde, Hannover 2003 (MGH Hilfsmittel, 20), S. 174. Daß hier beide Brüder gemeinsam handelten, widerlegt den sonst naheliegenden Verdacht, Ludwig von Anjou hätte Politik auf eigene Faust und gegen die Intentionen seines Bruders getrieben. 290 Etwa gleichzeitig muß auch eine französische Gesandtschaft, welche den päpstlichen Konsens zur Eheschließung zwischen Prinz Ludwig und Katharina von Ungarn einholen sollte, an der Kurie eingetroffen sein (dazu siehe oben mit Anm. 228). Ihre Verhandlungsinstruktionen sind ediert bei JARRY, La vie (wie Anm. 204), S. 385, n. 5 von 1376 Mai 30. 291 Somnium Viridarii, hg. von Marion SCHNERB-LlEVRE, 2 Bde., Paris 1993-1995. 292 Le Songe du Vergier, edit£ d'apres le manuscrit royal 19 C IV de la British Library, hg. von Marion SCHNERB-LlEVRE, 2 Bde., Paris 1982. Vgl. vor allem die Introduction der Herausgeberin in Bd. 1, S. XIXff., dort auf S. LXIXff. zur Mitwirkung Karls V.; vgl. auch Au-

163

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und einem Ritter; jedes einzelne Problem wird zunächst von dem einen, dann von dem anderen erörtert. Man ist sich darüber einig, daß in der Regel der Ritter die königliche Position vertritt, denn er ist es, der zumeist die überzeugenderen Argumente vorbringt. In diesem Buch wird auch auf die Frage der Rückkehr des Papsttums nach Rom eingegangen. Während aber in der lateinischen Erstfassung, welche in den Jahren 1374 bis 1376 entstanden ist, die Argumente des Ritters für den Verbleib in Avignon weitaus überzeugender geraten sind, ist es in der französischen Fassung, welche unmittelbar nach der Fertigstellung der lateinischen Version in Angriff genommen und die 1378 noch vor Ausbruch des Schismas - fertiggestellt worden ist, gerade umgekehrt293. Nun argumentiert der Kleriker weit überzeugender, mag der Ritter auch noch so drastisch bemüht sein, seinem Widerpart die Vorzüge Frankreichs und den schlechten Charakter der Römer vor Augen zu fuhren. Hier scheint sich eine Meinungsänderung König Karls V. niedergeschlagen zu haben; er mag sich von einem anfanglichen Gegner der Rückkehr zu einem Befürworter entwickelt haben. Dies könnte seinen Hintergrund darin haben, daß Karl V. seit mehreren Jahren einen Erfolg nach dem anderen erzielt hatte; die endgültige Vertreibung der Engländer aus Frankreich schien unmittelbar bevorzustehen. Soeben war unter päpstlicher Vermittlung am 12. März 1376 in Brügge ein Waffenstillstand zwischen England und Frankreich ausgehandelt worden, von dem man hoffte, er werde in einen generellen Friedensschluß einmünden 294 . Insofern mochte Karl nun den Zeitpunkt gekommen sehen, an dem er die Kräfte Frankreichs nicht mehr in erster Linie dem Kampf gegen England zu widmen brauchte. Dem Argument des Klerikers jedenfalls, Frankreich befinde sich - ganz anders als Rom - in einem Zustand des Glücks und des Wohlstands, konnte der Ritter schwer widersprechen, noch weniger dem Argument, daß die lasterhaften Römer den päpstlichen Beistand sehr viel nötiger als die frommen Franzosen hätten: Dei, enim, Filius non venit propter justos, sedpropter peccatores295.

TRAND,

Charles

V

(wie

Anm.

17),

S.

736FF.; z u l e t z t

HECKMANN,

Stellvertreter

(wie

Anm. 47), Bd. l . S . 222ff. 293 So SCHNERB-LIEVRE (Hg.), Songe (wie Anm. 292), S. LXXVIII. DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd 4, S. 600, der dies ebenfalls beobachtet hat, ist der Ansicht, der sonst völlig loyale Verfasser habe sich hier ausnahmsweise gegen die Ansicht des Königs ausgesprochen. Man wird verstehen, daß ich diese Ansicht nicht teile. Man vergleiche Somnium Viridarii (wie Anm. 291), II c. CCCLXII und CCCLXIII (SCHNERB-LIEVRE [Hg.], Somnium [wie Anm. 291], Bd. 2, S. 249ff.) mit Songe de Vergier, I c. CLV und CLVI (SCHNERBLIEVRE [Hg.], Songe [wie Anm. 292], Bd. 1, S. 315ff.). 294 DELACHENAL, Histoire (wie Anm. 8), Bd. 4, S. 587. Einen Zusammenhang zwischen den Verhandlungen in Brügge und Gregors Entschluß zur Rückkehr nach Rom hat bereits Yves RENOUARD, La papaute ä Avignon, Paris 1954 (ND 2004), S. 54, gesehen. 295 Songe de Vergier, I c. CLV 11/12 (SCHNERB-LIEVRE [Hg.], Songe [wie Anm. 292], Bd. 1, S. 319).

164

Stefan Weiß

Daß die These, der französische König sei ein Gegner der päpstlichen Rückkehr nach Rom gewesen, so wenig in Frage gestellt worden ist, hat seine Ursache abermals in dem in der Einleitung charakterisierten Paradigma. Wenn man das Avignoneser Papsttum mit Frankreich identifiziert, es als abhängig vom französischen Interesse darstellt - beides höchst fragwürdige Thesen296 - , dann ist in der Tat nicht zu begreifen, warum Urban V. und Gregor XI. nach Rom zurückgekehrt sind. Dies konnte nur dadurch erklärt werden, daß es eben gegen den Willen Frankreichs und gegen den Willen der - französischen Kardinäle und hohen Kurialen geschah. Auch die Deutung des Schismas hängt mit diesem Paradigma zusammen. Aufgrund vager Indizien unterstellt man Karl V., er habe die Wahl Clemens VII. betrieben, um die Päpste nach Avignon zurückzufuhren. Die Frage, was Karl V. eigentlich von einer solchen Rückkehr nach Avignon gehabt hätte, wird dagegen nie gestellt.

296

Siehe dazu die Fortsetzung dieser Studie; vgl. Anm. 1.

PHILIPPE GENEQUAND

E N T R E » R E G N U M « ET »IMPERIUM« Les attitudes des pays d'Empire de langue fran^aise au debut du grand schisme d'Occident (1378-1380)

1. Introduction

Le titre choisi pour le present ouvrage - »Regnum et imperium au Bas Moyen Äge« - incite ä considerer les liens entre deux ensembles politiques bien definis: le royaume de France d'une part, le Saint Empire romain germanique de Tautre. Leurs relations parfois difficiles, leurs ambitions hegemoniques, leurs histoires entremelees laissent aux historiens l'embarras du choix pour decrire et analyser les elements qui les unissent et les separent ä la fin du Moyen Age. Au moment de l'eclatement du scandale inacceptable qu'est le schisme, leurs chemins divergent: si le Valois Charles V est Tun des premiers a se rallier ä la cause clementine, les Luxembourg Charles IV et Wenceslas demeurent fideles au premier elu. Les deux cours restent par la suite constantes vis-ävis des choix exprimes 1378. Assisterait-on lä ä une division linguistique? Le schisme donne-t-il ä voir une opposition >nationale